Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0006
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2021
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JungkDie intrinsische Systemreaktion des tribologisch beanspruchten Schmierfettes
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Erik Kuhn
Dieser Beitrag befasst sich mit den beobachteten Reaktionen eines Schmierfettes auf eine tribologische Beanspruchung. Es wird der Versuch unternommen die Triebkräfte zu beschreiben, die für die intrinsische Reaktion verantwortlich sind. Aus diesen Überlegungen wird ein neues Forschungsparadigma abgeleitet, das den tradierten Beobachtungsstandpunkt verlässt. Mit experimentellen Ergebnissen werden die angestellten Untersuchungen illustriert.
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1 Einleitung Es existiert eine schier unüberschaubare Vielzahl und eine unglaubliche Vielfalt an experimentellen Untersuchungsmethoden, um definierte Eigenschaften von Schmierfetten zu quantifizieren. Dabei gibt es Testprozeduren und Versuchseinrichtungen, die in eine reproduzierbare Ausführung gebracht wurden und schließlich in eine Norm mündeten. Und es existieren Versuchsstände und -durchführungen, die für sehr spezielle Problemstellungen entwickelt wurden und z.B. nach Beendigung eines Projektes kaum weitere Anwendung finden. Fast allen ist die Aufbringung einer tribologischen Beanspruchung unter definierten Bedingungen und eine parallele oder sich anschließende Beobachtung des Verhaltens des Schmierstoffes gemein. Die tribologischen Ingenieur*innen haben gelernt, der definierten Ursache, z.B. dem Fallen eines Kegels oder der Relativbewegung in einem fettgefüllten Spalt zwischen zwei Platten eine Wirkung zuzuordnen. Solche Wirkungen sind z.B. das Eindringen eines Kegels oder die Veränderung der Feststoffstruktur in einem Schmierfett. Phänomene, die so zu Tage treten und mit sehr anspruchsvollem experimentellen Aufwand häufig vergleichend untersucht werden, unterliegen dann Fragestellungen wie: warum hat eine aufgebrachte Kraft die Probe A mehr verändert als die Probe B und welcher Mechanismus ist bei Probe A verantwortlich gegenüber dem bei Probe B. Es erfolgt eine direkte Zuordnung von festgelegter Ursache und beobachteter Wirkung. Ein Beispiel, wenn auch eines eher untypischen tribologischen Versuches, soll dafür herangezogen werden. In einem Rheometertest mit Platte-Platte-Konfiguration wird über einen weiten Temperaturbeich (100 °C bis +200 °C), bei einer außerordentlich schwachen, konstanten Oszillation und mit konstanter Frequenz, das Schmierfettverhalten beobachtet (Bild (1)). Eigentlich besteht die Darstellung aus 3 Teilversuchen, aber wir wollen das Diagramm von links, auf der Abszisse beginnend, lesen. Vor dem Hintergrund der hier dargestellten Überlegungen und zum besseren Verständnis können wir die auf der Ordinate dargestellten Module auch durch das Reibungsverhalten ersetzen. Zu erkennen ist ein stufenförmiger Prozessverlauf, dem abschnittsweise Mechanismen zugeordnet werden können. Das erste Plateau wird beim Aufschmelzen der tiefgefrorenen Probe verlassen. Das zweite Plateau stellt Aus Wissenschaft und Forschung 43 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 Die intrinsische Systemreaktion des tribologisch beanspruchten Schmierfettes Erik Kuhn* Dieser Beitrag befasst sich mit den beobachteten Reaktionen eines Schmierfettes auf eine tribologische Beanspruchung. Es wird der Versuch unternommen die Triebkräfte zu beschreiben, die für die intrinsische Reaktion verantwortlich sind. Aus diesen Überlegungen wird ein neues Forschungsparadigma abgeleitet, das den tradierten Beobachtungsstandpunkt verlässt. Mit experimentellen Ergebnissen werden die angestellten Untersuchungen illustriert. Schlüsselwörter Schmierfettverschleiß, Irreversibilität, Stabilität, Selbstoptimierung The intrinsic system reaction of the tribologically stressed greases This article deals with the observed reactions of a lubricating grease to tribological stress. An attempt is made to find the driving forces describe that are responsible for the intrinsic response. From these considerations, a new research paradigm is derived that leaves the traditional observation point of view. The investigations are illustrated with experimental results. Keywords Wear of lubricating greases, irreversibility, stability, self-optimization Kurzfassung Abstract * Prof. Dr. Erik Kuhn TREC, Fakultät T&I, HAW Hamburg Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0001-9168-4417 TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 23 Seite 43 suchsprozeduren und den über einen langen Zeitraum gewonnenen Erfahrungen, abgeleitetes allgemeines Paradigma für die tribologische Forschung. Danach besteht dieses Forschungsparadigma in der Untersuchung phänomenologischer Erscheinungen in tribologischen Systemen zur Befähigung Reibung und Verschleiß den technischen Erfordernissen in einem tribologischen Kontakt anzupassen. Dies ist in größter Häufigkeit wohl die Minimierung von Reibung und Verschleiß. In der Interpretation bedeutet dies, wir schauen auf ein System und versuchen, die tribologische Beanspruchung mit der erkennbaren Wirkung zu korrelieren. Das passiert in der Regel vor dem Hintergrund, Forderungen nach der Verlängerung von Betriebszeiten von Reibpaarungen, zu erfüllen. Viele technische Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten, aber auch historische Entwicklungen in vergangenen Jahrhunderten, die mit tribologischen Problemstellungen und deren Lösungsfindungen in Verbindung gebracht werden können, zeigen wie wertvoll das beschriebene Forschungsparadigma ist. Ausdruck dieses allgemeinen tribologischen Forschungspradigmas ist nichtzuletzt die gebräuchliche Reibungsdefinition, nach der Reibung eine Wechselwirkung zwischen sich berührenden Stoffbereichen von Körpern ist und einer Relativbewegung entgegen wirkt. In der bekannten Schrift von Th. Reye Zur Theorie der Zapfenreibung [2] von 1859 kommt er zu der Schlussfolgerung, dass die normale Abnutzung an jedem Punkte der daselbst verzehrten Reibungsarbeit proportional sei. Aus Wissenschaft und Forschung 44 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 sich bei den für Schmierfette üblichen Betriebstemperaturbereich ein und endet mit dem Schmelzen von Additiven, die dieser Probe beigemengt waren. Ein sich erneut einstellendes Plateau findet sein gewaltsames Ende im Schmelzen des Feststoffes, hier einer Li-Seife. Es können bei einer phänomenologischen Betrachtung also Ursache und Wirkung direkt ins Gedankenspiel gebracht werden. Insistieren wir an dieser Stelle und fragen weiter warum die benannten Mechanismen jetzt im Prozessgeschehen auftreten. Diese Frage bleibt zunächst unbeantwortet. Eine andere Kategorie durchgeführter Untersuchungsprojekte hat das Hauptaugenmerk auf fettgeschmierte Reibpaarungen gelegt mit dem Ziel, Reibung und Festkörperverschleiß zu minimieren. Die Lebensdauer vieler Maschinenelemente und Baugruppen ist verschleißbedingt limitiert und es leiten sich daraus ebenfalls viele Aufgabenstellungen ab. Diese Untersuchungen sind noch komplexer und weisen das Schmierfett als einen Reibkörper in einem tribologischen System mit zwei weiteren festen Reibkörpern aus. Der Versuch, aus analysierten Ursachen (Reibungsbeanspruchung) beobachtete Wirkungen mit zugehörigen Mechanismen abzuleiten, steht dabei häufig im Mittelpunkt. 2 Der irreversible tribologische Prozess 2.1 Der Paradigmenwechsel Ausgangspunkt ist ein aus den tradierten Vorgehensweisen, den vielfach in der Literatur beschriebenen Ver- Bild 1: Verhalten einer Modellfettprobe im Temperatur-Oszillationsversuch [1] TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 23 Seite 44 Fast 100 Jahre später finden wir den selben Zusammenhang in dem Ansatz nach Archard mit (1) wobei F N ·s R ~ F R ·s R . Auch Fleischer nutzt diese direkte Proportionalität von W R ~ V V . Wir sehen in diesen Untersuchungen die Zuordnung einer Ursache, hier der Reibungsarbeit, zu einer beobachtbaren Wirkung, dem abgetragenen Stoffvolumen. In einer Vielzahl experimenteller Studien ist diese Annahme bestätigt worden. Trotzdem spreche ich in der Überschrift dieses Abschnittes von einem Wechsel des Forschungsparadigmas. Fragt man bisher nach den Mechanismen, die beobachtbare Phänomene auslösen, soll nun das Hauptaugenmerk auf den etwaigen Triebkräften für das untersuchte Prozessgeschehen liegen. Der Wechsel liegt also in einer Veränderung des Beobachtungsstandpunktes. Schauen wir zunächst als Anwender, Nutzer oder Entwickler auf ein tribologisches System und analysieren die Beanspruchung und beobachtbare Wirkung, so sei nun ein Standortwechsel vorgenommen und wir nehmen die Situation des Systems ein. Dies ist im hier geschilderten Beobachtungsszenarium das beanspruchte Schmierfett. Es sei als ein Sub-System definiert, in dem ein Reibungsprozess lokalisiert ist. Wir sind damit zunächst losgelöst von einer Beobachtung vor bewertendem Hintergrund. Das Prozessgeschehen wird vom System initiiert und ist bestimmt durch dessen intrinsiche Reaktionen auf bestehende oder veränderliche Bedingungen. Mit dieser Sichtweise ändern wir das vorher formulierte Forschungsparadigma. Es gilt nun: Das allgemeine Forschungsparadigma in der tribologischen Forschung ist die Untersuchung tribologischer Phänomene aus Sicht des Systems und seiner Triebkräfte. Für die Reibungsdefinition folgt dann konsequent, das Reibung die Zuführung von mechanischer Energie in ein tribologisches System ist [1]. Bei beiden Phänomenen, Reibung und Verschleiß, wird Energie aufgewandt bzw. dissipiert und damit gleichzeitig Entropie produziert. Dies unterstützt die Überlegung, dass Energie und Entropie als implizite Variablen für die Modellierung von Reibung und Verschleiß hilfreich sein können [3]. Ein Charakteristikum tribologischer Systeme ist die Existenz von Gradienten thermodynamischer Kräfte wie Temperatur, Druck, chemisches Potential usw. [4]. Die Energieflüsse im System oder über Systemgrenzen hinweg sind determiniert durch diese Gradienten. Vielfach verstehen wir das Prozessgeschehen ein wenig mehr, wenn wir unser Augenmerk auf eben diese thermodynamischen Kräfte und zugehörigen Ströme richten. Wir versuchen dies aus der Sicht des untersuchten Systems und des irreversiblen Charakters aller Prozessabläufe. V = k · F N · s R H 2.2 Das immanente Bestreben Einen tribologischen Prozess untersuchen heißt oft die Wirkungen zu beobachten und auf den ursächlichen Zusammenhang zu schließen. Häufig spielen Koinzidenzen dabei eine Rolle. Nichtsdestotrotz beobachten wir eine ablaufende Systemreaktion. Auch wenn wir Prozessbedingungen verändern und sich die Reaktion des tribologischen Systems verändert, bleibt es ein passives Beobachten einer aktiven Reaktion. Worin besteht nun diese aktive Anpassung an gegebene Prozessbedingungen, worin also das systemimmanente Bestreben? In ein Tribo-System eingeleitete Reibungsenergie führt zu einer Energieumwandlung (hauptsächlich die Überführung in Wärme) und zu einer Erhöhung der inneren Energie. Treffen wir die Annahme, dass das beobachtete System sich in der Ausgangslage im Gleichgewicht befindet, führt die eingeleitete Reibungsenergie zu einer Störung des themodynamischen Gleichgewichtes. Die Beseitigung dieser Störung ist das immanente Bestreben des Tribosystems. Ein Bestreben zur Wiedererlangung eines stabilen Prozesszustandes. Wir beobachten viele Möglichkeiten, die einen Gleichgewichtszustand oder wenigstens ein stationäres Nicht- Gleichgewicht ermöglichen. Ein Extremum wäre die Beendigung des Reibungsvorganges und damit die Beseitigung der Störung. Manche Tribosysteme wählen diesen Weg und produzieren im tribologischen Kontakt eine adhäsive Verbindung. Wenngleich dies eine katastrophale Lösung für einen Anwender darstellt, stabilisiert sich das System. Andere Systeme wählen andere Wege, die nicht zur Selbstzerstörung führen [5]. Die Rolle des Entropietranportes zur Stabilisierung lässt sich mit (2) beschreiben. Dabei besteht eine direkte Relation zwischen (ρ · s) einer Entropiedichte, die mit der Materie das definierte System verlässt und e *R einem Maß für die energetische Beanspruchbarkeit der beobachteten Paarung [6]. Es können damit tribologische Systeme beobachtet werden die einen Weg zur energetischen Entlastung und damit zur Stabilisierung über den Entropietransport finden. Anderen Systemen gelingt dies über ein vergleichsweise großes Volumen des Festkörperabtragverschleißes[7]. Die Illustration in (Bild 2) soll den möglichen Weg eines Tribo-Systems zur Wiedererlangung eines stabilen Zustandes (stationäres Nicht-Gleichgewicht) mittels eines allgemeinen Verschleißprozesses verdeutlichen. e ∗ R = T · ( ρ · s ) + T V V ( m · s e − S Q ) Aus Wissenschaft und Forschung 45 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 23 Seite 45 turänderung, den Schmierfettverschleiß, verstanden. Man ist damit durchaus in der Lage, das auftretende Phänomen, das den degressiven Teil eines (unecht) thixotropen Prozesses darstellt, zu erklären. Geht man über diese vermeintliche Ursache-Wirkungskette hinaus, so bleibt die Frage nach der Kausalität unbeantwortet. An dieser Stelle sei der Begriff der Selbstorganisation in diesen Text eingeführt. In [8] ist zu lesen: „Unter Selbstorganisation verstehen wir Prozesse, die fern vom Gleichgewicht ablaufend, durch systemimmanente Triebkräfte zu komplexen Ordungsstrukturen führen.“ In der Nähe des Gleichgewichtszustandes besteht die Annahme, dass Schwankungen gedämpft werden und bei großen Systemen vernachlässigbar sind. Bei Nichtgleichgewichtsnähe oder besser fernab vom Gleichge- Aus Wissenschaft und Forschung 46 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 2.3 Das System organisiert sich Wie vorher beschrieben ist unser beobachtetes System das durch Reibung beanspruchte Volumenelement eines Schmierfettfilmes. Die Tribologie ist hier großzügig und bezeichnet den vorliegenden Reibungszustand als Flüssigkeitsreibung. Gleichwohl haben wir ein Gemisch aus einem Grundöl und einem Feststoff. Aber die tribologische Terminologie soll hier nicht untersucht werden. Betrachten wir also ein konstant über der Zeit tribologisch beanspruchtes Schmierfettvolumen und entwikkeln daraus eine Modellvorstellung, die mit dem irreversiblen Charakter der ablaufenden Prozesse korelliert (Bild 3). Der Schubspannungsverlauf (links in Bild 3) wird hinlänglich als eine durch die Scherung versursachte Struk- FRICTION ENERGERTICAL STRESS STABILITY INSTABILITY STABILITY SEARCH FOR A DISSIPATIVE PROCESS WEAR ENERGERTICAL RELEASE 1 2 ∂ ∂t δ 2 S 0 Bild 2: Illustration der immanenten Reaktion eines Systems bei Reibungsbeanspruchung [14] ˙ γ = const. Shear stress [Pa] time [s] Q cond / T f max Beanspruchte Zone Beanspruchtes Volumenelement λ ⋅ Q gen / T f max m out ⋅ s out m in ⋅ s in S i Bild 3: Der typische Schubspannungsverlauf einer Fliesskurve (links) und das modellierte offene thermodynamische System (rechts) TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 23 Seite 46 wicht besteht die Möglichkeit, dass solche Schwankungen verstärkt und durch Energieaustausch mit der Umwelt stabilisiert werden [9]. Es tritt eine neue Ordnung auf, die durch sogenannte dissipative Strukturen gekennzeichnet ist. Der Umstand dass Selbstorganisationsprozesse fern ab vom thermodynamischen Gleichgewicht auftreten kö̈ nnen, zeigt dass zwischen diesem Prozess und dem Gleichgewichtszustand eine Instabilität vorhanden gewesen sein muss. Diese Bedingung soll für die Untersuchung der Möglichkeit eines Selbstorganisationsprozesses herangezogen werden. Nach [9] kann als Stabilitätskriterium (3) genutzt werden. Erläuterungen sind auch in [10] zu finden. Dies bedeutet, dass das System sich in eine labile Lage begibt, wenn das Kriterium (3) nicht erfüllt ist. Allgemein ist (4) mit den Abweichungen der thermodynamischen Kräfte und Ströme in einem stationären Zustand [9]. Dabei kennzeichnet die rechte Seite von (4) die durch die Störungen produzierte Überschussentropie. 3 Ausgewählte Phänomene des Schmierfettverhaltens Es seien hier einige experimentelle Ergebnisse gezeigt, die phänomenologisch die vorher gegebenen Erläuterungen interpretieren. In Rheometerversuchen wurden Modellfette konstant einem Reibungprozess ausgesetzt und anschließend in einem Oszillationsversuch bis zum Kreuzungspunkt (amplitude sweep) beobachtet [11]. In Bild (4) ist eine sehr unterschiedliche Reaktion der System auf die Reibungsbeanspruchung zu erkennen. Beide suchen einen Weg die aufgetretene Störung zu beseitigen. Die Möglichkeit, dies über einen vermehrten Entropietransport zu tun, ist bei der PU-Probe weitaus stärker ausgeprägt als bei der zweiten untersuchten Probe. Betrachtet man bei diesem Versuch den indierekten Schmierfettverschleiß, also die Veränderung der Struktur über der Reibungsbeanspruchung, zeigt sich der Verlauf in Bild (5). Zu erkennen ist, das für die Probe blau (Li-2) der aussichtsreichere Weg die aufgetretene Störung zu beseitigen, im Schmierfettverschleiß liegt. Die Interpretation der Beziehung (2) ist in den Bildern (4) und (5) verdeutlicht. 1 2 ∂ ∂t δ 2 S ≥ 0 1 2 ∂ ∂t δ 2 S = ∑ n ∂X n ∂J n ≥ 0 Aus Wissenschaft und Forschung 47 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 specific entropy leaving the system entropy supplied to the system Li-model grease PU-model grea se FRICTION STRESS SPECIFIC ENTROPY LEAVING THE SYSTEM Bild 4: Unterschiedliches Verhalten zweier Modellfettproben bei Reibungsbeanspruchung [11], Achsen sind normiert 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 16000 18000 20000 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 expended energy to reach the crossing point [10-6J] shear rate [1/ s] Li-2 PU-2 Bild 5: Unterschiedliches Verschleißverhalten zweier Modellsubstanzen [11]. Ein stark abfallender Verlauf kennzeichnet einen intensiven Schmierfettverschleiß. TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 23 Seite 47 Dies bedeutet, dass mit zunehmender Entfernung vom thermodynamischen Gleichgewicht bei kleiner werdender Deformation (γ) und gleichzeitig größer werdender Fragmentierungsrate (F f ) eine Instabilität wahrscheinlicher wird. Nun wissen wir auch aus Untersuchungen, dass mit zunehmendem Feststoffgehalt die kritische Deformation γ im amplitude sweep, also im Übergang zur messbaren plastischen Deformation (und damit zum beginnenden Schmierfettverschleiß) kleiner wird [15] (Bild 8). Eine steigende Fragmentierungsrate läßt sich dann ebenfalls Aus Wissenschaft und Forschung 48 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 1/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0006 Einen Hinweis zur intrinsischen Reaktion des tribologischen Systems Beanpruchtes Schmierfett liefert die unter Annahme, dass auch im reibungsbeanspruchten Schmierfettbereich die Bildung dissipativer Strukturen möglich ist, durchgeführte Untersuchung in [12]. Es scheint unter bestimmten kritischen Prozessbedingungen möglich, dass trotz steigender tribologischer Beanspruchung der Schmierfettverschleiß nicht zunimmt (Bild (6)), sondern das System mit einer Erhöhung des Ordnungsgrades durch Bildung neuer räumlicher Strukturen antwortet. Diese neuen Strukturen führen zu einer Reduzierung der Entropieproduktionsrate [13] und der Reibung und des Verschleißes. Für einige Modellfette wurde bei Rheometeruntersuchungen ein in Bild (7) gezeigtes, vom Feststoffgehalt abhängiges Verhalten gefunden. Die beiden Proben wurden bei konstanter Scherrate und Raumtemperatur beansprucht. Bei diesem Experiment zeigt die Probe mit höherem Feststoffgehalt (hier eine Li-Seife) wesentlich früher ein Verhalten, das sich einem stationären Nicht-Gleichgewicht nähert, als dies bei der Probe mit vergleichsweise geringerem Feststoffgehalt zu erkennen ist. Es wurde eine Betrachtung angestellt [14], die die Bedingungen für das Auftreten einer Instabilität untersucht. Nach einer Instabilität gibt es eine Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Optimierung, die durch das System initiert wird. (5) Dabei wurde der tribologische Prozess mit 3 parallel ablaufenden Teilmechanismen beschrieben. Dies sind die Flüssigkeitsreibung im Grundöl, die Fragmentierung der Agglomerate und die Coagulation aufgrund von Partikelkollisionen. Ein Kriterium für den Verlust der Stabilität das sich aus diesen Untersuchungen ergab [14], zeigt sich mit (6) dS i dt = dS i ( oil) dt + dS i ( frag ) dt + dS i ( coag ) dt δγ critic δε < 0; δF f δε > 0 0 0,005 0,01 0,015 0,02 0,025 0,03 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 structural degradation Shear rate [1/ s] Bild 6: Verlauf des Schmierfettverschleißes bei steigende Reibungsbeanspruchung τ t high content of solids low content of solids Bild 7: Rheologisches Verhalten zweier Schmierfettproben bei Scherung mit konstantem γ̇ aber unterschiedlichem Feststoffgehalt TuS_1_2021.qxp_TuS_Muster_2020 12.03.21 16: 24 Seite 48 vermuten. Damit gelingt für das Verhalten in Bild (7) ein Erklärungsversuch für das Phänomen und dessen Triebkräfte. 4 Zusammenfassung Die Beobachtung des Schmierfettverhaltens bei tribologischer Beanspruchung besitzt eine lange Tradition. Viele auftretende Phänomene sind ausführlich und häufig beeindruckend detailliert beschrieben. Dabei stehen in der überwiegenden Anzahl der Untersuchungen die Konsequenzen aus einem besonderen Verhalten des Schmierstoffes für eine fettgeschmierte Reibpaarung im Fokus. Die hier dargestellten Betrachtungen konzentrieren sich auf das Verhalten des dritten Reibkörpers, des Schmierfettes als triboloisches Sub-System. Es wird der Frage nachgegangen, warum bekannte Mechanismen bei tribologischer Beanspruchung auftreten. Die Beantwortung erfolgt unter der Prämisse des beschriebenen immanenten Bestrebens des beanspruchten Systems. Wir interpretieren nun auch Bild (1) in erweiterter Form. Die Mechanismen zu den beobachteten Phänomenen werden vom System initiiert, um aus der instabilen Lage durch Energiedissipation Stabilität (das Plateau) wiederzuerlangen. Dies ist die Triebkraft. Die oben erwähnte Proportionalität W R ~ V V ist in unzähligen experimentellen Untersuchungen bestätigt. Der zugrunde gelegten Ursache-Wirkungskette fügen wir ein Glied hinzu. Stabilität → Reibungsarbeit → Instabilität → Verschleiß → Stabilität Dann wird die Reibungsbeanspruchung zur Ursache für eine auftretende Instabilität und diese Instabilität zur Ursache für den initierten Verschleißprozess. Denn das System erreicht dadurch eine energetische Entlastung und das Erreichen eines stabilen Zustandes wird möglich. Literatur [1] E. Kuhn: Zur Tribologie der Schmierfette. 2. Auflage 2017, expert verlag [2] Th. Reye: Zur Theorie der Zapfenreibung.1859 Zürich [3] M.D. Bryant: On constituve relations for friction from thermodynamics and dynamics. Journal of Tribology, October 2016, Vol 138 [4] H.A. Abdel-Aal: Thermodynamic modeling of wear. Encyclopedia of Tribology.DOI 10.1007/ 978-0-387-92897- 5, 2011 [5] A.A. Poljakov: Eine Theorie der kohärenten Reibung - dissipative Strukturen bei der selektiven Übertragung. Schmierungstechnik, Berlin 21(1990)12 [6] E. Kuhn: Correlation between Systementropy and structural degradation of lubricating greases. 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