Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0020
91
2021
683-4
JungkEinfluss einer Reibhysterese auf selbsterregte Schwingungen von Partikel-Festkörper-Systemen
91
2021
Thomas Fürstner
Matthias Krögerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-4132-8323
Es wird der Einfluss einer Reibhysterese auf die Selbsterregung in einem Partikel-Festkörper-System experimentell und numerisch untersucht. Dazu wird ein Versuchsstand vorgestellt, der es ermöglicht den tatsächlich wirkenden Reibwert in einem solchen System messtechnisch zu erfassen. Des Weiteren wird ein numerisches Modell vorgestellt, welches ein gezieltes Einstellen des zeitabhängigen Verhaltens während der Gleit- und Haftphase getrennt voneinander ermöglicht.
Trotz qualitativ ähnlicher Verläufe der gemessenen Hysteresekurve, ergibt sich dennoch teilweise ein stark unterschiedliches System-Verhalten. So existiert beispielsweise bei einem System mit PVC-W-Partikeln eine scharfe Grenze zwischen dem Bereich mit einer stabilen Stick-Slip-Schwingung und einer abklingenden Schwingung, während bei einem System mit PMMA auch ein unscharfer Übergangsbereich dazwischen existiert.
In den anschließenden Simulationsstudien zeigt sich, dass der Selbsterregungsmechanismus ein komplexes Zusammenspiel aus den zeitabhängigen Verhalten der Gleit- und Haftphase, zusammen mit der äußeren mittleren Systemgeschwindigkeit ist.
tus683-40050
haben. Unter bestimmten Bedingungen führt dies dazu, dass sich aufgrund des Reibkontaktes das System aufschwingt und es somit zu Störungen führen kann. In diesem Fall spricht man von Selbsterregung bzw. selbsterregten Schwingungen. Meist stellt sich dabei ein Wechsel der Zustände Haften (engl. stick) und Gleiten (engl. slip) ein, weswegen dies auch als Stick-Slip- Effekt bezeichnet wird. Nicht immer muss dabei ein direkter Festkörper-Festkörper-Kontakt im System vorliegen, es können auch Partikel eine entscheidende Rolle Aus Wissenschaft und Forschung 50 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 1. Einleitung Der tribologische Kontakt zwischen zwei einzelnen Körpern kann großen Einfluss auf ein technisches System Einfluss einer Reibhysterese auf selbsterregte Schwingungen von Partikel-Festkörper-Systemen Thomas Fürstner, Matthias Kröger* Dieser Beitrag wurde im Rahmen der 62. Tribologie-Fachtagung 2021 der Gesellschaft für Tribologie (GfT) eingereicht. Es wird der Einfluss einer Reibhysterese auf die Selbsterregung in einem Partikel-Festkörper-System experimentell und numerisch untersucht. Dazu wird ein Versuchsstand vorgestellt, der es ermöglicht den tatsächlich wirkenden Reibwert in einem solchen System messtechnisch zu erfassen. Des Weiteren wird ein numerisches Modell vorgestellt, welches ein gezieltes Einstellen des zeitabhängigen Verhaltens während der Gleit- und Haftphase getrennt voneinander ermöglicht. Trotz qualitativ ähnlicher Verläufe der gemessenen Hysteresekurve, ergibt sich dennoch teilweise ein stark unterschiedliches System-Verhalten. So existiert beispielsweise bei einem System mit PVC-W- Partikeln eine scharfe Grenze zwischen dem Bereich mit einer stabilen Stick-Slip-Schwingung und einer abklingenden Schwingung, während bei einem System mit PMMA auch ein unscharfer Übergangsbereich dazwischen existiert. In den anschließenden Simulationsstudien zeigt sich, dass der Selbsterregungsmechanismus ein komplexes Zusammenspiel aus den zeitabhängigen Verhalten der Gleit- und Haftphase, zusammen mit der äußeren mittleren Systemgeschwindigkeit ist. Schlüsselwörter selbsterregte Schwingungen, Reibhysterese, Stick- Slip, Reibschwinger, Partikel The influence of a friction hysteresis on the self-exciting in a particle-solid-system The influence of a friction hysteresis on the self-exciting in a particle-solid-system will be investigated by experiments and a numerical model. For this, a test rig will be presented. This test rig allows to measure the actual acting friction force. Furthermore, a numerical model will be presented which has a differentiation between a time-dependent friction behavior in sliding and sticking. Bigger differences can be observed in the system behavior - even with a quality similar curve of the measured friction hysteresis. For example, in a system with PVC-W particles exists a sharp boundary between an area of stable stick-slip oscillation and an area of subsiding oscillation. In comparison to this, a system with PMMA particles has a smooth transition region between these two areas. The followed simulation studies shown, that the selfexciting mechanism is a complex interaction between the time-dependent behavior during the sliding and sticking and the external average system velocity. Keywords self-excited vibrations, friction hysteresis, stick-slip, one mass friction oscillator, particles Kurzfassung Abstract * Thomas Fürstner, M.Sc. Prof. Dr.-Ing. Matthias Kröger Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-4132-8323 Technische Universität Bergakademie Freiberg Institut für Maschinenelemente, Konstruktion und Fertigung 09599 Freiberg/ Sachsen TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 50 im tribologischen System spielen. Dabei können Partikel sowohl als Zwischenstoff, als auch als Grundkörper bzw. Gegenkörper auftreten. Diese Arbeit beschäftigt sich dabei mit dem letzterem Fall. Die Folgen können im Extremfall von erheblicher Lärmbelästigung [1,2] bis hin zum Totalausfall des Systems führen [3]. Um solche Zwischenfälle besser verstehen und vermeiden zu können, ist es wichtig, dass die tribologischen Einflüsse eines solchen Partikel-Festkörper- Kontakts auf die Selbsterregung bekannt sind. Vergangene Untersuchungen haben gezeigt, dass sowohl die Kontaktfläche [4], als auch der Einfluss der stationären Reibkennlinie [5] einen großen Einfluss auf die Schwingungsfähigkeit und die Schwingung selbst haben können. In welcher Form eine Reibhysterese mit unterschiedlichen Reibwerten bei einer Hinwie Rückschwingung wichtig für diesen Effekt ist, wird an dieser Stelle untersucht. Dabei werden sowohl experimentelle Messdaten aufgenommen, als auch ein numerisches Modell aufgebaut. In diesem auf der Literatur aufbauendem Modell [6,7] werden Hystereseeigenschaften des Reibkontakts integriert. Prinzipiell können auch weitere tribologischen Einflussparameter mit diesem Modell untersucht werden, der Hauptschwerpunkt dieser Arbeit liegt aber auf dem zeitabhängigen Verhalten der Reibkraft während der Gleit- und Haftphase. 2. Versuchsaufbau und Materialien Bei experimentellen Untersuchungen von technischen Systemen mit Partikeln, ist es entscheidend, in welcher Form die Partikel als Partikelsystem vorliegen. Liegen Partikel in einer geschlossenen Umgebung oder einem geschlossenen System vor, so können diese nach [3] auch als eine Art Kontinuum betrachtet und als Schüttgut bezeichnet werden. Für tribologische Untersuchungen eines solchen Schüttgutes ist es entscheidend, dass tatsächlich nur das Partikelsystem als Grundkörper mit dem Festkörper als Gegenkörper in Kontakt steht. Hierfür wurde der in Bild 1 gezeigte Versuchstand entwickelt. In dem Versuchsaufbau befinden sich die Partikel in einem Rahmen bzw. Box. Der Rahmen stützt sich über einen in der Höhe verstellbaren Deckel so auf dem Partikelsystem ab, dass nur die Partikel den Boden berühren, der Rahmen selbst aber nicht. Über Gewichte kann die Normalkraft variiert werden. Ein externer Linearmotor erzeugt eine gleichmäßige mittlere Systemgeschwindigkeit. Damit das ganze System auch schwingungsfähig ist, erfolgt die Anbindung zwischen Motor und Box nicht starr, sondern über eine Kopplung aus einem geschlagenen Kunstfaserseil. Das verwendete Seil besitzt eine gemessene Federsteifigkeit von 6,5 N/ mm, die Systemdämpfung wurde mit D = 0,06 bestimmt. Die Messung der Geschwindigkeit der Box erfolgt auf der Rückseite mit einem Laservibrometer. Das Messgerät (OFV-534 der Firma Polytec GmbH) gibt direkt die Geschwindigkeit aus. Dank des transparenten Rahmens der Box aus Polymethylmethacrylat (kurz PMMA), können während der Messungen die Partikel direkt beobachtet werden. Dabei zeigten sich über alle Messreihen keine sichtbaren Partikelbewegungen untereinander. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich die Partikel tatsächlich als ein Kontinuum verhalten, bei dem nicht alle Kräfte an den einzelnen Partikeln betrachtet werden müssen, sondern nur die Summe der Kräfte auf die Begrenzungsflächen, insbesondere den Boden für die Reibkraft. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass die gemessene Geschwindigkeit der Box der Geschwindigkeit der Partikel entspricht. Prinzipiell kann der Boden für Untersuchungen aus verschiedenen Werkstoffen und Oberflächen bestehen. Die hier gezeigten Untersuchungen konzentrieren sich allerdings auf ein Bodenblech aus Stahl, 1.4301, mit Querriefen und einer in Abzugsrichtung gemessenen Rauheit von R a = 0,51 µm. Eigene Untersuchungen [8] zeigten, dass zwar die Schwingungsneigung von der verwendeten Oberfläche abhängig ist, nicht aber die Schwingfrequenz oder aber die Schwingamplitude bei gleichem Partikelmaterial. Da sich diese Arbeit vorrangig auf die Reibhysterese und deren Einfluss auf die Selbsterregung konzentriert, wird eine unterschiedliche Materialkombination bei dem Partikel-Wand-Kontakt durch eine Va- Aus Wissenschaft und Forschung 51 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 Bild 1: Schematischer Aufbau des Versuchstandes zur Messung der Reibhysterese in einem Partikel-Festkörper- System TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 51 mender Relativgeschwindigkeit meist relativ linear ab. Sobald der Umkehrpunkt der Schwingung erreicht ist, bleibt der Reibwert annähernd konstant oder steigt leicht an. Dieser qualitative Verlauf ist prinzipiell bei PMMA bei allen Geschwindigkeiten mit Haftphase recht ähnlich, wenn sich auch qualitativ größere Unterschiede feststellen lassen. So ist z.B. erkennbar, dass mit zunehmender Abzugsgeschwindigkeit auch die maximale Haftkraft steigt. Ebenso ist auch die kleinste Reibungszahl während der Gleitphase von der Abzugsgeschwindigkeit abhängig: im Mittel fällt diese mit steigender Geschwindigkeit. Des Weiteren ist erkennbar, dass die maximale Relativgeschwindigkeit mit steigender Abzugsgeschwindigkeit ansteigt. Anders gestaltet sich dies bei PVC-W. Bei diesem Material ist kein klarer Zusammenhang zwischen der maximalen Relativgeschwindigkeit und der Abzugsgeschwindigkeit erkennbar. Ebenso ist auch keine eindeutige Abhängigkeit des maximalen Haftreibwertes von der Abzugsgeschwindigkeit feststellbar, dafür steigt aber der minimale Gleitreibwert - welcher aufgrund des meist horizontalen Rücklaufs des Reibwertes während der Rückschwingphase meist horizontal verläuft - mit zunehmender Abzugsgeschwindigkeit an. Prinzipiell ist der Verlauf der Reibhysteresen der beiden Materialien qualitativ vergleichbar, wenn auch die genannten quantitativen Unterschiede ein anderes Gesamtbild ergeben. Besonders interessant gestaltet sich allerdings der Übergang zwischen einer stabilen Stick-Slip- Schwingung bei niedrigen Abzugsgeschwindigkeiten und dem Zusammenbrechen der selbsterregten Schwingung bei höheren Geschwindigkeiten. Für PVC-W sind lediglich Geschwindigkeiten bis v Abzug = 8 mm/ s dargestellt, da es oberhalb dieser Geschwindigkeit zu keiner Selbsterregung mehr kommt. Oberhalb dieser Grenzgeschwindigkeit stellt sich keine messbare Schwingung mehr ein, es kommt zu einer konstanten Gleitbewegung, auch bei deutlich höheren Geschwindigkeiten. Bei PMMA ist dies anders. Zwar findet hier ebenso bis Aus Wissenschaft und Forschung 52 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 riation des Partikelmaterials erzielt. Hier zeigten sich sowohl signifikante Unterschiede in Schwingfrequenz und -amplitude, als auch in der Schwingungsneigung. Als Partikelmaterial wird PMMA (Acrylglas) und PVC-W (weiches Polyvinylchlorid) verwendet. Der gemessene Median der PMMA-Partikel ist dabei mit x 50 PMMA = 3,5 mm etwas kleiner, als der Median der der PVC-W Partikel mit x 50 PVC-W = 4,4 mm. 3. Experimentelle Untersuchungen Bild 2 zeigt den Vergleich der gemessenen Reibhysteresen zwischen den zwei Materialien. Dargestellt wird jeweils der Reibwert µ über der gemessenen Relativgeschwindigkeit, berechnet aus der gemessenen Reibkraft F R und der Normalkraft F N . Die Normalkraft ergibt sich aus der Gewichtskraft der Box, den zusätzlichen Gewichten und den Partikeln selber. Dabei wird für eine bessere Übersichtlichkeit jeweils nur eine Schwingung dargestellt. Inwiefern diese repräsentativ ist, zeigen die Daten bei der mittleren Systemgeschwindigkeit (ab sofort als Abzugsgeschwindigkeit v Abzug bezeichnet) v Abzug = 0,5 mm/ s. Hierbei sind bei beiden Materialien mehrere Schwingungen ausgewertet. Es zeigt sich, dass die einzelnen Schwingungen messbaren Schwankungen unterliegen, diese aber dennoch so gering sind, dass diese gegenüber dem Einfluss der Abzugsgeschwindigkeit zu vernachlässigen sind. Auch bei Wiederholungsmessungen traten nur geringfügige, vernachlässigbare Schwankungen auf. Bei beiden Materialien ist eindeutig eine Abhängigkeit des instationären Reibwertes von der Relativgeschwindigkeit erkennbar. Ebenso ist bei allen Verläufen eine klare rechtsläufige Hysterese erkennbar, welche sich allerdings im Detail zwischen PMMA und PVC-W unterscheidet. Bei PMMA fällt nach Erreichen einer maximalen Reibkraft am Ende der Haftphase die Reibkraft mit zuneh- Bild 2: Vergleich der experimentell gemessenen Reibhysteresen zwischen PVC-W (links) und PMMA (rechts), nach [8] TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 52 v Abzug = 8 mm/ s eine Selbsterregung mit einem klaren Stick-Slip-Effekt statt, allerdings kann hier nicht von einer scharfen Grenzgeschwindigkeit gesprochen werden, oberhalb derer es zu keiner Schwingung mehr kommt. Vielmehr existiert eine Art fließender Übergang, in dem immer mal wieder Schwingungen messbar sind, sich das System allerdings auch von selbst wieder beruhigt. Dargestellt wird dies in Bild 2 rechts durch die gestrichelten Linien der zwei exemplarischen Abzugsgeschwindigkeiten von 12 und 16 mm/ s. Auffällig ist dabei, dass sich keine Stick-Slip-Schwingung im Sinne des Wechsels zwischen Haften und Gleiten einstellt, sondern die Partikel um die mittlere Geschwindigkeit herum schwingen. Es besteht weiterhin eindeutig eine Hysterese in der gemessenen Reibkraft, auch wenn die Partikel in diesem Falle nie zur Ruhe kommen. Je höher die Abzugsgeschwindigkeit wird, desto kleiner werden diese Schwankungen (vgl. der Amplituden bei 12 und 16 mm/ s), bis auch hier keine Schwingungen mehr auftreten, bzw. nur noch geringe stochastische Schwankungen in der Reibkraft messbar sind. Es scheint sich in dem Geschwindigkeitsbereich (10 - 16 mm/ s) also eher um eine schwache Selbsterregung zu handeln, welche erklärt, weswegen diese Schwingungen auch nur teilweise auftreten. Die angesprochenen Schwankungen im Sinne der Selbsterregung, einer Beruhigung des Systems und erneuten Anregung könnten in einem solchen Grenzbereich von kleinen Schwankungen in der Oberflächenbeschaffenheit der Festkörperoberfläche verursacht werden. Bricht die Selbsterregung zusammen wird dies also durch das lokal veränderte Reibverhalten hervorgerufen. Diese Selbsterregung scheint je nach exaktem Verlauf der Reibcharakteristik und der Reibhysterese entweder eine scharfe Grenze aufzuweisen, oder einen weichen Übergang zwischen einem stabilen Stick-Slip-Bereich und einer gleichmäßigen Gleitbewegung. Eine detaillierte Untersuchung bzgl. der Stabilität des Selbsterregungsmechanismusses im Zusammenspiel mit der Form der Reibhysterese und dem Einfluss der mittleren Systemgeschwindigkeit wird im Abschnitt 5 mittels eines numerischen Modells untersucht. 4. Modellaufbau Für die Simulationsstudien im nächsten Abschnitt wird ein Modell des Reibschwingers verwendet. Dieser ist in der Literatur ein anerkannter Ansatz, um das Verhalten von selbsterregten Schwingungen zu untersuchen [9,10,11,12]. Im Modell befindet sich eine Punktmasse m auf einem sich kontinuierlich bewegendem Band mit der Geschwindigkeit v Band (korrespondiert zur Abzugsgeschwindigkeit v Abzug ), siehe Bild 3 links. Die Masse ist mittels Feder (Federsteifigkeit c) und Dämpfer (Dämpferkonstante d) an die Umgebung gebunden. Zwischen der Masse und dem Band tritt ein Kontakt mit dem Reibwert µ bzw. der Reibkraft F R auf. Demnach ergibt sich dadurch die Differentialgleichung für die Bewegung x: (1) In vergangenen Untersuchungen [5,10] wurde bereits der Einfluss einer stationären Kennlinie auf die Selbsterregung untersucht. Hierbei zeigte sich analytisch und simulativ, dass der fallende Bereich der Kennlinie für den Selbsterregungsmechanismus verantwortlich ist. Zudem ist klar erkennbar, dass mittels Variation der Kennlinie nach Stribeck die Stick-Slip-Frequenz und der Stabilitätsbereich beeinflusst wird. Da in Abschnitt 3 eine Reibkraft mit Hystereseeigenschaften experimentell ermittelt wurde, muss das Modell mit einer instationären Reibkennlinie erweitert werden. Bild 3 rechts verdeutlicht, warum eine stationäre Reibkennlinie nur Teile einer Reibhysterese abbilden kann. In diesem exemplarischen Fall wird deutlich, dass der Verlauf der Hysterese (grün) zum Gleitbeginn (I) zwar gut durch eine linear fallende Kennlinie (blau) approxi- . Aus Wissenschaft und Forschung 53 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 Bild 3: Modellansatz des Reibschwingers (links), exemplarischer Vergleich zweier stationärer Kennlinien und einer Reibhysterese (rechts) TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 53 Als stationäre Kennlinie wird eine Approximation der Stribeck-Charakteristik verwendet: (5) Zur Bestimmung der Koeffizienten (a = 0,9 s/ mm, b = 10 −4 (s/ mm) 2 , μ 0 = 0,5 und μ ∞ = 0,323) der stationären Kennlinie und deren Auswirkung auf den Selbsterregungsmechanismus sei an dieser Stelle auf [5] verwiesen. Diese bilden für das verwendete Partikel-System eine charakteristische stationäre Reibkennlinie. 5. Simulationsstudien 5.1 Einfluss eines zeitabhängigen Gleitreibverhaltens Für die Analyse des Einflusses eines zeitabhängigen Gleitverhaltens wird zunächst eine Variation der Zeitkonstante τ Gleit vorgenommen. Die Konstante variiert dabei zwischen den zwei Extremfällen τ Gleit = 10 -4 s (Hysterese praktisch nicht vorhanden) und τ Gleit = 5 s (extrem ausgeprägte Hysterese). Die Zeitabhängigkeit der Haftphase wird dabei praktisch vernachlässigt τ Haftt = 10 -4 s) und die Bandgeschwindigkeit wird auf eine für dieses Modell mittlere Geschwindigkeit von v Band = 6 mm/ s eingestellt. In Bild 4 ist das Ergebnis dieser Parameterstudie zu sehen. Es wird deutlich, dass bei Zeitkonstanten τ Gleit < 0,05 s spezielle Effekte auftreten. Durch den Gegenanstieg der Stribeck-Kennlinie bei höheren Relativgeschwindigkeiten (siehe τ Gleit = 10 -4 s) kommt es zu einer Art Schleifenbildung. Es entsteht eine rechts- und eine linksläufige Hystereseschleife, was eher theoretisch zu betrachten ist und in der Praxis nicht von Bedeutung sein wird. Realistischer wird das Ergebnis erst ab einer Zeitkonstante > 0,1 s. Hier wird deutlich, dass die instationäre Reibkraft praktisch während der gesamten Gleitphase fällt, genauer bis zum Schnittpunkt mit der stationären Kennlinie bei sehr kleinen Relativgeschwindigkeiten kurz vor Haftbeginn. Dadurch steigt einerseits die minimale Reibkraft, andererseits sinkt die maximale Relativgeschwindigkeit. In Tabelle 1 ist zu erkennen, wie mit steigender Zeitkonstante die Gleitzeit leicht ansteigt, während die Haftzeit deutlich sinkt. Dies liegt daran, dass die Differenz der Reibkraft zwischen dem Übergang von Gleiten zu Haften und der maximalen, stationären Haftkraft deutlich kleiner wird. Dadurch sinkt die Wegamplitude und die Stick-Slip-Frequenz steigt. ! " . Aus Wissenschaft und Forschung 54 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 miert werden kann, jedoch nicht repräsentativ für die Rückschwingung (II) ist. In diesem Fall wäre eine Kennlinie nach Stribeck (rot) die bessere Approximation. Anhand der drei gezeigten Kennlinien wird deutlich, wie wichtig ein Reibmodell mit Hystereseeigenschaften für die Beschreibung eines solchen Reibverhalts ist. Das an dieser Stelle verwendete Modell der Reibhysterese basiert auf einem Ansatz der Literatur [6,7]. Dabei wird mit Hilfe einer Zeitkonstante τ Gleit ausgehend von einer stationären Gleitreibungskraft F R stat die tatsächlich wirkende Reibkraft F R berechnet: (2) Für positive Zeitkonstanten hat dies zur Folge, dass die tatsächlich wirkende Reibkraft während der Gleitphase der stationären Reibkraft aus der hinterlegten Kennlinie hinterhereilt. Ein ähnliches Verhalten kann ebenso während der Haftphase auftreten. In Bild 2 ist ersichtlich, dass die maximale Haftkraft von der Abzugsgeschwindigkeit und damit von der Dauer der Haftphase abhängig ist. Daher wird die maximal mögliche Reibkraft während der Haftphase F RH zusätzlich mit Hilfe der Zeitkonstante τ Haft ausgehend von der maximalen stationären Haftreibungskraft F RH max durch (3) berechnet. Zu Haftbeginn wird F RH = F R gesetzt. Als Anfangsbedingungen (AB) für die Differentialgleichung (1) gelten: und (4) Damit befindet sich die Punktmasse zu Beginn der Simulation haftend auf dem Band mit einer entspannten Feder. Die maximale, stationäre Haftkraft ist erreicht. # $ %& '& & . # ( )& ( ( ( * + ,- '& & . ,- - / 0 , ,- . , Bild 4: Einfluss der Zeitkonstante τ Gleit auf den tatsächlich wirkenden Reibwert, nach [8] TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 54 5.2 Einfluss eines zeitabhängigen Haftreibverhaltens In Bild 5 ist das Ergebnis der Variation der Zeitkonstante der Haftphase zu sehen. Damit sich während der Gleitphase auch tatsächlich eine Hysterese einstellt, wird eine ausgeprägte, aber nicht zu extreme Zeitkonstante der Gleitphase mit τ Gleit = 0,1 s gewählt. Es ist erkennbar, dass mit steigender Zeitkonstante τ Haft sich die maximale Haftreibkraft verringert. Ebenso fällt die maximale Relativgeschwindigkeit leicht ab. Trotz dieser quantitativen Einflüsse der Zeitkonstante der Haftphase bleibt der qualitative Verlauf der Hysterese während der Gleitphase davon nahezu unberührt. Lediglich bei größeren Zeitkonstanten (siehe Vergrößerung) zeigt sich ein markanter Anstieg des Reibwertes zu Beginn der Gleitphase. An dieser Stelle sorgt die zuvor sehr langsam steigende momentane maximale Haftkraft dafür, dass die Masse bereits sehr früh zu rutschen beginnt. Bei diesem Wechsel von Haften zu Gleiten wirkt dann die deutlich schnellere Zeitabhängigkeit der Gleitphase, weswegen die Reibkraft trotz Beginn der Rutschphase weiter ansteigt. Bei Zeitkonstanten τ Haft > 0,24 s sorgt dies dann für die theoretische Situation, dass mit Beginn des Gleitens die Reibkraft nahezu schlagartig so groß wird, dass die Masse quasi sofort wieder zu Haften beginnt. Damit ist Gleichungssystem (Gleichung 1-3) in diesem Fall nicht mehr einfach lösbar. Dieser Effekt ist im Grunde eine ungewöhnliche Kombination aus dem Verhältnis der beiden Zeitkonstanten (geringe Zeitkonstante während der Gleitphase, hohe während der Haftphase) und der steil abfallenden stationären Kennlinie (Gleichung 5). Bei stationären Kennlinien mit einem sprunghaften Abfall des Reibwertes am Beginn der Gleitphase (beispielsweise eine Kennlinie nach Coulomb) tritt dieser Effekt nicht auf. Für Modellierungsansätze, die dieses Problem dennoch zu lösen versuchen, sei an dieser Stelle der Ansatz des Mikroschlupfs während der Haftphase erwähnt [13]. 5.2 Zusammenspiel der beiden Zeitkonstanten und der Bandgeschwindigkeit Die bisherigen Analysen erfolgten jeweils bei einer konstanten Bandgeschwindigkeit. Allerdings hängt die Selbsterregung auch maßgeblich von der Bandgeschwindigkeit ab [5,10]. Neben der Bandgeschwindigkeit sind ebenso die Anfangsbedingungen entscheidend, ob ein System sich selbsterregt oder nicht. Die in Gleichung 4 gewählten Anfangsbedingungen beschreiben ein System, welches zuvor in Ruhe war und nun durch z.B. das Einschalten eines Antriebsmotors in Bewegung gesetzt wird. Besonders interessant ist der Mechanismus der Selbsterregung allerdings, wenn ein technisches System bereits läuft und aus dieser laufenden Betriebssituation plötzlich eine Stick-Slip-Schwingung auftritt. Dadurch befindet sich die Masse in einem Dauergleitzustand an der Stelle der Gleichgewichtslage und die Anfangsbedingungen ändern sich zu: und (6) Die Anfangsreibkraft entspricht also nun der stationären Gleitreibkraft und nicht mehr der maximalen, stationären Haftkraft. Bild 6 zeigt den Einfluss der beiden Zeitkonstanten im Zusammenspiel mit der Bandgeschwindigkeit auf den tatsächlich wirkenden Reibwert im eingeschwungenen Zustand (Grenzzyklus). Es ist gut zu erkennen, dass sowohl die Zeitkonstanten, als auch die Bandgeschwindigkeit selbst sowohl einen Einfluss auf den quali- ,- $$1 - / 0 23 , ,- . ,- - / 0 2 . Aus Wissenschaft und Forschung 55 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 τ Gleit [s] Haftzeit [s] Gleitzeit [s] Wegamplitude [mm] Frequenz [Hz] 0,0001 0,29 0,13 1,73 2,39 0,001 0,27 0,15 1,81 2,47 0,05 0,25 0,14 1,68 2,52 0,1 0,22 0,16 1,48 2,68 0,5 0,08 0,18 0,73 3,83 1 0,04 0,19 0,56 4,33 5 0,01 0,19 0,40 5,03 Tabelle 1: Übersicht über den Einfluss der Zeitkonstante auf die Dauer der Haft- und Gleitphase, die maximale Wegamplitude während der Schwingung und die Stick-Slip-Frequenz Bild 5: Einfluss der Zeitkonstante τ Haft auf den tatsächlich wirkenden Reibwert, nach [8] TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 55 6. Zusammenfassung Reibkontakte mit Hystereseeigenschaften spielen eine wichtige Rolle im Verständnis von selbsterregten Schwingungen. Mit dem vorgestellten Versuchsaufbau konnte von einem Partikel-Festkörper-System während der Stick-Slip-Bewegung eine Reibhysterese beobachtet und messtechnisch erfasst werden. Dabei haben sich qualitative und quantitative Unterschiede zwischen den Materialien PMMA und PVC-W gezeigt. Ebenso konnten Unterschiede in der Empfindlichkeit des Selbsterregungsmechanismusses festgestellt werden. Anschließend wurde ein numerisches Modell des Reibschwingers mit zeitabhängigen Gleit- und Haftreibverhalten vorgestellt und angewendet. Es zeigte sich hierbei, dass über zwei Zeitkonstanten die Reibhysterese qualitativ und quantitativ beeinflusst werden kann. Des Weiteren konnte aufgezeigt werden, in wieweit diese tribologischen Unterschiede sich auch auf das Schwingverhalten in Form unterschiedlicher Wegamplituden und Zeiten während der Haft- und Gleitphase auswirkt und damit letztendlich die Stick-Slip-Frequenz beeinflusst wird. Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Reibschwinger mit einer Hysterese während einer Gleit- und Haftphase immer vom Zusammenspiel des zeitabhängigen Verhaltens und der äußeren Bandgeschwindigkeit abhängt. Daher werden solche tribologischen Systeme auch als ein solch komplexes Zusammenspiel dieser drei Faktoren analysiert. Aus Wissenschaft und Forschung 56 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 tativen und quantitativen Verlauf haben, als auch auf die Breite des Geschwindigkeitsbereiches, bei dem es zu einer selbsterregten Schwingung aus der Gleichgewichtslage heraus kommt. So ist zu erkennen, dass τ Gleit = 0,1 s und τ Haft = 0,1 s (links unten) bei den zwei höchsten Bandgeschwindigkeiten v Band = 14 mm/ s und v Band = 20 mm/ s es zu keiner Schwingung aus der Ruhelage heraus kommt. Hingegen stellt sich im anderen Extremfall (große Zeitkonstante im Gleiten und kleine im Haften, rechts oben) bis einschließlich v Band = 20 mm/ s ein stabiler Selbsterregungsmechanismus ein. Des Weiteren kann beobachtet werden, dass der Einfluss der Bandgeschwindigkeit sich bei gleichbleibender Zeitkonstante der Gleitphase konträr bei unterschiedlichen Zeitkonstanten der Haftphase auswirkt (vgl. linke Spalte). Es ist zu erkennen, dass sich für kleine Zeitkonstanten der Haftphase (links oben) die Bandgeschwindigkeit vorrangig auf die maximale Relativgeschwindigkeit und den minimalen Reibwert am Ende der Gleitphase auswirkt; wohingegen sich bei hoher Zeitkonstante (links unten) die Bandgeschwindigkeit vorrangig auf den maximalen Haftreibwert auswirkt. Ähnlich verhält es sich bei hohen Zeitkonstanten der Gleitphase (vgl. rechte Spalte). Hier hat bei geringen Zeitkonstanten der Haftphase (rechts oben) die Bandgeschwindigkeit nur wenig Auswirkungen auf den quantitativen Wert der Reibkraft, aber einen sehr großen auf die maximale Relativgeschwindigkeit. Wohingegen bei höherer Zeitkonstante die Bandgeschwindigkeit ebenso den Wert der Reibkraft stark beeinflusst. Bild 6: Einfluss des Zusammenspiels der beiden Zeitkonstanten τ Gleit und τ Haft mit der Bandgeschwindigkeit v Band auf den tatsächlich wirkenden Reibwert, nach [8] TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 56 Literatur [1] U. A. Peuker. „Einfluss des Slip-Stick-Effekts bei der Wandreibung von Schüttgütern auf Silovibrationen“. Technischer Bericht, AiF Schlussbericht 16244 BR, Technische Universität Bergakademie Freiberg, 2012. [2] U. Peuker und M. Kröger. „Ursache und Vorhersage von Silovibrationen - ein Beitrag zur baustatischen Silodimensionierung“. Technischer Bericht, AiF Schlussbericht 18744 BR, Technische Universität Bergakademie Freiberg, 2019. [3] D. Schulze. „Pulver und Schüttgüter“. In: Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. 2014. Kap. Erschütterungen und Schwingungen in Silos, S. 441-482. DOI: 10.1007/ 978- 3 -642-53885-8_14. [4] T. Falke und M. Kröger. „Einfluss der realen Kontaktfläche auf die Partikel-Festkörper Reibung“. In: 59. Tribologie-Fachtagung, Göttingen, 2018, S. 04/ 1-04/ 9. [5] T. Falke, M. Kröger. „Erweiterungen der tribologischen Modellierungen zur Abbildung reibungsselbsterregter Schwingungen“. In: 61. Tribologie-Fachtagung, 2020, S. 09/ 1-09/ 9 [6] P. Stelter. „Nichtlineare Schwingungen reibungserregter Strukturen“. In: Fortschr.-Ber. VDI, R. 11 Nr. 137, Düsseldorf, 1990. [7] M. Kröger, M. Lindner und K. Popp. „Modellierung instationärer Reibkräfte“. In: PAMM Proc. Appl. Math. Mech. 2, 2003, S. 140-141. [8] T. Falke. „Reibkontakteinflüsse zwischen Partikeln und Festkörpern auf die Schwingungsselbsterregung“. Diss. Technische Universität Bergakademie Freiberg, 2021. [9] M. Lindner, M. Kröger und K. Popp. „Stick-Slip Vibrations of Pneumatic Seals“. In: Machine Dynamics Problems 25.3/ 4, 2001, S. 121-130. [10] T. Falke, M. Kröger, K. Krüger, T. Mütze. „Biegeschwingungen in dünnwandigen Strukturen durch Partikelkontakte - Untersuchungen des Anregungsmechanismus und die Modellierung der selbsterregten Schwingung“. In: VDI-Berichte Nr. 2366, 2019, S. 105-117. [11] E. Brommundt. „Ein Reibschwinger mit Selbsterregung ohne fallende Reibkennlinie“. In: Z. angew. Math. Mech. 75, 1995, S. 811-820. [12] F. Pfeiffer und T. Schindler. „Einführung in die Dynamik“. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg, 2014. Kap. Phänomene der Schwingungsentstehung. doi: 10.1007/ 978-3- 322-90845-2. [13] P. Moldenhauer. „Modellierung und Simulation der Dynamik und des Kontakts von Reifenprofilblöcken“. Diss. Technische Universität Bergakademie Freiberg, 2010. Aus Wissenschaft und Forschung 57 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0020 TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 57
