eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 68/3-4

Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0022
91
2021
683-4 Jungk

Einfluss von Gruppe I Grundölen auf die Elastomerverträglichkeit von Radialwellendichtringen

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2021
Katrin Alt
Alexander Hüttinger
Markus Wöppermann
Jörg Hermes
Jürgen Braun
Tobias Schürmann
Getriebeöle auf Basis von Gruppe I Grundölen stellen weltweit das meistverwendete Schmierstoffsystem in industriellen Antriebssystemen dar. Anhand dynamischer Reibmomentprüfungen wird der Einfluss von Gruppe I Grundölen aus unterschiedlichen Regionen/Raffinerien auf die Elastomerverträglichkeit von Radialwellendichtringen untersucht. Die Ergebnisse deuten auf einen signifikanten Einfluss des Grundöls auf die Reibmomententwicklung im Dichtspalt und die Elastomerverträglichkeit hin.
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Aus Wissenschaft und Forschung 67 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0022 Einfluss von Gruppe I Grundölen auf die Elastomerverträglichkeit von Radialwellendichtringen Katrin Alt, Alexander Hüttinger, Markus Wöppermann, Jörg Hermes, Jürgen Braun, Tobias Schürmann* Dieser Beitrag wurde im Rahmen der 62. Tribologie-Fachtagung 2021 der Gesellschaft für Tribologie (GfT) eingereicht. genschaften verbessern. Das Grundöl hält die Additive unter den Betriebsbedingungen ständig in Lösung. [1, 2] Erdöle, aus denen mineralische Grundöle gewonnen werden, unterscheiden sich abhängig von ihrer Provenienz in ihrer chemischen Zusammensetzung und in ihren physikalischen Eigenschaften. Die Ursache dafür liegt primär in den relativen Anteilen der auftretenden Molekülarten. Moderne Raffinationsprozesse können die Unterschiede minimieren und eine gleichbleibende Qualität der Grundöle gewährleisten. Nach der Definition des American Petroleum Institute (API) werden Grundöle nach ihrer Zusammensetzung in Gruppen kategorisiert. Grundöle der Gruppe I (G I) bestehen aus weniger als 90 % gesättigten Stoffen und/ oder mehr als 0,03 % Schwefel und haben einen Viskositätsindex zwischen 80 und 120. [2, 3] In einem Dichtsystem geht der Kontakt von Schmierstoff und Elastomer stets mit Diffusionsvorgängen des Motivation und Grundlagen In industriellen Antriebssystemen wird die Funktion des tribologischen Systems hauptsächlich durch den eingesetzten Schmierstoff sichergestellt. Getriebeöle für industrielle Getriebe sind ein Gemisch aus einem Grundöl und einem Additivsystem. Das Grundöl ist das primäre Fluid, das den Schmierstofffilm und damit die Trennung der bewegten Oberflächen gewährleistet. Chemische Additive können Eigenschaften des Getriebeöls, wie z. B. die Oxidationsstabilität oder Anti-Verschleiß-Ei- Getriebeöle auf Basis von Gruppe I Grundölen stellen weltweit das meistverwendete Schmierstoffsystem in industriellen Antriebssystemen dar. Anhand dynamischer Reibmomentprüfungen wird der Einfluss von Gruppe I Grundölen aus unterschiedlichen Regionen/ Raffinerien auf die Elastomerverträglichkeit von Radialwellendichtringen untersucht. Die Ergebnisse deuten auf einen signifikanten Einfluss des Grundöls auf die Reibmomententwicklung im Dichtspalt und die Elastomerverträglichkeit hin. Schlüsselwörter Elastomerverträglichkeit, Radialwellendichtring, Dichtung, Reibmoment, Schmierstoff, Grundöl, dynamischer Test, Getriebeöl Influence of group I base oils on the elastomer compatibility of rotary shaft seals Gear oils on the basis of Group I base oils are the most widely used lubricant in industrial drive systems. With dynamic friction torque tests, the influence of Group I base oils from different regions/ refineries on elastomer compatibility of radial shaft seals is investigated by dynamic friction torque tests. The results show a significant influence of base oil on the development of frictional torque in the sealing gap and the elastomer compatibility. Keywords elastomer compatibility, rotary shaft seal, sealing, friction torque, lubricant, base oil, dynamic test, gear oil Kurzfassung Abstract * M.Sc. Katrin Alt Dipl.-Ing. Alexander Hüttinger Dr.-Ing. Markus Wöppermann Dr.-Ing. Jörg Hermes SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG, Ernst-Blickle-Straße 42 in 76646 Bruchsal Dr. Jürgen Braun B.Sc. Tobias Schürmann FUCHS SCHMIERSTOFFE GmbH Friesenheimer Straße 19 in 68169 Mannheim TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 67 Aus Wissenschaft und Forschung 68 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0022 Schmierstoffs in die polymere Molekülstruktur einher. Chemische und physikalische Reaktionsmechanismen zwischen Schmierstoff und Elastomer können die Funktion des Dichtsystems beeinflussen. Prinzipiell kann der physikalische Kontakt zwei Prozesse im Elastomer verursachen: Die mit einer Schrumpfung einhergehenden Extraktion löslicher Komponenten im Elastomer oder die Absorption des Schmierstoffs, die eine Quellung des Elastomers verursacht. Der Grad der Quellung ist abhängig von der molekularen Zusammensetzung des Schmierstoffs. [2] Die laut API G I zugeordneten Grundöle werden untereinander als technisch vergleichbar betrachtet. Erfahrungen aus der Praxis deuten auf einen nicht vernachlässigbaren Einfluss des verwendeten G I Grundöles auf die Dichtungsverträglichkeit bei gleichbleibender Additivierung hin. Der vorliegende Beitrag untersucht anhand von dynamischen Reibmomentprüfungen die Elastomerverträglichkeit von Radialwellendichtringen (RWDR) mit Getriebeölen, die aus Grundölen verschiedener Regionen hergestellt sind. Prüfbedingungen Geprüft werden Getriebeöle der Gruppe I mit ISO-VG Klasse 220. Die Grundöle für die untersuchten Getriebeöle sind marktüblich und stammen aus ausgewählten Raffinerien in den Regionen Asien (AS) und Europa (EUR). Jedes Grundöl wird mit dem Additivpaket A1 oder A2 ergänzt. Je Getriebeöl werden vier Prüfungen mit RWDR aus dem 72 NBR 902 Material der Firma Freudenberg mit den Abmessungen A38 x 52 x 7 mm durchgeführt. Der Prüfaufbau der Reibmomentprüfstände erfolgt nach Hüttinger et al. [4]. Die Durchführung und Auswertung der Prüfungen erfolgt nach der SEW- EURODRIVE Prüfspezifikation für die dynamische Prüfung von RWDR [5]. Während der Prüfung wird das Reibmoment im Dichtspalt über eine in-situ Messung nach Hüttinger et al. [4] ermittelt. Ergebnisse In den folgenden Abbildungen sind die Reibmomente über der Laufzeit und deren gemittelte Kurven während der dynamischen Reibmomentprüfung abgebildet. Die Reibmomentverläufe der AS und EUR Öle mit Additivpaket A1 (AS-A1, EUR-A1) sind in Bild 1 und die der AS und EUR Öle mit Additivpaket A2 (AS-A2, EUR-A2) in Bild 2 dargestellt. Um die gemittelten Reibmomentverläufe vergleichend betrachten zu können, werden diese in drei Phasen unterteilt. Phase I wird als Einlaufphase bezeichnet, in der die Verläufe die größte Steigung während der gesamten Laufzeit aufweisen. In Phase II entwickelt sich das Reibmoment über charakteristische Steigungen hin zu Phase III. Phase II wird nachfolgend als Alterungsphase bezeichnet. In der kritischen Phase III weisen die Verläufe entweder die meist geringste Steigung über die Laufzeit auf oder die Steigung nimmt einen vergleichsweise stark negativen Wert an. Die Reibmomentverläufe mit AS-A1 Öl in Bild 1.1 weisen die größte Streuung auf. Dies gilt insbesondere während Phase III, in der die Verläufe eine maximale Differenz von 0,15 Nm aufweisen. Die kritische Phase III, ab der das Reibmoment im Mittel kontinuierlich abfällt, setzt verhältnismäßig früh ein. Die Reibmomentverläufe des EUR-A1 Öls in Bild 1.2 weichen deutlich von den Verläufen des AS-A1 Öls ab. Die anfängliche Steigung aus der Einlaufphase flacht in Phase II verhältnismäßig schnell ab. Während Phase II streuen die Verläufe am stärksten, wobei alle Reibmomentverläufe kontinuierlich ansteigen. Nach 1600 h weisen in Phase III die Verläufe zunächst ein kurzweiliges Plateau auf, bevor das Reibmoment gegen Ende von Phase III ebenfalls ein instabiles Verhalten zeigt. Bei der Analyse der RWDR, die mit EUR-A1 geprüft wurden, konnten keine nennenswerten Schädigungen festgestellt werden. An den Dichtkanten der RWDR, die mit AS-A1 geprüft wurden, konnte eine starke Verhärtung des Elastomers erfasst werden. Gemäß bekannter Prüfspezifikationen ist eine Verhärtung der Dichtkanten ein Ausschlusskriterium bei der Freigabe von Getriebeölen [5]. In Bild 2 wird ersichtlich, dass bei der Additivierung derselben Grundöle mit A2 sich zum einen die Verläufe der Reibmomente verändern und zum anderen die Streuung der Reibmomentverläufe signifikant sinkt. Vor allem der gemittelte Reibmomentverlauf von AS-A2 in Bild 2.1 unterscheidet sich deutlich von dem Verlauf von AS-A1. Die Einlaufphase I dauert ca. 70 h an und die Verläufe steigen mit einer maximalen Differenz von 0,03 Nm gleichmäßig an. Im Vergleich zu den anderen Ölen haben sich die Verläufe von AS-A2 nach Phase I bereits stabilisiert und bleiben bei einem annähernd konstanten Reibmoment von 0,22 Nm über der Laufzeit. Eine Alterungsphase II oder kritische Phase III, in der sich die Verläufe in ihrer Steigung verändern, kann nicht klar definiert werden. Die Einlaufphase I von EUR-A2 in Bild 2.2 verhält sich ähnlich zu EUR-A1 und die Alterungsphase II ist von einer vergleichbaren Dauer. Im Vergleich zu EUR-A1 streuen die Reibmomentverläufe der einzelnen Versuche von EUR-A2 deutlich geringer. Zudem fällt das Reibmoment in Phase III nicht schlagartig ab, sondern bleibt über der restlichen Laufzeit annähernd konstant oder steigt leicht weiter. Diskussion Die untersuchten Getriebeöle aus G I Grundölen aus verschiedenen Regionen weisen bei der dynamischen Reibmomentprüfung charakteristische Reibmomententwicklungen mit unterschiedlichen Streuungen in den einzelnen Phasen auf (Vergleiche Bild 1.1 zu Bild 1.2 und Bild 2.1 zu Bild 2.2). Besonders deutlich sind die TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 68 Aus Wissenschaft und Forschung 69 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0022 In Einlaufphase I kann angenommen werden, dass primär physikalische Mechanismen an der Dichtkante für den Anstieg des Reibmoments verantwortlich sind. Der aufrauende Einlaufverschleiß ist bis zu einem gewissen Grad für die Funktion der dynamischen Dichtung erforderlich und der zugehörige Steilanstieg ist charakteristisch für einige Verschleißvorgänge [6]. Chemische Prozesse zwischen Elastomer und Getriebeöl sind meist zeitintensiv, sodass ihnen nach der relativ kurzen Einlaufphase in Alterungsphase II eine größere Relevanz zugeschrieben werden kann. Die Reibmomententwicklung in Phase II könnte Auskunft über etwaige irreversible Vorgänge im Elastomer-Material geben. Grundsätzlich ist in einem tribologischen System ein Gleichgewicht der Grenzwechselwirkungen zwischen Elastomer und Schmierstoff zielführend. Folglich deutet der unregelmäßige Eintrag des Reibmoments in Phase II und die Unterschiede mit Additivierung A1. Der Einfluss der Grundöle auf das Reibmoment im Dichtspalt kann primär in Phase II und III bewertet werden. Die Reibmomententwicklung im Dichtspalt steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Energieeintrag in das tribologische System. Ein stetig steigender Energieeintrag kann mit einer Temperaturerhöhung im Dichtspalt korrelieren, die chemische Reaktionsprozesse zwischen Elastomer und Öl beschleunigt. In Kombination mit anderen Verfahren zur Schadensanalyse kann der Reibmomentverlauf Aufschluss über die Verträglichkeit von Schmierstoff und Elastomer geben. Folglich deuten die unterschiedlichen Reibmomentverläufe zwischen AS und EUR mit gleichbleibender Additivierung auf einen direkten Einfluss der lokalen Abstammung des G I Grundöls auf die Elastomerverträglichkeit hin. Bild 1: Reibmoment über Laufzeit bei Prüfung nach [5] mit Getriebeölen AS-A1 (links Bild 1.1) und EUR-A1 (rechts Bild 1.2) Bild 2: Reibmoment über Laufzeit bei Prüfung nach [5] mit Getriebeölen AS-A2 (links Bild 2.1) und EUR-A2 (rechts Bild 2.2) TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 69 Aus Wissenschaft und Forschung 70 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0022 Verhärtung an der Dichtkante des RWDR mit AS-A1 auf ein instabiles System hin. Die hohe Streuung ist ölabhängig und spricht für ein System mit geringer Zuverlässigkeit und Wiederholbarkeit. Ein Abfall des Reibmoments in der kritischen Phase III, der in den vorliegenden Untersuchungen vor allem mit Additivierung A1 beobachtet werden kann, kann mit einem fortschreitenden Verlust der Dichtfunktion in Zusammenhang gebracht werden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen eine Korrelation zwischen einem signifikanten Reibmomentabfall und einer auftretenden Leckage, die meist gegen Ende von Phase II oder während Phase III auftritt. Die Prozesse zwischen Elastomer und Getriebeöl während einem kontinuierlichen Reibmomentabfall in Phase III sind derzeit nicht untersucht. Zusammenfassung und Ausblick Anhand von dynamischen Reibmomentprüfungen wurde die Elastomerverträglichkeit von RWDR mit Getriebeölen aus G I Grundölen aus verschiedenen Regionen untersucht. Zwischen den Getriebeölen mit G I Grundölen zeigen sich signifikante Unterschiede in der Reibmomententwicklung und damit im Energieeintrag in das tribologische System. Ein stetig steigender Energieeintrag steht in einem direkten Zusammenhang mit Schadensmechanismen an der Dichtung und damit mit der Verträglichkeit von Getriebeöl und Elastomer. Die Formulierung eines Additivpakets für Getriebeöle, das weltweit mit G I Grundölen kombiniert werden soll, kann nicht unabhängig von der Abstammung des G I Grundöls erfolgen. Eine unzureichende Abstimmung des Additivpakets kann zu einem instabilen tribologischen System führen. Mit einem abgestimmten Additivpaket können die Unterschiede zwischen den G I Grundölen nachweislich minimiert und die Eigenschaften des Getriebeöls deutlich verbessert werden. Anhand einer Bestimmung der relativen Anteile der vorkommenden Moleküle in den G I Grundölen ist im Nachfolgenden der Einfluss der Molekülanteile auf die Reibmomententwicklung zu untersuchen. Zudem ist mit einer Echtzeitüberwachung des Reibmoments eine zeitlich abgepasste Analyse der RWDR an die einzelnen Phasenübergänge möglich. Anhand der Ergebnisse sollten Zusammenhänge zwischen Schadensmechanismen an der Dichtkante und der charakteristischen Reibmomententwicklung erkennbar sein. Dies kann Rückschlüsse auf die vorherrschenden physikalischen und chemischen Wechselwirkungen während der einzelnen Phasen zulassen. Literatur [1] Czichos H and Habig K-H 2020 Tribologie-Handbuch (Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden) [2] Mortier R M, Fox M F and Orszulik S T 2010 Chemistry and Technology of Lubricants (Dordrecht: Springer Netherlands) [3] Gerthsen T 2008 Chemie für den Maschinenbau: Organische Chemie für Kraft- und Schmierstoffe Polymerchemie für Polymerwerkstoffe (Universitätsverlag Karlsruhe) [4] Alexander Hüttinger, Markus Wöppermann, Jörg Hermes 2019 Dynamische RWDR Tests neu definiert Dynamische RWDR Tests neu definiert! GfT Tribologie-Fachtagung ed A Hüttinger et al pp 319-22 [5] SEW-EURODRIVE Prüfvorschrift: Statische und dynamische Prüfungen von Radialwellendichtringen (RWDR) [6] Bauer F 2021 Federvorgespannte-Elastomer-Radial-Wellendichtungen (Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden) TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 70