eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 68/3-4

Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0023
91
2021
683-4 Jungk

Tribologisches Einsatzverhalten von PVD-Festschmierstoffsystemen im fluidfreien Wälzkontakt

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2021
Sebastian Sklenakhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0001-8129-2727
Jens Brimmershttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0001-9203-1119
Christian Brecherhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-8049-3364
Bastian Lenzhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-1385-7938
Andreas Mehnerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-3430-1525
Für spezielle Anwendungen ist die Schmierung von Zahnradgetrieben mit flüssigen Schmierstoffen nicht umsetzbar. Flüssige Schmierstoffe verlieren beispielsweise unter hohen Kontaktnormalspannungen und Temperaturschwankungen ihre positiven Schmiereigenschaften. In der Lebensmittelindustrie und Medizintechnik sind Flüssigschmierstoffe infolge von Hygienevorschriften oft nicht zugelassen. Festschmierstoffe bieten einen Ansatz zur Umsetzung fluidfreier Zahnflankenwälzkontakte. In diesem Bericht werden drei unterschiedliche Festschmierstoffschichtsysteme bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen untersucht. Der Fokus der experimentellen Untersuchung ist das Einsatzverhalten in Bezug auf die Reibkraft und das Verschleißverhalten. Das MoS2:Ti-TiN-Schichtsystem erreicht im direkten Vergleich die höchste Laststufe und zeigt gegenüber dem a-C:H:Ti-TiN-Schichtsystem ein stationäres Reibkraftverhalten. Bei der Verschleißuntersuchung konnte neben einer Schichtdelaminierung auch kontinuierlicher Schichtverschleiß festgestellt werden. Der Schichtverschleiß korreliert mit einer steigenden Reibkraft im Intervallbetrieb.
tus683-40071
1 Einleitung und Motivation Zur Schmierung tribologischer Systeme (Tribosysteme), wie beispielsweise der Zahlflankenwälzkontakt im Zahnradgetriebe, kommen Fest- und Flüssigschmierstoffe zum Einsatz. Der Schmierstoff wird dabei primär zur Reduzierung der Reibung zwischen den beiden Kontaktflächen eingesetzt [CZIC10]. Für spezielle Einsatzbedingungen ist die Schmierung mit Flüssigschmierstoff oft nicht umsetzbar. In der Luft- und Raumfahrt ist der Einsatz flüssiger Schmiermittel eingeschränkt, da sich für flüssige Schmierstoffe infolge von Ausgasungen durch starke Temperatur- und Druckänderungen eine Aus Wissenschaft und Forschung 71 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Tribologisches Einsatzverhalten von PVD-Festschmierstoffsystemen im fluidfreien Wälzkontakt Sebastian Sklenak, Jens Brimmers , Christian Brecher, Bastian Lenz, Andreas Mehner* Dieser Beitrag wurde im Rahmen der 62. Tribologie-Fachtagung 2021 der Gesellschaft für Tribologie (GfT) eingereicht. Für spezielle Anwendungen ist die Schmierung von Zahnradgetrieben mit flüssigen Schmierstoffen nicht umsetzbar. Flüssige Schmierstoffe verlieren beispielsweise unter hohen Kontaktnormalspannungen und Temperaturschwankungen ihre positiven Schmiereigenschaften. In der Lebensmittelindustrie und Medizintechnik sind Flüssigschmierstoffe infolge von Hygienevorschriften oft nicht zugelassen. Festschmierstoffe bieten einen Ansatz zur Umsetzung fluidfreier Zahnflankenwälzkontakte. In diesem Bericht werden drei unterschiedliche Festschmierstoffschichtsysteme bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen untersucht. Der Fokus der experimentellen Untersuchung ist das Einsatzverhalten in Bezug auf die Reibkraft und das Verschleißverhalten. Das MoS 2 : Ti-TiN-Schichtsystem erreicht im direkten Vergleich die höchste Laststufe und zeigt gegenüber dem a-C: H: Ti-TiN-Schichtsystem ein stationäres Reibkraftverhalten. Bei der Verschleißuntersuchung konnte neben einer Schichtdelaminierung auch kontinuierlicher Schichtverschleiß festgestellt werden. Der Schichtverschleiß korreliert mit einer steigenden Reibkraft im Intervallbetrieb. Schlüsselwörter Fluidfrei, Zahnflankenkontakt, Wälzkontakt, Festschmierstoff, Schichtsystem, MoS 2 , PVD Tribological application behavior of PVD solid lubricant systems in dry rolling-sliding contact For special applications, the lubrication of gearboxes with liquid lubricants is not feasible. Liquid lubricants lose their positive lubricating properties when exposed to high contact stress and temperature fluctuations, for example. In the food industry and medical technology, liquid lubricants are often not permitted due to hygiene regulations. Solid lubricants offer an approach to implement dry tooth contacts. In this report, three different solid lubricant coating systems are investigated under different operating conditions. The focus of the experimental investigation is the application behavior in terms of friction force and wear behavior. In a direct comparison, the MoS 2 : Ti-TiN coating system achieves the highest load level and exhibits a stationary frictional force behavior compared to the a-C: H: Ti-TiN coating system. In the wear investigation, continuous coating wear was found in addition to coating delamination. The layer wear correlates with an increasing friction force in interval operation. Keywords Dry Lubrication, Tooth Flank Contact, Rolling-Sliding Contact, Solid Lubricant, Coating System, MoS 2 , PVD Kurzfassung Abstract * Sebastian Sklenak M.Eng. Orcid-ID: https: / / orcid.org0000-0001-8129-2727/ Dr.-Ing. Jens Brimmers M.Sc. Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0001-9203-1119 Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-8049-3364 Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen Campus-Boulevard 30, 52074 Aachen Bastian Lenz M.Sc. Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-1385-7938 Dr.-Ing. Andreas Mehner Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-3430-1525 Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien - IWT Badgasteiner Str. 3, 28359 Bremen TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 71 tersucht. Die Kraft und somit die Pressung wird so lange gesteigert, bis ein Abbruchkriterium erreicht ist und der Versuch dadurch beendet wird. Somit kann ein direkter Vergleich der Schichtsysteme durchgeführt werden. Für eine detaillierte Analyse der Oberflächenveränderungen und Verschleißmechanismen werden die Schichtsysteme im zweiten Schritt bei unterbrochenem Prüflauf untersucht. Der Intervallbetrieb ermöglicht Topografiemessungen und die bildgebende Analyse der Kontaktflächen bevor signifikanter Verschleiß oder ein Schaden zu einem Ausfall der Kontaktfläche führt. Durch die Messungen zwischen den Intervallen können die Prüfkörper wieder auf Raumtemperatur abkühlen, sodass ein signifikanter Einfluss der Temperatur auf das Verschleißverhalten nicht zu erwarten ist. Im dritten Schritt werden die Profile der einzelnen Intervalle von Prüf- und Gegenwelle verglichen. Der Vergleich ermöglicht einen detaillierten Einblick in das Verschleißverhalten der einzelnen Schichtsysteme und gibt Hinweise auf mögliche Verschleißmechanismen. Neben den Profilmessungen werden auch licht- und elektronenmikroskopische Untersuchungen, sowie chemische Oberflächenanalysen mittels energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX) durchgeführt und ausgewertet. 2 Prüfstand, Prüfkörper und Schichtsysteme Infolge der Kinematik von Zahnradgetrieben liegt im Zahnflankenkontakt allgemein eine Wälzbeanspruchung aus überlagerter Gleitreibung und Überrollung vor. Für eine experimentelle und isolierte Untersuchung der Wirkmechanismen werden Schichtsysteme auf Zahnflankenanalogieprüfkörpern in einem Zwei-Scheiben- Aus Wissenschaft und Forschung 72 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Reduzierung der positiven Schmiereigenschaften einstellt [HANT12]. In der Lebensmittelindustrie sind die meisten flüssigen Schmierstoffe durch Hygienevorschriften ausgeschlossen oder nur mit erhöhtem Konstruktionsaufwand beim Schmiersystem anwendbar [EURO06]. Für die genannten Einsatzgebiete bieten Festschmierstoffe einen Ansatz zur Auslegung fluidfreier Anwendungen. Der Einsatz von Festschmierstoffen im fluidfreien Zahnflankenkontakt ist aktuell Bestandteil des Forschungsvorhabens SPP 2074 der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bei der Auslegung fluidfreier Tribosysteme ist die fehlende Ableitung der entstehenden Reibungswärme sowie der entstehenden Verschleißabriebpartikel eine der größten Herausforderungen gegenüber flüssiggeschmierten Tribosystemen [TERA86, ISAA19]. Aufgrund der physikalischen Eigenschaften von Festschmierstoffen ist ein Schmierstoffkreislauf mit Kühlung nicht möglich. Des Weiteren ergeben sich aus dem Festkörperkontakt in fluidfreien Tribosystemen andere Verschleiß- und Schadensmechanismen [BIRK12]. Die Wirkmechanismen im feststoffgeschmierten und fluidfreien Wälzkontakt sind noch nicht in dem Umfang erforscht, wie die Wirkmechanismen im flüssiggeschmierten Wälzkontakt. Das Ziel dieser Arbeit ist ein vertieftes Verständnis über das Einsatz- und Verschleißverhalten von unterschiedlichen PVD-Festschmierstoffsystemen in Abhängigkeit von den Betriebsbedingungen. Das Einsatzverhalten wird anhand des zeitlichen Reibkraftverlaufs bei experimentellen Zahnflankenanalogieversuchen aufgezeichnet und analysiert. In Bild 1-1 ist die Vorgehensweise in drei Schritten dargestellt. Im ersten Schritt werden die Beschichtungen unter sukzessiv ansteigenden Kontaktnormalspannungen auf einem Zwei-Scheiben-Reibkraftprüfstand un- Bild 1-1: Zielsetzung und Vorgehensweise TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 72 Reibkraftprüfstand getestet (Bild 2-1) [LÖPE15]. Die Analogieprüfkörper (Prüf- und Gegenwelle) werden parallel in der Prüfzelle verbaut. Die Wellen werden mit separaten Motoren angetrieben, sodass ein definierter Schlupf zwischen den Wellen entsteht. Ein Hydraulikzylinder erzeugt bei Erreichen der Betriebsdrehzahlen der Wellen eine Normalkraft F N und somit einen Wälzkontakt. Die Gegenwelle ist in einem mit Blattfedern gelagerten Schlitten geführt, sodass die Reibkraft F R während des Versuchs kontinuierlich mit einem Dehnungsmessstreifen gemessen und aufgezeichnet werden kann. Für die Versuche mit fluidfreiem Wälzkontakt ist die Ölzufuhr abgeschaltet. In Bild 2-2 sind die Prüf- und Gegenwelle dargestellt. Am Prüfabsatz ist die Prüfwelle zylindrisch und die Gegenwelle mit einem 8 mm breiten Steg versehen, sodass ein Linienkontakt entsteht (Bild 2-2). Die Prüfkörper sind aus dem für Zahnräder üblichen Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 gefertigt und wurden im einsatzgehärteten Zustand mit einer Randhärte von ca. 700 HV verwendet [KLOC17]. Für die experimentellen Untersuchungen werden zwei unterschiedliche Endbearbeitungszustände unterschieden. Die geschliffenen Prüfkörper werden mit einer Oberflächenrauheit von Ra = 0,2…0,3 µm und die polierten mit Ra = 0,1…0,2 µm beschichtet und anschließend im Prüfstand untersucht. Für Einsatz von Verzahnungen in fluidfreien Anwendungen werden drei PVD Schichtsysteme über reaktives Magnetronsputtern auf die Prüfkörper abgeschieden und bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen untersucht. Die Schichtsysteme sind in Bild 2-2 dargestellt. Das Schichtsystem 1 besteht aus einer MoS 2 -Festschmierstoffschicht als Deckschicht und einer gradierten Titan- Nitrid-Haftvermittlerschicht (TiN) die die Schichthaf- Aus Wissenschaft und Forschung 73 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Bild 2-2: Prüfkörper und Schichtsysteme Bild 2-1: Zwei-Scheiben-Reibkraftprüfstand TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 73 schaften der Beschichtungen von besonderer Bedeutung. Die Werte aus Tabelle 1 wurden jeweils an Monolagen ermittelt, um Effekte durch die Mischhärte an Multilagenschichtsystemen zu vermeiden. Die gemessene Härte der MoS 2 : Ti Festschmierstofflagen erreicht das Niveau des gehärteten Referenz Einsatzstahlsubstrats 18CrNiMo7-6, (~700 HV = 7 GPa). 3 Einsatzverhalten bei inkrementeller Erhöhung der Pressung Das Ziel der ersten Untersuchungsreihe ist ein direkter Vergleich des Einsatzverhaltens der drei Schichtvarianten. Aus Vorversuchen ist bekannt, dass der Reibungskoeffizient und damit auch die Reibkraft infolge eines Schichtversagens stark ansteigt, sodass eine starke und plötzliche Zunahme der Reibkraft als Abbruchkriterium definiert werden kann. Ein weiteres Abbruchkriterium wurde aufgrund mechanischer Grenzen am Zwei-Scheiben-Reibkraftprüfstand in Abhängigkeit von der Reibkraft definiert. Der Versuch wird dann beendet, wenn eine Reibkraft von F R = 600 N erreicht bzw. überschritten wurde. Bei der folgenden Untersuchungsreihe mit inkrementeller Steigerung der Pressung wurde die Normalkraft zwischen der Prüf- und Gegenwelle erhöht. Dabei wird eine Pressungsstufe für 5 Minuten gehalten. Aus der Literatur ist bekannt, das Festschmierstoffe nach einer Einlaufphase meist in eine stationäre Phase mit Aus Wissenschaft und Forschung 74 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 tung, die Oxidationsbeständigkeit, sowie die Stützwirkung für die MoS 2 : Ti Schicht verbessern soll. Neben dem genannten Schichtsystem 1 in wurde im Schichtsystem 2 die MoS 2 : Ti-Deckschicht durch eine amorphe, wasserstoffhaltige und titandotierte Kohlenstoffschicht (a-C: H: Ti) ersetzt. Das Schichtsystem 3 in Bild 2-2 ist ein kombinierender Ansatz aus Schichtsystem 2 mit Schichtsystem 1. Das kombinierende Schichtsystem 3 zielt auf verbesserte Notlaufeigenschaften durch die mittlere a-C: H: Ti Lage, sobald der primäre MoS 2 : Ti: C Festschmierstoff abgetragen ist. Die zusätzliche Kohlenstoffdotierung der MoS 2 : Ti-Lage dient der Haftungssteigerung. Für die Abscheidung der MoS 2 : Ti(: C)-Decklagen in Schichtsystem 1 und 3 haben sich relativ geringe Targetleistungen von 0,5 kW (≈ 1,25 W/ cm2) für die MoS 2 Targets bewährt. Titan wird über Hochleistungsimpuls- Magnetronsputtern (HPPMS) mit einem einzelnen Titantarget bei einer mittleren Targetleistung von ebenfalls 0,5 kW (≈ 1,25 W/ cm 2 ) zudotiert, sodass sich ein Atomanteil von 7 - 8 % einstellt. Im Rahmen der Entwicklung wurde auch die Prozessgasatmosphäre variiert. Optimale Ergebnisse hinsichtlich Schichthaftung, Härte und Schichtdefektdichte wurden bei einem Gesamtdruck 500 mPa und einer Kombination von Argon und Krypton erreicht. Aufgrund des angestrebten hohen Lastniveaus im Zahnflankenkontakt sind die mechanischen Eigen- Schichtlage Eindringhärte H IT0,01 [GPa] Eindringmodul E IT0,01 [GPa] H/ E Verhältnis TiN 25,8 ±0,8 289,3 ±6,5 0,089 a-C: H: Ti 13,6 ±0,8 121,7 ±4,6 0,112 MoS2: Ti 7,3 ±0,5 138,1 ±6,8 0,053 MoS2: Ti: C 7,7 ±0,4 119,3 ±0,4 0,065 Tabelle 1: Eindringhärte HIT 0,01 und Eindringmodul EIT 0,01 jeweils gemessen an applizierten Monolagen Bild 3-1: Reibkraftverhalten im Pressungshochlauf TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 74 konstanter Verschleißrate übergehen [BIRK12]. Daher kann die erreichte maximale Pressungsstufe nicht als absolute Grenzbeanspruchung für das jeweilige Schichtsystem angesehen werden, sondern dient ausschließlich dem relativen Vergleich zwischen den Schichtsystemen. Für die Versuche wird eine Summengeschwindigkeit von v ∑ = 6,3 m/ s und ein auf die Prüfwelle bezogener Schlupf von s Prüfwelle = -20 % eingestellt. In Bild 3-1 ist die Hertzsche Pressung über die Prüfzeit dargestellt. Die Versuche starten bei einer Hertzschen Pressungen von p max = 410 N/ mm 2 . In dem unteren Diagramm ist der Reibkraftverlauf der drei Schichtsysteme über die Prüfzeit dargestellt. Im direkten Vergleich hat das Schichtsystem 1 deutlich besser abgeschnitten und im Versuch erst bei einer Pressung von p max = 1966 N/ mm 2 versagt. Das Schichtsystem 2 hat am Ende der Stufe 3 eine Reibkraft von F R = 600 N überschritten und somit das Abbruchkriterium erreicht. Das Schichtsystem 3 versagt in der 4. Stufe bei einer Hertzschen Pressung von p max = 1078 N/ mm 2 durch einen schlagartigen Anstieg der Reibkraft. Neben den erreichten Pressungsstufen kann auch die Reibkraft direkt zwischen den Schichtsystemen verglichen werden. In der ersten Stufe ist die Reibkraft bei Schichtsystem 2 mehr als doppelt so groß wie bei Schichtsystem 3. Hier kann vermutet werden, dass die zusätzliche MoS 2 : Ti: C-Lage bei Schichtsystem 3 zu niedrigeren Reibungskoeffizienten führt. In den ersten drei Stufen unterscheidet sich das Reibkraftverhalten zwischen Schichtsystem 1 und 3 nur durch ein sehr stationäres Verhalten bei Schichtsystem 3. Für eine detaillierte Analyse der Verschleißmechanismen wurden die Kontaktflächen im Anschluss an die drei Versuche analysiert. Dabei wurde neben den Aufnahmen mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) auch die Elementzusammensetzung an signifikanten Positionen mittels einer EDX-Analyse ausgewertet. In Bild 3-2 sind die Ergebnisse der Oberflächenanalyse für die drei Schichtsysteme für jeweils Prüf- und Gegenwelle dargestellt. Bei Schichtsystem 1 zeigt sich eine nahezu homogene Oberfläche auf beiden Kontaktflächen. Die Elementzusammensetzung dieser Fläche zeigt, dass ein großer Anteil von Molybdän (Mo), sowie Titan (Ti) und Schwefel (S) vorliegt. Somit handelt es sich hierbei um die obere MoS 2 : Ti-Lage. Auf der Prüfwelle sind vereinzelt längliche Krater zu erkennen, die einen deutlich höheren Titan-Anteil bei der Elementzusammensetzung aufweisen. Der höhere Anteil von Titan deutet darauf hin, dass die obere Festschmierstoffschicht an der Stelle größtenteils abgetragen wurde. Die REM- Aufnahme und EDX-Analyse der Gegenwelle zeigt, dass am Rand der Kontaktfläche auch Teile der oberen MoS 2 : Ti-Lage abgetragen sind. Möglicherweise hat eine erhöhte Kantenpressung zum Versagen der Schicht im Bereich der Kante des Steges geführt. Jedoch wurde bei der EDX Analyse der Oberfläche von Schichtsystem 1 kein Substratmaterial festgestellt, sodass dadurch zwar eine erhöhte Reibkraft entsteht, aber kein direktes Schichtversagen. Die Analyse der Oberfläche von Schichtsystem 2 zeigt gegenüber dem Schichtsystem 1 deutlich abweichende Eigenschaften. Auf der Kontaktfläche der Prüfwelle ist das Schichtsystem in einem großen Bereich abgetragen worden (vgl. Punkt 3 bei System 2 in Bild 3-2), sodass das Substrat freiliegt. Dies ist einerseits an den unterschiedlichen Graustufen auf den REM-Aufnahmen und andererseits durch die EDX-Analyse erkennbar. Auf der Gegenwelle sind mit der REM-Aufnahme Ablagerungen zu erkennen, die sowohl Substratwerkstoff als auch TiN- Schichtanteile enthalten. Die Analyse deutet darauf hin, dass die obere a-C: H: Ti-Lage abgetragen wurde, sodass die TiN-Zwischenlage auf beiden Wellen im direkten Kontakt lag. Durch Adhäsion wurden dann Teile aus der Prüfwelle auf die Gegenwelle übertragen. Aus Wissenschaft und Forschung 75 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Bild 3-2: Aufnahmen aus dem Rasterelektronenmikroskop und EDX-Analyse der Kontaktfläche nach den Versuchen TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 75 mit einer Ausgangsrauheit von Ra = 0,2…0,3 µm beschichtet. In Bild 4-1 ist der Reibkraftverlauf für das Schichtsystem 1 bei einer konstanten Hertzschen Pressung von p max = 1648 N/ mm 2 dargestellt. Die Reibkraft erreicht im ersten Intervall mit FR ≤ 200 N ein Niveau unterhalb der Reibkraft die auf Stufe 7 im Pressungshochlauf gemessen wurde. Der Profilvergleich zwischen den Zuständen t0 und t1 zeigt, dass sich das Profil von der Prüfwelle nur geringfügig geändert hat. Diese Änderungen können neben einem Schichtverschleiß aus einer Einglättung der Oberfläche infolge der initialen Beanspruchung resultieren. Am Profil der Gegenwelle ist in den Randbereichen jedoch bereits ein größerer Verschleiß erkennbar, sodass an den Kannten durch erhöhte Kantenpressung Teile der MoS 2 : Ti Schmierstoffschicht verschlissen sind. Der Reibkraftverlauf zeigt zu Beginn der Intervalle eine deutlich erhöhte Reibkraft für 1 bis 2 min. Einglättungseffekte können nach dem ersten Intervall ausgeschlossen werden. Eine mögliche Erklärung können Oxidschichten aus MoO 3 liefern, die sich innerhalb der Unterbrechung während der Messungen gebildet haben und zu höheren Reibungskoeffizienten führen [CENT88]. Nach dem zweiten Intervall bei t 2 = 40 min wird der Verschleiß auf Prüf- und Gegenwelle deutlich größer und auch die Reibkraft nimmt im Verlauf des Intervalls zu. Die Gegenwelle weist gegenüber der Prüfwelle einen stärkeren Verschleiß auf, sodass bereits Bereiche der Laufbahn bis auf die TiN-Zwischenschicht verschlissen sind. Trotz der deutlichen Verschleißspuren in den Laufflächen der beiden Wellen erreicht die Reibkraft im dritten Intervall für mehrere Minuten wieder ein niedriges Niveau von F R = 200 N. Der Vergleich der Profile nach dem dritten Intervall bei t 3 = 60 min zeigt, dass auf der Gegenwelle Material aufgetragen wurde. Bei der Prüfwelle ist dagegen ein starker Verschleiß bis auf das Substrat entstanden. Für das Schichtsystem 1 Aus Wissenschaft und Forschung 76 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Die Kontaktfläche von Schichtsystem 3 zeigt ein fleckiges Muster. Das Substrat wurde sowohl auf der Prüfals auch auf der Gegenwelle nicht freigelegt. Auf der Prüfwelle ist am Rand der Laufbahn eine kantige Kontur zu erkennen. Aus der EDX-Analyse ergibt sich, dass hier die einzelnen Lagen des Schichtsystems erkennbar sind. Die Erscheinung der Kontur lässt darauf schließen, dass möglichweise die Haftung zwischen der a c: H: Ti und der TiN Schicht im Wälzkontakt versagt hat und es zu einer Delamination gekommen ist. Zusammenfassend zeigen die experimentellen Versuche im Pressungshochlauf, dass das Schichtsystem 1 deutlich größere Pressungen im Wälzkontakt erträgt, bevor eine stärkere Steigerung der Reibkraft eintritt. Des Weiteren ist auch die Reibkraft und somit der Reibungskoeffizient gegenüber dem Schichtsystem 2 geringer. 4 Einsatz- und Verschleißverhalten im Intervallbetrieb Für Kenntnisse über den Verschleiß während des Prüflaufs wurden die drei Schichtsysteme im Intervallbetrieb untersucht. Dazu wurde eine konstante Pressung über einen definierten Intervallzeitraum von t intervall = 20 min gehalten. Für die Verschleißanalyse wurde ein für das jeweilige Schichtsystem spezifisches Pressungsniveau gewählt. Nach jedem Intervall wurden die Prüf- und Gegenwelle zur Analyse aus der Prüfzelle ausgebaut, sodass die Prüfkörper wieder auf Raumtemperatur abkühlen konnten. Dabei wurde einerseits die Topografie der Laufbahn von Prüf- und Gegenwelle gemessen. Andererseits wurden lichtmikroskopische Untersuchungen durchgeführt. Für einen hochgenauen Profilvergleich wurden die gemessenen Topografien der einzelnen Intervalle mithilfe von Vickers Eindrücken und einem Ausrichtealgorithmus zu einander ausgerichtet [BREC16]. Für die Intervallversuche wurden geschliffene Prüfkörper Bild 4-1: Einsatz- und Verschleißverhalten im Intervallbetrieb mit Schichtsystem 1 TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 76 kann festgehalten werden, dass die MoS 2 : Ti Schmierstoffschicht auf der Seite mit positivem Schlupf (Gegenwelle) stärker verschleißt. Das Einsatz- und Verschleißverhalten von Schichtsystem 2 im Intervallbetrieb ist in Bild 4-2 dargestellt. Für den Intervallbetrieb mit dem Schichtsystem 2 wurde ein Pressungsniveau mit einer Hertzschen Pressung von p max = 398 N/ mm 2 gewählt. Gegenüber dem Reibkraftverhalten bei Schichtsystem 1 sind bei Schichtsystem 2 keine Einlaufeffekte im Reibkraftverlauf sichtbar. Mit jedem Intervall steigt das Reibkraftniveau, obwohl die Normalkraft und somit die Hertzsche Pressung konstant gehalten werden. Der Profilvergleich zeigt, dass Teile der a-C: H: Ti-Schicht auf der Prüfwelle bereits nach dem ersten Intervall verschlissen sind. Die Beschichtung auf der Gegenwelle zeigt jedoch nur einen sehr geringen Verschleiß. Bei den Intervallen 2 und 3 ist auf beiden Wellen ein kontinuierlicher und einseitiger Verschleiß erkennbar. Am Ende des dritten Intervalls liegt am Rand der Prüfwelle bereits ein Bereich mit Substrat frei, sodass es im vierten Intervall zum Schichtversagen auf beiden Wellen kommt. Für den Intervallversuch mit Schichtsystem 3 wurde das Niveau der zweiten Pressungsstufe im Pressungshochlauf ausgewählt (siehe Bild 3-1). Der Reibkraftverlauf und die Verschleißanalyse sind in Bild 4-3 dargestellt. Die Reibkraft weist in den ersten 5 min ein niedriges Reibkraftniveau auf. Nach ca. 5 min Laufzeit steigt die Reibkraft auf einen nahezu konstanten Wert von F R ≈ 120 N, bis ein starker Anstieg kurz vor dem Ende des ersten Intervalls ein Schichtversagen andeutet. Der Profilvergleich bestätigt das Versagen des Schichtsys- Aus Wissenschaft und Forschung 77 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 3-4/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0023 Bild 4-3: Einsatz- und Verschleißverhalten im Intervallbetrieb mit Schichtsystem 3 Bild 4-2: Einsatz- und Verschleißverhalten im Intervallbetrieb mit Schichtsystem 2 TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 77 Literatur [BIRK12] Birkhofer, H.; Kümmerle, T.: Feststoffgeschmierte Wälzlager. 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Das unerwartet frühe Versagen des Schichtsystems könnte auf die erhöhte Rauheit gegenüber den polierten Prüfkörpern beim Pressungshochlauf zurückgeführt werden. 5 Zusammenfassung und Fazit Zusammenfassend fällt bei der Betrachtung der Profile der drei Versuche im Intervallbetrieb auf, dass der Verschleiß primär vom Laufbahnrand in Richtung Kontaktmitte wächst obwohl die Lastverteilung im Kontakt zwischen Prüf- und Gegenwelle während der Montage der Prüfkörper mit einer Pressungsfolie kontrolliert wurde. Für eine Anwendung der Festschmierstoffsysteme im realen Zahnflankenkontakt ist einer erhöhten Kantenpressung bei Linienkontakt beispielsweise mit einer Balligkeit der Zahnflanken vorzubeugen. Des Weiteren sind bei allen drei Versuchen erst nach Abbruch der Prüfläufe Bereiche des Substrats auf Prüf- und Gegenwelle freigelegt. Insgesamt hat das Schichtsystem 1 sowohl in der Testreihe Pressungshochlauf als auch im Intervallbetrieb einer hohen Beanspruchung standgehalten. Gegenüber den Schichtsystemen 2 und 3 hat ein kontinuierlicher Verschleiß im Anschluss zum Schichtversagen geführt. Des Weiteren hat sich das Schichtversagen infolge eines Rauschens in der Reibkraft angekündigt. Bei dem Einsatz des Schichtsystems 1 im realen Zahnkontakt sind aufgrund des unterbrochenen Kontakts die Einlaufeffekte (Bild 4-1) von besonderer Bedeutung und sollen in Zukunft untersucht werden. Danksagung Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - 407625150 TuS_3_4_2021.qxp_TuS_Muster_2021 03.09.21 13: 28 Seite 78