Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0026
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2021
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JungkVerbesserte Tribokorrosionsbeständigkeit des martensitischen Stahls X54CrMoVN17-1 durch die Erzeugung von expanded martensite
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2021
Isabel Hahnhttps://orcid.org/0000-0002-4147-5104
Sabine Sieberthttps://orcid.org/0000-0003-4259-2940
Werner Theisenhttps://orcid.org/0000-0001-7259-3800
Sebastian Weberhttps://orcid.org/0000-0002-4168-3480
Dichtungslose, mediengeschmierte Wälzlager weisen eine hohe Energieeffizienz auf, da durch den Verzicht auf eine Lagerabdichtung, Reibungsverluste minimiert und hierdurch der Wirkungsgrad der Arbeitsmaschine erhöht wird. Mit dem Verzicht auf die Lagerabdichtung geht der Verzicht auf Schmiermittel einher, wodurch Umweltbelastungen durch Schmierstoffaustritt vermieden werden. Bei Medienschmierung steigt jedoch die tribokorrosive Belastung des Lagerwerkstoffs und neue innovative Werkstoffkonzepte werden erforderlich. Mit einer thermischen Randschichtbehandlung, dem Niedertemperaturplasmanitrieren, kann die Tribokorrosionsbeständigkeit der Lageroberfläche gesteigert werden. Der hier bei Martensiten erzeugte „expanded martensite“ weist eine sehr hohe Härte bei vergleichsweise guter Lochkorrosionsbeständigkeit auf. Tribokorrosionstests in 0,9 % NaCl-Lösung zeigten einen um ca. 70 % geringeren Materialverlust gegenüber dem nicht randschichtbehandelten Ausgangszustand.
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Einleitung Nach aktuellem Stand der Technik sind Wälzlager, welche in wässrigen oder korrosiven Medien eingesetzt werden, mit einer hermetischen Abdichtung versehen. Die Abdichtung unterbindet den Eintritt des Umgebungsmediums in das Wälzlager, welches dort korrosiv angreifen und zu hohem Materialverlust und verkürzter Lebensdauer des Wälzlagers führen kann. Zudem verhindert die Abdichtung den Austritt von Schmiermitteln aus dem Wälzlager, welches die Umwelt belasten kann. Die Abdichtung führt jedoch zu signifikanten Reibungsverlus- Aus Wissenschaft und Forschung 5 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 Verbesserte Tribokorrosionsbeständigkeit des martensitischen Stahls X54CrMoVN17-1 durch die Erzeugung von expanded martensite Isabel Hahn, Sabine Siebert, Werner Theisen, Sebastian Weber* Eingereicht: 21.09.2021 Nach Begutachtung angenommen: 10.11.2021 Dieser Beitrag wurde im Rahmen der 62. Tribologie-Fachtagung 2021 der Gesellschaft für Tribologie (GfT) eingereicht. Dichtungslose, mediengeschmierte Wälzlager weisen eine hohe Energieeffizienz auf, da durch den Verzicht auf eine Lagerabdichtung, Reibungsverluste minimiert und hierdurch der Wirkungsgrad der Arbeitsmaschine erhöht wird. Mit dem Verzicht auf die Lagerabdichtung geht der Verzicht auf Schmiermittel einher, wodurch Umweltbelastungen durch Schmierstoffaustritt vermieden werden. Bei Medienschmierung steigt jedoch die tribokorrosive Belastung des Lagerwerkstoffs und neue innovative Werkstoffkonzepte werden erforderlich. Mit einer thermischen Randschichtbehandlung, dem Niedertemperaturplasmanitrieren, kann die Tribokorrosionsbeständigkeit der Lageroberfläche gesteigert werden. Der hier bei Martensiten erzeugte „expanded martensite“ weist eine sehr hohe Härte bei vergleichsweise guter Lochkorrosionsbeständigkeit auf. Tribokorrosionstests in 0,9 % NaCl-Lösung zeigten einen um ca. 70 % geringeren Materialverlust gegenüber dem nicht randschichtbehandelten Ausgangszustand. Schlüsselwörter Wälzlager, Medienschmierung, Tribokorrosion, expanded martensite, Verschleiß, Korrosion, Tribologie, Nitrieren Improved tribocorrosion resistance of the martensitic steel X54CrMoVN17-1 due to expanded martensite Seal-free, media-lubricated rolling bearings have a high-energy efficiency as the absence of the seal minimizes frictional loss and increases the efficiency of the driven machine. In addition, the environment is protected by the absence of hazardous lubricants. However, media-lubrication increases tribocorrosive attack on the bearing surface. Therefore, the tribocorrosion resistance of the bearing surface can be increased by a thermal surface treatment called low-temperature plasma nitriding. The produced “expanded martensite” in martensitic steels features a high hardness with comparatively good corrosion resistance. Tribocorrosion tests in 0.9 % NaCl-solution show that the material loss could be reduced by 70 % due to expanded martensite compared to the initial state of the steel. Keywords Bearing, media-lubrication, tribocorrosion, expanded martensite, wear, corrosion, nitriding, tribology Kurzfassung Abstract * M.Sc. Isabel Hahn Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-4147-5104 Dr.-Ing. Sabine Siebert Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-4259-2940 Prof. Dr.-Ing. Werner Theisen Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0001-7259-3800 Prof. Dr.-Ing. Sebastian Weber Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-4168-3480 Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl Werkstofftechnik 44780 Bochum TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 5 der Tribokorrosionsbeständigkeit des expanded martensite im Vergleich zum nicht randschichtbehandeltem, niedrig angelassenen (T = 180 °C) sowie sekundärgehärteten Wärmebehandlungszustand. Werkstoff und experimentelle Methoden Die chemische Zusammensetzung des nichtrostenden martensitischen Stahls X54CrMoVN17-1 ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Der Stahl wurde unter Normaldruck erschmolzen und elektroschlacke-umgeschmolzen. Für den Niedertemperaturplasmanitrierprozess wurden Proben des Stahls bei T = 1000 °C für t = 30 min unter Umgebungsbedingungen austenitisiert, in Öl gehärtet und bei T = -80 °C für t = 60 min tiefgekühlt, um möglichen Restaustenit zu beseitigen bzw. dessen Gehalte zu reduzieren. Anschließend erfolgte ein Anlassen bei T = 520 °C für 120 min im Sekundärhärtemaximum und ein abschließendes Schleifen auf 1000-er Mesh. Nicht randschichtbehandelte Proben wurden zweimal bei T = 180 °C für jeweils 120 min, für die Vergleichsuntersuchungen zur Tribokorrosion angelassen. Die Niedertemperaturplasmanitrierversuche der sekundärgehärteten Proben (= Ausgangszustand) wurden am Fraunhofer IST am DOC in Dortmund durchgeführt. Es wurde eine Behandlungstemperatur von T < 400 °C bei zwei verschiedenen Behandlungszeiten von t = 8 h und t = 16 h gewählt. Das Prozessgas setzte sich aus N 2 und H 2 in unterschiedlichen Anteilen zusammen. An den behandelten Randschichten wurden mittels Glimmentladungsspektroskopie Tiefenprofile aufgenommen (GDA650-HR, Spectruma Analytik GmbH). Damit ist es möglich den Verlauf sämtlicher Legierungselemente, einschließlich der interstitiellen Legierungselemente, als 1D-Profil senkrecht zur Oberfläche im µm- Bereich aufzuzeichnen. Die Gefügeuntersuchung erfolgte mittels Sekundärelektronenkontrast an einem Rasterelektronenmikroskop vom Typ Mira der Firma Tescan. Die Härtebestimmung erfolgte mittels Nanoindentation durch die Aufzeichnung von Last-Eindringkurven bei einer aufgebrachten Last von 20 mN (HV0,002) (Nanoindenter iMicro, Nanomechanics Inc.). Zur Untersuchung der Lochkorrosionsbeständigkeit wurden potentiodynamische Polarisationstests in Dreielektrodenanordnung durchgeführt. Als Referenzelektrode wur- Aus Wissenschaft und Forschung 6 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 ten in den Wälzlagern und senkt entsprechend den Wirkungsgrad der Arbeitsmaschine [1]. Die Entwicklung dichtungsloser, mediengeschmierter Wälzlager würde zu einer Steigerung der Energieeffizienz führen und gleichzeitig, durch den Verzicht von umweltbelastenden Schmiermitteln, zur Nachhaltigkeit beitragen. Unter Medienschmierung sind die Anforderungen an die Lagerstähle extrem, da die tribologische Komponente durch Überrollung zusätzlich von einer korrosiven Komponente überlagert wird [1, 2]. Der hydrodynamische Zustand kann durch die fehlende Schmierfilmbildung nicht erreicht werden, wodurch die tribologische Belastung nochmals verschärft wird [1]. Für diese Ansprüche ist die Tribokorrosionsbeständigkeit bereits existierender Lagerstähle nicht ausreichend. Bisher wird bei mäßigem korrosiven Angriff z.B. durch Wasser verunreinigtes Schmiermittel, der stickstofflegierte martensitische Stahl X30CrMoN15-1 eingesetzt. Aufgrund der geringen Überrollbeständigkeit ist der Einsatz austenitischer nichtrostender hochharter Cr-Mn-Stähle nicht möglich [3-5]. Da legierungstechnisch die Grenze zur Optimierung dieser Stähle erreicht ist, müssen neue innovative Werkstoffkonzepte entwickelt werden, welche gegenüber der kombinierten Beanspruchung aus Verschleiß und Korrosion ausreichend beständig sind [3, 5]. Mit einer thermischen Randschichtbehandlung, dem Niedertemperaturplasmanitrieren bei T < 450 °C, kann die Tribokorrosionbeständigkeit von (Wälzlager-) Oberflächen erhöht werden [6]. Ziel der Randschichtbehandlung ist die Stickstoffanreicherung im oberflächennahen Bereich. Hierbei befinden sich die Stickstoffatome auf den Zwischengitterplätzen im Kristallgitter in Zwangslösung, was eine starke Gitteraufweitung und -verzerrung hervorruft. Hieraus folgt die Bezeichnung dieser Randschicht bei martensitischen Stählen als „expanded martensite“. Die daraus resultierende Härtesteigerung liegt oberhalb von 1000 HV [2, 7-9]. Die Korrosionsbeständigkeit soll dabei mindestens dem Grundmaterial ebenbürtig sein, da die Diffusion von Chrom bei Behandlungstemperaturen T < 450 °C eingeschränkt ist, sodass die Bildung Cr-reicher Ausscheidungen vermieden werden kann [9]. Für diese Studie wurde der nichtrostende martensitische Stahl X54CrMoVN17-1 niedertemperaturplasmanitriert, um expanded martensite zu erzeugen. Bei verschiedenen Randschichtbehandlungen wurden sowohl das Diffusionsverhalten der interstitiellen Legierungselemente untersucht als auch die mechanischen und chemischen Eigenschaften des expanded martensite analysiert. Der Fokus der Studie liegt auf der Untersuchung C Si Mn Cr Mo V N Fe X54CrMoVN17-1 0,54 0,45 0,41 16,88 1,09 0,11 0,23 Rest Tabelle 1: Chemische Zusammensetzung des Stahls X54CrMoVN17-1 in Ma.-%, Messabweichung <0,9 % TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 6 de eine gesättigte Kalomelelektrode (Hg/ HgCl, +244 mV vs. Standardwasserstoffelektrode), als Gegenelektrode ein Platinblech und als Arbeitselektrode die zu untersuchende Probe eingesetzt. Um einen elektronischen Kontakt zum Potentiostaten herzustellen, wurde die Probe von einer Seite mittels Punktschweißen mit einem Draht kontaktiert und dieser bis zur Hälfte mit einem Plastikschlauch überzogen, um Messartefakte durch den Einfluss des Drahtes zu verhindern. Anschließend wurde die Probe eingebettet und die Lücke zwischen Einbettmasse und Probe als auch Einbettmasse und Draht/ Schlauch lackiert. Die verbleibende Probenoberfläche wurde vermessen, um die Stromdichte berechnen zu können. Als Elektrolyt wurde 0,9 % NaCl-Lösung verwendet (500 ml). Vor der Aufzeichnung der Stromdichte-Potentialkurve wurde der Elektrolyt für t = 30 min mit gasförmigem Stickstoff gespült, um den Sauerstoffgehalt zu reduzieren. Anschließend wurde die Probe bei -1744 mV für t = 60 s kathodisch polarisiert, um die Passivschicht aufzubrechen und für alle Proben einen einheitlichen Ausgangszustand zu gewährleisten. Nach der kathodischen Polarisation erfolgte die Messung des Ruhepotentials (open circuit potential, OCP) für t = 30 min. Ausgehend vom OCP wurde die Stromdichte-Potentialkurve mit einer Anstiegsrate von 600 mV/ h aufgezeichnet und das Durchbruchpotential bei einer dauerhaften Überschreitung einer Stromdichte von 100 µA/ cm 2 bestimmt [10]. Die Messung des Durchbruchpotentials erfolgte am expanded martensite und den unbehandelten Vergleichszuständen. Die Tribokorrosionsuntersuchungen wurden am Tribokorrosionsprüfstand UMT3 der Firma Bruker durchgeführt. Eine schematische Darstellung des Prüfstands ist in Bild 1 abgebildet. Mit dem Prüfstand sind Gleitverschleißuntersuchungen bei Anwesenheit eines Elektrolyten unter gleichzeitiger potentiostatischer Regelung möglich. Als Elektrolyt wurde 0,9 % NaCl-Lösung verwendet (150 ml). Bei den Messungen sind 1,5 cm 2 der Probe dem Elektrolyten ausgesetzt. Für die potentiostatische Regelung wurde auch hier eine Dreielektrodenanordnung verwendet. Vor jeder Messung wurde der Elektrolyt für t = 10 min mit gasförmigem Stickstoff gespült, die Probe bei -1744 mV für t = 60 s kathodisch polarisiert und das OCP für t = 30 min gemessen. Insgesamt wurden vier verschiedene Messungen in Anlehnung an ASTM G119-09 durchgeführt, um das Tribokorrosionsverhalten zu untersuchen [11]: • Gleitverschleißversuche für t = 30 min mit korrosivem Angriff, ohne Polarisation der Probe, um den Einfluss von Korrosion und Verschleiß (Tribokorrosion) zu analysieren. • Gleitverschleißversuche für t = 30 min mit kathodischer Polarisation der Probe um -1 V gegenüber dem OCP, um den Einfluss von Verschleiß ohne korrosiven Angriff zu untersuchen. • Bestimmung der Stromdichte im Ruhepotential ohne Gleitverschleiß (c 0 ) durch TAFEL-Extrapolation. • Bestimmung der Stromdichte im Ruhepotential unter Gleitverschleiß (c w ) durch TAFEL-Extrapolation. Bei den verschleißgestützten Messungen wurde als Gegenkörper eine Si 3 N 4 -Kugel mit einem Durchmesser von 5 mm und dem Gütegrad 10, welcher einer Oberflächenrauheit von 0,02 µm entspricht, verwendet [12]. Die Flächenpressung zwischen Probenoberfläche und Gegenkörper betrug 1920 MPa. Der Verschleißweg war auf 2 mm begrenzt bei einer Verschleißgeschwindigkeit von 4 mm/ s. Zur Reproduzierbarkeit wurden jeweils 3 Messungen durchgeführt. Mittels eines CLSM-Mikroskops wurden sowohl der Volumenverlust aus der Verschleißspur als auch die Verschleißspurtiefe gemessen. Alle Tri- Aus Wissenschaft und Forschung 7 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 Bild 1: Schematische Darstellung des Tribokorrosionsprüfstands mit Dreielektrodenanordnung TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 7 N-Diffusion rückschließen lässt. Aus der Literatur ist bekannt, dass die N-Diffusionsgeschwindigkeit höher ist als die C-Diffusionsgeschwindigkeit und die Kohlenstoffaktivität durch Stickstoff erhöht wird [13-16]. Beim Niedertemperaturplasmanitrieren verdrängen die gelösten N-Atome teilweise die C-Atome, was zu einer C-Bergaufdiffusion und zu einem C-Aufstau im Inneren des Stahls führt (Bild 2 b). Dieser C-Peak behindert die weitere Eindiffusion des Stickstoffs, somit ist die innerhalb einer Zeitspanne erreichbare Stickstoffdiffusionstiefe im Vergleich zu einer C-freien Legierung vermutlich geringer. Während des Randschichtbehandlungsprozesses wird von außen kontinuierlich Stickstoff angeboten, der zunächst nach dem Eintritt ins Kristallgitter durch Diffusionsprozesse weitertransportiert wird. Oberhalb einer kritischen Randschichtbehandlungszeit, nach der Ausbildung des C-Peaks, kann es daher zu einer Übersättigung des oberflächennahen Kristallgitters mit Stick- Aus Wissenschaft und Forschung 8 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 bokorrosionmessungen wurden mit den expanded martensites, dem Ausgangszustand (sekundärgehärtet) und dem niedrig angelassenen Zustand durchgeführt. Ergebnisse und Diskussion In Bild 2 sind die Tiefenprofile für die interstitiellen Legierungselemente Sticktoff (N) und Kohlenstoff (C) der erzeugten expanded martensites (EM) nach einer Randschichtbehandlungszeit von t = 8 h und t = 16 h dargestellt. In Bild 3 sind rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen der Querschnitte der erzeugten expanded martensites zu erkennen. Die N-Diffusionstiefe beträgt 8-10 µm, abhängig von der Randschichtbehandlungszeit (siehe Bild 2 und Bild 3). Sowohl die N-Diffusionstiefe als auch der N-Gehalt nehmen nicht proportional zur Randschichtbehandlungszeit zu, was auf eine begrenzte Bild 3: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen: expanded martensite (EM) im Querschliff nach unterschiedlichen Behandlungszeiten Bild 2: a) Tiefenprofile der Legierungselemente N und C im erzeugten expanded martensite nach einer Randschichtbehandlung von t = 8 h und 16 h, (T < 400 °C) und b) vergrößerte Darstellung der Tiefenprofile (5-15 µm) a) b) TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 8 stoff kommen und dadurch zur Bildung Cr-reicher Ausscheidungen im oberflächennahen Bereich [9, 17-18]. Die Bildung Cr-reicher Ausscheidungen führt zu einer verringerten Korrosionsbeständigkeit, da Chrom in den Ausscheidungen abgebunden wird und der Matrix zur Passivschichtbildung nicht mehr ausreichend zur Verfügung steht [2, 19]. Im Vergleich zum Ausgangszustand konnte für den expanded martensite, erzeugt bei einer Randschichtbehandlungszeit von t = 16 h, eine verminderte Lochkorrosionsbeständigkeit in Oberflächennähe (0 -2 µm) festgestellt werden, was auf eine Übersättigung des Kristallgitters mit Stickstoff und der Bildung Cr-reicher Ausscheidungen zurückzuführen sein kann. In Bild 4 ist das Durchbruchpotential in Abhängigkeit von der N-Diffusionstiefe für den nach t = 16 h erzeugten expanded martensite und das Durchbruchpotential des Ausgangszustands und des bei t = 8 h erzeugten expanded martensites dargestellt. In einer N-Diffusionstiefe >2 µm ist die Lochkorrosionsbeständigkeit des nach t = 16 h erzeugten expanded martensite ebenbürtig zu der des Ausgangszustands. Bei einer Randschichtbehandlungszeit von t = 8 h weist der expanded martensite eine verbesserte Lochkorrosionsbeständigkeit gegenüber dem Ausgangszustand auf, was auf den positiven Effekt von Stickstoff auf die Lochkorrosionsbeständigkeit zurückzuführen sein kann [9, 20-24]. Die Härte des Ausgangszustands konnte durch die Randschichtbehandlung und der damit verbundenen Aufweitung und Verzerrung des Kristallgitters durch die hohe Stickstoffaufnahme (bis zu 20 Ma.-%) von 660±8 HV0,002 auf 1010±20 HV0,002 (EM, t = 8 h) und 1040±15 HV0,002 (EM, t = 16 h) im oberflächennahen Bereich gesteigert werden. Dies entspricht einer Härtesteigerung von 30 - 35 %. Die höhere Härte des bei t = 16 h erzeugten expanded martensite ist auf den höheren N-Gehalt im Randbereich zurückzuführen (siehe Bild 2). In Bild 5 sind die Ergebnisse zu den Tribokorrosionsmessungen unter Gleitverschleiß als Volumenverluste dargestellt. Der Volumenverlust aus den Verschleißspuren ist bei den randschichbehandelten Zuständen (expanded martensite) deutlich geringer als bei den unbehandelten Zuständen des X54CrMoVN17-1. Im Vergleich zum Ausgangszustand konnte der Volumenverlust des bei t = 8 h erzeugten expanded martensite um ca. 70 % reduziert werden. Der geringe Volumenverlust ist auf die deutlich erhöhte Härte bei gleichzeitig erhöhter Lochkorrosionsbeständigkeit zurückführen. Bei dem nach t = 16 h erzeugten expanded martensite konnte der Volumenverlust gegenüber dem Ausgangszustand um ca. 55 % reduziert werden. Der, im Vergleich zum expanded martensite von t = 8 h, geringfügig höhere Volumenverlust liegt in der geringeren Lochkorrosionsbeständigkeit der Oberfläche begründet, welche einen erhöhten tribokorrosiven Angriff ermöglicht. Im Verschleißspurquerschliff des nach t = 16 h erzeugten expanded martensite sind unterhalb der Ober- Aus Wissenschaft und Forschung 9 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 Bild 5: Gemessener Volumenverlust aus der Verschleißspur nach den Gleitverschleißversuchen in 0,9 % NaCl-Lösung mit korrosivem Einfluss, ohne Polarisation der Probe Bild 4: Durchbruchpotential gemessenen in 0,9 % NaCl-Lösung in Abhängigkeit der N-Diffusionstiefe des expanded martensite erzeugt bei t = 16 h gegenüber dem Durchbruchpotential des Ausgangszustandes und des expanded martensite erzeugt bei t = 8 h TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 9 um den Faktor 3,5 erhöht (c w = 3,5 · c 0 ). Im Gegensatz wird die Stromdichte durch Gleitverschleiß bei den expanded martensite Varianten nur um den Faktor 1,9 erhöht (c w = 1,9 · c 0 ). Die Korrosionsgeschwindigkeit des expanded martensite ist im Gleitverschleiß deutlich geringer als bei den anderen untersuchten wärmebehandelten Zuständen. Beide erzeugten expanded martensite Varianten weisen insgesamt eine deutlich bessere Tribokorrosionsbeständigkeit auf als der Ausgangszustand und der niedrig angelassene Zustand des Stahls X54CrMoVN17-1. Die tribologischen und tribochemischen Eigenschaften des Ausgangszustands konnten durch die Randschichtbehandlung entsprechend deutlich verbessert werden. In Bild 7 sind die Ergebnisse der Gleitverschleißversuche ohne korrosiven Einfluss, mit kathodischer Polarisation der Probe, als Volumenverluste dargestellt. Der aus der Verschleißspur ermittelte Volumenverlust ist im Gleitverschleißversuch ohne korrosiven Einfluss deutlich geringer als bei den Tribokorrosionsuntersuchungen (vgl. Bilder 5 und 7). Bei dem erzeugten expanded martensite mit einer Randschichtbehandlungsdauer von t = 8 h ergibt sich eine Zunahme des Volumenverlus- Aus Wissenschaft und Forschung 10 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 fläche Risse sowie Ausbrüche zu erkennen, welche durch Tribokorrosion hervorgerufen werden (Bild 6). Durch den tribokorrosiven Angriff kommt es zu einem verstärkten Materialabtrag, welcher in einer höheren Verschleißspurtiefe resultiert (Bild 6 b). Bei den untersuchten expanded martensite Zuständen ist nach der Gleitverschleißversuchsdauer von 30 min die Randschicht nicht vollständig abgetragen (vgl. Bilder 2 und 6). Der niedrig angelassene Zustand des X54CrMoVN17-1 weist eine Härte von 680 ±15 HV0,002 (< expanded martensite) auf. Das Durchbruchpotential beträgt 170 mV in 0,9 % NaCl-Lösung und ist deutlich höher als bei den expanded martensite Varianten (vgl. Bild 4). Dennoch weisen die expanded martensite Varianten einen um ca. 50 % (t = 8 h) und ca. 30 % (t = 16 h) geringeren Volumenverlust bei Gleitverschleiß mit korrosivem Einfluss auf. Dies ist zum einen auf die verbesserte Tribokorrosionsbeständigkeit des expanded martensite durch die hohe Härte bei gleichzeitig guter Lochkorrosionsbeständigkeit zurückzuführen, zum anderen weisen die expanded martensite Varianten einen deutlich geringeren Anstieg der Stromdichte unter Gleitverschleiß auf. Die Stromdichte, als Maß für die Korrosionsgeschwindigkeit, wird durch Gleitverschleiß bei dem Ausgangszustand als auch bei dem niedrig angelassenen Zustand Bild 6: a) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen der Querschliffe der Verschleißspur des jeweiligen expanded martensite (t = 8 h und 16 h) nach dem Gleitverschleißversuch unter korrosivem Einfluss und b) entsprechende Höhenprofile der Verschleißspuren (CLSM) a) b) TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 10 tes durch angreifende (Tribo-) Korrosion um den Faktor 3,0, bei dem erzeugten expanded martensite bei t = 16 h beträgt der Faktor 4,5. Entsprechend ist der Einfluss der (Tribo-) Korrosion bei Gleitverschleiß signifikant. Im Gleitverschleißversuch ohne korrosiven Einfluss weisen die expanded martensite Varianten, aufgrund der deutlich höheren Härte, einen geringeren Volumenverlust auf als der Ausgangszustand und der niedrig angelassene Zustand. Im Vergleich zum Ausgangszustand konnte der Volumenverlust um ca. 80 % und zum niedrig angelassenen Zustand um ca. 64 % reduziert werden. Der geringfügig niedrigere Volumenverlust des erzeugten expanded martensites bei t = 16 h gegenüber des erzeugten expanded martensite bei t = 8 h ist auf den höheren N-Gehalt bei einer Randschichtbehandlungszeit von t = 16 h und der damit einhergehenden höheren Härte zurückzuführen. In Bild 8 ist die Verschleißspurtiefe der expanded martensite Varianten nach dem Gleitverschleißversuch dargestellt. Hieraus wird der geringere Materialabtrag durch eine reduzierte Verschleißspurtiefe des bei t = 16 h erzeugten expanded martensites ebenfalls ersichtlich. Zusammenfassung und Fazit Durch die Erzeugung von expanded martensite mittels Niedertemperaturplasmanitrieren konnte die Tribokorrosionsbeständigkeit des Stahls X54CrMoVN17-1 deutlich gesteigert werden. Der Volumenverlust aus der Verschleißspur bei tribokorrosivem Einfluss konnte, im Vergleich zum Ausgangszustand, um bis zu 70 % reduziert werden. Dies ist zum einen auf die hohe Härte bei gleichzeitig guter Lochkorrosionsbeständigkeit zurückzuführen, zum anderen ist die Zunahme der Korrosionsgeschwindigkeit durch Gleitverschleiß bei den expanded martensite Varianten deutlich geringer als bei dem Ausgangszustand und dem niedrig angelassenen Zustand. Eine hohe Tribokorrosionsbeständigkeit konnte bei dem bei t = 8 h erzeugten expanded martensite erzielt werden, da dieser sowohl eine hohe Härte als auch eine gesteigerte Lochkorrosionsbeständigkeit aufweist. Durch (Tribo-) Korrosion steigt der Volumenverlust der expanded martensite Varianten um den Faktor 3- 4,5 im Vergleich zum Aus Wissenschaft und Forschung 11 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 5/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0026 Bild 7: Gemessener Volumenverlust aus der Verschleißspur nach den Gleitverschleißversuchen in 0,9 % NaCl-Lösung ohne korrosiven Einfluss, mit kathodischer Polarisation der Probe Bild 8: Höhenprofil der Verschleißspuren des expanded martensite (t = 8 h und 16 h) nach dem Gleitverschleißversuch ohne korrosiven Einfluss (CLSM) TuS_5_2021.qxp_TuS_5_2021 10.12.21 11: 05 Seite 11 [9] T. Christiansen et al.: Mehr Verschleißschutz - Moderne, hocheffektive Gas-Prozesse für das Oberflächenhärten von Edelstählen. 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Aufgrund der vielversprechenden tribologischen und tribochemischen Eigenschaften des expanded martensites bei Gleitverschleiß ergibt sich ein hohes Potential, die Energieeffizienz und die Nachhaltigkeit von (Wälz-) Lagern durch längere Standzeiten zu erhöhen, da durch die kombinierte, gesteigerte Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit der Stähle die Entwicklung und der Einsatz mediengeschmierter, dichtungsfreier Lager ermöglicht werden kann. Danksagung Die Forschungsergebnisse wurden im Rahmen des Verbundprojekts „Poseidon II: Energieeffizienz durch Standzeiterhöhung von Lagern unter tribokorrosiven Betriebsbedingungen“ erzielt, welches vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im 6. Energieforschungsprogramm gefördert wird. Für die Förderung und Unterstützung sei an dieser Stelle gedankt. Literatur [1] B. Schlecht: Maschinenelemente 2 Getriebe-Verzahnungen-Lagerungen. Pearson Studium, München, 2010 [2] H. Berns, W. Theisen: Eisenwerkstoffe - Stahl und Gusseisen. 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