eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 68/6

Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2021-0035
121
2021
686 Jungk

Kavitationsdynamik in geschmierten Kontakten - Weiterentwicklung eines Modells mit Blasendynamik

121
2021
Thomas Geikehttps://orcid.org/0000-0002-2892-7444
Marc Hieke
Kavitation ist ein weit verbreitetes Phänomen in Gleitlagern und anderen geschmierten Kontakten. In geschmierten Kontakten können in Folge der Kavitationsdynamik kurzzeitig Zugspannungen im Schmierfilm auftreten. Diese Zugspannungen, bisher kaum hinsichtlich Dauer und Größenordnung bestimmt, werden mit einem Simulationsmodell aus Reynolds-Gleichung und Rayleigh-Plesset-Gleichung für die Abziehbewegung von Kreisplatte und Kugelkappe untersucht. Dabei wird, im Gegensatz zu früheren Modellen des Autors, die „dilatational viscosity“ in der Blasendynamik berücksichtigt. Die Zugspannungen sind praktisch relevant bei der Berechnung der Öffnungszeiten von Ventilen (Ölkleben). Es lässt sich zudem vermuten, dass die im Simulationsmodell auftretenden kurzzeitigen Zugspannungen auch in anderen Fällen auftreten und Einfluss auf Materialermüdung und Verschleiß der beteiligten Bauteile haben und damit praktisch relevant sind.
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Einführung und Problemstellung Kavitation ist ein typisches Phänomen in Strömungsmaschinen, Gleitlagern und in anderen geschmierten Kontakten. Dabei treten Zustände auf, in denen die strömende Flüssigkeit bzw. das Schmiermittel zeitweise diskontinuierlich werden. Es entsteht und vergeht ein Nebeneinander von Flüssigkeit und Hohlräumen [1,2]. Das Kavitation genannte Phänomen kann nach Gas- und Dampfkavitation unterschieden werden [3]. Kavitation tritt auf, wenn der Druck lokal einen bestimmten Grenzwert unterschreitet. Gaskavitation kann in belüfteten Schmiermitteln bei Drücken unterhalb des Umgebungsdrucks beobachtet werden. Die Hohlräume enthalten dann gelöste Gase. Dampfkavitation zeigt sich bei dynamischen Lastfällen, wenn der Druck unter den Dampfdruck fällt. In den Hohlräumen befindet sich dann Dampf der Schmierflüssigkeit. Dampfkavitation ist ein dynamischer Prozess; das Verdampfen geschieht nicht schlagartig. Bei der Berechnung der Tragfähigkeit von Gleitlagern ist Kavitation ein entscheidendes Phänomen. Entsprechend umfangreich ist die dazu vorhandene Literatur. In Aus Wissenschaft und Forschung 29 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 6/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0035 Kavitationsdynamik in geschmierten Kontakten - Weiterentwicklung eines Modells mit Blasendynamik Thomas Geike, Marc Hieke* Eingereicht: 22.7.2021 Nach Begutachtung angenommen: 21.1.2022 Dieser Beitrag wurde im Rahmen der 62. Tribologie-Fachtagung 2021 der Gesellschaft für Tribologie (GfT) eingereicht. Kavitation ist ein weit verbreitetes Phänomen in Gleitlagern und anderen geschmierten Kontakten. In geschmierten Kontakten können in Folge der Kavitationsdynamik kurzzeitig Zugspannungen im Schmierfilm auftreten. Diese Zugspannungen, bisher kaum hinsichtlich Dauer und Größenordnung bestimmt, werden mit einem Simulationsmodell aus Reynolds- Gleichung und Rayleigh-Plesset-Gleichung für die Abziehbewegung von Kreisplatte und Kugelkappe untersucht. Dabei wird, im Gegensatz zu früheren Modellen des Autors, die „dilatational viscosity“ in der Blasendynamik berücksichtigt. Die Zugspannungen sind praktisch relevant bei der Berechnung der Öffnungszeiten von Ventilen (Ölkleben). Es lässt sich zudem vermuten, dass die im Simulationsmodell auftretenden kurzzeitigen Zugspannungen auch in anderen Fällen auftreten und Einfluss auf Materialermüdung und Verschleiß der beteiligten Bauteile haben und damit praktisch relevant sind. Schlüsselwörter Kavitation, Mischreibung, Abziehexperiment, Blasendynamik, Ölkleben, Verschleiß, Negativer Druck Cavitation in lubricated contacts - revisiting a model with bubble dynamics Cavitation is a widespread phenomenon in journal bearings and other lubricated contacts. In lubricated contacts, tensile stresses can occur in the lubricant as a result of cavitation dynamics. These tensile stresses, hardly known with respect to duration and magnitude, are investigated with a simulation model consisting of Reynolds equation and Rayleigh-Plesset equation for the negative squeeze motion of circular plate and spherical cap. The tensile stresses are practically relevant in calculating the opening times of valves (oil stiction). It may assumed that the short-time tensile stresses occurring in the simulation model also occur in other cases and have an influence on material fatigue and wear of the components involved and are thus practically relevant. Keywords Cavitation, Mixed lubrication, Oil stiction, Negative squeeze motion, Bubble dynamics, Negative pressure, Wear Kurzfassung Abstract * Prof. Dr.-Ing. Thomas Geike ORCID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-2892-7444 Berliner Hochschule für Technik, Fachbereich VIII, Luxemburger Str. 10, 13353 Berlin, Marc Hieke 15344 Strausberg, derzeit Student der Mathematik an der Humboldt Universität Berlin TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 29 Weg zum eigentlichen Ziel - Simulation von Mischreibungszuständen zwischen Kontaktpartnern mit rauen Oberflächen unter Berücksichtigung der Kavitationsdynamik. Die Kugelkappe steht in erster Näherung auf einer kleineren Größenskala für die Asperiten der rauen Oberfläche. Experimentelle Befunde: Zugspannungen im Schmierfilm Das Vorhandensein von Zugspannungen ist seit mehr als einem halben Jahrhundert aus Experimenten bekannt. Die zeitabhängige Kavitation in einer einfachen Anordnung aus parallelen Platten wurde experimentell von Hays und Feiten [11], Parkins und May-Miller [12], Chen et al. [13], Wang et al. [14] und Sun et al. [15] untersucht. Hays und Feiten betrachteten den Fall konstanter Geschwindigkeit, während die anderen Gruppen den Fall periodischer Bewegung untersuchten. Die Experimente bestätigen, dass der Schmierfilm eine Zugspannung übertragen kann. Aufgrund der Zugspannungen kommt es zum Blasenwachstum und schließlich zur makroskopisch sichtbaren Störung der Kontinuität. In den Experimenten entsteht das Kavitationsgebiet in der Mitte und verschwindet dort auch. Alle Experimente konzentrieren sich auf die Charakterisierung der Kavitationsmuster; insbesondere werden keine Daten geliefert, mit denen sich numerische Untersuchungen hinreichend gut überprüfen ließen. Experimente unter praxisnahen Rahmenbedingungen haben gezeigt, dass Kavitation in Lagern, z. B. in Pleuellagern in Verbrennungskraftmaschinen, auftreten kann und dass dies mit teilweise erheblichen Schäden verbunden ist [16]. Numerische Simulation des Abziehexperiments Abziehexperiment für die Kreisplatte siehe Bild 1. Grundlagen Ein Simulationsmodell, das das Auftreten von Zugspannungen abbildet, muss die Dynamik des Blasenwachstums und -zerfalls berücksichtigen. Ausgehend von der Rayleigh-Plesset-Gleichung [17, 18] für den Blasenradius (1) und der Reynoldsgleichung für kompressible Fluide (2) können partielle Differentialgleichungen für die Dichte und den Druck im Abziehexperiment hergeleitet werden. Die Anordnung im Abziehexperiment und die verwendeten Variablen können Bild 1 entnommen werden; der Index liq in Gleichung (1) steht für den flüssigen Zu- m mz Œ  Ž  m mz  ‘ [ ’“” • [ q –—˜ • ™Q –—˜ q –—˜ m mz • ŽP q –—˜ š Z Z q› E Q Z[ Z ‘ šŽ› Zq Zz Œ šŽqœ Aus Wissenschaft und Forschung 30 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 6/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0035 bestimmten Situationen können in Folge der Kavitationsdynamik kurzzeitig Zugspannungen (negative Drücke) im Schmierfilm auftreten. Diese Zugspannungen sind bisher kaum hinsichtlich Dauer und Größenordnung untersucht. Für die meisten Lagerberechnungen sind die kurzzeitig vorhandenen Zugspannungen nicht relevant; insofern wird mit „Druck gleich Null“ gerechnet, wenn immer kein positiver Druck vorliegt. Bei Haftproblemen in geschmierten Kontakten (Ölkleben, Oil Stiction) werden die Zugspannungen im Schmierfilm beim Trennen zweier Oberflächen notwendigerweise berücksichtigt [4, 5, 6, 7]. Es lässt sich vermuten, dass die kurzzeitigen Zugspannungen auch in anderen geschmierten Kontakten Einfluss auf Materialermüdung und Verschleiß der beteiligten Bauteile haben und damit über das Ölkleben hinaus praktisch relevant sind. Für eine Abbildung der Kavitationsdynamik mit Zugspannungen in einem Simulationsmodell muss neben der Reynolds-Gleichung eine Gleichung für die Blasendynamik herangezogen werden. Eine Möglichkeit ist hierbei die Nutzung der Rayleigh-Plesset-Gleichung. Ein erstes Modell, das Reynolds-Gleichung und eine einfache Gleichung für die Blasendynamik zur Simulation von Kavitation in geschmierten Kontakten verbindet, wurde von Someya vorgestellt [8]. Ausführlich wurde die zeitliche Dynamik des Blasenwachstums und die Drücke und Kräfte beim Abziehexperiment von Geike und Popov [9] untersucht. Im Modell von Geike und Popov und den zugehörigen Simulationsrechnungen für das Abziehexperiment der Kreisplatte blieben im Wesentlichen drei Fragen offen [10]. 1. Wie kann die numerische Stabilität auch für die Kugelkappe (endlicher Krümmungsradius) erreicht werden? 2. Wie groß ist die charakteristische Zeit für den Abfall der Zugspannungen im Abziehexperiment? 3. Welche experimentellen Daten stehen für eine Modellvalidierung bzw. eine Parameteridentifikation zur Verfügung? Anknüpfend an die früheren Arbeiten des Autors (Geike) wird ein Modell aus Reynolds-Gleichung und Rayleigh- Plesset-Gleichung weiter untersucht. Dabei steht die Abziehbewegung für eine Kreisplatte und eine Kugelkappe im Vordergrund. Es wird gezeigt, dass das Hinzufügen eines weiteren Terms (Dilatationsviskosität bzw. in den englischen Veröffentlichungen als dilatational viscosity bezeichnet) einen großen Einfluss auf die Dynamik des Blasenwachstums und die charakteristische Zeit des Abfalls der Zugspannungen hat. Zudem wird gezeigt, dass mit der modifizierten Rayleigh-Plesset-Gleichung für beide Fälle - die Kreisplatte und die Kugelkappe - numerisch stabile Simulationsmodelle folgen. Die Untersuchung der Kugelkappe ist nur der erste Schritt auf dem TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 30 stand, der Index vap für den gasförmigen. Die räumliche Diskretisierung der partiellen Differentialgleichungen mit der DQ-Methode [19] führt auf ein System aus Differential- und algebraischen Gleichungen, das mit einem DAE-Löser (DAE…Differential algebraic equations) gelöst wird. Dieser Ansatz für das Kavitationsproblem in Schmierfilmen im Abziehexperiment wurde in [9, 20] erstmalig dargestellt und z. B. später von Husen et al. [21] in Kombination mit einem Finite Elemente Modell benutzt. Das Simulationsmodell von Geike und Popov war im Ansatz durch die Arbeiten von Sauer zur Kavitation in Strömungsmaschinen [22] inspiriert. Die Arbeit von Someya [8] war den Autoren zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Praktisch zeitgleich haben Gehannin et al. [23] ein ähnliches Modell für die Simulation von Quetschfilmdämpfern (Squeeze film dampers) entwickelt und mit den experimentellen Ergebnissen von Adiletta und Pietra [24] verglichen. Ähnliche Modelle für die Berechnung von Gleitlagern sind in der Folge bei Snyder et al. [25] und Braun et al. [26] zu finden. Für Gleitlager gibt es zudem von Jaramillo et al. [27] mathematische Untersuchungen zur numerischen Stabilität, die einen Hinweis auf die Relevanz der Dilatationsviskosität geben. Die Rayleigh-Plesset-Gleichung (1) beschreibt das Verhalten einer einzelnen kugelförmigen Blase in einem inkompressiblen Fluid unendlicher Ausdehnung. Sie gilt für das Wachstum der Blase in der ersten Phase, in der mechanische Effekte dominieren: Trägheit, Druckdifferenz, Viskosität und Oberflächenspannung. Die Modellierung der Kavitation mittels Blasenwachstum unterstellt, dass sich die Blasen im Schmierfilm weit genug voneinander entfernt befinden, damit Gleichung (1) anwendbar ist. Es werden nicht einzelne Blasen, charakterisiert durch Position und Radius, beschrieben. Stattdessen wird im Rahmen einer kontinuierlichen Beschreibungsweise einem Ort, genauer einer radialen Koordinate, eine Dichte bzw. ein Gasanteil zugeordnet. Zwischen Dichte und Gasanteil besteht der Zusammenhang (3) Entsprechend gilt für die Zeitableitung (4) Formal wird über (5) jedem Ort ein Blasenradius zugeordnet. Aus der Rayleigh-Plesset-Gleichung (1) folgt die zeitliche Entwicklung des Blasenradius und damit die zeitliche Entwicklung der Dichte. Wie numerische Experimente zeigen, liefert ein auf Gleichung (1) basierendes Simulationsmodell extrem kurze Zeiten für den Druckabfall und numerische Stabilitätsprobleme für die Kugelkappe [9, 10]. Es zeigt sich, dass das Hinzufügen eines zusätzlichen Terms (Dilatationsviskositätsterm, siehe [8]) beide Probleme löst. Der zusätzliche Term in (1) lautet (6) Someya verweist in seinen Erläuterungen zur Dilatationsviskosität auf den Marangoni-Effekt, eine konvektive Instabilität, die durch Oberflächenspannungs-Gradienten entsteht. Wenn eine Blase unter Zugspannungen q ‘ q žŸ- Œ ¡š • ¢q –—˜ Zq Zz ‘ Z Zz `q žŸ- • q –—˜ d ‘  ™£e N  š •  ¤ • ™¥ q liq m mz Aus Wissenschaft und Forschung 31 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 6/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0035 Bild 1: Abziehexperiment für die Kreisplatte: Anordnung und verwendete Variablen TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 31 die äquidistant zwischen Anfangs- und Endzeit verteilt sind. Die Kreise auf den Kurven zeigen die räumliche Diskretisierung (im abgebildeten Fall mit 11 Punkten). Die Schmierfilmdicke beträgt zu Beginn 1 % des Plattenradius. Das System startet mit der theoretischen Druckverteilung ohne Kavitation (unterste Kurve in Bild 2, vergleiche die Herleitungen in [29]). Wohlgemerkt: Die Druckverteilung wird nicht als Anfangsbedingung vorgegeben, sondern ergibt sich im Rahmen der Lösung des DAE- Systems aus der gegebenen konstanten Verteilung des Gasanteils. Mit zunehmender Zeit sinkt die Zugspannung immer weiter ab. Der massive Abfall der Zugspannung geschieht in einer Zeit von der Größenordnung 0,1 Millisekunde. In den ersten 400 Zeiteinheiten der dimensionslosen Zeit (das entspricht 0,14 Millisekunden) fällt der Druck in der Mitte von -300 bar auf ca. -1,4 bar. Für den Druck ergibt sich für einen weiten Bereich des anfänglichen Gasanteils kein nennenswert anderes Bild (ganz im Gegensatz zu früheren Berechnungen). Die Dichte ändert sich während der Phase des rapiden Abfalls der Zugspannung nicht wesentlich (vergleiche dazu [30]). Bild 3 zeigt die dimensionslose Kraft, die für die Aufrechterhaltung der konstanten Abziehgeschwindigkeit notwendig ist. Der Abfall der Kraft auf 1 % des Startwertes erfolgt innerhalb von 0,13 Millisekunden. In den früheren Simulationen erfolgt der Druckabfall in einem Zeitintervall von der Größenordnung 0,035 Mikrosekunden [9]. In den neuen Simulationen unter Berücksichtigung der Dilatationsviskosität erfolgt ein vergleichbarer Druckabfall ca. 1000fach langsamer! Die nun beobachteten charakteristischen Zeiten des Zugspannungsabfalls in der Größenordnung von 0,1 Milli- Aus Wissenschaft und Forschung 32 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 6/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0035 wächst, bremst die Dilatationsviskosität das Wachstum. In der vorliegenden Arbeit wurde der entsprechende Zahlenwert von Gehannin et al. [23] übernommen. Dort wird zudem auf die Schwierigkeit verwiesen, experimentelle Daten für die Dilatationsviskosität in der Literatur zu finden. Für die folgenden numerischen Simulationen werden alle Variablen dimensionslos gemacht. Die Referenzzeit sei (7) Alle Längen werden auf den Plattenradius bezogen. Für den Druck ist der Umgebungsdruck die Bezugsgröße. In Gleichung (1) werden zudem der Trägheitsterm mit der zweiten Zeitableitung und der Oberflächenenergieterm für die numerische Simulation vernachlässigt. Simulation für die Kreisplatte Das in Bild 1 gezeigte Abziehexperiment (negative squeeze motion) soll im Detail untersucht werden. Eine Kreisplatte wird im einfachsten Fall mit konstanter Geschwindigkeit nach oben gezogen. Am Außenrand der Platte herrscht stets Umgebungsdruck. Diese einfache Anordnung wird von Bodeo und Booker [28] mit der Finite Elemente Methode und einem sehr einfachen Kavitationsmodell untersucht. Praktische Bedeutung hat die Anordnung für die Untersuchung des Haftverhaltens geschmierter Kontakte (Ölkleben), wie es z. B. bei der Simulation schnell öffnender Ventile relevant ist. Bild 2 zeigt exemplarisch Simulationsergebnisse für die Kreisplatte. Die radiale Druckverteilung während des Abziehvorgangs ist mit der Zeit als Scharparameter im Diagramm dargestellt. Die Kurven gehören zu Zeiten, ¦§¨ ‘ Q –—˜ [ Ÿ©ª Bild 2: Simulationsergebnis für die Kreisplatte: radiale Druckverteilung bei der Abziehbewegung in Abhängigkeit von der Zeit (Scharparameter) TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 32 sekunde passen zu den von Resch und Scheidl [4] berichteten Zeiten. Die charakteristische Zeit in der Größenordnung 0,1 Millisekunde passt zudem besser zu den oben erwähnten qualitativen experimentellen Befunden aus früheren Jahrzehnten. Simulation für die Kugelkappe Die nächstkompliziertere Situation nach der Kreisplatte ist die Kugelkappe. Die Simulation der Kugelkappe ist u. a. für das Verständnis des Verhaltens von rauen Oberflächen hilfreich. Für den lokalen Abstand der Körper gilt im Fall der Kugelkappe (Krümmungsradius R K ) (8) Im Wesentlichen sind die Simulationsmodelle für Kreis- und Kugelkappe gleich. Wie bereits erwähnt, war im ursprünglichen Modell des Autors die Simulation der Kugelkappe aufgrund nicht lösbarer Probleme mit der nu- «--® ¯ «-±® ² - ³´ µ ³ merischen Stabilität unmöglich. Durch die Einführung des zusätzlichen Terms in der Rayleigh-Plesset-Gleichung ist die numerische Stabilität jetzt gegeben. Bild 4 zeigt exemplarisch Simulationsergebnisse für den Druck für den Fall, dass der Kugelradius das Zwanzigfache der Länge L beträgt. Ähnlich wie bei der Kreisplatte erfolgt der Abfall der Zugspannungen innerhalb der Zeit von der Größenordnung 0,1 Millisekunde. Das Niveau der Zugspannungen ist verständlicherweise niedriger als bei der Kreisplatte, weil mit Ausnahme des inneren Punktes alle anderen Punkte der Kugelkappe einen größeren Abstand zur Grundplatte haben als im Fall der Kreisplatte. Prinzipiell lässt sich auf diesem Wege eine aus Kugelkappen modellierte oder auch jede beliebige raue Oberfläche simulieren. Auch ohne weitere Simulationen lässt sich erahnen, dass die Berechnung der Kavitationsdynamik für den gesamten Kontaktbereich und für alle Zeiten mit dem vorgestellten Modell sehr rechenintensiv ist. Stattdessen wird man in der Simulation die Berechnung der Kavitationsdynamik auf die zu jedem Zeitpunkt relevanten räumlichen Bereiche und die notwendigen Zeitintervalle beschränken. Simulation für längere Zeiträume Die anfänglich hohen Zugspannungen verschwinden innerhalb kurzer Zeit (hier ca. 0,1 Millisekunde). Nach dieser Phase kann die zeitliche Entwicklung der Dichteverteilung mit einem einfacheren Modell ohne Blasendynamik berechnet werden. Boedo und Booker [28] lösen die kompressible Reynoldsgleichung unter Berücksichtigung eine Nebenbedingung für den Phasenübergang. Negative Drücke können in diesem Modell generell nicht auftreten. Die FEM-Formulierung und der Kavitationsalgorithmus, auf die sich die beiden stützen, ist der Arbeit von Kumar und Booker [31] entnommen. In jedem Zeitschritt erfolgt eine Partitionierung in Flüssigkeitsgebiet und Kavitationsgebiet. Das Flüssigkeitsgebiet muss ein weiteres Mal partitioniert werden, in ein Gebiet, in dem der Druck größer als der Dampfdruck ist und somit die Dichte konstant ist, und in ein weiteres Gebiet, in dem der Druck den Dampfdruck erreicht hat und die Dichte (im nächsten Zeitschritt) abnimmt. Für die zweite Partitionierung schlagen die Autoren einen iterativen Algorithmus vor, bei dem Knoten zwischen den Gebieten hin und her getauscht werden, bis alle Bedingungen erfüllt sind. Aus Wissenschaft und Forschung 33 Tribologie + Schmierungstechnik · 68. Jahrgang · 6/ 2021 DOI 10.24053/ TuS-2021-0035 Bild 3: Gesamtkraft beim Abziehexperiment als Funktion der Zeit Bild 4: Simulationsergebnis für die Kugelkappe: radiale Druckverteilung bei der Abziehbewegung in Abhängigkeit von der Zeit (Scharparameter) TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 33 diskretisiert werden. Raue Oberflächen können daher mit feinen Netzen diskretisiert werden. Für Kontaktprobleme ergibt sich häufig eine höhere numerische Effizienz im Vergleich zu Verfahren, die das gesamte Volumen diskretisieren. Alternativ kann untersucht werden, inwieweit die Methode der Dimensionsreduktion [35, 36] für den geschmierten Kontakt angewendet werden kann. Erste Überlegungen dazu wurden bereits durch Geike [33] skizziert. 2. Effekt der kurzzeitigen Zugspannungen in Schmierfilmen auf die Materialermüdung und den Verschleiß: Die beschriebenen Effekte von kurzzeitig auftretenden Zugspannungen sind mindestens beim Ölkleben praktisch relevant. In welchem Maße die Zugspannungen zur Materialermüdung und zu Verschleiß beitragen, ist experimentell zu klären. Literatur [1] Prandtl L.: Strömungslehre, Friedr. 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Das Modell mit Blasendynamik wird für die kurzen Zeiten, in denen Zugspannungen auftreten genutzt. Für alle anderen Zeitpunkte wird das vereinfachte Modell aus Reynoldsgleichung und Phasenübergangsbedingung genutzt. Auf diese Weise kann bei längeren Simulationen erheblich an Rechenleistung eingespart werden bzw. die Berechnungszeiten deutlich verringert werden. Fazit Ein Modell zur Berechnung der Kavitationsdynamik und den damit einhergehenden Zugspannungen in geschmierten Kontakten wurde weiterentwickelt. Ziel war die Klärung offener Fragen zur Zeitskala, auf der der Abfall der Zugspannungen im Abziehexperiment erfolgt, und zur numerischen Stabilität bei der Kugelkappe. Es zeigte sich, dass die Erweiterung der Rayleigh- Plesset-Gleichung um einen Summanden (mit der Dilatationsviskosität) sowohl die charakteristische Zeit als auch die numerische Stabilität beeinflusst. Die charakteristische Zeit für den Abfall der Zugspannungen ist im erweiterten Modell deutlich größerer als im früheren Modell und passt besser zu experimentellen Erfahrungen, z. B. aus dem Kontext des Ölklebens. Die numerischen Stabilitätsproblem für die Kugelkappe sind gelöst. Aus heutiger Sicht sind zwei Hauptrichtungen der weiteren Forschung am dringendsten. 1. Simulation des elasto-hydrodynamischen Problems zwischen rauen Oberflächen unter Berücksichtigung der Kavitationsdynamik: Das kann sowohl direkt über das beschriebene Modell aus Reynolds- und Rayleigh-Plesset-Gleichung erfolgen als auch über den Zwischenschritt einer kinetischen Gleichung für die Abzugskraft je Kugelkappe (siehe dazu die Ausführungen von Geike und Popov in [33]). Für eine stochastische Kappenverteilung muss untersucht werden, ob die Wechselwirkungen und das Verschmelzen einzelner Blasen berücksichtigt werden muss und wie dies ggf. geschehen kann. Für die Simulation des elastischen Teils kann die Randelementemethode genutzt werden [34]. Bei der Randelementemethode muss lediglich die Oberfläche TuS_6_2021.qxp_TuS_Muster_2021 02.02.22 17: 17 Seite 34 [15] Sun M, Zhang Z, Chen X, Wang W, Meng K, Sun D C.: Experimental study of cavitation in an oscillatory oil squeeze film. Tribol. Trans., 2008, 51, 341-350 [16] Optasanu V, Bonneau D.: Finite element mass-conserving cavitation algorithm in pure squeeze motion - validation/ application to a connecting-rod small end bearing, ASME J. Tribol., 2000, 122, S. 162-169 [17] Plesset M S, Prosperetti A.: Bubble dynamics and cavitation, Annu. Rev. Fluid Mech., 1977, 9, S. 145-185 [18] Feng Z C, Leal L G.: Nonlinear bubble dynamics, Annu. Rev. 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