eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 70/eOnly Sonderausgabe 2

Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.24053/TuS-2023-0041
121
2023
70eOnly Sonderausgabe 2 Jungk

Wie klebrig sind Schmierfette?

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2023
Thomas Rieling
In vielen aktuellen Veröffentlichungen, und besonders durch die Entwicklung eines Messgerätes allein zu diesem Zweck, ist die Suche nach einer zuverlässigen Messmethode für die Klebrigkeit von Schmierfetten dokumentiert worden. Zunächst erfolgt ein Überblick über interessante Veröffentlichungen zum Thema und die Beschreibung des praktischen Bezugs, aber auch eine Diskussion über die Bedeutung des Begriffs Klebrigkeit im Zusammenhang mit Schmierfetten. Es werden aktuelle Messverfahren erläutert und Ergebnisse für unterschiedliche Schmierfette verglichen, um den Zusammenhang zu deren Struktureigenschaften sowie zu bekannten rheometrischen Methoden der DIN51810 herzustellen. Die Messmethodik erscheint für die Bestimmung einer maximalen Zugkraft gut geeignet, die im Messmoment ein Gleichgewicht zwischen Adhäsion und Kohäsion darstellt, wirft aber auch Fragen auf hinsichtlich Aussagen über die Trennarbeit und den Fadenzug und hinsichtlich der allgemeinen Fragestellung, ob eine Normung sinnvoll sein könnte.
tus70s20010
 Energiebilanzierung in Wälzlagern durch Untersuchung des Kohäsionsverhaltens [1], [2]  Verlustleistungen, die durch den Schmierstofftransport außerhalb des Reibkontaktes entstehen [2]  Zugkräfte, die ungezielt zwischen Maschinenelementen übertragen werden, besonders in kleinen Aggregaten z. B. in der Robotik [2], [3]  Verteilung von Schmierfetten in Aggregaten wie Getrieben oder in offenen Systemen wie an den Flanken von Eisenbahnschienen [4]  Umfang und Beständigkeit von erwünschten und unerwünschten Anhaftungen auf Oberflächen von Maschinenelementen [4], [5] [8]  Aufklärung der Mechanismen des Kohäsionsbruchs [4], [5]  Verbesserung des Widerstandes gegen Wasser [8]  Entwicklung einer zuverlässigen Messmethodik für die Qualitätskontrolle [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10] Aus Wissenschaft und Forschung 10 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Einleitung Im Zeitraum der vergangenen Dekade hat der Begriff „Klebrigkeit“ in Zusammenhang mit Schmierfetten an Interesse bei Herstellenden und Anwendenden gewonnen. Ausgehend von sehr individuellen Prüfmethoden wie im einfachsten Fall einem Test zwischen Daumen und Zeigefinger, mit dem eine Probe auseinandergezogen und der empfundene Widerstand bewertet wird, ist die Suche nach standardisierten Prüfmöglichkeiten intensiver geworden. Mit einer Methode zur Bewertung der Klebrigkeit von Schmierfetten hoffen Herstellende, einen weiteren Bezug zwischen rheometrischen Ergebnissen und praktischen Eigenschaften zu gewinnen und in der Folge Produkte mit noch verlässlicheren Eigenschaften anbieten zu können. Es können zum Beispiel folgende Themen beeinflusst werden: Wie klebrig sind Schmierfette? Thomas Rieling* In vielen aktuellen Veröffentlichungen, und besonders durch die Entwicklung eines Messgerätes allein zu diesem Zweck, ist die Suche nach einer zuverlässigen Messmethode für die Klebrigkeit von Schmierfetten dokumentiert worden. Zunächst erfolgt ein Überblick über interessante Veröffentlichungen zum Thema und die Beschreibung des praktischen Bezugs, aber auch eine Diskussion über die Bedeutung des Begriffs Klebrigkeit im Zusammenhang mit Schmierfetten. Es werden aktuelle Messverfahren erläutert und Ergebnisse für unterschiedliche Schmierfette verglichen, um den Zusammenhang zu deren Struktureigenschaften sowie zu bekannten rheometrischen Methoden der DIN51810 herzustellen. Die Messmethodik erscheint für die Bestimmung einer maximalen Zugkraft gut geeignet, die im Messmoment ein Gleichgewicht zwischen Adhäsion und Kohäsion darstellt, wirft aber auch Fragen auf hinsichtlich Aussagen über die Trennarbeit und den Fadenzug und hinsichtlich der allgemeinen Fragestellung, ob eine Normung sinnvoll sein könnte. Schlüsselwörter Klebrigleit, Tackiness, Stickiness, Separationsenergie, Fadenziehen, Tacktest, Adhäsionskräfte, Kohäsion, Rheometer How sticky are lubricating greases? In many works and by development of a corresponding measuring device, the search for a reliable measuring method for the stickiness and tackiness of lubricating greases is documented. First, there is an overview of interesting publications on the subject, a description of the practical significance, but also a discussion of the meaning of the terms stickiness and tackiness in connection with lubricating greases. Current measurement methods are explained and results for different lubricating greases are compared in order to establish the connection to their structural properties as well as to known rheometric methods of DIN51810. The measurement methodology appears to be well suited for determining a maximum separation force, which represents a balance between adhesion and cohesion at the moment of measurement, but also raises questions with regard to statements about the separation work and the thread pull and with regard to the general question of whether standardization could be useful. Keywords Stickiness, separation energy, tacktest, adhesion forces, cohesion, rheometer Kurzfassung Abstract * Dipl.-Ing. Thomas Rieling HAW Hamburg, Maschinenbau und Produktion Berliner Tor 5, 20099 Hamburg Da die DIN 51810 die Prüfung der rheologischen Eigenschaften von Schmierfetten beschreibt, liegt es nahe, dass im Norm-Arbeitskreis (DIN-AK) über eine Methodenentwicklung zur Bestimmung der Klebrigkeit diskutiert und begleitende Studien durchgeführt werden. Im Tribology Research Center, TREC, des Departments Maschinenbau und Produktion der HAW Hamburg wurde kurz zuvor eine Methodik für Untersuchungen an Modellfetten eingesetzt - und zwar im Rahmen von Arbeiten für das DGMK-Projekt 810 zur „Vorhersage der Eignung von Wälzlagerfetten in der Robotertechnik“ - um Wechselwirkungskräfte zwischen Schmierfetten und Wälzlagerbauteilen einschätzen zu können. [2], [3] Daran anknüpfend entstanden die im weiteren dargestellten Ergebnisse und Vergleiche. Was ist „Klebrigkeit“? DIN EN 923 beschreibt einen Klebstoff als einen „nichtmetallischen Stoff, der Fügeteile durch Flächenhaftung und innere Festigkeit (Adhäsion und Kohäsion) verbinden kann“. Als Klebschicht wird allgemein die abgebundene feste Klebstoffschicht verstanden, für deren Prüfung unter verschiedensten mechanischen Beanspruchungen eine Menge genormter Prüfverfahren zur Verfügung stehen. Allgemein findet man in der technischen Welt Übereinstimmung darin, dass Klebrigkeit von Adhäsion, Kohäsion und der Viskosität beeinflusst ist: eine hochviskose Substanz läuft nur langsam an Oberflächen ab, haftet dort durch innere und äußere Reibungskräfte. Kohäsive und viskose Eigenschaften von Schmierfetten werden schon lange an Rheometern mit Scher- oder Deformationsversuchen bestimmt - es ist nun der Versuch, auch das Phänomen Adhäsion mit Messdaten m Rheometer zu beschreiben. Adhäsive Eigenschaften sind nur selten getrennt messbar. Popov gibt folgende Kriterien für adhäsiv bestimmte Vorgänge an [12]:  Sehr glatte Oberflächen  Einer der Kontaktpartner besteht aus einem sehr weichen Material wie Gummi oder biologischen Strukturen (oder eben einem Schmierfett)  Es handelt sich um mikroskopische Systeme, in denen Adhäsionskräfte grundsätzlich von großer Bedeutung sind, verglichen mit Volumenkräften wegen verschiedener Skalierung der Volumen- und Oberflächenkräfte (mikromechanische Geräte, Atomkraftmikroskope … u. ä.) Adhäsionskräfte sind relativ kleine Bindungskräfte in Grenzschichten zwischen Dipolen, durch Wasserstoffbrücken oder - hier nicht relevant - durch den Austausch von Elektronen (chemisch) mit sehr großen Bindungsenergien. Die Reichweiten liegen unter 1 nm und sind somit abhängig von der gegenseitigen Benetzung, also von den Oberflächenspannungen und -energien der beteiligten Stoffe [13]. Im Englischen stehen dem die Begriffe „Tackiness“ und „Stickiness“ gegenüber, leider mit nicht ganz identischen Vorstellungen: Tackiness ist …  … „die dritte notwendige Kraft, die einem Klebstoff Klebkraft verleiht. Sie wirkt unter minimalem Druck bei minimaler Kontaktzeit“ („Anfassklebkraft“) [14].  … „beschrieben als die Fähigkeit…, Fasern oder Fäden auszubilden“ [4], [7].  … „ist die Energie, die benötigt wird, um Fäden eines Fettes von einer Oberfläche zu ziehen“ [6].  … „Fadenzug“ [10]  … „Eigenklebrigkeit, Autohäsion …“ [15] Stickiness ist …  … „Adhäsion, die die Fähigkeit eines Fettes beschreibt, an einer Oberfläche zu kleben und zu einer Abziehraft in Beziehung steht“ [7].  … „Adhäsion“ [10]  … „Klebrigkeit“ [15] Im DIN-AK wurde sich mit Blick auf eine mögliche Normung inzwischen darauf geeinigt, aus Klebrigkeitstests an Schmierfetten drei beschreibende Größen zu erfassen: - die maximal auftretende Zugkraft F N (N) - die maximal entstehende Fadenzuglänge (mm) - die Trennenergie (mJ) Aktuell diskutierte Messverfahren Die Suche nach einem standardisierten Messverfahren führt inzwischen durchgehend zu Annäherungs-Rückzug-Varianten, die meistens als Platte-Platte-Geometrie oder durch eine eintauchende Kugel an Rheometern oder anderen Geräten mit Kraft-Weg-Messtechnik in Normalrichtung realisiert werden. Das Indenterprinzip ist aktuell mit dem „Tackiness Adhesive Analyser“ am weitesten entwickelt und steht unmittelbar vor der Umsetzung in eine ASTM [15]. Am Beispiel der inzwischen von Falex Tribology in ein kommerzielles Prüfgerät umgesetzten Methode ist in Bild 1 der Ablauf eines Tests beschrieben, bei dem ein Indenter in die Probe taucht. Mit einem adaptierbaren Autosampler können bereits automatisiert Messungen durchgeführt werden. Aus Wissenschaft und Forschung 11 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 minimum und die Distanz bis zum Abriss der Probe bestimmt und ausgewertet werden - siehe Bild 3. Der Bereich A beschreibt die zum Herstellen eines definierten Probenkontaktes erforderliche Deformationsarbeit, während der Bereich B der Arbeit entspricht, die zur rein elastischen Verformung aufgewendet wird. Die Arbeitsbeträge A und B können am Rheometer aufgrund der kurzen Zeitintervalle im Versuchsablauf (bisher) nicht sicher bestimmt werden. Aus Wissenschaft und Forschung 12 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Verschiedene andere Anwendende setzen bekannte Rheometertechnik ein, mit ähnlichen Abläufen und Auswertungen wie in Tabelle 1 gezeigt: Mit Rheometern wird aktuell häufig das in Bild 2 dargestellte Verfahren genutzt. Aus dem Versuchsablauf können ein Zugkraftmaximum (Betrag), eine Trennarbeit als Integral des Flächenbereichs C ab dem Zugkraftmaximum bis zum Zugkraft- Bild 1: Test-Schema am „Tackiness Adhesive Analyser“ 1 Start, kontaktlos 2 Kontakt mit Normalkraft- Limit F N 3 Zug mit konstanter Geschwindigkeit v über F Nmax bis zum 4 Fadenriss Studien: Internationale Universitäten und Lafarge Centre de Recherche Thermo Fisher Shell K. U. Leuven Falex Corporation Klüber Rhenus Schaeffler (DIN-AK) University of Sheffield HAW HH TU Clausthal Thermo Fisher Netzsch TH Nürnberg (DIN-AK) HAW HH (DIN-AK) Jahr: 2011 2014 2018 ff 2019 2019 2021 2022 2023 Quelle [5] [8] [6],[7] [9] [4] [3] [10] Proben drucksensitive, hochgefüllte Zementkleber Wälzlagerfette mit / ohne Tackifier Schmierfette u. a. DIN-AK Modellfette mit Tackifiern Schienenschmierfett Wälzlagerschmierfette DIN-AK neue Modellfette DIN-AK neue Modellfette, Schmierfette u. a. Fluide Gerät Rheometer mit Normalkraftsensor Capillary Breakup Rheometer Tackiness Adhesive Analyser Rheometer mit Normalkraftsensor Modifiziertes Tribometer mit N F -Sensor Rheometer mit Normalkraftsensor Rheometer mit Normalkraftsensor Rheometer mit Normalkraftsensor Geometrie PP40 PP6 Indenterkugel 3 mm PP25 PP29 PP25 PP15 und Indenterkugel 12,7 mm PP25 Befüllung h: 0,5...1,5 bereinigt h: 1 mm eintauchend h: 1...4 mm, bereinigt < 1 mm h: 2 mm, bereinigt h: 1 mm, bereinigt oder 0,5 mm zur Probe h: 1 mm, bereinigt Temperatur n. b. n. b. Umgebung … 100 °C 25°C Umgebung 20, 40, 80°C 25 °C 1, 20, 40, 80°C Ruhephase n. b. n. b. 3 s 100 s 10 s 900 s 180 s 900 s Druck automatisch automatisch 50 mN 5…10 N (5 .. 50 s) 2…4 N 0,01 mm/ s (10s) 10 N automatisch Zug f(v) (mm/ s) 0,01…0,6 3 … 100 mm/ s 0,1…5 mm/ s 5…8 mm/ s 0,1…0,25 mm/ s 0,1 mm/ s 0,5 mm/ s 0,1 mm/ s Zug f(F N ) (N) nein nein nein konst. 5 N nein nein nein nein Forschungsaspekte Trennmechanik Zusammenhang zum Scher- Fließverhalten Fadendicke per Laser, Basisöl-Einfluss, v-Einfluss Abhängigkeit von der Methodik: v, T, F N Reproduzierbarkeit Abhängigkeit zur Oberfläche, F N -Messprofil Trennmechanik Einfluss von Walken, Rauheiten, Anpresskraft Zusammenhang zum Scher- Deformationsverhalten Geräteeinfluss auf Vergleichbarkeit, Tests mit Kugelsystem, FN Widersprüche zur Praxis Zusammenhang zum Scher- Deformationsverhalten Tabelle 1: Studien zur Messmethodik Probenauswahl Für die Bewertung der Messmethode wurden die in Tabelle 2 aufgelisteten Proben aus einer aktuellen Studie im DIN-AK sowie Produkte mit signifikanten Eigenschaften zusammengestellt. Ergebnisse I: Vergleichbarkeit Die „DIN“-Proben wurden in dieser Studie unter etwas abweichenden Bedingungen getestet und in die vorliegenden Ergebnisse in Bild 4 mit der gezeigten Korrektur eingeordnet: Somit ist eine gute Vergleichbarkeit gegeben, die für die Proben 2, 3, 4 dieselben Tendenzen zeigt; für Probe 1 ergeben sich geteilte Tendenzen. In Bezug auf die gemäß Bild 3 berechneten und in Bild 5 dargestellten Trennarbeiten passt eine Korrektur mit W sep (20 °C, PP25) ≈ 2 ▪ W sep (25 °C, PP15) gut. Aber der mathematische Zusammenhang ist unklarer als in Bild 4, da einerseits die Ergebnisse der Fadenzuglängen enthalten sind und andererseits die Normalkraft- Aus Wissenschaft und Forschung 13 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Bild 2: Test-Schema am Rheometer mit Platte-Platte-Geometrie Bild 3: bevorzugte Auswertungen im Rheometerversuch Abbildung 2a Wälzlagerfett während Schritt 5 Abbildung 2a Wälzlagerfett während Schritt 5 funktionen zwar oft F N (d) = k ▪ d -p folgen; jedoch der Exponent analog zu Scherverdünnungszahlen eine gewisse Streuung zeigt (hier 1,6 … 2,3). Diese Auswertung brachte insgesamt keine klaren Tendenzen hervor, obwohl andere Untersuchungen [17] gerade die Trennenergie als Maß für Tackiness sehen. Aus Wissenschaft und Forschung 14 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Grundöl-Visk. (mm 2 / s), 40 °C 1 DIN1 Li 2 EST 55 0 2 DIN2 PH 1 MIN 5200 0 3 DIN3-t CaS-X 1 EST 1000 2 (tackified) 4 DIN4 AO 0 EST 12 -1 5 PAO-Li-1-50 Wälzlagerfett Li 1 PAO 50 0 6 PAO-Li-2-50 Wälzlagerfett Li 2 PAO 50 0 7 Getriebefett Li+Ca 00 EST 320 1 8 Silikon-Fluid Molekül-Ww. Si-Öl 100000 1 9 Honig div. Zucker H 2 O < 1 2 10 Knetgummi- Radierer Molekül-Ww. Füllstoffe Polybutadien >> -2 Nr Bezeichnung Verdicker NLGI-Klasse Grundöl Proben Darstellung in Grafiken subjektives Haftvermögen Tabelle 2: Probenübersicht Fa. Thermo Fisher Fa. Netzsch TH Nürnberg HAW Hamburg A PP25 / A PP15 = (25mm/ 15mm) 2 F N (20°C) / F N => F N (20°C, PP25) F N (25°C, PP15) Bild 4: Zugkräfte im Vergleich zu Studienergebnissen des DIN-AK Bild 5: Trennarbeiten im Vergleich zu Studienergebnissen des DIN-AK Ergebnisse II: Klebrigkeitstests und der Bezug zur Rheometrie Um die Ergebnisse aus den Zugversuchen mit dem Strukturverhalten zu vergleichen und gleichzeitig den Temperatureinfluss einzubeziehen, wurden Temperatur- Sweeps mit Deformationen innerhalb des linear viskoelastischen Bereichs durchgeführt (0,1 %), die eine Unterscheidung der unterschiedlichen Bindungssysteme in Bild 6 ermöglicht. Korrelationen zwischen Zugversuchen und scher-rheologischen Ergebnissen wurden bisher insbesondere für drucksensitive Klebstoffe aufgedeckt und diskutiert [2], [17], [18]. Das unpolare Li-PAO-System zeigt die größte Festigkeit (Bild 6); das anorganische Bindungssystem verhält sich gering temperaturabhängig; das Si-Fluid zeigt den stetigen Verlauf von Systemen ohne Wechselwirkungen unterschiedlicher Moleküle, die Ca-Ester-Systeme sind weich aber stabil über dem Temperaturbereich, entsprechend ihrer Bestimmung zur Getriebeschmierung und das System mit sehr zähem Mineralöl zeigt starke Temperaturlabilität, was sich auch in den Tacktests durch im Vergleich stärker mit steigender Temperatur abnehmende maximale F N bestätigt. Aus den Bildern 6 und 7 ergeben sich aber auch Widersprüche: Warum zeigt ein sehr klebriger Honig nur eine kleine Kraftspitze, während das im Fingertest durchaus klebrige Silikonöl die klar größten F N-max aufweist? Warum fällt dagegen das mit Tackifier hergestellte „DIN3-t“ im Ergebnis nicht auf - aber sehr wohl bei der Applikation, bei der es sich nur sehr mühsam von Oberflächen entfernen lässt? Zumindest für Honig beantwortet eine Klebemittelherstellerin dies damit, dass dieser zwar „Tack“ und Adhäsion aber keinen „Bond“ (Kohäsion) besitzt und so als Klebstoff ausscheidet [15]. Hier sei auf die schon länger bekannten aber nach wie vor aufschlussreichen Ergebnisse von Y. O. Muhamed Abdelhaye et al. [5] hingewiesen, in denen die Trennmechanismen A, B, C beschrieben werden (Bild 8), die, besonders über der Temperatur betrachtet, Hinweise auf Anwendungseffekte geben können. Mechanismus D kam für drucksensitive Klebstoffe nicht in Frage - ist aber für Schmierfette bei höheren Temperaturen zu beobachten und daher hinzugefügt. Der Fadenzug ist in D nicht mehr möglich; stattdessen folgt auf Schritt 4 in Bild 2 der Adhäsionsabriss. Dies ist der einzige Fall, in dem direkt eine maximale Adhäsionskraft angegeben werden kann, während in allen anderen Fällen die maximalen Kohäsionskräfte gemessen werden, die erheblich kleiner als die maximal möglichen Adhäsionskräfte sein können. Des Weiteren geben die Verfasser für Mechanismus A eine Beziehung zwischen der Zugkraft und einem rheologischen Fließmodell an, was darauf hinweist, dass aus der üblichen Rheometrie auf die „Klebrigkeit“ geschlossen werden kann, wenn sich die Bindungssysteme äh- Aus Wissenschaft und Forschung 15 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Bild 6: temperaturabhängige Strukturstärke Faden zu nur sehr kleinen Kräften führt. Aus den Ergebnissen war aber der erwartbare Zusammenhang zum Betrag des komplexen Schubmoduls unter Temperatureinfluss erkennbar: da hier die Kohäsion entscheidet, ziehen stärker gebundene Systeme meistens auch längere Fäden. Der Fadenzug nimmt dem folgend mit steigenden Betriebsemperaturen wieder ab wie in Bild 10 eindrucksvoll erkennbar ist. Aber dies gilt nicht für die Ergebisse bei 1 °C - der maximale Fadenzug ist auch in dieser Richtung der Temperaturskala begrenzt. In Bild 9 zeigen die Fette DIN1 und DIN4 bei 20 °C größere Werte als das auch zu diesem Zweck additivierte DIN3-t und das hochviskose DIN2. Das Getriebefett GF00, das vom Hersteller als gut haftend beschrieben Aus Wissenschaft und Forschung 16 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 neln. Eine qualitative Betrachtungsweise der Kraft-Weg- Verläufe ist durch M. Harmon et at. [4] beschrieben und bestätigt dieses Trennverhalten. Und in der Arbeit von Meurer et al. [18] werden die Trennmechanismen während des Zuges optisch beobachtet, was für Schmierfette noch nicht erfolgt ist. Ergebnisse III: Fadenzug Aus den Versuchsreihen im TREC muss festgestellt werden, dass die Kraft- und Wegauflösungen nicht ausreichen, um die Kompressions- und Dehnarbeiten A und B (Bild 1) sicher zu quantifizieren. Dies gilt auch für die genaue Bestimmung der Fadenzuglängen, da ein dünner Bild 7: Kraftspitzen aus Tacktests bei T = 1 / 20 / 40 / 80 °C Bild 8: Beobachtete Trennmechanismen: A: GF00 / B: SiFluid / C und D: Li_PAO2 wird, zieht nur kurze Fäden im Trennversuch, was für die Verteilung im Aggregat eher als Nachteil einzuschätzen ist. Die optischen Beobachtungen des Fadenzugs am Pendel-Tribometer [1] (bei großen Trenngeschwindigkeiten) stehen den Messwerten entgegen: Einflüsse auf die Messergebnisse Die üblichen einstellbaren Parameter für den Zugversuch - Kontaktablauf, Hubgeschwindigkeit und die Temperatur - haben starken Einfluss auf die Absolutwerte der Ergebnisse. Weniger vordergründig können, wie bei anderen Rheometerversuchen auch, die Art der Aus Wissenschaft und Forschung 17 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Bild 9: Fadenzug, temperaturabhängig und in Relation zum Schubmodul DIN1 (l F 20: 6,4 mm) DIN2 (l F 20: 3,6 mm) DIN3-t (l F 20: 4,7 mm) DIN4 (l F 20: 6,3 mm) Honig (l F 20: 2,8 mm) GF00 (l F 20: 1,7 mm) Bild 10: Fadenzug am Pendel-Tribometer für mehr Klarheit bezüglich des Klebrigkeitsverhaltens liefern.  Die Zusammenhänge zu weiteren vorhandenen Methoden der Rheometrie sind zu prüfen. z. B. zur Dehnrheologie (K. H. Jacob, TH Nürnberg)  Eine Normung innerhalb DIN51810 wurde in einer ersten Diskussion nach diesem Bericht noch nicht für sinnvoll erachtet. Hierzu bedarf es weiterer Studien und insbesondere Befürwortungen und Begründungen der Anwendenden um den nötigen Aufwand zu rechtfertigen. Tabellarische Ergebnisse Siehe Tabelle 3. Literatur [1] Kuhn, E.; Zur Tribologie von Schmierfetten, 2. Auflage; expert verlag, Renningen (2009) [2 ] Slabka, I.; Henniger, S.; Kücükkaya, D.; Dawoud, M.; Schwarze, H.; Influence of Rheological Properties of Li- Aus Wissenschaft und Forschung 18 Tribologie + Schmierungstechnik · 70. Jahrgang · eOnly Sonderausgabe 2/ 2023 DOI 10.24053/ TuS-2023-0041 Befüllung, eine Wartezeit, die Heizraten, Plattenmaterialien, und Oberflächenqualitäten das Resultat verändern, so dass bei Vergleichen auf eine genaue Abstimmung der Messbedingungen zu achten ist. Erkenntnisse und Aussichten  Die Begriffe Klebrigkeit, Tackiness, Stickiness und die gegenüberstehenden physikalischen Größen sind für Schmierfette noch eindeutiger zu klären und am praktischen Bezug zu orientieren.  Die absoluten Messwerte sind praktisch von allen einzelnen Einstellungen an den Geräten abhängig - besonders von der Temperatur. Umrechnungen sind möglich, Standardvorgaben durch eine Norm wären hilfreich.  Während die maximale Abziehkraft zuverlässig messbar ist, scheinen die Trennarbeit und besonders die Fadenzuglänge nur bei größter Sorgfalt sinnvolle Ergebnisse zu liefern.  Bezug zu bekannten rheologischen Größen und gefundenen Trennmechanismen ist erkennbar und kann max. Zugkraft T Betrag in N (°C) F N 01 1 5,8 7,9 5,0 0,76 2,3 6,4 0,84 11 F N 20 20 3,3 2,3 2,0 1,3 1,6 4,1 0,37 8 1,2 F N 40 40 2,2 1,1 1,6 0,99 1,1 2,8 0,31 6,7 0,67 F N 80 80 0,78 0,43 0,83 1,0 0,46 1,1 0,20 4,1 Trennarbeit (mJ) W sep 01 1 2,6 3,0 1,9 0,93 1,7 4,3 0,43 3,6 W sep 20 20 2,0 1,1 1,2 0,93 1,3 2,9 n. b. 2,4 0,50 W sep 40 40 1,6 0,62 0,79 0,70 0,56 1,4 0,23 1,9 0,76 W sep 80 80 0,38 0,25 0,61 0,46 0,32 0,28 0,14 1,1 Fadenlänge (mm) l F 01 1 5,8 5,5 4,5 6,0 6,0 7,6 2,4 3,5 l F 20 20 6,4 3,6 4,7 6,3 5,3 7,2 1,7 2,9 2,8 l F 40 40 5,9 3,2 3,6 5,3 3,0 4,0 2,0 2,5 5,0 l F 80 80 2,8 2,1 3,4 2,4 2,8 1,9 1,9 2,2 Schubmodul* (kPa) G*01 1 40 14 6,6 25 35 98 2,6 9,6 G*20 20 28 5,3 3,6 18 22 60 1,7 7,6 6,6 G*40 40 19 3,2 3,5 15 15 41 1,6 6,0 G*80 80 8,9 1,5 2,9 12 12 29 1,5 3,7 Verlustfaktor (1) tan( )01 1 0,14 0,86 0,69 0,073 0,16 0,14 0,44 2,1 tan( )20 20 0,13 0,62 0,39 0,077 0,17 0,16 0,33 2,5 0,30 tan( )40 40 0,13 0,28 0,22 0,089 0,16 0,16 0,24 3,1 tan( )80 80 0,16 0,37 0,19 0,097 0,13 0,14 0,19 4,5 Übersicht zu Messergebnissen der Studie Rheometrische Daten: PP, 25 mm, : 0,01%, : 10 s -1 DIN1 Honig Si-Fluid GF00 * Betrag des komplexen Moduls LiPAO-2 LiPAO-1 DIN4 DIN3-t DIN2 Fadenlänge: Spaltabstand, ermittelt bei FN > -0,05 N Tabelle 3: Ergebnisübersicht thium Greases on Operating Behavior in Oscillating Rolling Bearings at Small Swivel Angle; Lubricants (2022) [3] Rieling, T.; Squeezetests and Tacktests - Raising Rheometry Applications for Lubricating Greases; 16. Arnold- Tross-Kolloquium, Hamburg; shaker verlag Düren (2021) [4] Harmon, M.; Powell, B.; Barlebo-Larsen, I.; Lewis, R.; Development of Grease Tackiness Test, Tribology Transactions, 62: 2; (2019); [5] Mohamed Abdelhaye, Y. O.; Chaouche, M.; Chapuis, J.; Charlaix, E.; Hinch, J.; Roux, S.; Van Damme, H; Tackiness and Cohesive Failure of Granular Pastes: Mechanistic Aspects; European Physical Journal E 35: 45 (2012) [6 ] Georgiou, E.; Drees, D; De Bilde, M.; Can We Put a Value on the Adhesion and Tackiness of Greases? Tribology Letters 66: 60 (2018) [7 ] Georgiou, E.; Drees, D; De Bilde, M.; Quantification of Tackiness of a Grease: The Road to a Method; Lubricants (2021) [8] Kull, A.; Steinhof, O.; Extensional Flow Properties of Lubricating Grease; P&T Downstream (2014) [9] Berg, F.; Litters, T..; Studien zur Tackiness / Klebrigkeit von Schmierfetten; (2023); NAK zur DIN51810 [10] Uhlein, E.; Jacob, K.-H.; Studien zur Tackiness / Klebrigkeit von Schmierfetten; (2023); NAK zur DIN51810 [11] Habenicht, G.; Kleben - erfolgreich und fehlerfrei; Springer Fachmedien Wiesbaden (2016) [12] Popov, V. L.; Kontaktmechanik und Reibungsphysik; Verlag der polytechnischen Universität Tomsk (2009) [13] Brockmann, W.; Geiß, P. L.; Klingen, J.; Schröder, B.; Klebetechnik; Wiley-VCH Verlag (2005) [14] www.tesa.com / Stories [15] Cole, T. C. H.; Wörterbuch Labor / Laboratory Dictionary, 3. Auflage; Springer Verlag (2018) [16] Falex Corporation; Tackiness Adhesion Analyser Brochure (2023) [17] Rohn, C. 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