Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
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Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2020-0016
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosMuseumsbesuch zum Abschluss eines Ikonographieseminars
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Stefan Fischerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-4856-5946
David O’Neill
Dieser Beitrag geht auf ein zweistündiges Seminar Altorientalische Ikonographie mit einer kleinen Gruppe von Studierenden zurück, welches am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien durchgeführt wurde. Die Studierenden sind mit den Inhalten der Kurse Hebräisch, Geschichte Israels und Alttestamentlicher Exegese vertraut, haben aber keine speziellen Kenntnisse zur Altorientalistik. Das Seminar ist eine methodische Schulung insofern es darauf zielt die Fähigkeit zu erwerben, ikonographisches Quellenmaterial zu lesen, d.h. es in seinem Bildgehalt zu erfassen und kulturgeschichtlich einzuordnen. Nur am Rand kann auf eine Kritik von Qualität, Material und Stil eingegangen werden. Durch den Museumsbesuch soll ermöglicht werden, im Seminar erworbene Fähigkeiten am Objekt anzuwenden.
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10.24053/ VvAa-2020-0016 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) Museumsbesuch zum Abschluss eines Ikonographieseminars Didaktische Herausforderungen und Ziele Stefan Fischer (orcid.org/ 0000-0002-4856-5946) Dieser Beitrag geht auf ein zweistündiges Seminar Altorientalische Ikonographie mit einer kleinen Gruppe von Studierenden zurück, welches am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien durchgeführt wurde. Die Studierenden sind mit den Inhalten der Kurse Hebräisch , Geschichte Israels und Alttestamentlicher Exegese vertraut, haben aber keine speziellen Kenntnisse zur Altorientalistik. Das Seminar ist eine methodische Schulung insofern es darauf zielt die Fähigkeit zu erwerben, ikonographisches Quellenmaterial zu lesen, d. h. es in seinem Bildgehalt zu erfassen und kulturgeschichtlich einzuordnen. Nur am Rand kann auf eine Kritik von Qualität, Material und Stil eingegangen werden. Durch den Museumsbesuch soll ermöglicht werden, im Seminar erworbene Fähigkeiten am Objekt anzuwenden. 1 Einbettung in die Lehrveranstaltung Das Seminar setzte ein beim Begriff Ikonographie , den verschiedenen Arten von Bildern als Quellen (Miniaturen, Monumentale Kunst) und einem Überblick über die Literatur, welche digital zur Verfügung gestellt wurde oder in der Universitätsbibliothek vorhanden ist. Das genaue Hinsehen wurde mit einer Einführung in die „Geradvorstelligkeit“ (Heinrich Schäfer) bzw. „Aspektive“ (Emma Brunner-Traut) und ägyptischer Bilddarstellung geschult. Dazu wurden sowohl Überlegungen zum Mensch als Gliederpuppe als auch die Präsentation in Registern angestellt und dann auf Objekte anderer Kulturkreise erweitert. Dieses nach dem Prinzip: „Die Stärke des Bildes ist die simultane Darstellung mehrerer Aspekte, anders gesagt: die Darstellung der konstellativen Komplexität der Wirklichkeit“ (Keel/ Uehlinger, GGG, 455). Für die Arbeit am Objekt wurde vor allem auf GGG und IPIAO zurückgegriffen. Der Schritt zur Bibelwissenschaft erfolgte anhand der „Drei K der Komparation von Bild und Text“: Kongruenz, Korrelation und Kontiguität. Für die Theorie und Übungsbeispiele wurde teilweise auf das Textbuch Iconographic Museumsbesuch zum Abschluss eines Ikonographieseminars 135 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0016 Exegesis von Isaak de Hulster u. a. zurückgegriffen. Im Lauf des Seminars lernten die Studierenden verschiedene Aspekte der Ikonographie kennen und diese in Korrelation zu alttestamentlichen Texten zu setzen. Übungen erfolgten an verschiedenen Themen und Texten, dazu gehörten bspw. der König, nackte Göttin, Jahwes Aschera, Löwe, Stier, Theriomorphie. Eine Einführung in die Metapherntheorie des Conceptual Blending war ebenfalls Teil des Kurses, da die verwendete Bildsprache in Relation zu den Objekten gesetzt werden kann. So wurde beispielsweise anhand von Texten aus Canticum LIEBE IST KONTROLL- VERLUST (Cant 4,9.10) die konzeptuelle Metapher LIEBE IST GEBUNDENHEIT (Cant 7,6) erarbeitet. Auf letzteren Text wurde beim Museumsbesuch mit Verweis auf die herabfallenden Haare einer Frau Bezug genommen. Auch die Überlegungen zum König wurden am Objekt wieder entdeckt. 2 Methodische Umsetzung Für jede Lehrveranstaltung wurden Aufgaben gegeben. Diese bestanden aus Lesestoff zur Vor- und Nachbereitung sowie einer Übung, die an eigenständiger Arbeit an einem Objekt bestand, welches sekundär mit einem Bibeltext auf die drei K hin behandelt wurde. Für die Arbeit am Objekt wurde mit Wikis gearbeitet. Jede Studierende/ jeder Studierender trug dort ein zum jeweiligen Thema ausgewähltes Objekt mit einer Beschreibung ein, welches von den anderen ergänzt und kommentiert werden konnte. Für den Museumsbesuch wurde mit dem gleichen Aufbau gearbeitet. Das Kunsthistorische Museum Wien (www. kmh.at) hat eine umfangreiche Ägyptisch-Orientalische Sammlung. Eine Auswahl ist in der Objektdatenbank (www.khm.at/ objektdb/ ) digital abrufbar. Um in der Fülle der Objekte nicht verloren zu gehen, wurde zusätzlich ein spezifizierter Link angegeben (www.khm.at/ besuchen/ sammlungen/ aegyptisch-orientalische-sammlung/ ausgesuchte-meisterwerke/ ). Außerdem wurde auf den umfangreichen Katalog verwiesen: Corpus Antiquitatum Aegyptiacarum . Lose - Blattkatalog ägyptischer Altertümer (CAA), Kunsthistorisches Museum Wien , Ägyptisch-Orientalische Sammlung, welcher in den Universitätsbibliothek vorhanden ist. Zur Vorbereitung der Exkursion hat jede Studierende/ jeder Studierender zuvor ein Objekt aus dem Kunsthistorischen Museum Wien auszuwählen und dieses im WIKI zu beschreiben. Im Seminar vor dem Museumsbesuch wurden diese vorbesprochen, um sie bei der Exkursion gezielt anzuschauen. 136 Stefan Fischer 10.24053/ VvAa-2020-0016 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 3 Einige Beispiele aus den Wikis zeigen den Lernerfolg Der Museumsbesuch fand am Semesterende statt. Jede Studierende/ jeder Studierender machte eine kurze Führung am eigenen Objekt. Im Anschluss wurde gemeinsam durch die Sammlung gegangen und spontan erworbenes Wissen angewendet. Eine Studierende wählte ein Relieffragment mit dem Kopf einer Dame auf einer Kalksteinplatte (Ägyptische Sammlung, INV 73): 19. Dynastie, Anfang 13. Jh. v. Chr., derzeit ausgestellt: Kunsthistorisches Museum Wien, Ägyptisch- Orientalische Sammlung Raum VI (www.khm.at/ objektdb/ detail/ 324215/ ). Die Objektbeschreibung konnte von der Webseite übernommen werden. Dann schrieb die/ der Studierende/ r mit Rückgriff auf die „Drei K“: „Das Bild erinnerte mich an die 4. Hausübung zu Hohelied 7,6. Das Haupthaar, in dessen Locken ein König gefesselt ist. Wir hatten bemerkt, dass das Vokabel ‚Haupthaar‘ auch ‚Fäden‘ [ ה ָ לּ ַ דּ Gesenius: 1. Bedeutung: dünne Fäden; 2. Bedeutung: (herabwallendes) Haupthaar] bedeuten kann, was wiederum gut zu dem Bild von Seilen als Fesseln passt. Die dargestellte Haarpracht veranschaulicht die Vorstellung von dünnen Fäden, fast schon einem Netz gleichend ganz gut.“ Ein weiterer Studierender wählte eine Statue der Göttin Iris mit Harpokrates aus der Spätzeit (Ägyptische Sammlung, INV 6622), derzeit ausgestellt Kunsthistorisches Museum Wien, Raum IV (www.khm.at/ objektdb/ detail/ 32392). Obwohl wiederum eine Objektbeschreibung vorhanden war, wurde diese in eigene Worte gefasst, eine Deutung der Symbolik vorgenommen und eigene Überlegungen angestellt: „Aber das Kind selbst ist menschlich dargestellt; vielleicht stellt es auch einen angehenden menschlichen König/ Pharao dar, der infolge dessen die Legitimation zum König erhält (wie es im letzten Referat zum Thema war). Das ‚Kind‘ in kleinerer Darstellung, könnte also auch ein menschlicher, erwachsener König sein, der bei einer Göttin sitzt und somit Macht erhält.“ Beide Beispiele zeigen, wie sich Studierende befähigt fühlen, eigene Überlegungen und Deutungen anzustellen. Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0016 Visiting a Museum at the End of an Iconography Seminar Didactic Challenges and Goals translated by David O’Neill This paper is based on a two-hour seminar on Ancient Near Eastern Iconography with a small group of students, conducted at the Institute for Old Testament Studies and Biblical Archaeology of the Faculty of Protestant Theology in Vienna. The students are familiar with Hebrew , History of Israel and Old Testament Exegesis contents, but have no special knowledge of Ancient Near Eastern Studies. The seminar is a methodological training insofar as it aims at acquiring the ability to read iconographic source material, i.e. to grasp it in its pictorial content and to classify it in terms of cultural history. Quality, material and style can only be criticized marginally. The museum visit should make it possible to apply the acquired skills to the object. 1 Integration into the Course The seminar started with the term iconography , the different types of images as sources (miniatures, monumental art) and an overview of the literature, which is either available in the university library or provided digitally. Close observation is trained with an introduction to the “Geradvorstelligkeit” (Heinrich Schäfer) or “Aspective” (Emma Brunner-Traut) and Egyptian pictorial representation. For this purpose, considerations of the human being as a manikin and the presentation in registers were made and then extended to objects of other cultural areas. This was carried out according to the principle: “The strength of the picture is the simultaneous representation of several aspects, in other words: the representation of the constellative complexity of reality” (Keel/ Uehlinger, GGG, 455). For the work on the object, GGG and IPIAO were primarily used. The step towards exegetics was made on the basis of the “Three Cs of comparing Image and Text”: congruence, correlation and contiguity. The textbook Iconographic Exegesis by Isaak de Hulster et al. was partly used for the theory and practice examples. During the seminar, students learned about various aspects of iconography and how to correlate them with Old Testament texts. Exercises were 138 Stefan Fischer 10.24053/ VvAa-2020-0016 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) done on various themes and texts, including the King, naked Goddess, Yahweh’s Asherah, lion, bull, theriomorphism. An introduction to the metaphor theory of Conceptual Blending was also part of the course, as the imagery used can be placed in relation to the objects. For example, on the basis of texts from the Song of Songs, LOVE IS CONTROL LOSS (Songs 4: 9, 10) was elaborated as the conceptual metaphor LOVE IS BONDAGE (Songs 7: 6). The latter text was referred to during the museum visit with reference to the falling hair of a woman. The reflections on the king were also rediscovered on the object. 2 Methodological Implementation Tasks were given for each session. These consisted of reading material for preparation and follow-up as well as an independent object work excercise, which was supplemented with a Bible text on the three Cs. Wikis were used for the work on the object. To each topic, students entered an object with a description, which could be supplemented and commented on by the others. The same structure was used for the museum visit. The Museum of Fine Arts (www.kmh. at) in Vienna has an extensive Egyptian-Oriental collection. A selection can be accessed digitally in the object database (www.khm.at/ objektdb/ ). In order to not get lost in the abundance of objects, an additional specified link was given (www.khm.at/ besuchen/ sammlungen/ aegyptisch-orientalische-sammlung/ ausgesuchte-meisterwerke/ ). Furthermore, reference was made to the extensive catalog: Corpus Antiquitatum Aegyptiacarum Catalog of Egyptian antiquities (CAA), Museum of Fine Arts , Egyptian-Oriental collection, available in the university library. In preparation for the excursion, each student had to choose an object from the Museum of Fine Arts beforehand and describe it in the WIKI. In the session before the museum visit, these were discussed in advance in order to look at them specifically during the excursion. 3 Some Examples from the Wikis Show the Learning Success The museum visit took place at the end of the semester. Each student gave a short guided tour of his or her own object. Afterwards, they walked through the collection together and spontaneously applied acquired knowledge. A student chose a limestone relief fragment with the head of a lady: 19th dynasty, beginning of the 13th century B.C (Egyptian Collection, INV 73). Currently on display: Museum of Fine Arts , Egyptian Oriental Collection, Room VI (www.khm.at/ objektdb/ detail/ 324215). The object description was taken from Visiting a Museum at the End of an Iconography Seminar 139 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0016 the website. Then the student wrote the following with recourse to the “Three Cs”: “The image reminded me of the 4th homework assignment on Song of Songs 7: 6. The head hair in whose curls a king is bound. We had noticed that the term ‘head hair’ can also mean ‘threads’ [ ה ָ לּ ַ דּ Gesenius: 1st meaning: thin threads; 2nd meaning: (flowing down) head hair], which again fits well with the image of ropes as fetters. The hair depicted nicely illustrates the idea of thin threads, almost resembling a net.” Another student chose a statue of the goddess Iris with Harpocrates from the late period (Egyptian Collection, INV 6622), currently on display at the Museum of Fine Arts , Room IV (www.khm.at/ objektdb/ detail/ 323926). Although an object description was available again, it was put into own words including an individual interpretation of the symbolism. “But the child itself is depicted as human; perhaps it also represents a budding human king/ Pharaoh who, as a result, receives legitimacy to be king (as was the theme in the last paper). The ‘child’ in smaller representation, then, could also be a human adult king sitting with a goddess and thus receiving power.” Both examples show how students feel empowered to make their own reflections and interpretations. Keywords Iconography, excursion, museum, Teaching example, Students’ participation, materiality Bibliography Bickel, Susanne. u. a. (Hg.): Bilder als Quellen = Images as Sources: Studies on Ancient Near Eastern Artefacts and the Bible inspired by the Work of Othmar Keel (OBO.S), Fribourg 2007. Brunner-Traut, Emma: ‘Der menschliche Körper - eine Gliederpuppe’, ZÄS 115 (1988), 8-14. Brunner-Traut, Emma: Frühformen des Erkennens. Am Beispiel Altägyptens, Darmstadt 3 1996. de Hulster, Izaak, J. u. a. (Hg.): Iconographic Exegesis of the Hebrew Bible/ Old Testament: an Introduction to its Method and Practice, Göttingen 2015. Keel, Othmar: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament: am Beispiel der Psalmen, Göttingen, 5 1996. 140 Stefan Fischer 10.24053/ VvAa-2020-0016 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) Keel, Othmer / Bernett, Monika: Mond, Stier und Kult am Stadttor. Die Stele von Betsaida (et-Tell) (OBO 161), Fribourg 1998. Keel, Othmar/ Uehlinger, Christoph: Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (GGG), Fribourg 7 2012. Silvia Schroer: Die Ikonographie Palästinas/ Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern (IPIAO). Band 1: Vom ausgehenden Mesolithikum bis zur Frühbronzezeit, Band 2: Die Mittelbronzezeit, Band 3: Die Spätbronzezeit, Band 4: Die Eisenzeit bis zum Beginn der achämenidischen Herrschaft, Basel 2018. https: / / www.khm.at/ objektdb/ . Last access: 21.10.2020. http: / / www.khm.at/ objektdb/ detail/ 324215. Last access: 21.10.2020. https: / / www.khm.at/ objektdb/ detail/ 323926. Last access: 21.10.2020.