Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosInterview mit ... Wolfgang Zwickel
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Thomas Wagnerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-4076-5134
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10.24053/ VvAa-2020-0020 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) Interview mit … Wolfgang Zwickel Steckbrief: Wolfgang Zwickel Geboren: 1957 in München Berufliches: Studium der Ev. Theologie, Ägyptologie, Altorientalistik und Vor- und Frühgeschichte in München und Tübingen; 1984-1986 Wissenschaftlicher Angestellter am BAI Tübingen; 1986-1995 Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Altes Testament und Biblische Archäologie der CAU Kiel; 1988 Promotion mit einer Dissertation zu Räucherkult und Räuchergeräten ; 1992 Habilitation an der CAU Kiel mit der Schrift Der Tempelkult in Kanaan und Israel; 1996/ 97 Vikariat in der Ev. Kirche von Westfalen; seit 1998 Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. 2014 Ausgezeichnet mit dem Irene Levy-Sala Preis für das beste allgemein verständliche Buch im Bereich der Biblischen Archäologie (Herders neuer Bibelatlas, zus. mit R. Egger-Wenzel und M. Ernst). Vorneweg - Blitzlicht • Lehre - Frust oder Lust? Meistens Lust, vor allem dann, wenn man Studierende für etwas faszinieren kann, sie sich engagiert beteiligen und von der Lust sich anstecken lassen. • Lehre oder Forschung? Beides, meine Forschung hat sich immer auch in der Lehre ausgedrückt und wurde dort erprobt. Von den Rückfragen der Studierenden habe ich viele neue Anregungen für die Forschung bekommen. • Lieber Erstsemester oder lieber Integrationsphase (früher Examensphase)? Es gibt kein entweder - oder. Erstsemester lassen sich leichter faszinieren, Examenskandidatinnen und -kandidaten stellen (manchmal) die kompetenteren Rückfragen. • Neues oder Bewährtes? Neues fasziniert mich immer, wenn es gut ist, Bewährtes hat sich meist als gut bewährt erwiesen, muss aber immer wieder hinterfragt werden. • Referante oder Gruppenarbeit? Referate, weil zumindest diejenigen, die die Referate vorbereiten, dann noch intensiv etwas lernen. Unser Universitätssystem leidet derzeit meiner Mei- Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0020 Interview mit … Wolfgang Zwickel 171 nung nach darunter, dass vieles zu oberflächlich bleibt und es zu wenig Tiefenbohrungen gibt. Herr Zwickel, welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Wirklich prägend war für mich Hans-Walter Wolff. Wohl niemand weltweit kannte zu meiner Studienzeit die kleinen Propheten besser als er. Er wollte uns nicht nur seine Meinung beibringen, sondern hat im Seminar einzelne Studierende beauftragt, die Position von Kommentatoren vehement einzubringen. Dadurch hat er andere Meinungen immer wieder reflektiert. Und er hat, bevor er einen Kommentar geschrieben hat, alle Texte in Bibelarbeiten oder Predigten verarbeitet und so überprüft, ob die biblischen Aussagen auch für heute noch eine Wertigkeit haben. Und dann muss ich meinen Doktorvater Martin Metzger nennen und dabei insbesondere seine Exkursionen in verschiedene Museen. Er hat die biblische Welt anschaulich gemacht, indem er uns an Originale aus dieser Welt herangeführt hat. Das hatte sicherlich nachhaltige Folgen für meine eigene Arbeit, z. B. bei der Ausgestaltung des Bibelhauses in Frankfurt. Was ist das Grundparadigma Ihrer Lehre; also würden Sie sagen, dass es bei Ihnen eine Grundüberzeugung gibt, die sich durchzieht? Ich möchte Studierende dazu bringen, sich näher mit einzelnen Themen und Themenfeldern auseinanderzusetzen und so in die biblische Welt einzusteigen. Mir geht es natürlich auch um ein Grundwissen, aber in erster Linie um die Lust, die Botschaft von Texten intensiv zu verstehen. Welche Bedeutung hat die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Das ist ein weites Feld. Ich mache seit 20 Jahren keine Seminarapparate mehr und weigere mich auch, die Texte, die man unbedingt gelesen haben muss, irgendwo hochzuladen. Stattdessen fordere ich die Studierenden auf, in die Bibliothek zu gehen und nicht nur das Buch anzuschauen, das als Lektüre aufgegeben ist, sondern auch mal im Buch rechts und links davon zu blättern. Ein beliebter Satz von mir ist: „Blättern ist eine theologische Disziplin“. Es gibt grundlegende Texte, aber es gibt auch andere Texte, deren Lektüre vielleicht meine eigenen, persönlichen Fragen viel besser beantworten als die aufgegebene Lektüre. Man gewinnt Kompetenzen, indem man die richtigen Antworten auf die eigenen persönlichen Fragen findet, und nicht, indem man nach den Antworten sucht, die im Examen erwartet werden. So entwickelt sich eine ‚theologische Existenz‘. Leider kommt das heute an der Universität viel zu kurz. 10.24053/ VvAa-2020-0020 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 172 Interview mit … Wolfgang Zwickel Oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen eher stiefmütterlich im Gegensatz zur Forschung behandelt wird. Beschreiben Sie Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Wo sehen Sie Potentiale für Synergieeffekte zwischen diesen beiden Bereichen? Seminare haben bei mir eigentlich immer etwas zu tun mit Fragen, die ich für mich selbst noch klären will. Mit einem Seminar verschaffe ich mir noch einmal einen anderen Zugang, als wenn ich zu Hause am Schreibtisch sitze. Es werden Fragen gestellt, mit denen ich nicht gerechnet hätte - und die ich mir selbst nie gestellt hätte. So entsteht für mich eine Horizonterweiterung. Viele meiner Publikationen sind aus solchen Seminaren heraus entstanden. Forschung braucht die Lehre und den Dialog mit den Studierenden. Auf der anderen Seite muss ich z. B. in Vorlesungen in der Lage sein, hochkomplexe Überlegungen, die ich in meinen Forschungen angestellt habe, auf einem allgemein verständlichen Niveau zu präsentieren. Damit verhindern wir, dass wir in einem Elfenbeinturm mit unseren Forschungen bleiben. Wenn ich komplexe Dinge auf ein nachvollziehbares Niveau herunterschrauben und anderen Menschen erklären kann, dann ist meiner Meinung nach Forschung geglückt. Für die Lehre in den bibelwissenschaftlichen Fächern ist seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Exegese die Kenntnis der materiellen Kultur von hoher Bedeutung. In den Schulcurricula wird das Wissen über die Antike immer weiter zurückgedrängt. Wie führen Sie Studierende an die Alltagswelt der biblischen Schriften heran? Biblische Texte sind nicht in einem luftleeren Raum entstanden, sondern in einer konkreten Welt, verfasst von konkreten Menschen, die von konkreten religiösen, wirtschaftlichen und politischen Vorstellungen und Rahmenbedingungen geprägt waren. Daher will ich diese reale Welt verstehen, um einen Text verstehen zu können. Ich versuche daher in meinen Lehrveranstaltungen immer, Texte in eine reale Welt hineinzusetzen. Da ich ja neben Altem Testament auch Biblische Archäologie lehre, gibt es hier vielfältige Überschneidungen. Ich will hier zwei einfache Beispiele nennen. Wenn ich vom Weinberglied Jes 5,1-7 rede, dann ist es natürlich auch wichtig, welche ökonomische Bedeutung der Weinanbau im 8. Jh. hatte. Für Juda war er extrem wichtig. Wein wurde auch getrunken, weil nicht überall und ausreichend Wasser in guter Qualität vorhanden war. Dann wird auch schnell verständlich, warum Wein ein Grundnahrungsmittel war, aber auch, warum vor den Gefahren der Trunkenheit gewarnt wird. Andererseits kann man die biblischen Schöpfungsvorstellungen nicht nur auf der Ebene der Texte wahrnehmen. Texte sind nur ein kleiner Ausschnitt der realen Lebenswelt. Daher spielt in diesem Kontext für mich die Ikonographie (z. B. die Kultgerätschaften im Salomonischen Tempel oder die Elfenbeine aus Samaria) eine Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0020 große Rolle, denn diese bildlichen Umsetzungen zeigen auch etwas davon auf, wie Menschen Schöpfung verstanden haben. Die reale biblische Welt ist viel vielfältiger als die schmale Textbasis, die wir in den biblischen Büchern haben, uns vermittelt. Zum Schluss: Was würden Sie den Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Biblische Texte sind keine Texte, die in einem luftleeren Raum entstanden sind, sondern sie wollten ihren Zeitgenossen etwas vermitteln. Und wenn biblische Texte heute noch lesenswert sind, dann ist nicht nur die Frage wichtig, ob Vers 5bß der vierten oder der fünften Textschicht zugehörig ist (obwohl das eine wichtige Frage ist! ), sondern was die Texte auf jeder Textschicht bei ihren Zeitgenossen erreichen wollten. Und damit kommt automatisch die Frage auf, ob und inwieweit die Texte heute noch für unsere völlig andere Welt relevant sind und wie wir die Texte weiterinterpretieren können und müssen. Und hierfür braucht man die theologische Kompetenz, die wir an der Universität vermitteln wollen. translated by Thomas Wagner At the very beginning … • Teaching-- frustration or desire? Mostly desire, especially if you can fascinate students for something, get them involved and let them get infected by your desire. • Teaching or research? Both, my research has always expressed itself in teaching and was tested there. The students’ questions have given me many new ideas for research. • First semester sudents or classes for graduates? There is no either-or. First-year students are more easily fascinated, exam candidates (sometimes) ask the more competent questions. • New or proven? New things always fascinate me when they are good; tried and tested things have usually proved to be good, but must always be questioned. • Presentations or group work? Presentations, because at least those who prepare the presentations learn something intensively. In my opinion, our university system is currently suf- Interview mit … Wolfgang Zwickel 173 10.24053/ VvAa-2020-0020 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) fering from the fact that many things remain too superficial and there is too little deep drilling. Prof. Zwickel, are there any specific experiences and/ or people that have substainably shaped resp. influenced your way of teaching? Hans-Walter Wolff was really formative for me. Probably, nobody in the world knew the Minor Prophets better than he did when I was a student. He not only wanted to teach us his opinion, but also commissioned individual students in the seminar to vehemently introduce the position of commentators. In this way, he always reflected other opinions. And before he wrote a commentary, he worked through all the texts in Bible studies or sermons and thus checked whether the Biblical statements still have value for today. And then I have to mention my PhD-supervisor Martin Metzger and in particular his excursions to various museums. He has made the Biblical world vivid by introducing us to original objects from this world. That certainly had lasting consequences for my own work, for example in the design of the Bible Museum in Frankfurt. Would you say that there is a paradigm, a fundamental conviction that accompanies your teachings? I would like to encourage students to take a closer look at individual topics and fields and thus enter the Biblical world. Of course, I’m also interested in basic knowledge, but primarily in the desire to understand the message of texts in depth. How big of a meaning does competence orientation have for your teaching? That is a broad field. I haven’t done seminar apparatus for 20 years and I also refuse to upload the texts that you absolutely have to read. Instead, I ask the students to go to the library and not only look at the book that has been prescribed as reading, but also to look right and left on the shelves. A favorite sentence of mine is: “Turning pages is a theological discipline”. There are basic texts, but there are also other texts whose reading may answer my own personal questions much better than the prescribed reading. You gain competence by finding the right answers to your own personal questions, not by looking for the answers that are expected in the exam. This is how a ‘theological existence’ develops. Unfortunately, this is far too little in evidence at the university today. In our academic institutions it often seems like teaching is treated as an orphan compared to the actual scientific research. Could you describe your way of lining up research and teaching? Where do you see potentials for synergy effects between the two? 174 Interview mit … Wolfgang Zwickel Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) 10.24053/ VvAa-2020-0020 For me, seminars always have something to do with questions that I want to clarify for myself. With a seminar, I create a different approach than when I’m sitting at my desk at home. Questions are asked that I never expected - and that I never would have asked myself. In this way, a broadening of horizons is created for me. Many of my publications have emerged from such seminars. Research needs teaching and dialogue with students. On the other hand, in lectures, for example, I have to be able to present highly complex considerations that I have made in my research at a generally understandable level. This prevents us from remaining in an ivory research tower. If I can bring complex things down to a comprehensible level and explain them to other people, then I think research has succeeded. Since the upcoming of historical-critical exegesis, knowledge of material culture has been of great importance for teaching in Biblical studies. In high-school curricula, knowledge of antiquity is being pushed back ever further. How do you introduce students to the everyday world of the Biblical scriptures? I consider the repression of the real world to be fatal for our university subject. I am currently experiencing that my own professorship for ‘Old Testament and Biblical Archaeology’ may be cancelled after my retirement. The university is thus perhaps only reflecting a current view of society that focuses on future orientation and regards culture and thus also human development and the humanities as a whole as secondary. For students, however, real ideas are extremely important. Images shape children and young people much more than texts. Biblical texts were not written in a vacuum, but in a concrete world, written by concrete people who were shaped by concrete religious, economic and political ideas and conditions. Therefore, I want to understand this real world in order to be able to understand a text. In my courses I always try to put texts into a real world. Since I also teach Biblical archaeology in addition to the Old Testament, there are many overlaps here. Let me give two simple examples. When I talk about the song of the vineyard Isa 5: 1-7, it is of course also important to consider the economic importance of wine growing in the 8th century. For Judah it was extremely important. Wine was also drunk because there was not enough water of good quality everywhere. Then it is easy to understand why wine was a basic foodstuff, but also why people are warned about the dangers of drunkenness. On the other hand, the Biblical ideas of creation cannot only be perceived on the level of the texts. Texts are only a small part of the real world. That is why iconography (e. g. the cult objects in the temple of Solomon or the ivories from Samaria) plays a major role for me in this context, because these figurative visualisations also show Interview mit … Wolfgang Zwickel 175 10.24053/ VvAa-2020-0020 Materielle Kultur / Material Culture 5/ 2 (2020) something of how people have understood creation. The real Biblical world is much more diverse than the narrow textual basis that we have in the Biblical books, which conveys to us. And finally: Is there anything you would like to give to the colleagues to take along regarding their own ways of teaching? Biblical texts are no texts that were written in a vacuum, but they wanted to convey something to their contemporaries. And if Biblical texts are still worth reading today, it is not only the question of whether verse 5bß belongs to the fourth or the fifth layer of text (although this is an important question! ) but what these texts on each layer wanted to achieve with their contemporaries. And so the question automatically arises whether and to what extent the texts are still relevant today for our completely different world and how we can and must continue to interpret the texts. And for this, we need the theological competence that we want to teach at the university. 176 Interview mit … Wolfgang Zwickel
