eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 7/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
vvaa
2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0001
61
2022
71 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Editorial

61
2022
Jan Heilmannhttps://orcid.org/0000-0003-2815-6827
Thomas Wagnerhttps://orcid.org/0000-0002-4076-5134
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Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0001 Editorial Jan Heilmann (orcid.org/ 000-0003-2815-6827)/ Thomas Wagner (orcid.org/ 0000-0002-4076-5134) Das vorliegende Heft schließt an die Ausgabe 5/ 2 von 2020 an, die sich mit der materiellen Kultur und ihrer Bedeutung für die Hochschuldidaktik in den Bibelwissenschaften auseinandersetzt. Im Heft zur materiellen Kultur werden unterschiedliche methodische Zugänge zu den Realien der biblischen Welt beschrieben. Die Beiträge riefen im Herausgeberkreis die Fragen nach den Lernorten hervor, die in der vorliegenden Ausgabe behandelt werden. Als ein solcher Lernort bietet sich zunächst natürlich das Land Israel an. Es zu bereisen und dabei die Stätten der biblischen Erzählungen kennen zu lernen, ist ein wesentlicher Bestandteil eines auf die alt- und neutestamentliche Wissenschaft ausgerichteten Studiums. Die Regionen zwischen den Golanhöhen und dem ‚Bach Ägyptens‘ im Südland, von der südlevantinischen Mittelmeerküste über das Bergland bis hinunter in den Jordangraben bieten Lernenden und Lehrenden die Möglichkeit, die bei der Lektüre der Texte aufgerufenen mentalen Bilder um visuelle Eindrücke des heutigen Israels zu bereichern. Darüber hinaus sind es aber auch die Orte des kulturellen Gedächtnisses und der Erinnerungskultur, die für die Vermittlung der materiellen Kultur Israel/ Palästinas von Bedeutung sind. Museen und museale Parks bieten sich an, um Eindrücke vom Leben in der antiken südlichen Levante zu gewinnen. An diesen Orten wird die antike Kultur nicht nur erlebbar, sondern auch verstehbar. Die Annotation der einzelnen Objekte führt dazu, dass Studierende direkt mit der Erschließung der Objekte und Artefakte konfrontiert werden und damit der Zusammenhang von Sammlung, Ausstellung und wissenschaftlicher Erschließung verständlich wird. Analoges gilt im Blick auf das Neue Testament auch für Kleinasien, Griechenland und Rom. Die Orientierung an der materiellen Kultur, die eine Erweiterung und/ oder Verlagerung der Lernorte für die Bibelwissenschaft mit sich bringt, kann nicht nur im Sinne des sog. material turn eine Verschiebung hin zu kulturwissenschaftlichen Inhalten in der Lehre der biblischen Fächer und eine Anbindung an die Kulturwissenschaften bedeuten. Vielmehr setzt hiermit eine Neuausrichtung der Bibelwissenschaften innerhalb der universitären Disziplinen ein. War die Exegese von Texten seit ihren Anfängen in frühjüdischer Zeit bis hin zum Aufkommen der historisch-kritischen Exegese eine philologisch orientierte und von literatur- und sprachwissenschaftlichen Methoden bestimmte Disziplin, DOI 10.24053/ VvAa-2022-0001 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) 4 Jan Heilmann / Thomas Wagner änderte sich dies durch die im 19. Jh. n. Chr. entstehende Nähe zu Archäologie, zur Ethnologie, in der Folge auch zur Soziologie und schließlich zu den weiteren Kulturwissenschaften. Erhalten blieb über die Jahrhunderte hinweg die Aufgabe der Bibelwissenschaften, angehende Theologinnen und Theologen zur Wortverkündigung im Kontext kirchlichen oder schulischen Handelns zu befähigen. Die Inhalte dieser Verkündigung variierten im Laufe der Geschichte, und mit dem Aufkommen des Historismus in der frühen Neuzeit und dem Zug zur Rationalität in den aufgeklärten Gesellschaften diente die Exegese zunehmend als Mittel, biblische Texte in kritischer kultureller Distanz beschreiben zu können, so dass die in die Jetzt-Zeit übertragbare Information oder Position im Bewusstsein kultureller Differenzen gefasst und als solche gekennzeichnet werden kann. Ziel des Studiums biblischer Exegese als Teil des theologischen Fächerkanons blieb bis heute rein die Erschließung der Texte zur Vermittlung ihrer Botschaft. In Folge des material turns und einer zunehmenden Orientierung der Bibelwissenschaften an den Kulturwissenschaften kann in den kommenden Jahren auch eine Veränderung der Berufsfeldorientierung stattfinden. Die in bibelwissenschaftlichen Veranstaltungen vermittelten Kompetenzen, die über die Erschließung der materiellen Kultur der antiken südlichen Levante und des Mittelmeeraums hinausgehen, können in anderen Feldern eingesetzt werden. Das Erlernen von archäologischen Techniken und editorischen Prozessen führt dazu, dass die Bewahrung des kulturellen Erbes in Sammlungen, Museen und musealen Parks ebenso ein berufliches Handlungsfeld werden kann. Damit kommen die Studierenden bei einer intensiveren Einbindung von außer-universitären Lernorten nicht nur mit den Hinterlassenschaften der materiellen Kultur, sondern auch mit möglichen beruflichen Handlungsfeldern in Kontakt. Diese Ausweitung und/ oder Verlagerung der Berufsperspektive(n) sollte in den kommenden Jahren Auswirkungen auf die Gestaltung nicht nur von Lehrveranstaltungen, sondern auch von Studiencurricula haben. Gerade an den universitären Standorten, an denen theologische Studiengänge nicht rein auf das Pfarr- oder das Lehramt bezogen sind, ist eine engere Zusammenarbeit mit den Kulturwissenschaften zu suchen. Dies kann sowohl zu einer Integration von bibelwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen in andere Studiengänge führen, aber auch in eine Öffnung von Veranstaltungen für Studierende unterschiedlicher Studiengänge münden. Ist eine bibelwissenschaftliche Lehre kulturwissenschaftlich orientiert, ist sie aufgrund der nach wie vor hohen Relevanz biblischer Texte und Traditionen für die Kulturen noch immer stark christlich geprägter Regionen relevant. Das vorliegende Heft bietet eine Auswahl möglicher außer-universitärer Lernorte und fragt nach den mit ihnen verbundenen und an ihnen zu realisierenden Lehr-/ Lernmöglichkeiten. Dieter Vieweger führt im ersten Beitrag des Editorial 5 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0001 Heftes in die Geschichte und derzeitige Konzeption der sog. Palästina-Kurse der EKD ein. Die auf eine wissenschaftliche Beschäftigung mit alt- und neutestamentlichen Texten bezogene Vermittlung innerhalb dieses Kurses dient dazu, nachwachsenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, die Stätten der biblischen Erzählungen zu erkunden und an der Erschließung der Religions- und Kulturgeschichte der antiken südlichen Levante zu partizipieren. Im zweiten Hauptbeitrag stellt Meret Strothmann den archäologischen Park Xanten und dessen didaktisches Konzept vor. Von der Ruhr-Universität Bochum als außeruniversitärer Lernort für angehende Historikerinnen und Historiker genutzt, lassen sich die langjährigen Erfahrungen im Rahmen der historischen Ausbildung an der RUB auch auf die Bibelwissenschaften übertragen. Alexandra Wrathal und Florian Oepping beschreiben im dritten Beitrag, wie ein archäologisches Grabungsfeld zu einem Lehr-/ Lernort werden kann und welche Fähigkeiten dort vermittelt werden. An diesen Beitrag schließt das erste Lehr-/ Lern-Bespiel an. In ihm beschreibt Felix Höflmayer Arbeits- und Vermittlungsprozesse bei archäologischen Surveys. Thomas Wagner geht im zweiten Lehr-/ Lern-Bespiel auf die Erschließung von Objekten und Artefakten mittels Annotation innerhalb von Lehrveranstaltungen ein. Den besprechenden Teil dieses Heftes bilden zwei Rezensionen und ein vergleichender Überblick über das digitale Angebote ausgewählter Museen mit Antikensammlungen. In seiner ersten Rezension betrachten Seth Bledsoe und Thomas Wagner den Museumspark Orientalis in Nijmegen/ Niederlande, der in den vergangenen Jahren von einem Bibelmuseum zu einem Erlebnispark des antiken Vorderen Orients fortentwickelt wurde. In ihrer Rezension stellen sie diesen Park vor und fragen nach seiner Didaktik. In der zweiten Rezension bespricht Thomas Wagner das von Angelika Berlejung als Hauptherausgeberin veröffentliche Reallexikon Encyclopedia of Material Culture in the Biblical World , das einen vertieften Einblick in die materielle Kultur der antiken südlichen Levante gibt. Silas Cardoso Klein stellt in Frontend digitale Plattformen von bedeutenden Museen vor, fragt nach deren Funkionalität und einem möglichen Einsatz in der akademischen Lehre. Abgeschlossen wird dieses Heft von einem Interview mit Prof. Dr. Angelika Berlejung von der Universität Leipzig, die als eine der wesentlichen universitären Aktantinnen der vergangenen Jahrzehnte die Integration der Wahrnehmung und Deutung der materiellen Kultur in das bibelwissenschaftliche Studium beförderte. Mit einem persönlichen Anliegen möchten wir dieses Editorial beschließen. Dieses vorliegende ist das letzte Heft, das wir als Hauptherausgeber verantworten. Mit ihm treten wir in den erweiterten Herausgeberkreis zurück und geben die Verantwortung für die Gestaltung der Zeitschrift an Dr. Nancy Rahn (Bern) und PD Dr. Matthias Hopf (Zürich) weiter. Nach fast 10-jähriger Beschäftigung DOI 10.24053/ VvAa-2022-0001 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) mit der Hochschuldidaktik in den Bibelwissenschaften scheint es uns an der Zeit zu sein, einer neue Generation mit ihren Ideen und Vorstellungen vom Lehren und Lernen in unseren beiden Fachdisziplinen Platz zu machen, um das Projekt fortzuführen und mit neuen Impulsen zu bereichern. Wir wissen unser Anliegen bei ihnen in den besten Händen und freuen uns darauf, in den kommenden Jahren in die Rolle der Lernenden wechseln zu können.