eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 7/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0002
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2022
71 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

120 Jahre ,Lehrkurs’ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes

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2022
Dieter Viewegerhttps://orcid.org/0000-0002-7045-891X
Kenntnisse der historischen Stätten biblischer Texte sind seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Exegese für alle Lehrenden in den Bibelwissenschaften wesentlich. Diese Einsicht führte zum Ende des 19. Jh.s n. Chr. zu Überlegungen, Lehrende durch die Lehrkurse des DEI zu qualifizieren. Die Geschichte dieser Kurse, ihre didaktische Konzeption und Fortentwicklung bis in die Gegenwart werden im Folgenden dargestellt und reflektiert.
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Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes Dieter Vieweger (orcid.org/ 0000-0002-7045-891X) Kenntnisse der historischen Stätten biblischer Texte sind seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Exegese für alle Lehrenden in den Bibelwissenschaften wesentlich. Diese Einsicht führte zum Ende des 19. Jh.s n. Chr. zu Überlegungen, Lehrende durch die Lehrkurse des DEI zu qualifizieren. Die Geschichte dieser Kurse, ihre didaktische Konzeption und Fortentwicklung bis in die Gegenwart werden im Folgenden dargestellt und reflektiert. 1 Das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) Das DEI wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) getragen und ist zugleich eine Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Es unterhält Institute in Jerusalem und Amman. Damit ist es als deutsche Einrichtung und Forschungsinstitut eine wichtige Plattform für die archäologische, altgeschichtliche und theologische Arbeit in Israel, in den palästinensischen Gebieten und in Jordanien. Die Geschichte des DEI reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Trotz tiefer Krisen während der beiden Weltkriege ist es heute ein lebendiges und wissenschaftlich erfolgreiches Institut mit archäologischen Ausgrabungen und vielfältigen Projekten. Dazu gehören die Erforschung des Tall Zirāʿa und das dazugehörige landschaftsarchäologische Gadara Region Project 1 , das Zionsbergprojekt in Jerusalem 2 , das Neue Tiberias Projekt sowie der archäologische Park unter der Erlöserkirche 3 . Die Ausgrabung unter der Erlöserkirche ist unter dem Motto Durch die Zeiten zum ‚Schaufenster‘ der Tätigkeit des DEI in Jerusalem geworden und zieht jährlich tausende Besucher an. Regelmäßige Programme mit Schulen richten sich mit archäologischen und politischen Themen an die 1 https: / / www.tallziraa.de. 2 https: / / www.zionsberg-jerusalem.de. 3 https: / / www.durch-die-zeiten.info. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) 8 Dieter Vieweger Abiturientinnen und Abiturienten vor Ort. 4 Restaurierungsprojekte (von Keramikobjekten bis zu wissenschaftlichen, historischen Holzmodellen Jerusalems) und umfangreiche Projekte zum Kulturgüterschutz (u. a. im Museum auf der Zitadelle in Amman) ergänzen die Tätigkeit dieses Instituts. 5 2 Der Lehrkurs des DEI 2.1 Die Lehrkurse in der ersten Hälfte des 20.-Jahrhunderts Unter der Bezeichnung Lehrkurs begründete der erste Institutsdirektor Gustaf Dalman (1902 bis 1914 in Jerusalem) ein wissenschaftliches Programm, das bis heute durchgeführt wird. Der jeweils im Frühjahr stattfindende Kurs zielte vorrangig darauf, den Stipendiaten die Möglichkeit zu geben, die Stätten des Alten und Neuen Testaments aus eigener Anschauung kennen und damit die Bibel besser verstehen zu lernen, wissenschaftlich begleitet von Vorlesungen Dalmans zu Geographie, Landeskunde, Geschichte, Topographie und Archäologie Palästinas. Außerdem gehörte ein arabischer Lektürekurs zum Programm der Kursteilnehmer. Nach Tagesausflügen in Jerusalem und seiner Umgebung an den Wochenenden folgte als Höhepunkt eine dreiwöchige Exkursion in einer Karawane aus Pferden, Lasttieren, Zelten und Ausrüstung und mit den nötigen einheimischen Helfern. Obligatorische Ziele waren Nablus (Sichem), Sebaste (Samaria) und Nazareth. Die weiteren Ziele im West- und Ostjordanland wechselten von Jahr zu Jahr in verschiedenen Reiserouten. Seit 1904 wurden jährlich bis zu sechs Stipendiaten zu einem dreimonatigen Lehrkurs in das Heilige Land entsandt. Dadurch fand die Arbeit des Instituts Eingang sowohl in die theologische Forschung als auch in die kirchliche Arbeit in Deutschland. Berühmte Mitglieder solcher Lehrkurse waren z. B. Hugo Gressmann, Albrecht Alt oder Martin Niemöller. In den Anfängen mit Zelt und zu Pferd bereisten die Stipendiaten das Heilige Land, hörten und hielten Vorträge und widmeten sich eigenen kleinen Forschungsprojekten. Für Gustaf Dalman - den ersten Direktor des DEI in Jerusalem - waren diese Reisen nicht nur für Theologen wichtig, sondern eigentlich für jeden Christenmenschen, denn das Land kann „der Theologie und der Kirche den bescheidenen, aber nicht überflüssigen Dienst leisten, für den Gott es bestimmt hat. Es ist kein neues Evangelium, aber ein von Gott selbst geschriebener Kommentar 4 https: / / www.meine-stadt-meine-geschichte.de; https: / / www.focus.de/ politik/ ausland/ nahost/ politik-und-gesellschaft-allahs-wissbegierige-toechter_id_4792334.html. 5 https: / / www.zitadelle-amman.de. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 9 zu allen biblischen Büchern von der Genesis bis zur Apokalypse“. Er war davon überzeugt, dass nur durch Kenntnis des Landes, in dem die biblischen Texte spielen und zum Teil auch geschrieben wurden, die biblischen Geschichten zutreffend auslegt und verstanden werden können. Die aus Europa anreisenden Stipendiaten gelangten von Italien aus mit dem Schiff nach Jafo. Um aber zu einem der begehrten Tickets zum DEI in Jerusalem zu gelangen, mussten sie sich beim Institutsdirektor in Jerusalem bewerben - oder noch besser, von einem ‚gestandenen‘ Professor der alttestamentlichen Wissenschaft vorgeschlagen werden, denn das Lehrkursstipendium erfreute sich stetig großer Beliebtheit. Es gab um einiges mehr Bewerber als freie Plätze, und Anfragen von hoffnungsvollen Bewerbern aus dem In- und Ausland waren keine Seltenheit. Aus einem Brief von Prof. Dr. L. H. K. Bleeken, Universität Groningen/ Holland, 25.3.1911: „An unserem Institut studiert seit 5 Jahren Theologie ein talentvoller junger Mann, der sein Interesse vornehmlich dem Alten Testamente und der Sprach- und Altertumswissenschaft des Heiligen Landes widmet; sehr gerne möchte er aber an Ort und Stelle unter Führung bekannter Autorität diese Studien durch eigne Anschauungen abrunden und zu einem gewissen Abschlusse bringen. […] Würde genanntes Institut [das DEI] es ihm gestatten sich zu den jungen deutschen Theologen zu gesellen und sich mit ihnen stellen unter Ihre vorzüglichen Leitung? “ Aus einem Brief von Pfarrer Tachsse, Bonn, 17.6.1913: „Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie durch meine Anfrage belästige. Ich habe den lebhaften Wunsch, das hl. Land persönlich kennen zu lernen. Dieser Wunsch ist verständlich, da sich schon von meiner Studienzeit her mein Interesse auf orientalische Sprachen und Altes Testament konzentrierte. […] Ich möchte mich gerne um das Stipendium des DEI bewerben und wende mich deshalb an Sie hochverehrter Herr Professor, mit der Bitte, mir mitzuteilen, auf welchem Wege diese Bewerbung zu erfolgen hat. […] Doch ich will nicht weiter fragen, sondern bitte Sie nur noch einmal: Helfen Sie mir; raten Sie mir; was würden Sie für meinen Fall am richtigsten halten? “ Aus einem Brief von A. Gustavs, Hiddensee bei Rügen, vom 15.1.1914: „Je länger ich nun von Palästina fern bin, umso größer wird der Wunsch bei mir, noch einmal hin zu dürfen. Nachdem neulich die Herrn Prof. Proksch und Alt […] mir von dem letzten großen Institutsritt erzählt haben, kann ich es doch nicht mehr unterlassen, Schritte zu tun, um noch einmal ins Institut zu können. Ich möchte Sie jedoch vorher zum Ihren gütigen Rat bitten, in welcher Weise das am Besten geschieht und ob überhaupt einige Aussicht dazu vorhanden ist, daß jemand zweimal als Mitglied ins Institut kommt. […] Ich würde Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, sehr dankbar sein, wenn Sie die Güte hätten, mir Näheres darüber mitzuteilen, an wen und in welcher Weise ich am Besten ein Gesuch um nochmalige Verleihung des Stipendiums als Mitglied abfasse.“ Die dreiwöchige ‚Zeltreise‘ war der Höhepunkt eines jeden Lehrkurses. Mit den Reisevorbereitungen beauftragte Dalman in den ersten Jahren ein Reisebüro, das sich um die Details kümmerte. Später übernahm er diese Aufgabe selbst. Sie erwies sich als umfangreich: Zelte und Zubehör, Verpflegung, Personal, Pferde und Maultiere und mitunter Führer und Gendarmen mussten angeheuert und bezahlt werden. Zuweilen kümmerten sich auch die Teilnehmer selbst um Einzelheiten, wie z. B. um die persönliche Bewaffnung. „Jeden Sonnabend sieht man die Herren des Instituts hoch zu Ross oder zu Esel mit flatternden Kopftüchern und wehenden Mänteln über die felsigen Halden Judäas dahinreiten, um auf sechsbis achtstündigem Ritt die weitere Umgebung Jerusalems kennen zu lernen. Und wie der Zug eines kleinen Beduinenclans ist es, wenn auf der großen Institutsreise 21 Menschen und 28 Tiere mit vier Zelten und dem nötigem Hausrat und Proviant sich einmal zur Karawane zusammenschließen. An kleinen und großen Abenteuern fehlt es auf den unebenen Pfaden Palästinas nicht […]. Ein zugiges Zelt, ein feuchtes Nachlager, ein störriges oder träges Reittier geben Gelegenheit, Kraft und Gesundheit zu stählen. Der Weckpfiff des Vorstehers vor Sonnenaufgang, auf den lebenslustige Stipendiaten wohl mit Hurra antworten, setzt dem Schlaf zuweilen eine unbarmherzige Grenze. Bei aller körperlicher Anstrengung gilt es, den Zweck des Reisens nicht aus dem Auge zu lassen, die Vergangenheit in die Gegenwart hineinzudenken und allen Spuren der alten Zeit gewissenhaft nachzugehen.“ 6 6 Dalman, Pälästinajahrbuch, 19f. 10 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Über diese ‚ Zeltreise‘ berichten die folgenden Dokumente und Photographien: Aufenthaltsgenehmigung des osmanischen Vesirs. Abbildung 1: Aufenthaltsgenehmigung für die Teilnehmenden des Lehrkurses. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 11 Vertrag über die Bereitstellung von Zelten und allem nötigen Zubehör für die im März/ April 1905 stattzufindende Zeltreise. Abbildung 2: Vertrag zwischen Dalman und Araka S. Esskafi. Jerusalem, 9.2.1905. 12 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Vertrag über die Bereitstellung von Pferden, Maultieren und Maultiertreibern für die im März/ April 1905 stattzufindende Zeltreise. Abbildung 3: Vertrag zwischen Dalman und und Jāsīn Ḥāschi. Jerusalem, 11.2.1905. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 13 Die Summe wurde ausgelegt für die Vorbereitung der Expedition nach Petra. Verwendungszweck: Leihgebühr für ein Gewehr und Erwerb von Patronen. Abbildung 4: Quittung über die Auslegung von 20,- Francs, ausgestellt von Th. Faß. Jerusalem, 25.4.1904. Entwurf der Menüfolge für die im März 1904 stattzufindende Zeltreise. Abbildung 5: Entwurf eines Küchenzettels vom Reisebüro Dr. J. Benzinger. Jerusalem, 1.3.1904. 14 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Abbildung 6: Die Ruine Dschāmi‛ es-Sittīn, 30.3.1911. Abbildung 7: Mittagsrast beim Jakobsbrunnen, 31.3.1911. Abbildung 8: Auf dem Berg Garizim, 31.3.1911. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 15 Abbildung 9: In Sebaşţie, 1.4.1911. Abbildung 10: Auf dem Berg Nebi Sa‛īn, 2.4.1911. Abbildung 11: Baden im See Genezareth (Pastor Schmaltz, Hr. Wienhold, Dr. Lohmann), 4.4.1911. 16 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Abbildung 12: Abfahrt vom Westufer des Sees Genezareth, 4.4.1911. Abbildung 13: Aussteigen aus dem Boot, 4./ 5.4.1911. Abbildung 14: Zeltlager bei ‛Ēn eţ-Ţābeŗa, 5.4.1911. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 17 Abbildung 15: Anwohner des Phialasees (Birket Rān), 8.4.1911. Abbildung 16: In Buķa‛te, mit dem Berg Hermon im Hintergrund, 8.4.1911. Abbildung 17: Die Teilnehmer vor der Bahnstation in Maķārin, 11.4.1911. 18 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Abbildung 18: Dalman mit Anwohnern bei Gerasa (Dscherasch), 14.4.1911. Abbildung 19: Das Theater von Amman, 17.4.1911. Abbildung 20: Im Wādi Ķelt, 20.4.1911. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 19 Abbildung 21: Abreise nach Jaffa (Pastor Schmidt, Pastor Riemer, Hr. Jerus), Ende April 1911. Nach der Zeltreise und dem Lehrkurs waren die Stipendiaten zumeist voll des Lobes über die Möglichkeit, fachkundig in die historische Geographie und Topographie der biblischen Zeiten eingeführt worden zu sein - jedenfalls spiegeln das die erhaltenen Dankesschreiben, wie das folgende: Aus einem Brief von Pastor Mickley, Lychen, 30.5.1909: „Von der Palästinareise wohlbehalten zurückgekehrt empfinde ich es als eines der ersten Anliegen dem Vorstande des archäologischen Instituts für die Verleihung des Stipendiums verbindlichen Dank auszusprechen. Die Gunst und der Vorteil dieser Reise ist so groß, daß jedes von den Institutsmitgliedern sie als ein epochemachendes Erlebnis in der Folge betrachten wird. Wir haben Herrn Professor D. Dalman einen reichen Studienplan zu verdanken: Über die Altertümer von Jerusalem ambulando Vorträge, welche er zum ersten Male unternommen hat und welche wohl einen ständigen Teil des Programms bilden sollten, da sie am besten und eindrücklichsten in die Probleme der Topographie von Jerusalem einführen und in einem genetischen Gedankenaufbau, welcher an die Art Lessings erinnert, vorsichtig und beachtenswerte Lösungsversuche enthalten. Außerdem Vorlesungen über den Jahreslauf in Palästina, die eine Fülle von Beiträgen zum Schriftverständnis geboten haben, und exegetische Übungen über den palästinischen Diwan, welcher Einblicke in das Leben der heutigen arabischen Landesbewohner gewähren und auch Parallelen besonders zum Alten Testament darbieten. Sechs Ausflüge (umgerechnet einige Monate) in die weitere Umgebung von Jerusalem nach allen Himmelsrichtungen und eine Reise durch das ganze Westjordanland und den landschaftlich und culturgeschichtlich wichtigen Teil des Ostjordanlandes. Eine umfassende Gelegenheit also mit Palästina in allen seinen wesentlichen und 20 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) eigentümlichen Teilen und mit beinahe allen seinen geschichtlich denkwürdigen Ortschaften und Ortslagen bekannt zu werden - wir haben mehr als 150 Orte besucht und ausserdem sehr viele aus geringerer oder größerer Entfernung gesehen - eine Gelegenheit zugleich in die Realität des Alten und Neuen Testaments […] mit mehr Bedeutung einzudringen. […] Das Programm selbst aber und seine Durchführung durch den Herrn Vorsteher kann nicht schöner und lehrreicher gedacht werden. Und die Bereitwilligkeit mit welcher er unsere Wünsche zu vereinigen und zu erfüllen suchte, mit welcher er auf tausend Fragen einging, ist des höchsten Lobes wert.“ Am 28. Juli 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Die sehr erfolgreiche Aufbauphase des DEI in Jerusalem fand ein jähes Ende - und damit auch die Lehrkurse. Erst im Jahr 1924 konnte Albrecht Alt bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, der dann jegliche Institutsarbeit vor Ort zunächst unmöglich machte, die Lehrkurse wieder aufnehmen und so eine Generation jüngerer Gelehrter (vorwiegend Deutsche, aber auch Schweizer, Niederländer, Finnen und Amerikaner) in die Palästinaforschung einführen. 2.2 Die Wiederaufnahme der Lehrkurse nach dem Zweiten Weltkrieg Kurt Galling nahm 1952 die Orientreisen wieder auf und bereitete den ersten Nachkriegs-Lehrkurs des DEI mit Reisen in den Libanon und nach Syrien vor, den er 1953 selbst verantwortete. Nun reisten die Stipendiaten auch nicht mehr zu Pferde wie noch in den 1920er Jahren, sondern mit dem Auto, denn in der südlichen Levante war ein ausgebautes Straßennetz entstanden. Seit 1956 starteten die Lehrkursteilnehmer dann auch mit institutseigenem VW-Bus geschlossen von Deutschland aus die gemeinsame Fahrt und Überfahrt von Genua nach Beirut, dem alljährlichen Ausgangsort der Lehrkurse. Die Lehrkurse veränderten sich sehr bald. Wer hatte noch Zeit für eine lange Schiffsreise? Wer durfte während des Semesters über Monate die Universität verlassen? Wer konnte sich lange Auszeiten leisten? In den folgenden Jahrzehnten sollten noch viele weitere Modifikationen notwendig sein, um die Angebote für die Teilnehmer attraktiv zu gestalten. Seit den frühen 60er Jahren fanden die Lehrkurse in den Semesterferien statt, um insbesondere Hochschulprofessoren verstärkt die Möglichkeit der Teilnahme zu eröffnen. Entsprechend hatten die Lehrkurse den Charakter von Forschungsreisen und führten regelmäßig nach Jerusalem sowie durch den Libanon, Syrien, Jordanien und das Westjordanland und manchmal auch Ägypten. Die Lehrkurse blieben das Herzstück der Institutsarbeit, auch wenn sie erstmals 1977 von drei Monaten auf zwei Monate verkürzt wurden. In der Nachkriegszeit hatten bis 1966 immer auch ein bis zwei Stipendiaten aus der DDR Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 21 teilnehmen können. Aufgrund der politischen Ereignisse im Nahen Osten war in den Jahren nach 1967 eine Teilnahme zunächst nicht mehr möglich, obgleich sich das Institut immer noch als eine gesamtdeutsche Unternehmung verstand und Wissenschaftler aus der DDR nach wie vor in den Auswahlgremien vertreten waren. Schließlich kam es bis zur Wiedervereinigung Deutschlands zu dem Kompromiss, dass alle zwei Jahre das Kursprogramm nur Syrien und Jordanien abdeckte und dann DDR-Entsandte teilnehmen konnten, während in den Jahren dazwischen Israel eingeschlossen war und nur westdeutsche Teilnehmende partizipieren konnten. Im wiedervereinigten Deutschland musste der Lehrkurs völlig ‚neu erfunden‘ werden. Schon seit den 80er Jahren reisten viele Theologiestudierende aus dem Westen Deutschlands ganz selbstverständlich vor, während oder nach ihrem Studium in den Nahen Osten. ‚Biblisch Reisen‘ wurde zur Selbstverständlichkeit. Der Begegnung mit dem Heiligen Land war längst nicht mehr das Proprium des Lehrkurses. 3 Die Neugestaltung der Lehrkurse im Jahr 2005 Der Lehrkurs des DEI wird seit 2005 in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Hochschule Wuppertal durchgeführt. Seither richtet sich der Lehrkurs über den Kreis der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich der Theologie auch verstärkt darüber hinaus an Absolventinnen und Absolventen der verschiedenen Fachrichtungen wie der Archäologie, der Religionsgeschichte und der Geschichtswissenschaften. So trat neben die Topographie und die Einführung in die Geschichte der südlichen Levante verstärkt die archäologische Forschung, die Teilnahme an Lehrgrabungen und Vor-Ort-Besuche bei archäologischen Expeditionen sowie die Begegnung mit Archäologinnen und Archäologen im Heiligen Land. Gerade das interdisziplinäre Gespräch über Wochen und Monate in der Gruppe der Stipendiatinnen und Stipendiaten wurde zu einem Erfolgsgarant der Unternehmung. Auch spezielle Berufsgruppen wie Pfarrerinnen und Pfarrer, Journalistinnen und Journalisten wurden gezielt für einzelne Lehrkurse angesprochen. Unter der Leitung der Institutsdirektoren des DEI und der Mitarbeit von Fachreferenten sowie durch den Besuch verschiedener Einrichtungen (Gemeinden, Botschaften, Stiftungen, Universitäten etc.) wird auch ein Einblick in die Methoden und Ergebnisse der Archäologie, Landeskunde und Kulturgeschichte der Levante sowie in die moderne Gesellschaft der jeweilig besuchten Länder vermittelt. Der Aufenthalt bietet zudem einen Anreiz zum interkulturellen Dialog. 22 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Die Stipendiatinnen und Stipendaten erhalten die Möglichkeit, unter fachkundiger Anleitung bis zu acht Wochen durch die Länder des Nahen Ostens zu reisen und dabei eigene Studien zu betreiben. Ziel des Angebots ist es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Universitäten und Forschungseinrichtungen mit den tatsächlichen Verhältnissen im Nahen Osten vertraut zu machen, die von den Teilnehmenden ausgewählten archäologischen Orte zu besuchen sowie deren Relevanz im gegenseitigen Diskurs zu erarbeiten. Beabsichtigt wird, den Stipendiatinnen und Stipendiaten einen Überblick über die materielle Kultur privater Frömmigkeit in Palästina zwischen der Bronzezeit und der islamischen Zeit zu ermöglichen. An ausgewählten Zeugnissen wird das Verhältnis von schriftlicher und archäologischer Überlieferung diskutiert. Außerdem verfolgt der Kurs das Ziel, den Stipendiatinnen und Stipendiaten den Aufbau eines Netzwerkes zu den Palästina-Wissenschaften zu ermöglichen, indem der Kurs sie miteinander in Verbindung bringt und ihnen über die Dozentinnen und Dozenten Anknüpfungspunkte der beteiligten Fachwissenschaften zugänglich macht. Der Lehrkurs richtet sich primär an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hierzu vergibt der Evangelische Kirche in Deutschland jährlich bis zu sechs Stipendien, welche den Großteil der Kosten decken. Das Programm setzt sich aus verschiedenen Modulen zusammen, in denen jährlich wechselnde Themen behandelt und unterschiedliche Regionen bereist werden. Vor der Reise wird ein Einführungstreffen in Wuppertal veranstaltet, das für alle Teilnehmenden verpflichtend ist. Hierbei werden auch alle Fragen zum gewünschten Reiseablauf besprochen. Dabei werden Schwerpunktthemen vereinbart. Zusätzlich ermöglichen Reisen nach Zypern oder in den Sinai sowie Lehrgrabungen auf dem Tall Zirāʿa ein vertieftes Kennenlernen der biblischen Welt und des Vorderen Orients. Es ist zu wünschen, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch in Zukunft voller Wissenszuwachs und neuer Ideen nach Hause zurückkehren, wie es schon zu Dalmans Zeiten war: „Heute geht es zurück nach Deutschland. Der Lehrkurs des DEI ist eine großartige Einrichtung, die auch nach mehr als hundert Jahren nichts an ihrem Reiz verloren hat. Dalman sei Dank! Nun ist Zeit für ein trauriges Gesicht.“ 7 PS: Für die Bewerbung auf zukünftige Lehrkurse werden folgende Unterlagen benötigt: 7 Hölscher, Abschied. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 120 Jahre ‚Lehrkurs‘ des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft 23 • Ein kurzes Bewerbungsschreiben, adressiert an den Verwaltungsrat des Deutschen Ev. Institutes für Altertumswissenschaften des Heiligen Landes • Ein Lebenslauf (auch tabellarisch) • Freistellung durch den zuständigen Superintendenten • Erläuterungen, was Ihr besonderes Interesse am Lehrkurs ist • Eine Erklärung, dass Sie für den Fall der Wahl das Stipendium annehmen werden. Bewerbungsschluss ist der 15. Oktober des Vorjahres. Die Bewerbungen sind zu richten an Prof. Dr. Dieter Vieweger (vieweger@deiahl.de). Der Eigenanteil beträgt derzeit 1.500,00 €. Bibliography Dalman, Gustaf: Palästinajahrbuch des DEI 1 (1905), 19f. Michael Hölscher: Abschied aus Jerusalem. Reisetagebuch, Grammata (20. September 2014). https: / / grammata.hypotheses.org/ 995. Last access: 26.01.2022. https: / / www.tallziraa.de. Last access: 26.01.2022. https: / / www.zionsberg-jerusalem.de. Last access: 26.01.2022. https: / / www.durch-die-zeiten.info. Last access: 26.01.2022. https: / / www.meine-stadt-meine-geschichte.de. Last access: 26.01.2022. https: / / www.focus.de/ politik/ ausland/ nahost/ politik-und-gesellschaft-allahs-wissbegierige-toechter_id_4792334.html. Last access: 26.01.2022. https: / / www.zitadelle-amman.de. Last access: 26.01.2022. 24 Dieter Vieweger DOI 10.24053/ VvAa-2022-0002 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022)