eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 7/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0007
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2022
71 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Museumpark Orientalis Nijmegen (www.museumparkorientalis.com)

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2022
Seth Bledsoehttps://orcid.org/0000-0003-3667-4712
Thomas Wagnerhttps://orcid.org/0000-0002-4076-5134
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Museumpark Orientalis Nijmegen (www.museumparkorientalis.com) Besucheradresse: Profetenlaan 2, NL-6564 BL Heilig Landstichting rezensiert von Seth Bledsoe (orcid.org/ 0000-0003-3667-4712) und Thomas Wagner (orcid.org/ 0000-0002-4076-5134) 1 Zum Museum Der Museumspark Orientalis bei Nijmegen/ NL liegt auf dem Gelände des ältesten römischen Camps in den Niederlanden. Der Ort ist als Ulpia Noviomagus in den Quellen belegt und stammt aus der Zeit Trajans (98-117 n. Chr.). Auf seinem Gelände wurde 1911 der Pilgerpark De Heilig Land Stichting errichtet. Der Park sollte niederländischen Gläubigen die Erfahrung vermitteln, in das heilige Land zu pilgern. Dies passte sich insofern in die Region ein, als dass der Pilgerpark direkt mit der Region Niederrhein mit seinen Wallfahrtsorten eng verbunden ist. Direkt an der deutsch-niederländischen Grenze entstand mit dem Park ein erlebbares Gegenüber von römisch-katholischer Wallfahrtstradition und der mit ihnen verbundenen Geschichte heiliger Personen und dem protestantischen Interesse an der Erfahrung der ‚historischen‘ Stätten der biblischen Erzählungen. Mit dem Museum wurde damit in den Hochzeiten der Leben Jesu-Forschung zu Beginn des 20. Jh.s n. Chr. ein niederschwelliger, sich an der gemeindlichen Katechese ausrichtender Zugang zu Geschichte und Lebenswelt Jesu geschaffen. Einige Elemente des Parks haben noch die Form, die der Künstler Piet Gerrits und der Architekt Jan Stuyt ihnen gegeben haben, erhalten. In den Nachkriegsjahren wurde das Museum als Biblisches Freilicht Museum fortgeführt, bis es 2007 zum Musemspark Orientalis wurde. Im Zuge des Umbaus hat der Park seinen Schwerpunkt um eine ökumenische und interreligiöse Erfahrung erweitert, wobei islamischen und jüdischen Kontexten große Bedeutung beigemessen wird. Heute liegt der inhaltliche Schwerpunkt sehr stark auf der religiösen Vielfalt. Im ‚christlichen‘ Teil der Römerstraße zum Beispiel sind in mehreren Seitenteilen Räume zu sehen, die von den Religionen der Antike inspiriert sind, darunter der Mithraismus und das alte Ägypten. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Museumpark Orientalis Nijmegen 77 Das heutige Museum ist durch seine Umgestaltung stark auf einen Gegensatz von Orient und Okzident ausgerichtet und führt die Besucherinnen und Besucher in die Kultur der südlichen Levante in den Zeiten römischer Herrschaft über diesen Region. Damit bleibt die vormalige Ausrichtung auf das antike Palästina weiterhin gewahrt, doch tritt die biblische Geschichte stärker in den Hintergrund. Neben dieser Konzentration auf das 1. Jh. n. Chr. werden Ursprung und Praxis der drei abrahamitischen Religionen im Museumspark mittels des Nachbaus einer antiken Synagoge, eines frühen Kirchengebäudes und einer Moschee aus den Anfängen des Islams dargestellt. Das Museum hält an seiner Vision fest, eine Pilgerreise ins Heilige Land nachzubilden. Stattdessen wird der Besucher eingeladen, mit seinen Sinnen zu lernen. Das Museum ist ein Zeugnis für das ursprüngliche Ziel des Parks, einen Pilgerraum zu schaffen, und besteht weiterhin aus mehr als nur visuellen Darstellungen - die Kuratoren haben den Raum so gestaltet, dass die Besucher in die Umgebung eintauchen können. Natürlich mag dies angesichts der großen klimatischen Unterschiede zwischen den nordeuropäischen Tiefebenen und der Bergregion des judäischen Hochlands schwierig erscheinen, ganz zu schweigen von der kontrastreichen Flora und Fauna. Die Planer des Museumpark Orientalis haben sich jedoch dieser Vision verschrieben und Gebäude und Gelände so gestaltet, dass sie den Hang in eine Vielzahl ansonsten ungewohnter Räume verwandeln - von einem judäischen Abschnitt, der direkt einem Original aus dem frühen 20. Jahrhundert nachempfunden ist, über eine Ansammlung arabischer und islamischer Gebäude, die mit finanzieller Unterstützung aus dem Oman errichtet wurden, bis hin zu einer beeindruckenden römischen Stadtstraße mit einem Markt, einem Gericht und sogar antiken römischen Toiletten. Zusätzlich zu den religiösen Aspekten sind viele der Räume mit Momentaufnahmen des täglichen Lebens ausgestattet - wiederum Modelle, die ein Gefühl des Seins, ja des Lebens in den verschiedenen Räumen vermitteln sollen. 2 Zur Didaktik und Methode Der Umbruch von einer auf Pilgererfahrung hin ausgerichteten Stätte zu einer Erlebniswelt des antiken Vorderen Orients führt zum Nebeneinander von drei Themen, die in der derzeitigen Ausstellungsform (noch) unverbunden nebeneinander existieren. Der als Beth Juda bezeichnete Nachbau des antiken Nazareths - der sich am transjordanischen Gebäudeformen und -formationen orientiert - sowie die Karawanserei stellen das Leben Jesu dar. Dabei wird die biblische Geschichte aufgenommen (das Wohnhaus Marias sowie der Arbeits- und Wohnort Josephs werden gezeigt) und mit Gegenständen der materiellen Kultur der südlichen Levante (Tonware, Raumausstattung etc.) verbunden. Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 78 Seth Bledsoe / Thomas Wagner Abbildung 1: Tonware im Außenbereich Anders stellt sich dann das arabische Dorf dar, das erst nach der Umwidmung des Parks zu einem Museum für den Vorderen Orient entstanden ist. In ihm werden Bauformen und -formationen der südlichen arabischen Halbinsel mit der Geschichte des frühen Islam verbunden. Hier fallen besonders die Formen, die die materielle Kultur dieser Region ausbilden auf, da sie sich von denen der südlichen Levante unterscheiden. Mit Photographien des modernen Omans versuchen die Ausstellenden, diesem Dorf eine spezifische Atmosphäre zu verleihen. Das zentral gelegene Zeltlager lässt die Besuchenden nachempfinden, wie (Halb-)Nomaden lebten. Dabei fallen vor allem die simplen Konstruktionen der Zelte auf. Die zentrale Feuerstelle suggeriert, dass die in diesen Zeltlagern lebenden Menschen als geschlossene Gemeinschaft existierten, in denen die unterschiedilch großen Zelte den einzelnen Statusgruppen zugewiesen wurden. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Museumpark Orientalis Nijmegen 79 Abbildung 2: Zeltlager von (Halb-)Nomaden Die römische Straße vermittelt schließlich das Leben auf der südlichen Levante unter römischer Oberherrschaft. In diesem Bereich des Museumsparks finden sich verschiedene Handwerkerhäuser, in denen die Besuchenden die Produktion von Tonware sowie von Metallwerkzeugen erleben können. Anders als im Beth Juda und im arabischen Dorf wird hier ein geringerer Wert auf die Vermittlung religiöser Traditionen als auf die Begegnung mit der materiellen Kultur gelegt. Implizit wird mit der römischen Straße die kulturelle Verschiebung von einer rein orientalischen hin zu einer vom Okzident beeinflussten Kultur vermittelt. Fremd wirkt in diesem Zusammenhang das Haus, in dem dann noch die ägyptische Kultur mittels iherer Götterwelt dargestellt wird. Die Bedeutung Ägyptens als Hochkultur, wie es auch in der römischen Antike angesehen wurde, könnte hier stärker betont werden, damit die Integration dieses Hauses in die römische Straße deutlicher wird. Mit diesem Nebeneinander halten die Kuratoren des Parks bewusst am Ursprungskonzept des Parks fest, eine Reise in den Vorderen Orient zu simulieren. Mit wenigen Ausnahmen bieten die Exponate nur sehr wenig Textinformationen und kaum Artefakte. So werden die Besucher eingeladen, mit ihren Sinnen zu lernen. Daher besteht die Ausstellung weiterhin fast ausschließlich aus visu- Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 ellen Darstellungen - die Kuratoren haben den Raum so gestaltet, dass die Besucher in die Umgebung eintauchen können. Natürlich mag dies angesichts der großen klimatischen Unterschiede zwischen den nordeuropäischen Tiefebenen und der Bergregion des judäischen Hochlands schwierig erscheinen, ganz zu schweigen von der kontrastreichen Flora und Fauna. Durch den Ausbau der Römersiedlung entstand ein gewisses Ungleichgewicht innerhalb des Parks. Beth Juda und Omani sind zwar beeindruckend, stehen aber im Schatten der Römerstraße in Jerusalem. Im Gegensatz zu den judäischen und arabischen Dörfern, die sehr eng an bestimmte Orte angelehnt sind, ist das römische Jerusalem eher als ‚inspiriert von‘ zu sehen, mit Strukturen und Grundrissen, die eher Ähnlichkeit mit einer Stadt aus der Römerzeit haben, als dass sie einen direkten Bezug zu einem bestimmten Teil der Stadt hätten. Dennoch ist die architektonische Darstellung beeindruckend, unter anderem mit einer Fassade des ‚Pilatus‘-Palastes, einer Reihe von Geschäften in einer Marktgasse, einem Stadttor und der Hauptstraße selbst mit mehreren großen Gebäuden, von denen jedes Räume beherbergt, die kulturellen und religiösen Aspekten gewidmet sind. Obwohl einige der Räume und Ausstellungsstücke recht karg ausgestattet erscheinen und Vorstellungskraft erfordern, gibt es auch Räume, die die Besuchenden in eine beeindruckende Bildwelt führen. Dies ist z. B. beim Ägyptischen Haus der Fall. Man betritt es und ist völlig überwältigt von den Wänden, die mit Hieroglyphen und Bildern bedeckt sind. Sie erinnern an eine altägyptische Grabanlage. So findet man an einer der Stirnwände gleich im Eingangsbereich die bekannte kosmologische Darstellung von Geb und Nut, getrennt durch den ausgestreckten Körper von Shu, wiederum in leuchtenden Farben und mit wunderbarer Präzision. Leider sind für den unkundigen Besucher keine Erklärungen zu finden - ein weiterer Nachweis dafür, dass sich das Museum rein auf das Atmosphärische konzentriert. 3 Das Museum als Lehr- und Lernort Der Museumspark Orientalis mit seiner Geschichte spiegelt die Veränderung in der Wahrnehmung und Darstellung des Vorderen Orients innerhalb der eurpäischen Kulturgeschichte wider. Steht am Anfang das Bestreben, die biblische Geschichte in einem fremdartigen, der Vorstellung vom Aussehen der südlichen Levante im 1. Jh. n. Chr. entsprechenden Szenario erlebbar werden zu lassen, tritt die materielle Kultur in der Nachkriegszeit stärker in das Besucherinnen- und Besucherinteresse. So wurde der Museumspark stärker auf die römische Kultur als für den Vorderen Orient der Zeit Jesu prägend betont. Mit der Ausrichtung 80 Seth Bledsoe / Thomas Wagner DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) auf Ursprung und Praxis der abrahamitischen Religionen als Zentraleuropa im 21. Jh. n. Chr. noch immer prägende Glaubensgemeinschaften entsteht ein der Übergang von den Ursprüngen hin zur gegenwärtigen Praxis. Dies wird am Beispiel des Pessach-Festes besonders deutlich. Während Synagoge (Abbildung 3) und Darstellung des Pessach-Festes (Abbildung 4) lokal in das nachgebildete Nazareth integriert sind, ist die jeweilige Ausstattung des Raums modern. Abbildung 3: Synagoge Museumpark Orientalis Nijmegen 81 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 Abbildung 4: Wohnhaus mit Tisch für die Feier des Pessach Das Nebeneinander der Themenstellungen lädt zu einer kritischen Reflexion über die Transformation von Ausstellungsflächen zur niederschwelligen Vermittlung von Bildungsgehalten ein. Antiker resp. mittelalterlicher Ursprung der abrahamitischen Religionen unter den spezifischen Bedingungen der Regionen, in denen sich die sie prägenden Vorstellungen entwickelten, und die aktuelle Praxis der Religionen stehen noch unverbunden nebeneinander. Für den weiteren Ausbau des Museums wäre es wünschenswert, wenn dieser Bezug auch durch den Einsatz von multimedialer Technik (Screens mit Erklärvideos und/ oder frei navigierbaren Text-/ Bilddarstellungen in den einzelnen Komplexen; Audioguides für den Rundgang durch den Museumspark, durch den das zu Sehende miteinander in Verbindung gebracht wird) gefördert werden würde. Für die Arbeit von Bibelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit Studierendengruppen bietet der Park somit ein Umfeld, in dem Studierende nicht bestehende didaktische Konzepte analysieren können, sondern in dem sie die Freiheit haben, auf Basis des Vorhandenen den Aufbau von Lernfeldern erlernen zu können. 82 Seth Bledsoe / Thomas Wagner DOI 10.24053/ VvAa-2022-0007 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022)