Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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Francke Verlag Tübingen
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Interview mit … Angelika Berlejung Abbildung 1 Steckbrief: Angelika Berlejung Geboren: 1961 Familiäres: verheiratet Studium: in Heidelberg und München der Ev. Theologie (HF), der Assyriologie (HF) und der Semitistik (NF) Aktuelle Position: C4-Professorin für Altes Testament an der Ev. Theol. Fakultät der Universität Leipzig Wichtigste Veröffentlichungen: Divine Secrets and Human Imaginations, Studies on the History of Religion and Anthropology of the Ancient Near East and the Old Testament (ORA 42), Tübingen 2021. Die Theologie der Bilder. Das Kultbild in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik unter besonderer Berücksichtigung der Herstellung und Einweihung der Statuen (OBO 162), Fribourg/ Göttingen 1998. (zusammen mit Alexander Fantalkin) Ausgrabungen in Aschdod-yam 2017: Hafenzentrum und Klosterstadt, Welt und Umwelt der Bibel 4/ 2017, 66-68. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0010 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Interview mit … Angelika Berlejung 93 Vorneweg Blitzlichter • Lehre - Frust oder Lust? Ob Lehre Lust oder Frust - das hängt für mich maßgeblich daran, ob die Studierenden aktiv mitmachen oder nur Zeit absitzen. Insofern bin ich keine Freundin des Formats der Vorlesung. Ich versuche, in meinen Vorlesungen den Frontalmonolog, so oft es geht, zu unterbrechen und zur Diskussion aufzufordern, aber in den großen Einführungsveranstaltungen ist das oft nicht machbar. Die sind vollgepackt mit Grundwissen, das vermittelt werden will. Da läuft dann die Zeit weg. Außerdem macht es die Trägheit der Masse, dass die Studierenden da schwer in Aktivität zu bewegen sind. Insbesondere die großen Einführungsveranstaltungen für Lehramtskandidatinnen und -kandidiaten sind oft frustrierend, weil da viele sitzen, die wirklich nur die Zeit absitzen und hinter ihren Notebooks versteckt Kartenspielen, Ebay durchforsten, irgendwelchen Blogs folgen oder sonst was machen. Ich werde nie verstehen, warum die überhaupt kommen, und ärgere mich jedes Mal über diese Respekt- und Interessenlosigkeit. In Seminaren und insbesondere Übungen sind demgegenüber sehr viel öfter wirklich interessierte Leute - auch im Lehramtsstudium -, mit denen es einfach Spaß macht, Themen zu besprechen und Gedanken zu entwickeln. Könnte ich mir etwas wünschen, wäre es die Abschaffung des Formats ‚Vorlesung‘ oder deren Teilnehmerbegrenzung auf 30. Digitales als Zusatz in Form von MOOCs, Podcasts, 3D-Simulationen etc. finde ich super. Studierende mit Kindern profitieren von den Aufnahmen, da sie sie immer ansehen können, wenn die Kinder gerade Ruhe geben. Auch als Examensvorbereitung können die Aufnahmen als Reaktivierung oder mal als Abwechslung gut helfen. Etwas kritisch sehe ich den zunehmend studentischen Bedarf an Infotainment, wie er sich in Evaluierungen spiegelt. Show-und Videoeinlagen im Unterricht fördern zwar den Spaßfaktor, optimalerweise auch die Motivation, aber nicht das kritische Denken und wissenschaftliche Niveau. Am Ende geht am Selber- Lernen und Selber-Denken nichts vorbei. • Lehre oder Forschung? War an sich kein Gegensatz. Nur durch die Verschulung des Studiums wurde die Forschung von der Lehre zunehmend abgekoppelt. In Seminaren und Übungen kann man das noch zusammenführen, allerdings auch nicht immer. Ein Problem sind da auch die mangelnden Sprachkenntnisse der deutschen Studierenden. Die Forschung in meinem Bereich ist inzwischen so gut wie komplett auf Englisch als Wissenschaftssprache umgestiegen, was für viele Studierenden eine echte Hürde ist. Französische Forschung kann so gut wie gar nicht verstanden werden, Spanisch oder Italienisch kann man ganz vergessen. Insofern kann ich da aktuelle Forschungsergebnisse, die in diesen Sprachen veröffentlicht werden, nur dann in die Lehre mit einbringen, wenn ich sie selbst zusammenfasse oder übersetze. Das war in Belgien, wo ich vor Leipzig Professorin war, komplett anders. Die Studierenden waren perfekt mehrsprachig und Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0010 94 Interview mit … Angelika Berlejung hatten einen sehr viel internationaleren Horizont. Insgesamt finde ich es an der Lehre am besten, wenn ich Studierende selber zum Forschen motivieren kann. Wenn dann jemand für ein Thema brennt, ist das Lernziel doch eigentlich schon erreicht. • Lieber Erstsemester oder lieber Integrationsphase (früher Examensphase)? Ich sehe die Erstsemesterzeit als große Chance für die Studierenden, herauszufinden, ob sie am rechten Platz sind. Das sollte sehr früh im Studium passieren, um sich Frustrationen und Verlust von Lebenszeit am falschen Platz zu ersparen. Im Theologiestudium merkt man allerdings leider erst sehr spät, ob bzw. dass man besser was anderes gemacht hätte oder eigentlich etwas anderes gewollt hat. Dies liegt daran, dass die Anfänger die ersten Semester mit Sprach- und Bibelkundeprüfungen beschäftigt sind. Bei der ganzen Lernerei für diese Grundpfeiler des folgenden Studiums merken viele dann erst im Hauptstudium, dass das Theologiestudium in seinen Inhalten und seinem Berufsbild nicht ist, was sie wollen und zu ihrem Leben passt. Insofern sind m. E. Anfängerprojekte von großer Bedeutung. In Leipzig haben wir das jeweils im WS mit dem Ziel, den Studierenden schon im Erstsemester Infos und Ausblicke auf die Inhalte und Berufsbilder des Theologiestudiums zu ermöglichen, damit sie sich schon zu Anfang mit sich und ihren Studieninhalten auseinandersetzen. Immer wieder wird in diesen Wochen des ersten Semesters gefragt, ob es das ist, was die Studienanfängerin/ der Studienanfänger wirklich will. Es ist zentral, dass die Studierenden recht früh wenigstens in die Fächer hineinschnuppern und sich ggf. auch schon mal eine Examensprüfung anhören. Das finde ich enorm wichtig. Studienabbrüche sind immer ein Scheitern; wenn man aber das Erstsemester als Probesemester (für sich, das Studium an einer Universität, das Fach, den Studienort) konzipiert, so wie es ja Probezeiten in vielen Bereichen gibt, ist die Umorientierung nach der Probezeit kein Drama. Der Unterricht mit den höheren Semestern ist etwas völlig anderes. Dort ist es am ehesten möglich, die eigene Forschung in die Lehre zu integrieren. Da gibt es dann auch öfter echte Aha-Erlebnisse, wenn Studierende eine These auf hohem Niveau diskutieren, bestätigen oder auseinander nehmen. Da zeichnet sich dann schon auch mal ab, dass aus einer Studentin/ einem Studenten eine künftige Professorin/ ein künftiger Professor spricht. Es ist toll, das zu sehen und zu fördern. • Neues oder Bewährtes? In der Kombination liegt die Kraft. Auch Altes wird dadurch, dass man es Jahre später im Unterricht wiederholt, immer neu gedacht und präsentiert. Das geht gar nicht anders. Ganz neue Themen zu erarbeiten, wird im Laufe der Arbeitskarriere immer einfacher. Denn die Themen sind am Ende immer irgendwie vernetzt und man kann wenigstens teilweise auf Bewährtes zurückgreifen. Das spart Zeit. Ganz Neues zu entdecken macht super Spaß und die Zeit dafür gewinnt man eben, indem man auf Vorhandenes zurückgreift. Ein interaktiver Zirkel also. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0010 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) Interview mit … Angelika Berlejung 95 • Referate oder Gruppenarbeit? Im Unterricht machen wir nur Kurzreferate, also max. 10-15 Minuten, die immer mit Diskussionsfragen enden müssen. Nur so kommt das Gespräch hinterher in Gang. Lange Referate sind langweilig und töten die Diskussionsfreude. Dieselbe ist in Gruppenarbeit oft viel aktiver, was aber auch an die Größe des Seminars gebunden ist. Letztlich werden Diskussionen und Gespräche im Plenum oder in den Gruppen meistens von immer denselben aktiven Studierenden getragen, und eine schweigende Mehrheit lauscht oder auch nicht. Ich bin daher auch dazu übergegangen, Fragen reihum durchzugeben und die Antworten zu sammeln. Dass ich das mache, sage ich gleich in der ersten Sitzung an, damit der Schock beim ersten Mal nicht zu tief sitzt. Dann weiß aber jeder, dass eine Reihum-Frage kommen kann, zu der man dann auch irgendetwas sagen muss. Das spart Zeit (die Zeit, die man wartet, bis sich endlich jemand meldet), bricht den Schweigebann und ist oft der Anfang lebhafter Debatten, an denen sich alle (! ) beteiligen. Für viele ist es eine Schwelle, das allererste Mal im Seminar etwas zu sagen, die wird dann eben überwunden und beim nächsten Mal ist schon alles viel einfacher… • Welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Mein Lehrer für Religion in der Schule, Werner Otto, hat mein theologisches Denken früh geschult und die Begeisterung für diesen Bereich entwickelt. An der Uni war es Prof. Dr. Karlheinz Deller, Assyriologe, der mir eigentlich erst gezeigt hat, wie man effizient mit Stoffmengen umgeht, lernt und denkt, sodass sich die Sprachen des Alten Orients ganz einfach erschließen und man daraus dann auch inhaltlich alles ableiten kann, was von Interesse ist. Die Antworten auf inhaltliche Fragen stehen in Texten. Sprachkenntnis als Quelle und Weg ins Universum wenn man so will. Dass das funktioniert, erlebe ich jeden Tag. • Die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift setzt sich mit außeruniversitären Lernorten auseinander. Welche Bedeutung messen Sie außeruniversitären Lernorten für Ihren eigenen Lebensweg hier bei? Von höchster Bedeutung sind für mich Exkursionen ins Museum, Ausgrabungen in Israel und Reisen in ferne Länder, auch wenn die keinen unmittelbaren Bezug zu meinen Forschungen haben. Ich habe sehr viel aus meinen Reisen nach Ägypten, Jordanien, Syrien, in den Libanon für mein Fach gelernt, gerade weil dort die orientalische Art zu leben und zu denken noch sehr viel erfahrbarer ist als im heutigen Israel. In Israel sind mir die Ausgrabungen und Museen sowie der Dialog mit Kolleginnen und Kollegen das Allerwichtigste, um eigene Thesen zu prüfen und zu neuen zu kommen. Ganz neue Fragestellungen tun sich dort auf - von den möglichen Neuentdeckungen der Archäologie oder neuen Antworten ganz zu schweigen. Ich sehe keine Option, dass Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022) DOI 10.24053/ VvAa-2022-0010 ‚Altes Testament‘ ausschließlich ein Textstudium am Schreibtisch in Deutschland sein kann. Das ist nicht sachgerecht. • Welche Chancen und Risiken sehen Sie in außeruniversitären Lernorten für Studierende und für die Wahrnehmung von Theologien? Auch hier: Von höchster Bedeutung sind für mich auch hier Exkursionen ins Museum, Ausgrabungen in Israel und Reisen in ferne Länder. Gerade auch Ausgrabungen schaffen nicht nur Wissen, dadurch dass neue Quellen erschlossen werden, sie sind auch Lernort für soziales Verhalten, da hier Studierende aus allen Ländern, sozialen Schichten, jeden Alters und aus allen Religionen über Wochen hinaus den ganzen Tag miteinander verbringen. Das schafft Spannungen, aber auch Dialoge und Freundschaften, die anders nie zustande gekommen wären. Das betrifft den Dialog der Religionen wie auch inner-theologisch-christliche Diskurse, Lebensmodelle und Weltbilder. Auch die eigene Körperwahrnehmung ändert sich, wenn man durch sehr frühes Aufstehen, wenig Schlaf und harte körperliche Arbeit auf der Ausgrabung an seine Grenzen geht. Das entdeckt jeder für sich, aber auch alle zusammen. Die Solidarität in Ausgrabungsgemeinschaften ist etwas Besonderes. Das Programm bei Ausgrabungen wird auch oft durch Vorträge oder kleinere Exkursionen in die Umgebung ergänzt, so können in Israel auch leicht Gottesdienste anderer Religionen besucht werden. Da kann man Begegnungen machen, die das Leben und Arbeiten nachhaltig prägen. Ich würde daher immer dazu raten, Auslandssemester ins Studium zu integrieren. Gerade für Israel oder mit den Erasmus-Partnerländern bestehen da ja sehr viele Programme, für die man sich als Studierender bewerben kann. Für manche Programme muss man die Landessprache können, für andere nicht oder man lernt sie erst vor Ort. Das lohnt sich aber immer. • Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Ich würde anraten, immer wieder den Universitätsraum zu verlassen, Exkursionen, Ausgrabungen und Studienreisen anzubieten und dabei die Beziehung zwischen den Studieninhalten, Biographien und Interessen der Teilnehmenden und den neuen Impulsen von außen zu intensivieren, sie aber auch über die Dauer der Reisen hinaus zu pflegen. Man entdeckt dann oft Begabungen, die nicht selten zu späteren Promotionen ausgebaut werden können. Gerade Studentinnen sind im Hinblick auf eine Doktorarbeit sehr zurückhaltend und gehen im normalen Lehrbetrieb trotz großem Potential etwas unter. Hier würde ich Kolleginnen und Kollegen raten, ab und an genauer hinzusehen, nachzufragen und junge Frauen offensiver zu motivieren und zu fördern. Bei Studienreisen und Ausgrabungen ergeben sich da oft gute Gelegenheiten, künftigen akademischen Nachwuchs zu entdecken. 96 Interview mit … Angelika Berlejung DOI 10.24053/ VvAa-2022-0010 Verstehen von Anfang an 7/ 1 (2022)
