eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 7/2

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0011
121
2022
72 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Editorial

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2022
Matthias Hopfhttps://orcid.org/0000-0002-9183-7740
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Editorial Matthias Hopf (orcid.org/ 0000-0002-9183-7740) Es ist ein immer wiederkehrender Topos in der Debatte um die theologische Ausbildung: die ganz besondere Verbindung zwischen dem universitären Theo‐ logiestudium und der darauf folgenden beruflichen Praxis in Pfarramt, Schule oder anderen Bereichen. Diese Schnittstelle wird oft als großer ‚Gap‘ empfunden und hat Bezeichnungen wie ‚Praxisschock‘ ebenso hervorgebracht wie das Phä‐ nomen, dass Theologiestudierende bisweilen sofort nach bestandenem Examen ihre Studienbücher verkaufen - weil diese ja nun nicht mehr gebraucht würden. Da aber gerade die Beschäftigung mit biblischen Texten eine Konstante eines jeglichen theologischen Berufs ist und bleibt, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert eben die exegetischen Methoden über den universitären Horizont hinaus haben bzw. haben sollen oder gar müssen. Selbst wenn dieses Heft damit thematisch teils neue Wege einschlägt, weil es den inneren Kreis der anwendungsbezogenen Hochschuldidaktik verlässt, bleibt die Zeitschrift der Frage nach der besseren und immer wieder neu zu denkenden Lehre treu - denn die Schnittstelle von universitärem Studium und beruflicher Praxis ist und bleibt ein außerordentlich wichtiges ausbildungspolitisches Thema. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der jüngsten Revision der Rahmenordnung für das Erste Theologische Examen durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Vor diesem Hintergrund versteht sich dieses Heft auch als ein Beitrag zu diesem Diskurs um die Weiterentwicklung der theologischen Ausbildung - schließlich muss die EKD-Rahmenordnung nun umgesetzt werden; und außerdem ist nach der Reform ja immer auch wieder vor der Reform. Gleichzeitig hoffen wir, mit den Beiträgen den Lehrenden - ob am Anfang, in der Mitte oder am Ende ihrer Hochschulkarriere - Impulse und Denkanstöße zu geben, ihr eigenes Lehren unter dieser Perspektive der ‚Praxisrelevanz‘ einmal zu prüfen und ggf. weiterzudenken. Die zu diskutierenden Fragen und Probleme kreisen dabei um verschiedene Teilaspekte: So ist das Verhältnis von ‚klassischen‘ exegetischen Methoden und neueren Ansätzen ja ein Thema, das nicht nur für den innerdisziplinären Diskurs in Altem und Neuem Testament eine wichtige Rollen spielt, sondern auch für die Frage nach der späteren beruflichen Vermittlung biblischer Texte in unterschiedlichen Kontexten. Gleichzeitig besteht naturgemäß die große Gefahr eines rein additiven Vorgehens, das bestehende Überlastungsschemata noch zu verstärken droht. Immerhin hat sich das Theologiestudium sowohl für Pfarramt als auch für die Schule ganz erheblich verändert und sieht sich mit einer Vielzahl von zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert - und das nicht erst seit ‚Bo‐ logna‘ und dem damit einhergehenden Effizienz-Mantra, dessen Auswirkungen in einem der nächsten Hefte in den Mittelpunkt gestellt werden sollen. Doch so eng das zeitliche Korsett für die Vermittlung exegetischer Methoden und Fragestellungen geworden ist, so wird in den Beiträgen dieses Hefts doch als basso continuo überdeutlich, dass ein reflektierter und verantworteter Umgang mit den historischen Bibeltexten auf der Höhe unserer Zeit unverzichtbar ist. Diese Aspekte spiegeln sich auch in je eigenen Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Beiträgen dieses Heftes wieder, von denen sich die drei ersten Haupt‐ beiträge jeweils aus unterschiedlichen ‚praxisbezogenen‘ Feldern der Frage nach der Exegese annähern. Holger Pyka (Dozent am Seminar für pastorale Ausbil‐ dung in Wuppertal) vertritt dabei mit seinem Artikel exemplarisch die Position der Ausbildung zur Pfarrperson im Vikariat. In einem Durchgang durch die verschiedenen Themenbereiche des Vikariats - Pastoraltheologie, Homiletik, Gemeindeentwicklung, Seelsorge, Kasualien sowie der Digitalität/ Virtualität - benennt er dabei als Aufgabe und Ziel einer exegetischen Ausbildung „Hal‐ tung und Methode“, d. h. die Ausbildung eines (auch) biblisch gegründeten Selbstverständnisses in den zukünftigen Pfarrpersonen, die gleichzeitig auf einem methodisch fundierten und reflektierten Umgang mit den Texten ruht. Dabei nimmt Pyka insbesondere auch die akademischen Lehrpersonen in die Verantwortung, diesen Perspektiven bereits an der Universität sowie in ihrer eigenen Person einen gewissen Raum einzuräumen. Ariane Dihle (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Religionspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie Lehrerin für Deutsch und Evangelische Religion) und Michaela Veit-Engelmann (Oberkirchenrätin in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für Schule und Hoch‐ schule, katechetische Lehrkräfte, Schulseelsorge und die Lehramtsausbildung) verfolgen demgegenüber eher einen problembezogenen Zugang zu ihrem Be‐ reich der Religionspädagogik. Sie stellen dabei z. T. äußerst grundsätzliche Fragen, die einen Religionsunterricht (RU) umtreiben bzw. nahezu umtreiben müssen: die nach dem Umgang mit der Bibel selbst im RU, nach ihrem Wahrheitsanspruch, aber auch der Relevanz bzw. ‚Gültigkeit‘ der Texte in DOI 10.24053/ VvAa-2022-0011 4 Matthias Hopf der Gegenwart. Hinzu kommen die Perspektiven des interkonfessionellen und interreligiösen Umgangs mit der Bibel (und bzgl. letzterem insbesondere vor dem Hintergrund des christlich-jüdischen Gesprächs), ebenso wie die Frage des interdisziplinären Herangehens an biblische Texte, d. h. im Gespräch mit anderen theologischen Fächern, wie auch jenseits des theologischen Diskurses. Hauptanliegen der Autorinnen ist dabei, dass die Studierenden und angehenden Lehrkräfte schon im Studium intensiv mit der Bibel ins Gespräch gebracht werden, um eigene Zugänge zu entwickeln und zu festigen. Christiane de Vos (Oberkirchenrätin für Hochschulwesen bei der EKD) schließlich bringt in ihrem Kommentar die Perspektive der Kirchenleitung ins Spiel, wobei sie insbesondere auf ein verstärktes Miteinander dringt, welches sich auf mehreren Ebenen entfalten müsse: So müssten beispielsweise einerseits die exegetischen Fächer wieder stärker in den innertheologischen Diskurs finden. Andererseits müsste aber auch die Kirche insofern wieder mehr zurück an die Universität finden, als dezidiert theologische und exegetische Fortbildung in Form von Sabbatical und Kontaktstudium eine Chance böten, Pfarrpersonen auch im Beruf wieder stärker auf exegetische Entwicklungen zu verweisen. Jörg Frey reagiert in seiner „(Un-)Wissenschaftlichen Response“ auf die drei ersten Artikel - und zeichnet dabei gleichzeitig ein weit ausholendes Bild von exegetischer Ausbildung in den Beschwernissen und Chancen unserer Zeit. Er schlägt dabei aus seiner ganz persönlichen (und daher ‚unwissenschaftlichen‘) Perspektive einen Bogen von den Rahmenbedingungen des Theologiestudiums über die Veränderungen in den biblischen Fächern selbst hin zu einigen Ein‐ sichten als Wissenschaftler mit 30 Jahren akademischer Lehrerfahrung und großer Nähe und Sympathie für kirchliche Zusammenhänge. Als Ziel einer Exegese, die sich den Herausforderungen beruflicher Praxis stellt, sieht er die Vermittlung von Begeisterung für die theologische Tiefe der Texte, ihre literarische Kunst, gleichzeitig aber auch ihre historische Fremdheit und Wider‐ ständigkeit sowie das daraus resultierende je und je Neu-Denken theologischer Inhalte - was seiner Ansicht nach insbesondere auch in der akademischen Lehrperson als Person sichtbar werden sollte. Auch in den ‚Rubriken‘ des Heftes wird das Thema des In- und Miteinanders von Studium und Praxis thematisiert. So überträgt Sofia Salo in ihrem Lehr- Lern-Beispiel die Methode des ‚Bibelkreises‘, das ja sonst eher in gemeindlichen Kontexten beheimatet ist, auf äußerst interessante Weise auf das Proseminar. Matthias Hopf operiert hingegen in seinem Plädoyer für die ‚Schwarmintelli‐ genz‘ mit bestehendem Vorwissen, selbst wenn dieses nur teilweise oder gar rudimentär vorhanden ist. Die Rezensionen nehmen sich einerseits, rezensiert von Nina Beerli, die neue Reihe „XY heute lesen“ des Theologischen Verlags DOI 10.24053/ VvAa-2022-0011 Editorial 5 Zürich vor, welche sich dezidiert die Vermittlung gegenwärtiger exegetischer Erkenntnisse an ein breites Publikum auf die Fahne geschrieben hat, sowie andererseits, rezensiert von Clarissa Breu, ein interessantes neues Lehrwerk von Michael Schneider/ Michael Rydryck, welche bewusst von einer allgemeinen, nicht-universitären Bibelauslegung herkommend auf mögliche exegetische Zugangsweisen blicken. Stefan Fischer widmet sich im ‚Frontend‘ der enzyklo‐ pädischen Internetplattform „WiReLex“, dem „Wissenschaftlich-Religionspäda‐ gogischen Lexikon“, das auf eine unmittelbare praxisbezogenen Anwendbarkeit der präsenierten Inhalte zielt (und das viel stärker als das inzwischen ja weithin bekannte WiBiLex). Den Abschluss bildet - wie immer - ein Interview mit einem bibelwissenschaftlichen Fachvertreter. Dieses Mal steht uns Klaus-Peter Adam Rede und Antwort, der als in Deutschland sozialisierter Exeget nun an einem Lutheran Seminary in Chicago lehrt und so noch die zusätzliche Perspektive der viel stärker einphasigen Ausbildung in den USA in den Diskurs einbringt. Abschließend sei angemerkt, dass die neue Akzentsetzung dieses Heftes auch mit einem Wechsel im Herausgabekreis einhergeht. Wie schon im letzten Heft angekündigt, sind nun Nancy Rahn (Bern) und Matthias Hopf (Zürich), in die Fußstapfen von Jan Heilmann (München) und Thomas Wagner (Wuppertal) getreten. Dies ist insbesondere aus einem Grund nochmals hervorzuheben: Diese beiden haben dieses wertvolle Projekt ganz wesentlich mit den übrigen der Gründungsgeneration aus der Wiege gehoben und in der akademischen Landschaft etabliert. Auf diesem Wege sei Ihnen nochmals von Herzen dafür und den damit einhergehenden jahrelangen und unermüdlichen Einsatz für diese Zeitschrift gedankt! DOI 10.24053/ VvAa-2022-0011 6 Matthias Hopf