Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0014
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosExegese als Teil der Theologie
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Christiane de Vos
This article comments on the hiatus between university exegesis and church praxis from the perspective of church leadership. It sets in with subjective perceptions on the ambivalence that lies between the ideal of the importance of Biblical texts and the factual reality of their low significance in various areas of church life. Subsequently, four goals are presented, exegetical education at universities should aim at: a) the ability to perceive and express central messages of Biblical texts, b) and this against the background of their historical contexts; c) identifying and understanding innerbiblical and post-biblical reception processes; d) attaining a plurality of methodological approaches without losing the perspective for the whole of translating Biblical texts to today’s life. Important means to achieve this, are humility towards the texts, respecting the contexts of text production and reception, an awareness for one’s ordination on Bible and Confession, as well as modern re-conceptualizations of what norma normans and sola scriptura mean. The author pleads for a decided self-understanding of exegesis as part of theology as a whole, a stronger focus on higher education didactics in university teaching, reinforcing an explicitly theological stance in pastoral continued education, and a strengthened cooperation of church leaders and academic teachers.
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1 Christiane de Vos war bis 31.07.2023 Referentin für Hochschulwesen und theologischkirchliche Ausbildung bei der Evangelischen Kirche in Deutschland. Exegese als Teil der Theologie Ein Kommentar aus kirchenpolitischer Perspektive Christiane de Vos 1 This article comments on the hiatus between university exegesis and church praxis from the perspective of church leadership. It sets in with subjective perceptions on the ambivalence that lies between the ideal of the importance of Biblical texts and the factual reality of their low significance in various areas of church life. Subsequently, four goals are presented, exegetical education at universities should aim at: a) the ability to perceive and express central messages of Biblical texts, b) and this against the background of their historical contexts; c) identifying and understanding innerbiblical and post-biblical reception processes; d) attaining a plurality of methodological approaches without losing the perspective for the whole of translating Biblical texts to today’s life. Important means to achieve this, are humility towards the texts, respecting the contexts of text production and reception, an awareness for one’s ordination on Bible and Confession, as well as modern re-conceptualizations of what norma normans and sola scriptura mean. The author pleads for a decided selfunderstanding of exegesis as part of theology as a whole, a stronger focus on higher education didactics in university teaching, reinforcing an explicitly theological stance in pastoral continued education, and a strengthened cooperation of church leaders and academic teachers. Mit diesem Beitrag kann und will ich nicht mehr als einige Eindrücke zur Exegese aus kirchlicher Perspektive festhalten und verschiedene Einwürfe in die Debatte um die Rolle der Exegese in der Theologie einbringen. Eine syste‐ matische und umfassende Schilderung muss anderen Ansprüchen genügen, als dies hier möglich ist. 1 Subjektive Wahrnehmungen - 1.1 Kirchliche Aus- und Fortbildung Zu Anfang meiner Berufstätigkeit als Pastorin wurde ich von Kolleg: innen bei gelegentlichem Austausch zu biblischen Texten auch mal angeseufzt mit „Du immer mit deinen exegetischen Kommentaren“. Noch vor 15 Jahren herrschte in einigen Predigerseminaren eine skeptische bis abweisende Haltung gegenüber dem, was die Vikar: innen von der Univer‐ sität mitbrachten: „Nun vergessen Sie mal alles, was Sie im Studium gelernt haben…“ Auf der anderen Seite bricht sich im Kreis der Ausbildungsreferent: innen der EKD immer wieder die Ratlosigkeit Bahn angesichts eines theologischen Nachwuchses, dem häufig die Kompetenz fehlt, eigene theologische Aussagen zu wagen und zu begründen: „Was haben die eigentlich die ganzen Jahre des Studiums gemacht? “ Die Verantwortlichen für Fortbildung in der EKD bedauern, dass die Bu‐ chungen für das vorher stark nachgefragte Format „Update Theologie“ ein‐ gebrochen sind; mehr sei Friedhofsverwaltung und Beschwerdemanagement gefragt. - 1.2 Kirchliche Praxis Gerade im Blick auf Gottesdienstvorbereitungen - einschließlich Kasualien - beobachte ich großes Interesse an exegetischen Einsichten in der Pfarrerschaft. Ein kleiner Blick in die Social Media bestätigt dies. Auf der anderen Seite stehen Predigten, bei denen nicht der Predigttext mit seinem theologischen Fokus den Impuls bildet, sondern assoziativ an Stichwörter des Predigttextes angeknüpft wird. Ein Beispiel: Das johanneische μένειν, „bleiben“, wird in einer Predigt laienpsychologisch aufgegriffen und anschließend als Ermutigung dafür gedeutet, bei sich selbst zu bleiben, zu sich selbst zu finden. Wie kommt es zu solchen Predigten? Aus Unkenntnis? Aufgrund eines eigenen Schriftverständnisses und/ oder einer eigenen herme‐ neutischen Idee? Ein weiteres Phänomen ist die Begründung dogmatischer Topoi (z. B. Trinität, Allmacht Gottes) oder anachronistischer Werte (wie z. B. Demokratie) mit biblischen Verweisen. Dies ist wohl eher Eisegese. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 54 Christiane de Vos 1.3 Universitäre Welt Lehrende der Fakultäten scheinen das fächerübergreifende Gespräch eher aufgrund persönlicher Sympathie als konzeptionell zu pflegen. Die Strukturen der Fakultäten in ihrer Abgrenzung in Seminare und Institute mögen dies erschweren. Im mündlichen Austausch mit Lehrenden höre ich über tiefe Gräben zwischen einzelnen Fächern, bekanntlich wird dies gelegentlich sogar in Publikationen benannt. Herrscht hier ein gegenseitiges Unverständnis innerhalb der Fakul‐ täten/ Fachbereiche? Von der einen Seite kommen teils eventuell berechtigte Vorwürfe, die ‚historischen‘ Fächer blieben ausschließlich auf ihren historischen Kontext bezogen, während es doch um - ja, was? - ginge. Exeget: innen und Kir‐ chenhistoriker: innen beklagen ihrerseits, dass z. B. bei manchen systematischtheologischen Lehrangeboten die biblischen und historischen Befunde über‐ haupt keine Rolle spielen bzw. verzerrt werden oder manche Homiletiker: innen die Exegese für wenig wichtig halten. 2 Exegese und kirchliches Handeln - 2.1 Ziel der Exegese Grundsätzliches Ziel des Theologiestudiums muss aus Sicht der Kirche eine eigene theologische Sprachfähigkeit sein, die nicht nur auf der Kanzel dringend nötig ist, sondern in allem Reden und Schweigen, Tun und Lassen der Kirche gebraucht wird. Hierbei spielt die exegetische Kunst eine große Rolle, die sich in der Fachlichkeit durch Kompetenz der Unterscheidung oder, anders gesagt, in der Kritik im Sinne von Beurteilung widerspiegelt. Der Umgang mit biblischen Texten bewegt sich stets zwischen Befremdung und Aneignung. Ist die wissenschaftliche Theologie nicht an demselben Ziel der theologischen Sprachfähigkeit interessiert? Darüber würde sich eine Debatte zwischen Kirche und Universität nach meiner Einschätzung lohnen. Im Folgenden möchte ich ein paar Gesichtspunkte der Exegese benennen, doch vorab will ich von meinen eigenen Erinnerungen an mein AT-Prose‐ minar berichten (Sommersemester 1984). Die Kleinteiligkeit der exegetischen Methoden schreckte mich zunächst ab, ich studierte doch Theologie um der großen Fragen willen! ? Die Texte wurden sorgfältig auseinandergenommen, und doch hatte ich nie die Befürchtung, ich könnte in Textkritik und weiteren Methodenschritten untergehen. Denn meine Dozentin wurde nicht müde, stets daran zu erinnern, dass die Analyse der Texte immer als Ziel habe, den Text als Ganzes zu interpretieren. Dies war enorm motivierend und hilfreich. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 Exegese als Teil der Theologie 55 2.2 Historisch-kritisch - nachbuchstabiert Biblische Texte sind historisch gebunden. Sie sind immer in ihrem Kontext zu lesen. Dazu braucht es Kenntnisse der Welt und Umwelt, aus denen diese Texte stammen: Geschichte, Geografie und Kultur, um nur einige Bereiche zu nennen. Mit Kontext ist ebenso der direkte und größere Textzusammenhang des je‐ weiligen Textes gemeint. Texte müssen im Kontext der Absicht der Autor: innen gelesen werden können. Beim Blick auf den Text selbst geht es letztendlich um die Erfassung der theo‐ logischen Aussage. Diese herausarbeiten und in eigenen Worten wiedergeben zu können, ist etwas, das nach meiner Wahrnehmung nicht häufig genug geübt werden kann. Die Methode des Close Reading ist dafür eine gute Hilfe; sie ist nur vermeintlich einfach, sondern eine hohe Kunst. - 2.3 Wechselwirkung von Exegese und Rezeption Welche Intention haben die Autor: innen, die Bearbeitung/ en, die Redaktion/ en, der Endtext? Dies ist in Gänze nie sicher festzustellen, doch ist es für die Exegese wichtig, sich des Werdungsprozesses eines Textes bewusst zu sein. Selbst wenn dieser nicht leicht oder gar nicht zu beschreiben ist: Dass nahezu jeder Text in seinem vorgefundenen Kontext das Produkt nicht nur einer individuellen Hand ist, hilft gegen fundamentalistische Versuchungen und freie Fantasie - um es einmal ganz extrem auszudrücken. Dabei geht jeder Entstehungsprozess fließend in die Rezeptions- und Wir‐ kungsgeschichte eines Textes über, denn Rezeption wie auch Wirkung eines Textes zeigen sich bereits bei der ersten innerbiblischen Bearbeitung, von der Platzierung im Kanon ganz zu schweigen. Exegese ist auch immer biblische Theologie. Dies klingt so selbstverständlich, doch gibt es Alttestamentler: innen, die alles nach dem AT unwichtig finden, und Neutestamentler: innen, die sich zu wenig mit dem AT beschäftigen. Beides erschwert ein Verstehen der meisten neutestamentlichen Texte bzw. macht es unmöglich. - 2.4 Hermeneutik Hermeneutik als Über-Setzung der biblischen Texte ist unverzichtbar, denn sonst bleibt die Exegese tatsächlich ein rein historisches Fach. In der deutsch‐ sprachigen Welt der Exegese gibt es Spezialisierungen, häufig eingebettet in eine hochdifferenzierte Methodik, die manchmal den Gegenwartsbezug als optionale Perspektive vernachlässigt. Des Weiteren konzentrieren sich manche Exeget: innen auf eine ausgesuchte Methode, deren Erläuterung manchmal die Hälfte des Buches benötigt oder DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 56 Christiane de Vos sich auf eine bestimmte Fragestellung fokussiert. Dabei denke ich z. B. an post‐ koloniale Exegese, Genderfragen und Rezeptionsästhetik. Die Forscher: innen verfolgen diese Fragen engagiert und zu Recht. Doch führt ein solches Vorgehen in der Folge häufig zu einseitigen Blickrichtungen. Durch einseitige Fragen kommt es zu einseitigen Antworten. Kirche braucht die Vielfalt der Methoden und Perspektiven - doch immer im Kontext von Theologie, Geschichte und Gegenwart, der die eigenen Einsichten relativiert und manchmal vielleicht auch stört und stören soll. Theologie bereitet auch auf den Pfarrberuf vor. Dafür ist es essenziell, zwischen den Einsichten, die mittels exegetischer Methoden gewonnen werden, und der gegenwärtigen Realität Bezüge herstellen zu können. Sonst bleibt eine Kluft zwischen diesen beiden ‚Geschichten‘. In der Predigtpraxis besteigen manche Pfarrer: innen den ‚Bus nach Babylon‘, die Hörer: innen erfreuen sich im Zweifelsfall an einer interessanten Geschichte, doch selbst wenn dieser Bus innerhalb der Predigt wieder in der Gegenwart ankommt, bleibt es so manches Mal bei einem folgenlosen Ausflug in die Vergangenheit. Die klassische Frage „Was wollen uns diese Worte sagen? “ braucht Antworten - im Plural wohlgemerkt! 3 Haltung - 3.1 Demut vor dem Text Vielleicht klingt es etwas altertümlich, doch bin ich davon überzeugt, dass Demut eine Haltung ist, die bei der Erfassung biblischer Worte hilft, die - um es fromm zu sagen - Gottes Wort an mich werden können. Alle Methodenkenntnis kann schnell zum Missverständnis führen, die Exegetin hätte den Text in der Hand. Ich bin überzeugt, dass eine Skepsis gegenüber zu schnellem Erfassen von Bibeltexten zu einer differenzierteren, reicheren Einsicht führen kann. Für die, denen diese Wortwahl ‚Demut‘ fremd ist, versuche ich es anders: Ein beharrliches Befragen der Texte führt dazu, dass sie sich erschließen lassen, aber nie ein für alle Mal. Diese Haltung, der eine innere Distanz inhärent ist, hilft gerade angesichts von Irritationen, die viele Texte auslösen. Eine Voraussetzung für die Klärung der eigenen Haltung ist, die eigene Glaubensbiografie zu reflektieren. Wessen Aufgabe ist das? Sicher die der Kirche in z. B. Studierendenbegleitung, Vikariat oder Fortbildung. Aber ist es die der Kirche allein? Das ist für mich eine offene Frage. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 Exegese als Teil der Theologie 57 3.2 Achtung vor den Kontexten Die Bibel ist kein Steinbruch. In der wissenschaftlichen Theologie wie in der kirchlichen Praxis wird sie trotzdem eklektisch genutzt. Wenn man auf Rezeptions- und Wirkungsgeschichte schaut, scheint dies unvermeidlich zu sein. Doch wenn dies geschieht, weil es gar nicht anders möglich ist, dann bitte hermeneutisch reflektiert! Die Achtung vor den Kontexten können wir erhalten, wenn wir neugierig bleiben auch auf Befremdendes, uns vorsehen vor allzu schnellem Kitten von Irritationen. Auch diese Einsicht gilt m. E. grundsätzlich. In Bezug auf Predigten geschieht die Vermeidung von Brüchen durch Psychologisieren, indem man etwas als in moderner Sicht überholt kennzeichnet oder Aussagen eine Symbol‐ kraft zuerkennt. Die Allegorese ist ein fragwürdiges Mittel der Predigt. - 3.3 Ordination auf Bibel und Bekenntnis Die Pfarrer: innen werden in den evangelischen Kirchen in Deutschland ‚auf Bibel und Bekenntnis‘ ordiniert. Wenn ich mich in diesem Zusammenhang auf die Bibel konzentriere, bleibt zu reflektieren, wie die Verbindlichkeit der Bibel Gestalt annimmt. Auf jeden Fall scheint mir das Nachdenken hierüber nicht ausschließlich Sache der Kirche zu sein. - 3.4 Was bedeuten heute norma normans oder sola scriptura? Als dogmatische Begriffe zum Schriftverständnis sind norma normans und das reformatorische sola scriptura klassisch. Kirchliches Handeln und Reden wird in der protestantischen Tradition mit der ‚Heiligen Schrift‘ begründet. Doch wenn mit biblischen Texten manches Mal wenig theologieorientiert umgegangen wird, durch Unkenntnis oder aufgrund einer überheblichen Hal‐ tung, frage ich mich, was hier die normierende Norm ist. Würde sich eine kirchliche und theologische Debatte über die heutige Bedeutung der norma normans lohnen? Ebenso scheint es mir sinnvoll zu sein, die Forderung sola scriptura der Reformationszeit kritisch zu beleuchten. Zumindest in kirchlichen Räumen ist dieser Ruf noch regelmäßig zu hören. Dabei ist er nicht nur anti-römischkatholisch. Sola scriptura im Sinne einer Abgrenzung zur Tradition ist nicht zu halten, weil eben diese Tradition bereits im innerbiblischen Rezeptionsprozess ihren Anfang nimmt und bis zu den heutigen Adressat: innen führt. - 3.5 Großer Kontext: Öffentlichkeitsrelevanz von Theologie Aktuell ringen Kirche und wissenschaftliche Theologie um die Zukunft der theologischen Studiengänge. In allen Reformdebatten um Studium, Zukunft DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 58 Christiane de Vos der theologischen Forschung und Lehre geht es letztlich um die gemeinsame Verantwortung, die Öffentlichkeitsrelevanz von Theologie plausibel zu ma‐ chen. Könnte der Umgang mit biblischen Texten nicht ein exemplarisches Versuchsfeld hierfür sein, gerade weil zumindest in der Kirche so häufig und so unterschiedlich auf biblische Texte referiert wird? 4 Plädoyer - 4.1 Für Exegese als Teil der Theologie Exegese soll an der Universität als Teil der Theologie angesehen und gelehrt werden. Dieses Plädoyer ist Teil eines größeren Anliegens, nämlich für eine Integration der theologischen Einzelfächer, die diesen Namen auch verdient. Bislang gibt es in der Rahmenstudienordnung des Studiengangs, der den Zugang zum Pfarrberuf eröffnet, eine sogenannte Integrationsphase als Vorbereitungs‐ zeit auf die Studienabschlussprüfung. In diesem Jahr besuchen die Studierenden üblicherweise Repetitorien, in denen sie das Grundwissen der einzelnen Fächer wiederholen bzw. erwerben, um sich auf diese Weise eine Gesamtschau des betreffenden Faches zu erarbeiten. Die eigentliche Integration, bei der die Kenntnis und Einsichten einzelner Fächer in eigene theologische Perspektiven führen, müssen die Studierenden leider meist selbst vornehmen. Damit werden sie mit der anspruchsvollsten Aufgabe des Theologiestudiums, der Entwicklung einer eigenen Theologie, weithin allein gelassen. Mir ist völlig bewusst, dass ich hiermit vielen Lehrenden bitter Unrecht tue! Eine gesamttheologische Integration soll Bestandteil der neuen Rahmenstudienordnung werden, die zurzeit erarbeitet wird, damit dies strukturell gewährleistet ist. - 4.2 Hochschuldidaktik als Weg zur Qualitätssicherung Exegetische Methoden haben ebenso wenig einen Selbstzweck wie Hebraicum oder Graecum. Gerade bei Proseminaren, in denen Studierende häufig zum ersten Mal die exegetischen Fächer näher kennenlernen, darf es nicht nur um Wissens‐ vermittlung gehen. Methodenbeherrschung ist ein Mittel. Das Ziel der Exegese aber ist die Textinterpretation im Rahmen einer reflektierten theologischen Position. Dazu gehört das Ausprobieren und Entwickeln von Wegen, die Textinhalte in eigener Sprache wiederzugeben, um sich die theologischen Einbzw. Ansichten der Texte vertraut zu machen. Dies alles dient der Entwicklung der theologischen Sprachfähigkeit, und das dürfte in aller Interesse sein, nicht nur im kirchlichen. Ich halte die Entwicklung hochschuldidaktischer Kurse, die spezifisch die Eigenheiten der Theologie im Blick haben, für zwingend. In der katholischen DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 Exegese als Teil der Theologie 59 2 Vgl. https: / / www.dghd.de/ community/ netzwerke/ netzwerk-theologie-und-hochschul didaktik/ . Theologie gibt es in diesem Bereich eine eigene Tradition. 2 Aus den Reihen des wissenschaftlichen Nachwuchses evangelischer Theologie vernehme ich großes Interesse hieran, was mich sehr freut! - 4.3 Für theologische Fortbildung Es gibt Pfarrer: innen, die neugierig auf die Entwicklung der Forschung sind. Immer wieder verbringen Kolleg: innen ein Sabbatical im Hörsaal einer theo‐ logischen Fakultät. Doch könnte dies noch wesentlich verstärkt und weiter gefördert werden. Ein Beispiel: Meine Generation hat während des Studiums in Deutschland in den 80er Jahren noch nichts erfahren von der New Perspective on Paul, auch wenn dies seit Ende der 70er Jahre debattiert wird. Wenn wir einfach weiter einen ‚lutherischen‘ Paulus predigen, haben wir etwas verpasst, das es wert ist, in die Verkündigung aufgenommen zu werden. Vielleicht sollten Kirchen und Fakultäten/ Fachbereiche über Formate theolo‐ gischer Fortbildung nachdenken, die forschungsaktuell und generationenüber‐ greifend arbeiten. Das wäre für alle Seiten ein Gewinn. - 4.4 Für ein stärkeres Miteinander Das erwähnte häufig fehlende Miteinander evangelisch-theologischer Fä‐ cher/ Fachvertreter: innen macht es aus der Perspektive der Kirche schwer, in einen Dialog zwischen Kirche und wissenschaftlicher Theologie zu treten. Ich gebe sofort zu, dass dies in anderer Weise umgekehrt auch wahrgenommen wird - denn wer ist ‚die‘ evangelische Kirche? Es gibt ca. alle drei Jahre eine Konsultation von wissenschaftlicher Theologie und Kirchenleitung, was von den Beteiligten als Gewinn erfahren wird. Zudem laden einzelne Fakultäten zu ihrem dies academicus ausdrücklich auch kirchliche Vertreter: innen ein. Der Austausch über theologische Einsichten und kirchliche Erfahrungen sollte auf den unterschiedlichen Ebenen - will sagen: nicht nur mit dem Leitungspersonal - ausgebaut werden, selbstverständlich im Bewusstsein und in Wahrung der verschiedenen Rollen. Die Kirche wird kleiner, die Präsenz evangelischer Theologie an den Universitäten auch. Dies sollte eine Provokation sein, das zu zeigen, was uns gegeben ist und was wir zu sagen haben und sagen können! - Literatur https: / / www.dghd.de/ community/ netzwerke/ netzwerk-theologie-und-hochschuldi‐ daktik/ . Letzter Zugriff: 01.06.2023. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0014 60 Christiane de Vos
