Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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Francke Verlag Tübingen
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosBibelkreis im Proseminar
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Reettakaisa Sofia Salohttps://orcid.org/0000-0002-5124-4983
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1 Entsprechende Fragen finden sich in den zentralen Evaluationsbögen der Georg-August- Universität Göttingen. 2 Folgende Zitate stammen aus meinen Evaluationsbögen an der Georg-August-Universität Göttingen in den Jahren 2019-2023. Bibelkreis im Proseminar Reettakaisa Sofia Salo (orcid.org/ 0000-0002-5124-4983) 1 Einführung und didaktische Ziele Die Studierenden der Pfarramtsstudiengänge wünschen sich immer wieder einen größeren Praxisbezug im Studium der Evangelischen Theologie. Dieser Wunsch wird einerseits gegenüber den Lehrkräften im Kontext von Veranstaltungen und Gremiensitzungen mündlich geäußert. Er wird andererseits in den Lehrverans‐ taltungsevaluationen sichtbar: Dort wird der Punkt „Die in der Lehrveranstaltung erworbenen Schlüsselkompetenzen schätze ich als nützlich für meinen späteren Beruf ein“ 1 meiner Erfahrung nach recht heterogen beantwortet. In den offenen Feldern, in welchen die Studierenden frei schreiben können, wird ebenso regel‐ mäßig ein stärkerer Gemeindebezug gewünscht: 2 „[D]ie Gegenwartsrelevanz war mir persönlich zu wenig.“ „Da ein Ziel des Theologiestudiums das Pfarramt ist, wäre […] die Frage nach einer Gegenwartsrelevanz der Texte interessant gewesen. Diese kam teilweise vor, aber leider nur selten.“ In den alttestamentlichen Proseminaren für Studierende mit Sprachkennt‐ nissen sollen die Dozent: innen ihnen eine „Einführung in die wissenschaftliche Exegese des Alten Testaments“ anbieten. Üblicherweise werden die klassischen Methoden der historisch-kritischen Exegese vorgestellt und ihre Anwendung an beispielhaften Texten erprobt. Als Prüfungsleistung wird in der Regel eine Proseminararbeit geschrieben. Die Anzahl der Sitzungen lässt nur wenig Spielraum für individuelle Schwerpunktsetzungen, sodass für hermeneutische und gegenwartsbezogene Fragen kaum Zeit übrig bleibt. Um dem studentischen Wunsch nach mehr Gemeindebezug nachzukommen, habe ich angefangen, im Proseminar einen Bibelkreis nachspielen zu lassen. 3 Vgl. beispielsweise Becker, Exegese. Nachdem die exegetische Methode der Traditionskritik / Traditionsgeschichte anhand eines markanten Themas behandelt worden ist, sollten die Studierenden die Fragen ihrer fiktiven Gemeindemitglieder beantworten können. Dadurch üben sie, die im und für den akademischen Kontext erworbenen Kenntnisse auf Fragen von Laien anzuwenden. Die Methode funktioniert zugleich als eine Wiederholung der Traditionsgeschichte. Das Nachspielen eines Bibelkreises zeigt den Studierenden, dass sie die exegetischen Kenntnisse und Kompetenzen brauchen, um über biblische Texte im Gemeindekontext reden zu können. Schließlich wird Gesprächsführung geübt. Beispielsweise fällt es den Studie‐ renden oft schwer, Missverständnisse und falsche Informationen der Bibelkreis‐ teilnehmenden als solche zu bezeichnen und auf sie zu reagieren. 2 Einbettung in die Lehrveranstaltung Das alttestamentliche Proseminar, in welches das Unterrichtsbeispiel einge‐ bettet ist, folgt der gängigen Reihenfolge der exegetischen Methodenschritte. 3 Diese werden vor allem anhand der Plagenerzählungen (Ex 7-11) bearbeitet. Das Seminar ist wie folgt gegliedert: Sitzung Themen 1 Einführung 2 Geschichte Israels Sprachliche Beschrei‐ bung 3 Textkritik I 4 Textkritik II 5 Literarkritik I 6 Literarkritik II 7 Formkritik 8 Traditionskritik I BibleWorks 9 Traditionskritik II Literaturrecherche Zitieren DOI 10.24053/ VvAa-2022-0016 80 Reettakaisa Sofia Salo 4 Vgl. z.-B. Becker, Exegese, 133-149. 5 Die Georg-August-Universität Göttingen verfügt über eine Campus-Lizenz für Bible‐ Works 7. 6 Literatur: Strawn, Strong Hand. 7 Literatur: Schipper, Geschichte, 13-34. 10 Traditionskritik III Überlieferungskritik 11 Redaktionskritik I 12 Redaktionskritik II 13 Historische Aussageab‐ sicht Gesamtinterpretation Proseminararbeit Das Lehrbeispiel „Bibelkreis im Proseminar“ gehört zu Sitzung 10, zum Thema Traditionskritik III. Um es besser verstehen zu können, soll der Inhalt der vorangehenden Sitzungen zur Traditionskritik kurz vorgestellt werden. Sitzung 8: Als Vorbereitung haben die Studierenden Jes 51,9-11 übersetzt und die Vorstellung der Traditionskritik / Traditionsgeschichte im Methodenbuch gelesen. 4 Da im Seminar schon viele Texte aus der Exoduserzählung gelesen worden sind, kann herausgearbeitet werden, auf welche von diesen in Jes 51,9-11 angespielt wird. Weiterhin wird gefragt, ob die Studierenden Motive aus anderen Traditionen erkennen können. In der zweiten Hälfte der Sitzung wird eine Einführung in den Gebrauch einer exegetischen Software gegeben. 5 Sitzung 9: Vor dieser Sitzung üben die Studierenden den Umgang mit den (di‐ gitalen) Konkordanzen. Sie wählen einen Begriff aus Jes 51,9-11 aus und machen dazu eine Konkordanzanalyse. Die Ergebnisse sollen mit einem theologischen Wörterbuch verglichen werden. In der Sitzung stellen die Studierenden ihre wichtigsten Funde vor. Zudem wird der Exodusbezug in Hos 9,1-5 untersucht. Als Vorbereitung für Sitzung 10 wird noch eine kurze Einführung in drei Spe‐ zialbereiche der Traditionskritik gegeben: Ikonographie, biblische Archäologie und religionsgeschichtlicher Vergleich. 3 Darstellung des Beispiels Die Studierenden sind am Ende von Sitzung 9 in drei Gruppen eingeteilt worden, die verschiedene Themen für Sitzung 10 vorbereiten. Gruppe A arbeitet zu Ikonographie, 6 Gruppe B zu biblischer Archäologie 7 und Gruppe C zum DOI 10.24053/ VvAa-2022-0016 Bibelkreis im Proseminar 81 8 Literatur: Kaplony-Heckel/ Kausen, Texte (zur Israel-Stele vgl. 554-552); Hecker, Texte (zur Sargon-Legende vgl. 56-57). religionsgeschichtlichen Vergleich. 8 Die Durchführung des Lehrbeispiels dauert ca. 55 min. 15 min. Gruppenarbeit in den Gruppen A-C: Die Studierenden diskutieren über den Text, den sie vorbereitet haben, unter der Fragestellung: „Was ist der Hauptbeitrag zum Verständnis der Exodustradition und der Plagenerzäh‐ lungen? “ 15 min. Gruppenarbeit in gemischten Gruppen: Die Studierenden stellen ihre Ergebnisse den Mitgliedern der anderen Gruppen vor (jeweils ca. 5 min. / Thema). 20 min. Weitere Gruppenarbeit in den gemischten Gruppen: Bibelkreis im Prose‐ minar. Den Studierenden wird erzählt, dass sie jetzt im Gemeindepraktikum oder Vikariat sind und dort im Bibelkreis über das Buch Exodus und die Plagenerzählungen gesprochen haben. Ihnen werden Fragezettel ausgeteilt (s.-u.), die verdeckt auf einem Stapel in der Mitte liegen. Die Studierenden lesen der Reihe nach Fragen vor und die anderen versuchen, diese zu beantworten. Die Fragen greifen größtenteils Themen aus der empfohlenen Literatur auf. Die Lehrkraft geht währenddessen herum und hört sich die Gespräche an, mischt sich aber nicht ein. 5 min. Plenum: kurze Möglichkeit zur Aussprache und Methodenreflexion. Mögliche Fragen für den Bibelkreis: • Frau Fromm: „Was hat das mit unserem christlichen Leben zu tun? “ • Herr Schmitz: „Kann man das irgendwie beweisen, dass die auch wirklich in Ägypten waren? “ • Frau König: „Also ich denke, dass die Plagen so ein Symbol sind. Für unser Leiden in einer Welt voller Sünde! Warum würde man sonst solche Geschichten erzählen? “ • Herr Meyer: „Was ist mit Israel hier eigentlich die ganze Zeit gemeint? Die hatten ja noch nicht im Land Israel gelebt, oder? “ • Frau Scholle: „Ich verstehe das nicht, das mit dem ausgestreckten Arm. Ist das irgendein ritueller Gruß oder eine Gebetshaltung? “ • Herr Haupt: „Ich habe mal so eine Sendung gesehen, wo gesagt wurde, dass diese Wunder durch Naturerscheinungen erklärt werden können. Das rote Wasser zum Beispiel kommt von irgendwelchen Kleintieren, und das Meerwunder könnte man durch einen Vulkanausbruch erklären. Was sagen Sie denn dazu? “ DOI 10.24053/ VvAa-2022-0016 82 Reettakaisa Sofia Salo • Frau Becker: „Ich finde das gemein dem Pharao gegenüber. Gott verstockt ja immer sein Herz, das ist doch grauenhaft. Warum macht Gott das, er liebt doch alle Menschen? Oder? Ich will nichts mit einem Gott zu tun haben, der so mit Leuten spielt! Vielleicht spielt er auch mit mir? “ • Herr Heinrich: „Weiß man, wo dieses Schilfmeer überhaupt ist? Und was ist mit diesen Zahlen nun eigentlich hier? Man kann ja nicht durch die Wüste mit einer so großen Truppe? Oder kann man? “ • Frau Schulz: „Hatten die Israeliten überhaupt mit Ägyptern etwas zu tun in der Zeit? Das ist ja ganz schön weit! “ 4 Variationsmöglichkeiten Ähnliche Aufgaben können als ein Rollenspiel geübt werden, sodass anstelle von fertigen Fragen Rollenbeschreibungen verteilt werden. In dieser Variante bietet es sich eher an, die Gesprächssituation als einen studentischen Bibelkreis oder Hauskreis anzumoderieren: Es fällt den Studierenden leichter, sich Fragen und Antworten auszudenken, die näher an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit sind. Die Rollenbeschreibungen müssen genügend Anhaltspunkte enthalten, damit die Studierenden leichter in die Rollen schlüpfen können. Meiner Erfahrung nach ist es besser, sie möglichst geschlechtsneutral zu formulieren. Beispiels‐ weise können Namen ausgelassen werden. Diese Variante erfordert mehr Engagement von den teilnehmenden Studierenden und funktioniert deswegen nicht mit jeder Unterrichtsgruppe. Der Bibelkreis gelingt nicht nur im Proseminar, sondern auch als ein Bestand‐ teil von Übungen. 5 Evaluation der Unterrichtsmethode Die mündliche Feedbackrunde ist wichtig, um noch einmal nach dem Empfinden der Studierenden zu fragen. Auf offene Fragen wie „Wie fanden Sie es? “ oder „Konnten Sie die Fragen gut beantworten? “ gehen sie meist gut ein und reden offen über ihre Gespräche. Hier kann zu einzelnen Punkten nachgefragt werden. Wenn man für die Methode mehr Zeit einplant, können im Plenum noch mögliche Antworten auf die Fragen erarbeitet werden. In ersten spontanen Rückmeldungen wird die Unterrichtsmethode „Bibel‐ kreis im Proseminar“ oder eine entsprechende Durchführung im Rahmen einer inhaltlichen Übung in der Regel sehr positiv bewertet. Entsprechende Rückmeldungen habe ich auch in den Freitextfeldern der schriftlichen Veran‐ DOI 10.24053/ VvAa-2022-0016 Bibelkreis im Proseminar 83 9 Folgende Zitate stammen aus meinen Evaluationsbögen an der Georg-August-Univer‐ sität Göttingen aus den Jahren 2019-2023. Daneben gibt es auch negative Reaktionen, wobei die Studierenden häufig dann gleich sagen, dass sie ähnliche Gruppenmethoden grundsätzlich nicht mögen: „Nicht so gut gefallen [hat mir] das Rollenspiel zur Josefsgeschichte (liegt aber einfach daran, dass ich damit nichts anfangen kann [sic! ] pädagogisch gesehen ist das super).“ staltungsevaluation erhalten: 9 „Ich war sehr erfreut über die Gruppenarbeit mit den Gemeindefragen! “ „Die Applikationsübungen für die Gegenwart fand ich sehr hilfreich, spannend und erfrischend! Gerne öfter! “ - Literatur Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments. Ein Methoden- und Arbeitsbuch (UTB 2664), Tübingen 5 2021. Hecker, Karl: Akkadische Texte, in: Dietrich, Manfred u.-a. (Hg.): Ergänzungslieferung (TUAT IV), Gütersloh 2001, 11-60. Kaplony-Heckel, Ursula/ Kausen, Ernst: Ägyptische historische Texte, in: Conrad, Diet‐ helm u.-a. (Hg.): Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte III (TUAT I,6), Gütersloh 1985, 525-619. Schipper, Bernd: Geschichte Israels in der Antike (Beck’sche Reihe 2887), München 2018. Strawn, Brent A.: „With a Strong Hand and an Outstretched Arm.“ On the Meaning(s) of the Exodus Tradition(s), in: de Hulster, Izaak J. u. a. (Hg.): Iconographic Exegesis of the Hebrew Bible / Old Testament. An Introduction to Its Method and Practice, Göttingen 2015, 103-116. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0016 84 Reettakaisa Sofia Salo