Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2022-0019
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Fischer Heilmann Wagner KöhlmoosMichael Schneider/Michael Rydryck: Bibelauslegung. Grundlagen – Textanalysen – Praxisfelder. Göttingen. 2022. Vandenhoeck & Ruprecht, brochiert, 288 Seiten, ISBN 978-3-525-71699-1
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Clarissa Breuhttps://orcid.org/0000-0002-1550-3925
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Michael Schneider/ Michael Rydryck: Bibelauslegung. Grundlagen - Textanalysen - Praxisfelder. Göttingen. 2022. Vandenhoeck & Ruprecht, brochiert, 288 Seiten, ISBN 978-3-525-71699-1. rezensiert von Clarissa Breu (orcid.org/ 0000-0002-1550-3925) Das exegetische Methodenbuch Bibelauslegung. Grundlagen - Textanalysen - Praxisfelder von Michael Schneider und Michael Rydryck ist von seinem Selbstverständnis her besonders, weil es bei der Praxis der Bibelauslegung in kirchlichen und schulischen Zusammenhängen ansetzt und nicht als Leitfaden zum Erstellen einer Seminar- oder Proseminararbeit konzipiert ist. Dement‐ sprechend wird die Aufgabe der Exegese von der Praxis her bestimmt und der akademischen Exegese in diesem Bereich ein klarer Platz zugewiesen: „Biblische Texte werden individuell und kollektiv immer schon ausgelegt und die wissenschaftliche Theologie kann von diesen Prozessen lernen und sie kritisch begleiten. Nur weil es Schriftgebrauch und Bibelauslegung in der Praxis gibt, lohnt sich theologisches Nachdenken darüber - nicht umgekehrt! “ (10). Die wissenschaftliche Theologie als lernende und kritische Begleiterin der Praxis ist das gewinnbringende Konzept, das dem Buch vorangestellt ist. Programmatisch wird zudem formuliert, dass weder an einer einzigen Methode noch an einem eindeutigen Sinn festzuhalten ist, sondern dass beides - Methodenauswahl und Interpretation - nachvollziehbar und intersubjektiv kommunizierbar geschehen sollte (14). Methoden begleiten auf dem Weg der Interpretation und müssen dementsprechend anhand ihrer Angemessenheit ausgewählt werden. Das Buch ist so gestaltet, dass es für Altes und Neues Testament gleichermaßen anwendbar ist und bezieht sich auf die neuere Literatur- und Geschichtswissenschaft. Es ist übersichtlich gegliedert und enthält unter den Stichwörtern „Impulse“, „Positionen“ und „Leitfragen“ anregende Gedanken und weiterführende Ideen. Es ist in drei große Abschnitte unterteilt, die dem Untertitel entsprechen: Grundlagen, Textanalysen und Praxisfelder. (A) Grundlagen: Der Grundlagen-Teil bespricht hermeneutische Vorausset‐ zungen der Bibelauslegung und reflektiert (1) die Textualität biblischer Texte, (2) deren Verhältnis zu ihren Kontexten und (3) Intertextualität und Kanon. (B) Textanalysen: Der zweite große Abschnitt stellt anhand des semiotischen Modells von C. W. Morris in drei Unterabschnitten und Fragerichtungen (syn‐ tagmatisch, semantisch, pragmatisch) Methoden der Texterschließung vor. (C) Praxisfelder: In diesem letzten und kürzesten Abschnitt werden Gottesdienst und Bibeldidaktik als Prozesse von Textauslegung reflektiert sowie abschlie‐ ßend Impulse zu Fakt und Fiktion, Geltung und Schriftgebrauch geboten. Die Kohärenz der Teile A, B und C könnte stärker ausgeprägt sein, doch ist es eine große Errungenschaft des Buches, sich an der Praxis von Bibelauslegung zu orientieren und die oft bediente Unterscheidung in akademisch-informierte und kirchlich-laienhafte Exegese theoretisch und methodisch begründet zu hinterfragen. Auch die theoretisch reflektierte Durchbrechung der Unterschei‐ dung in synchrone und diachrone Methoden ist ein wesentlicher Aspekt des Buches (88), das zudem methodisch reflektierte Möglichkeiten liefert, histori‐ sche ebenso wie gegenwärtige Kontexte als fruchtbare Impulsgeber für die Auslegung zu verstehen. Die Brücke zwischen beiden leisten im Wesentlichen die Begriffe des Diskursuniversums, der Lebenswelt und der Enzyklopädie (37- 44), die allerdings eine noch genauere theoretische Durchdringung vertragen könnten. Der Text, als Teil eines Diskursuniversums verstanden, ist nicht radikal von einer als ‚Umwelt‘ abgegrenzten Welt ‚außerhalb‘ des Textes bzw. ‚vor‘ dem Text zu unterscheiden, da diese sich in Form von Lebenswelt (als vorfindliche und vorreflexive Welt), aber auch in Form einer Enzyklopädie, die die vorreflexive Welt sinnvoll ordnet, im Text niederschlägt. Auch das im Buch leitende Verständnis von Texten als Medien in einer Kommunikationssituation (19, 20, 47) ermöglicht es, Texte in Kommunikation mit gegenwärtigen und vergangenen Kontexten zu verstehen. Historischen Kontexten wird nicht die alleinige Deutung über den Text überlassen, die Autorintention durch die Rede von der Textintention abgelöst (auch hier wäre mehr theoretischer Hintergrund sinnvoll). Es wird betont, dass Texte Einfluss in der Rezeption gewinnen können, wenn sie aus ihrem ursprünglichen Kontext getrennt werden (65). Dieser Ansatz ist ein maßgeblicher Schritt zu mehr Praxistauglichkeit wissenschaftlicher Methoden und hilft gegen historistische Missverständnisse historischer Kritik. Es ist außerdem positiv zu würdigen, dass das Buch in Teil A gewichtige Fragen aufwirft, wie etwa „Gibt es richtige und falsche Interpretationen? “ (16) oder „Worin besteht der Unterschied zwischen kanonischen, deuterokanonischen und nichtkanonischen Schriften? Welche Bedeutung hat dieser Unterschied in der theologischen Wissenschaft und der kirchlichen Praxis? “ (79) Der Einbezug DOI 10.24053/ VvAa-2022-0019 96 Clarissa Breu der Perspektive des Raumes (117) entspricht neueren Entwicklungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Insgesamt ist das Buch daher ein Zugewinn im Feld der exegetischen Methodenbücher. Zu wünschen wäre aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, dass die vielen verschiedenen theoretisch-methodischen Ansätze, die auf unterschied‐ lichen Voraussetzungen und Theoriesträngen basieren, nicht nur angerissen, sondern auch klar zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. So ist zu fragen, ob nicht ein Bekenntnis zu einer Theorietradition insgesamt tragfähiger wäre als die Zusammenstellung von Bruchstücken aus verschiedenen theoretischen Hintergründen, denn die semiotische Perspektive scheint das Buch wesentlich zu prägen, doch wie verhält sie sich zum Gedanken der Kommunikationssitua‐ tion und der Medialität von Texten? Warum taucht unvermittelt auch Gadamers Begriff der „Horizontverschmelzung“ (47) auf (also: Wie hängen Semiotik und Hermeneutik zusammen)? Wie sieht die Beziehung von Semiotik und Kommu‐ nikationstheorie zum Lebenswelt- und Diskursuniversums-Begriff genau aus? Was sind Probleme und Chancen des Begriffs der Textintention? Aufgrund des zu begrüßenden Ansatzes des Buches bei der Praxis wäre zudem eine noch konkretere Orientierung an der Zielgruppe wünschenswert. Hier wären z. B. integrierte Kopiervorlagen oder Leitfäden für eine Kurzexegese hilfreich. Diese beiden Kritikpunkte mindern nicht den Eindruck, dass es sich hier um eine wichtige Ergänzung zu bereits existierenden Methodenbüchern handelt. Das vorliegende Buch liefert dringend notwendige Impulse für die Frage der Anschlussfähigkeit akademischer Exegese an die Praxis. Es ist zu hoffen, dass es Diskussionen und weitere exegetische Arbeiten in diese Richtung anstößt. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0019 Michael Schneider/ Michael Rydryck: Bibelauslegung 97
