Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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Francke Verlag Tübingen
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Interview mit … Klaus-Peter Adam Steckbrief: Klaus-Peter Adam Geboren: 1965 Werdegang: Promotion (1999) und Habilitation (2005) an der Philipps-Universität Marburg, seit 2009 Professor für Altes Testament an der Lutheran School of Theology at Chicago, einer Hochschule für Pfarramts- und Magisterstudierende der Evangelical Lutheran Church of America (ELCA). Forschungsinteressen: Arbeitet zur narrativen Ethik der Saul-David-Überlieferung, zur Privatfeindschaft im Recht, zu Fehdestrukturen in Sippengesellschaften und in unterversorgten Gebieten im Südteil Chicagos; zu Feindkonzeptionen in den Individualpsalmen. Privates: Genießt in seiner Freizeit Radtouren und Laufen entlang des Michi‐ gansees. Vorneweg - Blitzlicht • Lehre - Frust oder Lust? Lust: Meine Studierenden sind sehr interessiert und motiviert zum Studium. Ich habe die Möglichkeit, einige Veranstaltungsthemen selbst zu wählen. • Lehre oder Forschung? Forschung: Die Faszination am tieferen Verstehen und der Austausch über Texte, die ich über lange Zeit bearbeitet habe, sind motivierend. • Lieber Erstsemester oder lieber Integrationsphase (früher Examensphase)? Erstsemester: Vor allem, weil sie so viel Neugier mitbringen und oft eine gewisse Unmittelbarkeit im Lesen der Texte. • Neues oder Bewährtes? Bewährtes: Lehrveranstaltungen werden besser werden mit der Routine bewährter Arbeitsformen. Wenn ich an die ersten Versuche der online- Seminare mit Google Slides denke, wird das gut deutlich. • Referate oder Gruppenarbeit? Gruppenarbeit: Wenn Gruppenarbeiten gut vorbereitet sind, binden sie mehr Teilnehmer ein und der pädagogische Effekt ist ungleich größer. Welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre in Ihrem momentanen Arbeitsfeld nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Prägend finde ich zwei Erfahrungen bzw. kulturelle Zusammenhänge in meinem gegenwärtigen Arbeitsfeld. Zum einen die spezifische Rezeptionsgeschichte des Alten Testaments in den USA, besonders der legitimatorische Gebrauch biblischer Texte zur Rechtfertigung der Sklavenhaltung in der neuzeitlichen Bibelauslegung. Es gibt ganz unmittelbare Interpretationsstrategien zur Recht‐ fertigung der Sklaverei, z. B. den Philemonbrief oder dem Fluch Hams in Gen 9, um nur zwei Belegtexte zu nennen, die in den USA z. B. gezielt African Americans gelehrt wurden. Darüberhinaus gibt es eine ganze Reihe fataler, im Kontext der USA offen oder verdeckt rassistischer Interpretationslinien, wie etwa die Wirkungsgeschichte und das Verständnis Ägyptens als Teil der Geographie Vorderasiens, nicht Nordafrikas. Das taucht oft als Argumentati‐ onszusammenhang in der Propagierung einer grundsätzlichen Superiorität von weißer gegenüber African American Culture auf. Als Professor an einer Hochschule in einer vorwiegend weißen Denomination mit vorwiegend weißen Pfarramtsstudierenden, der Evangelical Lutheran Church of America (ELCA), heißt das für mich, dass ich Altes Testament mit landes- und kulturspezifischer Rezeptionsgeschichte lehre und den spezifischen Missbrauch biblischer Kultur‐ konzepte im US-amerikanischen Kontext mit Studierenden behandle. Zum anderen habe ich im vergangenen Jahrzehnt über die Zusammenhänge zwischen Fehdestrukturen in lokalen Sippengesellschaften in der Antike und breiter, rechtsgeschichtlich und ethnographisch gearbeitet. Dabei sind mir die Fehdestrukturen in sogenannten „ganglands“ aufgefallen. Eine Erwachse‐ nenbildungsveranstaltung „What the Bible says about police violence, gang violence and the Defund the Police movement“ stellt die ethnographischen und soziologischen Zusammenhänge von Fehdestrukturen in Gangs und den problematischen Druck auf Zeugen durch die Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen allgemeinverständlich dar. Das Ziel ist kurz gesagt, dass besonders weiße, im weitesten Sinne ‚evangelikale‘ bzw. ‚evangelische‘ (‚mainstream evangelical‘) US-Amerikaner: innen lokale Fehdestrukturen in unterversorgten Bereichen soziologisch und historisch beschreiben und analysieren lernen. Nur so können sie das oft verzerrt dargestellte Anliegen der „Defund the Police - Fund Communities! “-Bewegung verstehen, das sich besonders im Gefolge der Polizeigewalt u.a. in Ferguson, Missouri, gegen Michael Brown, in New York gegen Eric Garner (beide 2014) und in Minnesota gegen George Floyd (2020) herausgebildet hat. Mir ist wichtig geworden, dass biblische Analyse im Wissenstransfer zum zentralen gesellschaftlichen Diskurs über Waffengewalt in diesem Land beiträgt. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0021 108 Interview mit … Klaus-Peter Adam Was ist das Grundparadigma Ihrer Lehre; also würden Sie sagen, dass es bei Ihnen eine Grundüberzeugung gibt, die sich durchzieht? Das Alte Testament hat keine „theologische Mitte“, daher gibt es eine Reihe von Aspekten, die ich immer wieder lehre. Ich beschränke mich auf einen dieser Aspekte. Theologisch sind mir in der Lehre das Jesajabuch und die Jeremiaü‐ berlieferung, sowie verschiedene Psalmen wichtig und zwar im Zusammenhang mit der lutherischen Kreuzestheologie. Ich unterrichte die Prophetenüberliefe‐ rung als komplexe Geschichte und Reflexion zum prophetischen Auftrag, d. h. mit den Themen der prophetischen Identität und Verkündigung vom 8. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. Ich arbeite idealtypisch zur prophetischen Identität in der Jesajadenkschrift und zum theologischen Problem der Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum und dann in redaktionsgeschichtlichen Entwicklungen des Jesajabuches bis hin zu den Gottesknechtsliedern sowie zur Frage von wahrer und falscher Prophetie im Jeremiabuch und zum Leiden am prophetischen Auftrag in den Konfessionen Jeremias. Das Lesen alttestamentlicher Prophetie schärft unter anderem den Blick auf die Christologien des NT und auch auf spezifische Traditionen jüdischer (biblischer) Theologie im AT. Welche Bedeutung hat die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Die Hochschule hat vor etwa acht Jahren ein kompetenzorientiertes Studien‐ programm eingeführt, wie das typisch für viele Seminaries in den USA ist. Eine konkrete Folge ist, dass meine Überblicksveranstaltungen im AT nicht mehr alle Bereiche abdecken und ich in Lehrveranstaltungen viel stärker exemplarisch arbeite. Daher bekommen etwa Beispieltexte in der Quellenscheidung im Pen‐ tateuch mehr Bedeutung als Überblicksanalysen. Oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen eher stiefmütterlich im Gegensatz zur Forschung behandelt wird. Beschreiben Sie Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Wo sehen Sie Potentiale für Synergieeffekte zwischen diesen beiden Bereichen? Ich kann mich glücklich schätzen, dass die Lutheran School of Theology at Chicago ein Doktorandenprogramm hat, in dem ich sehr viel leichter meine Forschung in die Lehre einbringen kann, als in Einführungsveranstaltungen für Pfarramtsstudierende. Zum anderen inspiriert mich die Lehre manchmal auch zur Forschung. Seit vier Jahren habe ich zusammen mit einer argentinischen Kollegin, Mercedes Garcia-Bachmann, eine Einheit zu den „Pornoprophetics“ (Drora Setel, Athalya Brenner) in die Überblicksveranstaltung zur Prophetie eingebunden. Ich fand, dass ich das den Studierenden schulde, obwohl mich selbst das Thema nicht interessiert hat. Das hat sich im Verlauf der vergangenen Jahre geändert. Im Moment stelle ich einen Artikel zum hebräischen Wurzel znh in H (Lev DOI 10.24053/ VvAa-2022-0021 Interview mit … Klaus-Peter Adam 109 19: 29; 21: 7,9,14) und Ezechiel auf dem Hintergrund des biblischen Sklaven- und Heiratsrechts und zu Genderdiskursen zusammen. Der Aufsatz beruht auf einem Vortrag, den ich über die letzten Jahren mehrfach gehalten habe. Insgesamt empfinde ich es als großes Vorrecht, dass ich im Bereich Altes Testa‐ ment unterrichte und dass mir dadurch, besonders im Bereich des Pentateuch, einige Texte über die Jahre vertraut wurden und mich zur eigenen Weiterarbeit in der Forschung anregen. Als in den USA lehrender Exeget kennen Sie die akademische Welt in Deutschland wie in den USA. Wie haben Sie in diesen unterschiedlichen Kontexten das Span‐ nungsfeld von universitärer Theorie und beruflicher Anwendung erlebt? Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Systeme, und was können beide vielleicht auch voneinander lernen? Die kompetenzorientierte Ausbildung in den US-amerikanischen Seminaries könnte eine große Chance für die theologische Ausbildung besonders für pra‐ xisorientierte Studierende in Deutschland bieten. Das Konzept eines einjährigen Praxisjahres, das in der Lutherischen Kirche (ELCA) üblich ist, hat Vorteile als konkrete Vorbereitung auf die berufliche pfarramtliche Praxis; dazu gehört auch das dreimonatige Clinical Pastoral Training (CPT), das in seiner eigenen Weise die Herausbildung einer pastoralen Identität fördert. Was die Exegese anbelangt, blicke ich ein bisschen neidisch auf meine deutschen Kolleg: innen. Vierstündige Vorlesungen und gute Sprachenqualifikationen ma‐ chen es attraktiv, in den Bibelwissenschaften zu lehren. An meinem Seminary lernen die meisten Studierenden zwei Semester Griechisch, viele, aber nicht alle, lernen Hebräisch. Interessanterweise ist die berufliche Verweildauer von Pfarramtsstudierenden in den evangelischen Denominationen in den USA allerdings im Schnitt nur 50 % nach fünf Jahren, obwohl Studierende die pfarramtliche Realität viel früher und gewissermaßen ‚drastischer‘ kennenlernen. Ob Absolventen in Deutschland länger im Pfarramt bleiben, ist mir nicht bekannt. Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Wie für alle Lehre gilt: Theologische und bibelwissenschaftliche Lehrer: innen motivieren und überzeugen am meisten durch ihr eigenes Vorbild. Gute kontextuelle Einbindung der bibelwissenschaftlichen Arbeit, gepaart mit historisch-kritisch kompetenter Methodik, kann Theologiestudierende moti‐ vieren für die Relevanz des Studiums der biblischen Texte. So können kontextu‐ elle Themen Experimentierfelder werden, die zum theologischen und biblischen wissenschaftlichen Weiterarbeiten im Studium motivieren. DOI 10.24053/ VvAa-2022-0021 110 Interview mit … Klaus-Peter Adam
