eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 8/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2023-0004
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2024
81 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Wer nicht lernen will, muss hören

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2024
Michael Hölscherhttps://orcid.org/0000-0001-7125-8410
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Wer nicht lernen will, muss hören Podcasts in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation Michael Hölscher (orcid.org/ 0000-0001-7125-8410) Die Grenze zwischen digitaler Hochschullehre und Wissenschaftskommu‐ nikation ist fließend. Der Beitrag gibt eine Einführung in die Welt der Podcasts und zeigt, was ansprechende Formate ausmacht, wie man sie entwickelt und welche didaktischen Möglichkeiten es für Podcasts gibt. Der Beitrag möchte Lehrende, Studierende und Wissenschaftler: innen motivieren, radiojournalistische Kompetenzen zu erproben, etwa mit Blick auf die eigene Sprache und das Sprechen vor dem Mikrofon sowie mit einem neuen Blick auf Lehr-Lern-Situationen, der die Lerngruppe als Zielgruppe von Medieninhalten und -formaten ernst nimmt. The boundary between digital university teaching and scholarly commu‐ nication is fluid. This article provides an introduction to the world of podcasts, demonstrating what makes an appealing format, how to develop it and what didactic possibilities exist for podcasts. The article aims to motivate teachers, students and academics to explore radio journalism skills, particularly in terms of phrasing and speaking in front of the microphone, as well as adopting a new perspective on teaching-learning situations that takes the learning group serious as a target group for media content and formats. „Stille Nacht, heilige Nacht“ - Stimmungsvoll und ruhig begann am 22. De‐ zember 1920 die Geschichte des öffentlichen Rundfunks in Deutschland. Es waren die Mitarbeiter: innen der Reichspost, die in der Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen auf selbst mitgebrachten Instrumenten ein Weihnachtskonzert spielten. Von dort war es noch ein langer Weg, bis das Radio nach dem besinnlichen Start zunächst zum linearen Massenmedium wurde und schließlich mit dem Podcast auch Audio auf Abruf entstanden ist. Heute sind Radio und Podcast DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 1 Alle Links zu den in diesem Beitrag erwähnten Podcasts und Websites werden im Anschluss an die Bibliographie angeführt. 2 Eins, Podcasts, 7. aus vielen Küchen, Badezimmern und Hobbykellern nicht mehr wegzudenken. Man hört beim Kochen, während man putzt oder die Wohnung aufräumt. Viele Nutzer: innen sind inzwischen vom klassischen Empfangsgerät auf das Smart‐ phone oder den Smart Speaker umgestiegen, hören im Zug, auf dem Weg in die Uni oder beim Spazierengehen: von Ausgestorben, dem Paläontologie-Podcast, bis hin zum Miau-Katzen-Podcast. 1 Und auch die Wissenschaft hat Podcasts entdeckt, entweder als Kanal für die Wissenschaftskommunikation oder als Medium in der Hochschullehre. Auch wenn Rezeption und Produktion von Radio und Podcasts heute einfa‐ cher geworden sind, inmitten großer Konkurrenz ist mehr Konzeptarbeit ge‐ fragt, um überhaupt zu seinen Hörer: innen durchzudringen. Die Fülle an mobil verfügbaren Hörfunkbeiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender ist enorm und fast jede Nische hat inzwischen ihren Podcast. Es empfiehlt sich, mit einer guten Vorbereitung in die Öffentlichkeit zu treten, sich also Gedanken zur Zielgruppe zu machen, das richtige Format für den eigenen Podcast zu finden und sich sprachlich und technisch fit fürs Podcasten zu machen. Das gilt umso mehr für diejenigen, die in der Hochschullehre mit Audio und Podcasts experimentieren möchten, denn ein schlecht gemachter Vorlesungspodcast ist nicht unbedingt konkurrenzfähig. Dieser Beitrag möchte zeigen, was ansprechende Podcasts ausmacht, inwie‐ fern Podcasts Anknüpfungspunkte für die Hochschullehre bieten und was es für den ersten Podcast braucht. Zunächst aber zur Frage, was man unter dem Begriff überhaupt versteht. 1 Was ist ein Podcast? Der Begriff setzt sich aus dem Wortbestandteil „pod“, eine Abkürzung für „play on demand“, und „cast“, für „Broadcast“, zusammen. Podcasts sind daher „digi‐ tale Sendungen zum Abspeichern, Mitnehmen und mobilen Konsumieren“ 2 , die in der Regel aus abonnierbaren Audiodateien bestehen. Podcasts sind damit also Audioserien, die aus einzelnen, regelmäßig erscheinenden Episoden bestehen. Diese lassen sich über eine spezielle Software (sog. Podcatcher) abrufen, in denen die neuesten Episoden jeweils oben angezeigt werden. Technisch steht ein RSS-Format im Hintergrund, das die Abonnent: innen jeweils mit dem neuesten Audiobeitrag versorgt. Doris Hammerschmidt bringt es auf den Punkt: „Was ein DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 36 Michael Hölscher 3 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21. Vgl. insgesamt zur Definition Eins, Podcasts, 7 f.; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21f. 4 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 21. 5 Vgl. Eins, Podcasts, 8. echter Podcast ist, ist lediglich über die Dreieinigkeit der technischen Aspekte definiert: RSS-Feed - Serie von Audiobeiträgen - abonnierbar.“ 3 Neben dieser engen Definition gibt es auch eine breitere. Man spricht häufig auch dann von Podcasts, wenn Audiodateien auf Websites oder über einen anderen Verbreitungsweg bereitgestellt werden. Die breitere Definition ist also: Ein Podcast ist ein „Audiobeitrag im Internet“ 4 . Inzwischen findet sich auch der Begriff „Video-Podcast“ oder „Vodcast“, der die serielle Ausspielung verbunden mit dem RSS-Feed auf das audiovisuelle Format überträgt. 5 Podcasts sind, auch wenn sie auf den ersten Blick als reine Audiodateien ausgespielt werden, doch mehr als ein einfaches Angebot zum Hören. In der Regel werden Podcast-Folgen heute mit zusätzlichen Informationen ausgestattet (enhanced podcasts). Die Audiodatei wird beispielsweise mit zusätzlichen Steu‐ erelementen versehen. Dies können Kapitel- oder Sprungmarken sein, um be‐ stimmte Stellen im Podcast direkt aufzurufen. Es können aber auch Shownotes, bestehend aus Links oder Infos zu weiterführender Literatur sein. Im Grunde sind Screencasts, die zusätzlich zur Audiospur eine begleitende Präsentation zeigen, auch als eine Spielart von enhanced podcasting zu bezeichnen. Die Grenzen zum Video-Podcast sind damit fließend. Flankierend bewerben viele Podcaster: innen ihre Podcasts heute auch auf eigenen Social-Media-Präsenzen und betreiben ein mehr oder weniger aufwän‐ diges Marketing. Über die verschiedensten Kanäle werden dann etwa O-Töne aus Podcasts als Audiogramme geteilt, die Appetit machen sollen. Solche Audi‐ ogramme unterstreichen das Gehörte visuell, indem sie neben dem Logo des Podcasts oder einem Foto der Podcaster: innen auch eine Wellenform-Animation zeigen. Wie ein kurzes Video klickt man das Audiogramm an, um sich die Podcast-Sequenz anzuhören. Wer Podcasts produzieren möchte, überlegt sich am besten schon zu Beginn, welche Variante des Podcasts für die eigenen Zwecke und die eigene Zielgruppe geeignet ist. Nicht immer ist der Podcast im engeren Sinne die beste Wahl. Häufig - zumal in der Hochschullehre - bietet der „Audiobeitrag im Internet“ vielfältigere Einsatz- und Kombinationsmöglichkeiten. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 37 6 Brecht, Rundfunk, 553. Vgl. zu Podcasts und Brechts Radiotheorie auch Eins, Podcasts, 19f. 7 So bereits der Titel des Beitrags Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe. 8 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159. 9 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159. 2 Mehr als Senden und Empfangen: Vom Radio zum Podcast Wenn viele Podcaster: innen auch Social Media nutzen, um ihre Podcasts be‐ kannt zu machen, dann zeigt das bereits, dass Podcasts nur auf den ersten Blick nach dem Prinzip der Einbahnkommunikation funktionieren. Viele Pod‐ caster: innen kommunizieren rege mit ihren Hörer: innen und nehmen deren Anregungen im Podcast auf. Der Podcast greift damit eine Entwicklung auf, die bereits das Radio in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. Auch dort hat das klassische Sender-Empfänger-Modell inzwischen ausgedient. Die Kritik an diesem Modell setzte dabei schon früh an. Am Beginn der 1930er Jahre trug Bertolt Brecht seine Vision für einen Rundfunk vor, der auch die Hörer: innen als Produzierende ernst nimmt: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunika‐ tionsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d. h., er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.“ 6 Damit nimmt Brecht die Entwicklung vorweg, die sich in der Geschichte des Radios erst sehr viel später realisiert und die Jonas Schützeneder und Michael Graßl auf den Begriff „Evolutionsstufe Audio 3.0“ bringen. 7 Sie unterscheiden insgesamt „drei Evolutionsstufen des interaktiven Hörens“ 8 . In ihrer Systema‐ tisierung, mit der sich neben dem klassischen Radio auch jüngere Audioformate, wie der Podcast, beschreiben lassen, gehen sie von der Rolle und Funktion des Publikums aus. Insbesondere auf die Zeit des Radiohörens in den 1930er bis 1950er Jahren, in der das Fernsehen noch nicht die dominante Rolle eingenommen hatte, beziehen sie sich mit dem Begriff Audio 1.0. Kennzeichnend für diese Phase war ein Radio, das „ohne direkte Rückkopplung zum Publikum“ 9 funktionierte. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 38 Michael Hölscher 10 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160. Zu Audio 1.0 vgl. insgesamt Schützen‐ eder/ Graßl, Evolutionsstufe, 159 f. Das bedeutet natürlich nicht, dass keine „Anschluss‐ kommunikation“ auf Seiten der Hörenden stattfindet. Sie haben lediglich nicht die Möglichkeit, massenwirksam zu reagieren. Vgl. dazu etwa Sommer, Anschlusskommu‐ nikation. 11 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160. 12 Vgl. insgesamt Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 160 f. Zu verschiedenen Formaten mit Hörer: innenbeteiligung vgl. etwa auch Buchholz, Hörerbeteiligung; Brombacher, Radio-Aktionen; Brombacher/ Köster, Radio-Spiele. 13 Vgl. Beisch/ Koch, ARD/ ZDF-Onlinestudie, 462 f. mit Tabelle 5. Dabei liegt das Musik‐ streaming noch vor der Nutzung von Podcasts und Radiobeiträgen (vgl. Oehsen, Audionutzung, besonders 481 f. mit den Abbildungen 1-2). 14 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161. 15 Schützeneder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161. Vgl. insgesamt zu Audio 3.0 Schützen‐ eder/ Graßl, Evolutionsstufe, 161-163. Zugespitzt formuliert: „Audio 1.0 ist so gesehen Radio als Massenmedium für ein schweigendes Publikum.“ 10 Diese Phase wurde spätestens durch den Digitalisierungsschub in den 1990er Jahren von einer neuen abgelöst, in der das Publikum sich beteiligen kann: „weg von der schweigenden Masse, hin zu einem aktiven Teil des Programms.“ 11 Audio 2.0 lebt von nutzergenerierten Inhalten. Konkret spiegelt sich das neue Denken etwa in Sendungen mit Hörer: innenbeteiligung, in neuen Möglichkeiten der Partizipation über Aktionen und Spiele oder im selbstbestimmten Audioabruf auf den Websites der Sender. 12 Heute gehört Audio in der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren zu den am meisten genutzten Medienangeboten im Internet, unmittelbar nach dem Bewegtbild. 13 Audio 2.0 ist maßgeblich von den Entscheidungen in den jeweiligen Re‐ daktionen geprägt. Diese „Entscheidungshoheit“ 14 schwindet in der Phase, die sich als Audio 3.0 bezeichnen lässt. Hier kann jede und jeder „aus dem Publikum heraus […], mit niedrigschwelligem technischem Know-how Audio-Content […] produzieren, […] distribuieren und so vom Hörendenin den Gehörten-Status […] wechseln.“ 15 Audio 3.0 zeichne sich insbesondere durch Entwicklungen auf den drei Ebenen production, distribution und conferencing aus: Mit Hilfe des Smartphones kann jede und jeder eigene Inhalte erstellen (production) - häufig sind es Podcasts -, diese mit Hilfe der großen Plattformen verbreiten (distribution) und sich gleichberechtigt mit anderen austauschen (conferencing), wofür bei Schützeneder und Graßl insbesondere die Plattform Clubhouse steht. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 39 16 Vgl. zur Geschichte des Podcasts Eins, Podcasts, 9-12; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 19-26. Hammerschmidt setzt die zweite Welle für Deutschland etwa ab dem Jahr 2017 an. Während in der ersten Welle (ab etwa 2004) vor allem Hobby-Podcaster: innen experimentierten, sorgten vermutlich die Verbreitung des Smartphones und das mobile Internet für eine sehr viel breitere Podcastnutzung ab der zweiten Welle. 17 Vgl. etwa aus dem Jahr 2007 Schmidt u.-a., Podcasts. 18 Vgl. etwa Zorn u. a., Educasting, aus dem Jahr 2013 (1. Auflage 2011). Auch der Podcast von Elisabeth Barkov greift den Begriff auf: „Educasting - Podcasts in der Hochschulbildung“. 19 Brecht, Radio, 217. 20 Brecht, Radio, 217. 21 Vgl. zu dieser Differenzierung Schmidt u. a., Podcasts, 6 f. Sie übernehmen die drei Ansätze von Bachmann u. a., Internetportal, 95, und wenden sie auf den Podcast an. Bachmann u. a. beziehen sich auf das E-Learning allgemein und beschreiben das Verhältnis zwischen multimedialen Elementen und der Vor-Ort-Lehre. Vgl. zu Podcasts als eine Spielart von E-Learning auch Arnold u.-a., Handbuch, 240-245. Bereits weit vor der zweiten Podcast-Welle, die in den USA etwa ab dem Jahr 2014 beginnt, 16 wurde der Podcast auch (hochschul-)didaktisch aufgegriffen. 17 Podcasting in der Hochschuldidaktik firmiert dann unter dem Begriff „Educas‐ ting“. 18 Schon früh machte man sich auch Gedanken, wie sich das damals noch recht neue Phänomen Podcast in Lehr-Lern-Formate didaktisch sinnvoll integrieren lässt. 3 Educasting: zwischen Anreicherung der Lehre durch Audio und vollständiger Virtualisierung der Lehre „Tatsache ist, daß wir uns immerfort von Möglichkeiten an der Nase herum‐ führen lassen.“ 19 So kritisierte bereits Bertolt Brecht die Vorstellung, dass die neue Technik allein schon etwas Nützliches oder Sinnvolles mit sich bringt. Ironischer formuliert er: „Man wunderte sich, was für Darbietungen da aus den Sphären kamen. Es war ein kolossaler Triumph der Technik, nunmehr einen Wiener Walzer und ein Küchenrezept endlich der ganzen Welt zugänglich machen zu können. Sozusagen aus dem Hinterhalt.“ 20 Wer Podcasts für die Hochschullehre nutzen möchte, kommt also nicht umhin, sich wie in der analogen Lehre auch, Gedanken über die Lernziele und die methodisch-didaktische Gestaltung zu machen. Speziell für die Podcastnutzung in Lehr-Lern-Kontexten haben Tim Schmidt, Markus Ketterl und Karsten Morisse bereits 2007 drei Konzepte der Podcast-Nutzung vorgeschlagen, die auch heute noch zum Weiterdenken anregen. 21 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 40 Michael Hölscher 22 Schmidt u.-a., Podcasts, 7. 3.1 Anreicherung Mit Anreicherung durch Audio lässt sich eine Form beschreiben, in der die Vor-Ort-Lehre durch zusätzliche Materialien im Audioformat ergänzt wird. Hier handelt es sich also um Audioangebote, die fakultativ sind. Dies könnten Hintergrundinformationen zu bestimmten Lehrveranstaltungsinhalten sein, etwa bei Überblickslehrveranstaltungen, die im Laufe des Semesters viele Themenbereiche anreißen. Aber auch Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Prüfungsformen oder zur Studienorganisation sind möglich. Solche Angebote könnten insbesondere dann funktionieren, wenn sie auf einen entsprechenden Bedarf reagieren und den Servicecharakter stark machen. Die drei Autoren gehen stark lehrendenzentriert an das Thema Podcast heran. Es ist natürlich auch möglich, dass solche Audiobeiträge von Studierenden produziert und der Lerngruppe zur Verfügung gestellt werden. 3.2 Integration Unter Integration von Audio in die Lehre werden Formate gefasst, die On‐ line- und Vor-Ort-Lehre verbinden: „Im Integrationskonzept werden vorrangig netzbasierte Veranstaltungen mit hohem Online-Anteil und gegebenenfalls mit tutorieller Betreuung durchgeführt.“ Hier sind unterschiedliche Szenarien denkbar, wie Einheiten im Plenum und Selbstlerneinheiten aufeinander abge‐ stimmt und rhythmisiert sein können, je nachdem, welchen Umfang asynchrone Selbstlerneinheiten mit audiogestützten Materialien haben und inwiefern syn‐ chrone gemeinsame Termine vorgesehen sind. Werden die Podcasts durch die Lehrenden erstellt und sind sie Teil eines asynchronen Lehr-Lern-Settings, dann fordern sie in der Regel ein hohes Maß an Motivation und Selbstorganisation auf Seiten der Studierenden ein und sind möglicherweise eher für fortgeschrittene Studienphasen geeignet. Werden - etwa anstatt von Referaten - Podcasts von den Studierenden selbst erstellt und sinnvoll in das Lehr-Lern-Szenario eingebunden, ist die Motivation gegebenenfalls größer, auch die Beiträge der anderen zu hören. 3.3 Virtualisierung Unter Virtualisierung versteht man schließlich ein Format, in dem „einzelne Vor‐ lesungen nur online zur Verfügung gestellt werden und damit den Besuch der Präsenzveranstaltung ersetzen“ 22 oder Podcasts „als verpflichtende Vorberei‐ DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 41 23 Schmidt u.-a., Podcasts, 7. 24 Der Beitrag beschränkt sich auf die nicht-technischen Aspekte des Podcastens. Hin‐ weise und Empfehlungen zur technischen Seite - von Aufnahmetechnik über Audio‐ schnitt bis hin zum Podcasthosting - finden sich online unter Hölscher, Podcasts. Vgl. darüber hinaus auch Eins, Podcasts, 117-129 („Technische Ausrüstung für die Au‐ dioaufnahme“); 143-155 („Postproduktion und Audioschnitt“); 169-188 („Verbreitung und Marketing“), sowie Hammerschmidt, Podcast-Buch, 96-108 („Audio-technische Aspekte der Podcast-Produktion“); 109-117 („Inhaltlich-technische Aspekte der Pod‐ cast-Produktion“); 117 f. („Mobiles Podcasten - für ganz Eilige“); 119-135 („Veröffentli‐ tung auf eine Lehrveranstaltung“ 23 eingesetzt werden. Hier setzen die Autoren ein recht klassisches Vorlesungsszenario voraus, wobei sich die Virtualisierung umgekehrt auch auf Projekte von Studierenden ausweiten ließe, also etwa auf umfangreichere Gruppen- oder Projektarbeiten. 4 Fit fürs Podcasten in Hochschullehre und Wissenschaftskommunikation Jede Form von Podcast kann - auch wenn sie stärker im Sinne von Audio 1.0 konzipiert ist - hilfreich und zielführend sein, wenn sie professionell gemacht ist. Gegebenenfalls kann ein Format, das dem Konzept Audio 1.0 folgt, sogar auf ein bestimmtes Bedürfnis der Zuhörenden reagieren und mit Muße und Gewinn gehört werden, wenn es durch sprachliche Gestaltung, eine gute Struktur, Steuerelemente und Zusatzmaterialien so gestaltet ist, dass es gut konsumierbar ist. Andererseits können Studierende, vor die Aufgabe gestellt, in einer Lehrver‐ anstaltung einen Podcast zu produzieren, allzu sehr herausgefordert sein, weil das Zusammenspiel von neu zu erschließenden wissenschaftlichen Inhalten und angemessener technischer sowie sprachlicher Umsetzung des Themas ihnen zu viele Kompetenzen auf einmal abverlangt. Für beide Seiten - Lehrende wie Studierende - bieten Podcasts also ein herausforderndes, aber vor allem spannendes Lernfeld. Studierende können ganz praktisch etwas über das Medium Podcast lernen und sich damit gleich‐ zeitig wissenschaftliche Inhalte erschließen. Eine wichtige Fertigkeit ist dabei, komplexe Themen für sich und andere so zu erschließen und zu erklären, dass man sie leicht verstehen kann. Lehrende können erproben, wie man auch mit Hilfe von Sprache und Stimme, Distanz überbrücken und persönliche Nähe zu seiner Zielgruppe schaffen kann, um Verbundenheit zu erzeugen. Wichtig beim Podcasten ist eine Sprache, die ankommt, zielgruppengerechte Kommunikation, das Ernstnehmen der Hörgewohnheiten der angesprochenen Gruppe und das richtige Format. Darum soll es im Folgenden gehen. 24 DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 42 Michael Hölscher chung - Der Podcast muss an die frische Luft“); 179 („Modelle der Podcast-Produktion - Bronze, Silber, Gold“). 25 Vgl. insgesamt zu Sprache und Sprechen in Radio und Podcast Hammerschmidt, Podcast-Buch, 85-88; La Roche, Hören; Linke, Manuskript; Rossié, Frei sprechen. 4.1 Kino im Kopf: Sprache und Sprechen Während das Fernsehen vom Bild lebt und die Sprache nur Begleitung ist, müssen Audiobeiträge die Bilder im Kopf erzeugen. Dies funktioniert aus‐ schließlich über Sprache, Stimme und manchmal über Geräusche. Podcasts funktionieren auch deshalb so gut, weil sie etwas von der Person hinter dem Mikrofon preisgeben. Wer frei und authentisch spricht, eigene Positionen und persönliche Einschätzungen erkennen lässt, kommt im Podcast meistens besser an als derjenige, der die Distanz zwischen Sprecher: in und Empfänger: innen noch zusätzlich durch sprachliche Distanz markiert. 25 Fünf konkrete Tipps helfen, um als Sprecher: in das virtuelle Gegenüber zielsicher zu erreichen: 1. Am besten ist es, frei zu sprechen. Professionelle Sprecher: innen können geschriebene Texte so sprechen, dass sie klingen, als seien sie im Moment frei formuliert worden. Für Ungeübte ist das in der Regel schwer. Jede und jeder hat dabei andere Vorlieben, sich das, was man sagen möchte, ins Gedächtnis zu rufen: Manche nutzen Mnemotechnik, andere haben ausgefeilte Systeme, wie sie sich ihre Notizen organisieren. Eine gute Struktur hilft immer, zielsicher zu formulieren und sich auf das Wichtigste zu beschränken. 2. Eine natürliche Sprache, wie im direkten Gespräch, kommt meistens am besten an. Es hilft, sich vor dem Sprechen locker zu machen, durch Bewegung und Atemübungen. Zuweilen helfen banale Dinge, wie, sich bequem anzuziehen, um eine gute Atmosphäre zu schaffen. Erstaunlich gut funktioniert auch, wenn man sich selbst mit einem Lächeln in eine positive Stimmung versetzt. 3. Als Podcaster: in spricht man häufig direkt über den Kopfhörer ins Ohr seiner Hörer: innen. Audio ist eine sehr intime Kommunikationssituation. Man sollte also so sprechen, dass man eine Person ganz unmittelbar anspricht (und sich nicht etwa eine Menschenmenge im Hörsaal vorstellt). Dabei hilft es, wenn man beim Sprechen eine vertraute Person imaginiert, die in die Zielgruppe passt, und sich direkt an diese Person richtet. 4. Auch wenn es für einen selbst zunächst übertrieben klingt, man muss sprachlich meistens etwas dicker auftragen, als man zunächst meint. Es hilft enorm, wenn man Emotionen in die Sprache legt, die zum jeweiligen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 43 26 Vgl. von Oehsen, Audionutzung. Vgl. auch die Infografiken auf https: / / www.ard-zdfonlinestudie.de/ . 27 Vgl. von Oehsen, Audionutzung, 484-486 mit Abbildung 7. Am zweithäufigsten in der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren wird angeführt: „weil ich nebenbei etwas anderes tun kann“ (76-%). 28 Von Oehsen, Audionutzung, 485. Inhalt passen - in der Regel zu einzelnen Satzteilen, Sätzen oder Absätzen. Wer eine Forschungsposition referiert, die man selbst ablehnt oder kritisch beurteilt, kann das auch sprachlich-emotional zum Ausdruck bringen. 5. Hörer: innen merken schnell, ob jemand das, was er oder sie sagt, auch tatsächlich meint. Authentizität ist also besonders wichtig. Wer für das Sprechen schreibt, kann Folgendes beherzigen: 1. Kurze Sätze formulieren, 2. Redundanzen einbauen (Namen, Daten, Fachbegriffe usw. wiederholen), 3. einfache Sprache verwenden und Fachbegriffe vermeiden (oder so ein‐ führen, dass sie hängen bleiben), 4. Bilder im Kopf erzeugen (Stichwort „Kino im Kopf “, beispielsweise Esels‐ brücken für einen Fachbegriff einführen o.-ä.), 5. Geschichten erzählen (Storytelling ist ohnehin immer zu empfehlen). Ein Ansatzpunkt kann die Frage sein: Gibt es eine Grundspannung im Thema, aus dem heraus sich eine Geschichte erzählen lässt? Letztlich geht es beim Sprechen immer darum, dass man gerne zuhört, damit das, was man sagt, bei den Hörer: innen ankommt. Dabei kann es sich lohnen, sich bei seiner Zielgruppe direkt zu erkundigen, wie die eigene Sprache und das Sprechen wahrgenommen werden. 4.2 Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler: Formatentwicklung für die Zielgruppe Das Nachdenken über die Zielgruppe setzt bereits bei der Wahl des Mediums an. Die ARD/ ZDF-Onlinestudie 2022 hat gezeigt, dass Audionutzung - das betrifft sowohl Musikstreaming als auch Podcasts und Radiobeiträge - bei der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren hoch im Kurs steht. 26 Das in dieser Altersgruppe am häufigsten genannte Motiv für die Podcastnutzung ist: „um etwas zu lernen“ (78 %). 27 Damit fällt auf, dass das Informationsinteresse in dieser Altersgruppe groß und „das Verfolgen von Prominenten, Stars und Influencern nicht zu den zentralen Nutzungsmotiven von Podcasts gehört.“ 28 Es DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 44 Michael Hölscher 29 Zum Teil lassen sich auch die regelmäßig von den Hochschulen organisierten (anonymen) Lehrveranstaltungsbewertungen nutzen, um Zielgruppenanalyse zu be‐ treiben. 30 Vgl. zur Zielgruppenanalyse etwa auch Eins, Podcasts, 59-65; Hammerschmidt, Pod‐ cast-Buch, 68f. 31 Vgl. Sauer, Kirchengemeinde. ist also auch hochschuldidaktisch sinnvoll, diesen Trend aufzugreifen und mehr Audioformate für die Lehre zu entwickeln. Innerhalb der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren lässt sich nun genauer differenzieren. Wer in der Hochschullehre tätig ist, hat tagtäglich mit Mitglie‐ dern dieser Zielgruppe zu tun und kann über Lehrveranstaltungen oder durch persönliche Gespräche einiges über die Interessen herausfinden: 29 • Welche Themen funktionieren gut oder sorgen immer wieder für Diskus‐ sionen in der Lehre? • Welche Hörgewohnheiten hat die Zielgruppe? • Wo werden Podcasts konsumiert (in Bus oder Bahn, beim Sport …)? • Welche Länge wird bevorzugt? • Welchen Mehrwert muss ein Podcast bieten, damit er regelmäßig gehört wird? Im besten Falle füllt der neue Podcast eine Lücke im Leben der Studierenden und ist von der Ansprechhaltung über den Klang insgesamt bis zum Thema auf diese Zielgruppe abgestimmt. 30 Wer einen Podcast neu entwickeln möchte, kann auch nach einer ersten Zielgruppenerkundung eine Pilotfolge produzieren, in der Ansatz und Anliegen des Podcasts sowie der Host hinter dem Mikrofon vorgestellt werden. Mit einer solchen Pilotfolge kann man dann Rückmeldungen einholen, sei es im persönlichen Gespräch oder über selbst erstellte Umfragen: Was interessiert die Zielgruppe inhaltlich besonders am Podcast? Passen Ansprechhaltung und Akustik? Wie kommt das Format an? Und vieles mehr. Ein recht einfaches Reflexionsinstrument, um pragmatisch Podcast-Angebote für konkrete Zielgruppen zu entwickeln, bietet Tobias Sauer auf seiner Web‐ site ruach.jetzt. 31 Er geht vom konkreten Mehrwert eines Podcasts für drei Zielgruppen aus und reflektiert jeweils auch den Arbeitsaufwand auf der Seite der Produzierenden. Seine drei Zielgruppen sind zwar für die Arbeit in Kirchen‐ gemeinden entwickelt, lassen sich aber recht gut auf den Hochschulkontext übertragen. Er setzt mit Blick auf die Zielgruppen bei der räumlichen Reichweite an: DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 45 1. Überregionale Zielgruppe - Thema im Fokus: Diese Adressat: innen haben wir meistens als erstes im Kopf, wenn wir an Podcasts denken. Man hat ein spannendes Thema, das eine Zielgruppe auch anderswo interessiert. Im Hochschulbereich können das beispielsweise Theologiestudierende oder Theolog: innen in der Berufspraxis sein. Für solche Zielgruppen wären un‐ abhängig vom Standort Themen wie „Theologie und Beruf “ von Interesse. Das Beispiel zeigt bereits: Solche Zielgruppen müssen nicht besonders groß sein, allein ein spezifischer Bedarf bei einer klar umrissenen kleinen Ziel‐ gruppe kann schon zu einer konstanten Hörer: innenzahl führen. Das Motto könnte lauten: Mut zur Nische! Wichtig bei der Themenwahl ist, dass man selbst Lust auf das Thema hat, dass man dieses Thema möglichst ohnehin schon beruflich oder privat verfolgt, sodass der Vorbereitungsaufwand gering ist. 2. Lokale Zielgruppe - Leben vor Ort im Fokus: Allzu schnell fokussiert man die überregionale Zielgruppe, weil man diese Gruppe mit seinem Thema erreichen möchte, auch wenn das Interesse tatsächlich gar nicht in dem Maße vorhanden ist. Gerade im Hochschulbereich ist es häufig sehr viel einfacher, der Öffentlichkeit vor Ort zu zeigen, was man forscht und lehrt. Die meisten Fakultäten und Institute sind bereits in Kirche und Gesellschaft vor Ort vernetzt. Warum also nicht das eigene Thema oder interessante Forscher: innenpersönlichkeiten in der Stadtgesellschaft bekannt machen? Viele Hochschulen haben Formate, die genau so etwas im Sinne der ‚Bürgeruniversität‘ versuchen. Zuweilen lassen sich auch Themen der Stadtgeschichte aufgreifen und mit dem eigenen Forschungs‐ feld verbinden. Wer eine solche Zielgruppe in den Blick nimmt, schafft Verbindungen zwischen der eigenen Institution und der Öffentlichkeit vor Ort. Bezugspunkte sind dabei der gemeinsame Ort und die Menschen, die an diesem Ort leben und arbeiten. 3. Hyperlokale Zielgruppe - Nutzen für die eigenen Mitglieder: An unseren Hochschulen haben wir meistens mit Angeboten zu tun, die sich an die Mit‐ glieder der eigenen Organisation richten, also an die Studierenden vor Ort, die Lehrenden, Wissenschaftler: innen, das Verwaltungspersonal. Wenn es darum geht, Angebote für die hyperlokale Zielgruppe aufzubereiten, kann der Nutzen sehr groß sein, bei einem unter Umständen sehr geringen Produktionsaufwand. Tobias Sauer denkt hier an Predigtmitschnitte bei Spotify oder Audioversionen des Gemeindebriefs für Menschen mit Seh‐ behinderung. In der Regel ist bei diesen Zielgruppen das Interesse an den Angeboten bereits vorhanden, das Audioformat bringt es in einer konsumierbaren Form zu ihnen. Im Hochschulbereich wäre hier etwa zu DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 46 Michael Hölscher 32 Schmidt u.-a., Podcasts, 2. 33 Weiner, Voices. 34 Kerres, Mediendidaktik, 39-41, bezeichnet dieses Phänomen als „seamless learning“. denken an Audioinformationen zur Prüfungsordnung oder zum Studien‐ verlauf, an Aufzeichnungen von Veranstaltungen und Vorträgen, die sich eher an die Mitglieder des Instituts oder Fachbereichs richten. Den häufig eher geringen Abrufzahlen bei solchen Podcasts steht ein häufig geringer Aufwand und ein großer Nutzen für die Zielgruppe gegenüber. Wer für das eigene Podcast-Projekt klar sagen kann, an welche Zielgruppe man sich richtet, wer vielleicht sogar steckbriefartig eine konkrete Persona entwickelt und stets vor Augen hat, setzt damit zugleich die nächsten Schritte, denn ein Podcast für eine hyperlokale Zielgruppe kann allein intern ausgespielt und über Mail-Verteiler beworben werden, während überregionale Podcasts ein professionelles Podcast-Hosting und eine eigene Werbestrategie erfordern. 4.3 Auf dem Sofa oder im Zug: Lernräume und Orte zum Hören „Radio-Anytime-Anywhere. So können beispielsweise Studierende die Fahrt mit dem Bus zur Universität nutzen, um eine Vorlesung zu wiederholen.“ 32 So stellte man sich im Jahr 2007 Audionutzung in der Hochschullehre vor. Aber auch hier gilt: Nicht der Wunsch, wo und zu welchem Zweck die Zielgruppe Podcasts konsumieren soll, ist entscheidend, sondern wo sie dies tatsächlich tut. Streng genommen ist dieser Aspekt der Podcastnutzung natürlich ein Teilbereich der Zielgruppenanalyse. Weil er aber hochschuldidaktisch so relevant ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf diesen Aspekt. Wer die Hörgewohnheiten der Zielgruppe genau kennt und in der Hochschul‐ lehre aus der Raumgebundenheit ausbrechen möchte, für die oder den bieten Podcasts enorme Vorteile, gerade auch im Unterschied zu bildschirm- oder schreibtischgebundenen Formaten wie Videos, Screencast oder der klassischen Lektüre von Texten. So formuliert der Journalist Jonah Weiner anschaulich: „Staring at a laptop or a tablet for hours on end exacts a physical toll; podcasts present a way to re-enter, and move through, the natural world without logging off. In an antidotal, and almost paradoxical way, podcasts are the Internet freed from pixels.“ 33 Produktion und Rezeption von Podcasts sind mobil geworden. Wer das Smartphone in der Tasche hat, kann überall gleichermaßen Audios aufzeichnen, mit anderen teilen und abrufen. 34 Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten auch für Lehr-Lern-Kontexte. Studierende können rausgehen und etwa Umfragen DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 47 35 Etwas despektierlich spricht man inzwischen vom „Laber-Podcast“, wenn sich zwei Menschen im Podcast miteinander unterhalten. 36 Vgl. Hammerschmidt, Podcast-Buch, 49-61. Auch Eins, Podcasts, 27-57, bietet eine Übersicht über verschiedene Podcast-Formate und ihren Aufbau. 37 Vgl. insgesamt zu Formatentwicklung und Konzept bei Podcasts Eins, Podcasts, 27-73; Hammerschmidt, Podcast-Buch, 43-83. machen und dabei O-Töne einsammeln, über Messenger-Dienste untereinander Sprachnachrichten verschicken und daraus mit wenig Aufwand Audiobeiträge schneiden. Lehrende können mit Hilfe des Mediums Podcast gezielt Ortswechsel herbeiführen, um Studierende vom Schreibtisch wegzubekommen: Seien es Griechischvokabeln für Pendler: innen, Audioguides für Museumsbesuche oder Podcasts zur Exkursionsbegleitung. 4.4 Die Welt ist bunt: Podcast-Formate und Beispiele Die Bandbreite der Podcast-Formate ist riesig. Und die Liste verbreiteter Formate lädt förmlich dazu ein, sie neu zu kombinieren oder aus einem vermeintlich abgegriffenen Format 35 mit einem kreativen Dreh etwas Neues zu machen. Doris Hammerschmidt stellt eine ganze Reihe von Formaten vor, 36 darunter etwa: • „Zwei Menschen reden über … Der Laber-Podcast“ • „Die große Geschichte … Der Storytelling-Podcast“ • „Fachgespräch mit … Der Interview-Podcast“ • „Ich helfe Euch … Der Experten-/ Köder-Podcast“ • „Hey Fans … Der Promi-/ Personality-Podcast“ • „Ist das spannend … Der True-Crime-Podcast“ • „Mit Mikrofon unterwegs … Der Reportage-Podcast“ • „Ich arbeite gern hier … Der Recruiting-Podcast“ • „Angeln, Fußball, Heavy Metal … Der Nischen-Podcast“ • „Kommet her, schauet hin … Der Event-Podcast“ • „Ich bin das Gesicht dazu … Der Live-Podcast“ Es muss also nicht immer der ‚Laber-Podcast‘ sein, in dem sich zwei Menschen unterhalten; man kann auch mit Storytelling oder Reportage experimentieren. Möglicherweise haben viele Lehrende und Studierende auch Expertise in Ni‐ schenthemen, aus denen sich ein Podcast entwickeln ließe. Wer weitere Anre‐ gungen zur Formatentwicklung benötigt, findet in der einschlägigen Literatur Tipps und Anregungen. 37 Im Folgenden sollen ein paar ausgewählte Beispiele nicht nur aus dem Hochschulbereich präsentiert werden, um Anregungen zu geben und die Bandbreite zu illustrieren, die möglich ist. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 48 Michael Hölscher 38 So die Auskunft der Hörsaal-Redakteurin und Moderation Katja Weber. 39 Dass solche Podcasts sogar auch als Prüfungsleistung eingesetzt werden können, zeigt etwa Korbel, Future. 40 Hammerschmidt, Podcast-Buch, 44. 41 https: / / www.radiozentrale.de/ kampagnen/ radio-geht-ins-ohr-bleibt-im-kopf/ . 42 Vgl. insgesamt Hammerschmidt, Podcast-Buch, 43f. Der Hörsaal von Deutschlandfunk Nova liegt auf der Skala zwischen Anrei‐ cherung und Virtualisierung deutlich im Bereich der Virtualisierung. Gesendet werden Vorträge von Wissenschaftler: innen; die Beiträge sind daneben auch on-demand über die Audiothek abrufbar. Der Podcast gehört zu den reichwei‐ tenstärksten des Deutschlandradios. 38 Am Hörfunk-Feature orientiert sich der Podcast Hinter den Dingen des SFB 980 „Episteme in Bewegung“. Er erzählt Wissenschaft mit professionellen Sprecher: innen und ausgefeilter Dramaturgie auf unterhaltsame Weise und mit Elementen des Hörspiels. Journalismus funktioniert häufig multimedial, indem Text-, Bewegtbild- und Audioelemente kombiniert werden. Auch solche Ansätze gibt es im Podcast-Be‐ reich. Clio auf die Ohren ist Teil der multimedialen Plattform Clio 2.0 am Historischen Seminar der Universität Mainz. Ein Anliegen ist dabei, die Grenzen zwischen Forschung, Lehre und Wissenschaftskommunikation aufzulösen. Dort produzieren die Studierenden selbst geschichtswissenschaftliche Podcasts. 39 Mit dem Bibeldoktor - Das Online-Proseminar hat Michael Hölscher ein multimediales Format erprobt. Es handelt sich dabei um ein offenes Lernformat in Form eines Blogs, der Podcasts, Videos, Text und interaktive H5P-Bausteine zu multimedialen Online-Handouts verbindet. 5 Fazit: Podcasts als Lernfeld Seit Jahrtausenden sitzen Menschen zusammen und erzählen Geschichten. Dabei kommt der Sprache und der menschlichen Stimme eine besondere Bedeutung zu: „Wessen Stimme wir kennen, dem vertrauen wir, den integrieren wir fast schon in unsere Familie.“ 40 Obwohl in der digitalen Welt ausgerechnet das bewegte Bild dominiert, scheint der Werbeslogan der Radiozentrale - „Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf.“ 41 - einen wahren Kern zu haben. 42 Aber auch darüber hinaus bietet das Lernfeld Podcast einige Vorteile. • Indem Forschende, Lehrende und Studierende die eigene Sprache und das eigene Sprechen schulen, zielgruppengerechte Formate entwickeln und Medieninhalte passgenau auf die Hörgewohnheiten der adressierten DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 Wer nicht lernen will, muss hören 49 Gruppe abstimmen, können alle gleichermaßen daran arbeiten, ihr eigenes Handeln zu professionalisieren. • Im digitalen Raum stehen Lernmaterialien direkt neben Angeboten qualifi‐ zierter Akteur: innen, von Influencer: innen bis hin zu Medienschaffenden. Mit einem Klick ist man von diesem Produkt bei jenem. Wer sein eigenes Handeln professionalisiert, kann das qualitative Gefälle dazwischen im besten Falle etwas verringern. • Derzeit wird häufiger über digitale Grundbildung von Lehrkräften disku‐ tiert. Hier bietet sich die Podcastproduktion - von Aufnahmetechnik und Schnitt bis hin zu digitaler Vermarktung über Websites und Social Media - als Lernfeld ganz besonders an. • In Zeiten zunehmenden Drittmittelwettstreits erwarten Geldgeber häufig Engagement im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Auch hier bieten Podcasts eine Möglichkeit, um zielgruppengerechte Kommunikation und plattformgerechte Ausspielung von Inhalten zu schulen. • Versteht man Wissenschaft im Kern als Kommunikation zwischen Wis‐ senschaftler: innen, zwischen Lehrenden und Studierenden oder zwischen Mitgliedern einer Hochschule und außeruniversitären Publika, dann dienen diejenigen, die medial kompetent agieren, nicht zuletzt auch der Wissen‐ schaft selbst. Was es allerdings bräuchte, um mit Podcasts gerade in der Hochschullehre ein‐ facher arbeiten zu können, wäre ein Angebot für das Podcasthosting durch die Hochschulen selbst, das zugleich auch eine Langzeitarchivierung gewährleistet, wie sie im Bereich digitaler Texte, seien es wissenschaftliche Blogs oder die Dokumentenserver der Universitätsbibliotheken, schon Standard sind. Da klas‐ sische Lernmanagementsysteme meistens nicht den Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe entsprechen, gibt es auch für multimedial angelegte Projekte, in die Audios eingebunden werden können, noch einige Entwicklungsmöglich‐ keiten. 6 Loslegen: Drei Fragen und fünf goldene Regeln zum Podcasten Wer nach diesem Beitrag direkt mit dem Podcasten loslegen möchte, kann mit diesen Fragen direkt beginnen: 1. Für welches Thema brenne ich? 2. Wen will ich erreichen? 3. Welches Format liegt mir? DOI 10.24053/ VvAa-2023-0004 50 Michael Hölscher 43 Bodingbauer, Gedanken, Nr.-28. Alle weiteren Aufgaben lassen sich mit den „Golden Five“ von Lothar Boding‐ bauer aus der Podcast-Community Sendegate zusammenfassen: „Audioqualität, Formatklarheit, Feedbackkultur, Workflow sitzt, Sprache passt“ 43 . Literatur Arnold, Patricia u.-a.: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien (UTB 4965), Bielefeld 2018. Bachmann, Gudrun u.-a.: Das Internetportal „LearnTechNet“ der Universität Basel. Ein Online-Supportsystem für Hochschuldozierende im Rahmen der Integration von E-Learning in die Präsenzuniversität, in: Bachmann, Gudrun u. a. (Hg.): Campus 2002. Die Virtuelle Hochschule in der Konsolidierungsphase (Medien in der Wissenschaft 18), Münster 2002, 87-97. Beisch, Natalie/ Koch, Wolfgang: ARD/ ZDF-Onlinestudie: Vier von fünf Personen in Deutschland nutzen täglich das Internet. Aktuelle Aspekte der Internetnutzung in Deutschland, Media Perspektiven (2022/ 10), 460-470. 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