eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 8/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2023-0007
1125
2024
81 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Bibelwissenschaft mit Schmackes

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2024
Nils Neumannhttps://orcid.org/0000-0002-4244-2662
Bibelwissenschaft ist schön. Bibelwissenschaft ist spannend. Und Bibelwissenschaft kann sogar Spaß machen. Nur – viele Menschen wissen das leider gar nicht. Angesichts der hochgradigen Ausdifferenzierung und Spezialisierung in der gegenwärtigen Forschungslandschaft kann es auch kaum verwundern, dass nicht jede und jeder sofort den Nutzen dessen erblickt, was wir Exeget:innen tagtäglich so an unseren Schreibtischen treiben. Also sollten wir es ihnen erklären.
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1 Als Geisteswissenschaftler stoße ich mich an der gängigen Bezeichnung der Veranstal‐ tungen als ‚Science Slam‘, denn ‚Science‘ umfasst im englischen Sprachraum ja nur die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer. Das hält Slam-Veranstalter: innen im deutschsprachigen Bereich freilich nicht davon ab, auch Forschende aus den Geisteswissenschaften einzuladen oder gar Slams rein für Geisteswissenschaftler: innen auszurichten. Um den Begriff nicht überzustrapazieren, spreche ich für unseren bibel‐ wissenschaftlichen Kontext im Folgenden daher schlicht vom ‚Slam‘. 2 Ausführlich dazu Hill, Art, 86-93. Vgl. außerdem Dittrich, Zehn-Minuten-Herausfor‐ derung, 736; Eisenbarth/ Weißkopf, Science Slam, 157; Grummt, Sociology, 1653; Lampe, Science Slam, 109; Stimm, Science Slam, 116 f.; Hill, Science Communication, 518. Bibelwissenschaft mit Schmackes Förderung von Wissenschaftskommunikation durch einen Slam-Workshop Nils Neumann (orcid.org/ 0000-0002-4244-2662) Bibelwissenschaft ist schön. Bibelwissenschaft ist spannend. Und Bibelwissen‐ schaft kann sogar Spaß machen. Nur - viele Menschen wissen das leider gar nicht. Angesichts der hochgradigen Ausdifferenzierung und Spezialisierung in der gegenwärtigen Forschungslandschaft kann es auch kaum verwundern, dass nicht jede und jeder sofort den Nutzen dessen erblickt, was wir Exeget: innen tagtäglich so an unseren Schreibtischen treiben. Also sollten wir es ihnen erklären. 1 Ein Slam-Workshop Das Veranstaltungsformat Science Slam eignet sich dazu sehr gut. 1 Inspiriert durch die damals beliebten Poetry Slams kam der Nachwuchswissenschaftler Alexander Deppert am Anfang der 2000er Jahre auf die Idee, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, die es jungen Leuten ermöglicht, ihr Forschungsthema kurz und knackig mit Schmackes zu präsentieren und es so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. 2 Daraus erwuchs 2006 der erste Science Slam DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 3 Zum Aspekt der Wissenschaftskommunikation vgl. Hill, Art, 100-105. 4 Damit besteht prinzipiell die Möglichkeit, den Workshop mit Credit Points zu be‐ punkten. Als Rahmen dazu kommt m.-E. etwa ein Oberseminar oder ein BA-/ MA-Kol‐ loquium in Betracht. in Darmstadt. Das Format kam gut an. Bald wurden auch an anderen Orten ähnliche Veranstaltungen installiert, und gerade in den 2010er Jahren erfreuten sich die Science Slams großer Beliebtheit. Nach der erforderlichen Pause wäh‐ rend der Pandemie rollen Veranstaltungen in verschiedenen Universitätsstädten inzwischen wieder an. Typischerweise präsentiert hier wissenschaftlicher Nachwuchs Aspekte der eigenen Forschung. Gelegentlich wagen sich aber auch etablierte Forschende auf die Bühne. Und fortgeschrittenen Studierenden bietet die Slam-Veranstaltung ebenfalls eine Plattform, wenn sie etwa das Thema ihrer Abschlussarbeiten vorstellen möchten. Somit stellt das Slam-Format eine wunderbare Möglichkeit der Wissenschaftskommunikation dar, die besonders für junge Menschen at‐ traktiv ist. 3 In meinem Lehr-Lern-Beispiel beschreibe ich einen Slam-Workshop, der sich an fortgeschrittene Studierende und Promovierende richtet. Solche Workshops habe ich mehrfach an unterschiedlichen Standorten durchgeführt. Ausgelegt ist der Workshop als Blockveranstaltung, die sich über drei halbe Tage erstreckt und idealerweise in die Durchführung einer Slam-Veranstaltung mit echtem Publikum mündet. Zwischen den thematischen Einheiten sollte ein Abstand von mindestens 14 Tagen liegen, damit die Teilnehmenden Zeit haben, an ihren Ideen zu arbeiten. Der Umfang des Workshops entspricht damit dem einer regulären Lehrveranstaltung. 4 Konkret baue ich den Workshop folgendermaßen auf: Tag 1: Einführung a. Grundlagen zum Format b. Das eigene Thema präsentieren Tag 2: Ausgestaltung des Vortrags a. Sprachliche Mittel b. Weitere Gestaltungsmittel Tag 3: Einübung des eigenen Vortrags a. Vorstellung der erarbeiteten Rohfassungen b. Rückmeldungen aus der Gruppe Tag 4: Durchführung einer Slam-Veranstaltung (optional) Es ergibt sich dadurch ein fortschreitender Aufriss, bei dem die Teilnehmenden zunächst einen Überblick über den Ablauf einer Slam-Veranstaltung gewinnen und erste Gedanken zur Findung und Formulierung eines eigenen Themas DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 82 Nils Neumann 5 Ich empfehle - sortiert nach dem Grad der Lockerheit der Gruppe - besonders die folgenden Übungen: a. ‚Guten Morgen‘ (Hahn, Warm-Up, 70); b. Swish - Boing - Pow! (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 57) ; c. ‚Au ja! ‘ (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 20); d. Moleküle bilden (Pfeiffer/ List, Kursbuch, 68). 6 Vgl. dazu insbesondere Kramer, Spiel, 55. anstellen (Tag 1). Danach erhalten sie Einblicke in die Möglichkeiten der konkreten Ausgestaltung einer Präsentation (Tag 2), üben diese ein (Tag 3) und bringen sie zur Aufführung (Tag 4). Die letzte Einheit markiere ich deshalb als ‚optional‘, weil ich keinen Druck aufbauen möchte, der dann die Ergebnisse negativ beeinflusst. Wenn die Teilnahme am Workshop nicht auf völliger Freiwilligkeit beruht, kann es Teilnehmende geben, die sich mit der öffentlichen Präsentation ihres Beitrags unwohl fühlen, und das möchte ich respektieren. Für das gesamte Programm des Workshops wähle ich möglichst aktivierende Arbeitsformen. Es hat sich bewährt, immer wieder nach den Pausen kleine Theaterübungen als Eisbrecher einzustreuen, da diese bei den Teilnehmenden die Bereitschaft fördern, aus sich herauszukommen, 5 und gerade diese Bereit‐ schaft ist für den Slam unverzichtbar. Die thematischen Inhalte erarbeiten wir beim Workshop unter möglichst intensivem Einbezug von Impulsen aus der Gruppe: Es bietet sich an, gemeinsam Videos von besonders gelungenen Slam-Beiträgen zu analysieren, Gestaltungsmittel in der Gruppe zu diskutieren, Gruppenarbeiten zu Einzelaspekten durchzuführen und die Teilnehmenden zu bitten, sich über ihre eigenen Ideen in Zweiergruppen gegenseitig zu beraten. Viele Techniken und gestalterische Mittel, die nützlich sind, können die Teilnehmenden auf diese Weise selbst entdecken. Ich beschränke mich in den folgenden Ausführungen auf einige Punkte, die sich in der Praxis besonders bewährt haben. 2 Der Rahmen Seit nun fast zwei Jahrzehnten existiert das Format des ‚Science Slam‘ als Mittel der Wissenschaftskommunikation und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Zahlreiche Standorte im deutschsprachigen Raum veranstalten sogenannte ‚Slams‘, bei denen Wissenschaftler: innen einem interessierten Publikum von Laien innerhalb von je 10 Minuten ihre wissenschaftlichen Thesen nahebringen. Der Slam zeichnet sich dabei durch die Verschmelzung von Fachwissen und Unterhaltung aus, 6 so dass diese Veranstaltungen recht große Menschenmengen anzuziehen und mit den wissenschaftlichen Inhalten zu erreichen vermögen. Darüber hinaus sind viele Slammer: innen inzwischen als Sachbuchautor: innen in Erscheinung getreten und haben auf diese Weise ihren Radius nochmals DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 83 7 Vgl. Hill, Science Communication, 528. 8 Vgl. dazu auch Dittrich, Zehn-Minuten-Herausforderung, 736 f.; Grummt, Sociology, 1654 f.; Stimm, Science Slam, 116-118. 9 Vgl. zu diesem Aspekt auch Lampe, Science Slam, 111 f., sowie Hill, Art, 108. erweitert (Boris Lemmer, Henning Beck u. a.). Manche ihrer Bücher haben es sogar bis in die Bestsellerlisten geschafft (Giulia Enders). 7 Wie funktioniert eine Slam-Veranstaltung? 8 - Ein: e Moderator: in oder ein Moderator: innen-Team führt durch den Abend. Auf der Bühne liefern nachein‐ ander eine Handvoll (meist jüngere) Forscher: innen die Präsentationen ihrer Erkenntnisse ab. Der Slam vermittelt nach außen den Eindruck, es handle sich hier um einen Wettbewerb. Das macht die Sache besonders aufregend. Als Jury fungiert in der Regel das Publikum, das jeden Vortrag entweder durch die Vergabe von Punkten oder durch die Lautstärke des Applauses bewertet. Am Ende des Abends wird der Gewinnerbeitrag prämiert und die Siegerin bzw. der Sieger mit einer Trophäe in der Hand nach Hause entlassen. Wenn wir mal ehrlich sind, ist es natürlich sonnenklar, dass sich auf diese Weise weder die Qualität von Forschung noch die Persönlichkeit der Forschenden angemessen bewerten lässt. Gutes Abschneiden bei einem Slam sagt wenig darüber aus, wie gelungen das wissenschaftliche Projekt ist, das hier präsentiert wurde. Allerdings ist die Rückmeldung durch das Publikum durchaus ein Indikator dafür, wie unterhaltsam und witzig jemand die eigenen Thesen vorgetragen hat. Nur - Unterhaltsamkeit und Witzigkeit gehören ja eigentlich nicht zu unseren Kernkompetenzen im Labor oder am Uni-Schreib‐ tisch. Damit ist so ein Slam also eine heikle Angelegenheit. Einerseits zieht das Format gerade auch wegen seines Wettkampfcharakters und wegen des Unterhaltungswertes viele Menschen an, die sich bereitwillig etwas aus dem drögen Forschungsalltag erzählen lassen und meist sogar noch Eintrittsgeld dafür bezahlen. 9 So eröffnet das Slam-Format eine brillante Möglichkeit, um in die Gesellschaft hinein wissenschaftliche Inhalte zu kommunizieren, die sonst in Peer-Review-Journals versteckt und lediglich von Fachleuten gelesen werden. Der Slam gibt uns Wissenschaftler: innen die Gelegenheit, vor normalen Menschen über unsere Themen zu reden. Andererseits verleitet er aber auch DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 84 Nils Neumann 10 Das Problem sieht auch Kramer, Spiel, 64. Miira Hill weist zudem zu Recht darauf hin, dass das Format Science-Slam in Gefahr steht, in der Forschung vorherrschende Geschlechtsstereotype und Rollenzuweisungen zu perpetuieren - gerade auch durch die Art des Einsatzes von Humor. Teilnehmende bei Slams versuchen gelegentlich, Lacher einzuheimsen, indem sie Geschlechtsstereotype bedienen und u. U. Personen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminieren (Hill, Science Communication, insbesondere 536). Ich habe auch gesehen, wie jemand bei einem Slam für einen rassistischen Witz Applaus bekam. Solche Äußerungen möchte ich nicht tolerieren. Daher halte ich es für unerlässlich, die Teilnehmenden des Workshops für die Problematik an diesem Punkt besonders zu sensibilisieren. nur allzu leicht dazu, Flachwitze auf Kosten der Inhalte einzusetzen und so vom Thema abzulenken, anstatt es dem Publikum wirklich verständlich zu machen. 10 Wer Wissenschaft gelingend an ein Publikum vermitteln möchte, das nicht vom Fach ist, gleicht daher dem tapferen Helden Odysseus, der mit seinem Schiff durch eine Meerenge segelt, während links und rechts die beiden Ungeheuer Skylla und Charybdis lauern, die danach gieren, das Schiff samt seiner Besatzung zu verschlingen bzw. zu versenken. Odysseus muss darum genau in der Mitte zwischen den beiden Monstern hindurchsegeln. Das schafft er am Ende mehr schlecht als recht (Hom., Od. 12). So auch wir: Wir wollen weder von der Skylla gefressen werden, wenn wir das Publikum nur mit inhaltsarmen Witzen bespaßen, noch wollen wir von der Charybdis in den Abgrund gerissen werden, wenn wir das Publikum mit abgehobenen Fachinformationen langweilen. Ge‐ fragt ist daher Bibelwissenschaft mit Schmackes! 3 Auf dem Weg zum Thema Wer anderen etwas über die Bedeutung der eigenen exegetischen Arbeit sagen möchte, muss diese Bedeutung natürlich zunächst einmal für sich selbst er‐ kennen. Eine Grundbedingung für gelingende Wissenschaftskommunikation ist es daher, die Relevanz des Themas zu sehen und selbst Spaß daran zu haben. Beides gehört zusammen: In der Überzeugung, dass die Forschung Sinn ergibt, lässt sich diese Forschung auch mit entsprechender Freude betreiben. Ein Patentrezept für einen gelingenden Slam-Vortrag gibt es nicht, und zwar aus den genannten Gründen: Es kommt eben auf das Verhältnis der Forschenden zu ihrem Thema an. Die Forschungsfelder sind verschieden, und die Persönlich‐ keiten derer, die in der Wissenschaft arbeiten, sind es erst recht. Im Folgenden gebe ich einige Hinweise, die in der Praxis gut funktioniert haben. Doch was im konkreten Fall angebracht ist, müssen diejenigen selbst entscheiden, die einen Vortrag gestalten. Alle gut gemeinten Vorschläge wollen und sollen nicht die Persönlichkeit und Authentizität der Forschenden überdecken. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 85 11 Vgl. z.-B. Perneger/ Hudelson, Writing, 191f. 12 Vgl. Campbell, Hero, 23. Die eigene Forschung bietet sich als Gegenstand für den Wissenschafts‐ transfer natürlich an. Vortragende haben in diesem Bereich das größte Wissen und identifizieren sich zu einem hohen Grad mit dem Thema. Das ist eine gute Voraussetzung, um einen engagierten Vortrag auszuarbeiten. Je nach den Regularien der Slam-Veranstaltung ist es aber auch nicht ausgeschlossen, dass jemand einen Bereich des Lehrbuchwissens zu einem spritzigen Vortrag ausarbeitet. Hilfreich ist es in der Vorbereitung auf den Vortrag, sich im Klaren über die eigene Hauptaussage zu sein. Es ist gut, gleich zu Anfang der Arbeit eine Kern‐ botschaft als ‚Take Home Message‘ zu formulieren, die sich in einem einzigen gut verständlichen Satz benennen lässt. Hier ist nach dem Motto ‚weniger ist mehr‘ Bescheidenheit gefragt. Wer dem Publikum eine einzige Botschaft gut verständlich machen kann, leistet mehr, als wenn am Ende mehrere Einsichten nebeneinander stehen, die in der kurzen Zeit weniger pointiert erklärt werden konnten und daher auch die Hörerschaft weniger gut erreichen. Sobald die Kernbotschaft feststeht, lohnt es sich, über den Aufbau des Vortrags nachzudenken: Mitunter gleichen Referate einem Spaziergang über eine Blumenwiese. Ein Strauß aus bunten Blumen kann ja wirklich schön aussehen. Aber: Er zieht vielleicht mehr Blicke auf sich und bleibt ganz gewiss besser im Gedächtnis der Betrachtenden, wenn er eine Struktur erkennen lässt. Assoziativ aneinander gereihte wissenschaftliche Einzelerkenntnisse drohen, wegen des mangelnden Zusammenhangs sehr flott wieder aus dem Gedächtnis der Hörenden zu entweichen. Eine Möglichkeit besteht darin, den Slam-Vortrag so aufzubauen wie ein typisches wissenschaftliches Paper: Einführung - Methoden - Ergebnisse - Diskussion. 11 Mit dem Gliederungspunkt Methoden folgt hier auf die For‐ schungsfrage die sehr sinnvolle Reflexion darüber, mit welchen Mitteln die gestellte Frage sich wissenschaftlich überhaupt beantworten lässt. Und am Ende steht neben dem Ergebnis auch noch die redliche Diskussion über die Grenzen der Untersuchung bzw. Bedarfsanzeigen für die künftige Arbeit am Thema. Für noch reizvoller halte ich es dem gegenüber jedoch, mit dem Vortrag eine Geschichte zu erzählen, etwa nach dem Muster der Heldenreise nach Joseph Campbell 12 oder mit der Struktur des ‚aristotelischen Dramas‘. In seinem Lehr‐ buch zur Poetik unterteilt der antike Philosoph Aristoteles jede gute Geschichte, jedes Drama, grundsätzlich in zwei Bausteine. Der erste enthält die „Schürzung des Knotens“, der zweite dessen „Lösung“. Mit anderen Worten: Ein Problem DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 86 Nils Neumann 13 Vgl. dazu Freytag, Technik, 100f. tritt auf und muss sodann wieder aus der Welt geschafft werden - aus denselben Gründen entsteht schließlich auch gute Forschung. Aristoteles gebraucht dafür das Bild einer Schnur, in die zunächst ein Knoten hineingerät, um anschließend wieder entwirrt zu werden. Spannend ist, dass es nach Aristoteles genau zwei Möglichkeiten gibt, den Knoten zu ‚enttöddern‘. Zunächst nämlich durch eine „Peripetie“, durch einen Umschwung des Schicksals. Aufgrund eines mehr oder weniger unvorhergesehenen Ereignisses nimmt die gesamte Geschichte eine unerwartete Wende. Etwas geschieht und dadurch eröffnet sich plötzlich der Ausweg aus einer verzwickten Situation. Die „Anagnorisis“ ist hingegen eine „Erkennung“ und stellt die zweite Möglichkeit dar, den Knoten zu lösen. Es muss dazu gar nichts Spezielles geschehen, aber der Held des Dramas kommt plötzlich auf einen entscheidenden Gedanken, sodass seine gesamte Situation sich nunmehr in völlig neuem Licht darstellt. Das antike Musterbeispiel für diese „Lösung“ ist der Showdown der Ödipus-Geschichte: Nachdem der Held Kämpfe ausgefochten und vermeintlich die große Liebe gefunden hat, erhält er eine göttliche Offenbarung und stellt rückblickend fest, dass er versehentlich seinen Vater getötet hat und mit seiner Mutter in die Kiste gestiegen ist. Beides nicht so schön. Es ist ja auch eine Tragödie. Aber es ist eben auch eine gute Geschichte. Und darum lohnt es sich, im Hinblick auf gelingende Wissenschaftskommunikation über sie nachzudenken. Menschen haben offenkundig Freude an Geschichten, die von einem Problem und dessen Lösung erzählen. Deswegen folgen bis heute die allermeisten erfolg‐ reichen Kinofilme der aristotelischen bzw. Campbell’schen Struktur. Und wie wir gesehen haben, beschreitet auch jeder wissenschaftliche Forschungsbeitrag einen Weg von einer Forschungsfrage hin zu einer Antwort, vom Problem hin zur Lösung. Was liegt also näher, als in der Wissenschaftsvermittlung beides miteinander zu kombinieren? Erzählen wir unserem Publikum eine Geschichte; nehmen wir es mit auf eine Reise durch die Abenteuer der Forschung! 13 Pfiffige Akteur: innen der Wissenschaftsvermittlung verwenden eine grund‐ legende Allegorie, um ihr Thema zu präsentieren. Sie greifen auf eine Thematik zurück, die dem Publikum vertraut und sympathisch ist, und legen diese wie eine narrative Schablone über die Darstellung der eigenen Forschung. So erzählt der Science Slammer André Lampe eine sogar fast romantische Geschichte über das Verhältnis zwischen einem Lemur und einer Maulwürfin (Lemuren sind diese drolligen Affen mit den riesengroßen Augen). Parallel zu den sehr unterschiedli‐ chen Fähigkeiten dieser Tiere, Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten, erläutert André Lampe die technischen Clous moderner elektronischer Mikroskope. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 87 14 Vgl. auch Hill, Science Communication, 531; dies., Art, 134. 15 Vgl. dazu Walde, Ovids Ars Ridendi, passim. 16 Vgl. dazu insbes. auch Kramer, Spiel, 62-64. 4 Mittel der Darstellung Prinzipiell ist hinsichtlich der Ausgestaltung des Vortrags beim Slam alles erlaubt. Gesetzt ist allerdings die Erwartung, dass bei einer Slam-Veranstaltung gern und viel gelacht werden darf. 14 Doch wie funktioniert ein Witz? Bereits die antiken Lehrer der Redekunst wie Cicero und Quintilian wussten: Menschen zum Lachen zu bringen, erfordert vom Redner eine gewisse Grundbegabung. Die Techniken sind nur zum Teil erlernbar. Es gibt bei Ihnen aber eine Faustregel, nämlich: Das, was vom Üblichen abweicht, regt zum Lachen an. 15 Grundsätzlich lässt sich eine witzige Wirkung also oft durch die Platzierung unerwarteter Elemente erzielen. Das Unerwartete regt zum Lachen an. Dabei ist es prinzipiell zwar auch möglich, Witze über dritte Personen anzubringen oder sich gar über sie lustig zu machen. Solche Gags funktionieren sehr häufig, hinterlassen bei vielen Lachenden aber auch einen bitteren Beigeschmack. Wer im Vortrag einen Witz über Dritte macht, muss sich folglich überlegen, ob der Effekt es wirklich wert ist, den Lacher um diesen Preis zu erkaufen. Ebenso ist Fingerspitzengefühl bei Witzen über Sex angebracht. Die ehrwürdigen Rhetoriker Cicero und Quintilian haben hier Sorge um das Ansehen des Redners: Wer unanständige Witze macht, verspielt die eigene Vertrauenswürdigkeit und outet sich als unanständiger Kerl. Im antiken Kontext steht somit das Ansehen der Vortragenden auf dem Spiel (gr. êthos). Inwieweit dies auch heute noch der Fall ist, muss die Praxis zeigen. Beim Slam beliebte Techniken zur Erzeugung von Humor sind die folgenden: 16 • Der Kontrast zwischen Fachvokabular und Verständlichkeit: Lustig wirkt es, zuerst das Publikum mit einer längeren Formulierung in Fachterminologie zu konfrontieren, um dann das soeben Gesagte in sehr einfache pointierte Sprache zu übersetzen. • Running Gags als die über den Vortrag verteilte mehrfache Wiederholung von witzig-deplatzierten Elementen. Dieses Mittel lässt sich noch steigern: Zuerst einen Running Gag etablieren, und dann am Ende des Vortrags in unvorhergesehener Weise vom Gag, den das Publikum erwartet, abweichen. • Selbstironie: Anders als Witze über Dritte (s. o.) wirkt es ungebrochen witzig, wenn Vortragende auch über sich selbst bzw. die eigene Fachkultur lachen können und dabei Clichés über das eigene Fach bedienen und/ oder hinterfragen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 88 Nils Neumann 17 Vgl. Eisenbarth/ Weißkopf, Science Slam, 159 f., und insbesondere Hill, Science Commu‐ nication, 531f. 18 Vgl. dazu Bultmann, Stil, 10-64. 19 Vgl. dazu insbesondere Kramer, Spiel, 60. 20 Vgl. dazu etwa Reiners, Stilfibel, insbesondere 86 f. und 93-95. Vgl. außerdem Tucholsky, Ratschläge, passim. Bei allen Gestaltungsmitteln - den sprachlichen wie auch den nicht-sprachli‐ chen - gilt: Ob sie gut funktionieren, hängt stark vom individuellen Geschmack ab. Vortragende stehen darum vor der Aufgabe, sie so auszuwählen und zu do‐ sieren, dass ein möglichst großer Teil des Publikums das Ergebnis als angenehm empfindet. Dies gilt insbesondere für die Formulierung des Titels. Da der Titel des Vortrags ggf. im Vorfeld bereits bekannt gemacht wird und das Publikum ihm besondere Aufmerksamkeit schenkt, lohnt es sich, ihn mit Bedacht zu formu‐ lieren, um Neugier zu wecken. Hilfreich kann es dabei sein zu provozieren, eine Anspielung auf ein Phänomen der Popkultur zu verwenden, kurz und präzise zu formulieren, eine Alliteration zu benutzen, eine Analogie anzubringen (s. o.) oder einen einen erläuternden Untertitel anzufügen. Im Umgang mit dem Thema sind Eingängigkeit und Verständlichkeit hilf‐ reiche Zutaten für die Gestaltung eines Slam-Vortrags. 17 Danach richteten sich bereits die kynischen und stoischen Philosophen im Altertum. 18 Bewährt haben sich dazu die folgenden Mittel: • Eine bildhafte Sprache: Wissenschaftliche Sachverhalte lassen sich oft gut durch Allegorien aus der Alltagswelt erläutern. • Ein niederschwelliger Zugang: Vortragende dürfen sich im Hinblick auf das Thema dumm stellen und bei Null anfangen zu erklären. Sie können mögliche Einwände gegen die vorgetragenen Thesen aufgreifen, absurde Missverständnisse aussprechen und diese dann ablehnen. 19 • Ein verständlicher Satzbau: Es bietet sich an, Redewendungen zu benutzen, Wichtiges in kurzen Sätzen zu formulieren, starke Verben zu verwenden, 20 an betonten Stellen Pausen einzusetzen, auf Alltagssprache zurückzu‐ greifen, Fremdwörter zu vermeiden oder zu erklären, gerne auch durch Slang-Ausdrücke die ‚Schnoddrigkeit‘ des Vortrags zu erhöhen sowie Kose‐ namen für Personen, Gegenstände oder Theorien der eigenen Fachkultur zu etablieren. • Zitate: Aussprüche berühmter Persönlichkeiten, Filmzitate oder Werbeslo‐ gans können auf das eigene Forschungsthema bezogen werden, um die Einprägsamkeit der Ausführungen zu erhöhen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 89 21 Das beobachten auch Kramer, Spiel, 57; Hill, Art, 130. 22 Zu diesem letzten Punkt vgl. auch Kramer, Spiel, 56. 23 Vgl. insbesondere auch Lampe, Science Slam, 113; Hill, Science Communication, 532f. 24 Vgl. auch Hill, Science Communication, 533f. Zudem ist es sinnvoll, das Publikum zu aktivieren, es also durch gezielte Ansprache aktiv in den Denkprozess einzubinden. 21 Dies geschieht etwa durch eine direkte Anrede mit inkludierendem ‚Wir‘, durch spontanes Aufgreifen von Äußerungen aus dem Publikum, (rhetorische) Fragen, Ratespielchen, Live-Ex‐ perimente, Umfragen, Abstimmungen, durch den Einbezug von Zuhörenden als Testpersonen, durch Provokation von Zwischenrufen, sowie durch die klassische captatio benevolentiae („Erlangung des Wohlwollens“ des Publikums) am Anfang und Ende des Vortrags, z. B. durch einen Witz, Dank oder Glück‐ wunsch. 22 Aus kommunikationstheoretischer Sicht ist es in diesem Zusammenhang auch nützlich, sich zur Informationsübermittlung mehrerer ‚Kanäle‘ zu be‐ dienen. Daher bietet es sich an, eine Präsentation zu verwenden, die über einen Videoprojektor abgespielt wird. Folgende Überlegungen und Richtlinien können beim Erstellen einer Präsentation helfen: Präsentationsfolien sollten prägnant gestaltet werden, den Text sparsam dosieren und Abbildungen als Visualisierung des Themas einsetzen anstatt das Gesagte nur zu illus‐ trieren. 23 Bilder können zudem als Mittel zur Erzeugung von Witzen mittels Bild-Wort-Kontrast fungieren. Ein guter Eindruck entsteht, wenn die Präsenta‐ tion einheitlich gestaltet ist. Visual Notes können dazu einen guten Beitrag leisten. Neben der klassischen Diaschau-Programmen (Powerpoint, Impress), die einzelne Folien nacheinander abspielen, nimmt in letzter Zeit auch der Einsatz solcher Software zu, die mit zoomfähigen Vektorgrafiken arbeitet (Prezi, Inkscape/ Sozi) und damit die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen noch anschaulicher visualisieren kann. Neben der Projektion von Bildern eignen sich auch mitgebrachte Gegenstände, also Requisiten zur Ver‐ deutlichung des Themas, 24 z. B. ein Faksimile einer antiken Handschrift, ein 3D-Modell eines Artefakts oder einer baulichen Struktur, fachtypische Kleidung oder die Zutaten für die Durchführung eines Live-Experiments. Die Wirkung des Vortrags lässt sich nicht von der vortragenden Person mit ihrem körperlichen Auftreten isolieren. Deswegen lohnt es sich, bei der Einübung des Vortrags im Workshop auch die folgenden Punkte zu reflektieren: Inwieweit agiert die Person authentisch bzw. schlüpft sie in eine Rolle? Wie wirken Tonfall, Vortragsgeschwindigkeit und Gestik? Wie präsent zeigt sich die oder der Vortragende in der Interaktion mit dem Publikum? DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 90 Nils Neumann 25 Wer den wissenschaftlichen Fachdiskurs als Ideal ansetzt und die Slam-Veranstaltung hieran misst, wird unweigerlich eine Enttäuschung erleben. Wissenschaftlicher Tief‐ gang ist beim Slam nur zu einem gewissen Grad möglich. Zur Kritik siehe auch Grummt, Sociology, 1660 f. Doch das Ziel des Slams besteht m. E. auch nicht darin, nuancierte fachliche Diskussionen zu führen, sondern das Publikum auf fachlich ver‐ antwortungsvolle Weise mit in die Forschung hineinzunehmen und ihm einen Einblick zu ermöglichen. Das Format kann Personen mit bibelwissenschaftlichen Themen in Berührung bringen, die zu diesem Forschungsfeld ansonsten keinerlei Bezug hätten. Dafür lohnt es sich. Vgl. außerdem auch Hill, Science Communication, 540f. 5 Los geht’s! Es gibt damit insgesamt sehr viele Stellschrauben, an denen man drehen kann, um die Slam-Präsentation zu optimieren. Alle Energie, die in die Vorbereitung und Einübung des Vortrags fließt, ist daher sicherlich gut investiert. Dies alles soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, als liege die Messlatte beim Slam in unerreichbarer Höhe. Nein, das Slam-Publikum ist in der Regel ein sehr wohlwollendes Publikum, das das Engagement der Vortragenden sehr wohl zu schätzen weiß. Es lohnt sich daher ganz gewiss, nach gründlicher Vorbereitung rauszugehen, mit Schmackes abzuliefern und die Rückmeldungen zu genießen. Viele Slam-Veranstaltungen bieten zudem die schöne Möglichkeit, nach der Schlusswertung noch beisammen zu bleiben und sich bei einem prickelnden Getränk weiter über die Forschung und andere Themen auszutauschen. 25 Literatur Bultmann, Rudolf: Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13), Göttingen 1910. Campbell, Joseph: The Hero With a Thousand Faces, Novato 3 2008. Dittrich, Jens: Die Zehn-Minuten-Herausforderung. Über Science Slams, Forschung & Lehre 19 (2012), 736f. Eisenbarth, Britta/ Weißkopf, Markus: Science Slam: Wettbewerb für junge Wissen‐ schaftler, in: Dernbach, Beatrice u. a. (Hg.): Handbuch Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2012, 155-163. Freytag, Gustav: Die Technik des Dramas, Leipzig 3 1876. Grummt, Daniel: Sociology Goes Public. Der Science Slam als geeignetes Format zur Vermittlung soziologischer Erkenntnisse? , in: Lessenich, Stephan (Hg.): Routinen der Krise - Krise der Routinen. Verhandlungen des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Trier 2015, 1652-1663. Hahn, Volkmar: Warm-Up. Spiele und Übungen für die Gruppenarbeit, Frankfurt a.-M. 2005. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 Bibelwissenschaft mit Schmackes 91 Hill, Miira B.: Innovative Popular Science Communication? Materiality, Aethetics, and Gender in Science Slams, in: Morcillo, Jesús Muñoz/ Robertson-von Trotha, Caroline Y. (Hg.): Genealogy of Popular Science. From Ancient Ecphrasis to Virtual Reality, Bielefeld 2020, 517-543. Hill, Miira B.: The New Art of Old Public Science Communication. The Science Slam, London 2022. Kramer, Olaf: Spiel mit dem Publikum. Zur Rhetorik des Science-Slams, in: Niemann, Philipp u.-a. (Hg.): Science-Slam. Multidisziplinäre Perspektiven auf eine populäre Form der Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2020, 53-67. Lampe, André: Science Slam als Bereicherung einer Tagung oder Konferenz, in: Knoll, Thorsten (Hg.): Neue Konzepte für einprägsame Events. Partizipation statt Langeweile - vom Teilnehmer zum Akteur, Wiesbaden 2016, 109-124. Perneger, Thomas V./ Hudelson, Patricia M.: Writing a Research Article. Advice to Beginners, International Journal for Quality in Health Care 16 (2004), 191f. Pfeifer, Malte/ List, Volker: Kursbuch Darstellendes Spiel, Stuttgart 2009. Reiners, Ludwig: Stilfibel. Der sichere Weg zum guten Deutsch, München o.-J. Stimm, Maria: Science Slam. Ein Format der Wissenschaftskommunikation aus erwach‐ senenpädagogischer Perspektive (Bildungsforschung 2), Bielefeld 2020. Tucholsky, Kurt: Ratschläge für einen schlechten Redner [1930], Forschung & Lehre 23 (2016), 854. Walde, Christine: Ovids Ars Ridendi, in: Mauser, Wolfram (Hg.): Lachen, Würzburg 2006, 77-99. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0007 92 Nils Neumann