eJournals Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa) 8/1

Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
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2366-0597
2941-0789
Francke Verlag Tübingen
10.24053/VvAa-2023-0012
1125
2024
81 Fischer Heilmann Wagner Köhlmoos

Interview mit ... Konrad Schmid

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Interview mit … Konrad Schmid Steckbrief Konrad Schmid (orcid.org/ 0000-0002-8968-2604) Geboren: 1965 Werdegang: Promotion (1996) und Habilitation (1998) an der Universität Zürich, 1999-2002 Professor für Alttestament‐ liche Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidel‐ berg, seit 2002 Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich. Gastforscher und -dozent an vielen internationalen Einrichtungen, darunter die Hebräische Universität Jerusalem und das Princeton Theological Seminary. Forschungsinteressen: Literatur- und Theologiegeschichte der Hebräischen Bibel, Rechtsgeschichte Privates: verheiratet, zwei erwachsene Kinder Vorneweg - Blitzlicht • Lehre - Frust oder Lust? Es gibt wahrscheinlich wenige akademische Tätigkeiten, die sich ohne Rest auf Frust oder Lust aufteilen lassen. Das gilt für die Forschung wie für die Lehre. Forschung kann frustrierend sein, wenn man etwa an einem be‐ stimmten Punkt stecken bleibt, wenn sich zeigt, dass eine Forschungsfrage nicht produktiv oder zu komplex ist oder sogar, wie man vielleicht nach dem Studium der einschlägigen Literatur bemerken wird, bereits beantwortet worden ist. Lehre kann eine große Lust sein, wenn in einem Seminar- oder Vorlesungsraum die Atmosphäre kreativen Denkens und Entdeckens entsteht, doch hat eine akademische Lehrkraft dies nicht immer in der Hand. Insofern ist die Lehre beglückend, wenn der Funke zwischen Lehrenden und Studierenden überspringt, doch dazu braucht es neben intensiver Vorbereitung auch ein gewisses Momentum. • Lehre oder Forschung? Es gibt den wichtigen Unterschied zwischen passiver und aktiver Beherr‐ schung eines wissenschaftlichen Gegenstandes. Was bedeutet das? Wenn DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 ich der Meinung bin, etwas in meinem Fachgebiet erforscht zu haben, beherrsche ich diesen Gegenstand meist nur passiv. Bringe ich dieses Thema dann in die Lehre ein, merke ich oft, dass die aktive Vermittlung dieser Erkenntnis noch einmal einen eigenen Arbeitsgang erfordert, den ich durchaus auch als Forschung charakterisieren würde. Insofern gehören Lehre und Forschung zusammen: Die Forschung ist die Grundlage akademi‐ scher Lehre, aber die Lehre hat selbst auch einen Forschungsaspekt, indem sie passive Erkenntnis zu aktiver weiter entwickelt. • Lieber Erstsemester oder lieber fortgeschrittene Master-Studierende? Da wir keinen starren Stundenplan in unserer Studienorganisation haben, sind in den meisten meiner Lehrveranstaltungen sowohl Anfänger: innen und Fortgeschrittene. Zudem stammen die Studierenden oft auch aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Ich bemühe mich, sowohl elementar verständlich zu bleiben, als auch komplexere neue Erkenntnisse zu vermit‐ teln. Insofern habe ich in dieser Frage keine Präferenz. • Neues oder Bewährtes? Neben neuen Themen, die mich selbst interessieren, biete ich gerne auch Vorlesungen und Seminare an, die ich schon einmal gehalten habe. Dabei bin ich jeweils überrascht, dass keine Neuausgabe der Vorgängerversion ähnelt, denn jede Durchführung bringt jeweils neue Erkenntnisse mit sich, die mir den mir als bekannt erscheinenden Gegenstand in ungewohnter Weise neu erschließen. Entsprechend gestalte ich dann meinen Lehrplan um. Auch Bewährtes bringt also Neues, wie man übrigens auch in der vermeintlichen Präsentation von Neuem im Bewährten stecken bleiben kann. • Referate oder Gruppenarbeit? Weder noch. Referate nützen aus meiner Sicht im Wesentlichen einer Person, nämlich derjenigen, die referiert. Gruppenarbeiten können sinnvoll sein, aber da ich sie selbst als Student nicht gerne mochte, verzichte ich darauf in der Regel in meiner Lehre. Was ich für sehr sinnvoll halte, sind kurze Inputs von ca. 3-5 Minuten durch Studierende. Dadurch beteiligen sich viele Teilnehmende aktiv an einem Seminar und kommen mit einem bestimmten Vorwissen in die Sitzung, was den Diskussionen sehr zugute kommt. Herr Schmid, welche Erfahrungen und/ oder Menschen haben Ihre Lehre nachhaltig geprägt bzw. beeinflusst? Vielleicht am ehesten schlechte Vorträge: Ich habe einige solche gehört und mir jeweils gesagt, dass ich dieses Erlebnis meinen Hörerinnen und Hörern nicht bescheren will (auch wenn ich natürlich nicht sicher bin, dass mir das mitunter nicht auch passiert ist). Umgekehrt haben mir aber auch gelungene DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 124 Interview mit … Konrad Schmid Präsentationen (anderer und meiner selbst) geholfen, meine eigene Lehre zu verbessern. Was ist das Grundparadigma Ihrer Lehre; also würden Sie sagen, dass es bei Ihnen eine Grundüberzeugung gibt, die sich durchzieht? Eine Universität ist eine Institution von Erwachsenen für Erwachsene. Meine universitäre Lehre unterscheidet sich nicht grundsätzlich von Weiterbildungen für Pfarrpersonen oder anderen erwachsenenbildnerischen Tätigkeiten, die ich anbiete. Für falsch halte ich das Konzept, dass am Anfang einer Seminarsitzung die Lehrperson etwas weiß und am Ende sollen die Studierenden dies auch wissen. Akademische Lehre sollte partizipativ, kreativ und weiterführend sein, nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die Lehrenden. Was die Inhalte betrifft, so halte ich es mit Lessing: Die größte Klarheit war mir schon immer die größte Schönheit. Als Qualitätskontrolle frage ich mich jeweils: Wäre ich gerne in dieser oder jenen Vorlesungs- oder Seminarsitzung dabei gewesen? Was hätte ich dabei gelernt? Welche Bedeutung hat die Kompetenzorientierung für Ihre Lehre? Ich bin ein Anhänger des traditionellen Humboldtschen Bildungsideals: Akade‐ mische Bildung soll die gesamte Persönlichkeit der Studierenden und Lehrenden formen. Aus meiner Sicht ist die Aufgliederung dieses Ideals in einzelne, für sich identifizierbare Kompetenzen zwar heuristisch interessant und auch hilfreich, doch in manchen neueren Diskussionen ist der Blick auf das Ganze bisweilen verloren gegangen. Oft wirkt es so, dass die Lehre an unseren Hochschulen im Gegensatz zur Forschung eher stiefmütterlich behandelt wird. Beschreiben Sie bitte Ihren Weg, Forschung und Lehre miteinander zu verknüpfen. Wo sehen Sie Potentiale für Synergieeffekte zwischen diesen beiden Bereichen? Ich bin mir nicht sicher, ob die Hierarchisierung der Forschung zuungunsten der Lehre zutrifft. An meiner Universität wird die Forschung nicht stärker unterstützt oder höher gewertet als die Lehre. Das ist auch durchaus richtig so: Je mehr man in der Forschung publiziert hat, desto eher lässt sich die Wissensvermittlung in der Lehre wertschätzen. Es gibt zahlreiche Forschungs‐ publikationen, die kaum zur Kenntnis genommen werden, während die Lehre Studierende, Doktorierende und Postdocs für ihr Leben prägen kann. Die aktuelle Ausgabe unserer Zeitschrift setzt sich mit dem Thema der Wissen‐ schaftskommunikation auseinander, einem Arbeitsbereich, der zunehmend an Wichtigkeit gewinnt. Was sind Ihre Erfahrungen in diesem Bereich und was DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 Interview mit … Konrad Schmid 125 ist Ihrer Ansicht nach zu beachten, damit eine breitenwirksame Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gelingen kann? Ich denke, Wissenschaftsvermittlung in die breitere Öffentlichkeit ist eine zentrale Aufgabe der Universität. In der Theologie gilt das besonders, da ihre Fragen nach wie vor ein sehr breites Publikum interessieren. Für mich ist dabei die Wissenschaftskommunikation wie die akademische Lehre nicht eine Einbahnstraße, in der ein bestimmter Gegenstand in die Öffentlichkeit hinein vermittelt wird, sondern diese Vermittlung hat eine Rückwirkung auf die Be‐ stimmung und Bearbeitung des Gegenstandes selbst: Seine Kontextualisierung in der allgemeinen Wissenschaftslandschaft hat, jedenfalls bei mir selbst, jeweils zahlreiche Veränderungen und Verbesserungen in meinen Zugangsweisen zu diesem Gegenstand nach sich gezogen, auf die ich selber bei einem dezidierten Verbleib im akademischen Elfenbeinturm nicht gekommen wäre. Zum Schluss: Was würden Sie den Kollegen und Kolleginnen mit Blick auf die eigene Lehre gerne mitgeben? Es würde mir widerstreben, die Kolleg: innen belehren zu wollen, ich könnte lediglich darauf hinweisen, dass für mich selbst die Befolgung der Goldenen Regel in der Lehre hilfreich war: Würde mich selbst meine eigene Lehre inter‐ essieren? Würde ich gerne hingehen? Wenn ich diese Fragen nicht eindeutig mit Ja beantworten könnte, würde mich dies sehr nachdenklich stimmen. DOI 10.24053/ VvAa-2023-0012 126 Interview mit … Konrad Schmid