eJournals ZNT – Zeitschrift für Neues Testament 26/51

ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
10.24053/ZNT-2023-0002
61
2023
2651 Dronsch Strecker Vogel

Die Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema Neutestamentlicher Wissenschaft

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2023
Stefan Alkier
znt26510027
Zum Thema Die Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema Neutestamentlicher Wissenschaft Stefan Alkier 1. Die kritische und Gemeinschaft bildende Funktion von sola scriptura Eines der erstaunlichsten Missverständnisse der Theologiegeschichte hat das reformatorische Konzept der Schrifthermeneutik erfahren. Schon bald wurde der Slogan sola scriptura von Freund und Feind so aufgefasst, als solle man ausschließlich die Bibel lesen und nichts anderes und als gäbe es göttliche Kommunikation mit den menschlichen Geschöpfen Gottes - auch Offenbarung genannt - nur in der Lektüre der Bibel zu erleben und nirgendwo sonst. Dass es sich aber bei dem sola, bezogen auf die Schrift, nicht um einen unkritischen, dogmatistischen Biblizismus handelt, sondern um ein kritisches epistemologisches Programm, gilt es heute neu zu entdecken. 1 In keiner Weise schränkt es nämlich den Lesestoff eines Christenmenschen ein. 2 Es redet auch niemandem aus, dass Gott und sein auferweckter und erhöhter Sohn sich durch ihren Heiligen Geist etwa im Gebet und der Feier des Abendmahls mitteilen. Christos 1 Vgl. dazu Stefan Alkier, Sola Scriptura als epistemologisches, hermeneutisches, methodologisches und theologisches Konzept der Schriftauslegung. 20 Thesen und ihre Erläuterung, in: ders. (Hg.), unter Mitarbeit von Dominic Blauth und Max Botner, Sola Scriptura 1517 - 2017. Rekonstruktionen - Kritiken - Transformationen - Performanzen (Colloquia Historica et Theologica 7), Tübingen 2019, 429 - 477. 2 So die These mit Blick auf den Kanon insgesamt von George Aichele, The Control of Biblical Meaning. Canon as Semiotic Mechanism, Harrisburg, Pennsylvania 2001. Obwohl die Grundthese Aicheles nicht überzeugt, handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch schon allein wegen der kritischen Fragen, die er stellt. Es ist aber insgesamt kaum nachvollziehbar, wie wenig poststrukturalistische Ansätze mit dem Paradigma der Intertextualität mit Blick auf die Kanonfrage anzufangen wissen, öffnet dieses Konzept doch gerade ein unsachgemäß enges Kanonverständnis. Vgl. dazu Stefan Alkier, Intertextuality, in: Ian Boxall/ Bradley C. Gregory (Hg.), The New Cambridge Companion to Biblical Interpretation, Cambridge 2023, 110 - 128. Karakolis hat aus griechisch-orthodoxer Perspektive darauf hingewiesen, dass diese göttliche Selbstbekundung auch in Liturgie, Kunst, Musik 3 und - ich füge hinzu - auch in der Natur erlebt werden kann. Dass göttliche Offenbarung in der Wahrnehmung der Schönheit und Erhabenheit der Schöpfung geschehen kann und soll, bezeugen etwa Schöpfungspsalmen und nicht zuletzt Paulus in Röm 1,19 f. oder Barnabas und Paulus gegenüber dem Priester des Zeus in Apg 14,17: Ihr Männer, was macht ihr da? Auch wir sind Gleiches wie ihr erleidende Menschen und verkünden euch Frohes, um euch weg von diesen nichtigen hinzuwenden zu einem lebendigen Gott, der gemacht hat den Himmel und die Erde und das Meer und alles in ihnen, der in den vorübergegangenen Generationen alle Völkerschaften auf ihren eigenen Wegen gehen ließ. Und doch hat er als Gutes Bewirkender sich nicht unbezeugt gelassen und euch vom Himmel her Regengüsse und fruchtbringende Zeiten gegeben, eure Herzen anfüllend mit Nahrung und Frohsinn (Apg 14,15 - 17, Frankfurter Neues Testament 4). 4 Die kritische epistemologische Funktion des sola mit Blick auf die Schrift besteht darin, alle als Offenbarung Gottes erlebten Ereignisse an der Schrift zu überprüfen, damit nicht alles und jede beliebige Stimme als Offenbarung Gottes deklariert werden kann, weil damit das individuelle Erleben zum Richter über Gottes Offenbarung erhoben würde. Erst die kritische Rückbindung an die Schrift ermöglicht die demütige Rückfrage, ob ich denn wirklich Gott oder eben nur meinen eigenen Geist oder vielleicht sogar einen Ungeist erfahren habe. Darüber, dass der vorkritischen Erlebnisqualität nicht das kritische Urteil über die Offenbarungsqualität des Erlebnisses überlassen wird, wird eine kritische Gemeinschaft der auf Gott Vertrauenden möglich, die im Idealfall Kirche werden kann, andernfalls aber bestenfalls bloß eine Ansammlung religiöser Individualisten wäre. Das Schriftprinzip als normative epistemologische Grundlage zielt gerade darauf: Die die Schrift Lesenden oder Hörenden sollen kritisch eingebunden werden in den qualitativen Dialog ihrer Stimmen über Gott und die Welt, der den christlichen Kanon zu einer Schule eines qualitativen Pluralismus werden lässt. 3 Christos Karakolis, Die Gleichzeitigkeit von Lesern und Gelesenem. Wie das Lesebuch zum Lebensbuch wird - Wie die Bibel präsent werden kann, in: Stefan Alkier/ Christos Karakolis/ Tobias Nicklas, Sola Scriptura ökumenisch (Biblische Argumente in öffentlichen Debatten 1), Paderborn 2021, 131 - 145, insbes. 137 - 143. 4 Stefan Alkier/ Thomas Paulsen, Das Lukasevangelium und die Taten derAbgesandten neu übersetzt (Frankfurter Neues Testament 4), Paderborn 2023. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 28 Stefan Alkier 2. Die Entdeckung der Unhintergehbarkeit der Interpretation Die Schrift kann ihre kritische Funktion nur als interpretierte Schrift erfüllen. Die wohl wichtigste Entdeckung der reformatorischen Revolte besteht in der umstürzenden Erkenntnis, dass alle interpretieren müssen, weil die Buchstaben der Schrift ihre Bedeutung nicht an sich tragen. Schrift versteht sich nicht von selbst. Die Schriftzeichen erzeugen im Lesenden nicht automatisch einen adäquaten Sinn. Sola scriptura wendet sich gegen solche Phantasien einer quasi magischen Schriftauffassung, die die Rezipierenden als bloß passive Gefäße selbstwirksamer Zeichen zu imaginieren zwingt. Schon bloßes Lesen oder Hören, erst recht aber kritische Auslegung erfordert die aktive Mitarbeit der Interpretierenden. Keine Institution, keine Tradition und keine Lehrautorität können schon aufgrund ihrer jeweiligen perspektivischen Beschränktheit unfehlbare Wahrheitsgaranten einer bestimmten Auslegung werden, da sie alle selbst Interpreten der Schriftzeichen sind. Erst diese Erkenntnis führt zur theologischen Notwendigkeit der Bibelübersetzung in die jeweiligen Landessprachen, denn da niemand und nichts die Wahrheit einer Interpretation garantieren und die Interpretation eines anderen ebenfalls nur durch Interpretation der vorgegebenen Interpretation angeeignet werden kann, ist es notwendig, dass Jede und Jeder in die Lage versetzt wird, selbst interpretieren zu können, auch diejenigen, die keine Griechisch- oder Hebräischkenntnisse erworben haben. Das Wort Gottes hängt nicht an einer menschlichen Sprache, sondern kann sich durch alle menschlichen Sprachen ausdrücken. Der didaktische Impuls der Reformatoren ist nicht nur und nicht einmal in erster Linie ihrer Sympathie für den Humanismus zu verdanken, sondern erwächst vor allem aus der Schrifthermeneutik, die es theologisch notwendig werden lässt, alle zu befähigen, fleißige, kluge und demütige Leserinnen und Leser der Schrift zu werden, die sich in den Dialog ihrer Stimmen einlesen und sich so daran beteiligen. 3. Sola scriptura als philologische und intertextuelle Methodik der Schriftauslegung Um die eigene Stimme von den Stimmen der Schrift unterscheiden zu können, also um Ausleger bzw. Auslegerin und Auslegungsgegenstand nicht vorkritisch zu identifizieren, bedarf es intersubjektiv plausibler und nachvollziehbarer Wege der Auslegung, also einer Methodik. In seiner Verteidigungsschrift Assertio omnium articulorum 5 skizziert Luther zwei unverzichtbare und aufeinander 5 Assertio omnium articulorum Martini Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum WA 7; 91 - 151 (1521). Empfehlenswert ist die zweisprachige Ausgabe: Martin Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema 29 folgende und interagierende Methodenschritte als Bedingung jeder sachgemäßen Bibelauslegung für alle, die guten Willens sind, sich nicht mit institutioneller oder subjektiver Willkür über den Auslegungsgegenstand zu stellen und damit die Schrift nur sagen zu lassen, was man selbst für wahr, gut und richtig hält: 1. Intratextuelle philologische Textanalyse. 2. Intertextuelle Dialogizität. Die philologische Analyse soll nach den Regeln von Grammatik und Rhetorik die gegebenen Schriftzeichen in ihrem intratextuellen Zusammenhang analysieren und interpretieren. Die intertextuelle Interpretation soll solche Passagen eines Textes einem besseren Verständnis zuführen, die allein aus dem Einzeltext schwer oder gar nicht verstehbar sind. Letzteres meint Luther, wenn er davon schreibt, dass sich die Schrift selbst auslege. 6 Im Kern geht es dabei um ein intertextuelles Auslegungsverfahren, aber auch schon bei Luther um die Dialogizität der Schrift mit Blick auf sich widersprechende Schriftaussagen. In einem differenzierenden Beitrag weist Ulrich H. J. Körtner 7 darauf hin, dass trotz der differenztheoretischen Ansätze in Luthers Konzept der Schriftauslegung in seiner Auslegungspraxis das Anliegen der Harmonisierung der Schrift überwiegt. Nur so ist auch die Verve zu erklären, mit der Luther schon in seinen zahlreichen Vorreden und Erläuterungen im Septembertestament 8 ein mono- Luther, Assertio omnium articulorum Martini Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum/ Wahrheitsbekräftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jüngsten Bulle Leos. X verdammt worden sind (1520), in: Luther, lateinisch-deutsche Studienausgabe 1. Der Mensch vor Gott, Wilfried Härle (Hg.), Leipzig 2006, 71 - 217. 6 Luther, Assertio omnium articulorum, in: Luther, lateinisch-deutsche Studienausgabe 1 (s. Anm. 5), 79 - 81, Übersetzung von Sibylle Rolf: „ Man muss nämlich hier mit der Schrift als Richter ein Urteil fällen, was [aber] nicht geschehen kann, wenn wir nicht der Schrift in allen Dingen, die den Vätern beigelegt werden, den ersten Rang einräumen. Das heißt, dass sie durch sich selbst ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz verständlich, ihr eigener Ausleger, alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend “ (ut sit ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iudicans et illuminans). Ich schlage dagegen vor, die Superlative certissima, facillima, apertissima nicht mit „ ganz “ wiederzugeben, sondern ihre superlativische Bedeutung auch in der Übersetzung beizubehalten, denn die Einleitung mit „ das heißt “ (hoc est) zeigt doch das folgende als Erläuterung der im vorherigen stehenden Vorordnung der Schrift als Primärliteratur vor die Sekundärliteratur. Demnach ist die Schrift „ durch sich selbst am gewissesten, am leichtesten zugänglich, am klarsten “ und zwar als Alternative zu einer Auslegungspraxis, die erst die Sekundärliteratur und dann von dem Vorverständnis und den Setzungen der Sekundärliteratur ausgehend die Schrift interpretiert. 7 Ulrich H. J. Körtner, Harmonisierung oder Diversifizierung in Luthers Evangelienauslegung? , in: Alkier (Hg), Sola Scriptura 1517 - 2017 (s. Anm. 1), 119 - 137. 8 Vgl. Stefan Alkier, Luthers Bibel. Das Septembertestament als Bannbulle der Johannesapokalypse, in: Stefan Alkier/ Thomas Paulsen (Hg.), unter Mitarbeit von Simon Dittmann, Apocalypse Now? Studien zur Intertextualität und Intermedialität der Johannesapokalypse von Dante bis Darksiders (Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main 13), Leipzig 2022, 69 - 92. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 30 Stefan Alkier logisches Schriftverständnis im Zeichen seiner eigenen Rechtfertigungstheologie einfordert. Für Luther ist das rechte Verständnis der Schrift sein eigenes Verständnis der Schrift. Biblische Bücher wie die Johannesapokalypse, die nicht in sein Konzept passen, werden herabgewürdigt oder gar dekanonisiert. Interpreten, die Luther widersprechen, werden entweder als Dummköpfe dargestellt oder gar dämonisiert. Ihre aufrichtige Wahrheitssuche wird ihnen abgesprochen. Deshalb reicht es nicht, wenn man Luther traditionalistisch kopieren würde. Der reformatorische Ansatz der Schrifthermeneutik ist wegweisend; das gilt nicht gleichermaßen für ihre Auslegungspraxis. Ein unter den Wissensbedingungen gegenwärtiger Wisssenschaftsproduktion reformuliertes Konzept von sola scriptura wird daher unvoreingenommener und entschiedener als die Reformatoren die hermeneutischen Implikationen dieses Ansatzes zu bedenken haben und konsequent von der Polyphonie der biblischen Bücher ausgehen, die gemeinsam den vielstimmigen und keineswegs abgeschlossenen kanonischen Chor bilden. Dass aber die Ausgangsthese, die Schrift normativ als epistemologische Grundlage christlicher Theologie zu denken, weiterhin trägt und auch die beiden methodischen Grundsatzentscheidungen des Primats der intratextuellen Philologie und der intertextuellen Lektüreanweisung ein solides Fundament wissenschaftlicher Bibelauslegung heute bilden, soll kurz begründet werden. 4. Der Kanon als Polyphonie zu unterscheidender Stimmen Die biblischen Bücher wurden nicht als biblische Bücher geschrieben. Sie entstanden als Einzeltexte in konkreten Kommunikationssituationen, an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten. Der Kanon versetzt sie lange nach ihrer Entstehung in eine neue Kommunikationssituation, die sie erst zu Stimmen der Heiligen Schrift werden lässt und ihnen damit vorrangige Autorität als theologische Wissensquelle christlicher individueller Nachfolge und kollektiver Identitätsbildungsprozesse zuschreibt. Ihre Aufgabe im Kanon können diese Stimmen aber nur erfüllen, wenn sie als verschiedene Stimmen wahrgenommen werden. Die biblischen Bücher bilden keinen Monolog. Sie sprechen nicht mit einer Stimme und gerade das macht den Kanon theologisch so lebendig, unbeherrschbar und inspirierend. Gemeinsam bilden sie in ihrer Verschiedenheit und zuweilen auch in ihren Widersprüchen den Kanon als dialogisches Grunddokument christlicher Theologie. 9 9 Vgl. Eckart Reinmuth, Positionen im Konflikt. Neutestamentliche Antagonismen in neuer Perspektive, in: Stefan Alkier (Hg.), unter Mitarbeit von Dominic Blauth, Antagonismen in neutestamentlichen Schriften. Studien zur Neuformulierung der „ Gegnerfrage “ jen- Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema 31 Um die jeweilige Stimme überhaupt als individuelle Stimme wahrnehmen zu können, ist es daher methodologisch unabdingbar, jeden Einzeltext intratextuell zu analysieren. Der Philologie kommt daher die Funktion einer Basismethode zu. Das Matthäusevangelium etwa sagt etwas anderes als die anderen biblischen Bücher und das gilt für jedes einzelne biblische Buch. Daran ändert auch nichts die grundlegende Übereinstimmung mit der biblischen guten Nachricht von der Güte und Gerechtigkeit des Gottes Israels als Schöpfer und Bewahrer von allem und der prinzipiellen Übereinstimmung der neutestamentlichen Schriften in der Verkündigung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus durch eben diesen Gott Israels. Der methodisch sicherste Ausgangspunkt der Interpretation biblischer Bücher bleibt die Philologie, die sich ganz auf die gegebenen Schriftzeichen einlässt, ohne weitgehende Vorannahmen wie etwa eine diachrone Hypothese über die Produktionsverhältnisse der Evangelien untereinander vorauszusetzen. Die Textkritik als editionsphilologische Verständigung über den Wortlaut des Textes und die Hebraistik, Aramaistik und Gräzistik bilden das Herzstück der intersubjektiven Einzeltextwahrnehmung. Interpretationen ohne philologisch-kritische Gründlichkeit öffnen der Willkür der Auslegung Tür und Tor. Die Philologie steckt das Spielfeld ab für alle weiteren Interpretationsverfahren, indem sie dem Wortlaut, dem Klang, den Verknüpfungsverfahren, der Vernetzung der verwendeten Schriftzeichen biblischer Stimmen alle Aufmerksamkeit schenkt und so den jeweiligen Text als strukturiertes Zeichengewebe vor sachfremden Zugriffen so weit wie möglich schützt und damit seine Stimme als seine eigene Stimme überhaupt erst wahrnehmbar werden lässt. Weitere synchrone Auslegungsverfahren wie z. B. Rhetorik, Erzähltextanalyse und dann auch diachrone Versuche der Rekonstruktion der Produktionsverhältnisse der jeweiligen Schrift, wie sie die Einleitungswissenschaft zu ermitteln sucht, können das Profil der Einzelstimme weiter schärfen. Erst nach der intratextuellen Analyse können und müssen die Einzelstimmen in ein Gespräch gebracht werden und in diesem intertextuellen Sinn legt sich die Schrift selbst aus. Dabei geht es nicht um die hermeneutisch abwegige Frage nach dem Alten Testament im Neuen Testament. Dieses Konzept ist aufzugeben, denn es setzt anachronistisch nicht nur zwei dogmatisch fixierte Blöcke voraus, die es zur Zeit der Entstehung der Einzelstimmen doch gar nicht gab, sondern führt auf den kanonisch unsachgemäßen Weg einer diachronen Einbahnstraße. 10 seits des Historismus (Beyond Historicism - New Testament Studies Today 1), Paderborn 2021, 45 - 70. 10 Einen der wenigen Versuche, hermeneutisch reflektiert auch die andere Richtung einzuschlagen, bietet Tobias Nicklas, Isaiah ’ s Story about Christ? Trying to Understand Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 32 Stefan Alkier Genau das verhindert aber die intertextuelle Schreibweise neutestamentlicher Schriften, die als der eigentliche Sachgrund für den christlichen Kanon wertgeschätzt werden sollte. Der Kanon ist eben keine theologisch oder sogar bloß politisch motivierte Idee des dritten oder gar erst vierten Jahrhunderts n. Chr., sondern führt fort, was in der Schreib- und Argumentationsweise der Evangelisten, Briefeschreiber und des prophetischen Enthüllungstheologen Johannes angelegt ist: Schriften Israels sind auf sehr vielfältige Art und Weise in die neutestamentlichen Texte eingeschrieben, ohne die sie nicht das wären, was sie nun sind. Ihre intertextuelle Qualität ist kein nachträgliches Phänomen, sondern gehört zu ihrer genuinen generativen DNA. Das damit ermöglichte und sachlich begründete Gespräch zwischen allen biblischen Büchern kann deshalb nicht als Einbahnstraße begriffen werden. Das Buch Ezechiel kommentiert eben nicht nur die Johannesapokalypse, sondern die Johannesapokalypse auch das Buch Ezechiel. Das Gespräch kann durchaus auch zu einem Streitgespräch werden, wenn man sich die verschiedenen Auslegungen Abrahams im Römer- und Galaterbrief anschaut und sie mit dem Bezug des Jakobusbriefes darauf konfrontiert. Oder wenn man dem niemals zweifelnden Abraham in Röm 4 den lachenden Zweifler Abraham in Gen 17,17 gegenüberstellt. Oder wenn Ezechiel und Johannesapokalypse daraufhin gelesen werden, ob das Neue Jerusalem eigentlich einen Tempel braucht. Intertextuelle kanonische Schriftauslegung führt gerade nicht zu einer monologischen Harmoniesauce, sondern zur verschärften Wahrnehmung der Unterschiede und mitunter auch des enormen Konfliktpotentials der Stimmen biblischer Bücher und nötigt zu einer differenzierenden Wahrnehmung ihrer Konfliktmodalitäten. Worüber streiten biblische Schriften, wo und inwiefern ergänzen sie sich? Wo finden wir feindliche Antagonismen, wo gegnerische Agonismen, wo perspektivische Verschiedenheiten? 11 Die exegetische Aufgabe des intertextuellen Zusammenlesens der biblischen Bücher besteht darin, sie als dialogische Stimmen zu lesen, die nicht alle dasselbe sagen und doch erst zusammengelesen biblisch fundierte christliche Theologieentwürfe ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die Stimmen nicht nur Nebeneinander aufzureihen, sondern auch nach ihrem Miteinander zu fragen. Dabei kann es nicht mehr um die Suche nach einer „ Mitte der Schrift “ gehen, die doch stets nur die dogmatische Position der Ausleger widergespiegelt hat. Vielmehr müssen Makropropositionen gebildet werden, die sagbar werden Early Christian Perspectives on Isa 7: 14, in: Predag Dragutinovic u. a. (Hg.), Christ of the Sacred Stories (WUNT II/ 453), Tübingen 2017, 283 - 296. 11 Vgl. dazu Alkier (Hg.), Antagonismen in neutestamentlichen Schriften (s. Anm. 9). Vgl. dazu die differenzierte Rezension von Günther Röhser, ThLZ 9 (2022), 801 - 804. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema 33 lassen, wovon denn die Bibel als Ganze gelesen überhaupt handelt und welche grundsätzlichen Überlegungen und Perspektiven sie in die Erschließung unserer Welt einbringt. Wenn diese Aufgabe nicht mehr als Aufgabe der Bibelwissenschaften gesehen wird, dann haben sie sich aus dem theologischen Fächerzusammenhang selbst herauskatapultiert. Die Aufgabe der Exegetin bzw. des Exegeten würde damit sachfremd verkürzt. Sie wären dann etwa Matthäus- oder Jesajaspezialisten, aber keine Bibelwissenschaftler mehr und noch nicht einmal Neutestamentlerinnen und Neutestamentler, bzw. Alttestamentlerinnen oder Alttestamentler, wird mit dieser Berufsbezeichnung doch ein auslegungsgegenständlicher Zusammenhang behauptet, der über den Einzeltext hinausreicht. Sie verhielten sich wie Juristen, die einen Zusammenhang des Grundgesetzes bestritten oder zumindest ignorierten und nur jeden Einzelparagraphen danach befragen wollten, was er wohl einst in der Produktionsphase des Grundgesetzes in der Intention seiner Verfasserinnen und Verfasser geheißen haben könnte. 5. Beyond Canon : Die Öffnung des Kanons in intermedialen Rezeptionsprozessen Der christliche Kanon war zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte eine geschlossene Gesellschaft. Die Bibel gibt es nicht als vom Himmel gefallenes Buch, an dem sich jede seiner Ausgaben und Übersetzungen orientieren könnte. Der Singular „ die Bibel “ kann nur auf das Konzept bezogen werden, ausgewählte Schriften des ersten und wohl auch noch anfänglichen zweiten Jahrhunderts als Zeugen des Neuen Bundes mit ausgewählten Schriften Israels als Zeugen des Alten, keineswegs aber ungültig gewordenen Bundes als ein zweiteiliges Buch zu konzipieren, das die Lektüreanweisung vorschreibt, diese und nur diese Bücher zusammen gelesen als maßgebliche Quelle des Wortes Gottes zu begreifen. Keines der überregionalen großen Konzile des vierten und fünften Jahrhunderts hat über die Ausgestaltung dieses Konzepts diskutiert und den Umfang des „ Büchleins “ festgelegt. Erst das 2. Trullanum im Jahr 692 befasste sich als Ergänzung zum 5. und 6. Ökumenischen Konzil ausdrücklich mit Kanonfragen. Es beschloss die Akzeptanz 85 (! ) verschiedener Kanonlisten, die in Umfang, Anordnung und Sprache nicht übereinstimmen. Im Jahr 787 wurde diese lokal bedingte Diversität des Kanons auf dem 7. Ökumenischen Konzil bestätigt. 12 Man lege etwa die ältesten erhaltenen Bibelausgaben, den 12 Allein die lateinische römisch-katholische Kirche wich von dieser weisen Offenheit für die Pluralität des Kanons ab. Seit dem 7. Jh. erlangte die Vulgata als Bibel der lateinischen Kirche ein Alleinstellungsmerkmal. Doch erst auf dem Konzil von Florenz (1439 - 1443) Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 34 Stefan Alkier Codex Alexandrinus, den Codex Sinaiticus und den Codex Vaticanus neben Vulgata und Lutherbibel, um die große Variabilität „ der “ Bibel sichtbar werden zu lassen. Nicht weniger wichtig als die so unterschiedlichen Bibelausgaben in der christlichen Ökumene sind die unüberschaubaren Fortschreibungsprozesse biblischer Bücher, die eben nicht nur die Kommentarliteratur hervorgebracht haben, sondern neue Texte, Lieder, Bilder, Statuen, Gebrauchsgegenstände, Gebäude usw. Diese Produkte „ beyond canon “ legen Zeugnis davon ab, dass die Polyphonie der kanonischen Stimmen nicht als geschlossener Dialog gewirkt, sondern unzählige neue Stimmen hervorgebracht hat, die sich intermedial am biblischen Dialog beteiligt und diesen auch immer wieder neu ausgerichtet haben. Das maßgeblich von Tobias Nicklas entwickelte und geleitete Regensburger DFG-Projekt „ Beyond Canon “ 13 zeigt gerade das: Die Polyphonie des innerbiblischen Dialogs verschließt sich nicht vor neuen Stimmen, die von diesem Dialog inspiriert werden und sich mit eigenen Stimmen daran beteiligen wollen. Sobald aber nicht nur deskriptiv beschrieben werden soll, wie sie das gemacht haben - schon das ist eine rezeptionsgeschichtliche Herkulesaufgabe - , sondern auch normativ bewertet wird, ob diese Stimmen denn der theologischen Qualität der Schrift gerecht werden und deshalb auch für die Gestaltung christlichen Lebens heute und in Zukunft wieder lesenswert sind, bedarf es der normativen Vorrangstellung des Kanons, den das Konzept sola scriptura theologisch sachgemäß einfordert. „ Beyond canon “ gibt es nicht ohne gültigen Kanon. Gerade eine Intermedialitätstheorie des Kanons könnte zeigen, dass die Normativität des Kanons nicht verwechselt werden darf mit einer separierenden Abschottung seiner Stimmen. Vielmehr werden Stimmen „ beyond canon “ in den Dialog der kanonischen Stimmen einbezogen und durch ihre Interaktion wurde die Duldung verschiedener Kanonumfänge verboten und ausschließlich die Vulgata, allerdings ohne den Laodicenerbrief, dogmatisch als Normtext bestimmt. Dieser Sachverhalt ändert aber nichts an der empirischen Triftigkeit der Aussage, dass die Bibel weltweit nach wie vor in vielfältigen Versionen gelesen wird. Vgl. Stefan Alkier, Der christliche Kanon als Quelle der Offenbarung. Theologiegeschichtliche Anmerkungen zu einem aktuellen Thema, in: Athina Lexutt/ Wolfgang Matz (Hg.), Relationen. Studien zum Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation, FS Karl-Heinz zur Mühlen (AHST 1), Münster 2000, 115 - 138; Siegfried Meurer (Hg.), Die Apokryphenfrage im ökumenischen Horizont (Die Bibel in der Welt 22), Stuttgart 1989; Wolfhart Pannenberg/ Theodor Schneider, Verbindliches Zeugnis I. Kanon - Schrift - Tradition (Dialog der Kirchen 7), Freiburg i. Br., Göttingen 1992. 13 Vgl. dazu Tobias Nicklas, „ Beyond Canon “ . Eine kurze Erläuterung des Projekts, in: Early Christianity 12 (2021), 3 - 13. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema 35 ergeben sich auch neue Wahrnehmungsmöglichkeiten der kanonischen Stimmen. Wer etwa aufmerksam den Apokalypsezyklus von Keith Hering betrachtet hat, wird auch die kanonische Stimme der Johannesapokalypse anders wahrnehmen als zuvor. Es gilt, sie in ein intermediales Gespräch zu bringen und man kann durchaus überrascht werden, wo sie Unterschiedliches einbringen und wo sie sich aber auch ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftskritik kongenial verstärken. 14 Die Dialogizität der kanonischen Stimmen öffnet den Kanon und lädt dazu ein, sich an ihrem Gespräch über Gott und die Welt auch heute mit unseren Fragen, Problemen, Erfahrungen, Ängsten, Ärgernissen, Hoffnungen und Wünschen zu beteiligen. So wird aus dem Lesebuch ein Lebensbuch. 15 6. Fazit: Warum es eine Wissenschaft vom Neuen Testament im Konzert der theologischen Fächer geben kann und geben muss Die Zeitschrift, in der dieser Artikel publiziert wird, heißt „ Zeitschrift für Neues Testament “ . Das Fach, in dem vorwiegend neutestamentliche Schriften an theologischen Fakultäten und Instituten thematisiert, erforscht, ausgelegt werden, heißt „ Neues Testament “ . Gemeinsam mit dem Fach „ Altes Testament “ trägt es der theologischen Bedeutung der Bibel für die theologische Reflexion als Ganze Rechnung. Das ist nicht selbstverständlich. Diese Fächerbildung ist gemessen am Alter theologischer Fakultäten relativ neu. 16 Dass biblische Theologie und christliche Dogmatik selbstständige, aber in der enzyklopädischen Fachlogik evangelischer wie auch römisch-katholischer Theologie aufeinander bezogene Teilfächer sind, und dies auch für die anderen theologischen Teilfächer, also für die Kirchen-und Theologiegeschichte, die Praktische Theologie und die Religionspädagogik gelten sollte, ist längst nicht mehr gelebte Wissenschaftspraxis. Die Diskurse der Teilfächer haben sich zum Schaden der Theologie und auch zum Schaden der einzelnen Teilfächer verselbständigt. 14 Vgl. Luca Ganz, Post-Moderne Apokalypse. William S. Burroughs und Keith Haring im Dialog mit der Johannesoffenbarung, in: Alkier/ Paulsen (Hg.), Apocalypse Now? (s. Anm. 8), 93 - 111. 15 Vgl. Karakolis, Die Gleichzeitigkeit von Lesern und Gelesenem (s. Anm. 3); Albrecht Beutel, Erfahrene Bibel. Verständnis und Gebrauch des verbum dei scriptum bei Luther, in: ders., Protestantische Konkretionen. Studien zur Kirchengeschichte, Tübingen 1998, 66 - 103, insbes. 66 f. 16 Vgl. die programmatische Rede von Johann Philipp Gabler, De justo discrimine theologiae biblicae et dogmaticae, regundisque recte utriusque finibus, oratio, Altdorf 1787. Vgl. dazu Otto Merk, Biblische Theologie in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer und deren Nachwirkungen, Marburg 1972. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 36 Stefan Alkier In dieser unkommunikativen theologischen Situation sollten sich alle theologischen Teilfächer darüber Gedanken machen, was sie eigentlich konstituiert, was ihr Gegenstand ist und welchen Beitrag sie zum Ganzen evangelischer bzw. römisch-katholischer bzw. orthodoxer Theologie denn leisten soll. In unserem Buch „ Sola Scriptura ökumenisch “ haben der griechisch-orthodoxe Neutestamentler Christos Karakolis, der römisch-katholische Neutestamentler Tobias Nicklas und ich, ein evangelischer Neutestamentler, das in ökumenischer Zusammenarbeit und Unterschiedenheit versucht. Gemeinsam haben wir uns bemüht, die Leitgedanken im Zeichen von sola scriptura als ökumenische Grundlage zu formulieren. Das gelingt aber nur, wenn der Zusammenhang des christlichen Kanons und nicht seine Einzelschriften die normative Gesprächsgrundlage bilden. Das Fach „ Neues Testament “ setzt wie auch das Fach „ Altes Testament “ als solches die Anerkennung des christlichen Kanons als Zusammenhang stiftende Leitidee seines Auslegungsgegenstandes voraus. Altes und Neues Testament als zwei theologische Teilfächer zu konzipieren, die sich die Arbeit der biblischen Exegese aufteilen, macht pragmatisch Sinn, darf aber nicht zu einer solchen Entfremdung der beiden bibelwissenschaftlichen Teilfächer führen, wie es in den letzten 50 Jahren zunehmend geschehen ist. Sie sollten gerade als biblische Teilfächer wieder viel enger zusammenarbeiten. Kanonische Intertextualitätsforschung bildete dafür einen herausragenden methodischen Rahmen. Für beide bibelwissenschaftlichen Teilfächer gibt es keine andere wissenschaftssystematisch tragfähige Begründung als die normative Setzung der Bibel als Grundlage christlich-theologischer Reflexion mit dem Ziel, individuelle und institutionelle christliche Praxis zu gestalten. Die Kanonbildung lässt sich historisch erforschen, aber die normative Geltung des Kanons heute lässt sich nicht historisch begründen, sondern theologisch mittels einer theologischen Schrifthermeneutik. Vergleichbar mit der Geltung des Grundgesetzes für das Jurastudium in Deutschland ist die Geltung des Kanons für christliche Theologien conditio sine qua non. Dass der Kanon aber nicht auf eine monologische Dogmatik, auf eine „ Lehre “ verkürzt wird, die die Vielfalt und auch die Widersprüchlichkeit und Konflikthaftigkeit seiner Stimmen ignoriert, ist genuine Aufgabe beider Bibelwissenschaften. Sie müssen die Einzelstimmen profilieren mittels philologischer, text-und literaturwissenschaftlicher und historisch-enzyklopädischer Forschung. Zur genuinen Aufgabe neutestamentlicher wie alttestamentlicher Wissenschaft gehört aber gleichermaßen die Erforschung der durch Textbeziehungen erzeugten Sinnpotentiale, die ein einzelner Text für sich gelesen nicht generieren kann. Die Schrift legt sich selber aus, indem der Kanon als intertextuelle Lektüreanweisung Sinn dezentralisiert und in der Interaktion der Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 Vielfalt der Stimmen und ihre intertextuelle Verknüpfung als Leitthema 37 Texte, in ihrem Zwischen-Raum neue Sinnpotentiale erzeugt. Die Unausschöpflichkeit dieser intertextuellen Sinnpotentiale verhindert jeglichen dogmatistischen Zugriff auf die Bibel, der doch nur immer wieder die Lebendigkeit und Komplexität der Polyphonie der biblischen Stimmen in einen drögen Monolog hineinzwingt. Die Schrift legt sich selber aus durch ihren Dialog ihrer vielfältigen und kontroversen Stimmen, der offen ist für den Dialog mit Stimmen „ beyond canon “ . Sie hält so das theologische Denken unentwegt in Atem. © Stefanie Alkier-Karweick Stefan Alkier ist seit 2001 Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt/ Main. Er gibt den neutestamentlichen Teil des bibelwissenschaftlichen Internetlexikons www.wibilex.de heraus. Zusammen mit dem Gräzisten Thomas Paulsen fertigt er eine philologisch-kritische Übersetzung aller neutestamentlichen Texte an; die Bände 1 - 4 des „ Frankfurter Neuen Testaments “ sind bereits erschienen. In der von ihm begründeten Buchreihe „ Biblische Argumente in öffentlichen Debatten “ hat er zuletzt zwei Bände zum Thema „ Zuversichtsargumente - Biblische Perspektiven in Krisen und Ängsten unserer Zeit “ herausgegeben. Sein semiotisch-kritischer Ansatz vereint kritische philologische und historische Forschung mit Fragen der Gegenwartsrelevanz biblischer Texte. Zeitschrift für Neues Testament 26/ 51 (2023) DOI 10.24053/ ZNT-2023-0002 38 Stefan Alkier