ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
znt
1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
10.24053/ZNT-2023-0018
121
2023
2652
Dronsch Strecker VogelMoritz Gräper: The Bible and Apartheid. Contested Interpretations in the History of Christianity in South Africa and Beyond; Wiesbaden: Harrasowitz Verlag 2019 (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte [Asien, Afrika, Lateinamerika] 12) XVIII. 262 S. ISBN: 978-3-447-11222-2 eISBN: 978-3-447-19875-2
121
2023
Michael Sommer
znt26520133
Buchreport Michael Sommer Moritz Gräper The Bible and Apartheid. Contested Interpretations in the History of Christianity in South Africa and Beyond Wiesbaden: Harrasowitz Verlag 2019 (Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte [Asien, Afrika, La‐ teinamerika]-12) XVIII. 262 S. ISBN: 978-3-447-11222-2 eISBN: 978-3-447-19875-2 Ohne jeden Zweifel ist die Bibel bei einer missbräuchlichen Auslegung ein gewalttätiges Buch. Einige ihrer Texte besitzen das Potenzial, zur Legitimation von Unterdrückung und Ausgrenzung instrumentalisiert zu werden. Die Bibel ist schlichtweg das, was man aus ihr macht. Gerade deshalb gehört eine grundlegende Einführung in biblische Hermeneutik zu den verschiedenen Curricula der theologischen Ausbildung dazu, insofern Umgangsstrategien für Texte mit Gewaltpotenzial praxisrelevant für alle sind, die sich einer Theologie der Gerechtigkeit und Freiheit verpflichtet fühlen. Die Geschichte der Bibelauslegungen hält leider viele erschreckende und gleichsam mahnende Beispiele für missbräuchliche Interpretationen bereit. Man muss nicht sehr weit in die Vergangenheit gehen, um zu erkennen, dass biblische Texte mit nur wenigen exegetischen Handgriffen zu einem Instrument der Diskriminierung gemacht werden können. Die Geschichte ist sicherlich ein Lernort für eine gewaltsensible Bibelhermeneutik und gehört gleichzeitig im Kontext einer verantwortungsbewussten Theologie aufgearbeitet. Antijüdische Auslegungen in der dunkelsten Stunde der deutschen Geschichte, das Eisenacher Institut oder die Person Walter Grundmann werden im Theologiestudium deshalb breit behandelt und begegnen wohl nicht nur in neutestamentlichen Veran‐ staltungen. Leider zählte - zumindest in meinem Theologiestudium - die Aufarbeitung des außereuropäischen Missbrauchs nur zu den blinden Flecken und Nischenthemen. Themen wie die Rolle der Bibel in der nordafrikanischen Sklaverei oder der Kolonialgeschichte - und das kann als Plädoyer dieses Bandes gelten - gehen westliche Theologen an und müssen in Forschung und Lehre einen zentralen Stellenwert erhalten. Moritz Gräpers Dissertation „The Bible and Apartheid. Contested Interpretations in the History of Christianity in South Africa and Beyond“ leistet einen zentralen Beitrag, um hieran etwas zu ändern. Seine Arbeit deutet nicht nur darauf hin, dass in der deutschsprachigen Bibelexegese ein Desiderat in den postkolonialen Studien besteht, sondern ebenso, dass die Geschichte der Bibelauslegung samt ihrer Schattenseiten eine eurozentristische Schlagseite hat. Seine Arbeit setzt sich nicht nur zum Ziel, den Gebrauch oder besser den Missbrauch der Bibel in Diskursen zur Legitimation und Konstruktion der Apartheid darzulegen. Vielmehr zeigt er ebenso, welchen Stellenwert die Bibel in der Geschichte der Überwindung der Apartheid hatte. Gräper demonstriert anschaulich, wie dabei die gleichen biblischen Texte un‐ terschiedlich und vor allem gegenläufig gelesen wurden. In einer methodischen Einleitung (S. 1-40) führt Gräper in die postkoloniale Theorie und ihre Chancen für die Bibelexegese ein. Erwähnenswert ist besonders, dass er ausführlich seinen eigenen hermeneutischen Standort selbstkritisch reflektiert (S. 33-40) und im Anschluss an Mark G. Brett sich selbst biographisch verortet, um einer kulturimperialistischen Bewertung der Geschichte entgegenzuwirken. Sein zweites Kapitel wirft einen ausführlichen Blick auf die Geschichte der Kolonialisierung Südafrikas und auf die Missionsgeschichte, die er als Funda‐ ment der Apartheid begreift (S. 41-64). Kapitel 3 ist das Herzstück des Buches (S. 65-158). Es ist in sich zweigeteilt (Legitimizing Apartheid with Scripture 134 Michael Sommer [S. 65-101] und Opposing Apartheid with Scripture [S. 102-158]), und stellt die Bibelauslegung der die Apartheid legitimierenden Autoren ( J. G. Strydom; W. J. van der Merwe; Totius; E. P. Groenewald; G. B. A. Gerdener; A. B. Du Preez; W. J. Snymann u. a.) Diskursen und Autoren gegenüber, die sich für die Abschaffung der Apartheid einsetzten (Christian Council; B. J. Marais; B. B. Keet; A. Geyser; The Cottesloe Consultation; Ope Brief; The Kairos Document u. a.). Gräper führt in die Kontexte und inhaltlichen Positionen der jeweiligen Autoren ein, verortet sie im größeren Umfeld des Apartheid-Diskurses und analysiert ihre Bibelher‐ meneutik (in erster Linie fokussiert er dabei ihren Umgang mit Gen 11; Apg 2; Apg 17,26 und Gal 3,28, die als loci classici des Apartheid-Diskurses gelten). Gerade bei diesem Punkt räumt Gräper das von W. S. Voster in den 1980er Jahren vertretene Urteil aus dem Weg, dass die Befürworter der Apartheid und die Gegenbewegung mit der gleichen selektiven Bibelhermeneutik gearbeitet hätten. Zumindest in einigen Auslegungen der Gegenbewegung führte, so Gräper, eine historische Perspektive auf die Entstehungssituation der biblischen Literatur zu einer Kritik an rassistischen Auslegungspatterns (S. 155). Dennoch resümiert er einräumend: Bewertet man beide Seiten des Diskurses nach ihren hermeneutischen Kategorien, muss festgestellt werden, dass es zu kurz greifen würde, zu resümieren, die legitimie‐ renden Stimmen haben die Bibel missbraucht und der Widerstand hatte die exegetisch besseren Interpretationen. Vielmehr war entscheidend, mit welchen Grundwerten die Akteure an das Alte und Neue Testament herangetreten sind. Der Apartheidsdiskurs ist so ein Paradebeispiel für das zutreffende Diktum, dass Exegese ultimativ immer auch Eisegese ist (S.-214-215). Gerade deshalb widmet sich Gräper im abschließenden Kapitel seines Buches der Konstruktion sozialer Identität im frühen Christentum und der Gegenwart (S. 159-208). Er verdeutlicht, dass frühchristliche Literatur durch den Gebrauch von Othering-Techniken des ersten Jahrhunderts eine gewisse Interpretations‐ offenheit besitzt, die Ansatzpunkte für diskriminierende Auslegung bietet und betont. Denn die biblischen Texte weisen auch in ihrem historischen Kontext gelesen durchaus teilweise Tendenzen der Betonung von Partikularität und Ethnizität sowie der Hierarchisierung von Gruppenzugehörigkeiten auf. […] Um den Ambivalenzen der biblischen Texte sowie ihrer Rezeptionsgeschichte theologisch verantwortungs‐ voll zu begegnen, ist eine umfassende Ethik der Interpretation notwendig. […] Eine solche Ethik beinhaltet immer auch die Option zur Opposition gegen einen biblischen Text. Denn lange nicht alle Verse des Alten und Neuen Testaments ‚sind auf der Seite der Menschenrechte‘ (S.-214-215). Buchreport 135 Gräpers Zitat von I. J. Mosala verdeutlicht besonders die große Leistung der Arbeit. Er verliert sich weder in einer blanken geschichtlichen Abhandlung über den Apartheid-Diskurs noch in einer einseitigen Kritik der Vergangenheit, sondern entwickelt aus einem reflektierten, historischen Bewusstsein eine verantwortete Bibelhermeneutik für die Gegenwart. Eine Lektüre von Gräpers Buch ist nicht nur für Leserinnen und Leser empfehlenswert, die zum Miss‐ brauch biblischer Literatur arbeiten, sondern für alle eine Bereicherung, die eine verantwortungsvolle, rassismuskritische und gerechte Bibellektüre in der Gegenwart entwickeln möchten. 136 Michael Sommer