ZNT – Zeitschrift für Neues Testament
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1435-2249
2941-0924
Francke Verlag Tübingen
10.24053/ZNT-2024-0012
1216
2024
2754
Dronsch Strecker VogelAssisting Jesus – wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium
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2024
Kristina Dronsch
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1 Ulrich Bach, Hand aufs Herz, in: Ders. (Hg.), Volmarsteiner Rasiertexte, Gladbeck 1979, 37. Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium Kristina Dronsch I. Mit seinen Volmarsteiner Rasiertexten hat der Theologe Ulrich Bach, lange bevor Dis/ ability Studies in Deutschland bekannt wurden, lange bevor die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft trat und lange bevor der Begriff Inklusion am gesellschaftlichen Horizont auftauchte, ein sehr feines Gespür gehabt, implizite Normalitätsvorstellungen explizit zu machen und herauszuar‐ beiten, welchen Beitrag diese zu Ungleichheitserfahrungen leisten. In seinem Text „Hand aufs Herz“ 1 geht Bach dem Sichtbarmachen von impliziten Normalitätsvorstellungen sprachlich nach, die durch seine Zeilen „verrückt“ werden: Martin ist eigentlich so ein Typ wie Sie. Nur, daß Sie die Treppe hochsteigen, und er sitzt im Rollstuhl und hofft auf den Aufzug. Martin ist eigentlich so ein Typ wie Sie. Nur Sie sagen Butter, und er sagt B---b---b---ut--utter. Martin ist eigentlich so ein Typ wie Sie. Nur Ihre Hände können Sie frei bewegen, und seine sind ganz verkrampft. Martin ist eigentlich so ein Typ wie Sie-- bis auf so kleinere Unterschiede. Ich weiß nicht-- vielleicht sind Sie schon mal dahintergekommen. Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 2 Philipp Sarasin, „Mapping the body“. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und „Erfahrung“, in: Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursana‐ lyse, Frankfurt/ Main-2003, 100-121, hier 102f. 3 Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Markus Schiefer Ferrari (vgl. seinen Beitrag im vorliegenden Heft), der sich (durchaus kritisch) auf die Schriften von Ulrich Bach bezieht. 4 Ulrich Bach, Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar, Neukirchen-Vluyn-2006, 21. Ich meine: Warum bei Ihnen manches so ganz anders ist als bei Martin. In „Hand aufs Herz“ spielt Bach mit Zuschreibungen von disability und ability und legt die ontologisierende Differenzierung zwischen dem normierenden „Uns“ (Menschen ohne Behinderung) und „den anderen“ (Menschen mit Be‐ hinderung) offen, indem er den Fokus auf die körperbezogene Andersheit „verrückt“. Bachs Zeilen lassen deutlich werden, dass Behinderung nie ein aus‐ schließlich körperliches Phänomen ist. Behinderung wird immer in Abgrenzung von nicht behinderten Körpern und Körperpraktiken, die dadurch den Status des Normalen erhalten, hergestellt. Der Körper selbst wird zum Ort der erfahrenen Differenz. Der Körper ist historisch und empirisch kein gemeinsamer Ausgangspunkt der Menschheit schlechthin, keine universelle Basis der Verständigung. Vielmehr nehmen, worauf insbesondere Michel Foucault insistiert hat, die härtesten Differenz‐ diskurse in der Moderne ihren Ausgangspunkt immer beim Körper, 2 wie Philipp Sarasin mit Blick auf Class, Race und Gender aber eben auch Behinderung festhält. Es ist Ulrich Bachs Verdienst, nicht nur eine differenzierte (Sprach-)Kritik von impliziten Normalitätsvorstellungen geleistet zu haben, sondern er ist im deutschsprachigen Raum einer der Ersten gewesen, der diese Differenzdiskurse mit Blick auf Behinderung zu einem biblisch-theologisch relevanten Thema machte. Leider wird er diesbezüglich nur marginal in den neutestamentlichen Arbeiten zu Dis/ ability aufgegriffen, 3 was bestimmt seiner klaren Positionalität und Perspektivität geschuldet ist, die herausfordert. Bach skaliert den Umgang von Menschen mit Behinderungen in theologi‐ schen Diskursen als geprägt von „Apartheidsdenken“. 4 Sein zentraler Ansatz ist eine „Theologie nach Hadamar“: Ob ein Mensch Mann ist oder Frau, blind oder sehend, schwarz oder weiß, dyna‐ misch-aktiv oder desorientiert-pflegeabhängig, ist theologisch (von Gott her, im Blick Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 62 Kristina Dronsch 5 Bach, Ohne die Schwächsten (s.-Anm.-4), 26. 6 Nancy Eiesland, Der behinderte Gott. Anstöße zu einer Befreiungstheologie der Behin‐ derung, Würzburg-2018, 87. 7 Eiesland, Der behinderte Gott (s.-Anm.-6), 113. 8 Eiesland, Der behinderte Gott (s.-Anm.-6), 123. auf Heil oder Unheil) absolut ohne Bedeutung. Von Bedeutung ist allein, dass das alles ohne Bedeutung ist. Das allerdings ist von Bedeutung; denn es entscheidet darüber, ob wir noch „dem Alten“ [der Theologie vor Hadamar; Anm. KD] zugehören (wir alle, ich denke jetzt etwa nicht nur an die Ausgegrenzten, sondern besonders stark an die unbewusst und ungewollt Ausgrenzenden), oder ob es unter uns „neue Kreatur“ gibt: alle allzumal einer in Christus, die Familie Gottes, der Leib Christi, die Gemeinde als „Gegenwirklichkeit zur Apartheid“ 5 . So wie Bachs Ansatz sich einem theologisch-anthropologischen Nachdenken über Behinderung verpflichtet weiß, fordert auch der Ansatz von Nancy Eies‐ land in ihrem Buch „The Disabled God. Towards a Liberatory Theology of Disability“ (1994), das seit 2018 in deutscher Übersetzung vorliegt, die theo‐ logische Anthropologie mit ihren impliziten Körpervorstellungen heraus. In bewusster Abgrenzung zu paternalistischen Tendenzen in der theologischen Anthropologie wird Gott von ihr selbst als behindert gedacht. Ähnlich wie Bach kritisiert auch Eiesland die verschiedenen Spielarten einer „behindernden Theologie“ 6 und stellt ihnen das Bild des am Kreuz gebrochenen Leibes Christi als Verkörperungen des „behinderten Gottes“ gegenüber. Dieses ermögliche es, „Menschen mit Behinderungen als theologische Subjekte und Akteure“ 7 wahrzunehmen. Die Verkörperung Christi als behinderter Gott hat das Ziel die „Dekonstruktion von vorherrschenden symbolischen Bedeutungen und eine Einführung von Symbolen, die eine befreienden Wirkung für die marginalisierte Gruppe und eine verunsichernde für die herrschende Gruppe haben“, 8 voranzu‐ treiben. Was Bach und Eiesland zudem eint, ist zum einen ein Menschenbild, das nicht mehr dem aufklärerischen Ideal von Freiheit, Selbstbestimmung und Autonomie folgt, sondern den Menschen als ein grundsätzlich vulnerables und angewiesenes Wesen wahrnimmt. Diese anthropologische Einsicht in die vul‐ nerable Grundsituation des Menschen, die jedem einzelnen inhärent ist, und die Akzeptanz dieses Aspekts vermögen nach Bach und Eiesland eine der stärksten Quellen zu bilden, Behinderung nicht mehr über eine Defizitperspektive zu denken. Vielmehr betone der Fokus auf Vulnerabilität gemeinsames Menschsein und biete eine Grundlage für Solidarität in der theologischen Praxis. Zum anderen eint sie eine Kritik an theologischen Überzeugungen und Ideologien, Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 63 9 Lena Nogossek-Raithel, Dis/ ability in Mark. Representations of Body and Healing in the Gospel Narrative (BZNW 263), Berlin/ Boston 2023, 5 f. (vgl. die Buchbesprechung im vorliegenden Heft). die Menschen mit Behinderung für theologische Zwecke instrumentalisieren und die eine gesundheits- und leistungsorientierte Apartheidstheologie bzw. „behindernde Theologie“ offenbaren, die sich tief in das theologische Sprechen, Schreiben und Denken über Gott bzw. Jesus im gegenüber zum Menschen ein‐ geschrieben haben. Erhellend und parteilich zeigen die Arbeiten der beiden, dass das Phänomen der Behinderung nicht mehr als körperlich basiertes individuelles Leiden, sondern als Ergebnis sozialer Ausgrenzungen und Diskriminierungen zu thematisieren ist und in seinen unterschiedlichen Repräsentationen in theolo‐ gischen Diskursen (auch) als Produkt der Phantasien, Ängste und Projektionen der nichtbehinderten Mehrheit in Kirche, Theologie und wissenschaftlichen Kontexten der Theologie zu verstehen ist. Die Perspektiven von Bach und Eiesland heben hervor, dass ein unverkenn‐ barer Zusammenhang zwischen der theologisch relevanten Wissensorganisa‐ tion, wie sie in theologischen Hochschulen, Kirche und Diakonie produziert werden, und den impliziten Normalitätsdiskursen besteht. Die Theologie und allenthalben auch die neutestamentliche Wissenschaft ist diesen Diskursen eben nicht enthoben - weder gibt es eine objektive, unbeteiligte neutestamentliche Wissenschaft, noch gibt es eine in Kirche, Diakonie und Hochschule sich entfal‐ tende Theologie, die ohne Verstrickungen in ihre kulturellen und ideologischen Vorannahmen auskommt. Für Bach und Eiesland geschieht dies aus einer Betroffenenperspektive. Diese ist unumgänglich, weil sie theologisches Reden und Handeln in seinen pluriformen Kontexten zu einer Rechenschaft zwingt, wie und mit welchem Interesse die Schriften des Neuen Testaments gelesen werden. Aus diesem Grund ist das von Nogossek-Raithel formulierte primäre historische Ansinnen zur Bestimmung von Behinderung in den biblischen Schriften als hermeneutisch verkürzt anzusehen: A primary step before shifting the focus to a modern interpretation [d. h. von Dis/ ability; Anm. KD] offers an open historical approach without determined advocacy or ecclesiological and theological implication. (…) A historical analysis of the texts forms the hermeneutical basis of their following (re)appropriation, (re)evaluation, and (re)interpretation and their sociopolitical power in the spirit of dis/ ability studies. 9 Die eigenen wissenschaftlichen Traditionen und Vorverständnisse - dazu gehört eben auch ein „historical approach“ - in der neutestamentlichen Wis‐ senschaft sind zu reflektieren durch die auslegende Instanz, denn sie sind Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 64 Kristina Dronsch keineswegs Garanten, Behinderung in den neutestamentlichen Texten einfach selbst sprechen zu lassen, sozusagen ohne interpretierende Überformungen, sondern zeigen nur auf, durch welche Fragehorizonte die Auslegerin geprägt ist, wenn sie sich dem Thema Dis/ ability nähert. Eine große Aufgabe sehe ich darin, die Dis/ ability Studies aus der Nische einer „Betroffenenwissenschaft“ (nicht nur innerhalb der Theologie) heraus‐ zubewegen. Diese Aufgabe ist zum einen in die Dis/ ability Studies selbst zurückzuspielen, um den eigenen, vielschichtigen und widersprüchlichen Ge‐ genstand, die Differenzkategorie Behinderung begreifen zu können, und zum anderen in die umgebenden wissenschaftlichen Diskurse der Theologie, um die Standortgebundenheit des akademischen (theologischen) Wissens und die Machtförmigkeit der wissenschaftlichen Diskurse in der Theologie, respektive der neutestamentlichen Wissenschaft, konsequent immer wieder in den Mit‐ telpunkt zu rücken und die Perspektivität jeder Wissensformation zu Behinde‐ rungsdiskursen zum Thema zu machen. Deshalb möchte ich in einem ersten Schritt dieser Perspektivität der Wissensorganisation in der neutestamentlichen Wissenschaft nachgehen, die nach Aussage von Bach und Eiesland Menschen mit Behinderung für ihre Zwecke instrumentalisiert und die von ihnen als eine gesundheits- und leistungsorientierte Apartheidstheologie bzw. „behindernde Theologie“ gebrandmarkt werden. II. Ein besonderes Augenmerk in den Dis/ ability Studies lag von Anfang an und liegt bis heute auf den sogenannten Heilungserzählungen - vornehmlich in der Evangelienliteratur. Auch die Überlegungen von Bach und Eiesland nehmen die sogenannten Heilungserzählungen in den Fokus und arbeiten anhand dieser heraus, dass es bei der Interpretation dieser Texte entscheidend sei, wie über Jesus und sein Wirken gesprochen wird: Die in der neutestamentlichen Wissenschaft vorherrschenden Vorstellungen über Jesus, die Art und Weise über Jesus zu sprechen und Aussagen zu treffen, entscheiden darüber, ob die Apart‐ heidstheologie bzw. behindernde Theologie fortgesetzt wird oder nicht. Damit zeigt sich in der Arbeit der Interpretation sogenannter Heilungserzählungen in einer behinderungssensiblen Lektüre, dass gerade literarische Repräsentationsformen an der Hervorbringung und Verfesti‐ gung kultureller und sozialer Differenzvorstellungen einer Gesellschaft und damit auch an einer narrativen Konstruktion von Behinderung als negativer Differenzkate‐ Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 65 10 Markus Schiefer Ferrari, Gestörte Lektüre. Dis/ abilitykritische Hermeneutik bibli‐ scher Heilungserzählungen am Beispiel von Mk 2,1-12, in: Bernd Kollmann/ Ruben Zimmermann (Hg.), Die Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen. Ge‐ schichtliche, literarische und rezeptionsorientierte Perspektiven (WUNT I/ 339), Tü‐ bingen-2014, 627-646, hier 631. 11 Bach, Ohne die Schwächsten (s. Anm. 4), 409. 12 Vgl. dazu ausführlich John N. Collins, Diakonia. Re-Interpreting the Ancient Sources, New York 1990 sowie Anni Hentschel, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Frauen (WUNT II/ 226), Tübingen-2007. gorie beteiligt sind, in dem sie das kulturell Selbstverständliche und Normale auf der Folie des kulturell Anderen und Fremden besonders plastisch erfahrbar machen. 10 Die Aussage impliziert, dass auch die neutestamentliche Wissenschaft Aussagen zu Behinderung aus ihrer Umwelt bzw. kulturellen Bezogenheit aufnimmt und diese in einem theologischen wissenschaftlichen Diskurs mit Blick, wie über Menschen mit Behinderung und wie über Gott bzw. Jesus gesprochen wird, unhinterfragt fortführt. Auf diese Weise reproduziert Theologie allgemein und neutestamentliche Wissenschaft im Besonderen Behinderungsvorgänge (Disability), indem sie Interpretationen biblischer Textwelten in der Theologie bzw. neutestamentlichen Wissenschaft mittels immanenter, aus der Umwelt etablierter Annahmen und Setzungen zu Behinderung fortführt. Dadurch wird Theologie bzw. neutestamentliche Wissenschaft gleichzeitig zu einem Ort, der auf diese Weise selbst „Behinderung“ produziert. Für Bach stellt sich die größte Herausforderung deshalb in der Arbeit an einer behinderungssensiblen Inter‐ pretation in der theologischen Wissenschaft, Kirche und Diakonie: „Nur, wenn wir die Heilungsgeschichten so verstehen, daß unsere Auslegung behinderte Menschen nicht kränkt, verstehen wir sie auch für uns selbst richtig“. 11 Daher ist es hilfreich, sich grundsätzlich zu vergegenwärtigen, in welche im‐ pliziten Normalitätsdiskurse die neutestamentliche Wissenschaft - respektive historisch-kritische Exegese - sich eingebunden weiß und wusste. Dies möchte ich an einem aus meiner Sicht neuralgischen Wort „Heilung“ in gebotener Kürze und wohl wissend, nicht mehr als eine grobe Skizze zu liefern, darlegen. Meine These lautet dabei schlicht: „Heilung“ ist in der Interpretation neutestamentli‐ cher Texte ein ungeklärtes Gepäckstück, das ähnlich wie das Lexem diakonia vor allem viel über die Perspektivität, Standortgebundenheit und Machtdiskurse theologischer Wissenschaft aussagt und einer ähnlich dringenden Klärung bedarf, wie es zu diakonia durch die Arbeiten von Collins und Hentschel geschehen ist. 12 Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 66 Kristina Dronsch 13 Zum Ganzen vgl. Stefan Alkier, Wunder, Wundererzählungen, Wunderdiskurs, in: RAC (im Druck). 14 Darauf weist ebenfalls John J. Pilch, Healing in the New Testament. Insights from Medical and Mediterranean Anthropology, Minneapolis 2000, 73, wenn er festhält: „Many studies of healing in the Bible unquestioningly accept biomedicine as the only legitimate view of reality“. 15 Deutlich sensibler geht der kultur- und literaturwissenschaftliche Ansatz von No‐ gossek-Raithel, Dis/ ability in Mark (s. Anm. 9) 14f., vor, zeigt jedoch dennoch die physikalisch-biologische Reduktion der Zuordnung behinderter Körper auf, wenn sie festhält: „…the term dis/ ability as established, refers to the textual representation of deviating bodies in interrelation to an ‚other,‘ an implied norm from which it deviates, sourrounding other physical characters but also the healing body of Jesus. (…) Hence, ‚healing‘ and ‚health‘ denote, for lack of a better word, open, maybe even polyphone signifiers for physical condition(s) beyond the presented deviances.“ Da der Großteil der neutestamentlichen Arbeiten aus dem Feld Dis/ ability Studies an den sogenannten „Heilungserzählungen“ der neutestamentlichen Evangelien ansetzt, sei daran erinnert, dass schon der nichtbiblische Begriff „Heilungserzählungen“ anzeigt, dass es sich hierbei um eine vermeintliche Selbstverständlichkeit handelt, die jedoch durch die neutestamentliche Wissen‐ schaft, respektive die Wunderforschung, selbst gesetzt worden ist. Luzide zeigt Stefan Alkier 13 auf, wie durch die Etablierung der exegetischen Methode der Formgeschichte seit dem frühen 20. Jahrhundert in der neutestamentlichen Ex‐ egese die historisch-kritische Wunderforschung weitgehend auf solche narra‐ tiven Texte eingegrenzt wurde, die dem Aufbau der sogenannten neutestament‐ lichen Heilungserzählungen entsprechen. Der Gewinn dieser Reduktion ist ein doppelter: Man entledigt sich der unliebsamen Wunderfrage zu großen Teilen und wähnt sich bei neutestamentlichen Heilungserzählungen in historisch sicheren Gefilden in der Wunderforschung. Beides ist wichtig zu beachten, denn es beeinflusst maßgeblich die Wahrnehmung der in den Heilungserzählungen dargestellten beeinträchtigten und behinderten Körper. Mit der Separierung der als historisch angesehenen Heilungserzählungen von den als unhistorisch erachteten Wundergattungen passiert eine wichtige Verschiebung der Wahr‐ nehmung der erzählerisch dargestellten Körper. Sie sind nun nicht mehr im Kontext des „Numinosen“ verhaftet, sondern werden zur dinghaften Materie. 14 Der behinderte und beeinträchtigte Körper wird in die Biologie eingeordnet. 15 Mit einer gravierenden Konsequenz für die Interpretation solcher Erzählungen, darauf weist Rosemary Garland Thomson hin, die der Bedeutung der von ihr titulierten „außergewöhnlichen Körper“ kulturgeschichtlich nachgegangen ist. Sie argumentiert aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, „that the extra‐ ordinary body is fundamental to the narratives by which we make sense of Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 67 16 Rosemarie Garland Thomson, Introduction. From Wonder to Error - A Genealogy of Freak Discourse in Modernity, in: Dies. (Hg.), Freakery. Cultural Spectacles of the Extraordinary Body, New York-1996, 1-19, hier-1. 17 Garland Thomson, Introduction (s.-Anm.-16), 1. 18 Vgl. dazu Ronald D. Gerste, Die Heilung der Welt. Das Goldene Zeitalter der Medizin 1840-1914, Stuttgart- 3 2021. ourselves and our world“. 16 Garland arbeitet heraus, dass mit der Moderne ein bemerkenswerter Wandel in den Narrativen um den außergewöhnlichen Körper stattgefunden habe. Während in den Jahrhunderten vor der Aufklärung körperliche Besonderheiten als Wunder und göttliche Zeichen interpretiert worden seien, gälten sie nunmehr als Abweichung und damit als Fehler: „wonder becomes error“. 17 Diese Verschiebung lässt sich m. E. nachvollziehen an der formgeschichtlichen Größe „Heilungserzählung“, die schon sprachlich eine Setzung vornimmt: nämlich dass etwas der Heilung bedarf. Indem das Wunderbare in den Heilungserzählungen bis auf ein Minimum reduziert wird und sich auch sprachlich durch den Begriff „Heilungserzählung“ nicht mehr herstellen lässt, werden - angestoßen durch die formgeschichtliche Exegese - die in den sogenannten Heilungserzählungen dargestellten außergewöhnlichen Körper nun zu defizitären und fehlerhaften Körpern, die der Fehlerbehebung bedürfen. Die sogenannten Heilungserzählungen boten in diesem Licht einen Schauplatz der Fehlerbehebung durch den historischen Jesus. Die Verschiebung in der Interpretation dieser Erzählungen, die narrative Akteur: innen mit kör‐ perlichen Differenzen in der Begegnung mit Jesus darstellten, nutzte vor allem der historischen Jesusforschung. Leicht wird vergessen, dass die Blütezeit der historisch-kritischen Bibelinterpretation in Europa zusammenfällt mit der goldenen Zeit der Innovation in Medizin sowie Technik und der beispiellosen Fortschrittsgläubigkeit dieser Epoche. 18 Ganz nach dem Motto, wer heilt, ver‐ ändert die Welt, wurden die neutestamentlichen Heilungserzählungen zu Er‐ folgsgeschichten, die für die Überwindung einer als pathologisch angesehenen Situation stehen. Die Fortschrittsgläubigkeit des 19./ 20. Jahrhunderts sprach eine große Einladung zur Mitwirkung an der Überwindung der pathologischen Zustände aus. Jesus wurde einer ihrer Mitstreiter. Das Jesusbild, das sich in der neutestamentlichen Wissenschaft etablierte im Zusammenhang mit den Heilungserzählungen erschuf einen Jesus, der an einer neuen, besseren Welt aktiv mitwirkte. Dieses Jesusbild beruhte auf den unhinterfragten Annahmen der Fehlerhaf‐ tigkeit von außergewöhnlichen Körpern, wie sie in den Heilungserzählungen narrativ eingespielt werden, sowie der ebenfalls unhinterfragten Annahme, dass Heilung ein selbstverständlicher Wunsch aller Menschen ist - ganz besonders Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 68 Kristina Dronsch derer, die von Beeinträchtigung und Behinderung betroffen sind. Zu Hilfe kam diesem Jesusbild eine heilszentrierte Theologie, die in Verbindung mit den Heilungserzählungen gesetzt wurde und im Ergebnis zu einem theologisch konnotierten Fortschrittsglauben führte: Jesu heilendes Handeln wurde in eine Vision des zukünftigen Heils eingeordnet - in eine Vision von einem Himmel, in dem es keine Menschen mit Behinderung mehr geben wird. Heil(svision) und Heilung fielen im Wirken des historischen Jesus, das sich in den Heilungs‐ erzählungen wiederfand, zusammen: „Er [der historische Jesus; Anm. KD] sah in ihnen den Anbruch der neuen Welt“. 19 Zugleich waren die Heilungserzählungen der tatkräftige Nachweis, dass auch Jesus mit dem Fortschrittsglauben des 19./ 20. Jahrhunderts Schritt halten konnte. Damit zementierte sich theologisch eine Sichtweise auf Behinderung, die Behinderung nicht anders als ein Defizit und als ein individuelles Problem des Einzelnen begreifbar werden ließ. Die sogenannten Heilungserzählungen boten ein erzählerisches, historisch glaub‐ würdiges Fenster in die wunderwirkende Praxis des historischen Jesus, der den individuellen Defiziten der Einzelnen Abhilfe brachte. Wie sehr die mit den Heilungserzählungen verbundenen Kategorisierungs‐ prozesse im Lichte dieser Heilungsökonomie des historischen Jesus mit aus‐ grenzenden Wissensordnungen operieren, kommt selbst in dem Klassiker der historischen Jesusforschung „Der historische Jesus. Ein Lehrbuch“ von Gerd Theißen/ Annette Merz zum Ausdruck - bzw. wird als Verlegenheit spürbar, wenn dort festgehalten wird, dass die Wunder Jesu „einen Protest gegen die menschliche Not“ sein wollen. Wo immer man diese Geschichten [Heilungserzählungen; Anm. KD] erzählt, wird man sich von aussichtslosen Kranken nicht abwenden. Die Wundergeschichten sind immer auch als ein Protest „von Unten“ gegen das menschliche Leid zu lesen. Wie dieses Aufbegehren gegen Leid, gegen die Zerstörung durch Hunger, Krankheit und Not sich dazu verhält, daß wir auch in unvermeidliches Leid und nicht aufhebbare Behinderung einwilligen müssen, ist ein Problem. 20 Es ist vor allem deshalb ein Problem, weil die neutestamentliche Wissenschaft in vielerlei Hinsicht mit höchst voraussetzungsreichen Begriffen operiert, ohne Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 69 19 Gerd Theißen/ Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 2 1997, 282. 20 Theißen/ Merz, Der historische Jesus (s. Anm. 19), 283. In der Neufassung Gerd Theißen/ Annette Merz, Wer war Jesus? Der erinnerte Jesus in historischer Sicht (UTB 6108), Göt‐ tingen 2023, 294 wird dieser Impuls noch verstärkt, wenn dort sogar vom Heilcharisma des historischen Jesus gesprochen wird und seinen Grenzen: „Die Wundergeschichten sind ‚von unten‘ als Protest gegen menschliches Leid zu lesen. (…) Das NT signalisiert selbst die Grenze jedes Heilcharismas.Trotz des Aufbegehrens gegen Hunger, Krankheit und Not führt es uns vor Augen, dass wir Leid ertragen müssen.“ 21 Markus Dederich, Körper, Kultur und Behinderung, Bielefeld-2007, 31. die eigene Standortgebundenheit ihres Wissens noch viel konsequenter in die eigene Arbeit zu rücken, um so die Perspektivität neutestamentlicher Wis‐ sensformation zu Behinderungsdiskursen in der Auslegung neutestamentlicher Texte zum Thema zu machen. Um dem Anspruch der Dis/ ability Studies zu genügen, den Dederich wie folgt umschreibt: Zusammenfassend gesagt, geht es in den unterschiedlichsten Verzweigungen der Disability Studies darum, dem traditionell individualisierenden, defekt-, defizit- oder schädigungsbezogenen Verständnis von Behinderung ein weit über das ambivalente Integrationsgebot hinausgehendes theoretisches Modell entgegenzusetzen, das mit dem Anspruch verknüpft ist, den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit der Differenz zu verändern, 21 führt der Weg in der neutestamentlichen Wissenschaft unabdingbar zu einer Inventarisierung ihrer mitgeführten Begriffe - vor allem der als selbstverständ‐ lich angesehenen, wie eben „Heilung“ in „Heilungserzählungen“. III. In dem nun folgenden Abschnitt möchte ich die Perspektiven von Bach und Eiesland aufgreifen, die beide auf je eigene Weise mit aller Deutlichkeit festge‐ halten haben, dass die Theo-Logie, die Art und Weise, wie über Gott bzw. über Jesus gesprochen wird, anzeigt, was Menschen mit Behinderungen in theologischen Diskursen, in theologischer Wissenschaft, Kirche und Diakonie zu erwarten haben. Jedoch geht es mir weniger um die soziale Positionie‐ rung der Betroffenen sowie deren Perspektiven in hegemonial begründeten Diskursen und sozialen Praxen in neutestamentlicher Wissenschaft, sondern meine Überlegungen möchten vielmehr eine alternative Verhältnisbestimmung jenseits einer Heilungsökonomie bieten, bei der die soziale Positionierung des narrativen Akteurs „Jesus“ im Text des Markusevangeliums in den Blick rückt. Diese soziale Positionierung des narrativen Akteurs Jesus in den Evangelien, in diesem Fall aufgezeigt am Markusevangelium, fragt nach der interessege‐ leiteten Funktionalität von Begegnungen mit narrativen Akteur: innen, die eine verkörperte Differenz aufweisen. Da der Begriff der Behinderung in den Schriften des Neuen Testaments keine unmittelbaren Entsprechungen hat, werde ich ihn im Folgenden nicht verwenden, sondern den Vorschlag von Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 70 Kristina Dronsch 22 Anne Waldschmidt, Warum und wozu brauchen Disability Studies die Disability History? Programmatische Überlegungen, in: Elsbeth Bösl/ Anne Klein/ Anne Wald‐ schmidt (Hg.), Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung, Bielefeld-2010, 13-27, hier-14f. 23 Der Begriff der Assistenz, vor allem der persönlichen Assistenz ist innerhalb der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen ein Modell, das den entmündigenden und entmächtigenden Strukturen entgegenwirken soll: „Bei dem Modell der Persönlichen Assistenz handelt es sich um ein Unterstützungskonzept, das sich explizit gegen diese in der traditionellen Behindertenhilfe erfahrene Ohnmacht, Entmündigung und Fremdbestimmung behinderter Menschen …“ wendet (Karsten Altenschmidt/ Lakshmi Kotsch, „Sind meine ersten Eier, die ich koche, ja“. Zur interaktiven Konstruktion von Selbstbestimmung in der Persönlichen Assistenz körperbehinderter Menschen, in: Anne Waldschmidt/ Werner Schneider [Hg.], Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld, Biele‐ feld-2007, 225-247, hier-229). Waldschmidt aufgreifen, statt von Behinderung von „verkörperter Differenz“ zu sprechen: Mit dem Begriff „verkörperte Differenz“ (Engl.: embodied difference) werden in den Disability Studies die vielfältigen Auffälligkeiten bezeichnet, die als „Behinderung“ figurieren: Alle werden mittels des Körpers ausgedrückt und können nur über diesen wahrgenommen werden. 22 Was an dieser Definition deutlich wird, ist der Stellenwert der Differenz. Sie ist untrennbar mit der Tatsache verbunden, dass die in den neutestamentlichen Texten narrativ eingespielten Unterschiede immer auch Ergebnis von Zuschrei‐ bungen sind und der Herstellung von Hierarchien dienen. Daher ist diese Differenz nicht einfach nur im Köper verankert und ‚an‘ ihm manifest, sondern sie ist verkörpert. Zugleich ermöglicht die Rede von „verkörperter Differenz“ den Raum zu öffnen, die „Beziehung“ zwischen dem markinischen Jesus und den narrativen Akteur: innen mit verkörperter Differenz neu zu beschreiben, die nicht in der Defizitperspektive in paternalistische Fürsorglichkeit gegenüber verkörperter Differenz zurückfällt. Es wird deutlich werden, dass im Lichte des Botengangs die Beziehung zwischen dem markinischen Jesus und den Ak‐ teur: innen mit verkörperter Differenz eine gravierende Wandlung erfährt: Sie ist dann keineswegs eine Machtdemonstration überbordender göttlicher Hand‐ lungsfähigkeit des markinischen Jesus gegenüber nicht Handlungsfähigen, sondern das Primat der Begegnung mit dem „Anderen“ steht im Fokus. Zwar ist immer noch die Begegnung zwischen dem markinischen Jesus und den narrativen Akteur: innen verkörperter Differenz im Fokus dieser sogenannten Heilungserzählungen, aber sie erfährt eine wichtige inhaltliche Verschiebung, die ich mit dem Begriff der „Assistenz“ 23 zu fassen versuche und die m. E. Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 71 24 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Kristina Dronsch, In Wunder verstrickt. eine medio-theologische Pointe der Wundergeschichten im Markusevangelium, in: Koll‐ mann/ Zimmermann (Hg.), Die Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen (s.-Anm.-10), 445-467. 25 Grundsätzliches zum Botenamt in der Antike ist zu finden in: Jan A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg im 4. Evangelium. Die kultur- und religionsgeschichtlichen Grundlagen der johanneischen Sendungschristologie sowie ihre traditionsgeschicht‐ liche Entwicklung (WUNT II/ 2), Tübingen 1977, bes. 118-267; Samuel A. Meier, The Messenger in the Ancient Semitic World (Harvard Semitic Monographs 45), Atlanta 1989. Sowie in dem Aufsatzband von Horst Wenzel (Hg.), Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter, Berlin-1997. eine tragfähige Alternative zur bisherigen theologischen Instrumentalisierung verkörperter Differenz erlaubt. Wer etwas über die Geschichten wissen will, die von verkörperter Differenz handeln, kann dies sachgemäß nur durch Einbeziehung des Gesamttextes des Evangeliums tun. Da innerhalb der sogenannten Heilungserzählungen, aber auch innerhalb der gesamten Schrift des Evangeliums sich ein dominanter anwesender Protagonist ausmachen lässt - nämlich der markinische Jesus, ist es notwendig zu bedenken, dass die markinischen Erzählungen, die von ver‐ körperter Differenz handeln, ihre Funktion aus dem Erzählzusammenhang des gesamten Evangeliums erhalten. Deshalb hat ihre Interpretation von der Ana‐ lyse des Gesamterzählzusammenhangs des Markusevangeliums auszugehen, in der dem Hauptprotagonisten eine dominante Rolle zukommt. Seine Rolle und Funktion sind als erstes zu klären. Die Funktion des markinischen Jesus im Evangelium ist als Bote zu be‐ schreiben. Boten sind ein fester Bestandteil von Gesellschaften und Zeiten, in der nichtpersonale Techniken der Botschaftsübermittlung nicht vorhanden sind. 24 Ganz elementar kann festgehalten werden, dass Boten zwischen verschieden‐ artigen Welten stehen und Kraft ihrer Position in deren Mitte und als deren Mittler einen Austausch in Gang bringen. Wo immer das Botenamt thematisch wird, geht es um eine Vermittlung zwischen verschiedenartigen Welten. 25 Damit ist ihre Funktion am besten als ein Dazwischengehen zu beschreiben. Zu jedem Boten gehört sein Botengang, der eine performative und aktionale Dimension hat und mit einer Beauftragung beginnt. Diese Beauftragung des markinischen Jesus wird sogleich mit dem ersten Auftreten des Hauptprotagonisten legiti‐ miert und in Szene gesetzt (Mk 1,9-13). Durch die Geistbegabung, die Jesus nicht nur markiert, sondern die ihn als Sohn Gottes identifizierbar werden lässt, wird die Beauftragung wirkmächtig in Szene gesetzt und durch die himmlische Stimme bestätigt, die über den mit göttlichem Geist Begabten sagt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ (Mk-1,11). Mittels der Gabe Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 72 Kristina Dronsch 26 Die Übersetzung der markinischen Textstellen folgt Stefan Alkier/ Thomas Paulsen, Die Evangelien nach Markus und Matthäus. Neu übersetzt und mit Überlegungen zur Sprache des Neuen Testaments, zur Gattung der Evangelien und zur intertextu‐ ellen Schreibweise sowie mit einem Glossar (Frankfurter Neues Testament 2), Pader‐ born-2021. 27 Dass der Inhalt der Botschaft des Evangeliums Gottes an einem Botenmodell orientiert ist, wird auch von Rudolf Pesch, Das Markusevangelium. I. Teil: Einleitung und Kommentar zu Kap. 1,1-8,26 (HThK 2), Freiburg 1976, 100 gesehen, wenn gesagt wird, dass dies „im Stil prophetischer Heroldsrufe“ geschieht. 28 Frank J. Matera, New Testament Theology. Exploring Diversity and Unity, Louisville/ London-2007, 9. des Geistes wird der so als Sohn Gottes proklamierte Bote erkennbar und wird als der von göttlicher Seite Beauftragte eingeführt. Zugleich wird ein weiteres Strukturmerkmal des Botenamtes deutlich: Aufgrund seiner Mittlerstellung ist der Bote nicht autonom, er handelt nicht selbsttätig, sondern er untersteht einem „fremden Gesetz“, er handelt im Auftrag eines anderen. Er ist daher heteronom und von „außen gesteuert“ angemessen zu beschreiben. In Mk 1, 14f. wird prominent zu Beginn des Botenamtes des markinischen Jesus seine Botschaft, die er zu übermitteln hat, eingespielt. In Mk 1,14f. heißt es: „Nach der Auslieferung des Johannes kam Jesus nach Galiläa, verkündend die Frohbotschaft Gottes: ‚Gefüllt ist der Augenblick und nahe gekommen ist die Kö‐ nigsherrschaft Gottes. Denkt um und vertraut auf die Frohbotschaft! ‘“ 26 Dieses Umdenken ist das Programm, das die gesamte Erzählung des Markusevange‐ liums wie ein roter Faden durchläuft. Es beinhaltet ein Umdenken über Macht (exousia), über Gemeinschaft und über die Nächste/ den Nächsten. Markus 1,14f. bilden den Beginn des Botenganges, 27 in denen nun die performative und aktionale Dimension des Botenamtes des markinischen Jesus eingespielt wird. Dieser Bote wird gesendet, um eine gute Nachricht zu übermitteln, nämlich die frohe Botschaft Gottes. Häufig wird in Kommentaren darauf hingewiesen, dass das „Evangelium Gottes“ in zweifacher Weise verstanden werden kann. If the phrase is construed as a subjective genitive, God is the subject of the phrase, and it refers to God’s own good news. […] If the phrase is construed as an objective genitive, God is the object of this phrase, and it refers to the good news about God. 28 Beide Verständnismöglichkeiten sind in der Botenperspektive notwendig prä‐ sent zu denken: Es geht bei dem Dazwischentreten, beim Mittlersein Jesu einerseits darum, dass der markinische Jesus als Bote Gottes die Botschaft über Gottes wirklichkeitsveränderndes Handeln übermittelt, gleichzeitig ist aber auch festgehalten, dass diese Botschaft, die der markinische Jesus zu ver‐ kündigen weiß, sich eines göttlichen Auftraggebers verdankt. Der markinische Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 73 29 Matera, New Testament Theology (s. Anm. 28), 9. 30 Meier, The Messenger (s. Anm. 25), 237 mit Verweis auf den Amarna Corpus (EA 16: 43- 55). Jesus stellt somit die Extension des göttlichen Wirkbereichs dar, so dass der markinische Jesus den göttlichen Auftraggeber nicht nur repräsentiert, sondern auch gegenwärtig macht. Es ist die frohe Botschaft Gottes, die Jesus bringt „as the herald of the gospel“ 29 und die er präsent macht. Schon lange ist in der Markus-Exegese die prominente räumliche Struktur erkannt worden, die den gesamten Plot des Evangeliums organisiert und sich einem Wegmotiv verdankt: Im Wesentlichen werden drei Räume als das Evangelium strukturierend ausgemacht: (1) in und um Galiläa (Mk 1,16- 8,21); (2) auf dem Weg (Mk 8,22-10,52); (3) in Jerusalem (Mk 11,1-15,39). In und um Galiläa zeigt sich der göttliche Bote als bevollmächtigt in Wort und Tat sein Botenamt auszuführen. In diesem Teil sind mehrheitlich die sogenannten Heilungserzählungen angesiedelt. Gleich zu Beginn der ersten Station des Boten hält der Erzählerkommentar fest, dass der markinische Jesus wie einer lehrte, „der Bevollmächtigung (exousia) hat“ (Mk 1,22) - es geht in der Botenperspektive nicht um autonome Macht, sondern um bevollmächtigende Macht, so dass exousia nicht mit „Vollmacht“ wiederzugeben ist, sondern mit „Bevollmächtigung“, um diesen heteronomen Aspekt zu unterstreichen. Es ist also eine Bevollmächtigung, hinter der eine beauftragende Macht steht. Doch was trägt die Botenperspektive des markinischen Jesus zum Verstehen der sogenannten Heilungserzählungen aus? Während wir bisher den beauftra‐ genden Aspekt des Botenamtes des markinischen Jesus in den Blick genommen haben, ist es ebenso unabdingbar sich die Empfänger: innenseite anzuschauen, also die Seite zu denen der markinische Jesus gesandt ist. Denn zum Weg des Boten gehört, dass das Botenamt eng verknüpft ist mit denen, zu denen er gesandt wurde. So bemerkt Samuel A. Meier: „Messengers can not in any sense be pictured as having diplomatic immunity, even among those to whom they are sent. Indeed, the messenger is a pawn whom one may dispose of as one wishes“. 30 Es gehört zur Signatur des Botenamtes, dass der Gesendete durch sein Dazwischentreten auf die Empfänger: innen und deren Rezeption der Botschaft angewiesen bleibt. Nicht der Bote Jesus hat die Kontrolle über die Effekte seiner Botschaft, sondern die Verantwortung liegt ganz auf Seiten der Emp‐ fänger: innen. In der Erzählwelt des Markusevangeliums sind es die narrativen Akteur: innen, an denen sich zeigt, wie das Dazwischentreten des markinischen Boten aufgenommen wird. In der Konzentration auf die narrativen Akteur: innen mit verkörperter Differenz wird deutlich, dass sie im gesamten Evangelium die einzigen Erzählfiguren sind, die sowohl das markinische Botenamt nicht nur Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 74 Kristina Dronsch erkennen, sondern es für ihre Anliegen zu nutzen vermögen. Im Evangelium ist zwar regelmäßig von den Reaktionen auf Jesu Wunder wirkendes Handeln die Rede. Staunen und Entsetzen (vgl. z. B. Mk 1,27f.; 2,12; 4,40) gehören ebenso dazu wie Ablehnung (vgl. z. B. Mk 3,6.22), aber es sind im Kontext von Heilungserzählungen besonders die Akteur: innen mit verkörperter Differenz, die nicht auf Jesus exousia reagieren, sondern agieren, weil sie wissen, dass der markinische Jesus der bevollmächtigte Bote ist. Innerhalb der markinischen sogenannten Heilungserzählungen lässt sich dabei aufzeigen, dass es im gesamten Evangelium vornehmlich Akteur: innen mit verkörperter Differenz sind, die nicht nur den markinischen Jesus als bevollmächtigten Boten erkennen, sondern die vor allem diesbezüglich in Aktion gehen, um ihr Anliegen vor diesen Boten zu bringen, wie in Mk 1,40-42: Und es kommt zu ihm ein an Aussatz Erkrankter, ihn zu Hilfe rufend und auf die Knie fallend und zu ihm sprechend: „Wenn Du willst, kannst Du mich reinigen.“ Und in Bestürzung geraten, die Hand ausstreckend, berührte er ihn und sagt zu ihm: „Ich will, werde rein! “ Und sofort ging weg von ihm der Aussatz und er wurde rein. Vor dem bevollmächtigenden Handeln des Boten Jesus steht die Aktion des Akteurs mit verkörperter Differenz, die überhaupt erst das Handeln des mark‐ inischen Jesus ermöglicht. Durch seine Aktion des Hilferufens, des Niederfallens und des Sprechens gibt er nicht nur zu verstehen, dass er den markinischen Jesus als den bevollmächtigten Boten erkennt, sondern er adressiert auch klar seine Erwartung an den markinischen Jesus in seiner Funktion als göttlichen Boten: „Wenn Du willst, kannst Du mich reinigen.“ Der markinische Jesus wird in Auftrag genommen durch den an Aussatz Erkrankten, der ihn als den bevollmächtigten göttlichen Boten erkennt. In der Perspektive des Botenamtes erscheint das Handeln Jesu dann weniger durch Autonomie geprägt, sondern durch eine doppelte Fremdbestimmung: durch den, der ihn gesandt hat, und durch den, an den er sich als wirkmächtiger Bote adressiert. Als Bote tritt der markinische Jesus zwischen seinen göttlichen Auftraggeber und den an Aussatz Erkrankten und handelt auf Anweisung des an Aussatz Erkrankten. In dieser sogenannten Heilungserzählung steht keineswegs eine paternalistische Fürsorglichkeit im Zentrum, sondern der markinische Jesus assistiert in der Funktion als göttlicher Bote und ausgehend vom Kontaktaufbau durch den an Aussatz Erkrankten. Auch die sogenannte Heilungserzählung in Mk 5,25-34 zeigt eine narrative Akteurin mit verkörperter Differenz, die ebenfalls darum weiß, dass Jesus der bevollmächtige Bote ist und auch ihr Handeln ist durch Aktion gekennzeichnet, indem sie in Kontakt mit dem bevollmächtigten Boten geht und sein Gewand Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 75 berührt. Auch sie nutzt ihr Wissen, um den göttlichen Boten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, aber diesmal ohne die Einwilligung des bevollmächtigten Boten. Während sie weiß, was sie von der Berührung des Gewandes des markinischen Boten will, weiß Jesus als der bevollmächtigte Bote nichts von der Frau, stellt ihr das Gewünschte jedoch zur Verfügung, wie Mk 5,30 betont: „Und Jesus, sofort erkennend in sich die aus ihm herausgekommene Macht, sich in der Masse umwendend, sprach: ‚Wer hat mir die Gewänder berührt? ‘“ Sein Botenamt weist ihn als den bevollmächtigten göttlichen Boten aus, den die Frau nicht nur erkennt, sondern ebenso kann festgehalten werden, dass sie durch den markinischen Jesus Assistenz erfährt hinsichtlich ihres Wunsches nach Beendigung des Blutflusses. Diese „herausgekommene Macht“ (V. 30) ist somit keine hierarchische, sondern gibt sich als eine positive Möglichkeit zu erkennen, Einfluss auf die Gestaltung des Zusammenlebens zu gewinnen. Sie ist nicht in dem göttlichen Boten allein gespeichert, sondern wird der narrativen Akteurin mit verkörperter Differenz zur Verfügung gestellt, die hinsichtlich der Gestaltung ihres Zusammenlebens aufgrund ihres Blutflusses Beeinträch‐ tigungen erfahren hat, wie V. 26 verdeutlicht: „und vieles erlitten von vielen Ärzten, und ausgegeben alles von sich und in keiner Weise Nutzen empfangend, sondern mehr ins Schlechtere gekommen“. Sie nutzt die durch ihre Berührung „herausgekommene Macht“ des markinischen Jesus und bedarf deswegen nicht mehr der in „keiner Weise Nutzen“ empfangenden Interventionen durch die Ärzte. Zuletzt sei die sogenannte Heilungserzählung in Mk 10,46-52 erwähnt, die in der Botenperspektive nicht als Schauplatz der Korrektur eines blinden, defizitären Körpers erscheint, sondern einen markinischen Jesus zeigt, der im Sinne von Assistenz interagiert und so den Blick auf den am Weg sitzenden blinden Bettler Bartimäus verändert. Bartimäus, als er hört, dass Jesus da ist, beginnt aktiv zu schreien „Sohn Davids, Jesus, hab jetzt Mitleid mit mir“ (Mk 10,47). Mit dieser Aktion qualifiziert der blinde Bettler (vgl. Mk 10,46) sein Wissen um Jesus und erkennt ebenfalls in dem markinischen Jesus den bevoll‐ mächtigten Boten. Das aktive Schreien des Akteurs mit verkörperter Differenz steht auch hier vor jedem Handeln des bevollmächtigten Boten, der als „Sohn Davids, Jesus“ adressiert wird. Bartimäus aktives, an den bevollmächtigten Boten adressiertes Schreien lässt erkennen, dass er nicht nur den markinischen Jesus als den bevollmächtigten Boten erkennt, sondern er auch klar seine Erwartung an den markinischen Jesus in seiner Funktion als göttlichen Boten adressieren kann: „habe jetzt Mitleid mit mir.“ Bartimäus, der Sohn des Timäus, fordert ein Sich-in-Beziehung-Setzen zu ihm durch den „Sohn Davids“ ein und hält dieses auch gegen Widerstände der „Vielen“, die ihn zurechtweisen, Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 76 Kristina Dronsch aufrecht (vgl. V. 48). Im Gespräch zwischen Bartimäus und Jesus geht es um ein Sichtbarmachen, Sich-zum-Anderen-Verhalten, in deren Mittelpunkt die Frage Jesu steht: „Was willst du, soll ich dir tun? “ (Mk 10,51). In der Perspektive des Botenamtes agiert der markinische Jesus nicht autonom, sondern weiß sich in der Logik des Botenamtes gebunden an den blinden Bettler Bartimäus. Er stellt als bevollmächtigter Bote Gottes sich nicht über Bartimäus Anliegen, sondern weiß sich als Vermittler gebunden an die, zu denen er gesandt ist. Jesus erfragt somit seine Zuständigkeit als göttlicher Bote und lässt den Raum für die Bestimmung des an ihn adressierten Auftrags offen, den Bartimäus sodann mit: „Rabbi, dass ich wieder sehe.“ (Mk 10,51) wiedergibt. Die Antwort Jesu in V. 52: „Mach dich auf! Dein Vertrauen hat dich gerettet“ fokussiert gänzlich auf die Gelingensseite des assistierenden Handelns Jesu - aber in der Perspektive von Bartimäus. Die Worte des markinischen Jesus „Dein Vertrauen hat dich gerettet“, die wortwörtlich auch in Mk 5,25-34 vorkommen, zeigen ebenfalls an, dass das zwischen dem markinischen Jesus und Bartimäus geknüpfte soziale Band des Vertrauens von Bartimäus aktiv ausgeht, in dem er in Jesus den bevollmächtigten Boten erkennt. Wer die sogenannten Heilungsgeschichten in der Botenperspektive auf‐ merksam liest, wird gewahr, wie wenig das Botenamt ein Fehlerbehebungsamt von verkörperter Differenz ist. Es ist angemessen zu beschreiben als ein Bezie‐ hungsamt, in dem der markinische Jesus durch die Akteur: innen verkörperter Differenz in Auftrag genommen wird, die ihn als den bevollmächtigten göttli‐ chen Boten erkennen. Die Interpretation der sogenannten Heilungsgeschichten in der Perspektive des Botenamtes des markinischen Jesus ist ein erster Schritt, um die Beziehungsverhältnisse zwischen dem markinischen Jesus und Ak‐ teur: innen mit verkörperter Differenz in den sogenannten Heilungsgeschichten jenseits von defizitärer Fehlerbehebung neu zu ordnen. Kristina Dronsch, geb. 1971, Studium der Evangelische Theologie in Deutschland und der Schweiz, ist Profes‐ sorin für Diakoniewissenschaften an der Evangelischen Hochschule Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Armuts- und Reichtumsforschung, Macht- und Herrschaftsdiskurse sowie neutestamentliche Hermeneutik. Zeitschrift für Neues Testament 27/ 54 (2024) DOI 10.24053/ ZNT-2024-0004 Assisting Jesus - wider eine Heilungsökonomie im Markusevangelium 77
