Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0003
11
2011
631
»Stuttgart 21: Welche Folgen?«
11
2011
iv6310011
11 Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 11 KURZ + KRITISCH Gerd Aberle »Stuttgart 21: Welche Folgen? « N ein, eine Schlichtung beim Projekt Stuttgart 21 war es nicht und konnte es auch nicht sein. Es war ein Mediationsverfahren, nicht mehr und nicht weniger. Ja, das Mediationsverfahren hat in sachlicher Atmosphäre viele und interessante Informationen zu Leistungs- und Kostendaten vermittelt und einer großen Öfentlichkeit die strittige Problemlage aufgezeigt. Nein, ein Ende des Konflikts zwischen Befürwortern und Gegnern hat es nicht bewirkt und auch gar nicht bewirken können. Wer solche Hofnungen hat, verkennt die Bedeutung der extrem langen Planungsprozesse, der parlamentarischen und gerichtlichen Entscheidungen sowie der erlangten Baurechte. Ja, es verbleiben bei S 21 wie auch vielen anderen Infrastrukturprojekten unerfreuliche Kostenrisiken, welche die Nutzen-Kosten- Quotienten auf eine kritische Größe absenken können. Nein, das Stuttgarter Mediationsverfahren ist kein Vorbild dergestalt, dass zukünftig dem Planungsverfahren ein solcher Mediationsprozess vorgeschaltet werden sollte, wie derzeit häufig gefordert. Vielmehr besteht dann die Gefahr, dass sich der Planungszeitraum weiter verlängert, da in einem solchen Vorschaltprozess nur wenige der z. B. bei S 21 nach langjähriger Untersuchungszeit verfügbaren Kosten- und Leistungsdaten bereits vorhanden sind. Ja, das dringendste Erfordernis in der Verkehrsinfrastrukturpolitik ist eine wesentliche Verkürzung der Planungszeiträume. 15 bis 20 Jahre lassen das Öfentlichkeitsinteresse schwinden, was dann aber bei Anrollen der Baumaschinen und erkennbarer regionaler Auswirkungen plötzlich einsetzt und hochemotionalisierte Kritik erzeugt. Zu den Erklärungsversuchen zum zunehmenden Widerstand gegen infrastrukturelle Großvorhaben kann der in den Wirtschaftswissenschaften wohlbekannte Ansatz der steigenden Zeitpräferenzrate angefügt werden. Je älter der Bevölkerungsdurchschnitt ist, desto mehr Präferenzen bestehen hinsichtlich der erlebbaren Umwelt. Erst in langen Zeitfristen eintretende positive Wirkungen der Infrastrukturinvestitionen werden wesentlich geringer eingeschätzt als der gegenwärtige Zustand. Wird der Status quo noch durch Baumaßnahmen negativ beeinflusst, nimmt der Widerstand der älteren Bevölkerung zu. Diese Widerstandsursachen sind bedeutender als Kosten- und Leistungskritiken. Da in Deutschland der Altersefekt der Gesellschaft dramatisch wirksam wird, nimmt die Zeitpräferenz, also die Höherschätzung der Gegenwartsbedürfnisse gegenüber individuell unsicher erlebbaren Zukunftschancen, stetig zu. B enötigt Deutschland mit einer blühenden und international herausragenden Logistikwirtschaftwirtschaft wirklich Master- oder Aktionspläne, die von staatlichen Institutionen konzipiert werden? Die Bejahung fällt schwer, ist es doch Aufgabe dieses Sektors selbst, seine Stärken zu vermarkten und Problem zu lösen. Nur wenn es politisch gesetzte Rahmenbedingen betrift und hier insbesondere die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen, ist der Staat gefordert. Auch der Aktionsplan der Bundesregierung vermittelt bei diesem Zentralproblem nur wenig Konkretes, außer der wiederholten Erkenntnis gefährlicher Verkehrsinfrastrukturengpässe. Stärkere Berücksichtigung des Schienenverkehrs und der Schiffahrt, Verlagerung auf die Schiene mit einem Marktanteil von 25 % als Zielgröße, so der neue Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung - aber wie denn? Gravierende Engpässe bereits derzeit auf den Hauptabfuhrstrecken, völlig unzureichende Neu- und Ausbaumittel und kein schlüssiges erfolgversprechendes Finanzierungskonzept - das ist die Politiksituation! Ein problemadäquater Aktionsplan Logistik sollte sich auf die Verkehrsinfrastrukturpolitik und deren Planungsstrukturen und Finanzierung beschränken. Unkonventionelle, auch bislang tabuisierte Finanzierungsstrategien sollten, allerdings nach kritischer Überprüfung aller bislang bereits bewerteten Projekte, durchgesetzt werden. Dazu gehört auch der Mut, bereits begonnene, aber ineiziente Projekte zu stoppen, um die wirklich dringlichen Neu- und Ausbauten realisieren zu können. »Verkürzung der Planungszeiträume« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Logistikinitiativen: Defizite
