eJournals Internationales Verkehrswesen 63/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0007
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2011
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Bundesverkehrswegeplan 20XX

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Florian Eck
Sarah Stark
Die wesentlichen Herausforderungen für den nächsten BVWP bestehen darin, die knappen Ressourcen gezielt einzusetzen und flexible Möglichkeiten zu schaffen, um Projekte entsprechend ihrer Dringlichkeit gegenüber anderen Vorhaben abzugrenzen. Reicht hierfür eine einfache Fortschreibung des BVWP aus?
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Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 26 INFRASTRUKTUR BVWP Bundesverkehrswegeplan 20XX Die wesentlichen Herausforderungen für den nächsten BVWP bestehen darin, die knappen Ressourcen gezielt einzusetzen und flexible Möglichkeiten zu schafen, um Projekte entsprechend ihrer Dringlichkeit gegenüber anderen Vorhaben abzugrenzen. Reicht hierfür eine einfache Fortschreibung des BVWP aus? I m Koalitionsvertrag vom 24. Oktober 2009 hat sich die Bundesregierung die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) zum Ziel gesetzt: „Der Bundesverkehrswegeplan muss an die aktuellen Bedürfnisse und Entwicklungen angepasst werden. Wir werden in dieser Legislaturperiode die Bedarfspläne in den Ausbaugesetzen überprüfen, kurzfristig alle gesetzlichen Spielräume für mehr Flexibilität nutzen und vorbereitend für den nächsten Bundesverkehrswegeplan (BVWP) eine neue Grundkonzeption erarbeiten […].“ Unterfinanzierung des BVWP Bereits mit dem aktuell geltenden BVWP 2003 hat die damalige Bundesregierung neue Akzente gesetzt. Auf Basis der vorliegenden Verkehrsprognosen wurden der Finanzbedarf neu berechnet, die Bewertungsmethodik modernisiert und die Einschätzung von Umweltrisiken aufgenommen. Dennoch ist auch der BVWP 2003, wie zuvor der BVWP 1992, stark unterfinanziert (siehe Grafiken). Um die Projektsumme des BVWP 2003 in Höhe von 150 Mrd. EUR im gegebenen Zeitraum von 15 Jahren finanzieren zu können, bedürfte es durchschnittlich 10 Mrd. EUR jährlich. Diese Summe wurde lediglich in den Jahren 2009/ 2010 aufgrund der außerordentlichen Mittel aus den Konjunkturprogrammen erreicht. Die Verteuerung von Infrastrukturbauleistungen um 18 % allein zwischen 2005 und 2010 und der Anstieg des Stahlpreises schränken den Spielraum des Verkehrshaushalts weiter ein. Dadurch ist ein erheblicher Umsetzungsstau bei den BVWP-Projekten entstanden. Zwischen 2000 und 2013 ergibt sich allein durch Gegenüberstellung von Ist- und Planwerten und unter Einbeziehung der Preissteigerung im Verkehrsinfrastrukturbereich eine Finanzierungslücke von mindestens 19,5 Mrd. EUR. Gleichzeitig stellt sich das Problem des mangelnden Erhalts der Verkehrsinfrastruktur. So ist der Modernitätsgrad der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland (Nettozu Bruttoanlagevermögen) von 1980 bis 2008 deutlich gesunken - von 78 auf 66 %. Die Unterfinanzierung setzt sich in den Bedarfsplänen für die Bundesfernstraßen und Bundesschienenwege fort. Führt man z. B. die durchschnittlichen jährlichen Schieneninvestitionen des Bundeshaushalts von rund 1,24 Mrd. EUR weiter, so verbleibt in den kommenden Jahren kaum Spielraum für neue Projekte aus Bundesmitteln: 2011 sind bereits 1,12 Mrd. EUR im Schienenbud- Fortschreibung oder Reform? Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 27 get fest verplant (verbleibender Spielraum 120 Mio. EUR), 2012 sind es 1,03 Mrd. EUR (210 Mio. EUR) und 2013 immerhin noch 0,88 Mrd. EUR (360 Mio. EUR). Reform des BVWP Somit besteht die wesentliche Herausforderung für den nächsten BVWP darin, einerseits die knappen Ressourcen gezielt einzusetzen und andererseits flexible Möglichkeiten zu schafen, um Projekte entsprechend ihrer Dringlichkeit gegenüber anderen Vorhaben abzugrenzen und entsprechend vorzuziehen oder zurückzustellen. Das Konzept des nächsten BVWP muss an drei Stellen ansetzen: ฀ Bedarfsermittlung: Vor dem Hintergrund der noch zu erarbeitenden Verkehrsprognose 2030 und der Bewertung der aktuellen Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur muss der BVWP den Aus- und Neubaubedarf neu bewerten und prüfen, welche baulichen Maßnahmen erforderlich sind. Definition Kernnetz: Aufteilung des Netzes entsprechend der derzeitigen und prognostizierten Versorgungsfunktion der einzelnen Netzbestandteile in ein vorrangiges Kernnetz mit eher fernräumlicher Erschließungsfunktion und ein nachrangiges Netz mit ergänzender Versorgungsfunktion. Priorisierung: Die strategische Planung muss die Infrastrukturmaßnahmen in eine klare Rangfolge bringen, so dass Projekte hinsichtlich der Dringlichkeit ihrer Umsetzung vorgezogen werden können. Bedarf ermitteln, Transparenz schafen Die Verkehrsprognose 2025 ist bereits erstellt, außerdem liegt eine Verflechtungsmatrix mit detaillierten Quelle-Zielbeziehungen vor. Die Erstellung der Verkehrsprognose 2030 ist im kommenden Verkehrshaushalt eingeplant und wird korrigierte Werte aufgrund der zuvor nicht eingerechneten Wirtschaftskrise liefern. Experten gehen jedoch davon aus, dass der bisherige Wachstumspfad von Verkehrsaufkommen und -leistung lediglich um zwei Jahre verschoben wird. In Ergänzung dieser langfristigen Perspektive gibt es jedoch Hilfsmittel, um im kurzbis mittelfristigen Bereich den Investitionsbedarf zu ermitteln. So leitet die Staustellenanalyse des ADAC den Handlungsbedarf pragmatisch über eine Analyse der Störungsmeldungen aus den heutigen Engpässen ab. Den Betreibern des Schienennetzes liegen Informationen über Verspätungen, Trassennutzungskonkurrenz und Langsamfahrstellen vor. Die Daten aus der Abrechnung der Lkw-Maut sollten ebenfalls genutzt werden. Diese Analysen müssen bei der Bewertung von Erhalt, Aus- und Neubau von Verkehrswegen einbezogen werden. Gleichzeitig gilt es, diese Berichterstattung regelmäßig mit anderen Informationen zusammenzuführen und in Form eines regelmäßigen Verkehrsinfrastrukturberichts des Bundes zu institutionalisieren. Nur so kann auch bedarfsgerecht investiert werden. Im Bereich der Bundesschienenwege wurde diese Berichtspflicht im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) bereits erfolgreich eingeführt. Kernnetz definieren, Kompetenzen aufteilen Eine Bundesverkehrswegeplanung muss sich im Sinne einer bedarfsgerechten Daseinsvorsorge an Bevölkerungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen ausrichten. Im vordringlichen Bedarf des BVWP 2003 sind 871 Investitionsvorhaben aufgelistet: 800 Straßen-, 47 Schienen- und 24 Wasserstraßenprojekte. Darunter befinden sich alleine 717 Ortsumgehungen. Angesichts der großen Zahl von Projekten mit eher regionaler Bedeutung wird deutlich, dass im neuen BVWP eine Abgrenzung der Verkehrswege entsprechend ihrer fern- oder nahräumlichen Erschließungsfunktion dringend notwendig ist. In einem Kernnetz müssen künftig die Verkehrswege zusammengefasst werden, die überwiegend eine überregionale Bedeutung haben. Über diese Magistralen wird auf Bundesebene entschieden, auch Planung und Realisierung erfolgen länderübergreifend. Diese Hauptachsen können eindeutig anhand der Verflechtungsmatrix der Verkehrsprognose identifiziert werden. Auf der Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 28 INFRASTRUKTUR BVWP anderen Seite muss den Bundesländern bei den eher regionalen Verkehrswegen mehr Eigenverantwortung zugestanden werden. Ähnlich wie bei der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs könnten zweckgebundene Mittel an die Länder im Rahmen einer Länderquote übermittelt werden. Die Projektauswahl, Realisierung und Kofinanzierung würde regional erfolgen. Die Länderquote müsste dann um den Betrag gekürzt werden, der für die Ausgestaltung des Kernnetzes als notwendig erachtet wird. Diese Neuausrichtung des BVWP ist notwendig, damit nicht - wie bei der immer weiter zunehmenden Prioritätenliste der Transeuropäischen Netze - politisch motivierte Altlasten immer weitergetragen werden. Die Klassifizierung von Teilnetzen und Projekten erfordert allerdings den politischen Mut zur Abstufung und Zurückstellung bereits beschlossener Maßnahmen, die den neu getrofenen Anforderungen nicht gerecht werden. Nur ein solchermaßen klar gegliederter BVWP erlaubt in der Umsetzung die Hebung von Eizienzvorteilen durch eine länderübergreifende Planung, Realisierung und durchgehende Finanzierung des Kernnetzes. Gleichzeitig erhalten die Bundesländer mehr Gestaltungsspielraum bei der regionalen Verkehrserschließung. Ebenso wird die Priorisierung von Projekten entsprechend ihrer verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Bedeutung erleichtert. Und bei allem Pragmatismus erlaubt auch solch ein Modell ein strategisches, verkehrsplanerisches Leitbild, das den Netzgedanken und die ausgewogene Einbeziehung der einzelnen Verkehrsträger mitbestimmt. Kriterien entwickeln, Investitionen priorisieren Angesichts des aufgelaufenen Umsetzungsdefizits ist eine kurzfristige Lösung der Unterfinanzierung der Bundesverkehrswegeplanung nicht in Sicht. Daher müssen für die Abarbeitung der laufenden Bedarfspläne und die Entwicklung der neuen Projektlisten stringente Kriterien entwickelt werden, nach denen eine Priorisierung vorgenommen werden kann. Die Zahl der umzusetzenden Projekte muss in einem realistischen Verhältnis zum vorhandenen Budget stehen und flexibel der mittelfristigen Finanzplanung angepasst werden können. Über die Priorisierung im oben genannten Kernnetz wird auf Bundesebene nach objektiven Bewertungskritierien ohne Ansatz von Länderquoten entschieden. Bei Projekten außerhalb des Kernnetzes ist die regionale Entscheidungskompetenz der Länder dann entsprechend zu stärken. Entscheidend sind transparente und stringente Kriterien zur Abgrenzung und Priorisierung der Projekte innerhalb der einzelnen Verkehrsträger. Neben dem Nutzen-Kosten- Verhältnis muss bei der Bewertung das Kriterium der Verkehrsqualität mit herangezogen werden, d. h. die Größenordnung, in der eine Maßnahme die Verspätungssituation verbessert, Staustunden reduziert und die Zuverlässigkeit des Gesamtnetzes erhöht. Die Diferenzierung in ein Kernnetz mit Magistralen und eher regionalen Verkehrswegen ist ein weiteres Kriterium, um die knappen Ressourcen bedarfsgerecht zu steuern. Solchermaßen sind die Projekte des BVWP von Beginn an mit klaren Kriterien zur Priorisierung hinterlegt und können in eine objektive Rangfolge gebracht werden. Neue Projekte in den Investitionsplänen können dann auf die jeweilige Kassenlage der Öfentlichen Hand und die mittelfristigen finanziellen Perspektiven abgestimmt werden. Gleichzeitig wird durch die Sortierung der Projekte nach ihrer Wirkung auf Gesamtnetz und Verkehrsqualität transparent, wie Mehrausgaben verwendet werden können und welchen Nutzen sie stiften. Die Neuordnung des BVWP muss jedoch - neben einer Anhebung des Haushaltsansatzes für Verkehrsinfrastruktur - durch eine Reform der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung begleitet werden. Wesentliche Maßnahmen umfassen u. a. ฀ die überjährige Bindung von Mitteln für Erhaltungsmaßnahmen bei Straßen und Wasserstraßen analog zur LuFV-Schiene, ฀ die stufenweise Schafung budgetunabhängiger, geschlossener Finanzierungskreisläufe für die Verkehrsinfrastruktur, ฀ die haushalterische Abgrenzung von zusätzlichen Investitionspflichten außerhalb des BVWP, um mehr Transparenz hinsichtlich der Abfinanzierung des BVWP zu erreichen, ฀ ein obligatorischer, standardisierter Vergleich von ÖPP und herkömmlicher Beschafungsform bei neuen Projekten, ฀ die Erweiterung des Handlungsspielraums der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft. Zu beachten ist stets, dass der Bundesverkehrswegeplan bisher nur ein Investitionsrahmenplan und Planungsinstrument der deutschen Bundesregierung ist, jedoch kein Finanzierungsplan oder Investitionsprogramm. Um ihn zu einer soliden Grundlage für strategische, flexible Investitionsprogramme im 21. Jahrhundert umzugestalten, genügt eine einfache Fortschreibung des BVWP nicht - es bedarf einer grundlegenden Reform. Dies ist eine Aufgabe, an der Bundesregierung, Bundesländer und Verwaltung jetzt gemeinsam arbeiten müssen. Sarah Stark, Dipl.-Ing. Referentin Europaangelegenheiten, wissenschaftliche Projekte Deutsches Verkehrsforum e.V. stark@verkehrsforum.de Florian Eck, Dr. Stellvertretender Geschäftsführer Deutsches Verkehrsforum e.V. Lehrbeauftragter „Vernetzung der Verkehrsträger“, TU Berlin eck@verkehrsforum.de LITERATUR Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.) (2003): Bundesverkehrswegeplan 2003 - Grundlagen für die Zukunft der Mobilität in Deutschland, Berlin Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2010): Bundeshaushalt 2010 und Finanzplanung bis 2013, Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.) (2009): Verkehr in Zahlen 2009/ 2010, Hamburg Statistisches Bundesamt (2010): Preisindizes für die Bauwirtschaft, Fachreihe 17, Reihe 4, 3. Vierteljahresausgabe vom 06.10.2010, Wiesbaden Koalition CDU, CSU und FDP (26.10.2009): Wachstum, Bildung, Zusammenhalt - Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, Berlin ɷ