eJournals Internationales Verkehrswesen 63/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0008
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2011
631

Zug um Zug nach vorn

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2011
Maria Leenen
Niklas Schüller
Die Wachstumsmotoren der weltweiten Eisenbahnmärkte sind China und Indien. Kennzeichen: stark steigende Nachfrage durch Wirtschaftswachstum und demografische Entwicklung, gleichzeitig massiver Ausbau des Angebots in Form von neuen Hochgeschwindigkeitstrassen, Stadtverkehrssystemen, aber auch Strecken für den Regional- und Güterverkehr.
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Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 29 INFRASTRUKTUR Emerging Markets Zug um Zug nach vorn Die Wachstumsmotoren der weltweiten Eisenbahnmärkte sind China und Indien. Kennzeichen: stark steigende Nachfrage durch Wirtschaftswachstum und demografische Entwicklung, gleichzeitig massiver Ausbau des Angebots in Form von neuen Hochgeschwindigkeitstrassen, Stadtverkehrssystemen, aber auch Strecken für den Regional- und Güterverkehr. D ie weltweiten Schienenverkehrsmärkte sind im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise teilweise massiv eingebrochen. Diese in Vehemenz und regionaler Ausdehnung extreme Rezession hat viele Märkte so stark erschüttert, dass auch eine Neubewertung langfristiger Prognosen nötig geworden ist. SCI Verkehr hat vor diesem Hintergrund bereits im Sommer 2010 eine Aktualisierung der Studie „Weltweite Schienenverkehrsmärkte 2009-2019“ aus dem Winter 2009 herausgegeben. Die neue Studie „Schienenverkehrsmärkte - weltweite Entwicklungen 2010-2020“ hat sich einer Neubewertung der kurzbis langfristigen Prognosen gewidmet und, basierend auf den neuesten Marktentwicklungen und Wirtschaftsausblicken, eine Reevaluierung der Entwicklung der weltweiten Schienenverkehrsmärkte, diferenziert nach Eisenbahnpersonenverkehr, Stadtverkehr auf Schienen und Güterverkehr, vorgenommen. Auf vielen Märkten ließ sich bereits Ende 2009 eine Besserung erkennen, wobei der Abwärtstrend bei den Verkehrsleistungen in vielen Ländern gestoppt werden konnte, andere Länder haben sogar bereits wieder einen Wachstumskurs eingeschlagen. Unter der Voraussetzung, dass die noch fragile Weltwirtschaft keinen erneuten Einbruch erleben wird, werden sich die Verkehrsmärkte weiter erholen und bereits in den kommenden Jahren neue Höchststände erreichen. Obwohl aktuell globale Protektionismustendenzen, Geldentwertungen, die zu einem Währungskrieg führen können, und die drohende Zahlungsunfähigkeit von Nationalstaaten noch ernsthafte Bedrohungen für die wirtschaftliche Entwicklung in der nahen Zukunft darstellen, geht SCI Verkehr bei seinen aktuellen Prognosen nicht davon aus, dass die Weltwirtschaft zurück in eine Rezession rutschen wird. Eine erneute Weltwirtschaftskrise würde die Prognose, quantitativ nicht abschätzbar, negativ beeinflussen. Neben dem generellen positiven Einfluss aus verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird jede Verkehrsart von individuellen Treibern positiv beeinflusst. Schienenverkehr in China auf dem Wachstumskurs Foto: China HSR pics Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 30 Der konventionelle Eisenbahnpersonenverkehr profitiert insbesondere vom Neubau von Strecken des Hochgeschwindigkeitsverkehrs (HGV), vor allem in China. Der Stadtverkehr auf Schienen erlebt einen weiteren Aufschwung durch den Neu- und Ausbau von Metrosystemen weltweit. Die Aussichten für den Schienengüterverkehr werden kurz- und langfristig weiter durch die Ausweitung des Welthandels und eine Fortsetzung des Rohstobooms begünstigt. Der Schienengüterverkehr hat sich deutlich besser entwickelt, als noch vielfach zu Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise erwartet. Ausschlaggebend hierfür waren Rohstoftransporte, die in den großen Leitmärkten China, Indien, Australien und Südafrika die Schienengüterverkehrsleistung weiter, wenn auch gebremst, haben wachsen lassen. Gleichzeitig fiel hierdurch der Einbruch in Märkten wie Russland oder Brasilien deutlich geringer aus, als es die weltwirtschaftliche Entwicklung hätte erwarten lassen. Obwohl sich andere wichtige Schienengüterverkehrsmärkte, wie Deutschland und Polen, die im Zuge der Krise hohe Transporteinbußen hinnehmen mussten, bereits 2010 wieder stark erholt haben, weisen die weltweiten Märkte auch zu Beginn 2011 noch hohe Nachholefekte auf, sodass die mittelbis langfristige Prognose für den Schienengüterverkehr deutlich positiv ausfällt. Untersuchungsmodell Zur Evaluierung der zukünftigen Entwicklung der einzelnen Schienenverkehrsmärkte hat SCI Verkehr ein Treibermodell, basierend auf quantitativen und skalierten Parametern, entwickelt und implementiert, das sehr zuverlässige Vorhersagen erlaubt, solange sich die Einflussparameter nicht unerwartet verändern. Jeder Treiber besitzt eine Kenngröße und eine regionsabhängige Relevanz, mit der der Treiber in die Berechnung einfließt. Die Treiber sind Entwicklung BIP pro Kopf, demografische Struktur und Entwicklung, Urbanisierung und Siedlungsstruktur, Umfang und Qualität der Schieneninfrastruktur, intramodaler Wettbewerb und intermodale Wettbewerbsposition. Eisenbahnpersonenverkehr Nach einem verhaltenen Auftakt in den Jahren 2000 bis 2003 verzeichnete der Eisenbahnpersonenverkehr bis 2008 einen steilen Anstieg, bevor er 2009 aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit nur noch 1,1 % wuchs. Entgegen den Entwicklungen im Schienengüterverkehr und im Stadtverkehr auf Schienen ist die weltweite Verkehrsleistung im Eisenbahnpersonenverkehr damit aber selbst im Jahr 2009 weiter gewachsen. Im Jahr 2010 wurden rund 3,0 Billionen Personenkilometer (Pkm) im Eisenbahnpersonenverkehr erbracht und damit 4,0 % mehr als 2009. Angetrieben durch weltweite Megatrends wie Bevölkerungswachstum, Urbanisierung sowie den Klimaschutz und die Überlastung des Verkehrsträgers Straße wird die Verkehrsleistung im Eisenbahnpersonenverkehr im Jahre 2015 voraussichtlich noch einmal um 33 % höher liegen als 2010. Für das Jahr 2020 erwartet SCI Verkehr eine Verkehrsleistung von 4,8 Bil. Pkm und damit ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4,8 % im Zeitraum 2010 bis 2020. Einen steigenden Anteil an der Verkehrsleistung wird der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) haben, der insbesondere durch Infrastrukturprojekte im HGV deutliche Wachstumsimpulse erfährt. Westeuropa profitiert beispielsweise von neuen Strecken in Spanien, Italien und Frankreich. Allein in China sollen nach den aktuellen Plänen bis 2012 rund 13 000 km Hochgeschwindigkeitstrasse exklusiv für den Personenverkehr (Passenger Dedicated Lines) fertiggestellt sein. Stadtverkehr auf Schienen Der Stadtverkehr auf Schienen wuchs im Zeitraum 2000 bis 2010 nur moderat und weist im Gesamtbild eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 0,7 % auf. Diese geringe Wachstumsrate ergibt sich aus einer rückläufigen Verkehrsleistung in der Weltmarktregion GUS, die mit 83 Mrd. Pkm im Jahr 2000 noch auf dem ersten Platz lag und mittlerweile nur noch rund 62 Mrd. Pkm erbringt. Auf der anderen Seite trugen deutliche Nachfragesteigerungen in Nordamerika, Asien und Westeuropa zum Wachstum bei. Da der Stadtverkehr auf Schienen, ähnlich dem Eisenbahnpersonenverkehr, kurzfristig relativ unelastisch auf die wirtschaftliche Entwicklung reagiert, ist auch im Jahr 2009 die erbrachte Verkehrsleistung lediglich um 1,1 % von rund 289 Mrd. Pkm auf etwa 285 Mrd. Pkm gefallen. Da vor allem die noch immer wachsenden Megastädte in China und Indien neue Metrosysteme oder zusätzliche Linien planen, wird die weltweite Verkehrsleistung im Stadtverkehr auf Schienen in den Jahren bis 2020 um nahezu 50 % wachsen. Aktuelle Schwierigkeiten bei der Suche nach Investoren verzögern allerdings den Bau von Verkehrssystemen, vor allem in Indien. Schienengüterverkehr Das rasante Wachstum des weltweiten Schienengüterverkehrs in den Jahren seit der Jahrtausendwende hat 2009 mit einem Einbruch um ca. 8,4 % einen herben Rückschlag erlitten. Bereits 2010 hat der Schienengüterverkehr seinen nachhaltigen Wachstumspfad von vor der Krise jedoch wieder eingeschlagen und liegt prozentual nur noch geringfügig unter dem Spitzenwert von 2008. Das weltweite Transportvolumen von 2008 wird nach Einschätzung von SCI Verkehr daher bereits im Jahr 2011 erreicht werden und insgesamt weiter sehr dynamisch wachsen. Auf dem reifen europäischen Markt wird es jedoch voraussichtlich bis zum Jahr 2013 dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht werden kann. Aufgrund des entwickelten Ausbaus der Schienenverkehre sowie des geringen Anteils beförderter Rohstofe erholt sich hier die Transportnachfrage erfahrungsgemäß etwas langsamer. Auch in Deutschland musste der Schienengüterverkehr im Jahr 2009 infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise deutliche Einbußen hinnehmen. Die Verkehrsleis- Abb. 1: Entwicklung der Verkehrsleistungen im weltweiten Schienenverkehr 2000−2020 Quelle: MultiClient-Studie Schienenverkehrsmärkte 2010-2020; SCI Verkehr GmbH, 2010 INFRASTRUKTUR Emerging Markets Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 31 tung ging im Jahresvergleich um 17,1 % von 115,7 Mrd. tkm im Jahr 2008 auf 95,8 Mrd. tkm im Jahr 2009 zurück. In den ersten drei Quartalen 2010 ist die Transportleistung wieder um 14,2% gewachsen und liegt mit 79,7 Mrd. tkm nur um 9,3 Mrd. tkm unter dem bisherigen Höchststand der ersten drei Quartale 2008. Vor dem Hintergrund der starken Abhängigkeit der Gütertransportnachfrage vom jeweiligen Konjunkturzyklus ist die weltweite Entwicklung der Schienengüterverkehrsleistung in der Krise und den nun folgenden Jahren positiv zu betrachten. Vor allem wichtige Märkte wie Australien, Brasilien, Russland oder Südafrika sind deutlich geringer eingebrochen als Anfang 2009 erwartet oder konnten ihre Verkehrsleistung sogar noch steigern. Gleichzeitig deuten die bisher beobachteten Entwicklungen auf eine schnelle Erholung hin, wobei gerade Russland als weltweit drittgrößter Markt bereits 2010 wieder die Verkehrsleistung aus dem Jahr 2008 erreicht hat. China hat seine hohen Wachstumsraten auch in der Wirtschaftskrise fortgesetzt. Während 2010 eindeutig auch Auholefekte eine Rolle gespielt haben, die sich auch 2011 noch fortsetzen werden, hat der Wachstumstrend dennoch eine Niveauverschiebung erfahren und wird den Prognosen von vor der Krise auch langfristig hinterherhinken. Weltweit wird die Wachstumsrate, 2010 und 2011 noch geprägt von den Auholefekten, im Jahr 2012 wieder auf das Vorkrisenniveau von etwa 5 % zurückgehen und sich danach weiter leicht verringern. Im Durchschnitt ist von einem Wachstum von jährlich rund 5 % im Zeitraum bis 2015 auszugehen. Neben der verbesserten gesamtwirtschaftlichen Situation wird das Wachstum dabei insbesondere durch eine Belebung der Stahlindustrie getragen. China, die USA und Russland erbringen heute 73 % der weltweiten Verkehrsleistung und werden ihren Marktanteil bis 2020 leicht ausbauen können. Unter den Top-Five-Märkten wird neben China insbesondere Indien seine Verkehrsleistung steigern können und bis zum Jahr 2020 um insgesamt 70 % wachsen. Aufstrebende Märkte Weltweit finden politische und wirtschaftliche Machtverschiebungen statt. Schwergewichte wie die USA, Frankreich und Deutschland müssen ihren weltpolitischen Einfluss zunehmend mit aufstrebenden Nationen wie China, Indien, Brasilien oder Russland teilen. Diese vier Länder haben ein weitgehend konstant hohes Wirtschaftswachstum, ein großes Staatsgebiet, eine große, wachsende Bevölkerung und gigantische urbane Zentren gemeinsam. All diese Faktoren begünstigen die Entwicklung von modernen und eizienten Schienenverkehrssystemen. Während einzelne regionale Segmente des Schienenverkehrs in den aufstrebenden Märkten phänomenale Wachstumsraten aufweisen, wie der Stadtverkehr auf Schienen in Indien mit durchschnittlich fast 20 % in den nächsten fünf Jahren, können die verschiedenen Schienenverkehrsarten in Russland „nur“ ein Wachstum zwischen 2 und 4 % erreichen. Brasilien erreicht im Schienenpersonenverkehr Wachstumsraten von durchschnittlich 10 % pro Jahr und kann damit im konventionellen Schienenpersonenverkehr mit China und Indien mithalten. Die beiden asiatischen Giganten spielen insgesamt, sowohl was das relative Wachstum, aber auch das absolute Wachstum auf der Schiene angeht, in einer eigenen Liga. China Eisenbahnpersonenverkehr China hat sich im Eisenbahnpersonenverkehr in den vergangenen Jahren explosionsartig entwickelt und wird dieses Wachstumstempo voraussichtlich noch steigern. Das größte Wachstumspotenzial liegt in den steigenden Reiseweiten sowie dem Ausbau des Fernverkehrs. Hochgeschwindigkeitsverkehre, die auf sogenannten „Passenger Dedicated Lines (PDL)“ gefahren werden, sind das herausragende Wachstumssegment im Personenverkehr. Insgesamt will China in den kommenden zehn Jahren sein PDL-Netz auf 16 000 km ausbauen. Die Nachfrage im Inlandsflugverkehr ist auf Relationen, auf denen der HGV Abb. 2: Die fünf größten Märkte im Schienengüterverkehr 2010 und 2020 [in Mrd. tkm] Quelle: MultiClient-Studie Schienenverkehrsmärkte 2010-2020; SCI Verkehr GmbH, 2010 Abb. 3: Entwicklung der Verkehrsleistung im Eisenbahnpersonenverkehr in China 2000−2020 Quelle: MultiClient-Studie Schienenverkehrsmärkte 2010-2020; SCI Verkehr GmbH, 2010 Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 32 INFRASTRUKTUR Emerging Markets in den Wettbewerb zum Flugzeug getreten ist, teilweise um bis zu 50 % eingebrochen. Zwischen 2010 und 2020 wird sich die Verkehrsleistung im konventionellen Eisenbahnverkehr etwa verdoppeln, wobei das Wachstum überwiegend durch die HGV- Strecken generiert wird. Die aktuellen Nutzungszahlen für die Hochgeschwindigkeitsstrecken liegen unter den Erwartungen, wobei allerdings zu beachten ist, dass sich das Netz trotz seiner Größe immer noch in der Einführungsphase befindet. Die zukünftige Nutzung und Auslastung der Hochgeschwindigkeitslinien wird vor allen Dingen durch die Preisgestaltung der Chinesischen Eisenbahn bestimmt werden, aktuell sind die Preise für große Teile der Bevölkerung nicht erschwinglich. Daher ist die Entwicklung der Verkehrsleistung mit einiger Unsicherheit belegt. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Preisgestaltung stärker an den potenziellen Nachfragern orientieren wird. In China sind die wenigen im Personenverkehr tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen fast ausschließlich im Staatsbesitz. Eine Marktöfnung hat bislang weder begonnen noch ist sie in den kommenden Jahren zu erwarten. Stadtverkehr auf Schienen Mit einer Verkehrsleistung von rund 17,2 Mrd. Pkm hat der Stadtverkehr auf Schienen im Moment noch eine untergeordnete Bedeutung. Die meisten Metropolen Chinas verfügen über kein eizientes ÖPNV-System. Die im Moment noch geringe Verkehrsleistung wird jedoch durch eine Vielzahl von Infrastrukturprojekten, insbesondere im Metrobereich, sehr stark wachsen. Getrieben wird die Nachfrage dabei auch von einer stark wachsenden Bevölkerung und einem anhaltenden Trend zur Urbanisierung. Voraussichtlich wird China in den kommenden zehn Jahren fast 2 000 km neue Metrostrecken in Betrieb nehmen. Schienengüterverkehr Charakteristisch für Chinas Verkehrsinfrastruktur sind die vergleichsweise großen Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, um Städte in großen Teilen des Landes zu erschließen. Analog zur Industrie konzentriert sich das Streckennetz der Schiene auf die Ostküste. Mit dem anhaltenden Aufbau der Wirtschaft im Landesinneren kommen neue Verkehre hinzu. Die Krise hatte eine dämpfende Wirkung auf die Nachfrage, wird das Wachstum der Verkehrsleistung jedoch nicht nachhaltig schwächen. Der Schienengüterverkehr verzeichnete hohe Wachstumsraten in den vergangenen Jahren. Der Güterverkehr besteht zum größten Teil aus Kohletransporten, dahinter rangieren Stahl, Erz und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Im Containerverkehr spielt die Schiene nur eine untergeordnete Rolle. Im Hinterlandverkehr liegt ihr Anteil unter 10 %. Neben dem Lkw nimmt hier das Binnenschif eine dominierende Funktion ein. Die Konzentration der chinesischen Industrie an der Ostküste führt dazu, dass rund 90 % der Versender und Empfänger von Containern hier angesiedelt sind. Die damit verbundenen relativ kurzen Transportwege begünstigen den Lkw. SCI Verkehr rechnet mittelfristig mit einer steigenden Bedeutung privater Betreiber in China. Mehrere Unternehmen haben sich bereits zusammengetan, um in eine 486 km lange Eisenbahnstrecke für Kohletransporte zwischen der Inneren Mongolei und der Provinz Liaoning zu investieren. Die Gesamtinvestitionssumme wird auf ca. 740 Mio. EUR bezifert. Indien Eisenbahnpersonenverkehr Die Eisenbahn spielt in Indien als öfentliches Personenbeförderungsmittel traditionell eine bedeutende Rolle. Das Wachstum der Verkehrsleistung wurde und wird durch die Infrastruktur begrenzt. Umfangreiche Investitionen und eine teilweise Trennung von Güter- und Personenverkehr in der Zukunft werden hier einen positiven Einfluss auf die Verkehrsleistung haben. Indien denkt zudem darüber nach, in den HGV zu investieren. Damit könnte die Schiene stärker am wachsenden Markt der Geschäftsreisen partizipieren. Eine Eröfnung von HGV-Strecken vor 2015 ist jedoch unwahrscheinlich. Der Eisenbahnpersonenverkehr wird ausschließlich durch Indian Railways erbracht. Mit zusätzlichen Nachfrageimpulsen durch Wettbewerb ist in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. Stadtverkehr auf Schienen Die Verkehrssituation in den indischen Ballungsgebieten hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Durch den ungeregelten Zuzug aus den ländlichen Regionen und die steigenden Haushaltseinkommen wächst der Bedarf an innerstädtischen Transportmöglichkeiten. Die Großstädte waren bislang nicht in der Lage, mit integrierten Konzepten adäquat auf diese Herausforderungen zu reagieren. Die Verkehrssituation in den Agglomerationen dürfte sich deswegen in den kommenden Jahren weiter verschlechtern, wenngleich mehrere Großstädte den Bau von Metrolinien, Schnellbahnen und LRT-Systemen angekündigt haben. Die Verkehrsleistung im Stadtverkehr auf Schienen liegt in Indien bei ca. 1 bis 2 Mrd. Pkm, wird jedoch in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich steigen. Bereits im Jahr 2010 hat die Verkehrsleistung einen extremen Sprung gemacht, dieser liegt vor allem in der Eröfnung von neuen Linien und der Verlängerung bestehender Linien der Metro Delhi im Jahr 2010 und Ende des Jahres 2009 begründet. Auch zukünftig ist der Ausbau des Metronetzes der entscheidende Treiber für die positive Entwicklung der Verkehrsleistung im Stadtverkehr auf Schienen. Die positiven Erfahrungen bei der Metro Delhi hinsichtlich der eizienten Projektabwicklung und des hohen Kundenzuspruchs dienen als Push-Faktor und erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Folgeprojekte in weiteren Metropolen. Konkrete Planungen gibt es beispielsweise für Bangalore, Mumbai, Hyderabad und Chennai. Abb. 4: Entwicklung der Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr in Indien 2000-2020 Quelle: MultiClient-Studie Schienenverkehrsmärkte 2010-2020; SCI Verkehr GmbH, 2010 Während kurzfristig leichte Schwankungen bei der Nutzungsrate und Auslastung der bestehenden oder neu zu eröfnenden Strecken zu kleinen Unsicherheiten bei der Voraussage der künftigen Verkehrsleistung führen, erweitert sich der Unsicherheitskorridor langfristig, da über einen längeren Zeitraum die Fertigstellung im Bau befindlicher Strecken und der Baubeginn an neuen Linien nicht absehbar ist, vor allem vor dem Hintergrund nicht gesicherter Finanzierungen. Aber auch in einer pessimistischen Betrachtung sind die künftigen Wachstumsraten noch beachtlich. Schienengüterverkehr Der indische Schienengüterverkehr wird sich aufgrund der Weltwirtschaftskrise zwar langsamer, aber immer noch mit überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten, und sehr konstant, entwickeln. Neben umfangreichen Rohstoftransporten ist auch der Schienencontainertransport von Bedeutung. Das Wachstum der Verkehrsleistungen wurde und wird durch die Infrastruktur begrenzt. Eine Verkehrssteigerung wird hauptsächlich durch den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur erzielt. Zahlreiche Kapazitätserweiterungsprojekte werden zum Wachstum beitragen. Die wichtigste Veränderung im indischen Güterverkehr ist der Bau der sogenannten „Dedicated Freight Corridors“. Kohle ist mit einem Anteil von 42 % an der Verkehrsleistung das wichtigste Transportgut, gefolgt von Erzen mit 9 %. Größter Anbieter von Schienenverkehrsleistungen in Indien ist die indische Staatsbahn Indian Railways (IR), ein vertikal integrierter Dienstleistungsanbieter in Staatseigentum. Hinzukommen zum Teil private Hafen- oder Industriebahnen, die häufig als Public Private Partnerships betrieben werden. Von derzeit 14 privaten Betreibern, die eine Lizenz besitzen, sind aber nur elf auch tatsächlich aktiv. Konklusion Über alle Regionen und Segmente bleibt der Schienenverkehr in den kommenden 20 Jahren ein Wachstumsmarkt mit stabil steigendem Volumen. Während jedoch die etablierten Märkte in Europa, Nordamerika und Japan nur noch moderat wachsen werden, machen die aufstrebenden Nationen in allen Verkehrsbereichen Boden auf den klassischen Eisenbahnmärkten gut, wobei China aufgrund seiner schieren Größe schon heute der absolut bedeu- Niklas Schüller SCI Verkehr GmbH n.schueller@sci.de Maria Leenen Geschäftsführende Gesellschafterin SCI Verkehr GmbH m.leenen@sci.de tendste Schienengüterverkehrsmarkt ist. Insbesondere China und Indien bauen ihre Infrastruktur und ihre Flotten in beachtlichem Tempo aus. Während Indien deutlich seinen Ausbau-Fokus auf den Stadtverkehr auf Schienen legt, ist China breiter über alle Segmente aktiv, wenn auch eine sehr starke Ausrichtung auf Hochgeschwindigkeitsprojekte festzustellen ist. Es bleibt spannend abzuwarten, wie der Schienenverkehrsausbau in den aufstrebenden Märkten weitergehen wird. Aber eines ist sicher: er wird weitergehen. ɷ