Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0012
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Konzeptpapier ohne Konzept
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Christian Dahm
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Internationales Verkehrswesen (63) 1 | 2011 41 Konzeptpapier ohne Konzept F ast ein Jahr ist EU-Verkehrskommissar Siim Kallas nun im Amt. Eine Analyse, ob der Este die Erwartungen erfüllt hat oder nicht, käme jedoch zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Zumindest muss aber festgestellt werden, dass Kallas hinter seiner eigenen Erwartung zurückgeblieben ist. Eigentlich sollte spätestens bis Ende 2010 das neue Weißbuch zur EU-Verkehrspolitik 2020 vorliegen. Angesichts der langwierigen Entscheidungsprozesse zwischen EU-Ministerrat und Europäischem Parlament sowie der mit fünf Jahren sehr kurz bemessenen Amtszeit eines Kommissars sind die neuerlichen Verzögerungen wahrlich kein gutes Omen. Hier geht unnötig Zeit verloren. Vor allem vor dem Hintergrund, dass bereits seit August 2010 ein erster Entwurf − als Testballon sozusagen − kursiert. Doch seitdem - nichts! Kein Wunder, dass nicht nur die Mitglieder des EP-Verkehrsausschusses ungeduldig werden. Um zumindest diese zu beruhigen, hat Kallas ein „Konzeptpapier“ verfasst, wie er es selbst nennt. Alte Hüte Darin erläutert er die großen Leitlinien der europäischen Verkehrspolitik von morgen. Doch ist das acht Seiten starke Dokument nicht mehr als eine Auflistung einzelner Maßnahmen, von denen die meisten nicht gerade neu sind. So ist seit langem bekannt, dass Kallas im Straßengüterverkehr gern die Kabotagebeschränkungen endgültig auheben will. Und dass die Kommission die Nutzung alternativer Treibstofe fördern will, dürfte einige freuen, jedoch niemanden vom Hocker reißen. Genauso wenig dürften die europäischen Seehäfen verwundert sein, dass eine neue Initiative zur Öfnung der Hafendienste nicht ausgeschlossen wird. Im Schienenverkehr steht die Vollendung der Marktliberalisierung im Mittelpunkt. Zur Förderung der Binnen- und Seeschiffahrt soll der EU-Aktionsplan Naiades verlängert, beziehungsweise die Meldeformalitäten von Schifen sollen erleichtert werden. Im Luftverkehr gelte es, den einheitlichen Luftraum schnellstmöglich umzusetzen. Neugier weckt Kallas zumindest mit seiner Ankündigung, dass die Kommission künftig die Vermeidung von Verkehren ins Visier nehmen will. Als Maßnahmen werden die Einrichtung von sogenannten Paketstationen sowie von Güterverkehrszentren an Stadträndern genannt. Auch will Kallas seinen Amtskollegen Algirdas Semeta in die Pflicht nehmen, die Steuerpolitik mit Blickpunkt auf die Vermeidung von CO 2 -Emissionen auszurichten, beispielsweise über Anreize zum Kauf umweltfreundlicher Fahrzeuge. Nicht zum ersten Mal taucht die Idee auf, dass in dem angestrebten integrierten europäischen Transportsystem der Gütertransport ab 300 km hauptsächlich auf der Schiene oder mit Schifen abgewickelt werden soll. Was fehlt, sind jedoch jegliche Andeutungen, welche Voraussetzungen, geschweige denn Investitionen notwendig sind, um dieses Ziel zu verwirklichen. Wenn im Weißbuch auf diese Fragen schlüssige Antworten gegeben werden, könnte sich das Warten gelohnt haben. Doch solange dies nicht der Fall ist, hat Kallas nicht mehr zu bieten als ein Konzeptpapier ohne Konzept. Ofene Fragen Bleibt der Blick in den Weißbuch-Entwurf: So hat die Kommission ofenbar die Absicht, bis 2020 alle EU-Mitgliedstaaten zu verpflichten, Mautgebühren für den schweren Lkw-Verkehr zumindest auf den Hauptverkehrsachsen zu erheben. Langfristig sollen auch Transporter zur Kasse gebeten werden. Langzeitziel ist es, allen gewerblich genutzten Fahrzeugen die Kosten für Infrastruktur, Staus, Lärm und Luftverschmutzung auf dem Straßennetz der EU anzulasten. Die Begründung: Die Anlastung externer Kosten könne nur efektiv sein, wenn dies auch für Transporter und Pkw gelte. Deshalb will die Kommission die Staaten ermutigen, auch Pkw einzubeziehen. Ein Schwerpunkt der EU-Verkehrspolitik 2020 wird in dem verbesserten Zugang zu den Transportmärkten gesehen. Zu den ins Auge gefassten Maßnahmen gehört im Straßengüterverkehr die vollständige Freigabe der Kabotage, wie Kallas dies in seinem Konzeptpapier bestätigt hat. Im Schienengüterverkehr wird insbesondere die strikte Trennung von Netz und Betrieb als Ziel genannt. Zudem soll ein EU-Netzwerk der nationalen Regulierungsbehörden eingerichtet und die Koordination unter den Schieneninfrastrukturbetreibern verbessert werden. In der Hafenpolitik plant die EU-Kommission, die Transparenz von öfentlichen Zuwendungen zu verbessern. So soll die Richtlinie 2006/ 111 auch auf Häfen mit einem jährlichen Umsatz von unter 40 Mio. EUR ausgeweitet werden. Zudem wird ein drittes Port Package zur Öfnung der Hafendienstleistungen nicht ausgeschlossen. Ein weiterer Pfeiler der EU-Verkehrspolitik soll der Abbau administrativer und technischer Hindernisse sein. Für den Straßengüterverkehr ist eine Harmonisierung von Verstößen und deren Ahndung angedacht. Im Seeverkehr wird weiter an einfacheren Melde- und Zollformalitäten gearbeitet. Im Luftverkehr plant die Kommission ein kommerzielles Slot-Vergabesystem. Im Schienenverkehr soll die Zulassung von Rollmaterial erleichtert werden. Ziel sind einheitliche Zulassungsprozeduren, so dass am Ende eines Verfahrens in einem Mitgliedstaat ein EU-weit gültiges Sicherheitszertifikat steht. Bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Maßnahmen tatsächlich im Weißbuch wiederfinden, dessen Veröfentlichung für Februar 2011 angekündigt wurde. Weitere Verzögerungen können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Christian Dahm EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung in Brüssel B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON CHRISTIAN DAHM
