eJournals Internationales Verkehrswesen 63/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0028
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2011
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Nachhaltige Mobilität gemeinsam gestalten

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2011
Klaus Bonhoff
Die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die notwendige Verminderung der klimaschädigenden CO2-Emissionen erfordern ein gemeinschaftliches Handeln von Politik, Industrie und Wissenschaft. Nur vereint können die drei Akteure ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht werden.
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POLITIK Umwelt Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 16 Nachhaltige Mobilität gemeinsam gestalten Die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die notwendige Verminderung der klimaschädigenden CO 2 -Emissionen erfordern ein gemeinschaftliches Handeln von Politik, Industrie und Wissenschaft. Nur vereint können die drei Akteure ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht werden. D ie NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstof- und Brennstofzellentechnologie hat die Rolle des Koordinators der Aktivitäten von Politik, Industrie und Wissenschaft übernommen. Sie verknüpft die strategische Initiative der Bundesregierung für nachhaltige, möglichst in der gesamten Energiekette emissionsfreie Mobilität mit Brennstofzelle und Batterie mit den zahlreichen Projekten von Industrie und Wissenschaft, die Technologie in einen kommerziellen Markt zu führen. Gemeinsame Plattform aller Akteure Ohne Unterstützung der öfentlichen Hand wird es der Industrie nicht gelingen, die Schlüsseltechnologien für künftige und zukunftsfähige Mobilität zur Marktreife zu bringen. Der Bund hat darum zwei umfangreiche Programme aufgelegt: Zum einen das Nationale Innovationsprogramm für Wasserstof- und Brennstofzellentechnologie - kurz NIP als gemeinsames Programm von BMBF, BMU, BMWi und BMVBS; und zum anderen das Programm Modellregionen Elektromobilität des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Beide Programme haben das Ziel, die Marktvorbereitung der Technologien zu beschleunigen. Zu diesem Zweck stehen im NIP 1,4 Mrd. EUR bis 2016 für Forschung und Entwicklung und Demonstrationsprojekte im Bereich Wasserstof- und Brennstofzellentechnologie zur Verfügung. Diese Summe setzt sich aus 700 Mio. EUR Fördermitteln (500 Mio. EUR des BMVBS und 200 Mio. EUR des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, BMWi) sowie 700 Mio. EUR Eigenmittel der Industrie zusammen. Das Programm Modellregionen Elektromobilität des BMVBS ist der wesentliche Baustein der Demonstrationsvorhaben des Bundes im Bereich Elektromobilität. Aus Mitteln des Konjunkturpakets II stehen hierfür 130 Mio. EUR Fördermittel für die Jahre 2010 und 2011 zur Verfügung. Aktuell diskutiert die Politik Möglichkeiten zur Fortführung des Ende 2011 auslaufenden Programms. Beide Programme - NIP und Modellregionen Elektromobilität - werden von der NOW koordiniert, wobei Erwähnung finden muss, dass insbesondere das NIP neben der Marktvorbereitung mobiler Anwendungen auch Brennstofzellenprojekte im Bereich der stationären Energieversorgung von Gebäuden und im Bereich der sogenannten speziellen Märkte - beispielsweise Brennstofzellentechnologie in der unterbrechungsfreien Stromversorgung, etwa Notstrom für Polizei- und Feuerwehrfunk - fördert. Alternative Antriebe und Kraftstofe für den Verkehrssektor Der Verkehrssektor verbraucht in Deutschland heute in seiner Bandbreite vom Straßen-, Schienen- und Luftverkehr bis hin zur Schiffahrt rund ein Drittel der Primärenergie der Bundesrepublik. Allein der Straßenverkehr verursacht circa 70 % des Kohlenstofdioxidausstoßes im Verkehrsbereich. Um bereits formulierte Umweltziele - beispielsweise den für die EU diskutierten CO 2 -Grenzwert von 95 g/ km ab 2020 - zu erreichen, müssen einerseits die bereits heute im Markt bestehenden Technologien im Sinne höherer Eizienz verbessert werden. Da dies allein aber nicht ausreichen wird, werden zudem alternative Antriebe und Kraftstofe benötigt. Dabei ist klar, dass aufgrund der individuellen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen keine Technologie die spezifischen Anforderungen aller Kunden allein erfüllen kann. Vielmehr wird sich ein ganzes Portfolio an Antriebsarten und Kraftstofen etablieren - von Hybridfahrzeugen, batterieelektrischen Abb. 1: Funktionsprinzip der Brennstofzelle: Die Brennstofzelle ist durch eine dünne Kunststoffolie, die Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM) in zwei Teile getrennt. Die Folie ist auf jeder Seite mit einem Katalysator und einer gasdurchlässigen Elektrode beschichtet. Durch die feinen Gaskanäle strömen Wasserstof und Sauerstof von einer Seite zur anderen. Der Katalysator zerlegt den Wasserstof in ein Elektron und ein Proton. Die positiv geladenen Protonen können durch die PEM-Folie hindurchschlüpfen, die negativen Elektronen aber nicht. Dadurch wird eine Spannung erzeugt. Verbindet man die Elektroden, fließt ein Gleichstrom. Als Resultat dieser elektrochemischen Reaktion entsteht reines Wasser (H 2 O). Grafik: Daimler Gasdiffusionselektrode (Kathode) Katalysator Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM) Gasdiffusionselektrode (Anode) Verteilerplatten Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 17 Antrieben bis hin zu Wasserstof- und Brennstofzellenfahrzeugen in unterschiedlichen Elektrifizierungsgraden. Die Schlüsseltechnologien Batterie und Brennstofzelle haben dabei das Potenzial für einen kohlendioxidfreien Straßenverkehr. Die Kraftstofstrategie des Bundes geht mit dem kontinuierlichen Anstieg der Elektromobilität Hand in Hand. Wasserstof spielt hierbei eine besondere Rolle, da er eine zusätzliche Lösung für die Zwischenspeicherung großer Energiemengen im Zusammenhang mit schwankenden erneuerbaren Energien darstellt. Wasserstof betriebene Brennstofzellenfahrzeuge sind aufgrund ihrer schnellen Betankungszeiten und großen Reichweite für Überlandfahrten geeignet. Hocheiziente batterieelektrische Antriebe in Kompaktwagen entfalten ihr Potenzial hingegen insbesondere im Stadtverkehr. CO 2 -freier Wasserstof - auch als Speicher von erneuerbaren Energien Zentrales Thema in dieser Diskussion ist die Verknüpfung von erneuerbarer Energie mit dem Verkehrsbereich über Wasserstof als Kraftstof. Derzeit rechnet man damit, dass schon ab 2020 Wind-Wasserstof-Systeme wettbewerbsfähig werden können. Die Idee ist, aus so genanntem ‚Überschuss‘- Windstrom per Elektrolyse Wasserstof herzustellen. Der Wasserstof dient als Speicher und schaltet die für Windstrom typische Fluktuation aus. Zudem wird der gespeicherte Wasserstof später für Verkehr, stationäre Stromversorgung oder Industrie genutzt. Für die Speicherung in großem Stil sind unterirdische Salzkavernen sehr gut geeignet. Clean Energy Partnership Im Rahmen der Clean Energy Partnership (CEP) - dem NIP-Leuchtturmprojekt im Verkehrsbereich - planen die Unternehmen TOTAL und ENERTRAG am Airport Berlin Brandenburg International die weltweit erste CO 2 -freie Tankstelle: Mit Strom aus einem Windpark soll sie ab Ende 2011 Wasserstof produzieren. In der CEP verbinden 13 führende Unternehmen (Daimler, BMW, GM/ Opel, VW, Toyota, Ford, Statoil, Linde, Shell, Total, Vattenfall, Hamburg Hochbahn, Berliner Verkehrsbetriebe) ihre Demonstrationsprojekte zur Verwirklichung einer wasserstofbasierten, emissionsfreien Mobilität. Neben der ständigen Verbesserung der Brennstofzellenfahrzeuge - erst im Januar 2011 hat Daimler die neueste Fahrzeuggeneration, auf Basis der Mercedes-Benz B-Klasse, unter anderem der NOW als Testkunden übergeben - wird der Aubau einer Wasserstoinfrastruktur immer wichtiger. Denn parallel zur geplanten Kommerzialisierung von Brennstofzellen-Fahrzeugen ab 2015 müssen ausreichend Tankstellen zur Verfügung stehen. Hier muss unter anderem noch intensiv über die unterstützende Rolle der öfentlichen Hand diskutiert werden. Experten beurteilen das Potential von Wasserstof im Verkehrsbereich positiv: Bis zum Jahr 2050 können etwa 70 % der Pkw und leichten Nutzfahrzeuge in Deutschland Wasserstof als Kraftstof nutzen. Die durchschnittlichen Flottenemissionen können mit Wasserstof auf 20 g CO 2 / km gesenkt werden, bei Kosten in der Größenordnung heutiger Mobilitätsaufwendungen. Globaler Wettbewerb Die Entwicklung und Marktvorbereitung alternativer Kraftstofe und Antriebe geschieht im internationalen Wettbewerb. Neben Deutschland sind hier vor allem Japan, die USA, Korea aber auch China in der Spitzengruppe vertreten. Ziel des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist es, sich als Leitmarkt und als Leitzulieferer zu behaupten; und zwar als Teil einer europäischen Wirtschaftslandschaft. Das abgestimmte Zusammenspiel des Dreiklangs aus Politik, Industrie und Wissenschaft ist unabdingbar, um eine erfolgreiche volkswirtschaftliche Wertschöpfungskette vom Rohstof zum Endkunden zu ermöglichen. Derzeit besteht noch eine Lücke zwischen Forschung und Entwicklung bis zur Markteinführung. Neben der Alltagserprobung der Technologien wird daran gearbeitet, übergreifende Fragestellungen zu lösen und zusätzliche Herausforderungen zu meistern. Dazu gehören Sicherheitsaspekte, die Entwicklung einheitlicher Standards, eine reibungslose Schnittstelle zwischen stationärer Energieversorgung und Verkehr, neue Marktmodelle oder rechtliche Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt ist die Akzeptanz in der Bevölkerung für eine neue Technologie notwendig für die erfolgreiche Markteinführung. E zienz für Mensch und Umwelt Alle Aktivitäten zielen auf eine nachhaltige Mobilität mit erneuerbaren Energien in der Breite ab - sogar mit einer Null-Emissionen-Perspektive. Kundenbedürfnisse, Marktanforderungen und industriesowie umweltpolitische Ziele stehen dabei im Vordergrund. Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz ebnen die Akteure den Weg für eine technologieofene und am realen Leben orientierte Markteinführung. Wenn jede Antriebstechnologie baldmöglichst ihren spezifischen Raum erhält, profitieren Mensch und Umwelt auf Dauer zugleich. ɷ Abb. 2: Gemeinschaftliches Handeln von Industrie, Politik und Wissenschaft V.l.n.r.: Dr. Thomas Weber, Vorstandsmitglied der Daimler AG und verantwortlich für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung; Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; Dr. Klaus Bonhof, Geschäftsführer der NOW GmbH Foto: NOW Klaus Bonhof, Dr. Geschäftsführer NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstof- und Brennstofzellentechnologie, Berlin klaus.bonhof@now-gmbh.de