eJournals Internationales Verkehrswesen 63/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0030
31
2011
632

60 Jahre Parkraumnot

31
2011
Christoph Hupfer
Von der Parkraumnot zu schreiben, hat Tradition. Es wurde vieles erforscht, vieles erfahren. Was kann heute Anderes dazu geschrieben werden, als das, was wir schon wissen? Aber vielleicht kann es anders geschrieben werden? Bitteschön: ein Essay!
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Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 20 60 Jahre Parkraumnot Von der Parkraumnot zu schreiben, hat Tradition. Es wurde vieles erforscht, vieles erfahren. Was kann heute Anderes dazu geschrieben werden, als das, was wir schon wissen? Aber vielleicht kann es anders geschrieben werden? Bitteschön: ein Essay! I n deutschen Städten herrscht Parkraumnot! Ein Umstand, der - in der Wahrnehmung - insbesondere in den vergangenen 25 Jahren entstanden sein muss. Das war die Zeit aukommender Untersuchungen zum Parkraum und der Entwicklung der Parkraumkonzepte. 1 Doch die Not besteht schon deutlich länger. Erstmals in der Literatur erwähnt wird die Parkraumnot 1950. 2 Aber auch die Not mit der Bekämpfung der Not lässt nicht lange auf sich warten: „Kampf gegen die Parkplatzgebühren“ titelt die „Post reisender Kaufleute Deutschlands“ in ihrer Ausgabe 7/ 1950. Nur, dass keine Irritationen entstehen: Das war vor mehr als 60 Jahren. Wie alles begann Mit dem Titel „DIE PARKRAUMNOT“ 3 wurden erstmalig umfangreiche Analysen von Parkraumangebot und Nachfrage sowie Vorschläge zur Lösung dieses Problems 1951 veröfentlicht. Dabei hieß es, von den USA zu lernen, da die Motorisierung dort mit 1 Kraftwagen pro 3,5 Einwohner etwa 15 mal so hoch war wie zur selben Zeit in Westdeutschland. Mit dem Fokus auf die Innenstädte wurde damals der Dauerparker als derjenige identifiziert, der die Parkschwierigkeiten erheblich verschärfte. So verbrauch(t)en Dauerparker die meisten Parkstunden, mach(t)en aber die wenigsten Parkierungsvorgänge aus (vgl. Abbildung 1). Die Konsequenz für die Stadt Hamburg im Jahr 1951: eine Beschränkung der Parkdauer „an der Bordschwelle bestimmter Straßen“ auf 30 min und auf verschiedenen Parkplätzen auf 2 h. Die Parkdauerbegrenzung als Teil der Parkraumbewirtschaftung bzw. des Parkraummanagements war geboren. Die Idee kam an. Zumindest in den Städten. „Die Forderung, die ebenerdigen Parkflächen dem Kurzparker vorzubehalten, den Langparker jedoch in Parkgaragen unterzubringen, beginnt sich immer mehr durchzusetzen.“ 4 Dabei kündigte sich bereits an, dass das Problem weit größer werden könnte: „Die Parkraumnot als solche ist wie ein Nimmersatt. Sie kann wohl nie behoben, sondern bestenfalls gemildert werden.“ 4 Das Problem wurde tatsächlich mit der scheinbar unauhörlich steigenden Motorisierung noch dramatischer (beschrieben): „In den Zentren der Städte, auf den Vor- und Hinterhöfen der Hochhäuser und Abb. 1: Parkvorgänge am Straßenrand Quelle: Sill, 1951 INFRASTRUKTUR Parkraumkonzepte Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 21 Wohnblocks, in den Hotels und sogar bei Einzelhäusern ergibt sich für Zweitwagen das gleich ernste, auf eine Katastrophe hinsteuernde Problem der Parkraumnot.“ 5 Anfang der 60er Jahre war das Instrumentarium des Parkraummanagements komplett. Es umfasste den Neubau von Parkierungsanlagen, die Begrenzung der Parkierungsdauer und das Erheben von Parkgebühren. 6 Letzteres mit deutlichem Erfolg (vgl. Abbildung 2). Daran hat sich bis in unsere Zeit nichts verändert: „Das Parkraummanagement umfasst die Parkraumbewirtschaftung (zeitliche Begrenzung der Parkierungsdauer, Gebührenerhebung, Parkierungsberechtigung usw.) und Veränderungen im Parkraumangebot.“ 7 Parkierungsbauten als Lösungsansatz Als erstes nahm man sich der Möglichkeiten zum Bau von Parkierungsanlagen an. Dabei übten schon immer „Parkbauten mit mechanischen Fördereinrichtungen“ eine besondere Faszination aus. Sie ermöglichten eine hohe Anzahl Stellplätze auf minimalem Raum und hatten von Anfang an einen hohen Imagefaktor aufgrund der faszinierenden Technik. Außerdem waren konventionelle Parkierungsanlagen umständlich, denn „jeder Fahrer muss sein Fahrzeug selbst durch schleifenförmiges Aufwärts- und Abwärtsfahren auf eine der freien Parkstellen bringen und von dem betrefenden Stockwerk mittels Aufzug zum Ausgang gelangen.“ 8 Dabei ist die Garage mit Vertikalaufzug älter als die Parkraumnot. Bereits 1913 wurde sie in den USA zum Patent angemeldet. 9 So gesehen können wir demnächst 100 Jahre „Parkbauten mit mechanischen Fördereinrichtungen“ feiern. Eine Weiterentwicklung mit zentralem Aufzug, die im Grundprinzip den heutigen Angeboten ähnlich ist, folgte 1925 10 (vgl. Abbildung 3). In der Anfangszeit der Parkraumnot wurden Autosilos, Parktürme und Roto-Park-Parkhäuser entwickelt, die hohe Stellplatzkapazitäten aufwiesen. Eine Schwierigkeit zeigte sich dabei in den Abfertigungskapazitäten. Nach Dittrich (1964) 12 betrug das Ein- oder Ausparken eines Wagens bei der zulässigen Aufzugsgeschwindigkeit nur wenige Minuten. Demnach würde das komplette Befüllen oder Entleeren des von ihm beschriebenen Parkturmes mit 248 Stellplätzen mehr als 8 h dauern 13 . Die Abfertigungsanlage mit Chipkarte eines konventionellen Parkhauses schaft das in 45 min. 14 Für dieses Problem gibt es mittlerweile wohl Lösungen. Auch die Namen haben sich geändert. Von der schlichten Bezeichnung der „Auto- Park-Garage“ über das „Vater unser“ 15 zum „Himmelslinien-Parken“. Die Verwendung Abb. 2: Beanspruchung der Parkplätze durch Kurz- und Langparker vor und nach Einführung von Parkgebühren Quelle: Sill, 1961 vermeintlich trefenderer, auf jeden Fall schön klingender englischer Bezeichnungen hat mittlerweile - wie in anderen Bereichen - zugenommen. „Mobile parking“ 16 - den Begrif muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: mobiles Parken. Hört sich an wie eine Parkadaption der Verlagerung von Lagerkapazitäten mittels Lkw auf die Straßen: Wie hat man sich das vorzustellen? Ein rollender Stellplatz. Ein Fahrer oder Lastzug, der mit dem unparkbaren Fahrzeug solange um den Block fährt, bis die Aktivität beendet ist. Aber das ist nicht gemeint. Bei unserem Talent, englische Begrife zu verdeutschen, bekommt der Central Park eine ungeahnte Attraktivität. Auch in kleinem Maßstab wird mit mechanischen Parkierungsanlagen experimentiert. So gibt es erste Versuche mit dem Parkplatz auf dem Balkon vor der Wohnung. In dem System CarLoft® wird das Fahrzeug samt Insassen mit einem Aufzug vor die Wohnung transportiert. Dann steht es zumindest nicht mehr auf der Straße. 17 Während die automatischen Parkhäuser nicht häufig anzutrefen sind, wurde in der Zwischenzeit eine stattliche Anzahl an konventionellen Parkierungsbauten errichtet. 1968 standen in der Bundesrepublik 260 Parkhäuser mit 90 000 Stellplätzen zur Verfügung. 18 Heute verwaltet allein die APCOA Autoparking GmbH in Deutschland ca. 180 000 Stellplätze in 222 Parkierungsanlagen, davon ca. 165 000 in den alten Bundesländern. 19 Die Stiftung „lebendige Innenstadt“ erhob jüngst den Parkierungsbau zum Parkraumkonzept. Der Stiftungspreis im Jahr 2007 hatte Europas beste Parkraumkonzepte zum Thema: „Einstimmig entschied die Fachjury, den Stiftungspreis 2007 an die Parkgarage P23 in Amsterdam zu vergeben.“ 20 Als bestes Parkraumkonzept Europas wohlgemerkt. „Die besondere Idee der Parkgarage: Sie ist unter einer bestehenden Hochstraße platziert. […] Auch die Kostenseite fand bei den Juroren ungeteilte Zustimmung. […] Neben dem Konzept überzeugte aber auch die außergewöhnliche Gestaltung der Parkgarage […].“ Mit Anerkennungen wurden weiterhin ausgezeichnet: Das Parkhaus am Rathaus in Ulm, die Parkgarage unter dem Bowling Green in Wiesbaden, die Parkterrassen am Nordstrand in Göhren, eine automatische Anwohnertiefgarage in München und die Zentralgarage in Innsbruck. 21 Bei derzeit weniger als 300- 000 öfentlichen Stellplätzen in Parkierungsbauten 22 und über 40 000 000 23 zugelassenen Pkw in Deutschland, ein Konzept mit Potenzial - vorausgesetzt, die Parkierungsbauten werden genutzt. Die Parkhäuser und Tiefgaragen in den Stadtzentren, also den Bereichen mit der vermeintlich größten Parkraumnot 24 , sind meistens nicht ausgelastet. In Trier beispielsweise standen in der Altstadt an Werktagen mindestens 1000 Stellplätze in öfentlich zugänglichen Parkierungsanlagen leer. Das ergab eine Auswertung der Anzeigen des volldynamischen Parkleitsystems für September 2008. Im Dezember 2008 waren es - mit Ausnahme der Samstage - immer mehr als 400 Stellplätze. An den berüchtigten Adventssamstagen meldete das Parkleitsystem lediglich in der Zeit von 13 bis 16 Uhr keine freien Stellplätze mehr. 25 An 8748 von 8760 h im Jahr ist dort in den öfentlichen Parkierungsanlagen demnach Parkraum INFRASTRUKTUR Parkraumkonzepte Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 22 vorhanden, also zu 99,9 % der Zeit. In anderen Städten ist dies ähnlich. 26 Zumindest in den Parkierungsanlagen der Städte ist keine Parkraumnot erkennbar. Warum sollte dann jemand weitere Parkierungsanlagen in den Stadtzentren bauen? Für einen größeren Leerstand? Für 12 h im Jahr? Parkraumbewirtschaftung als Lösungsansatz Wir begrenzen doch zusätzlich die Parkdauer im Straßenraum oder glauben dies zumindest. Meistens jedoch wird die Parkierungshöchstdauer gar nicht ausgenutzt. Es gibt eine Stadt, da war an Markttagen das Parken in der Tiefgarage am Markt für 15 min kostenfrei, damit auch schwere Einkäufe vom Markt verladen werden konnten. Es ist wirklich erstaunlich, was in 15 min alles zu erledigen ist: einkaufen, Bankgeschäfte, Reinigung, Fotos abholen, usw. Einige sollen tatsächlich auch Waren verladen haben, die sie zuvor auf dem Markt kauften. Was ist dann erst alles in der auf 2 oder gar 4-h „begrenzten“ Zeit zu schafen? Bleiben noch die Parkgebühren als Steuerungsinstrument. Aber auch das nutzen wir oft nicht wirklich zur Beeinflussung des Parkverhaltens. Das Parken ist vielfach im Straßenraum nicht teurer als im Parkhaus. In 30% der deutschen Mittelzentren mit 80 000 bis 120 000 Einwohnern sind die Parkgebühren im Straßenraum niedriger, in 40% der Zentren gleich niedrig und in 30% höher als im Parkbau. Warum soll ich also mein Fahrzeug „durch schleifenförmiges Aufwärts- und Abwärtsfahren auf eine der freien Parkstellen bringen und von dem betrefenden Stockwerk mittels Aufzug zum Ausgang gelangen“ 9 , wenn es sogar noch teurer ist? Und welche Rolle spielen überhaupt die Parkgebühren bei der Entscheidung zum Abb. 3: Patent einer Automobile Garage von M. D. Murray (1925) 11 (links) und Automatischer Parkturm (1964) 12 Parken? Zwei einfache Fragen können helfen, dies für sich persönlich zu klären: b Wie oft habe ich mich im Vorfeld nach den Parkgebühren in der Stadt erkundigt, unterschieden nach Parkhausbetreiber, Straßenraum, Parkplatz? b Wie oft bin ich nicht in ein Parkhaus gefahren, weil mir das zu teuer war? Nie, denn die Gebührenhöhe spielt bei der Entscheidung, in die Stadt zu fahren, meist keine Rolle. In einer Stadt, um auf das Beispiel zurückzukommen, wurde um die Erhöhung der Parkhausgebühren der städtischen Parkhausgesellschaft heftig gerungen. 1,30- EUR/ h, zumindest für die drei ersten Stunden, schienen die Grenze des Akzeptablen zu markieren. Mit einer kleinen Inkonsistenz: Die vierte Stunde war mit 1,60-EUR die teuerste von allen. Ofensichtlich, damit man auf ein Vielfaches von 50- Cent kam, denn danach ging es in Schritten von 1,50-EUR/ h weiter. Allein während der Diskussion erhöhte ein privater Betreiber gleich zweimal kurz hintereinander die Parkgebühren seiner zentrumsnahen Garage auf aktuell 1,70-EUR/ h. Bleibt die Frage, ob das die Nutzer überhaupt wahrgenommen haben. Bei den Parkgebühren im Straßenraum werden ebenfalls Schmerzgrenzen ausgelotet Die Brötchentaste zum Beispiel, eine Taste, bei deren Betätigung ein Parkschein ausgedruckt wird, der nichts kostet. Für eine derart kurze Parkierungsdauer ist eine Gebühr nicht zuzumuten, der Einzelhandel verkraftet das nicht. Einmal Frühstücksgebäck für die fünköpfige Familie: 3,80-EUR. Zwei belegte Brötchen mit gekochtem Schinken auf dem Weg zur Arbeit: 5,20-EUR. Ohne Brötchentaste unbezahlbar! Warum dann nicht auch eine Biergartentaste (mindestens 7- min, das braucht ein gut gezapftes Pils) damit der Umsatz des Biergartens nicht leidet? Aber „umsonst ist noch zu teuer: […] Bei solch kurzen Aufenthaltszeiten verzichten viele Fahrer auf das Lösen eines ‚kostenlosen’ Parkscheins, da erstens die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie kontrolliert werden, und zweitens der Weg zum Parkscheinautomaten und wieder zurück im Verhältnis zur gesamten Aufenthaltszeit zu lange dauern würde.“ 27 Unangenehme Wahrheiten Was also tun? Ein paar Dinge müssen wir den Politikern, den Entscheidungsträgern, den Bürgerinnen und Bürgern und ihren Vertretern, sowie den Vertretern von Interessen vorweg klar machen: Verkehrsplanung tritt immer jemandem auf die Füße. Veränderung ist die Zielsetzung, das bedeutet, es soll sich was ändern, es soll jemand sein Verhalten ändern. Ein Parker soll beispielsweise in den Parkierungsanlagen parken und nicht mehr im Straßenraum. Für ihn eine Veränderung, vordergründig eine Verschlechterung, ein Anlass zur Klage. Dass dafür sechs andere Parker den Parkstand nutzen, fünf Fahrräder abgestellt werden oder acht Besucher Kafee trinken können, das muss ihn nicht kümmern. Veränderungen schafen immer Betrofenheiten. Wir können uns also nicht aussuchen, ob wir auf die Füße treten, sondern nur wem; und auch nicht, ob wir gescholten werden, sondern nur von wem. Das ist eine sehr unangenehme Tatsache, insbesondere für Entscheidungsträger. „Wunder gibt es immer wieder“ 28 , heißt es, aber diese sind nicht planbar! Es wird auch die Parkraumnot im Zentrum beklagt, obwohl dort in den Parkierungsanlagen noch Plätze frei sind. Das ist die Not an Lieblingsstellplätzen. Die sind nämlich Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 23 ofensichtlich unter freiem Himmel 29 , unmittelbar am Ziel, unbefristet und kostenlos − also nicht existent. Es ist noch nicht einmal theoretisch möglich, diese Stellplätze in dem gewünschten Umfang herzustellen (Parkierungsanlagen scheiden hier ja aus). Ein freier Stellplatz ist autoerreichbar, ein belegter nicht. Eine intensive Bewirtschaftung (insbesondere kurze Höchstparkdauer, angemessene Gebühren) stark nachgefragter Stellplätze sorgt zumindest dafür, dass der Lieblingsparkplatz für kurze Zeit zu mieten ist. Intensive Bewirtschaftung verbessert Erreichbarkeit. Dauerparker sind schlecht fürs Geschäft. Warum sonst wird in manchen Kauhaus-Parkhäusern nur für die ersten beiden Stunden ein vergünstigtes Parken angeboten und danach nicht mehr? Parken ist nicht ausschlaggebend für den Besuch einer Stadt. Wie sollte man sich das auch vorstellen? „Lass uns mal ’ne Runde parken? ” Oder: Erlebnisparken statt Erlebnispark oder Erlebniseinkauf? „Mit Internet und Handy auf Parkplatzsuche in Kiel” 30 hört sich nach einer Form von GeoCaching an, aber ansonsten? Gute Angebote in Einzelhandel und Gastronomie, Aufenthaltsqualitäten, Ambiente. Das sind Ziele. Parkplätze sind keine. Wir sollten uns endlich davon verabschieden, dass das Parken über Sieg oder Niederlage des Einzelhandels entscheidet. Und auch davon zu glauben, die Gesetze der Marktwirtschaft funktionierten nur in den Geschäften, aber nicht davor. Wo der Einzelhandel die Waren in seinem Laden so postiert, dass wir möglichst viel Geld ausgeben bzw. die Artikel mit der größten Marge kaufen, wo die Artikel so inszeniert werden, dass wir die weitesten Wege laufen und an vielen Artikeln vorbeikommen. Das Modell auf die Parkierung in der Stadt zu übertragen, würde bedeuten, dass wir den Besucher möglichst peripher das Fahrzeug abstellen lassen und ihn lange Wege durch die Innenstadt laufen lassen. An vielen Geschäften und Lokalen vorbei. Das wäre wohl im Sinne des Einzelhandels, nicht aber im Sinne einzeln Handelnder. Die Errichtung zusätzlichen Parkraums hat auch Nebenwirkungen: „Mit der Schafung zusätzlichen Parkraums lässt sich natürlich der Parksuchverkehr verringern, doch dies kann mit hohen Kosten verbunden sein und zu unerwünschten Rückkopplungen auf die Verkehrsnachfrage führen, indem das erweiterte Parkraumangebot zusätzlichen Pkw- Verkehr induziert.” 31 Ein teurer Teufelskreis! Konsequenz Was zu tun ist wissen wir längst. Wir müssen es nur tun - und zwar konsequent. Kurzes Parken im Straßenraum für kurze Erledigungen in unmittelbarer Nähe des Stellplatzes: In vielen Fällen reichen hier 30-min (schon seit mehr als 60 Jahren), 1-h allemal aus. 32 Alle anderen Parkierungsvorgänge gehören in die Parkierungsanlagen. Damit sind alle Stellplätze im Zentrum erfasst. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Das gilt auch vor dem Ladengeschäft. Dazu die passende Überwachung und Ahndung als Zeichen, dass es sich hier um die wirtschaftlich gesunde Beseitigung eines Notstands handelt. 33 „Viele Untersuchungen belegen, dass auch restriktive Parkraumkonzepte von einer großen Mehrheit akzeptiert werden. Leider ist diese Mehrheit oft schweigend." 34 Hören wir also auf, die Parkraumnot öfentlich in den Medien zu beklagen. Das suggeriert „dem Publikum”, eine schlechte Erreichbarkeit. Darüber hinaus unterstellt es den Entscheidungsträgern ein stadtfeindliches Verhalten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Zeigen wir, wie gut erreichbar die Städte sind, welche Qualitäten sie haben. Extended Version mit Alternativen Die Parkraumnot lässt sich einfach beschreiben: zu viele Pkw, zu wenig Parkraum. Wenn das mit dem Parkraumbauen nicht klappt, versuchen wir doch mal die andere Seite. Auch hier trefen wir alte Bekannte: den Umweltverbund zum Beispiel. 35 Ohne Auto in die Stadt. Leih-Fahrräder sind im Kommen, in Paris, New York, Mailand und weiteren 70 Städten weltweit. 36 In Rom beispielsweise bietet der kommunale Energieversorger Bike-Sharing an (vgl. Abbildung 4). Autoreduziertes Wohnen, ja sogar ein Leben ohne Auto entwickeln sich, z. B. in Freiburg Vauban 37 - einschließlich klimaneutralem, parkflächensparenden Fahrrad-Lieferservice bis 150 kg. Car-Sharing ist im Kommen. Freiwillig. Dagegen sind die Flächeneinsparungen von mechanischen Parkierungsanlagen ein Witz. Und nicht einmal ein besonders guter. In Bremen beispielsweise wurden durch 4000 „Autoteiler“ etwa 700 bis 900- Pkw ersetzt. Als Parkierungsanlage hätte das zwischen 8 und 20- Mio.- EUR gekostet. Ein Car-Sharing-Fahrzeug ersetzt dort in einzelnen Gebieten neun private Fahrzeuge 38 , eine Reduktion der erforderlichen Stellflächen um 89 %. Die E-Auto-Mobilität wird dann einen Beitrag zur Verbesserung der Parkierungssituation leisten können, wenn die Autos kleiner werden und die Parkstände auch. Aber das geht auch ohne „E-Auto“. Verhaltensänderungen sind am schwersten. Wir Ingenieure schafen das alleine nicht. Wir stellen die Werkzeuge bereit und sehen zu, wie sie nicht oder falsch angewandt werden. Ein letztes Mal eine Stadt. Dort wurde mit Beteiligung des Einzelhandels ein Parkraumkonzept mit klaren Strukturen beschlossen: Parkdauerbegrenzung auf 30-min in den innenstadtnahen Straßen mit Einzelhandel, in den übrigen Straßen auf 1-h. Die Parkgebühren wurden im Straßenraum erhöht (auch mit Blick auf die ÖPNV-Tarife) auf 1,60 EUR/ h. Das ist teurer als im Parkhaus. Jetzt kommen erste Klagen: „Hilfe, wir müssen unser Verhalten ändern! “ Der Abb. 4: Beispiel Rom: Mehr Parken auf weniger Raum (links) und Bike-Sharing (rechts) INFRASTRUKTUR Parkraumkonzepte Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 24 28 EBSTEIN, K. (1970): „Wunder gibt es immer wieder“, Liberty/ United Artists Records 29 „Ofenbar weisen Parkmöglichkeiten unter freiem Himmel - aus Sicht der Nutzer - eine besonders hohe Attraktivität auf. Dieser Sachverhalt hat erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit von Parkbauten." aus: SCHUSTER, A.; DOHMEN, R. (2007): Qualität des Parkens in Parkbauten - Gedanken zu einem Beurteilungsverfahren; Straßenverkehrstechnik 12/ 2007, S. 637 - 641 30 BOHN, R.; PROTSCHKA, H. (2001): Mit Internet und Handy auf Parkplatzsuche; Internationales Verkehrswesen 6/ 2001, S. 299 - 303 31 REINHOLD, T. (1999): Die Bedeutung des Parksuchverkehrs; Internationales Verkehrswesen 6/ 99, S. 250 - 255 32 Bewohnerparken ausgenommen 33 HEINRICHS, E. (2010): Wirtschaftlichkeit der Parkraumbewirtschaftung: Abzocke oder Verlustgeschäft; Straßenverkehrstechnik 7/ 2010, S. 405 - 413 34 HALLER, W.; v. Lübke, H. (1994): Parkraumkonzepte für Klein- und Mittelstädte; Straßenverkehrstechnik 5/ 94, S. 279 - 289 35 Füße, Fahrrad, ÖPNV 36 http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Fahrradverleih 37 www.vauban.de 38 GLOTZ-RICHTER, M.; LOHSE, W.; NOBIS, C. (2007): Car-Sharing als Beitrag zur Lösung von innerstädtischen Verkehrsproblemen; Internationales Verkehrswesen 7+8/ 2007, S. 333 - 336 39 SCHÄFER, K.-H. (2000), Parkraumbewirtschaftung schaft Parkchancen; Straßenverkehrstechnik 12/ 2000, S. 630 - 635. 40 Simon Petrus (33 n. Chr.) Konsens kommt ins Wanken. Einknicken wäre - vorsichtig ausgedrückt - sehr schade! Dann aber bitte keine Klagen mehr von wegen Parkraumnot! „Die aktuelle Entwicklung einer sukzessiven Rücknahme von Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen in vielen Städten macht allerdings deutlich, dass das in den Untersuchungen festgestellte Verkehrslenkungs-, Verkehrssicherheits- und Gestaltungspotenzial solcher Maßnahmen bei örtlichen Entscheidern und in der Öfentlichkeit weder bekannt ist noch erkannt wird und damit weitgehend ungenutzt bleibt bzw. derzeit wieder verspielt wird. Dies ist aus stadt- und verkehrsplanerischer Sicht auch insofern verwunderlich, als Besucher und Konsumenten Innenstädte vorrangig nach Attraktivitätsgesichtspunkten bewerten“ 39 (vgl. Abbildung 5). Helfen wir also den Politikern, den Entscheidungsträgern, den Vertretern der Bürgerinnen und Bürgern sowie den Vertretern von Interessen das Instrumentarium zur Bekämpfung der vermeintlichen Parkraumnot anzuwenden. Helfen wir ihnen gegenüber dem ständigen Beklagen der Parkraumnot und der Existenzgefährdung der Innenstädte aufgrund von Parkraummanagement gelassen zu reagieren. Das ist ein alter Hut, der noch nicht einmal passt. Doch Veränderungen zeichnen sich ab - von scheinbar unerwarteter Seite: So holen sich in den Städten die Gastronomen und Besucher die Flächen vom Parken zurück. In kleinen Stücken. Einfach. Preiswert. Wo gestern noch Pkw parkten, sitzen heute die Menschen und essen und trinken, unterhalten sich. In diesem Sinne darf es nicht mehr heißen: „Parkraumnot - Quo vadis? 40 “ sondern „I move! “ ɷ Christoph Hupfer, Prof. Dr.-Ing. Verkehrsplanung und Verkehrstechnik Vorsitzender des Prüfungsausschusses Bauingenieurwesen Universität Karlsruhe christoph.hupfer@hs-karlsruhe.de Abb. 5: Bad Mergentheim 2010: Auf den ehemaligen Längsparkständen entstehen Flächen für die Gastronomie. Auf einem ehemaligen Parkstand sitzen bis zu acht Gäste. QUELLEN UND ANMERKUNGEN 1 vgl. z.B. APPEL, H.-P.; BAIER, R.; WAGENER, A. (1993): Leitfaden Parkraumkonzepte unter besonderer Berücksichtigung von Mittelstädten, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik V1 2 Goltz, H. (1950): Helft die Parkraumnot bannen; in: norddeutsches Baublatt 6/ 1950 3 Sill, O. (1951): Die Parkraumnot - Umfang des ruhenden Kraftfahrzeugverkehrs und Bedarf an Stellraum in Städten; Bundesministerium für Wohnungsbau, Hansestadt Hamburg Baubehörde, Schriften zum Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen, Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e.V., Forschungsarbeiten aus dem Straßenwesen, Neue Folge Heft 7/ 1951 4 FEUCHTINGER, M.-E. (1957): Analysen des ruhenden Verkehrs als Grundlage der Parkraumplanung, Straßenverkehrstechnik 5/ 1957 (1. Jahrgang), S. 29 - 37 5 BELLINGER, B. (1967): Berichte: Zweietagige Parkplätze mit Selbstbedienung, Straßenverkehrstechnik 11/ 12/ 1967, S. 160 6 SILL, O. (1961): Parkbauten - ein wichtiges Mittel zur Behebung der Verkehrsnöte in den Stadtkernen; in: Sill, O. Hrsg. (1961) Parkbauten. Handbuch für Planung, Bau und Betrieb der Parkhäuser und Tiefgaragen, Bauverlag, Wiesbaden, Berlin 7 PORCHET, A.; INDERBITZIN, U.-P. (2000): Parkraumbewirtschaftung zur Verkehrsreduktion? ; route et tra c No. 2, S. 48 - 51 8 DITTRICH, R. (1964) Automatische Parktürme; Straßenverkehrstechnik 8/ 1964, S. 310-312 9 VARIAN, J. A. (1913), USA Pat. 1102828 10 MURRAY, M. D. (1925), USA Pat. 1539761 11 Quelle: www.Google.de/ Patents 12 DITTRICH, R. (1964): Automatische Parktürme; Straßenverkehrstechnik 8/ 1964, S. 310 - 312 13 Bei 2 min pro Abfertigung 14 vgl. FGSV (Hrsg., 2005) Empfehlungen für Anlagen des ruhenden Verkehrs - EAR 05. 15 Lat.: pater noster 16 Bezeichnung für das Entrichten von Parkgebühren mittels Mobiltelefon, vgl. z.B. www.it-solutions.siemens.com 17 www.carloft.de 18 BELLINGER, B. (1968): Berichte: Entlastung für die Innenstadt - BP bautes größtes Parkhaus in München. Straßenverkehrstechnik 5/ 6/ 1968. S. 83 - 84. 19 www.apcoa.de 20 www.living-city.org 21 Aber es wurden dann doch noch „Sandy, die Parksanduhr“ ausgezeichnet, die den Besitzern einer ÖPNV-Monatskarte an bestimmten Stellen 15 min kostenfreies Parken ermöglicht. Und noch ein städtisches Parkraumkonzept erhielt eine Anerkennung, nämlich das von Graz, welches auf Grund seines übergreifenden Parkraumanagements gewürdigt wurde. „Die Jury hatte sich zur Vergabe einer gesonderten Anerkennung für gesamtstädtische Parkraumkonzepte entschieden, um dem komplexen Thema 'Parken in der Stadt' gerecht werden zu können." 19 22 www.parken.net, Stand 02/ 2011 23 www.destatis.de, Jahrbuch 2010 24 Auf die besondere Problematik von durch Bewohner überlasteten Quartieren kann hier leider nicht eingegangen werden. 25 GERDES, M.; HUPFER C.; HUPFER, S. (2010): Integriertes Parkraumkonzept Trier - Fortschreibung 2010 26 In Köln z. B. sind auch an den Adventssamstagen die Parkraumkapazitäten an den Ringen nur zu maximal 80 % ausgelastet. (Kochs, A. (2001): Neue Untersuchungen zur Parkraumsituation in der Kölner Innenstadt, Straßenverkehrstechnik 8/ 2001, S. 373-379). In der westlichen Berliner Innenstadt existieren für 25 000 gemeldete Pkw 15 000 Parkstände am Straßenrand und 10 000 Stellplätze in Parkierungseinrichtungen. Dabei sind die Parkierungseinrichtungen tagsüber nur zu 60% ausgelastet, der Straßenraum überparkt. vgl. Dörnemann, M.; Grüber, B.: Brauchen Innenstädte mehr Parkraum? oder: vgl. Appel, H.P.; Baier, R.; Wagener, A. (1993): Leitfaden Parkraumkonzepte; Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik Heft V1 uvm. 27 KOCHS, A.; STOLTE-NEUMANN, A. (2002): Umsonst ist noch zu teuer - Akzeptanz und Wirksamkeit des kostenlosen Parkens für 15 Minuten in Köln, Straßenverkehrstechnik 11/ 2002, S. 589 - 593