Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/iv-2011-0034
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2011
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Das Prinzip Design für Alle
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2011
Kathrin Dziekan
Lisa Ruhrort
Christine Ahrend
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird barrierefreie Mobilität zu einem der Schlüsselfaktoren zur Sicherung einer hohen Lebensqualität und selbstbestimmten Lebensweise. Barrierefreie Mobilität bedeutet, dass sowohl die bauliche Umwelt als auch das Verkehrssystem für alle Menschen ohne fremde Hilfe benutzt werden können.
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MOBILITÄT Barrierefreiheit Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 33 Abb. 1: Temporäre Mobilitätseinschränkungen trefen (fast) jeden mal Foto: K. Dziekan Das Prinzip Design für Alle Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird barrierefreie Mobilität zu einem der Schlüsselfaktoren zur Sicherung einer hohen Lebensqualität und selbstbestimmten Lebensweise. Barrierefreie Mobilität bedeutet, dass sowohl die bauliche Umwelt als auch das Verkehrssystem für alle Menschen ohne fremde Hilfe benutzt werden können. D esign für Alle bezeichnet einen Ansatz in Planung und Gestaltung, der seit den 1990er weltweit in der Diskussion ist. Er fungiert als zentraler Grundgedanke für eine erweiterte Perspektive auf barrierefreie Mobilität, die sich nicht nur auf das Abbauen von Barrieren für einige Zielgruppen fokussiert, sondern Zugänglichkeit „für Alle“ zum grundlegenden Gestaltungsprinzip erklärt. Barrierefreiheit immer mitdenken Laut den Prinzipien des Design für Alle soll die Gestaltung von Produkten und Herausforderungen an ein barrierefreies Verkehrssystem Dienstleistungen nicht länger an den Eigenschaften und Fähigkeiten eines fiktiven „Normmenschen“ (Durchschnittsgröße, Rechtshänder, im mittleren Lebensalter etc.) orientiert sein, sondern die „menschliche Vielfalt“ berücksichtigen. Die Idee des Design für Alle fordert eine Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen so, dass sie b „für einen möglichst großen Nutzerkreis ohne Anpassung verwendbar sind, b leicht auf verschiedene Anforderungen einstellbar sind, b die Nutzung individueller Hilfsmittel möglich sein muss und b die potenziellen Nutzer an (möglichst) allen Entwicklungsphasen beteiligt sind.“ (aus Leidner 2007, S. 11). International sind auch andere Konzeptnamen gebräuchlich, hinter denen sich jedoch ähnliche Ziele wie beim Design für Alle verbergen, z. B. Universelles Design (USA, Japan), Inklusives Design (Großbritannien), Barrierefreiheit (Deutschland) oder Hindernisfreiheit (Schweiz). Allen gemeinsam ist der Grundsatz, dass die Endnutzer in alle Schritte des Gestaltungsprozesses einbezogen werden (Aragall et al. 2008, www. design-fuer-alle.de). Der Grundsatz des Design für Alle betont, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Zugänglichkeit von Räumen, Angeboten und Dienstleistungen nicht nur einer relativ kleinen Zielgruppe von Personen mit bestimmten körperlichen Einschränkungen zugutekommen, sondern einen Mehrwert für alle Menschen erzeugen. „Eine barrierefreie Umwelt ist für ca. 10 % der Bevölkerung unentbehrlich, für 40 % notwendig und für 100 % der Bevölkerung ist es komfortabel und ein Zugewinn an Lebensqualität“ (vgl. Neumann und Reuber 2004). Der Begrif der Barrierefreiheit ist demgegenüber enger gefasst und fokussiert auf die Zugänglichkeit von Infrastrukturen, Angeboten und Dienstleistungen speziell für Menschen mit körperlichen, sensorischen oder mentalen Behinderungen. Barrieren sind Hindernisse, die einen Menschen an der Erreichung eines Zieles hindern (Leidner 2007, S. 12). Barrieren können, müssen aber nicht physische Hindernisse sein, z. B. eine Bordsteinkante, die ein Rollstuhlfahrer nicht ohne Hilfe überwinden kann. Andere Barrieren können in fehlender oder unzugänglicher Information bestehen. Aber auch z. B. bauliche Infrastrukturen oder Verkehrsmittel, die für MOBILITÄT Barrierefreiheit Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 34 einige Nutzergruppen als „Angsträume“ wahrgenommen werden, können Barrieren schafen. Barrieren können demnach im Bereich der Information liegen, physischer oder sozialer/ psychischer Natur sein. Barrierefreie Mobilität im Sinne des Design für Alle bedeutet, dass sowohl die bauliche Umwelt als auch das Verkehrssystem für alle Menschen ohne fremde Hilfe und ohne besondere Anstrengungen genutzt werden können. Dabei ist es entscheidend, die gesamte Wegekette von „Haustür zu Haustür“ gestalterisch im Blick zu behalten. Gerade für mobilitätsbehinderte Menschen ist eine wichtige Voraussetzung zur Nutzung von Verkehrsmitteln die behindertengerechte Gestaltung des gesamten öfentlichen Raumes oder zumindest von geschlossenen Wegeketten (Blennemann, Girnau & Grossmann 2003). Letztlich führen z. B. blindengerecht gestaltete „sprechende Haltestellen“ nur dann zu mehr Mobilität für blinde und sehbehinderte Menschen, wenn auch der Straßenraum ein efektives Blindenleitsystem bietet, um zu den Haltestellen zu gelangen. Elemente von Nutzerprofilen Um die Spannbreite der Anforderungen an einen barrierefreien Verkehrsraum und barrierefreie Verkehrsangebote auszuloten, unterscheiden wir verschiedene „Nutzerprofile“ bzw. verschiedene Formen der Mobilitätseinschränkung (Tabelle 1). Viele Menschen sind von Mobilitätseinschränkungen betrofen, einige dauerhaft, andere nur temporär. Für manche beginnen die Schwierigkeiten beim Einsteigen in die Fahrzeuge, u. a. in Busse und Bahnen, andere trefen bereits bei einem kurzen Fußweg auf schwer oder gar nicht überwindbare Barrieren. „Behinderung“ ist nicht auf eine Eigenschaft einer Person zu reduzieren, sondern kann nur sinnvoll als Verhältnis zwischen den Fähigkeiten einer Person und den Eigenschaften der (Mobilitäts-)Umwelt definiert werden. Eine Person kann demnach mehr oder weniger in ihrer Mobilität eingeschränkt sein, je nachdem wie z. B. die bauliche Umwelt gestaltet ist. Der populäre Slogan „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ trift den Kern dieses Sachverhalts. Wichtig ist dabei zu beachten, dass jeder Mensch unterschiedliche Fähigkeiten hat. Aus den Formen der Mobilitätseinschränkung lassen sich demnach keine einheitlichen Nutzergruppen mit jeweils gleichen Anforderungen bilden (Bundesministerium für Verkehr 2001). So gibt es beispielsweise Menschen mit der Unfähigkeit zu gehen. Einige davon benutzen einen elektrischen Rollstuhl, andere einen eher „sportlichen“ Handrollstuhl. Die Bedürfnisse von blinden Menschen unterscheiden sich z. T. sehr stark von den Bedürfnissen von Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit usw. Entscheidend ist, dass das Design für Alle sowohl dauerhafte als auch temporäre Mobilitätseinschränkungen einbezieht (synonym wird häufig auch die Unterscheidung von Mobilitätsbehinderungen im engeren bzw. im weiteren Sinne verwendet). (Fast) jeder ist gelegentlich von Mobilitätseinschränkungen betrofen, sei es durch die Mitnahme von Gepäck, eines Kinderwagens oder durch ein gebrochenes Bein. Auch von altersbedingten Einschränkungen ist ein Großteil der Menschen im Laufe des Lebens betrofen. Gerade ältere Menschen leiden häufig unter einer Vielzahl verschiedener Beeinträchtigungen, sind z. B. in ihrer Fähigkeit zu sehen und zu hören eingeschränkt, haben Schwierigkeiten längere Wege oder Treppen zu überwinden und komplexe Tarifsysteme zu verstehen (Gerlach et al. 2007). Design für Alle muss auch berücksichtigen, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Nutzergruppen miteinander in Konflikt geraten können. Im Bereich der Straßenraumgestaltung gilt dies u. a. für die Bedürfnisse von blinden Menschen gegenüber denen von Rollstuhlfahrern: Blinde sind auf „taktile Kontraste“ angewiesen, um sich mit dem Langstock zu orientieren. Bordsteine und profilierte Bodenplatten bieten solche leicht ertastbaren Orientierungsinformationen. Rollstuhlfahrern kommen hingegen eine glatte Gehwegoberfläche und möglichst auf Nullniveau abgesenkte Bordsteine entgegen (Blennemann et al. 2003). Ein weiteres Beispiel bietet der Einsatz von Glastüren, etwa in Fahrzeugen oder im Bahnhofsbereich. Gehörlose Menschen sind zu ihrer Orientierung in komplexen Bahnhofsumfeldern fast ausschließlich auf das Sehen angewiesen. Glastüren helfen dabei, große Räume überblickbar zu gestalten. Für sehbehinderte Menschen können Glastüren dagegen zu einem Hindernis werden, da sie von diesen Personen nicht immer als Barriere wahrgenommen werden können (Becker, Hollborn & Schramm 2004). Zwei zentrale Konfliktdimensionen lassen sich dabei aus der Fülle der Beispiele abstrahieren. Einerseits der Konflikt zwischen „Nivellierung“ und „Profilierung“: Gestaltungselemente, die dem Einen zu Stolperstein und Barriere werden, dienen häufig der Anderen zur Orientierung (Beispiele: Bordstein, Glastür, Haltestangen). Andererseits der Konflikt zwischen „Freiräumen“ und „strukturierten Räumen“: Einige NutzerInnen sind auf großzügige Freiräume als Stellfläche und Manövrierspielraum angewiesen, während andere von vielfältig ausgestatteten Räumen profitieren (Beispiele: Sitzplätze, Haltestangen). Die genannten Beispiele illustrieren, wie wichtig die Einbeziehung verschiedener (potenzieller) Nutzergruppen in den Gestaltungsprozess ist. Konflikte zwischen den Anforderungen unterschiedlicher Nutzer lassen sich nicht „am Reißbrett“ vorauskalkulieren. Erst der konkrete Nutzertest kann zeigen, ob eine entwickelte Lösung wirklich für alle Nutzer praktikabel ist oder ggf. für einzelne Nutzergruppen zusätzliche Barrieren schaft. Beispiel barrierefreie Verkehrsinformation Im Folgenden wird beispielhaft das Feld der barrierefreien Verkehrsinformation betrachtet, um Innovationspotenziale für barrierefreie Mobilität zu illustrieren und zugleich auf Herausforderungen hinzuweisen. Im Bereich Verkehrsinformation lässt sich eine besonders hohe Innovationsdynamik verzeichnen. Es gibt eine Fülle von Projekten, die sich damit befassen, Verkehrsinformationen barrierefrei zu gestalten oder durch spezielle Informationsangebote Mobilitätsbarrieren abzubauen. Am Anfang Tab. 1: Beispiele für dauerhafte und temporäre Mobilitätseinschränkungen Bewegung (Motorik) Wahrnehmung (Sensorik) Verstehen (Kognition) Weitere Temporäre Einschränkungen ● Kinderwagen ● Krankheit/ Verletzung (z.B. Beinbruch) ● Begleitung von Kleinkindern ● Alkohol-/ Drogengebrauch ● Krankheit/ Verletzung ● Ortsfremdheit ● Mangelnde Routine (z. B. im Umgang mit öfentlichen Verkehrsmitteln) ● Fremde Sprache ● Altersbedingte Einschränkungen (z. B. kleinere Körpergröße bei Kindern) Dauerhafte Einschränkungen ● Gehbehinderung ● Stehbehinderung ● Greifbehinderung ● Sehbehinderung ● Blindheit ● Hörbehinderung ● Taubheit ● Geistige Behinderung/ Lernschwierigkeit ● Chronische Erkrankungen ● Kleinwüchsigkeit Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 35 der Reisekette stehen Informationen über Zugänge, Wege, Verkehrsmittel, Abfahrtszeiten, räumliche und andere Barrieren. Während der Reise gilt es u. a. sich im Verkehrsraum zu orientieren, die richtige Haltestelle und das richtige Fahrzeug zu finden sowie Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Abbildung 3 bietet eine Übersicht wichtiger Entwicklungsfelder innerhalb des Themenfelds ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Im Problemfeld Wahrnehmungseinschränkungen, speziell Sehbehinderung und Blindheit, reichen beispielsweise die Lösungsansätze von dem in Braille-Schrift gedruckten Fahrplan über Blindenleitsysteme in Form von Bodenindikatoren (profilierte Gehwegplatten) bis hin zu mobilen Informations- und Navigationsdiensten für Mobiltelefone. Verkehrsinformation ist nur durch ein Zusammenspiel vieler gestalterischer Elemente barrierefrei transportierbar, neue Technologien können dabei unterstützen. Besondere Entwicklungsimpulse gehen von der rasanten Entwicklung und Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, wie Internet, Mobiltelefonie, Ortungstechnologien u. Ä. aus. In aktuellen Projekten und Praxisbeispielen im Bereich barrierefreie Verkehrsinformation werden zwei Schwerpunkte gegenwärtiger Entwicklungsansätze deutlich: Zum einen werden die Möglichkeiten einer individuellen Online-Routenplanung für bar- Abb. 2: Zugabfahrtstafel im Bahnhof Bern Foto: K. Dziekan Abb. 3: Beispielhafte Elemente der barrierefreien Reisekette Straßenraum Verkehrsinformation Barrierefreie Mobilität Öfentliche Gebäude Verkehrsangebote (z. B. Fahrzeuge des ÖV, Bahnhöfe, Haltestellen) MOBILITÄT Barrierefreiheit Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 36 rierefreies Reisen ausgelotet. Zum anderen wird an der Entwicklung mobiler Navigationsassistenten gearbeitet. Die Basis beider Technologien ist in der Regel eine umfangreiche Datensammlung, die z. B. auf einer Internetseite bereitgestellt werden kann. Die räumliche Umgebung wird „kartographiert", indem etwa für einen touristisch interessanten Ort möglichst detaillierte Informationen über Zugänge, Angebote und mögliche Barrieren zusammengestellt werden. So können z. B. Wegeketten von zuhause aus detailliert geplant werden. Ein nächster Innovationsschritt kann darin bestehen, die Informationen dort abrubar zu machen, wo sie unmittelbar gebraucht werden, nämlich unterwegs. Dies kann z. B. durch mobile Endgeräte erreicht werden, die über einen Internet-Zugang verfügen. In einem weiteren Schritt kann die Technologie eine echte Navigationsfunktion übernehmen, wenn die Umgebungsinformationen mit einer Ortungsfunktion verknüpft werden. „Kennt“ das Empfangsgerät den jeweiligen aktuellen Standort des Nutzers, kann es diesen durch unmittelbare Wegweisungen leiten. Beispiele aus dem Bereich der Online-Routenplanung bieten die Projekte „BAIM - Barrierefreie Verkehrsinformation für mobilitätseingeschränkte Menschen“ (http: / / www.baim-info.de/ projekt-baim) und „London Direct Enquiries“ (vgl. http: / / www.directenquiries.com). Bei beiden Projekten geht es darum, möglichst detaillierte Informationen über die Zugänglichkeit von Nahverkehrsangeboten zu sammeln und direkt in ein Online-Routenplanungsangebot einzuspeisen. Dadurch wird es möglich die Routenplanung zu individualisieren. Vor der Abfrage einer bestimmten Verkehrsverbindung kann z. B. eine Nutzerin ihr individuelles Profil von Mobilitätseinschränkungen (Gehbehinderung, Sehbehinderung, Mitnahme eines Kinderwagens u. ä.) einstellen, sodass nur Verbindungen ausgegeben werden, die für sie barrierefrei zugänglich sind (Becker, von Grumbkow, Pilz & Wahlster 2007; Wahlster 2008). In Übereinstimmung mit den Prinzipien des Design für Alle nimmt dieser Ansatz Abstand von Spezialangeboten für einzelne Zielgruppen und bemüht sich um ein Angebot „für alle“, das zugleich die Vielfalt der individuellen menschlichen Fähigkeiten und Mobilitätseinschränkungen berücksichtigt. Allerdings basieren diese Lösungen auf einer aufwendigen Datensammlung: Nur mit detaillierten und aktuellen Informationen, beispielsweise über die Innenraumgestaltung von Bahn- oder U-Bahnhöfen, können lückenlose barrierefreie Wegeketten geplant werden. Gerade in Bezug auf die Funktionsfähigkeit von Aufzügen u. ä. sind Echtzeitinformationen nötig. Im Rahmen des Projekts BAIMplus werden gegenwärtig die Möglichkeiten erforscht, solche Echtzeitinformationen in der Routenplanung zu berücksichtigen. Ähnliche Herausforderungen stellen sich im Bereich der Entwicklung individueller mobiler Navigationshilfen. Beispiele für solche Dienste sind etwa Nav4Blind und e-Adept (vgl. http: / / www.nav4blind. de, http: / / www.eadept.se). Im Rahmen des Projekts Nav4Blind erfolgen Entwicklung, Umsetzung und Verbreitung eines Navigationssystems für blinde, sehbehinderte oder ortsfremde Menschen. Dabei erfolgt auf Basis satellitengestützter Ortung die Leitung durch einen 30 - 50 cm breiten virtuellen Korridor zu einem gewählten Ziel, und es werden umgebungsbezogene Informationen vermittelt. Auch bei diesen Diensten hängt die Nutzungsqualität vor allem von der Erhebung und Bereitstellung detaillierter und stets aktueller Umfeldinformationen ab. Zum Teil müssen unterschiedliche Datenbestände miteinander vernetzt werden, beispielsweise Informationen über die öfentlichen Verkehrsmittel, die Umfeldbedingungen im Straßenraum sowie Informationen über die Zugänglichkeit von (öfentlichen) Gebäuden. Hinzu kommt bei mobilen Navigationshilfen auf Basis von Ortungstechnologien wie GPS die Herausforderung einer hinreichend präzisen und punktgenauen Positionsbestimmung. Die Anforderungen an ein Navigationsgerät für FußgängerInnen und noch mehr für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen (v. a. Blinde und Sehbehinderte) sind deutlich höher als beispielsweise bei Navigationsgeräten für Autofahrer. Ein weiteres Problem- Abb. 4: Übersicht Themenfeld barrierefreie Verkehrsinformation Abb. 5: Taktiles Leitsystem am Bahnsteig Foto: BAGSO Internationales Verkehrswesen (63) 2 | 2011 37 ARAGALL, FRANCESC ET AL. (2008): European Concept for Accessibility (ECA) für Verwaltungen. BECKER, JOSEF, HANS-JOACHIM HOLLBORN & ELKE SCHRAMM (2004). Barrierefreie Stationen im Schienenverkehr. Rechtlicher Rahmen und Handlungsbedarf in Deutschland. Internationales Verkehrswesen, 56(5), S. 206-210. BECKER, JOSEF, PETER VON GRUMBKOW, ALEXANDER PILZ & MICHAEL N. WAHLSTER (2007). Informationsdienste für mobilitätseingeschränkte Menschen. Projekt BAIM: ÖV-Nutzung mit Hilfe moderner Techniken erleichtern. Der Nahverkehr, 25(11), S. 12-18. BLENNEMANN, FRIEDHELM, GÜNTER GIRNAU & HELMUT GROSS- MANN (EDS.). (2003). Barrierefreier ÖPNV in Deutschland = Barrier-free public transport in Germany. Düsseldorf: Alba- Fachverlag. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2001). Computergestützte Erfassung und Bewertung von Barrieren: bei vorhandenen oder neu zu errichtenden Gebäuden, Verkehrsanlagen und Umfeldern des öfentlichen Bereiches. Bad Homburg vor der Höhe: FMS, Fach-Media-Service-Verl.- Ges. GERLACH, J., P. NEUMANN, D. BOEHNKE, F. BRÖCKLING, W. LIP- PERT, B. RÖNSCH-HASSELHORN (2007). Mobilitätssicherung älterer Menschen im Straßenverkehr. LEIDNER, RÜDIGER (2007). Von Barrierefreiheit zum Design für Alle - Erfahrungen aus Forschung und Praxis. Münster: Arbeitsgemeinschaft Angewandte Geographie. NEUMANN, PETER, & PAUL REUBER (EDS.). (2004). Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für Alle. Langfassung einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Münster. WAHLSTER, MICHAEL N. ET AL. (2008). Barrierefreie ÖV-Information für mobilitätseingeschränkte Personen. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt BAIM. LITERATUR feld liegt in der Navigation innerhalb von Gebäuden, in denen kein Empfang von Sattelitensignalen möglich ist. Für diesen Bereich müssen eigene technische Lösungen entwickelt werden. Im Sinne der Philosophie des Design für Alle können zwei Aspekte unterschieden werden: Einerseits müssen Informationen über barrierefreie Wegeketten und Zugangsmöglichkeiten bereitgestellt werden; andererseits müssen diese Informationen selbst wiederum "für alle" barrierefrei zugänglich sein. Zugleich muss ein solches Informationsangebot aber auch möglichst vielen speziellen Zielgruppen zugänglich sein: Z. B. erlauben eine kontrastreiche und einfache Gestaltung der Internetplattform sowie Audio-Versionen von Lageplänen und Stationsbeschreibungen auch sehbehinderten Menschen die sinnvolle Nutzung des Informationsangebots. Fazit Der Blick auf das Spektrum aktueller Projekte und Produktinnovationen im Bereich barrierefreie Mobilität zeigt, dass bedeutende Innovationspotenziale bestehen. Gerade im Bereich Verkehrsinformation wird an vielfältigen Angeboten gearbeitet, die mehr Freiräume auch für Menschen mit dauerhaften Mobilitätseinschränkungen schafen können. Dieses Feld profitiert besonders von der rasanten Entwicklung technischer Möglichkeiten. Über diese Entwicklungen hinaus besteht jedoch weiterhin in vielen Bereichen Handlungsbedarf. Unbehinderte Mobilität ist noch nicht für alle Menschen Realität. Die folgenden vier Thesen benennen zentrale Herausforderungen und liefern Impulse für eine erweiterte Diskussion zum Thema barrierefreie Mobilität im Sinne des Design für Alle. b Im Bereich der barrierefreien Verkehrsinformation werden vielfältige Dienste entwickelt, die helfen, vorhandene Barrieren zu erkennen und zu umgehen. Trotz dieser Hilfsmittel muss aber auch weiterhin daran gearbeitet werden, die eigentlichen (physischen) Barrieren möglichst weitgehend zu beseitigen. So ist es gut, wenn die Online-Fahrplanauskunft eines Nahverkehrsanbieters erlaubt, die Routenplanung auf rollstuhlgerechte Routen einzuschränken; wirklicher Nutzungskomfort ergibt sich aber erst, wenn auch tatsächlich genügend solcher barrierefreien Routen vorhanden sind. Dies schließt beispielsweise barrierefreie Zugänge zu den Haltestellen und Fahrzeugen des öfentlichen Verkehrs ein. Hierzu gehört etwa, dass Aufzüge, Hublifte und Rampen vorhanden und auch funktionsfähig sind. Lisa Ruhrort, Dipl.-Soz.-Wiss. Ehem. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Berlin Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung lisa.ruhrort@googlemail.com Christine Ahrend, Prof. Dr.-Ing. Fachgebietsleitung Technische Universität Berlin Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung christine.ahrend@tu-berlin.de Katrin Dziekan, Dr. phil. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Berlin Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung katrin.dziekan@tu-berlin.de b Usability, d. h. einfache Nutzbarkeit, Bedienbarkeit und barrierefreie Zugänglichkeit werden in Zukunft entscheidende Aspekte bei der Gestaltung von Mobilitätsräumen und -angeboten sein. Gerade im Bereich des öfentlichen Verkehrs wird Barrierefreiheit von zentraler Bedeutung sein, um die wachsende Zielgruppe älterer Menschen zu binden bzw. überhaupt als Kunden zu gewinnen. Mit dem Ansatz des Design für Alle werden einfache Bedienbarkeit und Zugänglichkeit des Verkehrssystems in den Fokus gerückt. Damit steigen auch die Chancen, Hemmschwellen bei Nichtnutzer- Innen abzubauen. b Design für Alle heißt, den Nutzer/ die Nutzerin in den Mittelpunkt zu stellen. Entscheidend für den Erfolg ist, dass dies nicht nur in der Theorie geschieht, sondern in Form der konkreten Einbeziehung der NutzerInnen in den Gestaltungsprozess. Dabei sollte ein möglichst breites Spektrum an unterschiedlichen Fähigkeiten und Mobilitätseinschränkungen repräsentiert sein. b Barrierefreie Mobilität braucht geschlossene, zugängliche Wegeketten. Deshalb ist Vernetzung verschiedener Akteure in diesem Bereich besonders wichtig. Dazu gehören z. B. Unternehmen, Betrofenenverbände, Nahverkehrsanbieter, kommunale Akteure und viele mehr. Ziel ist der Aubau von Netzwerken, in denen Kompetenzen und Know-how gebündelt werden. Das Transfernetzwerk easy.going 1 zeigt, wie Vernetzung zwischen Forschung, Anwendung und Betrofenen systematisch zur Innovationsgenerierung genutzt werden kann. Mit der Online-Datenbank easy. going.wiki (siehe www.easy.going-network. de/ wiki) wurde zudem eine interaktive Wissens-Plattform geschafen, auf der Innovationen, Good Practice Beispiele und Praxiserfahrungen im Bereich barrierefreie Mobilität für alle zugänglich präsentiert werden. Diese interaktive Plattform kann dabei unterstützen, der zukünftigen Herausforderung zu begegnen, Barrierefreie Mobilität im Sinne des Design für Alle zu gestalten. ɷ 1 easy.going TransferNetzwerk Barrierefreie Mobilität wurde vom Beauftragten des Bundes für die neuen Bundesländer im Rahmen des Innovationswettbewerbs „Wirtschaft trift Wissenschaft“ gefördert (Förderkennzeichen: 03WW- BE057A). Mehr Information unter www.easy.going-network.de
