eJournals lendemains 49/193

lendemains
ldm
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
10.24053/ldm-2024-0003
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ldm49193/ldm49193.pdf0922
2025
49193

Vingt-cinq ans après: Meine lendemains-Geschichte (2000-2012)

0922
2025
Wolfgang Asholt
ldm491930008
8 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains Wolfgang Asholt Vingt-cinq ans après: Meine lendemains-Geschichte (2000-2012) Alexandre Dumas schreibt in Vingt ans après die Geschichte der Musketiere weiter, und Aragon spielt mit dieser Fortsetzung unter veränderten historischen Bedingungen in seinem Früh-Résistance Gedicht „Vingt ans après“, das im Dezember 1939 in der NRF erscheint. Meine „25 Jahre später“ wollen weder die historische Dimension beider Texte noch die Tragik der Situation Aragons in Anspruch nehmen, sondern auf die veränderten Bedingungen hinweisen, die ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Zeitschrift 1975 herrschen. Damals stellte Michael Nerlich in seinem Editorial die neu gegründete Zeitschrift explizit in die Tradition der Résistance: „Wir wählen den Namen LENDEMAINS , weil wir der Meinung sind, dass es an der Zeit ist, endlich die zu ehren, die das französische Volk im Kampf gegen den deutschen Faschismus hat opfern müssen“ und zitierte Gabriel Péri: „le communisme est la jeunesse du monde […] il prépare des lendemains qui chantent“ (Heft 1: 13). 25 Jahre später hat sich nicht nur wegen der Zeitenwende von 1989 die Welt verändert, was nicht ohne Konsequenzen für die deutsch-französischen Beziehungen und eine „Zeitschrift für Frankreichforschung und Französischstudium“, so der programmatische (erste) Untertitel, bleiben kann. Schon 1985 (Heft 41) wird er in „Etudes comparées sur la France / Vergleichende Frankreichforschung“ geändert, der seitdem besteht. Im Editorial des Heftes 88 (1997) kündigt Michael Nerlich „ein Dossier“ an, das „25 Jahre Rezeption und Bekämpfung unserer Zeitschrift bilanzieren wird“ (4). Dazu ist es aus verschiedenen Gründen nicht gekommen, aber mit dem Doppelheft 95/ 96 (1999) legt Michael Nerlich einen „lendemains-Index 1985-1999“ (196-263) vor (einen Index 1974-1984 hatte es 1985 gegeben), der die 25 Jahre „Rezeption und Bekämpfung“ zumindest dokumentiert. Das Editorial des Hefts 88 ist vor allem dem Verlagswechsel vom Sybil Dümchen Verlag zum Stauffenburg Verlag (ab Heft 89) gewidmet, nachdem der Hitzeroth Verlag 1992 „den Vertrag aufgekündigt hat, weil es uns nicht gelungen ist, bei der DFG einen Druckkostenzuschuss für das Jahr 1993 zu erhalten“ (Editorial Heft 68: 3), das sollte erst zwischen 1994 und 2012 gelingen. 1 Die lendemains-Geschichte ist von Beginn an auch eine des Kampfes um das Leben und Überleben einer Zeitschrift gewesen, „die sich als einzige romanistische Fachzeitschrift die doppelte Pflicht auferlegt hat, sowohl interdisziplinär als auch explizit republikanisch-engagiert zu sein“ (Heft 68: 4), ein Ziel und ein Engagement, das für die Romanistik auch Mitte der 1970er Jahre durchaus nicht selbstverständlich war. Mit dem Wechsel zum Stauffenburg Verlag Brigitte Narrs verbindet sich die Hoffnung, „nun mit unserem kleinen lendemains-Schiff in einem sicheren Hafen gelandet“ (Heft 88: 4) zu sein. DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 9 50 Jahre lendemains Diese doppelte Orientierung Michael Nerlichs und seiner Zeitschrift spielt auch bei den mit „unglaublichen Vorfällen“ ( FAZ ) verbundenen Kämpfen um das von ihm initiierte und mitgeplante Frankreichzentrum an der Berliner TU eine Rolle, das schließlich von den TU-Philosophen, -Germanisten und -Historikern übernommen wird, worauf Michael Nerlich 2000 seine 1969 angetretene Professur an dieser Universität aufgibt. Damals stellt sich erneut die Frage des Überlebens bzw. ob mit seinem Weggang nach Frankreich (an die Uni Clermont-Ferrand) die Zeitschrift nach 25 Jahren aufgegeben werden soll. Wer, wie es bei mir der Fall war, die Vorbereitungen zur Gründung der Zeitschrift begleitet, die Ankündigungen und Abonnentenakquise verfolgt, dann jedes neue Heft mit Spannung erwartet und später in lendemains publiziert hat, für den sind die (unvermeidlichen) Veränderungen ein Teil der eigenen (romanistischen) Lebenserfahrungen. Dieses fachliche, persönliche und emotionale Verhältnis zu der Zeitschrift war wegen der unausweichlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen, etwa in der Redaktion der Zeitschrift, nicht immer frei von Spannungen, bis hin zu einem denkwürdigen Streit mit dem Herausgeber Michael Nerlich im Pariser Heinrich Heine-Haus in den 1990er Jahren. Umso mehr überrascht mich im Frühsommer 2000 die durch den lendemains-Mitherausgeber Hans Manfred Bock (Kassel), den ich seit langem und vor allem wegen der Ludwigsburger Frankreichforscher-Tagungen gut kenne, übermittelte Frage, ob ich mir vorstellen könne, mit ihm gemeinsam die Zeitschrift herauszugeben. So kommt es am 4. Juli 2000 zu einem Treffen mit Evelyne Sinnassamy und Michael Nerlich im Haus von Hans Manfred Bock bei Kassel, bei dem beschlossen wird, lendemains ab 2000 weiterhin herauszugeben, mit Manfred Bock und - neu - mir (W. A.) als Verantwortlichen; Redaktionssitz wird Osnabrück. In meinem ersten Editorial schreibe ich: „Wir werden als Herausgeber diese lendemains-Tradition [d. h. jene eines, wie es an der oben zitierten Stelle hieß, sowohl interdisziplinären als auch explizit republikanischen Engagements Evelyne Sinnassamys und Michael Nerlichs] fortsetzen, d. h. lendemains wird eine Zeitschrift für ‚Vergleichende Frankreichforschung‘ bleiben, in der Kultur- und Literaturwissenschaft ebenso ihren Platz behalten werden wie Geschichts- und Sozialwissenschaften“ (Heft 97: 5). In Berlin hatte es eine eingespielte Redaktion gegeben; als Erstes galt es, eine neue in Zusammenarbeit mit Manfred Bock und Kassel aufzubauen. Wir konnten dafür Constanze Baethge, François Beilecke, Andrea Grewe, Wolfgang Klein und Katja Marmetschke gewinnen, denen ich noch heute danke, dass sie sich zur Verfügung gestellt und bei den dann regelmäßigen Redaktionstreffen in Kassel, Osnabrück und in Berlin engagiert haben. Und natürlich musste auch die ‚ausführende‘ Betreuung der Zeitschrift neu geregelt werden. Ein besonderer Dank gilt hier Nathalie Crombée (Osnabrück), die sich nicht nur um die eingehenden Manuskripte und einen Teil der Korrespondenz mit Autorinnen und Autoren kümmerte, sondern die Manuskripte der Zeitschrift druckfähig digital einrichtete, wobei im Vorlauf noch alle Medien, von handschriftlichen Texten über Schreibmaschinenversionen oder Fax- Texten bis hin zu solchen, die als Dateien geschickt wurden, bearbeitet werden 10 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains mussten. Ohne diese ‚technische‘ Assistenz (siehe auch den zitierten Beitrag von Evelyne Sinnassamy) wäre die Herstellung der Zeitschrift nicht möglich gewesen. Als Lektor kümmerte sich auf Seiten des Stauffenburg Verlages Jürgen Freudl, der regelmäßig an den Redaktionssitzungen teilnahm, kompetent und engagiert um lendemains, so dass innerhalb kürzerer Zeit ein eingespieltes Team entstand, dem das Weiterleben der Zeitschrift zu verdanken ist. Auch wegen der damals (noch) 350 Abonnenten musste es im Sommer 2000 vor allem gelingen, für das schon halb verflossene Jahr Dossiers zu finden, die diesem Anspruch der Fortsetzung und Weiterentwicklung der lendemains-Tradition einer „Vergleichenden Frankreichforschung“ gerecht werden konnten. Dass dies gelang, ist vielen Freundinnen, Freunden, Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die Kontakte vermittelten, Anregungen gaben oder sich selbst zur Verfügung stellten. Ein unmittelbares Angebot machte anlässlich eines Treffens im Café Beaubourg Daniel Bougnoux, so dass das Heft 99 (2000) mit einem von ihm koordinierten Dossier noch Ende des Jahres erscheinen konnte, wofür ihm noch einmal gedankt sei: „Elsa Triolet et Aragon: de la contrebande à la clandestinité (1940-1942)“, ein deutschfranzösisches und zugleich höchst engagiertes Thema; außerdem gibt es eine Würdigung Assia Djebars aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Herbst 2000 von Elisabeth Arend sowie einen Nachruf auf Brigitte Schlieben-Lange von Hans Ulrich Gumbrecht. Die anderen Hefte des Jahrgangs erscheinen in rascher Folge 2001, es gilt, möglichst schnell zu einer regelmäßigen Erscheinungsweise zurückzufinden. Nach dem Doppelheft (98/ 99) mit einem von Pierre Halen und Anne Neuschäfer koordinierten Dossier zu „Avantgarden und Modernismen der Zwischenkriegszeit im französischsprachigen Belgien“ - auch ihnen sei an dieser Stelle gedankt - erscheint mit Heft 100 (2000) zwar keine Dokumentation von „25 Jahre Rezeption und Bekämpfung unserer Zeitschrift“, wohl aber aus Anlass des Jubiläums ein Schwerpunkt zu „Deutsch-französischen Zeitschriften“ als „Baustellen transnationaler Öffentlichkeit“ (Manfred Bock); vertreten sind die Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte (Henning Krauß), Allemagne d’aujourd’hui (Jérôme Vaillant), Frankreich-Jahrbuch (Henrik Uterwedde), LITER all (Nicole Bary), Dokumente (Johannes Thomas) und Revue d’Allemagne (Michel Fabréguet) sowie natürlich lendemains (Evelyne Sinnassamy / Michael Nerlich), das Dossier vereinigt also erstmals die wichtigsten deutsch-französischen Zeitschriften. Wenn diesem Dossier ein Aufsatz („Karl Heinz Bremer und Henri de Montherlant“) von Frank-Rutger Hausmann, dem damaligen Herausgeber der Romanischen Forschungen zur Seite gestellt ist, so zeigt das auch eine eher ungewöhnliche Kooperation zwischen den unterschiedlichen Zeitschriften, die sich zu Recht nicht als Konkurrenz, sondern als gegenseitige Bereicherung betrachten. Im heutigen Rückblick, wiederum ‚25 ans après‘, erscheinen die Jahre um 2000 als eine Zeit der scheinbar unbekümmerten Gewissheiten - sowohl was Zeitschriften als unverzichtbare und privilegierte Vermittlungsmedien des deutsch-französischen Austauschs betrifft, als auch in Hinblick auf den deutsch-französischen Dialog ins- DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 11 50 Jahre lendemains gesamt, dessen beispielhafte Funktion für die europäische Kultur, aber auch die institutionelle Entwicklung der Europäischen Union in keiner Weise infrage gestellt wurde. Zwar ist im ersten Editorial von den „Zwänge[n] der immer bedrohlicheren Ökonomisierung des Universitätssystems“ (Heft 97: 4) die Rede, doch im Editorial des Jubiläumsheftes 100 (2000) wird (zu Recht) die Frage gestellt, „ob nicht die ‚Normalisierung‘ der bilateralen Beziehungen [zwischen Deutschland und Frankreich] und die ‚Banalisierung‘ des Austauschs mit der jeweils anderen Kultur und ein daraus entstandenes Desinteresse das eigentliche Problem darstellen“ (5). Inzwischen hat sich das wechselseitige „Desinteresse“ an der Kultur des und der romanischen Nachbarn in allen gesellschaftlichen Teilbereichen etabliert: die beunruhigend sinkende Nachfrage für ein Romanistik-Studium lässt dies mehr als deutlich erkennen. Und die damals als „bedrohlich“ empfundene „Ökonomisierung“ des Universitätssystems ist mit dessen Anpassung an Unternehmensstrukturen in den 2000er Jahren zur inzwischen gewohnten und eigentlich unwidersprochenen Realität geworden, deren Erwartungen, wie sie etwa in der Exzellenzinitiative zum Ausdruck kommen, sich die Universitäten bereitwillig fügen. Wie schon der Beitrag Henrik Uterweddes zum Frankreich-Jahrbuch, das vom Deutsch-Französischen Institut herausgeben wird, im Jubiläumsheft zu deutschfranzösischen Zeitschriften erkennen lässt, bestehen privilegierte Beziehungen zu der Ludwigsburger Institution, der beide lendemains-Herausgeber als Mitherausgeber des Jahrbuchs und Co-Organisatoren der Frankreichforscher-Tagungen verbunden sind. In der Folgezeit versuchen sie daher, wie vorher schon Michael Nerlich, eine Kluft zu überbrücken, die seit Jahrzehnten besteht: die Trennung zwischen der literaturwissenschaftlichen Frankreichforschung in der Romanistik und ihrem sozialwissenschaftlichen Pendant, das im deutschsprachigen Raum bislang kaum an Universitäten verankert ist; diese Kluft reicht zurück bis zu Ernst Robert Curtius’ Auseinandersetzung mit den zivilisationistisch geprägten französischen Germanisten der Zwischenkriegszeit. 2 Rückblickend muss man feststellen, dass das nur zeitweise gelungen ist. Eine sozialwissenschaftliche Frankreich-Forschung im damaligen Sinne gibt es kaum noch, und in der Romanistik haben Area Studies und jetzt vor allem solche zu romanistischen Perspektiven des Globalen Südens die (bi-)national perspektivierten Studien (wohl definitiv) abgelöst. Es liegt auf der Hand, dass mit der Abkehr von einer kulturellen, sozialen und politischen Perspektive innerhalb nationaler Bezugsrahmen nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste verbunden sind, wie die immer geringeren Kenntnisse und das damit einhergehende Desinteresse in Bezug auf die noch weitgehend nationalen Diskussionen und Aktionen beim wichtigsten Nachbarland Deutschlands zeigen. Eben diesen Dialog illustrieren die Dossiers der Doppelhefte der Jahrgänge 2001 und 2002, mit denen der Rückstand aufgeholt wurde, so dass die Zeitschrift ab 2003 wieder mit jährlich zwei Einzel- und einem Doppelheft erscheint. Jedes dieser Doppelhefte illustriert die doppelte, kulturell-literaturwissenschaftliche und historisch-sozialwissenschaftliche Perspektive von lendemains auf seine 12 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains Weise: Heft 101/ 102 (2001) mit „Zwangsarbeiter in Deutschland 1942-1945“, koordiniert von Helga Bories-Sawala, und „André Gide und der NRF-Kreis“, von François Beilecke und Hans T. Siepe (ein Dossier, zu dem in Heft 107/ 108 [2002] eine Diskussion zwischen Michael Einfalt [„André Gide, le grand absent. Eine Kritik zum Dossier „André Gide und der NRF-Kreis“] und den beiden Dossier-Verantwortlichen [„Ein Hammer als Werkzeug. Zur Kritik von Michael Einfalt“] erscheint), daneben gibt es vor allem auch die erste Houellebecq-Studie von Rita Schober: „Aimez-vous Houellebecq? Der Autor und sein Roman Plateforme“. Ganz einer kulturellen und institutionellen Perspektive verpflichtet, wenn auch mit unterschiedlicher Ausrichtung, sind die beiden Dossiers des Heftes 103/ 104 (2001): „Les études germaniques en France“, zusammengestellt von Pascale Gruson und Katja Marmetschke, sowie Joachim Umlaufs „Von privilegierten zu reduzierten Kulturbeziehungen? Auswärtige Kulturpolitik in Deutschland und Frankreich“, die ins Gedächtnis rufen, dass die kulturelle Präsenz beim jeweils anderen inzwischen seit über zwanzig Jahren im Rückgang begriffen ist. Beides sind Thematiken, die von anderen deutsch-französischen Zeitschriften, vor allem aber in der Romanistik fast nie behandelt werden. Hervorzuheben ist in diesem Doppelheft die doppelte „In memoriam“-Würdigung Pierre Bourdieus: „L’unanimité de l’hommage posthume“ von Joseph Jurt und Gunter Gebauers „Nachruf auf Pierre Bourdieu“, also Nachrufe der beiden besten Bourdieu- Kenner in Deutschland. Das erste Doppelheft des Jahrgangs 2002 ist aus gegebenem Anlass einerseits den „Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich 2002“ gewidmet, es wurde vom Kasseler Teil der Redaktion betreut: Roland Höhne betitelt seine Bilanz der Wahl, bei der es erstmals ein Kandidat des Front National in den zweiten Wahlgang schaffte, mit der (leider) immer noch gültigen Einschätzung: „Die Krise der Repräsentation“. Andererseits enthält das Heft ein prominentes Dossier von Constanze Baethge zu „Aspects de poésie contemporaine“, auch mit Artikeln von Jean-Luc Nancy und Philippe Beck und unveröffentlichten Gedichten von Gabrielle Althen, Michel Deguy, Frédéric Jacques Temple und Philippe Beck. Schließlich ist auch das zweite Doppelheft 107/ 108 des Jahrgangs 2002 zwei unterschiedlichen Perspektiven gewidmet: der literaturwissenschaftlichen mit dem von Dominique Viart, dem wohl besten Kenner der französischen Gegenwartsliteratur, zusammengestellten Dossier „Les mutations esthétiques du roman contemporain français“ und das vom Herausgeber Manfred Bock koordinierte Dossier: „Zur Vorgeschichte des Deutsch-Französischen Jugendwerks 1949-1963“. Aber die Vielfalt der Themen wird auch durch zwei Rezensionen der Paris-Düsseldorfer Ausstellung „Surrealismus 1919-1944“ illustriert: Magdalena Holzheys „Die Düsseldorfer Ausstellung Surrealismus 1919-1944“ und Peter Bürgers „Wider die Meisterwerke, Einwände gegen Werner Spies’ Düsseldorfer Schau“; Rezensionen, die durchaus mit Blick auf die Ausstellung zu 100 Jahren Surrealismus 2024/ 2025 im Centre Pompidou noch relevant sind. Die acht Dossiers der Jahrgänge 2001 und 2002 stehen durchaus exemplarisch für die Ausrichtung der Zeitschrift seitens der (neuen) Herausgeber, mit der jene der ersten 25 Jahre weiterentwickelt wird. Besondere Bedeutung haben die literarischen DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 13 50 Jahre lendemains und literaturwissenschaftlichen Beiträge, zumal mit Bezug zur Gegenwartsliteratur, sei es der französische Gegenwartsroman, der Anfang der 2000er Jahre allmählich auch in Deutschland entdeckt wird, angestoßen durch die deutsche Houellebecq- Rezeption, sei es die aktuelle französische Dichtung, die es im Nachbarland ungleich schwerer hat: selbst Namen wie Michel Deguy oder Philippe Beck sind in Deutschland (immer noch) unbekannt. Aber auch ein literarhistorisches Thema wie „André Gide und der NRF-Kreis“ vermag eine (kleine) Debatte auszulösen. Neben diesen eher klassisch ‚romanistischen‘ Themen stehen solche der deutsch-französischen Geschichte und der zivilgesellschaftlichen Institutionen, wie die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges oder die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, die Entwicklung der französischen Germanistik oder die Vorgeschichte des DFJW . Und ganz in der Tradition der Zeitschrift, dem gegenwärtigen Frankreich auch politisch Rechnung zu tragen, steht das Dossier zu den Wahlen des Jahres 2002, die insbesondere rückblickend ein alarmierendes Vorspiel heutiger Entwicklungen bilden. Der Jahrgang 2003, mit dem wir nun tatsächlich „in einem sicheren Hafen gelandet“ waren, eröffnet mit Heft 109 unter dem Titel „Décrypter Roubaud“ mit einem spektakulären, von Elvira Monika Laskowski-Caujolle zusammengestellten Dossier mit Beiträgen u. a. von David Bellos, Marcel Bénabou, Peter Consenstein und einem unveröffentlichten Text des Autors: „Le Conte conte le conte et compte“ aus der Bibliothèque de Warburg (103-116), enthält beispielsweise aber auch einen Nachruf auf Maurice Blanchot von Dominique Rabaté. Das Editorial protestiert vor allem gegen die Streichung seines Romanistenprogramms („Studierende der Romanistik nach Frankreich, Italien und Spanien“) durch den (von einem Romanisten geleiteten) DAAD , es endet mit einem Appell, der auch heute nicht überflüssig geworden ist: „Bleibt nur, an die Romanistik insgesamt zu appellieren, die Gefahren, der [sic] sie und die Geisteswissenschaften ausgesetzt sind, endlich wahrzunehmen und auf sie zu reagieren“ (5); ich schreibe dies am Tag, an dem die Ergebnisse des 2. Wettbewerbs der Exzellenzstrategie bekannt bekannt und diese Gefahren manifest geworden sind. Das Doppelheft dieses Jahrgangs vereint zwei Dossiers, das von Thomas Amos und Gerhard Goebel mit dem Titel „Die phantastische Literatur“, u. a. mit einem Gedicht von Claude Ollier, und das (Verbands-)Dossier „Pour les Sciences Humaines“ von Charles Grivel im Auftrag des Frankoromanistenverbands ( FRV ) zusammengestellt, mit Beiträgen u. a. von Alain Decaux, Fritz Nies oder Jürgen Trabant, daneben gibt es einen kleineren Schwerpunkt von Frank-Rutger Hausmann zu „Heidegger, der Nationalsozialismus und Frankreich“ und einen Essay von Stephan Moebius zu den „Internen Krisen des Collège de Sociologie (1937-1939)“. Der Jahrgang schließt mit einem außergewöhnlichen Dossier von Catherine Coquio und Aurélia Kalisky: „Rwanda - 2004: témoignages et littérature“, bei dem erstmals ein deutsches Publikum mit einem breiten Spektrum von Zeugnissen und Analysen des Völkermords von 1994 konfrontiert wird. Aber das Heft 112 dokumentiert auch eine durch den Aufsatz „Darf es noch Intellektuelle geben? “ von Wolfgang Klein ausgelöste Diskussion zwischen Michel Winock und Klein selbst. 14 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber aufgrund der zunehmenden Schwierigkeiten kleinerer Wissenschaftsverlage seit Beginn der 2000er Jahre, erweist sich der Stauffenburg Verlag nach und nach nicht als der erwartete „sichere Hafen“, vor allem, was den regelmäßigen Erscheinungsrhythmus angeht. Bei einer Redaktionskonferenz in Berlin im Oktober 2003 berichte ich von „anhaltenden Problemen“ und es wird bei weiteren Verzögerungen über einen Verlagswechsel nachgedacht. Dieser sollte schneller als erwartet eintreten. Das Heft 113 (2004), mit einem Dossier zu „Laïcité und Islam in Frankreich“, d. h. einer auch 20 Jahre später immer noch aktuellen Thematik, und einer einschlägigen Titelillustration des Le-Monde-Karikaturisten Pancho, erscheint noch beim Stauffenburg Verlag, doch schon das Doppelheft dieses Jahrgangs wird, betreut von Jürgen Freudl, der ebenfalls den Verlag gewechselt hat, vom Gunter Narr Verlag herausgegen; dem Verleger Gunter Narr sei ausdrücklich für das damalige Angebot und die inzwischen mehr als 20jährige und stets problemlose und effektive Kooperation gedankt. Es ist ein Heft mit einem typischen lendemains-Profil im Sinne der „Vergleichenden Frankreichforschung“: einem von François Beilecke und Nicolas Hubé koordinierten Dossier zu den „Französischen Parteien und den Regionalwahlen 2004“ und einem zweiten von Almut Zwengel zu „Migranten in Frankreich“, zu einem Zeitpunkt, als die Migrationsforschung in Deutschland noch kaum begonnen hat. Wenn es in diesem Dossier auch einen Beitrag von Helen Schwenken zum Thema „Sangatte - Frankreichs non-lieu, Auseinandersetzungen um ein Flüchtlingslager“ (59-69) gibt, so illustriert dieser inzwischen zum lieu de mémoire gewordene Ort die jahrzehntelange Kontinuität der Migrationsproblematik. In Fortsetzung der Intellektuellen-Debatte gibt es u. a. einen Beitrag des Anfang 2004 verstorbenen Intellektuellen-Forschers Michel Trebitsch: „Le silence des intellectuels sous l’occupation“ (250-262), aber auch das bei der 2002 in Paris durchgeführten Theaterveranstaltung „La plus grande pièce du monde“ vorgetragene Prosagedicht „Fariboles“ von Eugène Durif, mit einer „Chanson des lendemains qui chantent“ (245-249, 249). Das letzte Heft (116, 2004) kommt einem von Bernadette Puijalon und Jacqueline Trincaz verantworteten Dossier zu „Vieillir en France“. Der Jahrgang macht deutlich, weshalb und inwieweit lendemains eine Ausnahme im Spektrum der romanistischen Zeitschriften bildet. Dies betrifft zum einen die ‚vergleichende‘ Frankreichforschung. Zwar kommt es nur selten zu direkten deutsch-französischen Vergleichen, wie in Ansgar Baumanns „Die französischen Parlamentarier der Assemblée nationale beneiden 1963 ihre Kollegen im deutschen Bundestag“ (Heft 113) oder Nicole Colins „Über die ökonomischen Voraussetzungen künstlerischer Autonomie: Französisches und deutsches Theater - ein Strukturvergleich“ (Heft 116), doch im allgemeinen kooperieren bei den Dossiers (meist jüngere) deutsche und französische Wissenschaftler; so kommt es (auch) zu einem ‚Vergleich‘ der Eigen- und Fremdperspektive. Zum anderen aber sind die Dossiers Problemen der französischen Zivilgesellschaft gewidmet, die in ‚normalen‘ romanistischen Fachzeitschriften keinen Platz finden: dies gilt für „Laïcité und Islam in Frankreich“ ebenso wie für das Phänomen der Migration oder die zunehmende (Über-)Alterung nicht nur der französischen Gesellschaft. Diese Dossiers richten DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 15 50 Jahre lendemains sich nicht nur an das romanistische Fachpublikum, sondern auch an eine deutschfranzösische Öffentlichkeit, deren Etablierung sich die Zeitschrift von Beginn an widmet. Innerhalb der Romanistik hängt der Erfolg dieser sozialwissenschaftlichen Schwerpunktbildung in weiten Teilen jedoch davon ab, inwieweit das Fach, über vereinzelte Veranstaltungen zur ‚Landeskunde‘ hinaus, bereit ist, diesen Bereich als einen integralen Teil von Lehre und Forschung zu akzeptieren. Diese Erwartung nach mehr als 30 Jahren Diskussionen und Kämpfen um Landeskunde/ Landeswissenschaft aussprechen zu müssen, d. h. erneut der Hoffnung Ausdruck zu geben, die das Editorial des Heftes 117 (2005) so formuliert: „dass diese Frankreichforschung ein Ferment der Verbesserung und der Intensivierung der deutsch-französischen Kommunikation sein werde, ein Instrument der Stärkung der zivilgesellschaftlichen und der kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern“ (3), stellt zumindest rückblickend gesehen eine (skeptische) Antwort dar. Nachdem lendemains mit dem Gunter Narr Verlag tatsächlich in einem „sicheren Hafen“ angelegt hat, sind Mitarbeiter der Hefte, Redaktion und Herausgeber davon überzeugt, dieses Zeitschriftenprojekt nun mit besseren Chancen und erfolgreicher angehen zu können. Dies illustrieren die Dossiers des Jahrgangs 2005 mit Themen wie „Bruits de fonds - Pour une culture mineure“ (von Beate Ochsner, mit Beiträgen u. a. von Claude Ollier, Paolo Tortonese, Benoît Denis / Jacques Dubois oder Benoît Peeters), der „Algerischen Gegenwartsliteratur“ (von Elisabeth Arend und Ernstpeter Ruhe, mit zwei unveröffentlichten Texten Assia Djebars und einer ihr gewidmeten Laudatio von Mireille Calle-Gruber) und den „Droits des femmes et littérature sous la Troisième République“ (von Eva-Karin Josefson und Annette Keilhauer), oder auch der mit Heft 117 (2005) begonnene Abdruck eines großen Essays von Georges-Arthur Goldschmidt: „Heidegger et la langue allemande“, der nach fünf weiteren Teilen mit Heft 124 (2006) abgeschlossen wird und später bei den CNRS Editions (2016) als Buch erscheint. Ein besonderes Dokument deutsch-französischer Kooperation sind in Heft 119/ 120 (2005) die Berichte vom Frankoromanistentag in Freiburg (2004), der von der „Société d’histoire littéraire de la France“ (Marc Fumaroli und Françoise Mélonio) und dem FRV (Henning Krauss) gemeinsam organisiert wurde; zwei noch heute lesenswerte Podiumsdiskussionen, zu „Literatur und Demokratie“ (geleitet von Marc Fumaroli) und zur „Zukunft der Romanistik“ (F.-R. Hausmann / W. Asholt) werden ebenfalls dokumentiert. Es wäre ein Gewinn, gäbe es solche Kooperationen zwischen deutschen und französischen Fachverbänden auch in der Gegenwart häufiger. Im Jahrgang 2006 ist neben der Fortsetzung des Jacques Roubaud-Dossiers von Elvira Monika Laskowski-Caujolle besonders der kleine Schwerpunkt von Karlheinz Barck und Martin Treml „Zum 30. Todestag von Werner Krauss“ hervorzuheben, zu dem auch die Rezension des ein Jahr zuvor erschienenen Werkes von Gerdi Seidel: Vom Leben und Überleben eines ‚Luxusfachs‘. Die Anfangsjahre der Romanistik in der DDR durch Gerhard Schewe gehört. Mehr als 25 Jahre nach der Vereinigung ist die DDR-Romanistik für lendemains immer noch ein aktuelles Thema. Diese Aktua- 16 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains lität gilt in Frankreich zu diesem Zeitpunkt auch (noch) für die zunehmende Bedeutung der „Mémoires de la guerre d’Algérie“, denen Lila Ibrahim-Lamrous und Catherine Milkovitch-Rioux ein Dossier im Heft 121 (2006) widmen, das auch einen Essay von François Balibar zu „Construction et déconstructions de l’universel“ veröffentlicht. Und die Vielfalt der Zeitschrift illustriert das Doppelheft (122/ 123) mit Dossiers zum „Au-delà des Area Studies: Perspectives comparatistes et interculturelles“ von Hans-Jürgen Lüsebrink und Laurence McFalls sowie zu „Computer, Internet und Literatur in Frankreich und der Frankophonie“ von Andreas Gelz. Einen großen und wirkmächtigen Versuch, die Literaturwissenschaft durch „neue Perspektiven für die Erforschung von Kunst und Literatur als Erlebenswissen, als Überlebenswissen und als Zusammenlebenswissen“ (32) zu verändern und auf die Gesellschaft hin zu öffnen, stellt Ottmar Ettes Essay „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Eine Programmschrift im Jahr der Geisteswissenschaften“ im ersten Heft (Nr. 125) des Jahrgangs 2007 dar, in dem außerdem ein Dossier von Jean-Louis Georget zu „L’Allemagne à l’épreuve de la Volkskunde“ veröffentlicht wird. Zu Ettes Programm- und Streitschrift findet am 12. April 2007 im Simón-Bolívar- Saal des Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin ein öffentlicher Workshop mit einer Lesung von Emine Sevgi Özdamar, einem Kurzvortrag von Ottmar Ette und einer Podiumsdiskussion mit Ette, Christoph Menke, Ansgar Nünning und Wolfgang Asholt statt, von Verlagsseite betreut von Jürgen Freudl. Die Beiträge dieser Diskussion und Stellungnahmen von Stefanie Bung und Wolfgang Adam zu Ettes Programmschrift werden in Heft 126/ 127 (2007) veröffentlicht; weitere Erwiderungen auf und Stellungnahmen zu Ette von Hans Ulrich Gumbrecht, Klaus Michael Bogdal, Toni Tholen und Pablo Valdivia Orozco folgen in Heft 128 (2007), in dem auch die eindrucksvolle Rede Jorge Semprúns, „Philosophie als Überlebenswissenschaft“, aus Anlass der Verleihung der Potsdamer Ehrendoktorwürde erscheint (80-88), und eine letzte Fortsetzung erfährt diese Diskussion in Heft 129 (2008) 3 mit einem Beitrag von Markus Messling und einer Bilanz Ottmar Ettes zu den „Perspektiven einer anhebenden Debatte“ (111-117), in der er abschließend resümiert: „Wir sind am Ziel, ohne am Ziel zu sein. […] Vieles wird davon abhängen, die Debatte […] nicht nur mit anderen Worten, sondern mit den Worten des Anderen auf neue Horizonte hin zu öffnen“ (117), eine Bilanz die sich als Devise auch lendemains zu eigen machen könnte. Diese Stellungnahmen und Erwiderungen zeigen, dass Ottmar Ettes Programmschrift, auch in Zusammenhang mit der damaligen Debatte um Life Sciences, auf eine in den Jahren der zunehmend komplexer werdenden Theoriedebatten entstandene ‚Leerstelle‘ der Literaturwissenschaft aufmerksam macht, oder wie Ette es formuliert: „Literatur aber sollte für unsere aktuelle Gesellschaft zu einer wichtigen, unverzichtbaren Quelle des Lebenswissens und insbesondere des Zusammenlebenswissens werden, eine Funktion, die andere Funktionen von Literatur selbstverständlich nicht verdrängen darf, nun aber endlich von der Literaturtheorie als genuines Aufgabengebiet verstanden und ernst genommen werden muß“ (Heft DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 17 50 Jahre lendemains 125: 29). Trotz weitgehender allgemeiner Akzeptanz von Ettes ‚Lebenswissenschafts‘-Konzeption lassen schon die Titel nicht weniger ‚Responses‘, etwa Hans Ulrich Gumbrechts „Wie könnte man nicht einverstanden sein“ oder Klaus Michael Bogdals „Lebenskunst, nicht Lebenswissenschaft“ (Heft 128) erkennen, dass viele von ihnen eine (partielle) Zustimmung mit mehr oder weniger einschränkenden, skeptischen oder kritischen Kommentaren verbinden, die gerade auf einer eher exklusiven oder autoreferenziellen (eigenen) Literaturtheorie beruhen. Es ist allerdings bezeichnend, dass es, angefangen mit Pablo Valdivia Orozco, mit Sergio Ugalde, Liliana Weinberg und Josu Landa zu einer ‚mexikanischen‘ Rezeption der Lebenswissenschaft kommt, die bis heute andauert. Die Literaturwissenschaft des Globalen Südens, insbesondere in Ibero-Amerika und in jüngster Zeit in China, zeigt sich also dem innovativen Konzept gegenüber sehr viel aufgeschlossener als im deutschen Sprachraum, was den etablierten Vertretern autoreferenzieller Literaturtheorien gerade in der heutigen Situation des Faches Fragen stellen sollte. Das Doppelheft des Jahres 2007 widmet ein (von Dietmar Hüser und Sabine Ruß koordiniertes) Dossier mit der Titelfrage „Im Westen nichts Neues? “ dem „Französischen Wahljahr 2007“ und das andere, von Till R. Kuhnle und Saskia S. Wiedner zusammengestellt, den „Contacts: le désir du canon. L’esthétique de la citation dans le roman français post soixante-huitard“; eine besondere Attraktion stellen in diesem Heft Volker Brauns „Lobrede auf Alain Lance. Und wünschte kein Ende dem Umweg“ und die „Dankesrede anlässlich der Verleihung des DekaBank-Preises“ von Alain Lance dar. Eine besondere Beachtung der französischsprachigen Gegenwartsliteratur hat lendemains von Beginn an ausgezeichnet; dies bestätigt das von Andrea Grewe zusammengestellte Dossier zu „Tendenzen des Gegenwartsromans“ in Heft 128 (2007). Diese Gegenwartsorientierung prägt auch die Dossiers des gesamten Jahrgangs 2008: vom „Arrêt sur images: la bande dessinée“ (Heft 129) von Thomas Amos, über das didaktisch konzipierte „Frankreichbild im Wandel“ (Adelheid Schumann), „Arrêt sur images II“ (Thomas Amos), Pressezeichnungen und Karikaturen zum „Mai 68“ und ein ungewöhnliches, Rita Schober zu verdankendes ‚Dokument‘, ihren Briefwechsel mit Victor Klemperer und Werner Krauss in Heft 130/ 131, bis zu einem Gedenk-Dossier von Thomas Stauder: „Le centenaire de Simone de Beauvoir“ (Heft 132). Diese Revue von Dossiers und Heften verdeutlicht hoffentlich das lendemains- Profil in den zwölf Jahren der Herausgeberschaft von Hans Manfred Bock und mir hinreichend. Deshalb sollen für die Jahre bis 2012 nur einige Schwerpunkte erwähnt werden: das Heft 133 (2009) mit seinen „Hommages à Michael Nerlich“, die Dossiers zu „L’Afrique (post-)coloniale“ (2010, Heft 137) und zu den „Transferts médiatiques entre l’Europe et l’Afrique francophone“ von Alain Cyr Pangop Kameni (2010, Heft 138/ 139), zu „Michel Houellebecq: Questions du réalisme d’aujourd’hui“ von Jörn Steigerwald und Agnieszka Komorowska (2011, Heft 142/ 143) oder die „Choréographies du paysage littéraire“ von Ottmar Ette und Gesine Müller (2012, Heft 145). Nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden Jürgen Freudls werden die lendemains- 18 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains Hefte seitdem von Kathrin Heyng betreut, der ebenso wie Gunter Narr als Verleger für diese Kooperation gedankt sei. Seit längerem schon hatten Hans Manfred Bock und ich ein Nachfolge-Team für die Herausgabe von lendemains gesucht. Früh steht für die literatur- und kulturwissenschaftliche Seite Andreas Gelz (Freiburg) fest, sowohl aus persönlichen Gründen als auch wegen des institutionellen Kontexts mit einem Frankreich-Zentrum vor Ort: er nimmt schon Anfang 2010 an einem Redaktionstreffen im Narr Verlag in Tübingen teil, zu dem auch der Verleger Gunter Narr kommt. Andreas Gelz tritt mit dem ersten Heft des Jahrgangs 2012 als (Mit-)Herausgeber auf. Als sehr viel schwieriger sollte sich die Suche nach einem Herausgeber aus den Politik- und Sozialwissenschaften erweisen. Offensichtlich haben sich die Bedingungen des entsprechenden fachwissenschaftlichen Feldes so verändert, dass eine Mitherausgabe einer Zeitschrift wie lendemains nicht mehr attraktiv ist, sondern eher ein Handicap darstellt, wie Gespräche mit potenziellen Kandidaten verdeutlichen. Umso erfreulicher ist es, dass es gelingt, als verantwortlichen Herausgeber für den sozialwissenschaftlichen Bereich Christian Papilloud (Halle-Wittenberg) zu gewinnen, gemeinsam mit Andreas Gelz gibt er die Zeitschrift ab Heft 148 (2013) heraus. Die Linie der Zeitschrift, die die beiden Herausgeber Hans Manfred Bock und Wolfgang Asholt seit dem Jahrgang 2000 verfolgt haben, verdeutlicht vielleicht am besten ihr vorletztes, von Andreas Gelz mitunterzeichnetes Editorial, diesmal unter dem Titel „Statt eines Editorials“ (Heft 146/ 147: 4). Es nimmt Bezug auf den Aufruf von einer Romanistin und fünf Romanisten in Le Monde (28.06.2012), der im Anschluss abgedruckt ist (5-9). Der Aufruf unter dem Titel „Pour un renouveau dans les rapports franco-allemands“ richtet sich aus Anlass der Wahl von François Hollande zum französischen Staatspräsidenten an die deutsche und französische Öffentlichkeit; das Editorial seinerseits an die Romanistik, die darin aufgefordert wird, „ihre Verantwortung für eine konstruktive Ausgestaltung der deutsch-französischen Beziehungen stärker wahrzunehmen“ (4), denn der Aufruf in Le Monde war anschließend von (nur) 50 Romanisten unterzeichnet worden. Da im Jahr 2012 der 50. Jahrestag der von de Gaulle und Adenauer in Reims besiegelten Aussöhnung und der daraus entstandenen deutsch-französischen Freundschaft begangen wird und der neue Staatspräsident François Hollande am Tag seiner Amtseinführung (15.05.2012) die deutsche Bundeskanzlerin in Berlin besucht, glaubten wir, die Zeit „[f]ür eine Wiederbelebung des deutsch-französischen Verhältnisses“ sei gekommen - auch weil etwa Pierre Nora in der FAZ (17.02.2012) dazu aufruft, die immer größere (auch kulturelle) Sprachlosigkeit zwischen den beiden Ländern zu überwinden und Michel Serres mit seiner Kölner Dankesrede für den Meister Eckart Preis unter dem Titel „Ich träume von einer Verschmelzung zwischen Deutschland und Frankreich“ ein Plädoyer für das engere Zusammenleben beider Nationen formuliert, das noch heute aktuell sein sollte. Doch die Tatsache, dass keine deutsche Zeitung bereit war, ihrerseits den Le- Monde-Aufruf abzudrucken, und dass nur relativ wenige Romanistinnen und Romanisten bereit sind, ihn zu unterzeichnen, zeigt, dass die Sprachlosigkeit, die Nora seit DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 19 50 Jahre lendemains 1989 sich entwickeln sieht, damals den weitgehend akzeptierten Erwartungshorizont darstellt: für die Romanistik eigentlich eine inakzeptable Situation. Doch hat sie sich bis heute verändert oder nicht vielmehr verfestigt? Dass letzteres offensichtlich der Fall ist, macht die Zeiten für eine Zeitschrift der „Vergleichenden Frankreichforschung“ nicht leichter. Dies zeigen schon die Abonnentenzahlen des Jahres 2012 überdeutlich. Gab es 2000 noch ca. 350 private und institutionelle Abonnements, so hat sich ihre Zahl zwölf Jahre später mehr als halbiert, wovon ein Drittel aus dem Ausland kommt; Privatabonnements sind immer seltener geworden. Auch daran zeigt sich überdeutlich die stetig zurückgehende Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen. In den Sozialwissenschaften ist diese Tendenz, den nationalen Vergleich durch transnationale oder transarea- Studien abzulösen, besonders offensichtlich. Angesichts der immer noch stark national geprägten Kulturen und Literaturen ist es nicht so evident, dieses Modell zu verabschieden, wie zahlreiche Dossiers aus diesen Feldern illustrieren. Doch das, was seit Beginn den privilegierten Bereich und das Profil der Zeitschrift darstellt, die vergleichende Forschung in den Feldern von „Ökonomie - Politik - Geschichte - Kultur - Literatur - Medien - Sprache“, wie es im Untertitel der „Études comparées sur la France“ explizit heißt, angemessen im Spektrum der Dossiers zu berücksichtigen, ist schon 2012 seit längerem unmöglich geworden. In der Gründerzeit der Zeitschrift zu Beginn der 1970er Jahre schien es dank der in der Nach-1968-Zeit ausgelösten Diskussionen um Landeskunde/ Landeswissenschaft so, als sei diese als die dritte Säule der Romanistik in Forschung und Lehre auch in Form eines Organs der kuturgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen „Vergleichenden Frankreichforschung“ möglich und notwendig. Doch wie das Schicksal der nicht sehr zahlreichen Professuren für Frankreichkunde oder -wissenschaft, die vor allem an Universitäten der ‚neuen Länder‘ eingerichtet wurden, besonders deutlich zeigt, ist das Modell überall zugunsten einer traditionellen Romanistik abgewickelt worden. Damit werden auch die Kooperationen mit dem ‚zivilisationistischen‘ Teil der französischen Germanistik (fast) unmöglich. Das 2013 in der edition lendemains veröffentliche Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 (herausgegeben von Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil und Joachim Umlauf) zeigt das breite Feld solch möglicher Kooperationen, zu denen es seitdem kaum noch kommt. Ein halbes Jahrhundert nach der Gründung der Zeitschrift sind also nicht nur die (schon damals problematischen) Hoffnungen, der „communisme prépare des lendemains qui chantent“ (s.o.), verlorene Illusionen. Angesichts der vehementen Debatten der 1970er Jahre, der Relativierung ihrer (angestrebten) Reformen in den folgenden Jahrzehnten und der Umstellung der Universitäten auf ein sich an wirtschaftlichen Strukturen orientierendes Marktmodell musste sich der damalige Erwartungshorizont grundlegend verändern. Was von den Anfängen von lendemains jedoch geblieben ist und sich bewährt hat, ist das Dossier-Modell, das auch den damaligen Vorstellungen von einem Studium in Projekten entsprach. Zumindest einige der erwähnten Dossiers haben die fachliche Entwicklung (ein wenig) beein- 20 DOI 10.24053/ ldm-2024-0003 50 Jahre lendemains flussen können. Dabei kommt insbesondere den Dossiers zur französischen Gegenwartsliteratur, wie „Les mutations esthétiques du roman contemporain français“ von Dominique Viart oder den „Aspects de poésie contemporaine“ von Constanze Baethge besondere Bedeutung zu, aber zumindest ebenso Catherine Coquios und Aurélia Kaliskys: „Rwanda - 2004: témoignages et littérature“, das erstmals die heutige Genozid-Literatur in Deutschland bekannt machte. Und schließlich gab es wiederholt noch heute wichtige Dossiers zur (Ideologie-)Geschichte des 20. Jahrhunderts wie Georges-Arthur Goldschmidts große Studie „Heidegger et la langue allemande“ oder Frank-Rutger Hausmanns „Heidegger, der Nationalsozialismus und Frankreich“ und den immer noch gültigen Appell von Ottmar Ettes Essay „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Eine Programmschrift im Jahr der Geisteswissenschaften“ (2007). Vor 50 Jahren ist die Zeitschrift nicht nur angetreten, die Romanistik zu verändern, sondern auch, die deutsch-französischen Beziehungen aus einer Verantwortung der gemeinsamen Geschichte, vor allem jener der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, heraus zu verbessern und zu einer stets präsenten gemeinsamen kulturellen und historischen Referenz für die Öffentlichkeit in beiden Ländern werden zu lassen. Das eine wie das andere Ziel sind weit davon entfernt, verwirklicht worden zu sein. Sich solche Ziele zu setzen ist wohl auch eine Überschätzung der Möglichkeiten einer Zeitschrift, heute noch weitaus mehr als seinerzeit. Das nimmt den Dossiers und Beiträgen von lendemains nichts von ihrer Bedeutung, lässt sie allerdings historisch werden. Und vor allem stellt es nicht die Ziele als solche infrage, und dies gilt unter ungleich schwierigeren Bedingungen noch heute. 1 Eine kurze Verlagsgeschichte der Zeitschrift findet sich bei Evelyne Sinnassamy: „lendemains, hier et aujourd’hui, de la machine à boule à internet“, in: lendemains, 100, 2000, 43- 50. 2 Michael Nerlich, „Romanistik und Antikommunismus“, in: Das Argument, 72, 1972, 276- 313; id. (ed.), Kritik der Frankreich-Forschung. 1871-1975, Berlin, Argument-Verlag, 1977, v. a. 82-95. 3 Die Programmschrift und die Diskussion sowie weitere Stellungnahmen sind dokumentiert in: Wolfgang Asholt / Ottmar Ette (ed.), Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Programm - Projekte - Perspektiven, Tübingen, Narr, 2010 (edition lendemains; 20). Dem Gunter Narr Verlag sei noch einmal herzlich für die Betreuung dieses Projekts gedankt.