eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 66/2

Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2019-0011
0415
2019
662 Jungk

In Zeiten von Industrie 4.0 erst recht

0415
2019
Jens Beck
Mit dem Ziel, Produktionsverfahren durch die voranschreitende Integration digitaler, vernetzungsfähiger Komponenten immer effizienter zu machen, werden unzählige Maschinen immer „intelligenter“. Die beabsichtigten Effizienzsteigerungen sind jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn die Schmierung der voll -i ntegrierten Maschinen vernachlässigt wird. Damit in Zeiten von „Industrie 4.0“ tatsächlich alles „wie geschmiert“ läuft, muss demzufolge auch die Schmierungstechnik der Maschinen mit den jüngsten verfügbaren Lösungen Schritt halten.
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Einleitung Im Zuge der Digitalisierung werden immer mehr Prozesse miteinander vernetzt - vom Einkauf über die Produktion bin hin zum Vertrieb. Ziel ist die maximale Betriebseffizienz durch eine möglichst umfassende Automatisierung. Wer dazu zwar die Daten fließen lässt, aber in der Fertigung seine Schmiermedien und -techniken vernachlässigt, riskiert kostenintensive Produktionsstillstände. Ergo darf das Schmierungsmanagement auch in Zeiten von „Industrie 4.0“ nicht außer Acht gelassen werden. Wie sich moderne Schmierungsstrategien in die betriebliche Praxis umsetzen lassen, soll im Folgenden erörtert werden. Ausgangssituation Wälzlager aller Art stellen quasi das „Herz“ unzähliger Produktionsanlagen dar. Fallen sie überraschend aus, kann dies den Stillstand der Fertigung zur Folge haben. Als Hauptursachen für vorzeitige Lagerdefekte kristallisieren sich - neben einem nicht ordnungsgemäßen Einbau der Lager bzw. Materialermüdung - immer wieder unsachgemäße Schmierung und verunreinigte Schmierstoffe heraus: Erfahrungsgemäß sorgen allein diese beiden Faktoren für rund die Hälfte aller verfrühten Lagerausfälle (Bild 1). Daraus lässt sich ablesen, dass die richtige Art der Schmierung sowie die Wahl des richtigen Schmiermediums für einen möglichst reibungslosen Betrieb von entscheidender Bedeutung sind. Aus der Praxis für die Praxis 33 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 2/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0011 In Zeiten von Industrie 4.0 erst recht: Gute Schmierung will gelernt sein Jens Beck* Mit dem Ziel, Produktionsverfahren durch die voranschreitende Integration digitaler, vernetzungsfähiger Komponenten immer effizienter zu machen, werden unzählige Maschinen immer „intelligenter“. Die beabsichtigten Effizienzsteigerungen sind jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn die Schmierung der vollintegrierten Maschinen vernachlässigt wird. Damit in Zeiten von „Industrie 4.0“ tatsächlich alles „wie geschmiert“ läuft, muss demzufolge auch die Schmierungstechnik der Maschinen mit den jüngsten verfügbaren Lösungen Schritt halten. Schlüsselwörter Industrie 4.0, Schmierung, Schmiertechnik, Schmierungsmanagement, Schmierungs-Audit, Effizienzsteigerung With the aim of making production processes ever more efficient through the progressive integration of digital, networkable components, countless machines are becoming ever more „intelligent“. However, the intended increases in efficiency are doomed to failure if the lubrication of the fully integrated machines is neglected. In order for everything to „run like clockwork“ in times of „Industry 4.0“, the lubrication technology of the machines must therefore keep pace with the latest lubrication solutions available. Keywords Industry 4.0, lubrication, lubrication technology, lubrication management, lubrication audit, efficiency improvement Kurzfassung Abstract * Jens Beck STLE und ICML zertifizierter Schmierungsspezialist, SKF Schweinfurt Bild 1: Erfahrungsgemäß sind rund 50 Prozent aller vorzeitigen Lagerausfälle auf unsachgemäße Schmierung und Verunreinigung zurückzuführen T+S_2_2019.qxp_T+S_2018 16.04.19 13: 48 Seite 33 aus. Betrachtet man jedoch das Volumen, das aus dem praxisüblichen Umgang mit Schmierstoffen bzw. aus ihrer Verwendung resultiert, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Beispielsweise wird in vielen Betrieben etwa die Hälfte aller Komponenten manuell nachgeschmiert. Das verursacht einen beträchtlichen Arbeitsaufwand. Dieser steigt durch Schmierungsfehler noch weiter, weil beispielweise Überstunden zur Behebung von Maschinenstillständen gefahren werden müssen. Zusammen mit sonstigen Tätigkeiten rund um die Schmierung wächst der entsprechende Kostenblock oft auf rund 40 Prozent des gesamten Wartungs- und Instandhaltungsetats an (Bild 2). Auch dadurch kann ein nachlässiges „Schmierungs-Handling“ die Unternehmen teuer zu stehen kommen. Dessen ungeachtet sind die meisten maschinellen Störungen nach wie vor auf verunreinigte, überalterte oder falsche Schmierstoffe zurückzuführen (Bild 3). Überspitzt formuliert ließe sich somit konstatieren, dass sich die Schmiermedien und -techniken in vielen Betrieben offenbar noch in einem Zustand wie zu Zeiten der ersten industriellen Revolution befinden. Dabei gibt es mittlerweile genügend Möglichkeiten, um auch den Schmierungssektor für das „Industrie 4.0“-Zeitalter fit zu machen. Die beste Grundlage dafür bietet ein gut strukturierter Optimierungsprozess. Von der Schmierung zum Schmierungsmanagement Den ersten Schritt auf dem Weg zum Schmierungsmanagement stellt naturgemäß eine intensive Analyse des Ist-Zustandes dar (Bild 4). Dazu gehört - neben einer „Experten-Visite“ vor Ort - insbesondere ein Gespräch mit dem Wartungsteam, das für die Schmierung verantwortlich ist. Im Rahmen dieses Gesprächs lässt sich anhand eines standardisierten Fragebogens u. a. das gegenwärtige „Reifestadium“ in Bezug auf Schmierungs- Planung, -Stellenwert, -Steuerung und -Ausführung ermitteln. Die gemessene Leistung kann zudem mit Hilfe eines Stufen-Abweichungsdiagramms am Branchen- Durchschnitt gespiegelt werden. Darüber hinaus liefert die Analyse auch Hinweise auf erste Optimierungspotenziale. Oberstes Gebot dabei: den richtigen Schmierstoff in der richtigen Menge zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle mit dem richtigen Schmierverfahren zu bringen (Bild 5). Mit diesem Ziel vor Augen erfolgt in einem zweiten Schritt ein umfassendes Audit aller schmierungsrelevanten Faktoren. Das entspre- Aus der Praxis für die Praxis 34 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 2/ 2019 Angesichts der maßgeblichen Rolle, die die Schmierstoffe in punkto „funktionstüchtige Fertigung“ spielen, gestalten sich ihre Beschaffungskosten vergleichsweise gering: Im Schnitt machen sie kaum drei Prozent der gesamten Wartungsbzw. Instandhaltungsaufwendungen DOI 10.30419/ TuS-2019-0011 Bild 2: Die Kosten für die Schmierstoffe machen lediglich ein bis drei Prozent der gesamten Wartungs- und Instandhaltungskosten aus. Wer diesen kleinen Bereich vernachlässigt, geht das Risiko unkalkulierbarer Extrakosten ein Bild 3: Unterschiedliche Probleme mit dem Schmierstoff verursachen mit Abstand die häufigsten Störungen in Industriewerken Bild 4: Mit Hilfe eines Fünf-Stufen-Programms lässt sich das Schmierungsmanagement in jedem Betrieb optimieren. Das Programm kann - gemäß Baukastenprinzip - individuell zusammengestellt werden T+S_2_2019.qxp_T+S_2018 16.04.19 13: 48 Seite 34 chende Spektrum umfasst Aspekte wie die Auswahl der Lieferanten, die Lagerung und Handhabung der Schmierstoffe, deren Auswahlprozess und anwendungsspezifische Nutzung, die Schmierstoffanalyse und -zustandsüberwachung, die Schulung der Mitarbeiter sowie die Erfassung ihrer Schmierungspraktiken, die Einhaltung von Umwelt- und Gesundheitsschutz-Vorschriften sowie Möglichkeiten zur Automatisierung von Schmierungsaufgaben. Auch hier werden die einzelnen Gegebenheiten vor Ort an ihren jeweiligen Idealzuständen gespiegelt. Erfahrungsgemäß ist dieser Vergleich deshalb so wichtig, weil sich viele Mitarbeiter im betrieblichen Alltag an gewisse Wälzlager-Lebenszyklen „gewöhnen“ und diese somit irgendwann für „normal“ halten. Oft stellt sich jedoch heraus, dass der häufige Austausch der Lager beispielsweise auf eine so banale Ursache wie die weit verbreitete Verwendung von ein und demselben Behälter für unterschiedliche Öle zurückzuführen ist (Bild 6). Dadurch wird die Performance des Schmiermediums natürlich beeinträchtigt, sodass es seiner eigentlichen Aufgabe - also für eine maximale Gebrauchsdauer der Maschinenbauteile zu sorgen - gar nicht mehr gerecht werden kann. Dieses typische Beispiel aus der Praxis lässt bereits erahnen, dass die Standzeiten der Wälzlager durch ideale Schmierstoffe bzw. -techniken zum Teil drastisch verlängert werden können. Verbesserungen abstimmen, umsetzen und „tunen“ In einem dritten Schritt werden die eruierten Verbesserungspotenziale gemeinsam besprochen und konkrete Änderungsvorschläge erarbeitet. Dazu kann bspw. die Auswahl und Konsolidierung der Schmierstoffe gehören, der Entwurf von Schmierungsroutinen und / oder -Lagerräumen, die Umsetzung einer Farbcodierung, der Entwurf eines Ölanalysebzw. -verunreinigungskontrollprogramms, die Erstellung von Standardabläufen samt Schulungen, die Einführung von Zentralschmiersystemen oder Programmen zur bedienergestützten Zuverlässigkeit, usw. Im vierten Schritt können dann die (bspw. in budgetärer oder zeitlicher Hinsicht) priorisierten Maßnahmen in die Praxis umgesetzt werden. Wie die Erfahrung zeigt, ist es dabei von entscheidender Bedeutung, alle involvierten Mitarbeiter ins Boot zu holen - etwa, indem man ihnen nicht nur den Mehrwert des Audits für das Unternehmen, sondern ihren persönlichen Nutzen daraus vor Augen führt (bspw. weniger „schmutzige“ Arbeit, weniger Instandhaltungsaufwand, etc.). Aus der Praxis für die Praxis 35 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 2/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0011 Bild 6: Eine Ölstation trägt dazu bei, die Qualität bzw. Reinheit und damit die Performance des Schmierstoffs zu erhalten, was letztlich der Gebrauchsdauer der Maschinenbauteile zugutekommt Bild 5: Zur professionellen Schmierung von Wälzlagern in unterschiedlichsten Industrieanlagen bieten sich u. a. Zentralschmiersysteme an T+S_2_2019.qxp_T+S_2018 16.04.19 13: 48 Seite 35 zahlreichen Vorteilen (Bild 7) - und zwar bei vergleichsweise geringen Anlaufkosten: Gemäß dem Tribology Action Handbook der britischen Ingenieursgesellschaft IMechE (ähnlich dem VDI) bietet die Investition in ein gutes Schmierungsprogramm eine Kapitalrendite von bis zu 400 Prozent. Hinzu kommt, dass sich mit einem solchen Programm auch künftige Leistungssteigerungen der Produktionsanlagen schmiertechnisch vorbereiten lassen - damit auch in Zeiten von „Industrie 4.0“ wirklich alles „wie geschmiert“ läuft (Bild 8). Nähere Informationen zum Thema: http: / / www.skf.com/ de/ services/ lubrication-services/ lubrication-management-services/ index.html Aus der Praxis für die Praxis 36 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 2/ 2019 In einem fünften Schritt sollten schließlich einige Leistungskennzahlen erfasst werden, die einen Einblick in den Erfolg der bislang umgesetzten Maßnahmen vermitteln. Die entsprechenden Erkenntnisse können zugleich Ansatzpunkte für ein womöglich erforderliches „Feintuning“ der bisherigen Maßnahmen liefern. Darüber hinaus lässt sich auf Basis regelmäßiger Neubewertungen eine Art „Rangliste“ mit weiteren sinnvollen Maßnahmen erstellen. Das versetzt die Unternehmen in die Lage, die entdeckten Optimierungspotenziale nach und nach in die Praxis umzusetzen. Lohnende Investition Wenn die Wertschätzung für Schmierung steigt, profitieren die „professionell schmierenden“ Betriebe von DOI 10.30419/ TuS-2019-0011 Bild 7: Ein professionelles Schmierungsmanagement bietet zahlreiche Vorteile und macht sich rasch in vielen Facetten positiv bemerkbar Bild 8: Auch hoch automatisierte Öl-Umlaufschmiersysteme (inkl. Betriebsdatenerfassung / Filter / Heizung / Kühlung / Reinigung) können den Weg in Richtung „Industrie 4.0“ ebnen T+S_2_2019.qxp_T+S_2018 16.04.19 13: 48 Seite 36