Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2019-0018
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JungkVerschleiß- und Reibungsuntersuchungen am Bolzen-Hülsen-Kontakt von Steuerketten mit einem Einzelgelenkprüfstand
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Andre Beckerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-7277-9178
Bernd Sauerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-3489-5805
Der Verschleiß im Kettengelenk von Antriebs- und Steuerketten bestimmt deren Einsatzdauer. Um das Verschleißverhalten genauer untersuchen zu können, wurden am Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik (MEGT) der TU Kaiserslautern diverse experimentelle und simulative Untersuchungswerkzeuge geschaffen. Dazu zählen unter anderem zwei modulare Kettenverschleißprüfstände für Untersuchungen an ganzen Ketten mit definierten Betriebsbedingungen und ein eigenentwickeltes Kettengelenktribometer, mit dem Verschleiß- und Reibungsuntersuchungen an einzelnen Kettengelenken möglich sind. In diesem Beitrag wird das Kettengelenktribometer zusammen mit ersten Ergebnissen vorgestellt.
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dann relevant, wenn instationäre Belastungen und Mischreibung bzw. Grenzreibung vorliegen. Beides ist im Kettengelenk, auch bei stationären Betriebszuständen, der Fall. Speziell bei Ketten, die im Steuertrieb von modernen Verbrennungsmotoren eingesetzt werden und dort hohen Belastungen ausgesetzt sind, steht die Optimierung der Bauteiloberflächen im Fokus der Entwicklung. [1, 2] Zur Durchführung von Verschleißuntersuchungen an ganzen Ketten werden am Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik (MEGT) zwei eigenentwikkelte Kettenverschleißprüfstände eingesetzt. Für systematische Untersuchungen von Kettenkomponenten mit modifizierter Bauteiloberfläche (z.B. Mikro- und Partikelstrukturierung oder Beschichtung) eigenen sich diese Prüfstände aufgrund der Vielzahl an benötigten Bauteilen nur bedingt. Aus diesem Grund wurde ein Einzelgelenkprüfstand, das sogenannte Kettengelenktribometer, entwickelt und in Betrieb genommen. Bei diesem Tribometerkonzept werden die realen inneren Lasten, die beim Betrieb einer Kette in den Kettengelenken vorlie- Aus der Praxis für die Praxis 48 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 1 Einleitung Das Maschinenelement Kette wird in verschiedenen Bauformen und Ausführungen in der Antriebs- und Fördertechnik sowie in Steuertrieben von Verbrennungsmotoren eingesetzt. Die Einsatzdauer der Kette wird maßgeblich durch den Verschleiß in den Kettengelenken bestimmt. Speziell beim Einsatz als Steuerkette ist nur eine sehr geringe Längenzunahme zulässig. Die Einflussgrößen auf den Verschleiß sind sehr vielschichtig. Neben grundlegenden Aspekten wie der Kettengeometrie, dem Trieblayout, den Betriebsbedingungen wie Drehzahl und Last, hat auch die Bauteiloberfläche zusammen mit dem Schmierstoff einen erheblichen Einfluss auf das tribologische Verhalten im Kettengelenk. Dies ist vor allem DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Verschleiß- und Reibungsuntersuchungen am Bolzen-Hülsen- Kontakt von Steuerketten mit einem Einzelgelenkprüfstand Andre Becker, Bernd Sauer* Der Verschleiß im Kettengelenk von Antriebs- und Steuerketten bestimmt deren Einsatzdauer. Um das Verschleißverhalten genauer untersuchen zu können, wurden am Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik (MEGT) der TU Kaiserslautern diverse experimentelle und simulative Untersuchungswerkzeuge geschaffen. Dazu zählen unter anderem zwei modulare Kettenverschleißprüfstände für Untersuchungen an ganzen Ketten mit definierten Betriebsbedingungen und ein eigenentwickeltes Kettengelenktribometer, mit dem Verschleiß- und Reibungsuntersuchungen an einzelnen Kettengelenken möglich sind. In diesem Beitrag wird das Kettengelenktribometer zusammen mit ersten Ergebnissen vorgestellt. Schlüsselwörter Kette, Verschleiß, Reibung, Tribometer The wear in chain joints of driving and timing chains determines their lifetime. In order to investigate the wear behavior, different experimental and simulative tools were developed at the Institute of Machine Elements, Gears, and Transmissions (MEGT) at the University of Kaiserslautern. These include two modular chain wear test rigs, which allow for investigations on entire chains with defined operating conditions and a self-developed chain joint tribometer, which can be used for wear and friction investigations on single chain joints. In this paper, the chain joint tribometer is presented together with first results. Keywords chain, wear, friction, tribometer Kurzfassung Abstract * Dipl.-Ing. Andre Becker Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-7277-9178 Prof. Dr.-Ing. Bernd Sauer Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-3489-5805 Technische Universität Kaiserslautern, Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik, (MEGT), D-67663 Kaiserslautern, http: / / megt.mv.uni-kl.de T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 48 gen, auf ein einzelnes Kettengelenk aufgebracht. Das Kettengelenktribometer wird eingesetzt um das Verständnis für die Verschleißcharakteristiken in Abhängigkeit der Betriebsbedingungen weiter zu vertiefen. Darüber hinaus wird in Zukunft der Einfluss verschiedener Oberflächenmodifikationen auf das Reibungs- und Verschleißverhalten im Kettengelenk untersucht. 2 Experimentelle und Simulative Prüfmethoden 2.1 Kettenverschleißprüfstände Zur Durchführung von Verschleißuntersuchungen an ganzen Ketten werden zwei eigenentwickelte Kettenverschleißprüfstände (Bild 1) eingesetzt. Die Prüfparameter können dabei so eingestellt werden, dass die Versuchsbedingungen mit den realen Bedingungen beim Einsatz einer Steuerkette vergleichbar sind. Beide Prüfstände sind modular aufgebaut um einen weiten Bereich an verschiedenen Kettenbauformen, -größen und -längen untersuchen zu können. Die beiden Prüfketten werden zur Lastaufbringung mechanisch über eine eigenentwickelte Verspannkupplung gegeneinander verspannt. Insbesondere bei längeren Prüfläufen ist dieser Aufbau wirtschaftlich, da zum Betrieb beider Ketten nur ein Antriebsmotor benötigt wird. Ein Verschiebetisch erlaubt die Einstellung des Achsabstandes in einem großen Bereich, wodurch eine einfache Montage und die Untersuchung von verschiedenen Kettenlängen möglich ist. Über eine Nachstellvorrichtung, die zwischen den beiden Lagerböcken angebracht ist, kann der Achsabstand im laufenden Betrieb um ±0,2 mm angepasst werden und so das Verspannmoment um ±15 % nachgestellt werden. Dies ist notwendig, um bei sehr hohem Verschleiß und bei wärmeausdehnungsbedingten Längenänderungen der Ketten und Prüfstandskomponenten das Verspannmoment ohne Anhalten des Prüflaufes nachstellen zu können. Die Schmierstoffzufuhr für die Ketten erfolgt über Flachstrahldüsen, die in Anzahl und Position beliebig veränderbar sind. Zur Bereitstellung des Schmierstoffes wird ein Ölaggregat eingesetzt, welches eine Temperierung des Öls auf bis zu 120 °C und die Zugabe von Ruß ermöglicht. Für eine detaillierte Beschreibung der Kettenverschleißprüfstände wird auf [3-4] verwiesen. 2.2 Kettengelenktribometer Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB926 „Bauteiloberflächen“ werden am Lehrstuhl MEGT Untersuchungen an Steuerketten durchgeführt. Dabei sollen unter anderem verschiedene mikro- und partikelstrukturierte Kettenbolzen hinsichtlich ihres Potentials zur Verschleiß- und Reibungsreduzierung untersucht werden. Die zuvor vorgestellten Kettenverschleißprüfstände bieten eine ausgezeichnete Möglichkeit, Verschleißuntersuchungen an ganzen Ketten bei definierten Betriebsbedingungen durchzuführen, eigenen sich aber auf Grund der Vielzahl an benötigen Bauteilproben nicht für systematische Versuchsreihen mit modifizierten Kettenkomponenten. Um diese Lücke zu schließen wurde ein Einzelgelenkprüfstand, das sogenannte Kettengelenktribometer, eigenentwickelt und in Betrieb genommen. Bild 2 zeigt den prinzipiellen Aufbau des Kettengelenktribometers. Ziel dieses Tribometerkonzeptes ist das Aufbringen der realen inneren Lasten, die beim Betrieb einer Kette in den Kettengelenken vorliegen, auf ein einzelnes Kettengelenk. Dadurch kann die Anzahl an benötigten Proben für Verschleißuntersuchungen reduziert und die Belastungen im Kettengelenk genau definiert werden. Dafür wird ein Serien-Kettengelenk, bestehend aus Bolzen und Hülse, über spezielle Adapter aufge- Aus der Praxis für die Praxis 49 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 1: Modularer Kettenverschleißprüfstand T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 49 Prüflaufes wird, in Folge von Reibung im Prüfgelenk und den Lagerungen, die Verschleißmessung durch Wärmedehnung des Kettensegmentes und der Prüfstandskomponenten beeinflusst. Um diese Einflüssen zu minimieren wurde eine Methodik zur Temperierung der Prüfzellen entwickelt. Die relevanten Bauteile werden durch Heizpatronen und temperierten Schmierstoff über mehrere Stunden konditioniert. Die Solltemperatur wird dabei auf Basis der bisherigen Erfahrungen für jedes Lastkollektiv spezifisch angepasst. Das in Folge der kombinierten Belastung aus Schwenkbewegung und Zugkraft entstehende Reibmoment zwischen Bolzen und Hülse wird über die Kettenaufnahme und einen 3-Achsen Kraftaufnehmer abgestützt. Über den Abstand zwischen Sensor und Prüfgelenk kann mit der gemessenen Reaktionskraft das Reibmoment indirekt über die geometrischen Beziehungen bestimmt werden. Um möglichst realitätsnahe Betriebsbedingungen zu erhalten und zur Untersuchung des Schmierstoffeinflusses auf Verschleiß und Reibung wird dem Prüfgelenk über ein eigenentwickeltes Ölaggregat Schmierstoff definiert zugeführt. Die Schmierstofftemperatur kann auf bis zu 120 °C eingestellt werden. Eine Rührvorrichtung erlaubt die Zugabe von Ruß, indem die Partikel in Schwebe gehalten werden. Der Schmierstoff wird dem Prüfgelenk über Flachstrahldüsen zugeführt, die Einspritzposition und die Schmierstoffmenge kann in einem weiten Bereich frei eingestellt werden.Das Kettengelenktribometer besteht aus 3 nahezu identischen Prüfzellen, die unabhängig voneinander betrieben werden können. Eine Prüfzelle ist mit einem etwas stärkeren Linearaktor ausgestattet, so dass höhere Kettenzugkräfte, zum Beispiel für die Untersuchung von Antriebsketten Aus der Praxis für die Praxis 50 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 nommen und über einen Linearaktor dynamisch belastet. Die Schwenkbewegung wird durch Rotation des Bolzens mit Hilfe eines hochdynamischen Motors nachgebildet. Die Prüfstandssteuerung erlaubt eine nahezu beliebige Vorgabe von Lastkurven für den Schwenkwinkel und die Normalkraft. Neben statischen Betriebsvarianten mit konstanter Last können auch komplexe Lastkurven mit verschiedenen Schwenkwinkel- und Lastniveaus, die bezüglich der mittleren Last, der Reibleistung und der Anzahl an Lastwechseln mit den realen Systemen vergleichbar sind, durch die beiden Aktoren auf das Prüfgelenk aufgebracht werden. Die Verläufe für die Normalkraft F und den Schwenkwinkel φ können zum Beispiel aus einem MKS-Modell der Kettenverschleißprüfstände abgeleitet werden (siehe Kap. 2.4). Diese werden soweit idealisiert, dass sie mit den Aktoren auf das Kettengelenk aufgebracht werden können. In Folge der Belastung verschleißen Bolzen und Hülse und das Spiel im Kettengelenk wird größer. Das Kettengelenktribometer ist so aufgebaut, dass diese Verschleißlängung ohne Demontage der Komponenten mit Hilfe von zwei Wirbelstromsensoren gemessen werden kann. Dadurch ist es möglich, den Einlaufverschleiß genauer zu betrachten und die zeitaufwändige externe Vermessung der Komponenten bei verschiedenen Laufzeiten, wie sie auf den Kettenverschleißprüfständen notwendig ist, entfällt. Die gesamte Versuchszeit wird somit verringert und der Einfluss von Stopp- und Anfahrvorgängen auf das Verschleißverhalten wird reduziert. Die beiden Sensoren sind starr mit der Kettengelenkaufnahme am Linearmotor verbunden und messen den Abstand zur Oberfläche der Antriebswelle. Durch den Einsatz von zwei Sensoren kann eine montagebedingte Schiefstellung oder Verkippung der Sensoraufnahme bei der Auswertung kompensiert werden. Gerade am Anfang eines DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 2: Prinzipieller Aufbau des Kettengelenktribometers T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 50 (Teilung > 8 mm), aufgebracht werden können. Der gesamte Aufbau ist modular ausgeführt, wodurch über entsprechende Adapter ein weites Feld an Kettenbauformen und -größen untersucht werden kann. In Bild 3 sind 2 Konfigurationen für die Untersuchung von Steuer- und Antriebsketten dargestellt. Die Aufbauten unterscheiden sich in der Anzahl der Lagerstellen und der Dimensionierung von Antriebswelle und Adapterteile. Die Konfiguration für Steuerketten (Bild 3 b)) ist für höchste Dynamik ausgelegt und erlaubt Zugkräfte bis maximal 3 kN. Der Aufbau für Antriebsketten (Bild 3 c)) erlaubt Zugkräfte bis 11 kN. Zum Ausgleich von Fertigungstoleranzen der Prüfkette und der Adapterteile und der daraus resultierenden Exzentrizität zwischen Wellen- und Prüfbolzenachse, sind die Prüfkettenaufnehmer so ausgeführt, dass sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung eine feinfühlige Verstellung möglich ist. Die Prüfzelle ist in der Konfiguration für Steuerketten in Bild 4 dargestellt. 2.3 Verschleißmessmethoden Zur Verschleißerfassung wurden am MEGT verschiedene Methoden und Vorrichtungen entwickelt (Bild 5). Aus der Praxis für die Praxis 51 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 3: CAD-Modell Kettengelenktribometer: a) Gesamtaufbau; b) Konfiguration für Steuerketten (F ≤ 3 kN); c) Konfiguration für Antriebsketten (F ≤ 11 kN) Bild 4: Prüfzelle des Kettengelenktribometers in der Konfiguration für Steuerketten T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 51 prüfstände ist in Bild 6 dargestellt. Zu erkennen sind die Bewegungsvorgänge und die dazugehörigen Kontaktkräfte. Bei dem Auslauf vom kleinen Kettenrad in das Lasttrum nimmt die Zugkraft über den Drehwinkel zu, wohingegen der Einlauf vom Lasttrum in das große Kettenrad bei nahezu konstanter Zugkraft stattfindet. Die beiden anderen Schwenkbewegungen finden bei niedrigem Lastniveau statt. Neben den zusätzlichen Erkenntnissen der Bewegungsvorgänge im Kettengelenk werden die Ergebnisse des MKS-Modells in Form von Lastkollektiven für ein eigenentwickeltes analytisches Verschleißberechnungsmodell [3] und für Versuche auf dem Kettengelenktribometer als Eingangsgrößen für Aktoren verwendet. 3 Ergebnisse Nach erfolgreicher Inbetriebnahme des Kettengelenktribometers wurden erste Verschleiß- und Reibungsun- Aus der Praxis für die Praxis 52 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 Diese unterscheiden sich im Messbereich und werden je nach Bedarf eingesetzt. Eine Längenmessvorrichtung erlaubt mit wenig Aufwand und ohne Zerlegung der Kette die Messung der Kettenlänge über eine bestimmte Anzahl an Gliedern. Eine sogenannte Spiel- und Steifigkeitsmessvorrichtung wird eingesetzt um Gelenkspiel und Steifigkeit, an einem Kettensegment aus vier Gliedern, zu erfassen. Detaillierte Untersuchungen einzelner Gelenke, insbesondere Verschleißkontur, -volumen und -verteilung an Bolzen und Hülse, erfolgen mit einem Formtester. Dazu wurden entsprechende Adapter zur Positionierung und Fixierung von Hülsen und Bolzen auf dem Drehtisch der Messmaschine entwickelt. Der automatisierte Messvorgang liefert den Verschleißabtrag durch Vergleich der Kontur im Neuzustand. Zur Messung der Oberflächentopographie steht unter anderem ein Konfokalmikroskop zur Verfügung, mit dem die Oberflächen der Kettenkomponenten flächenhaft optisch vermessen werden. Eine ausführliche Beschreibung der eingesetzten Messmethoden, die ein breites Spektrum an Untersuchungsmöglichkeiten abdecken, ist [3], [5] und [6] zu entnehmen. 2.4 Mehrkörpersimulation Um die Ergebnisse der experimentellen Reibungs- und Verschleißversuche besser bewerten zu können ist die genaue Kenntnis der Bewegungs- und Lastverläufe im Kettengelenk unabdingbar. Die tribologisch relevanten Vorgänge, allem voran die Kontaktkräfte und die Relativbewegung im Kettengelenk, sind im Experiment messtechnisch nicht oder nur unter sehr großem Aufwand erfassbar. Um diese Lücke zu schließen wurde ein MKS-Modell der Kettenverschleißprüfstände entwikkelt und mit Hilfe einer optischen Kettenspurauswertung validiert [3, 7]. Eine Auswerteroutine ermittelt auf Basis der Simulationsergebnisse alle Bewegungsverläufe und die dazugehörigen Lasten. Ein exemplarisches Ergebnis der MKS für die linke Prüfkette der Kettenverschleiß- DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 5: Verschleißmessmethoden [3] Bild 6: Ergebnis der Mehrkörpersimulation: Schwenkwinkel und Kontaktkraft eines Kettengelenkes für einen Umlauf auf dem Kettenverschleißprüfstand (n = 200 1/ min, M = 40 Nm, linke Prüfkette) T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 52 tersuchungen mit statischen Betriebsbedingungen durchgeführt. Die Prüfgelenke wurden einer Hülsenkette mit 8 mm Teilung entnommen. Ein einsatzgehärteter 16MnCr5 Bolzen steht dabei mit einer einsatzgehärteten Hülse aus 10NiCr5-4 in Kontakt. Als Schmierstoff kam ein vollsynthetisches Polyalphaolefin (PAO), welches der Spezifikation 0W20 entspricht, mit einem Verschleißschutzadditivpaket und mit Zugabe von 1 % Industrieruß (Primärpartikelgröße: 27 nm) zum Einsatz. Bei allen Versuchen wurde den Prüfketten eine Schmierstoffmenge von 0,55 l/ min bei einer Einspritztemperatur von 70 °C zugeführt. 3.1 Verschleißuntersuchungen Die Lastkurven für die ersten Versuche wurden relativ einfach gewählt. Die Schwenkbewegung wurde durch einen Sinus mit ±10° Schwenkwinkel und einer Frequenz zwischen 10 und 50 Hz abgebildet. Dies entspricht einer mittleren Relativgeschwindigkeit im Kettengelenk von 10,8 bis 55,6 mm/ s. Die Zugkraft wurde bei 50 bzw. 250 N über die Versuchsdauer konstant gehalten. In Bild 7 sind die gemittelten Verschleißkurven von 4 Lastkollektiven mit je 3 Prüfläufen dargestellt. Es ist zu erkennen, dass mit steigender Last bzw. Relativgeschwindigkeit der Verschleiß, bezogen auf die Laufzeit, zunimmt. Mit der Online-Verschleißmessung auf dem Kettengelenktribometer kann der Einlaufverschleiß und die stationäre Verschleißrate sehr gut aufgelöst werden. Diese Messmethodik ist ein großer Vorteil im Vergleich zu den Kettenverschleißprüfständen, da die Unterbrechung von Prüfläufen in bestimmten Intervallen zur Demontage und externen Vermessung der Prüfketten entfällt. 3.2 Vergleich Kettengelenktribometer und Kettenverschleißprüfstand Nach den zuvor beschriebenen Testläufen wurde ein Verschleißversuch zum Vergleich mit den Kettenverschleißprüfständen durchgeführt. Im Vorfeld wurde dazu auf beiden Kettenverschleißprüfständen ein Versuch mit relativ niedriger Drehzahl (200 1/ min) und einem mittleren Lastniveau (40 Nm Verspannmoment) gefahren. Um die Belastungssituation auf dem Kettengelenktribometer möglichst vergleichbar einzustellen, wurden die Ergebnisse des MKS-Modells (Bild 6) als Eingangsgrößen für die Aktoren verwendet. Somit wird das Prüfgelenk mit dem realen Verlauf von Schwenkwinkel und Kontaktkraft der linken Prüfkette auf dem Kettenverschleißprüfstand belastet. Die Laufzeit betrug bei allen Versuchen 50 h, was einer Anzahl von Kettenumläufen bzw. einer Zyklenzahl von ca. 200.000 entspricht. Bild 8 zeigt die gemittelten Verschleißkurven beider Prüfstände über der Laufzeit. Bei den Versuchen auf den Kettenverschleißprüfstanden wurden die Ketten nach definierten Intervallen entnommen und der Verschleißfortschritt extern mit der Längenmessvorrichtung erfasst. Die Versuche auf dem Kettengelenktribometer wurden ohne Unterbrechung durchgeführt. Der Verschleiß wurde online mit den beiden Wirbelstromsensoren gemessen. Es ist zu beobachten, dass die Ergebnisse der beiden Prüfeinrichtungen übereinstimmen. Sowohl der erhöhte Verschleiß während der Einlaufphase als auch die stationäre Verschleißrate konnten mit dem Kettengelenktribometer sehr gut reproduziert werden. Nach Versuchsende wurden die Prüfketten zerlegt und die einzelnen Bolzen und Hülsen mit einem Formtester vermessen. Mit dieser Methodik kann der Gelenkverschleiß detailliert betrachtet werden. In Bild 9 sind exemplarisch zwei Bolzen und Hülsen der beiden Prüfeinrichtungen dargestellt. Analog zu den Verschleißkurven zeigt sich eine sehr gute Übereinstimmung der Verschleißtiefe und der Verschleißverteilung zwischen Bolzen und Hülse. Aus der Praxis für die Praxis 53 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 7: Verschleißkurven (gemittelte über je 3 Versuche) für verschiedene Betriebsparameter (Schmierstoff: PAO+ 1 Ma% Ruß, Einspritztemperatur: 70 °C) Bild 8: Vergleich zwischen Kettengelenktribometer und Kettenverschleißprüfstand: Gemittelte Werte über 2 (Kettenverschleißprüfstand) bzw. 3 (Kettengelenktribometer) Versuche (Lastkurve gemäß Bild 6, Laufzeit: 50 h, Schmierstoff: PAO+1 Ma% Ruß, Einspritztemperatur: 70 °C) T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 53 onsmoment erheblich beeinflusst. In ersten Versuchen wurde der Schmierstoffeinfluss auf den Reibkoeffizienten im Kettengelenk untersucht. Dazu wurde das Prüfgelenk vor Versuchsbeginn im Ultraschallbad gereinigt und ohne Zugabe von Schmierstoff der Versuchslauf gestartet. Als Lastkurve kam ein Dreieckssignal (±10° Schwenkwinkel, 4 Hz) und eine konstante Zugkraft von 100 N zum Einsatz. Nach 30 s Laufzeit wurde die Ölversorgung (0,5 l/ min) gestartet. Bild 10 zeigt das gemessene Reibmoment über der Versuchsdauer. Es ist dabei eine deutliche Reduzierung des Reibmoments nach dem Start der Ölversorgung zu beobachten. Über die geometrischen Beziehungen im Versuchsaufbau kann der Reib- Aus der Praxis für die Praxis 54 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 3.3 Reibungsuntersuchungen Neben Verschleißmessungen wurden auch erste Versuche zur Reibmomenterfassung auf dem Kettengelenktribometer durchgeführt. Dazu wurde zunächst eine Methodik zur Versuchsvorbereitung entwickelt, um eine versuchsübergreifende einheitliche Basis zu schaffen. Dazu zählt unter anderem die Temperierung der Prüfzelle auf 70 °C und die Ausrichtung des Prüfgelenks zur Symmetrielinie der Antriebswelle. Letzteres hat einen erheblichen Einfluss auf die Qualität der Reibmomentmessung, da bereits eine kleine Exzentrizität zwischen Prüfgelenk und Antriebswelle das resultierende Reakti- DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 Bild 9: Vergleich zwischen Kettengelenktribometer und Kettenverschleißprüfstand: Verschleißbereiche an Bolzen und Hülsen nach 50 h Laufzeit Bild 10: Reibmomentmessung auf dem Kettengelenktribometer: Vergleich zwischen trockenem und geschmiertem Kontakt im Prüfgelenk T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 54 Literatur [1] BAUER, P.: Kettensteuertriebe: Stand der Technik, Anwendungen, Entwicklung und Herstellung. München: Verl. Moderne Industrie, 2013. [2] FINK, T.; HIRSCHMANN, V.: Kettentriebe für den Einsatz in modernen Verbrennungsmotoren. Motortechnische Zeitschrift (MTZ), Jahrgang 62, Heft 10, Seite 796-800 und 804-806, 2001. [3] SAPPOK, D.: Experimentelle und simulative Methoden zur Untersuchung der Verschleißvorgänge im Kettengelenk von Antriebs- und Steuerketten. Dissertation, TU Kaiserslautern, 2016. [4] GUMMER, A.; SAPPOK, D.; SAUER, B.: Kettenprüfeinrichtung zur Verschleißuntersuchung von Antriebs- und Steuerketten. Tribologie und Schmierungstechnik, Jahrgang 59, Heft 2, S. 24-29, 2012. [5] SAPPOK, D.; SAUER, B.: Methoden zur Erfassung der Verschleiß-Messgrößen an Kettenkomponenten. 54. Tribologie-Fachtagung (GfT), S. 70/ 1-70/ 11, Göttingen, 2013. [6] SAPPOK, D.; SAUER, B.: Wear Measurement on Chain Joint Components Using a Roundness Instrument. Period. Polytech. Mech. Eng., Vol. 59, No. 2 (2015), pp.51-59. [7] BECKER, A.; KRUPP, F.; SAUER, B.: Systematische Verschleißuntersuchungen an Kettenkomponenten. 58 Tribologie-Fachtagung (GfT), S. 11/ 1-11/ 10, Göttingen, 2017. [8] SAPPOK, D.; MERZ, R.; SAUER, B.; KOPNARSKI, M.: Surface Analysis of Chain Joint Components after Tribological Load and Usage of Antiwear Additives. Conference Papers in Science, 2015, 1-12. [9] COENEN, W.: Einfluss der Schmierung auf das Verschleißverhalten von Rollenketten. Dissertation, RWTH Aachen, 1984. koeffizient bestimmt werden. Im trocken Zustand ergibt sich ein Reibkoeffizient im Prüfgelenk von 0,61, im geschmierten Zustand von 0,12. Die Werte stimmen mit Ergebnissen von SAPPOK et. al. [8] und COENEN [9] überein, müssen aber durch weitere Versuche noch bestätigt werden. 4 Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden experimentelle und simulative Analysewerkzeuge für Reibungs- und Verschleißuntersuchungen an Steuerketten vorgestellt. Im Detail wurde dabei das am Lehrstuhl MEGT in jüngster Vergangenheit eigenentwickelte und in Betrieb genommene Kettengelenktribometer vorgestellt. Diese Prüfeinrichtung erweitert die Untersuchungsmöglichkeiten deutlich und schließt die Lücke zwischen Bauteilversuchen auf Kettenverschleißprüfständen und Modellversuchen auf einem Standard-Tribometer. Die ersten Ergebnisse von Reibungs- und Verschleißversuchen an Hülsenketten auf dem Kettengelenktribometer zeigen das Potential dieser Prüfeinrichtung. In Zukunft wird der Prüfstand eingesetzt, um das Verständnis für die Verschleißmechanismen im Kettengelenk weiter zu vertiefen und das Potential von modifizierten Kettenkomponenten (z.B. durch Mikro- oder Partikelstrukturierung) hinsichtlich Reibungs- und Verschleißreduzierung zu untersuchen. Danksagung Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung des Teilprojektes C02 (Projektnummer 172116086) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 926 (Bauteiloberflächen - Morphologie auf der Mikroskala). Aus der Praxis für die Praxis 55 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 3/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0018 T+S_3_2019.qxp_T+S_2018 13.06.19 11: 31 Seite 55
