Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2019-0024
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2019
664-5
JungkMakroskopische Reibwertsteuerung durch elektrochemische Potentiale mit ionischen Flüssigkeiten
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2019
Felix Gatti
Tobias Amannhttps://orcid.org/0000-0002-3683-0183
Andreas Kailer
Johannes Abicht
Peter Rabenecker
Norman Baltes
Jürgen Rühe
Eine der größten Herausforderungen in der Tribologie ist die gezielte Kontrolle der Reibung zwischen zwei Reibpartnern. Durch den systematischen Einsatz von Schmierstoffen mit unterschiedlicher Viskosität oder veränderter Additivzusammensetzung kann die Abstimmung auf einen bestimmten Reibkontakt optimiert werden, solange die Anwendungsparameter konstant sind. Ändern sich die Parameter im Verlauf des Lebenszyklus, kann nur durch den Austausch des Schmierstoffs auf die ständig wechselnden Parameter reagiert werden. Unter Verwendung von ionischen Flüssigkeiten (ILs) als oberflächenaktives Schmiermittel in Kombination mit einer extern angelegten Spannung zwischen den Reibpartnern kann die Reibung insitu kontrolliert und gesteuert werden. Durch das Anlegen einer externen Spannung wird eine Oberflächenpolarisation der Reibpartner induziert, die je nach Polarisation eine Anlagerung der Anionen oder Kationen im Reibspalt verursacht. Dies beeinflusst die Reibung so stark, dass eine makroskopisch veränderbare Reibung erzielt wird.
In dieser Arbeit wurde mit Hilfe von tribologischen Untersuchungen (Kugel-3-Stifte-Geometrie) die Beeinflussung von Reibung und Verschleiß mittels externer elektrischer Potentiale nachgewiesen. Dabei wurden leitfähige, toxikologisch unbedenkliche IL-Mischungen auf Basis von langkettigem Phosphonium eingesetzt, die eine Mischbarkeit mit Öl garantieren. Die Steuerbarkeit des Reibniveaus konnte sowohl während des Experiments nach einer Einlaufphase als auch über die gesamte Dauer eines kombinierten Versuchs, die Messung der Haftreibung, der Gleitreibung und von Stribeck-Kurven beinhaltet, nachgewiesen werden. Zusätzlich wurde durch Oberflächenanalytik (Röntgenphotoelektronenspektroskopie, XPS) der Einfluss der Potentiale auf die Beschaffenheit der tribologisch belasteten Metalloberfläche untersucht und diskutiert. Im Zuge der Weiterentwicklung könnte eine direkte Kopplung des Reibungskoeffizienten an das elektrochemische Potential genutzt werden, um das tribologische System an veränderte Umgebungsbedingungen oder Lastkollektive anzupassen.
tus664-50051
Aus der Praxis für die Praxis 51 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 Makroskopische Reibwertsteuerung durch elektrochemische Potentiale mit ionischen Flüssigkeiten Felix Gatti, Tobias Amann, Andreas Kailer, Johannes Abicht, Peter Rabenecker, Norman Baltes, Jürgen Rühe* One of the greatest challenges in tribology is the targeted control of friction between two friction partners. By the targeted use of lubricants with different viscosities or modified additive compositions, the adjustment to a certain friction contact can be optimized as long as the Kurzfassung Abstract * Felix Gatti Dr. Tobias Amann orcid-iD: https: / / orcid.org/ 0000-0002-3683-0183 Dr. Andreas Kailer Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, 79108 Freiburg Johannes Abicht Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, 01187 Dresden den leitfähige, toxikologisch unbedenkliche IL-Mischungen auf Basis von langkettigem Phosphonium eingesetzt, die eine Mischbarkeit mit Öl garantieren. Die Steuerbarkeit des Reibniveaus konnte sowohl während des Experiments nach einer Einlaufphase als auch über die gesamte Dauer eines kombinierten Versuchs, die Messung der Haftreibung, der Gleitreibung und von Stribeck-Kurven beinhaltet, nachgewiesen werden. Zusätzlich wurde durch Oberflächenanalytik (Röntgenphotoelektronenspektroskopie, XPS) der Einfluss der Potentiale auf die Beschaffenheit der tribologisch belasteten Metalloberfläche untersucht und diskutiert. Im Zuge der Weiterentwicklung könnte eine direkte Kopplung des Reibungskoeffizienten an das elektrochemische Potential genutzt werden, um das tribologische System an veränderte Umgebungsbedingungen oder Lastkollektive anzupassen. Schlüsselwörter Mischungen ionischer Flüssigkeiten, elektrisches Potential, Oberflächenpolarisation, schaltbare Reibung application parameters are constant. If the parameters change in the course of the life cycle, the only way to react to the constantly changing parameters is to replace the lubricant. By using ionic liquids (ILs) as surface active lubricants in combination with an externally Peter Rabenecker Dr. Norman Baltes Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT, 76327 Pfinztal Prof. Dr. Jürgen Rühe Institut für Mikrosystemtechnik IMTEK, Universität Freiburg, 79110 Freiburg Eine der größten Herausforderungen in der Tribologie ist die gezielte Kontrolle der Reibung zwischen zwei Reibpartnern. Durch den systematischen Einsatz von Schmierstoffen mit unterschiedlicher Viskosität oder veränderter Additivzusammensetzung kann die Abstimmung auf einen bestimmten Reibkontakt optimiert werden, solange die Anwendungsparameter konstant sind. Ändern sich die Parameter im Verlauf des Lebenszyklus, kann nur durch den Austausch des Schmierstoffs auf die ständig wechselnden Parameter reagiert werden. Unter Verwendung von ionischen Flüssigkeiten (ILs) als oberflächenaktives Schmiermittel in Kombination mit einer extern angelegten Spannung zwischen den Reibpartnern kann die Reibung insitu kontrolliert und gesteuert werden. Durch das Anlegen einer externen Spannung wird eine Oberflächenpolarisation der Reibpartner induziert, die je nach Polarisation eine Anlagerung der Anionen oder Kationen im Reibspalt verursacht. Dies beeinflusst die Reibung so stark, dass eine makroskopisch veränderbare Reibung erzielt wird. In dieser Arbeit wurde mit Hilfe von tribologischen Untersuchungen (Kugel-3-Stifte-Geometrie) die Beeinflussung von Reibung und Verschleiß mittels externer elektrischer Potentiale nachgewiesen. Dabei wur- TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 51 schen Reibkontakten nahezu unerforscht. Zur Aufklärung der makroskopischen Effekte wurde in eigenen Vorarbeiten das tribologische Verhalten von ILs unter dem Einfluss von elektrochemischen Potentialen untersucht.[10,11] Dabei wurden nicht nur Mischungen mit mineralölbasierten Schmierstoffen analysiert, sondern auch wasserbasierte Mischungen im Kontakt mit Keramik- und Stahloberflächen charakterisiert.[12,13] Je nach Geometrie und Probenpaarung wurden die elektrochemischen Potentiale extern oder galvanisch induziert.[14,15] Im Rahmen dieser Arbeit wurde das Reibverhalten von zwei ILs in variierender Zusammensetzung in Abhängigkeit von externen elektrischen Potentialen untersucht. Darüber hinaus wurden die verwendeten ILs elektrochemisch charakterisiert, um die Korrosionsbeständigkeit und die Stabilität der ILs in einem bestimmten Potentialfenster zu garantieren. Dazu wurde ein Modellversuch entwickelt, der eine 3-Elektrodenanordnung während eines tribologischen Experiments ermöglicht. Die Analyse der Stahloberflächen wurde durchgeführt, um die Mechanismen, die während des Experiments für eine Erhöhung oder eine Erniedrigung des Reibwerts führen, zu analysieren. Als Ziel dieser Arbeit wurde die Steuerung der makroskaligen Reib- und Verschleißeigenschaften durch den Einsatz von oberflächenaktiven ionischen Flüssigkeiten (ILs) unter Einfluss elektrischer Potentiale definiert. Materialien und Methoden Das makroskopische Reibverhalten der ionischen Flüssigkeiten (ILs) wurde mit einem Kugel-auf-3-Stifte-Tribometer (Anton Paar, MCR501) untersucht. Als obere rotierende Probe wurde eine Stahlkugel (100Cr6 Grade 28, DIN5401, Durchmesser: 12,5 mm, 60-66 HRC, 740- Aus der Praxis für die Praxis 52 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 Einleitung Da ein großer Teil der Energie durch Reibung verloren geht, ist die Reibungsreduzierung heute eines der wichtigsten technischen Ziele zur Verbesserung der Energieeffizienz von Anlagen, Autos und Maschinen.[1] Stand der Technik ist der Einsatz von Spezialschmierstoffen auf Mineralölbasis, die an die jeweiligen Anforderungen angepasst sind. Allein in Deutschland werden pro Jahr ca. 1.000.000 Tonnen Schmierstoffe umgesetzt.[2] Ein industrieller Ansatz zur Reduzierung von Reibung und Verschleiß in technischen Anwendungen ist der Einsatz von Schmierstoffen mit speziellen Additiven wie Reibungsmodifikatoren und Verschleißschutzadditiven. Im Hinblick auf die Verbesserung von Energieeffizienz, Korrosionsbeständigkeit, Umweltverträglichkeit und Verschleiß sind die Potentiale dieser Standardschmierstoffe (Mineralöle, synthetische Öle) jedoch begrenzt. In Rahmen der tribologischen Optimierung wurden die elektrochemische Beeinflussung der Reibung bis hin zur Kontrolle der Reibung, die adaptive Reibungsänderung und die Superschmierfähigkeit als die größten Herausforderungen in der Tribologie identifiziert.[3-5] Die Erzielung einer kontrollierbaren Schmierung, bei der Reibung auftritt oder bei Bedarf nahezu verschwindet, hat das Potential, die Leistung tribologischer Systeme deutlich zu verbessern („Green Tribology“).[6] Aktuell werden in der Forschung verschiedene Additive zur Reibwertoptimierung diskutiert. Ionische Flüssigkeiten (ionic liquids: ILs) wurden dabei als eine neue Klasse von Schmierstoffen mit spezifischen Eigenschaften aufgrund ihrer Ionenleitfähigkeit in Abhängigkeit von ihrer chemischen Struktur identifiziert.[7,8] Auf der Nanoskala wurde durch die Verwendung von ILs bereits eine reversible Schaltbarkeit des Reibwerts nachgewiesen.[9] Im Gegensatz zur Nanoskala sind die Mechanismen zur Reibwertsteuerung in makroskopi- DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 applied voltage between the friction partners, the friction can be controlled and regulated in-situ. By applying an external voltage, a surface polarization of the friction partners is induced which, depending on the polarization, causes an accumulation of anions or cations in the friction gap. This influences the friction so strongly that a macroscopically variable friction is achieved. In this work, tribological investigations (ball on 3 pin geometry) were used to demonstrate the influence of external electrical potentials on friction and wear. Conductive, toxicologically harmless IL mixtures based on long-chain phosphonium were used, which guarantee miscibility with oil. The controllability of the friction level could be demonstrated both during the experiment after a running-in phase and over the entire duration of a combined experiment which included measurement of static friction, sliding friction and stribeck curves. In addition, surface analysis (X-ray photoelectron spectroscopy, XPS) was used to investigate and discuss the influence of the potentials on the properties of the tribologically loaded metal surface. In the course of further development, a direct coupling of the coefficient of friction to the electrochemical potential could be used to adapt the tribological system to changing environmental conditions or load collectives. Keywords Ionic liquid mixtures, electrical potential, surface polarization, switchable friction. TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 52 900 HV10, R z = 0,57 ± 0,12 µm) verwendet. Als Halterung für die stationären Stifte wurde eine in Eigenbau gefertigte elektrisch isolierte Messzelle aus PEEK verwendet (Bild 1). Die drei Stifte (100Cr6, 750-850 HV10, R z = 2,73 ± 0,56 µm) sind als Arbeitselektrode (AE) geschaltet. Die Kontaktfläche der Stifte mit der IL beträgt insgesamt 84,8 mm 2 . Als Gegenelektrode (GE) wurde ein Platindraht (60 mm 2 ) und als Referenz (RE) eine Ag/ AgCl-Elektrode verwendet. Das elektrochemische Potential wurde über einen Potentiostat (Wenking LPG03-50) galvanostatisch induziert. Es wurden die ILs Trihexyltetradecylphosphonium bis(trifluormethyl-sulfonyl)imid [P66614][BTA] (B, IN-0021, Iolitec) und Trihexyltetradecylphosphonium bis (2-ethylhexyl)phosphat [P66614][DEHP] (D, CS- 0957, Iolitec) verwendet. Um einen größeren Schalteffekt zu erzielen, wurden diese beiden ILs nicht in reiner Form eingesetzt, sondern in variierenden Mischungsverhältnissen. Dabei wurden drei unterschiedliche Massenverhältnisse (D2: B1, D1: B1, D1: B2) gemischt und als Zwischenstoff verwendet. Auch für die elektrochemische Grundcharakterisierung der beiden ionischen Flüssigkeiten wurde dieser Aufbau verwendet. Dabei wurde mit einer Cyclovoltammetrie (CV, Spannungsbereich: ±10 V vs.Ag/ AgCl, Abtastrate: 0,1 V/ s, 10 Zyklen) die elektrochemische Stabilität und mit einer Stromspannungskurve (LSV, ±1 V vs. Ag/ AgCl, Abtastrate: 0,1 mV/ s) die Korrosionseigenschaften der ILs in Kombination mit den 100Cr6 Stiften untersucht. Für diese Untersuchungen wurde der Parstaat 4000 (Firma Ametek) verwendet. Erste tribologische Versuche wurden bei 50 N (initial 620 MPa), 100 rpm (0,045 m/ s) und Raumtemperatur durchgeführt. Nach einer Einlaufzeit von zwei Stunden wurde für 30 Minuten ein anodisches (+300 µA vs. Ag/ AgCl) bzw. ein kathodisches (-300 µA vs. Ag/ AgCl) Potential eingestellt. Nach der elektrochemischen Belastung wurde das elektrische Potential abgestellt und das System für weitere 1,25 h beobachtet. Zusätzlich wurde das Experiment ohne elektrisches Potential (Ruhepotential, OCP) mit gleicher Laufzeit durchgeführt, um Einflüsse auf das Verschleißverhalten der Proben zu untersuchen. Des Weiteren wurde in einem kombinierten Versuch Haft- und Gleitreibungseigenschaften untersucht sowie Stribeck-Kurven aufgezeichnet („Multi-Versuch“). Dieses Experiment besteht aus fünf Abschnitten (A1-A5). Im ersten Abschnitt wird fünf Mal bei 50 N (620 MPa) das Drehmoment so lange erhöht, bis die Kugel losbricht und damit die Haftreibung überwindet. Im zweiten Abschnitt rotiert die Kugel mit 50 N und 100 rpm (0,045 m/ s) für eine Dauer von einer Stunde. Danach werden die ersten beiden Abschnitte in gleicher Reihenfolge wiederholt. Abschließend erfolgt bei gleicher Normalkraft die Aufzeichnung der fünf Stribeck-Kurven. Dabei wird eine Geschwindigkeitsrampe von 0,1 - 3300 rpm (4,7·10 -5 - 1,55 m/ s) ausgeführt. Diese „Multi-Versuche“ wurden sowohl unter anodischem (+300 µA vs. Ag/ AgCl), kathodischem (-300 µA vs. Ag/ AgCl) als auch unter Ruhepotential bei Raumtemperatur durchgeführt. Es wurde bei den „Multi-Versuchen“ die Mischung D1: B2 verwendet. Um die Einflüsse des elektrischen Potentials auf die Zusammensetzung der Verschleißfläche zu untersuchen, wurden XPS-Messungen von den Proben der „Multi-Versuche“ durchgeführt. Ergebnisse und Diskussion Die elektrochemische Charakterisierung der ILs wurde in einem 3-Elektrodenaufbau (Bild 1) durchgeführt. In Bild 2 sind die Cyclovoltammogramme der beiden ILs dargestellt. Die Grafiken zeigen innerhalb des angelegten Spannungsfensters von ±10 V vs. Ag/ AgCl keine Stromspitzen, die auf eine Zersetzung oder irreversible Reaktionen der ILs mit dem Metall hinweisen würden. Da dieses Potentialfenster in keinem der tribologischen Versuche überschritten wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die ILs weder zersetzt wurden noch korrosiv auf das Metall eingewirkt haben.Wichtige Kennwerte der ILs wurden durch Messung der Stromspannungskurve und durch rheologische Untersuchungen bestimmt (Tabelle 1). Das Korrosionspotential (E korr) und die Korrosionsstromdichte (I korr ) der deutlich weniger elektrisch leitfähigen IL [P66614][DEHP] weisen geringere Werte auf als [P66614][BTA]. Die berechnete Korrosionsrate von [P66614][DEHP] beträgt 1,4E-4 mm/ Jahr und ist damit deutlich geringer als die von [P66614][BTA] mit 2,7E-3 mm/ Jahr. Die niedrige elektrische Leitfähigkeit Aus der Praxis für die Praxis 53 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 Bild 1: Schematische (links) und reale (rechts) Darstellung der Tribomesszelle TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 53 anderen Mischungen eine geringere Reibwerterhöhung auf. Im Gegensatz dazu sinkt der Reibwert durch eine kathodische Polarisierung (rote Linie) bei allen Mischungen sofort nach Potentialbeaufschlagung. In diesem Fall weist die Mischung (D1: B1) mit 9 % die größte Reibwertreduktion auf. Die beiden anderen Mischungen zeigen mit 5 % (D2: B1) und 4 % (D1: B2) eine geringere Reduktion des Reibwerts. Nach der Polarisation der Reibpartner nähern sich die Reibwerte der Mischungen D2: B1 und D1: B2 wieder dem Zustand vor der Polarisierung an. Bei der Mischung D1: B1 ist dies nur nach der kathodischen Polarisierung der Fall. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich für eine Erhöhung des Reibwerts bei anodischer Polarisierung ein Überschuss an [P66614][BTA] positiv auswirkt. Im Gegensatz dazu kann eine stärker ausgeprägte Reibwerterniedrigung bei kathodischer Polarisierung mit einem Gleichgewicht der beiden ionischen Flüssigkeiten erreicht werden. Die anodische Polarisierung der Proben erhöht nicht nur den Reibwert, sondern auch den Verschleiß gegenüber den unbelasteten Proben. Innerhalb der anodischen und kathodischen Polarisierung führt ein steigender Anteil an [P66614][BTA] zu einem größeren Verschleiß. Es wird vermutet, dass die Polarisierung der Oberfläche eine Konzentrationserhöhung der Ionen im oberflächennahen Kontakt induziert. Dieser Mechanismus könnte zur Bildung eines Tribolayers führen. In Abhängigkeit des molaren Volumens, Coulomb Wechselwirkung, Dissoziationsenergie der einzelnen Ionen und der Packungsdichte kann dieser Tribolayer die Reibung beeinflussen. Aus der Praxis für die Praxis 54 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 von [P66614][DEHP] resultiert aus der höheren Viskosität und der geringen Beweglichkeit der Ionen als Ladungsträger. Im Anschluss an die elektrochemische Charakterisierung wurden die tribologischen Untersuchungen mit demselben 3-Elektrodenaufbau durchgeführt. Als Schmiermittel wurden dabei Mischungen der beiden ILs in unterschiedlichen Zusammensetzungen verwendet, da der Einfluss eines externen elektrischen Potentials auf den Reibkoeffizienten bei den verwendeten Mischungen deutlich größer waren als bei den reinen ILs. Um die Schalteffekte zu quantifizieren, wurden tribologische Experimente durchgeführt. Dazu wurde das tribologische System nach einer Einlaufzeit von zwei Stunden mit unterschiedlichen elektrischen Potentialen für eine halbe Stunde belastet. Danach wurde das System weitere 1,25 h ohne Potential beobachtet. Zusätzlich wurde der Versuch bei gleichen Parametern und gleicher Versuchsdauer ohne elektrische Beeinflussung durchgeführt. In Bild 3 sind die Reibwertverläufe und der daraus resultierende Verschleiß bei Schmierung mit den unterschiedlichen IL-Mischungen dargestellt. Während der Einlaufphase ohne extern angelegtes Potential sinkt der Reibkoeffizient bei allen Mischungen. Das Anlegen eines anodischen Stroms (schwarze Linie) führt zu einer sofortigen Erhöhung des Reibungskoeffizienten bei den verwendeten Mischungen. Bei Mischung D1: B2 (Bild 3 c) steigt der Reibwert mit 27 % im Vergleich zum Reibwert nach der Einlaufphase am stärksten an. Mit 19 % (D1: B1) und 5 % (D2: B1) weisen die beiden DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 Bild 2: Cyclovoltammetrie innerhalb eines Spannungsfensters von ±10 V vs. ag/ agCl von [P66614][DEHP] (links) und von [P66614][BTa] mit einer abtastrate von 0,1 V/ s IL E korr[a] (mV vs. Ag/ AgCl) I korr[a] (A/ cm 2 ) el. Leitfähigkeit [b] (mS/ cm) Viskosität [c] (mPa·s) Molekulargewicht (g/ mol) D -149,1 1,24E-8 0,002 1160 805,3 Tabelle 1: kenndaten der beiden reinen iLs B -13,6 2,38E-7 6,63 310 391,31 [a] Stromspannungskurve, Abtastrate: 0,1 mV/ s, [b] bei 25°C, [c] bei 25°C, Scherrate 50 s -1 TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 54 Anschließend wurde mit der Mischung D1: B2, die den größten Schalteffekt aufwies, „Multi-Versuche“ durchgeführt, die sich aus fünf Abschnitten zusammensetzen. Die ersten vier Teile charakterisieren die Haft-und Gleitreibungseigenschaften. Im fünften Abschnitt werden Stribeck-Kurven aufgenommen. In Bild 4 sind die Ergebnisse der „Multi-Versuche“ bei anodischem (schwarz), kathodischem (rot) und Ruhepotential (grün) zu sehen. Die Haftreibungsversuche (Bild 4 a) aus Abschnitt eins (A1) und drei (A3) sind in einem Balkendiagramm zusammengefasst. Die gezeigten Werte mit ihren Fehlerbalken stellen die Mittelwerte aus den fünf durchgeführten Versuchen pro Abschnitt dar. Die Haftreibung bei anodischer Belastung zeigt den größten Wert. Deutlich zu sehen ist auch, dass bei anodischer Belastung keine Veränderung von A1 zu A3 auftritt. Aufgrund der positiven Polarisierung deutet dies auf eine Layer aus Anionen hin, die durch den Gleitreibungsabschnitt A2 nicht zerstört oder immer wieder neu gebildet wird. Die Haftreibung der kathodischen Polarisation zeigt in A1 den niedrigsten Wert und in A3 einen dem Ruhepotential ähnlichen Wert. Auch dieser Wert ändert sich durch A2 unwesentlich. Lediglich die Schwankung innerhalb von A3 nimmt zu. Die Werte ohne externe Belastung zeigen das eindeutige Phänomen des Einlaufens. A1 zeigt deutlich höhere Haftreibungswerte als A3 nach dem ersten Gleitreibungsabschnitt. Die Gleitreibungsabschnitte A2 und A4 sind zu einem Diagramm zusammengefasst worden (Bild 4 b). Auch hier wird durch die anodische Polarisierung der höchste Reibwert erzielt. Die kathodische Polarisation erreicht trotz anfangs größten Reibkoeffizienten zum Ende der beiden Abschnitte den geringsten Wert. Durch die negative Polarisation der beiden Reibpartner werden vermutlich die Kationen in den Reibspalt gedrängt, die aufgrund der ölartigen langen Alkylseitenketten für eine gute Schmierung sorgen. Ein ähnlicher Mechanismus wurde bereits von Kawada et al. berichtet.[16] Am Ende dieser beiden Abschnitte wird durch eine anodische Polarisation eine Reibwerterhöhung um 12 % gegenüber dem unpolarisierten Zustand erreicht. Die Reibwertminderung durch kathodische Polarisation beträgt sogar 20 %. Die fünf aufgenommenen Stribeck-Kurven eines jeden Potentials werden in Bild 4 durch eine gemittelte Kurve repräsentiert (Bild 4 c). Die Fehlerbalken wurden zur Übersichtlichkeit aus der Grafik entfernt. Die Stribeck- Kurven zeigen deutlich, dass die Unterschiede einer unterschiedlichen Polarisation besonders im Regime der Mischreibung auftreten. Die Effekte können auch in der Grenzreibung beobachtet werden, jedoch sind die Schwankungen in diesem Bereich so groß und den Eigenschaften des Metalls (Festkörperreibung) zuzu- Aus der Praxis für die Praxis 55 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 Bild 3: Reibwertverlauf der unterschiedlichen Mischungsverhältnisse von [P66614][DEHP] zu [P66614][BTa] bei den Versuchsparametern: 50 N (initial 620 MPa), 100 rpm (0,045 m/ s) und Raumtemperatur: a) D2: B1; b) D1: B1; c) D1: B2; d) Verschleißvolumen auf den Stiften. Nach einer Einlaufzeit von 2h wurde für 30 Minuten ein anodisches (schwarze Linie) oder kathodisches (rote Linie) Potential eingestellt. Für alle Mischungen wurde ein Versuch über die gesamte Versuchsdauer bei Ruhepotential (oCP) (grüne Linie) durchgeführt TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 55 Aus der Praxis für die Praxis 56 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 4/ 5/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0024 Bild 4: Ergebnisse der „Multi-Versuche“ aller fünf abschnitte a1-a5 aufgeteilt in a) Haftreibung, durchgeführt in a1 und a3 (50 N), sowie b) Gleitreibung durchgeführt in a2 und a4 (50 N, 100 rpm, 0,045 m/ s, 1 h) und c) Stribeck-kurven (50 N, 0,1 - 3300 rpm, (4,7·10-5 - 1,55 m/ s) durchgeführt in a5. d) zeigt das Verschleißvolumen auf den Stiften Bild 5: XPS-Messungen der gereinigten Stahlstifte in der Reibspur nach den „Multi-Versuchen“ mit a) anodischer, b) kathodischer Polarisation und c) bei Ruhepotential TuS_4_5_2019.qxp_T+S_2018 23.08.19 13: 15 Seite 56 schreiben, dass eine eindeutige Bestimmung nicht möglich ist. Beim Übergang zur Mischreibung (~ 0,0017 m/ s) weisen alle drei polarisierten Zustände in etwa den gleichen Reibwert auf. Bis hin zum Übergang zur Flüssigkeitsreibung (1,55 m/ s) bestätigt diese Messung die bereits gezeigten Ergebnisse. Eine anodische Polarisierung erhöht den Reibwert gegenüber dem unpolarisierten Zustand, und eine kathodische Polarisierung senkt den Reibwert. Innerhalb der Mischreibung treten sowohl Festkörperreibung als auch Flüssigkeitsreibung auf. Da der Reibspalt sehr klein und damit der Flüssigkeitsfilm in diesen Bereichen sehr dünn ist, können bereits kleine Veränderungen zwischen Metalloberfläche und Schmiermittel zu einem makroskopischen Effekt in der Reibung führen. Der Verschleiß der Proben zeigt die gleichen Trends wie die ersten tribologischen Untersuchungen. Beide Polarisierungen führen zu einem erhöhten Verschleiß gegenüber den unpolarisierten Proben. Abschließend wurden die gereinigten Proben des „Multi-Versuchs“ mit XPS untersucht. In Bild 5 sind die Ergebnisse der XPS-Messungen der drei unterschiedlich polarisierten Proben dargestellt. Deutliche Unterschiede sind im Eisensignal zu erkennen. Durch ein anodisches Potential werden dem Material Elektronen entzogen, und der Anteil an oxidiertem Material nimmt zu. Aufgrund der ständigen Oxidation des Materials kann auch der hohe Verschleiß dieser Proben erklärt werden. Gerade umgekehrt verhält es sich im Spektrum der kathodischen Probe: Durch die vorhandenen Elektronen wird eine Oxidation des Eisens verhindert, und die Oberfläche besteht daher fast ausschließlich aus elementarem Eisen. Bei allen drei Proben ist deutlich zu erkennen, dass sich eine Schicht aus Phosphat bildet, die durch das in den ILs vorhandenen Phosphor-Anteile gebildet werden kann. In weiteren Untersuchungen muss mit XPS- Messungen von Proben, die nach dem Versuch nicht gereinigt werden, geklärt werden, ob die Theorie der Layerbildung von Anionen und Kationen bestätigt werden kann. Zusammenfassung In Abhängigkeit der Polarisierung einer Stahlprobe lassen sich der makroskopische Reibwert und der Verschleiß in Kombination mit einer Mischung aus elektrisch leitfähigen ionischen Flüssigkeiten beeinflussen. Eine anodische Polarisierung hat bei der Auswahl des richtigen Schmierstoffs eine Erhöhung des Reibwerts um mehr als 25 % zur Folge. Durch eine kathodische Polarisierung konnte der Reibwert eines Tribosystems um nahezu 10 % gesenkt werden. In weiteren tribologischen Untersuchungen konnten diese Ergebnisse sowohl für die Haftreibung als auch für die Gleitreibung bestätigt werden. Durch XPS-Messungen konnte gezeigt werden, dass bei anodischem Potential die Probe mehr oxidiert wird als im unpolarisierten Zustand, wodurch auch der Verschleiß erhöht wird. Für die Aufklärung der Reibmechanismen müssen weitere Untersuchungen mit Hilfe der XPS-Methode durchgeführt werden. Diese Untersuchungen bilden die Grundlage für weitere Entwicklungsarbeiten zur reversiblen Steuerung der Reibung. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die finanzielle Unterstützung durch das Fraunhofer-Forschungscluster Programmierbare Materialien. Literatur [1] K. Holmberg, A. Erdemir, Friction 2017, 5, 263. [2] https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1004/ umfrage/ entwicklung-des-oelverbrauchs-in-deutschland/ (Ed.). [3] O. Y. Fajardo, F. Bresme, A. A. Kornyshev, M. Urbakh, Scientific reports 2015, 5, 7698 EP. [4] H. Zhao, Q. Sun, X. Deng, J. Cui, Earthworm-Inspired Rough Polymer Coatings with Self-Replenishing Lubrication for Adaptive Friction-Reduction and Antifouling Surfaces, 30 2018. [5] O. Hod, E. Meyer, Q. Zheng, M. Urbakh, Nature 2018, 563, 485. [6] I. U. Vakarelski, S. C. Brown, Y. I. Rabinovich, B. M. Moudgil, Langmuir 2004, 20, 1724. [7] M. Armand, F. Endres, D. R. MacFarlane, H. Ohno, B. Scrosati, Nature materials 2009, 8, 621 EP. [8] C. Ye, W. Liu, Y. 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