Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2019-0031
121
2019
666
JungkErweiterung der Auslegung von Festlager-Laufrollenführungen bei trockenem Kontakt
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2019
Jan Wenzelhttps://orcid.org/0000-0002-2766-2114
Marcel Neuhttps://orcid.org/0000-0002-9726-1383
Eckhard Kirchnerhttps://orcid.org/0000-0002-7663-8073
In der Automatisierung werden zunehmend schienengebundene Transportsysteme eingesetzt, deren Führungen mittels Festlagerlaufrollen, die sowohl axiale als auch radiale Kräfte übertragen, realisiert werden. Teilweise werden auch einzelne Rollen angetrieben. Dabei wird oftmals aufgrund kundenspezifischer Anforderungen auf Schmierung verzichtet, was zu einem Zielkonflikt in der Auslegung führt. In diesem Beitrag werden die Auswirkungen der erhöhten Reibung auf die Spannungsverteilung des Laufrollen-Außenmantels und damit auch auf die Berechnung der Lebensdauer vorgestellt. Die Ausgangssituation wird zunächst anhand eines praktischen Beispiels beschrieben und anschließend wird durch eine analytische Rechnung die Grundlage zur Beschreibung des Problems aufgestellt. Die Berechnung der Spannungen im Bauteilinneren erfolgt mittels Finite-Element-Methode.
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Aus Wissenschaft und Forschung 40 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Ausgangssituation Festlager-Laufrollenführungen können, aufgrund des inneren Aufbaus des Lagers und der Gestaltung des Außenmantels, Kräfte in radialer und axialer Richtung übertragen. Bild 1 zeigt den allgemeinen Aufbau der Führung (links) und verschiedene Profilgeometrien des Außenmantels (rechts). Diese Art der Führung eignet sich für eine Vielzahl von Anwendungen, wie zum Beispiel autonome, schienengebundene Transportsysteme, Erweiterung der Auslegung von Festlager-Laufrollenführungen bei trockenem Kontakt Jan Wenzel, Marcel Neu, Eckhard Kirchner* In der Automatisierung werden zunehmend schienengebundene Transportsysteme eingesetzt, deren Führungen mittels Festlagerlaufrollen, die sowohl axiale als auch radiale Kräfte übertragen, realisiert werden. Teilweise werden auch einzelne Rollen angetrieben. Dabei wird oftmals aufgrund kundenspezifischer Anforderungen auf Schmierung verzichtet, was zu einem Zielkonflikt in der Auslegung führt. In diesem Beitrag werden die Auswirkungen der erhöhten Reibung auf die Spannungsverteilung des Laufrollen-Außenmantels und damit auch auf die Berechnung der Lebensdauer vorgestellt. Die Ausgangssituation wird zunächst anhand eines praktischen Beispiels beschrieben und anschließend wird durch eine analytische Rechnung die Grundlage zur Beschreibung des Problems aufgestellt. Die Berechnung der Spannungen im Bauteilinneren erfolgt mittels Finite-Element-Methode. Schlüsselwörter Wälzkontakt, Lebensdauer, Abrieb, ungeschmiert, Hertz’scher Kontakt In automatization rail-bound transport systems are used increasingly. The guideways are realized by track rollers that transmit both axial and radial forces. Some of the rollers can also act as drivers. Due to customer requirements, lubrication is often renounced, which leads to a conflict of requirements in the design process. In this paper, the influence of increased friction on the stress distribution of the roller outer shell and thus on the calculation of the time estimation are presented. Firstly the initial situation is described by means of a practical example, and afterwards an analytical calculation is used to formulate the basis for describing the problem. The calculation of the stresses inside the component is performed by means of a finite element method. Keywords rolling contact, durability, abrasion, non-lubricated, Hertzian contact Kurzfassung Abstract * Name Bild 1: Allgemeiner Aufbau einer Festlager- Laufrolle (links), Profilgeometrien des Außenmantels (rechts): a. Zweipunktkontakt mit Gotik-Profil, b. Linienkontakt mit konkavem, rundem, eingeschnittenem Profil, c. Zweipunktkontakt mit konvexem Profil * Jan Wenzel, M.Sc., Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-2766-2114 Marcel Neu, M.Sc., Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-9726-1383 Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kirchner Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-7663-8073 Fachgebiet pmd TU Darmstadt, 64287 Darmstadt TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 40 da die Führungsfunktion mit nur wenigen Komponenten realisiert werden kann. Für einige Anwendungen kommt jedoch die Anforderung hinzu, dass auf Schmierstoff verzichtet werden muss. Unter anderem zeigte Birkhofer [1] bereits den gravierenden Einfluss erhöhter Reibung auf die Lebensdauer von feststoffgeschmierten Wälzlagern. Zur Berechnung der Lebensdauer von Wälzlagern wird die Wechselschubspannungs-hypothese (WSH) basierend auf der Arbeit von Palmgren und Lundberg [2] verwendet. Die resultierende Schubspannung wird über die Berechnung der Hertz’schen Pressung und der daraus resultierenden inneren Spannungsverteilung ermittelt. Auch konventionelle Auslegungen von Laufrollen wie sie von Kunz [3] oder Nölke [4] vorgestellt werden, verwenden die Hertz’sche Pressung als Kriterium. Broszeit [5] konnte nachweisen und Harris bestätigte [6], dass beim Auftreten zusätzlicher Schubspannungen an der Oberfläche eines Hertz’schen Kontakts die innere Spannungsverteilung stark beeinflusst wird. Die Wechselschubspannung bleibt davon jedoch unbeeinflusst, weshalb die Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH) verwendet werden sollte. Im Rahmen eines Entwicklungsprojekts wurden für verschiedene Materialpaarungen erste Versuche durchgeführt, welche zeigten, dass bereits sehr früh Verschleißerscheinungen am Außenmantel der Laufrollen auftreten. Die untersuchten Materialpaarungen sind im Speziellen: • Stahl-Laufrollen mit Polyamid 6 (PA6)- und glasfaserverstärkte PA6-Schienen • Polyoxymethylen (POM)-Laufrollen mit hartanodisierten Aluminiumschienen • Polyurethan (PU)-Laufrollen mit hartanodisierten Aluminiumschienen Exemplarisch sind in Bild 2 die Ergebnisse des Materialabtrags der PU- und POM-Laufrolle dargestellt. Beide wurden radial mit einer Last von F rad = 260 N belastet, was eine übliche Vorspannung der Transportsysteme darstellt. Dabei zeigte sich für die Laufrolle aus PU ein vergleichsweise hoher Materialabtrag (über 0,02 g bei ca. 200.000 Überrollungen; der negative Abtrag ist auf eine zunächst vorliegende Partikelaufnahme zurückzuführen) wohingegen die Laufrolle aus POM einen deutlich geringeren Abtrag aufweist (ca. 0,015 g bei ca. 500.000 Überrollungen). Diese Beobachtungen werden nicht durch die oben vorgestellten Auslegungen von Laufrollen berücksichtigt, was wiederum folgende Fragestellungen aufwirft: Welches Versagenskriterium sollte verwendet werden? Wie kann das Verhalten der ungeschmierten Laufrollen erfasst und beschrieben werden? Erfassung der schädigungsrelevanten Effekte im Kontakt Um beurteilen zu können, welches Versagenskriterium sich zur Lebensdauerprognose eignet, ist es notwendig, den Kontakt zwischen Laufrollenaußenmantel und Führungsschiene differenziert zu betrachten. Dabei werden zunächst alle Effekte betrachtet, die Einfluss auf die Spannungen im Bauteil nehmen und damit zur Schadensentwicklung beitragen. Bei statischer Belastung sind das Normalkräfte und Tangentialkräfte aufgrund der besonderen geometrischen Gestaltung des Außenmantels. Im dynamischen Betrieb kommen noch Rollreibung, Differentialschlupf und bei angetriebenen Rollen zusätzlicher Schlupf beim Anfahren und Abbremsen hinzu. Des Weiteren führen Gleitanteile im Kontakt zu einem Materialabtrag. Dieser wird zum einen durch Schlupfanteile während der Bewegung und durch Differentialschlupf hervorgerufen. Aus Wissenschaft und Forschung 41 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Bild 2: Diagramm des Massenabtrags und Verschleißerscheinungen einer PU- und einer POM-Laufrolle unter einer Radialkraft von F rad = 260 N TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 41 Zunächst muss noch geprüft werden, ob vollständiges oder partielles Gleiten im Kontakt vorliegt. In Bild 4 ist zu erkennen, dass eine Tangentialkraft in einem Hertz’schen Kontakt einen äußeren Gleitbereich mit dem Radius a und einen inneren Haftbereich mit dem Radius c hervorruft. Die Schubspannungsverteilung ergibt sich aus der Überlagerung der beiden Schubspannungen τ = τ (1) + τ (2) . Je größer die Tangentialkraft wird, desto kleiner wird der Radius c des Haftbereichs, bis schließlich vollständiges Gleiten vorliegt (c = 0), sodass für die Verteilung der Schubspannungen die Beziehung τ = μ∙p gilt. Diese wird also nur mit Hilfe der Verteilung der Hertz’schen Pressung p und dem Reibungskoeffizienten μ gebildet. [7] Um entscheiden zu können, ob partielles oder vollständiges Gleiten vorliegt, wird eine Bedingung zur Überprüfung des Gleitzustands benötigt. Diese wird hier exemplarisch an einer kreisförmigen Kontaktfläche hergeleitet. Die Verschiebung einer kreisförmigen Kontaktfläche in tangentiale Richtung wird allgemein beschrieben mit: (1) Hierin ist ν die Querkontraktionszahl, p max die maximale Hertz’sche Pressung und G der Schubmodul. Zur Über- # $ = % & = (2 − ))+ " ,-$ 8./ (/ 0 − 1 0 ) Aus Wissenschaft und Forschung 42 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Im Folgenden sollen die zusätzlichen Tangentialkräfte bei statischer Belastung genauer betrachtet werden, da diese einen wesentlichen Unterschied gegenüber den Belastungen von zylindrischen Laufrollen darstellen. Die vorgestellten Überlegungen wurden für Laufrollen mit Gotik-Profil mit der Materialpaarung Stahl/ Stahl aufgestellt, da diese Materialkombination am häufigsten in der Literatur gefunden werden kann und dadurch leichter Vergleiche möglich sind. Die Ergebnisse können auch auf andere Materialpaarungen übertragen werden. [7] Übertragung einer Radialkraft an einer Laufrolle mit Gotik-Profil In diesem Beitrag wird die Übertragung der Radialkraft genauer betrachtet. Wie in Bild 3, links erkennbar, werden durch diese Kraft im Kontakt Normal- und Tangentialkräfte hervorgerufen. Die Grundlage des Rechenwegs stellt immer das Normalkraftproblem mit der Lösung von Hertz da. Die Lösung des Tangentialkraftproblems kann mit dieser superponiert werden. [7] An dieser Stelle soll der Kraftübertragungswinkel α eingeführt werden, der eine konstruktive Größe der Laufrolle darstellt. Bild 3, rechts zeigt die Verschiebungen in Normalδ N und Tangentialrichtung δ T aufgrund der radialen Verschiebung v. Bild 3: Laufrolle mit Gotik-Profil unter Radialbelastung (links) und Verschiebung der Kontaktpunkte unter Radiallast (rechts) Bild 4: Partielles Gleiten einer kreisförmigen Kontaktfläche einer Laufrolle TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 42 prüfung des Kontaktzustands wird genau die Tangentialkraft benötigt, für die gerade vollständiges Gleiten eintritt [7]: (2) Der Radius a ist abhängig von der Normalkraft und kann nach den Gleichungen von Hertz [8] bestimmt werden: (3) Dabei ist ξ ein von den Krümmungsverhältnissen abhängiger Beiwert, der aus Tabellen entnommen werden kann, E der Elastizitätsmodul und ∑k die Summation aller Krümmungsradien. Die Normalkraft kann wiederum mit Hilfe der Verschiebung beschrieben werden: (4) Der Beiwert ψ/ ξ ist ebenfalls von den Krümmungen abhängig und kann aus Tabellen entnommen werden. [8] Abschließend werden nur noch die geometrischen Zusammenhänge der radialen Verschiebung v benötigt. Diese sind in Bild 3, rechts dargestellt. Es wird hier die Annahme getroffen, dass die Veränderung des Winkels Δα = α 1 α 0 zu vernachlässigen ist, da auch die Verschiebung deutlich kleiner als der Radius der Führung ist (v ≪ r). Somit gilt α = α 0 = const., was zu folgendem geometrischen Zusammenhang zwischen der Verschiebung in Richtung der Normalen und in Tangentialrichtung führt: (5) # $ = % & = 3(2 − )) 4 5 16./ / = 9 : 3(1 − ) 0 ) ; ∑< > ∙ 4 ? @A 4 5 = 1 CD9 E A0 ∙ F9∑<(1 − ) 0 ) 0 8; 0 H ∙ % ? A0 tan() = " # " $ Da eine kreisförmige Kontaktfläche betrachtet wird, gelten für die Hilfswerte ξ = 1 und ψ/ ξ = 1. Einsetzen in die Gleichung (2) und Umformen zeigt, dass der Winkel α für den gerade vollständiges Gleiten einsetzt, nur von Materialkonstanten und dem Reibungskoeffizienten abhängig ist. Dieser Winkel wird als Grenzwinkel α Grenz definiert: (6) Für die aktuellen Untersuchungen kann davon ausgegangen werden, dass der Reibungskoeffizient μ < 0,5 ist, sodass für das vorliegende Beispiel der Winkel α =30° >α Grenz = 18,8° ist, was wiederum bedeutet, dass mit vollständigem Gleiten gerechnet werden kann. Die zu lösenden Gleichungen ergeben sich damit lediglich aus den Kräftegleichgewichten in radialer (7) und axialer (8) Richtung (Vgl. Bild 3, links): (7) (8) und der Coulomb’schen Reibung F Ti = μ ∙ F Ni , was zu folgendem Ergebnis führt: (9) In Bild 5 sind die Kontaktkräfte über den Reibungskoeffizienten für eine Radialkraft von F rad = 200 N dargestellt. Anhand der Kräfteverteilung wird deutlich, dass bei steigendem Reibungskoeffizienten ein Teil der äußeren Kraft über die tangentialen Kräfte im Kontakt übertragen wird. Da dieser Anteil nicht zu vernachlässigen ist, wird darauf aufbauend nun die resultierende Spannungsverteilung betrachtet. '*+,- = arctan 018 ∙ 34 ∙ 2 − 7 1 − 7 9 ∙ : ; cos()C $D + cos()C $9 + sin()C #D + sin()C #9 = C *FG sin()C $D − sin()C $9 − cos()C #D + cos()C #9 = 0 C $D = C $9 = C *FG 2[cos(I) + : ∙ sin()] Aus Wissenschaft und Forschung 43 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Bild 5: Kontaktkräfte über Reibungskoeffizienten für F rad = 200 N TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 43 In Bild 7 sind die maximale Pressung, die Vergleichsspannungen im inneren des Körpers und an der Oberfläche sowie die Wechselschubspannung über den Reibungskoeffizienten aufgetragen. Anhand des Diagramms kann erkannt werden, dass ungefähr bei einem Reibungskoeffizienten von μ ≈ 0,3 das Vergleichsspannungsmaximum an der Oberfläche und im Bauteilinneren gleich groß werden. Die Wechselschubspannung sinkt, was auf die verringerte Normalkraft zurückgeführt werden kann. Für andere Außenmantelgeometrien ist der Einfluss der Reibung aufgrund der geometrischen Besonderheit weniger ausgeprägt. In Bild 8 sind die Spannungsverteilungen von Laufrollen mit einem anderen konkaven, runden Profil (Linienkontakt, Vgl. Bild 1 b.) und einem konvexen Profil (Punktkontakt mit r Außen = +400 mm, Vgl. Bild 1 c.) dargestellt. Für Profil b. liegt die maximale Spannung ohne Berücksichtigung der Reibung (links) am Rand des Kontakts in Richtung der Laufrollenmitte. Wird die Reibung mit berücksichtigt (rechts) findet eine Vergleichmäßigung der Spannungsverteilung statt. Auch das Spannungsmaximum sinkt. Profil c. weist ebenfalls eine abweichende Spannungsverteilung auf. Der im Vergleich zum Gotik-Profil stark abweichende Radius am Außenmantel führt zu einem ausgeprägten elliptischen Kontakt. Die Veränderungen Aus Wissenschaft und Forschung 44 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Spannungsverteilung im Kontakt aufgrund der geometrischen Besonderheit Die Spannungsverteilung unterhalb der Oberfläche kann mit Hilfe von Potentialfunktionen aus den Spannungsverteilungen an der Oberfläche ermittelt werden, welche somit die Randbedingungen darstellen. Für einige Sonderfälle, wie zum Beispiel eine gleitende Kreisfläche unter Hertz’scher Pressung, wurden bereits geschlossene Lösungen aufgestellt [9, 10, 11]. Für den hier vorliegenden Fall kommen diese Lösungen jedoch nur als Näherung in Frage, da die Kontaktfläche im Allgemeinen eine elliptische Form aufweist. Eine Berechnung der Spannungen mit Hilfe der Finiten- Elemente-Methode liefert vergleichbare Ergebnisse. In Bild 6 ist zu erkennen, dass die Spannungsverteilung der Gestaltänderungsenergie-Hypothese mit steigendem Reibungskoeffizienten deutlich verändert wird. Für den reibungsfreien Fall liegt die maximale Vergleichsspannung nach der GEH noch bei σ v,GEH ≈ 454 MPa im inneren der Bauteile. Bei einem Reibungskoeffizienten von μ = 0,6 liegt die Spannung jedoch bei σ v,GEH ≈ 494 MPa an der Oberfläche des Bauteils. Die Indizierung der Radien orientiert sich an Kunz [3] und ist relevant für die Berechnung der Hertz’schen Pressung. Die relevante Schubspannung zur Berechnung der Wechselschubspannung bleibt von der Veränderung des Reibungskoeffizienten quasi unbeeinflusst (Schnitt A-A). Bild 6: Spannungsverteilung im Kontakt TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 44 der maximalen Vergleichsspannung sind daher deutlich geringer. Vor allem an den Rändern des Kontakts wird der Einfluss der Reibung sichtbar. Beide Geometrien können nicht mit der oben vorgestellten analytischen Berechnung beschrieben werden. Die konventionelle Berechnung der Lebensdauer berücksichtigt keine Reibung. Aus diesem Grund muss die Prognose der Lebensdauer entsprechend angepasst werden. Hierzu werden die Simulationsergebnisse, ähnlich dem Vorgehen von Pape [12], mit zur Berechnung genutzt. Erweiterung der Lebensdauerberechnung Basierend auf der Spannungsverteilung der Laufrollen mit Gotik-Profil können nun Rückschlüsse auf die Lebensdauer gezogen werden. Broszeit [4] hat bereits ge- Aus Wissenschaft und Forschung 45 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 Bild 8: Spannungsverteilung für die Reibwerte μ = 0 und μ = 0,4 für Außenmantel-Profil b. (oben) und Außenmantel-Profil c. (unten) für eine Radialbelastung F rad = 200 N Bild 7: Verlauf der der Hertz’schen Pressung und inneren Spannungen über den Reibungskoeffizienten TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 45 Für weitere experimentelle Untersuchungen muss die Tatsache berücksichtigt werden, dass während der gesamten Lebensdauer Material an der Oberfläche abgetragen wird. Aus diesem Grund könnten erste Anrisse bereits frühzeitig abgetragen werden, sodass das eigentliche Risswachstum von außen nach innen nicht unbeeinflusst stattfinden kann, was damit wiederum zu abweichenden Lebensdauern führen kann. Bild 10 zeigt den schematischen Materialabtrag einer gewöhnlichen Gleitpaarung. Dieser kann auf die beschriebene Problemstellung der Ausgangssituation übertragen werden. Es erscheint daher zielführend, den Materialabtrag als auslegungsrelevante Größe, ähnlich Aus Wissenschaft und Forschung 46 Tribologie + Schmierungstechnik · 66. Jahrgang · 6/ 2019 DOI 10.30419/ TuS-2019-0031 zeigt, dass die Änderung der Spannungsverteilung keinen Einfluss auf die Wechselschubspannung hat, was demzufolge bedeutet, dass die errechnete Lebensdauer bei Verwendung dieser Hypothese unverändert bleibt. In Tabelle 1 werden die errechneten Werte in Abhängigkeit des Reibungskoeffizienten gegenüber gestellt. Zur Bestimmung der Lebensdauer stehen somit also zwei Werte zur Verfügung. Es empfiehlt sich daher, mit beiden Spannungswerten die Lebensdauer zu bestimmen und diese dann anschließend zu vergleichen. Dies wird in Bild 9 schematisch dargestellt. Als Grundlage dient die Wöhlerlinie des entsprechenden Werkstoffs. Liegt das Maximum der Vergleichsspannung an der Oberfläche, so kann das Risswachstum an der Oberfläche beginnen und ins Bauteilinnere hineinwachsen. [13] Die Risse aufgrund der Wechselschubspannungen wachsen bekanntermaßen hingegen von innen nach außen. Die Verwendung der GEH stellt gegenüber der WSH die konservative Auslegung dar. = = , ! = , " GEH 0,65 ∙ $ %&' 0,70 ∙ $ %&' 0,74 ∙ $ %&' WSH 0,44 ∙ $ %&' 0,45 ∙ $ %&' 0,46 ∙ $ %&' Tabelle 1: Vergleichsspannungen in Abhängigkeit des Reibungskoeffizienten (GEH = Gestaltänderungsenergiehypothese, WSH = Wechselschubspannungshypothese) Bild 9: Schematische Darstellung der Wöhlerlinie Bild 10: Schematischer Verlauf des Materialabtrags, In Anlehnung an [14] TuS_6_2019.qxp_T+S_2018 28.11.19 14: 54 Seite 46 wie bei feststoffgeschmierten Wälzlagern [14], einzuführen. Ist der Einlaufverschleiß bekannt, dann kann mit Hilfe eines experimentell ermittelten Kennwertes der Abtrag pro Umdrehung bestimmt werden, was der Steigung Δh/ Δn während des konstanten Verschleißbereichs entspricht. Somit kann ein Schätzwert des Abtrags h ges berechnet werden: (10) Hierbei ist h E der Verschleiß während der Einlaufphase, n max die Umdrehungen bis zur Erreichung der Lebensdauer und n E die Anzahl der Umdrehungen der Einlaufphase. Fazit und Ausblick Die Untersuchungen zeigen, dass für ungeschmierte Festlagerlaufrollenführungen keine pauschale Aussage über die Lebensdauer getroffen werden kann, da aufgrund der veränderten Spannungsverteilung durch den Einfluss der Reibung abweichende Vergleichsspannungswerte vorliegen. Aus diesem Grund sind weitere experimentelle Untersuchungen zum Verschleiß- und Ausfallverhalten notwendig. Besonders die Berücksichtigung des Abriebs sollte mit in die Auslegung der Führungen aufgenommen werden. Um die vorgestellten Rechnungen auf beliebige Problemstellungen anwenden zu können, muss die Verschiebung in tangentialer Richtung auf elliptische Flächen erweitert werden. Des Weiteren muss der Einfluss der Rollreibung berücksichtigt werden, wobei eine Auslegungsgleichung für zylindrische Laufrollen [15] bereits gezeigt hat, dass die resultierenden Tangentialkräfte deutlich kleiner sind als die Tangentialkräfte aufgrund der geometrischen Besonderheiten. Außerdem ist die Übertragung der Axialkraft noch von besonderem Interesse, da diese, ersten Berechnungen nach, einen erheblichen Einfluss auf die Spannungsverteilung aufweist. In zukünftigen Arbeiten muss noch ein Modell gefunden werden, dass den Materialabtrag der Kontaktpaarung beschreibt. ℎ ! "# = ℎ $ + ∆ℎ ∆ ∙ ( &') − $ ) Wir danken dem Land Hessen für die Förderung des Projekts Dieses Projekt (HA-Projekt-Nr.: 586/ 18-09) wird im Rahmen von Hessen ModellProjekte aus Mitteln der LOEWE - Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz, Förderlinie 3: KMU-Verbundvorhaben gefördert. 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