eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 67/1

Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0005
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2020
671 Jungk

Reibungsbedingte WEC-Bildung bei hohen Lasten

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2020
Jörg Looshttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0001-7596-3205
Wolfram Kruhöfferhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-6848-3040
Daniel Merkhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-3845-9146
Toni Blaßhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-1286-8144
Jörg Frankehttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-5227-3620
Wälzlager können in seltenen Fällen deutlich vor der berechneten Lebensdauer mit White Etching Cracks (WECs) ausfallen, wenn der Wälzkontakt neben der Haupt-Wälzbeanspruchung (pHz) noch weitere, sogenannte Zusatzbeanspruchungen ertragen muss. Aktuell wird in der Literatur diskutiert, ob hohe Pressungen zu Beginn des Betriebs alleine ausreichend für eine WEC-Bildung sein können. Zur Klärung dieser Frage werden kürzlich durchgeführte und publizierte WEC-Versuche auf Wälzlagerprüfständen und Tribometern diskutiert, die bei hohen Pressungen und unterschiedlicher überlagerter Wälzkontaktreibung durchgeführt wurden. Bei Versuchen mit relativ niedrigem Reibenergie eintrag mit Axialrillenkugellagern und Zylinderrollenlagern kam es trotz sehr hoher Pressung zu Betriebsbeginn zu keiner WEC-Bildung. An einfachen Tribometern scheint die Kombination von hoher Pressung und Mindestschlupf und somit indirekt ein Mindest-Reibenergieeintrag für eine beschleunigte WEABildung erforderlich zu sein. Schrägkugellager und Pendelrollenlager bildeten bei hoher Pressung und gleichzeitig hohem Reibenergieeintrag frühzeitig WECs aus. Der Ausfallort belegt, dass die Reibenergie und nicht die Hertzsche Pressung hierfür haupt ursächlich war. Das unterschiedliche WEC-Ausfallverhalten der Versuche bei hoher Last lässt sich mit einem reibenergetischen WEC-Lebensdauermodell, abgeleitet aus WEC-Versuchen auf den SchaefflerPrüfständen R4G und FE8, gut nachvollziehen.
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Einleitung Bei White Etching Cracks (WECs), auch bekannt als White Structure Flaking oder Brittle Flaking, handelt es sich um einen Ermüdungsmechanismus, der sich nicht mit der klassischen Wälzlager-Lebensdauertheorie berechnen lässt. Dabei kommt es unter der Oberfläche zu Rissnetzwerken an und in weiß anätzenden Phasen [Hol15, Eva16]. Betroffen können sowohl durchals auch einsatzgehärtete Lager [Bla17] und alle Wälzlagertypen [Loo17] unabhängig von der Art der Schmierung (Öl oder Fett) [Loo16a] sein. Die weiß anätzenden Aus der Praxis für die Praxis 38 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Reibungsbedingte WEC-Bildung bei hohen Lasten Jörg Loos, Wolfram Kruhöffer, Daniel Merk, Toni Blaß, Jörg Franke* Wälzlager können in seltenen Fällen deutlich vor der berechneten Lebensdauer mit White Etching Cracks (WECs) ausfallen, wenn der Wälzkontakt neben der Haupt-Wälzbeanspruchung (p Hz ) noch weitere, sogenannte Zusatzbeanspruchungen ertragen muss. Aktuell wird in der Literatur diskutiert, ob hohe Pressungen zu Beginn des Betriebs alleine ausreichend für eine WEC-Bildung sein können. Zur Klärung dieser Frage werden kürzlich durchgeführte und publizierte WEC-Versuche auf Wälzlagerprüfständen und Tribometern diskutiert, die bei hohen Pressungen und unterschiedlicher überlagerter Wälzkontaktreibung durchgeführt wurden. Bei Versuchen mit relativ niedrigem Reibenergieeintrag mit Axialrillenkugellagern und Zylinderrollenlagern kam es trotz sehr hoher Pressung zu Betriebsbeginn zu keiner WEC-Bildung. An einfachen Tribometern scheint die Kombination von hoher Pressung und Mindestschlupf und somit indirekt ein Mindest-Reibenergieeintrag für eine beschleunigte WEA- Bildung erforderlich zu sein. Schrägkugellager und Pendelrollenlager bildeten bei hoher Pressung und gleichzeitig hohem Reibenergieeintrag frühzeitig WECs aus. Der Ausfallort belegt, dass die Reibenergie und nicht die Hertzsche Pressung hierfür hauptursächlich war. Das unterschiedliche WEC-Ausfallverhalten der Versuche bei hoher Last lässt sich mit einem reibenergetischen WEC-Lebensdauermodell, abgeleitet aus WEC-Versuchen auf den Schaeffler- Prüfständen R4G und FE8, gut nachvollziehen. Schlüsselwörter Wälzlager, Reibung, White Etching Cracks, WEC, White Structure Flaking Rolling bearings can fail in rare cases far ahead the calculated rating life due to White Etching Cracks (WECs). Prerequisites for WEC formation are the so called additional loads (electrical current, high friction, etc.) acting besides the Hertzian rolling contact stresses as the main load. Currently, it is being discussed in the literature whether a high pressure at the beginning of operation can be sufficient to initiate WECs. To address this question, recently performed as well as published WEC tests on bearing test rigs and basic tribometers working with high Hertzian pressures and various levels of internal friction energy are reviewed and discussed. It could be obtained from ball and roller bearing tests that high Hertzian pressures in conjunction with low specific friction energy do not lead to WEC formation. So, evaluating simple tribometer tests, it can be assumed that a combination of high pressure and a minimum proportion of slip (leading also to friction energy ingress) is required to trigger an accelerated WEA formation. In contrast, WECs occur in angular contact ball bearings and spherical roller bearings if they are subjected to high contact pressures and high specific friction energy at the same time. Additionally, the failure location indicates that the friction energy was the main trigger. A frictional WEC lifetime model, which was derived from a large number of bearing tests (FE8, R4G) before, provides an explanation for these different failure behaviors in the WECtests. Keywords Roller bearings, White Etching Crack, WEC, White Etching Area, White Structure Flaking, friction Kurzfassung Abstract * Dr. Jörg Loos Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0001-7596-3205 Dr. Wolfram Kruhöffer Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-6848-3040 Jörg Franke Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-5227-3620 Schaeffler Technologies AG & Co. KG 91074 Herzogenaurach Daniel Merk Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-3845-9146 Toni Blaß Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-1286-8144 Schaeffler Technologies AG & Co. KG, 97421 Schweinfurt T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 38 Phasen (White Etching Areas, WEAs) bestehen größtenteils aus sehr feinkörnigem, kohlenstoffübersättigtem Ferrit. Sie enthalten keine oder sehr kleine Karbide [Hol15]. Drei Erscheinungsformen von WECs können beobachtet werden (siehe Bild 1). Schliffe, in denen WEA Netzwerke dominieren und Risse eher nur flankierend auftreten. Häufig wird auch der umgekehrte Fall beobachtet. Die Risse erscheinen dann stärker ausgeprägt als die WEAs. Des Weiteren findet man in seltenen Fällen auch Strukturen, die an langgestreckte Butterflies erinnern. Der WEC-Entstehungsmechanismus ist bis heute nicht abschließend geklärt. Viele Ermüdungsversuche mit wasserstoffbeladenen Lagern belegen aber, dass bereits ein initial erhöhter Wasserstoffgehalt eine WEC-Bildung initiieren kann [z. B. Veg10, Rue14, Din18]. Außerdem zeigen sie, dass die Schwächung des Gefüges durch Wasserstoff zu Beginn des Einsatzes ausreichend ist. Auf der anderen Seite konnte nachgewiesen werden, dass Wälzlager im Betrieb durch hohe Wälzkontaktreibung oder auch Stromdurchgang atomaren Wasserstoff aufnehmen [Kue15, Ric18, Koh06, Han16, Geg18]. Die Wasserstoffentstehung durch spezielle Korrosionsmechanismen, insbesondere in Anwesenheit von Wasser und einem Gleichstrom, ist ebenfalls gut bekannt [z. B. Ros05]. Der in Bild 2 gezeigte „Wasserstoff-WEC-Pfad“ gibt somit eine mögliche Erklärung, warum WEC-Schäden oft in Anwendungen mit hoher Wälzkontaktreibung, elektrischem Stromdurchgang oder hohem Korrosionsrisiko beobachtet werden. Stark umstritten ist in der Literatur aktuell der genaue metallphysikalische Prozess (spannungsgetriebene Kohlenstoffdiffusion, lokale schwere plastische Verformung, Rekristallisierung, Rissbildung) und die Fragestellung, ob sich die Risse [z. B. Man19] oder die WEAs [z. B. Oez18] zuerst bilden. Nach den Erkenntnissen der allgemeinen Materialforschung an Stählen sind beide Wege möglich [Her12]. Hohe lokale Wasserstoffkonzentrationen fördern die Rissbildung (HEDE, HIC) aber auch lokale plastische Verformungen (HELP) mit anschließender WEA-Bildung. Möglich ist, dass die Betriebsbedingungen (Ver- Aus der Praxis für die Praxis 39 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 1: Erscheinungsformen der WEC-Bildung Bild 2: Erkenntnisstand WEC-Bildung in Wälzlagern (Standard-Wälzlagerstahl) T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 39 initiierte WECs bei relativ niedriger spezifischer Reibleistung, z. B. in typischen WEC-Tests auf dem FE8- Prüfgerät, treten ebenfalls stark abhängig von der Schmierstoffformulierung und dem elektrischen Potential auf (siehe Bild 3). Bei sehr hohen spezifischen Reibleistungen ist der Schmierstoffeinfluss wiederum davon abweichend und deutlich geringer. Dies wird deutlich, wenn man z. B. die Ergebnisse gleicher Schmierstoffe vom Micro-Pitting Rig (MPR) mit extrem hohen spezifischen Reibleistungen [Ric19, Gou19, Man19] mit denen vom FE8-Prüfgerät [Ric19] vergleicht. Auch existiert bei der energetischen WEC-Ermüdung nicht mehr zwingend ein Einfluss des elektrischen Potentials (siehe Bild 3). Reibenergetische WEC-Kennzahlen und WEC-Lebensdauermodell Zur Ermittlung einer geeigneten WEC-Beanspruchungskenngröße für die durch Reibung induzierten WEC- Schäden wurden in [Kru16] Wälzlagerversuche mit dem gleichen WEC-kritischen Schmierstoff durchgeführt. Die WEC-Neigung korrelierte hierbei gut mit der kinematischen Reibenergie-Akkumulation e a,kin (siehe Bild 4), bei der die flächenbezogene Reibenergie, mit der ein Oberflächenelement bei Überrollung beaufschlagt wird, ins Verhältnis zur Zeitspanne zwischen zwei Überrollungen gesetzt wird. Des Weiteren hatten bei den Versuchen die relative Schmierfilmdicke ( Λ 0 ) und die Kontaktart (Kugel vs. Rolle, Ring) wesentlichen Einfluss auf die WEC-Neigung. Versuche an Modellprüfständen, verbunden mit Wasserstoffsimulationen zeigten außerdem, dass auch die Größe des Kontaktes eine Rolle spielt [Fra17]. Zur Berücksichtigung dieser Einflüsse wurden der Schmierungskorrekturfaktor φ Λ , der Breitenfaktor k Breite und der Kugelfaktor k Kugel eingeführt [Loo17]. In der Praxis werden viele Anwendungen zwar mit potentiell WEC-kritischen Schmierstoffen betrieben Aus der Praxis für die Praxis 40 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 hältnis Wasserstoffkonzentrationen zu Vergleichsspannungen) darüber entscheiden, welcher der beiden Prozesse bestimmend ist, wodurch sich auch die unterschiedlichen WEC-Erscheinungsformen erklären ließen. Einige Forscher arbeiten auch am Nachweis eines alternativen WEC-Entstehungspfads (siehe Bild 2), bei dem elektrische Ströme elektrothermisch [Sce15] oder sehr hohe Spannungen durch Überlast [Sta17], Stoßbelastungen [Bru19] oder Kantenpressungen [Man19] das Gefüge zu Lebensdauerbeginn schwächen und WECs auslösen. WEC Hauptmechanismen WEC-Versuche deuten darauf hin, dass es zwei WEC- Hauptmechanismen gibt. Kleine Gleichströme z. B. infolge elektrostatischer Aufladungen [Loo16] führen zu WEC-Schäden ausschließlich am kathodisch geschalteten Lagerring (siehe Bild 3). Die Lebensdauer ist bei dieser „kathodischen WEC-Ermüdung“ stark abhängig von der verwendeten Schmierstoffformulierung. Bei in der Spitze sehr hohen elektrischen Lagerströmen, wie sie z. B. in umrichtergespeisten E-Maschinen vorkommen können, ist der Einfluss der elektrischen Polung hingegen wesentlich geringer und sogar konträr zur kathodischen WEC-Ermüdung. Hier besitzen die anodisch geschalteten Ringe ein höheres WEC-Risiko [Mik07, Din18]. WEC-Treiber im Fall hoher elektrischer Ströme scheinen die mit hoher Häufigkeit im Schmierspalt auftretenden Blitzentladungen zu sein, bei denen kurzzeitig Oberflächentemperaturen von über 1000 °C auftreten können. Der Einfluss der Schmierstoffformulierung bei der dann auftretenden „energetischen WEC-Ermüdung“ ist außerdem deutlich abweichend von der „kathodischen WEC-Ermüdung“ und wesentlich geringer. Auch bei reibungsinitiierter WEC-Bildung scheint es diese beiden Hauptmechanismen zu geben. Mischreibungs- DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 3: WEC-Hauptmechanismen / Einfluss der elektrischen Polung T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 40 [Sur14], ohne dass jedoch WEC-Schäden beobachtet wurden. Dies deutet daraufhin, dass WECs nur entstehen, wenn die Reibenergie oder die elektrische Beanspruchung einen Schwellwert überschreiten. Dies bestätigen auch Versuche nach [Loo17], bei denen unterhalb einer kritischen Reibbeanspruchung auch mit einem „WEC-kritischen“ Schmieröl keine WECs mehr auftraten. Die WEC-Dauerfestigkeitsgrenze hing dabei aber auch von der Hertzschen Pressung ab. Um dies bei einer WEC-Risikoabschätzung berücksichtigen zu können, wurde die pressungsgewichtete Reibenergie-Akkumulation e *a,effektiv,pHz-gewichtet als neue Kennzahl für die „Gesamt“-WEC-Neigung - bestehend aus Zusatz- und Hauptbeanspruchung - eingeführt (siehe Bild 4). Nach der vorgestellten wasserstoffbasierten WEC-Schadenshypothese hängt die WEC-Lebensdauer nicht nur von der reibenergetischen Beanspruchung, sondern auch von der WEC-Beanspruchbarkeit des Werkstoffes sowie dem verwendeten Schmierstoff als potentielle Wasserstoffquelle ab. Außerdem muss zwischen energetischer und kathodischer WEC-Ermüdung unterschieden werden, da sich die WEC-Neigung des Werkstoffs, der Lebensdauereinfluss des Schmierungszustandes und der Schmierstoffformulierung dabei stark unterscheiden. Die Ermittlung der in die Lebensdauerformel eingehenden Faktoren für Werkstoff und Schmierstoff erfolgt hierbei experimentell jeweils durch Vergleich mit einem Referenzwerkstoff und Referenzschmierstoff. WEC-Bildung bei hohen Lasten Im FE8-Prüfgerät entstehen WECs in Kugellagern (51212, 7312) nach ähnlich kurzen Laufzeiten wie in dem Axial-Zylinderrollenlager 81212, wenn die Hertzschen Pressungen stark erhöht werden. Beim Axial- Rillenkugellager liegen diese sogar deutlich über 3000 N/ mm 2 (siehe Bild 5), was über die kinematische Reibenergie-Akkumulation gut erklärbar ist, da beim Axial-Rillenkugellager Pressungs- und Gleitgeschwin- Aus der Praxis für die Praxis 41 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 5: Lebensdauern WEC-Versuche abhängig von Lagertyp und Pressung [Loo17] Bild 4: Reibenergetisches WEC-Lebensdauermodell (siehe auch [Kru16]) T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 41 se hochbelastet werden und insbesondere, wenn die Lastrichtung nicht passend zur Lagertype gewählt wird. Da bisher nur relativ kleine Wälzlager untersucht wurden, stellt sich auch die Frage, ob sich große Wälzlager abweichend verhalten. Dafür wurden Versuche an für Ermüdungsversuche sehr großen Pendelrollenlagern der Type 22332 (d = 160 mm) durchgeführt. Diese belegen, dass auch große Pendelrollenlager durch WECs infolge sehr hoher Reibung ausfallen können und die Laufzeit zu den von kleinen Lagern abgeleiteten WEC-Lebensdauern passt. Wie Bild 7 verdeutlicht, entstehen die WECs nicht am für die klassische Wälzermüdung kritischeren Innenring, sondern am Außenring. Es ist die Aus der Praxis für die Praxis 42 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 digkeitsverläufe gegenläufig sind: Die Pressung (p max ) ist in Laufbahnmitte, die Gleitgeschwindigkeit (v max ) am Laufbahnrand, maximal. Hohe spezifische Reibleistungen („pv“-Werte) ergeben sich bei konstanter Drehzahl deshalb erst bei relativ hohen Pressungen. Der Umstand, dass trotz sehr hoher Pressungen die WEC-Laufzeiten beim Lager 51212 gegenüber den anderen, eher moderat belasteten Lagern, nicht merklich abfallen, spricht gegen die These, dass sehr hohe Pressungen infolge Überlasten oder Kantenpressungen einen zusätzlichen WEC-Trigger darstellen. Versuche von Ruellan [Rue14] an hochbelasteten Schrägkugellagern deuten ebenfalls darauf hin, dass nicht alleine eine hohe Pressung, sondern die beim Schrägkugellager stark lastabhängige Reibung durch Differential- und Bohrschlupf WEC-auslösend ist. Die WECs bildeten sich dort, wo der Reibenergieeintrag am größten war und nicht in den Bereichen sehr hoher Pressungen in Laufbahnmitte (siehe Bild 6). Wurden die Lager mit Wasserstoff aufgeladen, entstanden die WECs hingegen dort, wo die Hertzsche Pressung maximal war, im Bereich der Laufbahnmitte, was die Hypothese stützt, dass der lokal in Bereichen hoher Reibung gebildete Wasserstoff WEC-auslösend ist. Ähnlich wie bei Schrägkugellagern entstehen auch bei Pendelrollenlagern hohe Differentialschlupfe, wenn die- DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 6: Belastungsabhängige Position der WEC- [Rue14] Bild 7: WEC-Versuche an großen Pendelrollenlagern (22332, d m = 250 mm) T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 42 Position betroffen, an der die reibenergetische WEC- Beanspruchung (e *a,effektiv,pHz-gewichtet ) am größten ist und nicht in Kontaktmitte, wo die Hertzsche Pressung maximal ist. Es ist aus WEC-Versuchen mit wasserstoffaufgeladenen Wälzlagern auch bekannt, dass der diffusible Wasserstoff bzw. die kritische Zusatzbeanspruchung nur kurze Zeit zu Betriebsbeginn wirken muss. Das liefert eine mögliche Erklärung, warum bei den in [Sta17] durchgeführten Versuchen eine kritische Beanspruchungsphase von ca. 10 Minuten ausreichte, um WECs auszulösen. In dieser kurzen Schädigungsphase sieht hier das Radial- Pendelrollenlager 23024 aufgrund einer reinen Axiallast eine sehr hohe maximale Hertzsche Pressung von 3800 N/ mm 2 , aber auch eine sehr hohe reibenergetische WEC-Beanspruchung (e a,effektiv,pHz-gewichtet ≈ 440 %). Die extrem hohe Axiallast kann zusammen mit der Kombination aus Außenring-Spielpassung und Teilbestückung, die teilweise verwendet wurden, zusätzlich noch zu sehr hohen Zugspannungen im Außenring führen, die möglicherweise auch die WEC-Neigung erhöhen [Lai16]. Zur Klärung, ob wie in [Sta17] vermutet, wirklich nur die Spitzenpressung von 3800 N/ mm 2 zu Betriebsbeginn WEC-auslösend war, wurden Axial-Rillenkugellager im FE8-Prüfgerät bei gleicher maximaler Pressung (p Hz,max = 3800 N/ mm 2 ) und Lastspielzahl (37000), aber sehr geringer reibenergetische WEC-Beanspruchung (e *a,effektiv,pHz-gewichtet ≈ 7 %) zu Laufzeitbeginn geprüft. Obwohl in der anschließenden Ermüdungsphase die Hertzsche Pressung mit p Hz,max = 2350 N/ mm 2 sogar noch etwas größer als beim Pendelrollenlager-Versuch war, fielen die Axial-Rillenkugellager auch nach etwa dreifacher modifizierter Referenzlebensdauer nicht mit WECs aus (siehe Bild 8). Vergleichbare Ergebnisse wurden im FVA-Vorhaben „Wälzlagerlebensdauer-Windgetriebe“ [FVA11] gewonnen. Dort wurden Pressungen von 3000 N/ mm 2 zu Beginn des Versuches als „Überlast“ aufgebracht - was ebenso nicht ausreichte, um Frühausfälle zu generieren. Wie die Axial-Rillenkugellager-Versuche im FE8- Prüfgerät wurden die Versuche im FVA-Vorhaben mit Zylinderrollenlagern bei geringer reibenergetische WEC-Beanspruchung (e *a,effektiv,pHz-gewichtet < 10 %) durchgeführt. Auch Manieri [Man19] stellt die Hypothese auf, dass sehr hohe Pressungen alleinig WECs auslösen können. In seinen Versuchen traten WECs nur auf, wenn nicht profilierte Prüflinge mit hohen Kantenpressungen (p Hz,max,Kante > 4000 N/ mm 2 ) eingesetzt wurden. Die Prüflinge ohne Kantenpressungen mit dadurch deutlich geringeren maximalen Pressungen fielen zwar relativ früh, aber ohne WECs aus. Es ist zu beobachten, dass alle Versuche jedoch mit mindestens 5 % Schlupf durchgeführt wurden. Dies, in Kombination mit einer hohen Kantenpressung, mit für Ermüdungsversuche typischen hohen Überrollfrequenzen und Mischreibung, führt zu extrem hohen reibenergetischen WEC-Beanspruchungen (e *a,effektiv,pHz-gewichtet > 1000 %), welche immer deutlich größer waren als in allen gängigen WEC-Wälzlagertests (z. B. im R4G-WEC-Test [Loo16b] oder FE8- WEC-Tests [Loo17]). Gemäß [Bru19] ergibt sich eine beschleunigte WEA-Bildung in 2-Scheibentests auch nur bei gleichzeitigem Auftreten einer hohen Pressung und eines hohen Schlupfes (p Hz > 2,4 GPa und Schlupf > 5 %). Bisher ist somit nicht zweifelsfrei geklärt, ob sehr hohe Pressungen auch ohne hohe Reibung WEC-auslösend sein können. Die vorgestellten Ausfälle sind alle über den „Wasserstoff-WEC-Pfad“ (siehe Bild 2) erklärbar. Dies wird insbesondere bestätigt, wenn man die Versuchspunkte (WEC-Beanspruchung, Laufzeiten) in die Wöhlerlinie für energetische WEC-Ermüdung einträgt (siehe Bild 9). Auch wenn vereinzelt Abweichungen zwischen WEC-Laufzeitprognose (gestrichelte Linie) Aus der Praxis für die Praxis 43 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 8: Vergleich „Hochlast“-WEC-Versuche mit 23024 und FE8-Versuche mit 51212 T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 43 modifizierte Referenzlebensdauer ohne Schaden. Dies passt auch zu Versuchen aus dem FVA-Vorhaben 541, in dem Pressungen von 3000 N/ mm 2 , zu Beginn als „Überlast“ aufgebracht, nicht ausreichten, um an Zylinderrollenlagern mit geringer reibenergetischer Beanspruchung Frühausfälle zu erzeugen. Untersuchungen zur WEA-/ WEC-Bildung werden teilweise auch an einfachen Tribometern (2-Scheiben, MPR) durchgeführt [Man19, Bru19]. Die maximalen Hertzschen Pressungen und Gleitgeschwindigkeiten sind bei diesen Versuchen immer sehr hoch. Dort kann deshalb nicht sauber zwischen hoher Pressung und hoher Reibenergie als potentiellen WEC-Trigger getrennt werden. Aus den Tribometerversuchen von Bruce [Bru19] ergibt sich eine beschleunigte WEA-Bildung jedoch nur bei gleichzeitigem Auftreten einer hohen Pressung und eines hohen Schlupfes (p Hz > 2,4 GPa und Schlupf > 5 %). Dies und die Tatsache, dass sich die Laufzeitunterschiede der vorgestellten WEC-Versuche mit Hilfe des WEC-Lebensdaueransatzes für energetische WEC- Ermüdung sehr gut erklären lassen, bekräftigten die Hypothese, dass hohe Pressungen nur dann zu WECs führen, wenn als Zusatzbeanspruchung zur Wasserstofffreisetzung ein WEC-Trigger wirksam ist: Stromdurchgang, Korrosion und/ oder ein hoher spezifischer Reibenergieeintrag. Bezeichnungen B h Versuchslaufzeit in Stunden e a, effektiv effektive Reibenergie-Akkumulation (e a,kin , Λ 0 , Kontaktbreite) e a,effektiv,pHz,gewichtet pressungsgewichtete Reibenergie-Akkumulation (e a,effektiv , p Hz ) e a,kin kinematische Reibenergie-Akkumulation, („pv“-Wert, Regenerationszeit) Aus der Praxis für die Praxis 44 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 und Versuchslaufzeit erkennbar sind, so lassen sich die Laufzeitunterschiede zwischen den Versuchen gut mit Hilfe des reibenergetischen WEC-Lebensdauermodells begründen. Zusammenfassung Sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Hertzschen Pressungen kann es in Wälzlagern zur WEC-Bildung abhängig von der Höhe der Zusatzbeanspruchung (Reibung, Stromdurchgang, …), des verwendeten Schmierstoffs (Additivierung, Wassergehalt, …) und Werkstoffs kommen. Bei hohen Pressungen kann die Gleitreibung z. B. infolge Differential- oder Bohrschlupf einen kritischen WEC-Trigger darstellen. Da dieser Reibanteil stark lagertypabhängig ist, hängen im FE8-Prüfgerät die WEC-Lebensdauern mehr vom Lagertyp als von der maximalen Hertzschen Pressung ab [Loo17]. Die WECs bilden sich an hochbelasteten Schrägkugellagern demzufolge auch dort, wo der Reibenergieeintrag durch den Schlupf maximal ist und nicht in den Bereichen maximaler Pressung in Laufbahnmitte [Rue14]. Gleiches Verhalten zeigten auch große Pendelrollenlager unter hoher Belastung und kinematisch ungünstiger Belastungsrichtung. WECs entstanden am Außenring mit niedrigerer maximaler Hertzschen Pressung, aber deutlich höherer reibenergetischer WEC-Beanspruchung als am Innenring. Dass eine Zusatzbeanspruchung z. B. in Form eines sehr hohen Reibenergieeintrags erforderlich und eine hohe Pressung zu Betriebsbeginn alleine nicht ausreichend ist, ließ sich an Axial-Rillenkugellagern zeigen. Obwohl die Lager zu Versuchsbeginn mit einer sehr hohen Pressung von 3800 N/ mm 2 beaufschlagt wurden (bei bewusst sehr niedriger Reibbeanspruchung), kam es zu keiner WEC-Bildung. Die Lager erreichten die dreifache DOI 10.30419/ TuS-2020-0005 Bild 9: Vergleich WEC-Lebensdauerprognose mit Versuchslaufzeiten T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 44 f Ü Überrollfrequenz k Breite Korrekturfaktor WEC-Lebensdauereinfluss Kontaktbreite k Kugel Korrekturfaktor WEC-Lebensdauereinfluss Kugel L h, WEC WEC-Lebensdauer in Stunden N Lastspielzahl N Ref Lastspielzahl des Referenzsystems bei Referenzbedingungen N WEC Median der Lastspielzahl bis zum WEC-Ausfall p Hauptbeanspruchung WEC-Lebensdauerexponent für Hertzsche Pressung p Hz,max maximale Hertzsche Pressung p Zusatzbeanspruchung WEC-Lebensdauerexponent für Zusatzbeanspruchung t Reg Zeit zwischen 2 Überrollungen (Regenerationszeit) v Gleitgeschwindigkeit Λ 0 Relative Schmierfilmdicke (zentrale Filmdicke / Summenrauheit) φ Schmierstoff Korrekturfaktor WEC-Lebensdauereinfluss Schmierstoff φ Werkstoff Korrekturfaktor WEC-Lebensdauereinfluss Werkstoff φ Λ 0 Korrekturfaktor WEC-Lebensdauereinfluss rel. Schmierfilmdicke Λ 0 κ Viskositätsverhältnis Literatur [Bla17] Blass, T. et al.: Influence of Material and Heat Treatment on the Formation of WECs on Test Rig FE8, Advances in Steel Technologies for Rolling Bearings STP 1580, ASTM 2017 [Bru19] Bruce, T. et al.: Threshold Maps for Inclusion-Initiated Micro-Cracks and White Etching Areas in Bearing Steel: The Role of Impact Loading and Surface Sliding, Tribology Letters (2018) 66: 111 [Din18] Dinter, R.et al.: Formation and Detection of Pre-Stages of White Etching Cracks (WEC), 3. VDI-Fachkonferenz Schadensmechanismen an Lagern, Aachen 2018 [Eva16] Evans, M.-H.: An updated review: white etching cracks (WECs) and axial cracks in wind turbine gearbox bearings, Material Science and Technology 2016 [Fra17] Franke, J. et al.: Untersuchung der Übertragbarkeit von WEC-Wälzlagerversuchen auf Modellprüfstände, Antriebstechnisches Kolloquium, ATK, Aachen 2017 [FVA11] N. 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