eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 67/1

Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0006
21
2020
671 Jungk

Adhäsiver Verschleiß in vollrolligen Zylinderrollenlagern: Anschmieren

21
2020
Patrick Stuhler
Nadine Nagler
In dieser Veröffentlichung wird der Mechanismus hinter der adhäsiven Verschleißart „Anschmieren“ bei vollrolligen Wälzlagern erklärt. Anschließend wird der diesbezügliche Stand der Forschung zusammengefasst und diskutiert. Es zeigt sich, dass die bisher eingeführten Grenzparameter zur Beschreibung anschmierkritischer Betriebsbedingungen keine allgemeine Gültigkeit besitzen. Vor allem ein Kippen der Wälzkörper in verkanteten Zylinderrollenlagern scheint Anschmierungen wesentlich zu begünstigen. Eine bisher nicht untersuchte Theorie ist die Kontaktzeitmethode, welche für die Beschreibung der Fresstragfähigkeit von Stirnradgetrieben entwickelt wurde. Es lässt sich zeigen, dass diese ebenfalls das Potenzial zur Beschreibung der Anschmierneigung von Wälzlagern besitzt.
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1 Einleitung Wälzlagerauslegungen erfolgen anhand der Lebensdauerberechnung. Häufig ist aber der durch Verschleiß induzierte Ausfall der Lager die lebensdauerbegrenzende Ursache. Das spontane, verschleißbedingte Versagen ist auf Grund der komplexen Mechanismen kaum vorhersagbar, vor allem da die unterschiedlichen Verschleißmechanismen auch überlagert auftreten können. Durch den Ausfall der Wälzlager entstehen aus wirtschaftlicher Sicht nicht nur die Kosten für deren Tausch, sondern auch für Montage- und Stillstandszeiten. Hinzu kommt, dass durch den Ausfall der Lager auch gravierende Schäden am Produkt entstehen können. Zu den bekannten und untersuchten, aber nicht vollständig verstandenen, Verschleißarten zählt das Anschmieren in Zylinder- und Pendelrollenlagern. [Hil89] definiert diese als „eine Veränderung der Oberfläche von unter Relativbewegung stehenden metallischen Wälzlagerbauteilen durch einen beginnenden (in statu nascendi befindlichen) adhäsiven Verschleißmechanismus“. Die kritische Relativbewegung im Wälzlager entsteht durch instationäre Schlupfvorgänge. Während die Wälzkörper in der Lastzone ausreichende Tangentialkräfte an den Ringkontakten zur Erzeugung einer Eigenrotation für ein optimales Abwälzen erfahren, sind diese im lastfreien Bereich zu gering (siehe Bild 1). Deshalb erfolgt dort die Fortbewegung der Rollen vorwiegend durch die Rotation des Wälzkörpersatzes, welche die nun zunehmend gleitenden Wälzkörper erneut in die Lastzone schiebt. Zu Beginn der Lastzone werden die Wälzkörper auf ihre kinematische Solldrehzahl beschleunigt. Unterliegt ein Lager adhäsivem Verschleiß in Form von Anschmierungen, so entstehen diese nach übereinstimmender Auffassung der einschlägigen Literatur grundsätzlich in der Beschleunigungsphase. Hierfür ist vor Aus der Praxis für die Praxis 47 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0006 In dieser Veröffentlichung wird der Mechanismus hinter der adhäsiven Verschleißart „Anschmieren“ bei vollrolligen Wälzlagern erklärt. Anschließend wird der diesbezügliche Stand der Forschung zusammengefasst und diskutiert. Es zeigt sich, dass die bisher eingeführten Grenzparameter zur Beschreibung anschmierkritischer Betriebsbedingungen keine allgemeine Gültigkeit besitzen. Vor allem ein Kippen der Wälzkörper in verkanteten Zylinderrollenlagern scheint Anschmierungen wesentlich zu begünstigen. Eine bisher nicht untersuchte Theorie ist die Kontaktzeitmethode, welche für die Beschreibung der Fresstragfähigkeit von Stirnradgetrieben entwickelt wurde. Es lässt sich zeigen, dass diese ebenfalls das Potenzial zur Beschreibung der Anschmierneigung von Wälzlagern besitzt. Schlüsselwörter Adhäsiver Verschleiß, Anschmieren, Kontaktzeit, Körperschall, vollrollige Zylinderrollenlager, Wälzkörper-Kippen This paper explains the mechanism behind the adhesive wear mechanism “smearing” in full complement roller bearings. In this respect, the latest state of knowledge is discussed and summarized. It becomes apparent that the up to now introduced border parameters own no general validity to the description of smearing-critical operating conditions. Especially roller tilting seems to favor smearing. A relevant approach is the contact time method, which describes the scuffing load capacity of helical gear units. The paper shows that this approach possesses the potential to categorize critical smearing conditions for roller bearings. Keywords Adhesive wear; smearing; contact time; acoustic emission; full complement roller bearings; tilted roller elements Kurzfassung Abstract * M.Sc. Patrick Stuhler Dr. Nadine Nagler Bosch Rexroth AG, 89275 Elchingen Adhäsiver Verschleiß in vollrolligen Zylinderrollenlagern: Anschmieren Patrick Stuhler, Nadine Nagler* T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 47 Dahingegen wirkt sich eine Änderung der äußeren Belastung nur gering aus. Hervorgehoben werden vor allem größere Rollen, die auf Grund ihres höheren Massenträgheitsmoments stärker anschmiergefährdet sind. Als Ursache wird die hierdurch steigende Reibleistung genannt, welche zur Beschleunigung auf die kinematische Solldrehzahl erforderlich ist. So konnten Rollen mit einem Durchmesser von 30 mm unter keiner Bedingung zum Anschmieren gebracht werden. Erst die Rollen des nächstgrößeren untersuchten Aus der Praxis für die Praxis 48 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 allem ein hoher Wälzkörperschlupf [Egl95; Wad93], wenn nicht sogar ein vollständiges Abbremsen der Eigenrotation [HSI91], erforderlich. Zunächst muss während des Beschleunigungsvorgangs die Flüssigkeitsreibung im Wälzkontakt zusammenbrechen. Im daraus resultierenden Regime der Misch- und Grenzreibung treten die Rauheitsspitzen der Wälzpartner ohne den die Oberflächen vollständig trennenden Schmierfilm in Kontakt (siehe Bild 2). [Hil89; Wöp11] Für das Entstehen von Anschmierung muss in dieser Phase die den Grundwerkstoff schützende Grenzschicht zerstört werden (siehe Bild 3) [Hil89]. Dies kann mechanisch in Form von Abscherung und plastischer Deformation oder thermisch durch Überschreiten einer Grenztemperatur erfolgen [Hil89; WMC92; WHMS01]. Anschließend folgt durch die Pressung eine derartige Annäherung, dass atomare Bindungskräfte wirken und sich adhäsive Brücken zwischen den Grundwerkstoffen der Wälzpartner bilden. Durch die Fortbewegung der Wälzkörper im Lager werden diese Verschweißungen aufgerissen. Entspricht die Trennungsnicht der Bildungsebene, liegt ein Materialübertrag vor und es wird von einer Anschmierung gesprochen. [Hil89] 2 Stand der Forschung In dem Vorhaben FVA 164 I [Wad93] werden die Einflussparameter Drehzahl, Lastgradient, Rollenschlupf und Rollengröße untersucht. Hierzu wird der von [Hil89] entworfene Rollenprüfstand verwendet. In diesem befindet sich der Wälzkörper in einem hydrostatischen Zweisegmentlager zwischen zwei angetriebenen Scheiben. Eine dieser Scheiben wird dazu genutzt, eine dynamische Kraft analog der Lastverhältnisse in einem realen Lager auf die Rolle aufzubringen. Es zeigt sich, dass eine steigende Relativgeschwindigkeit im Wälz- Gleit-Kontakt das Anschmieren wesentlich begünstigt. DOI 10.30419/ TuS-2020-0006 Bild 1: Lastzone und Geschwindigkeitsverteilung im Wälzlager [Hen17] Mikrokontakte [Wöp11] Verschweißung [Hil89] Temperaturspitzen [Blo37] Bild 2: Mikrokontakte der Rauheitsspitzen nach [Wöp11] Bild 3: Zusammensetzung der Grenzschicht nach [Hil89] T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 48 Durchmessers von 50 mm zeigten bei Scheibenumfangsgeschwindigkeiten von 5 m/ s und 100 % Rollenschlupf ein Anschmieren. Im Vergleich dazu reichen bei Rollen mit 90 mm Durchmesser bereits 2 m/ s bei 100 % Schlupf aus. Durch Oberflächenanalyse wurde der Effekt des Einlaufens, welcher sehr zuverlässig vor Anschmierungen schützt, untersucht. Hierfür werden neben Glättungseffekten der Oberfläche vor allem Diffusionsvorgänge, welche zur Reduzierung des Kohlenstoffs in der Grenzschicht führen, für das geringere Anschmierrisiko verantwortlich gemacht. Durch den sinkenden Kohlenstoffanteil werden die wirkenden Adhäsionskräfte zwischen den Oberflächen deutlich verringert. Dies spiegelt sich makroskopisch in einer starken Minimierung des Reibungskoeffizienten und folglich der Anschmierneigung wieder. In dem Nachfolgevorhaben FVA 164 II [Egl95] werden die Einflüsse für unterschiedliche Schmierstoffe, Rollenwerkstoffe, Beschichtungen und Einlaufbedingungen an demselben Prüfstand untersucht. Hierbei zeigt sich, dass mit steigender Viskosität der Reibkoeffizient im Kontakt und somit auch die Anschmierneigung abnimmt. Der chemische Aufbau sowie die Additivierung der Öle besitzen ebenfalls erheblichen Einfluss und Potential zur Verhinderung von Anschmierungen. Allerdings sind auf Grund der Komplexität der chemischen Abläufe im Wälzkontakt keine Aussagen über die Wirkmechanismen möglich. Versuche zu schlupfbehaftetem Einlaufen der Wälzlager zeigen, dass hierdurch gezielt der adhäsive Verschleiß verringert werden kann. Ein noch besseres Ergebnis wird durch die Beschichtung (Brünieren, Zinkphosphatieren oder Hartverchromen) der Wälzkörper erreicht. Es stellt sich außerdem heraus, dass die stichprobenartige Variation der Wälzlagerwerkstoffe zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen führt. Dementsprechend sind die Untersuchungen, welche in den beiden FVA-Vorhaben [Egl95; Wad93] erzielt wurden, lediglich für den untersuchten Werkstoff 100 CrMo 73 anwendbar. [ScGi94] untersuchen Anschmierungen an vollrolligen Wälzlagern mit Hilfe eines Komplettlagerprüfstands. Auch hier zeigt sich, dass größere Wälzlager stärker zu adhäsivem Verschleiß in Form von Anschmierungen neigen. Dennoch können im Gegensatz zu den Ergebnissen aus den beiden FVA-Vorhaben [Egl95; Wad93] Wälzlager ab einem Bohrungsdurchmesser von 16 mm zum Anschmieren gebracht werden. Zudem stellen sie fest, dass lediglich Wälzlager, die eine obenliegende Lastzone und eine Drehzahl von mindestens 60 % der Grenzdrehzahl besitzen, zu Anschmierungen neigen. Mit der Schlupfbestimmung von [Wie90] lässt sich dies damit begründen, dass der Wälzkörperschlupf bei einer obenliegenden Lastzone deutlich stärker ausgeprägt ist, als dies bei einer untenliegenden der Fall ist. [Ham00] untersucht in seinen Versuchen zur Anschmierneigung bei fettgeschmierten Wälzlagern die „spezifische Reibenergie“, welche aus dem FVA-Vorhaben 164 II resultiert. Er stellt fest, dass trotz Überschreiten der experimentell ermittelten Grenzwerte bei hohen Umfangsgeschwindigkeiten keine Anschmierungen auftreten. Deshalb berechnet er die „spezifische Reibleistung“ für einen einzelnen Punkt in der Kontaktfläche, welche sich aus Beschleunigungs- und Dissipationsleistung zusammensetzt. Dabei berücksichtigt [Ham00], dass bei variierenden Schmierfilmhöhen auch eine Änderung der wirkenden Reibleistung miteinzubeziehen ist. Anschließend integriert er die spezifische Reibleistung über die Kontaktzeit und erhält so die „spezifische energetische Belastung“ als neues Anschmierkriterium. Eine Aussage über die Allgemeingültigkeit und inwiefern dieses Kriterium auch auf ölgeschmierte Wälzlager angewendet werden kann ist ohne weitere Untersuchungen bisher nicht möglich. 3 Anschmierversuche an vollrolligen NUP-Zylinderrollenlagern 3.1 Versuchsergebnisse Die Versuche finden an vollrolligen NUP-Zylinderrollenlagern mit Wälzkörpern von 11 mm Durchmesser und einem Bohrungsdurchmesser von 40 mm statt. Dabei erfolgt die Belastung mit einer exzentrischen Radialkraft von 30 kN und einer Axialkraft von 5 kN bei einer Drehzahl von 1750 min -1 . Beide Kräfte führen jeweils zu einem Kippen und Schränken der Wälzkörper [Lub02; Keß10] und dienen somit als Erklärung für die einseitigen Anschmierungen (siehe Bild 4). Geätzte Querschliffe und anschließende lichtmikroskopische Untersuchungen der angeschmierten Bereiche zeigen thermische Gefügeänderungen, die auf Grund der hohen Temperaturen während des Anschmierens im Aus der Praxis für die Praxis 49 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0006 Bild 4: Einseitige Anschmierungen an Innenring, Außenring und Wälzkörpern T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 49 4 Kontaktzeit-Methode Eine mögliche Erklärung für eine grundsätzlich geringere Anschmierneigung in kleinen Wälzlagern oder bei sehr hohen Drehzahlen lässt sich durch die Kontaktzeit- Methode nach [WMC92] geben. Hiernach steigt die erforderliche Fresslast für Stirnrädergetriebe bei Kontaktzeiten kleiner als 20 µs stark an (siehe Bild 6). Die Kontaktzeit, welcher ein Punkt benötigt um den Wälzkontakt zu durchlaufen, ergibt sich aus der Drehzahl sowie der Kontaktbreite. Da letztere mit kleiner werden Radien der Kontaktpartner sinkt, erscheint es durch aus möglich, dass die Kontaktzeit für kleine Rollen im von [WMC92] ermittelten kritischen Bereich liegt. Zudem begründet dies, wieso Wälzkörper in den Versuchen von [Ham00] bei hohen Drehzahlen trotz Überschreiten der eingeführten Grenzparameter von [Wad93; Egl95] keine Anschmierungen aufweisen. Die bisher eingeführten Grenzparameter beziehen sich grundsätzlich auf die energetische Belastung des Wälzkontakts während der Beschleunigungsphase. Bei hohen Drehzahlen benötigen die Wälzkörper eine größere Beschleunigungsenergie, um die Solldrehzahl zu erreichen. Aus der Praxis für die Praxis 50 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 1/ 2020 Wälzkontakt entstehen [Egl95]. Durch die Analysen werden an den Wälzkörpern Neuhärtezonen (siehe Bild 5) erkenntlich, wie sie auch bei den Versuchen im FVA - Vorhaben 164 [Egl95; Wad93] entstehen. Sowohl Innenals auch Außenring zeigen schwarz ätzende Bereiche mit geringfügig höherer Härte als im Ausgangszustand. 3.2 Interpretation der Versuchsergebnisse Die zuvor vorgestellten Ergebnisse der Versuche stützen die Ergebnisse von [ScGi94], dass auch kleine Lager zu Anschmierungen neigen. Alle weiteren bekannten Versuche, die zur Untersuchung der Anschmierung durchgeführt wurden, beziehen sich auf große Wälzlager mit deutlich größeren Wälzkörpern. An den Rollenprüfständen aus [Wad93; Egl95; Ham00], welche die Grundlage für alle bisher ermittelten anschmierkritischen Grenzparametern liefern, können keinerlei Anschmierungen an Rollen mit einem Durchmesser von weniger als 50 mm erzeugt werden. Hieraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die bisher verwendeten Rollenprüfstände die tatsächlichen Bedingungen in vollrolligen Zylinderrollenlagern nicht zureichend wiederspiegeln. Deshalb muss zudem auch davon ausgegangen werden, dass die bisher entwickelten Kriterien und Grenzwerte zur Beurteilung der Anschmiergefährdung für Wälzlager nicht ausreichend zutreffen. Eine mögliche Ursache liegt aller Voraussicht nach in einem deutlich steigenden Anschmierrisiko bei kippenden Wälzkörpern. Stichprobenartige Versuche am Rollenprüfstand zeigen, dass bereits eine Kippung der Wälzkörperachse um 0,1° (6‘) gegenüber dem Innenring ausreicht, um Anschmierungen zu erzeugen, welche zuvor unter denselben Bedingungen aber einer achsparallelen Ausrichtung der Wälzelemente nicht entstehen [Ham00]. Allerdings ist der Kippwinkel bisher kein näher untersuchter Parameter für Anschmierungen an den Rollenprüfstanden von [Wad93; Egl95; Ham00]. Durch die Neigung entsteht eine ungleichmäßige Pressungsverteilung und das Maximum der Hertzschen Pressung liegt auf einer Seite der Rollenmantelfläche. Zusätzlich dazu steigt an den Wälzkörpern verkanteter, vollrolliger NUP-Zylinderrollenlagern auch der für ein Anschmieren kritische Schlupf [Lie15] und auch das Reibmoment [Bau87]. Folglich ist eine höhere Energie nötig, welche über die Wälzkontakte in der Beschleunigungsphase übertragen werden, um die Wälzkörper auf Solldrehzahl zu beschleunigen. Das Risiko für Anschmierungen wird zudem erhöht, da verkantete Zylinderrollenlager zu früheren und einseitigen Schmierfilmzusammenbrüchen neigen [Bau87]. Demzufolge liegen auf dieser Seite des Wälzkörpers nicht nur die höheren Kontaktkräfte vor, sondern auch höhere Reibfaktoren. Deshalb wird die zur Wälzkörperbeschleunigung benötigte Energie zu wesentlichen Teilen nur über einen kleinen Teil der Mantelfläche des Wälzkörpers übertragen. DOI 10.30419/ TuS-2020-0006 Bild 5: Neuhärtezone am Wälzkörper Bild 6: Abhängigkeit der Fresslast bezüglich Umfangsgeschwindigkeit und Kontaktzeit nach [WMC92]. Das additivierte Öl erfordert bei kurzen Kontaktzeiten eine deutlich steigende Fresslast, da durch die Additive eine stärkere Grenzschichtbildung vorliegt. T+S_1_2020_ 2.qxp_T+S_2018 04.03.20 15: 03 Seite 50 Dies führt dazu, dass die kritischen Grenzwerte überschritten werden. Allerdings scheint die Kontaktzeit in diesem Fall nicht auszureichen, um die Grenzschicht zu zerstören [WMC92; Ham00] und es entstehen keine Anschmierungen [Ham00]. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass konstante Grenzparameter nicht geeignet sind, anschmierkritische Bereiche sinnvoll abzugrenzen. Des Weiteren stellt [WMC92] fest, dass im Bereich über einer Kontaktzeit von 30 µs die erforderliche Fresslast mit steigender Umfangsgeschwindigkeit sinkt. Dies steht in Einklang mit dem Einfluss der Drehzahl auf die bisherigen Grenzparametern und den Ergebnissen aus [HSI91]: Bei steigenden Scheibengeschwindigkeiten sinkt die Lastrate (Lastanstieg bezogen auf den zurückgelegten Weg des Innenrings) zur Erzeugung von Anschmierungen. In der Kontaktezone findet auf Grund der Relativbewegung der Oberflächen unter gleichzeitiger Flächenpressung eine deutliche Temperaturentwicklung statt. Da die Kontaktzeiten sehr gering sind, können Effekte der Wärmeleitung vernachlässigt werden. Demzufolge entstehen hohe Temperatursprünge in dünnen Oberflächenschichten, welche von Block [Blo37] erstmals als Blitztemperatur bezeichnet werden. In [WMC92] wird die Kontakttemperatur, welche sich aus der Blitz- und Grundtemperatur der Werkstoffe zusammensetzt, als Erklärung für die kontaktzeitabhängige Fresslast genannt. Durch die Kontakttemperatur wird die Reaktionskinetik der Grenzschichtbildung bestimmt. Jede chemische Reaktion besitzt gleichzeitig sowohl Hinals auch Rückreaktion. Die herrschende Temperatur bestimmt, welche der beiden Reaktionen schneller abläuft. Ab einer Grenztemperatur im Kontakt unterliegt die Geschwindigkeit der Grenzschichtbildung der Geschwindigkeit der Grenzschichtauflösung. Für hohe Kontaktzeiten ist diese Grenzkontakttemperatur konstant, während sie für kurze Kontaktzeiten stark zunimmt. Dies erklärt für kurze Kontaktzeiten auch den Anstieg der erforderlichen Fresslast, durch welche die in diesem Fall nötigen höheren Blitztemperaturen entstehen. Auf die Kontaktzeitmethode bezogen erfüllt ein verkantetes NUP-Zylinderrollenlager durch die Übertragung der nahezu gesamten Beschleunigungsenergie in einen kleinen Bereich der Mantelfläche des Wälzkörpers die Bedingung einer höheren wirkenden Last. Zudem wird im Bereich der maximalen hertzschen Pressung auch die Kontaktbreite größer, wodurch auch die Kontaktzeit und folglich das Anschmierrisiko nach der Kontaktzeit-Methode steigt. 5 Fazit Bei Anschmierungen in vollrolligen Zylinderrollenlagern handelt es sich um einen adhäsiven Verschleiß, der durch instationäre Schlupfbedingungen hervorgerufen wird. Durch Versuche und die kritische Betrachtung der einschlägigen Literatur zeigt sich, dass die bisher eingeführten Grenzparameter keine Allgemeingültigkeit besitzen und weitere Untersuchungen erforderlich sind. Hierbei scheint vor allem der bisher nicht untersuchte Einfluss kippender Wälzkörper in verkanteten Zylinderrollenlagern erhebliches Potential zu besitzen. Ebenso verhält es sich mit der Kontaktzeit-Methode, welche eine Lösung bezüglich der aufgezeigten Einschränkungen in den derzeit verfügbaren Grenzparametern bietet. Insgesamt lässt sich anhand der vorgestellten Mechanismen und Versuchsergebnisse aufzeigen, weshalb vollrollige Zylinderrollenlager kleinerer Baugröße zwar ein geringeres aber nicht zu vernachlässigendes Anschmierriskio besitzen. Allerdings gilt es die aufgestellten Theorien zu bestätigen und mit Messdaten zu belegen. Außerdem ist es vorstellbar, anhand der Kontaktzeitmethode definierte Grenzkurven (erforderliche Anschmierlast bezogen auf die Kontaktzeit) zu entwickeln, die lediglich von der Wälzlagerwerkstoff-Schmierstoff-Paarung sowie der Massen- und Öltemperatur [WHMS01] abhängen. Hierdurch sollen die Grundlagen geliefert werden, anschmierkritische Betriebsbedingungen für jegliche Baugröße und Baureihe von Rollenlagern durch Simulationen berechnen zu können. Literatur [Bau87] B AUER P., „Theoretische und experimentelle Untersuchungen zu tribologisch relevanten Betriebsgrößen an verkanteten Zylinderrollenlagern“, Dissertation, TH Aachen, vol. 198, 1987. 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