eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 67/2

Tribologie und Schmierungstechnik
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expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0011
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2020
672 Jungk

Reibungsreduzierung von Silikon elastomeren mittels VUV-Strahlung

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2020
Stefanie Schmidt
Laura Schilinsky
Christoph Dölle
Silikonelastomere begegnen uns täglich in einer großen Zahl von Anwendungen. Die vorteilhaften Eigenschaften werden allerdings von einer unangenehmen Haptik, hohen Reibwerten und einer hohen Schmutzanfälligkeit der Silikone begleitet. Hohe Reibwerte bedingen schlechte Gleiteigenschaften und führen zu Materialverschleiß. Nach dem Stand der Technik werden die Eigenschaften der Silikonoberflächen über eine Gasphasenfluorierung oder eine zusätzliche Beschichtung verändert, wobei es zum Einbau von Fremdatomen kommt oder die vorteilhaften Eigenschaften des Silikons maskiert werden. Als neuartiger Ansatz wird demonstriert, dass Silikonmaterialien sich auch durch die Bestrahlung mit Vakuum-Ultraviolett (VUV)-Licht in ihrem Eigenschaftsspektrum modifizieren lassen. Durch Bestrahlung mit kurzwelligem Licht unterhalb von 200 nm bei Raumtemperatur und Luftatmosphäre lässt sich oberflächennah eine anorganische SiOx-Schicht erzeugen. Charakteristisch im Vergleich zu anderen physikalischen Methoden ist die strahlungsinduzierte Modifikationstiefe, welche mehrere Mikrometer betragen kann. Oberflächeneigenschaften wie Reibung und Verschleiß, aber auch Haptik und Staubsensitivität können gezielt verändert werden, während die Bulkeigenschaften erhalten bleiben. Einerseits wurde der Effekt der Reibungsreduzierung durch die Bestimmung von Abrutschwinkeln auf verschiedenen Materialien bewertet. Während das unbehandelte Silikon auch bei einem Winkel von 90° noch haftete, konnte durch die VUV-Modifikation eine signifikante Verbesserung auf Abrutschwinkel bis zu 20° erzielt werden. Der Effekt blieb auch nach Alterungsversuchen (Klimawechseltest, Ofenauslagerung, Beständigkeit gegenüber Desinfektionsmittel) erhalten. Andererseits wurden tribologische Messungen an einem Universal Material Tester (UMT3) System durchgeführt. Neben dem standardmäßigen Versuchsaufbau mit oszillierender Ball-on-Plate Kontaktgeometrie wurde der Versuchsaufbau für die im Projekt behandelten Silikonprodukte anwendungsorientiert modifiziert. Dabei konnte gegen einen mit Stoff bespannten Gegenkörper eine Verringerung des Reibungskoeffizienten von 0,9 für das unbehandelte Silikon auf 0,2 für VUV-modifiziertes Silikon erreicht werden. Die Reibwerte der VUV-modifizierten Proben lagen auch unterhalb der Werte für eine CVD-Beschichtung (0,4-0,6), welche als Referenz verwendet wurde. Im Gegensatz zu CVD-beschichteten Proben war bei den VUV-behandelten Proben kein Verschleiß sichtbar. Die Technologie zur VUV-Modifizierung von Silikonen des Fraunhofer IFAM ist unter dem Namen SilMoLight® bekannt.
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Silikonelastomere begegnen uns täglich in einer großen Zahl von Anwendungen. Die vorteilhaften Eigenschaften werden allerdings von einer unangenehmen Haptik, hohen Reibwerten und einer hohen Schmutzanfälligkeit der Silikone begleitet. Hohe Reibwerte bedingen schlechte Gleiteigenschaften und führen zu Materialverschleiß. Nach dem Stand der Technik werden die Eigenschaften der Silikonoberflächen über eine Gasphasenfluorierung oder eine zusätzliche Beschichtung verändert, wobei es zum Einbau von Fremdatomen kommt oder die vorteilhaften Eigenschaften des Silikons maskiert werden. Als neuartiger Ansatz wird demonstriert, dass Silikonmaterialien sich auch durch die Bestrahlung mit Vakuum-Ultraviolett (VUV)-Licht in ihrem Eigenschaftsspektrum modifizieren lassen. Durch Bestrahlung mit kurzwelligem Licht unterhalb von 200 nm bei Raumtemperatur und Luftatmosphäre lässt sich oberflächennah eine anorganische SiO x -Schicht erzeugen. Charakteristisch im Vergleich zu anderen physikalischen Methoden ist die strahlungsinduzierte Modifikationstiefe, welche mehrere Mikrometer betragen kann. Oberflächeneigenschaften wie Reibung und Verschleiß, aber auch Haptik und Staubsensitivität können gezielt verändert werden, während die Bulkeigenschaften erhalten bleiben. Einerseits wurde der Effekt der Reibungsreduzierung durch die Bestimmung von Abrutschwinkeln auf ver- Aus Forschung und Praxis 29 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 Reibungsreduzierung von Silikonelastomeren mittels VUV-Strahlung Stefanie Schmidt, Laura Schilinsky, Christopher Dölle* Silicones are used in several industries and their surface properties are of special interest. Beside many advantages, silicones have some disadvantages like high dust adherence, high friction and tack. High coefficients of friction lead to bad gliding properties and wear. State of the art to overcome these disadvantages are chemical vapor fluorination or film depositions, which consists of foreign atoms and mask the silicone surface and thereby the desired good properties. Abstract * Stefanie Schmidt (M. Sc.), Dr. Laura Schilinsky Dr. Christopher Dölle schiedenen Materialien bewertet. Während das unbehandelte Silikon auch bei einem Winkel von 90° noch haftete, konnte durch die VUV-Modifikation eine signifikante Verbesserung auf Abrutschwinkel bis zu 20° erzielt werden. Der Effekt blieb auch nach Alterungsversuchen (Klimawechseltest, Ofenauslagerung, Beständigkeit gegenüber Desinfektionsmittel) erhalten. Andererseits wurden tribologische Messungen an einem Universal Material Tester (UMT3) System durchgeführt. Neben dem standardmäßigen Versuchsaufbau mit oszillierender Ball-on-Plate Kontaktgeometrie wurde der Versuchsaufbau für die im Projekt behandelten Silikonprodukte anwendungsorientiert modifiziert. Dabei konnte gegen einen mit Stoff bespannten Gegenkörper eine Verringerung des Reibungskoeffizienten von 0,9 für das unbehandelte Silikon auf 0,2 für VUVmodifiziertes Silikon erreicht werden. Die Reibwerte der VUV-modifizierten Proben lagen auch unterhalb der Werte für eine CVD-Beschichtung (0,4-0,6), welche als Referenz verwendet wurde. Im Gegensatz zu CVDbeschichteten Proben war bei den VUV-behandelten Proben kein Verschleiß sichtbar. Die Technologie zur VUV-Modifizierung von Silikonen des Fraunhofer IFAM ist unter dem Namen SilMoLight ® bekannt. Schlüsselwörter Silikon, VUV-Technologie, Reibungsreduzierung, Oberflächenmodifizierung, Materialtreue. Presented here is a light based technique using vacuum ultraviolet (VUV) light to modify the silicone surface. Due to the irradiation with light with wavelengths shorter than 200 nm, a thin inorganic SiO x -film is generated on the surface of a silicone at room temperature and normal atmosphere. In comparison to other physical processes, the radiation induced modification depth of up to several micrometers is characteristic. Surface properties like friction and wear, but also haptics and Kurzfassung Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, 28359 Bremen Reduction of Friction of Silicone Elastomers via VUV irradiation TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 29 2 VUV-Technologie Als VUV-Licht bezeichnet man Strahlung mit Wellenlängen im Bereich von 100 nm bis 200 nm (siehe Bild 1a). Die verwendeten Quecksilber (Hg)-Niederdrucklampen und Xenon-Excimerlampen emittieren im VUV bei den zentralen Wellenlängen von 185 nm bzw. 172 nm. Durch die Bestrahlung mit VUV-Licht wird bei Raumtemperatur und Luftatmosphäre in Silikonmaterialien oberflächennah eine dünne anorganische („glasartige“) SiO x -Schicht erzeugt [1]. Der Einsatz von VUV- Licht ist vorteilhaft, da der Energieinhalt der VUV- Strahlung (in Abgrenzung zur UV-Photochemie) die kovalenten Bindungsenergien übersteigt, die im Silikon vorhanden sind (siehe Bild 1b). Derart werden Bindungsbrüche erzeugt, die z. B. in Folgereaktionen mit Sauerstoff zu einer Oxidation des Materials führen [2, 3]. Dies ist - stark vereinfacht - in Bild 2 skizziert. Ein Polymerabbau Silizium-basierter Fragmente während der Oxidation wird - analog zur thermischen Oxidation und Oxidationen mittels Plasmaprozessen - nicht fest- Aus Forschung und Praxis 30 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 1 Einleitung Silikonelastomere begegnen uns täglich in einer großen Zahl von Anwendungen. Die produzierten Erzeugnisse werden beispielsweise in der Automobilindustrie, Elektronikindustrie und Textilindustrie genutzt. Des Weiteren werden Silikone aufgrund ihrer Biokompatibilität, thermischen Stabilität und Inertheit gegenüber Umwelteinflüssen bevorzugt sowohl im medizinischen Bereich als auch im Haushalt verwendet. Die vorteilhaften Eigenschaften werden allerdings von hohen Reibwerten sowie einer unangenehmen Haptik und hohen Schmutzanfälligkeit der Silikone begleitet. Hohe Reibwerte bedingen schlechte Gleiteigenschaften und führen zu Materialverschleiß. Dies ist besonders nachteilig, wenn der Mensch die Reibung erleiden muss: einerseits äußerlich beim längeren Tragen externer Prothesen oder Sportbandagen - Hautrötungen oder Hygieneprobleme sind die Folge. Andererseits entstehen Nachteile bei medizinischen Eingriffen, die erschwert werden durch die schlechten Gleiteigenschaften von z. B. Endoskopen und Kathetern. dust adherence could be selectively changed, whereas the bulk properties of the silicone remain unchanged. On the one hand, the effect of friction reduction was evaluated determining slipping off angles on different materials. While the unmodified silicone stuck even at an angle of 90°, a significant reduction due to the VUV modification to angles down to 20° could be achieved. This effect remained stable against aging tests (climate change test, oven storage, stability test against disinfecting agent). On the other hand, tribological tests on a Universal Material Tester (UMT3) system were performed. Besides the standard experimental setup with an oscillating ball-on-plate contact geometry, the system was application-oriented modified for the silicone products used in the project. Thereby a reduction of the coefficient of friction from 0.9 for the unmodified silicone down to 0.2 for the VUV modified silicone was achieved. The values of the VUV modified samples were lower than for the CVD coating (0.4-0.6), which was used as reference. In comparison to the CVD coated samples, there was no wear visible on the VUV modified samples. Keywords Silicone, VUV technology, friction reduction, surface modification. Bild 1: a) Spektrale Zuordnung verschiedener Strahlungsquellen. b) Darstellung verschiedener Bindungsenergien im Vergleich mit der Energie der VUV-Strahlung bei 172 nm a) b) TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 30 gestellt [2, 4]. Die wesentliche Besonderheit dieses Verfahrens ist die moderate Eindringtiefe, die die VUV- Strahlung des verwendeten Spektralbereichs für Silikone aufweist [5, 6]. Die Tiefe der strahlungsinduzierten Modifikation kann mehrere Mikrometer betragen [7]. Im Vergleich zu gängigen physikalischen Behandlungsverfahren mit Modifikationstiefen von wenigen Nanometern bedeutet dies eine Steigerung um mehrere Zehnerpotenzen. Mit der sogenannten Xenon- Excimerlampe und der Quecksilber-Niederdrucklampe sind heute zwei kommerzielle Systeme verfügbar, die auch industriellen Anforderungen genügen. Insbesondere sind Lampen in einer Länge bis zu 2 m verfügbar, so dass sogar eine Bestrahlung von Bahnware sinnvoll wird. Das Verfahren selbst ist ressourceneffizient: auf den Einsatz von Chemikalien wird verzichtet, die verwendeten Lampen können über das Hausnetz (230 V) betrieben werden. Die Bestrahlung mittels VUV-Licht kann unter Atmosphäre durchgeführt werden, so dass auch inline-Prozesse möglich sind. 3 Experimentelle Durchführung 3.1 Substratpräparation Vor dem Hintergrund möglicher medizinischer Anwendungen wurden Platin-katalysierte, additionsvernetzte Silikone mit einer Härte von 40 Shore A (LSR) sowie 80 Shore A (HTV) untersucht. Die Platten wurden in einem sogenannten Postcure bei 180 °C - 200 °C nachvernetzt. Für die einzelnen Versuche wurden die Proben in jeweils geeigneter Größe (siehe unten) aus größeren Platten mit Dicken von 2 mm herausgeschnitten. Als Referenzmaterial wurde sowohl gegen das unbehandelte Material als auch gegen CVD-beschichtetes Silikon getestet, welches nach dem Stand der Technik für medizinische Anwendungen verwendet wird. 3.2 VUV-Modifizierung Vor der VUV-Modifizierung wurden die Silikonoberflächen mit Isopropanol gereinigt und mit Druckluft getrocknet. Es wurden Versuche mit einer Xenon-Excimerlampe sowie mit einer Quecksilber-Niederdrucklampe durchgeführt, wobei die Zeit der Behandlung variiert wurde. Als VUV-Strahlungsquellen wurden für diese Versuche eine XERADEX Xenon-Excimerlampe (XERADEX L40/ 375) der Firma Radium GmbH sowie eine Quecksilber-Niederdrucklampe (NIQF 110/ 45XL ES) der Firma Heraeus Noblelight GmbH verwendet. 3.3 Reibmessungen Es wurden Schnelltests in Form von Abrutschwinkeln und Messungen an einem Tribometer durchgeführt. 3.3.1 Abrutschwinkel Alle Proben der Prozessparametervariation sowie der Alterungsversuche (siehe 3.5) wurden hinsichtlich ihrer Haftreibung bzw. Oberflächenklebrigkeit untersucht. Dazu wurden die Proben (Größe 2 cm x 2 cm) mit der modifizierten Seite nach unten auf verschiedene Substratoberflächen (Glas, Plexiglas und VA-Stahl) gelegt und durch sukzessive Erhöhung des Kippwinkels der Winkel bestimmt, bei dem die Proben begannen von der Platte zu rutschen. Es wurden 3 Proben je Prozessparameterset geprüft. 3.3.2 Tribometermessungen Ausgewählte Proben wurden tribologisch vertieft untersucht. Die Tribometermessungen wurden an einem Universal Material Tester (UMT3) System durchgeführt [8]. Die Silikonproben wurden auf eine Stahlplatte geklebt und auf dem Antrieb des Gerätes eingespannt. Es wurden Messungen im oszillierenden Modus mit einer 100Cr6 Stahlkugel mit einem Durchmesser von 10 mm als Gegenkörper durchgeführt (Probengröße 2 cm x 2 cm). Die Normalkraft betrug 2,0 N, der Hub 11 mm und die Messdauer 5 Minuten. Die Geschwindigkeit wurde variiert und ist bei den Ergebnissen entsprechend angegeben. In Anlehnung an einen bestehenden, industriell implementierten Versuchsaufbau wurde der Messaufbau in Bezug auf Silikone im Laufe des Projektes anwendungsorientiert modifiziert. Dazu wurden ein Gegenkörper gefertigt, in welchen Stoff eingespannt werden kann, sowie die Normalkraft und die Geschwindigkeit entsprechend eingestellt. Die Probengröße wurde auf 5 cm x 2 cm geändert. Die Messungen wurden mit einer Pressung von 0,025 MPa und einer Geschwindigkeit von 13 mm/ s über 12 Stunden durchgeführt. Alle Messungen wurden unter Umgebungsbedingungen bei einer Systemtemperatur von 30 °C durchgeführt. Es wurden zwischen ein und drei Proben je Parametersatz gemessen. Aus Forschung und Praxis 31 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 Bild 2: VUV-Photooxidation von Silikonen TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 31 - 120 min Abkühlphase auf -40 °C, bis 0 °C ca. 30 % relative Feuchte, darunter ungeregelt - 240 min Haltezeit bei -40 °C, Luftfeuchtigkeit ungeregelt - 60 min Aufheizphase auf 23 °C, ab 0 °C 30 % relative Feuchte Es wurden Proben nach 24 Stunden, einer Woche, drei Wochen und sechs Wochen entnommen. Die Ofenauslagerung wurde bei 200 °C für insgesamt acht Wochen durchgeführt. Es wurden Proben nach 24 Stunden, einer Woche, drei Wochen, sechs Wochen und acht Wochen entnommen. Die Versuche zur Beständigkeit gegenüber Desinfektionsmittel wurden, ähnlich zu möglichen späteren Anwendungen als medizinische Prothese oder Tastatur, nicht durch Einlegen in Flüssigkeit, sondern durch Abwischen der Probenoberflächen mit einem mit Desinfektionsmittel (Sterillium ® ) getränkten Tuch durchgeführt. Es wurden Proben nach 2x, 20x sowie 50x Abwischen untersucht. 4 Ergebnisse und Diskussion [9] 4.1 Abrutschwinkel Zunächst wurde der Effekt der Reibungsreduzierung mit Hilfe von Abrutschwinkeln beurteilt. Dazu wurden Platten aus Glas, Plexiglas und VA-Stahl verwendet und der Abrutschwinkel bestimmt. Durch die VUV-Modifizierung der unbehandelten Silikone konnten signifikant geringere Abrutschwinkel auf allen drei Materialien erzielt werden (Bild 3). Die erzielten Werte waren unabhängig von der Härte des Materials und lagen zwischen 20° und 45°. Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Lampensystemen konnte nicht festgestellt werden. Bei den unbehandelten Proben zeigte sich allerdings der Un- Aus Forschung und Praxis 32 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 3.4 Nanoindentierung Das Verfahren der Nanoindentierung wurde verwendet, um Kenntnisse über die physikalisch-mechanischen Eigenschaften der modifizierten Proben zu erhalten. Die Nanoindentierung ist eine Prüftechnik, mit der über eine feine Diamantspitze (hier Berkovich, Radius wenige 100 nm) die Härte bzw. das E-Modul von Oberflächenbeschichtungen ermittelt werden kann. Es wird dabei die Eindringtiefe bei steigender und wieder sinkender Normalkraft gemessen. Zur einfacheren Variation der Eindringtiefen bei verschiedenen Lasten wurde das sogenannte multiple Be- und Entlastungsverfahren, kurz Multiindentierungsverfahren, verwendet. Hierbei werden auf einer festen Stelle segmentweise Be- und Entlastungen vorgenommen. Die lokalen Belastungsmaxima werden dabei kontinuierlich gesteigert. Es wurden aus statistischen Zwecken in einer Messreihe 10 verschiedene, unbeeinflusste Stellen auf der Probe getestet. Die Auswertung erfolgte anhand der Be- und Entlastungskurven in Abhängigkeit von der Eindringtiefe. Die Probengröße betrug 1 cm x 1 cm. 3.5 Alterungsversuche Um die Stabilität der modifizierten Proben zu hinterfragen, wurden ein Klimawechseltest (PV1200) und eine Ofenauslagerung durchgeführt sowie die Beständigkeit der modifizierten Proben gegenüber Desinfektionsmittel getestet. Der Klimawechseltest wurde kontinuierlich für sechs Wochen ausgeführt. Bei dem Klimawechseltest PV 1200 handelt es sich um einen zyklischen Test. Ein Zyklus umfasst folgende Schritte: - 60 min Aufheizphase von Raumtemperatur auf 80 °C und 80 % relative Feuchte, - 240 min Haltezeit bei 80 °C und 80 % relative Feuchte, Bild 3: Vergleich Abrutschwinkel für unbehandeltes Silikon, CVD-Referenz und VUV-modifizierte Proben für a) 40 Shore A und b) 80 Shore A Material a) b) TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 32 terschied, dass das härtere, unbehandelte 80 Shore A Silikonmaterial von keinem der Plattenmaterialien abrutschte. Das unbehandelte 40 Shore A Material rutschte dagegen von allen Platten ab (Glas: 79°, VA-Stahl: 48°, Plexiglas: 53°). Der Effekt der Reibungsreduzierung ist bei dem 80 Shore A Material aufgrund der höheren Ausgangswerte entsprechend größer. Die CVD-Referenzproben zeigten ebenfalls eine deutliche Verbesserung, die Abrutschwinkel lagen auf dem Niveau der VUV-modifizierten Proben. 4.2 Tribometermessungen Ergänzend zu den Abrutschwinkeln wurden an ausgewählten Proben Messungen an einem Tribometer durchgeführt. Dabei wurde zunächst, in Anlehnung an die Analyse von Oberflächenbeschichtungen, mit einer Stahlkugel getestet. Bei der Messung der Referenzen zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen dem weicheren 40 Shore A Material und dem härteren 80 Shore A Material (Bild 4a). Nach 5 Minuten Messdauer war der Reibwert des härteren Materials deutlich niedriger. Allerdings war auf diesen Proben die Reibspur sichtbar, wohingegen bei dem weicheren Material keine Reibspur erkennbar war. Dies deutet darauf hin, dass sich das 40 Shore A Material unter der aufgebrachten Kraft stärker elastisch verformt hat, wodurch sich der Reibwert erhöhte, da sich die Kugel durch das Material arbeiten musste. Es wurden zwei verschiedene Geschwindigkeiten (13 mm/ s und 22 mm/ s) getestet. Innerhalb der Standardabweichung ergaben sich keine Unterschiede. Bei den CVDbeschichteten Referenzproben zeigte sich auch ein deutlich höherer Reibwert für das 40 Shore A Material im Vergleich zum 80 Shore A Silikon. Die Beschichtung führte bei dem weicheren Silikon zu keiner signifikanten Änderung des Reibwertes im Vergleich mit dem unbehandelten Material. Für das 80 Shore A Material ergaben sich hingegen niedrigere Reibwerte als für das unbehandelte Silikon. Die Ergebnisse der Referenzproben zeigen, dass trotz gleicher CVD-Beschichtung das darunterliegende Bulkmaterial entscheidenden Einfluss auf das Reibverhalten hat. Auch die VUV-modifizierten Proben zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den zwei getesteten Geschwindigkeiten. Im Gegensatz zu den Referenzen zeigte sich bei den VUV-modifizierten Silikonproben kein signifikanter Unterschied mehr zwischen dem weicheren und dem härteren Silikon. Für das 40 Shore A- Material konnte eine leichte Verbesserung verglichen mit dem unbehandelten Silikon erzielt werden, wohingegen das VUV-modifizierte 80 Shore A Material in dieser Versuchsdurchführung höhere Reibwerte zeigte. Die Variation der Wellenlänge ergab für das 40 Shore A Material geringfügig bessere Ergebnisse mit der Quecksilber-Niederdrucklampe (185 nm) verglichen mit der Xenon-Excimerlampe (172 nm). Die Unterschiede waren aber nicht signifikant. Die Messergebnisse des Standardversuchsaufbaus mit einem Gegenkörper aus Stahl spiegeln die haptisch spürbare und mit verringerten Abrutschwinkeln nachgewiesene deutliche Reibungsreduzierung nach VUV-Modifikation nicht wider. Dies gilt auch für die CVD-beschichteten Referenzproben, welche sich haptisch ebenfalls weniger klebrig anfühlen. Der Messaufbau am Tribometer wurde deshalb anwendungsorientiert modifiziert, sodass einerseits geringere Kräfte aufgebracht werden konnten, andererseits die Reibung gegen Stoff getestet wurde. Dies ist für die Anwendung als Handprothese relevant, beispielsweise beim Anziehen einer Stoffjacke. In Anlehnung an einen Test beim Prothesenhersteller wurde Jeans als Stoff verwendet. Bei den unbehandelten Proben zeigte sich schon nach Kurzzeitmessungen mit einer Messdauer von fünf Minuten Abrieb. Die Reibwerte der unbehandelten Silikone lagen nach fünf Minuten Messdauer zwischen 0,8 Aus Forschung und Praxis 33 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 Bild 4: Reibwert (COF) gegen Stahlkugel nach fünf Minuten Messdauer für a) Referenzproben und b) VUV-modifizierte Proben unbeh. CVD unbeh. CVD 0,0 0,5 1,0 1,5 80 Shore A COF nach 5 Min 13 mm/ s 22 mm/ s 40 Shore A Xenon- Excimer Quecksilber- Niederdruck Xenon- Excimer Quecksilber- Niederdruck 0,0 0,5 1,0 1,5 80 Shore A COF nach 5 Min 13 mm/ s 22 mm/ s 40 Shore A a) b) TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 33 A Material höher (COF 0,9 - 1,1) als für das 80 Shore A Material (COF 0,6 - 0,8). Nach einer VUV-Bestrahlung, welche zu einer stabilen signifikanten Reibungsreduzierung führt, ist kein Unterscheid zwischen den verschieden harten Materialien messbar. Die durch VUV-Bestrahlung erreichbare Reduzierung des Reibwertes (0,2 - 0,3) ist stärker als mit der zum Vergleich getesteten CVD-beschichteten Probe (Bild 5). Zudem zeigte sich bei den CVD-Proben trotz reduziertem Reibwert im Vergleich zum unbehandelten Material Abrieb auf der Probenoberfläche, wohingegen die VUVmodifizierten Proben keinen Abrieb aufwiesen. Aus Forschung und Praxis 34 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 und 1,0, wobei das weichere Silikon etwas höhere Reibwerte aufwies. Durch die VUV-Modifikation mittels Quecksilber-Niederdrucklampe konnte eine signifikante Reibungsreduzierung erzielt werden. Die Reibwerte lagen zwischen 0,2 und 0,3 und es war kein Abrieb zu erkennen. Um mögliche Unterschiede der verschiedenen VUV-Behandlungen und die Beständigkeit besser einschätzen zu können, wurden die Messungen über 12 Stunden durchgeführt. Dabei zeigte sich bei den VUV-modifizierten Proben eine sehr gute Reproduzierbarkeit (Bild 5), wohingegen bei den Referenzproben (sowohl unbehandelt als auch CVD) Schwankungen auftraten. Bei den unbehandelten Proben lagen die Reibwerte für das 40 Shore 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 , unbeh. , , CVD , , VUV COF Zeit [h] kein Abrieb Abrieb CVD VUV Bild 5: Reibwert (COF) gegen Messdauer und Fotos nach Messende. Vergleich unbehandelt, CVD-Referenz und VUV-Bestrahlung mit Quecksilber-Niederdrucklampe, 40 Shore A Bild 6: Reibwert (COF) gegen Messdauer für VUV- Modifikation für beide Lampen bei ansonsten gleichen Prozessparametern. 40 Shore A Für die in Bild 5 gezeigten Ergebnisse wurde eine Quecksilber-Niederdrucklampe verwendet. Die Verwendung einer Xenon-Excimerlampe führte zu deutlich unterschiedlichem Reibverhalten (Bild 6). Die Probe nach Bestrahlung mit der Quecksilber- Niederdrucklampe zeigte den schon dargestellten stabilen Effekt der Reibungsreduzierung, wohingegen der Reibwert nach Bestrahlung mit der Xenon- Excimerlampe schnell anstieg und das Niveau des unbehandelten Materials erreichte. Dieser Effekt zeigte sich ebenfalls unabhängig von der Härte des Materials. 4.3 Nanoindentierung Da die VUV-Strahlung im Material gedämpft wird, sind für VUV-modifizierte Silikonvollmaterialproben, wie sie hier verwendet wurden, Tiefengradienten zu erwarten. Bei der Nanoindentierung wurden deshalb nur Kraft-Eindring-Kurven zum qualitativen Vergleich gemessen und keine quantitativen Härte- TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 34 oder E-Modulwerte bestimmt, da diese aufgrund der Ausprägung eines Gradienten über die Tiefe nicht aussagekräftig wären. Je härter das Material, desto geringer ist die Eindringtiefe bei gleicher Maximalkraft. Bei den unbehandelten Materialien ergab sich wie erwartet bei gleicher Maximalkraft eine deutlich größere Eindringtiefe für das 40 Shore A Material im Vergleich zum 80 Shore A Material (Bild 7). Die VUV-modifizierten Proben zeigten geringere Eindringtiefen bei gleicher Maximalkraft, was den Effekt der Härtung bestätigt (Bild 7). Eine härtere Oberfläche ist beständiger gegenüber Reibung und Verschleiß. Der Modifizierungseffekt scheint ab einem gewissen Modifikationsgrad unabhängig vom Substratmaterial: Wie in Bild 7 zu erkennen ist, unterscheiden sich die Eindringtiefen zwischen den beiden unterschiedlich harten Materialien nach VUV-Modifikation zunächst noch deutlich (hellgrüne Kurven), wohingegen bei der stärkeren- Modifikation (höhere Bestrahlungsdosis, dunkelgrüne Kurven) kein signifikanter Unterschied in der Eindringtiefe zu erkennen ist. Ein ähnliches Verhalten der Substratunabhängigkeit bei stark positivem Effekt wurde auch im Rahmen der tribologischen Charakterisierung festgestellt. Ein signifikanter Unterschied zeigte sich bei einem Vergleich der beiden Lampensysteme (Bild 8). Nach der Behandlung durch die Xenon-Excimerlampe kam es zu einem deutlich tieferen Eindringen der Spitze in das Material bei gleicher Maximalkraft verglichen mit der Quecksilber-Niederdrucklampe. Die Proben sind also entweder weniger hart und / oder die modifizierte Schichtlage ist dünner. Beide Überlegungen können als Gründe für die vergleichsweise geringere Beständigkeit in den tribologischen Messungen von mittels Xenon- Excimerlampe gegenüber mittels Quecksilber-Niederdrucklampe bestrahlten Proben in Betracht gezogen werden. 4.3 Alterungsversuche Nach Alterung wurde die Reibminderung anhand der Bestimmung des Abrutschwinkels erneut bewertet. Die VUV-modifizierten Proben der 40 Shore A Härte zeigten über den gesamten Verlauf der beiden Auslagerungsversuche konstante Werte. Bei dem 80 Shore A Material kam es nach drei Wochen Ofenauslagerung bei 200 °C zu einem deutlichen Anstieg der Abrutschwinkel. Die Proben der Klimaauslagerung zeigten einen geringeren Anstieg. Da sich dieser Effekt der Verschlechterung bei weiteren, ebenfalls im Projekt durchgeführten Tests (u. a. Schmutzanhaftung), wiederholt bei den 80 Shore A Proben im Laufe der Ofenauslagerung zeigte, wird davon ausgegangen, dass das 80 Shore A Material bei 200 °C nicht ausreichend hitzebeständig ist. Die Versuche nach Abwischen mit Desinfektionsmittel führten zu gleichbleibend guten Ergebnissen bei beiden Materialien. Aus Forschung und Praxis 35 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 Bild 7: Kraft-Eindring-Kurven für unbehandeltes sowie mit Quecksilber-Niederdrucklampe modifiziertes Silikon für a) 40 Shore A und b) 80 Shore A Bild 8: Kraft-Eindring-Kurven für VUV-Modifikation für beide Lampen bei ansonsten gleichen Prozessparametern. 80 Shore A a) b) TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 35 dustriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Literatur [1] Mirley, C. L., Koberstein, J. T., Langmuir 1995, 11, 1049. [2] Graubner, V.-M., Modifizierung von Poly(dimethylsiloxan) für die Computer-to-Plate Driographie, Dissertation, München, Deutschland 2004. 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[9] Abschlussbericht zum IGF-Vorhaben 18704 N „Silikonelastomere mit vorteilhafter Haptik, minimierter Reibung und reduzierter Schmutzanfälligkeit“. Aus Forschung und Praxis 36 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 2/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0011 5 Zusammenfassung Die VUV-Modifikation von Silikonen führte zu einer signifikant reduzierten Reibung und besserer Verschleißbeständigkeit. Bei der Messung des Effektes mit Abrutschwinkeln auf verschiedenen Materialien konnten Werte im Bereich der CVD beschichteten Referenzproben erzielt werden. Die VUV-Modifikation bietet im Vergleich zur CVD-Beschichtung allerdings den Vorteil der Materialtreue, welches vor allem für Anwendungen im Medizin- oder Lebensmittelbereich von Vorteil sein kann. Zudem ist das Verfahren einfacher, umweltschonender und günstiger umzusetzen. Die Tribometermessungen ergaben zudem eine bessere Beständigkeit für die VUV-modifizierten Proben mit konstant niedrigen Reibwerten. Es wurde eine Verbesserung des Reibwertes von 0,9 auf 0,2 erreicht. Kurzzeitige Effekte können mit der Verwendung der Quecksilber-Niederdrucklampe als auch mit der Xenon-Excimerlampe erzielt werden. Für einen langfristig stabilen Effekt ist die Quecksilber-Niederdrucklampe zu verwenden. Die erzielten Ergebnisse der Nanoindentierung sind stimmig zu den Ergebnissen der Reibmessungen. Alterungstests bestätigten die stabile Oberflächenmodifikation. Danksagung Das IGF-Vorhaben 18704 N der Forschungsvereinigung Kautschuk, Deutsche Kautschuk-Gesellschaft e.V., Zeppelinallee 69, 60487 Frankfurt am Main wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der in- TuS_2_2020.qxp_T+S_2018 04.06.20 14: 11 Seite 36