Tribologie und Schmierungstechnik
tus
0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0013
81
2020
673
JungkThermo-Elastohydrodynamische Simulation von Radialwellendichtringen
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2020
Stefan Thielenhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-3310-7659
Bernd Sauerhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-3489-5805
Um den gestiegenen Anforderungen an die Lebensdauer und die Energieeffizienz von Radialwellendichtringen (RWDR) gerecht werden zu können, sind detaillierte mikroskalige Simulationen des Dichtkontakts nötig. Dafür kommen typischerweise (T)EHD Simulationen zum Einsatz. Der Umfang veröffentlichter Simulationsmodelle zu diesem Thema reicht von eher einfachen EHD Simulationen bis hin zu sehr detaillierten TEHD Modellen. Nur wenige Simulationsmodelle berücksichtigen die Rauheit und/oder Mikrostruktur beider Kontaktflächen, da dies die Berücksichtigung transienter Effekte notwendig machen würde. In diesem Beitrag wird ein transientes TEHD Modell zur Simulation des Dichtkontaktes von RWDR vorgestellt. Untersuchungen des Dichtkontaktes werden durchgeführt und die Möglichkeit, gezielte Mikrostrukturierung von Wellenoberflächen zu untersuchen wird gezeigt.
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1 Einleitung Radialwellendichtringe (RWDR) werden zur Abdichtung von rotierenden Wellen eingesetzt. Auf Grund von gestiegenen Anforderungen an Energieeffizienz und Lebensdauer [1] und neuen Bewegungsprofilen wie z. B. in Roboteranwendungen [2] wird eine sorgfältige Auswahl und Auslegung des Dichtsystems unumgänglich. Dabei können sich weder Hersteller noch Anwender nur auf experimentelle Untersuchungen verlassen. Geeignete Simulationswerkzeuge erlauben die Untersuchung der Wirkmechanismen von RWDR auch auf der Mikroskala. Darüber hinaus ermöglichen sie eine eingeschränkte Vorhersage des Dichtsystemverhaltens. Neben makroskopischen Simulationen mit Hilfe von Finite Elemente Modellen [3] kommen dazu auch elastohydrodynamische (EHD) Simulationen zum Einsatz [4, 5]. Wird auch die Temperaturverteilung im Schmierfilm betrachtet, so spricht man vom Thermo-Elastohydrodynamik (TEHD). Die existierenden Modelle unterscheiden sich deutlich in ihrem Umfang. Nur wenige Modelle erlauben eine Temperaturberechnung. Bei der Untersuchung von gezielter Strukturierung wird zudem meist angenommen, dass der andere Kontaktkörper glatt ist, um transiente Effekte zu vernachlässigen [5]. 2 Funktionsverhalten von Radialwellendichtringen In Bild 1 l. ist der Aufbau eines RWDR schematisch dargestellt. Der Elastomerteil mit der Dichtkante ist an einen Versteifungsring aus Metall aufvulkanisiert. Die Dichtlippe ist über eine Membran mit dem Versteifungs- Aus Wissenschaft und Forschung 5 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 Thermo-Elastohydrodynamische Simulation von Radialwellendichtringen Stefan Thielen, Bernd Sauer* Eingereicht: 20. Januar 2020 Nach Begutachtung angenommen: 7. Juli 2020 Um den gestiegenen Anforderungen an die Lebensdauer und die Energieeffizienz von Radialwellendichtringen (RWDR) gerecht werden zu können, sind detaillierte mikroskalige Simulationen des Dichtkontakts nötig. Dafür kommen typischerweise (T)EHD Simulationen zum Einsatz. Der Umfang veröffentlichter Simulationsmodelle zu diesem Thema reicht von eher einfachen EHD Simulationen bis hin zu sehr detaillierten TEHD Modellen. Nur wenige Simulationsmodelle berücksichtigen die Rauheit und/ oder Mikrostruktur beider Kontaktflächen, da dies die Berücksichtigung transienter Effekte notwendig machen würde. In diesem Beitrag wird ein transientes TEHD Modell zur Simulation des Dichtkontaktes von RWDR vorgestellt. Untersuchungen des Dichtkontaktes werden durchgeführt und die Möglichkeit, gezielte Mikrostrukturierung von Wellenoberflächen zu untersuchen wird gezeigt. Schlüsselwörter transiente Thermo Elasto Hydrodynamik, Radialwellendichtringe, Mikrostrukturierung, Reibung Thermo-Elastohydrodynamic Simulation of Shaft Seals Regarding the increasing demand in seal lifetime and energy efficiency, a detailed microscopic simulation is necessary - as an addition to experimental investigations - to better understand and improve radial shaft seals. For this purpose, typically TEHL simulations are used. The published models range from rather simple EHL models to very sophisticated TEHL models. Only very few models take into account the roughness or micro-structure of both contact surfaces, though, since this would require the consideration of transient effects. In this contribution, a transient TEHL model for the contact of radial shaft seals is presented. Studies of the sealing contact are conducted and the possibility of investigating shaft microstructuring is shown. Keywords transient thermo-elasto-hydrodynamics, radial shaft seals, microstructuring, friction Kurzfassung Abstract * Dr.-Ing. Stefan Thielen Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-3310-7659 Prof. Dr.-Ing. Bernd Sauer Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-3489-5805 Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 5 lenoberfläche einen konvergenten Spalt bilden und somit einen hydrodynamischen Druckaufbau erlauben (soft-EHD, EHD zweiter Ordnung). 3 Beschreibung des Simulationsmodells Im Folgenden wird das im Rahmen dieses Beitrags verwendete TEHD Tribosimulationsmodell präsentiert. Die für die Simulation relevanten Gleichungen und Randbedingungen werden vorgestellt und erläutert. 3.1 Simulationsgebiet und Schmierspalt Die Kontaktfläche zwischen RWDR-Dichtkante und Welle besteht aus der axialen Berührbreite b (üblicherweise ~ 100-300 µm) und der Kontaktlänge in Umfangsrichtung (~ 251 mm bei einer 80 mm Welle). Eine simulative Abbildung dieser Kontaktfläche wird durch das Längenverhältnis zwischen Kontaktbreite und -länge erschwert. Es würde eine sehr hohe Anzahl an Berechnungspunkten in Umfangsrichtung benötigt, um die Rauheiten im Dichtkontakt auflösen zu können. Daher ist eine Reduktion des Simulationsgebietes in Umfangsrichtung sinnvoll. Geht man davon aus, dass die Rauheiten auf der Dichtkante periodisch sind, so lässt sich das Simulationsgebiet entlang des Umfangs mit geeigneten Periodizitätsrandbedingungen auf die Periodizitätslänge der Rauheit der Dichtkante λ 2 reduzieren (s. Bild 2 o.). Der Schmierspalt wird dabei nach V AN BAVEL [9] und S ALANT [4] mit Hilfe von Cosinus-Funktionen beschrieben. Dabei wird die Umfangsrichtung mit der x- und die axiale Richtung mit der y-Koordinate beschrieben. Das axiale Dichtkantenprofil lässt sich ausdrücken als: Aus Wissenschaft und Forschung 6 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 ring verbunden und hat im unmontierten Zustand an der Dichtkante einen Innendurchmesser der kleiner ist als der Nenndurchmesser der Welle. Die Differenz der beiden Durchmesser wird als Überdeckung bezeichnet [6]. Durch die Aufdehnung des Elastomerteils und der Zugfeder während der Montage wird eine Anpresskraft zwischen Dichtkante und Welle - die Radialkraft - erzeugt. Die unterschiedlichen Kontaktwinkel zwischen Dichtkante und Welle auf der Bodenseite (Luftseite) (β) und Stirnseite (Ölseite) (α) und die relativ zur Dichtkante um h F in Richtung Bodenseite verschobene Federwirklinie erzeugen eine asymmetrische Kontaktpressung zwischen Welle und Dichtkante, die eine zwingende Voraussetzung für die Dichtheit des RWDR ist [7,8]. Bei Wellenstillstand beruht die Dichtwirkung eines RWDR auf der Anschmiegung des Elastomers an die Wellenoberfläche. Durch die Relativbewegung von Welle und Dichtkante entsteht jedoch ein wenige µm hoher Schmierspalt zwischen RWDR und Welle [7,8]. Die Dichtkantenoberfläche wird durch die Relativbewegung der Wellenrauheit und die viskoelastischen Eigenschaften des Elastomers periodisch angeregt (vgl. Bild 1 r.). Der Dichtmechanismus beruht in diesem Zustand auf der tangentialen Verzerrung der Dichtkante, die einen Fördereffekt zur Ölseite hin erzeugt, falls die Verzerrungsverteilung ihr Maximum näher an der Ölseite hat. Aufgrund der Scherung des Schmierstoffs und Rauheitskontakt entsteht Reibung und die Kontaktflächen sowie der Schmierstoff werden erwärmt. Schon bei kleinen Drehzahlen steigt die Schmierstoffhöhe schnell an bis sie eine weitesgehend stabile Höhe im Bereich der Mischreibung erreicht hat. Der Schmierfilmaufbau beruht dabei zum großen Teil auf der Verformung der weichen Rauheitsspitzen der Dichtkante, die mit der Wel- Bild 1: Links: Darstellung eines Querschnitts durch einen auf der Welle montierten RWDR. Rechts: Tribokontakt zwischen RWDR und Welle mit dem verformten Elastomerbulk der dynamisch angeregten Elastomerschicht, dem Schmierstoff und der Welle (Triboschicht, Übergangszone zwischen Triboschicht und Gefüge, durch plastische Verformungen bei der Bearbeitung gestörtes Gefüge und ungestörtes Gefüge). TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 6 3.2 Hydrodynamik Zur Beschreibung der Hydrodynamik kommt eine Formulierung der allgemeinen R EYNOLDS gleichung mit Flussfaktoren und masseerhaltendem Kavitationsmodell mit dem Kavitationsgrad θ = 1-ρ/ ρ liq zum Einsatz: (6) Die Flussfaktoren werden nach P ATIR und C HENG [11, 12] bestimmt. Hier können die Rauheit der Welle und Rauheitsanteile der Dichtkante, die in der Schmierspaltgleichung nicht erfasst wurden, statistisch gemittelt berücksichtigt werden. Das komplementäre Kavitationsproblem mit dem Kavitationsgrad θ (p hyd > 0 -> θ = 0; p hyd = 0 -> 0 < θ ≤ 1) wird nach W OLOSZYNSKI [13] mit einer F ISCHER -B URMEISTER Gleichung beschrieben: (7) 3.3 Energiegleichung Der Schmierstoff im Dichtkontakt wird auf Grund der Reibung erwärmt. Dadurch sinkt die Viskosität, was wiederum die Reibung beeinflusst. Die viskosen Reibungsschubspannungen sind also stark mit der lokalen Schmierstofftemperatur Θ gekoppelt. Eine isotherme Berechnung würde die Reibung vor allem bei hohen Drehzahlen stark überschätzen. Um die lokale Schmierstofftemperatur bestimmen zu können wird eine vereinfachte Form der Energiegleichung gelöst: (8) Die folgenden Randbedingungen werden an den Grenzen des Simulationsgebiets aufgebracht: • Der konvektive Wärmetransport in axialer Richtung wird vernachlässigt [14]: • In Umfangsrichtung wird eine Periodizitätsrandbedingung verwendet [14]: Aus Wissenschaft und Forschung 7 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 ℎ( , ) = 2 ′ ( , ) ′ ′ ( − ) − ( − ′) ℎ 12 + ℎ 12 ! "#$%&'$**& -&./ = + 3 − 9 + 3 = 0 (1) = ⎩ ⎪ ⎨ ⎪ ⎧ ℎ ABC D1 − cos E 2 FBG ( − FBG )HI , ∀ 0 ≤ < FBG ℎ ; BM D1 − cos E 2(1 − FBG ) ( − FBG )HI , ∀ FBG ≤ < N = Q 0 U V + Q S U V ! \&$^'8_ `a ` b de = `a ` b d^ = 0 R( ) = R( + Z ) ; `a ` b = `a ` b g h ℎ ; ( , ) Für Rauheit der Dichtkante wird folgende Beschreibung verwendet: (2) Eine Erläuterung der hier verwendeten Formelzeichen ist in Kapitel 6 zu finden. Der gesamte Schmierspalt wird aus der Summe der Festkörperannäherung h 0 , des axialen Dichtkantenprofils h a , der Rauheit h r und der Deformation d h berechnet. Falls eine Strukturierung der Welle s untersucht werden soll, so ergibt sich: (3) Die Wellenrauheit wird im Rahmen dieser Untersuchungen nicht im Schmierspalt modelliert, sondern statistisch gemittelt mit Hilfe von Flussfaktoren und der Festkörperkontaktdruckkurve berücksichtigt (vgl. Kapitel 3.2 und 3.4). 3.1.1 Verformungsberechnung Die Deformation der beiden Kontaktkörper wird mit der Halbraumtheorie nach B OUSSINESQ berechnet [10]: (4) Dabei beschreibt E‘ den reduzierten Elastizitätsmodul: (5) Damit die Halbraum-Theorie hier ohne Korrekturen für die Strukturdeformation der Dichtlippe (das Verdrehen der Dichtkante durch die Biegung der Membran bei der Montage auf der Welle) anwendbar ist, wird das Verdrehen der Dichtkante in der Beschreibung des Schmierspaltes vor der Kontaktdeformation berücksichtigt. Dies geschieht durch Auswertung von Finite Elemente Simulationen und Vermessungen an RWDR. Die Verformungsberechnung erfolgt daher kraftgesteuert basierend auf Radialkraftmessungen bei Einsatztemperatur. Die Periodizität des Kontaktes in Umfangsrichtung wurde mit geeigneten Modifikationen bei der Deformationsberechnung berücksichtigt. ℎ . ( , ) = ℎ % i 1 + cos(2 [ − ( , )]) (1 − cos(2 j . ))k ℎ = ℎ e + ℎ ; + ℎ M + ℎ + l 2 ′ = 1 − m n n + 1 − m = 0 / [1 − 3] ℎ + 0 . 2 [1 − 3] % ! 4#'&55& -&./ + 2 [1 − 3] ℎ 6 ! 5.78%$&85&. -&./ O P Q R 6 + 0 R + S R + T R U V ! W#8X&Y5$#8 − Z R U! W#8 'Y5$#8 TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 7 werten L) verbunden sind und die mit thermischen Leistungen P beaufschlagt werden. Ein stationäres Thermisches Netzwerk kann beschrieben werden mit: (9) Die Berechnung der Leitwerte L kann z. B. nach [3, 15, 16] erfolgen. Die Aufteilung des Dichtsystems in die thermischen Knoten ist in Bild 2 u. dargestellt. 3.4 Mischreibung RWDR werden typischerweise unter Mischreibungsbedingungen betrieben, daher kann Kontakt zwischen den Rauheitsspitzen vorkommen, was zu zusätzlichen Kontaktdrücken und Reibungsanteilen führt. Aus Wissenschaft und Forschung 8 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 • F RÖLICH konnte in numerischen Untersuchungen zeigen, dass weniger als 3 % der Wärmeableitung aus dem Dichtkontakt über die Dichtlippe führt [3], daher wird vereinfachend eine perfekt isolierende Dichtkante angenommen [14]. • Um die Wärmeabfuhr über die Welle zu bestimmen, wird ein einfaches Thermisches Netzwerk angewandt. Als Ergebnis kann die Temperatur der Wellenoberfläche im Dichtkontakt bestimmt und als Randbedingung aufgebracht werden. Ein Thermisches Netzwerk ist ein thermisch-elektrisches Analogiemodell, bei dem das zu modellierende System in isotherme Knoten mit der Temperatur Θ zerlegt wird, die mit thermischen Widerständen (bzw. Leit- Bild 2: Oben: Reduzierung des Simulationsgebietes auf periodische Rauheitsstruktur der Dichtkante. Unten: Einfaches Thermisches Netzwerk zur Bestimmung der Wellenkontakttemperatur. p R = q TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 8 Zur Berücksichtigung der Mischreibung wurden mit Hilfe von Kontaktmechaniksimulationen [17] an hochaufgelösten Oberflächenaufnahmen von RWDR und Welle Festkörperkontaktdruckkurven bestimmt. Die Rauheitskomponenten die bereits im Schmierfilm modelliert wurden, wurden dabei herausgefiltert. Mit Hilfe der im Rahmen der TEHD-Simulation deutlich gröber aufgelösten Schmierspalthöhe lässt sich dann lokal der mittlere Festkörperkontaktdruck p sb bestimmen. Durch Multiplikation mit der Grenzreibzahl µ sb kann der Festkörperanteil der Reibung bestimmt werden. Für die Fluidreibung gilt: (10) Damit folgt für die gesamte Schubspannung in x-Richtung: (11) Das Reibmoment lässt sich durch Integration von τ über dem Simulationsgebiet, skalieren auf den gesamten Umfang und Multiplikation mit dem Wellendurchmesser r w bestimmen zu: (12) 3.5 Kräftegleichgewicht Das Kräftegleichgewicht zwischen der Radialkraft und den schmierspaltbildenden Drücken im Dichtkontakt muss erfüllt werden: (13) 3.6 Numerische Lösung der gekoppelten Gleichungssysteme Die gekoppelten Gleichungssysteme werden entdimensioniert, durch geeignete Verfahren diskretisiert und iterativ gelöst. 4 Simulationsergebnisse In diesem Abschnitt sollen die mit dem oben vorgestellten Modell erzielten Simulationsergebnisse präsentiert werden. Zuerst werden allgemeine Untersuchungen zum Schmierfilm- und Druckaufbau, den Fluidflüssen und der Temperatur im Dichtkontakt gezeigt. Zum Schluss wird am Beispiel einer gezielt mikrostrukturierten Welle aufgezeigt, dass mit dem TEHD Tribosimulationsmodell transiente Untersuchungen möglich sind. Als Simulationsparameter werden folgende Werte verwendet: E 1 = 210 GPa, E 2 = 4.36 MPa, ν 1 = 0,3, ν 2 = 0,49, λ h = 0.137 W/ mK, c v = 2120 J/ kgK, r W = 40 mm, b = 150 µm, f r = 26 N, h s = 1.47 µm, σ 1 = 0.30 µm, σ 2 = 0.92 µm, λ 1 = 558 µm, λ 2 = 32 µm, γ 1 = 29, γ 2 = 0.62, Θ oil = 70 °C, Θ amb = 22 °C. Als Schmierstoff wird ein unadditiviertes PAO basiertes Öl der SAE Klasse 0W-20 angenommen. 4.1 Schmierfilmaufbau und Schmierungszustand In Bild 3 ist der Schmierfilm im Wellenstillstand und für verschiedene Wellendrehzahlen dargestellt. Im Wellenstillstand wird die Rauheitsspitze flach an die Wellenoberfläche gepresst und abgeplattet. Durch die Wellenrotation und den damit verbundenen Aufbau eines hydrodynamischen Tragdruckes im konvergenten Spalt vor der Rauheitsspitze bildet sich schon bei sehr geringen Drehzahlen ein keilförmiger Spalt zwischen Rauheitsspitze und Wellenoberfläche aus. Die Oberflächen werden folglich schon teilweise durch einen tragenden Schmierfilm getrennt. Anfänglich steigt die Schmierfilmhöhe schnell an, bis sie sich allmählich asymptotisch einem Grenzwert nähert (vgl. Bild 4 o.). In Bild 4 m. sind die Anteile der Tragkraft des Schmierfilms aus dem hydrodynamischen Druckaufbau und dem Festkörperkontaktdruck über der Wellendrehzahl aufgetragen. In Übereinstimmung mit dem Verlauf der Schmierspalthöhe dominiert der hydrodynamische Anteil mit steigender Drehzahl. Allerdings wird deutlich, dass der Dichtring auch bei hohen Drehzahlen immer noch im Mischreibungsgebiet arbeitet, da noch ca. 10 % der Tragkraft aus dem Festkörperkontakt resultieren. Bild 4 u. zeigt den Vergleich des Reibmomentes für eine isotherme Berechnung, die Abschätzung der Schmierspalttemperatur nach E NGELKE [18] und der vollständigen TEHD Simulation. Im isothermen Fall steigt das Reibmoment fast linear mit der Drehzahl an. Der Einfluss der mit der Reibleistung im Dichtkontakt steigenden Schmierspalttemperatur auf die Ölviskosität und damit auf das Reibmoment bleibt hier unberücksichtigt. Bei der Verwendung des E NGELKE -Ansatzes und der vollständigen TEHD steigt das Reibmoment deutlich langsamer an. Darüber hinaus werden mit der vollständigen TEHD-Simulation im hohen Drehzahlbereich geringere Reibmomente berechnet als mit dem E NGELKE - Ansatz. Die Erklärung hierfür ist, dass die Schmierspalttemperatur nach E NGELKE auf einer semi-empirischen Methode beruht, bei der die Kontakttemperatur an der Wellenoberfläche experimentell bestimmt werden muss. Die tatsächliche Temperatur im Schmierfilm ist etwas höher als die Temperatur an der Wellenoberfläche und auf Grund der temperaturabhängigen Viskosität des Schmierstoffs ergibt sich ein geringeres Reibmoment. Aus Wissenschaft und Forschung 9 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 r = (0 − 0 n ) 3 ℎ − ℎ 2 tuv r = r + μ %^ %^ w x. = r 2 y z Z ^ e g h e { . = ( + %^ ) 2 y z Z ^ e g h e TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 9 mer wieder beobachtete Ölkohlebildung im Dichtkontakt [19] von RWDR sein könnte. 4.3 Mikrostrukturierte Wellenoberflächen Im Folgenden soll am Beispiel einer mikrostrukturierten Wellenoberfläche gezeigt werden, dass das TEHD Tribosimulationsmodell transiente Effekte simulieren kann. In isothermen Simulationen konnte bereits eine Mikrostrukturgeometrie ausgewählt werden, die die (simulierte) Reibung signifikant reduzieren konnte [20, 21]. Diese Struktur (s. Bild 5 l. u.) wird in den folgenden Untersuchungen verwendet. Dabei wird ein Abstand von 30 µm in Umfangsrichtung und 150 µm in axialer Richtung verwendet. Bild 7 zeigt den Verlauf des Reibmoments bei 1000 min -1 . In den ersten 0,01 ms steigt die Schmierspalthöhe stark an. Der Grund hierfür ist die Startbedingung der Simulation. Im ersten Zeitschritt wird davon ausgegangen, dass die Schmierspalthöhe im vorletzten (0.) Zeitschritt der Schmierspalthöhe aus dem statischen Kontakt zwi- Aus Wissenschaft und Forschung 10 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 4.2 Fluidfluss und Temperaturverteilung Die Umlenkung des Schmierstoffs um die Rauheitsspitzen im Dichtkontakt spielt eine wichtige Rolle für den Fördereffekt und somit für die dynamische Dichtheit des RWDR [3, 4]. In Bild 5 o. ist die Fluidumlenkung um die Rauheitskuppen mit deutlich ausgeprägter Seitenströmung dargestellt. Die Strömungsanteile in Umfangsrichtung wurden dabei skaliert. Die TEHD Simulation erlaubt eine lokal aufgelöste Bestimmung der Temperatur im Schmierspalt. Im Gegensatz zu der Druckberechnung wird dabei auch die Schmierspalthöhenrichtung aufgelöst. In Bild 6 ist neben der lokalen Spalthöhe und Druckverteilung auch die Temperaturverteilung über der Dichtkontaktfläche bei 4500 min -1 dargestellt. Dazu wurde für jeden Punkt die Temperatur entlang der Höhenkoordinate gemittelt. Deutlich zu erkennen sind die großen lokalen Temperaturunterschiede im Schmierspalt. Die Maximaltemperatur liegt deutlich über der für den gesamten Schmierspalt gemittelten Temperatur, was eine Erklärung für die im- Bild 3: Aufbau eines Schmierfilms zweiter Ordnung unter den Rauheitskuppen im Dichtkontakt. Dargestellt als Höhenprofil des Schmierspaltes in einem axialen Schnitt. TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 10 Aus Wissenschaft und Forschung 11 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 Bild 4: Oben: Mittlere und minimale Schmierspalthöhe; Mitte: Traganteil aus Hydrodynamik und Festkörperkontakt. Unten: Reibmoment für verschiedene Temperaturberechnungsverfahren; aufgetragen über der Wellendrehzahl. Bild 5: Oben: Fluidumlenkung durch die Rauheitsspitzen im Dichtkontakt (skaliert). Unten: Geometrie der untersuchten Mikrostruktur. TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 11 steigender Schmierspalthöhe erwartungsgemäß sinkt. Sobald die Struktur den Druckberg vor den Rauheitsspitzen auf der Dichtkante passiert, steigt die mittlere Schmierspalthöhe schnell an und fällt wieder ab, sobald die Struktur in den nächsten Druckberg einläuft. Die Wirkung der Struktur scheint somit im divergenten Spaltbereich hinter dem Spaltminimum am größten zu sein. Im Vergleich mit dem Reibmoment im unstrukturierten Fall ist eine deutliche Reibmomentreduzierung zu erkennen. Aus Wissenschaft und Forschung 12 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0013 schen Welle und Dichtkante entspricht. Da die Zeitinkremente sehr klein sind, dämpft der Quetschterm der R EYNOLDS gleichung den Anstieg der Schmierspalthöhe anfangs. Nach spätestens 0,02 ms wird dieser Dämpfungseffekt überwunden und die Spalthöhe verändert sich periodisch mit jedem Durchlauf der Struktur durch das Simulationsgebiet. Umgekehrt verhält sich das Reibmoment. Auch hier zeigt sich eine Abhängigkeit von der relativen Position zwischen Wellenstruktur und Dichtkante, wobei das Reibmoment mit Bild 6: Temperatur, Hydrodynamischer Druck und Spalthöhe im Simulationsgebiet bei 4500 min -1 . Bild 7: Reibmomentverlauf einer mikrostrukturierten Welle. TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 12 5 Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde ein TEHD Tribosimulationsmodell für RWDR vorgestellt, mit dem die lokalen Schmierstofftemperaturen und auch transiente Effekt berücksichtigt werden können. Mit diesem Model konnten grundlegende Untersuchungen zum Betriebsverhalten eines RWDR Dichtsystems durchgeführt werden. Außerdem wurde nachgewiesen, dass das Modell die Berücksichtigung von transienten Effekten erlaubt. Um die Reibmomentreduzierung durch Mikrostrukturierung tiefgreifend zu verstehen sind noch weitere Untersuchungen bei verschiedenen axialen Positionen [5] und Drehzahlen nötig. Darüber hinaus soll als Fernziel durch eine Erweiterung des TEHD Tribosimulationsmodells um eine Beschreibung von Hysteresereibungsanteilen, einem Nicht- N EWTON ’schen Schmierstoffmodell und Wandschlupfeffekten die Vorhersagegüte weiter verbessert werden. 6 Nomenklatur b Kontaktbreite des Dichtkontakts m c v Spezifische Wärmekapazität J/ kgK d h Verformung des Dichtspalts M f r Radialkraft N h Spalthöhe m h a Axiales Dichtkantenprofil m h air Spalthöhe auf der Luftseite m h F Federhebelarm m h oil Spalthöhe auf der Ölseite m h 0 Festkörperannäherung m m fr Reibmoment Nm n Drehzahl min -1 p fl Hydrodynamischer Druck Pa p sb Festkörperkontaktdruck Pa r w Wellenradius m s Wellenmikrostruktur m t Zeit s u,v,w Geschwindigkeit in x, y, z Richtung m/ s x,y,z Raumkoordinaten m y min Axiale Position des Spaltminimums m E Elastizitätsmodul Pa L Thermische Leitfähigkeit zwischen den Knoten des thermischen Netzwerks K/ W N r Anzahl der Rauheitsspitzen im Dichtkontakt (axial) - P Thermische Verlust-/ Heizleistung W α Kontaktwinkel auf der Ölseite ° β Kontaktwinkel auf der Luftseite ° δ Tangentiale Verzerrung der Dichtkante m η Dynamische Schmierstoffviskosität Ns/ m 2 γ P EKLENIK Faktor λ Periodenlänge der Rauheit von Welle ( 1 ) und Dichtkante ( 2 ) m λ h Wärmeleitfähigkeit W/ mK µ sb Grenzreibwert ν P OISSON zahl ϕ Flussfaktoren -/ m ρ Dichte kg/ m 3 σ Charakteristische Rauheit / quadratische Rauheit m τ Tangentialspannung Pa θ Kavitationsgrad - Θ Temperatur °C 1 Index Welle 2 Index Dichtkante Danksagung Diese Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert - Project - ID 172116086 - SFB 926. 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