Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0017
81
2020
673
JungkAlternative Schmierstoff-Additive auf Basis von Mikroalgen
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2020
Thomas Kochhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-5649-9328
Ralf Gläbe
Yvonne Sakkahttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-8581-0496
Nina Nentwig
Juliane Filserhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-1535-6168
Antje Siol
Jan Köserhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-0427-8133
Jörg Thöminghttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-5374-114X
Shannon Mesing
Roland Larekhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-2823-6237
Insa Mannott
Antonio Gavalás-Oleahttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0001-6988-2177
Imke Langhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0002-5402-461X
Mit ihren zahlreichen Inhaltsstoffen bieten Mikro algen eine vielversprechende Basis als nachhaltige Rohstoffquelle für technische Anwendungen. Das Forschungsvorhaben ALBINA (Algenbasiert – biologisch – nachwachsend) nimmt diese Ressource in den Fokus, um Additive für Schmierstoffanwendungen zu entwickeln. Das Forschungsziel ist die Extraktion, Identifikation und Bewertung von Substanzen aus Mikroalgen, welche konventionelle Additive in Schmierstoffen ersetzen sollen. Erprobt werden die Additive im ersten Schritt in Schmierstoffen zur Zerspanung und Umformung von Metallen, weitere Schmierstoffapplikationen können sich daran anschließen. Realisiert wird das Vorhaben durch die interdisziplinäre Kooperation aus fünf ingenieur- und naturwissenschaftlichen Forschungsstellen, gefördert von dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Begleitet und unterstützt wird das Vorhaben von Partnern aus der Schmierstoffindustrie.
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Aus Wissenschaft und Forschung 41 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0017 Alternative Schmierstoff-Additive auf Basis von Mikroalgen Thomas Koch, Ralf Gläbe, Yvonne Sakka, Nina Nentwig, Juliane Filser, Antje Siol, Jan Köser, Jorg Thoeming, Shannon Mesing, Roland Larek, Insa Mannott, Antonio Gavalás-Olea, Imke Lang* Mit ihren zahlreichen Inhaltsstoffen bieten Mikroalgen eine vielversprechende Basis als nachhaltige Rohstoffquelle für technische Anwendungen. Das Forschungsvorhaben ALBINA (Algenbasiert - biologisch - nachwachsend) nimmt diese Ressource in den Fokus, um Additive für Schmierstoffanwendungen zu entwickeln. Das Forschungsziel ist die Extraktion, Identifikation und Bewertung von Substanzen aus Mikroalgen, welche konventionelle Additive in Schmierstoffen ersetzen sollen. Erprobt werden die Additive im ersten Schritt in Schmierstoffen zur Zerspanung und Umformung von Metallen, weitere Schmierstoffapplikationen können sich daran anschließen. Realisiert wird das Vorhaben durch die interdisziplinäre Kooperation aus fünf ingenieur- und naturwissenschaftlichen Forschungsstellen, gefördert von dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Begleitet und unterstützt wird das Vorhaben von Partnern aus der Schmierstoffindustrie. Schlüsselwörter Mikroalgen, Additive, Strukturanaloga, Extrazelluläre Polymere Substanz (EPS), Nachhaltigkeit, regenerative Ressource Alternative additives for lubricants based on microalgae With their numerous ingredients, microalgae offer a promising basis as a sustainable raw material source for technical applications. The research project ALBINA (algae-based - biological - renewable) focuses on this resource to develop additives for lubricant applications. The objective is the extraction, identification and evaluation of substances from microalgae, which are intended to replace conventionally used additives in lubricants. In the first step, the new developed additives are tested in lubricants for metal cutting and forming, further lubricant applications can follow. The project is realized through interdisciplinary cooperation of five research institutes from engineering and natural sciences. It is funded by the Federal Ministry of Food and Agriculture. The project is accompanied and supported by partners from the lubricant industry. Keywords Microalgae, additives, structural analogues, extracellular polymer substance (EPS), sustainability, regenerative resource Kurzfassung Abstract * Dr.rer.nat. Thomas Koch 1 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-5649-9328 Prof. Dr.-Ing. Ralf Gläbe 1 Dr.rer.nat. Yvonne Sakka 2 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-8581-0496 Nina Nentwig 2 Prof. Dr.rer.nat. Juliane Filser 2 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-1535-6168 Dr.rer.nat. Antje Siol 3 Dr.rer.nat. Jan Köser 3 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-0427-8133 Prof. Dr.-Ing. Jorg Thöming 3 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-5374-114X M.Eng. Shannon Mesing 4 Prof. Dr.-Ing. Roland Larek 4 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-2823-6237 M.Sc. Insa Mannott 5 Dr.rer.nat. Antonio Gavalás-Olea 5 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0001-6988-2177 Prof. Dr.rer.nat. Imke Lang 5 Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-5402-461X 1 Hochschule Bremen, Fakultät 5 Natur und Technik, Neustadtswall 30, 28199 Bremen 2 Universität Bremen, Allgemeine und Theoretische Ökologie, Leobener Str. 6, 28359 Bremen 3 Universität Bremen, Chemische Verfahrenstechnik, Leobener Str. 6, 28359 Bremen 4 Hochschule Wismar, Maschinenbau/ Verfahrens- und Umwelttechnik, Phillip-Müller-Str. 14, 23966 Wismar 5 Hochschule Bremerhaven, Algenbiotechnologie, An der Karlstadt 8, 27568 Bremerhaven TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 41 träglichkeit, lange Lebensdauer etc. Die Primär- und Sekundäranforderungen an Schmierstoffe und ihre Additive in der Metallbearbeitung, deren grundsätzlicher chemischer Aufbau sowie ihre anwendungsspezifischen Charakteristika sind ausreichend beschrieben. Daher wird hier auf die entsprechende Literatur verwiesen ([5] Möller, 2002; [6] Torbacke, 2014; [1] Czichos, 2015). Additive gehen in der Zerspanung und Umformung eine elektrochemische Wechselwirkung mit der zu bearbeitenden Metalloberfläche ein, um die erwünschten technischen Eigenschaften (Zerspan- und Umformleistung, Vermeidung von Verschweißungen, Korrosionsschutz etc.) zu gewährleisten. Die Art und Stärke der Wechselwirkung ist abhängig von den beteiligten Partnern der Metalloberfläche (Menge und Art der Legierungsbestandteile und Oxidstruktur der Metalloberfläche) und der chemisch-strukturellen Charakteristik der Schmierstoff-Additive [6] (Torbacke, 2014). Als Alternative zu mineralöl-basierten Additiven können Stoffe biogenen Ursprungs aus nachhaltigen Ressourcen einen positiven Effekt auf das Umweltverhalten und die Kennzeichnung einer Schmierstoffformulierung nehmen. Dieser Ansatzpunkt ist ein wichtiger Aspekt des hier beschriebenen Forschungsansatzes. Mikroalgen Zu den Mikroalgen werden mikroskopisch kleine, zumeist einzellige, phototrophe Organismen gezählt (Bild 1). Sie besiedeln sowohl Süß-, Brack- und Salzwasser als auch terrestrische Lebensräume. Es gibt zahlreiche Arten, die sich an besonders extreme Bedingungen angepasst haben. Bisher sind ca. 150.000 Algenarten bekannt und klassifiziert [7] (algaebase.org, 2020). Mit dieser Vielfalt bieten sie ein hohes Potenzial als Lieferanten für technisch relevante Stoffe und Substanzklassen. Aufgrund ihres hohen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses sind Mikroalgen hochproduktiv und damit geeignete Kandidaten für die Herstellung von erneuerbaren, biobasierten Ressourcen. Die Art und Zusammensetzung der nutzbaren Inhaltsstoffe ist dabei abhängig von der Art und kann über die Steuerung der Kultivierungsbedingungen gelenkt werden ([8] Aguirre, 2013; [9] Safafar, 2015; [10] Bellou, 2016). Die Kultivierung und Ernte von ca. 20 industriell genutzten Mikroalgenarten ist technisch etabliert und stellt somit für die Entwicklung neuer Anwendungsfelder eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Rohstoffproduktion sicher. Die Produktion von Mikroalgenbiomasse wird bisher insbesondere für die Lebensmitteltechnologie (Pigmente, Lipide) und in der Biotreibstoffbranche erforscht und kommerzialisiert ([11] D’Alessandro, 2016; [12] Roux, 2017). Mikroalgenarten wie Arthrospira platensis und Chlorella vulgaris sind für einen hohen Proteingehalt von bis zu 65 % der Trockensubstanz bekannt. Die Aminosäurezusammensetzung ähnelt der von kommerziell genutzten Protein-Pflanzen Aus Wissenschaft und Forschung 42 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0017 Ausgangslage Die Tribologie setzt sich als wissenschaftliche Disziplin mit der Beschreibung von Reibung, Verschleiß und Schmierung sowie der Entwicklung neuer Technologien wie der Optimierung von Schmierstoffen auseinander [1] (Czichos, 2015). Reibung entsteht bei der Relativbewegung zwischen zwei Oberflächen. Schmierstoffe werden eingesetzt, um Reibung und Verschleiß zu reduzieren oder zu vermeiden. Sie sind ein fester, aber im Allgemeinen wenig beachteter und selten sichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens. Ihre Aufgabe erfüllen Schmierstoffe direkt in Maschinen und Geräten wie bspw. Wälz- oder Gleitlagern von Motoren und Führungen, aber auch in Scharnieren von Gebrauchsgegenständen wie z.B. Möbeln und Kühlschränken. Indirekt sind sie über den Prozess der Herstellung von Gegenständen und Produkten wie z. B. Aluminiumfolie, Motorengehäuse, Batteriehüllen o. ä. am Alltag beteiligt. Ihre Bedeutung als alltagsrelevanter Faktor hat Hans Ernst bereits Anfang der 1950er Jahre für die Kühlschmierstoffe in der Metallbearbeitung benannt: „Directly or indirectly, it affects every aspect of our civilization. Every product we use, wear, or eat is related to metal cutting, either directly, in its own manufacture, or indirectly, through the manufacture of the machine that makes it“ [2] (Ernst, 1951). Durch die Reduktion von Reibung sind Schmierstoffe unmittelbar in die energetische Bilanz von kraftgetriebenen Prozessen eingebunden. So werden bspw. für den Betrieb elektrischer Motoren (Kompressoren, elektrische Antriebe, Pumpen, Lüfter) weltweit zwischen 43 % und 46 % des global produzierten Stroms verbraucht [3] (Waide, 2011). Damit stellt die Entwicklung neuer, verbesserter Konzepte zur Optimierung tribologischer Eigenschaften von Schmierstoffen und den darin enthaltenen Additiven einen zentralen Beitrag zur Einsparung von Energie dar. Die Verminderung von Verschleiß durch einen verbesserten Schmierstoff bewirkt darüber hinaus die Verlängerung der Betriebsdauer technischer Systeme, und leistet damit einen Beitrag zu deren nachhaltiger Nutzung. Schmierstoff-Additive in der Metallbearbeitung In der industriellen und gewerblichen Metallbearbeitung sind Schmierstoffe (Kühlschmierstoffe, Umformschmierstoffe, Minimalmengenschmierstoffe, Multifunktionsöle) in verschiedenen Bearbeitungsprozessen der Zerspanung und Umformung im Einsatz. Ihre Hauptaufgaben bestehen darin, die im Prozess entstehende Wärme schnell von dem Wirkort abzuführen, die Reibung im Prozess zwischen Werkstoff und Werkzeug zu reduzieren und die Späne zu transportieren [4] (VDI 3397 Blatt 1, 2007). Zu den weiteren Funktionen der Schmierstoffe gehört u.a. der Korrosionsschutz, das Emulgierverhalten, geringe Schaumneigung, eine gute Hautver- TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 42 wie der Sojabohne und findet daher in der Lebensmittelindustrie, als Nahrungsergänzungsmittel und in der Futtermittelindustrie Verwendung ([13] Gutiérrez-Salmeán, 2015). Neben den Polysacchariden, Proteinen und Fettsäuren produzieren Mikroalgen auch Pigmente, Vitamine, Antioxidantien etc. die für Anwendungen sowohl in der Biotechnologie, der Nahrungs- und Futtermittelindustrie als auch in technischen Branchen von Interesse sind. Proteinbasierte Pigmente wie die Phycobiliproteine kommen als blaue oder rote Farbstoffe in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. In der pharmazeutischen Industrie haben sie aufgrund ihrer anti-oxidativen und anti-inflammatorischen Wirkung an Bedeutung gewonnen ([14] Barka, 2016; [11] D’Alessandro, 2016). Das Marktvolumen für das Pigment Astaxanthin wurde bspw. für 2009 auf ca. 25 Mio. US$ geschätzt [15] (ALPAG, 2013). Chemisch gut charakterisiert und genutzt sind die sulfatierten Polysaccharide der Zellwand von makroskopischen Rot- und Braunalgen: Carrageen, Agar und Alginat. Diese werden seit Jahrzehnten kommerziell in Asien und Ostafrika gewonnen und genutzt [16] (Delattre, 2016). Die Kultivierung von Mikroalgen kann an Orten erfolgen, die nicht für die agrarökonomische Nutzung vorgesehen oder geeignet sind. Dies schließt Brachen und Konversionsflächen mit ein. Aufgrund ihrer hohen Produktivität beanspruchen Mikroalgen einen geringeren Flächenbedarf bei gleicher Ausbeute im Vergleich zu anderen Pflanzen. Der b e i l a n d g e b u n d e n e n Energiepflanzen zu diskutierende Tank-Teller- Konflikt kann bei der kommerziellen Nutzung von Mikroalgen also weitestgehend vernachlässigt werden [17] (Drucksache Deutscher Bundestag, 2019). Mikroalgen-basierte Strukturanaloga für Schmierstoffanwendungen Die Substitution konventioneller Schmierstoff-Additive durch ein regeneratives System von Bestandteilen aus Mikroalgen stellt das übergeordnete Ziel des Forschungsvorhabens ALBINA dar. Mikroalgen sind in der Lage, unterschiedlich strukturierte Stoffe aus den Gruppen der Polysaccharide, Proteine, Fettsäuren und Lipide zu synthetisieren, diese in ihren Zellen anzureichern und in ihre Umwelt abzugeben. Einige dieser Stoffe haben einen chemisch-strukturellen Aufbau ähnlich der konventionellen Additive. Diese Strukturen repräsentieren hier die Leitstrukturen für die Suche nach potenziell wirksamen Äquivalenten aus den Mikroalgen in dem Forschungsvorhaben ALBINA. Hierzu zählen insbesondere die schwefel- und phosphorhaltigen Bestandteile der gebräuchlichen Schmierstoff-Additive (z.B. CAS 68425-15-0, 68608-26-4, 68442-22-8, 72030-25-2). Die Protein- und Polysaccharidstrukturen der Mikroalgen verfügen zum Teil ebenfalls über natürlich eingebundene Schwefel-, Phosphor- und Sauerstoffatome. Sie stellen damit, aufgrund ihrer intramolekularen Ladungsverteilung, einen idealen Partner für die Wechselwirkungen mit der Metalloberfläche dar. Bild 2 zeigt beispielhaft die Struktur eines sulfatierten Polysaccharidmonomers aus der Extrazelluläre Polymere Substanz (EPS) der Mikroalge Porphyridium aerugineum [18] (Liberman, 2020). Diese Strukturanaloga sollen konventionelle Additive in tribologischen Anwendungen ersetzen und sie idealerweise in ihrer technischen Wirkung übertreffen. Aus Wissenschaft und Forschung 43 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0017 Bild 1: Mikroskopische Aufnahmen von zwei Mikroalgenstämmen. A = Porphyridium CCAP 1380_6; B = Rhodella_CCAP_1388_2. Quelle: Frau Prof. I. Lang, Hochschule Bremerhaven Bild 2: Beispiel eines sulfatierten Polysaccharidmonomers aus der Mikroalge Porphyridium aerugineum [18] (Liberman, 2020) TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 43 mit der Metalloberfläche. Die EPS stellt damit eine mögliche natürliche Ressource für Additivmoleküle dar. Eine Nutzung Mikroalgen-basierter Substanzen als Ersatz konventioneller Additive in technischen Anwendungen ist bisher nicht bekannt oder beschrieben. Aufgrund ihres chemisch strukturellen Aufbaus und ihrer Ladungsverteilung bietet jedoch ein Teil der von Mikroalgen synthetisierten Substanzen die Möglichkeit, als nachhaltig zu produzierende Strukturanaloga die aktuell verwendeten Additive in technischen Anwendungen zu ersetzen. Arad et al. konnten in ihren Untersuchungen zeigen, dass Heteropolymere sulfatierter Polysaccharide aus einer Rotalge sich sehr gut als Ersatz der Synovialflüssigkeit in Kniegelenken eignen. Hinsichtlich ihrer rheologischen und tribologischen Eigenschaften zeigten sie sich dem natürlich vorkommenden Hauptbestandteil Hyaluronsäure überlegen ([23] Arad, 2006; [24] Arad 2010). Forschungsvorhaben ALBINA Ein interdisziplinärer Zusammenschluss aus fünf Forschungsstellen untersucht in dem Forschungsvorhaben ALBINA das Potenzial, konventionelle Additive für Schmierstoffanwendungen durch Bestandteile aus Mikroalgen zu substituieren. Der interdisziplinäre Ansatz umfasst naturwissenschaftliche Institute (Algenbiotechnologie, Biotechnologie an der Hochschule Bremerha- Aus Wissenschaft und Forschung 44 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0017 Für Proteinstrukturen sind starke Wechselwirkungen mit der Metalloberfläche und positive Auswirkungen auf das Bearbeitungsergebnis in der Zerspanung beschrieben und dokumentiert. Die starken Wechselwirkungen zwischen dem Additiv und der Metalloberfläche werden auf molekularer Ebene mit den Wasserstoffbrückenbindungen und den Vander-Waals-Kräften zwischen Bereichen mit hoher Ladungsdichte im Additiv und dem Metall beschrieben ([19] Reihmann, 2018; [20] Gauntlett, 2019). Diese postulierte Wechselwirkung ist exemplarisch für einen Ausschnitt eines Porphyran Moleküls in Bild 3 dargestellt. Ein Teil der Molekülbereiche, die eine mögliche Wechselwirkung eingehen können, ist grau hervorgehoben. Die Art der Wechselwirkung sowie die daran beteiligten Partner hängen in der Realität stark von der Metalloberfläche und deren Legierungsbestandteilen, den Umgebungsbedingungen (z.B. um die Bindungsstellen konkurrierende Moleküle, Lösungsmittel in dem das Molekül vorliegt, Anwesenheit von Sauerstoff etc.) und den sterischen Verhältnissen ab. Aus diesem Grund erfolgt hier nur eine einfache schematische Darstellung. Eine relevante Ressource zur Nutzung als Basis für Schmierstoff-Additive stellt die Extrazelluläre Polymere Substanz (EPS) dar. EPS wird von einer Vielzahl von Mikroalgen produziert und in deren direkte Umgebung ausgeschieden. Mit der EPS verändern Mikroalgen ihre direkte Umgebung. Sie schaffen sich ein geschütztes Mikrohabitat und damit einen Lebensraum, der ihnen viele Vorteile bietet. Die EPS dient u.a. dem Schutz vor Austrocknung, starken Schwankungen chemischer Parameter (pH-Wert, Salinität, osmotischer Druck), sie bietet Schutz vor Strahlung und mechanischem Stress sowie vermutlich auch vor dem zellulären Befall durch Viren und Pilze und stellt eine Grundlage für Symbiosen mit Bakterien dar ([21] Cho, 2015; [22] Ramanan, 2015). Die EPS besteht aus verschiedenen komplexen Molekülen wie Saccharidmono- und -polymeren, deren Derivaten (bspw. funktionalisiert mit Sulfatgruppen), Aminosäuren, Proteinen und lipophilen Bestandteilen. Entsprechend enthält die EPS viele Moleküle mit einer hohen Ladungsdichte und großer Affinität für Interaktionen Bild 3: Schematische Darstellung der Wechselwirkung algenbasiertes Molekül - Metalloberfläche. Für die Wechselwirkung wichtige Strukturen im algenbasierten Molekül sind grau hervorgehoben. TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 44 ven; Allgemeine und theoretische Ökologie sowie Chemische Verfahrenstechnik an der Universität Bremen) und ingenieurswissenschaftliche Einrichtungen (Maschinenbau/ Verfahrens- und Umwelttechnik an der Hochschule Wismar; Fertigungstechnologie & Fertigungsmesstechnik, Hochschule Bremen). Begleitet und unterstützt wird das Vorhaben in einem Arbeitskreis von Partnern aus der Schmierstoffindustrie. In dem Arbeitskreis befinden sich Additiv- und Schmierstoffhersteller und ein Branchenverband. Die beschriebene komplexe Fragestellung erfordert diesen fachübergreifenden Ansatz, um in enger Kooperation die Synergien der Forschungsstellen zu nutzen. Das Forschungsvorhaben ALBINA gliedert sich in 6 wesentliche Schritte. I. Die Auswahl von Mikroalgen verfolgt das Ziel, geeignete Mikroalgen zu identifizieren, aus denen Strukturanaloga zu den bekannten, konventionellen Schmierstoff-Additiven gewonnen werden können. II. Der zweite Schritt hat die Kultivierung der Mikroalgen im Fokus. Über verschiedene Kultivierungsverfahren (Batch, Fed-Batch, kontinuierlich) und der Einstellung physiologischer Parameter (phototroph, photoorganotroph) werden spezifische Bedingungen ermittelt, um eine hohe Ausbeute an Algenmaterial zu realisieren. Nach der Etablierung optimaler Bedingungen erfolgt ein Scale-up vom Laborzum Technikumsmaßstab, um ausreichend große Mengen Biomasse zu produzieren. III. Der dritte Schritt hat die Extraktion der Strukturanaloga zum Ziel. Die Aufarbeitung der EPS legt den Fokus auf die Isolierung der Polysaccharid-Strukturen. Ein Aufschluss der Zellen mittels ausgewählter chemischer und physikalischer Verfahren mit anschließender Separierung der Zellinhaltsstoffe dient der Aufbereitung von Proteinen und Fettsäuren. IV. Anschließend erfolgt in dem vierten Schritt die chemische Identifikation der extrahierten Substanzen. Angefangen bei dem Lösungsverhalten, der Separation und Aufbereitung mittels LLE / SPE, über chromatographische Methoden (GC-MS, HPLC-MS/ MS) mittels unterschiedlicher Probenaufgabeverfahren (Thermodesorption, Headspace, Pulse-Injection) und ggfs. einer chemischen Derivatisierung, sollen für die einzelnen Substanzklassen standardisierte Analysemethoden am Ende der Untersuchungen zur Verfügung stehen. V. Die ökotoxikologische Prüfung der extrahierten Substanzen steht im Mittelpunkt des fünften Schrittes. Das Verhalten, der Verbleib und die Wirkung der neu entwickelten Additive wird in den Kompartimenten Wasser und Boden untersucht. Dabei steht sowohl die akute als auch die langfristige Wirkung auf die Zielorganismen im Fokus. Die mikrobielle Abbaubarkeit und die Persistenz der Stoffe gehören mit zu dem Untersuchungsumfang. Die Untersuchungen werden gemäß der OECD-Richtlinien durchgeführt und berücksichtigen die Kriterien für eine Bewertung nach REACh. VI. Die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit der neuen Additive wird im Labor- und Technikumsmaßstab in Prozessen der Umformung und Zerspanung bestimmt. In praxisnahen Untersuchungen werden die algenbasierten Schmierstoff-Additive, die sich in Laborversuchen als geeignet herauskristallisiert haben, in Technikumsversuchen zur Metallumformung (Streifenzugversuch, Ringstauchversuch, Gewindewalzen) auf ihre prozessrelevanten Eigenschaften geprüft. Die Leistungsbewertung in der spanabhebenden Metallbearbeitung erfolgt in einer Erweiterung des tribologischen Prüfverfahrens Tapping Torque Test. Dabei kommen die Prozesse Bohren ins Volle, Reiben, Fräsen und Gewindeschneiden unter Betrachtung der Prozesskräfte in X-, Y- und Z- Richtung, Momente M, der Torsion T im Labormaßstab mit geringen Schmierstoffvolumina zur Anwendung. Geeignete Additiv-Schmierstoff-Kombinationen werden danach im Technikum in Bohr-, Reib- und Fräsversuchen eingesetzt und ausgewertet. Zusammenfassung & Ausblick In dem interdisziplinären Ansatz des Forschungsvorhabens ALBINA wird eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und Praxisrelevanz geschlagen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung nachhaltiger und regenerativer Additive für Schmierstoffanwendungen auf Basis von Mikroalgen. Dabei wird primär eine verwertungsgeleitete Strategie der Technologieentwicklung verfolgt. Die Nutzung von Mikroalgen als regenerative und nachhaltige Rohstoffressource steht in kommerziellen Anwendungen noch am Anfang, hat aber in den letzten Jahren eine deutliche Ausbreitung in pharmazeutischen Anwendungen, der Lebensmittel- und Nahrungsergänzungsindustrie erfahren. Mikroalgen bieten die Möglichkeit auf Basis ihrer großen Bandbreite verschiedenster Inhaltsstoffe, als Rohstoffquelle auch für technische Produkte und Prozesse genutzt zu werden. Moleküle wie sulfatierte Polysaccharide, Proteine oder die Bestandteile, die phenolische Strukturen enthalten, sind geeignet, die bisher in Schmierstoffen verwendeten Additive zu ersetzen, die dort eine spezifische Funktion übernehmen. Sie können als Leistungsträger die technischen Eigenschaften von Schmierstoffen wie bspw. eine verbesserte Zerspan- oder Umformperformance, den Korrosionsschutz oder das Emulgierverhalten positiv beeinflussen. In dem Forschungsvorhaben ALBINA wird dies aktuell für die Anwendung Metallbearbeitung geprüft. Perspektivisch ist der Ersatz von tribologisch wirksamen Additiven in weiteren technischen Anwendungen wie Hydraulik-, Motoren- und Getriebeölen zu Aus Wissenschaft und Forschung 45 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 3/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0017 TuS_3_2020.qxp_TuS_3_2020 18.08.20 11: 24 Seite 45 [10] Bellou, S.; Triantaphyllidou, I.-E.; Aggeli, D.; Elazzazy, A.M.; Baeshen, N.M.; Aggelis, G.: Microbial oils as food additives: recent approaches for improving microbial oil production and its polyunsaturated fatty acid content. Current Opinion in Biotechnology, 37, S. 24-35, 2016. [11] D’Alessandro, E.B.; Antoniosi Filho, N.R.: Concepts and studies on lipid and pigments of microalgae: A review. Renewable and Sustainable Energy Reviews, 58, S. 832- 841, 2016. [12] Roux, J.M.; Lamotte, H.; Achard, J.-L.: An Overview of Microalgae Lipid Extraction in a Biorefinery Framework. Energy Procedia, 112, S. 680-688, 2017. [13] Gutiérrez-Salmeán, G.; Fabila-Castillo, F.; Chamorro- Cevallos, G.: Nutritional and toxicological aspects of Spirulina (Arthrospira). Nutr Hosp., 32 (1), S. 34-40, 2015. [14] Barka, A.; Blecker, C.: Microalgae as a potential source of single-cell proteins. A review. Biotechnology, Agronomy, Society and Environment, 20, S. 427-436, 2016. [15] ALPAG: Marktanalyse Mikroalgenproduktion. Hrgs.: Algen-Parks Aktiengesellschaft, Berlin, 2013. [16] Delattre, C.; Pierre, G.; Laroche, C.; Michaud, P.: Production, extraction and characterization of microalgal and cyanobacterial exopolysaccharides. Biotechnology Advances, 34, S. 1159-1179, 2016. [17] Drucksache Deutscher Bundestag: Das Potenzial algenbasierter Kraftstoffe für den LKW-Verkehr, Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung, Drucksache 19/ 13474, 2019. 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Danksagung Die Mitglieder des Forschungsvorhabens ALBINA danken der Fachagentur nachwachsende Rohstoffe (FNR) sowie dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das dieses Vorhaben durch einen Beschluss des deutschen Bundestages fördert. Literatur [1] Czichos, H., Habig, K.-H.: Tribologie-Handbuch, Springer Vieweg, Wiesbaden, 4. Auflage, 2015. [2] Ernst, H.: Fundamental Aspects of Metal Cutting and Cutting Fluid Action. Annals of the New York Academy of Sciences, Volume 53, S. 936-961, 1951. [3] Waide, P.; Brunner, C.U.: Energy-efficiency policy opportunities for electric motor-driven systems. OECD, International Energy Agency, Working Paper, 2011. [4] VDI 3397 Blatt 1, Beuth-Verlag GmbH, Berlin, 2007. [5] Möller, U.J.; Nasser, J.: Schmierstoffe im Betrieb. Springer Verlag Berlin Heidelberg 2. Auflage, 2002. [6] Torbacke, M.; Rudolphi, A. K.; Kassfeldt, E.: Lubricants Introduction to Properties and Performance, John Wiley & Sons Ltd., 2014. 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