eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 67/4

Tribologie und Schmierungstechnik
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2941-0908
expert verlag Tübingen
10.30419/TuS-2020-0021
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2020
674 Jungk

Tribologie von mit Ammoniak vorkonditionierten Gleitlacken

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2020
Stefan Göllner
Thorsten Stöberl
Stefan Hörenberg
Frank Mantwill
Um die giftigen Stickoxide aus dem Abgas zu neutralisieren hat sich Ammoniak (NH3) als Reduktionsmittel etabliert. In der vorliegenden Arbeit soll der Einfluss unterschiedlicher NH3-Konzentrationen auf die tribologischen Eigenschaften von PTFE-PAI-Gleitlacken untersucht werden. Hierfür werden die Proben im Exsikkator bei unterschiedlichen Temperaturen in Gegenwart einer Harnstoffwasserlösung ausgelagert. Durch eine beschleunigte Alterung der HWL (Harnstoff-Wasser-Lösung) bei erhöhten Temperaturen sind die Proben variablen NH3-Konzentrationen ausgesetzt. Zur Bestimmung des Reibungs- und Verschleißverhaltens erfolgen oszillierende Modellversuche mit dem Aufbau Zylinder Platte. Gleitlacke mit höherem PTFE-Gehalt zeigen eine geringere Sensitivität variabler NH3-Konzentrationen auf die Reibung. Ein geringerer PAI-Gehalt hat einen ausgeprägten Verschleißanstieg bei erhöhter Ammoniakbelastung zur Folge. Ab einer Auslagerungstemperatur von 80 °C konnten signifikante Veränderungen in der Morphologie der Gleitlackoberfläche festgestellt werden, welche zugrundeliegende Verschleißmechanismen und resultierende tribologische Bedingungen maßgeblich beeinflussen.
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Einleitung Die Reduzierung von gesetzlich erlaubten Emissionen steht seit vielen Jahren im Fokus der weltweiten Umweltpolitik und ist ein kontinuierlich stattfindender Prozess. Um den immer strenger werdenden Emissionsvorschriften gerecht zu werden, kommen in modernen Verbrennungsmotoren Abgasnachbehandlungssysteme zum Einsatz. Die selektive katalytische Reduktion (SCR) ermöglicht eine Reduktion von über 90 % der Stickoxidkonzentrationen (NO X ) im Abgas. Dabei wird eine ammoniakhaltige Lösung als Reduktionsmittel in den Abgasstrang eingespritzt [1]. Aufgrund der hervorragenden tribologischen Eigenschaften bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit gewinnt der Einsatz von Gleitlacken in der Abgasnachbehandlung zunehmend an Bedeutung. Sie sind in Anwendungsbereichen bei denen eine konventionelle Schmierung auf Basis von Öl oder Fett nicht möglich ist, alternativlos. Gleitlacke zeichnen sie sich durch maßge- Aus Wissenschaft und Forschung 19 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 Tribologie von mit Ammoniak vorkonditionierten Gleitlacken Stefan Göllner, Thorsten Stöberl, Stefan Hörenberg, Frank Mantwill* Um die giftigen Stickoxide aus dem Abgas zu neutralisieren hat sich Ammoniak (NH 3 ) als Reduktionsmittel etabliert. In der vorliegenden Arbeit soll der Einfluss unterschiedlicher NH 3 -Konzentrationen auf die tribologischen Eigenschaften von PTFE-PAI- Gleitlacken untersucht werden. Hierfür werden die Proben im Exsikkator bei unterschiedlichen Temperaturen in Gegenwart einer Harnstoffwasserlösung ausgelagert. Durch eine beschleunigte Alterung der HWL (Harnstoff-Wasser-Lösung) bei erhöhten Temperaturen sind die Proben variablen NH 3 -Konzentrationen ausgesetzt. Zur Bestimmung des Reibungs- und Verschleißverhaltens erfolgen oszillierende Modellversuche mit dem Aufbau Zylinder Platte. Gleitlacke mit höherem PTFE-Gehalt zeigen eine geringere Sensitivität variabler NH 3 -Konzentrationen auf die Reibung. Ein geringerer PAI-Gehalt hat einen ausgeprägten Verschleißanstieg bei erhöhter Ammoniakbelastung zur Folge. Ab einer Auslagerungstemperatur von 80 °C konnten signifikante Veränderungen in der Morphologie der Gleitlackoberfläche festgestellt werden, welche zugrundeliegende Verschleißmechanismen und resultierende tribologische Bedingungen maßgeblich beeinflussen. Schlüsselwörter Gleitlacke, Festschmierstoffe, Transferfilm, Abgasnachbehandlung, Ammoniakatmosphäre Tribology of bonded coatings preconditioned with ammonia In order to neutralize the toxic nitrogen oxides from the exhaust gas, ammonia (NH 3 ) has established itself as a reducing agent. In the present work, the influence of different NH 3 concentrations on the tribological properties of PTFE-PAI bonded coatings is to be investigated. For this purpose, the samples are stored in the desiccator at different temperatures in the presence of a urea water solution. Due to the accelerated aging of the HWL at elevated temperatures, the samples are exposed to variable NH 3 concentrations. To determine the friction and wear behavior, oscillating model tests are carried out with the cylinder plate assembly. Bonded coatings with a higher PTFE content show a lower sensitivity of variable NH 3 concentrations to the friction. A lower PAI content leads to a pronounced increase in wear with increased ammonia pollution. From an aging temperature of 80 ° C, significant changes in the morphology of the bonded coating surface could be determined, which significantly influence the underlying wear mechanisms and resulting tribological conditions. Keywords Bonded coatings, solid lubricants, transfer film, exhaust gas after-treatment, ammonia atmosphere Kurzfassung Abstract * M.Sc. Stefan Göllner Dr. Thorsten Stöberl Dipl. Ing. Stefan Hörenberg PS-ET/ ECS - Robert Bosch GmbH 70469 Stuttgart Univ.-Prof. Dr.-Ing. Frank Mantwill Helmut Schmidt Universität - Universität der Bundeswehr Institut für Maschinenelemente und rechnergestützte Produktentwicklung 22043 Hamburg Aus Wissenschaft und Forschung 20 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 schneiderte Eigenschaften bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit aus und werden bevorzugt für oszillierende Bewegungen im Mischreibungsgebiet eingesetzt. Durch das Einbetten von PTFE in eine Polyamidimid (PAI)- Matrix kann für Anwendungen mit vergleichsweise niedrigen Pressungen eine geringe Reibung bei gleichzeitig hoher Verschleißbeständigkeit erzielt werden [2]. In SCR-Systemen liegen Umgebungsbedingungen mit variabler Ammoniakkonzentration und Luftfeuchtigkeit vor. Daher ist der Einsatz von PAI-PTFE-Gleitlacken in Umgebungsbedingungen von SCR-Systemen mit einer Unsicherheit verbunden. Die Kombination aus PAI- PTFE Gleitlack, Geometrie und den SCR-System spezifischen Randbedingungen resultiert in ein noch nicht verstandenes tribologisches System. Zuverlässige Aussagen über die Wirkungsweise von Gleitlacken unter Ammoniakeinfluss zu treffen ist daher nach dem aktuellen Stand der Forschung schwer möglich. Das größte Defizit besteht in der mangelnden Kenntnis über die Abläufe der zu Grunde liegenden Reibungs- und Verschleißmechanismen. Mittels Modellversuchen soll das Reibungs- und Verschleißverhalten von Gleitlacken unter variabler Ammoniakkonzentrationen untersucht werden. Eine Analyse der vorkonditionierten Gleitlackoberflächen sowie der resultierenden Transferfilm- Ausbildungen auf mikroskopischer Ebene soll einen Beitrag zum Verständnis der zugrundeliegenden Verschleißmechanismen liefern. Zielsystem Das Zielsystem stellt die, von der Robert Bosch GmbH entwickelte, Rücksaugpumpe dar. Diese kommt in modernen SCR-Systemen zum Einsatz und entleert die Druckleitungen nach Abschaltung des Motors von Reduktionsmittel. Dadurch wird eine Beschädigung der Leitungen sowie des Dosiermoduls durch den Eisdruck bei tiefen Außentemperaturen verhindert. Bild 1 links zeigt den Querschnitt des Zielsystems unter Anwendung des, von A LBERS und M ATTHIESEN entwikkelten, C&C 2 -Ansatzes. Die Systemgrenze wurde so gewählt, dass die funktionsrelevanten Elemente Magnetanker und Innenpolkern enthalten sind. Einen Auszug der Gestaltfunktionselemente (GFE) der Rücksaugpumpe zeigt Tabelle 1. Die Hubbewegung der Membranpumpe erfolgt elektromagnetisch. Der Magnetanker ist über einen Stößel fest mit der Membran verbunden. Im Bild 1: Querschnitt der Rücksaugpumpe unter Anwendung des C&C 2 Ansatzes GFE Beschreiung GFE Beschreibung C 1 Axialkraft Magnet WFP 2 Feldlinien-Anker C 2 Querkraft Magnet WFP 3 Feldlinien-Anker C 3 Axialkraft Feder WFP 4 Feder-Anker C 4 Querkraft Feder WFP 5 Feder-Anker C 5 Querkraft Membran WFP 6 Stößel-Anker C I Innenpolkern WFP GL-GNC Gleitlack-GNC C A Magnetanker LSS 1 Axialkraftverlauf WFP 1 Innenpolkern-Anker LSS 2 Querkraftverlauf Tabelle 1: Übersicht der Gestaltfunktionselemente GFE für die Rücksaugpumpe GFE Beschreibung WFP 2 Feldlinien-Anker WFP 3 Feldlinien-Anker WFP 4 Feder-Anker WFP 5 Feder-Anker WFP 6 Stößel-Anker WFP GL-GNC Gleitlack-GNC LSS 1 Axialkraftverlauf LSS 2 Querkraftverlauf Beschreibung DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 unbestromten Zustand befindet sich der Anker in der Hubanfangslage. Dabei werden eine axiale Federkraft am Connector C 3 und eine radiale Federkraft am Connector C 4 auf den Anker übertragen. Über die Bestromung der Spule wird ein Magnetfeld induziert bis die, am Connector C 1 axial angreifende, Magnetkraft die Federkraft übersteigt. Es erfolgt eine translatorische Bewegung des Ankers bis zur Hubendlage. Gleichzeitig übt das Magnetfeld am Connector C 2 eine Querkraft auf den Magnetanker aus. Wird die Bestromung der Spule durch die zeitgesteuerte Schaltung unterbrochen, baut sich das Magnetfeld wieder ab. Über die Feder erfolgt die Rückstellbewegung des Ankers in die Hubausgangsposition und der Stromkreis schließt sich erneut. Dadurch kommt es zu einer Oszillationsbewegung des Magnetankers im Innenpolkern und folglich zum Schwingungsverschleiß am Wirkflächenpaar WFP 1 [3; 4]. Der fraktale Charakter des C&C 2 -Ansatztes ermöglicht eine makroskopische Betrachtung des WFP1 (Bild 1 rechts) [3]. Sowohl der Magnetanker als auch der Innenpolkern werden aus 11SMn30 gefertigt und mittels Gasnitrocarburieren (GNC) nachbehandelt. Durch die Anreicherung der Randschicht mit Stickstoff und Kohlenstoff wird eine bessere Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit erzielt. Zur Erhöhung der Beanspruchbarkeit wird auf die Mantelfläche des Magnetankers inklusive Übergangsradius eine Gleitlackschicht appliziert. Der tribologische Kontakt am WFP GL-GNC zwischen der GNC-Schicht des Innenpolkerns und der Gleitlackschicht des Magnetankers ist Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Durch die Membran wird eine Abtrennung des Hubmagnetsystems vom Fördermedium erzielt. Folglich kommt es am WFP GL-GNC zu keiner Medienschmierung. Dennoch muss der Einfluss von Ammoniak auf das tribologische System bewertet werden, da es im Betrieb zur Diffusion durch die Membran kommen kann. Versuchsaufbau und -Durchführung Alle Versuche wurden an einem modularen Reibungsu. Verschleißprüfstand durchgeführt. Zur Halterung der Modellkörper wurde die, in Bild 2 dargestellte, Vorrichtung aus dem Werkstoff X5CrNi18-10 konstruiert. Um eine möglichst gute Übertragbarkeit zum Zielsystem zu erlangen wurde der Aufbau Zylinder-Platte gewählt. Dabei repräsentiert der Zylinder den Magnetanker des Zielsystems bzw. die Platte den Innenpolkern. Während der Versuche oszilliert der Zylinder mit einem Hub Δx von Aus Wissenschaft und Forschung 21 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 Armature Counterpart Bild 2: Prüfaufbau am RVM Reibungsu. Verschleißprüfstand modular Grundmaterial Versuchskörper 11SMn30 Schichtdicke Gleitlack 20±5 μm Hub Δx 0,8 mm Frequenz f 10 Hz Normalkraft 30 N (28 MPa) Versuchsdauer 3,10 h Anzahl Zyklen 100.000 Umgebungstemperatur Raumtemperatur: 20°C bis 23°C Tabelle 2: Übersicht der Versuchsparameter 11SMn30 20±5 μm 0,8 mm 10 Hz 30 N (28 MPa) 3,10 h 100.000 Raumtemperatur: 20°C bis 23°C Konzentration, der die Probenkörper durch die Alterung der HWL ausgesetzt sind. Wirkungsweise Gleitlack Für ein besseres Verständnis der nachfolgenden Ergebnisse zur Untersuchung des Ammoniakeinflusses auf das Reibungs- und Verschleißverhalten wird zunächst die grundlegende Wirkungsweise von Gleitlacken vermittelt. Die Wirkungsweise eines Gleitlackes lässt sich in vier aufeinanderfolgende, charakteristische Phasen unterteilen. Bild 3 zeigt 3D-Oberflächen sowie REM-Aufnahmen des Gegenkörpers für die jeweiligen Phasen. Hierfür wurden Modellversuche nach unterschiedlichen Laufzeiten abgebrochen und anschließend das Oberflächenprofil des Gegenkörpers am konfokalen Laserscanning-Mikroskop aufgenommen. Die Einlaufphase zeichnet sich durch eine erhöhte Reibung sowie eine hohe Verschleißrate W aus. Partikel werden aus dem Gleitlack abgetragen und auf die Oberfläche des Gegenkörpers transferiert. Gleichzeitig erfolgt auf dem Oberflächenprofil der Platte eine Einglättung der Rauheitsspitzen zu Plateaus. In der steady state Phase hat sich bereits ein stabiler Transferfilm auf der Oberfläche des Gegenkörpers ausgebildet. Dies resultiert in einen Abfall des Reibsignals auf ein konstantes Niveau. In dieser Phase weißt der Gleitlack eine konstante, vergleichsweise niedrige Verschleißrate auf. Dabei wird der Transferfilm am Gegenkörper kontinuierlich aufrechterhalten. Mit zunehmendem Gleitweg nimmt die Schichtdicke des Lackes fortlaufend ab, bis einzelne Rauheitsspitzen des Grundmaterials freiliegen. Dadurch wird die Nachbildung des Transferfilms erschwert, sodass dieser nach kürzester Zeit lokal abbricht. Aus Wissenschaft und Forschung 22 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 0,8 mm auf der fest verspannten Platte mit einer Oberflächenrauheit von R z = 2 µm. Während der Versuchsdauer von 100.000 Zyklen wird eine Normalkraft von 30 N pneumatisch von der Unterseite aufgebracht. Die Frequenz beträgt 10 Hz. Eine zusammenfassende Übersicht der genauen Versuchsbedingungen ist Tabelle 2 zu entnehmen. Vorkonditionierung der Proben Getestet werden zwei Polytetrafluorethylen-Polyamidimid (PTFE-PAI) Gleitlacke die sich in ihrer Zusammensetzung aus Schmierstoff und PAI-Matrix unterscheiden. Bei PTFE - oder umgangssprachlich auch als Teflon bekannt - handelt es sich um ein linear aufgebautes, teilkristallines, thermoplastisches Polymer aus Fluor und Kohlenstoff. Es zeichnet sich durch hervorragende schmierwirksame Eigenschaften mit einem Reibkoeffizienten von bis zu μ < 0,01 aus [5]. Gleichzeitig kann eine hohe Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit nachgewiesen werden. Die schwachen Bindungen und der niedrige E-Modul sorgen jedoch auch für eine geringe Verschleißbeständigkeit. Durch Einbettung der PTFE-Partikel in eine abriebfeste PAI-Matrix kann eine geringe Reibung bei gleichzeitig hoher Verschleißbeständigkeit erzielt werden [6; 7]. Anders als PTFE besitzen Polyamide keine chemische Beständigkeit gegenüber basischen Lösungen [8; 9]. Gleitlack 1 weist einen Massenanteil an PTFE w PTFE von X % bzw. Gleitlack 2 von X-9 % auf. Sowohl die gleitlackbeschichteten Zylinder als auch die Gegenkörper wurden jeweils in einem Exsikkator in Gegenwart von AdBlue (Harnstoff-Wasser-Lösung HWL) bei einer Temperatur von 20 °C, 40 °C, 60 °C und 80 °C für 500 h ausgelagert [1]. Je höher die, im Exsikkator vorliegende Temperatur ist, desto höher ist die resultierende NH 3 - Fresser Kurz vor Fresser 1. Einlauf (Transferfilm wird aufgebaut) 3. Kurz vor Ausfall (Transferfilm bricht partiell ab) 4. Ausfall (Verschleiß auf Gegenkörper) Oxid-Rotrost 2. Steady state (Stabiler Transferfilm) Bild 3: 3D-Oberflächenprofil des Gegenkörpers für die vier Phasen eines Gleitlackes Die letzte Phase beschreibt den Ausfall des Lacksystems mit einer Änderung des tribologischen Systems zum Kontakt Stahl auf Stahl. Dies resultiert in einen starken Anstieg des Reibsignals. In dieser Phase beginnt der Verschleiß am Gegenkörper und es kommt zur Oxidation der Oberfläche unter Bildung von Rotrost [10; 11]. Ergebnisse Ammoniakeinfluss Eine Auswertung der resultierenden Reibzahlen µ sowie der Verschleißtiefe WI am Gleitlack für variable NH 3 - Konzentrationen ist in Bild 4 dargestellt. Daraus geht für Gleitlack 1 eine geringe Sensitivität der Reibung gegenüber einer variablen Ammoniakkonzentration hervor (Bild 4 links). Dieses Verhalten lässt sich durch den höheren PTFE-Gehalt im Gleitlack 1 erklären. Gleitlack 2 weist ohne Auslagerung eine mittlere Reibzahl von 0,097 auf. Bereits eine Auslagerung bei 20 °C zeigt einen deutlichen Reibungsanstieg um einen Betrag von ca. 0,04. Durch Auslagerung bei 80 °C wird die Reibung gegenüber dem ammoniakfreien Zustand sogar um einen Betrag von 0,12 erhöht. Durch den deutlich geringeren Füllstoffanteil im Gleitlack 2 kann der NH 3 -Einfluss auf die Reibung weniger gut ausgeglichen werden. Ein gegenteiliges Verhalten zeigt die Verschleißauswertung in Bild 4 rechts. Demnach erhöht sich der Verschleiß mit steigender NH 3 -Konzentation für Gleitlack 2 bis zu einer Auslagerungstemperatur von 60 °C nur sehr gering. Gleitlack 1 dagegen zeigt einen deutlich stärkeren Einfluss der Ammoniakkonzentration auf die Verschleißtiefe. Eine Auslagerung bei 60 °C führt hier gegenüber dem auslagerungsfreien Zustand zu einer Erhöhung der Verschleißtiefe um 11 µm. Durch den größeren Anteil an verschleißbeständigem PAI in Gleitlack 2 kann der Einfluss durch die chemische Beanspruchung deutlich besser ausgeglichen werden. Gleitlack 1 reagiert durch seinen geringeren PAI-Anteil hinsichtlich Verschleiß deutlich sensitiver auf die NH 3 -Belastung. Besonders interessant ist die stark signifikante, gegenteilige Veränderung des Verschleißverhaltens beider Gleitlacke von 60 °C auf 80 °C Auslagerungstemperatur. Bei Lack 1 kommt es zu einer Reduzierung der Verschleißtiefe um 11,8 µm, während sich der Verschleiß für den Gleitlack 2 um 15,5 µm erhöht. Um dieses Verhalten besser verstehen zu können wurden die zugrundeliegenden Verschleißmechanismen näher untersucht. Im weiteren Verlauf folgt eine Analyse der resultierenden Transferfilme auf dem Gegenkörper sowie der Gleitlackbeschichtung nach der Auslagerung. Die 3D-Aufnahmen der Transferfilmausbildung auf dem Gegenkörper für die beiden untersuchten Lacksysteme bei variierender NH 3 -Konzentrationen sind Tabelle 3 zu entnehmen. Daraus geht für Gleitlack 1 eine Destabilisierung des Transferfilmes mit zunehmender Auslagerungstemperatur bis 60 °C hervor. Dies deckt sich mit der gemessenen Verschleißzunahme von Gleitlack 1 bis zu einer Temperatur von 60 °C. Für den Gleitlack 2 ist die Destabilisierung des Transferfilmes für zunehmende Ammoniakkonzentrationen bis zur Auslagerung bei 60 °C deutlich weniger stark ausgeprägt. Dies resultiert in einen, gegenüber Gleitlack 2, unmittelbar geringeren Verschleißanstieg. Eine Auslagerung bei 80 °C resultiert für Gleitlack 1 in einen flächendeckenden, stabilen Transferfilm. Dadurch kann die Verschleißtiefe gegenüber der Auslagerung bei 60 °C von 14,8 µm auf 3,0 µm reduziert werden. Der resultierende Transferfilm für die Auslagerung von Lack 2 bei 80 °C lässt auf eine Abnahme der Adhäsionsfähigkeit der übertragenen Partikel schließen. Dadurch reißt der Schutzfilm auf dem Gegenkörper in der Mitte ab und die Plattenoberfläche liegt Aus Wissenschaft und Forschung 23 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 3,8 3,1 9,3 14,8 3,0 1,0 1,5 1,9 2,4 17,9 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 20°C o.A. 20°C 40°C 60°C 80°C Verschleißtiefe W l [μm] Auslagerungstemperatur/ NH 3 -Konzentration Einfluss NH 3 - Verschleiß Lack 1 Lack 2 Schichtdicke 20 μm 0,095 0,087 0,097 0,113 0,093 0,097 0,136 0,132 0,150 0,214 0,00 0,05 0,10 0,15 0,20 0,25 20°C o.A. 20°C 40°C 60°C 80°C Reibzahl μ [-] Auslagerungstemperatur/ NH 3 -Konzentration Einfluss NH 3 - Reibzahl Lack1 Lack 2 n = 3 n = 3 Bild 4: Reibung und Verschleiß unter NH 3 -Einfluss ratur von 60 °C auf 80 °C hervor. Gleichzeitig erhöht sich die Rautiefe um etwa 4 µm. Diese Oberflächenmorphologie führt in der Einlaufphase zu einem Übertrag von sehr feinen Partikeln im µm-Bereich. In Tabelle 3 rechts ist eine Aufnahme der transferierten Partikel am Rasterelektronenmikroskop REM zu sehen. Die kleinen Partikel bilden ideale Voraussetzungen für eine Verankerung in die Täler des Gegenkörper-Oberflächenprofils wodurch sich ein flächendeckender, gut haftender Schutzfilm ausbilden kann. Gleitlack 2 weist bei Auslagerungstemperaturen von 20 °C bis 60 °C eine Oberflächentopographie mit geringer Rauheit von ca. 0,5 µm auf. Durch Erhöhung der Auslagerungstemperatur auf 80 °C stellt sich eine „kraterförmige“ Oberflächenstruktur mit einer um den Faktor 20 höheren Rauheit bis über 10 µm ein. Der Längsschliff von Gleitlack 2 nach Auslagerung bei 80 °C in Gegenwart von HWL ist in Bild 5 rechts unten zu sehen. Bedingt durch die Oberflächen- Aus Wissenschaft und Forschung 24 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 DOI 10.30419/ TuS-2020-0021 frei. Dies resultiert in einen stark ausgeprägten Verschleißanstieg. Die nachfolgende Betrachtung der ausgelagerten Gleitlackoberflächen liefert Erklärungsansätze zur gegenläufigen Wirkungsweise der beiden Lacksysteme mit einer signifikanten Änderung der Transferfilmausbildung sowie des resultierenden Verschleißverhaltens bei Erhöhung der Auslagerungstemperatur von 60 °C auf 80 °C. Die gemessenen Rautiefen R z der Gleitlackoberflächen nach Auslagerung im Exsikkator für 500 h in Gegenwart einer HWL bei den jeweils vorgelegenen Temperaturen sind Tabelle 3 zu entnehmen. Aufnahmen der Gleitlack- Oberflächenstrukturen sowie Längsschliffe nach Auslagerung unter NH3-Atmosphäre sind in Bild 5 dargestellt. Daraus geht für Gleitlack 1 eine Verfeinerung der Oberflächenstruktur bei Erhöhung der Auslagerungstempe- Lacksystem Auslagerung Rz Lackoberfläche [μm] Transferfilm-Platte Lack 1 Keine 2,0+/ -0,2 20°C 1,8+/ -0,2 40°C 1,6+/ -0,2 60°C 1,5+/ -0,2 80°C 5,7+/ -0,2 Lack 2 Keine 0,54+/ -0,1 20°C 0,48+/ -0,1 40°C 0,44+/ -0,1 60°C 0,58+/ -0,1 80°C 10,1+/ -0,2 -1,1 1,8 μm W l W l Platte Zylinder Transferfilm 10 μm 10 μm -1,1 2,1 μm Tabelle 3: Oberflächenrauheiten des Lackes und resultierende Transferfilme auf dem Gegenkörper in Abhängigkeit des jeweiligen Auslagerungszustandes 20°C - 60°C 80°C A A B B 24,4 μm 14,7 μm 20 μm 16,9 μm A-A B-B Lack 1 L ack 2 Bild 5: Oberflächenstruktur und Längsschliff der ausgelagerten Gleitlackbeschichtungen morphologie werden im Einlauf größere „Brocken“ herausgerissen und auf den Gegenkörper übertragen. Diese können sich, verglichen mit dem Transferfilm von Gleitlack 1, deutlich schlechter in das Oberflächenprofil des Gegenkörpers verankern. Wie die REM-Aufnahme in Tabelle 3 rechts zeigt, bilden sich infolge der Relativbewegung „plattenartige“ Partikel mit einer Dimension > 100 µm auf dem Gegenkörper aus. Aufgrund der geringen Adhäsionsneigung kommt es während der Oszillationsbewegung zu Brüchen. Folglich werden die Partikel zum Randbereich der Verschleißspur getragen, wodurch der Transferfilm in der Mitte abbricht. Dies resultiert in einen deutlichen Verschleißanstieg. Eine Analyse der Elementverteilung für beide Gleitlacke in Abhängigkeit der Auslagerungstemperatur ist in Bild 6 dargestellt. Der erhöhte Fluor-Anteil von Gleitlack 1 gegenüber Gleitlack 2 ist auf den höheren PTFE- Füllstoffgehalt zurückzuführen. Der Fluor-Anteil bleibt im Gleitlack 1 bei variabler NH 3 -Belastung annähernd konstant. Im Gleitlack 2 kommt es bei einer Auslagerungstemperatur von 80 °C zu einer Abnahme des Fluor-Gehaltes. Dies lässt auf einen Abbau des PTFE- Anteils bei erhöhter Ammoniakbelastung schließen. Beide Lacke zeigen eine Abnahme des Stickstoffgehaltes ab einer Auslagerungstemperatur von 80 °C. Dies könnte auf einen Abbau von PAI zurückzuführen sein. Besonders auffällig ist die Erhöhung des Sauerstoffgehaltes ab 80 °C Auslagerungstemperatur. Dies lässt auf eine Oxidation der Gleitlackoberfläche bei erhöhter NH 3 -Konzentration schließen. Ausblick Im weiteren Verlauf der Forschungsarbeiten werden die Grenzbereiche von PAI-PTFE Gleitlacken ermittelt. Auf Basis des Wöhler-Konzeptes werden die pv-Werte abhängig von den Einflussfaktoren Temperatur, Oberflächengüte des Gegenkörpers und der Gleitgeschwindigkeit über die resultierende Zyklenzahl aufgetragen und in die drei Bereiche Kurzzeitfestigkeit, Zeitfestigkeit und Dauerfestigkeit unterteilt. Dies ist notwendig um zukünftige Anwendungen auf Basis von Gleitlackbeschichtungen dauerfest auslegen zu können. Literatur [1] K. Reif. Dieselmotor-Management im Überblick: Einschließlich Abgastechnik. Springer Fachmedien Wiesbaden, 2014. 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