eBooks

Das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika

0403
2023
978-3-8385-5704-5
978-3-8252-5704-0
UTB 
Klaus Kamps
10.36198/9783838557045

Wer die USA verstehen möchte, muss ihr Mediensystem verstehen. Klaus Kamps stellt es verständlich und konsistent vor: Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss geht er auf die Kommunikationsfreiheiten, das Medienrecht und die -regulierung des Landes ein. Die Ökonomie und die Struktur der amerikanischen Medienlandschaft lässt er dabei nicht außer Acht. Auch die Nutzung und die Wahrnehmung der Medien skizziert er. Trends und Konflikte stellt er abschließend vor - auch im Kontext von Sozialen Medien und Onlineplattformen. Zahlreiche Beispiele illustrieren den Stoff. Ein wertvolles Lehrbuch für Studierende der Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaft sowie des Journalismus und der Amerikanistik.

<?page no="0"?> Klaus Kamps Das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika <?page no="1"?> utb 5704 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 23.03.2022 10: 23: 51 23.03.2022 10: 23: 51 <?page no="2"?> Dr. Klaus Kamps ist Professor für Kommunikationswis‐ senschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind: Politische Kommunikation, Medienpolitik, Öffentlichkeit, infor‐ melle Kommunikation sowie derzeit insbesondere politi‐ sche Kommunikation in den USA. <?page no="3"?> Klaus Kamps Das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838557045 © UVK Verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5704 ISBN 978-3-8252-5704-0 (Print) ISBN 978-3-8385-5704-5 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5704-0 (ePub) Umschlagabbildung: © uschools · istock Autorenfoto: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> für David, Nikolas und Tanja <?page no="6"?> Amerika, du hast es besser Als unser Kontinent, das alte, Hast keine verfallene Schlösser Und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern Zu lebendiger Zeit Unnützes Erinnern Und vergeblicher Streit. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) 6 <?page no="7"?> 1 11 2 25 2.1 25 2.2 34 2.3 41 2.4 47 2.5 51 2.6 57 2.7 65 2.8 73 3 83 3.1 83 3.2 88 3.3 95 3.3.1 97 3.3.2 99 3.3.3 101 3.3.4 103 3.3.5 105 3.3.6 107 3.3.7 108 3.3.8 110 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte . . . . . . . . . . . . Die Presse der Kolonien und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . Die Presse der jungen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Penny Press, Nachrichten als Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgerkrieg, Massenpresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Presse und Journalismus in der Progressive Era . . . . . . . . . . Das Radio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Netz und Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung . . Grundlegendes: Medienpolitik und Medienregulierung . . . Der erste Verfassungszusatz: Freiheit der Rede, Freiheit der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallbeispiele First Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schenck v. United States: Anerkennung der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abrams vs. United States: Vom freien Handel der Ideen . . . West Virginia State Board of Education v. Barnett: Von der Freiheit, die Flagge nicht zu grüßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . New York Times v. Sullivan: Fehler oder Absicht? . . . . . . . . Red Lion Broadcasting Co. v. FCC: Rundfunk als Gemeingut Die Pentagon Papers: Schutz eines investigativen Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Branzburg v. Hayes: Schwacher Informantenschutz . . . . . . Texas v. Johnson: Der Symbolgehalt brennender Flaggen . . <?page no="8"?> 3.3.9 112 3.3.10 114 3.4 116 3.5 128 3.6 133 3.7 141 3.8 146 3.8.1 147 3.8.2 154 3.8.3 159 3.9 163 3.9.1 164 3.9.2 168 3.9.3 172 4 177 4.1 179 4.2 193 4.3 197 4.4 208 4.5 221 5 233 5.1 233 5.2 236 5.3 245 6 255 6.1 255 6.2 270 6.3 278 Citizen United v. Federal Election Commission: Haben Unternehmen Meinungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sarah Palin v. New York Times: Altes Recht in Neuen Medien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Presserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsfreiheiten: Der Freedom of Information Act . . Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fairness-Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung des Fernsehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung des Fernsehens: Medienbesitz, Medienkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulierung von Inhalten: Lokal, divers und anständig . . . Regulierung im öffentlichen Interesse: Public Television . . Regulierung des Internets? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Telecommunications Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Section 230 und Netzplattformen: Telekommunikationsdienste oder Informationsanbieter? . Netzneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft . Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends . . . . . . . . . Nachrichtenagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends . . . . . . . . . . . . . Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends . . Das Internet in der Medienlandschaft der USA . . . . . . . . . . Mediennutzung, Medienwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitende Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media . . . . . . Entwicklungslinien, Trends und Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von „liberalen Medien“ zu Ideology News . . . . . . . . . . . . . . . Nachrichten, Medienökologien und Desinformation . . . . . Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 7 289 309 335 343 345 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="11"?> 1 Vgl. z. B. https: / / www.spiegel.de/ netzwelt/ web/ facebook-mark-zuckerberg-liefert-vor -us-kongress-eine-grosse-show-a-1202265.html 1 Einleitung Das Spektakel hätte kaum größer sein können, als sich Mark Zuckerberg Mitte April 2018 im amerikanischen Kongress den Fragen der Repräsen‐ tanten und Senatoren stellte - und den Kameras dutzender Fotografen und Fernsehteams, die im Breaking News-Format live berichteten: Erstmals hatte der Gründer von Facebook nicht lediglich seine Anwälte geschickt, sondern war persönlich auf dem Capitol Hill erschienen. Immerhin stand im Raum, er und sein Konzern hätten während der Präsidentschaftswahl 2016 viel zu wenig unternommen gegen Fake News, Desinformation, Hetze oder Manipulation und dann noch dem Missbrauch von Nutzerdaten und einem Hypertargeting durch die Datenfirma Cambridge Analytica Tür und Tor geöffnet. Und während auf der Empore des Senats eine Handvoll empörter Demonstranten mit Perücke und Flagge als russische Trolle 1 verkleidet kameragerecht gegen Zuckerberg und Facebook protestierten, gab sich der CEO gelassen und gelobte Besserung. Schließlich galt es, den Hands-off-Approach der amerikanischen Medienpolitik zu bewahren. Es blieb tatsächlich dabei: Der Kongress konnte sich nicht dazu durchringen, diese „Hände-weg“-Formel zu ändern - also das Prinzip, nach dem Social- Media-Plattformen weitgehend von der Verantwortung befreit sind für die Inhalte, die andere dort verbreiten. (Dazu später mehr, denn diese Frage sollte bald erneut Thema in Washington werden.) Knapp 100 Meilen südlich, nicht ganz zweieinhalb Jahrhunderte zuvor und wenige Wochen bis zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung unterzeichneten in Williamsburg die Gesandten der Virginia Convention am 12. Juni 1776 ein historisches Dokument, die Virginia Declaration of Rights. Etwas versteckt als zwölfter der 16 Artikel findet sich darin erstmals schriftlich fixiert und als Menschenrecht ausgerufen: die Pressefreiheit. „That the freedom of the press is one of the greatest bulwarks of liberty and can never be restrained but by despotic governments.“ Zeitgemäß übrigens dieser Verweis auf Despoten, denn in den Augen der amerikanischen Siedler hatte sich der britische König als leidlich vorzeigbarer Tyrann erwiesen. Im Zuge der Verfassungsgebung der jungen Demokratie sollte später die <?page no="12"?> Freiheit der Presse (und der Rede) noch prominenter in der Bill of Rights von 1791 festgehalten werden, im First Amendment, dem ersten Verfassungszu‐ satz: mit viel (nicht nur in der „neuen Welt“ spürbaren) Einfluss auf die Konstitution moderner Gesellschaften. „Congress shall make no law […] abridging the freedom of speech, or of the press […].“ Zwei Welten, mag man sagen: Hier der Gründer einer von Daten lebenden Medienplattform mit globaler Reichweite, der dem Kongress Rede und Antwort zu stehen scheint - während die Politik auslotet, inwieweit das Geschäftsmodell des Silicon Valley noch vereinbar sei mit Grundsätzen der amerikanischen Demokratie. Dort eine vordergründig nur philosophische Idee, die mit revolutionärem Schwung übersetzt wird als Kommunikations‐ freiheit mit handfester Funktion: Fundament einer neuen Gesellschaft, einer - emphatisch gesprochen - gerechteren und freieren Gemeinschaft zu sein, in der Figuren wie George III. und seine Gouverneure kritisiert werden können, ohne dass Redner, Redakteure, Drucker und Verleger sofort drangsaliert würden. Sehr verschieden, sicher; doch verknüpfen sich mit beiden Beispielen über die Zeit hinweg Fragen, die uns hier zum „Mediensystem der Vereinigten Staaten“ begleiten werden: zu den Regeln der Beziehung von Staat, Politik, Gesellschaft und Medien und deren für liberale Demokratien so wichtigen vermittelnden Rolle, zur Transparenz und der Legitimation von Macht durch öffentliche Information und gegebenenfalls Streit in der Sache. Konkret betrifft das Überlegungen etwa darüber, ob (und wie) der Staat überhaupt Einfluss nehmen darf auf Medienorganisationen, auf Journalismus oder Programme, auf Onlinekommunikation - und nicht etwa Eigentumsrechte verletze, die Wirtschaft unnötig einschränke oder freie Meinungsbildung gefährde, wenn er sich einmischt und womöglich so etwas wie Konzessionen vorsieht. Damit ist ein wichtiges Spannungselement bereits angedeutet: Einerseits die Idee einer die Demokratie stützenden Aufgabe der Medien - Macht zu kontrollieren und die informierte Meinungsbildung der Gesell‐ schaft zu ermöglichen -, während sie andererseits als meist ökonomische Unternehmen Märkte bedienen und ein Publikum erreichen müssen. Zwei Ziele, die sich nicht immer miteinander vereinbaren lassen. Die Ausrufung der Pressefreiheit und ihre Verankerung im First Amend‐ ment setzte ein politisches Signal. Die Framers (neben Founders die übliche Bezeichnung für die Gründer der USA) hatten sich an den Philosophen der Aufklärung orientiert und ein Ideal vor Augen. Sie waren zugleich aus sehr praktischen Gründen an einer formellen Festlegung interessiert; Freiheit 12 1 Einleitung <?page no="13"?> als Ziel und Mittel: Der Pursuit of Happiness (das Streben nach Glück), das wohl bekannteste Versprechen der Unabhängigkeitserklärung, könne sich nur durch eine von staatlichen Zwängen und Einmischungen weitgehend befreiten Gesellschaft entfalten. Dabei dachte man in erster Linie an freien Handel, an Rechtssicherheit und Selbstbestimmung, an Repräsentation und Selbstverwaltung: Und genau dazu bräuchte es die freie Presse und Rede, um Korruption, Willkür, Standesdünkel und anderen Unsinn zu unterbinden. Nun - soweit wir wissen, waren die Kolonien durchaus „belesen“, mehr sogar als die europäischen Gesellschaften zu jener Zeit. Und doch mutet ein Auftrag an die noch übersichtliche Presse, als „vierte Gewalt“ der Republik zu dienen, reichlich enthusiastisch an. Zumindest sind aus heutiger Sicht die Größenordnungen - die junge Nation und ihre Printmedien - doch eher bescheiden. Auch das ist natürlich ein wesentlicher Unterschied: die enorme Reichweite von Netz-Unternehmen, weit über lokale Gemeinwesen, über Regionen oder Länder hinaus. Primär natürlich markiert das Eingangs‐ beispiel einen technologischen Wandel; Facebook steht stellvertretend für das Internet, Social Media und Innovationen mit enormen ökonomischen, sozialen und politischen Folgen, die mit ihren Anwendungen und Öffent‐ lichkeitsformen einher gehen und tradierte Institutionen wie z. B. den Jour‐ nalismus oder die nationalstaatlich orientierte Medienpolitik vor erhebliche Herausforderungen stellt. Damit ist die Spanne dieses Buches angedeutet: Es geht - für die Ver‐ einigten Staaten - um normative, ideelle Vorstellung vom Sinn und den Funktionen verschiedener Medien, um wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Regeln und die politische Auseinandersetzung darum, um technologische Trends und ihre Auswirkungen auf einzelne Sparten der Medienwirtschaft. Etwas detaillierter betrifft das auch Werbe- und Publikumsmärkte, die Fi‐ nanzierung von Medienunternehmen, Besitzverhältnisse, kartellrechtliche Überlegungen, die Einbettung von Journalismus, den Wandel von Organisa‐ tionsformen, es betrifft Medien-Leistungen, Informationsfreiheitsrechte und natürlich solche Fragen mit Blick auf Onlineplattformen mit ihren beson‐ deren (Kommunikations-)Angeboten und ihrer eigenen gesellschaftlichen Relevanz. In vielerlei Hinsicht ähneln die Vereinigten Staaten dabei anderen Län‐ dern. Sie sind also sicher nicht einzigartig darin, dass Medien (pauschal) in Politik, Wirtschaft und Kultur gleichsam den Alltag durchdringen. „Me‐ diengesellschaft“ ist ein prominentes Schlagwort der Selbstbeschreibung zumindest westlicher Demokratien; in praktisch allen modernen Staaten 1 Einleitung 13 <?page no="14"?> sind Kommunikationstechnologien eng mit Ökonomie, Kultur, Bildung, Sport und Politik verwoben - was diese Gesellschaften u. a. eben charakter‐ isiert. Allerdings sind die USA und ihr Mediensystem in mindestens zweierlei Hinsicht von anderen Staaten zu unterscheiden. Zunächst, erstens und basal, sind alle Mediensysteme verschieden: durch Rechtsverfassung, Wirtschaft, Sprachkulturen, Ethnien und tatsächlich auch die Geographie. Insbesondere die institutionelle Architektur des National‐ staates, seine politische Kultur sowie normative, häufig historisch begrün‐ dete Vorstellungen von öffentlicher Kommunikation ergeben eine lange Liste an Faktoren, die Mediensysteme prägen und dann unterscheiden - selbst wenn sich Staaten in fundamentalen Punkten gleichen und beispiels‐ weise als pluralistische, liberale Demokratien Kernideen ihrer politischen Verfassung teilen. Deshalb arbeitet die vergleichende Forschung auch mit Modellen, die nach theoretisch hergeleiteten Kategorien nationale, sich ähnelnde Mediensysteme gruppieren (vgl. z. B. Blum 2014; Hallin & Mancini 2004, 2020). Und obwohl zweifelsohne ab etwa Mitte der 1990er-Jahre, mit dem Ende des „Kalten Krieges“, mit der europäischen Integration, dann der Digitalisierung und der Etablierung des Internets transnationale Faktoren und globale Zusammenhänge (z. B. Fragen der Medienkonzentration, des internationalen Handels, der Regulierung internationaler Medienunterneh‐ men) an Bedeutung gewonnen haben, werden Mediensysteme nach wie vor und weit überwiegend als Angelegenheiten der jeweiligen Staaten betrachtet (vgl. Beck 2018, S. 1; Puppis 2008). Das gilt natürlich auch für die USA. Zweitens kennzeichnet sich der US-Medien- und Kommunikationssektor durch eine hohe Innovationsdynamik. Abgesehen von wenigen, haben die meisten technischen Neuheiten oder unternehmerischen Konzepte der massenmedialen Publizistik oder auch zu Social Media ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten. „Mit Ausnahme der Nachrichtenagentur, der Rotationsmaschine und des Kinos kamen alle Medieninnovationen seit dem 19. Jahrhundert aus den USA: der Telegraf, die Massenpresse, die automatische Setzmaschine, die Verwendung von Fotos und Karikaturen in der Presse, das Radio, das Fernsehen, die Trennung von Nachricht und Kommentar, neue Journalismuskonzepte […], moderne Zeitungslayouts, das Internet und der Newsroom.“ (Blum 2014, S. 264-265) Diese Reihe wäre bequem zu verlängern. Das Land ist insofern prototypisch: in der Entwicklung von Medientechnik und ihrer ökonomischen Verwertung, in medialer Alltagskultur, in der Formulierung journalistischer Standards und 14 1 Einleitung <?page no="15"?> 2 Dabei muss aber sofort angemerkt werden, dass Tunstall (2008) knapp drei Jahrzehnte darauf diese plakative Position mit einem fast identischen Buchtitel komplett relati‐ vierte: „The Media Were American“. mehr. Mag man bei der Idee einer Art „Vormachtstellung“ der USA in Sachen Medien zuerst (und mit einigem Recht) an seine Filmindustrie denken, auch an Serienformate, Unterhaltungsshows, Disney und Netflix, so kann man das durchaus auf den gesamten Mediensektor ausweiten. Hollywood, wenn man so will, ist überall; oder wie der britische Soziologe Jeremy Tunstall (1977) einmal titelte: „The media are american“. 2 Wenn hier etwas sperrig von Mediensystem(en) die Rede ist, dann ist damit ein „Funktionszusammenhang“ (Kleinsteuber 2005, S. 275) gemeint aus Medientechnologien, Organisationen und Unternehmen, ihren recht‐ lichen Strukturen, ökonomischen Grundlagen und den Märkten, die sie bedienen (vgl. Blum 2014, S. 18). Dabei erbringen die einzelnen Einheiten (Fernsehsender, Onlineredaktionen, Verlagshäuser, Medienkommissionen usf.) je spezifische Leistungen für die Gesellschaft, also nicht nur für ihre eigene Organisation. Eine der wichtigsten ist beispielsweise, Informationen bereitzustellen und das „Selbstgespräch der Zeit“ zu ermöglichen (vgl. Birkner 2012); oder anders ausgedrückt: „Gegenwartsbeschreibungen, […] auf die sich alle Gesellschaftsmitglieder beziehen können, weil sie Grund zur Annahme haben, dass alle anderen diese Gegenwartsbeschreibungen ebenso kennen“ (Rimscha & Siegert 2015, S. 39). Darüber hinaus werden Medien weitere Aufgaben zugetragen: Sie unterhalten, sie integrieren eine Gesellschaft, sie tragen zur Bildung und Sozialisation bei, sie kontrollieren politische Macht durch Publizität und öffentliche Kritik, erlauben politische Meinungsbildung und Partizipation und mehr; idealerweise natürlich. Offensichtlich werden diese Leistungen nicht von allen Medien zugleich erfüllt bzw. in höchst unterschiedlichem Maße: die Medien - eine oft genug unnütze Pauschale. Ein privater Fernsehsender, der sich über Werbung fi‐ nanziert, setzt sich womöglich weniger mit der Idee einer wohlinformierten politischen Öffentlichkeit auseinander als mit einem an Entspannung und Unterhaltung interessiertem Publikum zur besten Sendezeit. Die New York Times orientiert sich an anderen journalistischen Standards und Themen als Vanity Fair oder der offen parteilich engagierte Nachrichtensender Newsmax TV. Kurz: Mediensysteme sind alles andere als homogen; ihre einzelnen Elemente dienen (häufig) nicht dem gleichen Zweck: „In most countries, the media do not constitute any single ‚system‘, with a single purpose 1 Einleitung 15 <?page no="16"?> or philosophy, but are composed of many separate, overlapping, often inconsistent elements, with appropriate differences of normative expecta‐ tion and actual regulation.“ (McQuail 1994, S. 133) Dem folgt, dass sich Mediensysteme als differenzierte und höchst dynamische Handlungssysteme konstituieren, in denen Akteure unterschiedlicher Provenienz (Wirtschaft, Politik, Kultur, Bildung usf.) eigene Ziele und Interessen verfolgen, zum Teil sehr unterschiedliche Erwartungen erfüllen wollen (und können), zugleich aber nicht unabhängig voneinander agieren (vgl. Freedman 2008). Darüber bilden sich Strukturen (vgl. Thomaß 2007, S. 13-15): Routinen und Rollen, formelle wie informelle Regeln, die - bildhaft gesprochen - weder vom Himmel fallen noch auf einzelne Technologien zurückzuführen sind, auch nicht auf neue Geschäftsmodelle oder den Willen einer Partei oder Interessengruppe. Sie sind historisch gewachsen, nicht auf ewig zementiert und wandeln sich mit ökonomischen, politischen oder gesellschaftlichen Trends oder Innovationen. In ihnen manifestieren sich beispielsweise Rah‐ menbedingungen für die Medienwirtschaft, eine (politische) Kommunikati‐ onskultur, Standards der Nachrichtenproduktion (und Nachrichtennutzung) oder konkrete Wege der medienpolitischen Entscheidungsfindung und mehr (vgl. Puppis 2007, S.-28). Man kann, anders ausgedrückt, das Mediensystem selbst als eine Ordnung unterschiedlicher, normativ „aufgeladener“ Institutionen verstehen (vgl. Beck 2018, S. 25; Donges 2006), eine Ordnung, die zweckrational orientierte Akteure mit je eigenen Motiven und Zielen umfasst, die wiederum kollek‐ tiven Regeln und einer überwiegend akzeptierten Praxis folgen und gesell‐ schaftliche Erwartungen bedienen (wollen) (vgl. Schimank 2007). Analytisch unterscheiden wir dabei drei Dimensionen, bildhafter: drei tragende Säulen, auf denen Institutionen beruhen (vgl. Scott 2008). Erstens eine normative Säule: Werte und moralische Vorstellungen (etwa die Pressefreiheit, Jugend‐ schutz, Eigentumsrechte als leitendes Prinzip). Zweitens eine regulative Säule, die diese Werte in konkrete Regeln übersetzt, Verantwortung und Sanktionen kennt (z. B. Gesetze, Normen, Organisationsregeln). Drittens schließlich eine daran angelehnte kulturell-kognitive Säule geteilter infor‐ meller Annahmen, Sitten und Gebräuche, wechselseitiger Erwartungen und eines allgemeinen Verständnisses darüber, wie im Alltag der Unternehmen und Organisationen z. B. Routinen und Verfahren gleichsam „gelebt“ wer‐ den, um Organisationszwecke zu erreichen und Normen bzw. Erwartungen zu entsprechen (vgl. Puppis 2010, S.-143). 16 1 Einleitung <?page no="17"?> Nehmen wir einmal als Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Public Service Broadcasting. Viele Länder, auch die USA, kennen eine solche Organisationsform von Radio und Fernsehen, wobei sich ihre relativen Bedeutungen im jeweiligen Mediensystem oft deutlich unterscheiden (vgl. Puppis & Schweizer 2015). Wie in Deutschland basiert er in der Regel auf der zentralen demokratischen Rolle freier Medien - was sich meist in der Ver‐ ankerung der Kommunikationsfreiheiten in Grundrechten widerspiegelt. Damit wäre die normative Ebene angesprochen: Medien sollen Meinungsbil‐ dung und Information auf einer rationalen Basis ermöglichen. Und obwohl man diese demokratietheoretische Idee recht konservativ versteht, sie also als Orientierungsmodell selten hinterfragt, gestaltet sich die konkrete Form eines daraus abgeleiteten Public Broadcasting doch sehr vielfältig. Etwa enthält in der Bundesrepublik der Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Kommunikationsfreiheiten benennt, bereits eine „Gewährleistungsklausel“, nach der der Staat verpflichtet ist, diese Freiheiten aktiv zu sichern; und der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt dem Verfassungsgericht dazu als ein wichtiger Faktor, weil er in besonderer Weise zur Quellen- und Meinungs‐ vielfalt beiträgt. Das hat, nebenbei bemerkt, viel mit den Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur zu tun. Demgegenüber ist Public Broadcas‐ ting Service in den Vereinigten Staaten ein eher marginales Unterfangen, ein Phänomen am Rande; man orientiert sich auch im Rundfunk an einer prin‐ zipiellen Staatsferne und vertraut den Mechanismen des Publikumsmarktes (wenn auch nicht ausschließlich) und dem privatkapitalistischen Prinzip (vgl. Kleinsteuber 2007a). Eine Art „Auftrag“ an den Staat, Pressefreiheit und darüber die Vielfalt der Meinungsbildung aktiv herzustellen - daran hatten die Gründer der Vereinigten Staaten offenbar nicht gedacht. Solchen Überlegungen folgt die weitaus konkretere regulative Ebene. Sie hat höchst praktische Folgen. Um im Beispiel zu bleiben: In der Bundesre‐ publik hat sich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein komplexes Regelwerk entwickelt (das die USA so nicht kennen), etwa um die Vielfalt der Gesellschaft in den Gremien intern abzubilden oder die Finanzierung über Beiträge zu legitimieren und transparent zu gestalten. In einem aufwendigen Verfahren überprüfen Sachverständige den Finanzrahmen, wobei diese Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) im Zwei-Jahres-Rhythmus allein einen Vorschlag erarbeitet, der die Lan‐ desregierungen und Landesparlamente wiederum bei ihrer Entscheidung unterstützen soll. Das mag nur andeuten: In dieser regulativen Säule sind höchst unterschiedliche Akteure eingebunden, nicht nur formell: Bei der 1 Einleitung 17 <?page no="18"?> Frage der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Weiterentwicklung in den Onlinemedien meldet sich z. B. regelmäßig die Konkurrenz in Form der privaten Rundfunkanbieter zu Wort, in Anhörun‐ gen, in der Fachöffentlichkeit. Auch die Europäische Union ist oft genug mit Fragen der Finanzierung des Public Broadcasting in ihren Mitgliedsländern beschäftigt. Kurz, es ist im Wesentlichen auf dieser regulativen Ebene, auf der Medienpolitik als Prozess betrieben wird: als systematischer Versuch, Interessen verbindlich durchzusetzen. Und natürlich führt, wie wir sehen werden, allein der prinzipiell andere Ansatz der amerikanischen Medienpo‐ litik zu unterschiedlichen Verfahren. Eingebettet in Norm und Regulation findet sich nun gleichsam die dritte, die kulturell-kognitive Säule (vgl. Scott 2008). Damit gemeint sind Erwar‐ tungen, „selbstverständliche“ Annahmen in einem gegebenen Kontext: Vorstellungen von Routinen, Rollen und Skripten. Zum Beispiel: was für eine Form von Nachrichtenjournalismus von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet wird, was ihn „ausmacht“, was „Sinn macht“ - und was eben nicht. Dieser zugegeben etwas vage Begriff „Sinn“ führt doch zweierlei gut vor Augen: Erstens, Akteure orientieren sich beispielsweise an einem Programmauftrag, dem sie gerecht werden wollen und den ihnen die Gesetzgeber in einen Staatsvertrag geschrieben haben, oder an Publikums‐ erwartungen, Redaktionslinien oder schlicht an einer bewährten Praxis (vgl. Beck 2020, S. 236). Zweitens zeigen Konflikte und Irritationen innerhalb solch sinn-voller Verfahren, wo Verbesserungsbedarf besteht, wo Routinen überdacht werden könnten oder gar Vorgaben und Regeln geändert oder Ressourcen verschoben werden sollten, etwa weil Innovationen genau das nahelegen oder erkannt wird, dass Organisationsziele mit einem fröhlichen „Weiter so! “ nicht erreicht werden können. Diese drei Analyse-Ebenen sind also miteinander verwoben; sie wurden hier detaillierter eingeführt, weil sie uns mal deutlicher, mal weniger explizit begleiten werden und helfen, die einzelnen Gegenstände und Phänomene besser einzuordnen: normative Überlegungen, konkrete Regeln und die darin eingebundenen Verfahren, Rollen, Praktiken. In nahezu allen Teilen des Mediensystems der USA werden wir auf Ansätze stoßen, die verglichen mit den jeweiligen Pendants z. B. in Deutschland unterschiedlich ausfal‐ len. Das hat mit historischen Gegebenheiten zu tun, auch mit anderen Entscheidungen in ähnlich gelagerten wirtschaftlichen oder politischen Lagen. Beispielsweise erfährt die eigentlich identische „Idee“ der Rede- und Meinungsfreiheit in den USA weniger Einschränkungen und wird 18 1 Einleitung <?page no="19"?> anders ausgelegt: Mit Folgen für konkrete Vorgaben für und innerhalb von Medienunternehmen und auch einer politischen Kultur, in der sich die öffentliche Auseinandersetzung mit einiger Schärfe entwickelt - und zwar traditionell. Wenn das US-Mediensystem sich dann zum einen als ein in zentralen Punkten recht unterschiedlich konstituiertes System erweist, so stellen sich doch zum anderen ähnliche Fragen: Was erwartet „man“ (wer? ) eigentlich von Medien? Wie können sie diesen Ideen gerecht werden? Wie finanzieren sie sich? Auf der Grundlage welcher Überlegungen glaubt eine Partei oder ein Parlament, Publizistik, Journalismus oder Medien(-wirtschaft) regulie‐ ren zu müssen - oder eben nicht? In welchen Märkten stehen Medienun‐ ternehmen im Wettbewerb? Wie steht es um die Medienkonzentration, um die publizistische Vielfalt und den Journalismus im Land? Was bedeutet all das für den Publikumsmarkt, für die Rezipienten selbst und dann etwa die (politische) Öffentlichkeit? Dabei gehen wir in dieser Strukturperspektive von einem Zusammenhang aus zwischen dem institutionellen Gefüge der Medienorganisationen, Me‐ dieninhalten und Effekten; Strukturen wirken (vgl. Puppis 2007, S. 26-27). Wir können das Mediensystem dabei analog zum politischen System verste‐ hen, das mit seinen Institutionen und Verfahren allgemein verbindliche Regeln herstellt und kollektive Problemlösungen vorhält (Easton 1965). Ganz ähnlich stellt das Mediensystem der Gesellschaft mit Permanenz In‐ formations- und Unterhaltungsangebote und darüber Wirklichkeitsentwürfe zur Verfügung (vgl. Merten 1999, S. 402) - und es besteht Bedarf. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Mit diesem programmatischen Satz beginnt Die Realität der Massenmedien von Niklas Luhmann (1996, S. 9). Der fulminante Anspruch dieser Formulierung hat ein systemtheoretisches Fun‐ dament, ist aber auch eine prägnante Erinnerung an die offenkundige Rolle der Medien bei der Wahrnehmung der Welt jenseits der uns unmittelbar zugänglichen Wirklichkeit. Der amerikanische Publizist Walter Lippmann (1922) hat ähnlich vor einem Jahrhundert schon von Pseudo-Environments gesprochen und den Pictures in our Head: Medien bilden eine eigene Realität, eine Pseudo-Umwelt jenseits der unmittelbar wahrnehmbaren Lebenswelt. Darüber ermöglichen sie die Ko-Orientierung und Selbstbeobachtung mo‐ derner Gesellschaften. Medien und dann eben das Mediensystem in seiner Gesamtheit erbringen also eine enorm wichtige Leistung, nicht nur für Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse, nicht nur für die Wirtschaft 1 Einleitung 19 <?page no="20"?> oder die Politik, sondern mit Folgen für Wissen, Einstellung und Verhalten der einzelnen Mediennutzer, für Organisationen und Unternehmen ebenso. Ziel dieses Buches ist damit die Vermittlung eines grundlegenden Ver‐ ständnisses eben dieser Strukturen und Verfahren, der zentralen Akteure im amerikanischen Mediensystem - und der politischen Kontroversen und womöglich Blockaden, die sich dabei ergeben (oder ergeben haben). Weitere wichtige Punkte werden die damit verbundenen gesellschaftlichen und sozialen Folgen sein, soweit sie belegt oder plausibel diskutiert werden können. Wie gesagt, all das grundlegend, denn zugegebenermaßen müssen einige, zum Teil deutliche Einschränkungen gemacht werden. Zum ersten handelt es sich nicht um eine vergleichende Darstellung. Es klang an: Wie allgemein in der Sozialforschung, so hätte der systema‐ tische Vergleich für die Analyse von Mediensystemen einigen Reiz (vgl. Thomaß 2007). Allerdings wäre das ein deutlich anders gelagerter und weiterführender Ansatz, der hier zugunsten des Fokus auf die USA und den einführenden Charakter des Buches nicht verfolgt wird. Dennoch wollen wir nicht auf Vergleiche verzichten: Dort, wo sie als ähnliche Beispiele oder im Kontrast das Verständnis erleichtern dürften. Dabei werden vornehmlich Fälle aus Deutschland herangezogen, gelegentlich mit Bezug zur Europä‐ ischen Union. Zum zweiten hätten einige (wenn nicht sogar alle) der dargestellten Gegenstände ganz sicher eine weitaus detailliertere Betrachtung verdient. Medienwirtschaft allein wird an einigen Hochschulen und Universitäten in den USA und in Europa als eigenständiger Studiengang gelehrt; das ist für sich genommen schon ein Hinweis für den Umfang unseres Gegenstan‐ des. Dementsprechend werden viele Aspekte (insbesondere betriebswirt‐ schaftlicher Natur) nur angeschnitten. Gleiches gilt im Prinzip für jedes einzelne Kapitel: zur Mediengeschichte in den USA, zum Medienrecht, zur gesellschaftlichen Verankerung und zu Nutzungsdaten, zu historischen und aktuellen Entwicklungen - an nahezu jeder Stelle werden „Einsparungen“ gemacht, um im üblichen Rahmen einer einführenden Publikation zu blei‐ ben. Zum dritten wird innerhalb der Medien selbst unterschieden und ihre Darstellung gewichtet. Dazu muss geklärt werden, was unter einem Medium verstanden werden soll; denn so alltäglich, so beiläufig und selbstverständ‐ lich uns „die Medien“ geworden sind, so unbestimmt bleibt der Begriff häufig. Folgte man dem Wortstamm, so wären Medien alle Formen der Zei‐ chenvermittlung: die Sprache an erster Stelle, das Radio als (elektro-)tech‐ 20 1 Einleitung <?page no="21"?> nisches Verfahren, die Werbebroschüre, der medizinische Beilagenzettel, die Schultafel usf. Das wäre offensichtlich zu weitläufig und diffus. Dagegen legt der Sprachgebrauch eher phänomenologische Vorstellungen nahe, also eine Orientierung am alltäglichen Gebrauch der Dinge: Das Fernsehen - ein Gerät, in dem man audiovisuelle Sendungen und Formate verfolgen kann; ähnlich das Radio - nur eben älter und auf den Ton beschränkt; und dann natürlich die gedruckte Zeitung - ein klassisches Medium, wenn man an Journalismus und Öffentlichkeit denkt, an tagesaktuelle Information. Das kommt dem hier zugrunde gelegten Verständnis nahe, ist aber immer noch unscharf und muss präzisiert, und zwar in drei Punkten. Denn erstens sind Medien mehr als eine spezifische Technik mit einer je eige‐ nen Anwendung. Sie sind in mehrdimensionale Handlungszusammenhänge eingebettete soziale Institutionen. Mit Saxer (1998, S. 54-55; vgl. Thomaß 2007, S. 17) werden Medien als Zeichensysteme und Kommunikationska‐ näle verstanden, die auf spezifischer Technik und Organisation basieren, unterschiedliche Informationskapazitäten besitzen, in eigenen Marktkons‐ tellationen operieren und eigene Publikumsbeziehungen aufbauen. Darüber sind sie nicht nur Vermittler - dem Wortstamm getreu - im individuellen Zeichengebrauch, sondern prägen soziale, wirtschaftliche und kulturelle Kommunikationspraxis und darüber die Gesellschaft selbst. Zweitens konzentrieren wir uns auf publizistische Medien; gemeint sind Medien öffentlicher Kommunikation, die im Gegensatz zu Individualmedien (wie Briefen oder dem Telefon) nicht primär der privaten Interaktion dienen, sondern gesellschaftliche Bedeutung besitzen, etwa durch Formen des Nachrichtenjournalismus; zentral sind dabei informative, partizipatorische und integrative Funktionen, die sich als „konstitutiv“ für demokratische Großgesellschaften erwiesen haben (Beck 2020, S.-224). Zweifellos besitzen Film, Musik und andere künstlerisch-mediale Darstellungen gesellschaftli‐ che Bedeutung, und das wird auch gelegentlich angesprochen; sie werden aber nicht systematisch betrachtet und besitzen für den Aufbau und Inhalt des Buches tatsächlich nur marginale Relevanz. Innerhalb der publizisti‐ schen Medien wiederum stehen periodische, aktuell orientierte Medien im Mittelpunkt - also Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen und schließlich bestimmte Netz- und Onlineanwendungen (vgl. insbesondere Blum 2014, S.-17; Knüpfer 2016, S.-326; Puppis 2007, S.-35). Denn hinzukommt, drittens, als „neues Medium“ (obwohl die Technologie so neu nicht mehr ist) das Internet, das in Teilen Formate und Angebote der klassischen Massenmedien abbildet, ähnliche Leistungen aufweist und 1 Einleitung 21 <?page no="22"?> ihnen mit einigen Plattformen und Anbietern Konkurrenz macht. Das Netz, pauschal, ist wahrscheinlich das derzeit spannendste Feld medienpolitischer und -ökonomischer Entwicklungen, neben den innovativen Anwendungen selbst. Nachdem man die „klassischen Medien“ - wie angedeutet - noch recht genau mit einer technologischen Basis und mit einem „Ver- und Gebrauch“ verknüpfen konnte, gestaltet sich das durch die Digitalisierung und die Konvergenz (das Zusammenwachsen von ursprünglich separaten Einheiten) in der „hybriden“ Medienlandschaft der Gegenwart weitaus komplexer (vgl. Arnold & Donges 2020, S. 1427). Alle Onlineangebote in einen Topf zu werfen und als eine Kategorie medialer Inhalte zu betrachten, ist nicht schlüssig (vgl. Rimscha & Siegert 2015, S.-44). Vor allem Social Media sind nicht auf bestimmte Funktionen beschränkt: Sie berühren alltägliche private Praktiken ebenso wie den Journalismus, die Politik, Formen der gesellschaftlichen Teilhabe, Werbung und die stra‐ tegische Unternehmenskommunikation. Und sie verändern Massen-Kom‐ munikation, also den lange dominanten Modus gesellschaftlicher Kommu‐ nikation. Sie schaffen neue Arenen der Information, Unterhaltung und Interaktion. Die damit einhergehenden Phänomene der Entgrenzung und Fragmentierung von Öffentlichkeit(en) berühren unmittelbar kontroverse medienpolitische Fragen (vgl. Borucki 2018, S. 1523) - etwa zum Daten‐ schutz oder generell zur Übertragung klassischer medienpolitischer Instru‐ mente und der international organisierten Regulierung. Die enorme wirt‐ schaftliche Kraft einzelner Unternehmen oder der netzbasierten Branche kommt hinzu. Hinsichtlich rechtlicher Rahmenbedingungen und makro‐ ökonomischer Daten werden wir diesen Wirtschaftszweig auch insgesamt betrachten; allerdings - letzte Einschränkung - muss angesichts der Vielfalt der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontexte und Anwendun‐ gen doch ausgewählt werden, welche Trends näher betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht hier die Big Tech-Debatte: eine Auseinandersetzung um die Operationslogik von Social Media und das daran angelehnte öffentliche Interesse an ihrer Regulation. Die reinen Rahmenzahlen des US-Mediensystems sind schon jenseits netzbasierter Unternehmen und Angebote außerordentlich beeindruckend. Wir dürfen davon ausgehen, dass in den USA ungefähr 1.800 Fernsehstati‐ onen, fast 7.000 Zeitungen und etwa 17.000 Radiosender um die Aufmerk‐ samkeit der Nation konkurrieren (Abernathy 2020; Hovestädt 2008). Hinzu kommen die Filmindustrie, weniger journalistisch gestaltet Anzeigenblätter - und eben das Internet mit seinen unzähligen Diensten und Anbietern. 22 1 Einleitung <?page no="23"?> Allerdings verbirgt sich hinter dieser Vielzahl in einigen Sektoren der Me‐ dienwirtschaft nach zwei De-Regulationswellen in den 1980er und 1990er- Jahren eine hochkonzentrierte Medienlandschaft, in der relativ wenige Konglomerate und Großunternehmen das Geschehen bestimmen. Einige kurze Anmerkungen zur Konzeption des Buches: Erstens wird hier davon ausgegangen, dass die USA für die meisten Leserinnen und Leser kein „unbekanntes Wesen“ sind; dazu ist das Land - seine Gesellschaft, Politik, Kultur - doch viel zu präsent in der europäischen Öffentlichkeit. Allerdings werden viele Details und Besonderheiten etwa des politischen Systems nicht vorausgesetzt - so wie ein amerikanischer Autor es bei einer amerikanischen Leserschaft womöglich könnte. Da beispielsweise das politische System, wie angesprochen, als prägender Faktor einige Relevanz für das Mediensystem besitzt, werden an einigen Stellen Erläuterungen eingestreut, die Kennern der USA bekannt sein dürften. Etwa sind die Einzelstaaten der USA in vielen Fragen rechtlich souverän, was die ein oder andere Eigenart der Gesetzgebung mit sich bringt. Solche Dinge sind für uns nicht annähernd zentral, werden aber soweit nötig kurz eingeordnet. Zweitens wird der Lesefluss ab und an durch knappe, farblich abgesetzte Exkurse unterbrochen. Hier finden sich komprimierte Hintergrundinforma‐ tionen oder Anekdoten, die einer ähnlichen Idee folgen: Meist handelt es sich um Zusatzinformationen, die für das Gesamtverständnis kaum nötig sind, aber das ein oder andere interessante, vielleicht sogar „spannende“ Detail enthalten. Drittens werden viele historische Bezüge eingestreut, zum einen verein‐ zelt an passender Stelle, zum anderen gleich hier im Anschluss kompakt als eigenständiges Kapitel. Dabei wird ausdrücklich nicht der Anspruch erhoben, eine Geschichte oder eine Gesamtschau der Medien in den USA zu schreiben. Das wäre weit vermessen - würde es doch faktisch bedeuten, eine Geschichte der Vereinigten Staaten selbst zu verfassen. Vielmehr wird schlicht dem Umstand Rechnung getragen, dass für die Einordnung des Status quo oder von Entscheidungen und Konflikten die Darstellung der entsprechenden Entwicklungen (und möglicher Alternativen) hilfreich ist. In der Politikwissenschaft firmiert das unter „Pfadabhängigkeit“: Wir werden diesem nichtdeterministischen Verständnis (es hätte meist auch anders kom‐ men können! ) von gesellschaftlichen Prozessen immer wieder begegnen. Viertens wird damit zuletzt empfohlen (zwingend ist es tatsächlich nicht), die Lektüre mit diesem Kapitel zur Geschichte der Medien in den USA zu beginnen, da es einen grundlegenden Charakter besitzt. Die daran an‐ 1 Einleitung 23 <?page no="24"?> schließenden Abschnitte zu Recht und Regulierung, zur Medienwirtschaft, zur Mediennutzung und zu Trends der letzten Jahrzehnte können nach Interesse variieren. Ein essayistisch gehaltener Epilog schließt das Buch; er ordnet und reflektiert den Zustand des US-amerikanischen Mediensystems im Sommer 2022. Genderhinweis In diesem Buch wird das generische Maskulinum („Bürger“, „Mensch“), Femininum („Person“) und Neutrum („Mitglied“) verwendet. Diese For‐ men schließen Männer, Frauen und nichtbinäre Personen ein. 24 1 Einleitung <?page no="25"?> 3 Bereits kurz nach dem Prozess, 1736, veröffentlichte James Alexander A Brief Narrative of the Case and Trial of John Peter Zenger - ein dann mehrfach neu aufgelegtes Pamphlet, das die Grundlage schuf für die Prominenz des Falls; wahrscheinlich war Alexander auch der Autor der Artikel, die dem eigentlichen Verfahren zugrunde lagen; Gouverneur Morris, einer der Autoren des späteren Verfassungsentwurfs, nannte den Fall einmal „the germ of American Freedom, the morning star of that liberty which subsequently revolutionized America“; zit. n. Olson 2008; vgl. Nord 2006, S.-66. 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte 2.1 Die Presse der Kolonien und Revolution Philadelphia Lawyer - dieser unter amerikanischen Juristen gängige Aus‐ druck steht sinnbildlich für einen besonders cleveren und rhetorisch ta‐ lentierten Anwalt. Vermutlich geht die Bezeichnung zurück auf Andrew Hamilton, der 1735 in New York in einem Aufsehen erregenden Prozess Peter Zenger vertrat, den Drucker des New-York Weekly Journal, einer Zeitung, die von einer Gruppe wohlhabender New Yorker eigens zur Kritik an Gouverneur William Cosby gegründet worden war (vgl. Nord 2006, S. 65- 68). Zenger soll Cosby in einer Reihe anonymer Artikel diffamiert haben - der Gouverneur war offenbar ein rücksichtsloser Rüpel, ungeeignet, hab‐ gierig und korrupt (Lepore 2020, S. 95). Die kritischen, mitunter satirischen Ausgaben des New-York Weekly ließ er umstandslos öffentlich verbrennen und Zenger verhaften. Und da New Yorker Anwälte vom Verfahren gleich ausgeschlossen wurden, übernahm Andrew Hamilton aus Philadelphia das Mandat. Erfolgreich: Anfang August 1735 wurde Zenger freigesprochen (Harvard University Press 1972; Schmidt 2016, S.-313). Der Prozess galt schon den Zeitgenossen als Sensation; 3 heute markiert er für die US-Geschichtsschreibung einen wichtigen Schritt hin zur Rede- und Pressefreiheit in Amerika - knapp zwei Generationen vor der Unabhängig‐ keitserklärung (vgl. Dovifat 1927, S. 18; Goldstein 2008, S. 83; Lepore 2020, S. 95-99; Nord 2006, S. 66). Und das lag und liegt nicht nur am Freispruch selbst. Der Philadelphia Lawyer, Hamilton, überzeugte in seinem Plädoyer die Jury davon, Verleumdung und Diffamierung könnten keine Fragen des jeweils aktuellen Gesetzes sein; vielmehr müsse sich so etwas allein an der Wahrheit messen lassen. Und von der sollten Presseleute wie Peter Zenger, <?page no="26"?> so wie er es tatsächlich getan habe, berichten können: „a liberty both of exposing and opposing tyrannical power by speaking and writing truth“ (Harvard University Press, S. 12). Von der Gültigkeit der Kritik, also der tatsächlichen Unfähigkeit des Gouverneurs, könne sich die Jury im Übrigen selbst überzeugen. In der Verteidigungsrede finden sich einige Grundsätze der Meinungsfrei‐ heit und die Idee einer Art Leistung, die die Presse erbringe: Politik und Ver‐ waltung, wenn nötig, Sachlagen vorhalten und damit die Selbstbestimmung zu stärken. „Truth ought to govern the whole affair of libels. […] For it is truth alone which can excuse or justify any man for complaining of a bad admi‐ nistration“ (zit. n. Nord 2006, S. 67). Es ginge also nicht um einen Drucker oder eine leidige New Yorker Kabale, sondern um die Freiheit schlechthin (vgl. Lepore 2020, S. 97). Das leuchtete der Jury offenbar unmittelbar ein; ihre Beratung soll jedenfalls nur wenige Minuten beansprucht haben. Einen Präzedenzfall schaffte das Verfahren jedoch nicht (vgl. Goldstein 2008, S. 83); eine allgemeine Rechtsprechung im Sinne der freien Meinungsäußerung in Amerika sollte sich erst Anfang des 19.-Jahrhunderts einstellen. Zur Zeit des Zenger-Prozesses war Großbritannien primär am wirtschaft‐ lichen Nutzen der nordamerikanischen Kolonien interessiert, erkannte aber zumeist die Vorteile einer Verwaltungspraxis, in der man sich zwar die Zustimmung zu Gesetzen der kolonialen Vertretungen vorbehielt, ansons‐ ten aber wenig repressiv agierte. „Ganz banal ausgedrückt: Man ließ die Untertanen in Amerika rumwerkeln.“ (Oldopp 2005, S. 6) Dazu gehörte die erste Zeitung der Kolonien, die 1690 erstmals in Boston von Benjamin Harris herausgegebene Publick Occurences Both Forreign and Domestick. Sie wurde kaum vier Tage noch ihrem ersten Erscheinen wieder eingestellt (Schmidt 2016, S. 312). Das lag allerdings nicht an allzu kritischen Texten. Harris, der eigentlich einen Kleinhandel führte, hatte offenbar versäumt, sich um die nötige Konzession zu bemühen (Dovifat 1927, S. 14; Goldstein 2008, S. 83). Deshalb gilt der Boston News-Letter, herausgegeben ab 1704 von John Campbell, als die erste bedeutende Zeitung in den Kolonien. News-Letter, denn die Zeitung bestand (noch) aus sehr knapp gehaltenen Notizen über Dinge, die ihr zugetragen wurden, und deckte einen Bedarf an übersichtlichen Informationen über Wochenmärkte, Naturerscheinungen und die Verwaltung der Kolonien. John Campbell war zugleich Postmeister, im Haupterwerb sogar (von einer Zeitung allein konnte niemand leben), und so waren es lange die Poststellen, die Druckerzeugnisse herstellten 26 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="27"?> und vertrieben. 1764 erschien die erste Ausgabe des Hartford Courant, der ältesten heute noch erscheinenden Zeitung (Stevenson et al. 2008, S.-5232). Zuvor hatten schon ab etwa 1630 die puritanischen Gemeinden Bücher, Magazine, Manifeste und unregelmäßig erscheinende Zeitungen gedruckt; diese frühe Publikationspraxis verband sich mit der religiösen Kultur im Neu-England des 17. Jahrhunderts. Nachrichten über Occurences (Erschei‐ nungen) waren Nachrichten von „Gottes perfektem Plan“ (vgl. Nord 2006, S. 32): Berichtet wurde auf wenigen Seiten und in einem bunten Mix von Epidemien, Stürmen oder anderen Wetterphänomenen und historischen Ereignissen (die Ankunft der Puritaner, Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern oder deren Christianisierung u. Ä.), die scheinbar das gött‐ liche Werk bekundeten. Ein verbreiteter Text dieses Genres wundersamer Ereignisse war der 1684 in Boston verlegte Essay for the Recording of Illustrious Providences von Increase Mather (ebd. S. 41). Tatsächlich ähnelte der erzählerische Ansatz solcher Publikationen bereits der modernen Re‐ portage: Zwar wurde nicht systematisch recherchiert oder die Qualität der Informationen und ihrer Quellen reflektiert - aber es war ein empirischer, anschaulicher Blick auf die Geschehnisse der Zeit, so, wie sie den Autoren zugetragen wurden. Zum Ende des 17. Jahrhunderts begannen die Publikationen zu unter‐ scheiden zwischen Informationen, die für das weltliche Gemeinwesen wichtig erschienen, und solchen, die aus religiösen Gründen bedeutsam wären. Der Boston News-Letter umfasste noch eine Mischung aus politischen Berichten (Reden, Bekanntmachungen der Verwaltung) und chronologi‐ schen, mitunter amüsanten und auf wenige Worte beschränkte Texte zu Naturereignissen, Bränden, Strafverfahren; heute würde man vielleicht von einem News-Ticker sprechen: „On Friday last, There was a great Thunder Shower of Rain, together with great Hail stones“ (zit. n. Nord 2006, S. 51). Weitergehende Interpretationen des Zeitgeschehens waren meist offiziösen Stellungnahmen vorbehalten, die man Autoritäten wie lokalen Amtspersonen, dem Gouverneur, Gerichten, Parlamenten oder dem britischen Königshaus überließ. Frei von jeder Konzession und damit eher eine Ausnahme, denn die Regel, erschien ab 1721 der New-England Courant (Dovifat 1924, S. 14); der Courant gilt als erste Meinungszeitung Nordamerikas (Lepore 2020, S. 93); er wurde von James Franklin herausgegeben, dem älteren Bruder von Benjamin Franklin - Jahre später einer der Gründerväter der USA. Benjamin ging erst bei seinem Bruder in die Lehre und musste, als James 1722 wegen 2.1 Die Presse der Kolonien und Revolution 27 <?page no="28"?> allzu kritischer Artikel inhaftiert wurde (Nord 2006, S. 53), für einige Zeit den Courant selbständig auflegen. Auch der junge Franklin bewies sich couragiert und veröffentlichte Auszüge der Cato’s Letters: einer Sammlung Essays britischer Autoren, in denen für die Redefreiheit gestritten wurde und die zeitgleich im New York Weekly Journal erschienen (ebd., S. 70). 1729 ging Franklin nach Philadelphia und übernahm mit einem Geschäftspartner die Pennsylvania Gazette. Sie hatte rasch Erfolg mit einer Mischung aus offiziösen Nachrichten, Handelsnotizen und, nach britischem Vorbild, einer politischen Glosse: „Letters to the editor“ (Dovifat 1924, S. 16) - ein Format, das Franklin verstand als offenes Meinungsboard: „Printers are educated in the Belief, that when Men differ in Opinion, both Sides ought equally to have the Advantage of being heard by the Publick“ (zit. n. Nord 2006, S. 53). Ab 1732 veröffentlichte er für knapp ein Vierteljahrhundert den Poor Richard’s Almanack, eine Art Jahrbuch (vgl. Blum 2014, S. 265); diese Aphorismen zu Lebensweisheiten machten ihn nicht nur als Autor und Verleger berühmt, sondern noch als Philosophen und Wissenschaftler und förderten in den Kolonien das, was später Selfmade-Mentalität genannt werden sollte (vgl. Stöver 2013, S. 81). Franklin, nebenbei bemerkt, betätigte sich während der Revolution als trickreicher Propagandist, z. B. mit einer vollkommen falschen Ausgabe des Boston Independent, in der von Grausamkeiten briti‐ scher Truppen berichtet wurde ( Jowett & O’Donnell 2019, S.-78). Zunächst jedoch war die Presse überwiegend an Fragen der Verwaltung oder des Handels interessiert und politisch nicht auffallend kritisch. Der britische Sieg 1763 im French and India War (in Europa: dem Siebenjährigen Krieg), an dem die Siedler maßgeblich beteiligt waren, wurde noch als ge‐ meinsamer Triumph verstanden; man hatte vereint die englischen Freiheiten verteidigt. Von einer Loslösung vom Mutterland war (noch) keine Rede, jedenfalls nicht verbreitet. Allerdings beschloss London kurz nach dem kostspieligen Krieg neue Steuergesetze (den Sugar Act, 1764, die Townshend Duties, 1767) und wollte die Kolonien stärker an den Militärausgaben beteili‐ gen, und zwar unter Umgehung der kolonialen Versammlungen (vgl. Mauch et al. 2020, S. 42). Damit stellte sich unmittelbar die Frage der Legitimation, manifest in der berühmten Formel „no taxation without representation“: Eine Besteuerung der Kolonien ohne Gehör und Zustimmung ihrer Vertreter sei Tyrannei. Und die betraf dann mit dem Stamp Act, 1765, auch die Presse. Das Gesetz sah eine Abgabe vor für alle Schriften mit rechtlicher Bedeutung, darunter Kreditbriefe, Spielmarken - und die Zeitungen mit ihren Inseraten (Lepore 2020, S. 119). Jeder Zeitungsbogen sollte einen gebührenpflichtigen 28 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="29"?> Stempel tragen. Dieses Vorhaben forcierte den Konflikt - in Boston wurde das Haus des Gouverneurs niedergebrannt, weil er die Steuer unterstützte. Vor allem wurde nun der Widerstand offen von den Verlegern mitgetragen. Demonstrativ druckte man „ungestempelte“ Zeitungen, und z. B. John Adams, Jahre darauf zweiter US-Präsident, griff in der Boston Gazette den Stamp Act massiv an, weil der die Druckbetriebe ruiniere (vgl. Amar 2021, S. 64; Humphrey 2008, S. 18). Die Gazette gilt übrigens als Gesinnungsorgan, als Meinungshort und Sprachrohr der späteren Revolutionäre. Derart wurden die Zeitungen ein zentrales Moment der Kritik an der britischen Kolonialpolitik. Jedoch strebte man lange Zeit eher Reformen an und stellte Steuern in Frage, als eine ausgewachsene Revolution anzuzetteln. Noch Ende 1775, also nach den ersten Gefechten zwischen britischen Truppen und den Milizen, sprachen sich viele Versammlungen gegen alles aus, was auf eine Trennung vom Mutterland hinausliefe (Berg 2013, S. 15). In dieser Situation des Lavierens der einzelnen Kolonien ist die Rolle der Publizistik für die aufkommenden Gedanken an eine unabhängige Republik und Union kaum zu unterschätzen: „Many of the ideas that provided the intellectual support for the Revolution first appeared in pamphlets“ (Humphrey 2008, S. 17). Schon zwischen 1767 und 1768 hatte John Dickinson eine Serie solcher Pamphlete veröffentlicht; diese Letters from a Farmer in Pennsylvania wurden in den Versammlungen, den Town Hall Meetings der Städte und Kleinstädte vorgetragen und diskutiert und in beinahe jeder Zeitung der Kolonien abgedruckt (Middlekauff 2005, S. 161). In den Letters findet sich eine frühe Form des amerikanischen Patriotismus und eine Diskussion der Rechte des englischen Königs; der dürfe vieles, aber eines ganz sicher nicht: Steuern erheben, ohne die Kolonien auch nur zu konsultieren (Brogan 1999, S. 147). Ähnlich formulierte es 1774 Thomas Jefferson in seiner Flugschrift A Summary View of the Rights of British America: George III. sei, so ein bekanntes Diktum, doch nur der oberste Beamte und Diener des Landes; auch das Londoner Parlament habe keinerlei Legitimation, über die amerikanischen Kolonialisten zu bestimmen. Und in dem verbreiteten Pamphlet Observation on the Nature of Civil Liberty argumentierte Richard Price 1776, die Teilhabe und das Leben in einer Republik sei Inbegriff menschlicher Würde - ganz im Gegensatz zum tatsächlichen Stand der Kolonien (vgl. Jowett & O’Donnell 2019, S.-72). Vor allem eine Schrift wurde schon von den Zeitgenossen als außeror‐ dentlich einflussreich betrachtet: Common Sense von Thomas Paine, erschie‐ nen im Januar 1776, als der Aufruhr verschiedentlich in Gewalt mündete, 2.1 Die Presse der Kolonien und Revolution 29 <?page no="30"?> aber noch keine ausgemachte Revolution darstellte. Die schmale Schrift hatte sofort fulminanten Erfolg und stärkte die Bestrebungen, sich vom Mutterland zu lösen. Paine entwickelte in Form einer brillanten Rhetorik das episch anmutende Argument, alles Festhalten an der britischen Herrschaft sei nicht nur dumm, sondern schlicht unmoralisch. Denn es gäbe kein mächtigeres, kein ehrenhafteres Motiv eines Gemeinwesens als die Bildung einer eigenen, freien Nation: „The sun never shined on a cause of greater worth.“ (Paine 1994 [1776]) Die britische Herrschaft sei übelste Tyrannei und durch nichts gerechtfertigt - würde man die Herkunft der Royals genauer beschauen, fände man nur Raufbolde und Halunken (vgl. Lepore 2020, S. 16). Paine nahm sich also nicht nur das Parlament vor, sondern gleich die ganze Monarchie. Und insbesondere sprach er (was neu war) die Einwohner der nordamerikanischen Kolonien als Nation an, die sich aufmache, eine neue Welt zu schaffen; es wäre Zeit für eine beispielgebende Republik mit einem souveränen, durch keinerlei aristokratische Privilegien bedrückten Volk: „Off more worth is one honest man to society, and in the sight of God, than all the Crowned ruffians that ever lived“ (Paine 1994 [1776]; vgl. Taylor 2017, S. 157). Hatte sich der Widerstand gegen die britische Steuerpolitik bis dahin eher als provinzielle Rebellion dargestellt, so trug der Common Sense nun dazu bei, den Protest weiter zu forcieren. „Aus der Protestbewegung wurde nun vollends eine Revolution.“ (Mauch et al. 2020, S.-49) Wissen | Common Sense von Thomas Paine Die Flugschrift Common Sense erschien am 10. Januar 1776, zunächst noch anonym und hatte in ihrer ersten Auflage 47 Seiten; sie soll binnen zehn Tagen vergriffen gewesen sein. Bis Juni 1776 folgten 13 Auflagen mit etwa 150 Tausend Exemplaren. Das entspräche nach heutigen Bevölkerungszahlen rund 20 Millionen - proportional betrachtet dürfte das die erfolgreichste Printproduktion der amerikanischen Geschichte sein (vgl. Amar 2021, S. 95). „Except for the Bible, no written work had ever been so widely read and discussed in British America.“ (Taylor 2017, S. 155) Die Schrift ist in einem einfachen, direkten Stil gehalten; im Gegensatz zu vielen Texten dieser Zeit vermeidet sie Verweise auf die Philosophen der Aufklärung; auch die Bibel wird nur am Rande erwähnt. Paine selbst war ein vergleichsweise armer britischer Einwanderer, der 1774 in Philadelphia ankam - also in einer Phase, in der die Kolonien bereits gegen diverse Entscheidungen Londons protestierten. 30 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="31"?> Er hatte wohl die königlichen Reden noch frisch in Erinnerung, und ihm fiel auf, dass George III. offenbar keinerlei Ahnung hatte von den Debatten, die in den Kolonien geführt wurden (vgl. Amar 2021, S. 96). Paines Einfluss erstreckte sich auf Thomas Jefferson, dem Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und deren naturrechtliche Argumentation. Neben dem Common Sense gelten noch 16 Pamphlete Paines, die unter dem Titel Crisis Papers erschienen, als außerordentlich bedeutsam für das revolutionäre Amerika. Begonnen hatte die bewaffnete Auseinandersetzung im April 1775 mit dem Gefecht von Lexington. Und sie endete auch nicht mit der Unabhängigkeits‐ erklärung vom 4. Juli 1776, sondern erst 1783 mit dem Pariser Frieden. Bis zur formellen Ratifizierung der Verfassung der USA - wie wir sie heute kennen - sollte es noch einige Zeit dauern: bis 1788, als New Hampshire dem Verfassungsentwurf zustimmte. Im März 1789 nahm die neue Regierung unter Präsident George Washington ihre Arbeit auf. Interessanterweise war es aber nicht diese Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, die als erste geschriebene Konstitution in die Geschichte einging. Noch bevor der Kontinentalkongress die Unabhängigkeit von England erklärte, hatten drei der Kolonien sich bereits eine Verfassung gegeben, bis 1777 waren es elf der dreizehn Gründerstaaten (vgl. Lepore 2020, S. 153-154). So sehr sich im Vorfeld die amerikanischen Siedler dazu veranlasst sahen, öffentlich zu begründen, warum sie sich von England lösen wollten (die Unabhängigkeitserklärung ist ihrer Anlage nach eine Anklageschrift gegen König Georg III.), so sehr drängte es sie nun, die kommende Regierungsform schriftlich zu fixieren und zu legitimieren - und öffentlich um die Form ihres künftigen Gemeinwesens zu streiten. Denn der im Sommer 1787 in Philadelphia tagende Verfassungskonvent, ursprünglich beauftragt, die Articles of Confederation zu reformieren, war sich in zentralen Punkten nicht einig, insbesondere zu der Frage, wie sich die Kompetenzen verteilen sollten zwischen den Regierungen und Verwaltungen der einzelnen Staaten und der Regierung und Verwaltung der Union selbst. Ein Teil des Konvents, der sich The Federalists nannte, verfolgte die Idee eines demokratischen Bundesstaates mit balancierten Machtbefugnissen, einer starken Zentralregierung und weniger machtvol‐ len Einzelstaaten. Zu den Federalists gehörten George Washington sowie als prominenteste Verfechter Alexander Hamilton und James Madison. Sie 2.1 Die Presse der Kolonien und Revolution 31 <?page no="32"?> strebten einen außenpolitisch starken Handelsstaat an, wie gesagt: geführt von einer mit weitreichenden Rechten ausgestatteten Regierung der Union. Ihre Anhänger fand diese Vorstellung vornehmlich in den Städten der Küstenregion (vgl. Mauch et al. 2020, S.-74-76). Dagegen formierte sich eine als - eigentlich sachfremd - Anti-Federa‐ list bezeichnete Gruppe um Thomas Jefferson, die aufgrund der Vielfalt der nordamerikanischen Kolonien einen starken Föderalismus beschwor: Einen de-zentralen, lockeren Staatenbund, der die meisten hoheitlichen Kompetenzen bei den Einzelstaaten beließ. Die Anti-Federalist hielten auch unter praktischen Gesichtspunkten und in Anlehnung an Montesquieu und seinem 1748 erschienenen Vom Geist der Gesetze die Demokratie als Staatsform allein geeignet für kleinere politische Gemeinwesen. Vor allem wollten sie jede zentrale Macht vermeiden und damit die Gefahr einer neuen (aristokratischen) Tyrannei. Derart verstanden sie sich als Hüter der Freiheitsbestrebungen von 1776. Unterstützung erhielten sie insbesondere im ländlichen Amerika, wo das Misstrauen gegenüber einem Machtzentrum ebenso ausgeprägt war wie der Wunsch nach einem agrarischen, selbstbes‐ timmten Leben ohne staatliche Einmischung und aristokratischem Dünkel (vgl. Zehnpfennig 2016, S.-57-58). Diese Auseinandersetzung endete im Konvent damit, dass der dort mit Mehrheit verabschiedete Entwurf nach vier Monaten anstrengender Bera‐ tungen eine mit einigen Rechten ausgestattete Zentralregierung vorsah, eingebunden allerdings in ein System aus Checks and Balances der drei Staatsgewalten: dem Präsidenten, dem Kongress und einem obersten Ge‐ richtshof. Nun sollte die Verfassungsvorlage nicht von den Parlamenten der Einzelstaaten ratifizieren werden, sondern von der Bevölkerung - um die man nun sofort zu werben begann. Es folgte schon vor der formellen Gründung der Union eine hitzige öffentliche Auseinandersetzung, in der sich bereits die „Grundstruktur des Zweiparteiensystems der neuen Nation“ abzeichnete (Lepore 2020, S.-174). Dabei war es schon ein erster gelungener strategischer Zug, dass sich die Befürworter des bundesstaatlichen Entwurfs als „Föderalisten“ bezeichne‐ ten („Unionisten“ wäre angemessener gewesen) - und ihre Gegner als „Anti- Föderalisten“ markierten und damit gewissermaßen als trotzige Truppe, die sich einem vernünftigen Vorschlag verweigerte (obwohl gerade sie doch den Föderalismus befürworteten und sich mit den einzelnen Staaten identi‐ fizierten). Dass das nicht zufällig geschah, mag man an den harten Bandagen ablesen, mit denen in dieser Zeit in unzähligen Artikeln, Versammlungen, 32 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="33"?> Reden und Flugschriften über die Verfassung gestritten wurde; der jeweils anderen Seite Betrug, üble Machenschaften, sinistre Motive und überhaupt einen bösartigen Charakter vorzuwerfen, war nichts Außergewöhnliches. Die Mehrzahl der rund 90 Zeitungen der amerikanischen Kolonien zu dieser Zeit stand offenbar auf der Seite der Federalist - wenig verwunderlich, hatten diese Zeitungen ihre Leser doch überwiegend in den Städten (Taylor 2017, S.-383-389). Eine geradezu historische Publizität erlangten in dieser Situation die Federalist Papers: Eine Sammlung von 85 Artikeln, die vom Oktober 1787 bis Mai 1788 in drei New Yorker Zeitungen erschien, und in der drei Gründerväter - Hamilton, Madison und Jay - den Entwurf der Constitution theoretisch diskutierten, respektive ihre Position im Detail, stringent, „elo‐ quent und überzeugend“ begründeten (Lepore 2020, S. 174). Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Federalist Papers einen entscheidenden Einfluss hatten auf die Zustimmung nicht nur New Yorks zum Verfassungsentwurf. Wissen | Die Federalist Papers Die Federalist Papers sind insgesamt 85 Essays, die zuerst unter dem Pseudonym „Publius“ erschienen, tatsächlich aber von Alexander Ha‐ milton (51 Artikel), James Madison (20) und John Jay (14) verfasst wurden. Publius - eine Anspielung an Publius Valerius Publicola (einem historisch allerdings nicht verbürgten römischen Konsul), womit die Autoren ihre republikanische Gesinnung andeuteten. Jeder einzelne Ar‐ tikel ist ein meinungsstarker Essay, eine engagierte Auseinandersetzung mit den konträren Positionen und mit jeweils einem klaren Plädoyer. Zunächst von drei New Yorker Zeitungen publiziert - dem Independent Journal, dem New-York Packet, dem Daily Advertiser -, wurde die Artikelsammlung 1788 erstmals als Buch aufgelegt. Noch heute gelten die Texte als authentischer Kommentar der Debatte und als wichtige ideengeschichtliche Grundlage der Verfassungsgebung der USA (vgl. Zehnpfennig 2016, S. 58). Auch ihre Gegner, die Anti-Federalist, suchten eine ähnliche Publizität, waren aber weit unorganisierter und weniger erfolgreich - was möglicherweise daran lag, dass die Postmeister, die oft die städtischen Drucker oder Verleger waren, sie mitunter sabotierten (vgl. Taylor 2017, S.-389). 2.1 Die Presse der Kolonien und Revolution 33 <?page no="34"?> Letztendlich setzten sich die Federalist in den Abstimmungen durch. Als New Hampshire im Juni 1788 zustimmte, war das vereinbarte Minimum von neun ratifizierenden Staaten eigentlich erreicht. Allerdings war es kaum denkbar, einen Staat in die Union zu zwingen, und so wurde dann auch im New York der Federalist Papers weiter um Zustimmung geworben und gestritten. Ende Juli nahm der Ratifizierungskonvent dort die Verfassung des neuen Regierungssystems mit knapper Mehrheit an. Doch gelang das hier wie in vielen anderen Gründerstaaten wohl nur durch einen für das Mediensystem der künftigen USA wichtigen Schritt, durch einen Kompromiss, der die misstrauischen Anti-Federalists um Thomas Jefferson beruhigen sollte: Dem Versprechen, der im Kern sehr technisch gehaltenen Verfassung alsbald einen Katalog an Grundrechten anzuhängen. Im Dezember 1791 erlangt dieser Katalog aus zehn Zusatzartikeln - die Bill of Rights - tatsächlich Verfassungsrang; darunter findet sich gleich im First Amendment die Rede- und Pressefreiheit. 2.2 Die Presse der jungen Republik Das Amerika der Revolutionszeit war ländlich geprägt. 1775, am Vorabend der Unabhängigkeit, zählten die 13 Gründerkolonien rund 2,5 Millionen Einwohner (Röder 1987, S. 21). Davon verteilten sich etwa 770.000 auf die fünf größten Städte - New York, Philadelphia, Baltimore, New Orleans und Boston; der Rest lebte in Kleinstädten oder bewirtschaftete überwiegend familiär geführte Farmen (Amar 2021, S. 585; Zinn 2003, S. 218). Mit der weiteren Entwicklung des Landes, mit der geographischen Expansion, der Ausweitung des (internationalen) Handels, der anlaufenden Industrialisie‐ rung und dem starken Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert hielt auch die Entwicklung der Presse stand. Zählte man in der vorrevolutionären Phase etwa 30 bis 40 Zeitungen - konzentriert auf die Städte -, so sind es um 1790 rund 100, für 1810 werden 400 geschätzt, 1830 schon über 600 und zehn Jahre darauf etwa 1.400. Bereits als sich die neue Nation formierte, in den späten 1780er-Jahren, übertraf die pro-Kopf-Zahl an Zeitungen und Zeitschriften die von Großbritannien (Amar 2021, S.-142). Mit der Nationenbildung stieg also die Zahl der Pressemedien Anfang des 19. Jahrhunderts rasch an. Möglich gemacht wurde das nicht zuletzt durch den Ausbau des Postwesens, das den Vertrieb der Zeitung erheblich erleichterte. 1788 gab es 69 Post-Büros, 1810 geschätzte 900 (Taylor 2017, 34 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="35"?> S. 441). Der Postal Act von 1792, eine Initiative von George Washington, sub‐ ventionierte zudem den Transport von Presseerzeugnissen, indem Drucker ihre Blätter zu geringen Gebühren verschicken konnten (Holzer 2020, S. 3). Insofern gilt dieses Postgesetz auch als erstes Kommunikationsgesetz des Landes (Kielbowicz 2008). 1794 machten dann Zeitungen rund 70 Prozent des Postverkehrs aus, 1832 sind es sogar etwa 90 Prozent; die Post, anders ausgedrückt, „was primarily a medium of mass communication“ (McChes‐ ney & Nichols 2010; S.-123; McChesney 2004, S.-33). Rund um die Jahrhundertwende kam die Presse in New York bei etwa 60.000 Einwohnern auf ca. 10.000 Abonnenten; das entsprach rechnerisch fast einer Vollversorgung der Haushalte (vgl. Blum 2014, S. 265; Dovifat 1927, S. 23; Taylor 2017, S. 441). Das ist jedoch sofort zu relativieren: Die größeren Zeitungen orientierten sich bis in die 1830er-Jahre überwiegend an der wohlhabenden Schicht der Städte, die sich die Ausgaben, in der Regel sechs Cent, leisten konnte (vgl. Wu 2017a, S. 11). Wahrscheinlich lasen die meisten Stadtbewohner nur gelegentlich, wenn überhaupt, und wahrscheinlich war die Presse für viele nicht sonderlich relevant. Geschätzt wird, dass damals etwa 10 Prozent der Einwohner regelmäßig von Zeitungen erreicht wurden (McChesney & Nichols 2010, S.-134). Durch die hohen Druckkosten war man zusätzlich zu den Verkaufserlösen noch auf Sponsoren angewiesen - und damit meist auf (lokale) Politiker, ihre Unterstützer und Parteien, die um 1790 entstehen und sofort Zeitun‐ gen als „kämpfende Gesinnungspresse“ einbinden (Dovifat 1990, S. 42). „Das amerikanische Zweiparteiensystem […] wurde in den Zeitungen des Landes geschmiedet - und man kann mit einiger Berechtigung sagen: geschaffen. Zeitungen hatten die Ratifikationsdebatte zwischen Föderalisten und Antiföderalisten geprägt, und im Jahr 1791 formten Zeitungen bereits das erste Parteiensystem […]“ (Lepore 2020, S 193). Die National Gazette etwa galt als Sprachrohr von Jefferson und Madison, die Gazette of the United States und die New York Evening Post unterstützten Hamilton, der wiederum „seine“ Gazette mit Druckaufträgen der Regierung versorgte und persönlich in den American Minerva investierte (Holzer 2020, S. 5-6). Als Jefferson 1801 die Präsidentschaft übernahm, steuerte er sofort dagegen und arrangierte u. a. Subventionen für den National Intelligencer (McChesney 2004, S. 28). Auch der Kongress unterstützte über das Land verteilt einige Dutzend Pressebetriebe mit lukrativen Aufträgen (McChesney & Nichols 2010; S.-128). 2.2 Die Presse der jungen Republik 35 <?page no="36"?> 4 Eine weitere wichtige Auseinandersetzung war schon während der Gründungsphase der Union die Frage der Sklavenhaltung, die stets virulent blieb und dann zentral wurde im Sezessionskrieg (1861-1865); tatsächlich ist der Umgang Amerikas mit seiner Geschichte noch heute ein überaus emotionalisierender Streitpunkt (vgl. Lepore 2020); gut nachvollziehen lässt sich das an den Diskussionen um die so genannte Critical Race Theory oder etwa das Project 1619; vgl. u. a. New York Times v. 9. Nov. 2021, The 1619 Project and the Long Battle Over U.S. History, https: / / www.nytimes.com/ 2021/ 11/ 09/ ma gazine/ 1619-project-us-history.html? searchResultPosition=1 Mit der Unabhängigkeitserklärung orientierten sich die Verleger also an den politischen Lagern. „Die Ratifizierungsdebatte wirkte wie ein Katalysa‐ tor, der die Entwicklung der Parteien und der Presse beschleunigte. Denn vom Kampf um die Verfassung gingen starke Anstöße aus, Aufklärung und Propaganda bundesweit zu betreiben und die gleichgesinnten Kräfte organisatorisch zusammenzufassen.“ (Heideking & Sterzel 2007, S. 57) Die Auseinandersetzung um die genaue Gestalt des neuen Regierungssystems manifestierte sich später in den Parteien respektive Factions - wenige Jahre zuvor noch als Partikularinteressen verpönt - und in einer daran angelehn‐ ten Presse. Es formierte sich einerseits die Demokratisch-Republikanische Partei mit Madison und Jefferson, der seit 1790 Außenminister war. Sie sah die Zukunft des Landes insbesondere in der Agrarwirtschaft. Demgegenüber wollte die Federalist Party mit Hamilton, der unter Washington das Schatz‐ amt führte, und Vizepräsident Adams die noch ländlich geprägte Union zu einem modernen Industriestaat entwickeln. 4 Der Streit dieser Parteien wurde im Wesentlichen über Zeitungen ausge‐ tragen (vgl. Lepore 2020, S. 193; Nagel 2007, S. 66-68) - in den Editorials, von den Politikern selbst oder meinungskräftigen Redakteuren. Neben allgemei‐ nen Ankündigungen und dem politischen Klatsch aus der Kommune war der Vorwurf, das Land in den Untergang zu treiben, oder der persönliche Angriff auf den jeweiligen Gegner üblich und hatte offenbar häufig handfeste Auseinandersetzungen zur Folge (Dovifat 1927, S. 37) - darunter 1804 eine Schießerei zwischen Vizepräsident Aaron Burr und Alexander Hamilton, der bei diesem Duell getötet wurde (Holzer 2020, S. 44). „Fact was frequently held hostage to opinion.“ (Brown & Gitlin 2011, S. 76) Dem entsprach ein in wichtigen Punkten limitierter Inhalt: Fragen der gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklung der jungen Nation, zu Militär, zur Kirche, zu aufkommenden sozialen Problemen, standen hinter dem Streit der po‐ litischen Lager zurück. Und es folgte in der Wahrnehmung und mit den Worten von John Adams etwas, was wir heute wahrscheinlich Echokammer 36 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="37"?> nennen würden: „One party reads the newspapers and pamphlets of its own church, and interdicts all writings of the opposite complexion. The other party condemns all such heresy, and will not read or suffer to be read, as far as its influence extends, anything but its own libels.“ (Zit. n. Holzer 2020, S.-32) Schon während der Nationenbildung waren die USA in Factions geteilt, in ethnisch, religiös, sozial oder wirtschaftlich motivierte Gruppen, so dass auch kaum von Americans die Rede ist, also von den Amerikanern. Das (Einwanderungs-)Land war von Beginn an sehr heterogen, und auch regional grenzte man sich rasch voneinander ab: Neu-Engländer gegen New Yorker usf. Diese Vielfalt der sozialen Gruppen, aber auch schlicht die geographischen Distanzen begünstigten eine lokale Orientierung, eine lokale Identität - ein seitdem traditionelles Merkmal der amerikanischen Presse: Ausgenommen von USA Today und dem Christian Science Monitor haben praktisch alle Tageszeitungen in den USA einen lokalen Kern. Selbst die in Europa wohl bekanntesten großen amerikanischen Zeitungen, die New York Times und die Washington Post, waren von Beginn an örtlich orientiert. Die New York Times und das Wall Street Journal publizieren heute allerdings auch eine nationale Ausgabe (McKay 2018, S.-149). Eine Integrations- oder Forumsfunktion der Presse war Anfang des 19. Jahrhunderts nur in Ansätzen zu erkennen: Die Texte richteten sich an die politischen Lager, die wiederum mit ihren Abonnements den Druck (mit-)finanzierten. Entsprechend lokal war die Verbreitung und der Kontext der Artikel (und der Inserate); sie waren nicht unbedingt (lokale) Neuig‐ keiten im Sinne von News. Lokale Presse war lokaler Besitz und nicht überwiegend lokaler Inhalt. Nach heutigen Kriterien würde man die Qualität News eher den Berichten aus der Fremde oder entfernteren Gegenden der Union zugestehen, an denen ein reges Interesse bestand. In Boston kam man um 1801 auf die Idee, den Schiffen, die den Atlantik überquerten, mit kleinen, schnellen Booten entgegenzusegeln, um - wieder an Land - als erste aus Europa zu berichten. Neben den Verkaufserlösen waren Inserate eine weitere Einnahmequelle, meist als jährliche Raumpacht (vgl. Dovifat 1927, S. 45). Hinzu kamen Zuschüsse durch Ämter und Amtsträger, z. B. in Form von Publikations‐ aufträgen offizieller Dokumente (Amar 2021, S. 431; Holzer 2020, S. 40). McChesney und Pickard (2019, S. 266) schätzen, die Summe solcher Subven‐ tionen umgerechnet auf heute auf ca. 30 bis 35 Milliarden Dollar jährlich: Ein enormes Budget, dessen Äquivalent die amerikanische Presse Anfang 2.2 Die Presse der jungen Republik 37 <?page no="38"?> des 19. Jahrhunderts überhaupt erst möglich gemacht haben dürfte. „There was no notion in the early Republic, not a single solitary voice anywhere, that the press should be left to ‚the market‘ and that commercial auspices could effectively and efficiently guide journalism as long as the heavy hand of the state remained out of the way.“ (McChesney & Nichols 2010, S. 117) Zumindest für die ersten beiden Generationen US-Amerikaner gilt, dass sich ihr Pressewesen nicht über den Markt finanzierte und von politisch inspirierten Unterstützungsleistungen abhängig war. Bis dahin gab es auch nur wenige Personen, die dafür bezahlt wurden, Inhalte aufzubereiten. Presse - das war das Abdrucken von amtlichen Bekanntmachungen, Reden oder die schlichte Mitteilung von (anstehenden) Ereignissen oder eben meinungskräftige Artikel der politischen Lager. Es gab also keine Reporter, die „Geschichten“ recherchierten und erzählten und so etwas wie Journalis‐ mus betrieben (Schudson 2011, S. 63). Bis in die 1830er-Jahre prägte diese parteinahe Presse die amerikanische Öffentlichkeit. Ein Journalismus, der hinterfragt und sachorientiert zur Vielfalt der Meinungsbildung beitrug (und darüber einen Lebensunterhalt bestreiten konnte), entwickelte sich nur langsam. Wenn in der Rückschau häufig die Bedeutung des First Amendment für die amerikanische Demokratie betont wird, also die Rede- und Pressefreiheit, so entspricht doch die politische Öffentlichkeit der jungen Republik in mancher Hinsicht nicht der hehren Idee einer von der Politik distanzierten „vierten Gewalt“ - etwa so, wie sie sich in einem auf 1787 datierten Zitat von Thomas Jefferson spiegelt: „If it were left to me to decide whether we should have a government without newspapers or newspapers without government, I should not hesitate for a moment to prefer the latter“ (zit. n. Brown & Gitlin 2011, S. 74). Bezeichnend für die tatsächliche Kultur einer geradezu „toxischen“ Parteipresse rund um die Jahrhundertwende - plastisch: Crusading Journalism (Nagel 2007, S. 67) -, dass Jefferson 1807, jetzt als Präsident, seine idealistische Vorstellung reichlich relativierte: „The man who never looks into a newspaper is better informed than he who reads them, inasmuch as he who know nothing is nearer to the truth than he whose mind is filled with falsehoods and errors.“ (zit. n. Brown & Gitlin 2011, S. 74) Erst mit neuen Drucktechniken (Linotype) und der Nachrichtenverbreitung durch Telegraphen wird bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine schrittweise Emanzipation der Presseunternehmen von den politischen Lagern erkennbar. Und, um etwas vorzugreifen, eine explizit an so etwas wie einem öffentlichen Interesse oder einem Gemeinwohl 38 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="39"?> orientierte Presse, wird erst gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Progressive Movement breiter diskutiert (→-Kapitel-2.5). Die öffentliche Kommunikation und der politische Diskurs dieser Zeit wurden den Ansprüchen moderner Pressefreiheit also kaum gerecht: durch finanzielle Verquickungen, durch (damit verbunden) eine mitunter scharfe und distanzlose Positionierung der Publikationen selbst. „[…] [T]he same en‐ lightened geniuses who crafted the First Amendment also created a partisan press system subsidized by political parties and government contracts, not to mention postal giveaways.“ (McChesney & Nichols 2010, S.-129) Noch 1791 schrieb James Madison in seiner Schrift Public Opinion der Presse so etwas wie eine Integrationsfunktion zu; sie stünde angesichts der offenkundigen Instabilität des Landes vor der Aufgabe, die Nation zusammenhalten. Solche Ideen fruchteten indes wenig und blieben meist Appell. „(P)artisans on all sides attacked their opponents through vicious pamphlets that were often filled with highly questionable accusations and downright lies.“ (O’Connor & Weatherall 2019, S.-19) Zeitungen - überwiegend - waren Teil des politischen Konfliktes, nicht Beobachter und Berichterstatter. Auf einem Höhepunkt der publizistischen Auseinandersetzungen verabschiedete 1798 der Kongress den Alien and Sedition Act (→ Kapitel 3.3), dem Titel nach eigentlich ein Gesetz gegen auf‐ rührerische Fremde. Gedacht hatte Präsident Adams vor dem Hintergrund wachsender Spannungen mit Frankreich aber auch an „eingewanderte“ Journalisten und daran, unliebsame Publikationen einfach zu verbieten (vornehmlich französische und irische Schriften) (vgl. Holzer 2020, S. 26; Stöver 2013, S. 247): bestraft werden sollten „any false, scandalous, and malicious writing or writings against the government of the United States“. Tatsächlich wurden knapp zwei Dutzend Personen verhaftet, zehn verurteilt - meist Drucker von Zeitungen der Anhänger der Democratic-Republican Party (Nord 2006, S. 86). Das Gesetzespaket wurde in Teilen als womöglich verfassungswidrig eingeschätzt und dann - hinsichtlich der Einschränkung der Pressefreiheit - in der Präsidentschaft von Thomas Jefferson 1801 aufgehoben. Jefferson folgte damit nicht nur einem strategischen Kalkül, sondern auch einer Öffentlichkeit, die heftig gegen eine „Tyrannei“ der Zensur und, bemerkenswert, für vielfältige Berichterstattung stritt (vgl. Greene 2021, S. 15; Holzer 2020, S. 28-31; McChesney & Nichols 2010, S. 117). Mit Jefferson wurde der erste Anti-Federalist zum Präsidenten gewählt. Damit beginnt eine „Era of State Power“ oder „Jefferson Democracy“: eine Zeit weitreichender Wahlrechtsänderungen und Stärkung der Rechte der 2.2 Die Presse der jungen Republik 39 <?page no="40"?> Einzelstaaten. Etwa um 1815, also nach dem Britisch-Amerikanischen Krieg (1812) und der einsetzenden außenpolitischen Konsolidierung, verlor die strikte parteipolitische Öffentlichkeit etwas an Bedeutung. In diese Zeit fällt ein wichtiger technischer Fortschritt: Der dampfgetriebene Schnelldruck, der 1814 erstmals in London und dann rasch in den USA zur Anwendung kam (Kleinsteuber 2008b, S. 23). Viele der neuen Zeitungen, die sich auf dem expandierenden Zeitungsmarkt versuchten, folgten nun dem Tenor Liberty and Republicanism (vgl. Nord 2006, S. 88), zeigten sich also an der Nation und der Gemeinschaft interessiert. Es war (u. a.) diese Presse, die einem jungen Franzosen auffiel, als er 1831-32 die USA bereiste: Alexis de Tocqueville, der seine Eindrücke später in einer Studie veröffentlichte, die ihn berühmt machen sollte. Über die Demokratie in Amerika gilt als das wichtigste zeitgenössische Werk über die junge Union: eine soziologische, durchaus kritisch-distanzierte Analyse der Strukturen, Institutionen und Funktionsweisen der neuen Republik. Das Interesse daran war nicht zuletzt darum groß, weil in Europa die demokratische Regierungsform noch unter dem Verdacht stand, nur in überschaubaren Gemeinwesen zu funktionieren (vgl. Schmidt 1995). Tocqueville beobachtete ein vitales politisches System, aber auch Gefahren der Demokratie - am bekanntesten ist wohl seine Formulierung von der „Tyrannei der Mehrheit“ (als latente Gefahr), der jedoch durch die geradezu selbstverständliche Teilhabe der Amerikaner am politischen Geschehen ihrer Gemeinden entgegengewirkt würde. Und er beobachtete viele Associ‐ ations: Vereinigungen etwa religiöser oder wirtschaftlicher Natur, die die Gemeinden der Neuen Welt prägten. Gerade die kleinen, ländlich geprägten Gemeinschaften wiederum würden zusammengehalten, ja erst ermöglicht durch die Zeitungen (vgl. Nord 2006, S. 7). Dass es davon erstaunlich viele gab, erklärte sich Tocqueville durch die schiere Masse an Ämtern, die in den USA durch direkte Wahlen besetzt würden; dadurch gäbe es einen verständlich größeren Bedarf an Informationen. Tatsächlich gab es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Presse und der der Ämter - jedoch weniger durch die Publikumsnachfrage an lokalen politischen News, mehr durch amtliche Bekanntmachungen. „Legal advertising was a substantial and reliable source of newspaper income“ (Schudson 2011, S. 63): Noch zu dieser Zeit ist es nicht ein freier Markt, der eine Blättervielfalt hervorbringt, sondern die frühe „medienpolitische“ Entscheidung - ein aufklärerischer Gedanke -, Druck und Vertrieb massiv durch den Staat zu unterstützen, um vielen Amerikanern Zugang zu nützli‐ 40 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="41"?> chen Informationen zu ermöglichen (vgl. Kielbowicz 2008; McChesney 2004, S.-34; McChesney & Nichols 2010; S.-119). 2.3 Penny Press, Nachrichten als Ware Kurz nachdem Tocqueville in seine französische Heimat zurückgekehrt war, gründete Benjamin Day im September 1833 in New York The Sun. Schon der Titel hatte programmatischen Charakter: die „Sun“ scheine unterschiedslos, richte sich an alle und sei jedem zugänglich (vgl. Lepore 2020, S. 269). Damals hatte New Yorks führende Tageszeitung - The Morning Courier and New York Enquirer - bei einer Einwohnerzahl von knapp 300.000 gerade einmal eine Auflage von rund 2.600. Sechs Cents (ein Luxus nahezu) bezahlte überwiegend die wohlhabende Schicht der Stadt für die meist vier-seitigen Ausgaben, die sich auch inhaltlich an dieser Upper Class orientierten (Wu 2017a, S. 11). Nun also versuchte Benjamin Day mit der Sun, die nur einen Cent kosten sollte (daher Penny Press), eine weitaus größere und andere Leserschaft für seine Zeitung zu gewinnen. Ein unternehmerisch riskantes Unterfangen: Vielleicht war Day bekannt, dass drei Jahre zuvor Christoph Conwell in Philadelphia sich mit einer ähnlichen Idee übernommen hatte. Tatsächlich musste auch Day zur An‐ kurbelung der Sun erst einmal in Vorkasse treten. Sein Finanzierungsmodell sah eine im Vergleich zur Konkurrenz deutlich größere Auflage vor (mit entsprechend höheren Produktionskosten) gekoppelt an den - unsicheren - Handel mit Werbeplatz. Hatten bis dahin Verleger ihren Profit dadurch erzielt, dass die Einnahmen aus dem Verkauf (aufgestockt durch Sponsoren‐ gelder) die Druck- und Vertriebskosten übertrafen, so sollte die deutlich billigere Sun über diese Anzeigen Gewinn einfahren: Werbung, die sich erst bei einer sehr viel größeren Auflage rentieren würde; genau deshalb müsse der parteiliche Fokus aufgegeben werden. Benjamin Day wurde mit diesem Modell wohl der erste Attention Merchant (vgl. Wu 2017a) und bot den Händlern die Aufmerksamkeit einer Stadt, einer breiten Leserschaft, nicht allein eines kleineren, wenn auch zahlungskräftigen Kreises. Er wollte also zwei Märkte bedienen: einen Publikumsmarkt, einen Werbemarkt. Um zu demonstrieren, dass das funktioniere, wurden schon in der ersten Ausgabe dutzende Werbetexte gesetzt - und zwar von Day selbst, ohne dass die Unternehmen ihn dazu beauftragt hatten. „You might say that he ran advertisements, in effect, to try and find advertisers.“ (Wu 2017a, S.-12) 2.3 Penny Press, Nachrichten als Ware 41 <?page no="42"?> Anzeigen finden sich bereits in den Zeitungen des frühen 18. Jahrhun‐ derts. Sie waren jedoch nicht zentral für die Finanzierung und wurden als gern publizierte Informationen verstanden, an denen die lokale Bevöl‐ kerung Interesse hatte; und entsprechend wurden sie präsentiert - nicht persuasiv, wie es schließlich mit der Penny Press geschah. Mit dem neuen Einnahmemodell hatte die Sun Erfolg. Schon gegen Ende 1834 war sie mit rund 5.000 Exemplaren New Yorks auflagenstärkste Tageszeitung. Und sie fand sofort Nachahmer, etwa die Abendzeitung New York Transcript, die sich auf populären Sport wie Pferderennen oder Boxen konzentrierte, oder The Morning Herald, der Kriminalität in den Mittelpunkt stellte. Die Sun selbst bewies Ende 1835 (angesichts der wachsenden Konkurrenz) mit einer völlig aus der Luft gegriffenen Serie über die Entdeckung von Leben auf dem Mond (Fledermausmenschen, Einhörner) die Anziehungskraft von bes‐ tenfalls zeitgenössischer Wissenschaftskarikatur, besser: Falschmeldungen. Zum Höhepunkt der Reihe verkauften sich fast 20.000 Exemplare täglich; soweit bekannt, war das seinerzeit die größte Auflage weltweit (Wu 2017a, S.-14-18). Die Penny Press orientierte sich also neu und versuchte mit lebendiger Sprache, kräftigen Schlagzeilen und kurzen Texten ein breites Publikum zu erreichen: Eine Frühform der Boulevardpresse also, die von den „gentlemen class papers“ der alten Konkurrenz sofort als Unsinn attackiert wurde (Peck 2019, S. 60). Sie griff primär tagesaktuelle Fragen auf und Human Interest-Geschichten, die sich mit der Lebenswelt der Menschen unmittelbar verbanden (vgl. Dovifat 1927, S. 48). Nach wie vor trennte man nicht klar zwischen Information und Unterhaltung (vgl. Chadwick 2017, S. 34). Auf diese Zeit zurück geht ein noch heute in der amerikanischen Politik und Öffentlichkeit gängiger Topos: Dem des Common Man, den man vertrete und dessen Stimme man Gehör verschaffe. Medienhistoriker sehen in der Penny Press daher nicht nur die Transformation des frühen Journalismus in den USA, sondern verstehen sie als Ausdruck einer „democratic market society“ (Schudson 1978, S. 60): Eine durch die Konsolidierung der Demokratie und die Expansion des Landes notwendige Orientierung an Informationen, die vielen Menschen nützten. „The penny press expressed and built the culture of a democratic market society, a culture which had no place for social or intellectual deference. This was the groundwork on which belief in facts and a distrust of the reality, or objectivity, of ‚values‘ could thrive.“ (Ebd.) „Groundwork“ also - in der Penny Press wird bei weitem noch nicht ein moderner Journalismus sichtbar. Aber in ihrem Ansatz, nicht nur partikulare 42 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="43"?> Gruppen zu bedienen, sondern sich als werbefinanziertes (Massen-)Medium aufzustellen, nahm sie den Zeitungen ihren dominierenden Fokus auf Eliten, was eben als „Demokratisierung der Presse“ verstanden wurde (vgl. Kleinsteuber 2008b, S. 23). Das heißt im Übrigen nicht, sie wäre unpolitisch gewesen; es wurden durchaus Meinungen formuliert, Positionen diskutiert und Kandidaten unterstützt. Was aber verschwand, war die Abhängigkeit von politischen Sponsoren und die Vorstellung, diesem oder jenem Lager ein Sprachrohr sein zu müssen (Norden 2006, S. 280). Massenattraktiv gestaltet, eben am Common Man orientiert, das war die Penny Press dann auch in ihren politischen Berichten, weil man sich nicht auf eine Partei (und einen kleinen Kreis an Interessenten) festlegen wollte. Mit dieser Ausrichtung förderte die Penny Press die Jackson-Demokratie (vgl. Lepore 2020, S. 428). Andrew Jackson hatte 1928 mit dem Slogan Faith in the Common Man die Wahl gegen John Quincy Adams gewonnen. Im Gegensatz zu den ersten sechs Präsidenten, die allesamt wohlhabende Persönlichkeiten der Ostküsten-Elite waren, galt Jackson als hemdsärmeli‐ ger Selfmade-Charakter und Vertreter der einfachen Schichten. Auf eine „eigene“ Zeitung verzichten wollte er freilich nicht: Auf seine Initiative hin wurde im Dezember 1830 der Washington Globe gegründet. Er wurde sofort zu einer Art Zentralorgan der Regierung (Holzer 2020, S. 63). Neu hingegen war das Ausmaß der Patronage im Pressewesen: Geschätzt wird, der populäre Präsident habe fast sechzig Verlegern und Autoren politische Ämter verschafft (McChesney & Nichols 2010, S.-129), Wissen | Die Jacksonian Democracy Im Allgemeinen verbindet sich mit der Jacksonian Democracy ein ega‐ litär-politischer Zeitgeist, angelehnt an die Präsidentschaft Andrew Jacksons (1829-1837); der Begriff ist schon den Zeitgenossen gängig und umfasst unterschiedliche Phänomene und Entwicklungen, vor allem die Entstehung des „zweiten Parteiensystems“. Hinter Jackson selbst formierte sich die Democratic Party, hinter seiner Konkurrenz (darunter John Quincy Adams) die National Republican Party. Diese Phase (ca. 1830 bis 1850) gilt als Blütezeit der Parteien, denen es damals gelang, die Besetzung von Ämtern nachgerade zu monopolisieren (Patronage oder „Spoils System“); die Parteien durchdrangen die Gesellschaft, prägten eine neue politische Kultur, dominierten die Kandidatenaufstellungen und einen neuen Wahlkampfstil durch Massenmobilisierung (z. B. 2.3 Penny Press, Nachrichten als Ware 43 <?page no="44"?> Paraden, Großveranstaltungen). Gelegentlich spricht man vom Age of Reform, dem Zeitalter der Reformen, weil das Wahlrecht erweitert und die Eliten-Orientierung im politischen System geschwächt wurde. Etwa stärkte die Jacksonian Democracy die politische Partizipation durch die Einführung von Richterwahlen; allerdings blieben die neuen Beteiligungsformen weiterhin beschränkt auf männliche Amerikaner europäischer Abstammung. Auch James Gordon Bennett galt anfangs als Unterstützer von Jackson, positionierte sich aber 1835 mit der Gründung des New York Herald unab‐ hängig. Bei Bennett - und später anderen Verlegern wie William Randolph Hearst, Joseph Pulitzer oder William R. Nelson - zeigte sich mehr als eine neue ökonomische Stellung einflussreicher Presseunternehmer; sie personifizierten eine „Umkehr der Machtverhältnisse“ (Nagel 2007, S. 68; vgl. Armao 2000, S. 37): Zeitungen nicht als abhängige Organisationen, sondern als eigenständige Institutionen, nicht per se unpolitisch, aber auch nicht stringent parteilich engagiert und gebunden. Das schlug sich nieder in einem Personal Journalism mit seinen charakteristischen Editorials: Bennett oder etwa Horace Greely etablierten das Format als überparteiliches, distanzier‐ tes aber meinungsstarkes Forum über alle Belange der Republik. Damit und mit der Penny Press erlebte das Land einen Presse-Boom; zwischen 1830 und 1840 verdreifachte sich die Zahl der der Zeitungsunter‐ nehmen (Amar 2021, S. 142). Am Ende dieses Jahrzehnts zirkulierten in den USA mit geschätzten 17 Millionen Einwohnern wahrscheinlich sogar mehr Publikationen als unter den über 200 Millionen Europäern (Schudson 2011, S.-62). Am Vorabend des Bürgerkrieges sind es rund 2.500 Zeitungen (Nord 2006, S. 94). Insofern kann man - was die schiere Zahl der Veröffentlichung angeht - schon von einer Massen-Presse sprechen. Die Gesamtauflage jedoch geht im Wesentlichen zurück auf die große Zahl einzelner Zeitungen; bis in die 1880er-Jahre blieben die Auflagen - von Ausnahmen abgesehen - relativ gering, summierten sich aber. Die Expansion der Printmedien ist dabei zwar wesentlich durch das Geschäftsmodell der Penny Press zu erklären. Hinzu treten aber zeithisto‐ rische Einflüsse: Zum einen wurden mit der Entwicklung von zunächst dampfbasierten, später elektrischen Schnelldruckverfahren und neuen Setz‐ maschinen die Produktionskosten mit der Zeit drastisch gesenkt - bei besserer Qualität im Druck und höherer Produktionsgeschwindigkeit. Das 44 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="45"?> vollzog sich in mehreren Schritten: dem Rotationsdruck (1843), dem Zy‐ linderdruck (1863), dem Offsetdruck (1875), um nur einige Technologien zu nennen (vgl. Man 2009). Zum anderen wurde das Schulsystem in den USA im Vergleich zu Europa bereits früh ausgebaut - mit steigenden Alpha‐ betisierungsraten. Daneben verursachte der stete Strom an Zuwanderern ein rasches Wachstum der Küstenstädte, was den Markt für Zeitungen beständig vergrößerte. „Das Wechselspiel von Urbanisierung, Massenpresse und abnehmendem Kaufpreis für die Zeitungen (Penny Press) führte zu stetig steigenden Auflagenzahlen.“ (Nagel 2007, S.-67; Herv. i.-O.) Die Ausdifferenzierung des Zeitungslandschaft, bei der die Penny Press nur eine Facette war, spiegelte sich auch in Speciality Media wider, etwa christlichen Newsletter oder Publikationen, die sich explizit als Frontier News verstanden und sich wie The American Farmer (ab 1819) an die Siedler mit ihren besonderen Bedürfnissen richteten (vgl. Clark 2008b, S. 10). Andere widmeten sich der Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse, darunter der Abschaffung der Sklaverei. Ab 1817 erschienen in Ohio (The Philanthropist) und Tennessee (The Emancipator, 1820) die ersten Newsletter der Abolitionists. Führend für die Bewegung wurde ab Januar 1831 der Liberator, der wie andere Zeitungen der Abolitionists massiv angefeindet wurde und dessen Druckereien und Büros zerstört wurden. „Violence against the abolitionist press was widespread in the 1830s.“ (Clark 2008a, S. 5) Universelle Emanzipation erfuhr auch im Norden viel Misstrauen. Auf den Herausgeber des Liberator, Lloyd Garrisson, wurde ein Kopfgeld ausgesetzt; Elijah Lovejoy, ein Presbyterianer, der sich zuerst im St. Louis Observer und dann im Alton Observer vehement gegen die Sklaverei aussprach, wurde im November 1837 von einem Mob ermordet. Die Sklavenfrage blieb aber nicht allein Sache kleinerer Publikationen oder engagierter Persönlichkeiten. Insbesondere die New York Tribune galt ab etwa 1830 als wichtigstes Organ der Emanzipationsbestrebungen (vgl. Clark 2008a, S. 4) - sie erreichte die für diese Zeit enorme Auflage von knapp 200.000 und hatte einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die öffentliche Meinung der Nordstaaten (vgl. Blum 2014, S.-266). Für die Zeit vor dem Bürgerkrieg (1861-1865) sind noch zwei Entwick‐ lungen zu nennen, die das US-Mediensystem unmittelbar betrafen und dann in wesentlichen Zügen veränderten: Die Erfindung des Telegraphen (1844) und die Gründung der Nachrichtenagentur Associated Press (AP), 1848. Der von Samuel Morse entworfene Telegraph hatte mit einer ersten, vom Kongress geförderten Experimentalstrecke zwischen Washington und Bal‐ 2.3 Penny Press, Nachrichten als Ware 45 <?page no="46"?> timore, begleitet vom raschen Ausbau der Eisenbahn die Städte des Landes miteinander verbunden und die Nachrichtenverbreitung revolutioniert. Das verstanden die Amerikaner damals schon als ein Mittel, die immer größer werdende Nation mit ihren bald gewaltigen geographischen Dimensionen zu einen. „Die größte Revolution der modernen Zeit - und tatsächlich aller Zeiten - bei der Verbesserung der Gesellschaft ist vom magnetischen Telegrafen bewirkt worden“, schrieb The Sun, und zwar durch die „Beseiti‐ gung des Raums“ (zit. n. Lepore 2020, S. 289). Bereits 1860 hatte man rund 50.000 Meilen Kabel verlegt und etwa 1.400 Telegraphenämter eingerichtet (Mauch et al. 2020, S. 107). War es zuvor eher eine Frage von Wochen, denn Tage, bis eine Nachricht im Land einigermaßen bekannt war, wenn überhaupt, so änderte sich das nun rapide. Das blieb nicht ohne Folgen für das Geschäft der Nachrichtenverbreitung. Die Telegraphie entwickelte sich in den USA (und in Großbritannien) vornehmlich als privat-wirtschaftliche Unternehmung; in den meisten Ländern Europas, in denen der Telegraph eher als militärische Technik verstanden wurde, kontrollierten anfangs die Staaten den Zugang (vgl. Puppis 2004, S. 252). Der amerikanische Markt hingegen war erst kompetitiv, bis sich 1857 zunächst ein regionales Oligopol aus sechs Firmen („Treaty of Six Nations“) bildete, dann weiter integrierte und um 1866 von Western Union dominiert wurde (Blondheim 1994). Etwa zeitgleich zum Aufbau des Telegraphen und in Reaktion auf den Wettbewerb auf dem Pressemarkt schlossen sich 1846 in New York fünf Zeitungen zu einer Nachrichten-Kooperativen zusammen, der Associated Press (AP). Unmittelbarer Anlass dazu war der Krieg mit Mexiko und die Kosten der Kriegsberichterstattung, die man sich teilen wollte. Die AP dominierte auch durch die prioritäre Nutzung der Telegraphie rasch den wachsenden Nachrichtenmarkt im Inland: die Zeitungen der schnell wachsenden Städte wie Chicago, Cincinnati und New Orleans nutzen den neuen Nachrichtendienst - oft exklusiv im lokalen Markt -, um unabhängig von den (teuren) Zulieferungen der Ostküsten-Konkurrenz zu werden. Die AP wurde bald nicht nur aufgrund der Geschwindigkeit ihrer Nachrichten‐ vermittlung geschätzt, sondern auch aufgrund ihres nüchternen, knappen und akkuraten Stils. Bis etwa 1880 und der Gründung der United Press bildete die AP ein Monopol. Heute unterhält die AP etwa 240 Büros weltweit und beliefert knapp 14.000 Medienunternehmen (vgl. Evensen, 2008; Wilke 2013). 46 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="47"?> 2.4 Bürgerkrieg, Massenpresse Im Bürgerkrieg bewährte sich der Telegraph nicht nur für die Militärs als wichtiges Informationsmittel; er ermöglichte auch den Zeitungen im Norden wie im Süden eine schnelle Nachrichtenverbreitung, und entsprechend aktuell konnten sie aus den Kriegsgebieten berichten. Dem folgte eine überaus rege und detaillierte Nachrichtengebung. Kaum verwunderlich, betätigten sich die meisten Zeitungen als offene Verfechter der jeweils eigenen Seite. „Though not universally true, many newspapers published biased accounts of events, ‚factual‘ testimonials of enemy atrocities, articles proselytizing for specific political and military goals, and emotionally charged letters from citizens affected by the conflict.“ (Coppersmith 2004, S. 7) Dabei wurde der Krieg „editorialized“, eine Art „quiet war for public support“ (ebd.) spiegelte sich in den Meinungsartikeln wider. Geworben wurde um Unterstützung, Loyalitäten wurden eingefordert, Optimismus verbreitet, Deserteure verdammt. Gelegentlich wurden auch Verlustzahlen geschönt, da man annahm, die Truppen würden sich ebenfalls aus Zeitungen informieren (ebd. S.-167-168). Jedoch verfügten die Unternehmen des Südens über deutlich weniger Ressourcen als die des Nordens. In erster Linie durch die weitaus ländlichere Gesellschaftsstruktur waren gemessen an den Bevölkerungszahlen dort nicht nur absolut weniger Publikationen zu finden, sondern auch im Ver‐ hältnis. Nur rund ein Drittel der etwa 2.500 Zeitungen Amerikas hatten 1860 ihren Ursprung im Süden, und offenbar stand schon vor dem Bürgerkrieg deren Finanzierung auf unsicheren Füßen; kein einziges Unternehmen der Südstaaten leistete sich - so wie einige New Yorker Verleger - Korrespon‐ denten im Feld, die dem Militär folgten und permanent aus eigenem Erleben von den Ereignissen berichteten (vgl. van Tuyll 2013). Hatte der Telegraph zur Aktualität der Berichterstattung beigetragen, so veränderte nun die Fotografie die Wahrnehmung des Bürgerkrieges. Er war allerdings nicht der erste Krieg, in dem Fotografen eine Rolle spielen sollten. Für Aufsehen hatte 1855 der Brite Roger Fenton gesorgt, der im Krim- Krieg hunderte Aufnahmen anfertigte (Pensold 2015, S. 11-13). Im Civil War dokumentierten einige dutzend Fotografen die Gefechte und Schlachten respektive deren Opfer. Bekannt wurde insbesondere eine Fotoserie von Alexander Gardner - The Dead of Antietam -, die in New York ausgestellt wurde. „Mr. Brady (der Galerist, K. K.) hat etwas getan, mit dem er uns die furchtbare Wirklichkeit und den Ernst des Krieges vor Augen führen will. 2.4 Bürgerkrieg, Massenpresse 47 <?page no="48"?> Er hat zwar nicht die Leichen genommen und sie in unsere Vorgärten oder auf die Straßen gelegt, aber er hat etwas getan, was dem sehr nahekommt“, so seinerzeit die New York Times (zit. n. Lepore 2020, S. 364). Ausgestellt wurden die Fotos, was noch typisch für die Zeit war, weil sie aus technischen Gründen nicht abgedruckt in der Presse erschienen, sondern zunächst nur als Vorlage dienten für realistische Zeichnungen in den nun populär werdenden Illustrierten. Noch vor dem Bürgerkrieg hatte die Zeitungsindustrie deutlich expan‐ diert. Die Auseinandersetzungen um die Sezession und die Kriegsbericht‐ erstattung hatten zusätzlich die Position der Presse als (Streit-)Forum un‐ terstrichen und gestärkt. Im Krieg und in den nachfolgenden Jahrzehnten lösten die Nachricht und die Reportage das Editorial als vorherrschende Formate ab, wobei die Aktualität der Information im Wettbewerb immer wichtiger wurde. Nicht selten veröffentlichten die größeren Zeitungen in den Städten täglich mehrere Ausgaben, und um 1870 konkurrierten in jeder der zwölf größten Städte des Landes mindestens zwei Tageszeitungen. Eine Zeitung von nationaler Bedeutung konnte sich nicht etablieren. Etwa in dieser Zeit wird auch die Zeitschrift - ein wöchentliches oder monatliches Periodikum mit einer thematischen Ausrichtung - als Werbe‐ träger populär: mit etwa dem Ladies Home Journal, der Saturday Evening Post, Harper’s Weekly, Atlantic Monthly oder The Nation (Kleinsteuber 2007b, S. 380), die mit ihrem Angebot nun eine nationale Zeitschriften-Kultur bildeten und die Grundlage eines nun in Teilen nationalen Werbemarktes bildeten, zumindest für solche finanzstarke Unternehmen, die an einer überregionalen Leserschaft interessiert waren (vgl. Schmidt 2016, S. 317). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichten Sonntagszeitungen eine Auflage von rund 12 Millionen. Während im Süden des Landes die Zeitungswirtschaft nach der Nieder‐ lage wirtschaftlich einbrach und viele junge Redakteure in den Norden gingen, wuchs die Branche an sich mit der weiteren Ausdehnung des Landes in den Westen weiter an. Zwischen 1879 und 1900 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner der USA - während die Auflagen der Tageszeitungen auf das Vierfache stieg, auf rund 15 Millionen zur Jahrtausendwende (vgl. Jowett & O’Donnell 2019, S. 95). Vor allem in den Städten machte sich der ständige, kaum unterbrochene Bevölkerungszuwachs bemerkbar. Lebten um 1850 in New York rund eine halbe Million Menschen, so waren es 1900 knapp 5,6 Millionen. Zur Mitte des Jahrhunderts hatten acht Städte eine Einwohnerzahl von über 100.000. 1910 waren es etwa fünfzig. 48 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="49"?> Typisch war daneben für das ländliche Amerika und die frisch besiedelten Gebiete, dass mit den neuen Territorien neue Presseunternehmen gegründet wurden. Oft galten Siedlungen und Communities erst dann als einiger‐ maßen gefestigte soziale Einheiten, wenn sie über eine eigene Zeitung verfügten. Im Gegensatz zu den Städten dominierten in diesen Gebieten zumindest anfangs noch wöchentliche Periodika - und häufig waren es nicht -englischsprachige Zeitungen für jene ethnischen Gruppen, die sich zu Siedlungsgemeinschaften zusammenschlossen. Das war an und für sich nicht neu, denn praktisch jede Immigrationswelle wurde begleitet von der Gründung solcher Zeitungen (vgl. Frontani 2008, S. 16), und schon früh im 19.-Jahrhundert finden sich entsprechende Publikationen, beispielsweise in Chicago mit einem halben Dutzend polnischer Zeitungen. Deutsche Verleger galten als sehr einflussreich; um 1890 sollen fast 500 deutschsprachige Titel verlegt worden sein, wenngleich das meist kleine und nur wöchentlich erscheinende Publikationen waren (vgl. Groshgal 2014). Mit der Konsolidierung des Landes nach dem Bürgerkrieg, der geogra‐ phischen Ausdehnung und der Industrialisierung vor allem des Nordens ging eine rapide wachsende Pressebranche einher. Sie war in großen Teilen geprägt durch lokal organisierte und orientierte Unternehmen. Zugleich jedoch folgten dem steigenden Wettbewerb erste Konzentrationsprozesse in städtischen Printmärkten, weil die werbetreibenden Händler an Reichweite und der Optimierung ihrer Ressourcen interessiert waren: „(A)dvertisers rationally flocked to the leading newspaper(s) that could offer the best rates and the widest reach“ (McChesney & Nichols 2010, S. 135). Es entstanden erste Konglomerate, die mehrere Zeitungen unter einem Dach vereinten. Besonders erfolgreich wurden zum Ende des Jahrhunderts die Hearst Corpo‐ ration und Pulitzer, Inc. 1878 hatte Joseph Pulitzer den St. Louis Post-Dispatch gegründet und nach dessen Erfolg dann 1882 die New York World gekauft. Mit der World etablierte er einen neuen Zeitungsstil, der sich konsequent an Auflagen- und Verkaufszahlen orientierte - „[r]eporting was more a trade than a profession […]“ (Rauch 2021, S. 122) - und sich mit sensationellen Stories und Illustrationen auch an die Immigranten der Stadt richtete. Knapp zwei Jahre später war die World Marktführer in New York. 1895 erwarb dann William Randolph Hearst das New York Journal und forcierte damit einen Wettbewerb, Preisdumping und das Abwerben von Redakteuren, was sogleich als „Zeitungskrieg“ eigene Schlagzeilen produzierte. Hearst, der den San Francisco Examiner von seinem Vater geerbt hatte, verband nach dem Vorbild von Pulitzer Nachricht und 2.4 Bürgerkrieg, Massenpresse 49 <?page no="50"?> Sensation - mit Erfolg: Beide Zeitungen zusammen erreichten während des spanisch-amerikanischen Krieges (1898) eine Auflage von über einer Million. Damals schon kritisierte die Konkurrenz die Berichterstattung der World und des Journals als unseriös und reißerisch - gegenwärtig noch manifest in dem seinerzeit geprägten, negativ verstandenen Etikett Yellow Press. Wissen | Yellow Press Yellow Press bezeichnet meist abwertend einen „Sensations“-Journalis‐ mus, der in einem emotional gehaltenen Stil Korruption, Verbrechen, Erotik, Klatsch und unmoralisches Verhalten in den Vordergrund rückt, um die Auflage zu steigern. Der Begriff geht wahrscheinlich zurück auf eine Comic-Figur, the Yellow Kid, die in den 1890er-Jahren populär war; deren Zeichner, Richard Outcalt, verließ 1897 die New Yorker The World und wechselte zur Konkurrenz, zum New York Jour‐ nal - mitten in einem „Zeitungskrieg“ zwischen den Verlegern Joseph Pulitzer und William R. Hearst. Die New York Press kritisierte 1897 ein Sensationalizing der Nachrichten durch diese Blätter eben als „Yel‐ low Journalism“ und gab damit nicht nur dieser Auseinandersetzung Ausdruck, sondern auch der Kritik generell an einem Auflagenjourna‐ lismus, der die Sensation der Substanz vorziehe. Insbesondere sollen die Zeitungen der beiden umstrittenen Verleger 1898 zum Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Krieges beigetragen haben; etwa habe Hearst angeblich seinem Reporter in Havana, der dort von einer üblen Tyrannei der Spanier berichten sollte, gekabelt: „‚You furnish the pictures and I’ll furnish the war‘“ (zit. n. Brogan 1999, S. 440). Der Zusammenhang bleibt jedoch überwiegend anekdotisch und bezieht sich allein auf die sensationalistische äußerst breite Berichterstattung u. a. über die Explosion der U.S.S. Maine im Hafen von Havanna, nicht auf politische Entscheidungsprozesse (vgl. Jowett & O’Donnell 2019, S.-96; Mauch et al. 2020, S.-202; Raabe 2013). Freilich haben die World und das Journal nicht nur dramatisiert und den Wide Appeal gesucht, die Ansprache der Masse, sondern (überwiegend sogar) tagesaktuelle Informationen angeboten. Beide Unternehmen inves‐ tierten zudem erheblich in die Sonntagspresse mit ihren breiteren Angebo‐ ten. Pulitzer wie auch Hearst verstanden Zeitungen als gesellschaftsbezo‐ 50 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="51"?> gene Institutionen und engagierten sich für Sozialreformen, Arbeiter und Immigranten. Pulitzer war zeitweise für die Demokraten Mitglied des US- Repräsentantenhaus; er gründete 1912 die Columbia School of Journalism. Auch Hearst hatte politische Ambitionen und war kurze Zeit Abgeordneter in Washington, konzentrierte sich dann aber auf sein Zeitungsimperium. Mitte der 1930er-Jahre besaß er von Küste zu Küste 24 Tages- und 16 Sonn‐ tagszeitungen; geschätzt jeder vierte Amerikaner las damals regelmäßig eine seiner Publikationen (vgl. Kernell et al. 2020, S.-610). 2.5 Presse und Journalismus in der Progressive Era Im Oktober 1902 veröffentlichte das McClures’s Magazine den ersten Text einer berühmten Artikelreihe - The Shame of the Cities -, in der Lincoln Steffens Korruption in den Stadtverwaltungen von u. a. St. Louis, Minnea‐ polis, Philadelphia, Chicago und Pittsburgh aufdeckte und von der Arbeit aufrechter Ermittler berichtete. Steffens bezeichnete sich (später) selbst als Muckraker (Holzer 2020, S. 95): Dieses heute noch gebräuchliche Etikett für recherchierenden Journalismus geht zurück auf eine 1906 gehaltene Rede von Präsident Theodore Roosevelt. Roosevelt spielte mit dem Muckraker an auf eine Figur aus John Bunyans Pilgrim’s Progress - auf den Mann mit der Mistgabel („Muck-Rake“), der nur nach unten schaut, nur den Dreck sieht (vgl. Lepore 2020, S. 454). Von „hysterical sensationalism“ sprach der Präsident (zit. n. Holzer 2020, S. 108), von einer Muckraking-Industrie, und bediente damit die Idee einer aus purer Profitgier an Drama, Skandal und Sensation interessierten Branche. Unmittelbarer Anlass für den Zorn Roosevelts war die Serie A Treason in the Senate von David Phillips in der Cosmopolitan, die die Lobbyarbeit der Industrie und Großbanken im Kongress kritisierte. Demgegenüber positiv verstanden steht das Muckraking für eine auf‐ klärende Publizistik, für einen an Transparenz und Fortschritt orientie‐ rten Journalismus, der sich nicht scheut, auch gegen mächtige Interessen die Stimme zu erheben. In The Shame of the Cities oder A Treason in the Senate finden sich Grundzüge eines investigativen Journalismus (obwohl viele der Probleme im Kern bekannt waren); vor allem zeichnete sich hier ein anwaltschaftlicher Journalismus ab, ein New Journalism (gelegentlich: Progressive Journalism oder Public Service Journalism) der sich im Detail und nachforschend mit den Zuständen des Landes auseinandersetzte 2.5 Presse und Journalismus in der Progressive Era 51 <?page no="52"?> - und zwar stellvertretend für die Bevölkerung und beseelt von der Progressive Era: Einer Zeit der Reformen, die auf 1890 bis ca. 1920 datiert wird. Diese Reformphase hatte ihren Ursprung in der Industrialisierung und Ur‐ banisierung des Landes und der einsetzenden Konzentration von politischer und ökonomischer Macht (vgl. Hediking & Mauch 2007). Dagegen wandten sich zahlreiche Partizipationsbestrebungen, angestoßen durch progressive Reformer und nicht zuletzt einer kritischen Presse und Öffentlichkeit (vgl. Heußner 1994); angestoßen auch durch einen Populismus, der Ende des 19. Jahrhunderts „in die amerikanische Politik ein[trat] und nie wieder [ging]“ (Lepore 2020, S. 427). Allerdings: Während die Populisten - für einige Jahr organisiert in einer Populist Party (1892-1909) - vornehmlich gegen den Staat agierten, gegen Großindustrie, Banken, Eisenbahngesellschaf‐ ten, gegen korrumpierenden Lobbyismus, Kinderarbeit, Wohnungsnot und Lynchjustiz, so sahen die Progressiven zwar ähnliche Probleme, plädierten aber für eine nüchtern-rationale Bürokratie und sachliche Reformen und sorgten sich um die Harmonisierung von Konsum und Arbeit. Und während die Populisten über Aufmärsche und Streiks „viel Lärm“ machten, waren die Progressiven die „Mittelschichtvariante: drinnen, ruhig, leidenschaftslos“ (ebd. S.-446). Zeitungen waren nicht allein beobachtende Begleiter, sondern Faktoren der Progressive Era. Die Populisten der 1890er-Jahre stützten sich überwie‐ gend auf eigens gegründete Publikationen; 1891 organisierten sie sich (für wenige Jahre) in einem Presseverband, der National Reform Press Association (vgl. Hemmer 2016, S. 7). Am Lake Michigan stellte sich die Chicago Tribune hinter die Reformvorhaben und forderte vor allem Verbesserung der maro‐ den Infrastruktur - mit Blick auf die 1893 anstehende Weltausstellung in ihrer Stadt (vgl. Nord 2006, S. 152). Eigens als Rückhalt für die Progressiven gegründet wurde 1893 das erwähnte McClures’s Magazine, das im neuen Jahrhundert eine beachtliche Auflage von 400.000 erreichte - u. a. auch mit einer Reihe kritischer Artikel von Ida Tarbell über die Standard Oil Com‐ pany, die ihren Teil zur späteren Zerschlagung des Monopolunternehmens beitrug und auch andere Magazine zur kritischen Berichterstattung anregte. Daneben prägten dann Publikationen wie The Progressive, Cosmopolitan, The Independent, American Magazine, Atlantic Monthly, The Nation, Harper’s Magazin oder Collier’s Weekly die Reformbewegung. Und auf der Grundlage teilnehmender Recherche thematisierten nun auch sozialkritische Autoren in Novellen und Erzählungen die Kehrseiten der Industrialisierung und 52 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="53"?> 5 Heute verlassen rund 50.000 Journalistenschüler die etwa 400 Journalistenschulen im Land (meist angebunden an Hochschulen); vgl. Blum 2014, S.-351. amerikanischen Wirtschaft. Das bekannteste Beispiel dürfte Upton Sinclairs The Jungle sein, der die üblen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen Chicagos aus eigener Anschauung darstellte und kritisierte (vgl. Dippel 2003, S.-78; Holzer 2020, S.-95; Nagel 2007, S.-68). Tatsächlich fallen in diese Zeit wesentliche Änderungen des Arbeits‐ rechts, des Verbraucherschutzes sowie institutionelle Strukturreformen wie die Einführung der Stimmzettel, 1913 die Verabschiedung des 17. Zusatzarti‐ kels, der die Vergabe von Senatssitzen regelt und das Spoil-System beendete, oder des 19. Amendments von 1920, der das Frauenwahlrecht einführte (vgl. Stöver 2013, S. 331). Darüber hinaus wurde in vielen Staaten der Kanon vorhandener Partizipationsinstrumente durch Volksbegehren und -initiativen erweitert (vgl. Kamps 2014, S. 457). Die Muckrakers hatten ihren Anteil daran als eine frühe Form des investigativen Watchdog-Journalismus (Schiffrin 2014). Bezeichnend für einen Bogen über die Zeiten hinweg, dass das Time-Magazin zwei Generationen darauf das Jahr 1974 als Year of the Muckrakers ausrief: Da in diesem Jahr Präsident Richard Nixon über den Watergate-Skandal stolperte und gleich vier Pulitzer-Preise an investigative Journalisten vergeben wurden. Eine Grundlage für diese Entwicklung - abgesehen von den gesellschaft‐ lichen Problemlagen an und für sich - waren erste Formen der Professio‐ nalisierung des Journalismus, die sich noch im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und der Ausdifferenzierung der Massenpresse einstellten. „(D)er Journalist ist eine Erfindung der 1880er-Jahre“ (Lepore 2020, S. 428). Die Fachpublikation The Journalist erschien erstmals 1883 und plädiert für einen strikten Empirismus. „Just the facts“ (Nord 2006, S. 5): eine „neuartige Faktenbesessenheit“ (Lepore 2020, S. 428) im Geiste eines „Modernismus“ und angelehnt an die quantitativen Analysen der sich parallel entwickeln‐ den Sozialwissenschaften. 1893 findet sich das erste Journalismus-Curricu‐ lum an der University of Pennsylvania. Fünfzehn Jahre darauf wurde an der University of Missouri die erste eigenständige School of Journalism gegründet. Es folgten ähnliche Einrichtungen in Illinois und Indiana und 1912, wesentlich durch Joseph Pulitzer initiiert, die Columbia School of Journalism in New York (vgl. McChesney 2004, S. 64; Rauch 2021, S. 122.) 5 , die seit 1917 auf Vorschlag eines Beirates die heute so prestigeträchtigen Pulitzer-Preise vergibt. 2.5 Presse und Journalismus in der Progressive Era 53 <?page no="54"?> Um die Jahrhundertwende herum entwickelte sich also ein journalisti‐ scher Zugang, der die überparteiliche und nüchterne Berichterstattung zum Maßstab erkor: just tell the news. In der Progressive Era diente die Presse nun weniger als meinungsgetriebenes Forum der Gesellschaft; in den Vordergrund rückte die bewusst sachlich gehaltene Informationsver‐ mittlung. Fakten sollten die Skandale treiben (so sie denn tatsächlich Skandale waren), nicht Spekulationen, wilde Gerüchte oder Emotionen. Bezeichnend hierfür das seinerzeit neue Motto der New York Times: „All the news that’s fit to print“. 1896 hatte Adolph Ochs die schwächelnde New York Daily Times gekauft und ihr nicht nur einen prägnanteren Namen gegeben, sondern gleich eine strengere journalistische Linie: „accuracy, fairness, impartiality“ (vgl. Hemmer 2016, S. 8). Auf diese Zeit zurück geht nicht nur fact-based Reporting, sondern auch eine noch heute mehrheitlich in der amerikanischen Presse verankerte Tradition, nach der die Verleger sich selbst zurückhalten und in den von den sachlichen Berichten abge‐ grenzten Editorials ein Spektrum an Meinungen zulassen - was man gut in den so genannten Op-Ed-Seiten der New York Times oder der Washington Post beobachten kann (vgl. Kleinsteuber 2008a, S. 319; Stevenson et al. 2008, S. 5233). Wie andere Zeitungen waren oder sind sie für eine politische Richtung bekannt, aber sie waren und sind finanziell von den Parteien unabhängig. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich dann erstmals eine breitere theoretische Diskussion über die publizistische Funktion der (Massen-)Presse, über Kriterien journalistischer Qualität und die Professio‐ nalität des Journalismus. Und während man zwar schon zuvor im 19. Jahr‐ hundert beispielsweise aufgrund der Auswüchse eines Sensationalismus durchaus schon Sinn, Zweck und Folgen der Printbranche diskutierte und erste redaktionelle Anweisungen ausgab, so findet sich 1919 der erste New‐ spaper Code of Ethics, und zwar in Kansas. Ihm folgten innerhalb weniger Jahre ein gutes Dutzend weiterer solcher Kodizes. Bezeichnend für diesen durchaus neuen Blick auf Journalismus, dass in der Debatte dieser Zeit erstmals explizit eine Differenz aufgemacht wird zwischen Journalismus als Trade und Journalismus als Profession (vgl. Peck 2008). 54 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="55"?> Wissen | Walter Lippmann (1889-1974) Walter Lippmann gilt als einer der einflussreichsten Journalisten und Publizisten der USA im 20.-Jahrhundert. Während des Ersten Weltkrie‐ ges arbeitete er als Berater von Woodrow Wilson u. a. mit an dessem 14-Punkte-Programm: den Grundzügen einer europäischen Friedens‐ ordnung. Berühmt wurde Lippmann aber insbesondere durch die Studie Public Opinion Anfang der 1920er-Jahre. Nach heutigem Verständnis betrieb er darin funktionale Institutionenforschung: Es ging ihm um die Leistungen, die die Presse notwendigerweise für die Demokratie seiner Zeit erbringen sollten. „For the troubles of the press, like the troubles of representative government […] go back to a common source: to the failure of self-governing people to transcend their casual experience and their prejudice, by inventing, creating, and organizing a machinery of knowledge.“ (Lippmann 1922, S. 228) Zeitungen als Wissensmaschi‐ nen sollten Stereotype (ein Begriff, den er in dieser Analyse prägte), Vorurteile, Kurzsicht und andere Unzulänglichkeiten der Menschen überwinden. Lippmann zeigte sich außerordentlich pessimistisch, was die Möglichkeiten des Journalismus anging, und so schlug er vor, was die Historikerin Jill Lepore später „absurd“ (2020, S.-491) nennen sollte: Informationsbüros, die die Regierung für jedes Ministerium einrichten müsste und in denen geschulte Beamte und Intellektuelle Informationen über Ereignisse, Land und Leute zusammenstellen und aufbereiten würden und damit die Bildung einer öffentlichen Meinung rational gestalten sollten. Anders ausgedrückt: Lippmann stellte in Frage, ob die Menschen in der komplexen Moderne überhaupt in der Lage seien, vernünftige Entscheidungen zu treffen - weshalb ihnen so etwas wie kluge Institutionen zur Seite gestellt werden müssten (vgl. Jowett & O’Donnell 2019, S. 93). Nach der Veröffentlichung von Public Opinion und dann verstärkt mit dem Folgeband The Phantom Public (Lippman 1925) kam es zu einer vielbeachteten Debatte mit Jon Dewey, einem bekannten Philosophen und Pädagogen: Lippmann forderte, der Jour‐ nalismus müsse sich strikt an Fakten halten, während Dewey dessen gestaltenden, demokratiefördernde und aktiv zu betreibende Forums- und Partizipationsfunktion betonte (vgl. Nord 2006, S.-6). 2.5 Presse und Journalismus in der Progressive Era 55 <?page no="56"?> 6 Die weitere Entwicklung der amerikanischen Presse im 20. Jahrhundert wird im Folgenden immer wieder angesprochen in den Kapiteln zu Recht und Regulierung (Kap. 3) sowie Wirtschaft (Kap. 4), in Teilen auch in den Abschnitten zur Medienrezeption in den USA (Kap. 5) und Trends (insbesondere Kap. 6.1). In dieser Phase der Ausdifferenzierung des US-Journalismus kamen weitere Formate auf: 6 Etwa 1919 mit dem New York Daily ein neuer Boulevardtypus, der sich auf „Attraktionen“ wie Sex und Gewalt spezialisierte und sich als gedrängtes Papier präsentierte, als Tabloid Press, als kleinformatiges „Revolverblatt“ (Kleinsteuber 2007b, S. 380). Ganz anders gelagert dagegen das 1923 gegründete Magazin Time, ein Nachrichtenformat (das später dem deutschen Spiegel als Vorbild dienen sollte), in dem jede Woche ca. 100 Artikel mit je rund 400 Wörtern eine sachlich-nüchterne Beschäftigung mit den Fragen der Zeit angeboten wurde (Lepore 2020, S. 504). 1933 folgte das heute ähnlich erfolgreiche Nachrichtenmagazin Newsweek (Schmidt 2016, S. 317). Reader’s Digest, erstmals 1922 erschienen, wurde zur Blaupause vieler Familien-Sport-Lifestyle Zeitschriften mit monatlichem Erscheinungsinter‐ vall. Während Reader’s Digest rasch nationalen Erfolg hatte und 1935 zum ersten Mal eine Millionenauflage erreichte, konzentrierten sich die Tageszeitungen weiterhin auf das lokale Publikum. Den Rest des Landes beobachtete man überwiegend aus der Ferne; die New York Times eröffnete beispielsweise erst 1947 ihr erstes Büro in den Südstaaten (Brown & Gitlin 2011, S. 83). Und erst mit der USA Today (Auflage 2,3 Millionen) etablierte sich ab 1981 eine ausdrücklich überregional aufgestellte Tageszeitung (vgl. Stevenson et al. 2008, S.-5234). Um die Jahrhundertwende und mit dem Ersten Weltkrieg veränderte sich dann die Beziehung zwischen Presse, Staat und Präsidentschaft. Lange noch wurde etwa über den jeweiligen Präsidenten nur wenig berichtet - nach heutigen Maßstäben (McChesney 2004, S. 69). Noch Theodore Roosevelt stützte sich vorwiegend auf informelle Kontakte zur Presse (vgl. Holzer 2020, S. 104). Wenige Jahre darauf und mit dem nahen Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg gründete Woodrow Wilson 1917 mit dem Committee on Public Information (CPI) eine erste größere Organisation zur Steuerung der Regierungskommunikation (vgl. Vaughn 2008a). Das CPI hatte die aus‐ drückliche Aufgabe, mit den Reklamemitteln ihrer Zeit - Rednern, Plakaten, Flugblättern und der ersten offiziellen Regierungszeitung, dem Official Bul‐ letin - die amerikanische Öffentlichkeit auf den Krieg mit den Mittelmächten vorzubereiten und verbreitete über 100 Millionen Pamphlete und Poster: „It 56 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="57"?> was America’s first propaganda campaign, perhaps the most extensive effort by government to mobilize and shape public opinion“ (Perloff 1998, S. 31). „The CPI attempted to exploit every form of mass communication during the war.“ (Vaughn 2008a, S. 113) Nebenbei bemerkt: Nach dem Krieg boomte in den USA die noch relative junge PR-Branche, nicht zuletzt, weil tausende CPI-Mitarbeiter im zivilen Leben ein Auskommen suchten. 2.6 Das Radio Wie in Europa entwickelte sich das Radio auch in Amerika im Übergang zum 20. Jahrhundert zunächst in Kreisen technisch interessierter Amateure auf der Basis der drahtlosen Telegraphie (vgl. Kleinsteuber 1995) - techno‐ logisch also als Punkt-zu-Punkt Übertragung. Dabei kam man zwar früh auf den Gedanken, entsprechende Transmitter könnten mit wenig Aufwand und einwenig Organisation One-to-Many senden, also das veranstalten, was wir heute als Broadcasting fassen: Rund-Funk eines Senders an viele Empfänger. Offenbar aber verfolgte man die Idee nicht sofort weiter, weil die Finanzierung und die kommerzielle Verwendung einer solchen Technik unklar blieb. Noch in Amateurkreisen wurden ab Weihnachten 1906 in New York vereinzelt erste Radio-Sendungen ausgestrahlt, u. a. aus der Metropolitan Opera, um den allgemeinen Nutzen der neuen Technologie zu demonstrieren (Lewis 1991). (Was bereits die Rolle des Genres Musik für das spätere Unterhaltungsmassenmedium andeutete.) Während des Ersten Weltkrieges übernahm die US-Navy die Kontrolle über die neue Technologie. Nun war es Zivilisten verboten, einen Rundfunk‐ empfänger zu besitzen. Während das Militär in erster Linie mit der Punktzu-Punkt-Technik experimentierte, z. B. um von Beobachtungsflugzeugen aus Truppenbewegungen zu koordinieren, veranstaltete es offenbar auch vereinzelte Musical-Sendungen zur Unterhaltung solcher Truppen auf der Fahrt ihrer Konvois über den Atlantik. Als dann mit dem Ende des Krieges die private Nutzung der Radiotechnologie und der Funkwellen wieder erlaubt wurde, war zumindest das Prinzip der One-to-Many-Übertragung bekannt. In der Nachkriegszeit begannen vornehmlich in den Städten der Ostküste Techniker und tatsächlich Unternehmer mit Radiostationen zu experimen‐ tieren - nach dem damaligen Sprachgebrauch mit dem Radio-Phone. Ne‐ ben Musiksendungen finden sich 1919 erste Nachrichtensendungen, die im Stundentakt ausgestrahlt wurden und so etwas wie ein „Programm“ 2.6 Das Radio 57 <?page no="58"?> darstellten, in dem freilich meist nur Presseberichte vorgelesen wurde. Diese Sendungen fanden rasch Anklang, und interessanterweise wurden solche rudimentären Radionachrichten von der Zeitungsbranche (noch) nicht als Konkurrenzveranstaltung verstanden oder, wie später, als Nach‐ richtenpiraterie. Im Gegenteil glaubte man zunächst, die kurzen Radiostücke würden Interesse am Geschehen in der Welt und daheim wecken und die Zuhörer dazu anhalten, sich in der Presse detaillierter zu informieren. Im flüchtigen Medium Radio sah man anfangs also einen möglichen Anreiz für die (zeit-)intensiveren Printmedien. Und so beteiligte sich auch der ein oder andere Verleger am Aufbau und am Betrieb von Radiostationen. Die neue Technik verbreitete sich rasch. Dabei operierten die ersten Stationen noch auf Kosten ihrer Eigentümer; recht schnell aber setzte sich ein American Plan durch: die Finanzierung durch den Verkauf von Werbezeit (im Gegensatz zum British Plan, einem Modell, das Lizenzgebühren durch die Empfänger vorsah). Die erste Werbesendung wurde 1922 in Pittsburgh ausgestrahlt. Ein Jahr später waren rund 220 Radiostationen auf Sendung - bei geschätzten 2,5 Millionen Empfangsgeräten im Land (Lepore 2020, S. 515; vgl. Schmidt 2016, S. 319). Schon zum Ende des Jahrzehnts, 1929, näherte man sich einer Vollversorgung: Nun hatte nahezu jeder Haushalt in den USA ein Radiogerät. Parallel dazu wurden immer mehr Radiostationen gegründet. 1924 waren es schon mehr als 1.000; heute sind es etwas über 17.000. Dass das Radio letztlich überwiegend kommerziell organisiert wurde und sich zu einem echten Konkurrenten für die Printbranche entwickelte, war auch deshalb keinesfalls ausgemacht, weil es zunächst zu einer jahrelangen Auseinandersetzung kam um die Nutzung der Frequenzen. Insbesondere in den Städten hatten sich größere Interferenz-Probleme eingestellt: Über‐ lagerungen der Funkwellen, die einen verlässlichen Betrieb störten (vgl. Kang & Butler 2020, S. 49). Das erschwerte jede kommerzielle Verwendung. Ab 1922 nahm sich daher der damalige Handelsminister und spätere Prä‐ sident Herbert Hoover der Sache an. Doch organisierte sein Ministerium die Verteilung der Frequenzen recht ineffizient und auf der Basis von Einzelfallentscheidungen; auch sollten - für alle Beteiligten unbefriedigend - mehrere Sender sich die Wellen im Tagesverlauf teilen. Da mit Hoovers Vorstellungen und auch nicht mit brancheneigenen Vorschlägen der Selbst- Regulierung das Problem des „Chaos im Äther“ gelöst wurde, handelte der Kongress und verabschiedete mit dem Federal Radio Act 1927 eine „emergency legislation“ (McChesney 2004, S. 39), eine „Constitution of the Air“ (Lepore 2020, S. 516). Das Gesetz sah gleich eine erste Kommission vor, 58 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="59"?> die Federal Radio Commission (FRC); ihre zentrale Aufgabe war die Vergabe von Lizenzen an Antragsteller, die aufzeigen mussten, dass ihr Sender einem „öffentlichen Interesse“ dienten. 1934 wurde dann nach einer Überarbeitung des Radio Acts eine Nachfolgeorganisation mit ähnlichen Aufgaben einge‐ richtet, die heute noch einflussreiche Federal Communications Commission (FCC; →-Kapitel-3.6). Diese Gemeinwohlorientierung als Bedingung für eine Lizenz - „in the public interest, convenience, or necessity“ - wurde nicht nur praktisch begründet (um das Durcheinander im Äther zu vermeiden), sondern auch normativ: Funkfrequenzen seien im Grundsatz jedermanns Eigentum, nicht zahllos verfügbar, und wer das Privileg ihrer kommerziellen Nutzung genieße, müsse zeigen, dass und wie sein Programm der Gemeinschaft zugutekäme. Freilich fehlte dazu jeder Standard bzw. es gab nur rudimentäre Vorstellungen von einem solchen Public Interest (vgl. McChesney 2004, S. 39; Pickard 2018, S. 93-94). Und so stellte sich rasch ein Konflikt ein zwischen den Ideen zur Gestaltung der Programme seitens der Rundfunkkommission und den kommerziellen Ansprüchen (und finanziellen Notwendigkeiten) der Radiostationen. Insbesondere waren die Rundfunkbetreiber dazu übergegangen, Sende‐ zeit in Form von ganzen Sendungen an Unternehmen und Dienstleister (den „Sponsoren“) zu verkaufen (der Begriff Soap Opera geht auf diese Zeit zu‐ rück; vgl. Stole 2012). Solchen gesponserten und dann persuasiv gestalteten Formaten war die Orientierung am Wohle der Community oft genug nur schwer anzusehen, was regelmäßig die FCC auf den Plan rief. Zeitgleich positionierten sich demgegenüber zivilgesellschaftliche Akteure wie die American Civil Liberty Union, die die neue Technik als gesellschaftliches Forum, als „engines of democratic extension“ nutzen wollten (McChesney & Nichols 2010, S. 146), also im Duktus der Progressive Era technologische Innovation in gesellschaftlichen Fortschritt übersetzen wollten. Es gab demnach nicht nur vereinzelte Überlegungen, einerseits durch die FCC, andererseits durch private Initiativen, der sich abzeichnenden kommerziel‐ len Rundfunkordnung nichtkommerzielle Elemente beizufügen. Ihnen galt das neue Medium als wertvolle öffentliche Sphäre, in der keine Zahnpasta verkauft werden sollte, sondern wichtige lebensweltliche Informationen vermittelt werden sollten (vgl. Wu 2017a, S.-86). Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, die sich mit ähnlichen Fra‐ gen auseinandersetzten, entstand in den USA aber zunächst kein Public Broadcasting-System. In der Strukturdebatte setzten sich die ökonomisch 2.6 Das Radio 59 <?page no="60"?> interessierten Stationen durch, was als Capture Theory bezeichnet wurde: die Wirtschaft hatte die FCC „eingefangen“, und zwar zu Lasten nicht‐ kommerzieller Initiativen, die sich meist in den Communities fanden, in den Gemeinden, Schulen, Universitäten (sie sind heute Träger des ameri‐ kanischen Public Broadcasting; vgl. Kleinsteuber 1996b, S. 38). Dass die wirtschaftliche Orientierung von Anfang an derart dominierte (und nach wie vor dominiert), lag zum einen, wie gesagt, an den unscharf formulier‐ ten Ideen des Gemeinwohls, die den Entscheidungen der FCC rasch den Vorwurf der willkürlichen Beschneidung der Meinungsfreiheit einbrachte. Zum anderen natürlich an einer ökonomischen Grundstimmung in den USA. Zu erwähnen ist dabei insbesondere eine einflussreiche Kampagne der National Association of Broadcasters (NAB), die ein kommerzielles System als explizit amerikanisches System promovierte - und sich im Dezember 1933 mit der American Newspaper Publishers Association (ANPA) darauf einigte, weitgehend auf Informationssendungen zu verzichten; im Gegenzug unterstützten die Verleger das Anliegen der Rundfunkbetreiber im Kongress. Tatsächlich wurde daraufhin die kommerzielle Logik vom Senat und vom Repräsentantenhaus akzeptiert und später auch für das Fernsehen imple‐ mentiert (vgl. McChesney 2004, S.-42). Der Einigung zwischen den Verlegern und den Rundfunkstationen vo‐ rausgegangen war ein Press-Radio-War: In der Folge der Wirtschaftskrise waren die Werbeeinnahmen eingebrochen. Daraufhin versuchten die Pres‐ seunternehmen und die führenden Nachrichtenagenturen, die Weiterver‐ breitung ihrer Nachrichten als Form medialer Piraterie durch Radiostationen zu unterbinden bzw. auf wenige Minuten am Tag einzuschränken. Dieser Konflikt wurde durch die Kooperation der beiden Lager (eben auch vor dem Kongress) weitgehend gelöst. Dass das angesichts der schieren Masse an Unternehmen und Stationen überhaupt möglich war, dürfte auch an der integrativen Struktur der Networks gelegen haben, die sich Mitte bis Ende der 1920er-Jahre herausbildete. Prägend für eben diese Ordnung des amerikanischen Rundfunks wurde - zunächst für das Radio, später auch das Fernsehen - das System der Net‐ works, und damit der Big Three (Knüpfer 2016, S. 328), die bis in die 1980er- Jahre ein Oligopol bildeten: Als erstes ging 1926 die National Broadcasting Company (NBC) auf Sendung, 1928 folgte Columbia Broadcasting System (CBS) und 1943 schließlich als Abspaltung von NBC (um nach Vorgabe der FCC deren nationalen Marktanteil zu verringern) die American Broadcas‐ ting Company (ABC). Anfangs noch gedacht als schlichtes Zuliefer-Modell 60 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="61"?> einzelner Programme für die vielen tausend überwiegend lokalen kleinen Radiostationen, gingen die Unternehmen bald zu einem Geschäftsmodell über, bei dem zwei Organisationsformen miteinander gekoppelt wurden: die nationalen Networks einerseits, die so genannten Affiliates (angeschlos‐ sene Sender) andererseits. Formell voneinander unabhängig, lieferten und liefern die Networks NBC, CBS und ABC je einen nationalen „Mantel“, während die Affiliates die traditionell starken lokalen Interessen bedienen: meist Nachrichten und Werbung. Zusammen wiederum können sie dem Werbemarkt attraktive (und zugleich nicht tausendfach zu verhandelnde) Pakete anbieten. Diese Grundstruktur wurde und wird ergänzt durch einige lokale oder regionale Stationen, die die Networks selbst betreiben sowie unabhängige Produzenten, Zulieferer und Lokalsender. Wie in Europa diskutierte man in den USA mit der Einführung des Radios sofort, inwiefern die Politik selbst Sender führen oder Sendungen gestalten solle oder überhaupt dürfe. Tatsächlich gehörten politische Sendungen und Debatten zu den beliebtesten Formaten der Anfangszeit (vgl. Lepore 2020, S.-516). So ging 1925 die Chicago Federation of Labor mit einer eigenen Station auf Sendung; 1927 folgte die Socialist Party of America. Beide Initiativen erfuhren mit der Gründung der FRC erheblichen Regulationsdruck, weil ihnen die erwähnte Gemeinwohlorientierung - „public interest“ - nicht zugestanden wurde; diese Stationen wurden deshalb in ihren Reichweiten erheblich beschnitten (vgl. Benkler et al. 2018, S. 314). Demgegenüber hatte im rechten politischen Spektrum ein Vorläufer des späteren Talk Radio, Father Coughlin, mit einer zunächst religiösen Sendung ab Ende der 1920er-Jahre fulminanten Erfolg: mit bis zu geschätzten 30 Millionen Zuhörern (vgl. Marcus 1973). Spätestens 1934 ging Coughlin dazu über, den New Deal von Franklin D. Roosevelt als kommunistischen Unsinn zu verteufeln. Im Gegensatz zu den linksorientierten Radiostationen konnte Coughlin allerdings noch relativ lange kritisch auf Sendung gehen - bis 1939 der Krieg in Europa ausbrach und die FCC seine Lizenz nicht verlängerte, da er Vorgaben zu Formaten mit politisch kontroversen Inhalten nicht einhielt (→-Kapitel-6.1). Roosevelt soll auch maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, den Medienmogul William Randolph Hearst - einen politischen Gegner - daran zu hindern, auch im Radio tätig zu werden (vgl. Lepore 2020, S.-532). Dass zu dieser Zeit rund 60 Prozent der Amerikaner regelmäßig Radio hörten, dürfte auch den Fireside Chats des Präsidenten zu verdanken sein, mit denen Roosevelt die Amerikaner durch die Wirtschaftskrise und dann den Zweiten Weltkrieg führte. Der Krieg forcierte den Aufstieg des Radios zum 2.6 Das Radio 61 <?page no="62"?> medialen Mittelpunkt der Gesellschaft. Etwa drei Viertel der Amerikaner informierten sich vornehmlich im Radio über das Geschehen auf den euro‐ päischen und asiatischen Kriegsschauplätzen (vgl. Lessig 2019, S. 72). Trotz der in den 1950er-Jahren aufkommenden Konkurrenz durch das Fernsehen, ist das Radio noch heute ein wichtiges Element des Medienrepertoires. Das liegt nicht zuletzt am Autoradio, das im gleichen Jahrzehnt zum Standard für Neufahrzeuge wurde; noch heute geben rund dreiviertel der Amerikaner an, regelmäßig auf dem Weg zur Arbeit Radio zu hören. Wissen | „FDR“ - die Fireside Chats Am 9. November 1932, wenige Tage nach seiner Wahl, hielt Franklin D. Roosevelt von New York aus über NBC eine Rede an die Nation - es wurde der erste Fireside Chat einer Reihe, die erst 1944 wenige Monate vor seinem Tod endete. Diese Rede hatte die Idee einer regelmäßigen Ansprache noch nicht im Sinn; aber Roosevelt und sein Stab erkannten das Potenzial des Formats, den mit den Republikanern sympathisieren‐ den Zeitungen eine Alternative entgegenzustellen. Roosevelt hatte das Radio schon 1929 als Gouverneur von New York für Reden und seine Kampagnenkommunikation genutzt. Im März 1933, acht Tage nach der Inauguration, begann dann die eigentliche Reihe aus dem Weißen Haus. Die insgesamt 28 Ansprachen, sonntags zwischen 9 und 11 Uhr am Abend, klangen spontan und „heimelig“ und sollten das Gefühl eines persönlichen Gesprächs vermitteln (eben am Kamin oder Ofen). Tatsächlich waren sie aber unter beträchtlichem Aufwand bis ins Detail auch von „FDR“ selbst vorbereitet, der seine Ansprachen memorierte und frei vortrug. Inhaltlich erläuterte der Präsident einzelne Reform‐ ideen; später ging er auf das Kriegsgeschehen ein. Im Weltkrieg selbst sollen bis zu 80 Prozent der Amerikaner die Chats verfolgt haben (Holzer 2020, S. 182). Die Sendungen wurden von den Zeitgenossen bereits als außerordentlich wirksam wahrgenommen und gelten heute als wich‐ tigster innovativer Beitrag Roosevelts zur politischen Kommunikation. Nebenbei bemerkt, verlegte man angesichts ihres Erfolges ab 1936 die alljährlichen State of the Union-Rede des Präsidenten in den Abend; von nun richtete man sich über das Radio an ein Massenpublikum, nicht (nur) an den Kongress und die dort akkreditierte Presse. 62 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="63"?> Wie gesagt, wurde und wird das Radio überwiegend auf privatwirtschaft‐ licher Basis organisiert und finanziert sich durch Werbung. 2006 hatten etwa 11.000 kommerzielle Radios eine Lizenz durch die FCC erhalten. Hinzu kommen auf lokaler Ebene über das Land verteilt alternative, nichtkom‐ merzielle Sender - etwa 2.800 (vgl. Stevenson et al. 2008, S. 5235). Sie erhalten meist nur einen kleinen Zuschuss der öffentlichen Hand (durch die Corporation for Public Broadcasting, CPB) und stützen sich weit überwiegend auf Spenden oder Stiftungen. Häufig haben diese Stationen einen religiösen oder pädagogischen Hintergrund, werden etwa von Kirchengemeinden, Kommunen, Colleges oder Universitäten betrieben, manchmal sogar von Bibliotheken. Das erste Public Radio Network wurde 1949 in Berkley gegründet, also in Kalifornien: Pacifica Radio. Es gilt als erstes Radiounternehmen der Welt, das keinerlei öffentliche Zuschüsse in Anspruch nahm und sich ausschließlich über Spenden finanzierte (bis zur Gründung der CPB). Heute werden den unabhängigen lokalen Sendern die meisten nationalen Mantelteile - soweit man auf solche Programme zurückgreifen mag - durch das National Public Radio (NPR) zur Verfügung gestellt. Das NPR wurde nach dem Public Broadcasting Act von 1967 eingerichtet. Andere unabhängige Networks wären u. a. Public Radio International oder American Public Media. Auch wenn im Sprachgebrauch NPR meist synonym verwendet wird, so umfasst „Public Radio“ gleichwohl eine Vielfalt formal getrennter Organisationen. Ein Politikum wird gelegentlich das kleine Budget, mit dem die CPB solche Stationen unterstützt; begründet werden diese Zuschüsse mit dem Programm, das als Ergänzung zur privatwirtschaftlichen Konkurrenz solche Inhalte und Formate berücksichtigt, die der Markt selbst nicht hervorbrin‐ gen würde; einem ähnlichen Gedanken verfolgt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland (allerdings versehen mit einem ungleich höheren Etat). Ähnlich auch gibt es Einschränkungen der Werbezeiten oder die Auflage, einzelne Sendungen nicht zu unterbrechen. Und ebenso bekannt sind ständige Diskussionen um die Finanzierung des Public Broadcasting System (das schließt öffentliche Fernsehsender ein (→ Kapitel 3.8.3), eine Tradition geradezu, die 1972 von Präsident Richard Nixon erstmals bedient wurde, der die Haushaltsstelle gleich mit einem Veto belegte, weil ihm das Programm progressiv verdächtig schien. Zwar verhindert das letztlich nicht die Finanzierung durch den Kongress, aber ein Muster bildet sich heraus, 2.6 Das Radio 63 <?page no="64"?> 7 Soweit nicht explizit anders angemerkt, sind mit Republikaner oder Demokraten hier und im Folgenden die parteipolitischen Akteure gemeint; ebenso groß geschrieben werden die Adjektive in einem derart parteilichen Zusammenhang. Lesebeispiel: So wäre ein Demokratischer Gouverneur, ein Gouverneur, der der Partei der Demokraten angehört. „starvation diet“: Insbesondere die Republikaner 7 neigen dazu, dem (bei ihnen eher ungeliebten) Public Broadcasting gerade genug Etat zu geben, um ihn mit wenig Handlungsspielraum überleben zu lassen (vgl. McChesney & Nichols 2010, S.-194). Daneben wären noch tatsächlich vom Staat betriebene Radiosender zu nennen: Voice of America, Armed Forces Radio oder Radio Free Europe. Sie werden von der U.S. Agency for Global Media koordiniert und richten sich ausdrücklich nicht an das heimische Publikum, sondern an das Ausland oder eben an dort lebende Amerikaner, insbesondere die Truppen (McChesney & Nichols 2010, S.-193). Eine der wichtigsten, politisch relevanten Entwicklungen im und mit dem Radio dürfte das Format des Talk Radio sein, vor allem das konservative Talk Radio. Einen Vorläufer der 1930er-Jahre wurde mit Father Coughlin bereits genannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich im Umfeld des National Review, einer konservativen politischen Zeitschrift, das Manion Forum of Public Opinion - eine Radioshow von Clarence Manion, der als Mitglied der radikalen John Birch Society ein ausgeprägtes Misstrauen gegen jede Zentralregierung pflegte und sich bis Anfang der 1970er-Jahre in seiner Talk-Show daran abarbeitete (vgl. Burke 2016). Diese wie andere Talk Radio-Formate konnten allerdings bis in die 1980er-Jahre kein nen‐ nenswertes Publikum dauerhaft an sich binden; darüber hinaus gerieten - links wie rechts im politischen Spektrum - solche Sendungen häufig mit der Fairness Doctrine in Konflikt (→ Kapitel 3.7). Allerdings wirkten sie mittelfristig als Vorbild; und als eben diese Fairness Doctrine mit der Reagan- Regierung aufgehoben wurde, hatte insbesondere der äußerst konservative Rush Limbaugh mit einem sensationalistisch-emotionalen Ideology Talk und rituellen Krawall-Dialogen immensen Erfolg. Das war, wie an anderer Stelle besprochen wird, politisch sehr folgenreich, nicht zuletzt, weil es Vorbildcharakter besaß: „Every city has its own local Limbaugh trying to outdo the master on the pro-Republican political Richter scale“ (McChesney 2004, S.-116-117; →-Kapitel-6.1). Nachhaltigen Einfluss auf das Radio, seine Inhalte und weitere Entwick‐ lung hatte ab den 1950er-Jahren die rasch wachsende Popularität des 64 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="65"?> Fernsehens; dessen besonderer Appeal beim Publikum (sowie bekannten Journalisten und Moderatoren, die zum neuen Medium wechselten) be‐ wirkte einen Strategiewechsel: Man ging dazu über, weniger nationale Formate auszustrahlen, sondern konzentrierte sich nun vollkommen auf die lokale Hörerschaft und dessen besonderen Interessen. Dieses damals neue Narrowcasting wurde später zum Vorbild für andere Medien, etwa Pub‐ likumszeitschriften und Tageszeitungen. Beinahe zeitgleich fielen rechtliche Schranken zum Abspielen von Musikaufnahmen, und so entwickelte sich ein heute typisches Radioprogramm mit viel Musik, unterbrochen von knappen Nachrichten und Informationssegmenten - und Werbung. 2.7 Das Fernsehen Zumindest in groben Zügen ließe sich die jüngere Geschichte der Verein‐ igten Staaten gut darstellen über Ereignisse, in denen oder bei denen das Fernsehen eine wichtige Rolle gespielt hat. Beispielsweise, recht früh, endete die McCarthy-Ära u. a. mit einer 30-Minuten-Reportage, die CBS am 9. März 1954 ausstrahlte. In dem Bericht setzte sich Edward R. Murrow außerordentlich kritisch mit dem einflussreichen, aber umstrittenen Senator Joseph McCarthy und dem House Committee on Un-American Activities auseinander. Murrow, zuvor schon als Radiomoderator eine Berühmtheit, hatte sich seit Anfang der 1950er-Jahre in seiner Sendung See It Now mit gesellschaftspolitischen Konflikten beschäftigt und den Grundstein gelegt für einen interpretierenden TV-Journalismus, einen Journalismus, der Fakten nicht nur darstellt, sondern in einen Kontext einbettet (vgl. Bennett 2019, S. 256; Sommer 2001). In seiner Sendung zitierte er McCarthy ausführlich bzw. legte mit minutenlangen Mitschnitten aus Anhörungen im Kongress Widersprüche der so genannten Kommunistenverfolgung offen. Und er gab dem Senator Gelegenheit, zwei Wochen darauf mit und in einer eigenen Sendung die Vorwürfe zu entkräften (vgl. Wu 2017a S. 127). Nun haben sicher viele Faktoren zum Ende des „McCarthyismus“ beigetragen, darunter Murrows Reportage; in den Augen von Historikern allerdings auch die Gegenveranstaltung selbst, „ein schwacher Auftritt“ (Lepore 2020, S. 690). McCarthys Einschüchterungstaktik habe im Fernsehen schlicht nicht funktionieren können. Insbesondere trugen dann noch die kurz nach der Murrow-Sendung übertragenen Army-McCarthy-Hearings zur Entmachtung des Senators bei. Die Anhörungen hatten über Wochen 2.7 Das Fernsehen 65 <?page no="66"?> das amerikanische Publikum vor dem Bildschirm versammelt, und als an deren Ende Joseph Welch, der Chefjustiziar des US-Militärs, McCarthy die rhetorische Frage stellte, ob er denn nicht endlich Anstand beweisen wolle, „hatten die Zuschauer längst selbst gesehen, dass [McCarthy] keinen besaß“ (ebd. S.-691). Besser mit dem Medium zurecht kam John F. Kennedy - besser zumindest als Richard Nixon, sein Kontrahent in der Präsidentschaftswahl 1960. Jeden‐ falls sagt ein bedeutender Medien-Mythus der USA, Kennedy habe seinen knappen Sieg seinem Auftreten in den vier Fernsehdebatten zu verdanken, in den Great Debates, in denen sich die Präsidentschaftskandidaten erstmals gegenüberstanden: „[It] was TV more than anything else that turned the tide“ (White 1961, S. 294 vgl. Vancil & Pendell 1987). Vor allem die erste Debatte dieser Serie (genau betrachtet: gemeinsamer Pressekonferenzen) faszinierte nicht nur das Publikum, sondern auch Kampagnenteams und politische Berater, weil Kennedy scheinbar durch sein blendendes Aussehen den kränkelnden Nixon übertraf (vgl. Druckman 2003). Heute deuten die Analysen zwar einen Einfluss nonverbaler Komponenten an, schätzen ihn aber nicht als entscheidend ein (vgl. Maier & Faas 2019). Was freilich blieb - für Jahrzehnte -, war die Institutionalisierung des Fernsehens als Leitmedium der politischen Kommunikation (vgl. Lepore 2020, S. 729-731). Zunächst wurde es auch ein Medium der Civil Rights-Ära. Am Abend des 7. März 1965 hatten rund 50 Millionen Amerikaner ihren Fernsehapparat eingeschaltet, um Judgement at Nuremberg zu schauen, einen Film über die Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland. Rund 50 Millionen: das entsprach in etwa einem Viertel der damaligen Bevölkerung (die Nixon-Kennedy-De‐ batten hatte seinerzeit halb Amerika verfolgt). Nach knapp einer Dreivier‐ telstunde wurde der Film jedoch unterbrochen für Nachrichten aus Selma, Alabama. Dort war es bei einem Protestmarsch der Bürgerrechtsbewegung zu Polizeigewalt gekommen; Amerika wurde unvermittelt und eindringlich an sein Rassismusproblem erinnert (vgl. Lessig 2019, S. 76). Nicht nur Amerika: „Das im Fernsehen übertragene Spektakel, das Staatspolizisten in Alabama boten, die auf die Köpfe von Bürgerrechtsmaschierern einschlugen […], setzte Johnson unter Druck.“ (Lepore 2020, S. 756) Der Präsident sprach daraufhin von einem Wendepunkt und rief den Kongress auf, endlich das Wahlrecht zu ändern. Am 6. August 1965 konnte Johnson dann die Voting Rights Acts unterzeichnen. Knapp drei Jahre darauf sah sich „LBJ“ aus anderem Anlass - aber immer noch im Fernsehen - wiederum mit einem sehr persönlichen Wendepunkt 66 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="67"?> konfrontiert. Am 27. Februar 1968 schloss Walter Cronkite von CBS, seiner‐ zeit der angesehenste amerikanische Fernsehjournalist, eine einstündige Dokumentation über den Vietnamkrieg damit, es sei seine „subjektive“ Auf‐ fassung, der Krieg sei nicht zu gewinnen. Daraufhin soll Johnson zu einem Berater gesagt haben: „If I’ve lost Walter Cronkite, I’ve lost Middle America“ (zit. n. Potter 2020, S. 44) - eine Einschätzung, die Einfluss genommen haben dürfte auf seine später im Sommer getroffene Entscheidung, nicht neuerlich zu kandidieren. Ein Symbol nachgerade: Vietnam wurde nicht nur ein Turning Point für die US-Außen- und Sicherheitspolitik und eben die Präsidentschaft Johnsons, sondern für den (Fernseh-)Journalismus und seine Beziehung zu politischen Akteuren: Von einem Spirit of Cooperation zu einem Spirit of Competition, was sich in der Vietnam-Berichterstattung und später im Zuge der Pentagonbzw. Watergate-Affäre fortsetzte bzw. sogar verschärfte. Die Liste ließe sich leicht verlängern, von den Ereignissen rund um die Ermordung John F. Kennedys (1963) oder seines Bruders Robert (1968) über die Mondlandung 1969 bis hin natürlich zum 11. September 2001. Die Fern‐ sehnation USA weist bei besonderen Ereignissen enorme Einschaltquoten auf, und das gilt natürlich auch bei unpolitischen Dingen: Schon für die 1970er-Jahre schätzt man ein jederzeit zugeschaltetes Publikum von 60 bis 70 Millionen - und spricht, weil es eben so charakteristisch für das Land sei, von einer Fernsehnation (vgl. Schmid 2016, S. 324). Nicht sonderlich unge‐ wöhnlich also, als im Juni 1993 rund 100 Millionen Amerikaner stundenlang die Verfolgung von O. J. Simpson durch die Polizei von Los Angeles live im Fernsehen erlebten. Das entspricht ungefähr den Quoten anlässlich des alljährlichen Super-Bowls, des Endspiels um die Football-Meisterschaft, das zuletzt Ende Januar 2022 global sogar rund 800 Millionen Zuschauer vor die Apparate zog. Tatsächlich war auch die Mondlandung eher ein globales denn ein ame‐ rikanisches Ereignis - relativ betrachtet. Knapp 600 Millionen Menschen verfolgten weltweit das Live-Ereignis, über Stunden und Tage: ABC, CBS und NBC sendeten ununterbrochene 31 Stunden, und in Deutschland über‐ trugen ARD und ZDF aus einem „Apollo-Studio“ kaum geringere 28 Stunden verschwommene Bilder aus dem All: „Fast so bedeutend und spektakulär wie die eigentliche […] Mondmission selbst ist die Tatsache, dass Millionen von Menschen auf der ganzen Welt das Ereignis live am TV-Bildschirm an‐ schauen konnten.“ (Schlüter 2009; o. S.) Anders als andere Länder aber waren die USA zu diesem Zeitpunkt längst schon eine Fernsehgesellschaft und 2.7 Das Fernsehen 67 <?page no="68"?> hatten einen TV-Höhepunkt bereits früher erreicht: Die größte Einschalt‐ quote der US-Geschichte für eine einzelne Fernsehsendung, 82,6 Prozent, wird für den 9. September 1956 registriert - als ein gewisser Elvis Presley in der Ed Sullivan Show „Don’t Be Cruel“ und „Love Me Tender“ präsentierte (Lessig 2019, S.-74). Wesentlich rascher als in anderen Ländern hatte sich das Fernsehen in Amerika verbreitet. Noch bis etwa Anfang der 1930er-Jahre blieb die Tech‐ nologieentwicklung überwiegend den Tüftlern überlassen. Erste Anfänge sehr schlicht gestalteter Studiosendungen wurden noch durch technische Fragen, mangelnde Sendequalität und die einbrechende Wirtschaftskrise gebremst. Als wichtiges industrielles und unternehmerisches Take Off gilt das Jahr 1939, als das erste Fernsehgerät in den allgemeinen Verkauf kam. Obwohl es bis zur Etablierung des Mediums tatsächlich Jahre dauerte (die Apparate selbst waren teuer und nur wenige kleine, lokale Stationen hatten überhaupt ein einigermaßen regelmäßiges Programm), kann man doch von einer schnellen technologischen Diffusion sprechen - eben im Vergleich zu anderen Ländern.1950 besaßen etwa zehn Prozent der amerikanischen Haushalte einen Fernseher; 1959 waren es schon rund 90 Prozent (Putnam 2000, S. 216). Damit war man weitaus schneller nahe einer Vollversorgung als Europa, wo entsprechende Quoten erst einige Zeit später, in den 1970er- Jahren erreicht wurden. In einem Bericht der Vereinten Nationen wird für 1960 gemeldet, etwa zwei Drittel der Fernsehgeräte weltweit stünden in den USA (UNESCO 1963). Nach dem Weltkrieg gingen viele neue Stationen auf Sendung; 1949 waren es rund einhundert - was die FCC dazu bewog, die Vergabe von Lizenzen erst einmal einzufrieren, da man wie seinerzeit beim Radio mit Interferenzen im Frequenzspektrum rechnete. Nachdem die Wellenbänder neu organisiert wurden und die Lizenzvergabe 1952 wieder aufgenommen wurde, gingen hunderte weitere Fernsehstationen auf Sendung - von denen jedoch etliche auf dem Markt nicht bestehen konnten. Dennoch wird bereits 1960 die Zahl von 500 Fernsehsendern im Land überschritten. Insbesondere bei NBC, dem erfolgreichen Radio-Network, forcierte man das neue Medium rasch nach dem Vorbild des kommerziellen Radios, geriet dabei aber in einen Konflikt mit der Federal Communications Commission, die Oligopole im neuen Medium eigentlich verhindern wollte (vgl. Chadwick 2017, S. 44). Nach ersten experimentellen Lizenzen vergab die FCC dann nach dem Zweiten Weltkrieg erste ökonomische verwertbare Lizenzen - und es setzte sich erneut die Network-Struktur durch und damit die kommer‐ 68 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="69"?> zielle Orientierung, die man schon vom Radio kannte. Eine bemerkenswerte Neuheit des kommerziellen TV-Formats war die Blockwerbung, mit denen NBC von 1958 an die Sponsorensendungen ersetzte, was von ABC und CBS rasch übernommen wurde (vgl. Wu 2017a, S.-136). Grundlage des US-Fernsehens und des Fernsehmarktes wurden also lokale Sender, die sich nationalen Netzwerken anschlossen und in weiten Teilen dessen Programm (als Mantel für lokale Nachrichten und regionale Werbung) übernahmen. Wie beim Radio griffen die großen Networks dann auf die Verbreitungswege und das Publikum lokaler Sender zurück. Die Networks selbst übertrugen wiederum viele Formate von ihren Radiosta‐ tionen auf das Fernsehen. Noch heute sind sie ein wichtiges Element amerikanischer Medienrepertoires, wenn auch - durch die Konkurrenz von Kabel, Satellit und Internet - mit deutlichen Abstrichen und nun als Teil von größeren Konzernen: NBC beispielsweise zunächst bei General Electric, jetzt Comcast, ABC firmiert unter dem Dach von Disney, CBS bei Paramount Global (früher Viacom ) (vgl. Kleinsteuber 2007b, S. 385) Hinzu gekommen sind Fox Broadcasting Cooperation (1986) und 2006 noch CW Television Network, eine Gemeinschaftskooperation von Paramount Global und Warner Bros. Vor allem erwies sich das Fernsehen inhaltlich ungeheuer attraktiv und unterhaltsam durch Musik- und Varieté-Programme. Game-Shows, Talks, Kinderprogramme und 1946 die erste fiktionale Fernsehserie (vgl. Schmidt 2016, S. 321): Die USA nahmen und nehmen in der Entwicklung neuer Genres eine Vorreiterrolle ein. Mit Sportberichterstattung wurde seit Anfang der 1930er-Jahre (international) experimentiert. Mit dem Aufkommen des Farb-Fernsehens entwickelte man in den späten 1960er- und frühen 1970er- Jahren Formate, die sich nun eher an die Bevölkerung in den Städten und Vorstädten richteten und nicht mehr, wie bislang überwiegend, an das ländliche Amerika - ein Strategiewechsel, der als Rural Purge bekannt wurde, da viele Shows mit explizitem Farm- und Landcharakter abgesetzt wurden (Eskridge 2018). Daneben veränderte das Medium von Beginn an das politische Publikum in den USA. Wurde Politik zunächst hauptsächlich über Zeitungen vermittelt und wahrgenommen, so kamen in den 1930er- Jahren mit dem Radio und dann insbesondere mit audiovisuellen Informa‐ tionsformaten nun Bevölkerungsschichten hinzu, die sich zuvor weniger an (geschriebener) Politik interessiert zeigten (vgl. Lepore 2020, S. 683; Lessig 2019, S. 73). Die abendlichen Primetime-News der Networks galten als „gate‐ 2.7 Das Fernsehen 69 <?page no="70"?> 8 Vgl. https: / / shorensteincenter.org/ streaming-war-won/ #content way drugs“ 8 für die nachfolgenden Unterhaltungssendungen. Tatsächlich belastete auf Dauer gesehen der Erfolg des Fernsehens die Presse. Lasen 1964 noch ca. 80 Prozent der erwachsenen Amerikaner eine Zeitung, so waren es 1997 noch 58 Prozent, 41 Prozent sind es 2013, und 2018 gaben noch 18 Prozent an, sie würden oft Zeitungen zur Information heranziehen (→ Kapitel 5; PEW Research Center 2018; Schmidt 2016, S. 316). Einen erheblichen Teil dazu trug bei, dass die lokalen Sender in den 1970er-Jahren viele Unterhaltungsangebote ab- und Nachrichten aufbauten. Im Vergleich zu anderen Ländern spielt das Public Television (nur in Teilen ähnlich und nach deutscher Diktion: ein öffentlich-rechtliches Fernsehen) in den USA eine deutlich marginale Rolle. Lange Zeit dominierten die kommerziellen „großen drei“ Networks. 1967 gründete der Kongress auf Drängen von Präsident Johnson mit dem Public Broadcasting Act die Corpo‐ ration for Public Broadcasting (CPB); es verteilt landesweit Fördergelder an lokale Anbieter und Initiativen, um pädagogische, kreative und qualitativ hochwertige Inhalte zu unterstützen. Allerdings ist im internationalen Vergleich dieses Budget eher niedrig einzuordnen (vgl. Puppis & Schweizer 2015). Überhaupt finanziert sich das öffentliche Fernsehen überwiegend aus Spenden. Um sich als Public Television zu qualifizieren, müssen sich die Sender bei der Federal Communications Commission um eine Noncommercial Educational Broadcasting-Lizenz (NCE) bewerben; derzeit besitzen knapp unter 400 Fernsehstationen eine solche nichtkommerzielle Lizenz (vgl. Puppis & Schweizer 2015, S. 108). Damit sind sie formell unabhängig, organisieren sich aber über drei nationale Stränge: 1) die CPB (Fördergelder), 2) den als Nachfolgeorganisation des National Educational Television 1970 gegründeten Public Broadcasting Service (PBS), der u. a. das nationale Satellitensystem betreibt (sowie weiteren nichtkommerziellen Networks, → Kapitel 3.8.3) und 3) die Association of Public Television Station (APTS), die Programmplanungen, Kooperationen und Recherchen unterstützt. PBS ist zwar selbst als Network zu verstehen, stellt aber im Gegensatz zu seinen privatwirtschaftlichen Pendants selbst keinen Inhalt her, sondern koordiniert den Programmaustausch unter seinen Affiliates. Seitens der FCC findet sich eine programmatische Linie dahingehend, dass das öffentliche Fernsehen sich inhaltlich deutlich unterscheidet von den Programmen privater Anbieter. Das wiederum hat einen starken pä‐ dagogischen Einschlag begünstigt und (an absoluten Zahlen gemessen) 70 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="71"?> eine eher begrenzte Popularität - relativ betrachtet: Immerhin rund 100 Millionen Amerikaner schauen mindestens einmal im Monat bei einem Public Television vorbei, und inzwischen werden auch monatlich knapp 400 Millionen Videos von seinen digitalen Plattformen abgerufen (vgl. Puppis & Schweizer 2015, S. 109). Bei all dem, in den USA wahrlich nicht zu unterschätzen, finden sich viele nichtkommerzielle Stationen, die von religiösen Organisationen (und den von ihnen eingeworbenen Spenden) finanziert werden. Erwähnenswert noch, dass die Regierung in Washington selbst auch Fern‐ sehstationen unterhält: NASA TV, ein Sender, der auch mit pädagogischen Verve vom Weltraum-Programm des Landes berichtet (über Satellit und im Internet); bis 2015 betrieb man den auf Militärisches konzentrierten DoD News Channel, der 2004 noch als Pentagon Channel auf Sendung gegangen war; und schließlich noch die United States Agency for Global Media, die sich als diplomatisch-medialer Arm der Regierung versteht und z. B. im internationalen Umfeld Voice of America und andere kleinere Sender betreibt (Radio, Fernsehen, Internet). Mit der Watergate-Affäre gewann das Public Broadcasting System auch medienpolitisch an Bedeutung. Mehr als die Hälfte der PBS-Stationen im Lande übertrugen 1973 die Anhörungen aus dem Kongress live - dem ausdrücklichen Anspruch, dem Land ein historisches politisches Ereignis zugänglich zu machen zur eigenen Urteilsbildung. Um das auch umfäng‐ lich zu gestalten, fasste man die tatsächlich dramatischen Kommissions‐ sitzungen über Nixons Mitwisserschaft und das geheime Abhör-System im Weißen Haus für die berufstätigen Amerikaner in neuen abendlichen Informationssendungen zusammen. „The Watergate broadcasts offered a dramatic preview of how channels like C-SPAN, Court TV, and other 24-7 cable news programming would enthrall political junkies ten years later.“ (Potter 2020, S. 59) Aus diesen Erfahrungen mit den Watergate-Sendungen entwickelten sich investigative Reportage-Formate wie Frontline, die das Image des öffentlichen Rundfunks in der amerikanischen Bevölkerung positiv prägten. Nicht nur bei politisch Hochinteressierten, auch durch Wis‐ senschaftskommunikation, Geschichtssendungen, Dokumentationen und Kindersendungen (wie die internationale äußerst erfolgreiche Sesame Street) erarbeitet sich das Public Television zumindest in Teilen der Gesellschaft nun den Ruf einer glaubwürdigen Institution. Die wichtigsten technologischen Neuheiten waren dann in den 1970er und 1980er-Jahren die Satelliten- und Kabeltechnologien. Nach ersten Ver‐ 2.7 Das Fernsehen 71 <?page no="72"?> suchen kurz nach dem Weltkrieg, waren sie allerdings erst eine Generation darauf einigermaßen gereift. Ursprünglich mit dem Zweck, die Sendequali‐ tät und die Reichweite des terrestrischen Fernsehens zu verbessern, folgten der Entwicklung bald viele neue Stationen (Napoli 2019, S. 2). 1979 nahm das Cable-Satellite Public Affairs Network (C-SPAN) für anfangs rund 3,5 Millionen Haushalte die - kommentarlose - Übertragung der Sitzungen des Repräsentantenhauses auf. C-SPAN-2 folgte 1987 für den Senat. Noch bedeutsamer dürfte die Gründung von Cable News Network (CNN) 1980 in Atlanta gewesen sein; zunächst nur im Kabel, bald darauf aber auch über Satellit, konnte sich der 24-Stunden-Nachrichtensender allen skeptischen Stimmen zum Trotz tatsächlich am Markt behaupten. Bis dahin kannte Amerika im Wesentlichen nur die abendlichen Hauptnachrichten und we‐ nige stündliche Kurznachrichten: meist regionale und lokale News durch die Affiliates, nationale und internationale durch die Networks. Obwohl diese Nachrichtenformate einen guten Ruf genossen und beachtliche Ein‐ schaltquoten vorweisen konnten, hatte kaum jemand damit gerechnet, dass ein reiner Nachrichtenkanal ein ausreichend großes, also wirtschaftlich rentables Publikumssegment erobern könnte. Fortan sind Live News in der amerikanischen Medienlandschaft allgegenwärtig. CNN folgte dann - jedoch mit einem deutlich schmaleren Programm - 1981 der Wirtschaftsspartensender Financial Network News; er wurde 1991 von NBC aufgekauft und in ihren Kabelableger (gegründet 1989) integriert, also CNBC (Consumer News and Business Channel). Auch der erste Musikspartensender, Music Television (MTV; gegründet 1981), profitierte von einem steten und in den 1980er-Jahren noch einmal deutlich forcierten Ausbau der Kabelnetze im Land: Ab Mitte der 1980er-Jahre hatte etwa die Hälfte der amerikanischen Haushalte Zugang zum Kabelfernsehen, um die Jahrtausendwende waren es rund 90 Prozent (Chadwick 2017, S. 42; Potter 2020, S. 96) - was die Vormachtstellung der Networks, der Big Three erheblich beeinträchtigte, die Anfang der 1990er-Jahre erstmals in ihrer Geschichte mit ihren Bilanzen in Verlustzonen manövrierten. Insbesondere aber und explizit nach dem Vorbild und in Konkurrenz zu CNN gingen 1996 MSNBC (ein Gemeinschaftsunternehmen von Microsoft und NBC) sowie Fox News auf Sendung. MSNBC sollte - irgendwie - das Internet mit dem Fernsehen verknüpfen, war aber von Beginn an eher eine Kopie von CNN, ergänzt durch eine eigene Internet-Show: The Site (vgl. Wu 2017a, S. 257). Spätestens mit diesen Gründungen ist für das amerikanische Publikum von einem fulminanten Anstieg der Nachrichtenoptionen zu sprechen. 72 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="73"?> Überhaupt ist seit Anfang der 1980er-Jahre mit der Etablierung der Satelliten- und Kabeltechnik von einer „high-choice media environment“ die Rede. Dazu zählen auch die mit dem Kabel legalisierten Einkauf-Shows, die Infomercials, die bald schon nicht nur nachts stundenlang Produkte anpreisen. Interessanterweise zielen dabei alle Kabelsender zunächst ab auf das eher konservative Amerika (das sich Kabel-Abonnements leistete), auch CNN und MSNBC. Mit den Jahren und in der Konkurrenz zu Fox News, das sich eindeutig im rechten parteipolitischen Spektrum festsetzte (→ Kapitel 6.1) und das konservative Publikum für sich gewann, orientierte man sich mehr nach links und folgte damit der Strategie der Publikumsseg‐ mentierung, die man bei Fox als gelungenes Geschäftsmodell beobachten konnte. Nun war nicht mehr die schiere Masse die zentrale ökonomische Zielgröße - und konnte es angesichts der Angebotsvielfalt (die durch das Internet noch zunahm) auch nicht länger sein. „As cable, satellite, and, later, Internet, platforms began to fracture the national audience into smaller and smaller market segments and niches, shear audience size was no longer the only economic mearsuring stick to consider.“ (Peck 2019, S.-45) Aktuell findet man im amerikanischen Kabel hunderte von Nachrichten‐ shows. Die allerdings stehen in spürbarer Konkurrenz mit den Onlineme‐ dien; der Anteil der Haushalte mit einem Kabel-Vertrag sank von 85 Prozent im Jahr 2005 bis 2020 auf rund 78 Prozent (vgl. Kernell et al. 2020, S. 612; Stevenson et al. 2008, S. 5236). Insgesamt konkurrieren heute geschätzte rund 1.800 Sender den amerikanischen Fernsehmarkt, sei es noch terrest‐ risch oder als Kabel- und Satellitensender oder Streaming-Dienste. 2.8 Netz und Digitalisierung Fast zehn Stunden dehnten sich die Anhörungen von Mark Zuckerberg, dem Gründer und CEO von Facebook, als er im April 2018 erstmals persön‐ lich vor dem Kongress erschien, um sich den Fragen der Senatoren und Repräsentanten zu stellen. Ein angemessener Rahmen, mag man sagen, im‐ merhin hatten die Vorwürfe erhebliches Gewicht: Er und sein Unternehmen hätten wider besseres Wissen viel zu wenig getan gegen den Missbrauch ihrer Plattform im Präsidentschaftswahlkampf 2016, gegen Desinformation und Manipulation und damit dem demokratischen Prozess in den USA erheblich geschadet. Was daneben auffiel: Jenseits aller kritischen Fragen blieb Zuckerberg genügend Zeit, abzuschweifen und in Erinnerungen zu 2.8 Netz und Digitalisierung 73 <?page no="74"?> schwelgen an die Anfänge des Unternehmens, als Facebook noch als eine Art Beziehungshilfe orientierungslosen Harvard-Studenten die Richtung wies (vgl. Napoli 2019, S.-1). Zuckerberg zeichnete mit seinen nostalgischen Ausflügen ungewollt eine Analogie zum Internet selbst, das mit viel progressiven Hoffnungen gestartet war und doch inzwischen, wie Facebook, erheblich an Reputation eingebüßt hat und für eine lange Liste ausnehmend negativer Entwicklun‐ gen verantwortlich gemacht wird: „[I]n less than two decades […] platforms such as YouTube, Twitter, Instagram, Snapchat, and WhatsApp have evolved in ways that have seen them credited (and blamed) for everything from overturning dictatorships to cultivating political extremism and terrorist organizations to destroying journalism to subverting elections.“ (Napoli 2019, S. 1) Jedenfalls wurde das Netz in den USA (und nicht nur dort), als es sich Mitte der 1990er-Jahre mehr und mehr etablierte, zunächst als Technology of Freedom verstanden, als eine Technologie, die das Land dem Ideal von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Teilhabe näherbrächte (vgl. Hagen 1996; Lepore 2020, S. 892). Unter Stichworten wie Electronic Republic oder Digital Democracy wurden gut ein Jahrzehnt vor Social Media überwiegend optimistische Szenarien einer kommenden Informations- und Wissensgesellschaft diskutiert, bis hin zu solchen, die so etwas wie ein neues athenisches Zeitalter erwarteten: mit einer starken Zivilgesellschaft, weitaus mehr Transparenz und demokratischeren Partizipationsformen. Nun warnten schon damals viele vor Manipulation, Überwachung und Datenmissbrauch; doch dominierten Vorstellungen positiver Folgen für die Gesellschaft. Nebenbei bemerkt, es verbanden sich mit „neuen“ Medien immer schon Hoffnungen auf gesellschaftliche Erneuerungen im Guten: „Jede folgende Generation entnervter Anhänger des Republikanismus sollte [darauf] zurückkommen. Die Zeitung sollte die Republik zusammenhalten; der Telegraf sollte die Republik zusammenhalten; das Radio sollte die Re‐ publik zusammenhalten; das Internet sollte die Republik zusammenhalten.“ (Lepore 2020, S.-193) Dieses Bild eines freien, dezentral organisierten, sich selbst regelnden und von staatlichen Eingriffen verschonten Netzes war noch prägend in der Phase, als sich seine kommerzielle Nutzung abzeichnete (Amazon wurde 1994 gegründet, Google 1997). Im August 1994 hatte ein Gruppe Zukunfts‐ forscher, Physiker und Intellektueller um die IT-Journalistin Esther Dyson eine Magna Charta for the Knowledge Age entworfen (Dyson et al. 1994), die mit dem Netz marktliberale Vorstellungen eines freiheitlichen, staatsfernen, 74 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="75"?> dynamischen Wettbewerbs in allen Zweigen der Wirtschaft verband (vgl. Curran & Freedman 2012; Dolata 2020; Dolata & Schrape 2022). Insbesondere sei der Cyberspace die neue American Frontier - eine nostalgische Metapho‐ rik, die die Offenheit des Vorhabens betonen sollte, bei dem jede politische Einmischung nur stören könnte (vgl. Kleinsteuber 2003, S.-90; Lepore 2020, S. 892). Etwas später, 1996, verkündete der Gründer der Electronic Frontier Foundation, John Perry Barlow, am Rande des Wirtschaftsforums in Davos (und anlässlich der Verabschiedung des Telecommunication Act) mit einigem Verve eine Declaration of the Indepence of the Cyberspace, und zwar im Stile eines dezidierten Anti-Etatismus: „Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather.“ (Barlow 1996, o. S.) Es ist diese Mischung aus freiheitlicher Vision und neoliberaler Markt‐ philosophie, die sich als „kalifornische Ideologie“ in den 1990er und 2000er- Jahren als mächtige Idee erwies - vielleicht gerade weil sie die Philosophien zweier unterschiedlicher Gruppen zusammenbrachte, die der technikbe‐ geisterten Computer- und die der unternehmerischen Start-up-Szene (vgl. Dolota 2020; Dolota & Schrape 2022). Demgegenüber markiert die Anhörung Zuckerbergs vor dem Kongress eine Bedeutung seines Konzerns (und der von Amazon, Apple, Google und mehr) auf die Gesellschaft, der weit über die marktökonomische Position hinaus geht. Knapp eine Generation nach der Deklaration eines unabhängigen Cyberspace formen und kontrollieren die große Netzplattformen als „quasi-hoheitliche Akteure“ Zugang und Nutzen des Internets und „kuratieren und korrigieren in großem Stil Inhalte, Informationsflüsse und Diskussionen“ (Dolota 2020, S. 186). Dass sie sich bislang in weiten Teilen staatlicher Kontrolle und Regulation entziehen konnten, dürfte auch auf diese freiheitlichen Visionen der Anfangsphase des Netzes zurückzuführen sein. Allerdings findet sich in der frühen Netzkultur doch staatlicher Einfluss zum einen in der Technologieförderung und im akademischen Wissens‐ transfer, zum anderen in einer zurückhaltenden Regulierungspraxis, die die Innovationsdynamik im Internet (mit-)geprägt hat (vgl. Dolota 2020; Dolota & Schrape 2022; Kap. 3.9). Nachdem bereits in den 1950er-Jahren und den Anfängen elektronischer Computer der Gedanke aufkam, solche Geräte miteinander zu verbinden (Rheingold 1994, S. 66), geht das Netz im Kern auf Initiativen der Advanced Research Projects Agency (ARPA) des US-Verteidi‐ 2.8 Netz und Digitalisierung 75 <?page no="76"?> gungsministeriums zurück. Das Pentagon wollte in einer Reihe von Projek‐ ten erproben, wie im Falle eines Nuklearkrieges die Kommandostruktur gesichert werden könnte (einen militärischen Hintergrund hatten auch die Funk- und Satellitentechnologien). Ende der 1960er-Jahre wurden erstmals Teile der ARPA-Verwaltung mit Universitäten verknüpft; 1969 erfolgte die erste Point-to-Point-Botschaft zwischen Computern der Universitäten UCLA und Stanford. Noch bis etwa Mitte der 1980er-Jahre nutzten wenige Tausend Personen das nun entstehende ARPANET vornehmlich zum Austausch elektronischer Nachrichten und zur Erprobung etwa der Koppelung von Rechenstärken verschiedener Computer oder des Packet Switching. Es waren also zumeist staatliche oder staatsnahe Akteure, die über die Jahre die Entwicklung des Netzes begleiteten. Ökonomische Notwendigkeiten oder Marktkräfte spielten zunächst keine Rolle - im Gegenteil zeigte sich die Wirtschaft eher zurückhaltend, was sich z. B. darin äußerte, dass AT&T 1972 die Gelegenheit verstreichen ließ, das ARPANET zu übernehmen (vgl. Curran & Freedman 2012, S. 41). Explizit gegen marktwirtschaftliche Überlegungen wandte sich Jahre später auch Tim Berners-Lee, der 1989 in Genf am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) das World Wide Web (WWW) erfunden hatte und seine kommerzielle Verwertung ablehnte, weil das die Universalität der neuen Technologie gefährden würde (ebd.). Die 1980er-Jahre waren dann gekennzeichnet durch die Evolution einer‐ seits des „Netzes der Netze“ - eines „globalen Netzes eigentlich lokaler und regionaler Telekommunikationsnetze auf der Grundlage festgelegter Datencodierungs- und Übertragungsprotokolle“ (Beck 2018, S. 76) -, ande‐ rerseits der Computer und ihrer steten Integration in die Gesellschaft, manifest im Aufstieg von Firmen wie Apple, IBM, Commodore, Microsoft und Xerox. Aus Quantum Computer Services heraus wurde 1989 der erste Netz- Provider in den USA gegründet: American Online (AOL). Das Unternehmen hatte allerdings knapp fünf Jahre nach der Gründung gerade einmal rund 600.000 Subscribers. Doch lässt sich der Durchbruch des Netzes als ein Massenphänomen recht präzise datieren: Bis 1995 bliebt das Internet ein von wenigen gesellschaftlichen Gruppen genutztes Medium; in diesem Jahr aber stiegen die Investments in den neuen Sektor sprunghaft an, es kam zu strategischen Fusionen und Allianzen, ein großer Teil der Wirtschaft ent‐ deckte das Netz als Werbeträger und die Unternehmen begannen im großen Stil, selbst Netzauftritte zu gestalten (Wilke 1996). Zudem übernahmen die Telekommunikationskonzerne in Amerika und in Europa das Internet in 76 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="77"?> ihr Geschäftsportfolios - Portfolios, in denen das Festnetz noch bis etwa Ende des Jahrzehnts das eigentlich zentrale Angebot darstellte (vgl. Overby & Audestad 2021, S.-67). Anfang der 1990er-Jahre debattierte der Kongress den Auf- und Ausbau einer Infrastruktur für die neue Technik (vgl. Kleinsteuber 1996a, 1996b). Insbesondere der seinerzeitige Vorsitzende des Senatsausschusses für Wis‐ senschaft und Technik (Subcommittee on Science, Technology and Space), der spätere Vizepräsident Al Gore, gilt als einer der wichtigsten Unterstützer der neuen Technologie und war z. B. Mit-Initiator des High Performing Compu‐ ting Act von 1991; das Gesetz zielte darauf ab, die Strukturen des ARPANET durch die Kooperation von Staat und Unternehmen auszubauen und bildete die Grundlage für die National Information Infrastructure, die die Clinton- Regierung später auf- und ausbauen wollte. Es ist diese Infrastruktur, die bald als Information Superhighway metaphorisch gerahmt populär wurde (ein Schlagwort, das schon Mitte der 1980er-Jahre bei den Analysten gängig war; vgl. Braman 2009, S.-53). Zugleich bot das „neue“ Medium neue Möglichkeiten, sich politisch zu profilieren. So erkannte Bill Clinton (wohl angeregt durch Al Gore) im Präsidentschaftswahlkampf 1992 die Chance, mit der Technologie nicht nur wirtschafts- und industriepolitische Issues zu besetzen, sondern sich damit auch in Fragen der Bildung oder des Gesundheitswesens zu positionieren. „Angesichts der politischen Tragweite des Themas, das potentiell alle Bereiche der Gesellschaft umfaßt, hatte Bill Clinton mit den neuen Kom‐ munikationstechnologien ein geradezu ideales Wahlkampf-Sujet besetzt.“ (Rosenbach 1996, S. 91) Nach dem Wahlerfolg Clintons formulierte das Weiße Haus konkretere Pläne für eine National Information Infrastructure (NII). Ein Kernpunkt der Überlegungen war, den neuen Kommunikations‐ sektor weitgehend zu de-regulieren: als Anreiz für die Unternehmen, die enorme Investitionen in den Auf- und Ausbau der Infrastruktur leisten müssten (ebd. S. 92-95). Gegenüber z. B. Deutschland profitierten die USA an dieser Stelle von einem Telekommunikationsmarkt, der Wettbewerb kannte - gelegentlich zwar mit regionalen und lokalen Monopolen -, und nicht geprägt wurde durch die flächendeckende Dominanz eines einzelnen Unternehmens (wie der Deutschen Post). Die für die National Information Infrastructure von der Clinton-Regierung verabschiedete Agenda for Action sah daher eine regulative Zurückhaltung vor, kombiniert mit einem über‐ wiegend privatwirtschaftlich organisierten Ausbau der Netzstrukturen. 2.8 Netz und Digitalisierung 77 <?page no="78"?> 9 Vgl. Die Welt v. 25. November 2000, „Hat er’s gesagt? Nein. Doch! . https: / / www.welt.d e/ print-welt/ article540295/ Hat-er-s-gesagt-Nein-Doch.html Dabei nahm im Lager von Clinton sein Vizepräsident, Al Gore, sicher Einfluss auf die politische Begleitung des frühen Internets, hatte es aber nicht „erfunden“. Das ist insofern erwähnenswert, als Gore als Präsident‐ schaftskandidat der Demokraten in einem Interview mit CNN im März 1999 davon sprach, er habe die Initiative ergriffen, das Internet zu erschaffen: „During my service in the United States Congress, I took initiative in creating the Internet. 9 “ Natürlich wurde dieser allzu selbstbewusste Anspruch von den Republikanern im Wahlkampf aufgegriffen und als Beleg für Gores Arroganz vorgetragen. Eine Marginalie wohl - tatsächlich aber markiert die Anekdote einen für den Politikprozess interessanten Zeitpunkt: Bis dahin waren Fragen der Medien- und Kommunikationspolitik in den USA kaum geeignet, sich mit ihnen politisch zu profilieren. Wie beschrieben gab es zwar durchaus strittige Punkte, gelegentlich Handlungsbedarf und öffentliche Debatten, etwa rund um die Federal Communications Commis‐ sion. Verglichen aber mit anderen Politikfeldern hielt sich die Politik bei Medien weitgehend zurück, zumal hier jeder Interventionismus eher geeig‐ net schien, einen prosperierenden Wirtschaftszweig in seiner Entwicklung zu stören (vgl. Rosenbach 1996, S.-91). Mit dem Internet änderte sich das, zumindest tendenziell. Zwar ist Medien-, Netz- oder Plattformpolitik nach wie vor im Vergleich zu Fragen der inneren Sicherheit, der Verteidigungs-, Energie-, Gesundheits- und Bil‐ dungspolitik auf der politischen Agenda weit weniger prominent vertreten. Doch da die netzbasierten Vermittlungs- und Medienangebote, der Inter‐ nethandel, Social Media und Messenger-Dienste praktisch alle gesellschaft‐ lichen Sektoren durchdringen, wurden und werden die technologische Ar‐ chitektur und die darauf basierenden zahllosen Anwendungen inzwischen recht vielfältig politisch diskutiert. In einer frühen Phase wurde z. B. auch eine Passage des Communications Decency Act (1996) heftig kritisiert, die die Verbreitung bzw. Weiterleitung von anstößigen Inhalten an Minderjährige mit einer hohen Geldstrafe bedrohte; denn solche Regelungen würden die Rede- und Meinungsfreiheit einschränken. Diese fast schon orthodox libertäre Argumentation findet sich noch heute, wird aber beispielsweise im Kontext der Bekämpfung von Desinformation auch kritisiert. Als also etwa Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre das Internet mit dem World Wide Web in weite Teile der Gesellschaft diffundierte, da wurde 78 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="79"?> 10 Vgl. https: / / www.cisco.com/ c/ en/ us/ solutions/ collateral/ executive-perspectives/ annua l-internet-report/ white-paper-c11-741490.html es überwiegend noch als nützliches Hilfsmittel eines anstehenden com‐ putergestützten Informationszeitalters verstanden. Rund eine Generation darauf prägt es wie kaum ein Medium in der Geschichte den Alltag der Menschen - sei es durch Social Media, mobile Applikationen, Webseiten, Mail- und Messenger-Dienste, Online-Service-Portalen und mehr. Um 2020 sind geschätzte rund 23 Milliarden Computer, Tablets oder Mobil-Telefone mit dem Internet verbunden. 10 Bevor aber die vielen Medienangebote, die auf der technologischen Struktur des Internets basieren, sich behaupten und die Konturen der gegenwärtigen Mediengesellschaft (mit-)bestimmen konnten, waren einige strukturelle Prozesse zu bewältigen. Ökonomisch betraf das Marktkonstella‐ tionen, also Eigenschaften von und Beziehungen zwischen Medien-Inhalten, Kunden und Vertriebswegen. Bei „klassischen“ Medien orientierten sich beispielsweise Inhalte an einem dispersen und vage umrissenen Massen- Publikum. Oder etwa ein Buchhandel konnte durch Lagerungskosten und beschränktem Kundenkontakt nur einen sehr kleinen Teil der tatsächli‐ chen Literaturlandschaft anbieten. In der ersten Phase der kommerziellen Nutzung des Internets, später Web 1.0 genannt, sah man dann mit dem so genannten Long Tail das Potenzial, entsprechende Beschränkungen zu überwinden und weniger nachgefragte Inhalte (oder Waren und Dienstleis‐ tungen) kleineren Publikumssegmenten über digitale Plattformen bekannt zu machen und anzubieten. Mit dem raschen Wachstum des Netzes stellte sich indes gleich ein „Grenznutzen“ ein: Ein als Internet-Trap bekanntes Problem, da es rasch enorm aufwendig wurde, Aufmerksamkeit für ein Onlineprodukt oder eine Onlinedienstleistung zu generieren - weshalb etwa um die Jahrtausendwende viel Geld in den klassischen Medien investiert wurde, um dort, offline, für seine Angebote online zu werben (vgl. Hindman 2018). Das Netz „belohnte“ in dieser Phase Unternehmen, denen es z. B. aufgrund von Lizenzverträgen und Aggregation gelang, sich breit und mög‐ lichst universell aufzustellen: etwa Amazon, Netflix, iTunes (vgl. Napoli 2019, S. 29-31; vgl. Hindman 2018). Hinzu kam, auch dafür stehen diese Firmen, die Transformation von ursprünglich physischen Objekten in digitale Güter. Mit dem Web 2.0, mit den Social Media änderten sich diese Konstellation wiederum dahingehend, als es nicht nur um das „Zusammenbringen“ von Inhalten, (neuen) Produkten, Werbetreibenden und einem vage profilierten 2.8 Netz und Digitalisierung 79 <?page no="80"?> Publikum ging; zu den vordergründigen Funktionen z. B. von Facebook oder YouTube als soziale Medien tritt, unterstützt durch immer präziser arbeitende Netanalytics, das Geschäftsmodell des Audience Aggregation auf der Basis von Inhalten, die nicht die Medienunternehmen herstellen, sondern die Nutzer selber (vgl. Napoli 2019, S. 32; Obar & Wildmann 2015, S. 746). Social Media sind also keine Medien im klassischen Sinne, sondern Informationsplattformen, die die Bedürfnisse von Produzenten wie Konsumenten von Inhalten (auf der Basis von Algorithmen) bedienen und dabei als „Intermediäre“ Nutzer und Werbetreibende zusammenbringen - und eine „Plattformgesellschaft“ formen, eine Gesellschaft auch, „in der eine vornehmlich privatwirtschaftlich organisierte Parallelwelt entsteht, die etablierte demokratische Institutionen und Prozesse zunehmend unterläuft“ (Dolata 2020, 187). In diesem Kontext der Nutzung des Netzes in der politischen Kommuni‐ kation und Öffentlichkeit spiegelt sich erneut die mit den Schlagworten Web 1.0 - Web 2.0 gefasste stufenweise Entwicklung: Die Präsidentschaftswahl und die Kongresswahlen von 1996 gelten als die ersten Wahlen, in denen Netzkommunikation einen bemerkenswerten Platz in den Werbestrategien der Akteure einnahm. Freilich blieb es meist noch bei im Nachhinein schlicht anmutenden Strategien der Selbstdarstellung einerseits, der Kam‐ pagnenorganisation andererseits. Tatsächlich als Durchbruch gilt der Präsi‐ dentschaftswahlkampf 2008. Insbesondere die Social-Media-Kampagne von Barack Obama markiert in der Literatur den ersten integrativen Netzwahl‐ kampf, der - was als „Obama-Effekt“ einen Namen bekam - viel Nachahmer fand, darunter, 2016, auch Donald Trumps Mikro-Targeting-Strategie (vgl. Potter 2020, S.-180). Dieser Abriss soll für unseren Zusammenhang nur skizzieren, welche Veränderungen mit der Digitalisierung und dem Internet im Laufe rund ei‐ ner Generation einher gingen - und nach wie vor einher gehen. Dazu wären weitere Aspekte erwähnenswert: zum Datenschutz, zu Organisationsstruk‐ turen von Netzunternehmen, zu neuen Märkten und Wirtschaftszweigen, zu einem Plattform-Kapitalismus, einer „gift economy“ der scheinbar kos‐ tenfreien Nutzung von Inhalten etwa bei Google oder Facebook (Dolata 2020, S. 188), den soziokulturellen Implikationen neuer Anwendungen, Märkte und Konzentrationsprozesse, zu künstlicher Intelligenz, Deep Fake und mehr. Die USA haben dabei in der Entwicklung der Netztechnologie und auch bei technologischen Spezifikationen eine Vorreiterrolle eingenom‐ men. Das ging einher oder wurde begünstigt - was an anderer Stelle 80 2 Medien in den USA - eine (sehr) kurze Geschichte <?page no="81"?> 11 Vgl. https: / / www.imf.org/ en/ Publications/ WEO/ weo-database/ 2021/ October/ weo-rep ort? ; sowie http: / / medienpolitik.eu/ mediendatenbank/ diskutiert wird (→ Kapitel 3.9) - mit einer weitgehenden regulatorischen Zurückhaltung der US-Netzpolitik. Vielleicht auch deshalb dominieren heute amerikanische Unternehmen die Netzökonomie: sieben der zehn größten Medienkonzerne der Welt sind derzeit amerikanische Konzerne - zusammengenommen mit einer Bilanzsumme von rund 630 Milliarden Dol‐ lar; das entspricht ziemlich genau dem Bruttoinlandsprodukt der Schweiz 11 . 2.8 Netz und Digitalisierung 81 <?page no="83"?> 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung 3.1 Grundlegendes: Medienpolitik und Medienregulierung Wie viele andere Länder haben auch die USA nicht ein Medienrecht entwi‐ ckelt, vergleichbar etwa mit dem Strafrecht oder dem Verkehrsrecht (zwei meist kompakte und inhaltlich konzise Rechtsgebiete): Medienbezogene juristische Fragen und Konflikte finden sich z. B. im Öffentlichen Recht, im Handels- oder im Zivilrecht. Insofern fallen manche medienrelevante Probleme in die Zuständigkeiten etwa der Federal Election Commission oder der Federal Trade Commission - oder eben in die von explizit auf Medien konzentrierten Organisationen, allen voran der zentralen Aufsichtsbehörde für Telekommunikation und Rundfunk, der Federal Communications Com‐ mission (FCC; → Kapitel 3.6). Typisch ist also ein Nebeneinander von einerseits allgemeinen Regeln, die nicht ausdrücklich medienrechtlicher Natur sind, aber auch im Medien- und Kommunikationsektor greifen, und andererseits Normen, die konkret auf Medien, ihre Technologien und Anwendungen abheben. Dabei sind (neben den Gerichten) die mit Rechtsfragen auf Bundesebene befassten Kommissionen oder Behörden meist direkt einem Ministerium angegliederte, jedoch überwiegend eigenständig agierende und auf einen Sektor konzentrierte Organisationen, die die Ausführung und die Folgen der Gesetze als verlängerter Arm der Regierung und des Kongresses beobachten und in Konfliktfällen oder etwa bei technologischen Neuheiten Richtlinien entwickeln oder Empfehlungen an den Gesetzgeber aussprechen - oft verbunden mit öffentlichen Anhörungen. Für den Mediensektor ist das meist die FCC. Beim Verbraucherschutz - z. B. im Zusammenhang mit der Wer‐ bepraxis oder des Datenschutzes - ist überwiegend die Federal Trade Com‐ mission zuständig, während die Antitrust Division des Justizministeriums in Fragen des Kartellrechts in Erscheinung tritt und z. B. verantwortlich zeichnete für die Zerschlagung des Telekommunikationskonzerns AT&T Anfang der 1980er-Jahre (vgl. Kang & Butler 2020, S.-33). <?page no="84"?> Typisch für den politischen Prozess und die Ergebnisse der amerikani‐ schen Verhandlungsarenen sind dabei Gesetzespakete, die oft für einen größeren Themenkomplex und als Bündel einzelner Bestimmungen ganze Branchen oder Sektoren oder größere Teile von ihnen verbindlich regeln. Beispielsweise werden wir noch dem Normpaket Freedom of Information Act begegnen, das u. a. ein kleineres Gesetz zur Transparenz der Bundesre‐ gierung enthält, das auf den schönen Namen Government in the Sunshine Act hört (→ Kapitel 3.5). Zur Komplexität bei trägt zudem - wie in anderen föderal geordneten Ländern - das amerikanische Mehrebenensystem: Die Einzelstaaten sind rechtlich betrachtet mitunter (etwa bei Wahlen) souve‐ räne Einheiten. Hinzu kommen Selbstbestimmungsrechte der Kommunen. Das amerikanische Rundfunkrecht beispielsweise ist zwar weit überwie‐ gend Bundesrecht, kennt aber kommunale Rechtsakte. Damit muss oft erst einmal bestimmt werden, unter welche Zuständigkeit akute Fragen fallen (vgl. Hoffmann-Riem 2009, S.-45). Kompetenzen plus Organisationsvielfalt: das Nebeneinander von konkre‐ ten Mediennormen und allgemeinen Regeln, die in Einzelfällen Medien- und Kommunikationsunternehmen betreffen können, hat historische und technologische Gründe. Noch bis Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr‐ hunderts bestand kaum Bedarf, die im First Amendment artikulierten Kom‐ munikationsfreiheiten durch besondere Medien-Normen zu ergänzen. Die mit der expandierenden Nation prosperierende Presse entwickelte sich zwar nicht konfliktfrei, beanspruchte aber wenige zusätzliche Regeln. Die Aufmerksamkeit der Politik wie überhaupt der Gesellschaft lag weit mehr auf anderen Sektoren der Wirtschaft und auf militärischen Fragen, auf der Immigration, den innenpolitischen Spannungen vor, mit und nach dem Bürgerkrieg, dem ewig schwellenden Konflikt zwischen einzel- und bundesstaatlichen Rechten und dann der Transformation des Landes in einen modernen Industriestaat. Tatsächlich widmete sich der Supreme Court erst nach dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich der zentralen Norm: dem ersten Verfassungszusatz. Offenbar wurde der Begriff New Media erstmals Anfang der 1940er-Jahre in einem Urteil des Obersten Gerichts erwähnt - in Bezug auf ein Megaphon (vgl. Braman 2009, S. 2). Mit dem Radio, Fernsehen, Kabel, Satelliten, mit der Telekommunikation und schließlich dem Internet entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten eine ausnehmend komplexe Medienlandschaft, die ebenso komplexe juristische Fragen aufwarf: zu Lizenzen und Pflichten von Medienunternehmen, zum öffentlichen Interesse (und was das konkret 84 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="85"?> wäre), dem freien Zugang zu Märkten, Jugendschutz und mehr. In den letzten Jahren ging insbesondere mit der Digitalisierung eine Art Individu‐ alisierung der Medien-, Kommunikations- und Informationspolitik einher: Sahen sich zuvor meist nur Medienschaffende in Ausübung ihres Berufs oder der Führung von Unternehmen mit Vorgaben und Vorschriften, Regeln und Anforderungen konfrontiert, so änderte sich das nun rapide und fundamen‐ tal. „In the electronic environment, however, everyone who communicates runs the danger of bumping into the same legal and regulatory issues, even when individuals perceive themselves to be involved solely in interpersonal communication.“ (Braman 2009, S.-62) Wenn hier von Regulierung gesprochen wird, dann sind damit die kon‐ kreten Regeln gemeint, die Medienunternehmen auferlegt werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (vgl. Puppis 2010, 2015). Beispielsweise könnte das ein Verbot von Produktplatzierungen in Kindersendungen im Fernsehen sein, um Kinder und Jugendliche vor manipulativen Praktiken zu schützen. Eine solche Regulierung ist meist eingebunden in Policies - abstrakter gefasste Positionen, die Gegenstand sind von längeren Verhandlungen und Konflikten im politischen System (etwa programmatische Überlegungen zu Werbung, Wirtschaft, Gesellschaft) (vgl. Freedman 2008). Medienpolitik ist dann der Prozess der Herstellung und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen zur Regulierung (Organisation, Funktion und Gestaltung) von Medien und medialer öffentlicher Kommunikation (vgl. Kamps 2016; Napoli 2008). Das Politikfeld bündelt einzelne „Politiken“ wie Radiopolitik, Telekommunikationspolitik, Fernsehpolitik oder Netzpolitik. Dabei sind die Grenzen „increasingly porous as the digitization, convergence, and globalization of communications technologies blur traditional technological and regulatory distinctions“ (Napoli 2008, S. 2969). Hatten wir es bis in die 1990er-Jahre eher mit medialen „Inseln“ zu tun (vgl. Bar & Sandvig 2008, S. 533), was sich in unterschiedlichen Regulierungsregimes wider‐ spiegelt, so stellt die Konvergenz vormals getrennter Medientechnologien diese Struktur zunehmend in Frage. Hinzu kommen Berührungspunkte mit anderen Sektoren wie etwa der Kulturpolitik, in denen Medien oder Kommunikationstechnologien eine wichtige, aber eben nicht die zentrale Rolle spielen. Regulierung ist ein staatlicher Eingriff, der in demokratischen Syste‐ men der Legitimation bedarf. An medienpolitischen Entscheidungen und Meinungsbildungsprozessen werden daher regelhaft neben politischen In‐ stitutionen wie Parlamenten, Regierungen oder Aufsichtsbehörden auch 3.1 Grundlegendes: Medienpolitik und Medienregulierung 85 <?page no="86"?> 12 Governance oder Media Governance sind in der Literatur nicht einheitlich definierte Begriffe; die entsprechenden Bedeutungen reichen von breiten Vorstellungen zur regulatorischen Struktur einer Gesellschaft aber auch inter- und transnationaler Insti‐ tutionen bis hin zu soziologischen Modellen sozialer Ordnung (vgl. Puppis 2010); für unsere Zwecke ist der Fokus auf die Einbindung nichtstaatlicher Akteure in hoheitliches Handeln vollkommen hinreichend. Unternehmen, Verbraucher, Kirchen, Stiftungen oder Verbände u. Ä. betei‐ ligt (vgl. Freedman 2008). Solche nicht nur punktuellen, sondern oft insti‐ tutionalisierten Partizipationsformen, Governance genannt, 12 sind auf sehr vielfältige Weise in den westlichen Demokratien gängig und unterscheiden das Politikfeld Medien nicht grundsätzlich von anderen. Um ein Beispiel aus der Bundesrepublik zu nennen: Die Freiwillige Selbstkontrolle Kino ist eine Organisation der Filmwirtschaft selbst, die u. a. durch den Staat übertragene Aufgaben im Jugendschutz übernimmt und z. B. mit ihren Altersempfehlun‐ gen auch regulatorisch tätig ist; sie arbeitet dabei gleichwohl mit Vertretern der Länder des Bundes zusammen. Solche Governance-Konstruktionen fin‐ den sich aufgrund der divergierenden medienpolitischen Aufgaben und Ziele in sehr unterschiedlicher Form und Zahl, national wie international etwa im Rahmen der Netz- und Kommunikationspolitik, bei denen auch Organisationen wie die International Telecommunications Union (ITU), die World Trade Organization (WTO) oder die UNESCO eine Rolle spielen (vgl. Papathanassopoulos 2015, S.-6; Puppis 2007). Normen und Policies zu Medien und öffentlicher Kommunikation und der institutionelle Rahmen der Medienpolitik in den USA entwickelten sich entlang sozialer, ökonomischer und technologischer Bedingungen - und spiegeln damit ihre Zeit. „The press, the post, broadcasting […] each abide by different rules, defining who can build and operate the underlying communication systems, who can use them, along what patterns, to convey what information.“ (Bar & Sandvig 2008, S. 531) Substantiell lassen sich dabei drei Sektoren unterscheiden: Ob und wie, erstens, Medienpolitik darauf abzielt, ganz konkrete Inhalte zu fordern (etwa Nachrichtenformate) oder gar zu verbieten, z. B. aus Gründen eines „öffentlichen Interesses“; ob und wie, zweitens, Märkte von außen beeinflusst werden, z. B. durch ein Wettbewerbsrecht; und drittens schließlich hinsichtlich der Infrastruktur, mit der Inhalte verbreitet werden, welche Technologien maßgeblich sind und wie dort Zuständigkeiten geregelt oder Innovationen gefördert werden (vgl. Napoli 2008, S.-2974). 86 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="87"?> Dabei kommen wiederum drei - ähnlich in anderen Ländern - basale Regulierungsmodelle zum Tragen: Das Laissez Faire-Modell, das Common Carrier-Modell und das Broadcasting-Modell. Das Laissez Faire-Modell findet sich vornehmlich im Printsektor (deshalb gelegentlich Print-Modell) und zeichnet sich seinem französischen Etikett folgend durch eine weitgehende Zurückhaltung staatlicher Vorgaben und Normen aus. Staatsferne und privatwirtschaftliches Handeln - diese Kombi‐ nation gilt als „dominant mentality“ der US-Medienpolitik (Calabrese 2014, S. 182). Freilich trifft das schon im Pressewesen nicht absolut zu: Zum einen kennt auch die Presse die ein oder andere Vorschrift, etwa hinsichtlich eines Impressums oder der Gestaltung von Anzeigen. Zum anderen meint fehlende Regulierung nicht immer staatliche Ignoranz, sondern kann eine bewusste Entscheidung zur Zurückhaltung gegenüber Medienunternehmen und ihre Branche sein. Dass ein Mangel an steuernden Normen und De- Regulierung Monopole begünstige oder Konglomerate vor Wettbewerb schütze, ist ein häufig genannter Kritikpunkt gegenüber der amerikanischen Medienpolitik (vgl. McChesney 1999, 2004). Das zweite Modell, Common Carrier, steht für die staatliche Garantie eines diskriminierungsfreien Zugangs zu öffentlichen Diensten. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Transportwesen und bezeichnet dort eine Person oder eine Organisation, die Transportdienste anbietet, und zwar im Grundsatz allen anbietet - und nicht, so der Gegenbegriff, als Contract Car‐ rier nur einem definierten Auftraggeber(kreis). Eine Luftfahrtgesellschaft wäre ein Beispiel für einen Common Carrier. Im Kommunikationssektor fand das Modell zunächst und vorwiegend in der Telefonie Anwendung: Telefonanbieter müssen ihre Telefonnetze der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich machen; es handelt sich also um eine Regulierung der Infrastruk‐ tur. Seit einigen Jahren finden sich im Mediensektor aber auch inhaltlich begründete Common Carrier-Regelungen im Kabel, z. B. müssen Kabelbe‐ treiber lokale Nachrichtenprogramme einbinden (vgl. Napoli 2019, S.-60). Dagegen in erster Linie inhaltlich orientiert ist das Broadcasting-Modell. Hier werden Lizenzen zur privaten und kommerziellen Nutzung öffentlicher Rundfunkfrequenzen gebunden an Vorgaben inhaltlicher Art. So werden in den USA solche Frequenzen durch eine Lizenzbehörde vergeben (anfangs das Handelsministerium, später die FCC) gekoppelt an ein „öffentliches Interesse“, das im Programm beachtet werden müsste (→ Kapitel 3.6). Diese Regulierungsidee basiert - auch international - im Kern auf zwei Überle‐ gungen: Erstens der Knappheit des nutzbaren Spektrums an Frequenzen, und 3.1 Grundlegendes: Medienpolitik und Medienregulierung 87 <?page no="88"?> zweitens der Verhinderung von schädlichen Inhalten, z. B. aus Gründen des Jugendschutzes (vgl. Puppis 2007, S.-90). Diese Modelle sind - wenn auch variierend - zumindest in den westli‐ chen liberalen Demokratien Standard. In den USA werden Medien dabei überwiegend als Wirtschaftsgut und weniger als Kulturgut verstanden; im Gegensatz etwa zu Deutschland vertraut man weitgehend auf Marktkräfte, die nicht nur Unterhaltung, sondern auch Information und Bildung hervor‐ bringen würden. Das gilt im Kern für alle Medien, also nicht nur traditionell für die Printmedien, sondern ausdrücklich auch für die elektronischen Medien. Wo andere Länder einen Public Service einsetzten mit umfassen‐ der gesellschaftlicher Kontrolle (z. B. in Aufsichtsgremien), werden die Unternehmen und Medienorganisationen in den USA staatsfern organisiert. Regulierung meint dann vornehmlich: die Verhinderung von Monopolen und Kartellen. Dabei kennt der amerikanische Rundfunk eine politische Steuerung durch Lizenzen und durchaus kulturpolitische Überlegungen, erfuhr aber in den 1980er-Jahren eine Phase der De-Regulation. In dieser „Grundierung“ der Medienpolitik spiegelt sich die traditionelle Marketplace-Orientierung der amerikanischen Wirtschaft wider; sie prägte zuletzt auch den Ausbau des Internets und das neue Feld der Netzpolitik. Wie in Europa begegnete man dabei den Herausforderungen durch die Digitalisierung und die Konvergenz von Technologien zunächst durch die schrittweise Anpassung alter Regulierungskonzepte; gegenwärtig werden im Kongress allerdings vermehrt neue Ansätze diskutiert. Tatsächlich ty‐ pisch für die amerikanische Medienpolitik ist dabei die Konzentration auf grundsätzliche Fragen verfassungsrechtlich garantierter Kommunikations‐ freiheiten. 3.2 Der erste Verfassungszusatz: Freiheit der Rede, Freiheit der Presse In den Federalist Papers findet sich im Essay Nr. 84 eine Passsage, in der Alexander Hamilton die Bedeutung einer freien, von keinerlei Zwängen eingeschränkten, aber rechtlich geschützten Presse anspricht: „[Freedom of the press] is a fundamental right and should not be restrained in any way. The people’s and the printer’s claim to freedom of the press is founded on fundamental laws and state constitutions, made by the people themselves.“ (Zit. n. Kleinsteuber 2003, S. 74) Jedoch erörtern die Papers 88 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="89"?> Zeitungen und ihre Funktionen für eine freie Gesellschaft ansonsten so gut wie gar nicht: So wichtig die Kommunikationsfreiheiten werden sollten - im Zuge der Verfassungsgebung ging es vornehmlich um die Abwehr von Eingriffen politischer Macht in das damals recht übersichtliche Printwesen (vgl. Schudson 2019, S.-96). Dieser Gedanke folgt der Leitidee der Verfassung: dem Limited Govern‐ ment. Neben dem Naturrecht und der Volkssouveränität wurde dieser Grundsatz einer in vielerlei Hinsicht - auch bei der Presse - eingeschränkten Regierung ein fundamentales Prinzip der politischen Architektur der USA. Im zeithistorischen Kontext des 18. Jahrhunderts war das nicht selbstver‐ ständlich. Denn den (theoretischen) Anspruch auf solche Freiheiten und einer herrschaftlichen Zurückhaltung kannte man bislang - wenn über‐ haupt - nur aus den Schriften der Aufklärung und wenigen philosophischen Texten der Gründerväter selbst, etwa aus Jeffersons Statute for Religious Freedom von 1786 (vgl. Lepore 2020, S. 184). Dabei hatten die amerikanischen Revolutionäre die Rolle politischer Öffentlichkeit im Zuge der Auseinander‐ setzungen mit den Briten schätzen gelernt, und zwar nicht nur konkret praktisch im Sinne einer informierten Bevölkerung, sondern prinzipiell: als Ausweis einer gerechten Gemeinschaft, einer demokratischen Republik und einer legitimen, funktionsfähigen Selbstverwaltung. So schrieb der Erste Kontinentalkongress 1774 in seinem Letter to the Inhabitants of Quebec: „The last right we shall mention, regards the freedom of the press. The importance of this consists, besides the advancement of truth, science, morality, and arts in general, in its diffusion of liberal sentiments on the administration of Government, its ready communication of thoughts between subjects, and its consequential promotion of union among them, whereby oppressive officers are shamed or intimidated, into more honourable and just modes of conducting affairs.“ (Zit. n. Kosseff 2019, S.-146) 1776 findet sich in der Virginia Declaration of Rights erstmals die schrift‐ liche Festlegung einer Rede- und Pressefreiheit mit konstitutionellem An‐ spruch. Insofern war es nur folgerichtig, wenn im First Amendment diese Freiheiten 1791 verfassungsrechtlichen Rang erlangten für die kurz zuvor gegründete Republik: „Congress shall make no law respecting an establish‐ ment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.“ Doch ausgemacht war das nicht. Denn in der Diskussion um den Verfas‐ sungsentwurf, der Ratifikationsdebatte des Sommers 1787, konnten sich die 3.2 Der erste Verfassungszusatz: Freiheit der Rede, Freiheit der Presse 89 <?page no="90"?> zwei Lager - die Federalists und die Anti-Federalists - in einem zentralen Punkt lange nicht einigen: Wie sich die Kompetenzen aufteilen sollten zwi‐ schen den einzelnen Staaten und der Union selbst (vgl. Zehnpfennig 2016; Kap. 2.1). Dabei hegten beide Seiten ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Regierungshandeln und Machtmissbrauch durch politische Eliten oder gar einen Ersatzmonarchen (McKay 2018, S. 2-3). Nach der Erfahrung der britischen Monarchie, als Despotie erlebt, sollte das Gefüge der künftigen Verfassung willkürliches Gehabe und egozentrische Pflichtverletzungen verhindern (Bieber & Kamps 2019a). Der (sehr technisch gehaltene) Verfas‐ sungsentwurf sah daher eine mit wichtigen Rechten ausgestattete Regierung der Union vor, eingebunden in ein System aus Checks and Balances der drei Staatsgewalten: Kongress, Präsident, Supreme Court. Allerdings vermissten die Anti-Federalist um Thomas Jefferson die weitergehende Formulierung individueller Rechte als Abwehrrechte nicht zuletzt gegenüber einer Zent‐ ralregierung, der sie skeptisch begegneten (was Kennzeichen der Country Ideology werden sollte) (Mauch et al. 2020, S. 64). Tatsächlich hätte das Fehlen eines Katalogs an Grundrechten die Ratifizierung der Verfassung beinahe verhindert (vgl. Heideking & Sterzel 2007); ihre Annahme durch die dreizehn Gründerstaaten wurde nur nach reichlich Diskussionen und das Versprechen solcher Freiheiten gesichert, durch die Amendment-Emp‐ fehlungen. Vergleicht man diese Bill of Rights mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution, so wirkt sie weit weni‐ ger emphatisch, eher nüchtern. Vor allem können die dort verbrieften Rechte vor Gericht eingeklagt werden; sie sind mehr als philosophische Versprechungen und genießen einen überaus starken Schutz durch die Rechtsprechung, weil sie gelesen werden als ein Fundament der Volkssou‐ veränität. Historisch betrachtet, verstand man die Presse zunächst eher als eine Kraft, die der Diskussion über die Anliegen einer Gemeinschaft (der Res Publica) dienen könnte, denn als eine Branche, in der Profit zu machen wäre (Amar 1998). Je offener sich einzelne Personen durch die Rede- und Pressefreiheit artikulieren könnten, so der Grundgedanke, um so geringer die Gefahr einer abgehobenen Elite: Ein Anathema der Gründer, eine Art Fluch, den man glaubte, brechen zu müssen (vgl. Zehnpfennig 2016). Die dann 1791 ratifizierte Bill of Rights umfasst in ihren zehn Artikeln insgesamt 27 Grundrechte. Gleich der erste, für uns zentrale Verfassungszusatz, enthält fünf Rechte: die Religionsfreiheit, die Versammlungs- und Petitionsfreiheit und natürlich die Meinungs- und Pressefreiheit. 90 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="91"?> Hinter der als erstes genannten Religionsfreiheit verbirgt sich nach gängi‐ ger Lesart die Meinungsfreiheit: Darin spiegelt sich der historische Umstand, dass zur Zeit der Nationenbildung die größten Gefahren für - im Wortsinn - unorthodoxe Ideen von religiösen Institutionen ausging. Die Interpretation dieses Punktes hat sich in der Rechtsprechung als Schutzrecht über die Religion hinaus auf andere Sektoren ausgedehnt, auf Kunst, Unterhaltung auch Wissenschaft und mehr: Geschützt werden durch diesen Abschnitt nicht nur Glaubensbekenntnisse, sondern Meinungen jeglicher Art, also nicht nur im religiösen Kontext (vgl. hier Braman 2009, S.-85-90). Während die Meinungsfreiheit das Recht auf die Freiheit der Gedanken markiert, so weitet die Redefreiheit - Freedom of Speech oder Freedom of Expression - dieses Recht aus auf die Norm, solche Gedanken ungehindert und mit eigenen Worten äußern zu können. Dabei hatten die Verfasser wohl an face-to-face-Kommunikation gedacht, an Dialog und Diskurs unter Anwesenden, an Streit und Auseinandersetzung in der Sache, um die Selbstverwaltung zu stärken und politische Entscheidungen zu legitimieren (z.-B. in Gemeindeversammlungen). Mit der konstitutionellen Verankerung der Pressefreiheit wird darüber hinaus a-synchrone Kommunikation geschützt, also Formen der Kommuni‐ kation unter zeitlich und räumlich getrennten Teilnehmern. Konkret hatte man - darauf wurde verschiedentlich hingewiesen - das junge Pressewesen im Blick und dessen Bedeutung für die Kolonien und später die Nationen‐ bildung; heute wird Pressefreiheit als allgemeines Prinzip übertragen z. B. auf den Rundfunk, also andere technologische Formen der Kommunikation unter oder mit Nichtanwesenden. Schließlich erwähnt das First Amendment noch die Versammlungs- und Petitionsfreiheiten; auch sie werden vor dem Hintergrund der amerikani‐ schen Erfahrungen verständlich. In der Versammlungsfreiheit spiegelt sich die geradezu modellhafte Rolle der Town Hall Meetings im Neuengland der Kolonialzeit. In diesen Foren politischer Kommunikation bilden sich indivi‐ duelle Meinungen und im Idealfall Konsens über strittige Angelegenheiten der Gemeinschaft. In der Rechtsprechung durch den Supreme Court wurde diese Versammlungsfreiheit ausgeweitet auf eine weniger volatile Organisa‐ tionsfreiheit und damit auf strukturiertere Formen der Auseinandersetzung und Meinungsbildung. Zuletzt in der Petitionsfreiheit manifestiert sich der grundsätzliche Anspruch auf Kritik an Herrschaft - Kritik, die nicht zurückgewiesen werden soll und darf etwa durch den Verweis auf (z. B. monarchische, aristokratische) tradierte Privilegien politischer Macht. 3.2 Der erste Verfassungszusatz: Freiheit der Rede, Freiheit der Presse 91 <?page no="92"?> 13 Zitiert nach https: / / www.menschenrechtskonvention.eu/ Interessanterweise fehlt im Wortlaut des First Amendment jede Einschrän‐ kung durch einen Gesetzesvorbehalt, wie beispielsweise in Deutschland. Hierzulande setzt der Artikel 5 des Grundgesetzes gleich im zweiten Ab‐ schnitt den Kommunikationsfreiheiten Grenzen: durch allgemeine Gesetze etwa im Kontext des Jugend- oder des Ehrenschutzes. Um eine andere, detailliert vorbehaltliche Norm zu zitieren: Der zweite Absatz des entsprech‐ enden Artikels 10 der europäischen Menschenrechtskonvention lautet „[die Ausübung dieser Freiheiten] kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Un‐ parteilichkeit der Rechtsprechung.“ 13 Verglichen damit wirkt das knappe First Amendment schon rigoros und im Kontrast nüchtern, fast dogmatisch. Zentrales Interpretations- und Entscheidungsorgan zum First Amendment wurde der Supreme Court. Seine Auslegungen sind für das Verständnis der öffentlichen Kommunikation (und ihrer Organisation) von außerordentli‐ cher Bedeutung. Pauschal betrachtet genießen die Kommunikationsfreihei‐ ten in den USA, im Vergleich zu den meisten europäischen Demokratien, einen höheren Stellenwert. Sie gelten als weitgehend unabhängige Prinzi‐ pien, die keiner weiteren Begründung bedürfen, da sie den souveränen Anspruch der Nation auf Selbstbestimmung spiegeln (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 78). Medien sind so betrachtet nicht nur Dokumentare der Gegenwart, sondern Fundament einer wohlinformierten Bürgerschaft und einer zivilen Kultur der politischen Auseinandersetzung. Diese normative Position um‐ fasst neben der „Idee“ der Presse als (metaphorisch) „vierte Gewalt“ - was im amerikanischen Sprachgebrauch mit „Fourth Branch of Government“ etwas eleganter gefasst wird (Kleinsteuber 2008b, S. 25) - auch die Freedom of Speech (und die Freiheit, sich zu informieren) als Ausdruck individueller Autonomie und einer auf Repräsentation beruhenden politischen Legitima‐ tion von Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen (vgl. Graber 2019, S. 237). Nach gängiger Auslegung fällt darunter auch ein Schutzrecht für Eigentümer von Medienunternehmen, weshalb z. B. eine besonders hohe 92 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="93"?> Steuer auf Medienprodukte eine Verletzung des First Amendment darstellen dürfte (Kleinsteuber 2008a, S.-316). Das schließt allerdings nicht aus, wie fallweise noch diskutiert wird, dass es immer wieder Versuche gab, die Rechte einzelner Medienorganisationen oder Individuen zu beschneiden. Schon in der Revolutionszeit hatten lokale Komitees und die Regierungen der Kolonien Sanktionen ausgesprochen gegen Drucke, die dem Revolutionary Cause skeptisch oder gar kritisch begegneten. Die heute so universell geschätzt Pressefreiheit wurde zunächst allein als Lizenzfreiheit verstanden (vgl. Goldstein 2008, S. 84). Wie noch besprochen wird, war es dann der Supreme Court, der im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts seine Selbstbeschränkung aufgab und mit ersten Entscheiden einen konkreteren rechtstheoretischen Rahmen bestimmte. Der Kongress lehnte zudem, bislang zumindest, jede Präzisierung des im First Amendment gegebenen Leitbildes regelmäßig ab - mit dem grundrecht‐ lich begründeten Ziel einer (Kommunikations-)Kultur, in der Äußerungen oder Inhalte deutlich weniger reguliert werden. Es obliegt dann oft genug den Gerichten und eben dem Supreme Court, in Konfliktfällen grundsätzliche Kriterien festzulegen. Und dabei wurde - wiederum pauschal - die Rede- und Pressefreiheit meist gestärkt, so wie überhaupt den Freiheitsrechten und individualistischen und egalitären Wertvorstellungen von amerikanischen Gerichten eine hohe Wertschätzung beigemessen wird. Allerdings finden sich auch Bundesgesetze z. B. bezüglich Verleumdungen, Persönlichkeits‐ schutz, Urheberrecht oder Obszönitäten. Und nicht jeder Aufruf zur Anar‐ chie fällt unter die freie Rede, soweit er tatsächlich geeignet sein könnte, die amerikanische Demokratie zu gefährden (vgl. Kernell et al. 2020, S. 197-198). Daneben ist Zensur in den USA und ihrer langen Geschichte zwar äußerst selten, kennt aber immer wieder Ausnahmen: Präsident Jackson verbot während des Britisch-Amerikanischen Krieges 1812 einige pro-britische Zeitungen in New Orleans; in Maryland wurde 1857 der Besitz von Uncle Tom’s Cabin mit Gefängnisstrafe belegt; Abraham Lincoln ließ 1861 einige Zeitungen schließen, weil sie Propaganda für den Süden gemacht hätten; oder auch im Zuge der Kommunistenfurcht - Red Scare - nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich Zensurmaßnahmen gegenüber kommunistischen oder anarchistischen Zeitungen (vgl. Goldstein 2008, S.-84; McKay 2018, S.-157). Zudem fällt beim Wortlaut des First Amendment auf, dass die Rechte negativ formuliert werden und Handlungen des Staates abwehrt: „Congress shall make no law […] abridging the freedom of speech, or the press […].“ Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, dass diese Recht einengt. 3.2 Der erste Verfassungszusatz: Freiheit der Rede, Freiheit der Presse 93 <?page no="94"?> Darin spiegelt sich unmittelbar die verbreitete Skepsis gegenüber einer zentralen politischen Macht (vgl. Holzer 2020, S. xxviii). Aber heißt „nicht einengen“ auch absolute Staatsferne, also keinerlei Aktivität des Staates? Die weitreichendste Interpretation sieht das genau so. Nach einer anderen Sichtweise erlaube dagegen die Formulierung sehr wohl staatliches Handeln z. B. in Form von Unterstützung einzelner Medien oder der Branche etwa durch Subventionen. Der Staat könne natürlich aktiv tätig werden zum Schutz dieser Freiheiten, da das Amendment eine von der individuellen Rede getrennte, am Wohle der Gemeinschaft orientierte Funktion der Presse impliziere (sonst würde die Formel nicht zwischen individueller Rede und kollektiver Presse unterschieden): „It serves a higher calling“ (McChesney & Nichols 2010, S. 149). Für diese Deutung spricht die in den ersten Jahrzehnten der USA übliche Praxis der Regierungsaufträge an die (Partei-)Presse, die erst 1860 mit der Einrichtung eines Government Printing Office endete (vgl. McChesney 2004, S. 26-29). Darüber hinaus kennt z. B. der Rundfunk eine Tradition der Regulierungspraxis. Eine absolute Staatsferne im Mediensek‐ tor gibt es also auch in den USA nicht. Ein letzter Punkt ist die Frage der Drittwirkung: Ob die Prinzipien der Kommunikationsfreiheiten, die sich ja auf das Verhältnis von Staat und Bürgerschaft beziehen, übertragen werden können auf „Dritte“, z. B. auf die Beziehung zwischen Bürgern mit Unternehmen; das ist tatsächlich strittig. Formell, nebenbei bemerkt, galt die Bill of Rights anfangs nur auf bun‐ desstaatlicher Ebene. Presserechtliche Einschränkungen wären also den einzelnen Staaten zunächst noch erlaubt gewesen. Das änderte sich mit dem 14. Amendment von 1868, das - nach dem Bürgerkrieg - die Einzelstaaten auf die Prinzipien der Bill of Rights verpflichtete. Verbindlich wurde aber selbst das erst 1919 und 1925, als der Supreme Court seine bislang geübte richterliche Selbstbeschränkung aufgab und anlässlich verschiedener Fälle zur Frage einer Zensur (Schenck v. United States; Gitlow v. New York) das Presseverfassungsrecht aktiv entwickelte. Dass in dieser Phase der Oberste Gerichtshof dem Grundrecht zur Geltung verhalf, lag daran, dass bislang die Gerichte der Einzelstaaten mit solchen Fällen beschäftigt waren (vgl. Dreyer & Fröhlich 2016). Der Supreme Court setzte sich in dem Kontext bis dahin nahezu ausschließlich mit Free Speech-Klagen auseinander (McChesney & Nichols 2010, S.-149). Damit ist schon ein wesentliches Merkmal des amerikanischen Gerichts‐ wesens benannt: Es basiert auf dem Common Law, dem Gewohnheitsrecht, das wiederum gekennzeichnet ist durch fallspezifische Rechtspflege, also durch 94 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="95"?> Präzedenzfälle, richterliche Auslegung und Interpretation (Richterrecht). „When different laws and regulations come into conflict with each other, the constitutional basis of existing laws and regulations is challenged, or the law is broken, cases go to court for evaluation by a judge and, usually, a jury comprised of peer citizens (common law). The United States is unusual in that interpretation of constitutional law can take place in any court at any level of the system, for in most other countries, this type of decision-making is reserved for a special constitutional court.“ (Braman 2009, S.-79) Im Common Law wird die Sphäre des Rechts weit deutlicher von gesellschaftlichen Debat‐ ten erfasst - etwa durch eine Jury -, als z. B. im kontinentaleuropäischen Civil Law (vgl. Kleinsteuber 2003); es gilt als weniger dogmatisch, häufig pragmatischer. Dieser Fallorientierung wird im Folgenden noch insofern entsprochen, als einige für die Kommunikationsfreiheiten der USA wichtigen Urteile des Supreme Court kurz betrachtet werden. Zuletzt sei für diesen Abschnitt noch angemerkt, dass mit dem First Amendment die für uns wichtigste konstitutionelle Textstelle benannt ist. Darüber hinaus kennt die Verfassung noch andere Prinzipien, die in einem weiten, diversen Sinne Informationspolitik betreffen (überwiegend im Arti‐ cle 1): So findet sich dort das Zensus-Recht, nicht zuletzt, weil man seinerzeit der sich rasch ändernden Demographie des Landes viel Bedeutung beimaß. Mit der Speech and Debate Clause sicherte man die freie Rede innerhalb des Parlamentes. Zudem werden Open Government-Anforderungen genannt, die Veröffentlichungspflichten des Senats und des Repräsentantenhauses betreffen sowie die regelmäßige Unterrichtung des Kongresses durch den Präsidenten, was heute u.-a. durch die jährliche State of the Union-Rede ge‐ schieht. Auf diesem Prinzip der Transparenz beruht im Übrigen der Freedom of Information Act (→ Kapitel 3.5). Gelegentlich wird in medienpolitischen Diskussionen auf die Postal Provision verwiesen: Die Verpflichtung der Regierung, ein dem ganzen Land zugängliches Verteilsystem zu unterhalten, also eine Post. Schließlich erwähnt die Verfassung tatsächlich eine Sache, die man als konkretes Redeverbot verstehen darf: Treason - Landesverrat. 3.3 Fallbeispiele First Amendment In diesem Abschnitt werden exemplarisch Urteile des Supreme Court zur Auslegung des First Amendment näher betrachtet, um einen Eindruck zu vermitteln zur höchstrichterlichen Auslegung der in diesem Verfassungszu‐ 3.3 Fallbeispiele First Amendment 95 <?page no="96"?> satz abstrakt gehaltenen Kommunikationsfreiheiten. Die Auswahl der Fälle erhebt keinerlei Anspruch auf systematisch hergeleitete Repräsentativität; sie folgt allein der subjektiven Wahrnehmung, dass diese Fälle zweckmäßig sind und in der Literatur häufig erwähnt werden. Zuletzt wird noch ein recht aktueller Rechtsstreit aufgegriffen, der (noch) nicht vor dem Supreme Court verhandelt wurde, aber eine akute Problematik anschaulich repräsentiert. Wissen | Der Supreme Court Der Supreme Court ist als höchster amerikanischer Gerichtshof gleich‐ berechtigter Akteur der drei Branches of Government. Im Vergleich zum Kongress oder dem Präsidenten ist seine Rechtsstellung in der Verfassung jedoch nur knapp geregelt. Die Anzahl der Richter und ihre erforderlichen Qualifikationen werden seit 1789 vom Judiciary Act geregelt - und könnten demnach durch einfaches Gesetz geändert wer‐ den. Anders als z. B. das Bundesverfassungsgericht in Deutschland, ist der Supreme Court nicht originär auf Fragen der Verfassungsauslegung festgelegt, sondern erfüllt die Aufgaben von obersten Gerichtshöfen; allerdings hat er seit 1925 völlige Kontrolle über die Fälle, die er behandelt (sonst wäre die Kammer mit gerade einmal neun Richtern kaum handlungsfähig). 1803 hat er sich - was so eigentlich nicht in der Verfassung steht - selbst das Recht auf Judicial Review zugesprochen: das letzte (juristische) Wort zu Richtersprüchen oder Handlungen der anderen Staatsgewalten. Besonderes politisches Gewicht erlangte der Supreme Court in der Vergangenheit in politisch heiklen Fragen, zu de‐ nen sich der Kongress oder die Präsidenten aus wahltaktischen Gründen zurück hielten. Er entfaltet - wie andere Verfassungsgerichte - also politische Wirkung, und nicht zuletzt deswegen wurde die Nominierung von Richterinnen und Richtern in den hoch-polarisierten USA in den letzten Jahren von heftigen Konflikten begleitet. Dabei hat der Präsident ein Vorschlagsrecht, der Senat stimmt dieser Eingabe gegebenenfalls mit einfacher Mehrheit zu; ernannt werden die Richter des Court auf Lebenszeit, werden also nur durch Rücktritt, Amtsenthebung oder Tod abgelöst (vgl. insbesondere Dreyer & Fröhlich 2016). 96 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="97"?> 3.3.1 Schenck v. United States: Anerkennung der Meinungsfreiheit Im Juni 1919, zwei Monate nachdem die USA in den Ersten Weltkrieg ein‐ getreten waren, verabschiedete der Kongress den Espionage Act; das heute noch gültige Gesetz verbietet das Sammeln und Verbreiten von Informatio‐ nen, die die Sicherheit und die Verteidigungsfähigkeit der USA gefährden könnten, darunter Handlungen, die Befehlsverweigerungen oder gar Deser‐ tationen fördern würden. Mit Verabschiedung des Gesetzes veranlasste die Regierung Wilson zusätzlich, Druckerzeugnisse, die unter der Maßgabe des Espionage Act illegal sein könnten, dürften nicht über den Postdienst verteilt werden. Dementsprechend wurden die Postämter angewiesen, verdächtiges Druckmaterial zu melden, z. B. irisch-amerikanische, deutschsprachige oder pazifistische Zeitungen (vgl. Vaughn 2008b). Bis zum Ende des Krieges wurden fast 2.000 Personen angeklagt, gegen Bestimmungen des Espionage Act verstoßen zu haben. Knapp 100 Zeitungen und Periodika waren vom Postversand ausgeschlossen worden (vgl. Braman 2009, S.-267) - Ausdruck einer verbreiteten Haltung, es sei in Kriegszeiten angemessen und legitim, Grundrechte zu beschneiden, darunter die Meinungs-, Rede- und Pressefrei‐ heiten: „Both, during and after World War I, the free speech principle was widely understood to allow the government to punisch speech whenever it had a ‚bad tendency‘, meaning a tendency to produce harm.“ (Sunstein 2018, S. 248) So war es dann z. B. eine Aufgabe des Committee on Public Information (→ Kapitel 2.5) nicht nur die Kriegsanstrengungen der Regierung Wilson zu unterstützen, sondern auch „to oversee restrictions against sensitive press coverage of the conflict“ (Holzer 2020, S.-134). Die meisten Klagen waren verbunden mit Gruppen oder Parteien aus dem linken und pazifistischen politischen Spektrum; und da die beklagten Handlungen häufig Meinungsäußerungen darstellten, betrafen diese Ver‐ fahren Auslegungen des First Amendment. Vor diesem Hintergrund gab der Supreme Court seine Selbstbeschränkung auf (bis dahin waren die Kommunikationsfreiheiten überwiegend von Gerichten der Einzelstaaten behandelt worden) und legte im Fall Schenck v. United States ein erstes wichtiges Urteil zum Ersten Verfassungszusatz vor. Charles T. Schenck war Generalsekretär der Socialist Party und hatte mit Gleichgesinnten auf den Straßen New Yorks rund 15.000 Flugblätter verteilt, in denen der Wehrdienst kritisiert wurde. Der Supreme Court hielt in einem einstimmigen Entscheid eine vorangegangene Verurteilung von Schenck aufrecht und erklärte den Espionage Act in den betreffenden Abschnitten 3.3 Fallbeispiele First Amendment 97 <?page no="98"?> 14 Vgl. hierzu https: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 249/ 47/ für verfassungskonform. Unter bestimmten Umständen sei es in der Tat möglich, die Kommunikationsfreiheiten einzuschränken - unter Umständen also: In der Urteilsbegründung entwickelte Justice Oliver W. Holmes die Formel clear-and-present-danger: Die Regierung müsse eine hohe Hürde überwinden, wenn sie in die freie Rede eingreife; die Gefahr sollte daher „eindeutig und immanent“ sein. „[T]he character of every act depends upon the circumstances in which it is done. The most stringent protection of free speech would not protect a man in falsely shouting fire in a theatre and causing a panic. It does not even protect a man from an injunction against uttering words that may have all the effect of force. The question in every case is whether the words used are used in such circumstances and are of such a nature as to create a clear and present danger that they will bring about the substantive evils that Congress has a right to prevent. It is a question of proximity and degree.“ 14 (Nebenbei bemerkt: das Bild „shouting fire in a theatre“ ist seitdem eine gängige Wendung zur verantwortungsethisch begründeten Einschränkung der Redefreiheit.) Die Meinungsfreiheit findet in diesem Urteil also grundsätzlich Aner‐ kennung, wird darüber hinaus aber präzisiert: Dem Urteil liegen einige konzeptionelle Überlegungen zugrunde (vgl. Braman 2009, S. 269). Kontext: ein und dieselbe Äußerung kann je nach den Gegebenheiten verboten werden oder nicht; im vorliegenden Fall ist es das Argument der nationa‐ len Sicherheit, das sich aus den zeithistorischen Umständen ergibt, also dem Ersten Weltkrieg. Intention: es müsse die tatsächliche Absicht eines Sprechers berücksichtigt werden, um eine konkrete Äußerung und die von ihr ausgehende Gefahr für die Gemeinschaft einschätzen zu können. Unmittelbarkeit: zuletzt müsse beachtet werden, wie zeitnah eine mögliche Gefährdung zu erwarten sei. Darüber hinaus stellte das Urteil klar, dass die Rede- und Pressefreiheit sich nicht allein auf mündliche Kommunikation bezieht oder auf „kontinuier‐ lich periodisch erscheinende, an die Allgemeinheit gerichtete Druckwerke (Print-Medien)“, also Zeitungen und Zeitschriften (Heinrich 2001, S. 213). Diese Freiheiten erreichen darüber hinaus Bücher, Broschüren, Flugblätter u. Ä. und später die elektronischen Medien Radio, Rundfunk und das Internet. Der dem Entscheid zugrundeliegende Espionage Act ist in zentralen Teilen noch heute in Kraft und hat inzwischen eine prominente Historie. 1973 98 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="99"?> 15 Vgl. https: / / supreme.justia.com/ cases/ federal/ us/ 250/ 616/ wurde unter seiner Maßgabe Daniel Ellsberg angeklagt: Ellsberg war der Analyst, der die berühmten Pentagon Papers der New York Times und der Washington Post zukommen ließ (dazu noch Kap. 3.3.6). Während Ellsberg seinerzeit freigesprochen wurde, sind hingegen zwei andere Fälle noch of‐ fen: 2013 wurde der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden angeklagt, gegen den Espionage Act verstoßen zu haben, als er klassifizierte Dokumente über ein geheimes Überwachungsprogramm der National Security Agency an Presseorgane weiterleitete; Snowden flüchtete ins Ausland. Auch der Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde u. a. wegen Verstoßes gegen den Espionage Act angeklagt (gegen ihn läuft bei Fertigstellung des Manuskriptes ein Auslieferungsantrag der Vereinigten Staaten in Großbritannien). 3.3.2 Abrams vs. United States: Vom freien Handel der Ideen Nur wenige Monate nach Schenck v. United States prägte wiederum Justice Oliver W. Holmes in einer abweichenden Meinung („dissenting vote“) im Fall Abrams v. United States eine einflussreiche Metapher der US-Medienpolitik; Holmes zog eine ökonomische Analogie zwischen öffentlicher Kommuni‐ kation und Ökonomie und sprach von einem „free trade of ideas“, 15 einem freien Handel der Ideen, den keine Regierung unterbinden dürfe. Man müsse davon ausgehen, jede politische Macht tendiere dazu, ihre Überzeugungen in verbindliche Normen zu übersetzen (schließlich glaube man sich „im Recht“) - und genau das widerspreche dem Geist der Verfassung, der „theory of our constitution“, nach der ein freier Wettbewerb der Meinungen die politische Debatte einer offenen Gesellschaft kennzeichne (bzw. kennzeichnen sollte): „(W)hen men have realized that time has upset many fighting faiths, they may come to believe even more than they believe the very foundations of their own beliefs that the ultimate good desired is better reached by free trade of ideas - that the best test of truth is the power of the thought to get itself accepted in the competition of the market, and that truth is the only ground upon which their wishes safely can be carried out. That at any rate ist the theory of our constitution.“ Zum Hintergrund: Im August 1919 war in New York eine kleine Gruppe russischstämmiger Anarchisten festgenommen worden, darunter Jacob Ab‐ rams, der Namensgeber des Verfahrens. Den Immigranten konnte die Her‐ stellung und Verbreitung eines Flugblattes nachgewiesen werden, auf dem 3.3 Fallbeispiele First Amendment 99 <?page no="100"?> 16 Zitate zu den Urteilen hier und im Folgenden: https: / / www.mtsu.edu/ first-amendmen t/ article/ 328/ abrams-v-united-states 17 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 80/ gitlow-v-new-york zu einem Streik in Rüstungsbetrieben aufgerufen wurde, da die Vereinigten Staaten in den Bürgerkrieg in Russland verwickelt seien. Die Gruppe wurde auf der Grundlage des Sedition Act von 1918 angeklagt - einem Annex zum Espionage Act. Konkret verurteilt wurden die Anarchisten, weil sie versucht hätten, die militärischen Vorhaben der Regierung zu stören. Tatsächlich hielt der Supreme Court in einer 7-2-Entscheidung dieses Ur‐ teil aufrecht. Justice John Clark argumentierte für die Mehrheitsmeinung, 16 die Flugblätter seien in der Tat geeignet gewesen seien, die Regierung durch einen Generalstreik zu „paralysieren“, wobei dieser Überlegung der wenige Monate zuvor entwickelte clear-and-present-danger-Test zugrunde lag. Ausgerechnet Justice Holmes, der damals für diese Formel verantwort‐ lich zeichnete, widersprach nun allerdings gemeinsam mit Justice Brandeis: Es habe sich um offenkundig „silly“, blödsinnige Handlungen von „unknown man“, von vollkommen unbekannten Personen gehandelt - und all das sei keineswegs geeignet gewesen, die Regierung der USA irgendwie, schon gar nicht unmittelbar zu beeinträchtigen. Um das Grundrecht der freien Meinungsäußerung außer Kraft zu setzen, dazu müssten weit strengere Kriterien gelten. Dass Holmes und Brandeis mit ihrer Meinung in der Minderheit blie‐ ben und der Supreme Court eine weniger libertäre Antwort gab auf die Frage, wann denn nun eine solche Gefahr vorliege, deutete schon eine Entwicklung an, die 1925 im Fall Gitlow v. New York manifest wurde: eine substanzielle Lockerung des clear-and-present-danger-Tests. Statt von einer unmittelbaren Gefahr, reicht nach diesem Beschluss nun „aufrührerische Rede“ („incendiary speech“), 17 die man auch „vorsorglich“ unterdrücken dürfe, weil zunächst nebensächlich erscheinende Äußerungen mit der Zeit große Wirkungen entfalten könnten: „A single revolutionary spark may kindle a fire that, smouldering for a time, may burst into a sweeping and destructive conflagration.“ Es sollte dann bis in die 1960er-Jahre dauern, bis wieder striktere Regeln zum Schutz der Rede- und Pressefreiheit formuliert wurden (→ Kapitel 3.3.4). Nachhaltigen Einfluss dagegen hatte Holmes Minderheiten-Votum res‐ pektive dort die Metapher des Free Trade of Ideas. Mit diesem Marktmodell hat sich im Laufe der Jahre ein Verständnis von Meinungsfreiheit etabliert, 100 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="101"?> das in strittigen Fragen der Güterabwägung den Kommunikationsfreiheiten eine hohe Priorität einräumt. Das Modell wurde in den 1950er-Jahren von Justice William O. Douglas in der Metapher eines Marketplace of Ideas aufgegriffen - Medien als Marktplatz der Meinungen und Ideen, was neben demokratiepraktischen Überlegungen zugleich eine individualistische und eine ökonomische Komponente verbindet (vgl. Kamps 2006, S.-342). Holmes Metapher griff auf eine Argumentation zurück, die schon in John Milton’s Areopagitica von 1644 zu lesen ist und auf die sich James Madison bei seinem Entwurf des First Amendment gestützt haben soll. Das Bild verknüpft stimmig Marktorientierung mit Meinungsfreiheit und Demokratie. Wie in der Konsumwelt allgemein, würde Vielfalt und der Wettbewerb der Inhalte oder Positionen aufgrund rationaler Entscheidungen Einzelner letztlich auch zu besseren und vernünftigen Normen führen (vgl. Rauch 2021, S. 92). Es ist diese Vorstellung, auf der letztlich - im Vergleich zu europäischen Demokratien - die weitgehende Zurückhaltung staatlicher Ordnungspolitik und Regulierung im US-Mediensektor beruht, die den Schutz von jeder Rede umfasst, „guter“ wie „schlechter“ (vgl. Kleinsteuber 2008a). Dabei trägt der Gedanke einer heilsamen „Gegenrede“ (Counterspeech) eine im Zeitalter des Internets womöglich anders gelagerte Prämisse: Dass nämlich die beste Abwehr von falscher und bösartiger Rede mehr Rede sei, „and truthful speech is presumed to be inherently capable of overcoming false speech. […] However, in the age of filter bubbles and fake news, the logic of the counterspeech doctrine is worth revisiting.“ (Napoli 2019, S.-82). 3.3.3 West Virginia State Board of Education v. Barnett: Von der Freiheit, die Flagge nicht zu grüßen In seiner Entscheidung zu West Virginia State Board of Eduction v. Barnette gestand der Supreme Court 1943 Schülern das Recht zu, den in den USA verbreiteten morgendlichen Flaggenappellen fernzubleiben. Das Gericht verwarf damit seine eigene Entscheidung aus dem Jahr 1940 (Minersville School District v. Gobitis), als es noch bei einer Verweigerung des Pledge of Alliance Sanktionen in Form von Geldstrafen und Schulverweise akzeptierte. Hintergrund dieser gegenläufigen Urteile war ein religiös begründeter Konflikt in Gemeinden vor allem der Südstaaten und des Mittleren Westens. Mitte der 1930er-Jahre hatte die Führung der Zeugen Jehovas die Mitglieder ihrer Kirche aufgefordert, sich nicht an dem in den Schulen üblichen - und in den Gesetzen der Einzelstaaten verankerten - morgendlichen Zeremoniell 3.3 Fallbeispiele First Amendment 101 <?page no="102"?> 18 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 227/ west-virginia-state-board-of-educ ation-v-barnette zu beteiligen; denn das sei Idolatry, Götzenverehrung. In der Folge kam es zu Schulverweisen, aggressiven Ausgrenzungen und, wie gesagt, zu einem ersten Urteil des Supreme Court. Er revidierte darin den Obersten Ge‐ richtshof West Virginias und erkannte (in einer 8-1-Entscheidung) in dem morgendlichen Ritual keine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit, sondern ein wünschenswertes patriotisches Unterfangen, das den Zusammenhalt der Nation fördere („national cohesion“ durch „sentimental ties“). Bezeichnend für das aufgeheizte Klima dieser Zeit, dass der soziale Konflikt trotz eines sozusagen „patriotischen“ Urteils in den Gemeinden weiter schwellte und Mitglieder der Zeugen Jehovas als Traitors, Verräter, physisch attackiert wurden - in der Literatur ist von bis zu 1.500 Betroffenen die Rede (vgl. Peters 2000). Demgegenüber war das Urteil vor allem im liberalen Amerika einiger Kritik ausgesetzt, in der Presse der Küstenstädte, im Kongress und auch prominent durch die First Lady, Eleanor Roosevelt. Die zweite Entscheidung von 1943, also das Revirement von Minersville School District v. Gobitis, die Flaggenzeremonie allein als freiwillige Hand‐ lung zuzulassen, folgte nun der Argumentation, ein solches Ritual sei selbst zwar zulässig und Schulen sollten tatsächlich die Jugendlichen zu Bürger‐ innen und Bürgern erziehen - „educating the young for citizenship“ 18 . Jeder Zwang sei allerdings kontraproduktiv, weil er eine - sehr bemerkenswert - Plattitüde bediene, eine leere Plattheit: „[Public education] should not strangle the free mind at ist source [or] teach youth to discount important principles of our government as mere platitudes.“ Patriotismus, anders ausgedrückt, könne kaum mit vorgehaltener Waffe erzwungen werden, denn das sei eine innere Haltung, keine Handlung. Das war zu der Zeit auch der Stand der Diskussion im Kongress, was zum Umdenken des Supreme Court beigetragen haben dürfte. Das neue Urteil berücksichtigte also weniger die Religionsfreiheit, die durch das Zeremoniell beeinträchtigt sein könnte, sondern manifestierte Free Speech explizit als Abwehrrecht, als Gewissens- und Meinungsfreiheit, etwas nicht zu sagen - insbesondere, wenn es von irgendwelchen staatlichen Stellen vorgeschrieben würde: „If there is any fixed star in our constitutional constellation, it is that no official, high or petty, can prescribe what shall be orthodox in politics, nationalism, religion or other matters of opinion, of force citizens to confess by word their faith therein.“ 102 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="103"?> 19 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 186/ new-york-times-co-v-sullivan 3.3.4 New York Times v. Sullivan: Fehler oder Absicht? Im März 1960 veröffentlichte die New York Times eine ganzseitige Anzeige, in der zu Spenden aufgerufen wurde zur Unterstützung der Bürgerrechtsbewe‐ gung um Martin Luther King jr. Unterschrieben war der Text von Dutzenden bekannten Persönlichkeiten, von Schauspielern, Autoren, Pastoren und anderen Prominenten. Dem Aufruf lag eine längere Passage zugrunde, in der u. a. die Polizei von Montgomery, Alabama, kritisiert wurde für ihren Umgang mit dem Protest in ihrer Stadt. Tatsächlich aber enthielt die Schilderung an einigen Stellen marginal erscheinende Fehler, „trivial factual errors“ (Greene 2021, S. 75): Etwa wurden von den Demonstranten andere Lieder gesungen als angegeben, protestierende Studenten wurden nicht komplett eingekesselt, wie behauptet u. Ä. Die Anzeige war also fehlerhaft, und nach einem Gesetz in Alabama konnte gegen diese Veröffentlichung geklagt werden, und zwar allein aufgrund einer vagen Vermutung, sein oder ihr Ruf könnte durch ungenaue oder falsche Textstellen geschädigt werden. Genau das tat dann (u. a.) der Polizeipräsident von Montgomery, L. B. Sullivan. Nachdem ein Bezirksrichter die in der Anzeige enthaltenden Fehler tatsächlich als diffamierend qualifiziert hatte -„[t]he First Amendment of the U.S. Constitution does not protect libelous publications“ 19 -, sprach eine Jury Sullivan die seinerzeit ungewöhnlich hohe Schadensersatzsumme von 500.000 Dollar zu (formell, weil die Zeitung eine Aufforderung zur Gegendarstellung ignoriert hatte). Die New York Times ging dagegen vor dem Obersten Gerichtshof Alabamas in Berufung - vergeblich. In letzter Instanz befand allerdings dann der Supreme Court im Mai 1964 in einer 9-0-Entscheidung zugunsten der Times. Das Kernargument des Supreme Court lautete: Für die Funktionsfähigkeit einer öffentlichen Debatte und die Kritik an politischen Entscheidungen oder Vorhaben sei die Vielfalt der Standpunkte, Meinungen und Vorschläge zentral und daher zu schützen - „debate on public issues should be unin‐ hibited, robust, and wide-open, and that it may well include vehement, caustic, and sometimes unpleasantly sharp attacks on government and public officials“. Das Gericht folgte damit erstmals der so genannten Mei‐ klejohn-These (nach dem Philosophen Alexander Meiklejohn), die anfangs der 1960er-Jahre populär wurde: Danach habe der eigentliche Souverän, 3.3 Fallbeispiele First Amendment 103 <?page no="104"?> das Volk, zum Zweck der effizienten (und friedlichen) Selbstverwaltung der Regierung zwar gewisse Befugnisse übertragen, hätte sich aber auch vorbehalten, jederzeit deren Zweckmäßigkeit zu überprüfen - und das beinhalte (auch) im Ergebnis mögliche Kritik. Deshalb müsse das traditionell enge Verständnis von Diffamierung oder Verleumdung überdacht werden, wenn Personen im Zusammenhang mit ihrer öffentlichen Amtsführung betroffen seien. Es sei ein Wesensmerkmal eines offenen Diskurses, wenn Kritik an Politikern oder Amtsträgern oder öffentlichen Institutionen har‐ scher ausfalle als im privaten Umfeld. Daher könne, ja müsse unterschieden werden. Darüber hinaus läge es ebenso in der Natur der Sache, wenn im politischen Konflikt und im öffentlichen Streit Fehler aufträten. „Erroneous statement is inevitable in free debate, and […] must be protected if the freedoms of expression are to have the breathing space that they needed […] to survive.“ Daher sei in diesem Zusammenhang ein anderer Standard zu berücksichtigen: „actual malice [… ] with knowledge that it was false or with reckless disregard of whether it was false or not.“ Actual malice - absichtliche Bosheit, Arglist, Tücke: das ist die Kurzfor‐ mel, mit der seitdem Verleumdung und Diffamierung gemessen werden. Es muss nachgewiesen werden, dass die beklagte Aussage mit Vorsatz diffamierend oder beleidigend oder bösartig getätigt wurde. Dabei hat der Kläger einerseits zu belegen, dass und wie er tatsächlich persönlich gemeint bzw. betroffen sei. Und, im Gegensatz zur Common Law Tradition (wie etwa in Großbritannien): Die Klage muss nachweisen, dass die Behauptung tatsächlich falsch sei (und nicht die beklagte Seite, sie sei korrekt). New York Times v. Sullivan führte also einen Unterschied ein zwischen Privatpersonen und Amtsträgern. In den Folgejahren und über verschiedene Fälle hinweg hat der Supreme Court Kategorien öffentlicher Personen entwickelt, etwa wird differenziert zwischen Public Officials und Public Figures (z.-B. promi‐ nenten Schauspielern) und privaten Personen, denen - im Gegensatz zu Prominenten - eine adäquate Öffentlichkeit zur Reaktion nicht zugänglich sei und die ungewollt aufgrund eines Zufalls, eines Verkehrsunfalls etwa, in die Öffentlichkeit geraten (vgl. Braman 2009, S.-122; Kosseff 2019, S.-224). Vor allem hatte das Urteil insofern schon unmittelbar spürbare Folgen in der Stärkung der Kritik- und Kontrollfunktion der Presse, als es Versuche unterband, kritische Artikel und Reportagen durch Diffamierungsklagen zu verhindern. Zur Zeit von New York Times v. Sullivan sollen in den Südstaaten derartige Klagen im Umfang von rund 300 Millionen Dollar anhänglich gewesen sein, um Journalisten und Redakteure zu beeinflussen (vgl. Lewis 104 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="105"?> 1993). Noch heute - und dazu wird noch ein anderer Fall betrachtet werden (→ Kapitel 3.2.10) - ist diese Frage einerseits der akzeptablen Kritik an Handlungen von Amtsträgern, andererseits des Umgangs mit Fehlern jour‐ nalistischer Arbeit ein zentrales Moment juristischer Auseinandersetzungen im Kontext von politischer Öffentlichkeit und der Beziehung zwischen Politik und Medien. 3.3.5 Red Lion Broadcasting Co. v. FCC: Rundfunk als Gemeingut In der Bundesrepublik Deutschland enthält der für die Kommunikationsfrei‐ heiten einschlägige Grundgesetzartikel 5 eine Formulierung, nach der die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film „gewährleistet“ werden. Diese Gewährleistungsklausel verpflichtet den Staat zur Sicherung der Kommunikationsfreiheiten, beispielsweise durch Regeln für Rundfunkunternehmen oder zur Organisation des Rundfunkwe‐ sens insgesamt. Ein solcher für liberale Demokratien ungewöhnliche Ein‐ griff in wirtschaftliches Handeln und das Spiel freier Marktkräfte begründet sich nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Propaganda. Dem folgt in Deutschland eben die Gewährung einer positiven Rundfunkordnung, in der der Staat Sorge trägt (oder es zumindest sollte), dass Meinungsvielfalt sichergestellt wird. 1969 fand der Supreme Court in Red Lion Broadcasting Co. v. FCC zu einer ähnlichen Position (wenn auch aus anderen Gründen) und entwickelte das Modell eines positive First Amendement (vgl. Pickard 2018, S.-97). Hintergrund war eine Entscheidung der Federal Communications Com‐ mission (FCC): Sie unterstützte das Anliegen eines Journalisten, Fred Cook, dem in einem konservativ orientierten Radiosender der Red Lion Broadcas‐ ting eine Nähe zur kommunistischen Partei unterstellt worden war. Cook bestand auf eine Gegendarstellung, wobei er sich auf die Fairness Doctrine berief: Eine seit 1927 u. a. von der FCC stufenweise entwickelte Vorgabe, nach der es (eine von mehreren) Voraussetzung für eine Rundfunklizenz ist, bei kontroversen Issues eine ausgewogene und faire Berichterstattung sicher zu stellen; das sei im öffentlichen Interesse, und dazu gehöre eben die Möglichkeit der Erwiderung auf Kritik (vgl. ausführlich Kap. 3.7). Gegen diese Position hatte es im Laufe der Jahre viel Widerstand der Betreiber von Radio- und Fernsehstationen gegeben, weil hier eine Behörde (die FCC) in die auch ökonomisch begründeten Entscheidungen von Medien‐ unternehmen eingreife - und vor allem durch inhaltliche Vorgaben die 3.3 Fallbeispiele First Amendment 105 <?page no="106"?> 20 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 117/ red-lion-broadcasting-co-v-federa l-communications-commission Rede- und Pressefreiheit von Journalisten und anderen Medienschaffenden einschränke (vgl. Schmidt 2016, S.-327; Kap. 3.6). Der Supreme Court stellte mit dem Red Lion-Urteil einstimmig fest, dass Rundfunkanbieter in der Tat dazu angehalten werden können, ihr Programm im Interesse der Allgemeinheit zu gestalten - was auch Gegen‐ darstellungen beträfe. Mit dem Konzept des positive First Amendment ist eine Publikumsperspektive verknüpft, eine soziale Rechtsperspektive, die den Interessen und den demokratischen Bedürfnissen der Allgemeinheit gegenüber der Meinungsfreiheit einzelner Redaktionen, Journalisten oder Medienunternehmern den Vorrang gibt. Begründet wurde das mit der Knappheit der Frequenzen, wobei die Richter so etwas wie eine anarchistische Radiotheorie andeuteten (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 87): „Rather than confer frequency monopolies on a relatively small number of licenses, in a Nation of 200.000.000 the Govern‐ ment could surely have decreed that each frequency should be shared among all or some of those who wish to use it, each being assigned a portion of the broadcast day or week.“ 20 Die Lizenzinhaber hätten also ein ungewöhnliches Privileg - die Regierung könnte genauso gut tausenden Interessierten Stücke des Frequenzbandes im kurzen Wechsel zur Verfügung stellen. Insofern wären die wenigen Anbieter privilegiert und treuhändisch für die Allgemeinheit tätig, deren Interessen vorrangig seien. Die Red-Lion-Entscheidung beinhaltete damit explizit die Abkehr von einem Laissez-faire-Modell, wie es etwa in der Printbranche üblich ist. Interessanterweise - und das sollte in der Medienpolitik der USA noch eine wichtige Rolle spielen - erkannte der Supreme Court in seiner Vorstellung eines positive First Amendment allerdings auch keine Regulierungspflicht des Staates, so wie es beispielsweise der eingangs erwähnte Gewährleistungs‐ auftrag in Deutschland macht. Regulierungsmacht speist sich damit in den USA faktisch allein aus der Frequenzknappheit (vgl. Hoffmann-Riem 2009, S. 37) - mit komplett anders gelagerten Perspektiven, wenn diese Knappheit z. B. aufgrund des technologischen Kontextes nicht gegeben ist. So urteilte das Gericht im Verfahren Miami Herald v. Tornillo 1974 bei nahezu derselben Frage genau gegenteilig, ein entsprechendes Statut einer obligatorischen Gegendarstellung sei verfassungswidrig: Denn in dem Fall ging es um die Presse (vgl. Braman 2009, S. 49). Auch in anderen, ähnlich gelagerten 106 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="107"?> Urteilen wies der Supreme Court immer wieder den Gedanken zurück, z. B. im privaten Besitz befindliche Zeitungen würden eine öffentliche Aufgabe erfüllen (etwa eine Forumsfunktion) und könnten daher einer Must Carry-Regelung unterworfen werden. Insbesondere Gegendarstellungen, wie sie in vielen Ländern Europas gängig sind, kennt das amerikanische Medienrecht nur in Ausnahmefällen. 3.3.6 Die Pentagon Papers: Schutz eines investigativen Journalismus Am 13. Juni 1971 veröffentlichte die New York Times den ersten Artikel einer Reihe, die unter dem Schlagwort Pentagon Papers berühmt werden sollte. Mit Papers gemeint sind Kopien einer knapp 7.000-Seiten-Studie zum Vietnamkrieg („United States-Vietnam Relations, 1945-1967“), verteilt auf 47 Bände, die Verteidigungsminister Robert McNamara 1967 in Auftrag gegeben hatte. In der klassifizierten, also geheimen Arbeit wurden eklatante Fehler der US-Regierung bemängelt; vor allem belegte sie als eine Art „Chronik der Lügen“ (Lepore 2020, S. 778), wie insbesondere das Weiße Haus unter Lyndon B. Johnson die amerikanische Öffentlichkeit über die tatsächlichen Folgen des Krieges und seine geostrategischen Implikationen hintergangen hatte. Die Publikation der New York Times - die am Ende rund zwei Drittel der eigentlichen Studie umfassen sollte - hatte einen spürbaren Einfluss auf das Anti-Kriegs-Klima und die wachsende Skepsis gegenüber der Regierungspolitik in Washington (vgl. Braman 2009, S.-270) Heimlich kopiert und dann an Journalisten weitergereicht hatte die Studie Daniel Ellsberg, ein Mitarbeiter der RAND-Cooperation, die an der Analyse beteiligt war. Interessanterweise hatte Präsident Nixon anfangs offenbar kaum Einwände gegen die Publikation (das Papier betraf seine Vorgängerregierungen); allerdings wurde er von einigen Beratern und Ministern, insbesondere Außenminister Henry Kissinger, dazu gedrängt, gegen die New York Times vorzugehen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Mit der Klage hatte man zunächst jedoch keinen Erfolg; ein Bezirksgericht in New York lehnte einen Antrag der Regierung auf einstweilige Verfügung mit deutlichen Worten ab: „A cantankerous press, an obstinate press, an ubiquitous press must be suffered by those in authority in order to preserve the even greater values of freedom of expression and the right of the people to know.” (Zit. n. Barron 2011, S.-48) 3.3 Fallbeispiele First Amendment 107 <?page no="108"?> Allerdings erreichte das Justizministerium am 15. Juni 1971 einen Teiler‐ folg: Ein Bundesgericht untersagte bis auf weiteres die Veröffentlichung. Daraufhin ging der Vorgang an den Supreme Court. (In der Zwischenzeit reichte Ellsberg Kopien an die Washington Post weiter, die sie sofort ab‐ druckte, während der New York Times eben das noch untersagt war.) In einem Landmark First Amendment Case, einem für den ersten Verfassungszusatz außerordentlich bedeutsamen Urteil, kam der Oberste Gerichtshof am 30. Juni nach Abwägen der Sicherheitsinteressen des Staates und der Presse‐ freiheit zu dem Schluss, die New York Times und die Washington Post dürften solche Verschlusssachen publizieren, weil ein übergeordnetes Interesse der Öffentlichkeit bestehe und die Regierung nicht hinreichend habe darlegen können, dass und warum die nationale Sicherheit bedroht gewesen wäre. Für ein Veröffentlichungsverbot selbst geheimer Akten müsste die Regierung schwerwiegende Gründe benennen: „The press was to serve the governed, not the governors. (…). The press was to protected so it could bare the secrets of the government and inform the people. Only a free and unrestrained press can effectively expose deception in government.“ (Zit. n. Holzer, 2020, S. 271; vgl. McChesney & Nichols 2010, S.-151) Mit seiner deutlichen Wendung gegen jede Zensur setzte das Gericht den investigativen Journalismus in den USA auch in sicherheitsrelevanten Fragen unter den Schutz höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Boot 2018, S. 546). Allerdings ließ die Mehrheitsmeinung (es handelt sich um einen 6-2-Entscheid) eine klare Rechtstheorie vermissen; die sechs Begrün‐ dungen variierten von Positionen, die Zensurmaßnahmen der Regierung kategorisch ausschlossen, bis zu solchen, die sich das durchaus vorstellen konnten, wenn der Kongress nur eindeutige Kriterien entwickeln würde. Das Urteil bezog sich auch nur auf die eigentliche Veröffentlichung und berührte nicht die Frage der Haftung von Whistleblowern, also Personen, die interne Informationen den Publikationsorganen zukommen lassen. 3.3.7 Branzburg v. Hayes: Schwacher Informantenschutz Zu einem für die Recherchepraxis des Journalismus in den USA wichtigen Urteil fand der Supreme Court 1972 im Fall Branzburg v. Hayes. Mit einer 5-4-Entscheidung, also denkbar knapp, stellte das Gericht fest, die Presse‐ freiheit des ersten Zusatzartikels konstituiere kein Recht für Journalisten, vor einer Grand Jury die Aussage zu verweigern. (Grand Jury - das ist eine aus relativ vielen Geschworenen zusammengesetzte Jury, die darüber 108 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="109"?> 21 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 740/ branzburg-v-hayes entscheidet, ob eine Vorlage der Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht begründet, um eine Hauptverhandlung zu eröffnen.) Der Zei‐ tungsreporter Paul Branzburg aus Kentucky hatte sich geweigert, vor einer solchen Grand Jury zu erscheinen, weil er den Namen einer Quelle nicht nennen wollte, einen Informanten, dem er im Zuge seiner Recherchen zum Drogenhandel Verschwiegenheit zugesichert hatte. Der Journalist berief sich dabei auf das First Amendment und konkret die Pressefreiheit, für deren Ausübung ein solcher Informantenschutz essenziell sei - so wesentlich, wie die allgemein akzeptieren Verschwiegenheitsklauseln bei Anwälten oder Ärzten. Die Mehrheitsmeinung des Supreme Court argumentierte jedoch, in diesem Fall könne die Aussage nicht im Vorhinein verweigert werden. Schließlich habe da noch niemand tatsächlich nach einer Quelle gefragt, und niemand habe der Zeitung oder ihren Redakteuren mit irgendwelchen Sanktionen gedroht. Ein Recht auf pauschale, präventive Verweigerung, überhaupt vor Gericht zu erscheinen, könne aus dem First Amendment nicht abgeleitet werden. Vielmehr müssten sich auch Reporter oder Journalisten grundsätzlich - so wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger - an Untersu‐ chungen zu Kriminalfällen beteiligen, wenn Sie dazu aufgefordert würden. Die Entscheidung beließ damit das Recht der Einzelstaaten festzulegen, welche Art Fragen tatsächlich die journalistische Arbeit belasten würden und geschützt werden könnten. Gegebenenfalls dürfe in einem Verfahren ein entsprechender Antrag gestellt werden, wenn ein Journalist als Zeuge an einer bestimmten Stelle sich an ein Verschwiegenheitsversprechen gebun‐ den fühle. 21 Die Minderheitenmeinung übrigens ging davon aus, für eine Befragungen von Journalisten sollte zunächst das übergeordnete, dringliche Interesse durch die Strafverfolgungsbehörden belegt werden. Dieser Entscheid stellt nach wie vor eine Präzedenz dar und markiert seit nunmehr rund 50 Jahren ein im Vergleich etwa zu Deutschland eher fragiles Zeugnisverweigerungsrecht in den USA. Denn es obliegt nunmehr den Einzelstaaten zu bestimmen, welche Shield Laws in ihrer Jurisdiktion gelten. Über dreißig Staaten haben inzwischen entsprechende Privilegien des Journalismus eingeführt - aber eben nicht alle. Und natürlich variieren die konkreten Formen der Schutzregeln, die dort geltend gemacht werden. Als Bastion eines allgemeinen Informantenschutzes hat sich der Supreme Court jedenfalls nicht erwiesen. 3.3 Fallbeispiele First Amendment 109 <?page no="110"?> 22 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 305/ texas-v-johnson In der Tat treten Fragen journalistischer Privilegien in Justizverfahren und damit verbundene Konflikte in den USA häufig auf. Das liegt auch an dem für die Polizei und Staatsanwaltschaft nahe liegendem Interesse, Journalisten, die in einem Kriminalfall recherchiert haben, nach ihren Informationen und Quellen zu befragen. Für internationales Aufsehen hatte 2005 eine 85-tägige Beugehaft erregt, die der ehemaligen New York Times-Journalistin Judith Miller auferlegt wurde, weil sie sich unter Berufung auf den Quellenschutz geweigert hatte, im Zusammenhang mit der so genannten Plame-Affäre einen Informanten zu nennen; tatsächlich war auch der Supreme Court involviert, der die Rechtmäßigkeit dieser Haft bestätigte. Die Journalistin kam übrigens erst wieder frei, als ihr Informant sie von ihrem Schweigever‐ sprechen entband. 3.3.8 Texas v. Johnson: Der Symbolgehalt brennender Flaggen Am Rande des Parteitages der Republikanischen Partei in Dallas, Texas, verbrannte im Sommer 1984 ein Mitglied der Revolutionary Communist Youth Party, Gregory Lee Johnson, während einer Demonstration eine amerikanische Flagge - aus Protest gegen die Politik Ronald Reagans, wie er sagte. Johnson wurde verhaftet und angeklagt, gegen ein Gesetz des Staates Texas verstoßen zu haben, das die Schändung ehrenwerter Objekt verbot, darunter ausdrücklich die Stars & Stripes. Seinerzeit gab es in 48 der 50 Staaten eine ähnliche Regelung. Johnson wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt; das Urteil hielt allerdings im Texas Court of Criminal Appeals nicht stand, der der Argumentation folgte, das Verbrennen der Flagge sei (s)eine Form der politischen Rede gewesen, politische Symbolik also, und daher durch das First Amendment geschützt. Daraufhin wandte sich der Staat Texas an den Supreme Court. In einer knappen 5-4-Entscheidung folgte das Oberste Gericht der Inter‐ pretation des Angeklagten. Es sei in der Tat eine symbolische Rede, die unter den ersten Verfassungszusatz falle (der damit nicht nur das gesprochene oder schriftliche Wort umfasst). Obwohl gerade das Verbrennen der Flagge eine äußerst provokante Handlung darstelle, müsse die Nation so etwas aushalten. Im Zentrum stünde das Recht, anders zu sein, sich zu unter‐ scheiden: „a right to differ“ 22 , und das bedeute eben auch: „a government cannot mandate by fiat a feeling of unity in its citizens“. Eine Regierung 110 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="111"?> könne nicht per Dekret ein Symbol für den Zusammenhalt der Gesellschaft erfinden und dann eine Liste an zulässigen oder unerlaubten Handlungen mit diesem Symbol verknüpfen. Das würde die Freedom of Expression verletzen. Beispielsweise bemängelten die Richter, das texanische Gesetz ließe andere Formen der Kommunikation mit der Flagge zu, etwa wenn sie als Kleidungsaccessoire benützt würde. Eine solche Unterscheidung in „guter“ vs. „schlechter“ Verwendung eines solchen Symbols sei nicht zu rechtfertigen. Die abweichenden Meinungen zu diesem Entscheid hingegen stützten sich auf die Position, die amerikanische Flagge sei nicht irgendein Objekt, sondern für die Einheit der Nation fundamental und außerhalb jeder Argu‐ mentation über Freedom of Expression zu stellen. „[The flag] is a symbol of freedom, of equal opportunity, of religious tolerance […]. The value of the flag as a symbol cannot be measured.“ Eine Besonderheit also, ein unfassbar wertvolles Unikat, das nicht mit den üblichen Maßstäben zu messen sei. Die Mehrheitsmeinung ging ausdrücklich auf diese Position ein und erklärte dagegen, eine besondere juristische Kategorie, unter der solche Staatsinsignien zu fassen seien, könne im Verfassungstext nicht erkannt werden. Die knappe Mehrheit auf der Richterbank kehrt sich bei Umfragen unter der Bevölkerung im Verhältnis meist um: Regelmäßig äußert, entsprechend befragt, ein größerer Teil der Amerikaner, das Verbrennen der Flagge solle unter Strafe gestellt werden. Bereits kurz nach dem Supreme Court-Urteil zu Johnson v. Texas, 1989, hatte der Kongress ein Gesetz erlassen - den Flag Protection Act -, der dieser Ansicht folgte. Der Flag Act wurde allerdings schon kurz darauf von denselben Richtern am Supreme Court in United States v. Eichman wieder einkassiert. Seitdem gab es diverse Versuche, die Flagge durch einen neuen Verfassungszusatz zu schützen; die notwendigen qualifizierten Mehrheiten kamen indes nicht zustande, meist scheiterten die Vorlagen im Senat (vgl. Goldstein 1996). Texas v. Johnson steht im Übrigen in einer Reihe unterschiedlich gelagerter Fälle, in denen die „Belastbarkeit“ der Redefreiheit getestet wurde: wieviel insbesondere an extremer Meinungsverkündung die Gesellschaft nachge‐ rade ertragen muss. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist ein vom Supreme Court 1977 letztlich für zulässig erklärter Protestmarsch der National Socia‐ list Party of America (in Nazi-Uniformen unter Mitnahme entsprechender Flaggen) durch Skokie, einem überwiegend von jüdischen Bürgern und 3.3 Fallbeispiele First Amendment 111 <?page no="112"?> Überlebenden des Holocaust bewohnten Vorort von Chicago (vgl. Mudde 2021, S.-167). 3.3.9 Citizen United v. Federal Election Commission: Haben Unternehmen Meinungen? Die Entscheidung des Supreme Court im Fall Citizen United v. Federal Election Commission aus dem Jahr 2010 mag das umstrittenste First-Amendment-Ur‐ teil des Gerichts überhaupt sein. Zumindest sind seine politischen Implika‐ tionen äußerst weitreichend - und entsprechend gegensätzlich fassen die Republikaner einerseits, die Demokraten andererseits mögliche Folgen (vgl. Lessig 2018, 2019). In der Sache urteilte der Oberste Gerichtshof mit knapper Mehrheit (5-4), ein Abschnitt des Bipartisan Campaign Reform Act (BCRA) sei ungültig, der Unternehmen und Gewerkschaften untersagte, allgemeine Finanzmittel für Kommunikation wie etwa Werbespots einzusetzen und da‐ mit Parteien oder Kandidaten in ihren Wahlkämpfen zu unterstützen. Kurz: Kollektiveinheiten wie Unternehmen verfügen genau wie Individuen über Meinungs- und Redefreiheiten, sind also legale Einheiten und dürften in ihren Freiheiten nicht durch solche Finanzauflagen eingeschränkt werden. Was war geschehen? Im Januar 2008 veröffentlichte die Non-Profit- Organisation Citizen United einen Film - „Hillary: The Movie“ -, der sich kritisch mit Hillary Clinton auseinandersetzte, die sich seinerzeit im Vorwahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten befand. Der Film sollte über Video-on-Demand vertrieben werden, und dafür wollte Citizen United im Kabelfernsehen werben. Allerdings sah man sich darin durch den Campaign Reform Act gehindert (formell durch die Federal Election Commission, FEC) und klagte bei einem Bezirksgericht. Das jedoch lehnte das Anliegen noch ab, woraufhin Citizen United den Fall vor den Supreme Court brachte. Dort hatte man Erfolg, und die Passage, die Firmen daran hinderte, Finanzmittel für unterstützende Kommunikationsmaßnahmen wie Werbe‐ spots einzusetzen, wurde für ungültig erklärt. (Direkte Finanzierung von Kandidaten oder Parteien blieben aber weiter ausgeschlossen.) Insbeson‐ dere erkannte die Mehrheitsmeinung keinen Grund, die Redefreiheit zu beschränken, nur weil es sich bei dem Kommunikator um ein Unternehmen handele; die Verfassung kenne solche Klassifizierungen und Unterscheidun‐ gen nicht: „The First Amendment does not allow political speech restrictions 112 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="113"?> 23 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 1504/ citizens-united-v-federal-electio n-commission based on a speaker’s corporate identity.“ 23 Und an anderer Stelle: „Its text offers no foothold for excluding any category of speaker.“ Dabei ging das Gericht auch auf den eigentlichen Zweck des Gesetzes ein - Korruption zu unterbinden. Das sei zu vage: „The anticorruption interest is not sufficient to displace the speech here in question.“ Die Regulierung der Spendenpraxis und die administrative Kontrolle der Geldflüsse würden dagegen erheblich in die Kommunikationsrechte eingreifen. Wie politisch aufgeladen das Urteil war, lässt sich in Formulierungen der abweichenden Meinungen ablesen: Darin wird die Entscheidung „profoundly misguided“ genannt, sie untergrabe „the integrity of elected institutions across the Nation“. Denn nun würde der Einfluss großer Unternehmen auf den Ausgang von Wahlen erheblich gestärkt. Dabei seien es meist solche Un‐ ternehmen, die von Regulierungsentscheidungen der Parlamente betroffen wären. Deshalb sei anzunehmen, Politiker könnten und würden erhebliche Vorteile daraus ziehen (insbesondere für die kostenintensiven Wahlkämpfe), wenn sie sich gegen Regulierungen stellten. Das sei genau besehen schlicht Korruption. Darüber hinaus war es gerade die individuelle Rede, die die Verfassungsgeber einst im Sinn hatten, um Korruption, Vetternwirtschaft u. Ä. zu unterbinden. Es sei nachgerade eine Umkehr der Logik, wenn nun Kollektivhandlungen mit Individualhandlungen gleichgesetzt würden. So formulierte Justice John Paul Stevens in seiner Dissenting Vote mit unübersehbarer Ironie: „Under the majority view, I suppose it may be a First Amendment problem that corporations are not permitted to vote, given that voting is, among other things, a form of speech.“ (Zit. n. Kernell et al. 2020, S.-202) Im Effekt markiert das Urteil im Fall Citizen United v. FEC eine jahrzehnte‐ lange Auseinandersetzung um die (Wahlkampf-)Spendenpraxis in den USA, die ihren Ausgang hatte im Federal Election Campaign Act von 1972, der seitdem mehrmals modifiziert worden war und dessen Restriktionen weitge‐ hend beseitigt wurden. Die durch das Fehlen jeder Spendenobergrenze nun finanziell bestens ausgestatteten Unterstützergruppen werden SuperPACs genannt (in Anlehnung an die traditionellen Political Action Committees). Von konservativer Seite wird dabei argumentiert, es gäbe keinerlei legitimen Grund, Werbung durch den Staat zu beschränken, schon gar nicht durch die Hintertür der Wahlkampffinanzierung. Die Demokraten dagegen sprechen 3.3 Fallbeispiele First Amendment 113 <?page no="114"?> 24 https: / / www.theguardian.com/ us-news/ 2022/ feb/ 15/ sarah-palin-new-york-times-laws uit-jury offen von „money is speech“: Durch dieses Verfahren würden ökonomische Ungleichheiten in den politischen Prozess überführt und manifestiert. Der Citizen United-Entscheid verstärke nur den monetären, illegitimen Einfluss von Interessensgruppen und Lobbyisten im politischen System (vgl. Bieber 2016, S.-7). 3.3.10 Sarah Palin v. New York Times: Altes Recht in Neuen Medien? Mitte Februar 2022 wies eine Jury in New York eine Klage der ehemaligen Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, gegen die New York Times ab und setzte damit einen (vorläufigen) Schlussstrich unter ein Verfahren, das zwar vordergründig keine sensationelle juristische Brisanz besaß, dafür aktuelle politische Facetten. Palin, eine prominente Figur im konservativen Amerika und Running Mate von John McCain im Präsidentschaftswahlkampf 2008, hatte 2017 Klage erhoben und Schadensersatz gefordert, weil ein Meinungs‐ artikel der New York Times sie bzw. ein sie unterstützendes Political Action Committee (PAC) fälschlicherweise in Verbindung gebracht hatte mit einem Amoklauf in Arizona, sechs Jahre zuvor. Konkreter Anlass des Artikels selbst war ein gewalttätiger Angriff auf Republikanische Kongressabgeordnete im Juni 2017; der Text folgte dem Tenor, die hitzige, gelegentlich brutale politische Rhetorik der USA mache sich mitschuldig an solchen Verbrechen. Und dazu verwies man auf eine Anzeige des angesprochenen PAC, in der der Wahlkreis einer Demokratin, die bei der Amoktat in Arizona angeschossen wurde, mit einem Fadenkreuz überzogen war. Diese Verknüpfung war sachlich falsch; aus den Ermittlungen der Be‐ hörden ließ sich der angedeutete Zusammenhang nicht ablesen. Und das war tatsächlich nicht strittig - die New York Times erkannte ihren Fehler innerhalb weniger Stunden und korrigierte zumindest online den Text sofort. Doch entspann sich ebenso rasch der Vorwurf, die Times hätte aus parteipolitischen Gründen eine derartige Konstruktion verbreitet. Während also Palins Vertreter vor Gericht argumentierten, die New York Times hätte bewußt, böswillig und rücksichtslos gehandelt, erkannte die Zeitung einen Fehler an, entschuldigte sich öffentlich („we got an important fact wrong“) 24 114 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="115"?> 25 https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 02/ 15/ business/ media/ new-york-times.html - und blieb ihres Erachtens im akzeptablen Rahmen journalistischen Han‐ delns, in dem der ein oder andere Fehler menschlich und unvermeidlich sei. Damit referierte man auf die in → Kapitel 3.3.4 beschriebene Formel des Actual Malice: Das First Amendment schütze den Journalismus dahingehend, als Personen des öffentlichen Lebens bei fälschlicher Berichterstattung über sie nachweisen müssen, der Darstellung läge eine „bösartige Absicht“ zugrunde. Im vorliegenden Fall konnte, so die Jury, die Klage genau das nicht. Tatsächlich hatten juristische Beobachter früh von einem Uphill Battle gesprochen: einem für Palin von Beginn an aussichtslosen Verfahren. Allerdings kommen nun zwei Punkte ins Spiel, die dem scheinbar klassisch behandelten Fall etwas „Farbe“ geben, ein eher juristischer, ein eher politi‐ scher. Juristisch: Derzeit (im Sommer 2022) ist noch unsicher, ob der Fall am Supreme Court appelliert wird. Immerhin scheint er eigentlich klar dem Präzedenzfall von 1964 zu entsprechen. Und doch haben zwei oberste Richter signalisiert, 25 der Fall könne geeignet sein, genau diese Präzedenz zu überdenken (formell bedarf es dazu allerdings vier Richter, die den Fall aufgreifen wollen). Denn, so die Überlegung: Als die Actual Malice-Formel Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die Bürde auferlegte, bei falscher oder schädlicher Berichterstattung bösartige Absicht nachzuweisen, da war dieser Nachweis zwar eine Bürde, aber zumindest praktikabel, da es in der Regel gegen eine erkennbare journalistische Einheit gerichtet war. Heute - im Zeitalter des Internets -, sei dieser Gedanke womöglich ein Relikt, ein höchst unhandliches obendrein, denn es dürfte für eine kritisierte Person ausnehmend schwierig werden, sich gegen Bösartigkeiten zu wehren, wenn sie massiv im Internet verbreitet werden. Kurz: Womöglich müsse durch die fundamental neue Struktur politischer Öffentlichkeit in der Netz-Gesellschaft die Schutzklausel des First Amendment überdacht und neu interpretiert werden - zu Gunsten von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, etwa dadurch, dass die Kategorisierung „public figure“ enger gefasst würde (vgl. Ammori 2014). Insofern bleibt abzuwarten, ob in einem mehrheitlich von „republikanischen“ Richtern besetzten Supreme Court der erste Verfassungszusatz womöglich eine Neuinterpretation erfährt durch eine Stärkung des Persönlichkeitsschutzes und womöglich zu Lasten der Pressefreiheit. 3.3 Fallbeispiele First Amendment 115 <?page no="116"?> 26 Vgl. New York Times v. 13. März 2022, First Amendment Scholars Want to See the Media Lose These Cases, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 03/ 13/ business/ media/ foxnews-first-amendment-sullivan.html Der zweite, kleinere und eher politische Punkt: Sarah Palin strengte das Verfahren 2017 an, also zur Zeit der Präsidentschaft Trump, in der die so genannten Mainstream Media von rechtskonservativer Seite und prominent vom Präsidenten selbst routiniert als Fake News oder gar „Feinde des Volkes“ dargestellt wurden und auf den Rallies von Trump schon einmal T-Shirt- Drucke zu lesen waren wie: „Rope. Tree. Journalist“ (vgl. Kamps 2020a). Jenseits der politischen Strategie, kritische Journalisten zu diskreditieren, könnten dann Verleumdungsklagen ein Mittel sein, Presseunternehmen einzuschüchtern. Wie im Fall New York Times v. Sullivan erwähnt, hat ein solches Vorgehen in den USA eine alte Tradition. Entsprechend wurde das Palin-Verfahren auch als ein Akt politischer Strategie interpretiert - gerade, weil es sich gegen die New York Times richtete. Eine Häufung derartiger Fälle, wie in den 1960er-Jahren, ist derzeit allerdings nicht zu beobachten. Hingegen sehr wohl von hoher Aktualität sind vor diversen Bezirks-, aber auch Bundesgerichten anhängende Klagen gegen u. a. Fox News, The Gateway Pundit und One America News, denen vorgeworfen wird, mit permanenten Behauptungen über einen angeblichen Wahlkomplott in der Präsidentschaftswahl 2020 nicht nur absichtlich gelogen und ihre Zuschauerschaft in die Irre geführt zu haben, sondern auch Unternehmen und Wahlhelfer geschädigt hätten. Dass ausgerechnet Verfassungsgelehrte sich nun an dieser Stelle eine Verurteilung erhoffen, geht auf die Vermutung zurück, einige Medien würden unter dem Schutzschirm des First Amendment wissentlich falsch berichten, um in den hochpolarisierten USA mit der Big Lie Profit zu machen. 26 3.4 Presserecht Die sich in ihrer Fixierung im First Amendment spiegelnde besondere Bedeutung der Rede- und Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten erklärt sich auch durch die Erfahrungen der Gründergeneration vor und während der Amerikanischen Revolution. Den Framers waren die Texte der Aufklärer bekannt; ähnlich eindrucksvoll dürften die in den Zeitungen, Schriften, Büchern und Gemeindeversammlungen der Kolonien ausgetragenen Dis‐ 116 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="117"?> kussionen um die Loslösung von England und den Aufbau der Nation gewesen sein. Und so hatte man zwar mit der Bill of Rights erst 1791 entsprechende Artikel mit Verfassungsrang verabschiedet - etwas verspätet als Zusatz zur Constitution und Teil des Grundrechtskatalogs. Aber das Prinzip einer von staatlichen Auflagen befreiten Presse und der Schutz der freien Rede standen, soweit wir wissen, nie zur Debatte. Mit den Worten von James Madison: „A popular government without popular information or the means of acquiring it, is but a Prologue to a Farce or a Tragedy.“ (Zit. n. McChesney & Nichols 2019, S. 2) Zu deutlich hatte man die praktische und legitimierende Funktion politischer Informiertheit und Öffentlichkeit vor Augen. Insbesondere lehnte man grundsätzlich ab, von den Druckern oder Presseunternehmen Konzessionen oder Lizenzen zu verlangen oder eine Vorzensur und ein staatliches Anzeigenmonopol einzurichten - was man in der „Alten Welt“ noch beobachten konnte und als Gängelung betrachtete. Solche Eingriffe waren offensichtlich nicht mit der Idee einer selbstverant‐ wortlichen Gesellschaft zu vereinbaren. Und so steht an der Wiege der amerikanischen Demokratie ein liberales Presserecht, eine negative Ordnung eines vor staatlichen Vorgaben befreiten Publikationswesens. Zur raschen Entwicklung einer auflagenstarken Massenpresse in den USA ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts dürfte dieses Modell erheblich beigetragen haben. Und umgekehrt wiederum legitimierte der prosperierende Zeitungsmarkt die zurückhaltende Ordnungspolitik. Das Pressrecht Amerikas sieht also keinen besonderen Regulierungsbe‐ darf (beim Rundfunk denkt man da später anders). Im Mittelpunkt steht traditionell die wirtschaftliche Freiheit der Unternehmen und der Wettbe‐ werb der Marktteilnehmer. Derart gilt das Liberal Model der USA als Typus eines staatsfern organisierten Mediensektors (vgl. Hallin & Mancini 2003, S. 35). Allerdings waren die recht kleinen Zeitungsbetriebe noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auf (meist parteinahe) Sponsoren angewiesen, auf Druckaufträge und darauf, dass die Post Zeitungen kostenlos oder zumin‐ dest günstig vertrieb. Insofern ist das First Amendment zwar als Abwehrrecht gegenüber dem Staat bzw. der Regierung zu lesen, wurde aber nicht als Aufforderung zu jeglicher Untätigkeit staatlicher Institutionen verstanden. Thomas Jeffersons vielzitiertes Bonmot von 1787 - „If it were left to me to decide whether we should have a government without newspapers or newspapers without government, I should not hesitate for a moment to prefer the latter“ (zit. n. Brown & Gitlin 2011, S. 74) - hat noch einen 3.4 Presserecht 117 <?page no="118"?> 27 vgl. https: / / members.newsleaders.org/ about-us lesenswerten Nachsatz: „But it should mean that every man should receive those papers, and be capable of reading them“ (zit. n. McChesney 2004, S. 29). Das hatte, nebenbei bemerkt, einen für Jefferson typischen anti-elitären Duktus: Die Presse solle möglichst vielen Amerikanern zugänglich und verständlich sein, nicht nur den wohlhabenden Schichten der Küstenstädte. Freedom of the Press umfasste für manche der Staatsgründer also mehr als das Recht privater Unternehmer, frei zu agieren - so wie in jedem anderen Wirtschaftszweig. Vielmehr hatten sie bereits eine gesellschaftliche Leistung vor Augen (vgl. McChesney 2004, S. 30). Public Interest als formeller Bezug findet sich im Rundfunkrecht (→ Kapitel 3.6), ist aber auch der Presse, zumindest dem Nachrichtenjournalismus, nicht fremd und spiegelt sich als informelle Norm der Selbstregulation beispielsweise im Statement of Prin‐ ciples der American Society of Newspapers Editors (vgl. Napoli 2019, S. 134): „The primary purpose of gathering and distributing news and opinion is to serve the general welfare by informing the people and enabling them to make judgements on the issues of the time.“ 27 Insofern ist das Liberal Model ein grenzziehendes Recht, das Governance-Strukturen einschließt: Einerseits hält sich der Staat zurück und überlässt die unternehmerische Organisation und Entwicklung in der Printbranche der Logik der Märkte; andererseits kennt das Konzept Zweck, Ziel und Mechanismen der Selbstregulation und kann im Interesse der Gemeinschaft in Einzelfällen z. B. in Kartellfragen, bei Obszönitäten und Diffamierungen oder zum Schutz der Jugend und Privatheit auch formell intervenieren (vgl. Stevenson et al. 2008, S.-5233). Tatsächlich verabschiedete bereits im Juli 1798 der von den Federalists dominierte Kongress mit den Alien and Sedition Acts eine erste weitgehende Intervention: Eine Serie von Gesetzen, die vor dem Hintergrund außen‐ politischer Spannungen mit Frankreich die Ausweisung von Ausländern erleichtern und die Migration in die Vereinigten Staaten erschweren sollten. Das parteipolitische Kalkül dieser Gesetze war offenkundig, denn die Wah‐ len von 1796 hatten gezeigt, dass nichtenglische Einwanderer mehrheitlich hinter der Opposition der Democratic-Republicans (vormals Anti-Federalists) standen. Und als Teil dieses Gesetzespakets zeigte sich nun schon kurz nach der Revolution erstmals ein Rechtsverständnis, nach dem die vorgeblich hoch geschätzte Pressefreiheit in Krisenzeiten bzw. bei einer äußeren Be‐ drohung durch einfache Gesetzgebung eingeschränkt werden könnte (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 79-80). Die größte Kontroverse entbrannte dabei um 118 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="119"?> 28 Vgl. https: / / mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 1238/ sedition-act-of-1798 den Sedition Act, „a famous example of governmental overreaching“ (Teeter 2008, S. 12): Er verbot - frappierend - öffentliche Kritik an der Regierung. Bestraft werden konnte nunmehr „to write, print, utter or publish […] any false, scandalous and malicious writing […] with intent to defame the government.“ 28 Die diese Verbote stützenden Federalists argumentierten, zum einen würde das First Amendment allein so etwas wie eine (in Europa damals übliche) Vorzensur verbieten. Zum anderen sei es tatsächlich eine Gefahr für die (junge) Nation, wenn Mitglieder der Regierung oder gar die Regierung als Institution in Zeiten der Kriegsgefahr in bösartiger öffentlicher Rede oder Schrift attackiert würden. Das sei keine Frage notwendiger Kritikfähigkeit, sondern beträfe vitale Interessen des Landes. Zudem würden die Freiheits‐ rechte doch nur gestärkt, wenn Wahrhaftigkeit verlangt würde. Dagegen die Democratic-Republicans um James Madison und Thomas Jefferson sahen in dem ersten Verfassungszusatz ein uneingeschränktes Verbot jeder relativierenden Gesetzgebung. Insbesondere verärgerte sie die sich in den Acts spiegelnde Verletzung der Rechte der Einzelstaaten (damals waren die Zusatzartikel noch nicht auf sie anzuwenden), was als Machtmissbrauch der Zentralregierung verstanden wurde. „What inflamed Republicans most was the prospect that violations would be adjudicated in federal courts whose judges had all been appointed by the first two Federalist presidents […].“ (Holzer 2020, S.-27.) Zunächst jedoch setzten sich die Federalists im Kongress durch und die Gesetze wurden sofort rigoros angewendet: Rund zwei Dutzend Verleger oder Drucker von Zeitungen, die die Opposition unterstützten, wurden verurteilt - darunter ein Abgeordneter des Repräsentantenhauses, Matthew Lyon, der sich in der Vermont Gazette über den „lächerlichen Pomp“ des „närrischen Kabinetts“ lustig gemacht hatte und der dann in einem Akt sym‐ bolischer Obstruktion während der Haft von seinem Wahlkreis in Vermont wiedergewählt wurde (Teeter 2008, S. 13). Und Lyon war nicht der einzige Anti-Federalist, der im aufgeheizten Streit um die Freedom of Expression an Popularität gewann. Die Parlamente von Kentucky und Virginia verab‐ schiedeten Resolutionen, die die Acts als verfassungswidrig verdammten (Goldstein 2008). Nachdem Thomas Jefferson 1800 zum Präsidenten gewählt worden war, wurden - ausgenommen der Alien Enemies Act - die strittigen Gesetze wieder abgeschafft (oder sie liefen automatisch aus) und inhaftierte 3.4 Presserecht 119 <?page no="120"?> Verleger und Drucker begnadigt. Madison und Jefferson verlegten sich in der juristischen Auseinandersetzung nun darauf, die Gerichte der Einzelstaaten zu stärken, womit sie einflussreiche Präzedenzfälle schufen (vgl. Greene 2021, S.-15; Holzer 2020, S.-26; Lepore 2020, S.-208). Nach dieser Phase heftiger innenpolitischer Auseinandersetzung, standen Fragen zum Pressrecht lange Zeit, insbesondere beim Bund, kaum zur Debatte. Nebenbei bemerkt: Der Supreme Court hatte sich ursprünglich nicht mit den Alien and Sedition Acts auseinandersetzen müssen, griff die Diskussion aber im Fall New York Times v. Sullivan auf (→ Kapitel 3.2.4) und bezeichnete die Position des Gesetzes als historisch überholt. Allerdings findet sich in dem Konflikt ein Muster, das sich in der Geschichte der USA wiederholen würde: Nicht immer mit dieser Vehemenz, doch ähnlich gelagert stellen sich Fragen der Pressefreiheit und ihrer alltäglichen Praxis häufig im Zusammenhang mit innen- oder außenpolitischen Krisen. So ließ Abraham Lincoln in den ersten Monaten des amerikanischen Bürgerkrieges durch Unionstruppen in noch unschlüssigen Staaten wie Missouri oder Kentucky solche Zeitungen konfiszieren, die sich für die Süd‐ staaten aussprachen - obwohl Lincoln durch gelegentliche Bemerkungen als Verfechter der Pressefreiheit bekannt war und noch im Wahlkampf 1862 Zeitungen verteidigt hatte, die ihn selbst heftig attackierten (vgl. Holzer 2020, S. 73-77). Im spanisch-amerikanischen Krieg (1888-1889) suchte das Militär über die Kontrolle der Telegraphie Einfluss zu nehmen auf die Kriegsberichterstattung (Goldstein 2008, S. 85). In gleich zwei Fällen hatten wir schon die höchstrichterliche Rechtsprechung angesprochen (→ Kapitel 3.2), mit der im und nach dem Ersten Weltkrieg über die Verfassungskon‐ formität des Espionage Act entschieden wurde: also eines Gesetzes, das zur Sicherung der Verteidigungsfähigkeit der Nation noch heute das Sammeln und Verbreiten von „gefährlichen“ Informationen verbietet. Insbesondere die Kriegsberichterstattung erwies sich für den US-Jour‐ nalismus als ambivalentes Unterfangen. Wie erwähnt (→ Kapitel 2.5), hatte im Kontext des Ersten Weltkrieges Woodrow Wilson 1917 mit dem Committee on Public Information (CPI) eine Organisation zur Steuerung der Regierungskommunikation gegründet mit dem ausdrücklichen Anspruch, Amerika mit den Reklamemitteln der Zeit auf einen möglichen Kriegseintritt vorzubereiten (vgl. Perloff 1998, S. 31). Hinzu kamen Sanktionsdrohungen derart, dass z. B. Falschmeldungen über die Streitkräfte mit Strafe belegt werden konnten. Und wer sich als Kriegsberichterstatter bei den Truppen 120 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="121"?> akkreditieren wollte, musste sich zur Loyalität gegenüber dem Land ver‐ pflichten. Nach Ende des Krieges und in der Progressive Era folgte eine kritische Auseinandersetzung mit dem CPI und den als restriktiv wahrgenommenen Pressebestimmungen (vgl. Vaughn 1980). Diese Diskussion hatte an und für sich keine juristischen Folgen, dürfte aber dazu beigesteuert haben, dass spätere Regierungen in Krisen und Kriegen eine weniger dirigistische, mehr auf Kooperation abzielende Beziehung zur Presse suchten. Beispielsweise konnte sich das Office of War Information (OWI), das für ähnliche Aufgaben der Regierungskommunikation im Zweiten Weltkrieg zuständig war, auf deutlich mehr Unterstützung seitens der Presse verlassen, nicht zuletzt, weil nun der nach wie vor geltende Espionage Act nicht herangezogen wurde, um Medien und Journalisten zu bedrängen, zu lenken oder ggf. sogar zu ver‐ folgen. Insbesondere konnte man auf Zensurmaßnahmen verzichten, weil der Journalismus weit überwiegend einer „rally round the flag“ genannten Tendenz folgte, in Kriegszeiten die eigenen Truppen zu unterstützen und die 1941 in den War Power Acts formulierten Richtlinien bereitwillig akzeptierte (vgl. Goldstein 2008, S.-85). Abgesehen von Grundsatzfragen in Hochkonfliktfällen - wie sie sich beispielsweise mit den Pentagon Papers während des Vietnamkriegs ergaben - griffen oft genug informelle Übereinkünfte, um in prekären Kontexten das Beziehungsgefüge von Politik, Journalismus und Öffentlichkeit zu ordnen. Bemerkenswert, dass die so genannte Underground Press - rund 500 kleine Zeitungen, die gegen den Vietnamkrieg anschrieben - von den Behörden eben nicht durch presserechtliche Fragen sanktioniert wurden, sondern durch einen bunten Strauß lokaler Anordnungen „nur“ gegängelt (vgl. Goldstein 2008, S. 87). Auch spätere Regelwerke wie das des Embedded Journalism, der Einbindung von Journalisten in militärische Einheiten, oder des Pool Systems im ersten Golf-Krieg bauen nicht auf explizit pressrechtli‐ che Bestimmungen auf, sondern auf Kooperation und so genannten Ground Rules, die sich durch Sicherheitsfragen und militärischer Notwendigkeit ergaben. Presse-Praxis, das sollen diese wenigen Beispiele andeuten, wurde und wird häufig auch informell normiert. Eine für den amerikanischen Journalismus und sein Selbstverständnis wichtige Debatte entwickelte sich im Kontext des Zweiten Weltkrieges in der Hutchins-Commission. Auch sie hatte keine direkten und unmittelbar ablesbaren presse- oder medienrechtlichen Folgen (nicht zuletzt, weil sie nicht aus dem politischen Raum selbst initiiert wurde), steht aber exempla‐ 3.4 Presserecht 121 <?page no="122"?> risch für den Einfluss solcher Expertenpanels (so genannter Blue-Ribbon Panels) auf den Politikprozess in den USA (und hier auf das Medienrecht). Die Kommission beschäftigte sich vor dem Hintergrund harscher Kritik an der Profitorientierung der Presse und der Medienkonzentration ihrer Zeit mit Qualitätskriterien und ethischen Prinzipien des Journalismus. Der programmatische Titel des Abschlussberichtes - A Free and Responsible Press - formulierte eine lange Liste an Leistungsfunktionen einer freien, aber eben verantwortungsvollen Presse, darunter die Aufforderung an die Unternehmen und Redaktionen, sich als gesellschaftliches Forum und „com‐ mon carriers of public discussion“ zu positionieren (vgl. Blevins 1997, o. S.). Insbesondere formulierte die Kommission eine normative Theorie journa‐ listischer Verantwortung: „Press practices at times have been irresponsible that if continued society is bound to take control for its own protection.“ (Zit. n. Benkler et al. 2018, S. 315) Wie gesagt, eine unmittelbare juristische Wirkung entfaltete der Bericht nicht, zumal er in erster Linie Formen der Selbst-Regulierung vorschlug. Allerdings hatte er einen spürbaren Einfluss als „widely accepted philosophical framework for the daily workings of the U.S. press“ (McConnell 2008, S. 218) und dann speziell noch auf die Medienkonzentrationskontrolle sowie die Fairness Doctrine im Rundfunk (→ Kapitel 3.7). Wissen | Die Hutchins Commission - Commission on Freedom of the Press Im Sommer 1942 bat der einflussreiche Herausgeber der Nachrichten‐ magazine Time und Life, Henri Luce, den Präsidenten der Universität Chicago, Robert Hutchins, eine Kommission zusammenzustellen, die sich - allgemein gesprochen - mit dem Zustand der amerikanischen Presse befassen möge. Neben einer seinerzeit verbreiteten Kritik an der Qualität einer profitorientierten Massenpresse, beschäftigten Luce Konzentrationstrends und die Einflussnahme der Regierung auf die Kriegsberichterstattung. Darüber hinaus knüpfte er an eine ältere Ausei‐ nandersetzung mit dem New Deal der Regierung Roosevelt an, deren z. B. Arbeitsmarktreformen in der Branche verbreitet als First Amendment-Is‐ sue wahrgenommen wurden, also als Angriff auf die Pressefreiheit. Die Hutchins Commission formierte sich nun als Blue Ribbon-Panel, eine in den Vereinigten Staaten verbreitete Form des Expertengremiums, das meist, nicht immer, von offizieller Seite eingesetzt wird (z. B. die 122 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="123"?> Warren-Kommission, die das Attentat auf John F. Kennedy untersuchte), deren Empfehlungen aber nicht qua Amt, sondern gerade aufgrund ihrer Unabhängigkeit sowie dem Sachverstand ihrer Mitglieder besonderes Gewicht erhalten. Unter den rund ein Dutzend Fachleuten der Kommis‐ sion waren prominente Wissenschaftler wie der Politologe Harold D. Lasswell und der Historiker Arthur M. Schlesinger. Innerhalb von zwei Jahren kam dieser Kreis knapp 20mal zusammen, sprach mit hunderten von Fachleuten und gab schließlich im März 1947 einen Bericht heraus, in dessen Zentrum die aus dem ersten Verfassungszusatz abgeleiteten negativen wie positiven Pressefreiheiten standen. Neben das Recht der Presse trat ein Recht der Gesellschaft: Die negative Freiheit der Presse sei eine Freiheit „from“, eine Freiheit von äußerlichen Zwängen. Die positive Freiheit der Gesellschaft hingegen sei eine Freiheit „for“, eine Freiheit für: „making its contributions to the maintenance and develop‐ ment of a free society“ (Blevins 1996, o. S.). Es ist diese letzte Leistungsbe‐ schreibung einer geradezu republikanischen Pflicht und Verantwortung einer unvoreingenommenen Presse, die nachhaltigen Einfluss auf das damalige Selbstverständnis des amerikanischen Journalismus hatte: „the people’s right to information - complete, comprehensive, pluralistic, true and fair information, and essential to civic participation in a democratic society“ (Downing 2011, S. 144; Herv. i. O.). Bezeichnend für die öffentliche Wirkung der Kommission, dass heute angesichts eines Trends in Teilen der Nachrichtenmedien, parteipolitische Strategien zu verfolgen, gelegentlich Rufe nach einer „neuen“ Hutchins Commission zu hören sind (→ Kapitel 6.1). Im liberalen, marktorientierten Presserecht der USA spiegelt sich also die „kaum diskutierte Selbstverständlichkeit“ (Hoffmann-Riem 2009, S. 43), dass Medien einem kommerziellen Ertragsziel folgen und vornehmlich als Wirtschaftsakteure betrachtet werden - zugleich aber die publizistischen Bedürfnisse der Nation durch die Konkurrenz auf dem Markt befriedigen würden (vgl. Hallin & Mancini 2004). Es ist diese Idee von beigeordneten publizistischen Zielen, mit der dann kartellrechtliche Eingriffe in die Frei‐ heiten des First Amendment begründet werden. So berief sich im Verfahren Associate Press v. United States der Supreme Court auf den Zusammenhang eines ungehinderten und möglichst vielfälti‐ gen Informationszugangs durch die Gesellschaft. „That Amendment rests 3.4 Presserecht 123 <?page no="124"?> on the assumption that the widest possible dissemination of information from diverse and antagonistic sources is essential to the welfare of the public, that a free press is a condition of a free society. […] Freedom to publish is guaranteed by the Constitution. Freedom to publish means freedom for all and not for some.“ (Zit. n. McChesney & Nichols 2010, S. 150) Vorausgegangen war eine Verfügung der Regierung, die Teile der Satzung der Associated Press (AP) für ungültig erklärte, da sie gegen den Sherman Antitrust Act von 1890 verstoße. Verboten wurde ein Statut, mit dem Mitglieder von AP andere, konkurrierende Medienunternehmen daran hindern konnten, ebenfalls Teil dieser Kooperativen zu werden - denn das würde den (erwünschten) Wettbewerb und freien Handel von Informationen unterbinden. Spätestens mit diesem Urteil von 1945 hatte der Supreme Court deutlich gemacht, dass Medienunternehmen dem Kartellrecht unterliegen können, ganz so wie Unternehmen anderer Branchen, selbst wenn die Presse oder Medien respektive ihre Inhalte durch das First Amendment geschützt wären. Insofern finden sich rechtliche Fragen im Mediensytem der USA häufig im Zusammenhang mit handelsrechtlichen Konflikten, mit Wettbewerb, Markt und Besteuerung. Allerdings muss gleich hinzugefügt werden, dass im Laufe der Entwicklung einer weitaus komplexeren Medienlandschaft das Medienkonzentrationsrecht dann, wie noch angesprochen wird (→ Kapitel 3.8.1), auch Ausnahmen kennt. Wenn also derart strukturell selten Eingriffe in die Pressebranche festzu‐ halten wären - aber eben möglich sind -, so kennt das US-Presserecht doch einige formalistische, auf die Besonderheiten des Mediensektors abhebende Normen. Eine der wichtigsten dürfte der 1912 vom Kongress verabschiedete Newspaper Publicity Act sein: Das von den Verlegern zunächst bekämpfte, mit dem Supreme Court aber akzeptierte Gesetz formuliert eine bis heute gültige Impressumspflicht: Besitzer und Herausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift sowie geschäftliche Verbindungen müssen zweimal jährlich benannt und Auflagenzahlen veröffentlicht werden; letzteres vor allem zur Legitimierung der Werbe- und Anzeigenpreise. Darüber hinaus sind Anzei‐ gen und Meinungsbeiträge von Berichten und Reportagen erkennbar zu trennen. Begründet werden diese Pflichten übrigens damit, dass die Presse das Privileg deutlicher Rabatte im Postversand genieße. Ihren Widerstand gegen das Gesetz gaben die Verleger seinerzeit rasch auf - nicht nur, weil der Supreme Court die Gesetze absegnete, sondern wohl auch, weil in dieser Progressive Era sie selbst respektive ihre Publikationen von den 124 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="125"?> 29 An dieser Stelle findet sich in der Literatur praktisch immer (und so auch hier) das Bonmot des Supreme Court Richters Potter Stewart, der sich 1963 zur möglichen Obszönität eines Films gezwungen sah, Pornographie zu definieren - und mehr ausweichend als klar formulierte: „It is hard to define. But I know it when I see it.“ (Vgl. Kosseff 2019, S.-23) gesellschaftlichen Institutionen Transparenz verlangten und dann noch eine Missachtung mit dem Verlust der Postrabatte sanktioniert werden konnte (vgl. Lawson 2008). Einen besonderen inhaltlichen Regulierungsbedarf, der sich später nicht nur auf die Presse bezog, erkannt man schon weit früher und reagierte mit dem Comstock Law von 1873, einem Gesetz, das sich wiederum anschloss an diverse, oft lokale Verordnungen, die seit den 1840er-Jahren den Import und den Postversand von obszönem Material untersagte. Das Comstock Law verbot nun eine breite Palette an Texten: von lasziven Büchern, Pamphleten, Bildern, Zeichnungen bis hin zu Aufklärungsmaterial, Anzei‐ gen für Verhütungsmittel oder auch Lotterien. Das in Städten wie New York und Boston mit Vehemenz verfolgte Gesetz war indes von Beginn an einiger Kritik ausgesetzt: Es sei bigott, pflege Intoleranz und schränke die Freiheit (der Rede) unverhältnismäßig ein. Vor allem überließ man es im wesentlichen lokalen Autoritäten wie Postmeistern, Bibliothekaren, Lehrkommissionen oder Wohltätigkeitsorganisationen zu bestimmen, was obszön sei und verboten werden sollte. 29 Und das betraf dann auch schon mal Weltliteratur, darunter beispielsweise den Ulysses von James Joyce, der in Teilen des Landes bis 1933 verboten war (vgl. Boyer 2002). Doch scheiterten zunächst alle Versuche vor dem Kongress, die Reichweite des Comstock Law einzuschränken. Das änderte sich schrittweise erst mit der Progressive Era und vor allem dann mit einem Supreme Court-Urteil von 1957, Roth v. United States: Der Entscheid liberalisierte die Definition von Obszönität dahingehend, als künftig nicht einzelne Passagen eines Textes für ein mögliches Verbot ausschlaggebend sein sollten, sondern das Werk in seiner Gesamtheit. Allerdings überließ das Gericht es weiterhin lokalen Institutionen, „community standards“ zu definieren (vgl. Boyer 2008, S. 116). Noch heute sind damit - über das engere Presserecht hinaus - die Indecency Rules und Fragen nach einer potentiellen Obszönität einer Publi‐ kation überwiegend Einzelfallbetrachtungen in Gemeinden und Staaten und werden nur selten bis hin zum Supreme Court richterlich entschieden. Das betrifft schon lange mehr als Zeitungen, Zeitschriften und Literatur, sondern auch Comedy, „dirty words“ und Rundfunkveranstaltungen (bei denen dann 3.4 Presserecht 125 <?page no="126"?> die Federal Communications Commission zuständig wäre) (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 87). Am bekanntesten in diesem Zusammenhang dürfte die Wardrobe Malfunction-Affäre sein, als während der Halbzeitshow des Superbowl 2004 das Kostüm von Janet Jackson verrutschte und dem ausrichtenden TV-Ver‐ anstalter, CBS, eine mittlere sechsstellige Jugendschutzgebühr einbrachte. Ähnlich zunächst für die Presse entworfen, dann aber grundsätzlich ausgeweitet auf Journalisten in anderen Medien, wurde 1980 der Privacy Protection Act (PPA) erlassen; er war eine direkte Reaktion des Kongresses auf den Fall Zurcher v. Stanford Daily, der zwei Jahre zuvor Aufsehen erregt hatte: Die Polizei hatte im Nachgang einer Demonstration die Re‐ daktionsräume der Zeitung nach Hinweisen zu Straftätern durchsucht. Das wiederum wurde zunächst von den Bezirksgerichten für rechtswid‐ rig erklärt, dann aber vom Supreme Court relativiert, der zwar im First Amendment journalistische Privilegien und dabei die Redaktion als schutz‐ würdigen Raum erkannte - aber Untersuchungen mit einer richterlichen Genehmigung fallweise ermöglichen wollte. Der PPA fasst die journalisti‐ schen Rechte genauer, hat aber gleichwohl Ausnahmen formuliert. Wie wir im Zusammenhang mit dem Zeugnisverweigerungsrecht und den Shield Laws (→ Kapitel 3.3.7) schon angesprochen haben, kommen in solchen Fällen häufig noch einzelstaatliche Regeln hinzu. Ähnlich wie in anderen föderal gegliederten Ländern - beispielsweise Deutschland - ist dann das Presserecht durch allgemein verbindliche Normen gekennzeichnet, kennt aber regionale (einzelstaatliche) Detailregelungen. Eine anders gelagerte Privacy-Problematik ergibt sich für den Journa‐ lismus auch jenseits der Presse hinsichtlich der Recherche, wenn dazu nichtstaatliche Räume betreten werden, also z. B. ein Supermarkt. Der mag prinzipiell öffentlich sein - alles andere wäre auch verwunderlich -, ist aber im privaten Besitz und entsprechend kann der Zugang durch seine Eigentümer verboten werden, First Amendment hin und her. Insbesondere ist die verdeckte Informationsbeschaffung in solchen Kontexten erheblich erschwert bzw. strafbewehrt, was allerdings von Staat zu Staat variiert. Das wohl problematischste Feld dürfte die tatsächliche Veröffentlichung von privaten Daten sein; hier müssen oft genug die Gerichte im Einzelfall entscheiden, ob die entsprechende Publikation gerechtfertigt sei. Dabei gilt grob: Wenn die privaten Informationen einen Nachrichtenwert darstellen und für das Verständnis eines wichtigen Themas notwendig sind, dann ist das meist zulässig; dagegen ausschmückende, sensationsheischende Details, 126 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="127"?> die abseits der eigentlich zugrundeliegenden Vorgänge liegen, dürfen in der Regel nicht publiziert werden. Sehr wenig Restriktionen sind in den USA üblich bei der Akkreditierung von Journalisten zur Berichterstattung über besondere Ereignisse oder an ansonsten - etwa aus Sicherheitsgründen - eingeschränkt zugänglichen (staatlichen) Orten wie dem Weißen Haus. Dem liegt das Prinzip eines Journalistenprivilegs zugrunde, so wie z. B. auch in der Bundesrepublik: mit Blick auf die Pressefreiheit hält sich der Staat zurück bei der Definition, wer konkret aufgrund welcher Kriterien als Journalist gelten mag. Allerdings, wie gesagt, werden für den Zugang zu speziellen Veranstaltungen (Sportgro‐ ßereignissen, Wahlkampfevents, Regierungsgebäuden) oft Akkreditierun‐ gen verlangt oder gelegentlich Journalistenpools eingerichtet. Derartige Ein‐ schränkungen - das wird erwartet - müssen besonders begründet werden (z. B. Sicherheit, knapper Raum). Die Credentials, die Erlaubnisse, werden dabei weitgehend informell vergeben, d. h. zwar regelhaft, nicht willkürlich, aber auch nicht auf der Grundlage eines Gesetzes. Beispielsweise hat sich für die Pressekonferenzen des Weißen Hauses ein solches informelles Verfahren etabliert, das die wichtigsten Medien im Lande berücksichtigt und bei dem sich die Regierung nicht einmischt (das Ergebnis aber absegnet) bei der Frage, welche Journalistin oder welcher Journalist konkret von welchem Presseorgan entsandt wird. Das Verfahren ist inzwischen eine geübte Routine - weshalb Abweichungen davon (z. B. in der Präsidentschaft Trump) oder Einmischungen aufmerksam beobachtet und kritisiert wurden und werden. Wie schon kurz angemerkt (Kap. 3.2), finden sich in der Verfassung der USA Open Government-Anforderungen, d. h. Veröffentlichungspflichten der politischen Institutionen, etwa des Kongresses oder des Weißen Hauses. Solche Informationspflichten haben neben einem Wert für das Checks and Balances-Modell der amerikanischen Demokratie eine verständlich große Bedeutung für den Journalismus, insbesondere der Recherche. Solche Rechte sind chronologisch zwar zunächst ein Thema der Presse, gelten aber natür‐ lich auch für die später dazu kommenden Medien. Die wohl wichtigste Normierung in diesem Kontext wurde der Freedom of Information Act von 1966. 3.4 Presserecht 127 <?page no="128"?> 3.5 Informationsfreiheiten: Der Freedom of Information Act Mit dem First Amendment und Vorläufern wie der Virgina Declarations of Rights erhielt in den USA erstmals die Pressefreiheit schriftlich Verfassungs‐ rang. Mit diesem Leitbild der demokratischen Ordnung verknüpft sich die kritische Kontrolle des Regierungshandelns und die Sichtung des politischen Betriebs durch unabhängige Medienorganisationen (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 92). Wie schon anklang, wurden diesem grundlegenden Prinzip im Laufe der Zeit konkretere Gesetze beigeordnet, etwa zum Quellen- und Redakti‐ onsschutz. Ein für die Praxis des amerikanischen Journalismus besonders bedeutsames Gesetz wurde der Freedom of Information Act (FOIA), den Präsident Lyndon B. Johnson im Juli 1966 unterzeichnete. Allerdings ist der FOIA kein eigentliches Presse- oder Medienrecht, sondern regelt den Anspruch aller Bürger auf Einsicht in Akten der Regie‐ rungsbehörden, in Statistiken, in Policy Statements, Entscheidungsverfah‐ ren, Protokolle u. Ä. Dabei umfasst dieses Recht weit mehr als persönliche Informationen, also solche Daten, die staatliche Stellen aus formellen, büro‐ kratischen oder demographischen Gründen über eine anfragende Person speichert, sondern nahezu alle Behördendokumente - ausgenommen beson‐ ders sensible Informationen etwa im Kontext der nationalen Sicherheit. Insofern ist unmittelbar einsichtig, dass dieses Gesetz für die journalistische Recherche von einiger Relevanz ist (vgl. Redelfs 1996). Der zentrale politische Hintergrund des FOIA war der New Deal, also die Reformpolitik in der Präsidentschaft Franklin D. Roosevelts. Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre ging diese Zeit der Reformen einher mit der Transformation der USA in einen stärker intervenierenden Sozialstaat, was - begleitet von bissiger Kritik der Republikaner („Buch‐ stabensuppe“) - sich in zahlreichen neuen Behörden, den so genannten Alphabet Agencies niederschlug: WPA (Works Progress Administration), PWA (Public Works Administration), CCC (Civilian Conservation Corps), FCA (Farm Credit Administration) und viele mehr. Diese Ämter stehen sinnbildlich für die Expansion der Regierungstätigkeit und einer deutlich steigenden Staatsquote, dem Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlands‐ produkt. Hinzu kamen mit dem Weltkrieg und dann dem Kalten Krieg nicht nur finanziell bemerkenswerte militärische, wissenschaftliche und sicherheitspolitische Programme (z. B. Gründung der CIA 1947, Gründung der NSA 1952). Kurz: mit der Weltwirtschaftskrise, dem Zweiten Weltkrieg und bis etwa Mitte der 1950er-Jahre erlebte Amerika eine spürbare und in 128 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="129"?> nahezu alle Sektoren der Gesellschaft expandierende Staatstätigkeit (vgl. Theoharis 2008). Dieser Trend ging einher mit Sicherheitsinteressen der Regierung und neuen Geheimhaltungspflichten. Hierzu zählt die Vertiefung des Executive Privilege anlässlich diverser strittiger FBI-Fälle während der Präsidentschaft Truman und dann noch während der Army-McCarthy Hearings durch Eisenhower: Immer verbunden mit der Zurückhaltung von Informationen aus dem Weißen Haus, dem Verteidigungsministerium oder den Geheim‐ diensten auch gegenüber dem Kongress. Hatte also der Staat einerseits zunehmend Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft und das Leben der Amerikaner, so fehlte es an vielen Stellen an Transparenz, auch im Gefüge der Staatsgewalten selbst. Der Kongress hatte auf all diese Entwicklungen schon 1946 mit einer ersten Initiative reagiert, mit dem Administrative Procedure Act. Er war aller‐ dings nicht primär als Informationsfreiheitsgesetz angelegt, sondern mehr als klärendes Handbuch zur Veröffentlichung wie auch Geheimhaltung von Regierungsinformationen. Dem folgten Bedenken, der Zugang zu Daten sei nach wie vor ein eher freiwilliger Akt der jeweiligen Behörde. Darüber entspann sich eine Grundsatzdebatte um das Wesen der Souveränität, bei dem sich schließlich die Position festigte, der Staat sei in so gut wie allen Belangen der Gesellschaft Rechenschaft schuldig; sie habe „a right to know“ (vgl. Barman 2009, S. 205). Nach vielen Sitzungen und Anhörungen wurde dann 1966 der FOIA verabschiedet - als so genanntes Stand Alone Gesetzespaket (was die Dringlichkeit des Themas unterstreichen sollte) und nicht zufällig in einem Jahrzehnt, in dem Amerika viele seiner politischen Institutionen progressiver gestaltete. Allerdings stemmte sich vor allem Präsident Johnson explizit gegen weitreichende Offenlegungspflichten, so dass schließlich eine längere Liste an Ausnahmen in den FOIA eingebaut wurde, Sektoren, in denen Geheim‐ haltung Vorrang genießt. Zunächst einmal - das ist der Logik des föderalen Systems geschuldet - erreicht das Gesetz nur Bundesbehörden und dort allein die Executive Branche, also die Regierungsgewalt, nicht den Kongress, nicht die Gerichte. ( Jedoch enthält die Verfassung schon einige Transpa‐ renzgebote z. B. des Kongresses; außerdem haben die meisten Einzelstaaten äquivalente Gesetze erlassen.) Daten und Informationen, zu denen in aller Regel kein Zugang gewährt wird, beziehen sich auf klassifiziertes Material im Zusammenhang mit so ziemlich allen Sicherheitsbehörden, der Verteidi‐ gungs- und Außenpolitik, Personaldaten sowie Handelsgeheimnisse oder 3.5 Informationsfreiheiten: Der Freedom of Information Act 129 <?page no="130"?> Finanzinformationen, die die Regierung vertraulich erhalten hat. Hinzu kommt das Klassifizierungsrecht des Präsidenten, das ebenfalls zur Intran‐ sparenz beitragen kann - und bislang auch zu einigen Konflikten geführt hat. Am weitreichendsten war wohl eine Exekutivorder Ronald Reagans, mit der bis 1995 (als Bill Clinton diese Anordnung wieder aufhob) der FOIA erheblich limitiert wurde. Einige Erweiterungen zugunsten eines auch für Journalisten leichteren Informationszugangs erfuhr die Norm in der Folge des Watergate-Skandals durch den Privacy Act von 1974 und dem Government in the Sunshine Act von 1976. Der Privacy Act präzisierte insbesondere die Rechte von Individuen über die Einsicht in personenbezogene Daten; und der Sunshine Act spezifi‐ ziert einige der Ausnahmebestimmungen des FOIA. Seit November 1996 sind darüber hinaus Behörden dazu verpflichtet, die angeforderten Informatio‐ nen auch digital zu Verfügung zu stellen (durch den Electronic Freedom of Information Act). Grundsätzlich können Antragsteller, denen Informationen oder Datenmaterial vorenthalten wurde, solche Entscheide gerichtlich über‐ prüfen lassen - auch bereits durch die befasste Behörde. Allerdings muss das Recht auf Akteneinsicht oft mühsam erstritten werden. Das gilt auch für Zusatzinformationen, da gerade journalistische Recherchen oft nicht nach der ersten Anfrage beendet sind. Dabei kommt gelegentlich das In Camera- Review zum tragen: eine zurückgezogene (einsame) richterliche Prüfung, ob von den Behörden zurückgehaltene Akten tatsächlich unter Verschluss zu halten sind. Nebenbei bemerkt: Eine für die Praxis journalistischer Recher‐ che eher hinderliche, doch verständliche Regel besagt, dass der Gegenstand genau benannt werden muss; man kann nicht „ins Blaue“ hinein anfordern, also allzu pauschal. Wissen | Die Watergate-Affäre Die Watergate-Affäre gilt nach wie vor als der größte politische Skandal der USA. Ausgelöst wurde er im Juni 1972 durch einen Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten im Watergate-Gebäudekomplex in Washington, D.C. Allerdings dauerte es noch ein gutes halbes Jahr, bis die Washington Post den Vorgang tatsächlich als Skandal in der amerika‐ nischen Öffentlichkeit platzieren konnte: Bis dahin war der Einbruch als „Bubenstreich“ verharmlost worden (Weischenberg 2018, S. 245) - und da die ersten Publikationen mitten in den Präsidentschaftswahlkampf fielen, konnten die Vorwürfe konsequent als politisch motiviert herun‐ 130 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="131"?> tergespielt werden. Bis zum Rücktritt Nixons (der in der Zwischenzeit wiedergewählt worden war) Anfang August 1974 sollten weitere gut eineinhalb Jahre vergehen. Der Skandal hatte nicht nur durch diese Demission weitreichende Folgen für die amerikanische Gesellschaft und die politische Kultur. Für unser Thema zu nennen wären die Stär‐ kung des investigativen Journalismus im Ansehen der amerikanischen Öffentlichkeit (1975 wurde ein eigener Journalistenverband gegründet: Investigative Reporters and Editors), der Imagegewinn des Public Broad‐ casting durch die Übertragungen der Watergate Hearings im Kongress und die (neuen) begleitenden Sendeformate. Zudem entwickelte sich das traditionell schon ambivalente Miteinander von Politik und Medien zunehmend als Uneasy Relationship, als schwierige Beziehung - dazu noch begleitet von einem gestiegenen Misstrauen vieler Amerikaner ge‐ genüber der Politik im fernen Washington. Insbesondere aber hatte sich der Supreme Court mit einer Regierungsanordnung zu beschäftigen, mit der Nixon die Herausgabe der Tonbänder eines geheimen Abhörsystems an den Senat verweigert hatte. Das Aufnahmesystem im Oval Office war während der Anhörungen im Kongress auf sensationelle Weise der Öffentlichkeit enthüllt worden. Das Oberste Gericht entschied in United States v. Nixon einstimmig, die Anordnung Nixons, mit der die Veröffent‐ lichung verhindert werden sollte, sei rechtswidrig - wodurch Amerika bald selbst hören konnte, wie der Präsident in die Vertuschungen des Skandals eingebunden war. Ganz nebenbei bestärkte der Supreme Court mit seinem Urteil die Informationspflichten der Regierung, in diesem Fall gegenüber dem Kongress. Gilt der Skandal als wichtige Bestätigung des Grundsatzes, niemand stünde über dem Gesetz, auch nicht der Präsident, so stärkte er durch das Verfahren an sich (wie Jahre zuvor die Affäre um die Pentagon Papers) die Informationsrechte der politischen Institutionen und des Journalismus (vgl. Lepore 2020, S.-773-789). Also regelt der FOIA den prinzipiellen Zugang zu Regierungsdokumenten auch durch Journalisten, es sei denn sehr spezielle Gründe sprechen dage‐ gen. Diese Transparenz - eine (Spät-)Folge des First Amendment - wird nicht nur als wichtiges Instrument zur Kritik an aktuellen Entscheidungen und Vorhaben verstanden, sondern dient auch der Verhinderung und gege‐ benenfalls Offenlegung von illegalen Handlungen in der Verwaltung oder im politischen System, etwa Korruption. Um ein Beispiel aus unserem Kontext 3.5 Informationsfreiheiten: Der Freedom of Information Act 131 <?page no="132"?> aufzugreifen: So muss jeder Lizenznehmer im Rundfunk die Antragsunter‐ lagen - einschließlich solcher Interna wie Betriebsplanungen - jedem vor‐ legen, der ein Interesse begründen kann, z. B. um nachzuvollziehen, warum ein Mitbewerber den Zuschlag für eine Lizenz erhielt (vgl. Kleinsteuber 2003, S.-92). Diese Informationsfreiheit als Teil der Informations- und Kommuni‐ kationspolitik hat mit der Zeit Veränderungen erfahren, die teilweise etwa technologischen Entwicklungen zugeschrieben werden können oder dem Widerstand gegen allzu bürokratische Informationspflichten, teilweise dem jeweiligen Verständnis der Präsidentschaft (insbesondere beim Klassifizie‐ rungsrecht), teilweise schlicht dem weltpolitischen Geschehen. So markiert der Patriot Act, ein Gesetzespaket in direkter Folge des 11. Septembers 2001, u.-a. weitgehende Einschnitte in den FOIA (vgl. Barman 2009, S.-207-209). Denn ein zentraler Punkt des FOIA ist die Klassifizierung von Regie‐ rungsdaten in Geheimhaltungsstufen. Wie viele Informationen überhaupt klassifiziert werden, welche Personen innerhalb der Regierung Zugang zu solchen Informationen haben und selbst die Klassifikationen selbst schwanken oft genug von Regierung zu Regierung. In der Präsidentschaft Bill Clintons wurden beispielsweise viele Akten zum Vietnamkrieg oder aus der Kubakrise 1962 publik gemacht, also vorzeitig de-klassifiziert. Dieser Trend zu mehr Transparenz kehrte sich unter George W. Bush um, ja viele von Clinton freigegebene Akten wurden wieder re-klassifiziert; auch hatte die Bush-Regierung nach 9/ 11 Millionen standardmäßig nach 25 Jahren aus den Archiven freigegebene Akten wieder verschlossen bzw. ihren Publika‐ tionsprozess verzögert. „A combination of executive orders and attorney general’s opinions in three different areas - classified information, rules for implementation of the FOIA, and presidential records - has significantly reduced the amount of information available since 9/ 11.“ (Barman 2009, S.-207) Insbesondere aber erweiterte man nach den Anschlägen vom 11. Septem‐ ber die über den FOIA als Ausnahmen definierten Sektoren nun auf die „kritische Infrastruktur“: Transportwesen, Energie- und Wasserversorgung und mehr, wobei hier das Department of Homeland Security die Federführung übernahm. Auch mussten Behörden nicht länger beschreiben, welcher Schaden durch eine Zurückhaltung von Informationen entstehen könnte. Zu den vielen Maßnahmen verstärkter Intransparenz gesellte sich noch das Zurückziehen von vormals öffentlichen Informationen von den Netzseiten der Regierung: „Information has been removed from Web sites of the U.S. Ge‐ ological Survey, the Bureau of Transportation Statistics, the Environmental 132 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="133"?> Protection Agency, the National Archives and Records Administration, the Internal Revenue Service, and many others. […] More than 6,500 scientific and technical documents previously available from the National Technical and Information Service (NTIS) have also been withdrawn.“ (Barman 2009, S.-207-208) In der Folgezeit haben die Informationsrechte immer wieder Präzisie‐ rungen und Ergänzungen überwiegend in Details erfahren, abhängig von aktuellen Problemlagen und wechselnden Regierungen. Dazu gehören bei‐ spielsweise die Executive Order von Präsident George W. Bush 2001, der damit den Zugang zu Akten früherer Präsidenten einschränkte (was Barack Obama 2009 revidierte). Dazu gehört auch der Intelligence Authorization Act von 2002, der den Sicherheitsbehörden weitgehende Befugnisse gab, Anfragen aus dem Ausland pauschal abzulehnen. Der recht umfangreiche Open Government Act von 2007 ist ein detailliertes, überwiegend an der Vereinheitlichung des Prozedere interessierten Gesetzes. Im Grunde genommen sind die Informationsfreiheitsrechte durchaus ein Spiegel der amerikanischen Kommunikationspolitik und ihre Verschrän‐ kung mit der Gesellschaft. Sind die USA im internationalen Vergleich „eine besonders unverwässerte Form des liberalen Kapitalismus“ (Kleinsteuber 2003, S. 92), so entwickelt der sich wiederum in einem liberalen System, das prinzipiell schon auf einer wohlinformierten Bürgerschaft basiert und dann versucht, Staat und staatliches Handeln durch massive Normen transparent zu gestalten. Zum Gedanken an eine informationelle Selbstbestimmung Einzelner gesellt sich die Idee einer unabhängigen „Vierten Gewalt“. Das geschieht allerdings nicht absolut und unbedingt, und so werden wiederum konkrete Fragen und Interessenskonflikte über politische Entscheide oder vor den Gerichten präzisiert (über die verschiedenen Ebenen des politischen Systems hinweg), einschließlich solcher Fragen, die nicht die Gesellschaft an sich, sondern das politische System und dort das Kernkonzept des Checks and Balances berühren. 3.6 Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission Im Juni 1934 nahm die Federal Communications Commission (FCC) in Washington D.C. auf der Grundlage des Communications Act ihre Arbeit auf. Als Regulierungsbehörde für den Rundfunk ist sie noch heute mit ihren 3.6 Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission 133 <?page no="134"?> rund 2.000 Mitarbeitern und einem Jahresetat von etwa 390 Millionen Dollar ein einflussreicher medienpolitischer Akteur, wobei in den letzen fast 90 Jahren viele Aufgaben weggefallen oder hinzugekommen sind oder sich deutlich verändert haben (vgl. Messere 2008a, S. 164). „The single most important agency in understanding modern communications is the Federal Communications Commission“ (Kang & Butler 2020, S.-27). Vorläufer der FCC war die 1927 durch den Radio Act installierte Federal Radio Commission, die ersten Erfahrungen mit der Regulierung des Rund‐ funks und dem Rundfunkrecht sammelte, das sich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts (z. T. international) formierte. Substantieller Hintergrund des Radio Act und des für die USA doch ungewöhnlichen Eingriffs des Staates in einen Wirtschaftssektor war das „Chaos“ im Äther, das sich in den Anfangsjahren des Radios vornehmlich in den Städten einstellte. „Ab Mitte der 20er-Jahre wurde klar, dass […] keine berechenbare Entwicklung des Mediums mehr möglich war und die Frequenzverteilung nicht dem freien Markt überlassen werden konnte.“ (Kleinsteuber 2003, S. 86) Der mit dem Problem befasste Handelsminister, Herbert Hoover, koppelte die Vergabe der begrenzt verfügbaren Funkwellen an eine - vage formulierte - Gemein‐ wohlorientierung der Betreiber. Dieses interventionistische Staatsverständ‐ nis ist eine frühe juristische Konstruktion der FCC, ihre erste Legitimation: Dass die Frequenzen öffentlicher Besitz sind und nicht vorbehaltlos von Privaten in Anspruch genommen werden dürfen. Für einen kleinen Kreis an Technikenthusiasten kannte man Ähnliches schon aus einem älteren Radio Act von 1912, der für Funkstationen Konzessionen vorsah, den Seefunk regulierte und dabei Amateuren allein kurze Wellenlängen überlies. Mit dem neuen Radio Act von 1927 und dann dem Communications Act von 1934 begann die umfassende Regulierung der drahtlosen Medien in den USA als Spectrum Policy; sie entwickelte sich in Stufen und ruht im Kern auf dem Argument, die Lizenzierung des Rundfunks sei so zulässig wie notwendig, weil dort neben privatwirtschaftlichem Profitstreben ein Interesse der All‐ gemeinheit bestünde und der Rundfunk eine Leistung für die Gesellschaft erbringen müsste: „public interest, convenience and necessity“ (zit. n. Schej‐ ter 2018, S. 478) - öffentliches Interesse, Zweckmäßigkeit, Bedarf. Lizenzen werden für acht Jahre vergeben (nur an amerikanische Staatsbürger) und können nach Überprüfung verlängert werden. Zugleich hatte die FCC von Beginn an Aufsichtsfunktionen beim Telegraphen und dem Telefon, also neben dem Funk auch in der drahtgebundenen Kommunikation; sie wurde zuständig für - so die damalige Defintion - „interstate and foreign commerce 134 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="135"?> 30 Zur jeweils aktuellen Übersicht siehe https: / / www.fcc.gov/ about-fcc/ organizational-c harts-fcc in communication by wire and radio so as to make available […] to all the people of the United States, without discrimination on the basis of race, color, religion, national origin, or sex, a rapid, efficient, nationwide, and world-wide wire and radio communication service with adequate facilities at reasonable charges […]“ (zit. n. Kang & Butler 2020, S. 23). Die FCC bekam dazu Aufgaben von der Interstate Commerce Commission übertragen. Und sie wurde im Gegensatz zu ihrer Vorläuferorganisation auf Dauer angelegt. Geleitet wird die Behörde von einem Führungsgremium mit fünf, vom Präsidenten vorgeschlagenen und vom Senat bestätigten Mitgliedern (an‐ fangs waren es sieben); höchstens drei dieser Commissioner dürfen dersel‐ ben Partei angehören; der Vorsitz wird vom Präsidenten bestimmt; die Amtsperiode beträgt fünf Jahre. Wie bei den anderen Agencies der Bundes‐ regierung liegt das Haushaltsrecht, die Power of the Purse, beim Kongress - der darüber einen gewissen Einfluss ausüben kann. Allerdings steht Medienpolitik eher selten im Zentrum des politischen Denkens auf dem Capitol Hill (vgl. Messere 2008a). Daher hat das Direktorium einen relativ großen medienpolitischen Spielraum, der sich konkret in der Organisation der Bureaus der FCC widerspiegelt. Diese Abteilungen definieren sich meist funktional: Das Media Bureau etwa ist für das Radio, Fernsehen und Kabel zuständig, ein Wireless Telecommunications Bureau u. a. für die mobile Telefonie und das Wireline Competition Bureau überwacht den Wettbewerb und die Preisgestaltung bei den Kabelnetzen. 30 Mit dem Printsektor finden sich damit ab den 1930er-Jahren gleich drei unterschiedliche Regulierungsmodelle. Bei der Presse, wie besprochen, wird die Vielfalt von Nachrichten und Informationen über ökonomische Konkurrenz angestrebt. Dort folgt man dem Laissez Fair-Modell geringer staatlicher Einflussnahme. Eine Behörde wie die FCC hat hier weder Platz noch Zuständigkeit - dafür aber in zwei anderen Mediensektoren, und zwar in unterschiedlicher Form: Im Rundfunk werden die Lizenznehmer als Treuhänder verstanden, also als Vertreter auch der Interessen derer, die nicht über Funkwellen verfügen (Stevenson et al. 2008, S. 5234). Daher dürften, so die grundlegende Philosophie des Modells, Anforderungen an Betreiber gestellt werden, auch inhaltlicher Natur. Im Telekommunikationssektor dagegen folgt man dem Common Carrier-Modell, nachdem Anbieter ihren 3.6 Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission 135 <?page no="136"?> 31 Vgl. https: / / www.fcc.gov/ about-fcc/ what-we-do Service uneingeschränkt, also universell als Infrastruktur und ohne eigene mediale Inhalte anbieten sollen (vgl. Braman 2009, S.-47). In der Selbstbeschreibung der FCC finden sich fünf allgemein gehaltene Aufgaben bzw. Ziele; 31 danach will man angesichts der Entwicklungsdyna‐ mik moderner Kommunikations- und Medientechnologien ■ Wettbewerb, Innovation und Investment in der Breitbandtechnologie fördern; ■ die amerikanische Wirtschaft durch optimale Rahmenbedingungen bei den Medien- und Kommunikationstechnologien wettbewerbsfähig hal‐ ten; ■ die Nutzung von Verbreitungstechnologien national wie international unterstützen; ■ Medienregulierung permanent überprüfen, um einerseits die Entwick‐ lung neuer Technologien und Anwendungen zu fördern, andererseits die inhaltliche Vielfalt insbesondere durch regionale und lokale Bezüge medialer Kommunikation zu stärken; ■ die nationale Kommunikationsinfrastruktur auf hohem technischen Niveau sicher stellen. Einmal abgesehen von derartiger Prospektsemantik: Die FCC hat im Ver‐ gleich zu anderen Institutionen der Medienaufsicht in westlichen Demokra‐ tien einen tatsächlich sehr weit gefassten Aufgabenbereich. In der Telefonie konzentrierte sich die Commission anfangs auf die effektive Verknüpfung der regionalen Märkte und den weiteren kostenintensiven Ausbau des Kabelnetzes (vgl. Bar & Sandvig 2008, S. 540). Die von Beginn an aber wohl wichtigste Aufgabe war die Lizenzierung von Rundfunkstationen verbunden mit dem Auftrag, die kommerzielle Nutzung des Radio-Spektrums grundsätzlich zu ermöglichen. Die Regulierung von Programmen erwies sich für die FCC als ein besonders kritisches, da ambivalentes Terrain. Denn einerseits verbot der Communications Act ausdrücklich jede Form von Zen‐ sur, andererseits sollten die - privilegierten - Lizenznehmer einige inhalt‐ liche Anforderungen erfüllen. Zum wichtigsten und zugleich umstrittensten Regulierungsinstrument sollte hier die Fairness Doctrine werden die nach einer langen Diskussion 1949 formuliert wurde und die bei kontroversen Themen von den Sendern eine ausgewogene Berichterstattung einforderte (vgl. noch Kap. 3.7). Eine derart inhaltliche Vorgabe war politisch kritisch, 136 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="137"?> 32 https: / / www.mtsu.edu/ first-amendment/ article/ 117/ red-lion-broadcasting-co-v-federa l-communications-commission wurde dann aber vom Supreme Court 1969 im Fall Red Lion Broadcasting v. FCC bestätigt - mit der Begründung, das First Amendment sei „relevant to public broadcasting, but it is the right of the viewing and listening public, and not the right of the broadcasters 32 […].“ Das Gericht orientierte sich also an der Idee, die Airwaves seien eine Ressource, die allen gehöre. Was in der Rechtstheorie als allgemeine Vorgabe klar bestimmt und begründet wurde, führte freilich in der täglichen Praxis der Rundfunkunter‐ nehmen zu erheblichen Problemen. So gut wie jeder Versuch der FCC, die Vorgaben exemplarisch zu erörtern, wurde daher mit Kritik und Vorwürfen bedacht: Die Behörde sei paternalistisch, verletze das First Amendment und sei darüber hinaus noch auf dem besten Wege, „to BBC-ize“ den amerikanischen Rundfunk - was wohl besonders bürokratisch klingen sollte (vgl. Pickard 2018, S.-96). Typisch für den kommunikativen Stil der FCC wurde in diesen Jahren das Blue Book, das die Diskussion um die Verantwortung von Lizenznehmern begleitete. Dieses Blue Book - eigentlicher Titel: Public Service Responsibi‐ lities of Broadcast Licensees - definierte und erläuterte vier wesentliche Komponenten eines „public interest“ als Richtlinien, die für die Vergabe und Verlängerung von Lizenzen eine Rolle spielten: Lokale Live-Sendungen, Programme mit Bezug zu öffentlichen Angelegenheiten („public affaires“), Begrenzung der Werbezeit und „sustaining programs“, womit Sendungen gemeint waren, die nicht von Werbebudgets abhängig sind und ein Nischen‐ publikum ansprechen (Napoli 2006, S. 282; Napoli 2019, S. 141). Derart finden sich noch heute vor jeder größeren Regulation so genannte Notice of Propo‐ sed Rule Making, die so etwas wie fernmündliche Anhörungen darstellen und in der Auswertung der FCC Gelegenheit geben, bei der Regulation Dinge zu berücksichtigten, die in der Branche - oder von den Verbrauchern und Bürgern - als problematisch angesehen werden. Gelegentlich gibt man auch Studien in Auftrag, etwa zur Entwicklung eines bestimmten Sektors der Medienwirtschaft (vgl. Garber & Dunaway 2018, S.-46). Jenseits allgemeiner Regulierungslinien arbeitet die FCC durch Pro‐ gramme auch konkret projektorientiert an aktuellen und die Gesellschaft un‐ mittelbar betreffenden Problemen, z.-B. an der Unterstützung von Gemein‐ den und Regionen mit schlechtem Netzanschluss, um mehr Schulkindern einen Internetzugang zu ermöglichen oder das Angebot an Tele-Medizin 3.6 Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission 137 <?page no="138"?> zu vergrößern; oder durch die Erhebung und Bereitstellung von Daten zu etwa Breitband oder 5G, die lokale und regionale Kommissionen und Unternehmen bei beispielsweise Standort- oder Investitionsentscheidungen unterstützen. Hinzu kommen diverse verbraucherorientierte Informations‐ kampagnen wie etwa zur Bekämpfung von unerwünschtem Telemarketing oder Datendiebstahl und mehr. Rein handwerklich orientiert sich die FCC an drei verschiedenen Regelar‐ ten. Erstens Substantive Rules: Gesetzlich bindende Rechte und Pflichten der Kommission bzw. der Wirtschaftsakteure. Zweitens nichtlegislative Regeln, das sind Interpretationen von Statuten und Policy-Statements, mit denen die Kommission erläutert, welche Ziele sie in einem gegebenen Feld verfolgt, wie sie z. B. auf Fehlentwicklungen reagiert oder warum sie Sanktionen zu Verstößen gegen Vorgaben ausspricht bzw. aussprechen würde. Drit‐ tens, schließlich, kennt sie wie andere Behörden Organisationsregeln, nach denen Entscheidungsprozesse gestaltet werden, einschließlich Petitionen, Beschwerdewegen und der Einbindung von z. B. Wirtschaftsverbänden oder betroffenen Unternehmen. Die all dem übergeordnete Delegation von Regulierung durch den Kongress gestaltet sich höchst unterschiedlich. Mal - wie bei den Rundfunklizenzen - ist sie recht allgemein gehalten über die Formulierung grober Kriterien („public interest“), die dann von der FCC selbst präzisiert werden; an anderen Stellen wird respektive wurde der Kongress sehr spezifisch: So hatte er bei der Umstellung vom analogen auf das digitale Fernsehen einen exakten Termin vorgegeben. Systematisch betrachtet ist die FCC als Behörde vergleichbar mit den Kartellrecht-Abteilungen des Justiz- oder des Handlesministeriums: „hori‐ zontal“ orientiert, also zuständig für das ganze Land. Hinzu kommt aber - als vertikale Komponente - ein Power Sharing Arrangement mit von ihr tatsächlich unabhängigen Regulierungsbehörden der Einzelstaaten, Public Utility Commission (PUC) oder Public Service Commission (PSC) genannt, mit unterschiedlichen Rechten und eigenen, von den Gouverneuren ernannten State Commissioners. Diese bundesstaatlichen Kommissionen sind überwie‐ gend angelegt als Wettbewerbsbehörden für den Telekommunikations- und den Energiesektor, gelegentlich für Wasserversorgung. Sie legen Gebühren und Raten fest und befassen sich mit - wie die FCC - Verbraucherfragen und Beschwerden. Besonders relevant sind hier zum einen die Lizenzierung des Kabelfernsehens, der Zugang zum Festnetz, Entwicklung der überwiegend lokal und regional organisierten Kabelnetze sowie das Pricing und die Qualität solcher Dienste. Koordiniert wird die notwendige und aufwendige 138 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="139"?> zwischenstaatliche Regulierung von der National Association of Regulatory Utility Commissioners (NARUC). Mit der Zeit hat sich das Aufgaben- und Regulierungsfeld der FCC insbesondere aufgrund technologischer Entwicklungen verändert, ergänzt oder erweitert: durch das Fernsehen, Satelliten- und Kabeltechnologie, die Digitalisierung, das Internet und die Mobiltelefonie. 1962 erhielt die Kommission noch die Autorität über die junge Satellitenkommunikation in den USA. Die internationale Zusammenarbeit in diesem Sektor fällt nicht in ihren Aufgabenbereich. Auf technischer Seite ist die Kommission zuständig für Standards wie etwa der Festlegung, welche Betreiber welchen ATSC-Standard für Fernsehprogramme entsprechen müssen. Der Children’s Television Act von 1990 präzisiert Anforderungen z. B. zu Werbeformen in Kindersendungen und Pflichtanteilen von pädagogischen Formaten des lokalen terrestrischem Fernsehens - was der FCC zur Kontrolle obliegt. Nach dem Wegfall der Fairness Doctrine 1987 wurde der Cable Act von 1992 eine weitere wichtige Normgebung, die die Kommission seitdem in Teilen beschäftigt (vgl. Hoffmann-Riem 2009, S.-45). Dieser Cable Act fiel in eine Phase des Übergangs von formalistischer Regulierung hin zu einer Öffnung im Sinne eines „marketplace competition“. Sinnbildlich für diese Haltung steht eine einprägsame Äußerung von Mark S. Fowler, Direktor der FCC von 1981 bis 1987: „The public interest is what interests the public“ (zit. n. Paterson 2008, S. 1753; vgl. Napoli 2019, S. 142) - frappierend kompakt (da eine Leerformel) gegenüber den unendlichen Diskussionen und vielen angreifbaren Versuchen, das „öffentliche Interesse“ als abstraktes Konstrukt über diverse normative Kriterien (etwa Vielfalt, Objektivität) zu definieren (vgl. Napoli 2008, S. 2972). Dieser von der Regie‐ rung Reagan vorangetriebene Trend, Marktkräfte über marktunabhängige Qualitätskriterien zu stellen, setzte sich in der Präsidentschaft von Bill Clinton fort im Telecommunications Act von 1996 (vgl. noch Kap. 3.9.1). Der Telecommunications Act liberalisiert die Medienlandschaft in den USA erheblich weiter, insbesondere durch Lockerung von Bestimmungen zur Medienkonzentration. Primär aber suchte man mit ihm Innovationsstimuli durch Regulierungsverzicht in den gerade populär werdenden Onlineme‐ dien (vgl. Hoffmann-Riem 2009, S.-41). Nachdem in den ersten beiden Rundfunkgenerationen bis etwa Mitte der 1980er-Jahre die Frage der Frequenzknappheit die Medienpolitik und die Re‐ gulierungspraxis der FCC (mit-)bestimmte, so prägte die Phase des Postwar Settlement eine ausgesprochen kommerzielle Grundierung; nachdem schon 3.6 Medienaufsicht im Rundfunk: Die Federal Communications Commission 139 <?page no="140"?> beim Radio sich die privaten Rundfunkanbieter gegenüber gemeinwohlo‐ rientierten Initiativen durchsetzten, stand dann auch mit dem Fernsehen Anbietervielfalt und Anbieterkonkurrenz im Fokus „und das Zueinander unterschiedlicher Rundfunkveranstalter wurde primär dem ökonomischen Wettbewerb und nur in zurückhaltender Weise staatlicher Koordination überlassen.“ (Hoffmann-Riem 2009, S. 31-32). „This kept in place a commer‐ cial media system with little public or governmental oversight or challenges from noncommercial media.“ (Pickard 2018, S. 96) Spätestens mit der Kabel- und Satellitentechnologie setzte sich im Kongress überparteilich die Position durch, dass bei den neuen Technologien - Satellit, Kabel und später dem Internet - die Knappheit der Verbreitungswege aufgehoben sei und damit auch Gründe zur Regulierung (vgl. McChesney 2004, S. 49). Im Gegenteil würde sie oft genug einerseits die Rede- und Pressefreiheit beschränken und andererseits den anstehenden Ausbau der neuen Technologien unnötig behindern, statt Investitionsanreize zu setzen. Angesichts der Palette der Zuständigkeiten verwundert es kaum, dass die Arbeit der FCC von reichlich Kritik begleitet wurde und wird. Die Frage der Lizenzierung war hier von Beginn an problematisch; so hatte der Radio Act bereits die Anzahl der Rundfunksender auf etwa ein Viertel reduziert - und es verschwanden insbesondere kleine Stationen oder solche, die von Non- Profit-Organisationen unterhalten worden waren (vgl. McChesney 2004, S. 45). Die heftigsten Konflikte ergaben sich, wenn gleich mehrere Antrag‐ steller sich um eine Frequenz bemühten. Nachdem die FCC lange einen recht bürokratischen Auswahlprozess vorsah, ist der Kongress inzwischen dazu übergangen, freie oder freiwerdende Frequenzen zu versteigern. Ähnlich entbrannte dann beim Fernsehen eine Debatte, ob es der FCC nicht eher darum ginge, unter dem Schutzschirm diverser Regulationen neue Wettbewerber zu benachteiligen; beispielsweise wurde der Behörde zwischen 1962 und 1970 bei gleich fünf Gelegenheiten vorgeworfen, die etablierten Rundfunkanbieter vor einem Wettbewerb mit Kabelfernsehsen‐ dern oder Networks zu schützen, die die Hollywood-Studios aufbauen woll‐ ten (Meehan & Torre 2011, S. 68-69). Über die auch für die FCC besondere Frage des Public Interest und der Durchsetzung der Fairness Doctrine wird im Anschluss noch näher gesprochen. Hier anzumerken bleibt, dass die FCC sich auch dort als kaum beschwerdefähig erwies, d. h. es wurden so gut wie nie Sanktionen ausgesprochen, und wenn meist nur, wenn Gerichte dazu aufforderten. Das mag daran liegen, dass die Kommission in ihrem originären Aufgabenbereich oft unter starkem politischem Druck steht und 140 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="141"?> - nach Ansicht ihrer Kritiker - zu wenig proaktiv z. B. mit Blick auf neue technologische Gegebenheiten mit eigenen Initiativen agiert (vgl. Graber & Dunaway 2018, S.-47). 3.7 Die Fairness-Doctrine Eine wichtige und zugleich die wohl umstrittenste Regulierung der ameri‐ kanischen Mediengeschichte war die Fairness Doctrine (FD) (vgl. Calabrese 2014, S. 182-183; Hoffmann-Riem 2009, S. 59). Sie wurde 1949 von der Federal Communications Commission formuliert - geht in Grundzügen aber auf den Radio Act von 1927 zurück - und 1987 schließlich im Zuge der De-Regulierungspolitik der Präsidentschaft Reagan wieder abgeschafft. Die FD verpflichtete Rundfunkveranstalter, also Radio- und Fernsehsender, im Kern zu zweierlei: Dass sie, erstens, kontroverse Themen von allgemeiner Relevanz angemessen präsentieren und ihnen hinreichend Sendeplatz ein‐ räumen. Zweitens, dass sie unterschiedliche Positionen und politische Mein‐ ungen zu solchen Themen fair behandeln, also gegensätzliche Standpunkte in gleichem Maße berücksichtigen. Im Wortlaut (Ausschnitt): „Broadcast licensees have an affirmative duty generally to encourage and implement the broadcast of all sides of controversial issues over their facilities, over and beyond their obligation to make available on demand opportunities for the expression of opposing views. It is clear that any approximation of fairness in the presentation of any controversy will be difficult if not impossible of achievement unless the licensee plays a conscious and positive role in bringing about balanced presentation of the opposing viewpoints.“ (Zit. n. Youm 2008, S.-1717) Forderungen nach Überparteilichkeit und ausgewogene Berichterstat‐ tung finden sich in praktisch allen westlichen Demokratien als Qualitätskri‐ terien des Journalismus und in höchst unterschiedlicher Form, als Branchen‐ kodizes, in Redaktionsstatuten oder etwa wie in der Bundesrepublik u. a. im Rundfunk explizit als Programmauftrag (an die öffentlich-rechtlichen Veranstalter). Eine behördliche Regulation - nach Ansicht ihrer Kritiker rundweg eine Anweisung - wie die Fairness Doctrine ist dagegen eher selten. Unmittelbarer Hintergrund der Doktrin war die Hutchins-Kommission (→ Kapitel 3.4) und ihr Abschlussbericht von 1947, der dem Journalismus - pauschal - in Hinblick auf das „öffentliche Wohl“ Verantwortung zuschrieb für eine wahrhaftige Berichterstattung: „a truthful, comprehensive and in‐ 3.7 Die Fairness-Doctrine 141 <?page no="142"?> telligent account of the day’s events in a context which gives a meaning“ (zit. n. Coleman 2019, S. 337). Mittelbar ging sie zurück auf eine ältere Debatte um die Rolle als Treuhänder, die Lizenznehmer im Rundfunk einnehmen würden. Derart beruhte die FD also auf dem Gedanken, Profit dürfe nicht die einzige Kraft sein, die Broadcasting bestimme; neben schnöder Unterhaltung bestehe ein öffentliches Interesse an Information und Orientierung (die der Markt nicht zwingend selbst hervorbringe). Verhindert werden sollte kon‐ sequenterweise auch, dass Rundfunkunternehmer aus ihrer privilegierten Position heraus einseitig Stellung bezögen (vgl. Conrad 2008): Kein Sender solle Propagandainstrument einer Partei oder Religionsgemeinschaft oder gar Regierung sein. Für europäische Nachkriegsohren klingt das einigerma‐ ßen vernünftig. Im Amerika der späten 1940er-Jahre wurde das rasch als staatliche Gängelung gelesen (vgl. Hemmer 2016, S.-115). Dabei blieben Begriffe wie „öffentliche Interesse“, „Ausgewogenheit“ oder eben „Fairness“ weitgehend unbestimmt, so vage wie die Kernkonzepte der Norm „kontroverse Themen“ und „adäquate Antwortmöglichkeiten“: Ein Alptraum geradezu im journalistischen Tagesgeschäft. Und so stand die FD rasch sinnbildlich für Staatsinterventionismus und bürokratischen Unsinn. Entsprechend sah sich die FCC immer wieder gezwungen, Sinn und Zweck der Norm zu vermitteln und zu konkretisieren, beispielsweise mit Broschüren (dem Fairness Primer), die mit dutzenden exemplarischen Fällen die Anwendung der Doctrine anleiteten und Verantwortungsbereiche beschrieben (Hemmer 2016, S.-124). Vor allem folgten der anhaltenden Kritik 1959 und 1967 gleich drei neue Normen, die die Doktrin präzisierten bzw. erweiterten. Zunächst die Equal Time Rule für politische Kampagnen, die auf Paragrafen im Radio Act bzw. dem Communications Act aufbaute: Der Logik folgend, dass bei Themen von öffentlichem Belang alle Seiten gehört werden sollten, findet sich hier die Vorgabe, im Wahlkampf Werbezeit günstig bereitzustellen. Insbesondere solle allen qualifizierten Kandidaten für ein Amt gleichermaßen Raum zur Selbstdarstellung gegeben werden (Kang & Butler 2020, S. 167). Was sich vordergründig schlicht fair ausmacht, zeigt exemplarisch - knapp - die praktischen Probleme, die sich damit verbanden: Fällt darunter wirklich jede Äußerung, auf die das jeweils andere Lager reagieren können sollte? Wie wäre balancierte Berichterstattung zu messen - in Sekunden Air Time? Und wenn es Kandidaten an Mitteln für bezahlte Werbung mangelt, sollte ihnen dann trotzdem äquivalente (Werbe-)Zeit zugestanden werden (Hemmer 2016, S. 67)? Müssen die Sender selbst klären, welche Bewerber um ein 142 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="143"?> Amt für entsprechende Ausgleichszeiten qualifiziert wären - denn es waren gelegentlich Dutzende, die sich in den Wahlbezirken anmeldeten? Für die späteren Fernsehdebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten wurde die Equal Time-Regel übrigens formell ausgesetzt, weil es (zumindest auf dem Papier) hunderte von Präsidentschaftskandidaten gab (vgl. Lepore 2020, S. 730). Es folgten noch 1967 die Personal Attack Rule und die Political Editorial Rule. Die erste verlangte von den Sendern, Personen oder Gruppen über Kritik an ihnen zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zu geben, Vorwürfe zu klären und ggf. Gegenargumente vorzutragen. Die Editorial Rule verlangte - ähnlich - im Fall eines Endorsements, einer Wahlempfeh‐ lung durch den Rundfunkveranstalter, dass die übrigen Kandidaten davon unmittelbar informiert werden müssten - ebenfalls verbunden mit der Möglichkeit, auf dem Sender zu reagieren (vgl. Conrad 2008, S.-163). Wie leicht vorstellbar ist, brachten solche Regeln nicht nur rein praktische Fragen mit sich, sondern hatten insbesondere für das konservative Amerika einen faden Beigeschmack. „For conservative broadcasters, whose programs were by definition controversial, the uncertainty and vagueness surroun‐ ding the doctrine fed their suspicious that it was a nefarious instrument of government suppression.“ (Hemmer 2016, S. 115) Staatsinterventionismus vs. Selbstbestimmung: Öffentliches Interesse, das sei ganz grundsätzlich eine Frage des Marktes, nicht einer Behörde (Lepore 2020, S. 830). Darüber hinaus sei ein „chilling effect“ (Youm 2008, S. 1717) zu befürchten: Dass nämlich die Sender kontroverse Themen - und das seien konservative Themen so gut wie immer - schlicht meiden würden, um einer per Dekret aufgeblähten Berichterstattung zu entgehen. Erschwerend für diese Position kam hinzu, dass die FCC ankündigte, sich das Sendematerial selbst anzuschauen - zu kontrollieren, könnte man das auch nennen -, und dabei auf Codes zu achten wie „Americanism“, „Anti- Communism“ und „State Rights“: Mitte und Ende der 1960er-Jahre verbrei‐ tete Platzhalter für verdeckte Botschaften gegen die Bürgerrechtsbewegung. Damit stand die Doktrin selbst rasch für eine lange Liste rechtskonservativer Beschwernisse: übergriffige Regierung, Einschränkung der freien Rede, systematische Bevorzugung linker Positionen in den Mainstream Media und mehr. „As such, opposition to the Fairness Doctrine transformed from a specific political complaint into a fundamental part of the conservative creed, helping construct and reinforce the right’s oppositional identity.“ (Hemmer 2016, S.-124) 3.7 Die Fairness-Doctrine 143 <?page no="144"?> 1969 befasste sich dann der Supreme Court im Verfahren Red Lion Broad‐ casting v. FCC mit der Fairness Doctrine (→ Kapitel 3.3.5). Das Gericht akzeptierte in einem einstimmigen Entscheid den Kerngedanken, dass die Sender in der Tat zu inhaltlichen Vorgaben angehalten werden könnten und entwickelte aus dem First Amendment eine soziale Rechtsperspektive, die aufgrund der Knappheit der Frequenzen den Interessen und demokratischen Bedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber der Meinungsfreiheit einzelner Redaktionen, Journalisten oder Medienunternehmern den Vorrang gibt. Ruhe war damit insofern nicht, als das Gericht in diesem Fall ein Recht auf Gegendarstellung präzisierte und dieses Right of Rebuttal überwiegend die meinungsstarken konservativen Radiosender beschäftigte (Graber & Dunaway 2018, S.-67). Spätestens mit der Red Lion-Entscheidung galt die FD aber verbreitet als eine gesetzliche Vorgabe; jedenfalls wurde sie so von den Gerichten und der FCC behandelt - bis 1986 ein Appellationsgericht auf Bundesebene die Doktrin als administrative Anordnung definierte, als Statutory Requirement. Das war historisch betrachtet insofern kein Zufall, als in den 1980er-Jahren der Ansatz der FD neuerlich in Frage gestellt wurde, da nun allzu deutlich mit dem Aufkommen der Kabel- und Satellitentechnologie der Knappheit der Frequenzen mit einer Vervielfachung neuer Verbreitungswege begegnet werden konnte. Als die FD 1949 erlassen worden war, existierten in den USA knapp 3.000 Radiostationen und etwa 100 Fernsehsender. 1989 waren es mehr als 10.000 Radiostationen und rund 1.400 Fernsehsender. Nach dieser Entscheidung, die Fairness Doctrine allein als regulatorische Anordnung zu verstehen, verlagerte sich die Auseinandersetzung in den Kongress, da die Demokraten sofort versuchten - und damit scheiterten -, die Doktrin in Gesetzesform zu gießen, ein Vorhaben, das sie zwar durch beide Häuser brachten, das dann aber von Präsident Reagan mit einem Veto belegt wurde. Schließlich wurde die FD 1987 im Zuge der De-Regula‐ tionspolitik von der FCC abgeschafft. Schon zuvor hatte der von Reagan eingesetzte Direktor, Mark Fowler, in einer vielzitierten Formulierung das Fernsehen und seine Unternehmer von allen lästigen Pflichten befreit: Denn TV-Sendungen seien grundsätzlich nicht von anderen Konsumprodukten zu unterscheiden, „television“ sei nur ein „toaster with pictures“ (zit. n. Peck 2019, S. 57), ein Haushaltsgerät also, dem Regulatoren keinerlei besondere Aufmerksamkeit widmen sollten (vgl. Napoli 2011, S.-15). Während die Abschaffung der Fairness Doctrine überwiegend mit der Reagan-Regierung und den Republikanern im Kongress in Verbindung 144 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="145"?> gebracht wird, so begannen Überlegungen zur De-Regulation der Medien‐ branchen durch die technologischen Entwicklungen insbesondere bei der Telekommunikation schon in der Vorgängerregierung Cater. De-Regulation: das meinte seinerzeit die Abkehr von jenem - vage umrissenen - öffentli‐ chen Interesse, hin zu einer ökonomischen Rationalität in weiten Teilen des Mediensektors (Calabrese 2014, s. 182-183). Das Ende der FD wurde dabei als wichtiges Signal einer Stärkung dieses überwiegend ökonomischen Interesses an Medien gelesen. In der Folge haben die Demokraten im Kongress verschiedentlich ver‐ sucht, die Fairness Doctrine oder zumindest ähnlich gelagerte Normen wieder einzuführen: 1989, 1993 und 2005 mit dem Fairness and Accountability in Broadcasting Act und dem Mediaship Reform Act - jeweils vergeblich. Bezeichnend für die Folgen der Abschaffung der FD, dass diese Versuche auch unter dem Schlagwort hush Rush Bills firmierten (vgl. Hemmer 2016, S. 260): Denn unmittelbar mit ihrem Ende ging Rush Limbaugh - der „Namensgeber“ des Stichwortes - mit seinem Talkradio 1988 auch national auf Sendung, einem „three-hour shock-jock right wing talk radio“ (Benkler et al. 2018, S. 321). Nun sahen sich Rundfunkbetreiber, die unter einer Lizenz der FCC operierten, an keinerlei Qualitätsstandards gebunden. Und Limbaugh wurde nicht nur selbst ungeheuer erfolgreich, sondern zum Vorbild buchstäblich hunderter Radio Talks im Krawall-Stil. Waren es 1987 schon etwa 240 solcher Talkradiosender, so sind es 1990 bereits rund 900 (Lepore 2020, S.-858). Die neuen Möglichkeiten standen natürlich dem ganzen politischen Spektrum offen, wurden aber gerade vom Amerika der Republikaner an- und aufgenommen. Denn dort sah man sich schon länger einem liberalen Bias der Mainstream Media ausgesetzt, einem tendenziösen Journalismus, der eine „linke Agenda“ Amerikas unter dem Schutzschild der Fairness Doctrine festschriebe. Was für die gegenwärtige politische Kommunikation in den USA kaum zu unterschätzen ist: Es entstand ein konservatives Talk Radio zu dem sich später Fox News gesellte. „[A] new breed of political broadcasting captured much of the audience; opening the way to conservative cable television outlets like Fox News.“ (Paterson 2008, S. 1754; → Kapitel 6.1) Was hier schon für die Hutchins Commission angesprochen wurde, gilt auch für die Fairness Doctrine: Bezeichnend für den in Teilen ausnehmend parteipo‐ litisch orientierten politischen Journalismus in den USA, dass Forderungen nach einer „neuen“ Fairness Doctrine in den letzten Jahren vermehrt zu hören und zu lesen sind. 3.7 Die Fairness-Doctrine 145 <?page no="146"?> 3.8 Regulierung des Fernsehens Während das Pressewesen der meisten westlichen Demokratien überwie‐ gend staatsfern und über Formen der Selbstregulation organisiert wird, wurden mit dem Radio und später dem Fernsehen Regelmodelle mit auch inhaltlichen Vorgaben eingeführt. Sie betreffen weniger den Rundfunk-Jour‐ nalismus, mehr die Rundfunk-Anbieter. Wie schon angesprochen, geht das im Kern zurück auf eine Spectrum Policy: Durch die Knappheit des Funkwellenspektrums ergäben sich besondere Aufgaben, die legitim von Rundfunkbetreibern eingefordert werden könnten, etwa Nachrichten und Informationsformate. In den USA hat sich dabei die Vorstellung durchge‐ setzt, ein in weiten Teilen rein kommerziell orientiertes System - auch permissive Broadcasting genannt, freizügiger Rundfunk (Sadler 2008) - würde als Marketplace of Ideas entsprechende Leistungen erbringen. Dem‐ gegenüber wurden in anderen Ländern, z. B. in Großbritannien mit der BBC oder in der Bundesrepublik Deutschland (nach dem Vorbild der BBC) mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ausdrücklich Anbieter geschaffen, die sich nicht bzw. nur in Teilen über Werbung (und den Publikumsmarkt) finan‐ zieren und über ihre Programme und Formate eine vielfältige, informierte Meinungsbildung unterstützen würden. Zudem wird dieses Public Service Broadcasting mit seinen Programmaufträgen von Gremien kontrolliert - Gremien, die die Gesellschaft repräsentieren und spiegeln sollen, bei der BBC etwa das Board of Governors, in Deutschland die Rundfunk- und Fernsehräte. Mit diesem knappen Vergleich sind im Grunde bereits die wesentlichen Kategorien angesprochen, über die in den folgenden Kapiteln die Regulie‐ rung des Fernsehens in den USA dargestellt wird: Mit der Lizenzvergabe verbindet sich unmittelbar, erstens, bestimmte Medienunternehmen als Fernsehveranstalter zuzulassen (und andere nicht): also Medienbesitz und darüber Medienkonzentration. Eine zweite, mit der Fairness Doctrine schon angedeutete Kategorie bilden konkrete Inhalte bzw. inhaltliche Erwartun‐ gen. „This was a dramatic departure from the government’s much more arms-length relationship with the print media.“ (Napoli 2019, S. 80) Trotz seiner ausgeprägten kommerziellen Orientierung kennt das amerikanische Fernsehen Ansprüche etwa hinsichtlich eines öffentlichen Interesses an gehaltvoller Politikberichterstattung. Das verbindet sich, drittens, mit orga‐ nisatorischen Fragen, konkret die Einführung und Gestaltung des amerika‐ nischen Public Television, das in den 1960er-Jahren initiiert wurde. 146 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="147"?> Dabei werden für die Regulierung neben der Organisationsform des Senders drei Verbreitungswege des Fernsehsignals unterschieden. Broad‐ cast Television bezieht sich auf Signale, die „over the air“ direkt an eine Hausantenne gesendet werden (Over-the-Air-Television, OTT); im deutschen Sprachraum spricht man von „terrestrischem Fernsehen“. Cable Television bezieht sich auf die Übertragung mittels eines erdgebundenen Kabels. Und schließlich Satellite Television meint natürlich ein Satellitensignal in Verbund mit einem entsprechenden Empfangsgerät. Gelegentlich fasst die FCC die Verbreitungswege Kabel und Satellit als Multichannel Video Programming Distributors (MVPDs) zusammen. 3.8.1 Regulierung des Fernsehens: Medienbesitz, Medienkonzentration Obwohl sich in der Frage der künftigen Rundfunkordnung in den 1930er- Jahren ein privat-kommerzielles Modell etablierte, wurde das Radio den‐ noch auch als Informationstechnologie verstanden, die als ein wertvolles - öffentliches - Forum gesellschaftliche und politische Teilhabe fördern könnte. Insbesondere auf lokaler Ebene, in akademischen Einrichtungen, in Gemeinschaftseinrichtungen wie Bibliotheken oder bei zivilgesellschaft‐ lichen Akteuren wie der American Civil Liberty Union fanden sich Initiativen, die dem sich abzeichnenden kommerziellen Rundfunk nichtkommerzielle Elemente wie pädagogische Programme beifügen wollten (vgl. McChesney & Nichols 2010, S. 146; Wu 2017a, S. 86). Allerdings setzten sich im Gegensatz zu anderen Staaten, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigten, nahezu ausschließlich ökonomische Konzepte durch, was Capture Theory genannt wird: Die Wirtschaft und ihre Lobby hätten die für die Rundfunkordnung zuständige Behörde, die Federal Communications Commission „eingefangen“ (vgl. Kleinsteuber 1996b, S. 38). Zwar hatte man in die Lizenzverfahren ein von den Antragstellern zu beachtendes Public Interest als Voraussetzung definiert - das blieb aber lange nur vage definiert und hatte zunächst keine strukturellen Folgen auf Medienbesitz oder Medienkonzentration. Prägend für diese Ordnung wurde dann - zunächst für das Radio, später auch das Fernsehen - das System der Networks, der Big Three: NBC, CBS und ABC, die bis in die 1980er-Jahre ein Oligopol bildeten und zumindest auf der nationalen Ebene zusammengenommen eine hohe Medienkonzentration aufwiesen (vgl. Knüpfer 2016, S. 328). Medienkonzentration bezeichnet „eine Zusammenballung ökonomischer (Umsatz von Medienunternehmen) 3.8 Regulierung des Fernsehens 147 <?page no="148"?> und publizistischer Größen (Auflage von Titeln oder Reichweite von Sen‐ dern)“ (Puppis 2007, S. 78). Ökonomische und publizistische Konzentration hängen also zusammen, und da insbesondere für die demokratische Mei‐ nungsbildung (massen-)medienvermittelte Kommunikation eine zentrale Rolle spielt, hat sich in den westlichen Demokratien die Regulierung von Medienbesitz über das Kartellrecht hinaus insbesondere beim Rundfunk als wichtiges Motiv des Politikfeldes etabliert (vgl. Seufert 2018, S. 12). Primär soll „Medienmacht“ und damit potenziell „Meinungsmacht“ konzentriert bei einzelnen Personen oder Gruppen verhindert und Vielfalt der Informa‐ tionsangebote erhalten werden. Das gilt auch für die USA, obwohl der Rundfunk dort im internationalen Vergleich wenig reguliert wird. Wenn in der Anfangsphase des Radios das Argument der Knappheit der Frequenzen eine zentrale Rolle spielte, so hatte beim Fernsehen spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg die Frage eines möglichen Missbrauchs des neuen Mediums zu Propagandazwecken besondere Brisanz. „State controlled radio had played a major role in the internal and external propaganda effects before and during the Second World War and in the emerging Cold War. The extension of such power to private parties was seen as quite dangerous.“ (Noam 2016, S. 67) Hinzu kam die sich abzeichnende Reichweite und Verbreitung des Fernsehens - was nachgerade eine Unvermeidbarkeit seiner Inhalte mit sich brachte und das Argument stützte, ein derart wirkmächtiges Medium müsse Regeln folgen. Tatsächlich kennen die USA den regulatorischen Eingriff in Besitzverhält‐ nisse bei Medien, wenn die Vielfalt der öffentlichen Kommunikation in Frage steht. Medienspezifische Normen orientieren sich dabei zum einen am Verbreitungsgebiet, den Zielmärkten - z. B. lokale, regionale und nationale Sender und Märkte - und dem Bevölkerungsanteil, der auf diesen Märkten erreicht wird (so genanntes Ownership Cap), zum anderen an der cross-medi‐ alen Dimension, also an der Frage, inwiefern Eigentum an unterschiedlichen Medientechnologien und -verbreitungswegen ein Konzentrationsproblem darstellen könnte. Dabei hatte die FCC schon beim Radio strukturell in die Rundfunkordnung eingegriffen. Mit dem Report on Chain Broadcasting expandierte die Kom‐ mission 1941 ihre Kompetenzen und führte eine Duopoly-Regel ein (vgl. Chambers & Howard 2006, S. 367-368): Ein Unternehmen durfte damit nur einen nationalen Radio- oder Fernsehsender besitzen; das betraf in erster Linie die Networks, über die die FCC zwar kaum direkte Jurisdiktion besaß, die aber über ihre mittelbare Beteiligung an den Affiliates normiert werden 148 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="149"?> konnten. Nachdem der Supreme Court 1943 im Verfahren NBC v. United States dieses Argument der Behörde stützte, musste NBC, das bis dahin zwei nationale Sender betrieb (NBC Red Network, NBC Blue Network), sein „Blaues“ Unternehmen verkaufen - das nun eigenständig und in neuem Besitz als ABC firmierte und die Big Three vervollständigte. Ergänzt wurde das noch durch die Norm, kein Unternehmen dürfe mehr als einen Sender in einem Markt unterhalten - was die lokale Vielfalt stärken sollte. Über einen solchen Publikumsmarkt hinaus war den Lizenznehmern insgesamt der Besitz von maximal sechs Radiosendern und fünf (zunächst sogar nur drei) Fernsehstationen erlaubt. Auch die einflussreiche Hutchins Commission erwähnte in ihrem Bericht von 1947 das ökonomische Konzentrationsproblem vornehmlich als eine Frage der Meinungsmacht, wobei man davon ausging, dass sich in modernen Massenökonomien unvermeidlich ein Trend zur Medienkonzentration er‐ gebe (und der Staat regulativ tätig werden sollte). Parteipolitisch betrachtet sind Republikaner dabei traditionell Vertreter einer market-driven Medien‐ landschaft, eines Modells, nach dem sich die wünschenswerte Vielfalt durch Angebot und Nachfrage auch im Medienmarkt einstellen würde, ohne dass der Staat eingreifen müsse. Hingegen - wie in Europa - sind es vornehmlich progressive politische Gruppen, Journalistenverbände, Sozialverbände und Gewerkschaften, die Eingriffe in Konzentrationsprozess für notwendig erachten. Aus dem First Amendment werden dabei verschiedene Positionen abgeleitet: Von der Vorstellung einer auch in Medienfragen hochgradig limitierten Regierung bis hin zu dem Argument, in der Presse- und Medien‐ freiheit spiegele sich unmittelbar der Gedanke eines auch aktiven Schutzes der Branche (und darüber der Gesellschaft) vor Konzentrationsfolgen (vgl. Baker 2002, S.-1-7). Wenn in den USA die Fusion von Medienunternehmen ansteht, dann sind - in der Regel zumindest - zwei Behörden beteiligt: Das Justice Department und mit ihm die Federal Trade Commission, erstens, setzen sich mit Kartell‐ fragen auseinander, mit ökonomischen Kennwerten und den Auswirkungen einer möglichen Unternehmensfusion auf die betroffenen Märkte. Die FCC, zweitens, schaut auf das traditionelle Leitmotiv der US-Medienpolitik, das öffentliche Interesse: Welche sozialen oder politischen Folgen das Vorhaben hat und inwiefern eben die Vielfalt und die lokale Orientierung der Bericht‐ erstattung betroffen sein könnte. In solchen Verfahren kommt dann durch die Beteiligung der Kommission nicht nur metaphorisch dem Marketplace of Ideas eine ähnliche Bedeutung zu wie dem ökonomischen Marktplatz. 3.8 Regulierung des Fernsehens 149 <?page no="150"?> Für die FCC ist der eigentliche Mechanismus dazu die Lizenzierung (vgl. Napoli 2019, S. 141). Fernsehen und Radio werden einzeln lizensiert; das spätere Kabelfernsehen fällt - da es keine Funkwellen belegt - nicht in die Kompetenz der Kommission, sondern wird dann von den Einzelstaaten oder den Kommunen konzessioniert. Es sei denn, was gelegentlich der Fall ist, die Kabelunternehmen nutzen an einer Stelle ihres Netzes eine Form der drahtlosen Übertragung oder einen Satelliten; dann kommt wiederum die FCC ins Spiel. Die so genannten Direct-to-Home-Satelliten werden eben‐ falls von der Regulierungskompetenz der Kommission erreicht. Lizenziert werden die Networks als Unternehmen selbst nicht, da sich das auf die eigentlichen Nutzer des Funkspektrums, die lokalen Stationen beschränkt. Das erlaubt dennoch eine mittelbare Einflussnahme, und so gilt schon lange z. B. die Regel, kein Unternehmen darf mehr als eines der großen vier Networks besitzen: ABC, CBS, NBC und Fox. Ausländer oder Vertreter von ausländischen Organisationen einschließlich Regierungen erhalten in den USA keine Rundfunklizenz; eine Beteiligung an amerikanischen Rundfunk‐ unternehmen ist ihnen bei 25-Prozent gesetzlich gedeckelt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich das amerikanische Me‐ dienkonzentrationsrecht mit den sich rasch verbreiteten Rundfunkmedien und später den neuen Netztechnologien selbst weiterentwickelt. Dabei kann man als grobe Trendlinie festhalten: Bis etwa Anfang der 1980er-Jahre hielt man an dem demokratietheoretischen Argument fest, es ginge in erster Linie um die Vielfalt unabhängiger (journalistischer) Stimmen. Bis dahin hatten sich die Normen zwar in Details verändert, aber kein Revirement erfahren, kein grundsätzliches Umdenken. Das beginnt in der Präsidentschaft Ronald Reagans mit dem Satelliten und dem Kabel - und dann verstärkt mit dem Internet. Bis zur De-Regulierungspolitik durch die Regierung Reagan zielte die FCC im Wesentlichen darauf ab, Medienkonzentration auf dem lokalen Markt des terrestrischen Fernsehens zu unterbinden. Nur in Fällen, in denen etwa Zusammenlegungen von Unternehmen als letzte Möglichkeit gesehen wurde, den lokalen Rundfunk überhaupt zu erhalten, waren Ausnahmen möglich. Das wiederum änderte sich zum einen mit dem konservativen Policy-An‐ satz Ronald Reagans, der mit einer weit gefassten De-Regulierungspolitik in vielen Sektoren der Wirtschaft einher ging. Insbesondere glaubte man mit der eben expandierenden Kabelindustrie und den Möglichkeiten der Sa‐ tellitentechnologie sei vorherrschende Meinungsmacht durch Medienbesitz zu vernachlässigen und verfolgte eine spürbare Entflechtung der Normen 150 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="151"?> (vgl. noch Kap. 3.9). Kartellrechtlich interessante ökonomische Leitwerte zu Markt und Wettbewerb blieben aber gleichwohl relevant; entsprechende Richtlinien sehen z. B. immer noch vor, Marktmacht zu Lasten der Verbrau‐ cher zu unterbinden, allerdings mit der bemerkenswerten Position, dass die Informationskosten (z. B. Kabelgebühren) das ausschlaggebende Kriterium sind, nicht eine inhaltliche Informationqualität (vgl. Baker 2002, S. 28-30). Auch die Clinton-Regierung folgte Mitte der 1990er-Jahre dieser Linie und hob eine einschränkende Norm zu Cross-Media-Ownership auf (den bis dahin verbotenen Besitz eines Kabelnetzes und eines Fernsehsenders), was wiederum maßgeblich einige große Unternehmensfusionen förderte, die „mega-mergers“ der 1990er-Jahre. Die zentrale Argumentation zugunsten einer zurückhaltenden Regulierungspolitik der Clinton-Administration war durch den so teuren wie notwendigen Ausbau der Breitband-Infrastruktur geprägt; dort wollte man Investitionsanreize für private Unternehmen setzen. Etwa gleichzeitig vereinheitlichte der Cable Act von 1992 auf lokaler und regionaler Ebene die Rechtsgrundlagen für die Kabelunternehmen, die von den Einzelstaaten oder den Gemeinden konzessioniert werden (vgl. Hoffmann-Riem 2009, S. 45). Eigentlich sind die Kabelnetze in den USA, im Kern zumindest, unreguliert - aber es gibt Ausnahmen. Inzwischen hat der Supreme Court das Kabel zumindest in Teilen als ein Medium definiert, das dem Fernsehen ähnlich sei - weshalb die FCC dort in Teilen Regulierungs‐ kompetenz besitze (vgl. Napoli 2019, S. 147). Damals war das Kabelfernsehen noch eine recht übersichtliche Veranstaltung und das Internet noch kein Faktor, sollte es aber innerhalb weniger Jahre werden. Da gerade in der Auf‐ bauphase des Kabelfernsehens die Betreiber der Netze ihre Monopolstellung zu Preiserhöhungen nutzten, sah das Gesetz einerseits Must Carry-Regeln für lokale Sender vor, andererseits beschränkte es die Gebühren, die die Netzbetreiber erheben durften (vgl. Rosenbach 1996). Besonders kompliziert werden Verhandlungen um Konzessionen oder ihre Verlängerungen im Kabelnetz meist dann, wenn der Kabelbetreiber durch sein Senderportfolio als Superstation agiert - das sind eigentlich netzgestützte Sender, die aber über Satelliten in andere Teile des Landes diffundieren, sei es in andere Kabelnetze, sei es als direktes Satellitensignal z. B. in rurale Gegenden (und ggf. mit eigenem Programmschemata). Im Einzelnen zur Medienkonzentration im Rundfunk: Nachdem anfangs der Besitz von sechs Radio- und fünf Fernsehsendern in einer Hand erlaubt war, wurde 1953 im Zuge der Erweiterung des von der FCC freigegebenen 3.8 Regulierung des Fernsehens 151 <?page no="152"?> Spektrums die so genannte 7-7-7-Regel eingeführt. Ein Unternehmen durfte danach national je sieben Stationen im FM-Radio (Frequenzmodula‐ tion) und im AM-Radio (Amplitudenmodulation) sowie sieben Fernsehsen‐ der besitzen, was aber bis Ende der 1960er-Jahre nur die Networks betraf. Diese Regel wurde 1985 auf 12-12-12 erweitert; wobei hier zusätzlich der Publikumsanteil in einem Markt maximal 25 Prozent ausmachen durfte. Und auch das wurde 1994 auf 20-20-12 erweitert. 1999 wurden dann für ein Sendegebiet Duopole möglich, wenn keiner der beiden Sender über dieser 25-Prozent-Marke lag oder einer von ihnen über Satellit verbreitet wurde. Zugleich änderte sich das Verfahren dahingehend, als nun Unternehmen auf dem nationalen Markt so viele TV-Lizenzen erwerben können, bis sie 39 Prozent der Haushalte im ganzen Land erreichen (in Metropol-Regionen aber maximal zwei Lizenzen). Bis 2016 gab es hier noch eine als Grandfather Clause bekannte Zusatzklausel: Wenn das Fernsehsignal bestehender Unter‐ nehmen über die (alten, technisch überholten) UHF-Frequenzen übertragen wird, liegt diese Schwelle bei 78 Prozent. Heute werden, auch das eine Detailänderung, nur 50 Prozent der UHF-Reichweite eingerechnet (vgl. Knüpfer 2016; S.-331). Ein mit dem Internet und abwandernden Werbebudgets verbundenes Problem ergab sich 2013, als fast 300 lokale Fernsehstationen von größeren Medienunternehmen aufgekauft wurden - eine deutliche Steigerung gegen‐ über dem Vorjahr, wobei eine ähnliche Spitze bereits 2006 zu beobachten war (vgl. Pew Research 2014). Diese Entwicklung wurde durch Joint Service Agreements oder auch Local Marketing Agreements forciert, Vereinbarungen, mit denen eine Regel umgangen wurde, nach der ein Unternehmen nur eine der Top-Vier-Lokalstationen auf einem Fernsehmarkt besitzen durfte. Die Agreements waren Minderheitsbeteiligungen, die nicht in die Berech‐ nungen der Konzentration auf dem lokalen Werbemarkt einflossen. Die FCC reagierte im Jahr darauf mit einer neuen Anweisung, nach der solche Absprachen untersagt wurden, sobald eine Station mit über 15 Prozent ihrer Werbezeit für einen anderen Sender warb. 2017 beseitigte die FCC schließlich eine Reihe von Regeln für lokale Märkte, insbesondere eine Cross-Ownership-Vorgabe; nunmehr durfte ein Unternehmen auf einem solchen Markt sowohl Radioals auch Fernsehsta‐ tionen betreiben und konnte dort zudem Zeitungen herausgeben. Auch war nun der Besitz mehrere Fernsehstationen in einem lokalen Markt erlaubt. Das geriet sofort in die Kritik, nicht nur weil damit eine unerwünschte und womöglich einseitige Kontrolle von Meinungsbildung einher gehen könnte, 152 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="153"?> 33 Vgl. im Detail https: / / www.fcc.gov/ consumers/ guides/ fccs-review-broadcast-ownersh ip-rules sondern auch - mangels Alternativen - mit überhöhten Werbepreisen. Demgegenüber wurde für diese Lockerung argumentiert, die Vielfalt der verfügbaren Informationsquellen würde in der modernen Medienlandschaft eine bedenkliche Meinungsmacht äußerst unwahrscheinlich machen. Eine kurze Übersicht über die wichtigsten derzeit geltenden Konzentra‐ tionsnormen im amerikanischen Rundfunk: 33 ■ Für die Networks gilt: die großen vier Fernsehunternehmen - ABC, CBS, NBC und Fox - dürfen in keiner Konstellation miteinander fusionieren. ■ Dagegen ist der Besitz von Fernsehstationen in unbegrenzter Zahl möglich, bis eine landesweite Reichweitenschwelle von 39 Prozent erreicht ist; UHF-Stationen werden dabei nur zur Hälfte angerechnet (Grandfather Clause oder auch UHF-Discount). ■ Auf einem lokalen Markt (Designated Market Area, DMA) kann ein Unternehmen bis zu zwei Fernsehsender unterhalten, wenn eine dieser Stationen nicht eine der Top-Vier Stationen der DMA ist; sollte das doch der Fall sein, kann mit Blick auf ein„öffentliches Interesse“ eine Ausnahme beantragt werden. ■ Regeln zum Besitz von lokalen Radiosendern variieren je nach Größe des Marktes: In einem Markt mit mehr als 45 Sendern darf ein Unternehmen bis zu acht Stationen unterhalten; in vier Stufen reduziert sich das bei einem Markt von bis zu 14 Sendern, bei denen dann ein Unternehmen fünf unterhalten kann bzw. als Maximum die Hälfte der Sender des fraglichen Gebietes. Das zeigt, wie sehr das amerikanische Rundfunkrecht sich mehr am Anbieter orientiert, weniger am Publikum. „Die amerikanische Medienrechts- und Grundrechtsdiskussion hat die Marktorientierung des Rundfunks so weit internalisiert, daß diese höchstens noch rhetorisch als Mittel zum Zweck, in praxi aber als Selbstzweck in sich erscheint.“ (Hoffmann-Riem 2009, S. 37-38) Freilich, auch wenn der Rundfunk immer weniger Konzentrationsnormen unterliegt, so ist für kritischen Beobachter „de-reguliert“ insofern der fal‐ sche Begriff, als ihnen die Rundfunkordnung eher als staatlich gefördertes Oligopol erscheint - dass also wenige Konzerne mit ihrem politischen Einfluss zu viel Marktmacht besäßen (McChesney 1999, 2004 ; vgl. auch Baker 2002, S. 3). Ähnliches gilt, was später noch angesprochen wird, für die 3.8 Regulierung des Fernsehens 153 <?page no="154"?> Telekommunikations- und Netzpolitik, als 1996 der Telecommunications Act die Medienlandschaft in den USA in weiteren Teilen liberalisierte (→ Kapitel 3.9.1). Vor allem durften die Networks nun auch Kabelsender besitzen. Es blieb aber bei der Regel, dass die „großen Vier“ (ABC, CBS, NBC und Fox) maximal ein Network kontrollieren dürfen. Nachdem sich also die Medienkonzentrationskontrolle in den USA beim Fernsehen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nur an wenigen Stellen änderte, wurden die einschränkenden Normen mit der De- Regulierungspolitik der 1980er-Jahre und dann parallel zur liberalen Netz‐ politik der 1990er-Jahre erheblich gelockert. Damit und mit der traditionell überwiegend auf Lizenzierung basierenden Regulierungspolitik sieht sich die Medienlandschaft der USA mit taktischen Manövern großer Unterneh‐ men konfrontiert. Bemerkenswert beispielsweise, dass die Großfusion von AT&T und Time Warner im Oktober 2016 ohne jede Beteiligung der FCC auskam. Denn der Hebel der Kommission zur Wahrung von Public Interest bleibt nach wie vor allein die Lizenz. Zum Zeitpunkt der ersten Fusionspläne hielt Time Warner, obwohl bereits eines der größten Medienunternehmen der Welt, gerade einmal eine solche Lizenz - und stieß dann genau diesen Sender ab. Damit hatte die FCC bei diesem Mega-Deal keine Regelungskom‐ petenz und Mitsprache. Ob sie die haben soll, darüber ließe sich sicher streiten. Offenkundig aber wurde: Das klassische Regulierungsmodell der USA ist in der hybriden und digitalen Medienlandschaft der Gegenwart durchaus reformbedürftig. „As this example illustrates, we have a regulatory system that is built upon - and justified by - the characteristics of an increasingly irrelevant communication technology.“ (Napoli 2019, S.-153) 3.8.2 Regulierung von Inhalten: Lokal, divers und anständig Wahrscheinlich sind im Kreise der amerikanischen Medienwirtschaft Kon‐ zentrationsfragen die strittigsten staatlichen Eingriffe in die Branche über‐ haupt, insbesondere natürlich, wenn Fusionen verhandelt und Kartellfragen geprüft werden. Demgegenüber ist die Einflussnahme auf Inhalte häufi‐ ger eine (kritische) Problematik der breiten amerikanischen Öffentlichkeit - entsprechende Diskussionen finden sich schon vor und während der Amerikanischen Revolution und sehr facettenreich noch heute. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Medien immer (auch) mit gesellschaftlich wünschenswerten Leistungen verbunden wurden, mit ebenso demokratie‐ theoretischen wie demokratiepraktischen Funktionen. Die hier wichtigste 154 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="155"?> Norm hatten wir bereits in einem gesonderten Kapitel besprochen: Die Fairness Doctrine, die von heftigen Debatten begleitet zwischen 1949 und 1987 von den amerikanischen Rundfunkanbietern über einen Katalog an Vorgaben eine ausgewogene politische Berichterstattung einforderte (→ Kapitel 3.7). Zentral für inhaltliche Fragen haben sich daneben zwei allge‐ meine Prinzipien etabliert - und auch sie haben ein demokratietheoretisches Motiv: Vielfalt und lokaler Bezug (Lokalismus). Mit ihnen werden mit und nach der Abschaffung der Fairness Doctrine die meisten inhaltlichen Anforderungen begründet, auch gegenüber dem Fernsehen. Daneben finden sich weniger politische Motive staatlicher Regulierung, beispielsweise im Jugendschutz (vgl. Napoli 2019, S.-144). Die lokale Orientierung von Medieninhalten (im üblichen Sprachge‐ brauch: Localism) ist von Beginn an das zentrale Merkmal der Presse in den Kolonien und dann in der jungen Union. Das erklärt sich durch das Selbstverständnis kommunaler Selbstverwaltung, die daran angelehnten örtlichen politischen Konflikte, die geographischen Gegebenheiten, die rurale Prägung und die oft ethnisch definierten lokalen Identitäten des (Einwanderungs-)Landes und bleibt trotz des raschen Ausbaus des Postwe‐ sens, das zumindest rudimentär einen nationalen Vertrieb leisten konnte, immer erhalten: Praktisch alle Tageszeitungen in den USA haben einen lokalen Kern. Diese so basale wie universelle Orientierung stellte sich auch sofort bei der Rundfunkordnung ein. Die sich etablierende Network- Affiliate-Struktur kennt zwar einerseits eine Art „nationales Publikum“ und bietet Sendungen an, die sich potenziell an alle richten, ist aber durch die Affiliates mit ihren eigenen Programmen mindestens ebenso stark lokal orientiert. Damit folgt der Rundfunk einer traditionellen Erwartungshaltung des Landes - und hat Erfolg, jedenfalls mit Nachrichtenformaten: Seit in‐ zwischen Generationen informieren sich die Amerikaner mehrheitlich über Lokalsender (Federal Communications Commission, 2011, S. 13), heute auch über verschiedene Plattformen der lokalen Rundfunkbetreiber im Internet. Außerdem genießen lokale Nachrichtenmedien, seien es die Zeitungen oder Rundfunkstationen, das größte Vertrauen in der US-Medienlandschaft (→ Kapitel 5). Tatsächlich spiegelt sich der Lokalismus in einer Reihe unterschiedlich gelagerter Regulierungsentscheide der FCC. Seit 1971 müssen beispielsweise Lizenzanträge im terrestrischen Rundfunk - seien es Erst- oder Verlän‐ gerungsanträge - mit einem Formblatt belegen, dass sie die „problems, needs and interests“ ihres Ausstrahlungsgebietes kennen und beachten (vgl. 3.8 Regulierung des Fernsehens 155 <?page no="156"?> DeLuca 1976). Damit wollte man einem Content Syndication begegnen - einem Geschäftsmodell, in dem lokale Sender im Übermaß Formate oder Sendungen kaufen, die ursprünglich nicht für ihren lokalen Markt produ‐ ziert wurden. Auch wurde mit dem Ausbau der Kabelnetze ab 1969 eine Must Carry-Regel für lokale Informationen und Nachrichten für diesen Ver‐ breitungsweg ausgesprochen - gebietsweise, denn entsprechende Standards und die Details konkreter Konzessionen wurden meist mit den örtlichen Be‐ hörden und Rundfunkkommissionen ausgehandelt (vgl. Napoli 2019, S. 60). Diese Verhandlungen verliefen allerdings regelhaft konfliktreich. Der 1984 im weiteren Umfeld der De-Regulierungspolitik von Ronald Reagan vom Kongress verabschiedete Cable Communication Policy Act (CCPA) übte sich daher in dem Spagat, die Kabelindustrie zu stärken, zugleich aber die lokalen Regulierungskompetenzen zu bewahren. Vornehmlich wurden Kriterien eines fairen und unbürokratischen Lizenzverfahrens festgelegt, während die Kabelbetreiber demgegenüber erneut dazu verpflichtet wurden, die Interessen der lokalen Gemeinschaft zu beachten - durch entsprechende Informationsformate. Damit wollte der CCPA angesichts der Abschaffung der Fairness Doctrine dem Supreme Court Urteil in Red Lion Broadcastings v. FCC (→ Kapitel 3.3.5) folgen und örtliche und regionale Informationen als First Amendment-Interessen der Kabelkunden sicherstellen. Auch zum Satellitenfernsehen findet sich eine FCC Regulierung zum Lokalismus. 1999 hatte sie gegen den Widerstand der großen Sender und Kabelbetreiber den lokalen Fernsehstationen zugestanden, sie könnten grundsätzlich auch über Satellit ausgestrahlt werden. Und obwohl der Satel‐ lit nicht der traditionelle Verbreitungsweg lokaler Informationen ist, müssen die Satellitenbetreiber vier Prozent ihrer Kanalkapazität für Programme vorhalten, in denen lokale akademische oder kulturelle Institutionen operie‐ ren könnten - könnten, denn die Satellitenbetreiber verlangen von solchen nichtkommerziellen Veranstaltern respektable Gebühren (für die es keine Regelung gibt), weshalb lokale Satellitenprogramme recht selten geworden sind (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 15). Formell werden auch weder von der FCC noch von der Corporation for Public Broadcasting im öffentlichen Rundfunk lokale Programme gefordert. Dabei spielt das Kos‐ tenargument (eine Redaktion vorzuhalten) wohl die entscheidende Rolle. Obwohl der Public Broadcasting Service als hochvertrauenswürdige, über‐ parteiliche Institution wahrgenommen wird, sind lokale Informationspro‐ gramme in PBS-Stationen daher Mangelware: Rund 95 Prozent der lokalen Public TV-Stationen produzieren weniger als 30 Minuten lokale Nachrichten 156 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="157"?> täglich - weit weniger als die kommerziellen Sender auf diesen Märkten (ebd., S. 19). Allerdings: zwar strahlen die kommerziellen Sender deutlich mehr lokale Nachrichten aus - aber das mit immer kleineren Redaktionen und immer weniger Kapazitäten für Recherche und, wie Inhaltsanalyse zeigen, weniger Beachtung für Fragen wie Gesundheit oder Lokalpolitik, umso mehr für Kriminalität und Human Interest (vgl. Kaplan & Hale 2010). Das zweite zentrale Prinzip inhaltlicher Überlegungen zur Medienregu‐ lierung ist die Vielfalt. Die Vereinigten Staaten kennen eigentlich keine direkte staatliche Einmischung in Form von Direktiven zu bestimmten Inhalten. Auch einen allgemein gehaltenen Programmauftrag, wie er z. B. in Deutschland dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben ist und in dem sich (u. a.) der Vielfaltsgedanke widerspiegelt, kennt die US-Medienpolitik nicht. Vielfalt wird dagegen durch indirekte Maßnahmen angestrebt - so wie besprochen durch Restriktionen zum Medienbesitz, also durch eine Medienkonzentrationskontrolle. In der deutschen Medienpolitik würde man von Außenpluralismus sprechen: Ein Ordnungsprinzip, nach dem Vielfalt und ein breites Meinungsspektrum nicht durch die Formate und Programme eines Senders hergestellt werden (das wäre Binnenpluralismus), sondern durch die Programme und Sendungen vieler, voneinander unabhängiger Sender auf einem Publikumsmarkt. Insofern wird hier noch einmal deutlich, dass die Motive der Konzentrationskontrolle in der Medienbranche nicht - wie in anderen Wirtschaftszweigen - primär daran ausgerichtet sind, einen ökonomischen Wettbewerb der Dienste und Güter zu erhalten, sondern die Vielfalt der Informationen und Meinungsbildungsangebote. Das erscheint vor allem deshalb notwendig, weil politische Informationen meritorische Güter sind, „d. h. Angebot und Nachfrage bleiben hinter dem Maß zurück, das gesellschaftlich vielleicht wünschenswert wäre“ (Beck 2018, S.-28). Das sieht man in den USA ähnlich, beschränkt sich aber meist, wie beschrieben, auf Lokalnachrichten als Vielfaltsgaranten. Im Grundsatz bleibt es darüber hinaus immer noch den Sendern selbst überlassen, mit welchen Programmen und Formaten sie ihr Publikum bedienen und darüber im Werbemarkt ihres Sendegebiets operieren. Typischerweise ist allerdings eine Tendenz zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu beobachten, zu mas‐ sen-attraktiven Programmen: Insbesondere hochwertige kulturelle oder dokumentarische Formate und aufwändiger Journalismus fallen in aller Regel nicht darunter, auch nicht Sendungen, die sich an Kinder richten, an Minderheiten, an ein Publikum in den ländlichen Gebieten oder auch 3.8 Regulierung des Fernsehens 157 <?page no="158"?> an ältere Zuschauergruppen, deren Kaufkraft gering eingeschätzt wird. Kommerziellen Stationen werden hier keinerlei Vorgaben gemacht. Ein Anspruch auf ein qualitativ hochwertiges Programm, das sich auch an solche Publikumsnischen richtet, spiegelt sich dagegen im Selbstverständ‐ nis des Public Broadcasting: „Each day, public broadcasting stations train teachers and help educate America‘s children in school and at home. They provide in-depth journalism that informs citizens about important issues in their neighborhoods, their country and around the globe. They make the arts accessible to all citizens regardless of where they live. They constitute a forum where ideas can be explored and discussed in a respectful and civil way.“ (Corporation for Public Broadcasting 2012, S. 7) Um einmal ein Beispiel aus dem Radio anzuführen: Rund 90 Prozent aller klassischen Radioformate (Klassik, Jazz, Lounge, New Classics) werden im öffentlichen Radio ausgestrahlt (ebd. S.-16). Eine der wichtigsten inhaltlichen Vorgaben jenseits von Lokalismus und Vielfalt betrifft die Werbung. Unabhängig von der konkreten Technologie - betroffen hiervon ist also z. B. auch die Presse - verbietet die Federal Trade Commission allen Medien falsche oder irreführende Werbung. Darüber hinaus können in einigen Sektoren weitere Normen greifen. So unterlie‐ gen politische Anzeigen oder Werbespots von Kandidaten bestimmten Transparenzpflichten (Disclosures) - vorgegeben von der Federal Election Commission oder manchmal von den Einzelstaaten. Die Food and Drug Administration reguliert die Werbung von pharmazeutischen Produkten und verlangt definierte Sicherheitshinweise. Und die Sponsorship Identification Rules verpflichten die Sender in Informations- und Nachrichtenformaten wiederum zu Transparenz hinsichtlich möglicherweise zugelieferten Mate‐ rials (etwa durch Public-Relations-Abteilungen). Daneben unterliegt der terrestrische Rundfunk Einschränkungen bei der Werbung in Kinderpro‐ grammen oder zu Tabakwerbung, zu Glücksspielen oder Casinos. In einem technischen Detail greift die FCC seit 2013 ein und verbietet nach Vorgabe des Kongresses mit dem CALM-Act im Sinne des Akronyms, dass Werbung nicht lauter ausgestrahlt werden darf als das umgebende Programm. Der terrestrische Rundfunk - Fernsehen wie Radio - muss darüber hinaus eine Reihe an Vorgaben der FCC hinsichtlich anstößiger Inhalte beachten, Indecent Programming also. Zu den Standards and Practices hinsichtlich anstößiger Inhalte gehört das Verbot einiger Schimpfwörter und das Zeigen von bestimmten Körperteilen. Entsprechend als unanständig deklariertes Material darf nur zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens ausgestrahlt 158 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="159"?> werden. Legal könnten die Stationen also über Nacht recht freizügige Programme senden - was aber nicht geschieht. Nacktheit oder tatsächlich pornographische Formate sind äußerst selten im amerikanischen Fernsehen, auch im Kabel, das hier keinerlei Restriktionen kennt. Wahrscheinlich sind die Verantwortlichen aus Imagegründen zurückhaltend, weil sie befürchten, ihr Publikum und die Werbetreibenden zu verprellen oder gar den Gesetzge‐ ber auf weitere Regulierungsideen zu bringen. Die für den Rundfunk gelten‐ den Sanktionsmöglichkeiten wurden nach dem so genannten „Nippelgate“ um die Halbzeit-Show des Superbowls 2004 etwas erhöht. Eine wesentliche Ausnahme von all dem wiederum bilden einige Premium Cable Networks, Sender, die gegen Gebühr freigeschaltet werden können und auch Adult Content anbieten. Über entsprechende Programme, die ausschließlich über das Kabel ausgestrahlt werden, hat die FCC inhaltlich keine Jurisdiktion. Zusammengefasst: Seit den 1980er-Jahren hat die De-Regulierungspolitik in der US-Medienlandschaft zu einer deutlichen Reduzierung inhaltlicher Public Interest-Verpflichtungen der Rundfunkveranstalter geführt; sie be‐ schränken sich weitgehend auf spezielle Vorgaben im pädagogischen Sektor, einigen Werberichtlinien, Regeln zur Verhinderung von Obszönität und zum Verhalten gegenüber politischen Kandidaten in Wahlkampfzeiten. Explizite Anforderungen zu lokalen Informationen und - was die Fairness Doctrine betrifft - die Verpflichtung zu Ausgewogenheit in Fragen öffentlicher Kont‐ roverse, wurden aufgeweicht (vgl. Napoli 2006, S. 283). Ein wesentliches Merkmal der amerikanischen Medienlandschaft bleiben insbesondere aus der Sicht des Publikums nach wie vor die lokalen Fernsehnachrichten im Kabel. 3.8.3 Regulierung im öffentlichen Interesse: Public Television Mit dem Public Broadcasting Act (PBA) begründete der Kongress 1967 ein öffentliches Rundfunksystem, das neben lokalen Formaten auch ein natio‐ nales Satellitenprogramm umfasste. Dieser frühe Bezug auf den Satelliten als möglichen Verbreitungsweg für den öffentlichen Rundfunks ist insofern kein Zufall, als die Regierung Eisenhower 1958 - knapp ein Jahr, nachdem die Sowjetunion mit dem Sputnik erstmals einen Satelliten in die Erdumlauf‐ bahn schickte - eine Initiative startete, um ein auf Technik und Wissenschaft konzentriertes Bildungsfernsehen einzuführen. Seinerzeit herrschte weitge‐ hend Konsens darüber, dass mit der sich abzeichnenden Technologie in der Medienlandschaft Amerikas Platz sei für Sender, die unberührt von 3.8 Regulierung des Fernsehens 159 <?page no="160"?> kommerziellen (und parteipolitischen) Einflüssen operieren sollen. Dabei formulierte der PBA explizit als Ziel eine Orientierung an den kulturellen Interessen der Gesellschaft und einer Excellence in Programming. Seitdem verbindet sich in den USA mit dem Public Broadcasting ein Schwerpunkt auf schulische und akademische Bildungsformate, die allen zugutekäme. „We are America‘s largest classroom, with content available to all children, including those who can‘t afford preschool.“ (Corporation for Public Broadcasting 2012, S. 8) Diese Konzentration auf pädagogische Programme ist einerseits auf den politischen Willen der Regierung Eisenhower zurückzuführen, andererseits auch eine Folge der Opposition der etablierten Networks gegen die sich anbahnende nichtkommerzielle Konkurrenz (vgl. Schudson 1978, 2019). Ein Bezug auf ein öffentliches Interesse und daran angelehnte Leis‐ tungserwartungen (jedoch nicht mit diesem pädagogisch-akademischen Einschlag) findet sich schon in den ersten Rundfunkgesetzen (vgl. Kap 3.6). Die konkreten Anforderungen, die im Laufe der Jahre daraus abgeleitet wurden, variieren bei den einzelnen Technologien beträchtlich und beziehen sich weit überwiegend auf die elektronischen Medien. Dabei - wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben - sind die Verbreitungswege ausschlagge‐ bend: Der terrestrische Rundfunk, ausgestrahlt über Funkwellen, erfährt ganz andere Regulierungsformen und Normen als das Kabel oder Direct Broadcast Satellite (DBS) (vgl. Napoli 2019, S. 143). Gegenüber den kommer‐ ziellen Medienunternehmen wiederum sind konkrete inhaltliche Normen - Vielfalt und Lokalismus - zwar vorhanden, beziehen sich aber meist auf wenige Gebote z. B. zu Fragen der Sittlichkeit oder Werbung. Die wohl wichtigsten Regeln zu privaten Rundfunksendern sind die Bestimmungen zur Medienkonzentration. Einen etwas anders gelagerten Einfluss nimmt der Staat beim Public Broadcasting, in erster Linie bei seiner Organisation. Allerdings ist dieser Einfluss relativ zu betrachten; er manifestiert keinesfalls eine Staats-Nähe, sondern versteht sich als Framework, als „Rahmen“ in einem durch gesell‐ schaftliche Teilhabe und Initiative geprägten Umfeld. Dieses eher partner‐ schaftliche Konzept speist sich im Kern aus dem Umstand, dass die Bundes‐ regierung bzw. der Kongress, die Staaten und Kommunen wichtige (nicht alleinige) Geldgeber des Public Broadcasting sind. Das entspricht, nebenbei bemerkt, einem Selbstverständnis der amerikanischen Ordnungspolitk: Ein‐ flussnahme auf derartige Organisationen sei dann gerechtfertigt, wenn der Staat finanziell eingebunden ist. In anderen liberalen Demokratien, etwa 160 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="161"?> 34 Vgl. https: / / www.cpb.org/ Großbritannien, Deutschland, Japan, Australien, Schweiz oder Kanada, wird ein Public Service Broadcasting dagegen primär über demokratietheoretische Positionen begründet, staatsfern organisiert und finanziell unabhängig ausgestattet - konzeptionell zumindest. Heute besteht das Public Broadcasting System in den USA aus einer bunten Palette aus lizensierten, unabhängigen Non-Profit-Sendern, die auf unterschiedliche Weise verbunden sind mit regionalen und lokalen Orga‐ nisationen, darunter Universitäten, Colleges oder anderen Bildungseinrich‐ tungen. 2020 waren 1.178 öffentliche Radiostationen und 356 Fernsehsender lizensiert - und konnten von 99 Prozent der Bevölkerung empfangen werden. 34 Ihre Programme sind werbe- und gebührenfrei. Während die weit überwiegende Mehrheit der Sender allein für einen kleinen örtlichen Publi‐ kumsmarkt produzieren, halten andere Lizenzen für eine größere Region, mehrere Counties oder gar den ganzen Staat; nur knapp eine Handvoll operieren in mehreren Staaten. Typischerweise sind es die Sender, die in den Metropolen oder den stärksten Märkten operieren, die die meisten Programme und Sendungen innerhalb dieses Systems verbreiten; die weit überwiegende Mehrheit konzentriert sich auf einziges Verbreitungsgebiet. Über das gesamte Land gesehen hat das öffentliche Rundfunksystem einen Marktanteil von rund zwei Prozent. Dabei ist das Public Broadcasting, Radio wie Fernsehen, ausnehmend lokal orientiert und unterhält Programme und Arbeitsgemeinschaften mit örtlichen Institutionen wie Schulen oder Colleges, mit Initiativen, die buchstäblich tausenden kleineren wie größeren Communities Amerikas ein Forum zur Information und zum kulturellen Austausch bieten. Dazu gehören auch die so genannten Island Communities, auf Hawaii, Puerto Rico oder Amerikanisch-Samoa sowie rurale (vereinzelte) Gebiete, in denen diese Sender häufig genug die einzigen Stationen weit und breit sind, die von ortsansässigen Akteuren betrieben werden. Nebenbei ist das Public Broadcasting oft das wichtigste örtliche Alarmsystem, z. B. im Zusammen‐ hang mit Naturkatastrophen (vgl. Corporation for Public Broadcasting 2012, S. 12). Die lokale Orientierung des PBS ist freilich nicht mit umfänglichen Lokalnachrichten gleichzusetzen. Tatsächlich finden sich im Vergleich zu den kommerziellen Sendern deutlich weniger örtliche Nachrichten bei den Sendern des PBS, als bei der kommerziellen Konkurrenz (vgl. Federal Communications Commission, 2011, S. 13). Vielmehr konzentriert man sich 3.8 Regulierung des Fernsehens 161 <?page no="162"?> 35 Vgl. https: / / www.cpb.org/ aboutcpb/ financials/ budget/ auf akademische und kulturelle, bildende und unterhaltende Produktionen durch lokale Institutionen bzw. die Einspeisung von ähnlichen Formaten, die sich an Bevölkerungsgruppen richten, die von den kommerziellen Sendern vernachlässigt werden (Puppis & Schweizer 2015, S. 107). Und das ist als Vielfaltsnorm durchaus erwünscht: So muss PBS alljährlich dem Kongress einen Bericht vorlegen, der Auskunft gibt u. a. über seine Fördertätigkeit und über die Formate, die sich an Minderheiten richten und sie an der Produktion beteiligen. Die Stationen können sich - müssen es aber nicht - dem Public Broadcas‐ ting System (PBS) oder dem National Public Radio (NPR) anschließen, die den Programmaustausch unter den öffentlichen Sendern des Landes koor‐ dinieren. Um sich als Public Television zu qualifizieren und an Fördergelder der Corporation for Public Broadcasting (CPB) zu gelangen, ist allerdings eine Noncommercial Educational Broadcasting-Lizenz (NCE) notwendig, die man wiederum bei der Federal Communications Commission beantragen kann (vgl. Puppis & Schweizer 2015, S. 108). Darüber sind die Sender dann formell unabhängig, organisieren sich aber über drei nationale Stränge: die CPB (Fördergelder), den Public Broadcasting Service (PBS), der u. a. das nationale Satellitensystem betreibt, und die Association of Public Television Station (APTS), die Programmplanungen, Kooperationen und Recherchen unterstützt. Ganz allgemein ist es das Ziel der CPB, kreative, innovative, hochwertige und nicht primär dem Massengeschmack folgende Inhalte zu produzieren und über unterschiedliche Medienplattformen zu verbreiten. „Public Service broadcasting systems that are designed to produce highquality material of different genres, aimed at a wide range of audiences, and not dependent on or reducible to high ratings in the broadcasting market.“ (Freedman 2008, S.-35) Insbesondere die Frage der Finanzierung des Public Broadcasting durch ein größeres Budget des Kongresses gilt als Gefahr einer politisch motivierten Intervention. Um möglichst frei von politischer Einflussnahme arbeiten zu können, hat man sich hier von Beginn an überwiegend auf Spenden und freiwillige Beiträge aus den Gemeinden gestützt. Zusätzlich fördert Washington das Public Broadcasting mit rund 465 Millionen Dollar jährlich. 35 Die Masse dieses Zuschusses geht direkt an lokale Sender, die dafür u. a. einen Beirat einrichten müssen; ein anderer Teil geht an die NPR und die PBS, wobei deren Beitrag nur zu einem geringen Teil in ihre Verwaltung 162 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="163"?> fließen darf. Konkret sind es Unternehmen und Stiftungen, Bildungsinstitute und private Initiativen, die neben den Gemeinden und teilweise den Staaten und der Bundesregierung den Etat tragen. Denn die Zuschüsse aus dem Staatshaushalt reichen bei weitem nicht aus, um den Sendebetrieb zu finan‐ zieren. Deshalb ist man auf Spenden durch Stiftungen, Unternehmen oder Einzelpersonen angewiesen. Üblicherweise veranstalten die Stationen bis zu viermal im Jahr so genannte Pledge Drives, das sind Phasen, in denen im Programm zu Spenden aufgerufen wird - und die spendenden Unternehmen dann in der Sendung genannt werden. Denn Werbung ist den PBS-Stationen untersagt, weshalb man sich zusätzlich durch solche Formate co-finanziert. „Sponsoringbotschaften können Logos, Slogans, Marken sowie neutrale Beschreibungen von Produkten oder Dienstleistungen zur Identifizierung, jedoch nicht zur Promotion der Sponsoren beinhalten; auch die Erwähnung von Rabatten und Spezialangeboten, Aufrufe oder Vergleiche sind nicht erlaubt.“ (Puppis & Schweizer 2015, S. 108-109) Rund zwei Drittel des ameri‐ kanischen Public Broadcasting arbeitet allerdings defizitär (vgl. Corporation for Public Broadcasting 2012, S. 1). Möglicherweise ist es da hilfreich, dass das Werbeverbot nicht für die Onlineformate der Sender gilt. 3.9 Regulierung des Internets? Inzwischen seit Jahren sind Netzunternehmen und -plattformen, Digitalisie‐ rung und eine neue mediale Kultur des Always-On wesentliche Faktoren der gesellschaftlichen Kommunikation und Medienwirtschaft. Während jedoch bei vorherigen „neuen“ Medien etablierte Regulierungsmodelle angepasst werden konnten, findet sich in der Netzpolitik kaum eine solche Kontinuität. Eine Übertragung der Regulierungsmodelle des Radios auf das Fernsehen basierte im Kern auf den Gebrauch des gleichen Verbreitungsweges, also der Funkwellen. Auch wurden das Kabel- und das Satellitenfernsehen als „ancillary“ eingestuft, als ähnlich, weshalb ebenfalls Normen bestimmt wer‐ den konnten. Gerade das technologische Argument - Nutzung des knappen Funkspektrums - findet in der Netzpolitik allerdings keine Entsprechung. „More concretely, if the structure and performance of these new media platforms/ institutions evolve in ways that run counter to the regulatory objectives that have governed the structure and performance of established media, but no technological rationale for addressing these problems exists, 3.9 Regulierung des Internets? 163 <?page no="164"?> then we have a scenario in which government is powerless to solve compelling communications policy problems.“ (Napoli 2019, S.-151) War es der traditionelle Anlass für die amerikanische Medienpolitik, über Regulierung nachzudenken, wenn Funkwellen in Anspruch genom‐ men wurden, so wäre das also für das Netz kein Ansatz (vgl. Graber & Dunaway 2018, S. 66). Im Vergleich zu den herkömmlichen elektronischen Medien kennt das Internet im amerikanischen Medienrecht daher wenig Regulierung. Während aber bislang prägende Unterschiede zwischen Indivi‐ dual- und Massenkommunikation verschwimmen, tritt das Netz zugleich in Konkurrenz zu den klassischen Anwendungen und medialen Verbreitungs‐ technologien. Insbesondere mit der Allgegenwart von Sozialen Medien hat sich in den letzten Jahren ein stärkeres Interesse auch an der Normierung von Big Tech ergeben. Im Folgenden werden zunächst jedoch drei Regulie‐ rungsfragen skizziert, die für die Netzpolitik in den USA zentral waren: den Telecommunications Act, die Debatte um eine Section 230 und Fragen der so genannten Netzneutralität. Weitere Debatten rund um Social Media und eben Big Tech werden in späteren Kapiteln vertieft (Kap. 6,2, 6.3). 3.9.1 Der Telecommunications Act Anfang Februar 1996 verabschiedete der Kongress den Telecommunications Act (TCA). Kurz darauf unterzeichnete Präsident Clinton symbolisch erst auf dem Papier und dann elektronisch dieses Normpaket, das in weiten Teilen den Communications Act ablöste bzw. ergänzte, der beachtliche sechs Jahrzehnte ein zentraler Bezugspunkt der amerikanischen Medienpolitik gewesen war: zunächst für das Radio und die Telefonie, später noch das Fernsehen. Nachdem der TCA anfangs im Kongress mit breiter Zustimmung angenommen wurde, da er einem Zeittrend folgte und anti-monopolistische Bestimmungen beseitigte (viele davon aus der Zeit des New Deal), verhin‐ derte er doch auch die Regulierung des Internets - „mit katastrophalen Folgen“, wie die Historikerin Jil Lepore (2020, S. 893) eine Generation darauf urteilte. Tatsächlich ist der Telecommunications Act heute die wohl umstrittenste medienpolitische Norm nach der (abgeschafften) Fairness Doctrine. Ausgangspunkt der politischen Initiative zum TCA war das Motiv, im gesamten Telekommunikations- und Mediensektor durch die Deregulation der Märkte unternehmerischen Wettbewerb, Innovation und Investment zu stimulieren. Das wiederum würde neue Produkte und Dienstleistungen 164 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="165"?> 36 Vgl. https: / / www.congress.gov/ bill/ 104th-congress/ senate-bill/ 652/ text fördern, was letztlich den Verbrauchern zugutekäme. In der Präambel des Gesetzes liest sich das so: „To promote competition and reduce regulation in order to secure lower prices and higher quality services for American telecommunications consumers and encourage the rapid deployment of new telecommunications technologies.“ 36 Seinerzeit - wenige Jahre vor dem Platzen der Dot-Com-Blase 2001 - herrschte weitgehend Optimismus über den gesellschaftlichen Nutzen des Netzes, insbesondere des kommerziellen Internets und seiner Emerging Markets (vgl. Bogart 2017, S. xiv; Messere 2008b). Jedoch zeichnete sich damals nur vage ab, wodurch das Netz bzw. der Cyberspace eine Schlüsseltechnologie der künftigen Wissensgesellschaft sein könnte. Was dagegen sehr konkret mit dem Gesetzespaket avisiert wurde, war die Beseitigung von Wettbewerbshindernissen im Rundfunk, im Kabel und der Telefonie. Nun sollte auf allen Märkten ein Wettbewerb forciert werden, nicht zuletzt durch die Zulassung von Unternehmen in mehreren Mediensektoren, also Crossmedia Ownership (vgl. Kleinsteuber 2008a, S. 323). Zusätzlich hatte sich in der komplexer werdenden Medi‐ enlandschaft ein erheblicher Koordinierungsbedarf ergeben, weshalb die Zuständigkeiten der Federal Communications Commission neu geordnet werden sollten. Begleitet wurden die Verhandlungen und dann die Verabschiedung des TCA durch eine selbst für den Capitol Hill ungewöhnlich intensive Lobby diverser Branchen aus dem Rundfunk, der lokalen wie überregionalen Telekommunikationsindustrie und von den Kabelbetreibern. Insbesondere argumentierten die neuen Digitalfirmen, staatliche Regulierung könnte die Entwicklungs- und Innovationsdynamik ihrer Branche nur stören (vgl. Wheeler et al. 2020). Hinzu trat ein öffentlichkeitswirksamer Druck durch die Cyberlibertarians: Einer libertären Kultur der „kalifornischen Ideologie“, die gegen jede staatliche Einmischung in die neue Kommunikationssphäre protestierte. Das Internet dürfe keiner nationalen, zentralen Jurisdiktion folgen und solle sich stattdessen demokratisch selbst verwalten (vgl. Bor‐ sook 2001). Wie erwähnt (Kap. 2.8), hatte John Perry Barlow seine antietatistische Declaration of the Independence of the Cyberspace anlässlich der Verabschiedung des Telecommunication Act veröffentlicht. Diese Declaration war insofern bezeichnend, als sie mit ihrem Duktus gut die Aufbruchstim‐ mung spiegelt, die seit etwa Anfang der 1990er-Jahre und den Debatten 3.9 Regulierung des Internets? 165 <?page no="166"?> um einen Information Superhighway auch den Kongress beschäftigte (vgl. Kleinsteuber 1996b; Schmidt 2016, S.-303). Der TCA sollte also nicht weniger als die Medienlandschaft der USA - mit Ausnahme der Presse - umfänglich reformieren bzw. neu gestalten. Der Act selbst symbolisiert nachgerade die Transformation des Mediensystems und der Medienökonomie. So unterscheidet er nicht länger zwischen Individu‐ alkommunikation (etwa Telefonie) und klassischer Massenkommunikation. „In the era of the Internet […], of digitized and compresse information, the old boundary lines were meaningless […]“ (Bogart 2017, S. xiv). Vorausge‐ gangen waren seit 1992 und dann der Präsidentschaft Clinton dutzende kleinere Gesetze oder interne Regierungsanweisungen zum Ausbau des In‐ ternets, zu ersten E-Government-Konzepten und mehr (Braman 2009, S. 53). Nebenbei bemerkt: Obwohl mit dem TCA eine weitgehende Liberalisierung des Medienmarktes einher ging, setzt er wirtschaftliche Interessen nicht absolut. Interessanterweise findet sich die Formulierung „public interest“ im Communications Act von 1934 elfmal, im allerdings deutlich umfangrei‐ cheren TCA immerhin 40mal (vgl. Napoli 2006, S.-276). Seit 1996 prägt also dieses Gesetz die Medien- und Telekommunikationspolitik in den USA, mit eingeschlossen nun Fragen zur Regulierung des Internets. Die materielle Vielfalt zeigt sich in den sieben Einzeltiteln, die die Vorschriften ordnen: Telecommunications Service, Broadcast Service, Cable Service, Regulatory Reform, Obscenity and Violence (oder auch: Communications Decency Act) und dann noch Effect on other Laws (sowie als siebter Titel eine Übergangs‐ bestimmung). Wenn es Absicht war, die Medienlandschaft übersichtlicher zu gestalten, dann war das Gesetz rasch erfolgreich (nicht so hinsichtlich eines stärkeren Wettbewerbs). Vor allem im Radio zeigten sich die Konsequenzen sehr schnell: Dort wurde nach Aufhebung der Medienkonzentrationsgrenzen Fusionen in bislang unbekannten Dimensionen möglich und sofort vollzo‐ gen. So kappte der Act die Höchstzahl von 40 Stationen, die ein einzelnes Unternehmen bislang unter seinem Dach versammeln durfte. Daraufhin wechselten binnen kurzem zwei Fünftel aller US-Radiosender den Besitzer (Bogart 2017, S. xiv). Im Zuge dessen wurde Clear Channel Radio durch dut‐ zende Fusionen bzw. Aufkäufe zum seinerzeit größten Radiounternehmen des Landes mit rund 850 Stationen (vgl. McChesney 2004, S. 20). Tatsächlich gab es nun insgesamt zwar mehr Radiosender, sie waren aber weitaus weniger Unternehmensgruppen zuzurechnen. 166 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="167"?> Auch in der Telekommunikationsindustrie zielte das Gesetz auf Wettbe‐ werb und Entflechtung. Zunächst einmal war es nun der FCC erlaubt, die lokalen und regionalen Anforderungen an die Industrie zu vereinheitlichen und damit die lokalen Märkte einem stärkeren Wettbewerb zu öffnen. Bis dahin wurde die Industrie dominiert von einem AT&T Monopol. Zwar hatte man AT&T 1984 zerschlagen, allerdings nur in sieben regionale, voneinan‐ der getrennte Märkte. Insofern war Marktmacht nach wir vor vorhanden - nur eben in Form von regionalen Kartellen, die u. a. untereinander keine Ferngespräche vermitteln durften. Genau das wurde diesen AT&T- Unternehmen, den Bell Companies, nun erlaubt (nach einer Autorisierung durch die FCC). Das sollte ebenso zur Konkurrenz beitragen wie eine Reihe von Vorgaben, die die Marktzutrittsbarrieren senkten. Etwa durfte neuen Wettbewerbern nicht durch exorbitante Zugangsgebühren der Zugriff auf bestehende Netze erschwert werden. Mit anderen Worten mussten die Te‐ lefonanbieter ihre Netze mit ihren Wettbewerbern teilen. Und sie sollten ihre Netze, soweit technisch möglich, effizienter koppeln („Interconnectivity“). Hinzu kam: Jetzt konnten auch TV-Kabelbetreiber Telekommunikations‐ dienste anbieten, was zur alternativen (und konkurrierenden) Telefonie des Voice-Over-IP führte. Umgekehrt wiederum stand es klassischen Telefonunternehmen nun frei, Kabelfernsehen anzubieten - verbunden mit vergleichsweise wenig Regulation als so genannte Open Video Systems. Insbesondere solche neuen Crossmedia-Ownership Rules beseitigten viele Hürden für größere Zusammenschlüsse, wenn auch nicht alle. So dürfen seitdem beispielsweise lokale Rundfunkstationen mit Kabelbetreibern fusionieren, und auch die Networks können Kabelunternehmen aufkaufen; verboten blieb gleichwohl der gemeinschaftliche Besitz von Presseunternehmen und Fernsehstationen auf einem Markt. Dagegen wiederum gelockert wurden Regeln zu den Broadcasting Networks; nunmehr durften die nationalen Fernsehanbieter unbegrenzt viele Stationen besitzen - bis sie landesweit 35 Prozent (später 39 Prozent) der Zuschauer erreichen können. (Nebenbei bemerkt: Auch in Deutschland kennt man eine ähnliche Grenze, um eine marktbeherrschende Stellung zu verhindern; jedoch misst man hier den tatsächlich erreichten Publikumsanteil, nicht den möglichen.) Alles in allem war der Telecommunications Act also ein umfängliches Revirement der Medienpolitik in den USA, insbesondere zu Fragen der Medienkonzentration. Allerdings hat die Liberalisierung und Lockerung von entsprechenden Normen nach Ansicht vieler Kritiker nicht zu dem 3.9 Regulierung des Internets? 167 <?page no="168"?> erhofften Effekt eines größeren Wettbewerbes in der Branche geführt, sondern vielmehr (vgl. noch Kap. 4) zu Konzentrationsbildung beigetragen, etwa bei der Fusion von Time Warner mit AOL. „The Telecommunications Act of 1996 is inadequate for dealing with the revolutionary technological changes. There is a dire need for major policy innovations.“ (Graber & Dunaway 2018, S.-481) Neben diesen neuen Regeln zur Medienkonzentration enthält der TCA eine Reihe technischer Vorgaben, z. B. zu Standards im Fernsehsignal. Der hier größte Nutzen für die Industrie dürfte die Freigabe eines breiten Frequenzspektrums für HDTV gewesen sein. Eingeführt wurde auch der „V-Chip“ für alle neuen Fernsehgeräte: Er ermöglichte Eltern, den Fernseh‐ konsum ihrer Kinder zu kontrollieren bzw. nichtjugendfreies Programm zu blockieren. Die entsprechende Vorgabe findet sich im Titel Obscenity and Violence, der meist als Communication Decency Act (CDA) firmiert und zur Zeit der Verabschiedung des TCA einen enormen öffentlichen Wirbel produzierte, weil befürchtet wurde, er oder zumindest Teile von ihm übertreibe es, kriminalisiere Obszönität im Internet unnötig und verletze First Amendment-Rechte. Tatsächlich urteilte der Supreme Court 1997 in Reno v. Civil Liberties Union, einige Abschnitte des CDA seien verfassungswidrig, woraufhin das Gesetz entsprechend angepasst wurde. Allerdings ist es ein seinerzeit weniger diskutierter Abschnitt, der in den Jahren darauf für einiges Aufsehen sorgte und das eingangs zitierte Urteil der Historikern Jil Lepore (2020) von den „ katastrophalen Folgen“ (S. 893) begründete: Section 230. 3.9.2 Section 230 und Netzplattformen: Telekommunikationsdienste oder Informationsanbieter? „REPEAL SECTION 230! ” twitterte der damalige US-Präsident Donald Trump am 28. Oktober 2020 - als (vorläufig) letzten einer Reihe ähnlicher Posts im Schreistil, in denen er den Kurznachrichtendienst selbst attackierte: Mitten in der Covid-19-Krise war Twitter zu Content Moderation überge‐ gangen und hatte auch etliche präsidentielle Kurzanalysen als mutmaßlich gefährliche Inhalte markiert. Frappierend - nicht so sehr, dass Kurznach‐ richten von Trump als problematisch ausgeflaggt wurden, vielmehr dass der Präsident offenbar davon ausging (und davon ausgehen durfte), dieses bürokratische Etikett „Section 230“ wäre im Land gängig und bedürfe keiner weiteren Erläuterung. Womöglich ist das auch so, denn nicht ganz zu 168 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="169"?> Unrecht trägt ein Buch über den kleinen Abschnitt 230 im Communication Decency Act den Titel: „The Twenty-Six Words That Created the Internet“ (Kosseff 2019). Sechsundzwanzig Wörter also, die das Internet erst möglich gemacht hätten? „No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.“ (Section 230, Communications Decency Act) Provider, kurz gesagt, sollen anders behandelt werden als Verleger. „In the two decades since Section 230’s passage, those twenty-six words have fundamentally changed American life.“ (Kosseff 2019, S.-3) Zum Hintergrund: Der Communication Decency Act (CDA) entspricht dem „Title V“ des Telecommunications Act. Während der wiederum weitgehend geprägt ist durch das Bemühen, die Medienbranche von Normen zu befreien und sich dabei überwiegend auf den Rundfunk, die Telefonie und Kabelnetze bezieht, hat der CDA vielmehr das (junge) Internet im Sinn und sieht einige Regeln und ggf. Sanktionen vor gegen Personen oder Unternehmen, die - wie der Titel schon sagt - „unanständigen“ Inhalt verbreiten. Ansonsten regelt der Telecommunications Act das Netz äußert zurückhaltend. Der CDA ist also ungewöhnlich restriktiv und löste daher sofort eine heftige Free Speech-Debatte aus. Nach verschiedenen Supreme Court-Entscheidungen wurden einige Klausel geändert, darunter Vorschriften, die „indecent“ und „patently offensive“ Inhalte unter Strafe setzen wollten; auch wurden die technischen Hürden, um Kinder von „Erwachsenenfernsehen“ fernzuhalten, als zu restriktiv eingeschätzt. Bestätigt wurde dagegen ein Rating-System zur Identifikation von gewalthaltigem und obszönem Material; und schließ‐ lich wurden noch Mechanismen der Selbstregulation gestärkt. Die Section 230, die hier im Fokus steht, wurde im Vergleich dazu weitaus weniger in der Öffentlichkeit problematisiert. Jedoch überträgt der Abschnitt in gewisser Weise die Freedom of Expres‐ sion auf das Internet: „Section 230 has rightly earned a reputation as a kind of super-First Amendment, providing remarkably robust online speech protec‐ tions unseen anywhere else in the world“ (Kosseff 2019, S. 239). Insbesondere trifft der Abschnitt die für die Etablierung zentraler Netzanwendungen und -unternehmen wichtige Unterscheidung zwischen Providern als „telecom‐ munication services“ auf der einen Seite, „information services“ auf der an‐ deren. Ein Provider (ein Telekommunikationsdienst) sei nicht gleichzustellen mit einem Publisher oder Speaker (Informationsdienste). Der Abschnitt zieht damit eine Grenze entlang der Dimension Editorial Control, der Kontrolle über Inhalte. Dadurch wollte der Kongress die eben aufblühende Branche 3.9 Regulierung des Internets? 169 <?page no="170"?> der Internet Service Provider und der Content-Aggregatoren von der Haftung ausschließen für die Texte, Fotos, Videos und Audiospuren, die andere auf ihren Plattformen veröffentlichen. Die Logik dieser Position wurde in der politischen Debatte häufig anhand eines Vergleichs mit Buchhändlern behauptet: Auch den Inhabern von Bookstores sei es nicht zuzumuten, alle Texte, die dort verkauft werden, selbständig nach Anstand und Sitte zu überprüfen. Ein derartiges Geschäft - auch noch unter Strafandrohung - würde und könne niemand betreiben. Ähnlich drehte sich die politische Diskussion im Vorfeld von Section 230 schließlich zentral um die Frage: Warum sollte irgendjemand in Internet- Firmen investieren, wenn er oder sie haftbar gemacht werden könnte für die Millionen Inhalte, die Nutzerinnen und Nutzer auf dieser Plattform (mit-)teilen. Während im Zeitungswesen eine entsprechende Editorial Con‐ trol noch Sinn mache und vor allem: praktikabel sei und Verleger, Redakteure und Autoren nach klar definierbaren Kriterien z. B. auf Diffamierung verklagt werden können, hat der Kongress mit Section 230 die Provider und Plattformen von den üblichen Standards in Sachen Beleidigung, Hetze, Falschdarstellung, Lüge, Diffamierung und übler Nachrede befreit (vgl. Braman 2009, S.-98-99). Und das war nicht nur eine theoretische Debatte mit Blick auf künftige Investitionen in die Branche. Hinsichtlich der Kommunikationsfreiheiten verfolgte der Kongress zwei weitere konkrete Ziele. Erstens sollte Freedom of Expression geschützt werden, indem die Unternehmen nicht aus Angst vor Haftungsklagen massiv Texte streichen, verbieten oder sperren. Zweitens wollte das Gesetz zugleich die Plattformbetreiber dazu bewegen, Mecha‐ nismen der Selbst-Regulation zu entwickeln oder auszubauen und eigene Verhaltensnormen festzulegen: Denn mit Section 230 verbindet sich nicht nur der Schutz vor Diffamierungsklagen, sondern zugleich - und ebenso wichtig - das Recht, Inhalte zu blockieren. Der Kongress wollte „the best of two worlds“ (Napoli 2019, S.-34). Diese Dualität speist sich aus der vorherrschenden Interpretation des First Amendment, nach der dieser Verfassungszusatz neben der freien Rede auch das Recht schützt, „to hear the speech of others“ (Barman 2009, S. 99). Genau deshalb muss im Falle solcher Netzplattformen - aus der Sicht der Unternehmen und Provider - wasserdichte Vorkehrung getroffen werden, wenn sie moderieren und Inhalte blockieren. Section 230 enthält daher nach gängiger Lesart eine Good Samaritan-Klausel: ein auch in anderen Rechtsgebieten bekanntes Prinzip, nach dem Personen, die z. B. in einer 170 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="171"?> Notsituation auf vernünftige Weise zu helfen versuchen, im Falle von mög‐ lichen Schäden nicht belangt werden sollten. Im Fall der Onlineplattformen, die nicht haftbar sein sollen für die Sperrung von problematischen Inhalten, spricht man von „Good Faith Blocking“. Tatsächlich mussten sich amerikanische Gerichte schon vor dem Erlass des Communication Decency Act mit einer Vielzahl von Fällen beschäftigen, in denen sich Internetunternehmen für Inhalte zu verantworten hatten, über die sie eben keine Editorial Control besaßen. Schon damals findet sich eine heute noch (auch in Europa) diskutierte Problematik, dass eine generelle Haftungsfreistellung im Sinne eines Good Samaritan insofern problematisch wäre, als Internet Provider bei der Masse an On-the-Post-Entscheidungen dazu neigen würden, allein schon aufgrund eines vagen Hinweises einen Beitrag zu löschen, weil die Publikation sich als rechtliches Problem darstel‐ len könnte, nicht aber die Löschung. Hinzu kamen seinerzeit auch Streitfälle, in denen Netzunternehmen zwar Verhaltensrichtlinien für ihre Plattformen vorgaben, sie aber nicht genügend verfolgt hätten (vgl. Kosseff 2019). Section 230 befreit diese Online Intermediaries wie eben Facebook, Yahoo, Twitter u. Ä. aber auch Google von der Idee, sie müssten jeden einzelnen Beitrag, Text oder Inhalt kontrollieren. Der eingangs zitierte Buchtitel hebt ab auf diese „extraordinary protection of […] breathtaking room“ (Kosseff 2019, S.-162), ohne die vermutlich Unternehmen wie Google oder Facebook eine erste Welle an Haftungsklagen in den USA wohl kaum überstanden hätten. Heute sind die USA nicht das einzige Land, dass Internetprovider und -plattformen schützt. Auch die EU, Kanada oder Australien kennen ähnliche Regelungen, wenngleich verbunden mit Prozessvorgaben: dass nämlich die Unternehmen beanstandete Inhalte nach entsprechender Prüfung und einem vorgegebenen Verfahren rasch zu löschen hätten, sobald sie darauf hingewiesen wurden. Die konkreten Regelungen in den USA sind allerdings deutlich großzügiger. „Increased legal obligations for online intermediaries are not merely quirks of the European legal system. Other jurisdictions that generally share Western democratic values - such as Canada and Australia - have no equivalent of Section 230.“ (Kosseff 2019, S. 159) Interessanterweise hat der Kongress insbesondere auf die Unterschiede zur europäischen Jurisdiktion mit dem SPEECH Act reagiert (Securing the Protection of our Enduring and Established Constitutional Heritage Act). Ein Gesetz, das eine Art „Diffamierungstourismus“ verhindern soll: dass etwa in Großbritannien gegen Amerikaner geklagt werden könnte (Kosseff 2019, S.-162.). 3.9 Regulierung des Internets? 171 <?page no="172"?> Zur Zeit ist Section 230 zwar nicht auf der Agenda der breiten amerika‐ nischen Öffentlichkeit, aber durchaus Thema netzpolitischer Debatten, die auch parteipolitisch geprägt sind (→ Kapitel 6.3). Vor allem die Republikaner koppeln ihre Argumente an die Kritik einer Cancel Culture. Bezeichnend dazu eine erste Kongressvorlage 2019 mit dem Titel Ending Support for Internet Censorship Act, die von den Providern eine neutrale Moderation garantiert sehen wollte, was wiederum die Federal Trade Commission zer‐ tifizieren möge. (Die Vorlage liegt seit Jahren im Senat.) Auch Präsident Trump reagierte seinerzeit und erließ Ende Mai 2020 eine Executive Order on Preventing Online Censorship, die u. a. die Federal Communications Commission dazu aufforderte, Section 230 zu überdenken. Wie sehr dabei die Order von der Wahrnehmung einer parteipolitischen Neigung der Netzunternehmen eine Rolle spielte, mag ein kurzer Abschnitt aus der Präambel verdeutlichen: „In a country that has long cherished the freedom of expression, we cannot allow a limited number of online platforms to hand pick the speech that Americans may access and convey on the internet. This practice is fundamentally un-American and anti-democratic. When large, powerful social media companies censor opinions with which they disagree, they exercise a dangerous power. They cease functioning as passive bulletin boards, and ought to be viewed and treated as content creators.“ Fast schon ironisch, wenn man bedenkt, dass hier unter der Flagge der „freien Rede“ die Republikaner so etwas wie eine Fairness Doctrine für das Internet vorschlagen, also das, was sie beim Rundfunk noch heftig bekämpft hatten (vgl. Kang & Butler 2020, S. 597-598). In beiden Fällen allerdings basieren die Positionen auf der Wahrnehmung eines generellen Bias, einer negativen Einstellung einiger Medien oder Medienunternehmen gegenüber der Republikanischen Partei. 3.9.3 Netzneutralität Zum Hintergrund der seit gut zwanzig Jahren aktuellen Debatte um die so genannte Netzneutralität gehört für die USA auch der Communications Act von 1934. Er regulierte nicht nur - wie besprochen - den amerikanischen Rundfunk, sondern setzte auch Standards und Normen für die Telefonie. Insbesondere bestimmte er Telefondienste als Common Carrier (→ Kapitel 3.1), wodurch Telefonanbieter ihre Netze der allgemeinen Öffentlichkeit diskriminierungsfrei zugänglich machen müssen. Der entsprechende „Title II“ des Communications Act lautet: „All charges, practices, classifications, 172 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="173"?> and regulations for and in connection with such communication service, shall be just and reasonable, and any such charge, practice, classification, or regulation that is unjust or unreasonable is hereby declared to be unlawful.“ Unter Netzneutralität versteht man einerseits die Gleichbehandlung von Daten im Zuge ihrer Übertragung im Internet sowie andererseits den unterschiedslosen Zugang zu Datennetzen. Was sich vordergründig wie ein technisches Prinzip ausmacht, ist für Netzenthusiasten im Kern eine Frage des Ideals einer Kommunikationssphäre, eines freien und offenen Netzes, das keine Restriktionen kennt, Zugang und Datenverbreitung nicht über Gebührenmodelle differenziert und auch nicht bestimmte Datenpakete bevorzugt behandelt. Nun war lange Jahre der Zugang zum Internet für die meisten Nutzer ausschließlich über die Telefonnetze möglich. Und insofern finden sich im Common Carrier-Modell die Wurzeln der Netzneutralität: So lange die FCC diese Form der Datenübertragung als Telecommunications Service definierte, fiel die Regulation unter den zitierten „Title II“, der damit Netzneutralität festschrieb - lange bevor der Begriff selbst etwa um die Jahrtausendwende geprägt wurde. Damit besaß die Kommission die Kompetenz, die Anbieter von Telefondiensten daran zu hindern, gegen Gebühren irgendwelche Verbindungen oder Datenpakete zu priorisieren oder andere gar zu blockieren. Hier deutet sich schon an: Wie in anderen Sektoren der Medienbranche hängt die regulatorische Einschätzung ab von der Verbreitungstechnik der Signale, Daten, Inhalte (vgl. Pelligrini & Krone, S. 357). Vor allem die Breitband-Kabelnetze, die in den 1990er-Jahren ihre größte Expansion erfuhren, wurden noch lange als Telecommunications Service definiert. Gegen Ende des Jahrtausends zeichneten sich allerdings immer genauer Geschäftsmodelle ab, die nach Datenmenge, Herkunft, Qualität und Art der Datenpakete im Internet unterscheiden konnten (und wollten) und Priorisierungen möglich machten. Technisch war das im Prinzip schon länger bekannt als so genanntes Traffic Management zur Optimierung von Netzlasten. Nun kursierten Modelle von Premiumdiensten - und die Erhebung von Durchleitungsentgelt. Rechtlich bewegte man sich dabei in einem Spannungsfeld, das man schon aus dem klassischen Wegerecht kennt: Der Spannung zwischen Verfügungsfreiheit und Eigentum. Warum sollen Netzprovider, die viel Geld in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt hatten, durch die Regierung an einer Priorisierung von Datenpaketen gehindert werden (vgl. Albarran 2010, S.-122-123)? 3.9 Regulierung des Internets? 173 <?page no="174"?> 37 https: / / www.c-span.org/ video/ ? 162428-1/ federal-communications-commission-chair man-meet-greet; 1h04’38“ Dabei sehen nicht alle im und mit dem Netz operierenden Unternehmen ein Gebührenmodell positiv. Beispielsweise Google oder Yahoo (vgl. Albarran 2010, S. 122) lehnen das ab, u. a. weil sie befürchten, dass ihre Angebote weniger genutzt würden. Auch Dienste wie Netflix oder Skype gehen davon aus, ohne gesetzliche Regelungen selbst von den Providern mit Gebühren belegt zu werden - weshalb sie als Anbieter einer basalen Infrastruktur zu Einhaltung von Neutralitätsregeln verpflichtet werden sollten. Dagegen argumentieren wiederum viele Netzdienste, gerade die Einführung einer abgestuften Netzwerkverwaltung würde Datenstaus verhindern und Inno‐ vation fördern. Und insbesondere seien angesichts des exorbitant steigenden Datenaufkommens enorme Investitionen in den Ausbau der Netzte nötig. Irgendwo müsse das Budget dazu generiert werden. 2002 schloss sich der Republikanische Direktor der FCC, Michael Powell, diesem Gedanken an und traf die seinerzeit umstrittene Entscheidung, den Zugang zum Internet über ein Kabel-Modem als Informationsdienst zu definieren - womit dieser Verbreitungsweg unter einen anderen Titel des Communications Acts fiel - Titel I -, und der wiederum sieht kaum Regulierungskompetenz bei der FCC vor. Bezeichnend für die Facetten der Netzneutralität-Debatte ein Zitat von Powell, mit dem er auf einer Pressekonferenz dem Argument begegnete, Entgelte im Netzzugang würden soziale Ungleichheit verstärken: „I think there is a Mercedes divide. I would like to have one, but I can't afford one.“ 37 Schließlich habe auch niemand, fügte er hinzu, von einem TV-Divide gesprochen, als sich in den 1940er-Jahren vornehmlich die wohlhabenderen Schichten des Landes ein Fernsehgerät anschaffen konnten. Mit dieser Entscheidung Powells respektive der von ihm geführten FCC begann ein regulatorisches Hin-und-Her. 2015 hat die Kommission, diesmal unter Führung des Demokraten Tom Wheeler, den Zugang zum Netz wieder als Telecommunications Service definiert und damit zur Netzneutralität verpflichtet. Kurz darauf erfuhr das an Netzpolitik interessierte Amerika, dass Wahlen Konsequenzen haben: Anfang Januar 2018 vollzog der von Trump eingesetzte Direktor Ajit Pai, ein ausgesprochener Gegner der Neutralitäts-Position, mit der Restoring Internet Freedom Order (ein Titel, der von den Demokraten gleich als absurd widersinnig bezeichnet wurde) eine neuerliche Kehrtwendung und definierte das Broadband Internet wieder 174 3 Kommunikationsfreiheiten, Medienrecht, Medienregulierung <?page no="175"?> 38 Vgl. https: / / netzpolitik.org/ 2017/ die-usa-schaffen-ihre-netzneutralitaet-ab-was-alles -dahintersteckt/ als Informationsservice. Ein wesentliches Argument dieses Revirements war, die FCC solle als Behörde nicht die Kompetenz haben, eine derart weitreichende Entscheidung zu treffen; das müsse dem Kongress überlassen werden. In der korrespondierenden öffentlichen Debatte und der online durchgeführten Proposed Rule Making-Anhörung der FCC kam es zu einigen Ungereimtheiten und eine Beeinträchtigung des traditionellen Policy-Pro‐ zesses - u. a. durch hunderte Bots, die die Kommentarseite der Kommission fluteten und mehr. 38 Mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten trat dann im Januar 2021 Ajit Pai von seinem Posten als Direktor der FCC zurück. Biden nominierte Jessica Rosenworcel, die schon unter Obama einen Posten bei der Kommis‐ sion inne hatte, als Vorsitzende des Direktoriums. Sie gilt als Verfechterin der Netzneutralität. Stand jetzt sieht sich die FCC durch eine Executive Order des Präsidenten dazu aufgefordert, die von der Trump-Regierung abgeschafften Regelungen zur Neutralität wieder einzusetzen. 3.9 Regulierung des Internets? 175 <?page no="177"?> 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft Die Medienwirtschaft der USA unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der anderer moderner Industriestaaten: Eingebettet in ein demokratisches System wird sie geprägt durch die Konkurrenz sehr verschiedener Medien‐ technologien auf vielen Publikums- und Werbemärkten. Im Detail wurden schon einige Punkte genannt bzw. werden noch weiter ausgeführt, die für die US-Medienökonomie charakteristisch sind und damit wesentliche Unterschiede markieren: ■ So folgt der Wertschätzung des Ersten Verfassungszusatzes, des First Amendment, eine strikte Zurückhaltung des Staates in der Einfluss‐ nahme auf Medien im Inland; daher stand eine dem öffentlich-rechtli‐ chen Rundfunksystem etwa in Großbritannien vergleichbare Option kaum zur Debatte (vgl. Kleinsteuber 2003, S. 88), wenngleich in den 1960er-Jahren - mit anderem Schwerpunkt, anderer Organisationsweise - ein Public Broadcasting initiiert wurde. ■ Das Mediensystem ist darüber überwiegend kommerziell organisiert, d. h. die Orientierung an den Märkten ist umfassend und spiegelt sich in einer regulatorischen Zurückhaltung des Staates. ■ Die USA bilden als Einwanderungsland eine extrem heterogene Ge‐ sellschaft, und das schlägt sich nieder in ähnlich heterogenen Publi‐ kumsmärkten und diversifizierten Medienformaten (vgl. Knüpfer 2016, S.-330). ■ Das wiederum korrespondiert mit einem traditionell lokal orientierten Nachrichtenwesen; regionale Nachrichten, sei es in der Presse oder etwa dem Kabelfernsehen, dominieren bei weitem; abgesehen von den großen Social-Media-Unternehmen sind nur wenige überregionale Medien vergleichsweise einflussreich, und sie machen auch nur einen geringeren Teil der Mediennutzung aus. ■ Die föderale Struktur der Medienunternehmen selbst ist recht ausge‐ prägt. Zwar gilt New York (mit dem Sitz von z. B. Time Warner, Viacom, Fox News, dem Wall Street Journal u. m.) als wichtigster Medienstandort (vgl. Blum 2014, S. 270). Aber dieser Standort ist - angesichts der <?page no="178"?> 39 Unter Core-Copyright Industry versteht man eingeschlossen des Lizenzmanagements all jene Unternehmen, deren primärer Zweck es ist Material zu kreieren, herzustellen und zu verbreiten, das unter das Copyright fällt, also: Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und Periodika, Filme, Musik und Musikmedien, Rundfunk und Kabelformate einschließlich Videospiele, Theater, Kunst, Fotografie, Werbung aber auch Computersofware. 40 Vgl. https: / / www.zippia.com/ advice/ media-and-entertainment-industry-statistics/ 41 M & E-Industrie umfasst all die Unternehmen, die Produkte herstellen für: die Film- und Rundfunkbranche, Presse einschließlich der Buchbranche, Musik und Audiodienste sowie eSports und den Video-Spiele-Sektor. 42 Vgl. https: / / www.trade.gov/ media-entertainment 43 Vgl. https: / / zaw.de/ wirtschaft-und-werbung/ 44 Vgl. https: / / www.marketingcharts.com/ featured-117719 lokalen und regionalen Orientierung der meisten herkömmliche Medien - keineswegs zentral. ■ Schließlich ist noch ein ökonomisch betrachtet riesiger Unterhal‐ tungssektor zu nennen, der einen erheblichen Teil der Mediennutzung im Land prägt und (nicht nur mit Hollywood) so etwas wie einen Exportschlager der USA ausmacht. Dabei sind die Vereinigten Staaten der größte Medienmarkt der Welt: Der Umsatz in der so genannten Core Copyright-Industry  39 betrug 2020 rund 1,45 Billionen Dollar. 40 Das entspricht 6,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes. Zum Vergleich: Das ist nur etwas weniger als das BIP Kanadas oder Südkoreas, etwas mehr als das von Brasilien oder Australien und ziemlich genau ein Drittel des BIPs der Bundesrepublik Deutschland. Der etwas enger definierte Sektor der amerikanischen Medien- und Unter‐ haltungsindustrie 41 machte 2020 mit 660 Milliarden Dollar immerhin etwa ein Drittel des auf 2 Billionen Dollar geschätzten globalen Marktes aus. 42 Während hierzulande über den Daumen gepeilt die Werbeindustrie über ein jährliches Marktvolumen von 47 Milliarden Euro verfügt, 43 reden wir für die USA von umgerechnet rund 230 Milliarden Dollar - nur für Werbung auf Internetplattformen und im Fernsehen. Hinzu kommen weitere rund 60 Milliarden für Radio, Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Werbeformen. 44 In ähnlicher Größenordnung kommen die Film- und Fernsehindustrie - etwa 110.000 Unternehmen mit etwa 2,2 Millionen Arbeitsplätzen - zusam‐ men auf einen Jahresumsatz von rund 226 Milliarden Dollar (vgl. American Motion Picture Association 2021). Die amerikanische Medienökonomie ist dabei, letzte einleitende Anmerkung, hochkonzentriert: Der Medienbesitz verteilt sich auf relativ wenige Unternehmen bzw. Eigentümer. Noch 1983 kontrollierten immerhin rund 50 Unternehmen etwa 90 Prozent des US-Me‐ 178 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="179"?> 45 Vgl. https: / / www.mediadb.eu/ dienmarktes. Heute setzen die größten fünf Medien- und Wissenskonzerne des Landes - Alphabet, Meta Platforms, Comcast, Apple und Walt Disney - jährlich etwa 530 Milliarden Dollar um 45 : rund 80 Prozent des landesweiten Umsatzes in diesem Sektor, was wiederum, um im Bild zu bleiben, in etwa dem BIP von Schweden entspricht. 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends Das Pressewesen in den USA orientierte sich anfangs wie in anderen Ländern an kleinen Gemeinden und Städten. Dabei verfolgte bereits George Washington eine erste rudimentäre Medienwirtschaftspolitik und ließ die Verteilung von Druckerzeugnissen durch das sich eben entwickelnde nationale Postwesen subventionieren. Damit hatte er wohl weniger die Watchdog-Funktion einer „vierten Gewalt“ im Sinn, mehr ein praktisches Verständnis vom Nutzen der Presse für den Aufbau und das Prosperieren der jungen Nation. Aufgrund der hohen Druckkosten waren die kleinen Unternehmen zwar noch lange abhängig von parteipolitisch interessierten Sponsoren (→ Kapitel 2.2, 2.3), doch waren sie durch solche Subventionen früh in der Lage, über ihren ursprünglichen örtlichen Bezugsraum hinaus zu expandieren. Etwa um 1820 soll bereits die Mehrheit der Zeitungsleser jenseits der jeweiligen Gemeindegrenzen gelebt haben (vgl. Starr 2004, S. 90). Ab den 1830er-Jahren wandelte sich die Presse sukzessive, zunächst durch drastische Preissenkungen beim Papier und der Druckerfarbe. Zugleich gewann man mit der Penny Press und dem Verzicht auf politische Finanziers einen breiteren Leserkreis und stützte sich (was Voraussetzung war) auf einen größeren Anzeigenmarkt. Mit dem Telegraphen und später der Eisen‐ bahn verband sich dann nicht nur eine neue Aktualität - Informationen konnten weitaus schneller übermittelt werden -, sondern gelegentlich auch ein überregionaler Werbemarkt. Mit den im letzten Drittel des 19. Jahr‐ hunderts erneut sprunghaft ansteigenden Zuwanderungszahlen nahm der Wettbewerb in der Branche rapide zu, insbesondere in den Großstädten der Ostküste: Man schrieb nun in Ressorts oder begann sie zu erweitern, der Umfang der Zeitungen nahm zu und für die wachsenden Redaktionen mussten größere Verlagshäuser angemietet werden. Zugleich stiegen die Kosten für die Druckereien: Hatte in den 1840er-Jahren eine Druckpresse 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 179 <?page no="180"?> rund 4.000 bis 5.000 Dollar gekostet, so sind es vierzig Jahre darauf etwa 80.000 Dollar (Hamilton 2004, S. 48). Mit dem hohen Kapitaleinsatz einher ging nicht nur eine, wie wir heute sagen würden, Professionalisierung des Journalismus, sondern nachgerade eine Institutionalisierung der Presse: „It has made the press more of an institution, less of a personal organ. Men no longer designate journals by the owner’s or editor’s name. It used to be Bryant’s paper, or Greeley’s paper, or Raymond’s, or Bennett’s. Now it is simply Times, Herald, Tribune, and so on.” (ebd. S.-48) Um Kosten zu senken und günstige Werbepakete anbieten zu können, bildeten sich zum Ende des 19. Jahrhunderts erste Zeitungsketten oder Zeitungsgruppen (Newsgroups ist der gebräuchliche Begriff). 1910 waren 13 solcher Ketten bekannt, heute sind sie eine wesentliche Säule des US- Pressewesen (vgl. Baldasty 2008): Mehr als 80 Prozent der amerikanischen Zeitungen gehören zu einer der rund 130 Zeitungsgruppen im Land, wobei das größte Fünftel rund 70 Prozent der Auflage auf sich vereint (vgl. Aber‐ nathy 2020; Noam 2009). Entwickelt wurde das Modell der Zeitungsgruppe in den 1870er-Jahren von Edward Willis Scripps im mittleren Westen, jenseits der großen Metropolregionen. Die Gruppe Scripps-McRae League of Newspapers (später die Scripps-Howard-Company) besaß 1889 bereits 18 Zeitungen (schließlich wurden es 40). Das gelang durch konsequente Kos‐ teneinsparung, Vermeidung von Wettbewerb und vor allem durch Inhalte wie Cartoons und Features sowie Nachrichten, die sich die Kettenglieder gegenseitig zur Verfügung stellten (vgl. Baldasty 2008). Die vor dem Zweiten Weltkrieg mit Scripps wichtigsten Zeitungsgruppen wurden die Hearst Corporation und die Cowles Publishing Company. Gemessen an der Zahl unabhängiger Publikationsorgane im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße, waren die 1920er-Jahre mit rund 2.000 Zeitungen die erfolgreichsten der US-Pressewirtschaft. In dieser Zeit hatte das Auf‐ kommen der Zeitungsgruppen noch wenig Auswirkungen auf die Vielfalt des Angebots; insbesondere in den mittleren und größeren Städten konkur‐ rierten oft mehrere Unternehmen, wobei in der Regel sowohl Morgenals auch Abendzeitungen herausgegeben wurden. Das änderte sich mit der Konkurrenz des Radios (und gar nicht so lange darauf: des Fernsehens), dem Ausbau der Suburbs und durch ein aufkommendes Interesse der Finanzwelt an Investitionen in Monopoly Newspapers: „Large companies and Wall Street investors saw profits in local newspapers, profits that would grow through the efficiencies of chain management. […] Chain newspapers could share marketing, human resource management, and distribution costs. Papers 180 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="181"?> 46 http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7JrbhvlWB could share advertising sales and negotiate ads for multiple papers […]. Chain newspapers could also share content, lowering the cost of news production by using the same copy across multiple markets.“ (Federal Communications Commission, 2011, S. 35-36) Was ebenfalls zur Corporati‐ zation der bis dahin überwiegend familiengeführten Zeitungsunternehmen beitrug, war eine drastisch erhöhte Erbschaftssteuer, die viele ältere Verleger nun durch den vorzeitigen Verkauf zu umgehen suchten (ebd. S.-35). Die Folgen auch für die Zeitungsvielfalt im Land waren binnen weniger Jahre spürbar und markieren einen bis heute kaum gebrochenen Trend. Waren 1920 noch über 90 Prozent der Tageszeitungen unabhängig, d. h. gehörten keiner Zeitungsgruppe an, so waren es im Jahr 2000 knapp 23 Prozent. Konkurrierten 1920 noch in 42,6 Prozent der amerikanischen Städte mindestens zwei Zeitungen miteinander, so sind es bereits 1940 nur noch 12,7 Prozent und zur Jahrtausendwende gerade einmal 1,4 Prozent (vgl. Noam 2009, S.-139-142). Das meint konkret für 2001: In 49 amerikanischen Städten erschienen noch zwei oder mehr Tageszeitungen; in 16 dieser Städte konkurrierten zwei Zeitungen lediglich scheinbar miteinander, da sie derselben Unternehmensgruppe zuzurechnen waren. Weitere zwölfmal bedienten Zeitungen denselben Markt unter so genannten Joint Operating Agreements, die für sie einen kartellrechtlichen Sinn machten, aber nicht wirklich zum Wettbewerb beitrugen. Damit hatten gerade einmal 21 Städte tatsächlich so etwas wie Konkurrenz bei Tageszeitungen; in nur fünf Städten (Tucson, Los Angeles, Chicago, New York und Seattle) sind es auch mehr als zwei Publikationen. Das ist für sich genommen schon ein massiver Wandel, um so mehr noch, wenn man sich die Situation Ende des 19. Jahrhunderts vor Augen führt, als praktisch in jeder nur einigermaßen bevölkerten Stadt mindestens eine Hand voll Tages- und Wochenzeitungen erschien, ja in den großen Städten der Ostküste schon einmal zwei Dutzend (vgl. McChesney 2004, S. 227). 46 Heute deckt in kaum einer Stadt der USA mehr als eine Tageszeitung das aktuelle Geschehen ab, auch nicht in den größeren (vgl. Abernathy 2020). Mit dem Zweiten Weltkrieg ging zunächst trotz der medialen Konkur‐ renz durch den Rundfunk eine kontinuierliche Erhöhung der Auflagen einher. Dem folgte eine Zeit der Stagnation, die mit dem Verkauf von fast 600 Zeitungen an Zeitungsketten Anfang der 1980er-Jahre in eine Phase des neuerlichen Aufschwungs überging. In dieser Konzentrationsphase 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 181 <?page no="182"?> 47 Vgl. https: / / www.agilitypr.com/ resources/ top-media-outlets/ top-10-daily-american-ne wspapers/ steigerten die Konzerne ihren Profit vornehmlich durch Erhöhung der Anzeigen- und Werbepreise und die Gewinnmargen wuchsen - über die gesamte Pressebranche betrachtet - bis zum Ende der 1990er-Jahre auf fast 30 Prozent (vgl. Bogart 1991, S. 40-41). Diese Profite realisierten sie trotz der kontinuierlich steigenden Bevölkerungszahl nicht durch den eigentlichen Zeitungsverkauf und Werbe-Kontakte, sondern durch die Werbe-Preise. Hatten Tageszeitungen um 1970 etwa jeden dritten Amerikaner erreicht, so war es zur Jahrtausendwende nur noch jeder fünfte. Zur Einordnung der Auflagenzahlen (→ Abbildung 1): 1950 zählte die Bevölkerung der USA rund 151 Millionen, 1970 sind es fast 203 Millionen, zur Jahrtausendwende etwa 281 Millionen und heute circa 331 Millionen. Abb. 1: xxx 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 Morgenzeitung Abendzeitung Gesamt Sonntagszeitung Prüfen: Wird auf Farbigkeit der Linien im Text hingewiesen? Abbildung 1: Tageszeitungen in den USA, Auflagen 1945-2014 in Tausend-| Quelle: in Anlehnung an Newspaper Association of America; Trends & Numbers; Newspaper Circulation Volume (letztes Update: 20.03.2015; Anmerkung: Gesamtauflage = Auflage Morgenzeitung + Abendzeitung, ohne Sonntagszeitung; 2010: keine Daten. Die fünf größten Tageszeitungen der Vereinigten Staaten sind dabei, Stand Juli 2022: 47 1) das Wallstreet Journal mit einer Auflage von rund 2,2 Millionen, 2) USA Today (rund 1,2 Millionen), 3) die New York Times (rund 540.000), 4) die New York Post (rund 426.000) und 5) die Los Angeles Times (rund 182 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="183"?> 48 https: / / blog.auditedmedia.com/ newsviews/ view-top-10-us-magazine-media-brands 410.000). Drei Besonderheiten sind hier zu erwähnen: USA Today, gegründet 1992, ist die erste explizit so angelegte nationale Tageszeitung. Sie kennt nach regionalen Zonen unterschiedene Ausgaben, greift aber internationale, nationale und regionale Themen auf (in einem bewusst kurz gefassten Stil). Die über Generationen hinweg wohl einflussreichste Zeitung des Landes ist die New York Times; sie setzt(e) regelmäßig die Standards für Qualitätsjournalismus in den USA. Einzig das Wall Street Journal dürfte für die Finanzwirtschaft einen größeren Einfluss haben. Andere bekannte Zeitungen wie die Washington Post, die Chicago Tribune oder der Boston Globe pendelten sich in den letzten Jahren bei Auflagen um rund 250.000 ein. Solche Zeitungen wiederum - geschätzt etwa 150 - decken Metropolregio‐ nen oder ganze Staaten ab und bilden mit ihrem Journalismus ein Bindeglied zwischen lokalen Agenden und überregionalem Geschehen: „In other words, the journalism in these metro and regional dailies connects residents of communities in one area of a state with those in a distant part of the state, helping them come together to solve statewide problems.“ (Abernathy 2020, S.-13) Das größte Zeitungsmagazin der USA war im 2. Quartal 2022 People; es erreicht mit einer wöchentlichen Auflage von rund 3,5 Millionen eine geschätzte monatliche Leserschaft von etwa 81,4 Millionen. Die nächstgrö‐ ßeren in dieser Hinsicht: beim ARRP The Magazine, dem Publikationsorgan des Verbandes American Association of Retired Persons, sind es knapp 48,5 Millionen und bei Good Housekeeping etwa 39 Millionen. Die in Europa wohl wesentlich bekannteren Sport Illustrates (31,5 Millionen), Cosmopolitan (26,3 Millionen) sowie National Geographic (25 Millionen) fallen dagegen etwas ab. 48 Das zweiwöchentlich erscheinende Time-Magazin hat eine Auflage von rund 3,1 Millionen, die ähnlich auch politisch konzentrierte Newsweek (zwischenzeitlich für knapp zwei Jahre allein online publiziert) kommt auf rund 1,5 Millionen wöchentliche Exemplare. Vor allem Tageszeitungen haben weitreichende Strategiewechsel hin‐ sichtlich ihrer Onlinepräsenz vornehmen müssen. Nach der Finanzkrise stellten buchstäblich hunderte Publikationen ihr Erscheinen ein oder durch‐ liefen gleich mehrere Umstrukturierungswellen (vgl. Federal Communica‐ tions Commission 2011, S. 37). Zuvor hatte die Presse mit der Etablie‐ rungsphase des Internets zwar Konkurrenz gespürt, rückläufige Auflagen gingen aber lange nur von den Sonntagszeitungen aus (abgesehen von den 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 183 <?page no="184"?> 49 Dieser Rückgang erklärt sich zum einen durch neue Geschäftsstrategien, soll zum anderen aber auch durch eine besonders in den großen Städten spürbare Verkehrs‐ problematik, die eine pünktliche Auslieferung erschwerten; das morgendliche Erschei‐ nungsfenster läßt mehr Flexibilität zu. 50 Vgl. newspaper association of america, advertising Expenditures, http: / / www.naa.org / Trendsandnumbers/ advertising-Expenditures.aspx Abendzeitungen, die ab etwa 1970 einen kontinuierlichen Abbau erfuhren). 49 Die Auflagen dieser sonntäglichen Ausgaben waren nach dem Weltkrieg kontinuierlich gestiegen, relativ stark dann in den 1980er- und 1990er- Jahren. Waren es 1970 noch 538 Sonntagszeitungen im Land, so sind es 2002 beachtliche 917 - meist recht profitable, thematisch breitere und umfang‐ reichere (die Sonntagsausgabe der New York Times umfasst schon einmal 300 Seiten) Ableger der lokalen Zeitungen in kleineren und mittelgroßen Städten. Mit dem Platzen der so genannten Dot-Com-Blase 2001 und dem Aufkom‐ men der Social Media ab 2006 sowie der Finanzkrise 2008 ging ein deutlicher Einbruch der Werbeeinnahmen bis 2010 um fast die 50 Prozent einher. 50 (Der gesamte Werbemarkt der USA schrumpfte zwischen 2000 und 2010 von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 1 Prozent.) Einige Schätz‐ ungen gehen davon aus, dass bereits 2010 gut die Hälfte der Leserschaft allein online erreicht wurde (Neuman et al. 2011, S. 24). In dieser Krise der Pressebranche mussten auch einige prominente Zeitungen Insolvenz anmelden bzw. Gläubigerschutz beantragen: die Chicago Tribune, die Los Angeles Times, der Philadelphia Inquirer (diese Zeitungen konnten jedoch gerettet werden) (vgl. McChesney & Nichols 2010, S.-29). Bis 2020 sanken dann die wochentäglichen Auflagen weiter auf 24,2 Millionen - gegenüber noch 55,8 Millionen zur Jahrtausendwende. Entspre‐ chend drastisch entwickelten sich die Umsatzzahlen und der Profit. Von 2002 bis 2010 sank der Umsatz um 27,8 Prozent und dann bis 2020 erneut deutlich um 33,6 Prozent. Einen gleichläufigen Trend verzeichnete nun der Markt der periodischen Zeitschriften, also z. B. Wochenzeitschriften oder Nischenpublikationen aus der Wissenschaft oder Kirche. Auch hier halbierte sich in etwa der Umsatz in den letzten zwanzig Jahren (vgl. Pew Research v. 29. Juni 2021). Diese massiv sinkenden Einnahmen hatten natürlich Folgen nicht nur für die eingestellten Zeitungen, sondern auch für die Beschäftigungsstrukturen in solchen Redaktionen, die sich am Markt halten konnten. Insofern koppelt sich an die drastischen Budgetkürzungen eine übergeordnete Problematik zur Watchdog-Funktion der Presse. So ist 184 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="185"?> nach einer Erhebung des Pew Research Center vom Juli 2021 die Zahl der in Newsrooms über alle Medienformen hinweg beschäftigten Mitarbeiter im Zeitraum von 2008 bis 2020 um rund 26 Prozent zurück gegangen. Absolut ausgedrückt: von rund 114.000 auf 85.000 (→ Abbildung 2). Dieser drastische Rückgang wird zwar etwas von steigenden Beschäftigungszahlen in reinen Online- oder Internet-Redaktionen aufgefangen; frappierend aber bleiben die Zahlen bei den klassischen Tageszeitungen - ein Rückgang von nicht weniger als 57-Prozent. Abb. 2: xxx 0 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 120.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 gesamt Presse Fernsehen Online/ Internet Radio Kabelfernsehen Abbildung 2: Mitarbeiter in Nachrichtenredaktionen nach Branche 2008-2020-|-Quelle: in Anlehnung an Pew Research Center, 13.07.2021; Anmerkung: Mitarbeiter umfassen Analysten, Reporter, Journalisten, Herausgeber, Photographen, Kameraleute. Parallel entwickelte sich nun eine bis heute kaum abflauende Debatte um den Einfluss von Inhabern, Managern und Großaktionären auf die Arbeit von Redaktionen. Noch im Zweiten Weltkrieg soll der Herausgeber der New York Times, Arthur Sulzberger, Anzeigenplatz in seinem Blatt gestrichen ha‐ ben, als der Umfang seiner Zeitung aufgrund der Papierknappheit rationiert wurde - und zwar zugunsten des redaktionellen Teils, zulasten der Werbung (vgl. Bogart 1991, S. 52). Ein heute schwer vorstellbares Szenario, insbeson‐ dere nach der Finanzkrise von 2008, als der Anteil von Private Equity Firms in der Branche zunahm und zeitgleich die Werbebudgets einbrachen. Das galt umso mehr, wenn die Modellrechnungen der (neuen) Anteilseigner hohe Gewinnmargen zur Re-Finanzierung der Investitionen einplanten. Während 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 185 <?page no="186"?> es nun einerseits zunächst durchaus gelang, mit der eigenen Internet- Präsenz das Publikum zu halten, konnte man damit Einnahmeverluste bei den gedruckten Ausgaben dennoch nicht kompensieren. Zwischen 2005 und 2010, so eine Studie der Federal Communications Commission (2011, S. 39), stiegen die Einnahmen durch Onlinewerbung um rund 1 Milliarde Dollar; im selben Zeitraum verlor die Branche allerdings Print-Werbung im Umfang von 26,4 Milliarden Dollar, oder anders ausgedrückt, was den Faktor drastisch vor Augen führt: „each print dollar was being replaced by four digital pennies“ (ebd.). Mit dem korrespondierenden und zeitgleich einsetzenden Erfolg der Social Network Sites (SNS) und deren Nachrichten- Funktionen stieg der Druck weiter an, ähnliche Strategien zu verfolgen, um nicht noch mehr Werbeetat zu verlieren: „The news offerings of social websites - which are for-profit, advertiser-dependent organizations - have become serious competitors for legacy media. At times, they even pressure legacy media to devote time to topics that dominate the social networks’ agenda.“ (Graber & Holyk 2011, S.-97) Um solche Strukturdaten (Auflagen- und Umsatzentwicklung, Beschäfti‐ gungszahlen usf.) einordnen zu können, sind sie noch durch funktionale Betrachtungen zu ergänzen. So hatte sich die schon erwähnte Studie der FCC (2011) genauer angesehen, welche Folgen Umwidmungen, Einsparungen und gar Schließungen von Medien mit dem Internet und der Konkurrenz durch SNS für das lokale Nachrichtenwesen haben. Denn es sind gerade lokale Nachrichten, die in der amerikanischen Medienpolitik als Garanten einer vielfältig informierten und integrierten Gesellschaft gelten. Dabei hat die Studie (bis 2010) einige problematische Entwicklungen im lokalen Pressewesen herausgearbeitet (ebd., S.-45-55): ■ So geht der für die kritisch-distanzierte Berichterstattung wichtige nachforschende Journalismus deutlich zurück, gerade auf lokaler Ebene, wo es den kleineren Redaktionen vergleichsweise schwerfällt, einzelne Journalisten für einen längeren Zeitraum auf eine Investigativ-Recher‐ che abzustellen, zumal deren Erfolg meist schwer einzuschätzen ist. ■ Einschnitte zu verzeichnen sind gerade in der Ansetzung von Reportern auf einzelne Sektoren, z. B. mit Blick auf die lokale Schulverwaltung - ein in den USA traditionell wichtiges Thema der örtlichen Presse. Ähnliches gilt für Berichte aus den Gerichten oder den Polizeibehörden, zumindest soweit sie über den Wiederabdruck von Pressestatements hinaus geht. Ein in das örtliche Geschehen eingearbeiteter Journalismus 186 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="187"?> 51 Die Journalismusforschung hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Hamsteri‐ zation geprägt. Er besagt, dass die immer deutlicher unter Zeitdruck arbeitenden Redaktionen, angesichts der Konkurrenz durch Netzplattformen, neue Schwerpunkte setzen und ein neues Kalkül entwickeln: „The Hamster Wheel is […] motion for motion’s sake. […] But it’s more than just mindless volume. It’s a recalibration of the news calculus.“ (Starkman 2010, o.S.) 52 Vgl. National Newspaper Association, 2009, Facts and Figures, http: / / www.nnaweb.or g/ ? / nnaweb/ community02/ 87 ist rückläufig; gleiches gilt für Universalthemen wie Umweltschutz und Klimawandel, die zeitaufwendige Expertise benötigen. 51 ■ In der Politikberichterstattung dominiert nach wie vor die Agenda des Kongresses oder die des Weißen Hauses; deutlich zurück geht die Berichterstattung über die lokalen oder regionalen Folgen der Entschei‐ dungen in Washington D.C. Zum Zeitpunkt der FCC Studie hatten nicht weniger als 27 Staaten keine ausdrücklich für die Hauptstadt abgeordneten Journalisten. Die Zahl der Zeitungen, die dort ein eigenes Büro unterhalten, fiel von etwa 200 Mitte der 1990er-Jahre auf 73 Ende 2008 ab. ■ Tendenziell das gleiche gilt für die Wirtschaftsberichterstattung: Es überwiegt die nationale Perspektive, nicht zuletzt, weil in den State Houses, den Parlamenten der Einzelstaaten, entsprechende Reporter ein‐ gespart wurden: „the drops in statehouse reporting hinder the ability of private businesses to get a rich feel for economic trends and conditions“ (Federal Communications Commission 2011, S.-54). Vergleichsweise gut scheinen die so genannten Community Newspapers zumindest die Phase bis ca. 2010 überstanden zu haben. Darunter versteht man lokale Zeitungen mit einer Auflage von durchschnittlich um 15.000. Diese heute rund 6.500 kleineren Publikation machen etwa 80 Prozent aller Presseorgane in den USA aus (aber nur etwa ein Drittel der Auflagen), was den lokalen, an einer örtlichen Gemeinschaft und deren Interessen orien‐ tierten Charakter der Branche unterstreicht (→ Abbildung 3). Allerdings zählen hierzu etliche Anzeigenblätter, Shopper Papers genannt, die gratis verteilt werden, oder kleine, stark auf z. B. kirchliche Fragen beschränkte Blätter (geschätzte rund 200), die überwiegend nicht täglich erscheinen, sondern manchmal jeden zweiten Tag bzw. meist einmal in der Woche. 52 Die Community Newspapers finden sich nahezu ausschließlich in ländlichen Gebieten, in denen die Bevölkerungsdichte für eine tägliche Zeitung schlicht zu gering ist. Sie haben gegenüber den größeren Unternehmen den Vorteil 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 187 <?page no="188"?> 53 Joe Mahon, News Flash: Small-Market Papers Prosper, FEDGAZETTE, Jan. 2007, http: / / www.minneapolisfed.org/ publications_papers/ pub_display. cfm? id=1274; hier zitiert nach Federal Communications Commission 2011, S.-42. der Marktpenetration: „Less competition in smaller communities for readers and advertising dollars means that newspapers still dominate their markets to a degree that metro dailies cannot.“ 53 Das gilt auch für die täglich erscheinenden lokalen Tageszeitungen, die mit ihren redaktionellen Ausstattungen und breiteren Themenorientie‐ rung (ein wenig international, national und viel lokal) noch am ehesten den kleineren und regionalen Tageszeitungen in Deutschland gleichen. Dabei sprechen wir heute von rund 1.250 derart aufgestellter Blätter; sie bilden zusammen mit hunderten örtlichen Rundfunksendern den presse‐ publizistischen Kern eines de-zentralen, überwiegend lokal organisierten Medienmarktes. Bei praktisch allen Umfragen äußern die Amerikaner ihr größtes Vertrauen in die Informationen solcher Publikationen und deren Beitrag zur Vitalität der örtlichen Gemeinschaft (auch unabhängig von ihrer Zugehörigkeit z. B. zu einer Zeitungskette). Dabei beruht das Geschäft dieser Zeitungen auf einerseits den Abonnements und andererseits den örtlichen Anzeigen- und Werbemärkten (Chadwick 2017, S. 53). Nun zeigt eine aktuelle Studie (Abernathy 2020), dass genau dieses Modell in vielen Teilen des Landes inzwischen massiv unter Druck geraten ist, weil mit der Etablierung von Blogs, von nutzerbestimmten Netzöffentlichkeiten und von Social Media und deren ab etwa 2009 algorithmisch generierten Newsfeed einerseits die Zahl der Abonnements zurück ging und andererseits die In‐ ternet-Plattformen begannen, auf dem örtlichen Anzeigen- und Werbemarkt zu konkurrieren. Die Folgen sind in den letzten Jahren empirisch deutlich und angesichts der traditionell starken lokalen Orientierung der amerikanischen Gesell‐ schaft durchaus dramatisch. „In only two decades, successive technological and economic assaults have destroyed the for-profit business model that sustained local journalism in this country for two centuries. Hundreds of news organizations - century-old newspapers as well as nascent digital sites - have vanished. By early 2020, many survivors were hanging on by the slimmest of profit margins.“ (Abernathy 2020, S.-8) Wenige Jahre zuvor, im August 2017, hatten rund 200 Tageszeitungen in Minnesota und North Dakota die Dringlichkeit der Lage plastisch vor Augen geführt: Sie erschie‐ nen mit einer komplett leeren Frontseite, keine Fotos, kein Text. Tenor: was 188 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="189"?> passiert eigentlich mit und in dieser Gesellschaft ohne Informationen durch tagesaktuellen Printjournalismus? Seit den 1970er-Jahren ist die Zahl der örtlichen Tageszeitung um gut 500 gesunken; nimmt man die Community Newspapers hinzu, dann wurde in den letzten fünfzehn Jahren fast ein Viertel aller Lokalblätter eingestellt: 2.100. Die weit überwiegende Mehrheit dieser Schließungen findet sich in Gemeinden und Bezirken, die von der Rezession 2008 besonders betroffen waren und in denen der örtliche Werbemarkt sich auf Jahre nicht erholte. Diese Entwicklung geht einher mit drei auch demokratietheoretisch prob‐ lematischen Phänomenen. ■ Rund 70 Millionen Amerikaner können, wenn sie wollen, derzeit auf keine Tageszeitung zurück greifen, die ihre lokalen Angelegenheiten behandelt; in rund 1.800 US-Gemeinden gibt es keine Zeitungsquelle mit örtlichem Fokus, in gut sechs Prozent aller Haushalte findet sich auch keine andere lokale Redaktion, weshalb die Studie von Nachrich‐ tenwüsten spricht: „In the 15 years leading up to 2020, more than onefourth of the country’s newspapers disappeared, leaving residents in thousands of communities - inner-city neighborhoods, suburban towns and rural villages - living in vast news deserts.“ (Abernathy 2020, S.-8) ■ Hinzu kommt, dass die Zeitungsketten - vermehrt in den Händen von Investmentfirmen ohne eigentlichen Bezug zu ihrem Verbreitungsgebiet - in den letzten Jahren aus Kostengründen noch mehr Redaktionen zusammengelegt haben, so dass selbst wenn über bestimmte Regionen und Counties geschrieben wird, Reporter und Redakteure oft weit vom Geschehen stationiert sind. ■ Das korrespondiert, drittens, mit dem, was Abernathy Ghost Newspapers nennt: Zeitungen, die im Grund nur noch einen traditionsreichen, lokal bekannten Namen tragen, aber von eben solchen Redaktionen fernab der Orte und Gemeinden versorgt werden, oft genug mit weit weniger lokal orientierten Inhalten. Kennzeichnend für die amerikanische Presse ist dann die pyramidenartig darstellbare Struktur der Zeitungsbranche, als z. B. die Metropol- und Regi‐ onalzeitungen viele Themen aufgreifen, die in den Gemeinden und Städten diskutiert werden. Umgekehrt spiegeln die regionalen Zeitungen - aber auch die „nationalen“ USA Today, das Wall Street Journal und die New York Times - überregionale und internationale Geschehnisse und Entwicklungen in die Gemeinden zurück. Im Vergleich etwa zu Deutschland ist aber noch 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 189 <?page no="190"?> 54 Vgl. https: / / www.georgiaencyclopedia.org/ articles/ arts-culture/ savannah-tribune/ einmal die weitaus deutlicher und in ihrer Masse auf lokale Informationen und örtliche Vorgänge konzentrierte Tradition der Presse hervorzuheben. Abb. 3: xxx nationale Zeitungen regionale Zeitungen ethnisch-kulturelle Zeitungen lokale Tageszeitungen nicht-tägliche Zeitungen 3 157 Community Newspapers 6.576 Abbildung 3: Struktur der Zeitungsbranche nach geographischer Orientierung, Anzahl-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Abernathy 2020, S.-12. Ein anderer Punkt, der sich anschließt und quer zu den bisher genannten liegt, ist der hohe Anteil von ethnisch orientierten Zeitungen und Zeitschrif‐ ten. Solche „ethnic media publications“ (Abernathy 2020, S. 43) haben im Einwanderungsland USA eine lange Tradition: „News media made by and for the two largest racial an ethnic minority groups in the United States - Black Americans and Hispanic Americans - have been a consistent part of the American News landscape.“ (Pew Research Center v. 27. Juli 2021; o. S.) Sie haben und hatten eine wichtige Informationsfunktion für einerseits solche Bevölkerungsgruppen und Minderheiten, die und deren Interessen in den größeren etablierten Medien weniger berücksichtigt werden, anderer‐ seits für die Immigranten mit ihren speziellen Orientierungsbedürfnissen und spiegeln die facettenreiche, ethnisch-kulturelle Vielfalt des Landes selbst. Geschätzte rund 1.000 solcher Publikationen (Abernathy 2020, S.-43) erscheinen heute überwiegend in urbanen Regionen. Manche dieser Zeitun‐ gen wie die African American Savannah Tribune, gegründet 1875 und derzeit mit einer wöchentlichen Auflage von etwa 10.000, haben schon lange eine feste Leserschaft, 54 während andere sich an Menschen richten, die erst jüngst in die USA gekommen sind, worin sich dann der Wandel der amerikanischen 190 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="191"?> Demographie spiegelt. „In general, the distribution of ethnic newspapers has tracked changes in the general population.“ (Abernathy 2020, S.-57) Insbesondere haben sich rund 200 Zeitungen, die die hispano-ameri‐ kanische Bevölkerung ansprechen, im Süden und Südwesten der USA einen Kundenstamm erobert und sind attraktiv für Anzeigenkunden und werbetreibende Firmen, die mit ihren Dienstleistungen und Produkten dieses Bevölkerungssegment bedienen wollen. Solche Zeitungen sind meist kleine Unternehmen im privaten Besitz mit nur wenigen fest angestellten Mitarbeitern. Doch einige Blätter wie etwa das zu Cox Media gehörende Mundo Hispanico erreichen beachtliche etwa 200.000 Einwohner (in diesem Fall der Atlanta-Metropolenregion). Wie viele Community Papers haben die ethnischen Blätter in den letzten Jahren mit ökonomischen Herausforderun‐ gen zu kämpfen; manche verzichten inzwischen auf Print-Ausgaben und erscheinen allein online oder haben sich, wie z. B. eben Mundo Hispanico, dort ein zweites Standbein geschaffen (vgl. Abernathy 2020, S.-43). Verständlicherweise finden sich die meisten ethnischen Publikationen in den Staaten mit dem größten Anteil an Minderheiten: In Kalifornien sind es rund 142, gefolgt von Texas (96), New York (91) und Florida (76) (vgl. Abernathy 2020, S. 58). Eine wenige Jahre alte Zählung kommt dabei auf 224 spanischsprachige lokale Zeitungen und 243, die die afro-amerikanische Bevölkerung ansprechen. Jeweils mehrere Dutzend richten sich an Ameri‐ kaner mit asiatischer Abstammung, deutscher, italienischer, russischer oder polnischer (vgl. Pew Research Center v. 22. Februar 2018). Wie gesagt sind sie meist in privater Hand, abgesehen von einigen Ausnahmen, die zu Zeitungsketten bzw. Medienkonglomeraten gehören. Beispielsweise besitzt NBC Universal 26 spanischsprachige Zeitungen oder lokale Rundfunksender. Zu den Formaten sei noch kurz auf die Tabloid-Presse eingegangen. Mit dem Begriff fasst man zunächst mit der 1919 erstmals aufgelegten New York Daily einen Zeitungstypus, der in einem deutlich kleineren, handlicheren Format gestaltet ist und sich speziell in den großen Städten an die Berufspendler wendet - und das mit sensationalistischen Themen oder Kriminalitätsberichterstattung schon bald als Tabloid Rag, „Revolverblatt“ (Kleinsteuber 2007b, S. 380), inhaltlich zumindest, in großen Teilen mit der deutschsprachigen Boulevardpresse vergleichbar ist (aber nicht hinsichtlich der Auflagenzahl). Geschätzt werden rund 50 derartiger Zeitungen im 4.1 Zeitungen: Entwicklungen, Strukturen, Trends 191 <?page no="192"?> 55 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jUBayOrr Lande, darunter manche, die als „supermarket alien-abduction genre papers“ dem Sensationalismus eine eigenwillige Kategorie beisteuern. 55 Der mit der Digitalisierung und dem Internet einhergehende Medienwan‐ del verlangt im Prinzip von allen herkömmlichen Nachrichtenunternehmen, unabhängig vom Format, enorme Adaptionsleistungen: Das reicht von Redaktionsstrukturen und journalistischen Routinen über Arbeitsprozesse bis hin zu neuen Formen der Publikumsansprache und multimedialen Angeboten. Hinzu treten neue Konkurrenten: Einerseits einflussreiche und erfolgreiche Nachrichtenaggregatoren und -netzseiten wie die Huffington Post, gegründet 2005, BuzzFeed (2006) oder im rechten parteipolitischen Spektrum Breitbart (2007), die über die Strategie des Clickbaiting vor allem Aufmerksamkeit - „Verkehr“ - erzeugen wollen, ganz in Anlehnung an das klassische New York Times-Motto heißt es dann: „all the news that’s fit to click“. Die Times selbst ist seit 2008 online und konkurriert dort eben nicht nur mit anderen Nachrichtenmedien im Netz um Publika und Werbekunden, sondern mit praktisch allen anderen irgendwie „interessanten“ Netzseiten. 2013 hatte die New York Times etwas über 30 Millionen „unique visitors“ im Monat und rangierte damit an der Spitze der individuellen Online- Newspapers-Sites, einige Millionen vor der Washington Post, der Los Angeles Times und Breitbart. Demgegenüber kamen seinerzeit YouTube, das zu Google gehört, oder Facebook auf etwa 30mal so viel „Traffic“ - allerdings am Tag (vgl. Ammori 2014, S.-2267). Während also der Onlinejournalismus sich angesichts der Konkurrenz auch inhaltlich in vielerlei Hinsicht anders orientieren musste als im herkömmlichen Pressewesen, so haben sich in ökonomischer Perspektive massive Transformationen ergeben. Das betrifft z. B. angesichts des ein‐ brechenden klassischen Anzeigen- und Werbemarktes auch den Wert der Unternehmen an sich. So verkaufte die New York Times Company im August 2013 den Boston Globe für 70 Millionen Dollar; das ist deshalb besonders erwähnenswert, weil man 1993 die Zeitung noch für 1,1 Millarden Dollar erworben hatte: ein Wertverlust von bequem über 90 Prozent innerhalb von zwanzig Jahren. Geschätzt wurde der Wert der gesamten New York Times Company auf etwa 1,8 Millarden Dollar - knapp ein Prozent der Werte für Facebook oder Google. Ebenso bemerkenswert, dass im selben Monat Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, die renommierte Washington Post für 250 Millionen Dollar erwarb.(vgl. Ammori 2014, S.-2267). 192 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="193"?> 56 Vgl. https: / / inn.org/ 57 Vgl. https: / / www.propublica.org/ Mit der Krise der Pressebranche engagierten sich neben eigentlich bran‐ chenfremden Unternehmern auch viele Stiftungen und philanthropische Individuen oder Organisationen mit dem Anspruch, das Nachrichtenwesen, insbesondere: das lokale Nachrichtenwesen zu stützen. Etwa gründeten 2009 Journalisten von 27 unabhängiger Organisationen das Institut for Nonprofit News  56 , das inzwischen rund 400 Mitglieder umfasst und das sich explizit zum Ziel gesetzt hat, mit einem nichtkommerziellen, am Gemein‐ wohl orientierten und investigativen Ansatz den regionalen und lokalen Journalismus zu unterstützen (vgl. Abernathy 2020, S. 47). Mit den ersten deutlich spürbaren Einbrüchen formierten sich also als Reaktion solche zivilgesellschaftlichen Initiativen, die mit Hilfe von privaten Sponsoren oder Stiftungen den geschilderten Problematiken begegnen wollten. Wahrschein‐ lich am bekanntesten ist ProPublica, eine 2007 gegründete Onlinezeitung, deren Motto - „Investigative Journalism in the Public Interest“ 57 - diesen Anspruch deutlich macht. (Inzwischen hat man dutzende Journalistenpreise gewonnen, darunter etliche Pulitzer-Preise.) Ermöglicht wurde das vor allem durch die Sandler Foundation, die allerdings nur eine Stiftung von wiederum dutzenden ist, die dieses Projekt mitfinanzieren. 2019 kündigte die Knight Foundation an, in den nächsten fünf Jahren ähnliche Vorhaben mit 300 Millionen Dollar zu unterstützen. Eine Liste anderer, ähnlicher Initiativen wie etwa um The Texas Tribune, Charlottesville Tomorrow oder VTDigger (Vermont) zeigt eine nach wie vor andauernde, problembewusste Gegenentwicklung, die inzwischen tatsächlich hunderte kleinere Projekte umfasst. Das ist für sich genommen sicher bemerkenswert, vermag aber die massiven Einbrüche im lokalen und regionalen Pressemarkt und ihre gesellschaftlichen Folgen wohl nur ansatzweise zu kompensieren (vgl. ebd.) 4.2 Nachrichtenagenturen Je nach Publikum, inhaltlicher Ausrichtung, Reichweite oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Unternehmensgruppe greifen amerikanische Zeitun‐ gen und andere journalistische Medien auf eine kleinere Zahl meist breit, aber auch unterschiedlich fokussierter Nachrichtenagenturen zurück. Da diese Agenturen als „wholesale news providers“ (Paterson 2007) auf natio‐ 4.2 Nachrichtenagenturen 193 <?page no="194"?> 58 Älteste Nachrichtenagentur der Welt ist Agence Press France, 1835 noch als Agence Havas in Paris gegründet. 59 Vgl. https: / / www.newsroom.de/ news/ aktuelle-meldungen/ unternehmen-11/ nachricht enagentur-associated-press-weniger-umsatz-weniger-mitarbeiter-785127/ nalem wie internationalem Gebiet aktuell über Poltik, Sport, Gesellschaft und Kultur informieren und dabei für die alltägliche Praxis vieler Redakti‐ onen unverzichtbar sind, gelten sie auch als „central heart of the media industry“ (Davies 2008, S.-74). Die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes dürfte die Associated Press (AP) sein. Sie ist die älteste News Agency Amerikas 58 , wurde 1846 anlässlich des Krieges der USA mit Mexiko von fünf New Yorker Zeitungsunterneh‐ mern als Kooperative gegründet und finanziert sich als nichtkommerzielle Organisation größtenteils über Mitgliedsgebühren, den Subscriptions. Spä‐ testens mit dem amerikanischen Bürgerkrieg, in dem man beachtliche rund 50.000 Meilen Telegraphenleitungen nutzen konnte, gilt die Agentur mit seinen nüchternen, trockenen Berichten - den Dry Dispatches - als Vorbild für andere Nachrichtenorganisationen. Heute bietet die AP täglich fast 4.000 Meldungen, jährlich etwa eine Millionen Fotos oder 70.000 Videos an und beliefert mit ihren etwa 250 Büros rund 5.000 Rundfunksender und etwa 1.700 Zeitungsunternehmen allein in den Vereinigten Staaten - global sind es etwa fünfmal so viele (vgl. Evensen, 2008; Wilke 2013). Mit Associated Press Television News betreibt man zudem eine über eigene Satellitenkanäle verfügende Video-Nachrichtenagentur. Und mit CompuServe hatte man bereits 1980 den ersten, später von AOL übernommenen Kabeldienst für Privathaushalte gegründet. Gegenwärtig beläuft sich der Jahresumsatz von AP auf knapp über 500 Millionen Dollar. 59 Von kleinerer, aber erwähnens‐ werter Bedeutung ist das für journalistische Texte prägende AP-Stylebook: Ein erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts für interne Zweck aufgelegtes Handbuch, das seit den 1950er-Jahren auch außerhalb des Hauses vertrieben wird und neben grammatikalischen Erläuterungen stilistische Standards vorschlägt und Hintergrundinformationen zur Verfügung stellt z. B. zu medienrechtlichen Fragen. Größter Konkurrent der AP, weltweit wie auch in den Vereinigten Staa‐ ten, ist Reuters, gegründet 1851 in London (nach einer Vorläuferorganisation 1849 in Aachen). Reuters gilt als internationaler orientiert, vor allem aber mit einem klaren Schwerpunkt auf Börsen-, Wirtschafts- und Finanzberichter‐ stattung. Heute beliefert die Agentur neben Redaktionen auch Unternehmen 194 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="195"?> 60 Vgl. auch https: / / www.bloomberg.com/ distribution/ products/ news/ 61 Vgl. https: / / www.dowjones.com/ professional/ newswires/ und andere Organisationen aus der Wirtschaft. 2008 wurde sie von der kanadischen Thomson-Gruppe aufgekauft und firmiert seitdem als Thomson Reuters mit dem Hauptsitz in New York. Rund 25.000 Mitarbeiter des Konzerns erwirtschaften weltweit einen Jahresumsatz von elf Milliarden Dollar, von denen der klassische Nachrichtendienst allerdings nur einen Teil ausmacht; andere Kompetenzen sind Finanzdaten und Softwareprogramme. Bei Wirtschaftsmeldungen konkurriert Reuters mit Dow Jones Newswires oder Bloomberg Financial Wires bzw. Bloomberg Media Distribution, die eben‐ falls vornehmlich auf ein Kundensegment speziell aus diesem Sektor zielen. Besonders Bloomberg unterhält für ein Angebot von knapp 5.000 täglichen Nachrichten ein elaboriertes Korrespondentennetz mit immerhin 100 Büros weltweit und allein in Washington D.C. einem beachtlichen Mitarbeiterstab von annähernd 1.000 Personen (vgl. Evenson 2008). 60 Dow Jones  61 wie auch Bloomberg und Reuters sind weit mehr als ein Lieferdienst journalistischer Texte über das (globale) Wirtschaftsleben, da ihre Angebote als integriertes Customer Engagement neben Informationen und Analysetools z. B. auch Handelsplattformen umfassen. Eine etwas kleinere Agentur ist die 1958 gegründete United Press Inter‐ national (UPI). Sie ging aus dem Zusammenschluss von United Press (von der Unternehmensgruppe Scripps) und dem International News Service (an der William Hearst beteiligt war) hervor. Mit der Fusion wollte man der auf dem amerikanischen Markt übermächtigen AP begegnen. Das gelang mit ihren rund 5.000 Beschäftigten für gut zwei Generationen, geriet dann jedoch mit dem Wandel der Medienlandschaft in den 1990er Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Zwischen 1992 und 2000 wechselte UPI nicht weniger als sechsmal den Eigentümer und verblieb zuletzt in den Händen der Vereinigungskirche. Seit diesem letzten Wechsel bietet UPI nur noch recht kurz gehaltene Meldungen an, und zwar auf Englisch, Spanisch und Arabisch (vgl. Hartnett & Ferguson 2003). Interessanterweise nutzen einige größere Zeitungen wie die New York Times nicht nur mehrere dieser Agenturen, sondern haben auch eigene Dienste aufgelegt: Z. B. New York Times Wire, der Chicago Tribune Service, der LA Times / Washington Post Service oder Copley and Gannett, das unter einem Unternehmensdach mit USA Today firmiert. Dabei geht es diesen Diensten nicht darum, Berichte, Meldungen, Daten u. Ä. einzukaufen, 4.2 Nachrichtenagenturen 195 <?page no="196"?> ganz im Gegenteil werden dort vielmehr die eigenen Artikel vertrieben; es handelt sich also tatsächlich um Verkaufs- und Lizenzabteilungen im Stile der klassischen News Agencies, wenngleich in einem deutlich kleineren Maßstab und durchaus gedacht als Bindeglied zu regionalen und lokalen Redaktionen. Mit Nachrichtenagenturen verbindet sich in den Vereinigten Staaten eine Reihe medienpolitisch und ökonomisch relevanter Vorgänge. Als ein für die programmatische Ausrichtung des Radios und die Struktur der US-Medien‐ landschaft wichtiger Faktor erwiesen sie sich im Press-Radio-War: Nachdem anfangs das Radio noch nicht als Konkurrent zu den Zeitungen aufgefasst wurde, sogar eher als ein Begleitmedium, das zur vertieften Lektüre anregen würde, wurden rund um die Präsidentschaftswahl 1924 Stimmen immer lauter, die im Radio nun einen Wettbewerber erkannten, respektive in seinen immer populärer werdenden Nachrichtensegmenten. Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise verfestigte sich in der Pressebranche und den führenden Nachrichtenagenturen die Ansicht, die Weiterverbreitung ihrer Meldungen sei nichts weniger als mediale Piraterie. Im April 1933 verboten schließlich die Agenturen dem Rundfunk, ihre News Bulletins für eigene Nachrichtensendungen zu gebrauchen, woraufhin CBS und NBC sofort eigene Nachrichtenredaktionen einrichteten (was den Zeitungen auch nicht Recht war). Wenige Monate später einigte man sich im Biltmore Agreement auf eine begrenzte Nachrichtenzeit im Radio: maximal zwei fünfminütige Sendungen, jeweils nach 9 Uhr 30 und 21 Uhr, um nicht mit dem Zeitungsvertrieb zu kollidieren. Freilich legte dieses Agreement den Streit nicht wirklich bei: So ging das Radio dazu über, politisches Geschehen zu kommentieren, was die Vereinbarung nicht explizit verbat, aber populär wurde. Darüber hinaus waren die unabhängigen Rundfunkunternehmer nicht an der Übereinkunft beteiligt; um diese Radios zu versorgen, gründeten sich rasch kleinere Agenturen. Die erfolgreichste, der Transradio Press Service, hielt sich immerhin bis 1951 am Markt (vgl. Jackaway 1995). Ein anderer Vorgang hatte eine medienrechtlich bedeutsame Folge. Im Fall Associated Press v. United States bestätigte der Supreme Court Anfang 1940 die Verfügung eines Bezirksgerichts, das Teile der Satzung der AP für ungültig erklärt hatte. Insbesondere untersagte der Gerichtshof zwei Satzungspunkte der Agentur die vorsahen, erstens, dass AP-Meldungen nicht an Unternehmen verkauft werden dürften, die nicht Teil der Agentur seien und zweitens, dass die Mitglieder der AP zugleich Konkurrenzunter‐ nehmen von ihrer Kooperativen selbst ausschließen durften. Diese Regeln, 196 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="197"?> 62 Vgl. das Interview von Garry Pruitt im Spiegel v. 22. Februar 2015, https: / / www.spiege l.de/ netzwelt/ web/ associated-press-interview-mit-ap-chef-gary-pruitt-a-1016666.html so das Gericht, verstießen gegen den Sherman Antitrust Act von 1890 und verletzten nebenbei auch auf das First Amendment und ein implizites Recht auf einen ungehinderten Informationszugang. Vor allem aber, und das macht den Entscheid nachhaltig bedeutend, unterwarf der Supreme Court mit diesem Urteil Medienunternehmen dem Kartellrecht: Besondere, auf den Kommunikationsfreiheiten beruhende Schutzrechte könnten sie nicht gel‐ tend machen, wenn und soweit sie den freien Wettbewerb beeinträchtigen (vgl. Lewin 1946; McChesney & Nichols 2010, S.-150). In den letzten rund zwanzig Jahren stehen auch Nachrichtenagenturen im Zuge der Digitalisierung vor einigen ökonomischen Herausforderungen; insbesondere haben sie ihren traditionell nahezu exklusiven Zugang zu „raw news“ verloren: „In the digital age, it is increasingly difficult to secure exclusivity of the content: As soon as a medium publishes content online, other media are able to profit for free.“ (Boumans et al. 2018, S. 1717) Hinzu kommt, dass die Agenturen durch die Einsparmaßnahmen in den Medienunternehmen betroffen sind, die den Kostendruck direkt weiterge‐ ben (Dernbach 2000; Paterson 2007). Daher ist auch bei den News Agencies parallel zur entsprechenden Arbeitsmarktentwicklung im Journalismus seit etwa 2010 ein massiver Stellenabbau zu verzeichnen (Wilke 2010). Zugleich müssen sie sich auf neue journalistische Arbeitsweisen einzustellen: Netz‐ nachrichten sind mit Blick auf andere Rezeptionsgewohnheiten im Internet anders gestaltet, z. B. kompakter und bildlastiger, auch vielschichtiger etwa durch Verlinkungen oder interaktive Grafiken, Audio- und Videodateien (vgl. Dernbach 2000, S. 252). Das Angebot der Agenturen hat sich damit diversifiziert. Und wie andere Unternehmen nutzen sie nun auch mobile und soziale Medien zum Außenkontakt. AP z. B. hat auf Twitter rund vier Millionen Follower; allerdings berichtet man dort nicht im Breaking News Style: Aktuelle Nachrichtenmeldungen bleiben nach wie vor den Kunden des Agenturtickers vorbehalten. 62 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends Das Radio entwickelte sich in den USA nach dem Ersten Weltkrieg abgese‐ hen vom Militär, das ein genuines Interesse am gerichteten Funk hatte, 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 197 <?page no="198"?> 63 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jUBayOrr vornehmlich in Kreisen technikinteressierter Amateure. Eine der kurios anmutenden Entwicklungsstufen verbindet sich mit Zeitungsredaktionen, die über große, auf Fensterbänken platzierte Lautsprecher Sport- und Politikmeldungen in die anliegenden Straßen schallten (was man schon Broad-Casting nannte). Wohl schon ökonomischer gedacht waren Preis- und Warennachrichten, die in der Umgebung der großen Kaufhäuser der Ostküstenstädte das Gehör der Kundschaft suchten (vgl. Lewis 1991). Die für einen Radiobetrieb nach heutigem Verständnis notwendigen Empfangs‐ geräte waren anfangs jedoch schlicht zu teuer, als dass sich mit solchen oder ähnlichen Aktionen eine größere Schar interessierter Zuhörer erreichen ließ. 1920 wurde in Pittsburgh KDKA gegründet, ein Sender, der gemeinhin als erstes kommerzielles Radio der USA gilt. Offenbar aber diente er le‐ diglich der firmeninternen Funkkommunikation zwischen Fabriken der Westinghouse Electric and Manufacturing Company in New Jersey, Ohio und Massachusetts: In den Lizenzunterlagen findet sich jedenfalls kein Hinweis auf Broadcasting-Formate, auf Vorhaben oder gar Programme eines Rund- Funks, der sich an ein disperses Publikum wendete. 63 Wichtige Schritte genau dahin waren erste Gründungen von Radiostationen u. a. durch Zeitungsverleger: 1920 durch die Detroit News und 1921 den Kansas City Star. Seinerzeit besaß noch das Handelsministerium und dort das Bureau of Navigation die Kompetenz zur Zulassung solcher Stationen. Initiiert wurden die ersten Projekte von der (kleinen) Funkindustrie, die Radiogeräte verkaufen wollte. Bald aber übertrug man das Modell der Werbefinanzierung von den Zeitungen auf das neue Medium. Eine Finanzierung nach britischem Vorbild - Gebühren, die von den Käufern der Geräte eingezogen wurden - hatte man offenbar kaum diskutiert. Nachdem die Radioempfänger um 1922 nicht nur deutlich handlicher wurden, sondern auch erheblich preisgünstiger, stellte sich ein erster Ra‐ dioboom ein: Die Zahl der vom Ministerium vergebenen Lizenzen stieg sprunghaft von 30 auf 556. Rund eine halbe Million Empfänger soll seinerzeit verkauft worden sein, kaum vier Jahre darauf waren es beachtliche rund 5,5 Millionen (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 58-60). In dieser Zeit finden sich erste Live-Übertragungen von Sportereignissen oder Reden des Präsidenten und einiger Präsidentschaftsanwärter; die noch eingestreuten Nachrichtensegmente entwickelten einen eigenen Stil und 198 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="199"?> man begann, Wert auf stimmliche Performanz zu legen - was als Geburts‐ stunde der Moderation als Beruf gelten darf. Rein regulatorisch ist schon mehrfach angesprochen worden, dass angesichts der immensen Nachfrage an Funkfrequenzen das Handelsministerium das „Chaos im Äther“ kaum in den Griff bekam und der Kongress mit dem Radio Act von 1927 und dann dem Communications Act von 1934 reagierte und die Federal Communications Commission als einflussreiche Regulierungsbehörde einsetzte (vgl. Kang & Butler 2020, S.-49; Kleinsteuber 2003, S.-86; Lepore 2020, S.-515). Bis Anfang der 1930er-Jahre bildete sich die Affiliate-Network-Struktur des kommerziellen Rundfunks, ein Gefüge voneinander unabhängiger Orga‐ nisationen: einerseits viele kleine, privat geführte Lokalsender, die Affiliates, andererseits die zentralen Networks, zunächst NBC und CBS, später noch ABC (vgl. Knüpfer 2016, S. 328). Diese Big Three, die bis Mitte der 1980er- Jahre ein Oligopol bildeten, verbanden jeweils mehrere hundert Lokalsta‐ tionen und versorgten sie mit zentral hergestellten Produktionen, die zu kostspielig für die kleinen Unternehmen waren, die aber im Gegenzug die örtlichen Interessen und Themen in eigenen Sendungen aufgriffen. Gemein‐ sam konnte man dem lokalen, regionalen und überregionalen Werbemarkt interessante Pakete anbieten. Diese Struktur forcierte die Entwicklung neuer Formate, darunter die erste fest im Programmverlauf eingeplante Nachrichtensendung, die NBC im Herbst 1930 auflegte. Solche News mach‐ ten aber zunächst wenig Sendezeit aus - etwa 2,5 Prozent des Programms (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-58). Immerhin waren anfangs Zeitungsverleger an etwa jeder zehnten Lokal‐ station beteiligt. Wie erwähnt, wurde das Radio von ihnen zunächst nicht als Konkurrenz wahrgenommen, eher als sinnvolle Ergänzung - und eben als Investitionschance. Das änderte sich Anfang der 1930er-Jahre mit der Ausdifferenzierung der Formate und dann mit der Weltwirtschaftskrise, die auch die Pressebranche empfindlich traf: So ging der Umsatz der Zeitungs‐ unternehmen von geschätzten 800 Millionen Dollar im Oktober 1929 auf 450 Millionen Dollar 1933 zurück ( Jackaway 1995, S. 20-28). Der sich vor diesem Hintergrund entwickelnde Press-Radio-War um die Nachrichtenbul‐ letins der Nachrichtenagenturen wurde zwar im Dezember 1933 mit dem Biltmore Agreement beigelegt. Das hatte aber keine nachhaltige Wirkung, da sich die Masse der unabhängigen Stationen nicht an die Vereinbarung gebunden fühlte und im übrigen Radiounternehmen für die Presseverlage eine unverändert interessante Geldanlage darstellten: Bald schon war an 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 199 <?page no="200"?> nahezu jedem dritten Affiliate ein Zeitungsunternehmen beteiligt (Federal Communications Commission 2011, S.-59). Damit folgte man auch einem ökonomischen Trend innerhalb der Medi‐ enbranche: Die Depression hatte die Presse weit stärker getroffen als das Radio, ja der Umsatz im Rundfunk stieg durch das ständig größer werdende Publikum sogar von rund 40 Millionen Dollar 1929 auf 80 Millionen Dollar vier Jahre darauf (vgl. Hamilton 2004, S. 49). Das wird u. a. auf eine Transformation des Programms zurückgeführt, einen Ausbau unterhalten‐ der Sendungen und Dramen, die in der Wirtschaftskrise gut angenommen wurden. Dem folgte aber mit dem Zweiten Weltkrieg ein wiederum deut‐ licher Fokus auf Informationsformate: „Radio news took center stage as Americans sought reliable, up-to-the-minute information on developments in Europe“ (Federal Communications Commission 2011, S. 59). Edward R. Murrow - später einer der berühmtesten Fernsehmoderatoren des Landes - machte sich als Funkkorrespondent aus London einen Namen: als einer von dutzenden Kriegsreportern, die CBS rund um die Welt in die Kriegsgebiete schickte, und die von dort in „real-time commentary“ berichteten („live“ in der Aufnahme, nicht in der Rezeption) (vgl. Bogart 1991, S. 40). Im Kriegsjahr 1944 sendete CBS 1.497 Stunden Nachrichten NBC 1.726, durchschnittlich also zwischen vier und fünf Stunden am Tag (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 59). Kaum Wunder, wenn zu dieser Zeit in einer nationalen Umfrage knapp die Hälfte aller Befragten ihr größtes Vertrauen dem Radio schenkten, nur knapp ein Viertel den Zeitungen (Sterling & Kittross 2001, S.-251). Im Nachkriegsjahrzehnt erreichte die Nutzung des Radios ihren Höhe‐ punkt. Trotz der nun einsetzenden Konkurrenz des Fernsehens verkauften sich Rundfunkempfänger weiterhin gut; Mitte der 1950er Jahre hatte prak‐ tisch jeder Haushalt in den USA ein Radio - und es war Ausstattungsstan‐ dard in Neuwagen. Formativ änderte sich das Medium erneut substantiell, als viele bekannte Journalisten - darunter Edward R. Murrow - zum Fernsehen gingen. Mit der neuen Konkurrenz und den dort beliebten Show- Formaten und Serien konzentrierte sich das Radio nun explizit auf ein loka‐ les Publikum. Und nachdem einige juristische Hürden zur Wiedergabe von Musik fielen, bildete sich ein Programmschema, wie wir es auch hierzulande vom Radio gut kennen: Viel Musik, gepaart mit Informationssegmenten mit deutlich lokaler Couleur, kurzen Nachrichten in festen Zeitfenstern und Werbung mit oft regionalem Bezug. Ergänzt wird diese basale Struk‐ tur noch durch All-News-Formate (vornehmlich im AM-Frequenzbereich), 200 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="201"?> Nachrichtenschleifen, darunter auch regional und lokal zugeschnittene landwirtschaftliche Informationen. Wissen | Talk Radio Ein in den USA ökonomisch recht erfolgreiches Radioformat ist das Talk Radio. Seine Anfänge gehen auf Sendungen zurück, die bereits in den 1920er-Jahren beliebt waren und als politische, kulturelle oder religiöse Gesprächsrunden einfach und preiswert produziert werden konnten. Eine fulminante Reichweite erreichte Charles Edward Coughlin, ein römisch-katholischer Pfarrer, der als Father Coughlin ab 1926 mit einem wöchentlichen Talk-Format nationale Bekanntheit erlangte und damit in den 1930er-Jahren bis zu 30 Millionen Hörer erreicht haben soll (vgl. Marcus 1973). Nach dem Weltkrieg finden sich vermehrt solche Talk- Shows, im linken wie im rechten politischen Spektrum, aber erst 1960 gründete sich in St. Louis ein ganzer Sender explizit als Talk Station. Da das Format im Gegensatz zu Musiksendungen keine Stereoqualität benötigte, konnten im Funkspektrum längere Wellen genutzt werden. Bis Mitte der 1980er-Jahre hielt sich der Erfolg noch in Grenzen; waren es 1987 etwa 240 solcher Sender, so sind es 1990 durch Kabel und Satellit bereits über 900. Besonders beliebt sind die Talks im Republikanischen Lager: Zur Jahrtausendwende wurden pro Woche rund 40.000 Stunden Radio Talk mit rechtskonservativen Hintergrund geschätzt, gegenüber etwa 3.000 Stunden Liberal Talks (vgl. Kernell et al. 2020, S. 610; Lepore 2020, S. 858). In der jüngeren Vergangenheit wird Talk Radio oft mit dem im Februar 2021 verstorbenen Rush Limbaugh verbunden, der mit einem „three-hour shock-jock right wing talk radio“ (Benkler et al. 2018, S. 321) seit 1988 landesweit zu hören war und für Jahrzehnte mit seiner Call-in-Show Vorbild war für eine konservative Talk Radio-Szene: „Every city has its own local Limbaugh trying to outdo the master on the pro- Republican political Richter scale“ (McChesney 2004, S. 116-117). Dem Radio-Talk ähnliche Fernsehshows mit festem Moderator oder fester Moderatorin, Kommentaren, Monologen und zugeschalteten Gästen werden dagegen meist Ideology Talks genannt. Mit der De-Regulationspolitik zunächst in der Präsidentschaft Reagan ver‐ änderte sich auch die Radiolandschaft in zentralen Punkten. Bis dahin hatten die lokalen Stationen lokale Nachrichten und Informationssendungen nach 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 201 <?page no="202"?> Vorgaben der FCC ausgestrahlt: AM-Sender mussten acht Prozent ihrer Sendezeit lokalen Nachrichtenprogrammen widmen, FM-Sender sechs Pro‐ zent. Reagans Lockerungspolitik folgend ging die FCC davon aus, dass ein Wegfall dieser Regeln dem Programmsektor lokale Radionachrichten nicht sonderlich schaden würde, weil die Sender schon aus Wettbewerbsgründen an solchen Segmenten festhalten würden. Wie sich zeigen sollte, war das allerdings zu optimistisch gedacht. Im Gegensatz zu lokalen Fernseh-Nach‐ richten, die tatsächlich profitabel sein können, sind es Radionachrichten weit weniger, eher im Gegenteil. Tatsächlich (hier nur nebenbei bemerkt) hat das Radio in den letzten drei Jahrzehnten seine Position als Nachrichtenmedium etwas eingebüßt. Zwar erreichen lokale Nachrichten immer noch gut neun von zehn Ameri‐ kanern regelmäßig, aber nur etwa jeder zwölfte würde auch das Radio als Nachrichtenquelle priorisieren (vgl. Pew Research Center v. 20. September 2022). Über die Hälfte dagegen verlässt sich am liebsten auf digitale Platt‐ formen. Wurden noch 1991 über 50 Prozent täglich von Radionachrichten erreicht, sind es zehn Jahre darauf rund 30 Prozent (Federal Communications Commission 2011, S.-63). Das mag auch daran liegen, dass in der Folge der De-Regulierung ein deutlicher, wenngleich nicht dramatischer Rückgang lokaler Informations‐ sendungen zu verzeichnen war. Hinzu kam später der an anderer Stelle schon betrachtete Telecommunications Act von 1996 (→ Kapitel 3.9.1), der Regeln zur Medienkonzentration weitgehend liberalisierte - was beim Radio zu über zweitausend Fusionen und Aufkäufen führte (vgl. Bogart 2017, S. xiv; Federal Communications Commission 2011, S. 60). Da das häufig mit Einspa‐ rungen, Konsolidierung und Zusammenlegung von Redaktionen verbunden war, ging die Zahl der Redakteure und Mitarbeiter in Radiounternehmen deutlich zurück: Sie sank von rund 4.500 im Jahr 2008 auf ca. 3.400 im Jahr 2020, ein Rückgang um knapp 25-Prozent. Damit liegt das Berufsfeld Radio im Trend der Medienwirtschaft des Landes, schrumpfte also ab 2008 mit der Finanzkrise und der Etablierung der Plattformkonkurrenz im Internet. Und wie auch bei der Presse kam es innerhalb der Medienkonglomerate zu redaktionellen Zusammenführungen: In den Hub-and-Spoke-Systemen (bildlich: Nabe und Speichen eines Fahrrads; kurz: „Hub“) produzieren lokale Stationen lokal anmutende und zentral verteilte (Nachrichten-)Sen‐ dungen für Schwesterunternehmen in entfernteren Gegenden; geschätzte 40 Prozent aller Radiostationen haben ihre Nachrichtensendungen derart organisiert (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-63). 202 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="203"?> Eine bemerkenswerte Ausnahme des rückläufigen Trends ist der Markt des Talk Radios, das schon gesondert vorgestellt wurde. Das Format war und ist vergleichsweise preiswert herzustellen und erfuhr in den letzten zehn Jahren einen neuerlichen Aufschwung. 2017 lag der permanente Marktanteil der Talks während eines normalen Werktages bei 9,9 Prozent (Pew Research Center 2018, o. S.). Fast 60 Millionen Amerikaner verfolgen mindestens einmal in der Woche eine solche Sendung, wobei das nicht nur die politi‐ schen und gelegentlich reißerischen Programme sind, wie sie z. B. mit Rush Limbaugh verbunden wurden, sondern auch Sport- und Kultur-Talks; dort werden meist Themen aufgegriffen, die gerade in den Schlagzeilen der Presse sind, häufig begleitet von Gesprächen mit telefonisch zugeschal‐ teten Hörern. Nahezu jeder vierte der rund 17.000 Radiosender hat solche Sendungen entweder im Programmschema aufgenommen oder versteht sich explizit als News/ Talk Radio (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 66). Während man diese Entwicklung unter dem Gesichtspunkt der Vielfalt begrüßen mag, wird auch kritisch angemerkt, dass das Format zur Emotionalisierung des gesellschaftlichen Diskurses beiträgt und oft keiner‐ lei lokalen Bezug kennt (ein für die amerikanische Medienpolitik traditionell wichtiger Maßstab): „News/ talk radio serves an important function in a democratic society by giving voice to millions who use the medium to express their support for or opposition to what the government is doing. But while the increase in news/ talk programming means that there are now more stations broadcasting current events, there is an important caveat: the shows tend to be national, not local in their focus.“ (Ebd.) Ebenfalls im Aufschwung begriffen ist die Radionutzung über das Internet. So wie mit anderen Medien hat das Netz auch beim Radio und seinen alltäglichen Gebrauch zu erheblichen Änderungen geführt. Insbesondere ist der geographi‐ sche Vorteil evident, weil die terrestrische Übertragung eben enge Grenzen kennt. Ganz allgemein (→ Abbildung 4) benutzen heute etwa acht von zehn Amerikanern ein digitales Gerät zur Nachrichtennutzung - und bevorzugen solche Geräte auch mehrheitlich, was in den entsprechenden offline-Sparten zu rückläufigen Nutzerzahlen im Nachrichtensegment führt. Vor allem ist hier ein struktureller Wandel dahingehend zu beobachten, als inzwischen mehr als die Hälfte all jener, die Radioprogramme über das Internet verfolgen, sich solchen Sendern zuwendet, die ausschließlich im Netz zu hören sind. 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 203 <?page no="204"?> Abb. 4: xxx 10 16 40 60 22 34 28 26 32 50 68 86 0 50 100 150 200 Zeitung, Zeitschrift Radio Fernsehen Smartphone, Computer, Tablet oft manchmal gesamt Abbildung 4: Anteil der erwachsenen Amerikaner, die-…. (oft, manchmal)-… Nachrichten über digitale Geräte nutzen-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pew Research Center, 21.01.2021. Dabei setzen die (öffentlichen und privaten) Radiostationen in den Ver‐ einigten Staaten jährlich derzeit etwa 20 Millarden Dollar um - wenn alle Verbreitungswege berücksichtigt werden; die verfügbaren Statistiken schwanken beträchtlich. Nachdem die Rezession in der Folge der Finanzkrise diesen Wert auf rund 17 Millarden Dollar absinken ließ (vgl. Federal Com‐ munications Commission 2011, S. 62), hält er sich im letzten Jahrzehnt dort offenbar recht konstant. Das „klassische“ Radio - das terrestrische Radio - liegt hier bei etwa 15 Milliarden Dollar (vgl. Federal Communications Com‐ mission 2020, S. 147). Das entspricht dem Nutzungsverhalten, das durch die Digitalisierung vordergründig kaum berührt wird: Seit Jahren werden über 90 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in der Woche vom Radio erreicht. Das „Begleitmedium“ Radio hat als solches über die letzten Jahre gesehen seine Position gehalten, wird inzwischen aber häufig über digitale und mobile Abspielgeräte genutzt. Nach einer Studie der Datenanalysefirma Woods & Poole (2019) sind dabei etwas über einer Million Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Radiobranche abhängig. Dazu zählt auch ein Public Radio, das aber im Vergleich zu etwa europäischen Ländern im amerikanischen Mediensystems eine randständige Rolle spielt, was sich u.-a. im verschwindend geringen Budget niederschlägt, mit dem sich der Kongress engagiert: rund 450 Millionen Dollar. Das entspricht etwa 1,35 Dollar je Einwohner und Jahr. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es dagegen etwas über umgerechnet 100 Dollar, in Deutschland (als Rundfunkbeiträge) schon über umgerechnet 200 Dollar (das allerdings pro Haushalt). Mit den Nachrichtenprogrammen des Public Radio werden wöchentlich etwa 37 Milli‐ 204 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="205"?> onen Amerikaner erreicht (vgl. Abernathy 2020, S. 67). Das ist deutlich weniger als das rund eine Viertel der Bevölkerung, das bekundet, sich mehr als nur gelegentlich über das Radio zu informieren (ebd. S.-48). Dabei muss man bedenken, dass es gerade die lokalen TV-Nachrichten sind, die als Informationsmedium - neben dem Internet - besonders beliebt sind. Das Radio im Allgemeinen wird dagegen weit mehr als unterhaltendes Begleitmedium wahrgenommen, und das öffentliche Radio (so wie das Public Broadcasting generell) als akademisches Format, als bildungs- und kulturbezo‐ gen. Allerdings bezieht sich das eher auf das kommerzielle Fernsehen, dessen Nachrichtensendungen deutlich bevorzugt werden. Beim Radio kehrt sich dieses Verhältnis um: wenn das Radio ausdrücklich zur Informationssuche genutzt wird, dann bezieht sich das auf Programme des Public Broadcasting. Wissen | Organisation und Finanzierung: Öffentlicher Rundfunk in den USA Der öffentliche Rundfunk (Radio und Fernsehen) operiert unter dem Dach der nichtkommerziellen Corporation for Public Broadcasting (CPB). Die CPB stellt selbst keine Inhalte her, sondern fördert mit etwa 90 Prozent ihres seit Jahren recht konstant bleibenden Etats von 450 Millionen Dollar (davon 270 Millionen für das Radio) rund 1.400 öffentliche Sender, die in eigenen Networks organisiert sind: Der Public Broadcasting Service (PBS) umfasst knapp über 350 Fernsehsender, das National Public Radio (NPR) etwa 1.030 Radiostationen. Relativ wichtig sind noch American Public Media (APM; Radio und Podcast) sowie Public Radio International (PRI; Radio). Die Networks sind Mitgliedsorganisationen aus separat lizenzierten Sendern, die für Programme und Mitgliedschaft Gebühren entrichten. Die Sender wiederum werden häufig getragen von lokalen Initiativen, kulturellen und akademischen Einrichtungen. Für eine Förderung durch die CPB müssen sie zum einen nachweisen, dass sie „needs and interests“ der Gemeinde berück‐ sichtigen (vgl. Abernathy 2020, S. 68), zum anderen eine Grundförderung durch Stiftungen, Universitäten, der Gemeinde selbst oder individuellen Spendern. Es handelt sich also um ein Co-Finanzierungsmodell, wobei der Anteil der CPB unter zehn Prozent bleibt, der Anteil durch individuelle Spenden liegt bei etwa 40 Prozent und der Rest eben von Trägern der Sender und örtlichen Initiativen. Da sich das Spendenaufkommen höchst heterogen darstellt, kennt das Fördersystem der CPB Ausgleichsformeln, die insbesondere Minderheitengemeinden in ländlichen Gebieten zugute‐ 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 205 <?page no="206"?> kommen. In 27 Staaten gibt es darüber hinaus noch die Möglichkeit einer gesonderten Förderung durch den Bundesstaat (ebd.). Historisch wird das Public Radio mit dem Public Broadcasting Act von 1967 verbunden; das ist mit Blick auf die gegenwärtige Organisation richtig; allerdings hatte es schon früh in der Geschichte des Radios einige hundert kleine Vorläuferstationen mit meist akademischem und bildungsbezogenem Hintergrund gegeben. Gegen Mitte der 1930er Jahren übertrugen jedoch die meisten Trägerorganisationen ihre Lizenzen auf kommerzielle Stationen. Zeitnah, 1938, reservierte die FCC ein kleineres Frequenzspektrum für nichtkommerzielle Radiostationen; bis zum Broadcasting Act wurden 292 gezählt, heute sind es doch über 1.000, die über das NPR organisiert sind (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 151). Das nichtkommerzielle Radio freilich umfasst über 5.000 weitere Stationen, die sich ebenfalls über (Fördermittel und) Spenden organisieren, aber nicht unter dem Dach des NPR operieren (→-Abbildung-5). Abb. 5: xxx 4.702 4.680 4.666 4.633 4.613 4.580 6.659 6.715 6.754 6.741 6.762 6.726 4.081 4.096 4.112 4.125 4.139 4.172 1.029 1.516 1.924 2.150 2.171 2.159 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 2015 2016 2017 2018 2019 2020 AM Stationen FM Stationen FM nicht-kommerzielle Stationen Low Power FM Stationen Abbildung 5: Anzahl der lizensierten Radiosender in den USA | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Federal Communications Commission 2020, S.-145. 206 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="207"?> Dabei ist das NPR tatsächlich dahingehend mit dem öffentlich-rechtlichen Radio in der Bundesrepublik vergleichbar, als seine Sender mit Repor‐ tagen, Nachrichten und anderen Informationssendungen auch Formate produzieren, die einen überregionalen und demokratiepraktischen Wert besitzen sollen; freilich Organisation und Finanzierung, das wurde ange‐ sprochen, unterscheiden sich beträchtlich. Unter den vielen nichtkommer‐ ziellen Sendern, die gerade nicht in der NPR organisiert sind, finden sich neben etlichen speziellen Stationen z.-B. von Kirchengemeinden auch in‐ zwischen über zweitausend Low Power FM-Sender (LPFM). Die FCC vergibt seit Januar 2000 Frequenzen für solche LPFM-Stationen; sie senden, wie der Name andeutet, für einen sehr kleinen Raum und müssen sich als akademische Sender lizenzieren oder als solche, die vital für die lokale (religiöse) Gemeinschaft sind; konkret vorstellen darf man sich darunter Radiostationen, die zu Aus- oder Weiterbildungszwecken in Schulen und Colleges unterhalten werden oder tatsächlich durch Kirchen, die gut ein Drittel (36-Prozent) der Träger ausmachen (vgl. Federal Communications Commission 2020, S.-149). Im Zuge des digitalen Medienwandels hat sich auch das NPR seit 2010 mit knapp einem Dutzend regionalen „Hubs“ neu organisiert, auch Local Journalism Centers genannt: 2019 beispielsweise mit einem Berichterstat‐ tungspool für Texas, oder 2020 in Birmingham, Alabama, im „Gulf Coast Hub“ (vgl. Abernathy 2020, S. 48). Gefördert werden soll dadurch die Zusammenarbeit von NPR-Stationen und die regionale, über das lokale hinausgehende Berichterstattung, wobei explizit Bezug genommen wird auf die Krise der Zeitungsbranche und den so genannten News Deserts. „NPR stations in Boston, New York, San Francisco, St. Louis and Dallas have become local news powerhouses, producing both expansive local coverage of news and investigative and exploratory journalism.“ (Ebd.) Ausdrücklich lokale Nachrichten haben derzeit rund 70 Prozent der NPR-Stationen im Programmschema - das ist insofern bemerkenswert, als in der Anfangszeit des öffentlichen Rundfunks in den USA aufgrund des politischen Willens der Regierung Eisenhower und wohl durch Druck der kommerziellen Networks eine Konzentration auf pädagogische Programme vorgegeben war und sich die öffentlichen Stationen auf Formate beschränken sollten, die von den kommerziellen Sendern nicht bedient werden (Puppis & Schweizer 2015, S.-107; Schudson 1978, 2019). Eine zweite Adaption an die Digitalisierung ist die multimediale Bereit‐ stellung von Programmen und Hintergrundmaterial im Netz. Da unterschei‐ 4.3 Radio: Entwicklungen, Strukturen, Trends 207 <?page no="208"?> det man sich inhaltlich nicht sonderlich von kommerziellen Anbietern, darf allerdings im Gegensatz zu ihnen dort keinen Umsatz generieren, wenn man von der CPB gefördert werden will. Darüber hinaus gibt es einige wenige Aufkäufe von lokalen Netzseiten durch öffentliche Stationen. Auch das Radio kennt in den USA Unternehmen und Sender, die sich an ethnisch-kulturell geprägte Bevölkerungsgruppen wenden. Nach Englisch ist dabei Spanisch die vorherrschende Sprache - und beide sind auch die ein‐ zigen, die ein nationales Radio-Network kennen. Daneben gibt es ähnlich wie bei den Zeitungen insbesondere in den größeren urbanen Metropolregionen eine breite Palette an lokalen Stationen, die auf beispielsweise Russisch, Chinesisch, auf Koreanisch oder auch (eher weniger) Französisch und Deutsch senden. Mit Ausnahme der spanischsprachigen Sender, die mit der anhaltenden Immigration weiter zunehmen, ist die Zahl derartig Stationen rückläufig. Zahlen zur Hörerschaft liegen nicht vor, allerdings einige wenige zum durchschnittlichen Umsatz spanischsprachiger Radiosender; er lag 2020 bei knapp 985.000 Dollar, das entspricht einem Rückgang von über 30 Prozent seit 2013, als dieser Wert noch bei etwa 1,5 Millionen Dollar lag (vgl. Pew Research v. 27. Juli 2021). Der Anteil ethnisch kultureller Sender im terrestrisch ausgestrahltem Programm liegt bei 13,6 Prozent im AM-Radio, 5,5 (FM) und 11,2 (LPFM; vgl. Federal Communications Commission 2020, S.-149). 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends Nachdem die Federal Communications Commission 1937 versuchsweise einige wenige Fernsehlizenzen zum Test vornehmlich technologischer Komponenten vergeben hatte, zeigte die Wirtschaft unmittelbar mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges viel Interesse an terrestrischen Frequenzen zum Betrieb kommerzieller Fernsehsender. Wie beim Radio wollten nun auch einige Verleger ihr Angebot über dieses „neue“ Medium weiter diversifizieren. Immerhin 34 TV-Stationen operierten keine drei Jahre nach dem Krieg bereits in 21 Städten und konnten von knapp einer Million Haushalte empfangen werden; ein Jahr darauf waren es schon über einhundert Sender - an denen Zeitungsunternehmer zu über einem Drittel beteiligt waren (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 72). Angesichts der großen Nachfrage stoppte die FCC jedoch zunächst die Vergabe von Lizenzen, um die Verbreitungswege neu zu organisieren, da 208 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="209"?> man mit Interferenzen im Frequenzspektrum rechnete.1952 nahm man die Lizenzvergabe wieder auf und etliche neue Stationen gingen in Betrieb. Als 1960 die 500-Sender-Marke überschritten wurde, hatte sich die schon vom Radio bekannte Struktur der Networks mit angeschlossenen Affiliates durchgesetzt - obwohl die FCC Oligopole eigentlich hatte verhindern wollen (vgl. Chadwick 2017, S.-44). Heute ist die amerikanische Fernsehlandschaft, pauschal gesprochen, nicht nur ausgesprochen groß, sie unterscheidet sich auch strukturell we‐ sentlich von etwa ihren mitteleuropäischen Pendants. Dabei ist das zunächst vorherrschende Affiliate-Network-System nur eine Facette. Vor allem ist das Fernsehen in den USA nach sehr heterogenen Publikumsmärkten differen‐ ziert und in wesentlichen Teilen lokal orientiert. Schon früh formierte sich mit dem Kabelfernsehen eine starke Konkurrenz mit neuen Angebotsformen (als Ergänzung zur herkömmlichen Werbung) wie z.-B. Abonnements, Pay- TV oder Video-on-Demand und einem Premium Cable. Wie beim Radio, wird die kommerzielle Seite der Fernsehbranche durch ein Public Broadcasting und weiteren unabhängigen Sendern ergänzt: mit einem eigenen Selbstver‐ ständnis und grundverschiedener Finanzierung (kaum vergleichbar etwa mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland). Hinzu gekom‐ men sind inzwischen etliche Streaming-Dienste als Alternative zum linearen Fernsehen. Und schließlich sind einige Fernsehsender mit großen (Unterhal‐ tungs-)Konzernen verknüpft; auch dadurch gilt die US-Fernsehwirtschaft nach mehreren Fusionswellen als hochkonzentriert (vgl. McChesney 2004; Sadler 2008). Bis etwa Mitte der 1980er-Jahre und dem forcierten Ausbau des Kabel‐ fernsehens dominierten die Big Three: NBC, CBS und ABC. Mit der Fox Broadcasting Company kam 1986 ein viertes, rasch annähernd erfolgreiches Network hinzu. Als einigermaßen bedeutsame Konkurrenz wird gelegent‐ lich noch CW Television Network genannt, eine 2006 gegründete Gemein‐ schaftskooperation von Paramount Global und Warner Bros, die dafür das United Paramount Network und WB Television Network zusammenführten. Gescheitert waren übrigens zwischen 1948 und 1970 einige mit den Holly‐ wood-Studios verbundene Networks wie DuMont Television oder NTA Film, was teils auf eine hohe Kostenstruktur zurückgeführt wird, teils auf die FCC, die einigen dieser Unternehmen nur unattraktive Frequenzbänder (UHF) zur Verfügung stellte (Meehan & Torre 2011, S.-68-69). Im Wesentlichen prägten also zunächst die „großen Drei“ das amerikani‐ sche (terrestrische) Fernsehen. Das umfasste neben ökonomischen Fragen 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 209 <?page no="210"?> z. B. der Unternehmensorganisation auch inhaltliche Aspekte. So hatte man schon früh Nachrichtenshows konzipiert: Anfang 1950 begannen NBC und CBS nationale 15-minütige Prime-Time-News zu produzieren; etwa zeitgleich strahlten viele der den Networks gehörenden und von ihnen betriebenen Sender (so genannte O&Os: „Owned and Operated“) lokale Nachrichten aus. Hinzu kamen neue Informationsformate wie See It Now von CBS, die einen ausdrücklich nüchtern-distanzierten Blick auf das Zeit‐ geschehen warfen und dem Fernsehen - neben Serienformaten, Dramen u. Ä. - auch einen sachlichen Appeal vermittelten. Mit Erfolg: Zwischen 1945 und 1952 wuchs das Fernsehpublikum von nahezu null auf ein Drittel der amerikanischen Haushalte. Anfang der 1960er-Jahre weitete man die Nachrichtenformate sogar aus. Etwa zeitgleich fand man zur Blockwerbung, mit der NBC von 1958 an die Sponsorensendungen ersetzte, und zwar derart erfolgreich, dass ABC und CBS die Idee sofort kopierten (vgl. Wu 2017a, S. 136). Zwischen 1952 und 1960 stieg das Werbebudget des Fernsehens von knapp 450 Millionen Dollar auf etwa 1,6 Milliarden massiv an (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-72). Ende der 1960er-Jahre war das Fernsehen nicht nur in vielen amerikani‐ schen Haushalt als Begleitmedium nahezu ununterbrochen eingeschaltet, die Networks hielten auch an der Mischung von Unterhaltung und Informa‐ tion fest und damit an unrentablen Nachrichtenredaktionen, um der FCC keine regulatorische Angriffsfläche zu bieten: „The three major broadcast networks pointed to their news devision (which operated at a loss or barely broke even) as evidence they were fulfilling the FCC’s mandate. News was, in a manner of speaking, the loss leader that permitted NBC, CBS and ABC to justify the enormous profits made by their entertainment divisions.“ (Allen 2000, S.-58). Dass das auch anders ginge und medienpolitisch tolerierte werden könnte, sollte 1986 die Fox Broadcasting Company aufzeigen, als sie mit ei‐ nem auf Sport (z. B. NFL) und sehr gefragten Unterhaltungsserien (z. B. The Simpsons, Beverly Hills 90210, The X-Files) konzentriertem Programm auf Sendung ging und dabei auf die bei der Konkurrenz üblichen Nachrichten‐ formate morgens und abends gänzlich verzichtete. Darüber hinaus kauften nun viele der dem Fox-Network angeschlossenen Affiliates in kleinen und mittelgroßen Märkten ihre Lokalnachrichten bei anderen Stationen ein, statt sie selbst zu produzieren. Einzig mit Fox News Sundays strahlte man sonntags eine Nachrichtenshow aus (später sollte im Fox-Universum der einflussreiche Kabel-Nachrichtenkanal Fox News hinzukommen). Zwar 210 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="211"?> würden das Network und die Affiliates von Fox ab etwa Mitte der 1990er- Jahre vermehrt wieder Nachrichten produzieren (und Breaking News von Fox News übernehmen); das anfängliche Modell, Informationsformate allenfalls randständig zu bedienen (wenn überhaupt), spiegelte aber die medienpolitische Situation in der Präsidentschaft Reagan, die nicht nur auf De-Regulation von Konzentrationsregeln abhob, sondern auch auf die Lockerung von inhaltlichen Ansprüchen an journalistische Formate im amerikanischen Rundfunk. Die meisten kommerziellen Fernsehsender werden heute betrieben von großen Unternehmensgruppen, die zum Teil unabhängig, zum Teil organi‐ satorisch mit einem Network verbunden sind. Nach einigen Fusionswellen im Zuge des Wettbewerbs mit Kabel und Satellit sind nur wenige kleinere Unternehmen verblieben, die in weniger als fünf lokalen Märkten operieren. Die lokalen Sender - soweit sie nicht einem der großen Networks gehören - schließen üblicherweise mittelfristige Verträge (mit Laufzeiten zwischen fünf und zehn Jahren) mit eben einem Network zur Übernahme des Pro‐ gramms für ihren Markt. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen auf diesem Markt kein Wettbewerb zwischen einzelnen Stationen herrscht (weil er zu klein ist), sind diese Verträge meist exklusiv, d. h. es wird auch in Ergänzung zu den eigenen Sendungen nur das Programm des einen Networks auf die Frequenz gelegt. Dabei gilt aber: Die Networks sind keineswegs allein dezentral agierende nationale Institute; vor allem in den Metropolregionen des Landes betreiben sie auch direkt eigene lokale Stationen, besitzen also Affiliates. Die Fox Broadcasting Company z. B. liefert an rund 200 Lokalstationen, von denen etwa zwanzig ihr auch gehören (McKay 2018, S. 149). Dennoch sind sie nicht, wie man meinen könnte, die größten Player am amerikanischen TV-Markt, jedenfalls gemessen an einigen ökonomischen Werten. So ist hinsichtlich der terrestrischen Reichweite der einzelnen Stationen in Summe die W. Scripps Company nach einer Fusion das gegenwärtig größte kommerzielle Fernsehunternehmen der USA; es erreicht mit seinen Sendern rund 69 Pro‐ zent der amerikanischen Bevölkerung. Typisch für diese Struktur ist dabei, dass dieses Unternehmen in seinen Märkten mit allen größeren Networks kooperiert. 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 211 <?page no="212"?> Anzahl Stationen Märkte Reichweite % Haushalte E. W. Scripps* 119 61 69,5 Nexstar 162 116 62,1 Univision 40 25 45,5 Fox 30 18 39,2 TEGNA 62 51 39,0 ViacomCBS 28 17 38,4 Sinclair 115 84 38,3 Comcast 27 20 37,5 WRNN-TV Associates 11 9 25,3 Gray 126 92 24,0 Disney 8 8 22,7 Tabelle 1: Top Ten US-Fernsehunternehmen nach terrestrischer Reichweite | Quelle: Federal Communications Commission 2020, S.-128; *nach Aufkauf von ION im Januar 2021 hier adaptiert. Viele dieser Fernsehunternehmen - u. a. Scripps, Sinclair, Nexstar - unter‐ halten nur wenige oder keine eigenen (lokalen) Programme, sondern kon‐ trollieren unternehmerisch die Verbreitungswege und speisen Inhalte vieler Anbieter z. T. über inzwischen digitale Terrestrik in ihre Sendestrukturen ein. Sie ähneln im Vergleich damit eher den deutschen Kabelbetreibern, als einem Fernsehunternehmen wie etwa RTL in Deutschland. Ob überhaupt und in welchem Umfang (über die lokalen Affiliates) eigene Inhalte produ‐ ziert werden, oder aber mehr oder ausschließlich der Vertrieb anderweitig hergestelltem Materials im Fokus steht, dazu müssten die Unternehmen einzeln betrachtet werden. Daneben haben sich einige spanischsprachige Networks etabliert, vor allem Univision und Telemundo. Univision wurde 1986 als Fusion zweier kalifornischer und texanischer Unternehmen gegründet und ist das reich‐ weitenstärkste dieser Networks. Im Vergleich zu ihren englischsprachigen Konkurrenten sind sie geographisch betrachtet weniger weit verbreitet und 212 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="213"?> 64 Vgl. https: / / www.medienkorrespondenz.de/ ausland/ artikel/ usa-heftige-konkurrenz-de r-spanischsprachigen-networks-univision-und-telemundo.html 65 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jUBayOrr konzentrieren sich konsequent auf Märkte mit großer hispano-amerikani‐ scher Bevölkerung. Nicht zuletzt durch den demographischen Wandel konn‐ ten diese Sender und darüber ihre Networks in den letzten rund 20 Jahren ihren Marktanteil merklich steigern, insbesondere in ihren Nachrichtenfor‐ maten (allein 2020 ein Anstieg von ungefähr zehn Prozent; vgl. Pew Research Center v. 27. Juli 2021). Allerdings sind sie aktuell insbesondere durch die Attraktivität von Streaming-Diensten für ihr jüngeres Publikum etwas unter Druck geraten. 64 Gleichwohl reichen ihre Einschaltquoten nicht nur an die vier großen englischsprachigen Networks heran, sondern übertreffen sie in vielen ihrer Kernmärkte, u. a. durch Kooperationen mit mexikanischen Fernsehsendern. Neben diesen beiden größten spanischsprachigen Wettbe‐ werbern - Univision und Telemundo - gibt es noch einige weitere kleinere, die z. B. spezifische Publika anstreben (ein junges Publikum) oder enge Programmstrategien verfolgen (z.-B. mit Telenovelas). Hinzu kommt mit dem Hispanic Information and Telecommunications Network (HITN) ein sehr erfolgreiches nichtkommerzielles Network das sich als Educational Programming versteht und von immerhin rund 40 Prozent der US-Haushalte empfangen werden kann. Die auch sprachlich heterogene US-Gesellschaft spiegelt sich darüber hinaus in weiteren nicht englisch‐ sprachigen Sendern wider, die ein oft räumlich recht gut abschätzbares Publikum erreichen wollen: z. B. in Miami und Louisiana auf Französisch oder Kreolisch, in und um San Francisco in verschiedenen asiatischen Sprachen, Polnisch in Chicago und mehr. Nicht zu 65 vergessen sind in den USA noch unzählige religiöse Sender oder Networks; als die prominentesten gelten das Trinity Broadcasting Network und das Daystar Television Network. Die meisten der religiösen Stationen gehören entweder einem Network oder, was die Regel ist, der örtlichen religiösen Gemeinschaft und setzen in ihrem Programm auf z. B. Tele-Evangelism, also einen auf das Fernsehen konzipierten Kirchendienst, importieren aber auch fiktionale Genres mit kirchlichen Themen. Gemessen an der Anzahl der in einem Network versammelten Sender, ist der Public Broadcasting Service (PBS), das öffentliche Fernsehen, mit rund 350 angeschlossenen Fernsehsendern das größte Fernsehnetzwerk der USA. Es ging im Oktober 1970 aus der Vorläuferorganisation National 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 213 <?page no="214"?> 66 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jUBayOrr Educational Television hervor (gegr. 1954), die den Fokus des öffentlichen Fernsehens noch transparent im Titel führte. Dabei wird der PBS nicht nur grundsätzlich anders finanziert (→ Kapitel 4.3), seine Programmstruktur kennzeichnet sich im Gegensatz zur kommerziellen Konkurrenz durch weitgehende Autonomie seiner Stationen. Auch die Reichweite des PBS ist mit knapp 98 Prozent Amerikaner, die öffentlichen Rundfunk terrestrisch empfangen können (hier: Radio und Fernsehen), außergewöhnlich hoch. Wenngleich das noch nichts über das konkrete Einschaltverhalten aussagt, so zeigen aber entsprechende Umfragen, dass der PBS seit inzwischen Generationen das vertrauenswürdigste Medienangebot Amerikas ist (vgl. Abernathy 2020, S.-67). Anders als die kommerziellen Networks produziert der PBS selbst keine Programme. Stattdessen stellen einige der angeschlossenen Stationen ihre Eigenproduktionen den anderen Mitgliedern der Organisation zur Verfü‐ gung; dabei gibt es auch kein allgemeines Programmschema, obwohl man‐ che der erfolgreichsten und beliebtesten Sendungen - z. B. Frontline oder NewsHour - im PBS-System u. a. nach Zeitzonen gestaffelt zeitgleich ausge‐ strahlt werden. Daneben prägen wie beim Radio vor allem pädagogische und kulturelle Programme das Public Television. Neben der zentralen Organisa‐ tion PBS kommen noch Produktionsunternehmen hinzu, z. B. das American Public Television, das für die Mitglieder des PBS und auch unabhängige Stationen Inhalte exklusiv herstellt, und einige kleinere Networks wie First Nations Experience mit speziellen Programminteressen. 66 Außerdem senden immer noch einige wenige Stationen, die von den Unternehmensgruppen, den Networks oder dem PBS unabhängig sind, auf dem UHF-Band; ihre Anzahl ist seit den 1990er-Jahren und der neuen Konkurrenzsituation durch Kabel und Satellit allerdings stark rückläufig. Dem Zweck des Public Broadcasting in den USA folgend haben wie beim Radio auch im Fernsehen die meisten Sendung einen primär kulturellen oder bildungsbezogenen Hintergrund. Schon vor der Gründung des PBS hatte die FCC über das Land verteilt 252 Kanäle für akademische oder pädagogische Programme reserviert (Federal Communications Commission 2011, S.-151). Insbesondere Kindersendungen hatten und haben einen hohen Stellenwert. Daneben ist die Einbindung in akademische Curricula weit verbreitet: Rund zwei Drittel der knapp 3.000 Colleges im Land betreiben eigene kleine Sender oder greifen auf andere PBS-Ressourcen zurück (ebd. S. 156). Vor allem 214 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="215"?> sind hier die rund 5.000 PEG-Channels zu nennen: Kanäle zur Nutzung von Public, Educational, Governmental Akteuren. Dabei handelt es sich um lokal operierende kleine Kabel-Sender, deren Platz im Kabel von den Gemeinden eingefordert werden kann, also ein Must-Carry darstellen (gegen Gebühr). Hier darf man sich in erster Linie Schulen und akademische Einrichtungen als Betreiber solcher Sender vorstellen, oft eben zu Ausbildungszwecken, zur Übertragung von Kommunalversammlungen, den Townhall-Meetings, oder lokalen Kulturveranstaltungen (ebd. S.-170-175). Im Gegensatz aber zum öffentlichen Radio, strahlen nur rund zwei Drittel der lokalen, dem PBS angeschlossenen TV-Sender auch tägliche Lokalnachrichten aus - da die Kosten, eine Redaktion vorzuhalten, zu hoch wären. Darüber hinaus dürfen die PBS-Sender auch keine Fördergelder für Aktivitäten auf digitalen Plattformen ausgeben. Diese beiden Punkte sind in jüngerer Vergangenheit in der medienpolitischen Debatte durchaus kri‐ tisch angesprochen worden - verbunden mit Forderungen nach Förderung lokaler Nachrichten, Zulassung digitaler Formate für nichtkommerzielle Sender (vgl. Schudson 2019, S. 103) sowie auch die Unterstützung von auf digitale Formate spezialisierte Akteure, die bislang nicht den Public Media zugerechnet wurden (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-169). Zumindest bis zur Etablierung des Internets wurde das Kabelfernsehen in den 1980er-Jahren und spätestens 1992 mit dem Cable Act, der wesentliche regulatorische Einschränkungen beseitigte, zum größten Wettbewerber des terrestrischen Fernsehens (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 105). Es hat technologisch betrachtet seinen Ursprung wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als Kabelsysteme genutzt oder angelegt wurden, um andernorts lokal ausgestrahlte Terrestrik in ländlichere, vom kurzwelligen Rundfunk unberührte Gebiete zu transportieren. Noch heute ergeben sich dort, wo die Kabelsysteme die Signale der Broadcast Networks übernehmen, die größten Konflikte um Gebühren, die von Fall zu Fall verhandelt werden. Bis Mitte der 1970er-Jahre entwickelten sich in den größeren Märkten der Städte die ersten Kabelsender mit eigenständigem Programm. Heute wird nahezu jeder Haushalt in den USA von einem der rund 9.000 Kabelsysteme erreicht, die manchmal von Gemeinden betrieben werden, überwiegend aber großen Unternehmen gehören (vgl. Stevenson et al. 2008, S. 5236). Gegenüber der Dominanz der Big Three in der Terrestrik stellt die Vielfalt der Sender, die nun zu hunderten über diese Systeme in die angeschlossenen Haushalte eingespeist werden, natürlich einen deutlichen Gegensatz dar. 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 215 <?page no="216"?> Allerdings werden rund 90 Prozent der Kabelsender den größten fünf Unternehmensgruppen zugeordnet (vgl. McChesney 2004, S. 183). Obwohl das ein oder andere individuelle Programm der klassischen Networks noch hohe und höchste Einschaltquoten erreicht, so sind doch die Kabelsender in ihrer Gesamtheit inzwischen führend auf dem amerikanischen Publikums‐ markt. Um 1980 lag die Zahl der Kabel-Abonnementen noch bei rund 19 Millionen Amerikanern; auf dem Höhepunkt, 2001, sind es rund 67 Millionen Haushalte; und obwohl mit neuen Konkurrenten die Nutzerzahlen fortan stagnieren und leicht rückläufig sind, so steigert die Branche den Umsatz von 2,6 Milliarden Dollar 1980 auf 84,3 Milliarden im Jahr 2009 (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-109-112). Diese Sender sind in der Regel über Abonnements zu beziehen, wobei im Prinzip zwei Formen zu unterscheiden sind: Basic Cable und Premium Cable. Die Sender der „Basisversion“ finanzieren sich über Werbung und einen Anteil an den Beiträgen, die die Kabelbetreiber von ihren Kunden erheben. Hinzu kommt, dass die Kabelbetreiber (so wie die klassischen Networks) einen Teil der Sendezeit fest an lokale Werbetreibende verkaufen. Demgegenüber verzichten Premium Cable Networks als Pay-TV-Sender auf Werbeunterbrechungen, überwiegend zumindest, und erheben zusätzliche Beiträge. Kabelsender sind häufig themenspezifisch konzipiert. Beispielsweise hat‐ ten die ersten Unternehmen der frühen 1980er-Jahre einen religiösen Bezug und/ oder, was rasch populär wurde, konzentrierten sich auf ein Familien- Programm: CBN Family, International Family Entertainment, Fox Family, ABC Family u. ä. Im Gegensatz zu den Broadcasting Networks operieren die Kabelsender überwiegend synchron, d. h. mit einem über das Land verteilt gleichen Programmablauf. Die größten Unternehmen sind dabei USA Net‐ work, das sich ganz der Unterhaltung verschrieben hat, ESPN (Sport), MTV (Musik und Reality-TV), CNN, MSNBC, Fox News Channel (Nachrichten), Disney Channel (Unterhaltung), Discovery Channel (Wissenschaft) und mehr. Während diese größeren Netzwerke sich geographisch im Prinzip nicht beschränken, haben andere von vornherein einen regionalen Bezug. Da‐ runter fallen auch reine Nachrichtensender wie Cablevision. Das wird insbesondere bei einigen Sportsendern deutlich: So bietet NBC Sport Regi‐ onal Networks oder AT&T SportsNet für verschiedene Bundesstaaten oder Metropolregionen Sportberichterstattung mit entsprechendem Lokalkolorit an. Die wohl teuerste Form des Sportfernsehens verbirgt sich hinter Out-of- Market Sports Packages: Individuelle Angebote über besondere Teams oder 216 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="217"?> Sportarten und ganze Ligen, deren Rechte nicht bei den übrigen Sendern liegen oder gesondert verhandelt wurden: etwa der NBA League Pass oder das NFL Sunday Ticket. Einer der ersten Premium Cable-Sender war Home Box Office (HBO), gegründet 1972 und im Besitz von Warner Bros. Die Attraktivität dieses An‐ gebots lag und liegt hauptsächlich im Verzicht auf Werbeunterbrechungen bei Filmen und Serien. HBO hat seit Ende der 1990er-Jahre die Produktion von eigenen Serien (u.-a. Sex and the City, The Sopranos) und Filmen aufge‐ nommen und wird inzwischen von über 30 Millionen Abonnementen in den USA gebucht. Wahrscheinlich ist der Erfolg der Premium Cable-Sender aber auch darauf zurückzuführen, dass sie so gut wie keiner Regulierung durch die FCC unterliegen, keine Rücksicht auf Werbekunden nehmen müssen und sich Produzenten dementsprechend in „Stilfragen“ weniger eingeengt fühlen. Meist stehen den Premium Cable-Abonnenten mehr als ein Kanal zur Verfügung, und das Angebot umfasst nichtlineare Inhalte und/ oder speziell zugeschnittene Programme, z. B. wieder bei HBO: HBO Family, HBO Latino, HBO Comedy und vieles mehr. Inhaltlich anders gelagert, hatte insbesondere die Gründung (1980) und Etablierung des Kabelkanals CNN als reiner Nachrichtensender die Fern‐ sehlandschaft der USA nachhaltig verändert. Den Umständen entsprechend rechnete eigentlich kaum jemand damit, dass sich ein derartiger Informati‐ onsfokus auf dem Markt halten könnte. Denn zum einen erfuhr das Land gerade eine Rezession und die Werbeumsätze waren drastisch eingebro‐ chen; zum anderen galten Nachrichtenredaktion als ausgesprochen teuer und unrentabel. Offenbar aber hatte man die Nachfrage an unmittelbarer, nicht an eine Prime-Time gebundene Nachrichtenformate unterschätzt. Tatsächlich sollten sich CNN und nachfolgende Kabelnachrichtensender ökonomisch rasch festsetzen. Heute liegt der Umsatz bei den drei größten Kabelnachrichtenkanälen - Fox News, CNN und MSNBC bei 2,9 (Fox) 1,7 (CNN) und 1,1 Milliarden Dollar (MSNBC). Nur zum Vergleich: Der von Donald Trump promovierte rechtskonservative Sender Newsmax setzte im Vergleichszeitraum verschwindend geringe 26 Millionen Dollar um (vgl. Pew Research Center v. 13. Juli 2021). Während das Kabel also Anfang 1980 mit CNN einen prägenden Wandel einleitete, so konnte sich das Satelliten-Fernsehen in den USA nur schwer festsetzen. Alle in den 1960er-Jahren von der FCC lizenzierten Sender konnten sich zunächst nicht etablieren - zu hoch waren die Anschaffungs‐ kosten für die Nutzer, zu gering der Unterschied zum frei empfangbaren 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 217 <?page no="218"?> 67 https: / / www.nielsen.com/ de/ insights/ 2022/ streaming-grabs-35-of-tv-time-in-august-b ut-overall-usage-dips-as-summer-winds-down/ Rundfunk. (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 111). Ein erster Durchbruch musste gesetzgeberisch inspiriert werden: 1988 erließ der Kongress den Satellite Home Viewer Act, der Copyright-Probleme anging und schließlich Satelliten-Anbietern erlaubte, Rundfunkprogramme gebühren‐ frei zu übernehmen. Vornehmlich ging es seinerzeit noch darum, Angebote für entlegene Gebiete zu schaffen. Nachdem nun innerhalb weniger Jahre rund zwei Millionen Amerikaner das neue Satellitenprogramm annahmen, bedient der größte Satelliten-TV-Betreiber des Landes, DircTV, heute knapp 20 Millionen Abonnenten mit rund 290 Kanälen; insgesamt werden etwa 33 Millionen Haushalte versorgt, wobei die Unternehmen rund 640 Millionen Dollar umsetzen. Nachdem also vor allem das Kabel und schon weniger das Satelliten- Fernsehen das klassische Broadcast-TV ergänzten, stellte sich knapp 30 Jahre darauf mit den Streaming-Diensten eine neue starke Konkurrenz auf dem Publikumsmarkt ein. Diese Dienste ähneln dem in den USA üblichen Subscriptions-Modell der Kabelsender; allerdings wird das Signal meist nicht über eine digitale Set-Top-Box empfangen, sondern über das Internet. Die Anfänge dieses netzgestützten Fernsehens wiederum finden sich schon Mitte der 1990er-Jahre; ab etwa der Jahrtausendwende ist ein Trend zum „Cord Cutting“ erkennbar: die Kündigung von Kabel-Abonnements. Als Streaming-Dienste firmieren dabei Dienste, die überwiegend durch eine monatliche Mitgliedschaft finanziert werden und die Serien, Filme und Dokumentationen auf Abruf zur Verfügung stellen, wobei das Streaming auch über mobile Geräte möglich ist. Als wichtigste dieser Unternehmen in den USA gelten Netflix, Amazon Prime Video, HBO max, Disney+, Hulu, Apple TV+, Cheddar, Quibi, YouTube TV (vgl. O’Keefe 2019). Ihre Rolle im Medienrepertoire der Amerikaner wurde zuletzt im Juli und August 2022 deutlich: seinerzeit erreichte die Nutzung dieser Streaming-Dienste in den USA einen Rekordwert von 35 Prozent der gesamten Fernsehnutzung. 67 Hintergrund war allerdings die Sommerflaute an neuen Inhalten im klassi‐ schen Fernsehen. Insofern ist das als „Ausreißer“ zu werten, deutet aber zumindest an, welchen Stellenwert das Streaming inzwischen einnimmt. Viele Sender reagieren darauf mit eigenen digitalen Angeboten oder stellen sich als Subskriptionskanäle unter das Dach z. B. von Amazon Prime oder Sky (wie HBO). Darüber hinaus ist z. B. Netflix inzwischen selbst in großem 218 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="219"?> Stil als Produzent von Inhalten jeder Art tätig - und reklamiert für sich, rund zehn Prozent der weltweit auf einer Milliarde Stunden geschätzten täglichen Fernsehnutzung (was, nebenbei bemerkt, auch der Wert ist, den YouTube- Nutzer erreichen sollen; vgl. O’Keefe 2019). Hinsichtlich des Nachrichtenjournalismus im lokalen Fernsehen sind in den letzten rund zwanzig Jahren noch einige Trends festzuhalten (vgl. Abernathy 2020, S. 77; Federal Communications Commission 2011, S. 87-90, 98-103): ■ So ist tatsächlich etwas Wachstum der Nachrichtenzeit zu beobachten: Durch Ausdifferenzierung der Formate und die Steigerung des täglichen Volumens der Nachrichtensendungen von bis zu 30 Prozent; kurz nach der Jahrtausendwende setzten viele Stationen im Wettbewerb insbeson‐ dere mit den Kabelnachrichten auf neue Programmschemata mit über den Tag verteilt neu eingestreute Nachrichtenformate, darunter z. B. Sendungen ab 4 Uhr 30 am Morgen, den so genannten Early Birds. ■ Geleistet wird das aber - über die Branche betrachtet - von immer weniger Journalisten; so sank bis 2010 die durchschnittliche Zahl der Redakteure in den Lokalredaktionen von deutlich über 30 auf deutlich unter 30. ■ Wie bei der Presse zeigen Inhaltsanalysen einen Rückgang der Bericht‐ erstattung über lokale und regionale Politik; das steht unmittelbar in Verbindung mit der Zusammenlegung von Redaktionen der Unterneh‐ mensgruppe zu Lasten selbständiger lokaler Einheiten. ■ Das wiederum läuft parallel mit einer Diskussion um Video News Rele‐ ases: vorgefertigte PR-Videos und Filmmaterialien, die vom Prinzip her schon seit den 1960er-Jahren bekannt sind, mit der Digitalisierung aber vermehrt beobachtet und kritisiert werden (vgl. insbesondere Federal Communications Commission 2011, S.-94-97). ■ Schließlich haben etwa 30 Prozent der lokalen Sender überhaupt keine oder nur wenige lokale Nachrichtenformate in ihrem Programm; das sind überwiegend unabhängige Stationen oder aber solche, die in dem großen Markt einer Metropolregion operieren; beispielsweise wurden für Los Angeles 27 Fernsehlizenzen an Stationen vergeben, von denen 14 keine Nachrichtenshow oder weniger als 30 Minuten Informationen pro Tag senden (Federal Communications Commission 2011, S.-100). Darüber hinaus sind die Zuschauerzahlen der in der amerikanischen Fern‐ sehgeschichte traditionellen Network-News rückläufig. Noch in den 1970er- 4.4 Fernsehen: Entwicklung, Vielfalt, ökonomische Trends 219 <?page no="220"?> Jahren schauten drei Viertel Amerikaner regelmäßig eine der abendlichen Hauptnachrichtensendungen von ABC, CBS oder NBC. 2010 lagen die durchschnittlichen Einschaltquoten dort nur noch zwischen fünf und sieben Prozent (Federal Communications Commission 2011, S.-103). Mit der Etablierung des Internets konnte das Fernsehen zunächst aller‐ dings noch sein Werbebudget erstaunlich konstant halten, zumindest im Vergleich zur Presse. Das wird vornehmlich (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 75) damit erklärt, dass es die klassischen Anzeigen und Inserate waren (Classified Advertising), die die Zeitungen en masse an das Internet verloren hatten und die bei den TV-Sendern praktisch kaum eine Rolle spielen. Dagegen behielten Fernsehspots ihren unterhaltenden Anstrich bei und verlagerten sich spürbar (aber nicht dramatisch) erst mit dem Web 2.0 auf einige Netzplattformen. Hatte die Pressebranche noch Anfang der 1990er-Jahre rund ein Viertel des US-Werbeetats auf sich vereint, so halbierte sich dieser Betrag bis 2010. Dagegen das Fernsehen (terrestrisch und Kabel) konnte seinen Anteil seit den 1960er-Jahren sogar leicht steigern; er schwankt nur geringfügig und liegt recht konstant um 25-Prozent. Mit dem Supreme Court-Entscheid Citizen United vs. Federal Election Commission kam für die Fernsehwirtschaft ein wichtiger Aspekt hinzu bzw. verstärkte ein bereits vorhandenes Phänomen: Das Urteil (→ Kapitel 3.3.9) sprach Unternehmen das Recht zu, politische Kampagnen monetär unbegrenzt zu unterstützen. Allein für die Zwischenwahlen 2010 wird daraus ein Effekt von 400 Millionen Dollar geschätzt (vgl. Federal Commu‐ nications Commission 2011, S. 75). Überhaupt verweist genau dieses Beispiel auf einen über Citizen United hinausreichenden Zusammenhang: Dass die vergleichsweise (sehr) hohen Summen, die die amerikanische Politik in ihre Wahlkampagnen investiert, gerade für die lokalen Sender alle zwei Jahre (Präsidentschaftswahl und Mid-Terms im Wechsel) einen willkommenen und wohl fest eingeplanten Schub an Werbegeldern bedeutet; in solchen Wahljahren fluten geschätzte eine Million politische Fernsehspots die Fern‐ sehmärkte (vgl. McChesney 2004, S.-128). 220 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="221"?> Abb. 6: xxx 0 5000 10000 15000 20000 25000 2015 2016 2017 2018 2019 gesamt lokal national politisch online Abbildung 6: Terrestrisches Fernsehen - Umsatz der Werbung in Millionen | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Federal Communications Commission 2020, S.-132. Vor allem natürlich steigen dadurch die Einnahmen durch politische Wer‐ bung in den Wahljahren sprunghaft, grob um zwei Milliarden Dollar. Das Budget vieler lokaler Sender folgt also einem zyklischen Muster. Das wirkt in der Grafik aufgrund des Maßstabes wahrscheinlich weniger dramatisch, als es ökonomisch für die Fernsehunternehmen spürbar ist und sich zwischen acht und zehn Prozent im Jahresrhythmus bewegt (vgl. Pew Research Center v. 13. Juli 2021, o. S.). Bemerkenswert auch, dass die Werbeprofite insgesamt leicht ansteigen, was zu einem großen Teil auf Onlinewerbung auf den Netzseiten der Sender zurückzuführen ist. Für die Unternehmen kommen noch Retransmission Consent genannte Gebühren hinzu, Abgaben, die Kabelbetreiber leisten, wenn sie Inhalte des terrestrischen Fernsehens in ihr Programm integrieren. In dieser Kategorie waren in den letzten Jahren erhebliche Zuwächse zu beobachten: Von knapp 6,4 Milliarden Dollar 2015 auf 11,7 Milliarden im Jahr 2019 (vgl. Federal Communications Commission 2020, S.-132). 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 1995 und 1996 gelten gemeinhin als die Jahre, in denen sich das Inter‐ net in größeren Teilen der Gesellschaft etablierte und nicht länger als eine wundersame, dezentralisiert organisierte Technologie galt, mit der 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 221 <?page no="222"?> eine Hand voll durch die Regierung geförderte akademische Kreise oder innovative Unternehmer experimentierten (vgl. Wilke 1996). Zwar hatten bereits Anfang der 1990er-Jahre einige wenige kleine Firmen Inhalte in das Internet gestellt oder mit Usenet Newsgroups rudimentäre Formen der Netzkommunikation ermöglicht, das „Netz der Netze“ blieb dennoch eine übersichtliche Veranstaltung. Etwa Mitte des Jahrzehnts investierten dann Risikokapitalunternehmen im größeren Maßstab in die sich abzeichnende neue Medienökonomie, Telekommunikationskonzerne nahmen das Internet in ihre Geschäftspläne auf und der Kongress begann, über den Ausbau der Infrastruktur jenseits des zuständigen Ausschusses zu streiten (vgl. Kleinsteuber 1996a, 1996b; Overby & Audestad 2021, S. 67). Und als 1996 CNN sowie die New York Times, die Washington Post und die Los Angeles Times ihre Inhalte online zugänglich machten, schien der Weg vorgezeichnet für den Information Superhighway: eine Metapher, die in Netzkreisen schon länger gängig war und nun Grundlage wurde für das National Information Infrastructure-Programm der Regierung Clinton (vgl. Braman 2009, S. 53; Neumann et al. 2011, S.-30). Zwischen 1995 und der Jahrtausendwende vervielfachte sich die private Investitionssumme von etwa 600 Millionen auf rund 15,6 Milliarden Dollar (Federal Communications Commission 2011, S. 115). Seinerzeit waren AOL, CompuServe und Yahoo! die größten Onlinefirmen des Landes - und sie verstanden sich bereits als Community. Freilich, um die Jahre 2000 und 2001 „platzte“ die „Internetblase“ und die Investoren beeilten sich, ihr Kapital aus der noch sehr ideenlastigen Branche abzuziehen. Obwohl bereits etwas Werbeetat online sichtbar geworden war, hatte sich kein Geschäftsmodell durchsetzen bzw. beweisen können, auch keines, das den Aufwand recht‐ fertigen und die hohen Kosten der Generierung von Inhalten hätte tragen können. Und das, obwohl etwa um die Jahrtausendwende die Zahl der Nachrichten, die im Internet zu finden waren, die der klassischen Medien offline überholt haben soll (ebd.). Wenige Jahre später war es die „Erfindung“ von Social Media, die eine dann tatsächlich neue Netzökonomie begründen sollte. Eigentlich waren es neben Fortschritten bei Hardware-Komponenten nur kleine Veränderungen der Software, die zwischen 2003 und 2005 zum bald so genannten Web 2.0 führten. Diese Verbesserungen machten es vornehmlich möglich, den Inhalt einer Website zu ändern (eine Text oder ein Foto einstellen, einen Link setzen usf.), ohne dass anschließend die gesamte Seite neu hochgeladen werden musste - ein Verfahren, das schlechterdings die Voraussetzung 222 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="223"?> wurde und nach wie vor ist für kollaborative Plattformen wie Facebook und ähnliche Seiten. Ökonomisch betrachtet hatte das „neue Netz“ nun vor allem zwei Vorteile: 1) dass die die Inhalte von den Nutzern selbst generiert wurden, 2) dass Nutzer auf solchen Social-Media-Plattformen weitaus länger verweilten, als auf der Netzseite einer Zeitung: „For instance, the average reader spends 20 minutes a month on the New York Times website, compared with seven hours on Facebook.“ (Federal Communications Commission 2011, S.-116) Insbesondere das rasante Wachstum von Google, Facebook und Amazon markierte dann die neue Ökonomie und ihre Winner Take All-Charakte‐ ristik. Sei es eben bei Suchmaschinen, sozialen Netzen oder dem E-Com‐ merce: in digitalen Märkten ist ein Trend hin zu dominanten Akteuren überaus deutlich. Das wiederum ist (nicht ausschließlich) auf Netzeffekte zurückzuführen: Das Konsumverhalten einzelner kann abhängig sein vom Konsumverhalten vieler. Wenn eine große Zahl an Menschen ein Gut oder eine Dienstleistung beansprucht, steigt der Vorteil, der aus diesem Gut oder dieser Dienstleistung gezogen wird für alle Beteiligten. An Facebook lässt sich das sofort demonstrieren: Die Plattform ist für die, die sich darauf bewegen und mitteilen, umso interessanter und wertvoller, je mehr Personen dort unterwegs sind: ein direkter Netzeffekt. Ein Telefonnetz ist umso funktionaler, je mehr Menschen angeschlossen sind. Dem schließt sich unmittelbar - für das sich nun etablierende Geschäftsmodell der Social Network Sites (SNS) zentral - ein indirekter Netzeffekt dahingehend an, als die Zahl der auf Facebook aktiven Personen für Werbetreibende fundamental ist. Außerdem können Netzeffekte sich auf Innovation und Entwicklung beziehen: Je mehr, beispielsweise, Menschen ein Smartphone kaufen und damit nicht nur telefonieren, desto eher können App-Entwickler mit einem Markt für neue Produkte rechnen, und - als Feedback-Schleife - je besser wiederum diese Apps sind, desto attraktiver wird das Smartphone für neue Kunden usf. (vgl. Rimscha & Siegert 2015, S.-51). Nebenbei bemerkt: Solche Prozesse sind nicht nur auf digitalen Märkten zu beobachten. Eine Shopping Mall ist zementgewordenes Beispiel für Netz‐ effekte, und auch die klassischen Medien, Zeitung und Rundfunk basieren auf diesen Effekten. Sie immunisieren auch nicht gegen Konkurrenz, wie man vordergründig annehmen könnte: Yahoo beispielsweise, hatte seine marktbeherrschende Stellung in kürzester Zeit an Google abgeben müssen. Allerdings ist es eher die Regel, dass Netzeffekte es neuen Konkurrenten 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 223 <?page no="224"?> umso schwerer machen, je mehr Konsumenten sich bereits für das domi‐ nante Produkt entschieden haben. Tatsächlich bildeten sich in der Netzbranche nach einer zunächst durch‐ aus unsicheren Phase großer Investments rasch Marktzutrittsbarrieren: das Akronym GAFAM für die fünf großen IT- und Netzunternehmen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft steht nachgerade sinnbildlich für die Monopolstrukturen der binnen weniger Jahre riesigen Wirtschaftsbranche. Sicher, es gibt tausende Medienunternehmen in den USA, die im Internet operieren, aber nur ein minimaler Anteil von Ihnen erreicht signifikanten Marktanteil. - Marktkapitalisie‐ rung in Millionen US-$ Umsatz in Millionen US-$ Mitarbeiter (ungefähr) Apple 2.278.201 394.328 164.000 Microsoft 1.917.439 198.270 221.000 Meta Platforms (Facebook) 318.832 117.929 87.314 Amazon 934.264 469.822 1.608.000 Alphabet (Google) 1.231.951 257.637 156.660 Walt Disney 171.691 82.722 188.100 Warner Bros. 26.663 12.191 11.000 Ford Motors 54.196 136.341 183.000 Tabelle 2: Ausgewählte US-Firmen im Vergleich-| Quelle: eigene Zusammenstellung nach den Jahresberichten der Unternehmen 2022; Rundungen; Marktkapitalisierung über S&P Capital IQ; Stand: 15.12.2022. Wie die Tabelle zeigt, generieren die GAFAM-Firmen heut weltweit einen Umsatz von rund 1.437.000 Millionen Dollar, also etwa 1,5 Billionen; das entspricht etwas weniger als sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes der USA. Die „alten“ Medienunternehmen wie Walt Disney oder Warner Bros. fallen im Vergleich deutlich ab. Ein klassisches und traditionsreiches Großunternehmen wie Ford Motors bilanziert demgegenüber weniger als ein Zehntel der GAFAM-Gruppe. Und: Diese Firmen beschäftigten weltweit rund über zwei Millionen Mitarbeiter (wobei Amazon durch die Auslieferer 224 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="225"?> personell deutlich hervorsticht). Die eigentliche ökonomische Bedeutung wiederum dürfte durch abhängige Zulieferer und indirekt von der Branche abhängigen Unternehmen um ein - schwer zu schätzendes - Vielfaches größer sein und einen außerordentlich beachtlichen Anteil an der globalen Wirtschaft ausmachen (ganz abgesehen von den Effekten ihrer Produkte auf und für die Wirtschaft). Für Europa spricht beispielsweise eine Studie von ungefähr einer Millionen Unternehmen, die sich rund um Amazon mit seinen verschiedenen Diensten gebildet hätten - verbunden mit etwa drei Millionen neuen Arbeitsplätzen im Jahr 2019 (vgl. Bennett 2021, S.-3). Wenn nun die großen Netzunternehmen und -plattformen u. a. durch enorme Investitionen und Netzeffekte recht schnell Marktzutrittsbarrieren errichteten, so kam noch ein Wettbewerbsvorteil hinzu, der sich durch Rolle von Daten im Geschäftsmodell vieler Onlinefirmen erklärt (vgl. Kimmelmann 2019). Google, Amazon und Facebook sammeln ungeheuer viel Informationen über ihre Nutzer, und diese Daten wiederum können und werden für gezielte Werbung eingesetzt. Diese Vorteile nun auf dem Werbe-Markt stärken etablierte Unternehmen gegenüber möglichen Wett‐ bewerbern, die noch nicht über solche Datenbestände verfügen. Dieses Online-Advertising, das auf einer äußerst weitreichenden Sammlung und Auswertung von Nutzerdaten beruht, stellt zunächst einmal einen gänzlich anderen Zugang zum Konsumenten dar als in den „alten Medien“. Die arbeiten zwar auch zielgruppenorientiert, liefern aber noch relativ unsichere Daten. Nach einem vielzitierten Bonmot aus der „alten“ Mediensphäre sei die Hälfte des Werbegeldes Verschwendung; man wisse halt nur nicht, welche Hälfte. Mit den Tracking-Methoden der modernen Netzindustrie lassen sich die mit Unsicherheiten einhergehenden Transaktionskosten im Werbemarkt erheblich senken. „We watch television. The Internet watches us.“ (Lessig 2019, S. 109) Die von den Nutzern selbst hinterlassenen Datenspuren erlau‐ ben den Anbietern eine weitaus genauere Bestimmung „ihres“ potenziellen Konsumenten (vgl. Leister 2017). Dass mit dieser Methode auch erhebliche datenschutzrechtliche Problematiken verbunden sind, sei hier nur am Rande erwähnt. Zentral ist dann in Social-Media-Plattformen wie eben Facebook ein zweistufiger Mechanismus, der die bestmögliche Finanzierung sichern soll (vgl. Leister 2017, S. 239): Erstens werden die Daten genutzt, um die Nutzer im Gebrauch der Plattform selbst zu beeinflussen, insbesondere: um die Verweildauer zu erhöhen. Zugleich geht es darum, zweitens, die aus diesen Daten und dem Nutzerverhalten gewonnen Erkenntnisse auf dem Werbe‐ 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 225 <?page no="226"?> 68 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jsGh7mCt markt zu verkaufen. Dem folgt, dass z. B. ein bestimmtes Clickverhalten bei Facebook dazu führen kann, dass beim Lesen eines Onlinenachrichtenjour‐ nals an ganz anderer Stelle ein bestimmtes Banner eingeblendet wird; es geht also nicht nur um das Verhalten und die Werbung auf einer Netzseite, denn die Daten werden über Onlineauktionsdatenbanken und Datenbroker breit angeboten. Dieses datengetriebene Geschäftsmodell, der „surveillance capitalism“ (Zuboff 2019) ist seit Jahren auch Gegenstand der medienpolitischen Dis‐ kussion, weil es intransparent ist und negative Effekte bei Verbrauchern in derart semi-monopolistischen Strukturen zu vermuten, aber schwer konkret auszumachen sind. Surveillance Capitalism: Das neue Gold sind die Klienten selbst, deren Verhaltensprofile als Datenpakete dem digitalen Werbemarkt übergeben werden. „What users may intuitively think of as ‚free‘ products, such as search engines or Facebook pages, are means to collect our private data, behaviorally engineered for delivery to clients in business, politics and government. Patterns of our private, public, consumer and work lives are captured and engineered to create more behavioral products and services that enable further human profiling in an endless cycle of monitoring and engineering.“ (Bennett 2021, S.-4) Allerdings operieren die großen Firmen nicht unbedingt in wettbewerbs‐ freien Räumen und wären im Wortsinn Monopolisten, auch wenn sie in bestimmten Sektoren den Markt dominieren. So hat der Supreme Court bislang sich immer gegen die Feststellung eines Monopols entschieden, wenn das Unternehmen weniger als 75 Prozent Marktanteil besaß - und auf solche Werte kommen auch die GAFAM-Unternehmen und einzelne ihrer Dienest nicht. Amazon beherrscht etwa 40 Prozent des US-E-Commerce Marktes, etwa vier Prozent des gesamten Handels; Apple kommt mit etwa 60 Prozent des amerikanischen Smartphone-Marktes der formellen Schwelle immerhin nahe. 68 In der Regel z. B. konkurrieren sie zudem auf dem Werbe-Markt mit vielen anderen Internetfirmen und -anwendungen, die Daten sammeln und verkaufen. Auch lassen sich regelmäßig bei neuen Trends und technischen Innovationen Auseinandersetzungen um die Inkorporation möglicher Wett‐ bewerber beobachten: Tatsächlich vorhandene Konzentrationstendenzen werden regelmäßig begleitet von Prozessen der „Domänabsicherung bzw. -erweiterung“ (Dolata 2020, S.-182). 226 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="227"?> Um z. B. Netzeffekte zu minimieren, die innovativen Wettbewerb schwä‐ chen könnten, wird über verschiedene Maßnahmen diskutiert (vgl. noch Kap. 6.3), u. a. auch Regelmodelle der Interoperationalität. Darunter versteht man die Öffnung einer technologischen Struktur für Wettbewerber: Solche Regeln kannte man aus den 1980er-Jahren und später mit dem Telecommu‐ nications Act von 1996 im Zusammenhang mit dem Wettbewerb in der Telefonie, der Zerschlagung von AT&T und den Kabelnetzen. Etwa besteht das Telefonnetz in den USA aus vielen hundert eigentlich unabhängigen Anbietern, die für Verbraucher unbemerkt aneinandergekoppelt sind. Und auch viele Netzanwendungen und grundlegend das World Wide Web sind so konstruiert, dass unterschiedliche technische Einheiten und Anwendungen miteinander operieren können (vgl. Kimmelmann 2019). Freilich: Interope‐ rationalität bei einer Social-Media-Plattform könnte z. B. bedeuten, dass Facebook und die zum gleichen Konzern gehörenden Instagram und What‐ sApp ihre technologische Struktur so gestalteten, dass Konkurrenten wie etwa Snapchat dort auf die Datenprofile ihrer eigenen User zugreifen könn‐ ten - ein netzpolitisch extrem weitreichendes Modell, dass entsprechend umstritten ist. Wissen | Die Zerschlagung von AT&T Anfang Januar 1982 teilte der Chef des Telekommunikationsunterneh‐ mens AT&T in der Konzernzentrale hunderten von Mitarbeitern mit, man habe sich nach einem nunmehr zehn Monate andauernden Prozess mit der Regierung geeinigt: das Unternehmen würde in seiner bisheri‐ gen Gestalt umstrukturiert werden. Knapp drei Millionen Mitarbeiter arbeiteten seinerzeit für den ältesten Telefonanbieter, das größte Mo‐ nopol und das wertvollste Unternehmen der Welt. Nach einer Reihe von strittigen Entscheiden der Federal Communications Commission, die sich schon über zwei Jahrzehnte hinzogen, hatte man jetzt im Grunde genommen eine Zerschlagung ausgehandelt, bei der die ur‐ sprünglich 22 Netzbetreiber in sieben Holdings überführt wurden. Das vom Erfinder des Telefons, Alexander Graham Bell gegründete Groß‐ unternehmen hatte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im großen Stile Konkurrenten und Patente aufgekauft, um den vorgeblich ruinösen Wettbewerb in den tausenden lokalen Märkten des Landes zu beenden. Unter dem Slogan „One System, One Policy, Universal Service“ hatte man bis in die 1970er-Jahre dann ein (fast) lupenreines 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 227 <?page no="228"?> Monopol aufgebaut, kontrollierte praktisch alle Long Distance Calls, rund 80 Prozent der lokalen Telefonate und dominierte den Markt des Telefonie-Equipments. Allerdings war man schon 1919 gezwungen worden, seine Telegrafensparte zu verkaufen. Für die Entwicklung des amerikanischen Mediensystems war diese Zerschlagung 1982 insofern wichtig, als sie den Beginn einer Ära markierte, in der Regulierung zugunsten eines größeren Wettbewerbs nicht nur überdacht, sondern tatsächlich verändert wurde. Und diese neuen Bestimmungen bezogen sich nun auf die Kabeltechnologie und Systeme der Computer-mediated Communication. Insbesondere hatte der Regulierer nach Maßgabe des Common Carrier-Modells die Vorherrschaft von AT&T akzeptiert, wenn das Unternehmen selbst keine Inhalte auf den Markt brächte und er im Zugang zum Netz nicht diskriminiere, also Kunden nicht zurückweise; die Kosten für diese Dienste sollten wiederum reguliert werden. Jedoch wurde im Laufe der Jahre und mit der sich entwickelnden Kabel- und Computertechnologie Fragen der Daten-Übertragung immer virulenter, Fragen der Zuständigkeiten unklarer. Auch eine FCC Untersuchung von 1972 - Computer Inquiry - brachte kaum Klarheit, ob diese Data Processing unter die Regulierungskompetenz der FCC falle. Und vor allem hatten die Konkurrenten von AT&T argumentiert, auf dem neuen Markt habe der Monopolist des alten Marktes über die Kontrolle der Infrastruktur einen unfairen Startvorteil. Das Problem setzte sich über die Zerschlagung von AT&T 1982 fort, und so musste die FCC 1986 erneut eine umfassendere Untersuchung ansetzen. Letztlich wurde die zugrunde liegende Problematik des Wettbewerbs in der Telekommuni‐ kations-Infrastruktur der erst durch den Telecommunications Act von 1996 gelöst (vgl. Calabrese 2014, S. 183-184; Calabrese & Mihal 2011; Kang & Butler 2020, S.-253-257). Typisch ist nun für die von den führenden Netzkonzernen dominierten Märkten, dass sie dort als regelsetzende, als normgebende und den Handel von Dritten beeinflussende Akteure auftreten. Amazon beispielsweise, ist auch Handelsplattform für buchstäblich tausende andere kleinere Unter‐ nehmen und Händler. Mit Apple und verbindet sich ein App-Store, der Software-Entwicklern nicht nur Möglichkeiten, sondern Rahmenbedingun‐ gen vorgibt, Provisionen und Richtlinien. Ihre Marktdominanz macht die großen Plattformen in diesem Sinne selbst zu regelsetzenden und sogar 228 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="229"?> 69 Vgl. http: / / www.pressreference.com/ Sw-Ur/ United-States.html#ixzz7jsGh7mCt sanktionierende Intermediären. Entsprechend entwickelt sich an genau diesen Stellen auch ein höherer Regulierungseifer der politischen Instanzen (vgl. Dolata 2020; Dolata & Schrape 2022). Die zweite wichtige Entwicklung aus der Perspektive des Mediensystems, die auf die Etablierung des Netzes zurück geht, ist verbunden mit neuen Informations- und Nachrichtenanbietern im Netz respektive mit der Ent‐ wicklung eines Onlinejournalismus aus den klassischen Medien heraus. Die ersten, frühen Reaktionen von Zeitungsunternehmen in den 1990er- Jahren schienen eher von der Hoffnung beseelt, der Spuk des Internets sei bald vorbei sei. Andere begann vorsichtig damit, die Zeitungen des Tages abzufotografieren und dann hochzuladen. In der kurz angesprochenen ersten Phase des Netzes bis ca. 2005 hatte man dann mit Subskriptionsmo‐ dellen experimentiert - mit wenig Erfolg, vornehmlich, weil das Netz an vielen Stellen dieselben Informationen kostenlos Verfügung stellte und exklusive, z. B. lokale Informationen offenbar nicht genügend Anreiz für ein entsprechendes Onlineabonnement darstellten (vgl. Chadwick 2017, S. 52). Eine Ausnahme allerdings gab es: Das Wall Street Journal konnte mit dem Interactive Journal eine Netzseite platzieren, die wohl aufgrund des besonderen Inhaltes und des ökonomischen Hintergrundes der Zielgruppe tatsächlich profitabel war. 69 Eine besondere Rolle innerhalb der Onlinenachrichtenlandschaft spiel‐ ten bald die so genannten Nachrichten-Aggregatoren, Google News z. B., das algorithmisch bestimmt solche Nachrichten präsentierte, die aktuellen Suchtrends entsprachen. Der in der Netzszene bekannt Drudge Report arbei‐ tet basal ähnlich - ergänzt durch eigene redaktionelle Entscheidungen -, in dem er hauptsächlich Kolumnen und Nachrichtenseiten verlinkt, die andere ins Netz stellen. Oder die Huffington Post, gegründet 2005: Fundament dieser Publikation ist die What’s the time of the Super Bowl? -Strategie: Beo‐ bachtet werden Suchanfragen bei Google (Search Traffic-Analyse), und die Popularität entsprechender Suchen auf dem so genannten Traffic Scoreboard führt dann zu kurzen Berichten über das Problem, um die eigene Seite bei Google prominent zu platzieren; diese Strategie mischt sich allerdings mit eigenen Kurznachrichten. Was insbesondere zu Konflikten führt: die Über‐ nahme fremder Nachrichtentexte durch Aggregat-Nachrichten ist unter Copyright-Gesichtspunkten problematisch, da nicht immer klar bestimmt 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 229 <?page no="230"?> werden kann, wieviel eigene redaktionelle Änderungen oder welche obliga‐ torischen Quellenhinweise dem Urheberschutz gerecht werden. Schließlich gilt das Jahr 2010 insofern als Wendepunkt des amerikani‐ schen Nachrichtenwesens, als nun mehr Amerikaner Nachrichten online konsumieren als traditionell durch Printausgaben. Nachdem zu dieser Zeit einmal täglich über eine Netzanwendung News konsumierten, sind es heute rund 80 Prozent täglich (vgl. Isbell 2010; PEW Research Center v. 8. Novem‐ ber 2021). Diese steigende Nutzung des Netzes als Nachrichtengeber läuft parallel mit einem erhöhten wirtschaftlichen Druck auf die Zeitungsbranche und der Schließung vieler Zeitungen in den Gemeinden (vgl. Abernathy 2020; Federal Communications Commission 2010). Kein Zeitungsunterneh‐ men, soweit wir wissen, hat seinen ursprünglichen Umsatz halten können. 2010 ist darüber hinaus das Jahr, in dem viele einfach zu bedienende Blogging-Software populär wurden. Im Mai 2011 soll die erfolgreichste Blogging-Plattform, WordPress, bereits 20 Millionen Blogs organisiert haben (Federal Communications Commission 2011, S. 118). Zwar hatten nur wenige Blogger eine Reichweite unter den Top-100-Seiten der Nation, aber die Signifikanz der Entwicklung für die Informationsstruktur Amerikas ist kaum zu übersehen. Hinzu kamen noch Wikis, YouTube und natürlich auch Facebook, Twitter und ähnliche Plattformen - Millionen Amerikaner wurden in kurzer Zeit nicht nur Nachrichtenkonsumenten, sondern produzierten selbst Inhalte oder kurierten sie (wenn auch oft für einen kleinen Kreis). Auch der Onlinejournalismus wurde früh von den Onlineauftritten eini‐ ger weniger großer Unternehmen dominiert, zumindest hinsichtlich gesell‐ schaftlich-politischer Inhalte (vgl. Hindman 2009). Die rechtskonservative Nachrichtenseite Breitbart ist allerdings ein gutes Beispiel dafür, dass im Netz die schiere Größe nicht das zentrale Motiv sein muss, ja womöglich in der Regel auch nicht ist: Breitbart wurde 2009 gegründet explizit als Grassroots-Seite, als alternatives politisches Organ, das sich nicht nur im rechten politischen Spektrum aufstellte, sondern ausdrücklich auch gegen das Republikanische Establishment (vgl. Potter 2020, S. 210). Während also Print-Größen wie die New York Times einerseits ihre relative Stellung im Onlinenachrichtenwesen halten können, ist die Bedeutung solcher kleine‐ ren Publikationsorgane in ihrer politischen Reichweite und Wirkung kaum zu unterschätzen. Auf der lokalen Ebene, auf Gemeindeebene betrachtet, hat sich dabei ge‐ zeigt, dass sich die Vielfalt der Nachrichten (klassische Nachrichtenorgane, ihre Ableger im Internet, Onlinezeitungen und regelmäßige Blogger) zu‐ 230 4 Ökonomie und Struktur der amerikanischen Medienlandschaft <?page no="231"?> 70 https: / / thetrustproject.org/ nächst sogar vergrößert. Und hinzu kam, dass Zeitungen wie die Washington Post, die in ihrer Print-Ausgabe doch noch im Übermaß in der Hauptstadt und ihrer Umgebung vertrieben wird, vor allem durch ihre Onlineausgabe das weitere Amerika erreicht. Darüber hinaus sind inzwischen das Angebot und die Möglichkeiten schier unendlich, sich ein individuelle Nachrichten‐ repertoire zusammenzustellen. Freilich, und das wurde in → Kapitel 4.1 ausführlich aufgezeigt, haben sich mit der Finanzkrise 2008 und der breiten Etablierung von SNS auch als Informationsvermittler die ökonomischen Parameter für Nachrichten im Internet erheblich verändert. Darunter leiden - massiv - zunächst die Printausgaben des Lokaljournalismus (vgl. Abernathy 2020), weil einerseits die Druck- und Vertriebskosten immer noch einen erheblichen Anteil ausmachen, andererseits eine zunehmende Zahl junger Amerikaner digitale Informationsangebote bevorzugt (vgl. noch Kap. 5). Hinzu gekommen sind indes viele lokale News Start-ups, von denen allerdings die meisten rasch wieder eingestellt wurden, weil sie nicht genügend Traffic erzeugen konnten (vgl. Federal Communications Commission 2011, S. 124). Und wiederum die, die sich halten konnten, tendieren zu Hyperlocal Services, d.-h. sie überneh‐ men keinesfalls die Rolle eines kleiner werdenden Lokaljournalismus. Vor diesem Hintergrund plädieren McChesney und Pickard (2019) dafür, massiv öffentliche Gelder zur Unterstützung von Qualitätsjournalismus in die Hand zu nehmen. Auch und gerade auf dem Onlinemarkt sei guter Journalismus ein meritorisches Gut, würde also vom Markt selbst nicht her‐ vorgebracht werden. Dieser Anspruch auf Subvention ist medienpolitisch schwierig und wohl kaum mehrheitsfähig. Dagegen, bezeichnenderweise für das Land, haben sich inzwischen hunderten von Non-Profit-Webseiten gegründet, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus finanzieren (Spenden und Sponsoren) und die entweder im kleinen Maßstab für Gemeinden oder größere Regionen Nachrichten sammeln, aufbereiten und zur Verfügung stellen, auch investigativen Journalismus betreiben (→ Kapitel 4.1). Erwäh‐ nenswert schließlich noch das Trust Project, 70 das inzwischen knapp 120 kooperativen Nachrichtenorganisationen besteht und Trust Indicators defi‐ niert und vergibt und damit zur Qualität und Transparenz des Journalismus betragen möchte. Interessanterweise nimmt das Trust Project ausdrücklich Bezug auf die Hutchins Commission von 1947 und die dort formulierten Grundsätze einer freien und verantwortlichen Presse. 4.5 Das Internet in der Medienlandschaft der USA 231 <?page no="233"?> 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung 5.1 Einleitende Anmerkungen Medien sind nicht lediglich Organisationen, Unternehmen oder Kommunika‐ tionstechniken, sondern auch mehrdimensionale Zeichensysteme mit unter‐ schiedlichen Informations- und Unterhaltungskapazitäten, die in spezifischen Marktkonstellationen operieren und dabei je eigene Publikumsbeziehungen aufbauen (vgl. Saxer 1998, S. 54-55; Thomaß 2007, S. 17). Soziologisch gesprochen bilden sie Strukturen und sind zugleich selbst eingebunden in einen strukturformenden Kontext: in die Gesellschaft mit (tradierten) sozialen Erwartungen und schwankenden Vorlieben, in einen rechtlichen Rahmen, der einschränkt oder sogar bestimmte Inhalte fordert, in informelle Routinen, wirtschaftliche Bedingungen und Notwendigkeiten der Märkte. Dabei müssen sie ihrem Organisationszweck folgend mit Inhalten und Angeboten den Interessen ihres (Ziel-)Publikums begegnen. Zur Darstellung eines Medien‐ systems gehören deshalb Eckdaten und Trends beispielsweise zu Leserinnen von Zeitungen und Zeitschriften, Radiohörern, Fernsehzuschauern oder Nutz‐ erinnen von medialen Anwendungen im Internet. Dazu stützt sich dieses Kapitel überwiegend auf Aggregatdaten, also zusam‐ mengefasste Werte für größere Gruppen oder für Publikumssegmente und berücksichtigt nicht oder nur am Rande mögliche Motive, diese oder jene Inhalte zu favorisieren und andere zu ignorieren. Warum also eine Sendung oder ein Format zu einer gegebenen Zeit erfolgreich ist oder nicht und welche Rezeptionserlebnisse hervorgerufen werden, wird hier nicht erörtert. Dabei basieren die Daten überwiegend auf Umfragen, denn in den USA existiert kein auf Dauer eingerichtetes und zugleich in wesentlichen Teilen frei zugängliches und automatisiertes Nutzerpanel, wie etwa in Deutschland mit dem elektronischen Fernsehpanel der Gesellschaft für Konsumforschung, das systematisch koordinierte und kontinuierlich erfasste Repräsentativdaten und Ergebnisse über das (TV-)Einschaltverhalten publiziert. Allerdings unbekannt ist die elektronische Erfassung der Nutzung von Medien der amerikanischen Medienindustrie nicht. So gab es bereits mit dem Radio Versuche, das Einschaltverhalten zu registrieren und Schlüsse für die Programmplanung zu ziehen. Primär lag es im Interesse der werbe‐ <?page no="234"?> treibenden Industrie, die von den Medienunternehmen gemeldeten Werbe‐ kontakte zu verifizieren. Auf Initiative der Association of National Advertisers wurden zwischen 1927 und 1930 erste Versuche eines nationalen Ratings unternommen. Dabei experimentierte Nielsen mit einem Messgerät, das an die Radiogeräte gekoppelt wurde und festhielt, auf welcher Frequenz das Gerät gerastet war. Allerdings musste man dann solche Daten mit den dazugehörigen Sendungen und Inhalten zusammenzuführen - was in der hochdifferenzierten Radiolandschaft des großen Landes schwierig war, da die Stationen eben kein einheitliches, synchrones Programm ausstrahlten. Entsprechend umständlich und aufwendig gestalteten sich die ersten An‐ sätze, den Radiogeschmack Amerikas zu verstehen. Das änderte sich zumindest anfangs mit dem Fernsehen, als den großen Networks die Mantelprogramme noch gut zugeordnet werden konnten. Aber auch das wiederum wurde mit der weiteren Verbreitung des Fernsehens in die fragmentieren Publikumsmärkte mit ihren oft eigenen Programm‐ schemata zusehends problematischer. Und die händische Zuordnung von Sendungen zu Daten erwies sich als überaus fehleranfällig. Nielsen entwi‐ ckelte daher ein elektronisches Tracking-System (Automated Measurement of Line-ups, AMOL), das über Codes die Sendungen identifizierte und zusam‐ menfassende Zuschauerstatistiken ermöglichte. Um präziser Auskunft über demographische Faktoren geben zu können, hatte das Unternehmen schon mit dem Radio die Tagebuch-Methode eingeführt. Mit der Kabeltechnologie und dann dem Internet haben sich die Techniken der elektronischen Analyse von Nutzerverhalten inzwischen erheblich verfeinert. Nachdem zunächst zwei kleinere Firmen - Media Metrix und NetRatings - das Internet für den Werbemarkt analysieren konnten und Daten ähnlich den klassischen Publikumsdaten zur Verfügung stellten, folgten die etablierten Firmen und entwickelten Onlinemessverfahren. Insbesondere im Netz und im Kabel (weniger im terrestrischen Rundfunk) hat sich eine Mediendaten-Industrie entwickelt, die jedoch Daten nahezu ausschließlich zu Marketingzwecken und kostenpflichtig aufarbeitet (vgl. Phalen 2006, S.-625-628). Wissen | DMAs: Designated Market Areas Für die geographische Einordnung der Nutzung des Rundfunks hat sich in den USA eine Aufteilung nach Designated Market Areas (DMAs) durchgesetzt. Diese Gebiete gehen auf eine Systematik der Medien‐ analysefirma Nielsen zurück und dienen inzwischen nicht nur der Ver‐ 234 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="235"?> messung des Publikums, sondern auch regulatorischen Überlegungen (etwa im Zusammenhang mit Lizenzverfahren) und wirtschaftlichen Entscheidungen von Rundfunkanbietern. Unterschieden werden derzeit 210 DMAs. Jede dieser Areas umfasst eine unterschiedlich große Gruppe der insgesamt über 3.000 Counties, der Verwaltungsbezirke der USA, die sich durch Lebensumstände (Städte und Vorstädte) und Geographie sinnvoll zusammenführen lassen. Nielsen publiziert einmal jährlich die genauen Grenzen dieser Märkte, die sich jedoch selten in bemerkens‐ wertem Umfang verändern. In der Öffentlichkeit wahrgenommen wird wohl hauptsächlich ein Markt-Ranking, das sich durch die potenzielle Reichweite in dem jeweiligen Markt ergibt; beispielsweise werden für die größte DMA - New York - 6,8 Millionen Haushalte gemeldet, in denen 6,3 Prozent der Bevölkerung der USA leben (vgl. Federal Communications Commission 2020, S.-126). Ein großer Teil der hier herangezogenen Statistiken wird von dem renom‐ mierten PEW Research Center zur Verfügung gestellt, das seit rund 25 Jahren als unabhängiges und überparteiliches Institut, als Fact Tank eine breite Palette an gesellschaftlichen Fragen untersucht: von klassischen politischen Umfragen zu Wahlen oder zu konkreten Issues, über Inhaltsanalysen und Branchenstudien, darunter einige zum Journalismus. Methodisch handelt es sich in der Regel, soweit nicht anders spezifiziert, um Selbstauskünfte der befragten Amerikanerinnen und Amerikaner. Ein letzter Punkt vorab: Die ethnische, geographische und sozioökono‐ mische Vielfalt der USA beeinflusst nicht nur Medienmärkte, sondern wirkt sich unmittelbar auf Publikumsorientierungen aus. Obwohl also im Folgenden überwiegend Aggregatdaten berichtet werden - Daten auf der Ebene größerer Bevölkerungsteile oder gar „aller“ Amerikaner -, so wird doch zugleich hier und da versucht, der Heterogenität der USA gerecht zu werden, der differenzierten Mediennutzung sowie der Wahrnehmung „der Medien“. Bei der schieren Größe, Vielfalt und Komplexität der amerikani‐ schen Gesellschaft kann das nur ansatzweise gelingen, und daher wurde hier insbesondere ein politischer Fokus gelegt. Außerdem sollte bedacht werden, dass „das Publikum“ keine stabile Größe darstellt, sondern sehr volatil ist; Nutzungsdaten und Meinungsforschung sind daher mehr als Momentaufnahmen zu lesen, denn als überdauernde Werte (vgl. Livingstone 5.1 Einleitende Anmerkungen 235 <?page no="236"?> 1998); daher werden, soweit möglich, gelegentlich Verlaufs- und Entwick‐ lungsdaten dargestellt bzw. Veränderungen kurz notiert. 5.2 Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte Pauschal gesprochen waren und sind die USA nicht nur Vorreiter in der Ent‐ wicklung von Medientechnologien und innovativen Formen der Publizistik (vgl. Blum 2014, S.-264), die Vereinigten Staaten waren und sind auch einer der größten Inhalte-Anbieter für ein technik- und medieninteressiertes Pub‐ likum (Albarran 2010, S. 160). Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zirkulierten dort gemessen an der Einwohnerzahl wahrscheinlich mehr Printpublikati‐ onen als unter den über 200 Millionen Europäern (Schudson 2011, S. 62). Auch das Radio und dann das Fernsehen verbreiteten sich rascher als in der „alten Welt“; bereits Ende der 1950er-Jahre konnte man nahezu von einer Vollversorgung der Haushalte mit TV-Apparaten sprechen; Europa benötigte da noch über ein Jahrzehnt (Putnam 2000, S. 216). Darüber hinaus gilt das Land selbst als die führende Unterhaltungsökonomie, da Hollywood den globalen Bedarf an Entertainment dominiere (Wolf 2003). Wie in Europa spricht man spätestens mit dem Rundfunk routiniert von einem Massen-Publikum (und Massen-Medien) schlicht aufgrund der schie‐ ren Menge an Menschen, die mit dem Radio und Fernsehen und ihren breit gestreuten Signalen erreicht werden sollen (im Gegensatz zur gerichteten Kommunikation von Angesicht zu Angesicht). Allerdings ist das in gleich mehrfacher Hinsicht zu differenzieren: Medien respektive ihre Inhalte selbst hatten und haben durch Auflagen, Frequenzen, Kabelkanäle usf. meist von vornherein eine begrenzte Reichweite und orientieren sich an unterschied‐ lichen Kollektiven. Darüber hinaus impliziert „Masse“ Gleichförmigkeit und Zugehörigkeit zu einer weitgehend homogenen Gruppe (im Gegensatz zu Individualität). Nun mag man z. B. mit den einigermaßen übersichtlichen terrestrischen Rundfunkprogrammen bis in die 1970er-Jahre durchaus viele Gemeinsamkeiten der Mediennutzung und damit der Wahrnehmung glei‐ cher Inhalte unterstellen; diese „traditionellen“ Medien hatten also noch ein disperses, verstreutes Publikum im Sinn, das in der Regel einander nicht kannte, aber ein abstraktes und in der Medienrezeption überwiegend passives Kollektiv darstellte, eine „Masse“ (vgl. Geiß et al. 2018, S. 507). Spätestens aber mit den 1980er-Jahren und der Kanalvielfalt durch die Kabel- 236 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="237"?> und Satellitentechnologie (und natürlich eine Generation darauf durch das Internet), gestaltete sich Mediennutzung deutlich individueller und die Vorstellungen von Massen-Medien und Massen-Publikum veränderten sich drastisch. Das Publikum fragmentierte. Vereinfacht ausgedrückt: Die klassischen Massenmedien - Zeitung, Radio, Fernsehen - versammeln nur noch bei größeren Ereignissen (Sport, Katastrophen und politischen Großthemen wie Impeachment-Verfahren oder der State of the Union) ein einigermaßen großes Publikum zeitgleich in ihrer medialen Sphäre. Die „Ära“ der Massen-Medien ist weitgehend Vergangenheit und die Medienindustrie orientiert sich an einem in hohem Maße differenzierten, in seinem Medienkonsum weitaus flexibleren Publikum (vgl. Albarran 2010, S. 128-129). Der herkömmliche Begriff der Massen-Medien scheint kaum noch geeignet, die Dynamiken gegenwärtiger Mediensysteme und Medienpublika zu erfassen (vgl. Living‐ stone 1998, 2003; Napoli 2010). Darüber hinaus tritt neben die institutiona‐ lisierten Kommunikatoren der klassischen Medien ein teilnehmendes, selbst Inhalte generierendes und verbreitendes Publikum: „The communications dynamics reflected in Web 2.0 […] applications such as YouTube, Facebook, MySpace, and Flickr are increasingly foregrounding an approach to mass communication in which the individual audience member operates on nearly equal footing with the more traditional institutional communicator.“ (Napoli 2010, S. 508) Diese Entwicklung spiegelt sich bildhaft in den Termini „Prosumers“ oder „Produsage“: Produktion und Verbreitung von Inhalten haben längst die Grenzen traditioneller Massenkommunikation aufgelöst - und zwar auch in der Weise, als Netzkommentare oder andere Onlineinhalte ihren Weg in die klassischen Medien finden, dort kommentiert oder berichtet werden (vgl. ebd. S.-509-511). Damit ist für einen Abschnitt zur Nutzung der klassischen Medien wie des Internets mit seinen unzähligen Anwendungen eine schier unendliche Zahl an Zugängen denkbar. Im Folgenden werden wir uns auf drei wesent‐ liche Züge beschränken. Zunächst einen kurzen demographischen Überblick über die Nutzung von Offlinewie Onlinemedien in Amerika, was im Wesentlichen meint: Welches Medium, welche Plattform erreicht welche Nutzer usf. Solche Daten liegen recht breit vor, nicht zuletzt, weil sich die Medienindustrie in der Gestaltung der Werbepreise auf sie verlässt. Zum zweiten wird sich ein Abschnitt mit der Frage des Vertrauens in Medien beschäftigen - eine für unsere Mediensystem-Perspektive recht relevante Dimension. Drittens schließlich und daran gekoppelt wird mit 5.2 Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte 237 <?page no="238"?> 71 Nun sind diese Daten zwar schon zehn Jahre alt, allerdings existieren keine entsprech‐ enden systematische Analysen; das hat verschiedene Gründe, beispielsweise die starke Konzentration auf Marketing-Daten oder auch der schlichte Umstand, dass die USA seit 2017 nicht mehr der UNESCO angehören, die z. B. internationale Studien im Medienbereich fördert. einem politischen Fokus in verschiedenen Kategorien Bezug genommen auf zwei unterschiedliche Gruppen: Anhänger der Republikaner respektive Demokraten. Dies vorausgeschickt, sind „die Amerikaner“ im internationalen Vergleich recht ausdauernde, aber nicht übermäßige Mediennutzer. Wie Tabelle 3 im Verhältnis zu einigen ausgewählten Ländern zeigt, liegt das vornehmlich an einem längeren Gebrauch des Internets und des Fernsehens. Überzogene Klischees wie etwa das einer „TV“-Nation, in der die Flimmerkiste ununter‐ brochen läuft, basieren wohl eher auf dem Umstand, dass Fernsehgeräte in den USA in den 1950er- und 1960er-Jahren sehr schnell diffundierten. In der schlichten Nutzungsdauer einzelner Personen und Haushalte spiegelt sich das zumindest nicht in einer vergleichsweise übermäßigen Nutzung wider, wenngleich die Werte für sich genommen hoch sind. 71 - Zei‐ tung: % Zei‐ tung: min Radio: % Radio: min TV: % TV: min Inter‐ net: % Inter‐ net: min Brasi‐ lien 46 35 76 135 97 128 49 167 Groß‐ britan‐ nien 40 25 56 175 86 242 44 128 Deutschland 44 29 79 191 86 242 43 83 Italien 40 65 56 135 87 220 44 97 Öster‐ reich 73 41 83 200 64 167 57 103 USA 36 30 64 154 89 284 73 156 Tabelle 3: Medien - Tagesreichweite (Prozent Bevölkerung) und tägliche Nutzung (in Minuten)-| Quelle: eigene Zusammenstellung nach Latzer et al. 2012; Rundungen und Mittelwerte. 238 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="239"?> Mit einer konkret auf die USA bezogenen Untersuchung lassen sich diese Zahlen inhaltlich präzisieren; hier handelt es sich um die wöchentliche Reichweite unter den erwachsenen Amerikanern. Abb. 7: xxx 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 2021 2022 Abbildung 7: Wöchentliche Reichweite (Prozent erwachsene Amerikaner)-| Quelle: in Anlehnung an MRI Simmons 2022, S.-5. Dabei wurden in dieser Grafik die Zahlen vom Vorjahr - 2021 - beigefügt, um auf einen Trend hinzuweisen: Den mit der Ausnahme des Podcast leicht rückläufigen Reichweiten quer über alle Medien; das war auch in anderen Ländern so zu beobachten und ist als Ausläufer auf die mit der Covid-19-Pandemie verbundenen Einschränkungen zurückzuführen, die Mediennutzungszahlen seinerzeit leicht erhöhten. Wie andernorts auch ist das Radio in den USA das am häufigsten genutzte Medium; das liegt im Kern daran, als es im Haushalt, auf der Arbeit oder auf dem Weg dorthin als Begleiter durch den Tag beiläufig konsumiert wird. Auffallend ist die inzwischen recht geringe Nutzung von Printmedien: Nur jeder dritte Amerikaner nimmt in der Woche zumindest einmal eine gedruckte Zeitung in die Hand. Das Public Broadcasting - Fernsehen und Radio zusammen - kann mit seinen terrestrischen Programmen fast 98 Prozent der Amerikaner 5.2 Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte 239 <?page no="240"?> erreichen; immerhin knapp 200 Millionen schalten tatsächlich mindestens einmal im Monat auch ein öffentliches Radio- oder Fernsehprogramm ein (Corporation for Public Broadcasting 2012, S. 11). Daneben ist, wenn konkret Fernsehen eingeschaltet wird, es zu 78 Prozent auch ein lokaler Sender (Kabel oder Terrestrik, privat oder öffentlich) (vgl. Federal Communications Commission 2011, S.-76). Diese Werte lassen sich nun wiederum weiter differenzieren, in diesem Fall nach dem demographisch für die Mediennutzung traditionell wichtigen Merkmal Alter. - Alter: 18- 24 25-34 35-44 45-54 55-64 65+ Radio, terrest‐ risch 83 88 93 95 95 93 Fernse‐ hen 62 60 69 79 85 90 Soziale Medien 82 81 79 71 64 50 Strea‐ ming- Dienste 79 78 77 71 59 47 Internet‐ radio 65 63 60 54 46 36 Zeit‐ schrift 39 39 47 53 58 67 Online‐ nachrich‐ tenseite 43 45 48 49 48 45 Zeitung, Print 34 30 28 30 36 47 Podcast 28 28 21 22 16 11 Tabelle 4: Wöchentliche Reichweite (Prozent erwachsene Amerikaner) nach Alter | Quelle: in Anlehnung an MRI Simmons 2022, S.-6. Im Kern zeigt sich eine auch jenseits der USA zu beobachtende Differenz dahingehend, dass ältere Personen sich weit mehr den klassischen Medien 240 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="241"?> zuwenden als den neuen Netztechnologien; das bezieht sich insbesondere auf das Fernsehen. Dagegen ist die Reichweite des terrestrischen Radios auch in der jüngeren Generation recht hoch, was erneut seinem Charakter als Nebenbei-Medium geschuldet ist. Interessanterweise wird der Besuch von Onlinenachrichtenseiten gegen den allgemeinen Trend nicht vom Alter berührt. Das - um einer anderen Tabelle vorzugreifen - könnte damit zusammenhängen, dass ältere Amerikaner knapp zur Hälfte angeben, regelmäßig Facebook zu nutzen (und damit vor allem Informationen und News verbinden). Hingegen ist ansonsten für die Kohorten ab etwa 55 Jahre ein spürbarer Rückgang der Reichweite von Onlineanwendungen wie Streaming-Diensten oder Podcast festzuhalten. Was die klassischen Networks News betrifft, so ist deren Publikum in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Im Jahresdurchschnitt 2020 kam die abendliche Prime Time News-Show von ABC auf 7,6 Millionen Zuschauer, was gegenüber 2019 einen Anstieg um massive 16 Prozent bedeutet. CBS kam auf fünf Millionen: ein Wachstum von sieben Prozent, und NBC vergrößerte sein Publikum um 8,5 Prozent auf 6,5 Millionen. Auch andere Informationssendungen wie 20/ 20 (ABC), 60 Minutes (CBS) oder Dateline (NBC) konnten deutlich zulegen; die morgendlichen, mehrstündigen Shows dagegen hielten ihren Zuschauerschnitt (PEW Research Center v. 13. Juli 2021). Das dürfte auf die besonderen Umstände des Jahres 2020 zurück‐ zuführen sein, verbunden mit einem erhöhten Informationsinteresse: Co‐ vid-19-Pandemie, Unruhen um die Black Lives Matter-Bewegung und der Präsidentschaftswahlkampf mit der anschließenden Weigerung des Wahl‐ verlierers, die Ergebnisse anzuerkennen. In anderer Weise differenziert geht es um verschiedene Social-Media-An‐ wendungen. Über alle Plattformen und Intermediäre hinweg geben immer‐ hin 72 Prozent der Amerikaner an, regelmäßig eine Social Network Site (SNS) zu nutzen. Dieser Wert hält sich in den letzten fünf Jahren etwa gleich. In dieser repräsentativen Umfrage des Frühjahrs 2021 heißt das für die wichtigsten zehn Seiten konkret: 5.2 Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte 241 <?page no="242"?> 72 Vgl. z.-B. https: / / www.mediamatters.org/ google/ election-misinformation-proliferates-you tube-ahead-midterms Abb. 8: xxx 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 YouTube Facebook Instragram Pinterest LinkdIn Snapchat Twitter WhatsApp TikTok Reddit Abbildung 8: Social Network Sites: Prozent regelmäßige erwachsene Nutzer in den USA 2012-2021| Quelle: in Anlehnung an PEW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: https: / / www.pewresearch.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media -use-in-2021/ . Demnach dominieren YouTube und Facebook mit rund 80 respektive rund 70-Prozent Reichweite die Social Network Sites (SNS) in den USA. Während bei so gut wie allen Seiten dabei in den letzten Jahren die Zahlen recht konstant blieben, so stiegen die Werte bei Youtube und Reddit doch deutlich an. Vor allem Instagram sticht noch als relativ wichtige SNS heraus, mit heute rund 40 Prozent regelmäßige Nutzer. Bei den anderen Seiten ist in den letzten Jahren keine signifikante Änderung zu verzeichnen, was wiederum einem allgemeinen Trend der Konsolidierung der Zahlen entspricht. Der deutliche „Vorsprung“ von YouTube und Facebook ist insofern noch bemerkenswert, als diese Plattformen - und in etwas geringerem Maße Twitter - auch als die wichtigsten Social-Media-Anwendungen der politischen Kommunikation gelten, einschließlich problematischer Inhalte wie Desinformation und Propa‐ ganda. 72 Nachrichtennutzung über digitale Geräte ist dagegen tatsächlich etwas rückläufig, bleibt aber auf einem hohen Niveau: 84 Prozent der Amerikaner 242 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="243"?> erhielten 2021 zumindest regelmäßig Nachrichten über das Smartphone, einen Computer oder eine Tablet; ein Jahr zuvor lag dieser Wert noch bei etwa 86-Prozent (PEW Research Center vo. 8. November 2021). Wie in anderen Ländern sind unterscheiden sich die Nutzer der Plattfor‐ men deutlich mit Blick auf ihre Altersgruppen (→-Tabelle-5): - 18-29 Jahre 30-49 Jahre 50-64 Jahre 65+ Facebook 70 78 50 50 Twitter 42 25 20 7 TikTok 48 27 18 4 YouTube 95 93 82 49 Instagram 71 47 13 13 Snapchat 65 22 11 2 Tabelle 5: Social Network Sites: Prozent regelmäßige Nutzer nach Alter-| Quelle: PEW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: https: / / www.pew research.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media-use-in-2021/ ; Rundungen. Beachtliche Werte erreichen Instagram, Snapchat und TikTok bei den jungen Erwachsenen, wobei bei diesen Plattformen auch die Differenz zur ältesten Gruppe der Befragten am deutlichsten ausfällt. Solche mit dem Alter respektive den Altersgruppen einhergehende Nutzungsweisen sind angesichts der spezifi‐ schen Funktionen wenig verwunderlich. Die geringsten derartigen Differenzen finden sich bei Facebook und YouTube, also den beiden über alle Altersgruppen hinweg deutlich wichtigsten Plattformen. Daneben sind bei den anderen Anwendungen demographische Besonderheiten zu beobachten: ■ Instagram ist mit 52 Prozent regelmäßiger Nutzer bei Hispano-Ameri‐ kanern und 49 Prozent bei den Afro-Amerikanern deutlich beliebter als bei den Weißen Amerikanern (35-Prozent). ■ WhatsApp wiederum wird vornehmlich von den Hispano-Amerikanern mit 46 Prozent regelmäßig genutzt: auffällig mehr als bei Afro-Ameri‐ kanern (23-Prozent) oder Weißen Amerikanern (16-Prozent). ■ Der Gebrauch von LinkedIn korreliert, was ebenfalls mit der Funktion einleuchtet, mit dem Bildungsabschluss: Ungefähr die Hälfte aller Ame‐ rikaner mit einem Bachelor oder einem höheren Abschluss nutzen diese 5.2 Mediennutzung in den USA: Entwicklung, zentrale Kennwerte 243 <?page no="244"?> Seite, gegenüber gerade einmal rund zehn Prozent derjenigen, die einen Highschool-Abschluss oder weniger vorweisen können. Darüber hinaus gilt aber auch generell: bei nahezu jeder SNS steigt die Nutzung mit dem Bildungsabschluss. ■ Ähnlich ist es beim Einkommen: die Nutzung von SNS korreliert positiv mit einem steigenden Jahreseinkommen. ■ Pinterest ist eine mit weitem Abstand eher von weiblichen (46 Prozent) denn von männlichen (16 Prozent) genutzte Plattform; demgegenüber wird das recht junge Reddit mehr von Männern (23 Prozent) als von Frauen (12-Prozent) aufgerufen. Daneben ist die Nutzung von Podcast erheblich gestiegen. Im Juni 2021 gaben 41 Prozent der befragten Amerkaner über zwölf Jahre an, sie hätten im letzten Monat mindestens einen Podcast gehört; beachtliche 28 Prozent konnten das sogar von der letzten Woche behaupten; zum Vergleich: 2018 lag dieser „wöchentliche“ Wert noch bei sieben Prozent; das korrespondiert auch mit internationalen Erhebungen: Das Podcast-Format gilt als medialer „Gewinner“ der Covid-19-Krise (PEW Research Center v. 29. Juni 2021). Hinsichtlich der täglichen Nutzung der wichtigsten SNS ergibt sich folgendes Bild, wohlgemerkt unter den Nutzern dieser Seite, nicht bezogen auf die Bevölkerung: Abb. 9: xxx 49 45 38 36 30 22 14 21 18 16 29 40 41 45 53 0 20 40 60 80 100 Facebook Snapchat Instagram YouTube Twitter mehrmals am Tag etwa einmal am Tag weniger als einmal am Tag Abbildung 9: Tägliche Zuwendung, Nutzer wichtigster Social Network Sites-| Quelle: EW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: https: / / www.pew research.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media-use-in-2021/ ; Rundungen. 244 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="245"?> Demnach darf noch Facebook als wichtigste täglich genutzte SNS gelten, gefolgt inzwischen von Snapchat und dann mit kleinem Abstand Instagram. Bemerkenswert, dass YouTube, das in der der Breite aller Nutzer sehr beliebt ist, bemerkenswert selten jeden Tag genutzt wird; das dürfte vornehmlich in der sehr unterschiedlichen Zuwendungsweisen begründet sein: Facebook ist eine weitaus „rascher“, „mal eben“ genutzte Plattform, während YouTube zumindest in der Regel deutlich zeitaufwändiger sein dürfte und/ oder aufgrund eines nichtalltäglichen Anlasses herangezogen wird. 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media So sehr die Vereinigten Staaten pauschal als Medien- und Kommunikati‐ onsgesellschaft beschrieben werden können, so distanziert und kritisch äußern sich Amerikaner oft über die Medien, wenn man sie allgemein nach Akzeptanz von und Vertrauen in Medienorganisationen befragt. Konkret gegenüber Nachrichtenformaten äußern sie viel Skepsis: Ein Vertrauens‐ schwund, der inzwischen seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Das war nicht immer so; noch in den 1970er-Jahren, unmittelbar nach der Watergate-Af‐ färe, gaben ganz im Gegenteil wenige Amerikaner an, sie würden den Medien misstrauen. Extreme Formen der Abneigung waren sehr selten (vgl. Benkler 2018, S. 327). Seitdem allerdings ist das Vertrauen rückläufig. Besonders virulent wurde die „Vertrauensfrage“ dann mit der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft, dem verstärkten Aufkommen von Fake News und Desinformationskampagnen (respektive der Debatten darum) und der Präsidentschaft Donald Trumps, der (manche) Nachrichtenjournalisten und -organisationen als „enemy of the people“ bezeichnete (vgl. Kamps 2020a). Dieser Trend eines abnehmenden Vertrauens spiegelt sich in ähnlich problematisch gefassten Fragen, etwa ob „die Medien“ sich für „die Men‐ schen“ interessieren würden: Zustimmung ganze 22 Prozent. Der allgemeine Vertrauensschwund ist zunächst aber insofern erstaunlich, als (elektroni‐ sche) Nachrichtenmedien weiterhin ausgiebig konsumiert werden und die Nutzung in den letzten Jahren sogar etwas zugenommen hat. Wenn nun nicht abstrakt nach „den Medien“ sondern nach dem Vertrauen in ganz bestimmte, konkrete, bevorzugte Sender (o. Ä.) gefragt wird, dann äußern sich immerhin rund 80 Prozent überwiegend positiv, wobei die Parteigänger der Demokraten hier mit 90 Prozent gegenüber 77 Prozent bei den Republi‐ kanern etwas mehr Vertrauen in „ihre“ Medien besitzen. 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media 245 <?page no="246"?> Andere Unterschiede ergeben sich dazu noch beim Alter und der Schul‐ bildung: Mit den Lebensjahren verlassen sich die Befragten immer mehr auf ihre wichtigste Nachrichtenquelle. Und auch mit dem Bildungsgrad steigt das Maß an Vertrauen. Das geht indes nicht einher mit faktisch höherem Misstrauen, sondern spiegelt sich in einer tendenziell zurückhaltenderen Beurteilung („einiges Vertrauen“ statt „viel Vertrauen“). Die Tendenz, die Medien, die man selber nutzt, deutlich positiver zu beurteilen als andere, setzt sich in damit verwandten Dimensionen fort: wenn also z. B. nach der journalistischen Qualität gefragt wird. Abb. 10: xxx 47 36 32 36 24 43 42 52 45 32 25 38 40 38 40 46 47 43 56 44 42 37 40 48 53 45 44 45 12 18 20 20 19 13 16 11 15 20 22 17 16 17 0 20 40 60 80 100 mehr als College College High-School oder weniger asiatische Amerikaner Hispano- Amerikaner Afro-Amerikaner weiße Amerikaner 65+ 50-64 30-49 18-29 Jahre Frauen Männer alle Erwachsenen viel Vertrauen einiges Vertrauen kaum/ kein Vertrauen Abbildung 10: Prozent an Vertrauen in die wichtigste mediale Nachrichtenquelle | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an PEW Research Center, 01.07.2021; Rundungen. Dabei hat sich in der Trump-Ära der Anteil der Republikaner, die zumindest „etwas“ Vertrauen in überregionale Nachrichtenorganisationen haben, von 246 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="247"?> 73 Vgl. https: / / knightfoundation.org/ reports/ state-of-public-trust-in-local-news/ 70 auf 35 Prozent halbiert. Bei den Demokraten war kein derart drastischer Rückgang zu verzeichnen, sank aber auch dort von 83 auf 78 Prozent. Am meisten Vertrauen („some“ oder „a great deal of trust“) äußern Amerikaner, und das hat Tradition, gegenüber lokalen Nachrichtenorganisationen (PEW Research Center v. 30. August 2021). Ein ähnliches Bild bietet sich in einer Knight-Gallup-Umfrage vom Oktober 2019 mit immerhin 45 Prozent der erwachsenen Amerikaner, die das größte Vertrauen explizit ihren lo‐ kalen Nachrichtenorganisationen schenken, während hingegen nationale Nachrichtenunternehmen auf einen Wert von 31 Prozent kamen. 73 Das korrespondiert mit der Zuwendung: Nach manchen Umfragen erreichen lokale Nachrichten ein bis zu dreimal größeres Publikum als die Prime- Time-Nachrichten der großen Kabelsender (vgl. PEW Research Center v. 13. Juli 2021). Besonders interessant wird die „Vertrauensfrage“, wenn nach konkreten Zeitungen oder Rundfunksendern gefragt wird (vgl. Abb 11). Dabei zeigt sich zunächst grundsätzlich ein Bild, wie wir es erwarten dürfen: Republikaner vertrauen Fox News und dort z. B. den Programmen von Hannity (hier wurde nach seiner Radiosendung gefragt) - Formate die Parteigänger der Demokraten mit deutlichem Misstrauen und Ablehnung begegnen. Die den Demokraten zugeneigten Befragten wiederum vertrauen überwiegend der Washington Post, der New York Times, CBS, NBC oder CNN oder (in dieser Liste nicht eingetragen) beispielsweise der Daily Show - Sender und Formate, die wiederum von den Anhängern der Republikaner überwiegend abgelehnt werden. Genau genommen drehen sich die Zustimmungs- und Ablehnungsraten geradezu spiegelbildlich, was besonders frappierend bei Fox News und CNN erscheint - beides Sender, zu denen auch viele eine explizit positive oder negative Meinung besitzen und äußern. Ganz allge‐ mein fällt auf, dass die den Republikanern zugeneigten Amerikaner eher Misstrauen denn Vertrauen gegenüber den Nachrichtenquellen bekunden (die gesamte Analyse umfasst 30 Medien); umgekehrt scheinen Demokraten etwas „vertrauensvoller“ zu sein. 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media 247 <?page no="248"?> Abb. 11: xxx 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Demokraten: NBC News Republikaner: NBC News Demokraten: CBS News Republikaner: CBS News Demokraten: New York Times Republikaner: New York Times Demokraten: Washington Post Republikaner: Washington Post Demokraten: CNN Republikaner: CNN Demokraten: MSNBC Republikaner: MSNBC Demokraten: Fox News Republikaner: Fox News Demokraten: Breitbart Republikaner: Breitbart Demokraten: Hannity (Radio) Republikaner: Hannity (Radio) Demokraten: NPR Republikaner: NPR Vertrauen Misstrauen Abbildung 11: Vertrauen bzw. Misstrauen gegenüber jeweiligem Medium nach Parteinei‐ gung-| Quelle: Auswahl und eigene Darstellung in Anlehnung an PEW Research Center, 20.01.2020. Darüber hinaus öffnet sich diese Diskrepanz noch weiter, wenn innerhalb der Parteianhängerschaft weiter differenziert wird: So ist es in den ameri‐ kanischen Umfragen üblich, nach der Stärke der Parteineigung zu fragen (u. a. weil es keine formelle Parteimitgliedschaft gibt). Meist wird dann unterschieden zwischen „Liberal Democrats“ und „Moderate Democrats“ auf der einen Seite, „Conservativ Republicans“ und „Moderate Republicans“ auf der anderen Seite, wobei die erstgenannten Kategorien jeweils die sehr überzeugten Parteigänger umfassen; „Moderates“ gelten demgegenüber als 248 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="249"?> 74 Morris, Jonathan S. (2005). The Fox News Factor. In The International Journal of Press/ Politics, 10(3), S.-56-79, hier S.-66. offener für Kompromisse, sind also knapp links und rechts von der politi‐ schen Mitte anzusiedeln. Bei den Gruppen, die sich selbst als relativ starke Parteigänger definieren, ist die Kluft noch größer: Von den Demokraten vertrauen rund zwei Drittel der New York Times, was angesichts einer allgemeinen Medienskepsis der Amerikaner schon recht viel ist; dagegen von den Republikanern äußert gerade einmal eine Person von zehn ein solches Vertrauen; zugleich lehnt die Hälfte die Times rundweg ab. Diese Republikaner folgen zu drei Vierteln den politischen Nachrichten von Fox News und fanden Gefallen am Radio-Talk von Rush Limbaugh - Formate, denen umgekehrt praktisch ebenso viele Demokraten kein Stück über den Weg trauen (PEW Research Center v. 20. Januar 2020; o. S.). Insofern ist das Mediennutzungsverhalten von vielen Amerikanern durch politische Prädispositionen mitbestimmt; das ist an und für sich nicht ungewöhnlich und ließe sich auch in Deutschland zeigen mit Blick auf etwa überregionale Tageszeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (konservativ) oder der Süddeutschen Zeitung (linksliberal). Was sich aber deutlich unterscheidet ist die überaus rigorose Ablehnung von Medien eines anderen „Lagers“. Insbesondere im Fernsehen ist das mit dem 11. September und dem „Krieg gegen den Terror“ recht gut zu belegen. Spätestens ab der Präsidentschaftswahl 2004 deuten die Umfragen auf eine immer stärker werdende Polarisierung der Zuschauer: Anhänger oder Wählerinnen der Republikaner wenden sich nicht nur Fox News zu, sie beginnen zugleich, an‐ dere Nachrichtenformate zu meiden. 74 Die Publika definieren sich also nicht nur durch Zuwendung gegenüber einem Format oder etwa einem Sender, sondern in der ausdrücklichen Ablehnung der anderen. In den letzten Jahren der Präsidentschaft Obamas nennen fast 80 Prozent der Republikaner Fox News als ihre wichtigste oder gar einzige Nachrichtenquelle. Kein anderer Sender, kein anderes Nachrichtenformat wie etwa lokale Radiostationen oder Tageszeitungen, kommt dem nahe. Demgegenüber orientieren sich liberale Amerikaner breiter und nennen, entsprechend befragt, verschiedene Fernsehsender oder z. B. die New York Times oder gar das National Public Radio (vgl. PEW Research Center v. 27. Juli 2015). 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media 249 <?page no="250"?> Wissen | Filterblasen und Echokammern? Seit einigen Jahren sind in der Diskussion um kontraproduktive Fol‐ gen von Social Media, Nachrichtenaggregatoren und Suchmaschinen die Metaphern Filterblasen oder Echokammern verbreitet und gängig. Gemeint sind Informations- und Kommunikations-„Enklaven“ (Stark et al. 2021, S. 303), die durch Nutzerentscheidungen und Personalisie‐ rungsstrategien entstehen und als „einstellungskonsonante Informati‐ onsräume“ (Schweiger et al,. 2919, S. 20) gesellschaftliche und politi‐ sche Diskurse insofern beeinträchtigen, als dort der (wünschenswert vielfältige) Austausch von Informationen, Meinungen, Argumenten, Positionen u. Ä. durch Algorithmen und andere Formen der Filterung wesentlicher Inhalte maßgeblich beschnitten wird. Populär wurde die Filterblase durch Eli Pariser (2011), der damit die Isolierung von Indivi‐ duen in eigenen Informationssphären durch selbstverstärkende Prozesse selektiver, meist algorithmisch gestützter Kommunikation fasste. Die Echokammer ist von der Filterblase insofern zu unterscheiden, als hier der Einfluss auf Information und Meinungsbildung durch gruppendy‐ namische Netzwerke Gleichgesinnter gemeint ist, also ein Kollektivphä‐ nomen (vgl. Sunstein 2001). „Dieser Fokus auf der Homogenisierung der Netzwerke unterscheidet Echokammern von Filterblasen: In einer Filterblase ist man allein - in einer Echokammer kann man nicht allein sein.“ (Stark et al. 2021, S. 306) Und während Filterblasen meist als Phänomen der Online-Kommunikation betrachtet werden und dabei die Rolle der Algorithmen im Fokus steht, werden Echokammern auch im Zusammenhang mit klassischen Medien und oft über psychologische Kategorien diskutiert. Den diesen Metaphern hinterlegten Prozessen werden demokratieschädliche Polarisierungs- und Radikalisierungsmo‐ mente unterstellt. So eingängig nun die Metaphern respektive die damit modellierten Wirkungen sein mögen, so differenziert sind die Ergeb‐ nisse der kommunikationswissenschaftlichen Analysen. Auch für die USA muss danach die Vorstellung relativiert werden, Filterblasen oder Echokammern würden das Leben der meisten Menschen nachhaltig beeinträchtigen. Mögliche Effekte hängen von diversen Persönlichkeits‐ merkmalen ab (u. a. der individuellen Neigung zu Selective Exposure und zu Identitätsfragen), politischen Einstellungen und deren Stärke, dem tatsächlich, auch beiläufig genutztem Medienrepertoire und dem Interesse an Themen und Informationsvielfalt. Während die Folgen eher 250 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="251"?> 75 Vgl. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ 2020/ 01/ 24/ views-about-ukraine-impea chment-story-connect-closely-with-where-americans-get-their-news/ gering veranschlagt werden (allerdings methodisch schwer greifbar bleiben), sind gleichwohl Polarisierungsmomente und folgenreich ver‐ zerrte Wirklichkeitswahrnehmungen durch mediale Resonanzräume in kleineren (aber in Milieus einflussreichen) Teilen der Bevölkerung nicht auszuschließen (vgl. insbesondere Stark et al. 2021). Dabei unterscheidet z. B. auch das PEW Research Center zwischen einerseits einem Publikum, das sich recht unterschiedlichen Nachrichtenquellen zuw‐ endet und andererseits einem, dass sich in einer News Bubble befindet und deutlich weniger Quellen nennt (vgl. PEW Research Center v. 20. Januar 2020). Innerhalb dieser letzten Gruppe zeigt sich dann ein spürbarer Trend, dass sich Republikaner zu rund 70 Prozent nahezu ausschließlich auf Fox News verlassen, Demokraten sich aber immer noch divers informieren, sich also nicht so sehr auf eine einzelne Quelle verlassen. Vor allem aber verbin‐ det sich das unmittelbar in der Wahrnehmung von aktuellen Ereignissen: Selbst innerhalb einer Partei schwanken dann die Meinungen zu aktuellen politischen Geschehnissen. So hatten beispielsweise Republikaner, die sich in einer solchen „right-leaning audience news bubble“ befanden, ein anderes Verständnis vom ersten Trump-Impeachement als Republikaner, die sich aus verschiedenen Quellen informierten. 75 (Dabei muss gleich hinzugefügt werden, dass das keine Wirkungsrichtung impliziert; es ist wahrscheinlich, dass die moderateren Republikaner nicht nur routiniert unterschiedlichere Medien nutzen, sondern auch eine gewisse basale Skepsis gegenüber der Person Donald Trump hegten.) Ähnliches gilt für Fragen zur Außenpolitik: internationale Kooperationen werden desto eher abgelehnt, je mehr sich die Befragten auf Fox als Nachrichtenquelle stützten; dagegen das Publikum von CNN, MSNBC, NPR und die New York Times ist multilateralen Verfahren gegenüber weitaus aufgeschlossener, auch wenn sie nicht unmittelbar die Interessen der USA spiegeln (vgl. PEW Research Center v. 2. Juni 2021). Dass Vertrauen ein mehrdimensionales Konstrukt ist, wird nun besonders deutlich, wenn nach dem konkreten Nutzen gefragt wird, den ein Medium oder eine Medientechnologie für die Menschen besitzt. So nutzt rund jeder vierte Amerikaner Twitter regelmäßig - und zwar vorzugsweise als Infor‐ mationsplattform und gerade dann, wenn überraschende Entwicklungen, 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media 251 <?page no="252"?> Breaking News, zu beobachten sind. Insofern vertraut dieser Teil des Landes auf den Dienst als Nachrichtengeber. Allerdings geben gerade einmal acht Prozent an, sie würden sich hauptsächlich auf Twitter verlassen; zudem äußert ein Drittel der Twitter-Nutzer geringes oder gar kein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Informationen, die über Twitter verbreitet werden. Und auch hier herrscht eine Diskrepanz zwischen Demokraten und Republika‐ nern: Während bei den Republikanern 52-Prozent der Befragten zumindest etwas an die Qualität der Inhalte glaubt, sind es bei den Demokraten 74 Prozent; folgerichtig sehen rund zwei Drittel der Republikanischen Nutzer Twitter als Störfaktor des politischen Prozesses, Demokraten denken knapp mehrheitlich (54 Prozent), der Dienst sei eine gute Sache für die Demokratie, weil er Meinungsvielfalt fördere (PEW Research Center v. 15. November 2021). Überhaupt offenbart sich bei den Social Media und der Nutzung moderner Medientechnologie und -anwendungen ein gewisser Zwiespalt. Einerseits schätzen die Amerikaner sie für eben soziale Kommunikation, für Infor‐ mation und auch den Konsum (Onlineshopping); andererseits finden sich zunehmend kritische Stimmen - gegenüber der Technologie und gegenüber den Organisationen und ihren Führungskräften. Insbesondere zeigt sich das dann in jeweils aktuellen Fragen der politischen Kommunikation. Nach einer Umfrage des REW Research Center aus dem Juni 2020 (mitten im Präsidentschaftswahlkampf) hielten es rund drei Viertel für sehr oder ziemlich wahrscheinlich, SNS würden bewusst solche politischen Ansichten zensieren, die ihnen nicht passten. Damit glaubt also nur rund ein Viertel Amerikas, Twitter, Facebook usf. (die Unternehmen) verhielten sich in politischen Fragen einigermaßen neutral. Gerade unter Republikanern ist nun der Gedanke an Zensur weit ver‐ breitet: beachtliche neun von zehn befragten Anhängern äußerten sich entsprechend. Sieben von zehn glaubten, die Plattformen würden nicht nur „ihre“ Seite benachteiligen, sondern schlimmer noch: liberale Standpunkte promovieren (was wiederum nur ein Viertel der Demokraten glaubte). Dementsprechend parteipolitisch gefärbt wurde und wird die Diskussion um das „Ausflaggen“ von falschen oder irreführenden Statements von Amtsträgern beurteilt: Deutliche 73 Prozent der befragten Demokraten unterstützen solche Maßnahmen, während spiegelbildliche 71 Prozent der Republikaner sie ablehnen (PEW Research v. 19. August 2020). Die an sich schon vielen Stellen sichtbare Kluft zwischen den beiden politischen Lagern spiegelt sich also im Mediennutzungsverhalten wider, 252 5 Mediennutzung, Medienwahrnehmung <?page no="253"?> 76 Vgl. Washington Post v. 26. Mai 2019, Birthing centers for polarizing rhetoric: The outsize influence of Fox, CNN and MSNBC, The Washington Post, May 26, 2019, ww w.washingtonpost.com/ lifestyle/ style/ birthing-centers-for-polarizing-rhetoric-the-out size-influence-of-fox-cnn-and-msnbc/ 2019/ 05/ 23/ 2bcc429a-7cbe-11e9-8ede-f4abf521ef 17_story.html. auch in Einstellungen gegenüber Medien, in der Wahrnehmung ihrer Verlässlichkeit, im Vertrauen in Nachrichtenmedien und mehr. Dieser im Zeitverlauf zunehmende Trend zum sozusagen medial polarisierten Amerika ist natürlich relativ zu betrachten; für einen großen Teil Amerikas trifft eine solche Zuspitzung nicht zu. Umso vehementer scheint sie dagegen eben in anderen Teilen der Bevölkerung wirksam zu sein und zur politischen Identität dieser Gruppen beizutragen (vgl. Iyengar & Yphtach 2012). Wäh‐ rend dabei (und auch hier) Fox News häufig als besonders parteipolitisch „engagierter“ Sender genannt wird, so muss doch daran erinnert werden, dass zumindest in Teilen des Programms auch CNN und vor allem MSNBC als ähnlich bedeutsame „birthing centers for polarization rhetoric“ gelten. 76 Zuletzt ließ sich nun im turbulenten Jahr 2020 der Aufstieg von zwei kleineren, explizit rechtskonservativen Sendern beobachten: Newsmax und One America News (OAN), die sich als Alternativen auch zu Fox News (im Stil von Fox News) im Lager der Republikaner platzierten. Gegenüber diesen Sendern zeigt sich ein weitaus heterogeneres Publikum beim Vorbild: der stärkste Kabelsender des Landes erreicht sogar jeden dritten Parteigänger der Demokraten, während Newsmax und OAN von ihnen komplett gemieden werden. Vor allem wenden sich die moderaten Republikaner weit weniger den kleinen Sendern zu, der dann im Ergebnis überwiegend im rechtskonser‐ vativen Lager (seine wenigen) Zuschauer findet. Und: Fox ist gleichermaßen Nachrichtenquelle für Teile der afro-amerikanischen und hispano-amerika‐ nischen Bevölkerung. Newsmax und OAN sind also kleiner hinsichtlich ihres Zuschaueranteils und erreichen dann in ihrem Anteil übermäßig viele ältere, rechtskonservative (männliche, weiße) Amerikaner (vgl. PEW Research Center v. 23. März 2021). Im Vergleich der Top-Shows der Sender liegen Newsmax und OAN etwa um 250.000 Zuschauer, während Tucker Carlson bei Fox regelmäßig etwa fünf Millionen Amerikaner anspricht. 5.3 Vertrauen in Medien, Polarisierung: Divided Media 253 <?page no="255"?> 77 https: / / edition.cnn.com/ 2018/ 11/ 06/ media/ trump-rally-missouri-hannity/ index.html 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News Januar 2018, Hidalgo County, Texas: Während in Washington der bis dahin längste Government Shutdown der amerikanischen Geschichte den politi‐ schen Betrieb lahmlegte, fand sich für Donald Trump samt Entourage die Gelegenheit zu einem Abstecher an den Rio Grande, also an die mexikani‐ sche Grenze, wo er sich vor frisch konfisziertem Rauschgift und eingerahmt von Grenzbeamten ins rechte Licht rücken ließ: eine Inszenierung konse‐ quent in der Tradition amerikanischer Regierungs-PR. Als die angereisten Journalisten nach kurzem Warten die kameragerechte Szenerie betreten durfte, war einer längst da: Sean Hannity, Fox News-Moderator, vertraut plaudernd im Kreise der Regierungsmitarbeiter - und nicht, wie die anderen Medienleute, abgeschirmt durch den Secret Service jenseits der Absperrung. Fox News: Teil von Team Trump? Wirklich überrascht hatte diese kleine Episode in den USA niemanden. Dass die Beziehung zwischen Fox und dem Weißen Haus unter Donald Trump mehr ist als Tendenzjournalismus, demonstrierte Hannity erneut eindrucksvoll im Oktober 2018. Einen Tag vor den Kongresswahlen, den Mid Terms, kündigte er auf der Abschlussveranstaltung der Republikaner in Missouri Trumps Rede an: nicht vom Moderatorentisch aus, wie man hätte vermuten dürfen, sondern vom Rednerpult in der Mitte der Arena. Und er begann mit den Worten: „By the way, all those people in the back are fake news“ 77 . In den amerikanischen Medien erfuhr dieser Auftritt nur Achselzucken; skandalös erschien allein, dass Hannitys Fingerzeig auch Mitarbeiter von Fox selbst traf, die gleich neben den übrigen Journalisten im Hintergrund standen und sich später pikiert beschwerten (vgl. Kamps 2019a, 2019b). Journalismus? Auf seine Nähe zu Trump angesprochen erklärte Hannity einmal gegenüber der New York Times: Er habe nie von sich behauptet, Journalist zu sein; vielmehr sei er ein Opinion Host, der Gastgeber einer Meinungsshow - und folglich befreit von jeglichen journalistischen Standards (zit. n. Wilson 2018, S.-208). <?page no="256"?> Diagnosen zum Zustand Amerikas kommen seit Jahren nicht an dem Begriff Polarisierung vorbei; das Land sei tief gespalten in ideologische Lager, die sich gegenseitig so ziemlich alles zutrauen und vorwerfen. Natürlich sind dafür die Parteien und ihr Personal zentral. Doch reduziert sich diese Frontstellung nicht auf politische Meinungsverschiedenheiten, sondern äußert sich facettenreich in alltäglichen sozialen Gegebenheiten, im Beruf, in der Freizeit und oft genug, was die besondere Schärfe ausmacht, in der Frage, wer oder was das „wahre“ Amerika ausmacht (vgl. Lütjen 2020). Dieser gewaltige Riss quer durch die Gesellschaft geht einher mit einer „affective polarization“ (Iyengar et al. 2012), die erheblich zur Unversöhnlichkeit der Lager beiträgt und, wie es scheint, dem Verlust so gut wie jeder Fähigkeit zum Konsens (vgl. Kalmoe & Mason 2020). Insbesondere aber ist die mediale Spaltung des Landes längst vollzogen: Sie begann nicht mit Trump, war jedoch besonders auffällig während seiner Präsidentschaft, die Fox News und die konservativen Welten und Wellen des Talk Radio überschwänglich begleiteten. Allerdings muss gleich daran erinnert werden: Schon andere Präsidenten hatten „ihre“ Medien. James Madison wurde von der Mehrheit der New Yorker Zeitungen getragen, und Andrew Jackson, der erste populistische Präsident, zählte ein gutes Dutzend Verleger zu seinen Beratern. Kennedy und Obama waren für viele liberale Medien im Vergleich zur Opposition die offenkundig bessere Wahl: Sicher ließe sich bei allen Präsidenten eine Nähe zu dem ein oder anderen Medienorgan aufzeigen - und umgekehrt Distanz, von sachlicher oder prinzipieller Ablehnung bis hin zu kaum verhohlenen Ressentiments (vgl. Holzer 2020). Das hatte man sich womöglich anders vorgestellt. Zumindest stand hinter dem First Amendment, hinter der Festschreibung der Rede- und Pressefrei‐ heit Ende des 18. Jahrhunderts die Überlegung, freie Meinungsäußerung und der öffentliche Streit um Positionen würden die Selbstbestimmung stärken und die Nation vereinen. Jedoch verstand man das in erster Linie als Abwehrrecht gegenüber dem Staat und seinen Behörden, etwa der Zensur. Hingegen - eine ganz andere Baustelle - die jeweils aktuellen Medien (zumindest einige davon) für (partei-)politische Zwecke einzuspannen, war und ist Amerika nicht fremd: […] American journalism has never had a golden age. Americans have always exploited the press, have always used both, the information and forum functions of the press to build groups and communities in their own interest and image - and to tear others down.“ (Nord 2006, S. 9) Die Presse des 19. Jahrhunderts wurde lange dominiert von 256 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="257"?> den Parteien und ihren Protagonisten (und Sponsoren; → Kapitel 2.1-2.4): „Partisan press was as American as apple pie in the nineteenth century.“ (Benkler et al. 2018, S.-313) Erst mit der Progressive Era formierte sich ein Journalismus entlang einer publizistischen Objektivitätsnorm, eine Presselandschaft, in der die Zeitungen sich von der (Partei-)Politik lösten und - zumindest überwiegend - als „catch-all“ Outlets versuchten, ein möglichst breites Publikum anzu‐ sprechen (Hallin & Mancini 2019, S. 179). Zwar konnten viele nach wie vor auf dem Links-Rechts-Spektrum eingeordnet werden; aber im Kern ging es im Nachrichtenjournalismus primär darum, Fakten zu berichten, zentrale Informationen in einen Kontext zu setzen, sie abzuwägen und Drama oder Sensation anderen Formaten zu überlassen, etwa der Tabloid Press (vgl. Schudson 1978, 2011). Kommerzielles Interesse findet sich also gekoppelt an normative Kriterien eines professionellen Qualitäts-Journalismus (vgl. Knüper 2016; Lichter 2019, S. 404). Ähnlich wurden publizistische Grund‐ sätze als Norm des Berufsfeldes später auf den elektronischen Rundfunk übertragen, also auf das Radio und das Fernsehen (Potter 2020, S.-6). Allerdings wurden bereits in den 1930er-Jahren einige Medienorgane gegründet ausdrücklich als Opposition gegenüber dem New Deal, mit dem Franklin D. Roosevelt die Weltwirtschaftskrise eindämmen wollte. Beispiels‐ weise die Chicago Tribune oder die New Republic agierten massiv gegen die interventionistische Wirtschaftspolitik Roosevelts („managed economy“), also gegen die für das Land damals sehr ungewöhnlichen Eingriffe der Bundesregierung in die Wirtschaft, die man sofort als „unamerikanischen“ Despotismus attackierte. Was aus heutiger Sicht für Historiker die Grund‐ lage der „modernen Präsidentschaft“ ausmacht ( Junker 2018, S. 329), war vielen Zeitgenossen kommunistischer Unsinn, der das Land in den sicheren Untergang führen würde. Entsprechend wurde dagegen angeschrieben. 1937 gründete der New Yorker Verleger Frank Gannett ein National Committee to Uphold the Constitutional Government: Unterstützt von William Hearst bündelte sich dort der konservative Widerstand (eben auch der Verleger) gegen den erstarkten Einfluss Washingtons (vgl. Hemmer 2016, S.-16). Wissen | Der New Deal und zweierlei liberal Mit New Deal bezeichnet wird eine Reihe an Reformen der Wirtschaft und des Sozialsystems der USA, mit der die Regierung unter Präsident Franklin D. Roosevelt der (Welt-)Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 257 <?page no="258"?> begegnen wollte. New Deal - eigentlich nennt man damit die Ausgabe eines neuen Kartenblatts etwa beim Poker: Eine Metapher, mit der Roosevelt 1932 seinen Wahlkampf bestritt und dann, einmal im Amt, sein Programm zur Bekämpfung der Krise überschrieb. Dieses Vorhaben umfasste eine lange Liste sehr unterschiedlicher Maßnahmen: von Arbeitslosenhilfen über Steuererhöhungen für hohe Einkommen bis hin zu neuen Formen der Regulierung der Finanzmärkte. Der tatsächliche Erfolg des New Deal wird von amerikanischen Historikern unterschied‐ lich bewertet. Dagegen deutlich wird in und mit ihm die Transformation der USA zu einem stärker intervenierenden Sozialstaat, manifest in zahlreichen neuen Agenturen und Regierungsbehörden, etwa: der Ag‐ ricultural Adjustment Administration (AAA), Federal Emergency Relief Administration (FERA), Farm Credit Administration (FCA), Public Works Administration (PWA) und dutzende anderer so genannter Alphabet Agencies. Diese enorme Ausweitung der Regierungstätigkeit auch in vorher unberührte Spähren der Selbstverwaltung und der privaten Ka‐ pitalwirtschaft ist bis heute ein umstrittenes Thema der amerikanischen Ordnungspolitik. Ein Nebenaspekt der Debatte: Roosevelt und seine Unterstützter rahmten den New Deal und die neue Regierungspolitik als liberal - in dem basalen Verständnis, dadurch würde die Not leidende Bevölkerung von den Zufälligkeiten des Wirtschaftslebens befreit. Eine solche Begrifflichkeit ist zumindest in der politischen Sphäre den meis‐ ten Europäern wohl eher fremd: Hierzulande steht liberal und allgemein der Liberalismus überwiegend für die Idee eines „Nachtwächterstaates“, eines Staates also, der sich - ganz im Gegensatz zum New Deal - nicht (oder kaum) in die Wirtschaft einmischt und sich aus anderen Sektoren der Gesellschaft weitgehend heraus hält. In der amerikanischen Politik hingegen meint liberal mit dem New Deal nun einen regulierenden Staat. Daher hat sich in der politischen Kommunikation der USA mit der prinzipiellen Opposition gegen solche Eingriffe, insbesondere durch die Bundesregierung, das Wort liberal als Kampfbegriff etabliert und markiert noch heute eine zentrale ordnungspolitische Konfliktlinie zwischen Republikanern und Demokraten (Lösche 1989, S.-67). Aber es war nicht allein die Opposition gegen den New Deal, der konser‐ vative Medien in den 1930er und 1940er-Jahren prägte. Hinzu trat die Erfahrung, mit der Neutralitäts-Politik und einem America First gescheitert 258 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="259"?> zu sein - was sich niederschlug in der Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg und der internationalen Nachkriegsordnung, in Institutionen wie etwa der UNO, in denen sich Amerika engagierte. Ihnen stand man im Sinne eines Americanism (eines Verfassungspatriotismus) insofern misstrauisch gegenüber, als diese Organisationen eben nicht an die höchste Instanz gebunden seien: an die Verfassung (vgl. Hemmer 2016, S. 17). Schon in diesen Debatten findet sich der Gedanke, ein böswilliger liberaler Mainstream in den Medien klammere solche Positionen systematisch aus - was verheerend wäre, schließlich sei Verbreitung einer (politischen) Idee so wichtig wie die Idee selbst. „Unlike fellow conservatives who worked for mainstream periodicals and broadcasters, these media activists believed independence was vital to their work - that they needed to develop their own publishing houses, their own radio programs, their own magazines if they were going to truly change American politics.“ (Ebd. 2016, S. x) Nach dem Weltkrieg formierten sich also auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums neue Medienunternehmen, die für sich in Anspruch nahmen, Fakten - im Gegensatz zu den Mainstream Media (synonym „old media“, „traditional media“, „legacy media“) - akkurat und fair zu präsentieren. Es entstanden Alternative Media: ein gutes Dutzend Medienunternehmen, die über Magazine, Bücher, Zeitschriften, das Radio und später das Fernsehen ein netzwerkartiges Korrektiv gegenüber den vermeintlichen Verzerrungen des Mainstreams darstellen wollten - eben als Alternativen zu solchen Medien, die entweder beherrscht würden von den politischen Eliten oder allein den Interessen der (Konsum-)Industrie dienten. Dabei spielten weniger fundamental-systemkritische Fragen eine Rolle, mehr das Misstrauen gegenüber dem Establishment. „(T)hey have done this in the interest of a more transparent, inclusive, and principled politics that each side, conservative and progressive, believes would represent a fairer political system.“ (Potter 2020, S.-4) Dieser liberale Bias der herkömmlichen Medien war aus der Sicht der konservativen Aktivisten keine Rhetorik, sondern schlicht Fakt. Und genau deshalb wollte man in den eigenen Publikationen gar nicht erst einer Leitlinie journalistischer Unparteilichkeit folgen. Die Herausgeber etwa von Human Events erklärten offen, primär Themen und Positionen aufzugreifen, die die liberalen Medien vernachlässigen würden. Und sie wollten selbstver‐ ständlich aus ihrer Warte berichten - was journalistischen Standards schon deshalb nicht widerspreche, weil ihre Weltsicht ja „korrekt“ sei (und da käme es auf Distanz nicht weiter an) (Hemmer 2016, S.-33). 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 259 <?page no="260"?> 78 Dabei muss angemerkt werden, dass Nixon zwar eine entsprechende Strategie verfolgte, gleichwohl den Süden nicht gänzlich für sich gewinnen konnte: der (sehr) konservative George Wallace, Gouverneur von Alabama, konnte unter dem Banner der Idependent Party tatsächlich fünf ehemalige Südstaaten gewinnen. Der Erfolg dieser Publikationen war anfangs überschaubar. Etwa mit Richard Nixons Kampagne 1960 und spätestens der von 1968 begannen die Republikaner, solche Medien mehr und mehr zu hofieren, und das hatte gesellschaftspolitische wie innerparteilich Gründe. Konservativ - weiter rechts im politischen Spektrum als die „Moderaten“ - war bis in die 1950er- Jahre in den USA eher eine Randerscheinung in der Republikanischen Partei. Mit der Wahl John F. Kennedys, den Bürgerrechtsreformen und dem Great Society Project der nachfolgenden Regierung Johnson schien Amerika auf dem Weg in ein liberales Jahrzehnt. Umweltschutz, Gesundheitsreform, Bildung und tatsächlich ein Waffenkontrollgesetz - das Land bekam einen progressiven Anstrich. Die allgemeine Wahrnehmung eines liberaler werd‐ enden Amerikas wurde noch verstärkt durch den überaus deutlichen Sieg, den Johnson für die Demokraten in der Präsidentschaftswahl 1964 einfuhr - gegen den rechtspopulistischen Barry Goldwater, einem vehementen Gegner der Bürgerrechtsbewegung und Anhänger der Rassentrennung. Goldwater konnte gerade einmal sechs Staaten für sich entscheiden; die allerdings waren allesamt Südstaaten, die zuvor über Generationen in demokratischer Hand gewesen waren (vgl. Kamps 2020b). Interessanterweise erwuchs aus der krachenden Niederlage ein strate‐ gisches Modell, das das konservative Potenzial des Südens ausschöpfte und schon vier Jahre darauf, 1968, Nixon das Weiße Haus liefern sollte. 78 „[Goldwater’s] disastrous presidential campaign succeeded in only one region of the country: the old Confederacy, which realized that the language of small government conservatism could be weaponized against the federal government’s efforts to right America’s racial wrong.“ (Klein 2020, S. 30) Diese Southern Strategy fußt im Kern auf der Koppelung traditioneller Themen wie Bildung, Religion, Wirtschaft und innere Sicherheit an die Race Relations (Brinkbäumer & Lamby 2020, S. 29) - und damit an die Res‐ sentiments und Statusängste der weißen Mittelschicht und Arbeiterklasse (Adorf 2019, S. 31). Dadurch sollten neben dem Süden Wählersegmente des Nordens erreicht werden. Insbesondere wurden die Reformvorhaben Washingtons als Bundeszwang dargestellt und bekämpft - was im Süden seit Jahren gängige Praxis war. Weite Teile des Landes zeigten sich anfällig 260 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="261"?> für den konservativen Widerstand (einiger Einzelstaaten) gegen die Initia‐ tiven Washingtons, die als Eingriffe in ihre Freiheit verstanden wurden. „In den 1960er-Jahren fusionierten somit dauerhaft zwei Konfliktthemen: Sozialpolitik und Race. Denn dort, wo offener Rassismus immer weniger tolerierbar wurde, nahm oft der Widerstand gegen Welfare diesen Platz ein; eine Art Ersatzressentiment […]“ (Lütjen 2016; S. 56; Herv. i. O.). Das alles ist recht vereinfacht dargestellt; doch führt es die Grundzüge des konservativen Backlash vor Augen, der Gegenreaktion zum Great Society Project der Regie‐ rung Johnson. Hier wurden Konfliktlinien der amerikanischen Gesellschaft wirksam und offenkundig - eine Keimzelle dessen, was sich über ein halbes Jahrhundert darauf als äußerst polarisiertes Land präsentieren würde. In dieser Phase - Mitte bis Ende der 1960er-Jahre - gewannen die konservativen, explizit gegen einen liberalen Mainstream eingestellten Medienunternehmen an Bedeutung und Publikum. „In the process, they made this habit of conservative media consumption part of what it now means to be conservative in America.“ (Hemmer 2016, S. xiii) Lange bevor Donald Trump die politische Bühne betrat, war die Kritik an den marktbe‐ herrschenden Liberal Media längst eine gängige Position des konservativen Amerikas. Medienpolitisch geriet die Fairness Doctrine (→ Kapitel 3.7) zu‐ nehmend in die Kritik, ja sie entwickelt sich für die Republikaner nachgerade zum einträglichen „Fundraiser“ (vgl. Hemmer 2016, S. 110). Dass manche Redaktionen nun begannen mit der Stoppuhr und einer Equal Time-Regel die Aufmerksamkeit für politische Lager ausgeglichen zu gestalten (es zumindest versuchten), wirkte bestenfalls akkurat. Darüber hinaus neigten insbesondere die Fernsehsender dazu, kontroverse Themen ganz zu meiden, um die Fairness-Doktrin zu umgehen - was in den Augen der konservativen Kritik das Problem nur verstärkte, weil doch gerade ihre Themen kontrovers seien: „For conservative broadcasters, whose programs were by definition controversial, the uncertainty and vagueness surrounding the doctrine fed their suspicious that it was a nefarious instrument of government suppression.“ (Ebd. S.-115) Tatsächlich hatte sich die Federal Communications Commission regelmä‐ ßig mit Klagen auseinanderzusetzen, vor allem die Republikanische Partei würde durch eine heimliche Parteilichkeit der liberalen Medien benachtei‐ ligt: Eine nicht nur hintergründig in Kreisen medienpolitisch interessierter Akteure geführte Diskussion, die letztlich in der Position mündete, man müsse das, was das mediale Selbstgespräche der Gesellschaft ausmache, dem Markt selbst überlassen, nicht einer Behörde. Konsequenterweise wurde 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 261 <?page no="262"?> genau das dann von der Regierung Reagan umgesetzt - so zumindest ein zentrales Argument - und die Fairness Doctrine 1987 abgeschafft. Dem folgten unmittelbar offen konservative Formate, zum Teil mit im‐ mensem Erfolg. Genannt wurde schon Rush Limbaugh mit seinem „threehour shock-jock right wing talk radio“ (Benkler et al. 2018, S. 321; → Kapi‐ tel 2.7). Limbaugh hatte 1984 in Sacramento lokal begonnen, wurde bald populär und ging 1988 landesweit auf Sendung - weniger als ein Jahr nach‐ dem die FCC die Fairness Doctrine abgeschafft hatte. Und als in den Mid Terms 1994 die Republikaner das Repräsentantenhaus eroberten, galt Limbaugh in Kreisen der politischen Szene bereits als Mehrheitsbeschaffer mit, wie gesagt, einer sensationalistischen und (erz-)konservativen Radioshow im Krawallstil. Vielleicht wichtiger aber noch als Limbaugh dürfte für die amerikanische Medienlandschaft und ihre Politisierung 1996 die Gründung von Fox News gewesen sein. Der Sender ist (auch) ein Ergebnis der durch die Kabel- und Satellitentechnik möglichen Kanaldifferenzierung in den 1990er-Jahren. Mit dem Golfkrieg von 1991 behauptet sich zunächst CNN allen Unkenrufen zum Trotz als reiner Nachrichtensender und weckte Begehrlichkeiten. Nachdem Rupert Murdoch 1995 aber mit einer Übernahme von CNN gescheitert war, gründete er Fox News. Dessen erster Präsident, Roger Ailes, spielte die parteipolitische Karte als Strategie und entwickelte ein Programm, das die Fragmentierung des Nachrichtenpublikums einkalkulierte und dessen Produkte mindestens in Teilen (den Ideology Talks) darauf aus waren, die Weltsicht des Publikums zu jedem anstehenden Thema zu bestätigen - und die Bindung an den Sender zu stärken. Das Gründungsmotto von Fox - „Fair and Balanced“ - deutete dabei die Kritik an den „liberalen Medien“ an: Der Sender wurde als Gegengewicht entworfen zu einer gefühlten liberalen Neigung der „Mainstream Media“, die lediglich Lapdogs seien, Schoßhündchen des linken politischen Establish‐ ments in Washington, die nur vorgaben, das zu sein: fair und ausgewogen. Dazu Ailes in einem Interview um die Jahrtausendwende: „We’re not programming to conservatives. We’re just not eliminating their point of view.“ (Zit. n. Peck 2019, S. 23) Kurzum: Fox News war eine strategisch durchdachte Tendenz in die Wiege gelegt, die an eine längere Diskussion um eine liberale Neigung der Medienlandschaft nahtlos anschloss (vgl. Benkler et al. 2018). Dabei kämpften alle Kabelsender früh mit einem schrumpfenden Publi‐ kumsmarkt. Noch 1993 (wenige Jahre vor der Gründung von Fox News) 262 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="263"?> gaben - immerhin - rund zwei Drittel an, regelmäßig Kabelnachrichten einzuschalten; bis 2004 hat sich diese Zahl aber fast halbiert (vgl. Morris 2005). Etwa um diese Zeit signalisierten die Zahlen eine Polarisierung der Zuschauer: Anhänger oder Wählerinnen der Republikaner wandten sich nun Fox News zu und mieden andere Sender bzw. Nachrichtenformate. Um 2002 verdrängte man die Konkurrenz von CNN von der Spitze der Kabelfernsehsender. Die programmatische Ausrichtung - eigentlich eine „ungehemmte Parteilichkeit“ (Horst 2018, S. 46) - hatte Erfolg: auf einem fragmentierten Publikumsmarkt sicherte man sich die Loyalität eines „La‐ gers“. Bis heute hält dieser Trend: Amerikaner, die sich mit der Republika‐ nischen Partei identifizieren, verlassen sich weitaus mehr als andere auf einen Nachrichtensender, eben auf Fox. Die besten Einschaltquoten liefern dort die Shows von Sean Hannity, Laura Ingraham und Tucker Carlson; sie definieren den konservativen Kern des Senders, offen parteiisch und konsequent skandal- und konfliktorien‐ tiert. Journalistische Standards? Dazu Alisyn Camerota, eine Fernsehmode‐ ratorin, die von Fox & Friends zu CNN wechselte: „The single phrase I heard over and over was ‚This is going to outrage the audience! ‘ You inflame the viewers so that no one will turn away. Those were the standards.“ (Zit. n. Mayer 2019) Nebenbei bemerkt: Dem folgt nicht nur eine parteiische Linie, sondern auch eine Trivialisierung der politischen Meinungsbildung im Land; im Wettbewerb stehen Meinungen und Emotionen, nicht Nachrichten, Informationen, Sachverhalte: „In an ecology of advertising, the incentive of news is not necessarily truth. It is truth if it pays.“ (Lessig 2019, S.-98) Während der Präsidentschaft von George W. Bush profilierte sich Fox als verlässlich konservativer Sender. Gleich Beginn der Regierungszeit Barack Obamas adoptierte man geradezu die eben aufkommende Tea Party, was dem Sender Einschaltquoten bescherte und der Party eine nationale Plattform. In den kommenden Jahren beobachtete Fox die Präsidentschaft Obamas äußerst kritisch. Spätestens mit der für die Republikaner verlo‐ renen Präsidentschaftswahl 2012 und der zweiten Amtsperiode Obamas verfolgte man eine radikalkonservative Fundamentalopposition gegen den Präsidenten und lehnte jegliche Regierungsinitiative ab, allen voran die Gesundheitsreform, das Paradebeispiel des sozialistischen Big Government. Die Regierung sei mehr als nur „schlecht“ oder „interessengeleitet“; sie sei Tyrannei - und Obama eigentlich Georg III., der die „echten“ Amerikaner zu Kasse bitte (vgl. Kamps 2020a, S. 70). Symptomatisch dafür ein 10-minütiges Interview, das Barack Obama im Februar 2014 auf dem Sender Bill O’Reilly 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 263 <?page no="264"?> gab - und der den Präsidenten nicht weniger als 42mal unterbrach, also im Schnitt alle 14 Sekunden (vgl. Holzer 2020, S. 401). Derart etablierte sich Fox endgültig im konservativen Amerika und ist seit Jahren der reichweitens‐ tärkste Kabelfernsehsender. Bildlich gesprochen richtete sich in den beiden Regierungsperioden Ba‐ rack Obamas das Fernsehpublikum auf einem politischen Inselparadies ein. Der Präsident selbst sprach von einer „Balkanisierung“: Die Leute blieben unter sich, schalteten ein, was ihre Weltsicht bestätigte (vgl. Niederberger 2016, S. 183). Das ist für diese Zeit noch etwas überzeichnet, aber tendenziell entwickelte sich tatsächlich eine polare Nachrichtenwelt, nicht zuletzt, weil sich bei MSNBC oder CNN ebenfalls parteipolitische Töne einstellten. Dazu gehörte und gehört seitdem auf beiden „Seiten“, Konkurrenzmedien als unglaubwürdig zu markieren. Etwa um das Kampagnenjahr 2012 besaß Fox News nachgerade die Exklusivrechte über das konservative Amerika. Republikanische Politiker konnten sich (relativ) sicher sein: Hier werden sie selten mit unangenehmer Kritik konfrontiert - wenn die Positionen denn scharf genug formuliert werden. Eine „passendes“ Thema griff im März 2011 Donald Trump als Gast bei der Morgenshow Fox & Friends auf; er promovierte gerade eine neue Staffel von The Apprentice und war über die so genannten Birther gestolpert, die die Legitimität Obamas anzweifelten mit der Behauptung, der Präsident sei gar nicht in Amerika geboren (und hätte sich also nicht zur Wahl stellen dürfen). Nun war man bei Fox zwar skeptisch; aber mit Trump stiegen die Quoten. Denn der konnte „Birther“ wie kaum ein anderer. Ihm fielen die Zitate nur so aus dem Mund: „Obamas family doesn’t even know what hospital he was born in“ (zit. n. Mayer 2019; vgl. Kamps 2020a). Und falls gerade kein Mikrofon in der Nähe war, befeuerte Trump das Thema über die Kurznachrichtenplattform Twitter, die er gerade für sich entdeckt hatte. Wissen | Die Birther Debatte um Barack Obama Die Birther-Debatte wurde im Mai 2007 von einem anonymen Nutzer auf Yahoo Answers angestoßen. Wenige Wochen zuvor hatte der Demokrat Barack Obama seine Kandidatur zur Präsidentschaft angekündigt, und Anonymus fragte sich, wie das denn sein könne - Obama sei schließ‐ lich nicht, wie behauptet, auf Hawaii, sondern in Kenia auf die Welt gekommen. (Laut Verfassung muss der Präsident in den USA geboren sein.) Für einige Zeit kursierte diese Behauptung in obskuren Internet- 264 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="265"?> 79 Zaschke, C. (2019). Zur Sache, Schätzchen. In Süddeutsche Zeitung v. 7.2.2019 Chats, bis sie schließlich Rush Limbaugh aufgriff und ihr in seinen Radio-Talks reichlich Platz einräumte. Die Birther-These fand dadurch zwar viel Gehör, wurde aber überwiegend skeptisch angenommen; die Geschichte schien doch etwas weit hergeholt, selbst für Limbaugh. Auch bei Fox war man anfangs eher zurückhaltend, beobachtete allerdings, wieviel Aufmerksamkeit Trump damit in den Tiefen des Internets erhielt; schließlich befand Sean Hannity, die Sache sei merkwürdig, „odd“: Warum rücke das Weiße Haus auch nicht mit der Geburtsurkunde heraus? (Mayer 2019 o. S.) Obama und sein Stab hielten sich zunächst zurück; als aber in den USA selbst Themen wie der Arabische Frühling in den Hintergrund rückten, bat der Präsident die zuständigen Behörden, die Urkunde zu veröffentlichen. Eine kleine Volte hatte die Geschichte noch: Ende April 2011, kurz nach der Publikation der Geburtsurkunde, sah man im Weißen Haus eine Gelegenheit, die Sache zu retournieren: Auf dem alljährlichen White House Correspondence Dinner griff Obama den - anwesenden - Trump auf humorvolle Weise an, um die Geschichte abzurunden und abzuschließen. Vergeblich, noch Jahre später rumpelte Trump, die Urkunde, die man da vorgelegt habe, könnte schließlich gefälscht sein (vgl. Kamps 2020a, S.-16-19). Mit seiner Kandidatur stand Donald Trump anfangs nicht nur im republi‐ kanischen Lager unter dem Verdacht, Marketing für sein Unternehmen zu betreiben: Auch Fox war misstrauisch. Rupert Murdochs Wall Street Journal positionierte sich zu Beginn der Vorwahlen sogar ausdrücklich gegen Trump. Jedoch registrierte man im Murdoch-Imperium genau, wieviel Aufmerksamkeit die Kampagne Trumps generierte. Und spätestens, als er die Kandidatur der Republikaner für sich entschied, unterstützte man ihn offen. Konsequent fahnentreu gestaltete sich später die Berichterstattung über die Präsidentschaft selbst, insbesondere in den abendlichen Ideology Talks. Die Süddeutsche Zeitung dazu über Sean Hannity: „Wenn Trump ein Pferd an den Supreme Court beriefe, wäre das für Sean Hannity der Anlass, die außergewöhnliche Weisheit des Präsidenten zu loben.“ 79 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 265 <?page no="266"?> 80 Mayer, J. (2019). The Making of the Fox News White House. The New Yorker, 11. März 2019 Bei den Mitarbeitern des Weißen Hauses firmierte eben dieser Hannity früh als „Shadow Chief of Staff “. 80 Schon während des Vorwahlkampfs hatte er (nach eigenen Angaben) praktisch täglich mit dem Kandidaten telefoniert und ihn in Medienfragen beraten. Wer da wem zur Hand ging, der Sender oder ein Moderator dem Präsidenten oder umgekehrt, ist allerdings nicht so eindeutig, wie man meinen möchte. Fox & Friends oder Ingraham Angle und Tucker Carlson Tonight waren gelegentlich sogar kritisch. Während man in Fox News in Teilen zumindest einen Parteigänger Trumps sehen darf, war und ist der Sender doch etwas anderes als eine untertänige Propagandaorganisation (vgl. Brock & Rabin-Havt 2012). Er ist vor allem die führende Nachrichtenplattform des konservativen Amerikas mit einem loyalen Publikum (vgl. Benkler 2018, S. 324). Bei Fox können und müssen sich Kandidatinnen und Kandidaten der Republikaner beweisen, der Sender war und ist ein „Königsmacher“: Es ist für Republikaner mit Anspruch auf Bedeutung obligatorisch, in die Talks eingeladen zu werden. Hier formieren sich die Partei, ihre Positionen und Sprecher. Fox News und insbesondere dann noch die konservativen Radio Talks sind also mehr als „nur“ ein Spiegel Trumps, der Republikaner oder konservativer Positionen. Sie sind politische Akteure, die die Agenda des konservativen Amerikas (mit-)bestimmen, und zwar konkret und mit handfesten Folgen. Ein Beispiel: Im Zuge des Government-Shot-Downs um die Jahreswende 2017/ 18 hatte der Sender eine harte politische Linie verfolgt und den Präsidenten ermuntert, alle Kompromisse mit den Demokraten abzulehnen. Als dann nach Aussage von Vizepräsident Mike Pence ein „Deal“ spruchreif war, wurde er von Trump zur Überraschung seiner eigenen Leute doch noch abgelehnt: Und zwar nachdem der Kompromiss auf diversen Fox-Platt‐ formen ausgiebig „problematisiert“ wurde, z. B. von Ann Coulter: „Ein rückhaltloser Präsident in einem mauerlosen Land“ (Mayer 2019, o. S.). Mit dem Etikett Ideology News verbindet sich so gesehen kein klassisches Propagandainstrument, sondern eine reflexive, eigenständige Größe, durch‐ aus im Format eines Feedback Loops (Benkler et al. 2018). Fox setzt dabei auf eindeutig markierte Inhalte, um in einer politisch ausnehmend polarisierten Umwelt und in der Folge eines scharfen ökonomischen Wettbewerbs ein Stammpublikum an sich zu binden. Dazu bezieht man klare Position, meidet komplizierte Analysen, emotionalisiert (z. B. über Ressentiments) und folgt, 266 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="267"?> 81 New York Times v. 30. April 2022, How Tucker Carlson Stoke White Fear to Conquer Cable, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 04/ 30/ us/ tucker-carlson-gop-republican-party. html das ist zentral, einem strikten Ingroup-Outgroup-Denken („us against them“). Belohnt werden - mit loyaler Aufmerksamkeit - nicht nüchterne Fakten und kritische Distanz, sondern Überspitzung und Gefühl, darunter auch Wut (vgl. Kamps 2020a, S. 57). Inzwischen gilt „empathic media“ als stilbildendes Element rechtskonservativer Medien: eine Orientierung von Medienforma‐ ten an narrativen Mustern (über Immigranten, über Black Lives Matter, die Demokraten als Leftists, abgehobene Eliten usf.) und der „emotionalen Seite“ von Konflikten. Solche inhaltlichen wie ästhetischen Stilarten sind kein Zufall, sondern unternehmerische Strategie. Denn ob dem tatsächlich eine allein politische Motivation zugrunde liegt, wie man es für die konservativen Medien der 1950er-Jahre annehmen darf, mag bezweifelt werden. „Like the Republican Party itself, Fox has sought to wring rising returns out of a slowly declining audience: the older white conservatives who make up Mr. Trump’s base and much of Fox’s core viewership.“ 81 Diese Ökonomie der Ideology News zeigte sich beispielhaft im Übergang zur Präsidentschaft von Joe Biden. Unmittelbar nach der Wahl im November 2020 verzeichnete Fox nach den Daten von Nielsen starke Einbrüche seiner Quoten, während CNN deutlich zulegen konnte, so wie auch die kleinen konservativen Sender One America News Network und Newsmax - denn die wurden von Donald Trump für einige Zeit als Alternativen zu Fox empfohlen, da sie seine Vorstellungen vom Wahlbetrug sofort übernehmen (→ Kapitel 7). Es dauerte zwar einige Wochen, aber nach der Eskalation der innenpolitischen Spannungen in den USA mit der Stürmung des Capitols am 6. Januar 2021 und der Amtseinfüh‐ rung Joe Bidens, vierzehn Tage darauf, positionierte sich Fox News erneut als Opposition zum neuen Präsidenten. War zu Zeiten von Trump vor allem Sean Hannity mit seiner abendlichen Sendung der bedeutendste „Kopf “ der Ideology Talks, so „lieferte“ nun mit Biden im Weißen Haus Tucker Carlson die besten Quoten. Nicht nur im Fox-kritischen Medienjournalismus der USA wurde diese Entwicklung als Radikalisierung verstanden: In der ersten Hälfte des Jahres 2020 verließ eine Reihe Journalisten den Sender, darunter Chris Wallace, der allgemein als seriösester Moderator von Fox betrachtet wurde. Für seinen Weggang soll die mehrteilige Dokumentation „Patriot Purge“ den Ausschlag gegeben 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 267 <?page no="268"?> 82 Vgl. Washington Post v. 23. Dezember 2021, A Year ago, Fox News considered a breakup with Trump, https: / / www.washingtonpost.com/ lifestyle/ 2021/ 12/ 23/ fox-news-trump-r atings-2021-lawsuit/ 83 New York Times v. 30. April 2022, How Tucker Carlson Stoke White Fear to Conquer Cable, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 04/ 30/ us/ tucker-carlson-gop-republican-party. html haben: Eine „Dokumentation“ von Carlson, nach der die rachsüchtige Regierung Biden die Patrioten des 6. Januars in einem „new war on terror“ tyrannisiere und verfolge. 82 Tatsächlich steht Carlson für besonders provokante Äußerungen über etwa die Kriminalisierung Amerikas durch illegale Immigranten, die Criti‐ cal Race Theory, eine Replacement-Verschwörungsidee, den Untergang des alten Amerikas und mehr. Spätestens mit der Berichterstattung über eine anstehende „Invasion“ der Staaten durch eine marodierende Migranten- Karawane, die sich der mexikanisch-amerikanischen Grenze nähere, hatte man bei Fox im Vorfeld der Zwischenwahlen 2018 den strategischen Wert solcher Berichte minutiös vor Augen. Und zwar im Wortsinn: auf der Basis minütlicher Einschaltquoten begann man, einzelne Formate, Gäste und Statements zu „vermessen“ - was intern als Moneyball for Television firmierte (in Anlehnung an einen Film über Spielerstatistiken im Baseball). „Mr. Carlson’s on-air provocations have been part of a painstaking, datadriven campaign to build and hold Fox’s audience.“ Provokation als Schema: „Mr. Carlson would grab third rails on race or immigration, then harvest the inevitable backlash, returning the next evening to roast his critics for trying to suppress an obvious truth. The feedback loop didn’t just drive up ratings. It boosted the audience’s loyalty to Fox“. 83 Nur nebenbei sei der feine Dreh erwähnt, dass Fox selbst davon ausgeht, Carlson nehme es mit den Fakten nicht so genau - und müsse das ja auch nicht: Fox war von Dominion Voting Systems und Smartmatic auf Milliarden- Dollar-Schadensersatz verklagt worden, weil Carlson oder seine Gäste permanent behaupteten, die Wahlmaschinen dieser Hersteller hätten die Präsidentschaftswahl 2020 manipuliert. In der Verteidigungsschrift findet sich das Argument, „spirited debate on talk-show programs does not lend itself well to statements of actual fact.” Das Format basiere nicht auf Wahr‐ haftigkeit. Dem stimmte ein Richter zu: Solche Shows seien Unterhaltung, 268 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="269"?> 84 Washington Post v. 24. Februar 2022, Now is the time to remember what Fox’s own lawyers said about Tucker Carlson, https: / / www.washingtonpost.com/ media/ 2022/ 02/ 24/ tucker-carlson-ukraine-fox-news-lawyers/ 85 Vgl. den Ausschnitt auf Twitter: https: / / twitter.com/ TuckerCarlson/ status/ 1479274991 577452544 vielleicht schlechte oder sogar sinistre, aber eben Unterhaltung, und da sei jede noch so aus der Luft gegriffene Behauptung erlaubt. 84 Jedenfalls orientierte man sich in der Neuausrichtung in der Zeit nach Trump stark an minütlichen Statistiken von Nielsen - und nicht an den in der Kabelbranche üblichen 15-Minuten-Blöcken. Anhand dieser Daten änderte man nicht nur das Programmschema und gab Carlson einen promi‐ nenten Sendeplatz, sondern überdachte auch das Konzept der Show selbst: Etwa setzte man nun auf längere Eingangsmonologe des Moderators und auf Gäste, bei denen keinerlei Gefahr eines Widerspruchs bestand. Die Werte hatten Fox gezeigt, dass das ein allzu großer Teil des Publikums an echten Debatten-Segmenten, so wie sie gelegentlich vorgekommen waren, wenig Interesse hatte. Und insbesondere sollte diese Ausrichtung einbrechende Einnahmen kompensieren: Werbetreibende begannen vermehrt, Fox zu meiden, weil man den Sender, der selbst in starker Kritik stand, zusehends als schwieriges Umfeld betrachtete. Doch die Strategie von Fox ging auf: Steigende Zuschauerzahlen und längere Verweilzeiten beim freischaffenden Tucker Carlson glichen die Boykottverluste bei weitem aus. Wie sehr derart Carlson mit seiner Show inzwischen die Öffentlichkeit des konservativen Nach-Trump-Amerikas (mit-)bestimmt, mag eine letzte Anekdote verdeutlichen: Am ersten Jahrestag des 6. Januar sprach einer der führenden Senatoren der Republikaner, Senator Ted Cruz, im Kongress bei der Gedenkstunde von einer „violent terrorist attack“; nachdem Carlson diese Beurteilung aufgriff (sichtlich erstaunt) und eine „Lüge“ nannte, ent‐ schuldigte sich Cruz, live in der Sendung darauf. Der Senator aus Texas hatte eilig um Zuschaltung gebeten, um jedes Missverständnis auszuräumen. Die Aussage, so ein sichtlich betroffener Cruz, sei etwas schludrig gewesen und irgendwie eine Folge der böswilligen Berichterstattung der liberal Media, die diesen Sprachgebrauch pflegten; da habe er etwas gedankenlos nachge‐ plappert; er zumindest habe keinesfalls den Millionen Trump-Patrioten im Lande zu nahe treten wollen. 85 6.1 Von „liberalen Medien“ zu Ideology News 269 <?page no="270"?> 86 Zur Anschauung: https: / / www.youtube.com/ watch? v=G5tdqojA26E 87 Vgl. Forbes v. 27. Juli 2009, The Decline Of The Major Networks; https: / / www.forbes. com/ 2009/ 07/ 25/ media-network-news-audience-opinions-columnists-walter-cronkite. html? sh=6e07889047a5 6.2 Nachrichten, Medienökologien und Desinformation Walter Cronkite, der wohl bekannteste amerikanische Fernsehjournalist seiner Zeit, pflegt in den 1960er- und 1970er-Jahren die abendlichen Haupt‐ nachrichten von CBS zu schließen mit den Worten „And that’s the way it is“ (hier zit. n. Knüpfer 2016, S.-328). 86 Mit dieser Formel wollte er wohl seinen Anspruch unterstreichen, Nachrichten objektiv zu präsentieren und neutral vom Tage zu berichten. „And that’s the way it is“ - das Motto folgt der ideellen Vorstellung einer fernen (Medien-)Zeit, einer übersichtlichen und integrativen Zeit, in der Cronkite sich stets gewiss sein durfte, zwischen 25 und 30 Millionen Landsleute anzusprechen 87 . Nebenbei bemerkt: Eben als er sich 1981 vom Bildschirm verabschiedete, debütierte eine gewisse Joan Col‐ lins in Dynasty und in der ABC-Seifenoper General Hospital heiratete „Luke“ seine „Laura“ - beinahe die Hochzeit mit der höchsten Einschaltquote der US-Fernsehgeschichte, übertroffen nur von dem realen Eheversprechen eines Prinzen von Wales mit Lady Diana Spencer im Februar desselben Jahres. Cronkites Rückzug aus der Moderation markiert im Nachhinein bese‐ hen eine Zeit des Übergangs: von einem Nachrichtenjournalismus, der sich einem Ideal und den Routinen unvoreingenommener Information verschrieben hatte, hin zu einer komplexen und vielschichtigen Kommuni‐ kationsgesellschaft neuen Zuschnitts. Vierzig Jahre etwa, in denen viele technische, soziale, ökonomische und politische Faktoren diesen Prozess begleitet haben, wobei sich doch einzelne Phasen unterscheiden lassen: 1) eine medientechnisch und medienpolitisch geprägte Zeit der Diversifizie‐ rung der Medienlandschaft, 2) eine Phase der kommunikationsstrategisch und gelegentlich parteipolitisch motivierten Neuorientierung von Medien‐ unternehmen, sowie schließlich 3) eine erneut technologisch begründete Re- Formation der Produktion, Distribution und Rezeption öffentlicher Kom‐ munikation. Diese Phasen lassen sich analytisch trennen, lösen einander allerdings auch nicht nahtlos ab. Und während zweifelsohne viele Momente dieser Entwicklung positive und ausnehmend nützliche Folgen im alltägli‐ chen Leben nahezu der ganzen Gesellschaft haben - etwa durch mobile 270 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="271"?> Kommunikation, Information, Transparenz und Teilhabe über ein ausneh‐ mend vielfältiges Medienrepertoire - so konzentriert sich der folgende Abschnitt doch auf solche Aspekte, die unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten kritisch einzuschätzen sind. Dies vorausgeschickt sei zunächst an die Fairness Doctrine erinnert (Kap. 3.7), also die Forderung der FCC an Informations- und Nachrichtenformate im Radio oder Fernsehen, ausgewogen und objektiv zu berichten. Fairness Doctrine - und nicht Truth Doctrine: Eine „Wahrheit“, wurde von den Rundfunkveranstaltern nicht erwartet, dafür Wahrhaftigkeit (das Streben nach möglichst korrekten Informationen) und Sendungen, die widerstrei‐ tende Positionen zu den wichtigsten politischen Fragen der Nation fair, ausgeglichen und unparteiisch präsentieren. Damit sollte sichergestellt wer‐ den, dass politische Einstellungen von Medieneigentümern, Journalisten, Moderatoren und Redakteuren sich nicht einseitig in der Auswahl und Präsentation von Themen, Personen und ihren Argumenten, Ereignissen und Vorhaben niederschlagen könnten. Implizit spiegelt sich darin die Vorstellung eines Publikums, das an einer akkuraten Information interessiert sei, allerdings Marktregeln manipulative Berichterstattung allein nicht verhindern würden und eine entsprechende Norm dem freien Nachrichtenwesen auf die Sprünge helfen müsste (vgl. Sobbrio 2014). Tatsächlich finden sich ja Abweichungen vom Ideal einer unvoreingenommenen Berichterstattung im Nachrichtenjournalismus auch historisch in unterschiedlicher Form: vom Selection Bias durch das schlichte Weglassen von Informationen oder der Auswahl von Themen, dem Agenda Setting, bis hin zum sprachlichen oder visuellen Framing eines Berichts, der eine bestimmte Deutung eines Sachverhaltes nahelegt und andere negiert (vgl. Anderson, McLaren & Polborn 2012; Bernhard & Krasa 2008; Gentzkow & Shapiro 2010). Bewusste Falschmeldungen oder gar Fälschungen z. B. von Texten oder Filmmaterial, um einen gegenteiligen Sachverhalt zu behaup‐ ten, sind so gesehen nur eine, wenn auch die extremste Form irreführender Darstellung. Nun entwickelte sich der amerikanische Nachrichtenjournalismus, wie er sich im zitierten Cronkite-Motto spiegelt, stufenweise mit der Profes‐ sionalisierung der Pressebranche zum ausgehenden 19. Jahrhundert, mit der Progressive Era Anfang des 20. Jahrhunderts und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg: Idealtypisch sollten Nachrichten relevante News möglichst knapp und objektiv vermitteln. Presse und Rundfunk stützten sich auf Konventionen und Routinen, die eine Orientierung an aktuellen 6.2 Nachrichten, Medienökologien und Desinformation 271 <?page no="272"?> Neuigkeiten verbinden mit professioneller Distanz zu ihren Gegenständen sowie einer strikten Trennung von Information und Meinung. Damit wäre ein emphatischer Nachrichtenbegriff benannt - eine rezeptartige „Idee“, wie News vermittelt werden sollten. Faktisch dagegen kannte das Land von Beginn an Parteizeitungen und spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Penny Press eine Massenpresse, die vom Anzeigenmarkt lebte, unter Aktualitätsdruck arbeitete und dabei auch reißerische Aufmerksamkeitsstrategien verfolgte (Skandalisierung, Negativismus, Emotionalisierung). Insofern sind in der Geschichte der amerikanischen Nachrichtenmedien Abweichungen von der Sachbezogenheit eines „Idealtypus Nachrichten“ wohl eher die Regel, denn die Ausnahme. Und insofern sind die im vorherigen Kapitel beschriebenen Wurzeln konservativer Medien, die sich explizit gegen einen von ihnen so wahrgenommenen liberalen Mainstream der Medien ihrer Zeit stellten, weit weniger ein Sonderweg, als man vordergründig annehmen könnte. Mit der Bürgerrechtsbewegung und dem Vietnamkrieg, mit den Pentagon Papers, mit dem Watergate-Skandal und dem Rücktritt Präsident Nixons verfestigte sich in Teilen Amerikas die Vorstellung dieses Mainstreams als politischer Faktor. Während Watergate einerseits die Bedeutung eines investigativen Journalismus stärkte, so verband das konservative Amerika Presse und Rundfunk nur umso vehementer mit einem kaum verhohlenen liberalen Bias. Mit der geradezu folgerichtigen Abschaffung der Fairness Doctrine durch die Regierung Reagan, mit der sukzessiven De-Regulation der Medienlandschaft auch während der Präsidentschaft Clinton geht dann nicht nur die mit der Kabel- und Satellitentechnologie mögliche Ausdiffe‐ renzierung der Medienlandschaft einher, sondern ein weiteres politisches Momentum: Die medienpolitische Strategie, dem Republikanischen Lager in der öffentlichen Kommunikation mehr Raum zu geben, weil - so die zentrale Wahrnehmung - ihre Positionen und Argumente systematisch ausgeblendet würden. Wie beschrieben, dauerte es gleichwohl noch einige Jahre, bis sich mit dem Kabelsender Fox News auf dem Nachrichtenmarkt ein Akteur behaup‐ ten konnte, der mit seinem Motto - Fair and Balanced - die Kritik am linkslastigen liberalen Mainstream als Mantra formulierte. Eine strategische Positionierung, der zwei Erkenntnisse voraus gingen: erstens, unternehme‐ risch und CNN sei Dank, dass ein reiner Nachrichtenkanal in der „neuen“, diversifizierten Medienlandschaft ökonomisch überlebensfähig sein könnte; zweitens inhaltlich und Talk Radio sei Dank, dass parteipolitische Formate 272 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="273"?> auf dem Werbewie auf dem Publikumsmarkt bestehen könnten. Mit Fox News einher ging dann eine „De-Massifizierung“ (Metzger 2019, S. 795) und damit eine Fragmentierung des Publikums der politischen Kommunikation in den USA. Freilich - als kleiner Exkurs eingestreut: Wahrscheinlich ist die Betonung der die Gesellschaft integrierenden Informationsfunktion klassischer Me‐ dien wie z. B. einer „Qualitätspresse“ oft überzogen. Zum einen, das gilt insbesondere für die USA mit ihrer lokalen Tradition, orientiert sich die Masse der Medien an kleineren Märkten und Publika, zum anderen sind ihre Inhalte häufig genug trivial und unterkomplex, so dass insbesondere in der Politik stets andere Themen und andere Darstellungen denkbar sind und begründet gefordert werden können: „Conservatives would like to see more stories about the misdeeds of the country’s enemies and about waste and abuse in social service programs. Liberals complain that the media legitimize big business and the military and neglect social reforms and radical perspectives.“ (Graber & Dunaway 2018, S.-460) Wenn nun Fox News einerseits das Ergebnis der a) medienpolitischen Ent‐ scheidungen der 1980er-Jahre und b) der durch Kabel- und Satellitentechnik möglichen Kanaldifferenzierung Mitte der 1990er Jahre war, so kommt nun für die politische Wirksamkeit hinzu, dass die Polarisierung des Landes, dass die Kluft zwischen einem progressiven und einem konservativem Amerika seit den 1960er-Jahren immer größer geworden war. Mit der Präsidentschaft Johnson hatten Demokraten und Republikaner begonnen, sich immer schärfer voneinander abzugrenzen. Inzwischen können die gemäßigteren Positionen der Lager auch und insbesondere im Kongress kaum noch zueinander finden. Es herrscht, so eine verbreitete These, kein gesellschaftlicher Konsens über fundamentale Orientierungen wie z. B. Rolle des Staates in der Wirtschaft, Sozialstaatlichkeit, Religion, Zivilgesellschaft u. Ä. (vgl. Bieber & Kamps 2020a; Klein 2020; Lütjen 2016, 2020). Was aus heutiger Sicht mit dem Schlagwort „Polarisierung“ eine strikte parteipolitische Trennung darstellt, hat zwar eine lange Vorgeschichte, hatte aber mit der Ausdifferenzierung des Mediensystems der USA an Kontur gewonnen. Die beiden Prozesse liefen parallel. Als im Spätsommer 1998 die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus ein Impeachment gegen Bill Clinton vorbereitete, stimmten noch beachtliche 31 Demokraten für den Vorschlag der Republikaner - wohlgemerkt zur Erleichterung der Fraktionsführung der Demokraten, wie es heißt, denn man hatte seinerzeit mit deutlich mehr Repräsentanten gerechnet, die ihren eigenen Präsidenten 6.2 Nachrichten, Medienökologien und Desinformation 273 <?page no="274"?> anklagen würden. Heute dürften schon sehr viel weniger „Abweichler“ bei derartig fundamentalen Vorgängen als dramatisch empfunden werden. Als Beleg dazu könnte im Prinzip die gesamte Präsidentschaft Trump angeführt werden: ein Impeachment, zwei Impeachments und etliches mehr (vgl. Adorf & Horst 2021; Bieber & Kamps 2020a; Kamps 2020a). Freilich: In der Rückschau wird mit der Wahl von George W. Bush und dann vor allem mit dem 11. September die Polarisierung immer deutlicher erkennbar. Aber dennoch ging das Land seinerzeit, bei allen politischen Differenzen, noch vergleichsweise friedlich miteinander um. Das wurde rasch anders, als Barack Obama 2008 ins Weiße Haus gewählt wurde. Und das dürfte auch mit Fox News zusammenhängen: Als der Sender etwa 2003 zum Spitzenreiter der amerikanischen Nachrichtenmedien avancierte, ent‐ wickelte man dort - nur ein Beispiel unter mehreren - mit Heartland gerade eine Sendung, die zum Prototypen eines offenen Identitätsjournalismus wurde. Bemerkenswert, wie hier ein Nachrichtenmedium eine Show im Stile eines Kulturkrieges auflegte: das wahre Amerika gegen das Ostküsten- Establishment. Man hatte Zeit und Gelegenheit, die ökonomischen Facetten derartiger, auf Ressentiments beruhender Sendungen zu analysieren. Und man brauchte dann tatsächlich nicht sonderlich viel Anlauf, um mit der Wahl Barack Obamas 2008 den Kern künftigen Übels zu identifizieren (vgl. Brock & Rabin-Havt 2012, S. 142-145; Kamps 2019a, 2019b). Rush Limbaugh gab dem Republikanischen Amerika wenige Tage vor Obamas Inauguration die Marschroute vor: „I hope he fails.“ Am Tag zwei der Präsidentschaft sah ein „enttäuschter“ Hannity in seiner Fernsehshow nichts vom versprochenen Change: „Socialism has failed“. Tag drei brachte bei Laura Ingraham die Erkenntnis, das Land sei unter Obama auf keinen Fall sicherer geworden. Tag vier erlebte die Falschmeldung, Obama habe offiziell den War on Terror für beendet erklärt. Am ersten Wochenende der Präsidentschaft fragte sich Mike Huckabee, ob das wirklich der Wandel sei, für den das Land optiert habe. Am Sonntag schließlich gab Brit Hume Obama einen Ratschlag der besonderen Güte: „You can’t break all your campaign promises.“ Man hat Bücher darüber geschrieben, die nie langweilig werden (Brock & Rabin-Havt 2012; Mayer 2019; Peck 2019, Pfeiffer 2022; Stelter 2020). Acht Jahre Präsidentschaft Obama: Man könnte eine lange Liste ähnlicher und ernsterer politischer Vorgänge anführen, etwa Falschdarstellungen zur Gesundheitsreform, die Berichterstattung um das Attentat auf das amerika‐ nische Konsulat in Bengasi, Libyen, im Herbst 2012 - die Außenministerin 274 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="275"?> Hillary Clinton bis in den Wahlkampf 2016 verfolgte. Das hat eine erheblich andere Qualität als die Weekly World News, die zwischen 1979 und 2007 Geschichten verkaufte wie „Clinton Hires Three-Breasted Intern“ oder „Hillary Clinton Adopts Alien Baby“ vgl. Rauch 2021, S. 136). Erwähnt sei noch der Vorwurf von Glenn Beck ( Juli 2009), Obama sei ein hasserfüllter Rassist: „This president, I think, has exposed himself as a guy, over and over again, who has a deep-seated hatred for white people or the white culture.“ (Zit. n. Brock & Rabin-Havt, S. 143). Und The New Yorker zitiert Roger Ailes in einem Hintergrundbericht jener Zeit: „I want to elect the next president.“ (Zit. n. Mayer 2019, o. S.) Womöglich ist ihm das ein kleines Stück weit auch gelungen; jedenfalls gibt es Gründe, den Sender in der Präsidentschaft Obamas nicht „nur“ als Stimme des kritischen, konservativen Amerikas zu hören. Fox News war womöglich zentral für die Wahl Trumps - aber doch „nur“ ein Element eines vielschichtigen rechtskonservativen Medienökosystems mit unzähli‐ gen Subkulturen (vgl. Nagele 2018). Denn inzwischen - mit der Etablierung des Internets zunächst als Informationssystem und dann als Sozialsystem - hatte sich zur klassischen Struktur massenmedial vermittelter Politik eine komplexe, dezentralisierte Struktur eines hybriden Kommunikations‐ systems formiert (vgl. Bennett & Pfetsch 2018, S.-250; Chadwick 2017). Die zahlenmäßig eigentlich erstaunlich begrenzte Reichweite einzelner Ideology-Talks im Kabelfernsehen („Hannity“ erreicht nicht mehr als drei und fünf Millionen Menschen, Tucker Carlson inzwischen regelmäßig um fünf Millionen) wird durch dieses hybride Mediennetzwerk enorm gesteigert, ja vervielfältigt. Dafür sorgt z. B. das Ausspielen entsprechender Sendungen oder Ausschnitte via Social Media (insbesondere auch YouTube). Dazu zählen inzwischen kleinere Stationen wie Newsmax oder One America News, größere Radio-Talk-Shows im Rush-Limbaugh-Stil, Netzseiten wie Gateway Pundit, Infowars, Zero Hedge, Townhall, RedState, The Daily Caller oder Breitbart.com im Verbund mit tatsächlich Hunderten von kabel- oder netzgestützten (Des-)Informationsplattformen, YouTube-Kanälen, Podcasts, 4chan-Diskussionsforen, WikiLeak und LiveLeak, Social-Media-Gruppen bei Snapchat, Telegram, Facebook und mehr, darunter eine Seite wie InfoWars, die nicht nur inhaltlich schwer verdauliche Dinge anbietet (die Inszenierung der Mondlandung, des Attentats von Oklahoma City, 9/ 11, diverser Schul‐ massaker durch die Regierung), sondern vom Verkauf allerlei Produkte aus der Survival-Szene lebt (vgl. Nagele 2018, S. 67). Dieses Netzwerk wiederum ist gekoppelt an politische Akteure, Agenturen und Denkfabriken (vgl. 6.2 Nachrichten, Medienökologien und Desinformation 275 <?page no="276"?> Bennett & Livingston 2018, S. 129; Bennett & Pfetsch 2018, S. 250) - und an die Legacy Media, die herkömmlichen Medien, die inzwischen routinemäßig von den größten Auswüchsen des politischen Netzes berichten. Spätestens mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 hat sich das konservative Medien-Ökosystem fest im politischen Amerika verankert (gängig: right-wing media ecosystem, vgl. Benkler et al. 2018). Einerseits verbindet sich dann mit dem Wahlkampf massive Computational Propaganda und digitale Desinformation durch datengetriebene Techniken und Tools (vgl. Benkler et al. 2018, S. 3-9; Woolley & Howard 2019, S. 6), andererseits aber eben ein ideologisch motiviertes Kaleidoskop, das im „eigenen“ Lager strikt nachfrageorientiert arbeitet. Es formierte sich ein Zitierkartell, ein Tribal-Talk-Circle: Eine inhaltlich um sich selbst kreisende Verweis- und Diskussionsstruktur, die sich an die eigene „Gemeinde“ richtet, nur Stimmen dieser Gemeinde hört und weiterverbreitet und sich daher um Argumente oder Daten links oder rechts der eigenen Linie nicht küm‐ mert. Dem zu eigen ist ein politisch wirksames Radikalisierungsmoment, ein sich selbst verstärkender Prozess, bei dem sich auf kurz oder lang die extremeren Positionen durchsetzen: „Hysterie und Ironie, Hass und Verachtung“ (Lepore 2020, S. 882). Gerade solche polarisierenden Themen und Argumente oder Ressentiments werden wiederum in den „alten“ poli‐ tischen Raum gespiegelt oder von dort aufgegriffen, die Aufmerksamkeit bei einem rechtskonservativen Publikum garantieren - bis hin zu monströsen Verschwörungsideen und einem Paranoia Feeding selbst auf dem Parkett des Kongresses. Oft genug scheinen dabei jede Korrekturmechanismen zu fehlen, und das ist auch insofern bemerkenswerte, als die auf der anderen Seite des politi‐ schen Spektrums durchaus vorhandenen Netzseiten wie der Daily Kos oder Talking Points Memo genau damit rechnen dürfen. „Online left publications faced the reality-checked dynamic. On the right, presented with an audience already highly attuned to talk radio and Fox News and deeply distrusting of all media outside their ecosystem, right-wing sites that came online - Breitbart, Daily Caller, and beyond - faced very different competitive pressures, and positive feedback reinforcement for bias-confirming news, irrespective of its veracity.“ (Benkler et al. 2018, S.-334). Demgegenüber floriert im rechtskonservativen Medienökosystem der USA ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber den herkömmlichen Medien. Medienpsychologisch durchaus stimmig zeigen inzwischen etliche Studien (vgl. z. B. Pew Research Center v. 1. Juli 2021), dass die parteipolitische Po‐ 276 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="277"?> 88 Vgl. auch https: / / www.americanpressinstitute.org/ publications/ reports/ survey-researc h/ my-media-vs-the-media/ larisierung des Landes parallel läuft mit einem zunehmenden Misstrauen des konservativen Amerikas gegenüber den institutionalisierten Medien und in einer Kluft hinsichtlich der Nutzung herkömmlicher Nachrichtenformate. Wenn die Frage nach „dem Vertrauen“ in „die Medien“ schon zuvor reichlich simpel war, so ist sie es im hybriden Mediensystem umso mehr. Was freilich bemerkenswert ist: Dass sich darin unterschiedliche Vorstellungen spiegeln, welche Leistungen Medien und der Journalismus erbringen sollten: „When journalists say they are just doing their jobs, in other words, the problem is many people harbor doubts about what the job should be.“ 88 Bemerkenswert auch deshalb, weil schon Mitte der 1990er-Jahre hin‐ sichtlich des partizipatorischen Potenzials des Netzes unter dem Stichwort Empowerment unter vielem anderen nicht nur die kreativen Chancen dessen, was man noch Blogosphäre nannte, diskutiert wurde, sondern die damit drängende Frage, ob das Journalismus sei, dieses Blogging. So richtig und wichtig diese Frage war und ist, so verschwommen sind heute, eine Ge‐ neration darauf, die Grenzen zwischen partizipatorischem Journalismus, Citizen-Journalismus, parteilichem Journalismus, Right Wing-Media, Alt- Right-Media, Alternative Media (vgl. Bennett & Livingston 2018, S. 125-126). Zweifellos sind Formen politischer Öffentlichkeit heute ungleich diverser, vielfältiger - gelegentlich womöglich gefährlicher: In knapp zwei Jahrzehn‐ ten wandelte sich eine abstrakte Diskussion um die Dimensionen und defini‐ torischen Grenzen von „Journalismus“ in eine Debatte um Propaganda, Mis- Information, Des-Information, Fake News und deren Gefährdungspotenzial für die Demokratie und die nationale Sicherheit (vgl. Dragomir & Thompson 2014, S. 12-13). Dabei eignet sich schon der in diesem Zusammenhang häufig Begriff der Fake News nur bedingt zur Beschreibung dieser Phänomene - angefangen damit, dass ein erheblicher Teil solcher Fake News sich kaum darum bemüht, zumindest der Form nach journalistisch zu erscheinen, etwa durch einen zusammenfassenden „Lead“ oder die übliche Struktur der umgekehrten Pyramide (vgl. Bard 2018, S.-122). Das ist insofern nachvollziehbar, als es nicht um Deliberation oder Infor‐ mationsvermittlung geht, sondern um Aufmerksamkeit und Persuasion. Man könnte darin einen neuen politischen Kommunikations-„Stil“ sehen, der auf seine Art die Komplexität auf ein überschaubares Maß reduziert. Freilich: an die Stelle von Kontext und Interpretation, Hintergrund und gele‐ 6.2 Nachrichten, Medienökologien und Desinformation 277 <?page no="278"?> gentlich auch sehr aufwändiger Recherchen treten nicht knappe, einsichtige Zusammenhänge, sondern Des-Information im industriellen Ausmaß (vgl. Chesney & Citron 2019, S.-1786). Dabei zeigen viele Studien inzwischen, dass sich Gerüchte, Andeutungen, Falschmeldungen und kaum verhohlene Lügen in aller Regel leichter, ra‐ scher und häufiger in Onlinenetzwerken verbreiten als nüchterne Berichte (vgl. Vosoughi et al. 2018). Und das liegt nicht nur an automatisierten Social Bots - sondern im gleichen Maße an den realen Personen, die die „Meldungen“ weiterleiten. Falsehood ist meist emotional aufwühlend, aufregend, womöglich auch unterhaltender (vgl. Chesney & Citron 2019, S. 1767). Hinzu kommt also ökonomisch getriebener Faktor, dass die Algo‐ rithmen der Netzunternehmen entsprechende Aufmerksamkeitsstrukturen (Engagement) verstärken. Dass dieses Massenphänomen nicht ohne (viele, sehr unterschiedliche) weitreichende Folgen bleibt, sei hier mit dem Begriff „Infodemic“ angedeutet, mit dem die Weltgesundheitsorganisation (2020) im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise das Problem fasste, dass „media manipulation campaigns“ mit Falschmeldungen und Lügen versucht hätten, Wissenschaft und medizinische Institutionen zu de-legitimieren und in weiten Teilen der Bevölkerung zu - fataler, schädlicher - Unsicherheit geführt haben (vgl. Drexl 2017, S.-4). Diese post-faktischen Öffentlichkeiten und Medienökologien sind ohne Netzplattformen und Social Media nicht denkbar. Und obwohl viele Unter‐ nehmen Mechanismen zur Abwehr bzw. Löschung von falschen Profilen, Hass, Hetze und Computational Propaganda installiert haben, lässt die Branche nach wie vor klare Standards vermissen. Damit ist die gegenwärtige Medienpolitik in den USA stark geprägt von der Auseinandersetzung, in welcher Weise gerade Netzplattformen auch regulatorisch in die Pflicht genommen werden könnten oder sollen. 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? Mitte April 2022 rief der ehemalige US-Präsident Barack Obama in einer Rede am Cyber Policy Center der Standfort-University dazu auf, die großen Social-Media-Unternehmen stärker zu regulieren, da sie die Polarisierung des Landes verstärken („turbocharged polarization“) und die amerikanische Demokratie gefährden würden. Obama plädierte für mehr Transparenz und sympathisierte mit Überlegungen, Section 230 des Communications Decency 278 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="279"?> 89 Vgl. New York Times v. 21. April 2022, Obama calls for more regulatory oversight of social media giants, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 04/ 21/ technology/ obama-stanford -tech-regulation.html Act (→ Kapitel 3.9.2) grundsätzlich zu überarbeiten. In der Diskussion um Hass, Hetze und Desinformation sei man allzu fokussiert darauf, was die Leute posten; dagegen dränge sich ein Perspektivenwechsel auf: Das dringlichere Problem sei, wie und warum die Plattformunternehmen solche Inhalte nicht nur zuließen, sondern stützten - und wie ihre Operationslo‐ gik geändert werden könnte. Nun müsste, metaphorisch gesprochen, die Krankheit selbst angegangen werden, nicht allein die Symptome. „These companies need to have some other North Star than just making money and increasing profit shares.” 89 Obama knüpfte seine Bemerkungen an eine über netzpolitische Kreise hinaus schon länger geführte Diskussion über negative Externalitäten, die von den Geschäftsmodellen der großen Onlineplattformen ausgingen (vgl. Bennett 2021). Gemeint sind meist die Verbreitung von Hate Speech, Lügen, Gewaltaufrufe, Desinformation, Betrugsformen jeglicher Art und mangelnde Sicherung vor Einmischungen fremder Staaten in Wahlen u. Ä. (vgl. Verveer 2019). Negativ extern: weil sie nicht als Motive der Unterneh‐ men selbst verstanden werden, sondern als unerwünschte Nebenwirkungen, die den demokratischen Prozess und den gesellschaftlichen Zusammenhalt leichtsinnig aufs Spiel setzten. Solche sozialen und politischen Kosten würden die zweifelsohne vorhanden positiven Aspekte der Plattformen überschatten. „Disruptive content may be good for business but bad for democracy.“ (Bennett 2021, S. 13) Eine positive Externalität wäre dagegen beispielsweise eine besser informierte Bürgerschaft - fundamental für den demokratischen Prozess, aber eben nicht Leitmotiv der Unternehmen (vgl. Napoli 2019, S.-113). Das Konzept der negativen Externalitäten respektive die Diskussion da‐ rum umfasst also Wirkungen, die mit Erwartungen kollidieren: die der Unternehmen, der Politik oder Gesellschaft. Eine auch in der Netzpolitik greifende grundsätzliche Problematik ist, wie solche Folgen minimiert wer‐ den können, ohne die vorhandenen positiven Effekte zu schwächen. Neu ist diese Problematik und der Streit über den Umgang damit im Mediensektor tatsächlich nicht: Fragen zur Regulation drehten sich oft um demokratie‐ theoretisch begründete Normen, die zugleich nicht in die verlegerischen Freiheiten eingreifen oder die Freedom of Expression einschränken wollten. 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? 279 <?page no="280"?> „Any governmentally-required impositions necessarily must be limited to countering platform externalities, not platforms’ editorial judgments.“ (Verveer 2019, o. S.) Die legale Sphäre, in der negative Externalitäten von Netzplattformen verhandelt werden, ist also eng verbunden mit dem First Amendment - was wiederum das Regulierungsrepertoire der Politik stark einschränkt, da der Verfassungszusatz keinen Gesetzesvorbehalt kennt und entsprechend strikt ausgelegt wird. Lange Zeit war die Netzpolitik in den USA die Domäne einer übersicht‐ lichen Gruppe technikaffiner Kongressmitglieder. Das änderte sich ab etwa der Jahrtausendwende sukzessive mit der steigenden Bedeutung von Netz‐ technologien und mit dem Aufkommen der Social Media. Insbesondere die Präsidentschaftswahl 2016 mit Vorwürfen des massiven Datenmissbrauchs, der Einflussnahme ausländischer Akteure, Hypertargeting mittels künstli‐ cher Intelligenz, Datenmissbrauch, Desinformation und Täuschung hatten nun größere Teile des Kongresses alarmiert und zu einer Reihe Anhörungen animiert. Heute lassen sich im Wesentlichen drei Felder der netzpolitischen Debatte unterscheiden: Das wohl älteste beschäftigt sich mit wettbewerbs- und kartellrechtlichen Fragen der Big Tech. Das zweite Feld umfasst die Problematik, wie schädliche Inhalte wie z. B. Hass und Hetze verhindert und verbannt werden könnten und welche Regeln dabei den Plattformbetreibern auferlegt werden sollten und können. Hinzu kommt schließlich die Frage, ob und wenn ja: wie Social-Media-Unternehmen als Nachrichtenorganisa‐ tionen zu behandeln wären, die Einfluss auf Meinungsbildungsprozesse nehmen und regulatorisch entsprechend bedacht werden müssten (vgl. Napoli & Caplan 2017). Verbindendes Glied der drei Problemfelder ist die basale Auseinanderset‐ zung darum, ob auch in diesem Politiksektor das z. B. beim Rundfunk traditionelle Konzept des Public Interest greifen könnte, ob also die Unter‐ nehmen dem Interesse der Gemeinschaft verpflichtet werden könnten. Genau darin spiegelt sich der Doppelcharakter von Firmen wie Facebook oder Twitter o. Ä. als einerseits gewinnorientierte Organisationen, ande‐ rerseits Plattformen für gesellschaftliche und politische Meinungsbildung (vgl. Rinsdorf & Kamps, i. E.). Historisch hat die US-Politik überwiegend das Leitbild einer kommerziellen Medienstruktur verfolgt, während Fragen des öffentlichen Interesses insbesondere im Vergleich mit Europa meist randständig behandelt wurden - und wenn, dann äußerst kontrovers. Die aufkommende Netzdebatte stellt insofern einen spürbaren Bruch dar zur traditionell ökonomisch geprägten amerikanischen Medienpolitik. 280 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="281"?> Dabei sind es anfangs vornehmlich kartellrechtliche Fragen, die das Politikfeld bestimmten. Besonders das schnelle Wachstum der großen Platt‐ formen wie Facebook, Google oder etwas später Twitter verbunden mit offenkundigen Nachteilen für kleinere Wettbewerber war bald Thema im Kongress. Das rasch gängige Akronym GAFAM für die fünf großen IT- und Netzunternehmen Googel, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft steht nachgerade sinnbildlich für die Monopolstrukturen der binnen weniger Jahre riesigen Wirtschaftsbranche. Und während nun diese Unternehmen den Alltag der Gesellschaft Stück für Stück durchdrangen, hatten Marktdo‐ minanz, Marktzutrittsbarrieren und der Mangel an Wettbewerb zu einer längeren Liste formeller Monopol- und Kartelluntersuchungen geführt: Innerhalb etwa eines Jahrzehnts beschäftigten sich die Staatsanwaltschaften aller fünfzig Bundesstaaten und natürlich der Kongress etliche Male mit den fünf Big Tech-Unternehmen. Dabei wurde anfangs nur vereinzelt die Frage nach einem Public Interest aufgeworfen: Ein, wie gesagt, gänzlich anderer Zugang zur Medienpolitik, der über das Wettbewerbsrecht hinaus geht. Gegenüber der kommerziellen Perspektive auf das Mediensystem der USA wird der Gedanke an eine möglicherweise vorzugebende Gemeinwohlorientierung von Medienunter‐ nehmen oft mit einer kleinen Volte legitimiert, die sich aus dem First Amendment ablesen lässt - so zumindest eine Position: Danach enthält die Formel „Congress shall make no law […] abridging freedom oft the press“ die Prämisse, eine privatwirtschaftlich organisierte Presse müsse geschützt werden. Eine solche Presse wäre dabei eigentlich schon durch die Redefreiheit ihrer Besitzer und vor allem durch den bereits verfassungs‐ rechtlich gegebenen Schutz des Privateigentums hinreichend gesichert. Es bräuchte für die Wirtschaftsfreiheit der Branche keinen weiteren, schon gar nicht derart prominenten Paragraphen. Dass der Verfassungszusatz, so das Argument, überhaupt gesondert auf die Presse eingehe, sei ein Beleg dafür, dass die Framers ihr als schutzwürdige Institution eine eigene Verantwortung für den Erhalt der freiheitlichen Gesellschaft übertragen hätten, die über ihren Charakter als Wirtschaftsgut hinaus ginge. Damit war das „öffentliche Interesse“ an verschiedenen Stellen der ame‐ rikanischen Mediengesichte Thema: beim Rundfunk, in der Hutchins Com‐ mission, in vielen Analysen der FCC und natürlich manifest in der Fairness Doctrine. Allerdings: Auf welch schwachen Füßen Public Interest-Überle‐ gungen in der amerikanischen Medienpolitik steht, illustriert beispielhaft eine im März 1997 von Bill Clinton eingesetzte Kommission mit dem 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? 281 <?page no="282"?> 90 Vgl. https: / / www.justice.gov/ opa/ press-release/ file/ 1328941/ download bezeichnenden Titel Advisory Committee on the Public Interest Obligations of Digital Television Broadcasters. Zwar befasste sich das Gremium „nur“ mit dem digitalen Fernsehen; es verhandelte aber zur Zeit eines technolo‐ gischen Umbruchs über normative Folgen für eine künftig neu sortierte Medienlandschaft. Als „öffentliches Interesse“ rang diese Kommission sich seinerzeit zu der Empfehlung durch, politischen Kandidaten unmittelbar vor Wahlen Sendezeit einzuräumen - was umstandslos vom Kongress abgelehnt wurde (vgl. Napoli 2019, S.-161). So ist es also tatsächlich „typisch“, wenn Kartellfragen und damit das Handelsrecht die amerikanische Netzpolitik prägen. Und d. h. beispielsweise konkret, dass ein Fokus darauf gelegt wurde, den Wettbewerb nicht nur zu erhalten, sondern neu zu fördern und Innovationen anzuregen. Denn Firmen wie Google oder Amazon hatten in ihren Wirtschaftssektoren den Winner- Takes-All-Charakter digitaler Märkte hinreichend demonstriert. Netzwer‐ keffekte und hohe Investitionskosten hatten rasch Barrieren gegenüber neuen Mitbewerbern geschaffen. Aus der Sicht der Regulierer sind damit nicht nur etwa Datenschutzprobleme verbunden, sondern auch solche der Interoperationalibität und Fragen der Innovation und Entwicklung durch kleinere und mittlere Unternehmen auf den marktbeherrschenden Plattfor‐ men. Das umfasst übrigens auch die schon an anderer Stelle angesprochene Norm der Netzneutralität (→ Kapitel 3.9.3). Und schließlich sind es die von der Federal Trade Commission begleiteten Fusionen und Aufkäufe, die wie in anderen Wirtschaftszweigen als wettbewerbsfördernde Hebel eingesetzt werden können (vgl. Kimmelmann 2019). Konkret ist derzeit beispielsweise eine Kartellklage des Justizministe‐ riums in Verbund mit elf Bundesstaaten gegen Google anhängig: „to res‐ train Google LLC (Google) from unlawfully maintaining monopolies in the markets for general search services, search advertising, and general search text advertising in the United States through anticompetitive and exclusionary practices, and to remedy the effects of this conduct.“ 90 Im Oktober 2020 bei einem Bezirksgericht in Washington D. C. eingereicht, wird das Verfahren geschätzt im Herbst 2023 eröffnet und dürfte, wenn die Appellationsinstanzen bemüht werden, rund um das Jahr 2027 sein Ende finden (vgl. Wheeler & Verveer 2021): Neben allen inhaltlichen Fragen (die sich so gut wie nie auf die Branche als Ganzes beziehen), ist in solchen Verfahren also auch eine Zeitschiene zu beachten (weit weniger bei 282 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="283"?> Selbst-Regulierungsprozessen). Andere Klagen beschäftigen sich konkret mit Preisabsprachen oder einzelnen Fusionen; im Fall von Facebook ist das die Übernahme von Instagram und WhatsApp oder ganz aktuell für Microsoft der von der FTC äußerst kritisch betrachtete Versuch, ActiVision Blizzard zu kaufen, eine Gaming-Firma, oder der von Meta, Within zu übernehmen, eine virtuelle Fitness-Plattform. Interessanterweise verbindet sich mit den Konflikten um Monopole und Kartelle in der Branche schon früh ein transatlantischer Blick darauf, wie wohl die Europäische Union mit solchen Fragen umgehe. „As Europe leads efforts to implement remedies for violations, and numerous nations proceed with their investigations, we will increasingly have a better sense of how much antitrust will tame the growing dominance of a few enormous tech platforms over the global digital economy.“ (Kimmelmann 2019, o. S.) Vor allem hat sich die EU weit weniger zurückhaltend erwiesen im Vergleich mit der nichtinterventionistischen Regulierungsphilosophie der USA: „while the U.S. has effectively turned a blind eye, the Europeans have for several years been searching for effective solutions.“(Wheeler & Verveer 2021, o. S.) Zuletzt hat der Digital Markets Act der EU vom November 2022 Aufmerksamkeit erregt, respektive das Gatekeeper-Modell dieses Gesetzes‐ paketes. Damit werden (entlang einiger ökonomischer Schwellenwerte) Digitalfirmen wie eben die Facebook oder Google oder Twitter als „Türsteher“ zur digitalen Sphäre markiert: als für die ökonomische oder gesellschaftliche Teilhabe übermäßig relevante, zentrale Akteure, die deshalb besondere Verantwortung übernehmen müssen, u. a. in Form von konkreten (und europaweit harmonisierten) Verfahren zur Löschung von illegalen Inhalten. Bemerkenswert, dass die Regulierungsansätze der Europäischen Union wohl auch gerade deshalb die Aufmerksamkeit der amerikanischen Fachöf‐ fentlichkeit erregen, weil die kontinentaleuropäische, stärker gemeinwoh‐ lorientierte Politik eine Leerstelle in der amerikanischen Regulierungstra‐ dition aufdeckt. Vor allem der Medienjournalismus porträtiert die EU dabei als eine Art Regulierungslabor, das sich an strengere Normen heranwagt, und das es sorgfältig zu beobachten gälte, um gegebenenfalls aus Erfolg und Unsinn zu lernen (vgl. Rinsdorf & Kamps, i. E.). So ist beispielsweise der 2018 im Kongress verabschiedete Social Media Privacy Protection and Consumer Rights Act deutlich inspiriert von der Europäischen Datenschutz‐ verordnung. Das ist allerdings mehr die Ausnahme als die Regel: Denn die Europäische Union arbeitet eher proaktiv, während Amerika weitaus vorsichtiger (re-)agiert (Verveer 2019). Als gefährlich ambitiös wird die 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? 283 <?page no="284"?> EU dabei u. a. deshalb angesehen, weil mit der Regulierung der großen Plattformen indirekt auch Hunderttausende kleinerer Unternehmen und Betriebe betroffen sind (vgl. Bennett 2021). Weitaus breitere Öffentlichkeit als Kartellklagen erlangten eine Reihe an Anhörungen im Sommer 2017, in denen u. a. die Mechanismen von Desinformationskampagnen untersucht wurden. Facebook und andere Platt‐ formunternehmen gerieten dort (und im Mueller Report) in kritisches Fahr‐ wasser: Big Tech, so ein Ergebnis, habe weder Datenmissbrauch, nicht die systematische Verbreitung von Desinformationen noch den Einsatz manipu‐ lativer Social Bots (mutmaßlich russischer Herkunft) unterbunden und u.-a. damit dem demokratischen Verfahren in der Präsidentschaftswahl erheblich geschadet. Auch die Brexit-Kampagne und der mit dem Trump-Wahlkampf 2016 auf Facebook verbundene Skandal um Cambridge Analytica hatten u. a. die Gefährdung von Transparenznormen drastisch vor Augen geführt und die Debatte um Notwendigkeiten wie Möglichkeiten der Regulierung angefeuert. „The Brexit campaign in the United Kingdom and the election of Donald Trump in the United States are among the most prominent examples of disinformation campaigns intended to disrupt normal democratic order, but many other nations display signs of disinformation and democratic disruption.“ (Bennett & Livingston 2018) Dabei sind solche Kampagnen natürlich nicht auf Wahlkämpfe be‐ schränkt. Abseits z. B. von den schier immensen Zahlen der tagtäglichen Kommunikationsakte in den Sozialen Medien, geht es in Regulierungsfra‐ gen auch um Parteipolitik und solche der politischen Kultur. Gerade die Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Social-Media-Plattformen durch politische Akteure, der Einsatz von künstlicher Intelligenz, Fake- Profilen und Bots haben in den medienpolitischen Kreisen der westlichen Demokratien und auch in den Unternehmen selbst Überlegungen zur Selbst‐ regulierung angeregt. Immerhin wurden vor den Zwischenwahlen 2018 Fake Accounts deutlich verstärkt bekämpft (vgl. Bieber et al. 2020). Dabei dürfte angesichts immer wieder aufkeimender Fake-News-Debatten eine Rolle gespielt haben, das Image sorgloser Vertriebsplattformen abzuschütteln. So meldete Facebook allein für das erste Vierteljahr 2018 die Schließung von über 500 Millionen solcher falscher, automatisierter Profile, und auch Twitter sprach von neun Millionen geschlossenen Konten - pro Woche (Napoli 2019, S.-167). Gleichzeitig wurden bei Facebook allerdings Versuche mit Trust-Indikators wieder abgesetzt, weil Analysen deren Unwirksamkeit andeuteten, oder schlimmer noch, den Forbidden Fruit Effect: Das Interesse 284 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="285"?> 91 Vgl. hier: https: / / www.npr.org/ 2020/ 05/ 29/ 864818368/ the-history-behind-when-the-lo oting-starts-the-shooting-starts für Nachrichten, die als unglaubwürdig oder gefährlich ausgeflaggt wurden, stieg oft sogar an (ebd., S.-165). Welches Konfliktpotenzial in der Selbstregulierung liegt, zeigte die Aus‐ einandersetzung um die Zertifizierung der Präsidentschaftswahl 2020, von der Trump anschließend permanent behauptete, sie sei ihm durch List und Tücke gestohlen worden - wobei seine Profile z. B. bei Twitter und Facebook nach dem Sturm auf das Kapitol gesperrt wurden. Abgesehen von der Frage nach der Faktizität solcher Behauptungen, verweist dieses Beispiel auf regulierungspolitische Folgen: Denn nicht erst mit der Big Lie verknüpft sich oft genug parteipolitisch motivierte De-Legitimation von Selbstregulationsprozessen durch Plattformbetreiber als Zensur und Cancel Culture. Dabei hatte Trump noch in seiner Zeit als Präsident tatsächlich einen Erlass herausgegeben: Ende Mai 2020 die Executive Order on Preventing Online Censorship, die u. a. die Federal Communications Commission dazu aufforderte, Section 230 zu überdenken - nicht, wie eingangs dieses Kapitels zitiert, mit Barack Obama aufgrund negativer Externalitäten, sondern weil Twitter tatsächlich einen Post von ihm als „gefährlich“ gekennzeichnet hatte: In dem Tweet hatte der damalige Präsident Trump auf die Black Lives Matter-Demonstrationen reagiert mit „when the looting starts, the shootings starts“. 91 Kern des Streits um Selbstregulation ist dann oft genug die Frage, was konkret ein potenziell gefährlicher Post sei - und wer das zu bestimmen habe. So wollte eine Kongressvorlage durch die Republikaner schon 2019 mit dem Titel Ending Support for Internet Censorship Act von den Providern eine neutrale Moderation garantiert sehen, was wiederum die Federal Trade Commission zertifizieren möge. Florida und Texas - konservativ regierte Staaten - haben die Löschung von Inhalten per Gesetz verboten (vgl. Bennett 2021, S. 3). In einem ähnlichen gelagerten Vorgang riet das den Republikanern zugeneigte Beratungsinstitut Heritage Foundation (2020) in einem Strategiepapier vom 1. Dezember 2020 den Republikanern dazu, sich nicht den Überlegungen der Demokraten anzuschließen, die großen Tech‐ nologieunternehmen über eine Ausweitung des Kartellrechts zu regulieren. Tatsächlich läge man schon richtig in der Vermutung, Unternehmen wie Facebook oder Twitter würden Zensur ausüben - insbesondere gegenüber den Republikanern. Wenn man nun allerdings gemeinsam mit den Demokra‐ 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? 285 <?page no="286"?> 92 Vgl. https: / / www.eui.eu/ events? id=551676 ten (und ihrem „far-left approach“) die Wettbewerbsbehörden des Bundes stärken würde, schüfe man einen Präzedenzfall - für andere Branchen, in denen sich die Demokraten angeregt fühlen könnten, alles zu regulieren, was ihnen zu „Big“ geriete. Wahrscheinlich werden künftig unterschiedliche Modelle der „regulier‐ ten Selbst-Regulierung“ eine größere Bedeutung gewinnen, wobei die stän‐ dige Begleitung und korporative Evaluation der jeweils implementieren Verfahren notwendig sein dürfte. Ein Beispiel für einen solchen zyklischen Prozess ist der Code of Practice on Disinformation, den Facebook, Google und Twitter im September 2018 erstmals als freiwilliges Instrument zur Bekämpfung von Desinformation bei der Europäischen Union vorlegten. Er beinhaltet das Versprechen größerer Transparenz zur politischen Werbung auf ihren Plattformen, ein strikteres Vorgehen gegen Bots und verschiedene Modelle zur Identifikation von Desinformation oder die Empfehlung alter‐ nativer Quellen und mehr (vgl. Napoli 2019, S. 182). Nachdem der Vorschlag von der Europäischen Kommission im Detail besprochen und zurückgespie‐ gelt wurde, legten die Konzerne schließlich im Juni 2022 eine überarbeitete Version vor, einen „Strengthened Code of Practice“. 92 Ob sich in einem solchen Prozedere auf Dauer praktische Branchen- und Industriestandards entwickeln können, bleibt indes abzuwarten. Nach Fragen des Wettbewerbs- und Handelsrechts sowie der Selbstregu‐ lierung im Kontext von Desinformation, Bots, Hass- und Hetzbotschaften u. Ä., hat sich in den letzten Jahren ein dritten Problemfeld entwickelt, dem ebenfalls die basale Frage zugrunde liegt, wie Social-Media-Unternehmen - zumindest einige von ihnen - zu mehr Verantwortung gegenüber einem öffentlichen Interesse gedrängt werden könnten. Implizit liegt diesen Über‐ legungen die Prämisse zugrunde, dass z. B. Facebook und Twitter auf ihrem jeweiligen Gebiet in der Tat Monopole darstellten und genau deshalb eine Beschäftigung mit ihnen über das Public Interest-Modell des First Amendment in Betracht käme. Insbesondere betrifft das die Frage, ob einige Social-Media-Plattformen als Nachrichtenorganisationen einzuschätzen wären (vgl. Napoli 2015, 2019; Napoli & Caplan 2017). Das beruht darauf, um hier beim Beispiel Facebook zu bleiben, dass die Plattform schon lange nicht mehr - wie zur Zeit ihrer Gründung - als Pull-System funktioniert, in dem Nutzer dort selbst allein aktiv nach Informationen über z. B. Kommilitonen suchen konnten; 286 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="287"?> vielmehr fungiert sie als Push-System, das Informationen automatisch (und algorithmisch gefiltert) an die User weiterleitet, darunter auch konkret über einen News Feed, dessen Nachrichtenwerte in letzter Instanz allerdings nicht journalistisch bestimmt werden, sondern über einen Algorithmus personalisiert (vgl. Napoli 2019, S.-63). Darüber haben sich inzwischen die großen Plattformen als wesentliche, oft sogar primäre Informationsquelle von großen Teilen der Bevölkerung entwickelt (vgl. z. B. Pew Research Institut v. 20. September 2022). Doch insistieren eben Twitter oder Facebook darauf, allein technische Plattformen zu sein, nicht Medien vergleichbar mit einer Tageszeitung oder einem Nach‐ richtenkanal. „In this regard, these social media companies are following a pattern established and maintained by other digital media companies, such as Google and Apple, in insisting that they not be thought of as media companies.“ (Napoli & Caplan 2017, S.-2) Dieser Selbstdefinition als Technikkonzern liegt zweifelsohne auch der Gedanke zugrunde, dass eben ein anderes Verständnis des Unternehmens und des Geschäfts, das man betreibt, grundlegende Implikationen für die Regulierungspraxis haben dürfte. Zentral für diese Position ist das Argu‐ ment (das man schon aus der vor vielen Jahren geführten Debatte um Section 230 kannte, → Kapitel 3.9.2), man produziere ja selbst keine Inhalte. Das, freilich, wirft sofort die Frage auf, ob dieses Kriterium ausschlaggebend sei - denkt man z. B. an einen Musiksender, der in der Regel auch nicht die Musik herstellt, die er ausstrahlt. Damit wäre zu diskutieren, welche konkreten Tätigkeiten ein Medienunternehmen als solches ausmache. „Traditionally, the industrial organization of media has been described in terms of three fundamental - but seldom mutually-exclusive - activities: 1) production (exemplified by content creators such as news outlets and television studios); 2) distribution (the process of moving content from producers towards consumers); and, 3) exhibition.“ (Napoli & Caplan 2017, S.-4) Nun finden sich in der Geschichte der US-Medienpolitik genügend Bei‐ spiele dafür, dass Medienregulierung andere Merkmale als allein die Pro‐ duktion von Inhalten berücksichtigt, wenn es um Fragen der Normierung von Unternehmen oder Geschäftsmodellen geht. So sind beispielsweise die Kabelnetze nach einer Supreme Court-Entscheidung von 1968 (United States v. Southwestern Cable) in Teilen zumindest dem traditionellen Fernsehen ähnlich und verbreiten denselben Inhalt - und unterliegen damit dem Regulierungsregime der Federal Communications Commission, was u. a. bestimmte Konzentrationsregeln (Besitz) aktivierte (vgl. Napoli 2019, S. 147). 6.3 Public Interest in der digitalen Medienlandschaft? 287 <?page no="288"?> Ein weiteres Argument aus der Sicht der Social-Media-Betreiber lautet, ihre Interaktion mit den Nutzern unterscheide sich deutlich von den Pub‐ likumsbeziehungen, die klassische Medien pflegen. Schließlich orientiere man sich nicht an einer dispersen Masse; vor allem sei man nicht mit Blick auf ein Zielpublikum editorisch tätig, so wie etwa eine Tageszeitung oder ein Fernsehformat in einem bestimmten Markt. Demgegenüber wird argu‐ mentiert, auch ein Algorithmus, der Inhalte zusammenstellt, orientiere sich letztlich an wahrgenommenen Präferenzen der Nutzer. Damit ist einerseits zwar gut nachzuvollziehen, warum Social Media sich nicht als Broadcaster verstehen. Andererseits sind sie aber im Effekt eben doch Gatekeeper, nicht zuletzt, weil sie nicht „nur“ private Informationen in übersichtlichen „Gruppen“ vermitteln, sondern empirisch seit inzwischen vielen Jahren eine zentrale Instanz sind in der Verbreitung und Rezeption (insbesondere bei jungen Nutzern) von Nachrichten, die klassische Medien wie Zeitungen oder Rundfunkanstalten über die Plattform anbieten (vgl. Napoli 2015). So ist es dann dieser rezipientenorientierte, funktionale „Türsteher“-An‐ satz, den z. B. die Europäische Union verfolgt, um einige Normen im Digital Market Act zu begründen. Die EU hat damit die Annahme verworfen, Plattformen wie Facebook könnten allein als technologische Unternehmen verstanden werden, nicht als Medien. Gelesen werden darf das als ein Schritt, die Parameter der hybriden Medienlandschaft - vorläufig - neu zu bestimmen und darüber die Regulierung von großen Inhalteanbietern oder -vermittlern zu modifizieren. Ob die USA zu ähnlichen Regeln finden könnte, muss abgewartet werden: Fragen der Netzpolitik hatten spätestens mit der Diskussion um die Netz‐ neutralität erst die Parteipolitik erreicht, dann massiv ihre Kampagnenst‐ rategien und zuletzt eine vehemente und auch politisch geführte Debatte um eine Cancel Culture. Für eine sachorientierte Analyse und reflektierte Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Bedingungen, sozialen Gege‐ benheiten und differenzierten Effekten ist das nicht die beste Voraussetzung. 288 6 Entwicklungslinien, Trends und Konflikte <?page no="289"?> 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit Unter den Anekdoten, die sich in den USA rund um die Gründung der Nation ranken, dürfte sie eine der bekanntesten sein: Nach der Unterzeichnung der Verfassung am 17. September 1787 wurde Benjamin Franklin, als er in Philadelphia die spätere Independence Hall verließ, von einer Bürgerin aufgehalten und gefragt, was für einen Staat man eben gegründet habe. „What kind of government do we have, Doctor Franklin? A monarchy? Or a republic? “ Franklins berühmte Antwort: „A republic. If we can keep it.“ Ein Republik also. Wenn man sie denn bewahren könne. Die Gründer der Vereinigten Staaten waren sich sehr bewusst, dass sie ein fragiles Konstrukt entworfen hatten, ein gefährdetes Unternehmen - ohne historisches Vorbild. Zwar referierten sie auf Philosophen der Aufklärung, und sie konnten mitunter auf britisches Recht zurückgreifen: etwa in der Frage des Impeachments auf eine fast vergessene Klausel aus dem 14. Jahrhundert (Lepore 2019). Doch im Kern wagten sie sich auf uner‐ probtes Terrain. Entsprechend langwierig gestaltete sich der Entwurf der Verfassung, und umso intensiver wurde im Sommer 1787 im Pennsylvania State House debattiert. Dabei war das Verhältnis der Einzelstaaten zum Bund, insbesondere die Kompetenzen einer Zentralregierung ein zentraler Streitpunkt. Ausführlich beschäftigte sich die Versammlung auch mit der Frage, wie man das Re‐ gierungssystem vor üblen Gestalten schützen könnte. Dass eine einzige Person an der Spitze der Regierung stehen sollte, war tatsächlich unklar (vgl. Priess 2018). Für einige Zeit dachte die Versammlung offenbar an eine Art Direktorium. Man einigte sich schließlich auf das Modell der Checks and Balances - der gegenseitigen Kontrolle der drei Staatsgewalten, der Branches of Government (Schrejter 2018): An der Wiege der USA stand ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber dem Machtstreben einzelner Personen und Gruppen, der Factions - seinerzeit ein Schimpfwort für politischen Klüngel und Partikularinteressen. „Ambition must be made to counteract ambition“, so formulierte es James Madison im 51. Artikel der Federalist Papers: Das zielte auf den Kongress und das Amt des Präsidenten. Verhindert werden sollten willkürliches Gehabe und Despotie durch einen schwer verdaulichen Ersatzkönig und vor allem - durch einen Demagogen (Bieber & Kamps 2020a, S.-6). <?page no="290"?> Weitgehend Einigkeit herrschte daher in der Frage der Rede- und Presse‐ freiheit, deren Bedeutung für ein selbstbestimmtes Leben und die Abwehr autoritärer Ambitionen in den Kolonien schon vor der Revolution erkannt worden war. Was in den Sozialwissenschaften später als Eckpunkte einer öffentlichen Sphäre modelliert wurde (z. B. Habermas 1990), hatte für die Verfassungsgeber im späten 18. Jahrhundert einen praktischen Wert - so bedeutsam wie das demokratische Wahlrecht selbst: der freie Austausch von Meinungen, der Streit um Vorhaben und Ziele, die Teilhabe an öffentlicher Debatte nachgerade als Legitimationsprinzip der Republik, die sich Tag für Tag beweisen müsste. In den Worten von Justice Louis Brandeis vom Supreme Court 1927: „Those who won our independence believed that the final end of the State was to make men free to develop their faculties […]. They valued liberty both as an end, and as a means. […] They believed that freedom to think as you will and to speak as you think are means indispensable to the discovery and spread of political truth; that, without free speech and assembly, discussion would be futile […]; that public discussion is a political duty, and that this should be a fundamental principle of the American government.“ (Zit. n. Wu 2017a, S.-48-49) Ähnliche Argumente des Supreme Court finden sich in weiteren Urteilen, darunter das Bild des Marketplace of Ideas als basale Funktion des US- Mediensystems (→ Kapitel 3.3.2). „Gäbe es kein Babel, so müsste man es erfinden“, so ein Bonmot des Philosophen Karl Popper (1995, S. 173): In der offenen Gesellschaft sollten sich politische Positionen in einem transparenten, pluralen Diskurs (auf dem Marktplatz der Ideen) behaupten und sich Vorhaben, Ziele und die Wege dorthin einem diskursiven Trialand-Error-Verfahren stellen. Ein überaus pragmatischer Gedanke der Auf‐ klärung; an die Stelle des absoluten Wahrheitsanspruches tritt die Idee der vielfältigen Publizität. Von Popper (1992, S. 145) stammt noch der schöne Hinweis, es käme in der Demokratie nicht nur darauf an, wie man seine Amtsträger wähle, sondern auch: wie man möglichst rasch und unblutig solchen Personen aus der Verantwortung ziehe, die sich als unfähig, selbstsüchtig oder korrupt erweisen. Eine institutionelle Vorkehrung dazu wäre eine von machtpolitischen Einflüssen unabhängige Medienlandschaft, eine Öffentlichkeit unter dem Schutzschirm der Kommunikationsfreiheiten, in der sich politische Argumente behaupten sollten. Trial and Error: das umfasst nicht nur die schlichte Information über Sachverhalte und Vorhaben - also Transparenz -, sondern ein reflexives System, das in der Lage ist, 290 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="291"?> 93 Vgl. z.-B. https: / / www.washingtonpost.com/ politics/ 2021/ 01/ 06/ lets-have-trial-by-com bat-how-trump-allies-egged-violent-scenes-wednesday/ 94 Vgl. die Darstellung der New York Times, https: / / www.nytimes.com/ 2021/ 01/ 10/ us/ tru mp-speech-riot.html? action=click&module=Spotlight&pgtype=Homepage Fehlentwicklungen wahrzunehmen, offenzulegen und Korrekturen anzure‐ gen; friedliche Korrekturen, muss man hinzufügen. - Gerichtsverfahren im Schlachtformat? „Trial by combat“ - plastischer und gegensätzlicher hätte es Rudolph W. Giuliani, der persönliche Anwalt Donald Trumps, kaum ausdrücken können, als er am 6. Januar 2021 auf einer Veranstaltung in Washington D.C. die versammelten Anhänger seines Klienten zumindest darin bestärkte, vor das Kapitol zu ziehen und gegen die Zertifizierung der Wahlergebnisse zu, nun ja, demonstrieren  93 . Trump selbst hatte tagelang über Twitter („will be wild“) zu dem eingeladen, was sich als Get Together einer auch gewaltbereiten Menge herausstellen sollte. In der Rede des Präsidenten fanden sich dann Sätze wie „You have to show strength! “, „You are allowed to go by very different rules“, „We will not take it anymore […]. And we are going to have to fight much harder“ und „If you don’t fight like hell, you’re not going to have a country anymore“ 94 : Was im Januar 2017 als die Präsidentschaft alternativer Fakten mit der Rede von einem American Carnage begann - einem amerikanischen Blutbad -, endete vier Jahre darauf mit einer beispiel‐ losen Stop-the-Steal-Kampagne und der ähnlich historischen Stürmung des Kongresses durch Anhänger des Wahlverlierers. Wenn es nicht wortwörtlich fatal gewesen wäre (bei der Attacke starben fünf Menschen) - man könnte die Versuche Trumps und seines Lagers, den Ausgang der Wahl zu „drehen“, als unterhaltsame Miniserie verfilmen. Das beginnt bei dem schlichten Versuch, gegen alle Auszählungen und alle späteren Überprüfungen stur anzubehaupten, man habe gewonnen („we won by a landslide“). Und es blieb auch nicht bei dem gesichtswahrendem Narrativ, Trump verarbeite mit seinen Kommentaren eine vorübergehende Autoimmunreaktion gegen Stimmergebnisse. Noch in der Wahlnacht hatte sein Stabschef Mark Meadows den Entwurf einer Strategie vorliegen, deren Rationale lautete, die republikanisch kontrollierten Parlamente in Georgia, North Carolina und Pennsylvania sollten die Wahlen rundweg zu „BS“ 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 291 <?page no="292"?> 95 Vgl. Washington Post v. 15. Dezember 2021, The GOP plotted to overturn the 2020 election before it was even over; https: / / www.washingtonpost.com/ politics/ 2021/ 12/ 1 5/ gop-plotted-overturn-2020-election-before-it-was-even-over/ 96 Z. B. New York Times v. 17. November 2020, Which Four Seasons? Oh, not that one, https : / / www.nytimes.com/ 2020/ 11/ 07/ us/ politics/ trump-books-four-seasons.html? searchRe sultPosition=9 97 https: / / www.washingtonpost.com/ lifestyle/ style/ rudy-giuliani-press-conference-trum p-election/ 2020/ 11/ 19/ 9192f928-2a9d-11eb-92b7-6ef17b3fe3b4_story.html (Bullshit) erklären. 95 Vier Tage darauf, als die Stimmen eben aus diesen Staaten den Ausschlag machten für Joe Bidens Sieg, gab Rudolph Giuli‐ ani in Philadelphia eine denkwürdige Pressekonferenz auf dem staubigen Parkplatz des Gartencenters Four Seasons Total Landscaping: weitab vom Stadtzentrum, in unmittelbarer Nachbarschaft eines Krematoriums, eines Adult-Shops und, wenn man der Straße weiter folgte, auf direktem Weg zur örtlichen Justizvollzugsanstalt - wie kritische Medien süffisant notierten. 96 Wahrscheinlich lag eine Verwechslung vor, bei diesem Auftakt für nicht enden wollende Andeutungen über eine gigantische Wahlverschwörung (vgl. Bieber & Kamps 2020b). Zur Farce geriet nach dutzenden abgewiesenen Klagen vor den Gerichten der Swing States noch ein weiterer Auftritt, in dem Giuliani eine historische Posse unterstellte, an der China, Kuba, Venezuela, ein bisschen Argentinien, die Antifa, Globalisten, Diktatoren jeder Couleur und natürlich George Soros sowie die Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley beteiligt seien. Auch, irgendwie, ein Netzserver in Frankfurt am Main. Selbst Mickey Mouse habe für Biden gestimmt. Trumps Anwälte stapelten „fraud“, „crimes“, „scheme“, „steal“ und dann ganz oben drauf patriotisches Gedenken der Revolutionszeit: „It is the 1775 of our generation“ 97 (vgl. Kamps 2021). Was Trump und seine Mitstreiter in diesen Wochen nach der Präsident‐ schaftswahl 2020 unternahmen, entsprach in einem technischen Sinn nur deshalb nicht dem Versuch eines formidablen Staatsstreichs, weil das Militär außen vor gelassen wurde. Und selbst das war nicht selbstverständlich: Als gerüchteweise aufkam, man plane frei nach Bertolt Brecht, sich in Form eines neuerlichen Wahlgangs einfach ein neues Volk zu wählen und diesen spontanen Urnengang durch die Armee sichern zu lassen, erklärten alle noch lebenden ehemaligen Verteidigungsminister der USA vorsorglich, man möge die Truppe aus dem Unsinn heraus halten (vgl. Bieber & Kamps 2021). Jedenfalls scheiterte die Kampagne vor unzähligen Bezirks- und Bundesgerichten und in den Wahlkommissionen und lief ins Leere zu. „Zum 292 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="293"?> Glück für die amerikanische Demokratie war das demokratische Ethos der verantwortlichen Politiker in den Einzelstaaten, oftmals Republikaner, stärker ausgeprägt als dasjenige des US-Präsidenten und auch zahlreicher Republikanischer Mitglieder im Kongress, die ihrem Präsidenten in blinder Loyalität folgten.“ (Adorf & Horst 2021, S.-11) - Nach dem 6. Januar Mit welchem Preisschild die Präsidentschaft Trump ausgeliefert wurde, wie sehr die demokratischen Institutionen beschädigt waren, zeigte sich dann am 6. Januar 2021 mit der Attacke auf den Kongress. Nach dem 6. Januar, muss man genau genommen schreiben: Denn vor allem jenseits des denkwürdigen Gewaltaktes bewies sich, unter welchem Druck die amerikanische Demokratie stand und nach wie vor steht, in den Tagen, Wochen, Monaten danach. Man hätte denken können, die dramatischen Bilder aus dem Kapitol hätten einen Reflex erzeugen können auf den inzwi‐ schen extremen innenpolitischen Konflikt. Und immerhin positionierten sich einige Republikaner wie Senator Mitch McConnell unmittelbar kritisch, scheinbar. Doch noch in der Nacht, eben zurück aus den Sicherheitsbunkern, stimmten 147 Republikanische Abgeordnete oder Senatoren gegen die Zertifizierung der Stimmen für Biden aus Arizona und Pennsylvania. Ein Jahr darauf, im Januar 2022, hat sich die Republikanische Partei tatsächlich nicht von Trump, nicht vom Trumpismus mit seinem orthodoxen Freund- Feind-Denken lösen können oder wollen (vgl. Pfeiffer 2022): Abgeordnete wie Liz Cheney oder Adam Kinzinger, die sich gegen den Ex-Präsidenten und die Behauptungen vom Wahlbetrug stemmten, waren längst als Paria markiert und aus der Führung der Republikaner gedrängt worden. An einer kongressinternen Untersuchung des 6. Januars beteiligte man sich nicht - allein eben Cheney und Kinzinger. Dabei hatte sich bei allen Mühen kein objektiver Beleg für einen Wahl‐ betrug ergeben. Im Gegenteil: Über hundert Klagen vor Bezirks- und Bun‐ desgerichten scheiterten krachend, darunter der Versuch des texanischen Justizministers Ken Paxton, Millionen Stimmen aus Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin rundweg annullieren zu lassen (vgl. Adorf 2021, S. 310-311); Trumps eigener Justizminister, William Barr, konnte beim wörtlich besten Willen keine Hinweise finden und wehrte sich gegen „Vor‐ schläge“, sein Ministerium möge die Wahlcomputer in einigen Swing States konfiszieren. Alle Nachzählungen in einzelnen Staaten und Wahlbezirken 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 293 <?page no="294"?> 98 Associated Press v. 14. Dezember 2021, Far too little vote fraud to tip election to Trump. https: / / apnews.com/ article/ voter-fraud-election-2020-joe-biden-donald-trump-7fcb6f1 34e528fee8237c7601db3328f bestätigten die Ergebnisse, selbst solche Audits, die Anhänger Trumps (und nicht offizielle Wahlkommissionen) durchführten: z. B. in Arizona oder in Wisconsin durch das konservative Wisconsin Institute for Law and Liberty nach rund zehn Monaten Recherche. Die Liste lässt sich fortschreiben: Mitte Dezember 2021 veröffentlichte die Associated Press einen eindrucksvollen Report zu den Betrugsvorwürfen. 98 Die Nachrichtenagentur hatte in den sechs entscheidenden Battleground States - Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin - jeden einzelnen Vorwurf untersucht. Von den 25,5 Millionen Stimmen, die in diesen Staaten abgegeben wurden, erwiesen sich 475 als problematisch - verschwindend gegenüber den 311.257 Stimmen, die Biden hier in der Summe vorne lag. Nicht nur, dass es keinerlei Hinweise auf einen systematischen, koordinierten, geschweige denn groß angelegten Wahlbetrug gab. So gut wie alle ungültigen Stimmabgaben erwiesen sich als individuelle Fehler ohne Betrugsabsicht: In Arizona blieben von 198 potenziellen ganze neun wahrscheinliche Manipulationsversuche - also neun einzelne Stimmen, und die einigermaßen gleichmäßig verteilt auf die Parteien. Um es abzukürzen: Eine historische Kampagne zur Über‐ prüfung der Präsidentschaftswahlen hatte nicht den geringsten Anlass für das gefunden, was man umso vehementer behauptete - und schon vor der Wahl gebetsmühlenartig wiederholt hatte: Die Demokraten könnten nur durch Lug und Trug gewinnen (vgl. Lemire 2022; Pfeiffer 2022). Also entwickelte sich die Big Lie zu einem gigantischen Weltbetrug. Ge‐ nau weil man keine Belege finden konnte, musste es sich um eine mindestens nationale Intrige handeln, an der nicht nur die Demokraten und abtrünnige Republikaner beteiligt seien, sondern auch nutzlose Richter und - sowieso - die korrupten Liberal Media. Dem folgte ein umso überzeugteres Schließen der Reihen hinter Trump mit der Folge des gewalttätigen Versuches, das formelle Prozedere im Kongress zu verhindern. Und dann schließlich, nachdem das scheiterte, die Legitimation all jener Republikaner, die sich nun aufmachten, die Geschehnisse des 6. Januars herunterzuspielen und in einzelnen Staaten neue Wahlprozedere zu verabschieden oder loyalere Leute in die Wahlkommissionen zu schicken, darunter solche, die sich anlässlich des Sturms auf das Kapitol schon einmal als Hauptstadttouristen ein Bild vor Ort gemacht hatten. 294 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="295"?> 99 Vgl. https: / / www.washingtonpost.com/ outlook/ interactive/ 2021/ january-6-next-coup -signs/ ? itid=hp_opinions 100 „Trump hat die Kontrolle über das Monster verloren“, Der Spiegel v. 03. Dezember 2021; https: / / www.spiegel.de/ ausland/ francis-fukuyama-ueber-donald-trump-und-die -krise-der-amerikanischen-demokratie-a-fd4a8cf7-ac24-4c98-8770-e9d80c397592 101 https: / / www.ipsos.com/ sites/ default/ files/ ct/ news/ documents/ 2021-05/ Ipsos%20Reute rs%20Topline%20Write%20up-%20The%20Big%20Lie%20-%2017%20May%20thru%2019 %20May%202021.pdf Für anstehende Gouverneurswahlen und die Mid-Terms 2022 bewarben sich auf Seiten der Republikaner dann weit überwiegend Kandidaten und Kandidatinnen, die der zentralen Linie folgten, der Big Lie (Lemire 2022; Pfeiffer 2022), und sie zu ihrem Wahlkampfthema machten, um von Trump unterstützt zu werden oder weil sie tatsächlich daran glaubten. Und in republikanisch dominierten Bundesstaaten wie etwa Texas fand man zu der interessanten Volte, man müsse angesichts all der Geschehnisse die Integrität künftiger Wahlen sichern - und sprach dem Parlament des Staates das Recht zu, in letzter Instanz zu entscheiden, wer Wahlen gewonnen habe. Schon im Januar 2021 fanden sich für 28 Staaten knapp einhundert Gesetzesinitiativen, die die Stimmabgabe tendenziell erschweren (vgl. Ga‐ wehns 2021, S. 414). In 19 Staaten wurden Wahlverfahren wie das Early Voting oder die Briefwahl (eine von mehrheitlich Demokratischen Wählern genutzte Option) eingeschränkt oder striktere Identitätsnachweise einge‐ führt, darunter in den so wichtigen Swing States Florida, Georgia und Arizona. 99 „Das ist wirklich gefährlich“, so der amerikanische Politologe Francis Fukuyama in einem Spiegel-Interview. 100 Das Land befände sich in einer ernsten verfassungsrechtlichen Krise, weil die Republikaner 2022 nun organisierter daran gingen, Ergebnisse in ihrem Sinne zu gestalten. - Schleier der Polarisierung Das können sie deshalb einigermaßen unbehelligt, weil über dem Land ein Schleier der Polarisierung liegt und Rücksichten noch nicht einmal aus strategischen Gründen nötig sind. Dazu wenige Werte: Knapp die Hälfte der Befragten Anhänger der Republikaner, stimmten Anfang 2020 der Aussage zu, der amerikanische Lebensstil, der American Way of Life sei in Gefahr und müsse gegebenenfalls gewaltsam verteidigt werden (vgl. Adorf 2021, S. 310; Kolkmann 2021, S. 243); etwa genauso viele glaubten noch im Spätherbst 2021, der 6. Januar sei eine Veranstaltung linksradikaler Aktivisten gewesen, eine subversive False Flag-Aktion. 101 Die Republikaner 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 295 <?page no="296"?> 102 „Trump’s Big Lie Devoured the G.O.P. and Now Eyes Our Democracy“. New York Times v. 4. Mai 2021; https: / / www.nytimes.com/ 2021/ 05/ 04/ opinion/ gop-trump-2020-election .html 103 Vgl. z. B. https: / / www.monmouth.edu/ polling-institute/ reports/ monmouthpoll_us_062 121/ ; auch: https: / / www.washingtonpost.com/ context/ dec-17-19-2021-washington-pos t-university-of-maryland-poll/ 2960c330-4bbd-4b3a-af9d-72de946d7281/ ? itid=lk_inline _manual_2 104 New York Times v. 1. Januar 2022, Every Day Is Jan. 6 Now, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 01/ 01/ opinion/ january-6-attack-committee.html 105 The Atlantic v. 7. Dezember 2021, https: / / www.theatlantic.com/ newsletters/ archive/ 20 21/ 12/ donald-trump-2024-election-coup/ 620922/ 106 Associated Press v. 30. Dezember 2021, https: / / apnews.com/ article/ donald-trump-unite d-states-elections-electoral-college-election-2020-809215812f4bc6e5907573ba98247c0c 107 Vgl. New York Times v. 4. Februar 2022, G.O.P. Declares Jan. 6 Attack ‚Legitimate Political Discourse‘, https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 02/ 04/ us/ politics/ republicans-jan -6-cheney-censure.html seien, so ein Kommentar in der New York Times, 102 inzwischen eine Partei, in der man nur nach oben käme, wenn man steif und fest behaupte, die Sonne ginge im Osten unter. Was schwerer wiegt als spitze Kommentare: Die Meinungsumfragen im Lande weisen eine erstaunliche Konstante auf; rund zwei Drittel der erklärten Republikaner glauben - und der Wert schwankt kaum seit Dezember 2020 -, Joe Biden sei nur durch Hinterlist ins Weiße Haus gelangt. Nimmt man alle Wahlberechtigten zusammen, bedeutet das über den Daumen gepeilt: Rund ein Drittel des erwachsenen Amerikas zweifelt an der Legitimität Bidens und denkt, entsprechend befragt, über „Korrekturen“ nach (vgl. Kalmoe & Mason 2020). 103 Kaum Wunder, wenn dann der Jahrestag des 6. Januars nicht als Rememb‐ rance Day begangen wurde, sondern als Zwischenhalt einer andauernden Transformation der amerikanischen Demokratie. „Every Day Is Jan. 6“ 104 - so ein Titel der New York Times; „January 6 was practice“ fasste The Atlan‐ tic  105 einen ähnlichen Gedanken wie die Associated Press 106 als „Slow-motion insurrection“ - simultan und auf allen Ebenen des politischen Systems würden die Anhänger Trumps daran arbeiten, den Sturm auf das Kapitol als eine aus dem Ruder gelaufene Stippvisite im Geiste der rechten Sache zu definieren. Womöglich nur ein vorläufiger Ausdruck dieser Haltung, als im Februar 2022 das Republic National Committee die Geschehnisse vor und im Kapitol offiziell als einen „legitimen politischen Diskurs“ nannte 107 . Das wird kaum als Verbalakrobatik, meist als reaktionärer Impuls gelesen (vgl. Gawehns 2021). Und so herrschte in der amerikanischen Publizistik an jenem 296 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="297"?> 108 Vgl. New York Times v. 21. März 2021, How Pro-Trump-Forces Pushed a Lie About Antifa at the Capitol Riot, https: / / www.nytimes.com/ 2021/ 03/ 01/ us/ politics/ antifa-conspiracy -capitol-riot.html 6. Januar 2022, ein Jahr nach der Attacke, weniger Gedenken, mehr kühler Alarmismus über das, was noch kommen dürfte. - Geteiltes Land - geteilte Medien Hinter der Big Lie, deshalb die detaillierten Ausführungen, verbirgt sich mehr als der eitle Gestus eines Wahlverlierers. Vielmehr spiegeln sich darin politische Verwerfungen, die weit über die Parlamente und Ämter hinaus gehen und die Grundfesten der amerikanischen Demokratie selbst bedrohen. Dafür gibt es etliche Gründe, von denen viele weit jenseits der Präsidentschaft Trumps zu suchen wären. Abgesehen von ideologischen Positionen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungen oder psychologischen Momenten: Die Rationale der Republikaner bedarf immer noch eines Systems öffentlicher, permanent sichtbarer Bestätigung, dass man mit dieser Frontstellung richtig liege. Ohne ihre Öffentlichkeit ginge es nicht. Noch in den 1980er-Jahren war es rhetorischen Kampagnen-Reden vorbehalten, von den böswilligen Liberal Media zu sprechen und von deren versteckter Agenda, den Kommunismus in Amerika zu installieren. Das in epischer Breite zu behaupten, hätte auf dem Marketplace of Ideas irgendwann das Etikett der Seltsamkeit eingebracht (Pfeiffer 2022, S. 248). Offensichtlich aber hat das soziale Arrangement und das institutionelle Vertrauen in journalistische Institutionen in den letzten Jahrzehnten erheblich gelitten (vgl. Rauch 2021, S. 62): „Murder the media“ findet sich am 6. Januar eingeritzt in eine Tür des Capitols (Holzer 2020, S. xix). „Murder the Media“? Sicher nicht alle, dürfen wir annehmen. Immerhin wollte Laura Ingraham auf Fox News noch in der Nacht der Attacke erkannt haben, die Eindringlinge wären selbstverständlich keine Anhänger Trumps - sondern Antifa-Aktivisten im Rahmen einer Operation psychologischer Kriegsführung. 108 Derweil, wie die Untersuchungen des Kongresses Monate später zeigen würden, drängten im Hintergrund die besorgten Fox-Modera‐ toren Sean Hannity und Brian Kilmeade Trumps Stabschef Mark Meadows, er möge den Präsidenten dazu bewegen, die Menge zurückzurufen; was da geschähe, würde seinem Vermächtnis schaden; und ihnen womöglich 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 297 <?page no="298"?> 109 Vgl. z. B. Washington Post v. 9. Januar 2022, Trump’s cable cabinet: New texts reveal the influence of Fox hosts on previous White House. https: / / www.washingtonpost.com/ p olitics/ trump-cable-cabinet/ 2022/ 01/ 09/ 96fac488-6fe6-11ec-b9fc-b394d592a7a6_story.h tml 110 New York Times v. 16. Dezember 2021, The Line From Fox News to Trump’s Big Lie Is Short and Direct, https: / / www.nytimes.com/ 2021/ 12/ 16/ opinion/ fox-news-trump-janu ary-6.html? searchResultPosition=1 111 Vgl. New York Times v. 22. November 2020; Newsmax, Once a Right-Wing-Also-Ran, Is Rising, and Trump Approves; https: / / www.nytimes.com/ 2020/ 11/ 22/ business/ media/ n ewsmax-trump-fox-news.html auch. 109 Nachgerade als Idealtyp eines „Tribal Narrative“ (Benkler et al. 2018, S. 221) präsentierte Fox News im Spätherbst 2021 dann eine dreiteilige Dokumentation von Tucker Carlson, „Patriot Purge“, in der eine illegitime Regierung Biden die aufrechten Bürger des Januars auf perfide Weise kriminalisiere. „Rating-driven hallucination“ kommentierte das die New York Times: 110 Denn Fox hatte unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl ungewohnte Dissonanzen auszuhalten, da man zunächst - wie die anderen Networks - den Wahlsieg Bidens prognostiziert hatte und sich damit den Zorn Trumps zuzog. Eine Beziehungskrise mit spürbaren Folgen: Nach den Daten von Nielsen musste Fox in den Wochen nach der Wahl Einbrüche seiner Quoten von über 30 Prozent hinnehmen, während CNN knapp 25 Prozent zulegen konnte. Schmerzhaft dürfte für die Fox-Verantwortlichen noch gewesen sein, dass Trump damals die deutlich kleineren Sender One America News Network und Newsmax als Alternativen promovierte - denn die folgten seinen Verschwörungsthesen. 111 Spätestens mit dem 6. Januar hatte Fox verstanden und übernahm die quotensteigernde Empörung des rechtskonservativen Lagers nachgerade als informellen Programmauftrag. Das alles markiert eine beliebige Haltung gegenüber Recherche und Information: In diesen Teilen des amerikanischen Journalismus und seiner dann speziellen Öffentlichkeit sind Reflektion und Vielfalt, Abwägen und journalistische Distanz verstaubte Relikte aus einer Welt von gestern. Fox News ist dabei sicher nicht das einzige, aber ein wichtiges Element einer Post- Truth-Politics. Und damit drängt sich die Frage auf: Inwieweit muss sich das Mediensystem - in Teilen zumindest - daran messen lassen, ob und ggf. wie es anti-demokratischen Tendenzen widersteht oder sie vielmehr verstärkt (vgl. McChesney 2004, S. 17)? Ein im Grunde merkwürdiger Gedanke - immerhin folgen die Vereinigten Staaten, manifest im First Amendment, traditionell einer außerordentlich prominenten Leitvorstellung: der Idee 298 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="299"?> demokratischer Rede- und Kommunikationsfreiheiten als Basis der freien, autoritären Ambitionen widerstehenden Gemeinschaft. Freilich beruhen diese Freiheiten auf der Vorstellung eines legitimen Abwehrrechtes gegenüber staatlicher Einmischung. Sie waren ursprünglich nicht dafür gedacht, einen - wie auch immer bestimmten - „angemesse‐ nen“ (Qualitäts-)Journalismus zu garantieren. Journalismus als Berufsstand kannte man zur Revolutionszeit nicht; hingegen schon Zensur und Ver‐ folgung von Druckern und Verlegern, und so spiegeln sich im ersten Verfassungszusatz der Republikgedanke und die Sorge vor einem Macht‐ missbrauch durch sinistre Gestalten. Kaum ein Denken, vermutlich, an gehaltvolle, faire Politikberichterstattung, an Kontext und Analyse. Tatsäch‐ lich ging mit der Presse in der Union zunächst eine parteiliche Orientierung einher, die nicht nur weit von modernen Prinzipien eines unabhängigen Journalismus entfernt war, sondern den Verwerfungen des gegenwärtigen Ideology Journalism kaum nachstand. - Markt sei Dank Dafür gab es vornehmlich ökonomische Gründe. Mit neuen, effizienteren Produktionstechniken und der Penny Press entwickelte sich erst rund zwei Generationen nach der Revolution eine marktkommerzielle Zeitungsbran‐ che. Mit ihr ging der politische Parallelismus der US-Medien spürbar zurück, also die Orientierung der Presse an politisch ambitionierten Finanziers. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich schließlich ein professio‐ neller „catch-all“-Journalismus durch, der ein breites Publikum ansprach, distanziert und objektiv berichtete (es zumindest anstrebte) und es vermied, mit politischen Akteuren identifiziert zu werden. Dabei lässt das wirtschafts‐ liberale Modell den Medienunternehmen deshalb einigen Spielraum, weil die Pressefreiheit nicht primär als dienende Aufgabe verstanden wird (wie z. B. in Deutschland). Das gilt auch für die Rundfunktechnologien, also das Radio und das Fernsehen. Obwohl immer wieder versucht wurde, Nachrichtenjournalismus mit einem Public Interest zu koppeln, überwog und überwiegt das kommerzielle Modell bei weitem. Unter den großen Indust‐ riestaaten blieben die USA dann lange das einzige Land, dessen Rundfunk nach rein kommerziellen Prinzipien organisiert wurde (die Gründung des Public Broadcasting System erfolgte vergleichsweise spät 1967). Bis in die 1970er-Jahre, bis zur Watergate-Affäre und Publikation der Pentagon Papers war das Vertrauen der Amerikaner in ihre Reality-Based 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 299 <?page no="300"?> Press überwiegend ungebrochen. Walter Cronkite, Nachrichtenmoderator von CBS, war nicht nur eine der prominentesten Personen seiner Zeit, ein Celebrity also, er galt auch als „the most trusted man in America“ (Nimmo & Newsome 1997, S. 78). Amerika vertraute dem, was es in den Zeitungen las, im Radio hörte, im Fernsehen sah. In den USA hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein System öffentlicher Kommunikation und Politikvermittlung gefestigt, eine Kultur öffentlicher Kommunikation, die die demokratischen Institutionen und moderate politische Parteien jenseits des Wahlaktes legitimierte und stützte (vgl. Bennett & Pfetsch 2018). - Fragmentierung, Vertrauensschwund Allerdings zeigen Umfragen seit etwa Mitte der 1980er-Jahre einen Rück‐ gang dieses einst verbreiteten Vertrauens in Medien und den Nachrich‐ tenjournalismus. Parallel prägte sich die Polarisierung der Parteien und die Fragmentierung des Publikumsmarktes immer markanter aus: durch zunächst die Kabel- und Satellitentechnik und dann, vehement, das Internet. Für Partisan Media sind es heute insbesondere die hochfragmentierten Märkte des Radios, des Kabels und des Netzes, in denen sich nun parteipo‐ litische Identitäten als strategische Leitlinien aufdrängen. Das gilt für die Medienunternehmen selbst, die in der hybriden Medienlandschaft um Auf‐ merksamkeit und Publikumsbindung konkurrieren. Das gilt für politische Akteure, die nicht nur in den (Un-)Tiefen des Internets in ihrem Streben nach unbedingter Beachtung dazu angeregt werden, sich in einem Race-tothe-Bottom scharf und immer schärfer vom politischen Gegner abzugrenzen, sondern auch im Talk Radio oder im Kabelfernsehen - als Teil eines politisierten, multimedialen Medienökosystems aus „klassischen“ Medien wie Fox und aus Blogs, YouTubern, Radioformaten und Onlinemagazinen. Wie sehr sich insbesondere Fox News schon vor der Präsidentschaft Trump von einem konservativen Sender mit ideologischem Einschlag zu einem veritablen politischen Akteur entwickelt hatte, mag man an einem historischen Merksatz ablesen, den Dick Morris - ein bekannter Politikbe‐ rater - einmal bei der Morgenshow Fox & Friends fallen ließ: „You don’t win Iowa in Iowa. You win it on this couch.“ (Zit. n. Hemmer 2016, S. 273) Konservative Positionen im Land und die, die sie vertreten, müssten durch das „Nadelöhr“ Fox News; alles andere könne man vernachlässigen. Kaum Wunder, wenn in den Ideology Talks der Parteienstreit des Landes auf die Spitze getrieben wird - von den Moderatoren, den zugeschalteten Politikern 300 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="301"?> 112 Vgl. Washington Post v. 30. November 2021, What Happens to Democracy When Local Journalism Dries Up? https: / / www.washingtonpost.com/ magazine/ 2021/ 11/ 30/ margar et-sullivan-the-local-news-crisis/ ? itid=hp_Mag%20module und Kommentatoren. Jeder Konflikt genau genommen, was das nunmehr gängige Etikett Tribal News erklärt: Vorgetragen wird ein emotional meist überladenes, dafür höchst reduktionistisches Stückwerk, das sich durch ein schlüssiges, konsequentes Freund-Feind-Denken auszeichnet. Fairerweise muss man sagen, dass Fox News tagsüber auch seriöse und nüchterne Nach‐ richten kennt; aber es sind eben die abendlichen emotionsgeladenen Mei‐ nungsformate, die dem Sender seine Quoten einbringen, und zwar dauerhaft und deutlich. Und umgekehrt gilt ähnliches, wenn auch abgeschwächt, für den bekanntlich den Demokraten zugeneigten Sender MSNBC. Interessanterweise bekunden die Amerikaner nach wie vor ihr größtes Vertrauen für die lokale Presse. Jedoch sind es genau diese Unternehmen, die seit Jahren unter starkem wirtschaftlichem Druck stehen. Abgesehen von größeren Zeitungen wie etwa der Washington Post oder der New York Times, die in der Präsidentschaft Trump ihren Profit sogar steigern konnten, ist es die den Amerikanern traditionell so vertraute lokale Presse, deren Märkte weiter schrumpfen - durch die Aufmerksamkeitskonkurrenz des Internets und den Sozialen Medien und den korrespondierenden Verlusten an Werbeetats. Zwischen 2005 und 2020 haben geschätzte 2.100 lokale Zeitungsunternehmen ihr Geschäft eingestellt. 112 Nur zur Orientierung: Das entspricht in etwa der Zahl aller derzeit in Deutschland erscheinenden Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften. Demgegenüber sind mit der Proliferation von Social Media und digitalen Plattformen Probleme der „dispersion and cacophony of public voices“ unübersehbar (Dahlgren 2005, S. 151) - ein Zitat, wohlgemerkt, aus 2005, aus einer Zeit vor dem Web 2.0: Desinformation, disruptive und subversive Kommunikation haben seitdem die politische Auseinandersetzung voll umfänglich erfasst. Mit Folgen, natürlich, für das politische System und für Meinungsbildungsprozesse: „Many democratic nations are experiencing increased levels of false information circulating through social media and political websites that mimic journalism formats. In many cases, this dis‐ information is associated with the efforts of movements and parties on the radical right to mobilize supporters against centre parties and the mainstream press that carries their messages.“ (Bennett & Pfetsch 2018, S. 245) Legitimationsdefizite politischer Institutionen in den USA (und 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 301 <?page no="302"?> nicht nur dort) gehen Hand in Hand mit Glaubwürdigkeitsproblemen der herkömmlichen Medien und offiziellen Quellen und einer Fragmentierung der politischen Sphären (vgl. Bennet & Livingstone 2018). - Krise der Wissensvermittlung Das reicht über unterschiedlich „gelagerte“ inhaltliche Angebote hinaus, die sich ja früher schon z. B. aufgrund des Wettbewerbs um das Interesse des Publikums ergeben haben. Auch darüber, dass ein Teil der Medienlandschaft eher liberalen Argumenten Raum gibt, ein anderer eher konservativen. Verschwörungstheorien und platte Lügen kennt die amerikanische Presse seit den Parteizeitungen des 18. Jahrhunderts. Keineswegs neu ist, dass komplexe Politikvorhaben und Probleme gelegentlich ungenau und miss‐ verständlich dargestellt werden (Soroka & Wlezien 2022). Das Problem ist dagegen nun, was weit schwerer wiegt, die grundlegende Methode der In‐ formationsvermittlung und Wissensaneignung. Mitte des 20. Jahrhunderts behauptete die rechtsextreme John Birch Society, Dwight D. Eisenhower, der 34. Präsident, sei ein klammheimlicher Kommunist - und kein Radio- oder Fernsehsender mit bemerkenswerter Reichweite wiederholte diese „Idee“. Heute unterstellt der erfolgreichste Kabelsender der USA permanent und entgegen jeder Evidenz, Joe Biden sei nur durch Betrug ins Weiße Haus gelangt. „And so reality fights an uphill battle in the digital age, disadvantaged by psychology, technology, system design, and economics […]“ (Rauch 2021, S. 138). Oder mit den Worten von Barack Obama (aus dem November 2020): „If we do not have the capacity to distinguish what’s true from what’s false, then by definition the marketplace of ideas doesn’t work. And by definition our democracy doesn’t work. We are entering into an epistemological crisis.“ (Zit. n. Rauch 2021, S. 9) Obama sprach von einer handfesten epistemologischen Krise, einer Krise der Information und des Informierens. Und in der Tat können wir in den USA inzwischen zwei mediale Regimes beobachten: ein fallibilistisches, ein kultisches (vgl. Rauch 2001, S.-182). Das fallibilistische mediale Regime ist im Kern der traditionelle Informati‐ onsjournalismus, wie er sich kurz vor und dann nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Demokratien herausbildete. Fallibilistisch - weil in ihm keine Unfehlbarkeit beansprucht wird, Irrtümer also nicht ausgeschlossen werden und man ihnen mit Normen journalistischer Ethik und Kriterien journalistischer Arbeit begegnet. Statt absoluter Gewissheiten prägen Qua‐ 302 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="303"?> 113 Vgl. New York Times v. 6. Juli 2022, On Conservative Radio, Misleading Message Is Clear: ‚Democrats Cheat’. https: / / www.nytimes.com/ 2022/ 07/ 05/ business/ media/ conservativ e-radio-democrats-cheat.html litätskriterien, Routinen der Recherche und Darstellung den Journalismus, auch prinzipielle Offenheit gegenüber gegenläufigen Informationen oder Meinungen als akzeptable Methode der Wirklichkeitsbeobachtung (vgl. Rauch 2021, S. 116): „[…] a willingness to listen to others and a fairmindeness in deciding when accommodations to their views should reasonably be made“ (Rawls 1996, S. 217). Das hier eingangs zitierte Bonmot des Sozialphi‐ losophen Karl Popper (1995, S. 173) - „gäbe es kein Babel, so müsste man es erfinden“ - markiert die erkenntnistheoretische Grundlage der praktischen Seite einer offenen Debattenkultur und der institutionellen Normen und Kriterien der Informationsbeschaffung und -aufbereitung im Journalismus. Demgegenüber im kultischen medialen Regime manifestiert sich eine ganz andere „Idee“ von Faktizität und Wahrheit; hier werden die skeptische Beurteilung einer Faktenlage, Kontextualisierung und das Abwägen und Prüfen von Informationen ersetzt durch Loyalität. Eine orthodoxe Loyalität, die das kritische Urteil ausschließt und ein selbstverständliches Misstrauen hegt gegen jede Äußerung einer „anderen Seite“. Tribal News also: Fragen der Analyse und des Abwägens werden gewendet zu Fragen der Identität und gegebenenfalls des hyperpolarisierten Ressentiments. Auch wenn Fox News hier als Beispiel oft im Vordergrund stand: Das kultische Regime konservativer Medien in den USA umspannt neben etlichen anderen Fern‐ sehformaten, Podcasts und Social-Media-Seiten und -Räumen vor allem noch Talk Radio-Shows, die von Millionen Amerikanern rund um die Uhr gehört werden und in denen - um im Beispiel zu bleiben - nach Analysen von Medien-Monitoring-Instituten 113 die Big Lie tausendfach und in allen Farben rezitiert wurde und wird. - Watergate revisited? Symbolischer und beispielhafter hätte es kaum kommen können: Ende Mai 2022 kündigte die Untersuchungskommission des Kongresses zum 6. Januar eine Serie öffentlicher Anhörungen an, ziemlich genau 50 Jahre nach den Watergate Hearings, in denen - bemerkenswert genug - der Republikanische Senator Howard Baker jene Frage stellte, die Präsident Richard Nixon endgültig desavouierte: „What did the President know, and when did he 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 303 <?page no="304"?> 114 Hier zit. nach Washington Post v. 29. Mai 2022, Why the press will never have a Watergate moment, https: / / www.washingtonpost.com/ media/ 2022/ 05/ 29/ media-water gate-50-trump-journalism-fox/ 115 New York Times v. 30. Juni 2022, Crazies, Cowards and the Trump Coup, https: / / ww w.nytimes.com/ 2022/ 06/ 30/ opinion/ republicans-trump-coup.html? action=click&modu le=Well&pgtype=Homepage&section=Opinion%20Columnists know it? “ 114 Nicht nur der investigative Journalismus der Washington Post, auch die seinerzeit live im Fernsehen übertragenen Sitzungen gelten als wichtige Faktoren für die Entscheidung Nixons, einem drohenden Amts‐ enthebungsverfahren durch Rücktritt zuvor zu kommen. Insbesondere die damals neuen abendlichen Informationssendungen des Public Broadcasting führten der Nation die Mitwisserschaft des Präsidenten und das geheime Abhörsystem im Weißen Haus vor Augen und galten als Idealtypus eines modernen Fernsehjournalismus (vgl. Potter 2020, S.-59). Freilich mischte sich in die Ankündigung des Komitees sofort Skepsis und etwas Zynismus gegenüber der Idee, die Anhörungen 2022 könnten eine ähnliche Wucht entwickeln wie die Watergate Hearings - obwohl in den Kommentaren der Mainstream Media Trumps Verfehlungen weitaus schwerer wogen als die Nixons. So formulierte der Publizist Paul Krugman in der New York Times in einem Meinungsartikel: „I still see some people comparing this scandal to Watergate. That’s like comparing assault and battery to a traffic violation. Trump’s actions were by far the worst thing any American president has ever done.“ 115 Gegenüber Trumps Straftaten kämen Nixons Machenschaften wie lässliche Verkehrssünden daher. As times go by. Insbesondere hat sich in der Zwischenzeit, das klang mehrfach an, die Struktur politischer Öffentlichkeit massiv verändert. Reichweitenstarke Medien positionieren sich seit nunmehr Jahren offen parteipolitisch. Und so verwunderte es kaum, dass Fox News als einziger großer Kabelsender sofort ankündigte, die Hearings zum 6. Januar nicht live auszustrahlen, sondern die Ideology-Shows von Hannity, Ingraham und Carlson (die von einer Programmänderung betroffen gewesen wären) auf ihren Plätzen zu belassen. Irgendwo konsequent, schließlich hatte man in den Wochen zuvor jede Gelegenheit ergriffen, die Untersuchungen als parteiliches Theater zu rahmen, das keinerlei Aufmerksamkeit verdiene. Eines war allerdings doch auffällig: Fox News verzichtete in seinen parallel laufenden Shows in den entsprechenden Zeitfenstern auf Werbeunterbrechungen, wohl, um die Zuschauer nicht zu verleiten, während der Spots zur Konkurrenz und damit zwangsläufig in die Anhörungen umzuschalten. 304 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="305"?> Transmedial: Truth isn’t truth Eine Kleinigkeit nur, aber sie führt einen zentralen Unterschied zwischen den Amtszeiten von Nixon und Trump gut vor Augen: Nixon regierte (und trat vom Amt zurück) in einer Zeit, in der er davon ausgehen durfte, seine Unterstützer in der Partei (und das ganze Land) würden noch mit Informationen, Meinungen, Statements und Analysen konfrontiert werden, die ihm tatsächlich schaden könnten, die also Folgen hätten - weil Informationen, Meinungen, Statements und Analysen noch Informationen, Meinungen, Statements und Analysen waren. Die Öffentlichkeit seiner Zeit referierte tatsächlich noch auf Gegenwartsbeschreibungen, […] auf die sich alle Gesellschaftsmitglieder beziehen können, weil sie Grund zur Annahme haben, dass alle anderen diese Gegenwartsbeschreibungen ebenso kennen“ (Rimscha & Siegert 2015, S.-39). Diese Form der politischen Kommunikationskultur ist medial auf der Basis distanzierter, nichtideologischer Berichterstattung, Kritik und Kom‐ mentaren, mit denen die meisten Zeitungen, buchstäblich tausende lokale Medienorganisationen wie auch die größten Networks seit vielen Jahrzehn‐ ten das Land integrierten. In seiner systemtheoretischen Auseinanderset‐ zung mit der „Realität der Massenmedien“ beschreibt Niklas Luhmann (1996, S. 173) die Funktion der Medien als „Dirigieren der Selbstbeobachtung“ der Gesellschaft. Stark vereinfacht: Die zentrale Leistung einer politischen Öffentlichkeit sei die Übertragung einer komplexen Umwelt aus (sehr) flüchtigen Daten und Informationen in integrative Themen der gesellschaft‐ lichen Kommunikation. Und das, wie beschrieben, in Form eines fallibilisti‐ schen Erkenntnismodells: mit einem Journalismus als Institution, als einer im Mediensystem verankerten Routine der Recherche und Präsentation - mit allen damit verbundenen Unsicherheiten und womöglich Fehlern und Überarbeitungen, aber eben auch Freiheiten der Meinungsbildung. Eine unabhängige Freiheit, wohlgemerkt, die nachgerade ein Korrekturmaß sein mag gegenüber machtpolitisch ambitionierten Selbstdarstellungen und ein‐ seitigen Informationen, ja auch Verdrehungen, Lügen, blanker Propaganda. Dagegen kennt das kultische mediale Regime „Beobachtung“ als Simula‐ tion von Journalismus und den vollkommen beliebigen Gestus alternativer Fakten - die Vorstellung, man habe es immer mit zwei Wahrheiten zu tun: Einer z. B. der Demokraten und einer, die sich harmonisch fügt mit den eigenen Überzeugungen. Alles, jedenfalls in der Politik, habe eine eigene Perspektive, sei geframed, zugeschnitten und portioniert. Trumps Anwalt 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 305 <?page no="306"?> 116 Vgl. auch Poniewozik, J. (2019). Audience of one. Donald Trump, television, and the fracturing of America. New York: Liveright Publishing, S.-249. Giuliani brachte diese Haltung auf den Punkt, als er in Meet the Press (auf NBC und zur Zeit der Russland-Untersuchungen des Sonderermittlers Robert Mueller) argumentierte, der Präsident sollte auf keinen Fall aussagen und damit einen Meineid riskieren nur auf der Grundlage von „somebody’s version of the truth“. Worauf ein erstaunter Chuck Todd, der Gastgeber der Sendung, entgegnete: „Truth is truth! “ Giuliani wiederum formulierte es daher für die Ewigkeit noch einmal präzise: „No, it isn’t truth. Truth isn’t truth.“ 116 (Vgl. Bieber & Kamps 2019b). Genau deshalb konnte sich Trump gegen alle Anwürfe zur Faktizität und Wahrhaftigkeit seiner Aussagen, zu seinem Versuch, die Wahl zu manipulieren, zu gleich zwei Impeachment-Verfahren erfolgreich immuni‐ sieren. „Truth isn’t truth“ - das ist transmedial und markiert nunmehr eine subversive Kommunikationskultur, die jede offene Meinungsbildung durch einen Glaubenskult ersetzt - eine machpolitisch ungemein wertvolle Res‐ source, weil sie eine jeder Irritation widerstehende Folgebereitschaft in nicht geringen Teilen der amerikanischen Bevölkerung markiert. Vordergründig mag es dann dort immer noch um gegenläufige Policies gehen, um Waffen‐ kontrollgesetze, Klimaschutz, Wahlverfahren, Fragen der Diskriminierung, Sozialprojekte, Außenpolitik und innere Sicherheit usf. Substantiell ist es allein ein „us vs. them“. Was damit fehlt, ist die demokratietheoretisch und demokratiepraktisch so wichtige Offenheit des politischen Streits um Lösungen. Der „Schatten der Polarisierung“, von dem wir gesprochen haben, wird (bei all dem Lärm! ) begleitet von politischer Sprachlosigkeit - ein Zustand, der für Institutionen wie Rechtsstaatlichkeit und Wahlen ausneh‐ mend kritisch ist und die amerikanische Demokratie in den kommenden Jahren vor einige Herausforderungen stellen wird. „The destruction of a shared reality does more damage than economic decline or impeachable acts.“ (Packer 2021, S.-32) Nun sind diese Einschätzungen zu den Zuständen der amerikanischen Politik und Gesellschaft und die Rolle des Mediensystems doch zu relativie‐ ren. Sie betreffen weder die ganzen Vereinigten Staaten noch alle Amerika‐ nerinnen und Amerikaner und natürlich nicht jede Medienorganisation. Aber doch sehr viele. Wenn wir von einem MAGA-Amerika hören, dem der 306 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="307"?> 117 Vgl. Washington Post v. 26, August 2022, Biden just used the f-word - and he’s correct; https: / / www.washingtonpost.com/ opinions/ 2022/ 08/ 26/ biden-called-republicans-semi -fascist/ aktuelle Präsident schon einmal semi-faschistische Züge zuspricht, 117 von QAnon-Anhängern, die glauben, das Land würde von einem Netzwerk pädo‐ philer Satanisten kontrolliert, dann sind damit etliche Millionen Menschen gemeint: eben nicht verstreute, zahlenmäßig übersichtliche Grüppchen aus den Fly-Over-States. Und wenn auch Fox News als rechtskonservativer Kabelsender hier häufig im Mittelpunkt stand - es sind Dutzende von kleineren wie größeren Medien, online wie offline, die mit einer zusammen ungebrochenen (und ökonomisch erträglichen) Millionen-Reichweite tag‐ täglich eine Strategie der Ideology News verfolgen. Als der Supreme Court Richter Antonin Scalia vor zehn Jahren in einem Interview gefragt wurde, was denn wohl Thomas Jefferson zum Zustand der amerikanischen Medienlandschaft und der politischen Kommunikation gesagt hätte, antwortete er: „I think, Thomas Jefferson would have said ‚the more speech, the better‘. That’s what the First Amendment is all about.“ (Zit. n. Napoli 2019, S. 103) Damit referierte er auf die Counterspeech Doctrine in der vorherrschenden Auslegung der Freedom of Expression, die auf dem Markplatz der Ideen und Meinungen aufblühe: Das wirksamste Mittel gegen üble, bösartige und auch gefährliche Rede sei schlicht die Gegenrede. Allerdings fügte Justice Scalia sofort hinzu, 2012 wohlgemerkt, als die Anonymität im Internet das drängendste Problem zu sein schien: „So long as the people know where the speech is coming from.“ Heute ist der Marketplace of Ideas in bemerkenswerten Teilen der USA einem Battlefield of Ideologies gewichen - einer Auseinandersetzung mit offenem Visier, von Anonymität keine Spur. Und während der Marketplace nachgerade synonym stand für Alternative und Wahl, für Fakten und Meinungen, für Streit in der Sache, markiert das Battlefield nunmehr eine orthodoxe, oft genug alternativlose, selbstgewisse Veranstaltung. Ironie der Geschichte: Das First Amendment, gedacht im Zeitalter eines übersicht‐ lichen Mediensystems zur Sicherung der Selbstverwaltung und Demokratie gegen Despotie und Unsinn, hat im digitalen Zeitalter einen Trend zur individuellen Selbstverwirklichung mittels Desinformation, Fake News und alternativer Fakten zumindest gefördert (vgl. Napoli 2019, S. 192). Allein, was sich ebenfalls im Ersten Verfassungszusatz findet: Public Interest und ein kollektivistisches Verständnis der Kommunikationsfreiheiten - an und 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit 307 <?page no="308"?> für sich keine Fremdkörper der amerikanischen Medienpolitik - werden im parteipolitisch aufgeheizten politischen Theater der USA auf absehbare Zeit kaum in verbindliche Normen übersetzt werden. 308 7 Amerika und seine Medien - ein Essay als Fazit <?page no="309"?> Literaturverzeichnis Hinweis | Alle im Buch verwendeten Links waren bei Erscheinen des Bandes aktiv. Abernathy, Penelope Muse (2020). News Deserts And Ghost Newspapers: Will Local News Survive? https: / / www.usnewsdeserts.com/ reports/ news-deserts-andghost-newspapers-will-local-news-survive/ Abramowitz, Alan I. (2018). The Great Alignment. Race, Party Transformation, and the Rise of Donald Trump. New Haven, London: Yale University Press. Abramson, Jil (2019). Merchants of Truth. Inside the News Revolution. London: Penguin Random House. Adorf, Philipp (2019). Die Republikanische Partei in den USA. München: UVK. Adorf, Philipp (2021). Die Republikanische Partei nach den Wahlen 2020: Nach oder inmitten der Trump-Ära? In Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/ 21, S.-289-313. doi: 105771/ 0340-1758-2021-2-289 Adorf, Philipp, & Horst, Patrick (2021). Zerreißprobe für die Demokratie. Die Wahlen und der Regierungswechsel in den USA 2020/ 21. Frankfurt a. M.: Campus. Albarran, Alan B. (2008). Media Economics. In Wolfgang Donsbach (Hrsg.), The International Encyclopedia of Communication (S.-2861-2871). Malden: Blackwell Publishing. Albarran, Alan B. (2010). The Media Economy. New York, London: Routledge. Allen, Craig (2000). News is People. The Rise of Local Television News And the Fall of News From New York. Ames: Iowa State Press. Amar, Akhil Reed (1998). The Bill of Rights. New Haven: Yale University Press. Amar, Akhil Reed (2021). The Words That Made Us. America’s Constitutional Conver‐ sation, 1760-1840. New York: Basic Books. American Motion Picture Association (2021). Creating Jobs, Trading Around the World. https: / / www.motionpictures.org/ wp-content/ uploads/ 2022/ 01/ MPA_US_Econ omic_Contribution_2020_Final.pdf Ammann, Thomas (2020). Die Machtprobe. Wie Social Media unsere Demokratie verändern. Hamburg: Edition Körber. Ammori, Marvin (2014). The „New“ New York Times: Free Speech Lawyering in the Age of Google and Twitter. Harvard Law Review 124, S.-2259-2295. <?page no="310"?> Ananny, Mike (2014). Network Press Freedom and Social Media: Tracing Historical and Contemporary Forces in Press-Public Relations. In Journal of Computer- Mediated Communication 19, S.-938-956. doi: 10.111/ jcc.4.12076 Anderson, Chris W. (2019). Journalism, online and offline. In James Curran, & David Hesmondhalgh (Hrsg.), Media and Society (S.-227-224). London: Bloomsbury, 6. Aufl. Anderson, Simon P., & McLahren, John (2012). Media Mergers and Media Bias With Rational Consumers. Journal of the European Economic Association 10(4), S.-831-859. Armao, Rosemary (2000). The History of Investigative Reporting. In Marilyn Green‐ wald, & Joseph Bernt (Hrsg.), The Big Chill. Investigative Reporting in the Current Media Environment (S.-35-49). Ames: Iowa State University Press. Arnold, Dirk, & Donges, Patrick (2020). Medienpolitik in hybriden Mediensystemen. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S.-1427- 1450). Wiesbaden: Springer VS. Baker, Edward C. (2002). Media Concentration: Giving Up on Democracy. Public Law and Legal Theory Research Paper Series Research Paper No. 16. http: / / ssrn.com/ abstract_id=347342 Baldasty, Gerald J. (2008). Newspaper Groups. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-354-357). New York: Routledge. Balkin, Jack M. (2014). Old-School/ New-School Speech Regulation. Harvard Law Review 124, S.-2296-2342. Balkin, Jack M. (2016). Information Fiduciaries and the First Amendement. UC Davis Law Review 49, S.-1185-1234. Bar, François, & Sandvig, Christian (2008). US communication policy after conver‐ gence. Media, Culture & Society 30(4), S.-531-550. Bard, Mitchell T. (2018). From Fox News to Fake News: An Anatomy of the Top 20 Fake News Stories on Facebook Before the 2016 Election. In Arthur S. Hayes (Hrsg.), Communication in the Age of Trump (S.-105-126). New York u. a.: Peter Lang. Barlow, John Perry (1996). A Declaration of the Independence of the Cyberspace. https: / / www.eff.org/ de/ cyberspace-independence Barron, Jerome (2011). The Pentagon Papers Case and the Wikileaks Controversy: National Security and the First Amendment. Wake Fores Journal of Law & Policy 1, S.-47-72 Beck, Klaus (2018). Das Mediensystem Deutschlands. Strukturen, Märkte, Regulierung. Wiesbaden: Springer VS, 2. Aufl. 310 Literaturverzeichnis <?page no="311"?> Beck, Klaus (2020). Systemtheorie/ Mediensystem. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S.-223-246). Wiesbaden: Springer VS. Benkler, Yochai, Farist, Robert, & Roberts, Hal (2018). Network Propaganda. Manipu‐ lation, Disinformation, and Radicalization in American Politics. New York: Oxford University Press. Bennett, W. Lance (2019). Press-Government Relations in a Changing Media Envi‐ ronment. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-249-262). New York: Oxford University Press. Bennett, W. Lance (2021). Killing the golden goose? A framework for regulating disruptive technologies. Information, Communication & Society (online first). doi: 10.1080/ 1369118X.2021.1994625 Bennett, W. Lance, & Livingston, Steven (2018). The disinformation order: Disruptive communication and the decline of democratic institutions. In European Journal of Communication 33(2), S.-122-139. doi: 10.1177/ 0267323118760317 Bennett, W. Lance, & Pfetsch, Barbara (2018). Rethinking Political Communication in a Time of Disrupted Spheres. In Journal of Communication 68, S.-243-253. doi: 10.1093/ joc/ jqx017 Berg, Manfred (2013). Geschichte der USA. München: Oldenbourg. Bernhardt, Dan, Krasa, Stefan, & Polborn, Mattias (2008). Political Polarization and the electoral effects of media bias. Journal of Public Economics 92(5-6), S.-1092- 1104. Bieber, Christoph (2016). Divided Country - Divided Politics? In Christoph Bieber, & Klaus Kamps (Hrsg.), Die US-Präsidentschaftswahl 2012. Analysen der Politik- und Kommunikationswissenschaft (S.-1-19). Wiesbaden: Springer VS. Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2016). Die US-Präsidentschaftswahl 2012. Analy‐ sen der Politik- und Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS. Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2019a). House of Frames #3: Der Ersatzkönig und seine „Framers“. http: / / carta.info/ house-of-frames-3-der-ersatzkoenig-und-s eine-framers/ Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2019b). House of Frames #4: Das Impeachment als Pferderennen? http: / / carta.info/ house-of-frames-4-das-impeachment-als-pfe rderennen/ Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2020a). Das Impeachment um Donald Trump Eine Momentaufnahme des polarisierten Amerika. Wiesbaden: Springer VS. Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2020b). Breaking Sad #8: Der „Paranoid Style in der amerikanischen Politik - ein Schlachtbericht. http: / / carta.info/ breaking-sad -8-der-paranoid-style-in-der-amerikanischen-politik-ein-schlachtbericht/ Literaturverzeichnis 311 <?page no="312"?> Bieber, Christoph, & Kamps, Klaus (2021). Lost in Transition #2: „Better Call Saul“ und die „Georgia Situation“. http: / / carta.info/ lost-in-transition-2-better-call-saul -und-die-georgia-situation/ Bieber, Christoph, Kamps, Klaus, & Meyer, Erik (2020). Breaking sad #6: Welche Farbe hat Facebook? Digitale Plattformen im US-Wahlkampf. http: / / carta.info/ breakin g-sad-6-welche-farbe-hat-facebook-digitale-plattformen-im-us-wahlkampf/ Birkner, Thomas (2012). Das Selbstgespräch der Zeit. Journalismus in Deutschland 1605-1914. Köln: Herbert v. Halem Verlag. Blevins, Fred (1997). The Hutchins Commission Turns 50: Recurring Themes in Today’s Public and Civic Journalism. https: / / mtprof.msun.edu/ Fall1997/ Blevins.html Blondheim, Menahem (1994). News over the Wires. Cambridge: Harvard University Press. Blum, Roger (2014). Lautsprecher und Widersprecher. Ein Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme. Köln: Herbert von Halem Verlag. Bogart, Leo (1991). Preserving the Press. How Daily Newspapers Mobilized to Keep Their Readers. New York: Columbia University Press. Bogart, Leo (2017). Commercial Culture. The Media System and the Public Interest. London & New York: Routledge. Borsook, Paulina (2001). Schöne neue Cyberwelt. Mythen, Helden und Irrwege des Hightech. München: dtv. Boot, Max (2018). The Road Not Taken. Edward Lansdale and the American Tragedy in Vietnam. London: Head Zeus. Borucki, Isabelle (2018). Medien. In Rüdiger Voigt (Hrsg.), Handbuch Staat (S.-1523- 1534). Wiesbaden: Springer VS. Boumans, Jelle, Trilling, Damian, Vliegenhart, Rens, & Boomgaarden, Hajo (2018). The Agency Makes the (Online) News World Go Around: The Impact of News Agency Content on Print and Online News. International Journal of Communica‐ tion 12, S.-1768-1789. Boyer, Paul S. (2002). Purity in Print: Book Censorship in America from the Gilded Age to the Computer Age. Madison: University of Wisconsin Press, 2. Aufl. Boyer, Paul S. (2008). Comstock Law. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-115-116). New York: Routledge. Braman, Sandra (2009). Change of State. Information, Policy, and Power. Bosten: MIT- Press. Brinkbäumer, Klaus, & Lamby, Stephan (2020). Im Wahn. Die amerikanische Kata‐ strophe. München: C. H. Beck. Brock, David, & Rabin-Havt, Ari (2012). The Fox Effect. How Roger Ailes Turned a Network into a Propaganda Machine. Toronto: Random House. 312 Literaturverzeichnis <?page no="313"?> Brogan, Hugh (1999). The Penguin History of the USA. London: Penguin Books. Brown, Katherine Ann, & Gitlin, Todd (2011). Partisans, Watchdogs, and Entertai‐ ners. The Press for Democracy and Its Limits. In Robert Y. Shapiro, & Lawrence R. Jacobs (Hrsg.), The Oxford Handbook of American Public Opinion and the Media (S.-74-88). Oxford: Oxford University Press. Burke, Kyle (2016). Radio Free Enterprise: The Manion Forum and the Making of the Transnational Right in the 1960s. Diplomatic History 40(1), S.-111-139. doi: 10.1093/ dh/ dhu056.- Calabrese, Andrew (2014). Media Reform and Communication Rights in the USA. In Claudia Padovani, & Andrew Calabrese (Hrsg.), Communication Rights and Social Justice (S.-180-200). New York: Macmillan. Calabrese, Andrew, & Mihal, Colleen (2011). Liberal Fictions. The Public-Private Dichotomy in Media Policy. In Janet Wasko, Graham Murdock, & Helena Sousa (Hrsg.), The Handbook of Political Economy of Communications (S.-226-263). Oxford: Blackwell Publishing. Chadwick, Andrew (2017). The hybrid media system. Politics and power. New York: Oxford University Press, 2. Aufl. Chambers, Todd, & Howard, Herbert H. (2006). The Economics of Media Consoli‐ dation. In Alan B. Albarran, Sylvia M. Chan-Olmsted, & Michael O. Wirth (Hrsg.), Handbook of Media Management and Economics (S.-363-385). London: Erlbaum. Cherry, Barbara A. (2006). Regulatory and Political Influences on Media Manage‐ ment and Economics. In Alan B. Albarran, Sylvia M. Chan-Olmsted, & Michael O. Wirth (Hrsg.), Handbook of Media Management and Economics (S.-91-111). London: Erlbaum. Chesney, Bobby, & Citron, Danielle (2019). Deep Fakes: A Looming Challenge for Privacy, Democracy, and National Security. In California Law Review 107, S.-1753-1819. Clark, Carmen E. (2008a). Abolionist Press. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclo‐ pedia of American Journalism (S.-3-5). New York: Routledge. Clark, Carmen E. (2008b). Agricultural Journalism. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-10-12). New York: Routledge. Clemens, Detlev (1999). Netz-Kampagnen. Parteien und politische Informationslot‐ sen in den Internet-Wahlkämpfen 1998 in Deutschland und den USA. In Klaus Kamps (Hrsg.), Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation (S.-153-174). Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Coleman, Stephen (2019). Journalism and the Public-Service Model. In Search of an Ideal. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-333-344). New York: Oxford University Press. Literaturverzeichnis 313 <?page no="314"?> Conrad, Mark (2008). Fairness Doctrine. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-163-164). New York: Routledge. Cook, Timothy (1998). Governing with the News. The News Media as a Political Institution. Chicago: University of Chicago Press. Coppersmith, Andrew S. (2004). Fighting Words. New York: The New Press. Corporation for Public Broadcasting (2012). Alternative Sources of Funding for Public Broadcasting Stations. http: / / www.cpb.org/ aboutcpb/ Alternative_Sour‐ ces_of_Funding_for_Public_Broadcasting_Stations.pdf Curran, James N., & Freedman, Des (2012). Misunderstanding the Internet. Abingdon: Routledge. Curran, James N., Iyengar, Shanto, Lund, Anker Brink, & Salovaara-Moring, Inka (2009). Media System, Public Knowledge and Democracy. A Comparative Study. In European Journal of Communication 24(1), S.-5-26. Dahlgren, Peter (2005). The Internet, public spheres, and political communication: Dispersion and deliberation. In Political Communication 22(2), S.-147-162. Davies, Nick (2008). Flat Earth News. London: Chatto & Windus. DellaVigna, Stefano, & Kaplan, Ethan (2006). The Fox News Effect. Media Bias and Voting. NBER Working Papers Series, Working Paper 12169, http: / / www.nber.or g/ papers/ w12169 DeLuca, Arthur P. (1976). FCC Broadcast Standards for Ascertaining Community Needs. Fordham Urban Law Journal 5(1), S.-54-81. DeVito, Michael A. (2016). From editors to algorithms: A values-based approach to unterstanding story selection in the Facebook news feed. Digital Journalism, 1-12, doi: http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 21670811.2016.1178592 Dernbach, Christoph (2000). Nachrichtenagenturen im Internetzeitalter. In Klaus- Dieter Altmeppen (Hrsg.), Online-Journalismus (S.-251-255). Wiesbaden: West‐ deutscher Verlag. Dewenter, Ralf, & Rösch, Jürgen (2020). Industrieökonomik. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S.-99-124). Wiesbaden: Springer VS. Dippel, Horst (2006). Geschichte der USA. München: C.H. Beck, 6. Aufl. Dolata, Ulrich (2020). Plattform-Regulierung. Koordination von Märkten und Kura‐ tierung von Sozialität im Internet. In Berliner Journal für Soziologie 29, S. 179-206. doi: 10.1007/ s11609-020-00403-9 Dolata, Ulrich, & Schrape, Jan-Felix (2022). Internet, Big Data und digitale Plattfor‐ men: Politische Ökonomie - Kommunikation - Regulierung. In Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Online First: https: / / doi.org/ 10.1007/ s11577 -022-00843-6 314 Literaturverzeichnis <?page no="315"?> Donges, Patrick (2006). Medien als Institutionen und ihre Auswirkungen auf Or‐ ganisationen. Perspektiven des soziologischen Neo-Institutionalismus für die Kommunikationswissenschaft. In Medien & Kommunikationswissenschaft 54(4), S.-563-578. doi: 10.5771/ 1615-634x-2006-4-563 Dovifat, Emil (1990; Orig. 1927). Der amerikanische Journalismus (Hrsg. von Stephan Ruß-Mohl). Berlin: Colloquium Verlag. Downing, John D. H. (2011). Media Ownership, Concentration, and Control. In: Janet Wasko, Graham Murdock, & Helena Sousa (Hrsg.), The Handbook of Political Economy of Communications (S.-140-168). Oxford: Blackwell Publishing. Dragomir, Marius, & Thompson, Mark (2014). Mapping the World’s Digital Media. In Marius Dragomir, & Mark Thompson (Hrsg.), Mapping Digital Media. Global Findings (S. 9-20). http: / / www.opensocietyfoundations.org/ projects/ mapping-di‐ gital-media Dreyer, Michale, & Fröhlich, Nils (2016). Der Supreme Court: Hüter der Verfassung oder Interpret der Gegenwart? In Christian Lammert, Markus B. Siewert, & Boris Vormann (Hrsg.), Handbuch Politik USA (S.-156-179). Wiesbaden: Springer VS. Drexl, Josef (2017). Economic Efficiency versus Democracy: On the Potential Role of Competition Policy in Regulating Digital Markets in Times of Post-Truth Politics. Max Planck Institute for Innovation and Competition Research Paper No. 16-16. Druckman, James N. (2003). The power of television images. The first Kennedy- Nixon debate revisited. Journal of Politics 65(2), S.-559-571. Dyson, Esther, Gilder, George, Keyworth, George, & Toffler, Alvin (1994). Cyber‐ space und der amerikanische Traum. Auf dem Weg zur elektronischen Nachbar‐ schaft: Eine Magna Charta für das Zeitalter des Wissens. In Karin Bruns & Ramón Reichert (Hrsg.), Reader Neue Medien: Texte zur digitalen Kultur und Kommunika‐ tion S.-132-137). Bielefeld: transcript Verlag. doi: 10.1515/ 9783839403396-012 Easton, David (1965). A System Analysis of Political Life. New York: Wiley. Eisenegger, Marc (2021). Dritter, digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit als Folge der Plattformisierung. In Marc Eisenegger, Marlis Prinzing, Patrik Ettinger, & Roger Blum (Hrsg.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen (17-39). Wiesbaden: Springer VS. Eskridge, Sara K. (2018). Rube Tube: CBS and Rural Comedy in the Sixities. Columbia: University of Missouri Press. Evensen, Bruce J. (2008). Associated Press. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclope‐ dia of American Journalism (S.-37-38). New York: Routledge. Literaturverzeichnis 315 <?page no="316"?> Federal Communications Commission (2011). The Information Needs of Communities. The Changing Media Landscape in A Broadband Age. www.fcc.gov/ infoneedsrep ort Federal Communications Commission (2020). 2020 Communication Marketplace Report. https: / / www.fcc.gov/ document/ fcc-releases-2020-communications-mar‐ ketplace-report Fengler, Susanne, & Ruß-Mohl, Stephan (2008). Journalists and the informationattention markets: Towards an economic theory of journalism. In Journalism 9(6), S.-667-690. doi: 10.1177/ 1464884908096240 Frank, Thomas (2004). What’s the matter with Kansas? New York: Metropolitan Books. Freedman, Des (2008). The Politics of Media Policy. Cambridge: Polity Press. Frontani, Michael R. (2008). Alternative Press. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-13-17). New York: Routledge. Gawehns, Florian (2021). „A more perfect Union“: Zu möglichen Demokratiere‐ formen in den USA. In. In Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/ 21, S.-408-424. doi: 105771/ 0340-1758-2021-2-408 Geiß, Stefan, Magin, Melanie, Stark, Birgit, & Jürgens, Pascal (2018). „Common Mee‐ ting Ground” in Gefahr? Selektionslogiken politischer Informationsquellen und ihr Einfluss auf die Fragmentierung individueller Themenhorizonte. Medien & Kommunikationswissenschaft, 66(4), 502-525. doi: 10.5771/ 1615-634X-2018-4-502 Gentzkow, Matthew Aaron, & Shapiro, Jesse M. (2010). What Drives Media Slant? Evidence from U.S. Daily Newspapers. Econometrica 78(1), S.-35-71. Giacomini, Davide (2019). Should there be rules governing social media use for accountability in the public sector? In Public Money & Management. doi: 10.1080/ 09540962.2019.1687826 Goldstein, Robert Justin (1996). Burning the Flag: The Great 1989-1990 American Flag Desecration Controversy. Kent: Kent State University Press. Goldstein, Robert Justion (2008). Censorship. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclo‐ pedia of American Journalism (S.-83-88). New York: Routledge. Graber, Doris A. (2019). Freedom of the Press. Theories and Realities. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-237-248). New York: Oxford University Press. Graber, Doris A., & Dunaway, Johanna (2018). Mass Media and American Politics. Washington: CQ Press, 10. Aufl. Graber, Doris A., & Holyk, Gregory G. (2011). The News Industry. In Robert Y. Shapiro, & Lawrence R. Jacobs (Hrsg.), The Oxford Handbook of American Public Opinion and the Media (S.-89-104). Oxford: Oxford University Press. 316 Literaturverzeichnis <?page no="317"?> Greene, Jamal (2021). How Rights Went Wrong. Why Our Obsession with Rights Is Tearing America Apart. Boston, New York: Harcourt. Groshgal, Leah W. (2014). Chronicling America’s Historic Ger‐ man Newspapers and the Growth of the American Ethnic Press. https: / / www.neh.gov/ divisions/ preservation/ featured-project/ chroniclingamericas-historic-german-newspapers-and-the-grow Habermas, Jürgen (1990 [1962]). Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2. Aufl. Hachmeister, Lutz, Kenzler, Justine, & Granzeuer, Fabian (2018). Zum Zustand der deutschen und europäischen Medienpolitik. In Aus Politik und Zeitgeschichte 40-41/ 2018, S.-4-10. Hagen, Martin (1996). A Road to Electronic Democracy? Politische Theorie, Politik und der Information Superhighway in den USA. In Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Der „Information Superhighway“. Amerikanische Visionen und Erfahrungen (S.-63-85). Opladen: Westdeutscher Verlag. Hallin, Daniel C., & Mancini, Paolo (2004). Comparing Media Systems. Three Models of Media and Politics. Cambridge: Cambridge University Press. Hallin, Daniel C., & Mancini, Paolo (2019). Western Media Systems in Comparative Perspective. In James Curran, & David Hesmondhalgh (Hrsg.), Media and Society (S.-167-186). New York u. a.: Bloomsbury Academic, 6. Aufl. Hamilton, James T. (2004). All the News That’s Fit To Sell: How the Market Transforms Information into News. Princeton: Princeton University Press. Hartnett, Richard M., & Ferguson, Billy G. (2003). Unipress. Covering the 20the Century. New York: Fulcrum. Harvard University Press (Hrsg.) (1972). A Brief Narrative of the Case and Trial of John Peter Zenger, Printer of the New York Weekly Journal. Boston: Harvard University Press. Heideking, Jürgen, & Mauch, Christof (2007). Geschichte der USA. Tübingen: UTB. Heideking, Jürgen, & Sterzel, Paul (2007). Entstehung und Ausformung des Verfas‐ sungssystems. In Wolfgang Jäger, Christoph M. Haas, & Wolfgang Welz (Hrsg.), Regierungssystem der USA (S.-45-68). München & Wien: Oldenbourg, 3. Aufl. Heinrich, Jürgen (2001). Medienökonomie. Band 1: Mediensystem, Zeitung, Zeitschrift, Anzeigenblatt. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2. Aufl. Helberger, Natali (2020). The Political Power of Platforms: How Current Attempts to Regulate Misinformation Amplify Opinion Power. In Digital Journalism 8(6), S.-842-854. doi: 10.1080/ 21670811.2020.1773888 Heldt, Amélie, & Dreyer, Stephan (2021). Competent Third Parties and Content Moderation on Platforms: Potentials of Independent Decision-Making Bodies Literaturverzeichnis 317 <?page no="318"?> From A Governance Structure Perspective. In Journal of Information Policy, 11, S.-266-300. Hemmer, Nicole (2016). Messengers of the Right. Conservative Media and the Trans‐ formation of American Politics. Philadelphia: University of Philadelphia Press. Heritage Foundation (2020). A Conservative Guide to the Antitrust and Big Tech Debate. 1. Dez. 2020, http: / / report.heritage.org/ bg3563 Heußner, Hermann K. (1994). Volksgesetzgebung in den USA und in Deutschland. Ein Vergleich der Normen, Funktionen, Probleme und Erfahrungen. Köln: Heymann. Hindman, Matthew (2009). The Myth of Digital Democracy. Princeton: Princeton University Press. Hindman, Matthew (2018). The Internet Trap: How the Digital Economy Builds Monopolies and Undermines Democracy. Princeton: Princeton University Press. Hoffmann-Riem, Wolfang (2009). Wandel der Medienordnung - Reaktion in Medien‐ recht, Medienpolitik und Medienwissenschaft. Ausgewählte Abhandlungen. Baden- Baden: Nomos. Holzer, Harold (2020). The presidents vs. the press: the endless battle between the White House and the media - from the founding fathers to fake news. New York: Dutton. Horst, Patrick (2018). Eine liberale Demokratie in der Krise. Die US-Demokratie im Spiegel der Indizes empirischer Demokratiemessung und der Einstellung ihrer Bürger. In: Horst, Patrick, Adorf, Philipp, & Decker, Frank (Hrsg.), Die USA - eine scheiternde Demokratie? (S.-33-60). Frankfurt a. M.: Campus. Hovestädt, Dagmar (2008). Die Macht der Konzerne. Das Mediensystem der USA. https: / / www.bpb.de/ internationales/ amerika/ usa/ 10707/ medien-in-den-usa Humphrey, Carol Sue (2008). American Revolution. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-17-21). New York: Routledge. Isbell, Kimberley A. (2010). The Rise of the News Aggregator: Legal Implications and Best Practices. Berkman Center Research Publication No. 2010-10. https: / / papers .ssrn.com/ sol3/ papers.cfm? abstract_id=1670339# Iyengar, Shanto, Sood, Gaurav, & Lelkes, Yphtach (2012). Affect, not ideology. A social identity perspective on polarization. In Public Opinion Quarterly 76(3), S.-405-431. Jackaway, Gwenyth (1995). Media At War: Radio’s Challenges to The Newspapers 1924-1939. New York: Praeger. Jarren, Otfried (2018). Kommunikationspolitik für die Kommunikationsgesellschaft. Verantwortungskultur durch Regulierung. In Aus Politik und Zeitgeschichte 40- 41/ 2018, S.-23-28. Jowett, Garth S., & O’Donnell, Victoria (2019). Propaganda and Persuasion. Sage: Thousand Oaks, 7. Aufl. 318 Literaturverzeichnis <?page no="319"?> Junker, Detlef (2018). Franklin Delano Roosevelt. In Christof Mauch (Hrsg.), Die Präsidenten der USA (S.-328-343). München: C. H. Beck. Kalmoe, Nathan P., & Mason, Lilliana (2022). Radical American Partisanship. Mapping Violent Hostility, Its Causes, and the Consequences for Democracy. Chicago, London: University of Chicago Press. Kamps, Klaus (2000). Die Agora des Internet: Zur Debatte politischer Öffentlichkeit und Partizipation im Netz. In Otfried Jarren, Kurt Imhof, & Roger Blum (Hrsg.), Zerfall der Öffentlichkeit (S.-227-239). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Kamps, Klaus (2006). Regieren und Kommunikation in den USA. Konditionen und Konstitution. In Klaus Kamps, & Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.), Regieren und Kommunikation. Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und gouvernementales Kommunikationsmanagement - Trends, Vergleiche, Perspektiven (S.-337-369). Köln: Herbert von Halem Verlag. Kamps, Klaus (2014). Volksinitiativen und Referenden in Kalifornien. In Heike Scholten, & Klaus Kamps (Hrsg.), Abstimmungskampagnen. Politikvermittlung in der Referendumsdemokratie (S.-453-472). Wiesbaden: Springer VS. Kamps, Klaus (2016a). Divided Country - Divided Media? Das US-amerikanische Mediensystem im Präsidentschaftswahlkampf 2012. In Christoph Bieber, & Klaus Kamps (Hrsg.), Die US-Präsidentschaftswahl 2012. Analysen der Politik- und Kom‐ munikationswissenschaft (S.-215-240). Wiesbaden: Springer VS. Kamps, Klaus (2016b). Grundlagen der Medienpolitik. https: / / www.bpb.de/ themen/ medien-journalismus/ medienpolitik/ 171876/ grundlagen-der-medienpolitik/ Kamps, Klaus (2019a). Ein Präsident und (s)ein Sender. Donald Trump und Fox News. In Regierungsforschung.de, 25.06.2019, https: / / regierungsforschung.de/ ein-praesi dent-und-sein-sender/ Kamps, Klaus (2019b). Die Einflüsterer des Präsidenten: Fox News und Donald Trump. In Blätter für deutsche und internationale Politik 10/ 2019, S.-69-78. Kamps, Klaus (2020a). Commander-in-Tweet. Donald Trump und die deformierte Präsidentschaft. Wiesbaden: Springer Nature. Kamps, Klaus (2020b). 1968 - Campaigning in unruhigen Zeiten oder: Von Nixon zu Trump. In Regierungsforschung.de, 30. Oktober 2020. https: / / regierungsforschun g.de/ 1968-campaigning-in-unruhigen-zeiten-oder-von-nixon-zu-trump/ Kamps, Klaus (2021). Nach Trump - was macht Fox News? In Regierungsfor‐ schung.de, 02.03.2021, https: / / regierungsforschung.de/ nach-trump-was-macht-fo x-news/ Kang, Jerry, & Butler, Alan (2020). Communications Law and Policy. Cases and Materials. O.O.: Direct Injection Press, 7. Aufl. Literaturverzeichnis 319 <?page no="320"?> Kaplan, Martin, & Hale, Matthew (2019). Local TV News In The Los Angeles Media Market. http: / / www.learcenter.org/ pdf/ LANews2010.pdf Katzenbach, Christian (2021). Die Öffentlichkeit der Plattformen: Wechselseitige (Re-)Institutionalisierung von Öffentlichkeiten und Plattformen. In Marc Eisen‐ egger, Marlis Prinzing, Patrik Ettinger, & Roger Blum (Hrsg.), Digitaler Struk‐ turwandel der Öffentlichkeit. Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen (S.-64-80). Wiesbaden: Springer VS. Kernell, Samuel, Jacobson, Gary C., Kousser, Thad, & Vavreck, Lynn (2020). The Logic of American Politics. Thousand Oaks: CQ Press, 9. Aufl. Kielbowicz, Richard B. (2008). Postal Acts of 1792, 1845, 1879. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (399-401). New York: Routledge. Klein, Ezra (2020). Why We’re Polarized. New York u. a.: Avid Reader. Kleinsteuber, Hans. J. (1995). Radio von unten - Technik von unten? Von den Anfängen der Funktechnik bis zum digitalen Hörfunk. In Johanna Dorer, & Alexander Barasits (Hrsg.), Radiokultur von Morgen: Ansichten, Aussichten, Alter‐ nativen (S.-70-78). Wien: Verlag Buchkultur. Kleinsteuber, Hans J. (1996a). Einleitung. In Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Der „Information Superhighway“. Amerikanische Visionen und Erfahrungen (S.-9-13). Opladen: Westdeutscher Verlag. Kleinsteuber, Hans. J. (1996b). Der Information Superhighway: Analyse einer Meta‐ pher. In Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Der „Information Superhighway“. Amerika‐ nische Visionen und Erfahrungen (S.-17-47). Opladen: Westdeutscher Verlag. Kleinsteuber, Hans J. (2003). Pressefreiheit in den USA - zwischen „Marketplace of Ideas“ und „The People’s Right to Know“. In Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Die Kommunikationsfreiheit der Gesellschaft. Die demokratischen Funktionen eines Grundrechts (S.-72-95). Publizistik Sonderheft 4. Wiesbaden: Springer VS. Kleinsteuber, Hans J. (2005). Mediensysteme. In Siegfried J. Weischenberg, Hans J. Kleinsteuber, & Bernhard Pörksen (Hrsg.), Handbuch Journalismus und Medien (S.-275-280). Konstanz: UVK. Kleinsteuber, Hans J. (2007a). Nordamerika. In Barbara Thomaß (Hrsg.), Mediensys‐ teme im internationalen Vergleich (S.-246-258). Konstanz: UVK Kleinsteuber, Hans J. (2007b). Massenmedien und öffentliche Meinung. In Wolfgang Jäger, Christoph M. Haas, & Wolfgang Welz (Hrsg.), Regierungssystem der USA (377-393). München & Wien: Oldenbourg, 3. Aufl. Kleinsteuber, Hans J. (2008a). Medien und öffentliche Meinung. In Peter Lösche (Hrsg.), Länderbericht USA. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur (S.-315-340). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. 320 Literaturverzeichnis <?page no="321"?> Kleinsteuber, Hans J. (2008b). Massenmedien: Amerikanisch-deutsche Oszillationen und Interferenzen. In Matthias S. Fifka, & Daniel Gossel (Hrsg.), Mediendemokra‐ tie in den USA. Politische Kommunikation und Politikvermittlung am Beginn des 21.-Jahrhunderts (S.-23-43). Trier: Wissenschaftlicher Verlag. Knobel, Beth (2018). „Judicious Skepticism: “ Fact-Checking Trump. In Arthur S. Hayes (Hrsg.), Communication in the Age of Trump (S.-219-240). New York u. a.: Peter Lang. Knüpfer, Curd B. (2016). Die Medien: Vierte Gewalt oder Sprachrohr der Macht? In Christian Lammert, Markus B. Siewert, & Boris Vormann (Hrsg.). Handbuch Politik USA (S.-325-344). Wiesbaden: Springer VS. Klein, Ezra (2020). Why We’re Polarized. New York u. a.: Avid Reader. Kimmelman, Gene (2019). The Right Way to Regulate Digital Platforms. Research Paper Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy, Harvard Univer‐ sity. https: / / shorensteincenter.org/ the-right-way-to-regulate-digital-platforms/ Kolkmann, Michael (2021). Sieg auf ganzer Linie für die Demokraten? Die Wahlen zum US-Kongress vom 3. November 2020. In Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/ 21, S.-223-244. doi: 105771/ 0340-1758-2021-2-223 Kosseff, Jeff (2019). The Twenty-Six Words That Created the Internet. Ithaca & London: Cornell University Press. Kübler, Hans-Dieter (2018a). Digitale Vernetzung. In Rüdiger Voigt (Hrsg.), Hand‐ buch Staat (S.-1399-1409). Wiesbaden: Springer VS. Kübler, Hans-Dieter (2018b). Internet-Konzerne. In Rüdiger Voigt (Hrsg.), Handbuch Staat (S.-1837-1847). Wiesbaden: Springer VS. Lammert, Christian, Siewert, Markus B., & Vormann, Boris (2016) (Hrsg.). Handbuch Politik USA. Wiesbaden: Springer VS. Lammert, Christian, Siewert, Markus B., & Vormann, Boris (2016a). Fremde Ver‐ traute: Traditionelle Leitbilder und neue Herausforderungen. In: Dies. (Hrsg.), Handbuch Politik USA (S.-2-12). Wiesbaden: Springer VS. Latzer, Michael, Aubert, Viviane, Just, Natascha, Korinth, Lena, & Saurwein, Florian (2012). Länderprofile der Mediennutzung. Traditionelle und neue Medien im Ver‐ gleich. IPMZ, Universität Zürich, Zürich. Lawson, Linda (2008). Newspaper Publicity Act of 1912. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-357-359). New York: Routledge. Leisert, Oliver (2017). Soziale Medien als Techniken der Überwachung und Kontrolle. In Jan-Hinrik Schmid, & Monika Taddicken (Hrsg.), Handbuch Soziale Medien (S.-231-249). Wiesbaden: Springer VS. Literaturverzeichnis 321 <?page no="322"?> Lemire, Jonathan (2022). The Big Lie. Election Chaos, Political Opportunism, And The State of American Politics After 2020. New York: Flatiron Books. Lepore, Jill (2019). The Invention - and Reinvention - of Impeachment. In The New Yorker v. 21.10.2019. Lepore, Jill (2020). Diese Wahrheiten. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. München: C.H. Beck, 4. Aufl. Lessig, Lawrence (2018). America, Compromised. Chicago: University of Chicago Press. Lessig, Lawrence (2019). They Don’t Represent Us. Reclaiming our Democracy. New York: HarperCollins. Lewin, John Henry (1946). The Associated Press Decision - An Extension of the Sherman Act? University of Chicago Law Review 13, S.-247-265. Lewis, Anthony (1993). Make No Law: The Sullivan Case and the First Amendment. New York: Vintage Books. Lewis, Tom (1991). Emire of the Air. The Men Who Made Radio. New York: Harper‐ Collins. Lichter, S. Robert (2019). Theories of Media Bias. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-403-416). New York: Oxford University Press. Lippmann, Walter (1922). Public Opinion. New York: Macmillan. Lippmann, Walter (1925). The Phantom Public. New York: Macmillan. Livingstone, Sonia (1998). Audience research at the crossroads: The “implied au‐ dience” in media and cultural theory. European Journal of Cultural Studies 1(2), S.-193-217. Livingstone, Sonia (1999). New Media, New Audiences? New Media and Society 1(1), S.-59-66. Livingstone, Sonia (2003). The Changing Nature of Audiences: From the Mass Au‐ dience to the Interactive Media User. In Angharad N. Valvida (Hrsg.) Companion to Media Studies (S.-337-359). Oxford: Blackwell. Löblich, Maria, & Nietzke, Carlotta (2020). Die deutsche Presse und Google. Eine Diskursanalyse. In Medien & Kommunikationswissenschaft 68(1-2), S.-32-49. Lösche, Peter (1989). Amerika in Perspektive. Politik und Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Lobigs, Frank, & Neuberger, Christoph (2018). Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen. Leipzig: Vistas. Lütjen, Torben (2016). Partei der Extreme: Die Republikaner. Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus. Bielefeld: transcript. 322 Literaturverzeichnis <?page no="323"?> Lütjen, Torben (2020). Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert. Darmstadt: Theiss. Luhmann, Niklas (1996). Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2. Aufl. Man, John (2009). The Gutenberg Revolution. How Printing Changed the Course of History. London: Transworld Publishers. Mansell, Robin (2011). New Visions, Old Practices: Policy and Regulation in the Internet Era. In Journal of Media & Cultural Studies 25(1), S.-19-32. Marcus, Sheldon (1973). Father Coughlin: The Tumultuous Life of the Priest of the Little Flower. Boston: Little Brown. Mauch, Christof, Ortlepp, Anke, & Heideking, Jürgen (2020). Geschichte der USA. Tübingen: Narr Francke Attempo Verlag, 7. Aufl. Maier, Jürgen, & Faas, Thorsten (2019). TV-Duelle. Wiesbaden: Springer VS. Mayer, Jane (2019). The Making of the Fox News White House. The New Yorker, 11. März 2019. McChesney, Robert (1999). Rich Media, Poor Democracy. Champaign: Illinois Univer‐ sity Press. McChesney, Robert (2004). The Problem of the Media. U.S. Communication Politics in the 21 st Century. New York: Monthly Review Press. McChesney, Robert, & Nichols, John (2010). Death and Life of American Journalism: The Media Revolution That Will Begin the World Again. Philadelphia: Nation Books. McChesney, Robert, & Pickard, Victor (2019). News Media as Political Institutions. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-263-274). New York: Oxford University Press. McConnell, James S. (2008). Hutchins Commission: The Commission on Freedom of the Press. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-218-219). New York: Routledge. McKay, David (2018). American Politics and Society. Oxford: Wiley, 9. Aufl. McQuail, Dennis (1994). Mass Communication Theory. London u. a.: Sage, 3. Aufl. Meehan, Eileen R., & Torre, Paul J. (2011). Markets in Theory and Markets in Television. In: Janet Wasko, Graham Murdock, & Helena Sousa (Hrsg.), The Handbook of Political Economy of Communications (S.-62-82). Oxford: Blackwell Publishing. Messere, Fritz (2008a). Federal Communications Commission. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-164-165). New York: Routledge. Literaturverzeichnis 323 <?page no="324"?> Messere, Fritz (2008b). Telecommunications Act of 1996. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-521-523). New York: Routledge. Merten, Klaus (1999). Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Bd.-1: Grund‐ lagen der Kommunikationswissenschaft. Münster: LIT Verlag. Metzger, Miriam J. (2019). Broadcasting versus Narrowcasting. Do Mass Media Exist in the Twenty-First Century? In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S. 795-808). New York: Oxford University Press. Middlekauff, Robert (2005). The Glorious Cause. The American Revolution 1763-1789. Oxford u. a.: Oxford University Press. Morris, Jonathan S. (2005). The Fox News Factor. In The International Journal of Press/ Politics 10(3), S.-56-79. MRI-Simmons (2022). US Media Audience Demographics. https: / / www.marketing‐ charts.com/ Mudde, Cas (2021). Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Murdock, Graham (2011). Political Economies as Moral Economies. Commodities, Gifts, and Public Goods. In: Janet Wasko, Graham Murdock, & Helena Sousa (Hrsg.), The Handbook of Political Economy of Communications (S. 13-40). Oxford: Blackwell Publishing. Murschetz, Paul Clemens (2020). Geschäfts- und Erlösmodelle in den Medien. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S.-395-420). Wiesbaden: Springer VS. Nagel, Lars-Marten (2007). Bedingt ermittlungsbereit. Investigativer Journalismus in Deutschland und in den USA. Berlin: Lit Verlag. Nagle, Angela (2018). Die digitale Gegenrevolution. Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump. Regensburg: transcript Verlag. Napoli, Philip M. (2006). Issues in Media Management and the Public Interest. In Alan B. Albarran, Sylvia M. Chan-Olmsted, & Michael O. Wirth (Hrsg.), Handbook of Media Management and Economics (S.-275-295). London: Erlbaum. Napoli, Philip M. (2008). Media Policy. In Wolfgang Donsbach (Hrsg.), The Internatio‐ nal Encyclopedia of Communication (S. 2969-2980). Malden: Blackwell Publishing. Napoli, Philip M. (2010). Revisiting ‚Mass Communication‘ and the ‚work‘ of the audience inn the new media environment. Media, Culture & Society 32(3), S. 505- 516. 324 Literaturverzeichnis <?page no="325"?> Napoli, Philip M. (2015). Social media and the public interest: Governance of news platforms in the realm of individual and algorithmic gatekeepers. Telecommuni‐ cations Policy 39(9), S.-751-760. Napoli, Philip M. (2019). Social Media and the Public Interest. Media Regulation in the Disinformation Age. New York: Columbia University Press. Napoli, Philip., & Caplan, Robyn (2017). Why media companies insist they’re not media companies, why they are wrong, and why it matters. https: / / firstmonday. org/ ojs/ index.php/ fm/ article/ view/ 7051 Napoli, Philip M., & Dwyer, Deborah L. (2018). U.S. media policy in a time of political polarization and technological evolution. In Publizistik 63, S.-583-601. doi: 10.1007/ s11616-018-0440-2 Neuman, W. Russell, Bimber, Bruce, & Hindman, Matthew (2013). The Internet and Four Dimensions of Citizenship. In Robert Y. Shapiro, & Lawrence R. Jacobs (Hrsg.), The Oxford Handbook of American Public Opinion and the Media (S. 22-42). Oxford: Oxford University Press. Niederberger, Walter (2016). Trumpland. Donald Trump und die USA. Zürich: Orell Füssli. Nimmo, Dan D., & Newsome, Chevelle (1997). Political Commentators in the United States in the 20 th Century. A Bio-Critical Sourcebook. Greenwood. Noam, Eli M. (2009). Media Ownership and Concentration in America. Oxford: Oxford University Press. Noam, Eli M. (2016). Why TV Regulation Will Become Telecom Regulation. In Ed Richards, Robin Forster, & Tim Kiedrowski (Hrsg.), Communications: The Next Decade (S.-67-72). London: Ofcom. Nord, David Paul (2006). Communities of Journalism. A History of American Newspa‐ pers and Their Readers. Urbana u. a.: University of Illinois Press. Obar, Jonathan A., & Wildmann, Steve (2015). Social media definition and the governance challenge: An introduction to the special issue. In Telecommunications Policy 39(9), S.-745-750. O’Connor, Cailin, & Weatherall, James O. (2019). The Misinformation Age: How False Beliefs Spread. New Haven & London: Yale University Press. O’Keefe, Edward F. (2019). Streaming War Won: Or how I learned to stop worrying and love the news. https: / / shorensteincenter.org/ streaming-war-won/ Oldopp, Birgit (2005). Das politische System der USA. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag, 2. Aufl. Olson, Kathleen K. (2008). Zenger, John Peter. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-611). New York: Routledge. Literaturverzeichnis 325 <?page no="326"?> Overby, Harald, & Audestad, Jan Arild (2021). Introduction to Digital Economics. Foundations, Business Models and Case Studies. Cham: Springer Nature. Pacher, George (2021). Last Best Hope. America in Crisis and Renewal. London: Penguin Random House. Paine, Thomas (1994 [1776]). Common Sense. https: / / www.gutenberg.org/ cache/ ep ub/ 147/ pg147-images.html Papathanassopoulos, Stylianos (2015). Media Policy. In Mazzoleni, Gianpietro (Hrsg.), The International Encyclopedia of Political Communication. (S.-1-9). New York: Wiley & Sons. doi: 10.1002/ 9781118541555.wbiepc094 Pariser, Eli (2011). The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You. New York: Penguin Press. Paterson, Chris (2007). International news on the Internet: Why more is less. International Journal of Communication Ethics 4(1/ 2), S.-57-66. Paterson, Chris (2008). Ferderal Communications Commission. In Wolfgang Dons‐ bach (Hrsg.), The International Encyclopedia of Communication (S.-1751-1755). Malden: Blackwell Publishing. Peck, Lee Anne (2008). Ethics. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-155-161). New York: Routledge. Peck, Reece (2019). Fox Populism. Branding Conservatism as Working Class. Cam‐ bridge: Cambridge University Press. Pellegrini, Tassilo, & Krone, Jan (2020). Netzneutralität und digitaler Medienvertrieb. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S. 347-367). Wiesbaden: Springer VS. Pensold, Wolfgang (2015). Geschichte des Fotojournalismus. Was zählt, sind die Bilder. Wiesbaden: Springer VS. Perloff, Richard M. (1998). Political Communication. Politics, Press, and Public in America. New York: Routledge. Perloff, Richard M. (2014). The Dynamics of Political Communication. Media and Politics in a Digital Age. New York: Routledge. Peters, Shawn Francis (2000). Judging Jehovas Witnesses: Religious Persecution and the Dawn of Rights Revolution. Lawrence: University of Kansas Press. PEW Research Center (26. März 2014). Regulation. https: / / www.pewre‐ search.org/ journalism/ 2014/ 03/ 26/ regulation/ PEW Research Center (27. Juli 2015). Political Polarization and Media Habits. From Fox News to Facebook; https: / / www.pewresearch.org/ wp-content/ uploads/ sites/ 8/ 2014/ 10/ Political-Polarization-and-Media-Habits-FINAL-REPORT-7-27-15.pdf PEW Research Center (22. Februar 2018). FacTank, 5 Facts About Blacks in the U.S.; www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2018/ 02/ 22/ 5-facts-about-blacks-in-the-u-s 326 Literaturverzeichnis <?page no="327"?> PEW Research Center (12. Juli 2018). Audio and Podcasting Fact Sheet. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ 2019/ 06/ 25/ archived-stateof-the-news-media-reports/ PEW Research Center (10. Dezember 2018). Social Media Outpaces Print Newspapers in the U.S. as a News Re‐ search. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2018/ 12/ 10/ social-media-outpa‐ ces-print-newspapers-in-the-u-s-as-a-news-source/ PEW Research Center (20. Januar 2020). U.S. Media Polarization and the 2020 Elec‐ tion: A Nation Divide. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ 2020/ 01/ 24/ us-media-polarization-and-the-2020-election-a-nation-divided/ PEW Research Center (19. August 2020). Most Americans Think Social Media Sites Censor Political Viewpoints. https: / / www.pewresearch.org/ internet/ 2020/ 08/ 19/ most-americans-think-social-media-sites-censor-political-viewpoints/ PEW Research Center (12. Januar 2021). More than eight-in-ten Americans get news from digital devices. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2021/ 01/ 12/ more-th an-eight-in-ten-americans-get-news-from-digital-devices/ PEW Research Center (23. März 2021). Large Majorities of Newsmax and OAN News Consumers Also Got To Fox News. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ 2021/ 03/ 23/ large-majorities-ofnewsmax-and-oan-news-consumers-also-go-to-fox-news/ PEW Research Center (7. April 2021). Social Media Use in 2021. https: / / www.pewre‐ search.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media-use-in-2021/ PEW Research Center (17. Mai 2021). More Americans now see the media’s influence growing compared with a year ago. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2021/ 05/ 17/ more-americans-nowsee-the-medias-influence-growing-compared-with-a-year-ago/ PEW Research Center (2. Juni 2021). Americans in news media ‚bubbles‘ think diffe‐ rently about foreign policy than others. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 202 1/ 06/ 02/ americans-in-news-media-bubbles-think-differently-about-foreign-policy-t han-others/ PEW Research Center (29. Juni 2021). Audio and Podcasting Fact Sheet. https: / / www .pewresearch.org/ journalism/ fact-sheet/ audio-and-podcasting/ PEW Research Center (29. Juni 2021). Public Broadcasting Fact Sheet. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ fact-sheet/ public-broadcasting/ PEW Research Center (1. Juli 2021). Republicans less likely to trust their main news source if they see it as ‚mainstream‘. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2 Literaturverzeichnis 327 <?page no="328"?> 021/ 07/ 01/ republicans-less-likely-to-trust-their-main-news-source-if-they-see-it -as-mainstream-democrats-more-likely/ PEW Research Center (13. Juli 2021). U.S. newsroom employment has fallen 26 % since 2008. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2021/ 07/ 13/ u-s-newsroom-employ ment-has-fallen-26-since-2008/ PEW Research Center (13. Juli 2021). Local TV News Fact Sheet. https: / / www.pewre‐ search.org/ journalism/ fact-sheet/ local-tv-news/ PEW Research Center (13. Juli 2021). Cable News Fact Sheet. https: / / www.pewresea rch.org/ journalism/ fact-sheet/ cable-news/ PEW Research Center (13. Juli 2021). Network News Fact Sheet. https: / / www.pewre‐ search.org/ journalism/ fact-sheet/ network-news/ PEW Research Center (20. Juli 2021). 56-% of Ameri‐ cans support more regulation of major technology compa‐ nies. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2021/ 07/ 20/ 56-of-americans-sup‐ port-more-regulation-of-major-technology-companies/ PEW Research Center (27. Juli 2021). Hispanic and Black News Media Fact Sheet. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ fact-sheet/ hispanic-and-blacknews-media/ PEW Research Center (30. August 2021). Partisan divides in media trust widen, driven by a decline among Repub‐ licans. https: / / www.pewresearch.org/ fact-tank/ 2021/ 08/ 30/ partisan-divides-inmedia-trust-widen-driven-by-a-decline-among-republicans/ PEW Research Center (8. November 2021). News Platform Fact Sheet. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ fact-sheet/ news-platform-fact-sheet/ PEW Research Center (15. November 2021). News on Twitter: Consumed by Most Users and Trusted by Many. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ 2021/ 11/ 15/ news-on-twitter-consumed-by-most-users-and-trusted-by-many/ PEW Research Center (20. September 2022). News Plattform Fact Sheet. https: / / www.pewresearch.org/ journalism/ fact-sheet/ news-platform-fact-sheet/ Pfeiffer, Dan (2022). Battling the Big Lie. How Fox, Facebook and the MAGA Media Are Destroying America. New York: Hachette Books. Pfetsch, Barbara, & Marcinkowski, Frank (2009). Problemlagen der „Mediendemo‐ kratie“ - Theorien und Befunde zur Medialisierung von Politik. In Barbara Pfetsch, & Frank Marcinkowski (Hrsg.), Politik in der Mediendemokratie (S. 11-33). PVS - Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 42. Wiesbaden: VS Verlag. Phalen, Patrica F. (2006). Audience Research and Analysis. In Alan B. Albarran, Sylvia M. Chan-Olmsted, & Michael O. Wirth (Hrsg.), Handbook of Media Management and Economics (S.-623-636). London: Erlbaum. 328 Literaturverzeichnis <?page no="329"?> Pickard, Victor (2018). American Media and the Rise of Trump. In Arthur S. Hayes (Hrsg.), Communication in the Age of Trump (S.-91-103). New York u. a.: Peter Lang. Popper, Karl R. (1992). Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.-1. Tübingen: Mohr/ Siebeck, 7. Aufl. Popper, Karl R. (1995). Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren. München: Piper, 8. Aufl. Potter, Claire Bond (2020). Political Junkies. From Talk Radio to Twitter. How Alter‐ native Media Hooked Us on Politics and Broke Our Democracy. New York: Basic Books. Priess, David (2018). How To Get Rid of a President. New York: Public Affairs. Puppis, Manuel (2007). Einführung in die Medienpolitik. Konstanz: UVK. Puppis, Manuel (2008). National Media Regulation in the Era of Free Trade. The Role of Global Media Governance. In European Journal of Communication 23(4), S.-405-424. doi: 10.1177/ 0267323108096992 Puppis, Manuel (2010). Media Governance: A New Concept for the Analysis of Media Policy and Regulation. In Communication, Culture & Critique 3, S.-134-149. Puppis, Manuel, & Corinne Schweizer (2015). Service public im internationalen Vergleich. Schlussbericht zuhanden des Bundesamtes für Kommunikation. Fribourg: Université de Fribourg. Putnam, Robert D. (2000). Bowling Alone: The Collapse and Rival of American Community. New York: Simon & Schuster. Raabe, Johannes (2013). Yellow Press. In Bentele, Günter, Brosius, Hans-Bernd, & Jarren, Otfried (Hrsg.). Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (S. 380). Wiesbaden: Springer VS, 2. Aufl. Rauch, Jonathan (2021). The Constitution of Knowledge. A Defense of Truth. Washing‐ ton: Brookings Institutions Press. Redelfs, Manfred (1996). Investigative Reporting in den USA. Strukturen eines Journa‐ lismus der Machtkontrolle. Opladen: Westdeutscher Verlag. Rheingold, Howard (1994). The Virtual Community. Homesteading on the Electronic Frontier. New York: Harper. Rimscha, Bjørn von, & Siegert, Gabriele (2015). Medienökonomie. Eine problemorien‐ tierte Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Rinsdorf, Lars, & Kamps, Klaus (i. E.). Selbstregulierung auf dem „Marktplatz der Ideen“: Eine Diskursanalyse der US-amerikanischen Plattformpolitik am Beispiel Twitter. In Mark Eisenegger, Patrik Ettinger, Josef Seethaler, & Marlis Prinzing (Hrsg.), Regulierung, Governance und Medienethik in der digitalen Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS. Literaturverzeichnis 329 <?page no="330"?> Röder, Karl-Heinz (1987). Das politische System der USA. Geschichte und Gegenwart. Köln: Pahl-Rugenstein, 3. Aufl. Rosenbach, Marcel (1996). Von der Agenda for Action zum Telecommunications Act von 1996 - US-Kommunikationspolitik zwischen Deregulierung und öffent‐ lichem Interesse. In Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Der „Information Superhighway“. Amerikanische Visionen und Erfahrungen (S.-89-119). Opladen: Westdeutscher Verlag. Rusbridger, Alan (2018). Breaking News. The Remaking of Journalism and Why It Matters Now. Edinburgh: Canongate. Ruß-Mohl, Stephan (1994). Der I-Faktor. Qualitätssicherung im amerikanischen Jour‐ nalismus. Modell für Europa? Zürich: Edition Interforum. Saxer, Ulrich (1998). Mediengesellschaft: Verständnisse und Mißverständnisse. In Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesell‐ schaft. (S.-42-73). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Sadler, Roger L. (2008). Regulation of Television Broadcasting. In Wolfgang Dons‐ bach (Hrsg.), The International Encyclopedia of Communication (S.-5068-5074). Malden: Blackwell Publishing. Schambeck, Herbert, Widder, Helmut, & Bergmann, Marcus (2007). Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Berlin: Duncker & Humblot, 2. Aufl. Schejter, Amit M. (2018). Media Regulation and Policy. In Philip M. Napoli (Hrsg.), Mediated Communication (S.-471-489). London: De Gruyter. Schiffrin, Anya (2014) (Hrsg.). Global Muckraking. 100 Years of Investigative Journa‐ lism from Around the World. New York: New Press. Schimank, Uwe (2007). Neosinstitutionalismus. In Arthur Benz, Susanne Lütz, Uwe Schimank, Georg Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance. Theoretische Grundla‐ gen und empirische Anwendungsfelder (S.-161-175). Wiesbaden: VS Verlag. Schlüter, Jan (2009). Die größten TV-Ereignisse aller Zeiten: Die Mondlandung. htt ps: / / www.quotenmeter.de/ cms/ ? p1=n&p2=37915&p3= Schmidt, Jörg (2016). Das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika. In Otto Altendorfer, & Ludwig Hilmer (Hrsg.), Medienmanagement. Band-2: Medienpraxis - Mediengeschichte - Medienordnung (S.-303-334). Wiesbaden: Springer VS. Schmidt, Manfred G. (1995). Der Zielkonflikt von Freiheit und Gleichheit. Alexis de Tocqueville über die Demokratie in Amerika. In Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Demokratietheorien (S.-78-93). Wiesbaden: VS Verlag. 330 Literaturverzeichnis <?page no="331"?> Schreyer, Söhnke (2018). Präsident Trump, der Kongress und das System der Checks and Balances. In Horst, Patrick, Adorf, Philipp, & Decker, Frank (Hrsg.), Die USA - eine scheiternde Demokratie? (S.-151-168). Frankfurt a. M.: Campus. Schudson, Michael (1978). Discovering the News. New York: Basic Books. Schudson, Michael (2011). Tocqueville’s Interesting Error. On Journalism and De‐ mocracy. In Robert Y. Shapiro, & Lawrence R. Jacobs (Hrsg.), The Oxford Handbook of American Public Opinion and the Media (S.-61-73). Oxford: Oxford University Press. Schudson, Michael (2019). How to think normatively about news and democracy. In Kate Kenski, & Kathleen Hall Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Communication (S.-95-106). New York: Oxford University Press. Schweiger, Wolfgang, Weber, Patrick, Prochazka, Fabian, & Brückner, Lara (2019). Algorithmisch personalisierte Nachrichtenkanäle: Begriffe, Nutzung, Wirkung. Wiesbaden: Springer VS. Scott, W. Richard (2008): Institutions and Organizations. Thousand Oaks: Sage, 3. Aufl. Seufert, Wolfgang (2017). Das Internet und seine Konsequenzen für die medienöko‐ nomische Theorie. In Wolfgang Seufert (Hrsg.), Media Economics revisited. (Wie) Verändert das Internet die Ökonomie der Medien? (S.-9-32). Baden-Baden: Nomos. Seufert, Wolfgang (2018). Medienkonzentration und Medienvielfalt. In Aus Politik und Zeitgeschichte 40-41/ 2018, S.-11-16. Sloman, Steven, & Fernbach, Philip (2017). The Knowledge of Illusion: Why We Never Think Alone. New York: Riverhead Books. Sobbrio, Francesco (2014). The Political Economy of News Media: Theory, Evidence and Open Issues. In Francesco Forte, Ram Mudambi, Pietro Navarra (Hrsg.), Handbook of Alternative Theories of Public Economies (S.-278-320). London: Edward Elgar Press. Sommer, Theo (2001). Amerikanischer Journalismus im Zeitalter des Info-Highways. In: Kleinsteuber, Hans J. (Hrsg.), Aktuelle Medientrends in den USA. Journalismus, politische Kommunikation im Zeitalter der Digitalisierung (S.-24-29). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Soroka, Stuart N., & Wlezien, Christopher (2022). Information and Democracy. Public Policy in the News. Cambridge: Cambridge University Press. Spiller, Ralf, Döbler, Thomas, & Degen, Matthias (2020). Online-Medien/ Netzmedien als journalistische Angebote. In Jan Krone, & Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie (S.-945-964). Wiesbaden: Springer VS. Stark, Birgit, Magin, Melanie, & Jürgens, Pascal (2021). Maßlos überschätzt. Ein Überblick über theoretische Annahmen und empirische Befunde zu Filterblasen Literaturverzeichnis 331 <?page no="332"?> und Echokammern. In Marc Eisenegger, Marlis Prinzing, Patrik Ettinger, & Roger Blum (Hrsg.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen (303-322). Wiesbaden: Springer VS. Starkman, Dean (2010). The Hamster Wheel. Columbia Journal of Journalism Review (Sept./ Okt. 2010), https: / / archives.cjr.org/ cover_story/ the_hamster_wheel.php Starr, Paul (2004). The Creation of the Media: Political Origins of Mass Communication. New York: Basic Books. Stelter, Brian (2020). Hoax. Donald Trump, Fox News, and the Dangerous Distortion of Truth. New York: Simon & Schuster. Sterling, Christopher H., & Kittross, John Michael (2001). Stay Tuned: A History of American Broadcasting. New York: Routledge, 3. Aufl. Stevenson, Robert L., Scott, Glenn, & Shaw, Donald L. (2008). United States of Ame‐ rica: Media System. In Wolfgang Donsbach (Hrsg.), The International Encyclopedia of Communication (S.-5232-5238). Malden: Blackwell Publishing. Stier, Sebastian (2017). Internet und Regimetyp. Netzpolitik und politische Online- Kommunikation in Autokratien und Demokratien. Wiesbaden: Springer VS. Stöver, Bernd (2013). United States of America. Geschichte und Kultur. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 2. Aufl. Stole, Inger L. (2012). Advertising at war: Business, consumers, and government in the 1940s. Urbana: University of Illinois Press. Sunstein, Cass, R. (2001). Republic.com. Princeton: Princeton University Press. Sunstein, Cass R. (2018). #republic. Divided Democracy in the Age of Social Media. Princeton u. Oxford: Princeton University Press. Taylor, Alan (2017). American Revolutions. A Continental History, 1750-1804. New York, London: Norton. Teeter, Dwight L. (2008). Alien and Sedition Acts. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-12-13). New York: Routledge. Theoharis, Athan G. (2008). Freedom of Information Act. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-181-183). New York: Routledge. Thomaß, Barbara (2007). Mediensysteme vergleichen. In dies. (Hrsg.), Mediensysteme im internationalen Vergleich (S.-12-41). Konstanz: UVK Tunstall, Jeremy (1977). The Media Are American. London: Contable. Tunstall, Jeremy (2008). The Media Were American. New York: Oxford University Press. Tuyll, Debra van (2013). The Confederate Press in the Crucible of the American Civil War. New York u. a.: Peter Lang. UNESCO (1963). Statistics on Radio and Television 1950-1960. Unesco Statistical Reports and Studies. http: / / unesdoc.unesco.org/ images/ 0003/ 000337/ 033739eo.pdf 332 Literaturverzeichnis <?page no="333"?> UNESCO (2021). World Trends in Freedom of Expression and Media Development. Global Report 2020/ 2021. https: / / unesdoc.unesco.org/ ark: / 48223/ pf0000379826 Vaughn, Stephen L. (1980). Holding Fast the Inner Lines: Democracy, Nationalism and the Committee on Public Information. Chapel Hill: University of North Carolina Press. Vaughn, Stephen L. (2008a). Committee on Public Information. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclopedia of American Journalism (S.-112-114). New York: Routledge. Vaughn, Stephen L. (2008b). Espionage Act. In Stephen L. Vaughn (Hrsg.), Encyclo‐ pedia of American Journalism (S.-154-155). New York: Routledge. Vancil, David L., & Pendell, Sue D. (1987). The myth of viewer-listener disagreement in the first Kennedy-Nixon debate. Central States Speech Journal 38(1), S.-16-27. Verveer, Philip (2019). Countering Underinvestment in Prevention by Platform Com‐ panies. Research Paper Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy, Harvard University. https: / / shorensteincenter.org/ countering-underinvestment -in-prevention-by-platform-companies/ Vosoughi, Soroush, Roy, Deb, & Aral, Sinan (2018). The Spread of True and False News Online, Science 359(6380), S.-1146-1151. Weaver, David. H., Beam, Randal A., Brownleew, Bonnie J.,Voakes, Paul S., & Wilhoit, Cleveland G. (2007). The American Journalist in the 21 st Century: U.S. News People at the Dawn of A New Millenium. New York: Erlbaum. Weischenberg, Siegfried (2018). Medienkrise und Medienkrieg. Brauchen wir über‐ haupt noch Journalismus? Wiesbaden: Springer VS. Wheeler, Tom, Verveer, Phil, & Kimmelman, Gene (2020). New Digital Realities; New Oversight Solutions in the U.S. The Case for a Digital Platform Agency and a New Approach to Regulatory Oversight. Research Paper Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy, Harvard University. https: / / shorensteincenter.org/ new -digital-realities-tom-wheeler-phil-verveer-gene-kimmelman/ Wheeler, Tom, Verveer, Phil (2021). A Turning Point in the Oversight of Digital Platforms: A Challenge for American Leadership. Research Paper Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy, Harvard University. https: / / shorens teincenter.org/ turning-point-oversight-digital-platforms/ White, Theodore H. (1961). The Making of the President 1960. New York: Atheneum. Wilke, Jürgen (2013). Associated Press. In Bentele, Günter, Brosius, Hans-Bernd, & Jarren, Otfried (Hrsg.). Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (S.-21). Wiesbaden: Springer VS, 2. Aufl. Wilke, Peter (1996). The Virtual Internet Economy - Information Industries und die Entwicklung des Internets in den USA. In Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Der Literaturverzeichnis 333 <?page no="334"?> „Information Superhighway“. Amerikanische Visionen und Erfahrungen (S.-151- 170). Opladen: Westdeutscher Verlag. Wilson, Rick (2018). Everything Trump Touches Dies. New York: Free Press. Wolf, Michael J. (2003). The Entertainment Economy: How Media-Mega Forces Are Transforming Our Lives. New York: Times Book. Woods & Poole Economics (2019). Local Radio and TV: Helping Drive the United States Economy. Washington. Woolley, Samuel C., & Howard, Philip N. (2019). Introduction: Computational Propaganda Worldwide. In Samuel C. Woolley, & Philip N. Howard (Hrsg.), Computational Propaganda. Political Parties, Politicians, and Political Manipulation on Social Media (S.-3-18). New York: Oxford University Press. World Health Organization (2020). An ad-hoc WHO technical consultation mana‐ ging the COVID-19 infodemic: call for action; https: / / www.who.int/ publications / i/ item/ 9789240010314 Wu, Tim (2017a). The Attention Merchants. London: Atlantic Books. Wu, Tim (2017b). Is the First Amendment Obsolet? Knight First Amendment Institute Emerging Threats Series, https: / / knightcolumbia.org/ content/ tim-wu-first-amen dment-obsolete Youm, Kyu Ho (2008). Fairness Doctrine In Wolfgang Donsbach (Hrsg.), The In‐ ternational Encyclopedia of Communication (S.-1716-1719). Malden: Blackwell Publishing. Zehnpfennig, Barbara (2016). Die verfassungspolitischen Grundlagen des US-ame‐ rikanischen Regierungssystems. In Christian Lammert, Markus B. Siewert, & Boris Vormann (Hrsg.), Handbuch Politik USA (S.-52-72). Wiesbaden: Springer VS. Zinn, Howard (2003). A People’s History of the United States. New York: HaperCollins. Zuboff, Shoshana (2019). The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. New York: Public Affairs. 334 Literaturverzeichnis <?page no="335"?> Register 9/ 11 / 11. September-132, 275 ABC 60, 67, 69, 147, 149f, 153f, 199, 209f, 216, 220, 241, 270 Abrams, Jacob-99 Adams, John Quincy-43 Affiliate-Network-System-155, 199, 209 Agenda Setting-271 Aktualität-21, 42, 47f, 50, 116, 179, 189 Alternative Media-259, 277 Alt-Right-Media-277 Always-On-163 Amazon-74f, 79, 192, 218, 223-226, 228, 281f Amazon Prime Video-218 Amerikanische Revolution-25, 28, 34, 93, 116, 154, 299 Anti-Federalists-32f, 39, 90, 118f Apple-75f, 179, 218, 224, 226, 228, 281, 287 Applikationen, mobile-79, 223 ARPANET-76f Assange, Julian-99 Associated Press (AP)-46, 124, 194-197 AT&T-76, 83, 154, 167, 216, 227 Atlantic Monthly-48, 52 Aufklärung-12, 30, 36, 89, 289f Außenpluralismus-157 Basic Cable-216 Bennett, James Gordon-44 Berichterstattung-39, 47, 50, 52, 54, 67, 105, 115, 127, 136, 141ff, 149, 155, 186f, 207, 219, 265, 268f, 271, 274, 305 Big Lie-116, 285, 294-298, 303 Big Tech-22, 164, 280f, 284 Bildung-14ff, 30, 77, 88, 260 Bildungsfernsehen-159 Bill of Rights-12, 34, 90, 94, 117 Binnenpluralismus-157 Birther-Debatte-264 Black Lives Matter-241, 267, 285 Blogging-188, 230, 277, 300 Blogosphäre-277 Bloomberg-195 Boston News-Letter-26f Boulevardpresse-42, 56, 191 Branzburg, Paul-108f Breaking News-11, 197, 211, 252 Brexit-284 Bürgerkrieg-45, 47ff, 84, 94, 100, 194 Bürgerrechtsbewegung-66, 103, 143, 260, 272 Bush, George W.-132f, 263, 274 Cable Act-139, 151, 215 Campbell, John-26 Cancel Culture-172, 285, 288 CBS-60, 65, 67, 69, 126, 147, 150, 153f, 196, 199f, 209f, 220, 241, 247, 270, 300 Checks and Balances-32, 90, 127, 133, 289 Chicago Tribune-52, 183f, 195, 257 Clickbaiting-192 Clinton, Bill-78, 132 Clinton, Hillary-112, 275 CNN-72f, 78, 216f, 222, 247, 251, 253, 262ff, 267, 272, 298 <?page no="336"?> Common Carrier-Modell-87, 135, 173, 228 Common Law-94, 104 Communications Act-133f, 136, 142, 164, 166, 172, 199 Community Newspapers-187, 189 Corporation for Public Broadcasting (CPB)-63, 70, 162, 205, 208 Cosby, William-25 Counterspeech Doctrine-101, 307 Covid-19-168, 239, 241, 244, 278 Cronkite, Walter-67, 270, 300 Crossmedia-148, 151, 165, 167 Cyberspace-75, 165 Datenschutz-22, 80, 83 Demokraten-51, 64, 78, 112f, 130, 144f, 174, 238, 245, 247, 249, 251ff, 258, 260, 266f, 273, 285, 294, 301, 305 Demokratie-11ff, 32, 38, 42f, 55, 93, 101, 117, 127, 252, 277f, 290, 293, 296f, 306f Designated Market Areas (DMAs)-234 Desinformation 11, 73, 78, 242, 245, 270, 276f, 279f, 286, 301, 307 Dickinson, John-29 Digital Democracy-74 Digitalisierung 14, 22, 73, 80, 85, 88, 139, 163, 192, 197, 204, 207, 219 Disney-15, 69, 179, 216, 218, 224 Divided Media-245 Duopoly-Regel-148 Dyson, Esther-74 Echokammer-250 Editorial-36, 44, 48 Editorial Control-169ff Eigentumsrechte-12, 16 Ellsberg, Daniel-99 Embedded Journalism-121 Empowerment-277 Espionage Act-97f, 100, 120f Externalitäten- negative-279f positive-279 Facebook-11, 13, 73f, 80, 171, 192, 223- 227, 230, 237, 241ff, 245, 252, 275, 280f, 283-288 Fairness Doctrine-64, 105, 122, 136, 139ff, 143-146, 155f, 159, 164, 172, 261f, 271f, 281 Fake News-11, 116, 245, 255, 277, 307 Faktizität-285, 303, 306 Federal Communications Commission (FCC)-59ff, 63, 68, 70, 83, 87, 105, 133- 140, 142-145, 147-152, 154ff, 158f, 167, 173ff, 186f, 202, 206-210, 214, 217, 228, 262, 271, 281 Federalist Papers-33, 88, 289 Federalists-31, 34, 90, 118f Fernsehen-21f, 65, 146f, 208, 238 Fernsehsender-15, 17, 63, 141, 144, 148, 152f, 161, 205, 208f, 211, 249, 261, 302 Fernsehunternehmen-153, 211f, 221 Filmindustrie-15, 22, 86, 105, 178 Filterblase-250 Finanzierung 13, 17f, 42, 47, 57f, 63, 112, 162, 185, 198, 205, 207, 209, 225 Finanzkrise-183ff, 202, 204, 231 Fireside Chats (FDR)-61f First Amendment 12, 34, 38f, 84, 89, 91ff, 95, 97, 101, 103, 106, 108ff, 112f, 115ff, 119, 122ff, 126, 128, 131, 137, 144, 149, 156, 168ff, 177, 197, 256, 280f, 286, 298, 307 Forbidden Fruit Effect-284 336 Register <?page no="337"?> Forumsfunktion 37, 44, 54, 107, 122, 147 Fotografie-47, 170, 178, 188 Founders-→ Framers Fox News-72f, 116, 145, 177, 210, 216f, 247, 249, 251, 253, 255f, 262, 264, 266ff, 272-276, 297f, 300, 303f, 307 Fragmentierung von Öffentlichkeit-22, 262, 273, 300, 302 Framers-12, 116, 281 Franklin, Benjamin-27, 289 Franklin, James-27 Freedom of Information Act 84, 95, 127f, 130 Fusionen-76, 154, 166, 202, 282f Gebühren-35, 138, 151, 156, 173f, 198, 205, 215, 221 Gemeinwohlorientierung-38, 59ff, 134, 140, 193, 281, 283 Gerichtsverfahren-101, 103, 106, 108, 113, 125, 144, 291 Geschäftsmodelle-16, 173 Gewährleistungsklausel-17, 105 Gewalt, vierte-13, 92, 179 Ghost Newspapers-189 Google-74f, 80, 171, 174, 192, 223ff, 229, 281ff, 286f Gore, Albert Arnold \„Al\“-77f Ground Rules-121 Gründerväter-27, 33, 89 Grundrechte-17, 34, 90, 92 Hamilton, Alexander-31, 33, 36, 88 Hamilton, Andrew-25, 33 Handel, freier-13, 99, 124 Hands-off-Approach-11 Hannity, Sean-247, 255, 263, 265ff, 274f, 297, 304 Harper’s Weekly-48 Hartford Courant-27 Hate Speech-276, 279f HBO-217f Hearst, William Randolph-44, 49ff, 61, 180, 195, 257 Hollywood-15, 140, 178, 209, 236 Holmes, Justice Oliver W.-98-101 Huffington Post-192, 229 Hulu-218 Hutchins, Robert-122 Hutchins Commission-122, 145, 149, 231, 281 Hypertargeting-11, 280 IBM-76 Identitätsjournalismus-274 Ideology News-255, 266f, 307 Impeachment-237, 273f, 289, 306, 311 Individualmedien-21, 85 Industrialisierung-34, 49, 52f Informantenschutz-108f Informationsanbieter-19, 148, 168f, 174, 231 Informationsfreiheiten-13, 128f, 132f Information Superhighway-77, 166, 222 Informationsvermittlung-22, 42, 54, 60, 71, 123, 127, 201, 207, 271, 277, 302 Innovationen-13, 16, 18, 86, 226, 282 Instagram-74, 227, 242f, 245, 283 Integrationsfunktion-37, 39 Interaktionsfunktion-21f Internet-13f, 21f, 71, 73, 75f, 78, 84, 98, 163, 171, 221, 229, 237 Jackson, Andrew-43f, 93, 126, 256 Jacksonian Democracy-43 Jefferson, Thomas-29, 31f, 34ff, 38f, 90, Register 337 <?page no="338"?> 118ff, 307 Johnson, Gregory Lee-110 Johnson, Lyndon B.-66f, 70, 107, 110f, 128f, 260f, 273 Journalismus-13, 19, 21f, 38, 42, 50f, 53f, 67, 108f, 115, 120f, 123, 126ff, 131, 141, 157, 180, 183, 186, 197, 231, 235, 255, 257, 277, 298f, 303, 305 investigativer-51, 107f, 231, 272, 304 tendenziöser-145, 255 Journalistenprivileg-127 Jugendschutz-16, 85f, 155 Kabelfernsehen-72, 112, 150f, 163, 167, 177, 209, 215, 275, 300 Kalter Krieg-14, 128 Kennedy, John F.-66, 123, 256 Kilmeade, Brian-297 King, Martin Luther jr.-103 Klagen-94, 97, 104, 116, 261, 283, 292f Klimawandel-187 Kolonien-25f, 30, 32f, 290 Kommunikation, politische-62, 66, 80, 242, 252, 258, 273, 307 Kommunikationsfreiheiten-17, 83f, 88f, 92, 94-98, 101, 105, 170, 197, 290, 299, 307 Kommunikationsgesellschaft-245, 270 Kommunikationsinfrastruktur-77, 86f, 136, 173, 222 Kommunikationskultur-16, 305f Korruption-13, 50f, 113, 131 Kultur-13f, 16, 19, 23, 27, 38, 43, 48, 92f, 131, 163, 165, 194, 203, 284 Künstliche Intelligenz (KI)-80, 280, 284 Laissez Faire-Modell-87 Lasswell, Harold D.-123 Liberal Media-261, 294, 297 Limbaugh, Rush-64, 145, 201, 203, 249, 262, 265, 274f Lincoln, Abraham-51, 93, 120 LinkedIn-243 Lippmann, Walter-55 Lizenzierung 134, 136, 138, 140, 150, 154 Lokalismus-155f, 158, 160 Lokaljournalismus-193, 231 Madison, James-31, 33, 35f, 39, 101, 117, 119f, 256, 289 Mainstream Media-116, 143, 145, 259, 262, 304 Marketplace of Ideas-101, 146, 149, 290, 297, 307 Marktanteile-60, 161, 203, 213, 224, 226 Marktmacht-151, 153, 167 Massenmedien-14, 19, 21, 237, 305 Massenpresse-14, 45, 47, 53f, 117, 122, 272 McCarthy, Joseph-65f, 129 Meadows, Mark-291, 297 Medien- alte-21, 225 liberale-255, 259, 261f neue-65, 68, 114, 148 Medienärkte-149 Medienaufsicht-83, 85, 88, 133f, 136 Medienbesitz-146ff, 150, 157, 178 Medienformate-56, 61, 69, 177, 267 Mediengeschichte-20, 23, 25, 141 Mediengesellschaft-13, 79 Medienkonvergenz-22, 85, 88 Medienkonzentration-14, 19, 122, 139, 146f, 149ff, 160, 167f, 202 Medienlandschaft-22f, 72, 84, 124, 139, 149, 153ff, 159, 165f, 177, 195f, 221, 262, 338 Register <?page no="339"?> 270, 272, 278, 282, 288, 290, 300, 302, 307 Medienmacht-12, 15, 148 Medienmärkte-166, 178f, 235 Mediennutzung-20, 24, 177f, 233, 235f, 238, 240 Medienökologien-270, 278 Medienökonomie → Medienwirtschaft Medienorganisationen-12, 19, 88, 93, 128, 245, 305 Medienpolitik-11, 13, 16, 18, 22, 83, 85- 88, 95, 99, 106, 135, 139, 149, 157, 164, 167, 186, 203, 215, 226, 261, 273, 278, 280f, 284, 287, 308 Medienrecht-20, 24, 83, 107, 122, 128, 164 Medienregulierung 14, 22, 24, 56, 58, 83, 85, 87f, 101, 113, 122, 134, 136, 138-141, 146ff, 154-157, 159, 163-166, 202, 217, 228, 258, 284, 286ff Medientechnologien-14f, 85, 136, 148, 177, 236 Medienunternehmen 13f, 19, 46, 80, 84f, 87, 92, 105, 124, 146f, 149, 152, 154, 160, 172, 177, 197, 224, 234, 259, 261, 270, 281, 287, 299f Medienvertrauen-237, 245, 247, 300 Medienwahrnehmung-233, 236, 253 Medienwirtschaft-13f, 16, 20, 23f, 137, 154, 163, 177, 202 Meiklejohn-These-103 Meinungsbildung, freie-12, 15, 17, 38, 91, 146, 148, 152, 250, 263, 280, 305f Meinungsfreiheit-18, 26, 60, 78, 91, 97f, 100, 102, 106, 144 Meinungsmacht-148ff, 153 Menschenrechte-11, 92 Microsoft-72, 76, 224, 281, 283 Miller, Judith-110 Milton, John-101 Montesquieu-32 Morse, Samuel-45 Muckraking-51 Must Carry-Regel-107, 151, 156 Nachrichten-27, 41, 48, 50, 60, 65, 135, 146, 195, 200, 207, 229, 231, 270 lokale 69, 156, 177, 202, 207, 210, 215, 247 Nachrichtenagenturen-14, 45, 60, 193f, 196f, 199, 294 Nachrichtenformate-72, 86, 210, 217, 219, 249, 263, 271, 277 Nachrichtenjournalismus-18, 21, 118, 219, 245, 257, 270f, 299f Nachrichtenredaktion-185, 196, 210 National Public Radio (NPR)-63, 162, 205ff, 251 NBC 60, 62, 67ff, 72, 147, 149f, 153f, 191, 196, 199f, 209f, 216, 220, 241, 247, 306 Netflix-15, 79, 174, 218 Networks-60, 63, 69f, 72, 140, 147f, 150, 152ff, 159f, 167, 199, 205, 207, 209-216, 234, 241, 270, 298, 305 Netzkultur-75 Netzneutralität-164, 172-175, 282, 288 Netzplattform 75, 168, 170, 187, 220, 278, 280 Netzpolitik-81, 85, 88, 154, 163f, 174, 279f, 282, 288 New Deal-257f New-England Courant-27 New Media-84 New York Daily-54, 56, 191 New York Herald-44 New York Times-15, 36f, 48, 54, 56, 99, Register 339 <?page no="340"?> 103f, 107f, 110, 114, 116, 120, 182, 184f, 189, 192, 195, 222f, 230, 247, 249, 251, 255, 267f, 279, 291f, 296ff, 301, 303f Obama, Barack-80, 133, 263f, 274, 278, 285, 302 Obszönität-125, 159, 168 Öffentlichkeit-13, 15, 19, 21ff, 38ff, 42, 52, 56, 80, 87, 89, 104f, 107f, 115, 117, 121, 130, 154, 169, 172, 235, 269, 277, 284, 290, 297f, 304f Onlinejournalismus-192, 229f Onlinemedien-18, 73, 139, 237 Paine, Thomas-29f Palin, Sarah-114ff Pariser, Eli-250 Patriotismus-29, 102, 292 Pay-TV-209, 216 Penny Press-41-45, 179, 272, 299 Pentagon Papers-99, 107, 121, 131, 272, 299 Persönlichkeitsschutz-93, 115 Philadelphia Lawyer-25 Plattform-Kapitalismus-80 Podcast-205, 239, 241, 244 Polarisierung-245, 249, 256, 263, 273f, 277f, 295, 300, 306 Politik 14, 20, 22f, 38, 69, 78, 86, 105, 121, 306 Politikvermittlung-146, 187, 300 Popper, Karl-290, 303 Postal Act-35 Präsidentschaftswahlen-11, 66, 73, 77, 80, 114, 116, 130, 196, 220, 241, 249, 252, 260, 263, 268, 280, 284f, 292, 298 Premium Cable-159, 209, 216f Presse-34, 37, 126, 177, 190, 219 lokale-37 Pressefreiheit 11f, 16f, 25, 34, 38f, 88-91, 93, 98, 100, 105f, 108, 115f, 118, 120, 122f, 127f, 140, 256, 290, 299 Presserecht-116f, 123-126 Price, Richard-29 Printmedien-13, 44, 58, 88f, 98, 236, 239 Progressive Era-51f, 54, 59, 121, 124f, 257, 271 Propaganda-36, 93, 105, 242, 276ff, 305 ProPublica-193 Pseudo-Environments / Pseudo- Umwelt-19 Public Broadcasting Act 63, 70, 159, 206 Public Broadcasting Service (PBS)-17, 70, 156, 162, 205, 213 Public Interest-59, 118, 140, 147, 154, 159, 193, 278, 280f, 286, 299, 307 Public Television-70f, 146, 159, 162, 214 Publikumsmarkt-13, 19, 41, 146, 149, 157, 161, 216, 218, 234, 262, 273 Publizistik-14, 19, 29, 51, 236, 296 Pulitzer, Joseph-44, 49f, 53 Pursuit of Happiness / das Streben nach Glück-13 Qualitätsjournalismus 183, 231, 257, 299 Quellenschutz-128 Radio-17, 21f, 57, 61, 98, 147, 197, 239 Radiosender-64, 105, 144, 149, 153, 166, 203, 206, 208, 302 Reader’s Digest-56 Reagan, Ronald-110, 130, 139, 150, 202 Rechtsprechung-26, 90ff, 108, 120 Rechtssicherheit-13, 306 Reddit-242, 244 340 Register <?page no="341"?> Redefreiheit-18, 38, 78, 88, 90, 93 Reichweitenstärke-12f, 49, 72, 125, 148, 152, 193, 201, 211f, 214, 230, 235f, 239- 242, 275, 302, 307 Religionsfreiheit-90f, 102 Reportage-27, 48, 65, 71, 207 Repräsentation-13, 92 Republikaner 64, 112, 128, 145, 149, 172, 238, 246f, 249, 251ff, 255, 260-263, 265f, 269, 273, 285, 293ff, 297 Reuters-194f Right Wing-Media-277 Roosevelt, Franklin D.-61f, 128, 257 Rundfunk-17, 57, 83, 88, 91, 94, 98, 105, 117, 122, 132-135, 137, 141f, 146ff, 150f, 153, 155f, 158, 160, 165, 169, 172, 178, 181, 196, 200, 205, 211, 214f, 218, 223, 234, 236, 257, 271f, 280f, 299 öffentlich-rechtlicher-17f, 63, 146, 157, 209 Rundfunkrecht-84, 118, 134, 153 Rundfunksender-140, 191, 194, 247 Rural Purge-69 Satellitenfernsehen-69, 71f, 140, 147, 152, 156, 163, 201, 211, 214 Schenck, Charles T.-94, 97, 99 Schlesinger, Arthur M.-123 Section 230-164, 168-172, 278, 285, 287 Selbstbestimmung-13, 26, 92, 133, 143, 256 Selbstregulierung-118, 146, 169, 285 Selbstverwaltung-13, 89, 91, 104, 155, 258, 307 Selection Bias-271 Serienformate-15, 200, 210, 217f Silicon Valley-12, 292 Skandale-51, 53, 130f, 272, 284 Snapchat-243 Social Bots-278, 284 Social Media-13f, 22, 74, 78f, 164, 184, 188, 222f, 242ff, 250, 252, 275, 278, 280, 283f, 288, 301 Social Network Sites (SNS)-186, 223, 231, 242, 244f, 252 Sonntagszeitung-48, 51, 183f Sport-14, 42, 56, 183, 194, 198, 203, 210, 216, 237 Stamp Act-28 Streaming-Dienste-73, 209, 218 Subscriptions-Modell-194, 218 Subventionen-35, 37, 94, 179 Sullivan, L. B.-68, 103f, 116, 120 Supreme Court-84, 90-97, 100-106, 108-112, 115, 120, 123-126, 131, 137, 144, 149, 151, 156, 168f, 196, 220, 226, 265, 287, 290, 307 Tabloid Press-56, 191, 257 Tageszeitungen-21f, 26, 34, 37, 39, 41f, 48, 56, 65, 70, 97, 155, 179, 181ff, 185, 188f, 247, 249, 287f Talk Radio 61, 64, 145, 201, 203, 256, 272 Tea Party-263 Teilhabe, gesellschaftliche 22, 29, 40, 74, 147, 160, 271, 283, 290 Telecommunications Act-139, 154, 164, 167, 169, 202, 227f Telegraph-45, 47 Telekommunikationsdienst-83, 167f The Independent-52 The Nation-48 The Sun-41, 46 TikTok-243 Tocqueville, Alexis de-40f Tracking-225, 234 Register 341 <?page no="342"?> Traffic-173, 192, 229, 231 Transmedialität-305 Transparenz-12, 51, 74, 84, 95, 125, 129, 131f, 158, 231, 271, 278, 286, 290 Trump, Donald-116, 127, 168, 172, 174f, 217, 245f, 251, 255f, 261, 264-269, 274, 276, 284f, 291-298, 300f, 304ff Truth Doctrine-271 Umweltschutz-187, 260 Unabhängigkeitserklärung, amerikanische-11, 13, 25, 31, 36 Unterhaltungsfunktion-15, 22, 42, 57, 88, 91, 142, 178, 210, 216, 268 Unterhaltungsökonomie-236 Urheberrecht-93, 230 USA Today-37, 56, 182, 189, 195 Verfassung der USA-31, 90, 95f, 99, 111, 123, 127 Video-on-Demand-112, 209 Vietnamkrieg-67, 107, 121, 132, 272 Virginia Declaration of Rights-11 Wahlkampf 77f, 113, 120, 142, 258, 275f, 284 Wahrheitsanspruch-25, 271, 290, 303, 305 Wall Street Journal-37, 177, 183, 189, 229, 265 Warner Bros-69, 209, 217, 224 War on Terror-249, 268, 274 Washington, George-31, 35f, 130, 179 Washington Post-37, 54, 99, 108, 183, 192, 195, 222, 231, 247, 253, 268f, 292, 298, 301, 304, 307 Watchdog-Funktion-53, 179, 184 Watergate-Affäre-67, 71, 130, 245, 299 Web 2.0-79f, 220, 222, 237, 301 Weltkrieg- Erster-55ff, 84, 97f, 120, 197 Zweiter-61, 64, 68, 93, 121, 128, 148, 150, 154, 180f, 185, 200, 208, 215, 259, 271, 300, 302 Weltwirtschaftskrise-128, 196, 199, 257 Werbemarkt 15, 22, 41, 61, 63, 65, 69, 85, 113, 142, 146, 152, 157f, 160, 163, 178f, 184ff, 188f, 199f, 209, 216, 221, 225f, 234, 286 Wettbewerb-19, 46, 48f, 77, 87, 99, 101, 117, 124, 135f, 140, 151, 157, 164, 167, 179ff, 197, 211, 219, 227, 263, 281f WhatsApp-74, 227, 243, 283 Wikileaks-99 Wilson, Woodrow-55f, 97, 120, 255 Wissensvermittlung-302 World Wide Web-76, 78, 227 XE "Federalist Papers-34 Yellow Press-50 YouTube-74, 80, 192, 218, 230, 237, 242f, 245, 275 Zeitschrift-21, 48, 124 Zeitungskrieg-49f Zenger, Peter-25 Zensur-39, 93f, 108, 136, 252, 256, 285, 299 Zuckerberg, Mark-11, 73, 75 342 Register <?page no="343"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Tageszeitungen in den USA, Auflagen 1945-2014 in Tausend-| Quelle: in Anlehnung an Newspaper Association of America; Trends & Numbers; Newspaper Circulation Volume (letztes Update: 20.03.2015; Anmerkung: Gesamtauflage = Auflage Morgenzeitung + Abendzeitung, ohne Sonntagszeitung; 2010: keine Daten. . . . . . . . . . . . . . . 182 Abbildung 2: Mitarbeiter in Nachrichtenredaktionen nach Branche 2008-2020-|-Quelle: in Anlehnung an Pew Research Center, 13.07.2021; Anmerkung: Mitarbeiter umfassen Analysten, Reporter, Journalisten, Herausgeber, Photographen, Kameraleute. . . . . . . . . . 185 Abbildung 3: Struktur der Zeitungsbranche nach geographischer Orientierung, Anzahl-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Abernathy 2020, S.-12. . . . . . . . . . . . . . 190 Abbildung 4: Anteil der erwachsenen Amerikaner, die-…. (oft, manchmal)-… Nachrichten über digitale Geräte nutzen-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pew Research Center, 21.01.2021. . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Abbildung 5: Anzahl der lizensierten Radiosender in den USA-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Federal Communications Commission 2020, S.-145. . . . . . . . . 206 Abbildung 6: Terrestrisches Fernsehen - Umsatz der Werbung in Millionen | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Federal Communications Commission 2020, S. 132. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Abbildung 7: Wöchentliche Reichweite (Prozent erwachsene Amerikaner) | Quelle: in Anlehnung an MRI Simmons 2022, S.-5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildung 8: Social Network Sites: Prozent regelmäßige erwachsene Nutzer in den USA 2012-2021| Quelle: in Anlehnung an PEW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: https: / / www.pewresearc h.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media-use-in-2021/ . 242 <?page no="344"?> Abbildung 9: Tägliche Zuwendung, Nutzer wichtigster Social Network Sites-| Quelle: EW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: h ttps: / / www.pewresearch.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ so cial-media-use-in-2021/ ; Rundungen. . . . . . . . . . . . . . 244 Abbildung 10: Prozent an Vertrauen in die wichtigste mediale Nachrichtenquelle-| Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an PEW Research Center, 01.07.2021; Rundungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Abbildung 11: Vertrauen bzw. Misstrauen gegenüber jeweiligem Medium nach Parteineigung-| Quelle: Auswahl und eigene Darstellung in Anlehnung an PEW Research Center, 20.01.2020. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 344 Abbildungsverzeichnis <?page no="345"?> Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Top Ten US-Fernsehunternehmen nach terrestrischer Reichweite-|-Quelle: Federal Communications Commission 2020, S.-128; *nach Aufkauf von ION im Januar 2021 hier adaptiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Tabelle 2: Ausgewählte US-Firmen im Vergleich-| Quelle: eigene Zusammenstellung nach den Jahresberichten der Unternehmen 2022; Rundungen; Marktkapitalisierung über S&P Capital IQ; Stand: 15.12.2022. . . . . . . . . . . . . . . 224 Tabelle 3: Medien - Tagesreichweite (Prozent Bevölkerung) und tägliche Nutzung (in Minuten)-| Quelle: eigene Zusammenstellung nach Latzer et al. 2012; Rundungen und Mittelwerte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Tabelle 4: Wöchentliche Reichweite (Prozent erwachsene Amerikaner) nach Alter |-Quelle: in Anlehnung an MRI Simmons 2022, S.-6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Tabelle 5: Social Network Sites: Prozent regelmäßige Nutzer nach Alter-| Quelle: PEW Research Center, 07.04.2021; Social Media Use in 2021, abrufbar unter: https: / / www.pewrese arch.org/ internet/ 2021/ 04/ 07/ social-media-use-in-2021 / ; Rundungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 <?page no="346"?> BUCHTIPP Digitalisierung, Transnationalisierung und Kommerzialisierung stellen die Medienpolitik vor große Herausforderungen. Wie kann sichergestellt werden, dass Medien und Plattformen ihre wichtige Funktion in einer demokratischen Gesellschaft erfüllen? In diese Thematik führt Manuel Puppis systematisch und umfassend ein. Er vermittelt die Grundlagen für eine kritische Auseinandersetzung mit Medienpolitik, Medienregulierung und Media Governance. Problemorientiert und international vergleichend diskutiert er die verschiedenen Themenbereiche der Medienpolitik in Europa - von Medienkonzentration über den öffentlichen Rundfunk, Medienförderung, Plattformen und Algorithmen bis hin zu Medienkompetenz und Datenschutz. Manuel Puppis Medienpolitik Grundlagen für Wissenschaft und Praxis 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2023, 426 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8252-4378-4 eISBN 978-3-8385-4378-9 UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="347"?> ,! 7ID8C5-cfhaea! ISBN 978-3-8252-5704-0 Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaft | Amerikanistik Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Wer die USA verstehen möchte, muss ihr Mediensystem verstehen. Klaus Kamps stellt es verständlich und konsistent vor: Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss geht er auf die Kommunikationsfreiheiten, das Medienrecht und die -regulierung des Landes ein. Die Ökonomie und die Struktur der amerikanischen Medienlandschaft lässt er dabei nicht außer Acht. Auch die Nutzung und die Wahrnehmung der Medien skizziert er. Trends und Konflikte stellt er abschließend vor - auch im Kontext von Sozialen Medien und Onlineplattformen. Zahlreiche Beispiele illustrieren den Stoff. Ein wertvolles Lehrbuch für Studierende der Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaft sowie des Journalismus und der Amerikanistik. Mit zahlreichen Beispielen