eBooks

Marketing

strategisch analysieren und marktorientiert umsetzen

0318
2024
978-3-8385-5866-0
978-3-8252-5866-5
UTB 
Roland Helm
Herbert Endres
10.36198/9783838558660

Marketingstrategien effektiv entwickeln Sie wollen in die dynamische Welt des Marketings und der marktorientierten Unternehmensführung eintauchen - dann ist dieses Buch ideal für Sie. Es bietet Praxiseinblicke und lässt Neues, wie Künstliche Intelligenz, Chatbots, Metaverse und Virtual Reality, nicht außer Acht. Es führt in die Grundlagen der Marketingtheorie und des Nachfragerverhaltens ein. Zudem stellt es das Informationsmanagement vor und zeigt so die Möglichkeiten der Analyse von Nachfragetrends und Konkurrenzbedingungen auf. Es beleuchtet außerdem die Produktpolitik, Preisgestaltung, Vertriebs- und Distributionsstrategien sowie Kommunikationspolitik wissenschaftlich. Die 9. Auflage ist weit mehr als ein Lehrbuch, denn es bereitet Studierende und Führungskräfte optimal auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor.

<?page no="0"?> ISBN 978-3-8252-5866-5 Roland Helm Herbert Endres Marketing strategisch analysieren und marktorientiert umsetzen 9. Auflage Marketingstrategien effektiv entwickeln Sie wollen in die dynamische Welt des Marketings und der marktorientierten Unternehmensführung eintauchen - dann ist dieses Buch ideal für Sie. Es bietet Praxiseinblicke und lässt Neues, wie Künstliche Intelligenz, Chatbots, Metaverse und Virtual Reality, nicht außer Acht. Es führt in die Grundlagen der Marketingtheorie und des Nachfragerverhaltens ein. Zudem stellt es das Informationsmanagement vor und zeigt so die Möglichkeiten der Analyse von Nachfragetrends und Konkurrenzbedingungen auf. Es beleuchtet außerdem die Produktpolitik, Preisgestaltung, Vertriebs- und Distributionsstrategien sowie Kommunikationspolitik wissenschaftlich. Die 9. Auflage ist weit mehr als ein Lehrbuch, denn sie bereitet Studierende und Führungskräfte optimal auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor. Betriebswirtschaftslehre Marketing 9. A. Helm | Endres Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2024-02-09_5866-5_Helm_Endres_M_919_PRINT.indd Alle Seiten 2024-02-09_5866-5_Helm_Endres_M_919_PRINT.indd Alle Seiten 09.02.24 11: 26 09.02.24 11: 26 <?page no="1"?> utb 919 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 23.03.2022 10: 23: 51 23.03.2022 10: 23: 51 <?page no="2"?> Univ.-Prof. Dr. Roland Helm, Dipl.-Kfm., EMBS, ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaft, insb. Strategisches Industriegütermarketing an der Universität Regensburg. PD Dr. Herbert Endres, Dipl.-Kfm., MBA (USA), ist Privatdozent am Institut für Betriebswirtschaft der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg. <?page no="3"?> Roland Helm / Herbert Endres Marketing strategisch analysieren und marktorientiert umsetzen 9., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> 9., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2024 8., völlig neu bearbeitete Auflage 2009 7., völlig überarbeitete Auflage 2003 6., überarbeitete Auflage 1996 5., überarbeitete Auflage 1994 4., durchgesehene Auflage 1991 3., überarbeitete Auflage 1990 2., überarbeitete und stark erweiterte Auflage 1987 1. Auflage 1980 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838558660 © UVK Verlag 2024 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Heraus‐ geber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 919 ISBN 978-3-8252-5866-5 (Print) ISBN 978-3-8385-5866-0 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5866-5 (ePub) Umschlagabbildung: © Bussarin Rinchumrus · iStock Autorenbild Helm: © privat Autorenbild Endres: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib‐ liografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 11 13 1 15 1.1 15 1.2 20 1.3 27 1.4 34 1.5 45 Teil I: 55 2 57 2.1 57 2.1.1 57 2.1.2 59 2.1.3 61 2.1.4 64 2.2 70 Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketing im Spannungsfeld zwischen intuitiver und analytischer Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketing vom Pendant der Wertschöpfung hin zur absatzmarktorientierten Planung und Steuerung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planungs- und Informationsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhalten der Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhalten von privaten Nachfragern . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Fragstellung der Nachfragerverhaltensforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Grundlagen der Nachfragerverhaltensforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Prozessmodell einer Kaufentscheidung . . . . . . . . . . . . Stufen eines Kaufentscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . Mikroökonomische Erklärung von Entscheidungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 2.3 72 2.3.1 74 2.3.2 86 2.4 96 2.4.1 96 2.4.2 100 2.4.3 101 2.5 106 2.5.1 106 2.5.2 107 2.5.3 108 2.6 113 2.6.1 113 2.6.2 118 2.6.3 119 2.6.4 122 2.6.5 124 3 127 3.1 128 3.1.1 128 3.1.2 129 3.1.3 132 3.1.4 145 3.1.5 148 3.2 156 3.2.1 156 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivierende Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Gruppen und deren Mitglieder als Zielgruppen . . Bezugspersonen zur Beeinflussung von Zielgruppen . . . . Meinungsführer und Innovatoren als Zielgruppen . . . . . . „Schein und Sein der Produktwelt“: Fallstudien zur Subjektiven Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fall 1: Wahrnehmung von Bieren bei unterschiedlichen Flaschenetiketten und Marken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fall 2: Mehrwert von Marken und Einkaufsstätten bei Kühlschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fall 3: Physikalisch-chemische Eigenschaften versus Image . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kaufverhalten von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . Konsumtive und nicht-konsumtive Entscheidungsprozesse im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein einfaches Prozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrpersonenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktive Mehrphasenprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plattformbasierte Beschaffung gewerblicher Abnehmer . Marketingplanung und Marketingstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings . . . Leistungsangebot auf Unternehmensebene und Definition von Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ressourcen, Kernkompetenzen und Wettbewerbsvorteile auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Art des Wettbewerbsvorteils als Basisstrategie im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategische Phasen der Marktbearbeitung . . . . . . . . . . . . Ziel- und Strategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung und Kontrolle im Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Planungs- und Kontrollprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 3.2.2 165 3.2.3 167 3.2.4 169 3.2.5 174 3.3 177 3.3.1 177 3.3.2 185 3.4 194 3.4.1 195 3.4.2 196 3.4.3 204 4 209 4.1 210 4.1.1 210 4.1.2 211 4.2 214 4.2.1 215 4.2.2 217 4.2.3 224 4.2.4 226 4.2.5 227 4.3 239 4.3.1 240 Das System der Marketinginstrumente . . . . . . . . . . . . . . . Optimale Gesamtplanung des Marketing-Mix . . . . . . . . . . Formen der Marketingplanung und -kontrolle . . . . . . . . . Marketing-Audit und Marketingplan als Kern der Marketingplanung und -kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Deckungsbeitragsrechnung als Entscheidungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsfindung im entscheidungstheoretischen Grundmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategische Geschäftsfelder zur Abgrenzung des Betätigungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisationsstrukturen für Marketingaufgaben . . . . . . . Organisation des Informationsmanagements . . . . . . . . . . Informationsmanagement im Marketing: Analyse der Nachfrage- und Konkurrenzbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketingforschung und marktorientierte Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Marketingforschung für die Erreichung der Unternehmensziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marketingforschung und Entscheidungsprozess . . . . . . . . Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse des Marktes im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Nachfrager, Marktsegmentierung und -priorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der weiteren Mikroumwelt: Lieferanten, Absatzmittler und Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Makroumwelt: Weltwirtschaft, Volkswirtschaft, Branche und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . Analysekonzepte des Unternehmens und seiner Umwelt Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung Make or Buy? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 4.3.2 240 4.3.3 241 4.3.4 243 4.4 253 4.4.1 253 4.4.2 255 4.4.3 258 Teil II: 261 5 263 5.1 263 5.2 267 5.2.1 267 5.2.2 268 5.2.3 270 5.2.4 273 5.3 276 5.4 280 5.4.1 280 5.4.2 283 5.5 287 5.5.1 287 5.5.2 289 5.6 290 5.6.1 291 5.6.2 304 5.6.3 311 6 317 6.1 317 6.1.1 317 6.1.2 320 6.2 322 6.2.1 323 Sekundärforschung als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . Panelforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datengewinnung im Fall der Primärforschung . . . . . . . . . Methoden der Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deskriptive Darstellung und Aggregation von Daten . . . Verfahren der multivariaten Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation der Marktforschungsergebnisse . . . . . . . . . Gestaltung der Leistungen für den Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . Produktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt und Zielsetzung der Produktpolitik . . . . . . . . . . . . . Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition eines Produkts aus der Marketingperspektive Grundnutzen und Zusatznutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrnehmung des Produktnutzens und Positionierung . Informationsökonomische Produktwahrnehmung . . . . . . Dimensionen der Produktgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterungen der klassischen Produktpolitik . . . . . . . . . Markenpolitik und Brand-Management . . . . . . . . . . . . . . . Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Sortimentspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angebotspolitik aus der Herstellerperspektive . . . . . . . . . Sortimentspolitik aus der Handelsperspektive . . . . . . . . . Dynamische Perspektive der Produktpolitik . . . . . . . . . . . Der Prozess der Produktinnovation bis zur Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produkte nach der Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktpolitische Optionen im Verlauf der Marktphase . Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preispolitik als Gegenstand des Marketing-Mix . . . . . . . . Inhalt und Zielsetzung der Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten des Preises als Parameter des Marketings Preisbildung auf vollkommenen Märkten . . . . . . . . . . . . . Wirkungen von Preisvariationen auf die Nachfrage . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 6.2.2 324 6.2.3 326 6.2.4 332 6.2.5 335 6.3 339 6.3.1 339 6.3.2 343 6.3.3 345 6.3.4 346 6.4 347 6.4.1 348 6.4.2 351 6.5 353 6.6 358 6.7 360 7 365 7.1 365 7.1.1 365 7.1.2 367 7.1.3 371 7.2 373 7.2.1 373 7.2.2 375 7.2.3 378 7.2.4 380 7.3 383 7.4 387 7.4.1 388 7.4.2 393 7.4.3 397 Marktformen und Preisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisabsatzfunktionen bei verschiedenen Marktformen . Elastizitätskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ableitung optimaler Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisbildung auf unvollkommenen Märkten . . . . . . . . . . . Marktformen und doppelt geknickte Preisabsatzfunktion Klassische Preisdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisbündelung als spezielle Form der Preisdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtlineare Preisbildung als spezielle Form der Preisdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhaltenswissenschaftliche Ansätze der Preistheorie . . . Preise und Nutzenerwartungen als kaufdeterminierende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einfluss des Preises auf die Qualitätswahrnehmung . Bestimmung von Preisabsatzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . Sonderpreispolitik für Konsumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostenrechnung und Preisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertriebs- und Distributionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungs- und Entscheidungsbereiche in der Distributionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das System der Distributions- und Handelsfunktionen . . Entscheidungsbereiche der Distributionspolitik . . . . . . . . Zur Bedeutung der Distributionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . Vertriebs- und Distributionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensinterne Organe des Vertriebs . . . . . . . . . . . Unternehmensexterne Organe der Distribution . . . . . . . . Marktveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Electronic Commerce und Plattformökonomie . . . . . . . . . Absatzbezogene Standortpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltung des Marktkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des Marktkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensinterne Gestaltungsmöglichkeiten im Marktkanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenarbeit im Marktkanal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="10"?> 8 407 8.1 407 8.1.1 407 8.1.2 410 8.1.3 411 8.1.4 413 8.2 415 8.2.1 415 8.2.2 425 8.3 429 8.3.1 429 8.3.2 430 8.3.3 431 8.3.4 432 8.3.5 433 8.3.6 435 8.3.7 437 8.4 439 8.4.1 439 8.4.2 443 8.4.3 447 8.4.4 448 8.5 449 8.5.1 449 8.5.2 455 8.5.3 458 8.5.4 468 473 487 498 Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Marktkommunikation im Rahmen des Marketings eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenbedingungen der Kommunikationspolitik . . . . . . Ansatzpunkt und Zielsetzung der Kommunikationspolitik Erweiterte Betrachtungsweise des Signaling . . . . . . . . . . . Elemente der Kommunikationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . Formen der Marktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das System der kommunikationspolitischen Maßnahmen Die Integration der kommunikationspolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Onlinekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E-Mail-Newsletter-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Website-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Suchmaschinenoptimierung (SEO), Content Marketing, Inbound Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Onlinewerbung, Suchmaschinenwerbung (SEA) . . . . . . . Buzz-Marketing und Affiliate-Marketing . . . . . . . . . . . . . . Social-Media-Marketing und Influencer-Marketing . . . . Metaverse und Virtual-Reality-Marketing . . . . . . . . . . . . . Der Prozess der Marktkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung der Marktkommunikation in Modellen . . . . . . Kriterien zur Messung der Kommunikationswirkung . . . Neuromarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamische Werbewirkungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes . . . . . . . . . . Die Bestimmung der Höhe des Werbebudgets . . . . . . . . . Die Gestaltung der Werbebotschaft und der Werbemittel Die Auswahl von Werbeträgern - Die Werbestreuplanung Bestimmung des zeitlichen Einsatzes der Werbemittel - Das Werbetiming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmen, Marken und Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="11"?> Geleitwort Die digitale Transformation schafft gerade für die Bereiche Marketing und Vertrieb kontinuierlich und auf Höchsttouren neue Chancen. Diese gilt es systematisch zu erkennen, zu prüfen und zu bewerten. Ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen ist dabei unabdingbar. Die neunte Auflage von Marke‐ ting - strategisch analysieren und marktorientiert umsetzen vermittelt sehr anschaulich wichtige Herangehensweisen, wie Unternehmen die aktuellen Fragestellungen beantworten können. Aufgrund der geschickten Verknüp‐ fung von theoretisch fundierten Inhalten mit praktischen Beispielen bietet das Lehrbuch von Roland Helm und Herbert Endres dem Leser einen sehr großen Mehrwert und aktuelle Einblicke in die Entwicklungen des Marketings und Vertriebs. Alexander Burger Head of Marketing & Brand von RECUP - Deutschlands größtem Mehrwegsystem <?page no="13"?> Vorwort Das Buch führt in die Analyse- und Planungsprobleme des Marketings ein, weswegen es nicht auf einen spezifischen Wirtschaftsbereich fokussiert, sondern eine allgemeine Sicht anstrebt. Die Verhältnisse von Konsumgüter‐ herstellern stehen zwar im Vordergrund, dies ist letztlich allein dadurch bedingt, dass diese Unternehmen - insbesondere die großen Markenartikel‐ hersteller - auch heute noch über das am weitesten entwickelte Instrumen‐ tarium des Marketings verfügen. Weiterhin tangieren diese Unternehmen die Lebensbereiche jedes Lesers, was die Nachvollziehbarkeit erleichtert. Jedoch haben Investitionsgüter- und Handelsunternehmen in den vergan‐ genen Jahren das moderne Marketing und seine Möglichkeiten entdeckt, doch wurde in diesen Branchen bis heute noch nicht überall derselbe Entwicklungsstand wie im Ursprungsgebiet des Marketings erreicht. Es stellt somit keine Missachtung der teils anders gelagerten Verhältnisse vor allem des Investitionsgüter- oder Handelsbereichs dar, wenn bei den Betrachtungen bisweilen die Verhältnisse der Produktionsunternehmen von Konsumgütern unterstellt werden; wichtige Besonderheiten anderer Wirtschaftsbereiche werden zumeist aufgezeigt. Der erste Autor dieses Buches war Franz Böcker, der bis 1991 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg war. Als sein Alumnus hat Roland Helm vor etlichen Jahren sein Buch übernehmen dürfen, was nun mit einem weiteren Koautor fortgesetzt wird. Die bedeutendsten Veränderungen wurden in der vorliegenden neunten Auflage vorgenommen, indem noch stringentere Verbindungen zwischen Analyse, strategischer Planung und operativer Umsetzung hergestellt sowie einige aktuelle Erweiterungen im (erweiterten) Marketing-Mix hinzugefügt wurden. Zudem wurden die Fortschritte, die die Forschung gemacht hat, in diese Auflage integriert. Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen haben wir auch die Beispiele aus der Praxis aktualisiert. Außerdem wurden in die aktualisierte Auflage zahlreiche neue Aspekte aufgenom‐ men. Darunter fallen: Künstliche Intelligenz, Chatbot-Marketing, Pre‐ dictive Analytics, Marketing Analytics, Marketing-Intelligence-Systeme, Customer-Experience-Management, Customer Journey, Microtargeting, Dynamic Capabilities, Marketing Automation, E-Commerce, Mobile-Mar‐ <?page no="14"?> Genderhinweis | Die Autoren verzichten auf verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinneren und verwenden in der Regel das generische Maskulinum. keting, Innovation-Marketing, Digital Innovation Champions, Neuromarke‐ ting, E-Mail-Newsletter-Marketing, Website-Marketing, Suchmaschinenop‐ timierung (SEO), Content-Marketing, Inbound-Marketing, Onlinewerbung, Suchmaschinenwerbung, Buzz-Marketing, Affiliate-Marketing, Social-Me‐ dia-Marketing, Influencer-Marketing und Metaverse sowie Virtual-Rea‐ lity-Marketing. Die Kombination des Lehrbuchs mit dem Arbeitsbuch bietet Studieren‐ den wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge eine kompakte Lehr- und Lerneinheit, die eine Kontrolle des erworbenen Wissens ermöglicht und Einblick in mögliche praktische Anwendungen gibt. Außerdem sind die wissenschaftlich fundierten Strategien, Methoden und Instrumente dieses Buches für alle Manager relevant, die ihr Unternehmen marktorientiert ausrichten möchten. Zu danken ist an dieser Stelle allen Wissenschaftlichen Mitarbeitern des Lehrstuhls für Strategisches Industriegütermarketing, da sie mit ihren Verbesserungsvorschlägen eine wirkliche Hilfe geleistet haben. Regensburg, im Februar 2024 Roland Helm, Herbert Endres 14 Vorwort <?page no="15"?> 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung 1.1 Marketing im Spannungsfeld zwischen intuitiver und analytischer Vorgehensweise Im Verlauf des ersten Kapitels wird die Notwendigkeit einer adäquaten Systematik sowie einer wissenschaftlichen informationsbasierten Fundie‐ rung von absatzorientierten Entscheidungen ersichtlich. Dies fördert die Transparenz der letztendlich gewählten Vorgehensweise. Systematik und adäquate Fundierung der Entscheidungsfindung im Marketing bilden jedoch den Ausgangspunkt eines weiteren Problems: das Problem der Zeit! Diejenigen, die im Bereich Marketing tätig sind, stellen mitunter fest, dass derjenige, der über fundiertes Wissen und entsprechende Methodenkennt‐ nisse verfügt, gegenüber einem Anderen, der ein Gespür für den Markt hat und mit Engagement bei der Sache ist, nicht grundsätzlich im Vorteil ist. Dies ist vor allem dann zu beobachten, wenn Ersterer zu lange analysiert und zu spät entscheidet. Dabei fehlt es - auch im Marketing - vielfach nicht an Gebieten, auf denen man mittels seiner „Intuition“ relativ schnell an seine Grenzen stößt. Nicht nur deswegen ist es natürlich schwierig, den Beitrag eines systematischen Vorgehens zu quantifizieren. Allerdings muss auch vor der beliebten Nachahmung von erfolgreichen „Vollblutunternehmern“ gewarnt werden, denn deren Erfolgsrezept ist in den allermeisten Fällen erstens nicht vollständig bekannt und zweitens auf‐ grund anderer Rahmenbedingungen nicht multiplizierbar. Vor allem fehlt es bei der Bewertung der eigenen Situation an den Beispielen derer, denen ihre Sache zum selben Zeitpunkt nicht gelang, die deshalb unbekannt geblieben sind. Es dürfte somit nachvollziehbar sein, dass „Erfolgsstories“ mit der notwendigen Vorsicht zu interpretieren sind. Das wiederum spricht für eine wissenschaftlich fundierte systematische Vorgehensweise im Marketing. Wo liegen aber die Grenzen einer systematischen Vorgehensweise? Die Problematik soll nachfolgend an einem Beispiel illustriert werden. <?page no="16"?> Die Problemfeststellung Das Dilemma beginnt schon bei der Frage, ob ein Problem vorliegt. Wie bewertet jemand starke und schwache Signale des Marktes oder aus dem eigenen Unternehmen? Wann besteht Veranlassung, zu handeln? Und ist das, was für den Kern der Sache gehalten wird, wirklich das Problem? Ein Beispiel dazu: Beispiel | Von der Marktforschungsabteilung erfahren wir, dass unsere Produkte von den Kunden zwar als ganz gut, aber überteuert eingestuft werden. Wo liegt das Problem? Denkbar sind folgende Möglichkeiten: Die Marktforschung irrt sich. Ihre Befunde sind nicht valide. Wir verfügen über kein zutreffendes Bild der Lage. Es muss eine neue Studie erstellt werden. Unsere Produkte sind tatsächlich teurer als andere, aber nicht ohne Grund. Wir bieten mehr Qualität, Extras, Informationen, Service, Garantie usw., was der Öffentlichkeit in geeigneter Form zu vermitteln wäre. Unser Angebot ist wirklich zu teuer, weil unsere (Stück-)Gewinne zu hoch sind. Unsere Preise liegen über denen der Wettbewerber, aber wir erwirtschaf‐ ten kaum noch unsere Kosten, so dass wir unsere Preise nicht senken können, ohne in beträchtlichem Ausmaß Leistungen abzubauen oder die Produktivität zu erhöhen. Oft wäre es erfreulich, wenn wir nur genau wüssten, was wir wollen. Es liegt uns daran, unsere Umsätze zu erhöhen, die Marktposition auszubauen, ein erstklassiges Image in der Öffentlichkeit zu genießen, am Jahresende in der Bilanz stolze Gewinne auszuweisen usw. Aber leider können wir nicht alles auf einmal erlangen. Manche Ziele stehen im Widerstreit miteinander. Beispielsweise kann man oftmals kurzfristig Marktanteile hinzugewinnen, wenn man Wettbewerber unterbietet, doch beeinträchtigt dies fast immer den Gewinn. Oder: Hohe Lieferbereitschaft erfreut die Kunden, doch geht diese zu Lasten der Logistikkosten. 16 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="17"?> Die Modellbildung Sobald wir das Problem erkannt und die komplexe Zielsetzung auf ein ganz bestimmtes Anliegen reduziert haben, beginnt die eigentliche Analy‐ sephase. Dazu benötigt man ein Modell als Planungsgrundlage. Dies ist ein gedankliches, graphisches oder mathematisches vereinfachtes Abbild jenes Ausschnitts der Realität, für den wir uns interessieren. Verdeutlichen wir wiederum an einem Exempel, worum es geht: Beispiel | Unser Unternehmen verliert bei einem Produkt kontinuierlich an Marktanteil, ohne dass wir eine Erklärung dafür haben. Wüssten wir warum, könnten wir die Bestimmungsgrößen des Marktanteils unter Umständen zu unseren Gunsten beeinflussen. Was aber sind die (wichtigen) Determinanten? Liegt es an den Kunden, den Konkurrenten, an der unzulänglichen Weise, wie wir Marketing betreiben? Haben wir an alles Wichtige gedacht? Wie viele Einflussfaktoren können wir in diesem Modell verarbeiten? Zu wie vielen lassen sich aus finanziellen oder aus praktischen Gründen überhaupt Informationen beschaffen? Um diese Fragen auf fundierte Weise auch nur annähernd beantworten zu können, benötigen wir Informationen, deren Beschaffung mit finanziellem und zeitlichem Aufwand verbunden ist. Dass dieser Aufgabe auch praktische Grenzen gesetzt sind, verdeutlicht folgende Variante unseres Exempels: Beispiel | Die Vermutung scheint begründet, dass unsere Marketing‐ konzeption nicht mehr passt, was das Absinken des Marktanteils er‐ klären würde. Wir könnten nun unser Produkt selbst, den Preis, den Vertriebsweg und die Schwerpunkte in der Kommunikation in jeweils bis zu zehn Details verändern. Allein in diesem, noch viel zu klein angelegten Fall gäbe es 10.000 theoretische Möglichkeiten, die einzelnen Optionen miteinander zu verknüpfen. Welche davon ist aber die beste? Da wir Vergleichbares in der Vergangenheit nicht versucht haben, müssen wir, um dies herauszufinden, einen Markttest durchführen. Auch wenn die mathematische Statistik vielfältige Tricks entwickelt hat, um die Testsitua‐ tion zu vereinfachen und die Anzahl der zu prüfenden Konstellationen auf 1.1 Marketing im Spannungsfeld zwischen intuitiver und analytischer Vorgehensweise 17 <?page no="18"?> drastische Weise zu verringern, lässt sich nur ein Bruchteil der Möglich‐ keiten durchspielen. Die meisten der im Marketing verwendeten Variablen müssen erst ope‐ rationalisiert, d.h. messbar gemacht werden. Wenn wir wissen wollen, wie viele Fahrzeuge eine Straße an einer bestimmten Stelle in einem genau definierten Zeitraum passieren, gibt es nicht viel zu „messen“, zählen genügt. Ungleich schwieriger ist es, so genannte theoretische Konstrukte wie „Zu‐ friedenheit mit dem Produkt“, „Image des Produkts“ oder „Wertewandel der Konsumenten“ und deren Einfluss auf das Kaufverhalten methodisch in den Griff zu bekommen und korrekt zu messen. Ein großer Teil der Marketing‐ forschung ist deshalb im Grunde Messtheorie, d. h. unter anderem auch die Bestimmung geeigneter Indikatoren. Sind diese Teilaspekte einer Klärung zugeführt, stellt sich die nächste Frage, in welcher Weise die abhängige (endogene) Variable „Marktanteil“ mit den zu ihrer Erklärung herangezogenen, als unabhängig (exogen) verstandenen Faktoren verknüpft werden soll. Die Beziehung könnte linear oder nichtlinear, additiv oder multiplikativ, statisch oder dynamisch, einfach oder komplex verzögert sein usw. Dabei sind die als unabhängig deklarierten Bestimmungsgrößen, was eigentlich unabdingbar ist, keines‐ wegs unabhängig voneinander, vielmehr hat man mit dem Phänomen der Interkorrelation zu kämpfen. Vollends verfangen in der Interdependenz ist unser Fall, wenn wir rea‐ listischerweise davon ausgehen, dass nicht nur Qualität, Preis, Werbung usw. den Marktanteil beeinflussen, sondern dieser umgekehrt auch das Preisgebaren prägt: Je höher der erreichte Marktanteil ist, desto mehr nähern wir uns der Position eines Monopolisten. Dieser kann bekanntlich seinen Preis autonom festlegen, wobei in der Praxis aus vielen Gründen vermieden wird, den Bogen zu überspannen. Damit sind wir, methodisch gesprochen, bei zirkulären Beziehungen und Mehrgleichungssystemen angelangt, die rechentechnisch nicht so ohne Weiteres zu bewältigen sind. Haben wir trotz all dieser Teilprobleme das Modell in einer bestimmten Weise spezifiziert, sind wir immer noch nicht am Ziel. Ein solches Gebilde enthält auch eine Reihe von Koeffizienten, die, wie es in der Sprache der Statistik heißt, geschätzt werden müssen. Dabei sollten diese ebenso wie das Gesamtergebnis statistisch signifikant, d. h. über fast jeden Zweifel erhaben sein. Bei weitem nicht alle Funktionen können analytisch bewältigt werden, was zwangsläufig zu Vereinfachungen führt oder zur (Computer-)Simula‐ 18 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="19"?> tion greifen lässt. Und was schließlich als Ergebnis herauskommt, unter‐ liegt, was der nächste Abschnitt zeigt, einem zweifachen Vorbehalt, der Angemessenheit eines doppelten induktiven Schlusses. Die Validität der Ergebnisse In Forschung und Praxis des Marketings werden zumeist Daten verarbeitet, die auf Stichprobenbasis gewonnen wurden. Insofern hängt die Qualität eines Befundes erstens davon ab, dass es gelungen ist, eine unverzerrte, d. h. für die Grundgesamtheit repräsentative Stichprobe zu ziehen. Dies ist in der Praxis fast nie zu schaffen. Zweitens verkörpern Daten bei ihrer Verarbeitung bereits Geschichte. Damit kommt das Prognoseproblem zum Tragen. Wenn also unseren Erkenntnissen irgendwelche Aussagekraft für die Zukunft zukommen soll, müssen wir nicht nur mit vielerlei Prognosetechniken vertraut und zu ihrem Einsatz bereit sein, sondern auch davon ausgehen können, dass sich die Verhältnisse, die unser Modell widerspiegelt, und die Bedingungen, unter denen sie gewonnen wurden, einstweilen nicht ändern. Die Implementierung Haben wir nach all den aufgezeigten Schwierigkeiten doch noch eine Lösung für unser Problem gefunden, d. h. wir wissen, wie wir unseren Marktanteil stabilisieren oder sogar steigern können, und wollen wir nunmehr die nötigen Maßnahmen ergreifen, stellt sich die so genannte Implementierungsproblematik. Dies bedeutet, dass die Verwirklichung der als richtig oder sogar als optimal erachteten, analytisch gewonnenen Lösung mit vielfältigen Schwierigkeiten verbunden ist. Wenn damit größere Veränderungen gegenüber dem Gewohnten oder dem Althergebrachten verbunden sind, kommt Widerstand von allen Seiten. Dieses Problem der Umsetzung einer Strategie wird vielfach in der Literatur und in der Praxis betont (vgl. Kreikebaum et al., 2018). Dem Wandel im Wege stehende, lange andauernde Bindungen lassen sich nicht leicht lösen - culture eats strategy for breakfast. Viele Betroffene, insbesondere Mitarbeiter, stellen sich quer. Es kommt zu Störungen bei der technischen Umsetzung. Man entdeckt, dass man bedeutsame Aspekte außer Acht gelassen hat, und ist zur Modifikation des Konzepts oft bis hin zu seiner Verwässerung gezwungen. Weiterhin kann nicht davon 1.1 Marketing im Spannungsfeld zwischen intuitiver und analytischer Vorgehensweise 19 <?page no="20"?> ausgegangen werden, dass alle Betroffenen an einem Strang und gar noch in dieselbe Richtung ziehen. Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis Markterfolg bedingt Intransparenz und asymmetrischen Informati‐ onsstand. Würde jeder über dasselbe Wissen verfügen, könnte keiner mehr einen Vorsprung vor dem Anderen erlangen. Die zentrale Antriebsfeder, nämlich der Anreiz, der darin liegt, den Konkurrenten einen Schritt voraus zu sein und dadurch Vorteile für sich selbst zu erlangen, wäre dahin. Aber auch wenn Wissen jedermann zugänglich ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass sich jeder bemüht, daran teilzuhaben, und, wenn schon, den darin für ihn liegenden Nutzen angemessen zu würdigen weiß. Es scheint also, dass der auf diesem Gebiet tätige Forscher den Marketing‐ manager immer nur einen Teil des Weges begleiten kann, ganz abgesehen davon, dass er für ihn nicht neue Produkte entwickeln, allenfalls den Anstoß dazu geben kann, danach zu suchen. Der Marketingmanager muss demnach einen branchenbezogenen Infor‐ mationsvorsprung („Intuition“) haben, der letztendlich Zeit spart. Nichts‐ destotrotz müssen Methoden und Instrumente für einzelne zu klärende Fragen - trotz Marktgespür - bei im Marketing Tätigen vorhanden sein, um die Lücken zu schließen, die trotz Intuition offengeblieben sind. Gleichzeitig ist damit auch einsichtig, dass die Kenntnisse, die in diesem Buch vermittelt werden, mit weiterem branchen- oder unternehmensspezifischem Wissen zur Entfaltung kommen müssen, um eine sinnvolle Anwendung zu erfahren. In folgender Fallstudie werden vor diesem Hintergrund mehr erzählerisch und unter Rückgriff auf noch nicht definierte Termini typische Probleme im Marketingbereich eines Unternehmens - unabhängig davon, ob es sich um sog. B2B- oder B2C-Unternehmen handelt, dargestellt und Lösungswege diskutiert. 1.2 Eine Fallstudie Fallstudie | Vor etlichen Jahren wurde in Passau die Jado GmbH von dem Chemiker Dr. Rudi Dohm und dem Betriebswirt Harald Jaus gegründet und bald darauf ebenfalls in Passau die Produktion 20 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="21"?> aufgenommen. Das Produktionsprogramm bestand vorwiegend aus einfachen kosmetischen Präparaten wie Badezusätzen, Hautcremes, Lidschattenstiften, Lippenstiften und verschiedenen Arten von Eau de Toilette bzw. Rasierwasser. Die Belegschaft wuchs bereits in kurzer Zeit auf 16 Mitarbeiter an. Die Produkte der Jado GmbH gehen zum größten Teil über die Handelskette und einige freie Großhändler an Drogerien im Stuttgarter Raum und im Rhein-Ruhr-Gebiet. Die Jado-Erzeugnisse wurden vorwiegend als Handelsmarken verkauft und rundeten in den meisten Einzelhandelsgeschäften das Sortiment hinsichtlich des Preises und der Qualität nach unten ab. Zu Beginn des Jahres waren langwierige Laborversuche mit einem neuen Produkt aus dem Bereich Rasierwasser abgeschlossen worden, deren Ergebnisse ein nach Meinung der Unternehmensleitung hochwertiges neues Aftershave-Rasierwasser war. Bei einer Reihe vergleichender Tests, bei denen Proben unterschiedlicher Rasierwasser getestet wurden, bestä‐ tigten Fachleute dem neuen Jado-Produkt hervorragende Eigenschaften, wie etwa Hautschonung, aseptische Wirkung und einen angenehm her‐ ben, nachhaltigen Duft. Angesichts der günstigen Kostensituation des Unternehmens wäre man in der Lage, das Produkt im Vergleich zu anderen Marken des Produktbereichs relativ preiswert anzubieten. Dem Produkt wurde der Name Flair gegeben und man ließ umgehend einige Musterpackungen für Präsentationszwecke erstellen. Da man sich von dem neuen Produkt einen spürbaren Umsatzanstieg erhoffte, bemühte sich Herr Jaus selbst um den Absatz des Produktes und suchte daher zunächst die bisherigen Hauptabnehmer auf. Sowohl bei einer Drogeriekette als auch bei den freien Großhändlern zeigte man sich nur wenig interessiert, da man die Sortimente in dem ehedem über‐ besetzten Markt hochpreisiger Rasierwassermarken nicht noch weiter aufblähen wollte und im Übrigen kaum an den Erfolg von Flair glaubte. Mit gedämpftem Optimismus nahm Herr Jaus Mitte des Jahres Kon‐ takt mit der Verbrauchermarktgruppe Kupa auf. Anders als im Droge‐ riemarktbereich zeigte man sich hier dem Angebot gegenüber sehr aufgeschlossen und orderte zunächst einige Proben für Testzwecke. Bei günstigem Verlauf der Tests und ausreichender Abverkaufsunterstüt‐ zung durch die Jado GmbH wollte man die Abnahme einer größeren Menge ins Auge fassen und gegebenenfalls das neue Rasierwasser auch in die Orderliste aufnehmen. Die Produkttests verliefen äußerst positiv 1.2 Eine Fallstudie 21 <?page no="22"?> und auch hinsichtlich der Modalitäten der Abnahme zeichnete sich ein für Jado vergleichsweise günstiges Ergebnis ab. Für den ersten Liefervertrag war ein Volumen von 80.000 Flaschen vorgesehen, das in vier Lieferungen an ausgewählte Verbrauchermärkte der Kupa-Gruppe geliefert werden sollte. Bald nach Beginn der Verhandlungen mit der Verbrauchermarktgruppe hatte Herr Jaus auch Kontakte zu einem renommierten Spezialversand‐ haus für Geschenkartikel aufgenommen, das eine Ausweitung seines Angebotes in den Bereich der Kosmetika hinein erwog. Die mit dem Spezialversandhaus diskutierten Konditionen erschienen der Geschäfts‐ leitung der Jado GmbH akzeptabel, eine Aufnahme in den Sommerkata‐ log des Versandhauses des nächsten Jahres lag damit im Bereich des Möglichen. Bei einer Aufnahme in den Sommerkatalog wäre mit einem Auftragsvolumen von zunächst ca. 30.000 Flaschen zu rechnen. Würde Flair im kommenden Sommer eine vom Auftraggeber fest vorgegebene Umsatzschwelle überschreiten, was Herr Jaus für realisierbar hielt, würde man Flair auch in die folgenden Kataloge aufnehmen. Sollte die Umsatzschwelle nicht erreicht werden, müssten die bis Oktober des Folgejahres verbliebenen Restbestände von Jado zum Einkaufspreis zurückgenommen werden. Herr Jaus und Herr Dr. Dohm standen damit vor der Aufgabe, relativ zügig Entscheidungen über die künftige Gestaltung des Absatzbereichs des Unternehmens zu fällen, wobei sie insofern vergleichsweise wenig Beschränkungen zu berücksichtigen hatten, als seitens der Produktion die diskutierten Mengen ohne Investitionen zur Verfügung gestellt werden konnten und die solide finanzielle Grundlage der Jado GmbH sowohl eine Aufnahme der Produktion und des Vertriebs als auch deren Unterlassung zuließ. Die Entscheidung war für die Jado GmbH allerdings insofern von weit reichender Bedeutung, als man mit Hilfe von Flair in die oberen Preis- und Qualitätsstufen eindringen wollte. Zugleich wollte man aber auch die freien Kapazitäten sinnvoll auslasten. Der Fall Jado GmbH ist geeignet, einige typische Probleme von Un‐ ternehmen im Konsumgüterbereich zu beleuchten, die jedoch abstrakt betrachtet ebenso in Unternehmen des Industriegüterbereichs anzutreffen sind. Es wird im Folgenden allerdings keine vollständige Problemanalyse 22 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="23"?> im Sinne eines typischen Marketing-Audit (vgl. dazu Kapitel 3; McDonald, 2008, S.-113ff.) angestrebt. Die Ausgangssituation ist insbesondere durch folgende Tatbestände charakterisiert: • Jado ist ein mittelständisches Unternehmen mit Produkten der mittleren und unteren Preisklassen. Die finanziellen Ressourcen sind dementspre‐ chend begrenzt. • Die Produkte werden an eine relativ geringe Zahl von Wiederverkäufern veräußert. • Auf dem Markt der Endabnehmer, d. h. der Konsumenten, ist Jado nicht aktiv. • Jado tritt am Endabnehmermarkt nur schwach in Erscheinung, da ihre Produkte zum großen Teil unter anderem Namen als dem Firmennamen Jado verkauft werden. • Hinsichtlich des neuen Produktes existieren bisher lediglich Laborer‐ fahrungen. Im Einzelnen sind folgende Aspekte der bisherigen Vorgehensweise und Planungen zu diskutieren: Produktevaluierung Bereits hinsichtlich der Beurteilung des Produktes selbst sind Zweifel an der Richtigkeit der Vorgehensweise der Verantwortlichen der Jado GmbH berechtigt. Zu sehr gehen diese offensichtlich davon aus, dass von günstigen Ergebnissen der Laborversuche auf eine entsprechende Akzeptanz bei den Konsumenten geschlossen werden kann. Maßgeblich für die Entschei‐ dungen der Konsumenten sind aber nicht die objektiven Messwerte aus Laborversuchen, sondern allein das, was sie von den einzelnen Produkten halten. Die objektiven Gegebenheiten und das subjektiv geformte Abbild davon können in mehrfacher Hinsicht voneinander abweichen: • Realität und subjektives Abbild können darin abweichen, dass die Einstufungen der Objekte hinsichtlich wichtiger Merkmale nicht über‐ einstimmen. So ist etwa keineswegs sicher, dass das labormäßig als herb eingestufte Produkt auch von den Konsumenten als herb beurteilt wird. • Realität und subjektives Abbild können auch darin, abweichen, dass die Beurteilungsdimensionen variieren. So wird in Laborversuchen in 1.2 Eine Fallstudie 23 <?page no="24"?> keiner Weise der Herkunftsort oder der Produktname berücksichtigt. Es ist aber wohl einsichtig, dass ein Rasierwasser, versehen mit dem Namen DIOR und der Firmensitzangabe Paris, der vermuteten Hauptstadt des Parfüms, anders eingestuft wird als ein solches mit dem Namen Flair und der Herkunftsbezeichnung Passau. Es ist offensichtlich, dass die Unternehmensleitung bei dieser, im Unter‐ nehmen vermuteten Konstellation an Merkmalsbedeutungen, ohne eine ad‐ äquate Informationsgrundlage durch Marktforschung kaum eine sinnvolle Marketingkonzeption (→ Kapitel 3) implementieren kann. Die diesbezügli‐ chen Anstrengungen gehen aufgrund der fehlenden Kundenkenntnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes „am Markt vorbei“. Gerade im Kosmetikbereich wird man solche Komponenten der Pro‐ duktausstattung zweifellos nicht vernachlässigen dürfen. Ein unbekannter Produktname (Flair) und eine unbekannte Unternehmung (Jado GmbH) erzeugen bei den meisten Konsumenten kaum den Eindruck hoher Quali‐ tät, die dem Produkt nach den Laborversuchen offenbar zukommt. Als Qualitätszeichen sind neben Produkt- und Unternehmensnamen auch die Verpackung zu nennen. Produkte, deren äußeres Erscheinungsbild keine Qualitätsvermutung erzeugt, werden ohne sonstige Kaufanreize kaum ein erstes Mal gekauft und haben damit auch nicht die Chance, dem potenziellen Käufer ihre „wahre“ Qualität zu verdeutlichen. Analysiert man das Verhalten von Käufern kosmetischer Produkte, so tau‐ chen unmittelbar noch andere gravierende Probleme für die Jado GmbH auf. Leistungsumfang und Positionierung Vor allem wenn es um kosmetische Produkte für die Frau geht, besteht ohne Zweifel ein gewisses Bestreben, für verschiedene Anwendungen Produkte derselben Marke zu verwenden. Begründet liegt dieser Wunsch vor allem darin, eine einheitliche Duftnote zu verwenden. Diese Duftnote soll darüber hinaus der Vorstellung von der eigenen Persönlichkeit entsprechen, wobei auch hier regelmäßig von einer Harmonie der Parfümnote mit der „Persön‐ lichkeit“ die Rede ist, in Wirklichkeit aber eine Harmonie der Parfümnote mit der vermuteten bzw. gewünschten „Persönlichkeit“ gemeint ist. Es bietet sich damit an, dem Angebot eines After-Shave-Produktes zumindest ein Pre-Shave-Produkt hinzuzufügen. Ein Produkt wie Flair nicht isoliert zu offerieren, gebietet allerdings nicht nur der Wunsch der Konsumenten nach 24 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="25"?> einer Produktfamilie, sondern ergibt sich auch aus Gründen der Ersparnis beispielsweise von Werbekosten. Der Aufwand, um eine Marke oder Firma durch Werbung bekannt zu machen, ist kaum größer, wenn in diese Werbung eine größere Zahl zusammengehöriger Produkte eingeschlossen wird o. ä. Die Geschäftsleitung beabsichtigt, mit Flair einen Zugang zu den oberen Preis- und Qualitätsstufen zu gewinnen. Erscheint dies schon aufgrund der regionalen Herkunft des Produktes und aufgrund der fehlenden Einbin‐ dung in eine Produktfamilie kaum erreichbar, so wird es vollends illusorisch, wenn einer der derzeit diskutierten Vertriebswege beschritten wird. Geht man wiederum von plausiblen Verhaltensannahmen aus, so erscheint es kaum sinnvoll, ein Produkt, das von den Käufern als qualitativ hochwertig eingestuft werden soll, über Verbrauchermärkte zu vertreiben, die regelmä‐ ßig durch niedrige Preise den Markt zu erobern versuchen. Da die sonstigen Möglichkeiten, die Qualität eines Rasierwassers zu beurteilen, beschränkt sind, werden von den Konsumenten häufig zum einen der Name bzw. die Herkunftsbezeichnung und zum anderen der Preis bzw. die Verkaufsstätte als Qualitätsindikatoren herangezogen. „Teure“ Geschäfte verkaufen teure, d. h. qualitativ hochwertige Produkte und billige Geschäfte verkaufen billige, d. h. qualitativ weniger hochwertige Produkte, so kann vereinfacht der Gedankengang von manchen Konsumenten gekennzeichnet werden. Ob das Spezialversandhaus, das neben dem Verbrauchermarkt als Vertriebsweg zur Diskussion steht, als „teures“ oder „billiges“ Geschäft zu qualifizieren ist, soll hier offenbleiben. Zumindest hinsichtlich der Verbrauchermarktgruppe bestehen erhebliche Zweifel, ob es auf diese Weise möglich ist, Flair als hochwertiges Produkt am Markt zu etablieren. Strategische Ausrichtung Das Marketing der Jado GmbH verfolgt vorwiegend eine Ausrichtung auf den unmittelbar erzielbaren, d. h. kurzfristigen Absatzerfolg und bezieht nur am Rande die langfristigen Marktchancen ins Kalkül ein. Ein Indiz dafür ist die Vernachlässigung des Endverbrauchermarktes, was eine vollständige Abhängigkeit vom Handel zur Folge hat. Dem entspricht der Tatbestand, dass keine Überlegungen hinsichtlich der „Art“ und der speziellen Wünsche und Bedürfnisse der Abnehmer angestellt werden. Auf einem so konkurrenzintensiven Markt wie dem Kosmetikmarkt erscheint es wenig Erfolg versprechend, als unbedeutender Anbieter gewissermaßen den Gesamtmarkt in Angriff zu nehmen, da man Gefahr läuft, 1.2 Eine Fallstudie 25 <?page no="26"?> • zum einen nur Gelegenheitskäufer und keine Stammkäufer gewinnen zu können, wenn das Produkt auf keine spezifischen Bedürfnisse zuge‐ schnitten ist, und • zum anderen keine differenzierte Bearbeitung ausgewählter Konsumen‐ tengruppen bzw. Handelsgruppen vornehmen zu können, weil das notwendigerweise beschränkte Marketingbudget auf zu viele und zu unterschiedliche potenzielle Konsumenten bzw. Handelsunternehmen verteilt wird. Den soeben skizzierten Gefahren kann nur dadurch begegnet werden, dass ein Teil des Marktes als Zielgruppe gewählt wird und alle marketingpolitischen Anstrengungen auf dieses Marktsegment konzentriert werden. Diese Stra‐ tegie bietet die Möglichkeit, einerseits das Produkt selbst (Duftnote) und die Werbeaussage auf die Wünsche dieser Zielgruppe auszurichten und anderer‐ seits die Vertriebsanstrengungen und die Werbemittel (z. B. Social Media, Zeitschriften) so zu steuern, dass möglichst nur die Zielgruppe angesprochen wird. Gelingt es einem Unternehmen, seine Leistung einem Teil des Marktes als maßgeschneidert darzustellen, so kann das Unternehmen bei diesem Teil des Marktes eine relativ starke Position erlangen. Insgesamt gesehen ermangelt es den Plänen im Marketing der Jado GmbH an einem einheitlichen Konzept, das seinen logischen Ausgang von vertrauenswürdigen Informationen über eine klar definierte Zielgruppe nimmt und die Anstrengungen am Letztverbrauchermarkt mit denen am Handelsmarkt sinnvoll miteinander kombiniert. Synopse der Defizite im Marketing Als gravierendste Defizite des Marketings bei der Jado GmbH können damit festgehalten werden: • Fehlende (wissenschaftlich fundierte) Marktforschung und damit feh‐ lende Orientierung an den Bedürfnissen der potenziellen Kunden. • Keine Kenntnisse hinsichtlich der Interaktivität verschiedener Marke‐ tinginstrumente. • Keine langfristig orientierte Strategie der Marktbearbeitung. Die in der Praxis typischen Sachverhalte aus diesem Fallbeispiel werden nachfolgend im Einzelnen beleuchtet. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird das, worüber diskutiert werden soll, vorab inhaltlich klar bestimmt. 26 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="27"?> 1.3 Marketing vom Pendant der Wertschöpfung hin zur absatzmarktorientierten Planung und Steuerung von Unternehmen Bis vor einigen Jahrzehnten erforderte es bei vielen Unternehmen nur bescheidene Anstrengungen, um die produzierten Güter auch abzusetzen. Dennoch gab es natürlich auch Anbieter, die im Zeitverlauf immer weniger erfolgreich waren und schließlich vom Markt verschwanden (z. B. der Premium-Automobilhersteller Borgward). Scheinbar war demnach bei der Mehrzahl der Unternehmen ein aktives Marketing nicht notwendig, es be‐ schränkte sich vielfach auf die werbliche Bekanntmachung und Verteilung des eigenen Angebots. Dies stellt so lange keine ernsthafte Herausforderung dar, wie die Nachfrage das Angebot übersteigt. Nichts anderes hat der Begriff Marketing ursprünglich zum Ausdruck gebracht - Werbung und Verkauf. Fälschlicherweise wird teilweise auch heute noch das Marketing allein damit in Verbindung gebracht. Diese Situation hat sich seitdem in den meisten Märkten von B2Caber auch von B2B-Unternehmen drastisch verändert. Nicht mehr die Herstellung, sondern der Absatz der Sach- und Dienstleistungen bildet jetzt den Dreh- und Angelpunkt der Bemühungen. Heute müssen sich die Unternehmen in aller Regel bei gegebener Nachfrage um die potenziellen Kunden bemühen, die sich bei einem attraktiven Gesamtangebot für oder gegen den Konsum einer neuen Leistung bzw. die Investition in diese neue Leistung entscheiden und dabei gleichzeitig Einsparungen in anderen Konsumbzw. Investitionsbereichen vornehmen müssen. Hier stellt dann nicht nur die Erstellung des innovativen Angebots, sondern auch dessen Marketing eine Herausforderung dar. Mit dem beschriebenen Übergang ist man in zunehmendem Maße ge‐ zwungen, Märkte systematisch zu erschließen und zu pflegen. Der Verkäu‐ fermarkt von einst wurde vom Käufermarkt abgelöst. Wissen | Mit dem Begriff Verkäufermarkt kennzeichnet man eine Marktsituation, bei der sich der Verkäufer in der verhandlungstaktisch besseren Position befindet, mit einem Käufermarkt aufgrund des Nachfrageengpasses die entgegengesetzte Konstellation. Es entspricht allerdings keineswegs der Realität, wenn ein natürlicher Trend hin zum Käufermarkt postuliert wird. So haben beispielsweise Kartellabspra‐ 1.3 Marketing vom Pendant der Wertschöpfung 27 <?page no="28"?> chen oder kriegerische Ereignisse den Erdölmarkt bisweilen in einen Verkäu‐ fermarkt zurückverwandelt. Auch bei bestimmten Handwerksdienstleistungen besteht in manchen Gebieten ein ausgeprägter Verkäufermarkt. Den zügigen Ausgleich verhindert in einem solchen Fall etwa die eingeschränkte Mobilität der Handwerker. Letztendlich ist aber heute das Marketing für einen Großteil der Unternehmen weit mehr als Werbung und Vertrieb. Marketing ist deshalb immer mehr zu einem Schlagwort für eine ge‐ wisse Grundhaltung geworden. Dies lässt sich mit einer konsequenten Ausrichtung aller unmittelbar und mittelbar den Markt berührenden Ent‐ scheidungen an den Erfordernissen und Bedürfnissen der Verbraucher bzw. Bedarfsträger umschreiben (Marketing als Maxime). Man sieht sich dabei unablässig herausgefordert, sich auf den Nutzen, den eine Leistung den Abnehmern vermittelt, zu konzentrieren und ein Höchstmaß an Kunden‐ zufriedenheit zu erreichen. Dies ist nicht nur eine Frage der Mentalität, der grundsätzlichen Einstellung gegenüber den Marktpartnern, sondern auch ein Ergebnis des gezielten Einsatzes von Instrumenten (Marketing als Mittel) und einer systematischen Entscheidungsfindung (Marketing als Methode), die bewusst auf Erkenntnisse von Nachbarwissenschaften (z. B. Psychologie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre) zurückgreift und sich vielfältiger Hilfsmittel (z.-B. Statistik, Kostenrechnung) bedient. Allerdings ist es nicht bei der einseitigen Ausrichtung des Denkens und Handelns an den Belangen der Bedarfsträger (Kundenorientierung) geblieben. Ein Hersteller von Konsum- oder Produktionsgütern z. B., der sich des indirekten Absatzes bedient, muss sich mittlerweile mindestens ebenso stark um den Handel als Mittler zwischen Produktion und Konsumtion kümmern wie um die Endverbraucher. Der Akzent wird dabei von der Überlegung, welchen Nutzen er Letzteren stiftet, auf die Frage verlagert, weshalb ein Absatzmittler genau jenes Produkt in seinem Sortiment führen soll. Insofern ist eine klassische Front, an der Marketing betrieben wird, hinzugekommen. Damit verschärfte sich die Notwendigkeit einer integrati‐ ven Sichtweise. Von daher erscheint es verständlich, wenn Marketing heute schlechthin als Führungskonzeption verstanden werden muss. Marketing sollte daher alle Entscheidungen beinhalten, die primär die aktive Gestaltung der Absatzbedingungen eines Unternehmens zum Gegen‐ stand haben und deren Realisation. Versteht man demnach Marketing vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen als absatzmark‐ torientierte Planung und Steuerung von Unternehmen, so lässt sich folgende Definition festhalten: 28 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="29"?> Wissen | Marketing ist ein ganzheitlicher Prozess im Unternehmen, der unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Nachfrager sowie dem relevanten Konkurrenzangebot alle Aktivitäten systematisch und auf Marktinformationen basierend so ausrichtet, dass übergeordnete Unternehmensziele erreicht werden können. Dies beinhaltet auf der Ebene des Leistungsangebots (Produkte und/ oder Dienstleistungen) die Konzeption, Implementierung und Kontrolle eines Bündels von Produkt-Leistungsmerkmalen, Preisen und Konditionen, Vertriebs- und Distributionskanälen sowie Kommu‐ nikationsstrategien, um mit Nachfragern eine optimale Kundenbe‐ ziehung aufbauen zu können. Damit finden sich zwei, aufeinander abzustimmende Ebenen des Marke‐ tings: • Die erste Ebene umfasst die Gesamtplanung und -steuerung des Un‐ ternehmens („Was wollen wir tun? “) - und ist damit von konkreten Produkten bzw. Leistungen des Unternehmens relativ weit entfernt. • Die zweite Ebene beinhaltet die einzelnen Produkte bzw. Leistungen des Unternehmens und betrifft die Ausgestaltung der Inhalte der ersten Ebene („Wie wollen wir das tun? “). Das Bestreben von Marketing betreibenden Organisationen kann - verein‐ facht ausgedrückt - darin gesehen werden, den potenziellen Abnehmern ihrer Leistungen ein Angebot darzubieten, das zum einen dem der konkur‐ rierenden Anbieter vorgezogen wird und das zum anderen dem Anbieter einen als ausreichend eingestuften Ertrag verspricht. Marketing in diesem Sinne treiben sowohl die Hersteller von Konsum‐ gütern und von Industriegütern als auch diejenigen Organisationen, die Dienstleistungen wie etwa Handels- oder Transportdienste, Ausbildungs‐ dienste oder Bankdienstleistungen im Wettbewerb gegen Entgelt anbieten. Marketing treiben insofern auch soziale Dienste bzw. andere öffentliche (Non-Profit-)Organisationen, die prinzipiell mit Hilfe des erwerbswirt‐ schaftlichen Prinzips gesteuert werden können. Wenn im weiteren Verlauf der Darstellung zumeist implizit auf Unterneh‐ men Bezug genommen wird, die Konsumgüter produzieren und vermarkten, so lediglich deshalb, weil diese Organisationen ihr Marketing zur vergleichs‐ weise größten Reife entwickelt haben und somit im guten wie im schlechten Sinne als besonders ergiebige Erkenntnisobjekte einzustufen sind. 1.3 Marketing vom Pendant der Wertschöpfung 29 <?page no="30"?> Typen von Märkten Angebot > Nachfrage Angebot < Nachfrage Käufermarkt-Situation Verkäufermarkt-Situation Absatzbereich Produktionsbereich betrieblicher Engpass Kernprobleme der Unternehmensführung 1 2 Kostensenkungspotenziale erforschen, nutzen, realisieren (z. B. Verbesserung, Fortentwicklung der Produkte durch Wertanalyse, Experience Curve, Konstruktionssystematik 3 Rationalisierungspotenziale erforschen, nutzen, realisieren (z. B. verfahrenstechnische Änderung, Einsatz moderner leistungsfähiger Betriebsmittel, bessere, andere Werkzeuge, Vorrichtungen 4 Kapazitäts- und Investitionspotenziale suchen, nutzen, realisieren technischer, psychologischer, ökonomischer Nutzen des Produkts dem Wettbewerb gegenüber identifizieren, d. h. • anders • billiger • besser technischer und ökonomischer Nutzen der Produkte und Produktion, d. h. • einfacher • besser • billiger • mehr Schwerpunkstrategien und -aufgaben der Unternehmensführung kundenbedürfnisorientierte neue Ertragspotenziale suchen, nutzen, realisieren Darstellung 1.1: Schwerpunkte von Unternehmensstrategien auf verschiedenen Märkten | Quelle: Kramer 1987, S.-8. 30 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="31"?> In Abhängigkeit der Marktsituation ergeben sich für die Unternehmens‐ führung unterschiedliche Kernprobleme sowie unterschiedliche Schwer‐ punktaufgaben, wie sie in →-Darstellung 1.1 verdeutlicht sind. Aufgrund der unterschiedlichen Engpasssituationen beim Verkäufer- und beim Käufermarkt folgen aus der „Dominanz des Minimumsektors“ recht unterschiedliche Konsequenzen. Wissen | Nach der Hypothese von der Dominanz des Minimum‐ faktors ist derjenige betriebliche Funktionsbereich als der das Ge‐ samtsystem des Unternehmens bestimmende anzusehen, welcher der „schwächste“ (d.-h. der Engpass) ist. Der Minimumsektor wirkt auf die Gesamtplanung in Analogie zum so genann‐ ten Ausgleichsgesetz der Planung von Gutenberg (vgl. Schneider, 2001). Wissen | Das Ausgleichsgesetz der Planung besagt, dass die Domi‐ nanz des Minimumfaktors kurzfristig das Einregulieren der Gesamt‐ planung auf den Engpass erfordert. Langfristig resultiert aus der Dominanz des Engpassfaktors das Bestreben, die betriebliche Planung disharmonisch voranzutreiben, d.-h. den Engpassbereich vorrangig zu entwickeln. Folgt man diesen Aussagen, so besteht im Käufermarkt in zweierlei Hin‐ sicht ein Primat des Absatzbereiches: Zum einen formen kurzfristig die Absatzmöglichkeiten die übrigen betrieblichen Funktionsbereiche, zum anderen wird aus langfristiger Sicht vor allem versucht, die Absatzchancen kontinuierlich zu verbessern. Damit ist klar, dass unter solchen Marktgegebenheiten die Marketingpla‐ nung nicht mehr am Ende der Planungsüberlegungen steht, sondern zum Ausgangspunkt der kurz- und langfristigen Unternehmensplanung werden muss. Unter solchen Umständen ist Marketingplanung nahezu identisch mit Gesamtunternehmensplanung. Man muss demnach eine systematische, ziel‐ gerichtete, am Absatzmarkt orientierte Gesamtunternehmenspolitik betreiben. Eine solche Zentrierung des Planungs- und Führungsverhaltens wird als marketingorientierte Unternehmensführung bezeichnet. Ursprünglich war Marketing, wie beschrieben, mit einfacher Vermark‐ tung gleichzusetzen. Darauf folgte eine Phase, die sich mit konsequenter Kundenorientierung kennzeichnen ließ. Diesem Ziel sollten sich alle 1.3 Marketing vom Pendant der Wertschöpfung 31 <?page no="32"?> Mitarbeiter eines Unternehmens, vom Vorstand bis zum Pförtner, quer durch alle betrieblichen Funktionen hindurch unterwerfen und verpflichtet fühlen. Es würde nicht angehen, wenn zwar die für den Absatz Verantwortlichen marktbezogen dächten und handelten, während Konstrukteure, Einkäufer, Arbeiter am Fließband etc. ganz verschiedene Vorstellungen davon entwi‐ ckeln dürften, woran man sich zu orientieren habe. In diesem Zusammenhang ist es für die Unternehmensleitung elementar zu realisieren, dass im Unternehmen nicht eine Stelle bzw. Abteilung oder Ähnliches existiert, die sich mit „dem“ Marketing beschäftigt; vielmehr ist das Unternehmen selbst als Marketingorganisation zu sehen. Parallel zu dieser Argumentation sind beispielsweise auch Personalfragen sinnvoller‐ weise nicht ausschließlich in der Personalabteilung angesiedelt. Dies hat zur Folge, dass der Marketinggedanke in alle Bereiche der betrieblichen Wertschöpfung einbezogen wird, eine vorhandene Marke‐ tingabteilung damit lediglich die diesbezüglichen Aktivitäten koordiniert. Empirische Studien zeigen die entsprechende Erfolgswirksamkeit dieser Überlegungen - in wenig dynamischen Märkten (vgl. Krohmer et al., 2002), in Bezug auf spezifische Marketingaspekte (vgl. Bauer et al., 2020; Endres et al., 2020a; Helm et al., 2020). In → Darstellung 1.2 sind diese Überlegungen zusammenfassend dargestellt. Besonders zu beachten sind vor dem Hintergrund der in → Abschnitt 1.2 behandelten Fallstudie folgende Aspekte des Marketings, wobei die Funktionen der Produktion bzw. der Leistungserstellung, der Distribution bzw. des Handels, der Marktforschung sowie der Werbung nicht zwingend außerhalb des Unternehmens erbracht werden müssen: • Bestehende Informationsdefizite hinsichtlich verschiedener Ver‐ marktungsaspekte von betrieblichen Leistungen werden durch die Marktforschung behoben. Diese liefert empirische Befunde zu den aufgeworfenen Fragestellungen. • Es werden Vorgaben zur adäquaten Kommunikation der Leistungen gemacht, die sich aus Positionierungsüberlegungen etc. ergeben haben. Werbeagenturen oder Ähnliches setzen diese so um, dass die anzuspre‐ chende Zielgruppe, d. h. die potenziellen Konsumenten im Marktseg‐ ment, die Vorzüge entsprechend den Marketingplanungen erkennen. 32 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="33"?> externe Unternehmen Marketing Produktion Finanzen Vertrieb Bestellungen Umsätze Finanzmittel Forschung & Entwicklung Ideen Ideen, Produkte Produkte Dienstleistungen Ideen Werbeagenturen Promotionunternehmen Marktforschung Vorgaben Konzepte Informationslücken empirische Daten Handel Kunden Produkte Dienstleistungen Zahlungen Informationen Nutzenbündel Informationen Werbung Darstellung 1.2: Einbindung des Marketings in den Wertschöpfungsprozess | Quelle: in Anlehnung an Dalrymple u. Parsons, 2000, S.-9. • Ideen kommen aus der Kenntnis der Konsumentenbedürfnisse (nach‐ frageinduzierte Innovationen) und werden innerhalb der F&E-Abteilun‐ gen in Produkte umgesetzt. Ideen kommen aber auch direkt aus dem F&E-Bereich (technologieinduzierte Innovationen). • Der Vertrieb des Unternehmens bekommt nicht das Produkt per se, sondern vielmehr ein absatzorientiertes Gesamtkonzept, das auf die Bedürfnisse der Konsumenten abgestimmt ist. Der Nutzen für den Kun‐ den wird so ausgestaltet, dass man sich einerseits von der Konkurrenz abhebt und andererseits die Kundenwünsche berücksichtigt sind. Im Fall der Jado GmbH müssten beispielsweise ein geeigneter Markenname oder auch weitere Produkte aus dem Produktbereich „hinzugefügt“ werden. Eine weitere Entwicklungsstufe sieht Marketing als eine Konzeption zur dauerhaften Bewältigung von Engpässen. Diese basiert auf dem Verständ‐ nis, dass weniger die Aneinanderreihung von einzelnen Transaktionen (mit einem Kunden), sondern vielmehr der Aufbau und die Pflege langfris‐ tiger und - durch verringerte Einzeltransaktionskosten der Akquisition, Verhandlung und Durchführung des Kaufakts - profitabler Austausch‐ 1.3 Marketing vom Pendant der Wertschöpfung 33 <?page no="34"?> beziehungen zum Kunden zu verfolgen ist. Diese Perspektive wird als Relationship-Marketing bezeichnet (vgl. dazu Bruhn, 2022). Es kommt jedoch auch vor, dass die Wettbewerbs- und Überlebensfähig‐ keit eines Unternehmens nicht nur vom Absatzmarkt abhängt. Die Restrik‐ tionen liegen dann in mehr oder minder erheblichem Ausmaß im Bereich der Rohstoff-, Anlagen- oder Kapitalbeschaffung bzw. bei den Mitarbeitern oder beim Staat. Vor diesem Hintergrund fokussiert das Marketing nicht nur Kunden und Wettbewerber, sondern verfolgt das Ziel, alle Anspruchs‐ gruppen bzw. Stakeholder (vgl. Bea u. Haas, 2019, S. 119ff.) möglichst gut zu bedienen. Dies führt dazu, dass man sich mindestens in gleichem Maße wie über das Wie („can it be sold? “) über das Ob („should it be sold? “) Gedanken machen muss. In vielen Fällen tritt deshalb neben Gewinnprinzip, Wirtschaftlichkeitskriterien und Nutzenerwägungen eine Haltung, die von gesamtwirtschaftlicher Verantwortung gekennzeichnet ist. Aktuelle Entwicklungen hierfür sind die ESG-Regularien der Europäischen Union oder die CSR-Bemühungen vieler Unternehmen. 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung Die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses für die Anliegen des Marketings erfordert eine Klarstellung einiger ganz elementarer Zu‐ sammenhänge, auf welche in den nachfolgenden Kapiteln zurückgegriffen wird. Dies erleichtert sowohl die zusammenfassenden Aussagen in → Abschnitt 1.5 als auch die dargestellten Probleme in der Fallstudie in → Abschnitt 1.2. In Käufermarktsituationen wird man angesichts der Konkurrenzsituation nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn man in einem ausreichenden Maße der stärkeren Marktposition der Nachfrager gerecht wird. Damit wird es geradezu zwingend, die Analyse der Nachfragesituation an den Anfang aller marketingbezogenen Überlegungen zu stellen. Nach der Art der nachgefragten Produkte kann die Marktsituation einfach charakterisiert werden. Produkte können in verschiedener Hinsicht beschrieben werden, z. B. nach Verwendungszweck und individueller Be‐ schaffungssituation. Unterteilt man Produkte nach ihrem Verwendungs‐ zweck, so sind zweimal zwei Produktarten zu bilden: 34 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="35"?> • Zum einen Produkte, die für die Verwendung in der Privatsphäre (Kon‐ sumgüter) bzw. im gewerblichen Bereich (Produktivgüter) bestimmt sind. • Zum anderen solche, die bei der Verwendung gebraucht (längerfristige bzw. mehrmalige Nutzung; Investitionsgüter) bzw. verbraucht (einma‐ lige Nutzung; Produktionsgüter) werden. Die Unterteilung der Produkte nach dem Verwendungszweck ist keineswegs immer durch die Produktart bestimmt; so sind Personenkraftwagen oder Strom sowohl als Konsumals auch als Produktivgüter einsetzbar. Die Relevanz der Unterteilung der Produkte nach ihrem Verwendungs‐ zweck ergibt sich insbesondere auch daraus, dass für einen Teil der Produkte die Nachfrage derivativer Natur ist. Wissen | Derivative Nachfrage bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Nachfrage nach dem jeweiligen Produkt von der Nachfrage nach einem anderen Produkt abhängt. Beispiel | Ein besonders augenfälliges Beispiel hierfür ist die Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus, die in fast vollkommener Weise von der Nachfrage nach mobilen Elektrogeräten abhängt. Als derivativ anzusehen ist speziell die Nachfrage nach Produktivgütern und gegebenenfalls auch die Nachfrage nach Rohstoffen und Zwischenproduk‐ ten im Konsumgüterbereich. Die Nachfrage nach Do-it-yourself-Materialien (z. B. Klebstoff) kann insofern als derivativ angesehen werden, als sie eine Funktion der Nachfrage etwa nach Wohnraum bestimmter Qualität ist, da diese nachgefragten Leistungen mindestens eine Weiterverarbeitungs-, Nut‐ zungsund/ oder Handelsstufe durchlaufen, bevor sie zum Endverbraucher gelangen. Die derivative Nachfrage ist daher für die Planungen vieler Un‐ ternehmen relevant, so dass die Ausführungen in → Kapitel 2 und → Kapitel 4 auch für Unternehmen, die explizit nicht auf Konsumgütermärkten zu finden sind, von erheblicher Bedeutung sind. Die Marketingaktivitäten sind daher nicht nur auf die unmittelbar nach‐ folgende Wertschöpfungsstufe auszurichten, sondern es ist ein mehrstufiges Marketing zu installieren, das marketingpolitische Maßnahmen (z. B. das Co-Branding von Dolby, Gore-Tex) umfasst, die auf eine oder mehrere den 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung 35 <?page no="36"?> unmittelbaren Abnehmern nachfolgende(n) Marktstufe(n) („Kunden des Kunden“) gerichtet sind (→ Darstellung 1.3). Marketing-Mix für Kunden Marketing-Mix für d. Kunden Kunde Anbieter derivativer Kunde Darstellung 1.3: Mehrstufiges Marketing bei derivativer Nachfrage. Eine in diesem Zusammenhang ebenfalls diskutierte Unterteilung der Pro‐ dukte ist diejenige nach der Beschaffungssituation. Auch wenn die Klassifizierung nicht immer einheitlich ist, kann in diesem Zusammenhang (für den Konsumgüterbereich) eine Unterteilung gemäß → Darstellung 1.4 vorgenommen werden. - - hohe Markttransparenz geringe Markttransparenz hohes Selbstvertrauen geringes Selbstvertrauen - Denkprozess während des Kaufs durch Mar‐ kenvergleich Denkprozess vor dem Kauf durch Informations‐ suche geringes Risiko hohes Risiko geringer Anschaffungspreis geringes Involvement geringer Einkaufsaufwand Convenience-Typ Preference-Typ hoher Anschaffungspreis hohes Involvement hoher Einkaufsaufwand Shopping-Typ Speciality-Typ Darstellung 1.4: Beschaffungstypologie. 36 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="37"?> Für das Marketing ist eine Typisierung der Beschaffungssituation von Produkten nach dem soeben diskutierten Raster insofern von Bedeutung, als etwa bei Convenience Goods anders als bei Shopping Goods (Pkw für einen Laien) oder Specialty Goods (Pkw für einen Hobbybastler) po‐ tenzielle Käufer kaum bereit sind, besondere physische oder psychische Anstrengungen zu unternehmen, um eine bestimmte Marke zu erwerben. Ist etwa die präferierte Marke nicht in der Nähe erhältlich, bestehen für sie längere Lieferzeiten (Versand) oder ist sie in einem bestimmten Geschäft ausverkauft, so wird der Kunde bei einem Convenience Good oft ohne zu zögern die Marke wechseln. Dies hat zur Folge, dass ein und dasselbe Produkt je nach potenziellem Kunden (differenzierte Nachfrage) mit anderen Marketinginstrumenten aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituation im Beschaffungs‐ prozess vermarktet werden muss. Bedürfnis: Mangelgefühl und das Bestreben, dieses zu beheben Kaufvolumen Suchen und Finden alternativer Befriedigungsmöglichkeiten (eigene und fremde Erfahrung) Produktpolitik Bewertung Bedarf: konkretisiert, objektorientiert Preispolitik Zeitdisposition Finanzdisposition Überprüfung der Dringlichkeit tatsächliches Angebot situative Einflüsse Distributionspolitik Kommunikationspolitik Nachfrage: mit Geldmitteln versehen, zeitlich geordnet Marketinginstrumente Darstellung 1.5: Stufen zunehmender Konkretisierung des Kaufentscheidungsprozesses und Einflussmöglichkeiten der Marketinginstrumente. 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung 37 <?page no="38"?> Bereits zu Beginn dieses Abschnitts wurde die Nachfragesituation als Ausgangspunkt der Analyse thematisiert. Es bietet es sich daher an, den Erwerb einer Sach- oder Dienstleistung einer näheren Betrachtung zu un‐ terziehen, um auf die grundlegenden Aspekte einer marktorientierten Unternehmensführung einzugehen. Der Zusammenhang zwischen den Konstrukten Bedürfnis, Bedarf, Nach‐ frage und schließlich Kaufvolumen ist in → Darstellung 1.5 wiedergegeben. Bedürfnisse stellen den gedanklichen Startpunkt des menschlichen Kaufentscheidungsprozesses dar (vgl. Kroeber-Riel u. Gröppel-Klein, 2019, S.-157ff.) Wissen | Bedürfnisse können als Mangelgefühle oder Probleme beschrieben werden, denen das Bestreben zugeordnet ist, diese zu beheben. Bedürfnisse sind demnach intrapersonale und damit nicht beobachtbare Tatbestände, auf deren Vorhandensein man nur aufgrund bestimmter Ver‐ haltensweisen indirekt schließen kann. Anders als Bedürfnisse sind Bedarfs‐ größen bereits auf bestimmte Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung hin orientiert; der Bedarf ist das durch die Konfrontation mit Objekten, die grundsätzlich zur Bedürfnisbefriedigung geeignet sind, konkretisierte Bedürfnis. Beispiel | So kann eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa ein Bedürfnis nach Erfrischung besitzen, das nach Analyse der alternativen Formen der Befriedigung dieses Bedürfnisses (Bier, Mineralwasser, Eis, Freibad etc.) dann zum Bedarf nach einem Bad in einem Gebirgssee konkretisiert wird. Das Marketing wird zuweilen auch dem Vorwurf ausgesetzt, Bedürfnisse zu kreieren, um diesen dann entsprechende Produkte gegenüberzustellen. Beispiel | Lange, bevor es diesen Begriff gab, griffen beispielsweise schon Standard Oil oder Steinway & Sons diese Idee der aktiven Bedürf‐ niskreierung auf. Sie verschenkten Petroleumlampen bzw. stifteten Konzertsäle, um den Bedarf nach Öl bzw. Klavieren zu stimulieren. 38 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="39"?> An der Umformung von Bedürfnissen zu Bedarfsgrößen sind insbesondere eigene Erfahrungen hinsichtlich der Eignung der alternativen Objekte, das entsprechende Bedürfnisse zu befriedigen, und Erfahrungen oder Meinun‐ gen anderer Personen, die einen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten des entsprechenden Individuums besitzen, beteiligt. Der Bedarf ist lediglich objektorientiert, nicht aber auf einen bestimmten Kaufzeitpunkt oder Kaufort bezogen. Damit es zu einer solchen weiteren Konkretisierung der Nachfrage kommt, sind bestimmte Beschaffungsdis‐ positionen vorzunehmen. Zunächst einmal muss eine entsprechende Kaufkraft disponiert werden, was stets eine Abwägung der Dringlichkeit alternativer Bedarfskate‐ gorien beinhaltet. Insofern konkurrieren etwa Ausgaben für einen Thea‐ terbesuch mit solchen für einen Kinobesuch. Es ist allerdings nicht nur eine Disposition der Kaufkraft vorzunehmen, sondern auch eine der Zeit, die sich etwa in der Frage niederschlägt: „Kann ich mir angesichts der bevorstehenden Arbeitsbelastung einen Theaterbesuch (zeitlich) leisten? “ Wie unmittelbar einsichtig, hängt der zeitliche Bedarf für die Befriedigung eines bestimmten materiellen Bedarfs stark von der räumlichen Verteilung der Bedarfsbefriedigungsmöglichkeiten ab. Eine Folgerung aus dieser Er‐ kenntnis besteht darin, dass es möglich ist, durch eine hohe räumliche Angebotsdichte die Nachfrage nach einem Produkt merklich zu beeinflus‐ sen. Die Nachfrage ist der zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem be‐ stimmten Ort marktwirksam gewordene Bedarf. Aus der Gegenüberstellung von Nachfrage und Angebot ergibt sich schließlich das Kauf- oder Markt‐ volumen. Letzteres wird insbesondere dann vom Nachfragevolumen abweichen, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort ein üblicherweise dort zum Kauf angebotenes Produkt nicht verfügbar ist. Dividiert man die Zahl an getätigten Absätzen in einem bestimmten Zeitraum durch das Marktvolumen ergibt sich der eigene Marktanteil. Wissen | Die vielfältigen Möglichkeiten, aus denen eine konkrete Nachfrage eines Nachfragers entstehen kann, führt dazu, dass bei einem identischen Bedürfnis zu Beginn des Kaufentscheidungsproz‐ esses die verschiedensten Nachfragekonstellationen entstehen können, d. h. es ergibt sich eine differenzierte Nachfrage bei gegebenem Bedürfnis bzw. Problem. 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung 39 <?page no="40"?> Die Ausgestaltung der verschiedenen Marketinginstrumente (linke Seite von → Darstellung 1.5) setzt dabei an verschiedenen Punkten des Kaufent‐ scheidungsprozesses an. • Innerhalb der Produktpolitik sollte sichergestellt werden, dass auf‐ grund adäquater Informationen eine maßgeschneiderte „Problemlö‐ sung“ zur Befriedigung des Kundenbedürfnisses zur Verfügung gestellt wird. • Durch die Instrumente der Preispolitik wird einerseits die relative Wertigkeit der angebotenen Problemlösung beachtet, da der gebotene Nutzen - d.-h. die vom Konsumenten geschätzte Eignung des Produkts zur Befriedigung seines Bedürfnisses - das Entgelt, das der Kunde dafür zu zahlen hat, rechtfertigen muss, es muss also ein Nettonutzen entste‐ hen. Andererseits kann die finanzielle (zu welchen Konditionen wird gekauft? ) und zeitliche (wann wird gekauft? ) Komponente ebenso durch dieses Instrument beeinflusst werden. Man denke hierbei an bestimmte Rabatte oder Finanzierungsangebote, wenn bspw. antizyklisch gekauft wird. • Mittels der Distributionspolitik wird schließlich die Verfügbarkeit der Leistung am Ort und zum Zeitpunkt der Nachfrage gewährleistet. Nur dann kann der potenzielle Kunde beispielsweise Leistungsvergleiche zwischen verschiedenen Alternativen anstellen. Dieser Aspekt wurde oben beim Aspekt der Beschaffungsanstrengungen bereits deutlich. • Last but not least ist dem Nachfrager innerhalb der Kommunikations‐ politik das Angebotsbündel mit allen für einen Kauf relevanten Infor‐ mationen („welche Leistung kann mit welchen Nutzenkomponenten, zu welchen Konditionen, an welchen Orten und zu welchen Zeitpunkten erworben werden“) zielgruppengerecht zu vermitteln. Wissen | Das Marketing(-Instrumentarium) ist dementsprechend so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der potenziellen Kunden(-gruppen) zu einer Nachfrage nach dem eigenen Angebot am Markt führen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn diese und die weiteren Einflussmöglich‐ keiten dem planenden Unternehmen bekannt sind! Bisher war stets nur die Rede von Produkten; dies stellt allerdings insofern eine grobe Vereinfachung dar, als man in der Realität regelmäßig Produkte und Marken nebeneinander zu betrachten hat. 40 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="41"?> Unter Produkt soll dabei im Gegensatz zur Marke eine Objektmenge verstanden werden, die zur Befriedigung eines bestimmten Bedarfs bzw. Bedürfnisses geeignet ist. Im obigen Beispiel wären etwa Bier, Mineral‐ wasser oder auch - umfassender klassifiziert - Erfrischungsgetränke re‐ levante Produkte. Marken sind demgegenüber Herkunftsbezeichnungen, die bestimmten Produkten (oder Produktgruppen) zur Unterscheidung beigegeben werden. Wie das Beispiel Bier - Mineralwasser - Erfrischungs‐ getränke bereits deutlich gemacht hat, kann eine Produktdefinition unterschiedlich weit gefasst werden. Je nachdem, ob die Nachfrager Bier und Mineralwasser als gegenseitig austauschbare Mittel zur Bedürfnis‐ befriedigung ansehen oder nicht, wird man als Produkt Erfrischungsge‐ tränke oder Bier und Mineralwasser definieren. Dies sei an einem weiteren Beispiel verdeutlicht. Beispiel | Für einen Nichtraucher sind alle handelsüblichen Zigaret‐ tenmarken Teil eines einheitlichen Produktes „Zigaretten“; für einen „eingeschworenen“ Raucher filterloser Zigaretten dagegen ist die Ge‐ samtheit der Zigarettenmarken in die zwei Produkte „Filterzigaretten“ und „filterlose Zigaretten“ zu unterteilen; für den überzeugten Gau‐ loise-Raucher sieht die Welt der Zigaretten wiederum anders aus, für ihn gibt es zum Beispiel drei Gruppen von Zigarettenmarken und -typen: „Gauloise ohne Filter“, „übrige filterlose Zigaretten“, „Filterzigaretten“ (inkl. Gauloise mit Filter). Naturgemäß stehen diese drei Produkte nicht völlig isoliert nebeneinan‐ der, vielmehr bestehen zwischen ihnen hinsichtlich der Bedürfnisse, die sie befriedigen, mehr oder weniger enge Substitutionsbeziehungen. So mögen etwa „Gauloise ohne Filter“ und „übrige filterlose Zigaretten“ als miteinander enger verbunden angesehen werden als die anderen beiden Paare. Es ist unmittelbar erkennbar, dass die unterschiedlichen Substitutio‐ nalitätsgrade der einzelnen Produkte untereinander für das Marketing erhebliche Relevanz besitzen, wenn es für diese Personen darum geht, wegen Nichterhältlichkeit eine andere Marke bzw. ein anderes Produkt als die am meisten präferierte Zigarette „Gauloise ohne Filter“ zu wählen. 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung 41 <?page no="42"?> Wissen | Der Grad der Substitutionalität bestimmt je nach Ziel‐ gruppe bzw. Marktsegment den so genannten relevanten Markt, auf dem sich der Anbieter bewegt, im Sinne der für das Marketing relevanten Konkurrenzprodukte. Für den Anbieter lautet die Frage demnach: „Welche Konkurrenzprodukte bzw. -marken bzw. -anbieter sind Substitute meines eigenen Angebots? “. Was hier für den Fall verschiedener Zigarettenprodukte diskutiert wurde, gilt analog für die Relationen zwischen Zigaretten, Zigarren und Pfeifen oder auf einem noch allgemeineren Niveau für die Produkte Tabakwaren und alkoholische Getränke. Bei der Frage nach dem relevanten Markt ist in einem weiteren Schritt nicht die physische Gleichheit maßgeblich, sondern die Gleichheit des Ver‐ wendungszweckes, welcher als Ausgangspunkt der Überlegung gewählt werden muss. Beispiel | Demnach sind beispielsweise Stahlrohre für die Abwasser‐ führung dem gleichen Markt wie entsprechende Kunststoffrohre, nicht aber dem gleichen Markt wie Stahlrohre gleicher Stärke für sonstige Zwecke zuzurechnen. Da man in der Regel nicht von „substitutiv: ja oder nein“, sondern nur von „mehr oder weniger substitutiv“ ausgehen kann, ist häufig der relevante Markt nicht eindeutig abzugrenzen. Beispiel | Vorab keineswegs klar ist etwa, ob der relevante Markt für einen Audi A6 derjenige aller Personenkraftwagen, derjenige der oberen Mittelklassewagen oder derjenige der Personenkraftwagen mit einem Preis von € 50.000 bis € 80.000 darstellt. Unklar ist ferner, ob nur die deutschen oder die europäischen oder die europäischen und die japanischen Fahrzeuge eingeschlossen sind. Das Problem der Marktabgrenzung existiert in gleicher Weise bei regio‐ nalen, nationalen oder internationalen Märkten und kann dementsprechend mehrdimensional angegangen werden. 42 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="43"?> Da der Bedarf der potenziellen Abnehmer stark von ihren subjektiven Erfahrungen und Beurteilungskriterien geprägt wird, kann mit einiger Berechtigung davon ausgegangen werden, dass alle potenziellen Abnehmer mit mehr oder weniger unterschiedlichen Bedarfsvorstellungen an den Markt herantreten und auf bestimmte Aktionen der Anbieter unterschied‐ lich reagieren. Bezieht man diese Erkenntnisse auf Produkte, so bedeutet dies nichts anderes, als dass realistischerweise davon auszugehen ist, dass die potenziellen Abnehmer die Leistungen der Anbieter unterschiedlich einstufen. Wissen | Die Bewertung und das Urteil der Nachfrager bezüglich ein und desselben Produkts ist heterogen. Die Unterschiedlichkeit der Beurteilung von objektiv gleichen Leistungen ist auf zweierlei Aspekte zurückzuführen: • Kunden nehmen gleiche Objekte unterschiedlich wahr; was aus der Unterschiedlichkeit der merkmalspezifischen Beurteilung der einzelnen Objekte resultiert. • Kunden messen darüber hinaus den einzelnen subjektiv wahrge‐ nommenen Merkmalen von Objekten eine unterschiedliche Bedeutung bei ihren Nachfrageentscheidungen zu. An einem Beispiel ist der Sachverhalt einfach zu erläutern: Beispiel | Kaum zwei Personen werden denselben Typ eines Perso‐ nenkraftwagens (z. B. VW Golf) hinsichtlich aller Merkmale gleich beurteilen. Als Merkmale kommen dabei zum Beispiel Sportlichkeit, Sparsamkeit im Benzinverbrauch, Geräumigkeit, Motorleistung, Fahr‐ komfort und Inspektionskosten in Betracht. Jemand, der beispielsweise ein „Montagsauto“ besitzt, wird wahrscheinlich über die Reparaturan‐ fälligkeit anders urteilen als ein Käufer, der mehr Glück hatte. Darüber hinaus mag für Individuum 1 die Sportlichkeit sehr wichtig, die Spar‐ samkeit dagegen recht unwichtig sein, während für Individuum 2 genau das Gegenteil zutrifft. Des Weiteren wird es für diese beiden Personen auch unterschiedliche Substitutionsprodukte geben! 1.4 Differenzierte Nachfrage, relevanter Markt und Marktsegmentierung 43 <?page no="44"?> Betrachtet man eine sehr große Zahl von möglichen Kunden, so ist es weder plausibel, davon auszugehen, dass alle Personen gleich sind, noch davon, dass alle Personen jeweils paarweise unterschiedlich sind. Man wird erwarten können, dass die Gesamtheit der Personen in einzelne Gruppen von untereinander relativ homogenen, aber zwischeneinander relativ hete‐ rogenen Personen unterteilt werden kann. Wie bereits angedeutet, kann sich die Heterogenität bzw. Homogenität der Personen dabei auf jeweils eines oder auch auf beide Beurteilungsphänomene erstrecken: • Homogenität bzw. Heterogenität hinsichtlich der Einstufung der zur Beurteilung anstehenden Objekte bei allen relevanten Merkmalen, d. h. Homogenität bzw. Heterogenität der Objektwahrnehmungen. • Homogenität bzw. Heterogenität hinsichtlich der Beurteilung der Wich‐ tigkeit der einzelnen Objektmerkmale, d. h. Homogenität bzw. Hetero‐ genität der Merkmalsgewichtungen. Vor dem skizzierten Hintergrund ist das Bemühen von Unternehmen um eine differenzierte Marktbearbeitung, d. h. um eine unterschiedliche Bearbeitung der Summe der potenziellen Abnehmer, unmittelbar einsichtig. Man verzichtet demnach darauf, allen Wünschen von Abnehmern mit einem einheitlichen, standardisierten Angebot gerecht zu werden. Stattdessen wird durch so genannte Line Extensions, d. h. Erweiterungen der Produktpalette - zumindest in der Wahrnehmung der Abnehmer, durch Setzen unterschied‐ licher Preise, Nutzung verschiedenartiger Absatzwege und Wahl zielgrup‐ penorientierter Kommunikationskonzepte - den spezifischen Bedürfnissen von Gruppen potenzieller Käufer stärker entgegengekommen, um auf diese Weise Nachfrage zu aktivieren und einen möglichst großen Teil davon an sich zu ziehen. Wissen | Marktsegmentierung bedeutet damit einerseits die syste‐ matische Aufteilung eines Marktes in möglichst homogene Teile und andererseits deren differenzierte Bearbeitung mit Hilfe der Marketinginstrumente. Die Folge dieser Erkenntnis ist, dass der Markt (d. h. die Summe der potenziellen Abnehmer) zumindest differenziert zu betrachten ist (vgl. → Kapitel 4). Sind entsprechende Ressourcen gegeben, ist es sodann mög‐ lich, ein oder mehrere Segmente gleichzeitig differenziert zu bearbeiten. 44 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="45"?> Beispiel | Um noch mal auf das Beispiel im Automobilsektor zurück‐ zugreifen: BMW bearbeitet das unterste Preissegment nicht, während Ford das oberste nahezu außen vor lässt. Porsche beschränkt sich auf einen ganz kleinen Ausschnitt des Marktes, einen Sektor, der gleichzeitig durch Sportlichkeit und Luxus geprägt ist. Wissen | Bei bekannten Differenzierungspotenzialen des Marktes ist es meist nicht sinnvoll, aufgrund mangelnder Ressourcenkapazität diese zu ignorieren und den Markt insgesamt, d. h. standardisiert zu bearbeiten! Es ist dann eine Auswahl an zu bearbeiteten Segmenten vorzunehmen! Kostenführer können eine Ausnahme darstellen. 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik Bei den vorangegangenen Ausführungen waren bisweilen schon Folgerun‐ gen aus den Gegebenheiten des Absatzmarktes bzw. des jeweiligen Nach‐ frageverhaltens für das Marketing gezogen worden. Im Folgenden werden sie systematisiert und integriert. Die daraus abzuleitenden Grundsätze einer marktorientierten Unternehmensführung deuten an, was gemeinhin mit „Marketing als Philosophie“ gemeint ist. „Marketing“ kann damit als eine Philosophie der Unternehmensfüh‐ rung angesehen werden, die recht treffend durch das Schlagwort „Marke‐ ting ist Führung des Unternehmens vom Absatzmarkt her“ (Hammel, 1963) umrissen werden kann. Es ist einleuchtend, dass die Philosophie des Marketings nur dann Relevanz besitzt, wenn der Absatzbereich wirklich der strategische Engpass der Unternehmensentwicklung darstellt. Zieht man verschiedene Literaturquellen heran, um die Essenzen einer erfolgrei‐ chen marktorientierten Unternehmensführung zu ermitteln, so werden die folgenden Kennzeichen eines erfolgreichen Marketings ermittelt. Kundenbzw. Bedürfnisorientierung aller Unternehmensaktivitäten Ein erstes Kennzeichen eines erfolgreichen Marketings ist, dass der Absatzmarkt als der Ausgangspunkt aller strategischen und taktischen Pla‐ 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik 45 <?page no="46"?> nungen angesehen wird. Die Orientierung der Bemühungen eines Unter‐ nehmens an den Bedürfnissen der aktuellen oder potenziellen Kunden gibt dem jeweiligen Anbieter die Möglichkeit, zufrieden stellende Absatz- und damit Unternehmenserfolge zu erzielen. Hinsichtlich der Bedürfnisse ist davon auszugehen, dass sie teils als unveränderlich und teils als veränderbar einzustufen sind. Dementsprechend versuchen Unternehmen, die Bedürf‐ nisse in eine ihren Zwecken entsprechende Richtung zu verändern und nehmen gleichzeitig eine aktive Anpassung der unternehmenspolitischen Maßnahmen an die gegebenen Bedürfnisse der Nachfrager vor. Relevanz der subjektiv wahrgenommenen Leistungsmerkmale Ausgehend von der Erkenntnis, dass Nachfrager Produkte hinsichtlich der relevanten Merkmale häufig unterschiedlich wahrnehmen, kann ein zweites Kennzeichen formuliert werden. Nicht das objektive Bild eines Produktes, sondern dessen Perzeption ist entscheidend für die Kaufent‐ scheidungsprozesse. Die subjektiv geformten Perzeptionen machen also die Realität des Marktes aus. Daraus folgt für das Marketing, dass es nicht genügt, objektiv gute Produkte anzubieten, sondern auch dafür Sorge zu tragen ist, dass diese Produkte als gut beurteilt werden. Beispiel | Ein Beispiel zur Bedeutung objektiver versus wahrgenom‐ mener Produktqualitäten bietet der Markt für Flachbildfernseher, be‐ sonders in den Anfängen der 2010er-Jahre. Gerade im hochpreisigen Segment wurde die Bildqualität mit einer enorm hohen Bildwiederhol‐ rate (gemessen in Hz) geworben. Mit bis zu 600 Hz wird bei den Luxusmodellen geworben - das sind Werte, die nicht nur de facto nie real zustande kommen. Das ordinäre Fernsehen läuft nur mit 50 Hz, einem Bruchteil dessen, was der Fernseher laut Werbung erreichen kann und selbst Filme via Streaming, Blu-ray oder DVD laufen bis auf geringe Ausnahmen maximal mit 60 Hz; so gesehen handelt es sich hier um nicht wahrnehmbare Ausprägungen objektiver Merkmale. Der Grund hierfür liegt u. a. schlicht darin, dass der Mensch gar nicht im Stande ist, in einem entsprechend hohen Frequenzbereich noch Unterschiede visuell wahrzunehmen. Dass solch eine Werbemaßnahme trotzdem sinnvoll sein kann, ergibt sich aus einem anderen Aspekt: Die Bildwiederholfre‐ quenz dient hier dazu, eine Vorstellung von der Qualität des jeweiligen 46 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="47"?> Produktes als Ganzes zu vermitteln. Der Hz-Zahl kommt hier also eine Indikatorfunktion für die Wiedergabequalität bzw. die Gesamtqua‐ lität zu. Aus der beschränkten visuellen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen heraus erscheint somit die Betonung der Maximalfrequenz bei hochwertigen Fernsehern kaum erfolgversprechend; sie wird aber als wichtiges Mittel verstanden, um den Nachfragen die Qualität des Gerätes als Ganzes zu vermitteln. Das Bewusstsein, dass Produktperzeptionen anstatt objektiver Pro‐ dukteigenschaften im Mittelpunkt der Kaufentscheidungsprozesse der Nachfrager stehen, ist das zweite Kennzeichen erfolgreichen Marke‐ tings. Diese entsprechende Formung der Produktperzeption geschieht zum einen durch die Gestaltung der Produkte und zum anderen beispielsweise durch bestimmte Werbemaßnahmen. Segmentweise Marktbetrachtung und differenzierte Marktbearbeitung Wenn sich die möglichen Nachfrager nach einem Produkt in mehrfacher Weise unterscheiden, dann ist es geradezu zwingend, nicht alle Nachfrager einheitlich, sondern sie als Gruppen homogener Nachfrager zu betrach‐ ten. Damit ist der Grundgedanke der Marktsegmentierung angesprochen, der als alternative Strategien die undifferenzierte und die selektive Markt‐ bearbeitung gegenübergestellt werden können (→ Darstellung 1.6). Begriff undifferenzierte Marktbearbeitung selektive Marktbear‐ beitung segmentweise Markt‐ bearbeitung (Marktseg‐ mentierung) Strategie ein einheitliches Produkt für alle Nachfrager eines Marktes ein einheitliches Pro‐ dukt für einen Teil der Nachfrager eines Marktes differenziertes Produkt‐ programm für einen in Nachfragersegmente auf‐ geteilten Gesamtmarkt Beispiel Coca-Cola Swatch-Uhren (ro‐ bust und preiswert), die für einen Teil des Marktes konzipiert sind Pauschalreisen von gro‐ ßen Reiseveranstaltern (Familien-, Sport-, Bil‐ dungs-, Abenteuerreisen) Darstellung 1.6: Alternative Strategien der Marktbearbeitung. 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik 47 <?page no="48"?> In vielen Märkten ist die Häufigkeit der Bevorzugung von alternativen Aus‐ prägungen eines Merkmals nicht eingipflig, sondern zwei- oder mehrgipflig verteilt; in diesen Fällen setzt man sich mit einem Durchschnittsprodukt in der Tat zwischen die Stühle, sprich: Marktsegmente. Treten segmentweise ausgerichtete Angebote auf, so ist die Folge für den Durchschnittsanbieter leicht einsichtig. Am Beispiel des Merkmals der wahrgenommenen Produkt‐ qualität ist dies in → Darstellung 1.7 verdeutlicht. Mit dem Angebot einer durchschnittlichen Produktqualität, d. h. in der relevanten Bandbreite ist diese weder am unteren noch am oberen Ende anzusiedeln, bietet man dem einen Segment ein überausgestattetes - und dementsprechend wahrscheinlich auch zu teures - Produkt, dem anderen jedoch ein zu gering ausgestattetes Produkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der „Durchschnittsanbieter“ vielen Kunden nur als „zweite Wahl“ erscheint, ist groß. Wahrscheinlichkeit der Nennung von den Kunden geforderte Qualität Durchschnittsangebot Darstellung 1.7: Problem der undifferenzierten Marktbearbeitung am Beispiel des diffe‐ renzierenden Merkmals der wahrgenommenen Qualität. Die segmentweise Marktbetrachtung und eventuell auch -bearbeitung als das dritte Kennzeichen eines erfolgreichen Marketings zielt demnach darauf ab, durch ein Angebot, das für das entsprechende Marktsegment „maßgeschneidert“ ist, eine Art Monopolstellung aufzubauen und damit weniger durch die Konkurrenten angreifbar zu sein. Informationen über die Zusammensetzung des Marktsegmentes, das von einem bestimmten Unternehmen tatsächlich erreicht wird bzw. erreicht werden soll, erlauben darüber hinaus eine wesentlich effizientere Gestaltung des Angebots. 48 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="49"?> Beispiel | Wenn ein Verlag für seine Illustrierten beispielsweise zuver‐ lässig weiß, welcher Art die Käufer sind (Geschlecht, Alter, Preisbe‐ wusstsein, Freizeitinteressen etc.) und wie diese Käufer regional verteilt sind (Siedlungsstruktur), so besteht die Möglichkeit einer wesentlich gezielteren Gestaltung der Verlagsobjekte durch redaktionelle Inhalte aber auch durch dadurch höherpreisige (da zielgruppenspezifischer) Werbeschaltungen. Dasselbe gilt für Social Media etc. Unmittelbar einsichtig ist, dass vor diesem Hintergrund die Identifizierung von unterschiedlichen Bedarfsstrukturen für das Marketing von emi‐ nenter Bedeutung ist. Sollten durch die Marketingforschung verschiedene Marktsegmente entdeckt werden, muss durch das Marketing darauf in an‐ gemessener Weise reagiert werden, indem das Angebot auf ein oder mehrere (für das Unternehmen aus Kosten- und Erlössicht lukrative) Segmente hin ausgerichtet wird. Ansonsten wird ein Produkt am (Gesamt-)Markt platziert, nach dem eigentlich gar keine Nachfrage besteht. Man orientiert sich am statistischen Durchschnitt, der in der Realität nicht existiert! Dies hat jedoch keinen Automatismus im Sinne eines „Zwangs“ zur Bearbeitung aller identifizierten und sinnvoll zu bedienenden Segmente zur Folge, d. h. diese können, sie müssen aber nicht bearbeitet werden. Es sollte lediglich innerhalb der Planungen sichergestellt sein, dass diese Erkenntnisse berücksichtigt werden, mithin kein „Durchschnittsprodukt“ angeboten wird. Systematische Integration aller Einzelmaßnahmen Bedenkt man die Vielfalt der Marketinginstrumente, die etwa einem Her‐ steller von kosmetischen Präparaten offenstehen (Produktgestaltung, Ver‐ triebswege, Werbemaßnahmen …), so bedarf es einer geplanten Integration der Einzelmaßnahmen (viertes Kennzeichen) zu einer Strategie, um mit einem widerspruchsfreien Maßnahmenbündel auf dem Markt in Erscheinung zu treten. Beispiel | Die Entwicklung eines hochwertigen teuren Parfüms und die Einschaltung von Discountläden als Vertriebsstellen würde mit ziemlicher Sicherheit von den Nachfragern als „nicht miteinander ver‐ 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik 49 <?page no="50"?> einbar“ beurteilt werden. In der Folge würde man weder die Käufer hochwertigen Parfüms noch die preiswerter Parfüms gewinnen können. Im Kosmetikbereich kaufen - um ein Wort von Charles Revlon zu verwenden - Personen nicht chemische Präparate, sondern Schönheit; die Präparate sind nur ein notwendiges Mittel hierzu. Besteht das Bedürfnis also in dem umfassenden Streben nach Schönheit, so muss auch das Angebot umfassend Schönheit versprechen, wozu das Produkt selbst, die Verpackung, das Einzelhandelsgeschäft inkl. der Beratung und die Werbung ihren Teil beizutragen haben. Das Denken in ganzheitlichen Problemlösungen statt in Produkten stellt einen Aspekt des vierten Kennzeichens eines erfolgreichen Marketings dar. Entscheidungsfundierung durch Informationen Die Führung des Unternehmens vom Absatzmarkt her, die Bedeutung der Perzeptionen anstelle der objektiven Gegebenheiten, die segmentweise, zielgruppenspezifische Marktbearbeitung und schließlich eine adäquate In‐ tegration aller unternehmenspolitischen Maßnahmen verlangen eine Viel‐ zahl detaillierter, zeitnaher und aufeinander abgestimmter Informationen. Nur wenn Informationen in ausreichender Qualität verfügbar sind, besteht die begründete Hoffnung, den Anforderungen gerecht werden zu können. Die Fundierung der Unternehmenspolitik durch eine wissen‐ schaftlich betriebene Informationswirtschaft, die sowohl unternehmens‐ interne als auch unternehmensexterne Daten zeitnah, detailliert und erschöpfend zu Informationen für das Management aufbereitet, kann daher als fünftes Kennzeichen eines modernen Marketings gelten, sollen die Entscheidungen nicht aus dem Zufall heraus entstehen. Alle Informa‐ tionsaktivitäten eines Unternehmens - konkrete Marktforschungsstudien, Informationen aus dem Vertrieb, Entnahme von Daten aus dem Rechnungs‐ wesen und der Absatzstatistik, Gewinnung von Informationen aus allgemein zugänglichen Publikationen - sind Teil eines allgemeinen Erkenntnisgewin‐ nungsprozesses, der als Ganzes gezielt gestaltet werden muss. Erfolgreiches Marketing wird jedoch in der Praxis häufig weniger als Ergebnis einer systematischen Vorgehensweise, sondern eher als Resultat von Kunstfertigkeit und Intuition angesehen. Diese Einschätzung ist über‐ 50 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="51"?> spitzt, aber dem wissenschaftlichen Produktions-, Personal- oder Beschaf‐ fungsbereich etc. wird oft weniger Skepsis entgegengebracht. Worin liegt denn der Unterschied zwischen dem Marketing und anderen Bereichen der betriebswirtschaftlichen Forschung? Intuition und Kunstfertigkeit sind in beiden Bereichen gefordert, wenn es darum geht, innovative Lösungen für bestimmte Probleme zu entwickeln. Der entscheidende Unterschied liegt in der Bedeutung des Informationsproblems bzw. in der Problematik, ad‐ äquate Informationen zur Entscheidungsfundierung zu bekommen. Dieses Problem lässt sich an folgendem Beispiel gut veranschaulichen. Beispiel | Ein Manager in einem Handelsunternehmen steht vor der Aufgabe, die Verkaufspreise für das Textilsortiment eines bestimmten Lieferanten festzulegen. Einen erheblichen Anteil seiner Zeit wird er darauf verwenden herauszufinden, welche Preise die Wettbewerber fordern, ob Preisschwellen existieren und wie hoch diese gegebenenfalls für die betreffenden Produkte sind. Salopp formuliert, er wird versuchen, möglichst exakt zu bestimmen, wie viel Geld ein Kunde in seinem Geschäft für das entsprechende Produkt maximal auszugeben bereit ist. Liegen diese Informationen vor, ist es relativ einfach, den „optimalen“ Preis für diese Kunden festzusetzen. Ein Manager dagegen, der in einem größeren Werk für die Produktionssteuerung verantwortlich ist, verfügt zwar über alle notwendigen Informationen (z. B. Fertigungs‐ dauer für eine Einheit auf verschiedenen Maschinen), er hat aber das Problem, daraus die optimale Lösung abzuleiten. Während also für den Marketingmanager die Beschaffung von Daten üblicherweise mehr Aufwand erfordert als die Entwicklung von Handlungsempfehlungen, stellt sich für den Produktions-Manager die Situation genau umgekehrt dar. Das Informationsproblem im Marketing wird trotz der erheblich größeren verfügbaren Datenmengen bestehen bleiben, da Daten nicht mit (relevan‐ ten) Informationen gleichzusetzen sind. Man spricht daher auch von einer Informationsarmut im Informationsüberfluss. Daher wird man in die‐ sem Bereich nicht ohne das bewährte Fingerspitzengefühl, d. h. das Gefühl für den Markt, auf dem man tätig ist, auskommen, dazu gehören auch die gesammelten Erfahrungen. Dass allerdings ein gezieltes Informationsma‐ nagement trotz seiner Mängel im Detail letztlich den Erfolg mitbestimmen 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik 51 <?page no="52"?> wird, ist offensichtlich. Eine, am Engpass orientierte - auf Käufermärkten dementsprechend absatzmarktorientierte - Unternehmensführung verlangt somit zwingend eine Vielzahl detaillierter, zeitnaher und aufeinander abge‐ stimmter Informationen. Diesen Anforderungen kann in aller Regel nur entsprochen werden, wenn das Informationswesen sowohl hinsichtlich der Gewinnung als auch der Auswertung von Daten systematisch geplant ist. Erfolgreiches Marketing ohne Marktforschung ist auf Dauer kaum vorstellbar. Beachtung gesellschaftlicher Folgen Eine Unternehmenspolitik, die strikt auf einzelwirtschaftliche Zielsetzun‐ gen ausgerichtet ist, wird in vielen Fällen zunehmend auf gesellschaftliche Gegenkräfte stoßen. So kann es aus einzelwirtschaftlicher Perspektive durchaus sinnvoll sein, der Wegwerfgesellschaft Vorschub zu leisten; aus gesamtgesellschaftlichen und neuerdings legislativen Gründen (Ressour‐ cenverbrauch, Umweltverschmutzung etc.) wird man diese Tendenzen al‐ lerdings weiterhin kaum mit Wohlwollen betrachten. Gleiches gilt für die immer wieder zu beobachtende geringe Sensibilität von Unternehmenslei‐ tungen bzw. des Managements bezüglich ihrer Bezüge oder des Umgangs mit Mitarbeitern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für das Unternehmen. Zum Teil abgeleitet aus vagen Vorstellungen von einer Ethik der Marktwirtschaft („Ehrenkodex“) und zum Teil im Bestreben, gesellschaft‐ lichen Reaktionen bzw. Reaktionen relevanter Stakeholder vorzubeugen, die den langfristigen Unternehmenserfolg merklich schmälern können, wird bisweilen die Forderung nach einem ausgewogenen Marketing erhoben. Unter einem solchen Balanced Marketing als sechstes Kennzeichen eines modernen Marketings ist zu verstehen, dass bei der Konzeption und Reali‐ sation von Unternehmensstrategien auch gesamtwirtschaftliche, ethische und gesellschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Systematische Planung Die Vielzahl von skizzierten Anforderungen, die an das Marketing in kon‐ kurrenzintensiven Märkten zu stellen sind, können nur dann erfüllt werden, wenn eine systematische Vorgehensweise gewählt wird. Dies kann als sieb‐ tes Kennzeichen festgehalten werden. Systematisch beinhaltet dabei eine 52 1 Grundlegendes zu Marketing und marktorientierter Unternehmensführung <?page no="53"?> sinnvolle Kombination von kreativen und analytischen Elementen in den Prozess der Erstellung und Überprüfung der Marketingstrategie. Ausgangspunkt haben die Bedürfnisse der Nachfrager zu sein, die syste‐ matisch zu erforschen sind, um daraus Anhaltspunkte für ein bedürfnisge‐ rechtes Marketing abzuleiten. Anders als im Fall der Verkäufermarktsitua‐ tion ist nicht nur eine langfristige Produktionsplanung, sondern vor allem auch eine langfristige Marketingplanung vorzunehmen. 1.5 Marketing als systematisch geplante, marktorientierte Unternehmenspolitik 53 <?page no="55"?> Teil I: Planungs- und Informationsgrundlagen <?page no="57"?> 2 Das Verhalten der Nachfrager Sobald man sich intensiv mit dem Marketing als einem Grundverständnis für eine marktorientierte Unternehmensführung, wie es in → Kapitel 1 erarbeitet worden ist, auseinandersetzt, stellt sich unmittelbar die Frage nach dem geeigneten Ausgangspunkt für die eigenen Überlegungen: wo setze ich bei der Planung, beim Verständnis für meinen „Markt“ an? Da es der Kunde, der Endabnehmer ist (vgl. dazu auch die Ausführun‐ gen zur derivativen Nachfrage in → Kapitel 1), der auf Käufermärkten letztendlich vom eigenen Angebot überzeugt werden muss und der dann den geforderten Preis dafür zu zahlen hat, stellt dieser den logischen Ausgangspunkt für ein echtes Marketingverständnis dar. Insofern ist dieser Aspekt auch in diesem Buch der Einstieg in das Marketing. Damit soll ein vertieftes Verständnis der Prozesse erreicht werden, die sowohl das Nachfragevolumen einer Produktgruppe als auch das eines Produkts oder einer Marke bestimmen. Daraus ergeben sich in aller Regel Hinweise für die konkrete Ausgestaltung der Konditionen oder der Markt‐ kommunikation. 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 2.1.1 Zentrale Fragstellung der Nachfragerverhaltensforschung Marketing beschäftigt sich nach der in → Abschnitt 1.3 gegebenen Defini‐ tion mit der Bereitstellung von Leistungen, um Nachfrager bestmöglich zufrieden zu stellen. Ein fundiertes Marketing auf den beiden aufgezeigten Ebenen erfordert demnach als erstes ein Mindestmaß an Verständnis, wie es zu bestimmten Kaufentscheidungen von Nachfragern, d. h. Konsumenten oder gewerblichen Käufern, kommt, da anderenfalls • weder eine Anpassung des bestehenden und zukünftigen Angebots an bestehende Verhaltensmuster • noch eine gezielte Variation dieser Verhaltensmuster - mit Hilfe der Marketinginstrumente, insbesondere der Kommunikationspolitik - <?page no="58"?> sinnvoll möglich erscheint. Da etwa die Wahl zwischen zwei dem Preis nach vergleichbaren Marken eines Produkts kaum ökonomisch erklärt wer‐ den kann, bedarf es zwingend der Berücksichtigung von Erkenntnissen so‐ zialwissenschaftlicher Nachbardisziplinen der Wirtschaftswissenschaften. Heute stellt die Käuferverhaltensforschung ein umfangreiches interdiszi‐ plinäres (Wirtschaftswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Statistik) For‐ schungsgebiet dar. Die zentrale Fragestellung der Nachfragerverhaltensforschung, auf wel‐ che die einzelnen Theorien des Käuferverhaltens eine Antwort zu geben versuchen, kann etwa wie folgt formuliert werden: • Wie verhalten sich Individuen oder Mehrheiten von Individuen bei der Planung von Käufen, deren Realisierung und dem Gebrauch oder Verbrauch der Produkte? • Warum verhalten sie sich so? Damit ist die erklärende und die prognostizierende Funktion der Käuf‐ erverhaltensforschung angedeutet. Insbesondere zur Erfüllung der erklärenden Funktion ist es notwendig, Klarheit darüber zu gewinnen, welche Einflussfaktoren in welcher Wir‐ kungsabfolge bei bestimmten Entscheidungen zum Tragen kommen. Erst wenn das Geflecht der Beziehungen der einzelnen die Entscheidungen eines Käufers determinierenden Größen ausreichend gesichert und auch quantifiziert ist, können Modelle des Käuferverhaltens zum Zweck der Prognose Anwendung finden. Wenn hier vom Verhalten von Käufern die Rede ist, so sind insbesondere folgende zwei Typen von Nachfragern angesprochen: • Zum einen private Abnehmer von Gütern und sonstigen Leistungen. • Zum anderen gewerbliche Abnehmer von Gütern und sonstigen Leis‐ tungen (→ Abschnitt 2.6). Beide Abnehmergruppen folgen unterschiedlichen Verhaltensgesetzmäßig‐ keiten; es erscheint daher angebracht, ihr Verhalten jeweils isolierten Be‐ trachtungen zu unterziehen. Allerdings handelt es sich in beiden Abnehmergruppen um Menschen, die sich individuell betrachtet, unabhängig davon, ob der betrachtete Ent‐ scheider am Arbeitsplatz im Unternehmen oder als Privatperson agiert, in ihren beiden Lebensbereichen sehr ähnlich verhalten dürften. Insofern - und unter Berücksichtigung der derivativen Nachfrage erscheint es auch für 58 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="59"?> Unternehmen mit gewerblichen Abnehmern unabdingbar, sich mit diesem Aspekt des klassischen Marketings auseinander zu setzen, um Wettbewerbs‐ vorteile in den Zielmärkten zu erzielen. 2.1.2 Methodische Grundlagen der Nachfragerverhaltensforschung Will man das Verhalten eines Käufers in einer konkreten Kaufsituation erklären oder für eine bestimmte Kaufsituation prognostizieren, so bedarf es einer Darstellung der einzelnen Prozesse. Sind die Beziehungen zwischen allen Elementen des Prozesses kausaler Natur, so kann von einer Erklärung gesprochen werden; enthält die Darstellung dagegen nur Aussagen, die nicht-kausale Zusammenhänge beschreiben, so kann sie nur als Basis für eine einfache - nicht-kausale - Prognose dienen. In beiden Fällen bedarf es Aussagen über Meinungen, Einstellungen, Motive oder Bedürfnisstruktu‐ ren, mithin Informationen über Phänomene, die nicht direkt beobachtbar sind. Der Tatbestand, dass eine Erklärung des Käuferverhaltens Aussagen über nicht beobachtbare Phänomene voraussetzt, ist das Kernproblem jeder Erforschung des Käuferverhaltens. Beobachtbare Elemente der Käuferverhaltensprozesse sind die prozessan‐ regenden Faktoren (Reize, Stimuli, Inputfaktoren) und das Prozessergebnis (Response, Reaktionen, Outputfaktoren), nicht beobachtbar ist dagegen der intrapersonale Entscheidungsprozess selbst. Nach der Art und Weise, wie dieser Prozess in der Verhaltensforschung behandelt wird, kann man ver‐ schiedene Richtungen der Käuferverhaltensforschung unterscheiden. Das Bestreben, den gesamten Prozess und damit das Verhalten von Individuen vollständig zu erklären, war die Zielsetzung der Psychologie des 19. Jahrhunderts, die durch den Versuch gekennzeichnet war, letzte Seins- und Verhaltensmotive aufzudecken. Ein Ausfluss dieser Art verhaltenswis‐ senschaftlicher Forschung ist die tiefenpsychologische bzw. motivpsy‐ chologische Forschung. Der vielfach stark spekulativen Ausrichtung dieser Forschungsbemühun‐ gen stellte sich insbesondere die behavioristische Richtung der Psycholo‐ gie entgegen, die im Gefolge von Watson (1913) den entgegengesetzten Standpunkt einer naturwissenschaftlich orientierten Forschung einnahm: Einer wissenschaftlichen Analyse können nur diejenigen Verhaltensphäno‐ mene zugänglich gemacht werden, die durch einen außenstehenden Beob‐ 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 59 <?page no="60"?> achter feststellbar sind. Als Ausformung dieser psychologischen Grundein‐ stellung können die russische Reflexologie (Pawlow) und amerikanische Forschungen zur Lernpsychologie (Hull, Skinner) angesehen werden In gewissem Sinne eine Synthese beider Grundeinstellungen stellt der Neobe‐ haviorismus dar, der die in der Käuferverhaltensforschung heute vorherr‐ schende Grundeinstellung ist. Ein Kennzeichen der behavioristischen Forschungsrichtung sind so ge‐ nannte S-R-Verhaltensmodelle (S = Stimulus, R = Reaktion), die bestrebt sind, eine direkte Verbindung zwischen den Ausprägungen der Stimulusgrö‐ ßen und denen der Reaktionsgrößen herzustellen. Die zwischen den Stimuli und der Reaktion im so genannten Organismus (O) ablaufenden Prozesse wurden dabei nicht weiter betrachtet; der Organismus bleibt als so genannte Black Box unerforscht. Die Tatsache, dass kaum allgemein gültige Input-Output-Beziehungen entdeckt werden konnten und dass diese S-R-Modelle als wenig instruktiv angesehen werden, führte zu den S-O-R-Modellen der neobehavioristi‐ schen Forschungsrichtung. Im Rahmen der neobehavioristischen Verhal‐ tensforschung ist man bestrebt, einen Teil der intrapersonalen Vorgänge zu erklären. Will man den Nachteil der Motivpsychologie (stark spekulative Orientie‐ rung) vermeiden, so ist darauf zu achten, dass diejenigen Ausprägungen der intrapersonalen Verhaltensdeterminanten, die in einem S-O-R-Modell berücksichtigt werden sollen, einer externen „Kontrolle“ mittels Indikatoren unterzogen werden können. Wissen | Indikatoren stellen Maßgrößen dar, deren Ausprägungen beobachtet bzw. objektiv festgestellt werden können und die geeignet sind, Variationen der (hier relevanten) intrapersonalen Verhaltens‐ determinanten anzuzeigen. Die intrapersonalen Determinanten, die das Käuferverhalten steuern, fasst man unter dem Oberbegriff intervenierende Variablen zusammen. Die alternativen Grundformen verhaltenswissenschaftlicher Modelle sind in → Darstellung 2.1 anhand je eines Beispiels dargestellt. 60 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="61"?> Inputvariable (messbar) intrapersonale Verhaltens‐ determinanten Outputvariable (messbar) S-R- Modell Einkommen des Haushalts i - Kaufvolumen des Haushalts i bei Produkt s S-O-R- Modell Einkommen des Haushalts i Einstellung des Haushalts i gegenüber Produkt s und Substitutionsproduk‐ ten (nicht messbar) Indikator für Einstellung des Haushalts i gegenüber Produkt s und Substituti‐ onsprodukten (messbar) Kaufvolumen des Haushalts i bei Produkt s Darstellung 2.1: Beispiel für ein S-R- und ein S-O-R-Verhaltensmodell Da die intrapersonalen Verhaltensdeterminanten selbst nicht direkt beob‐ achtbar bzw. messbar sind, bedient man sich Indikatoren, deren Ausprä‐ gungen gemessen werden können. Ein Indikator für die Einstellung (→ Darstellung 2.1) ist beispielsweise die Beantwortung einer geeigneten Frage zur Beurteilung der interessierenden Produkte. Die Antwort auf diese Frage wird man anstelle der Einstellung heranziehen, um das Kaufvolumen zu prognostizieren bzw. es zu erklären. Wissen | Das Problem, ob bzw. inwieweit Indikatoren brauchbare Ersatzgrößen für die eigentlich interessierenden Verhaltensdetermi‐ nanten sind, wird gemeinhin Validitätsproblem genannt; der Vor‐ gang der Ableitung von für intrapersonale Verhaltensdeterminanten tauglichen Messindikatoren wird Operationalisierung genannt. Sowohl auf das Validitätsproblem als auch auf geeignete Methoden der Operationalisierung (vgl. dazu Kroeber-Riel u. Gröppel-Klein, 2019; Schnell et al., 2018) soll hier nicht weiter eingegangen werden. 2.1.3 Ein Prozessmodell einer Kaufentscheidung Das Kaufverhalten eines Individuums wird nicht als ein homogener Vor‐ gang, sondern als eine Folge von Einzeltätigkeiten gesehen. Das Verständnis eines typischen (vollständigen, extensiven) Kaufentscheidungsprozesses hilft, den Marketing-Mix problemadäquat zu gestalten, so dass die Wirkung 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 61 <?page no="62"?> der Aktivitäten maximiert wird. Die einzelnen Tätigkeiten im Rahmen eines Kaufentscheidungsprozesses können etwa wie in → Darstellung 2.2 um‐ schrieben werden. Der dort aufgezeigte, fünfstufige Prozess kann natürlich weiter untergliedert werden, ein Beispiel dazu findet sich bei Blackwell, Mi‐ niard u. Engel (2006, S. 70ff.). Jedoch darf nicht davon ausgegangen werden, dass jede Kaufentscheidung diesen Ablauf aufweist; vielmehr unterliegen etliche Kaufentscheidungen limitierten oder habitualisierten Prozessen (vgl. →-Abschnitt 2.3.2.2). Die einzelnen Phasen eines einzigen Kaufentscheidungsprozesses werden häufig - etwa bei privaten Haushalten oder bei gewerblichen Einkaufsent‐ scheidungen - nicht von einer Person isoliert vollzogen, sondern teilweise auf andere Personen übertragen (Kaufvollzug) bzw. von anderen Personen stark beeinflusst (Suchphase, Bewertungsphase). Such- & Vorauswahlphase Bewertungs- & Auswahlphase Realisierungsphase Nachkaufphase Bedürfnis- oder Problemerkennung Suche nach Objekten, die grundsätzlich zur Bedürfnisbefriedigung geeignet sind; die Vorauswahl geschieht auf der Basis von Merkmalen, die im Urteil der Entscheider in einem Mindest- oder Maximalausmaß vorhanden sein müssen Bewertung der einzelnen Objekte auf der Basis der relevanten Merkmale; Auswahl des Objekts, das die beste Bedürfnisbefriedigung, d.h. den höchsten im Entscheidungsfall erreichbaren Nutzen verspricht, wobei auch die Nichtwahl als Alternative anzusehen ist Vollzug der Kaufhandlung Gebrauch/ Verbrauch des Objektes und Nachkaufanalyse Prozessanregungsphase Darstellung 2.2: Schema eines Kaufentscheidungsprozesses. Jede der einzelnen Phasen des bisweilen äußerst komplexen und langwieri‐ gen Kaufentscheidungsprozesses kann daher grundsätzlich einer anderen Person als derjenigen, die für den Prozess verantwortlich ist, zugeordnet sein (ähnlich einem Buying Center im Unternehmen, vgl. → Abschnitt 2.6); diese Person tritt dann als Initiator, Informant, Beurteiler, Entscheider, Kaufagent oder Verwender auf. So fallen etwa bei rezeptpflichtigen Präparaten oder bei Produkten für Kleinkinder regelmäßig Verwender, Entscheider und Kaufagent auseinander. Aber auch das kann nicht unreflektiert im Raum 62 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="63"?> bleiben, wenn man beispielsweise die soziale Schicht bzw. den Beruf der „Hausfrauen“ mit in die Überlegungen einbezieht. Damit ist wiederum eine zielgruppenspezifische Bearbeitung bzw. Betrachtung der Kaufprozesse unumgänglich. Mit der Einbeziehung von Nachkaufreaktionen in den Käuferverhaltens‐ prozess wird der Gegenstand der Käuferverhaltensforschung auch auf Ak‐ tivitäten ausgedehnt, die dem eigentlichen Kaufakt nachfolgen und Einfluss auf nachfolgende Kaufakte haben. Dass die genannten einzelnen Phasen bzw. Aktivitäten in der Realität nicht immer nach obigem idealtypischem Schema vor sich gehen, sondern häufig in Schleifen bzw. mit Rückkopplun‐ gen und Sprüngen verlaufen, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Neben der Art des Kaufentscheidungsprozesses spielt das Customer-Ex‐ perience-Management eine wichtige Rolle im Marketing. Die Schaffung eines starken Kundenerlebnisses ist heute ein führendes Managementziel. Mehrere Unternehmen wie Starbucks, Amazon und Google haben inzwi‐ schen Chief Customer Experience Officer, Customer Experience Vice Presi‐ dent oder Customer Experience Manager, die für die Schaffung und Verwal‐ tung der Kundenerfahrungen verantwortlich sind. Die Aufmerksamkeit im klassischen Kundenmanagement konzentrierte sich bis vor einigen Jahren hauptsächlich auf die Wertschöpfung der Kunden für die Unternehmen, wobei der Schwerpunkt auf Kennzahlen wie dem Customer Lifetime Value (CLV) lag, anstatt auf der Wertschöpfung für die Kunden (vgl. Lemon u. Verhoef, 2016, S.-69). Der zunehmende Fokus auf das Kundenerlebnis ergibt sich daraus, dass Kunden heute über unzählige Berührungspunkte (sog. Touchpoints) in verschiedenen Kanälen und Medien mit Unternehmen interagieren, was zu komplexeren Customer Journeys führt. Unternehmen sind mit einer zuneh‐ menden Medien- und Kanalfragmentierung konfrontiert, und Omni-Chan‐ nel-Management ist zur neuen Norm geworden. Die zunehmende Anzahl und Komplexität der Kundenkontaktpunkte (Touchpoints) sollte (Mar‐ keting) Manager dazu veranlassen, starke, positive Erfahrungen innerhalb der Customer Journey zu schaffen, indem die Leistung in der Customer Journey auf mehreren Ebenen verbessert wird. Dadurch ergeben sich höhere Konversionsraten, eine verbesserte Kundenloyalität und Mundpropaganda (vgl. Lemon u. Verhoef, 2016, S.-70). Die Customer Journey kann in drei Gesamtphasen konzeptualisiert werden: vor dem Kauf (Prepurchase Stage), während des Kaufes (Purchase 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 63 <?page no="64"?> Stage) und nach dem Kauf (Postpurchase Stage) (vgl. Lemon u. Verhoef, 2016, S.-76). • Prepurchase Stage: Die erste Phase - die Kaufvorbereitung - umfasst alle Aspekte der Interaktion des Kunden mit dem Produkt/ der Marke, der Kategorie und der Umgebung vor dem Kaufabschluss. Diese Phase umfasst die Erfahrung des Kunden vom Beginn der Erkennung des Bedürfnisses/ Ziels/ Impulses bis zur Überlegung, dieses Bedürfnis/ Ziel/ Impuls durch einen Kauf zu befriedigen. • Purchase Stage: Die zweite Phase - der Kauf - umfasst alle Interak‐ tionen des Kunden mit dem Produkt/ der Marke und ihrer Umgebung während des Kaufvorgangs selbst. Sie ist gekennzeichnet durch Verhal‐ tensweisen wie Auswahl, Bestellung und Bezahlung. • Postpurchase Stage: Die dritte Phase - nach dem Kauf - umfasst die Interaktionen des Kunden mit dem Produkt/ der Marke und ih‐ rer Umgebung nach dem eigentlichen Kauf. Diese Phase umfasst Verhaltensweisen wie Nutzung und Konsum, Engagement nach dem Kauf und Serviceanfragen. Praktisch gesehen umfasst diese Phase alle Aspekte der Kundenerfahrung nach dem Kauf, die in irgendeiner Weise mit der Marke oder dem Produkt selbst zusammenhängen. Das Produkt selbst wird in dieser Phase zu einem entscheidenden Berührungspunkt. Angesichts dieser Perspektive auf die Customer Journey, was sollten (Marketing) Manager und Unternehmen demnach tun? Erstens sollten sie versuchen, sowohl die Unternehmensals auch die Kundenperspektive der Customer Journey zu verstehen und die wichtigsten Aspekte in jeder Phase zu identifizieren. Zweitens sollten Unternehmen damit beginnen, die spezifischen Elemente oder Berührungspunkte zu identifizieren, die während der Reise auftreten. Drittens sollten Unternehmen versuchen, spezifische Auslöser zu identifizieren, die den Kunden dazu bringen, seine Customer Journey fortzusetzen oder abzubrechen (vgl. Lemon u. Verhoef, 2016, S.-76). 2.1.4 Stufen eines Kaufentscheidungsprozesses In → Darstellung 2.2 ist bereits auf verschiedene Stufen eines extensiven Kaufentscheidungsprozesses eingegangen worden. Im Folgenden werden zum besseren Verständnis die aufgezeigten einzelnen Prozessstufen vertieft, 64 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="65"?> wobei jeweils einige typische Einflussfaktoren und deren Wirkungsweise angesprochen werden. Eine weitergehende Fundierung wichtiger Determi‐ nanten erfolgt anschließend. Wissen | Der Startpunkt jeder Kaufentscheidung sind nachfragersei‐ tige Bedürfnisse oder Probleme. Diese entstehen, wenn ein Unter‐ schied zwischen angestrebtem und aktuellem Zustand erkannt wird, der so groß ist, dass er behoben werden muss. In → Darstellung 2.3 sind die Einflussfaktoren auf diesen ersten Schritt eines Entscheidungsprozesses abgebildet. Bedürfnis- oder Problemerkennung eigene Erfahrungen Informationen Zielorientierungen Alternativensuche fremde Erfahrungen Werbung Darstellung 2.3: Bedürfnis- oder Problemerkennung im Kaufentscheidungsprozess. Der erste und naheliegende Faktor sind die eigenen Erfahrungen, bei‐ spielsweise wenn ein Wiederkaufprozess vorliegt. Weiterhin kommen so genannte Zielorientierungen ins Spiel. Diese sind dadurch definiert, dass Nachfrager üblicherweise Vorstellungen davon haben, wie sie sein möchten und daran arbeiten, Abweichungen abzubauen bzw. Übereinstimmungen zu stabilisieren (vgl. Wiswede, 2021). Schließlich wirken auf diese Phase auch Informationen kommerzieller Natur in Form von Werbung oder Infor‐ mationen nicht-kommerzieller Natur von Personen aus dem engeren Umfeld (Freunde, Kollegen etc. oder auch so genannte Referenzgruppen, vgl. dazu → Abschnitt 2.4) ein. Ergebnis dieser Phase sind Idealausprägungen wich‐ 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 65 <?page no="66"?> tiger Eigenschaften einer Leistung oder bestimmte Anspruchsniveaus, die in Frage kommende Leistungen nicht unterschreiten sollten. Im Rahmen der zweiten Phase im Kaufentscheidungsprozess, der Su‐ che nach geeigneten Alternativen zur Bedürfnisbefriedigung bzw. Pro‐ blemlösung, müssen Informationen eruiert werden, anhand derer eine Vorauswahl potenzieller Alternativen vorgenommen werden kann (→ Darstellung 2.4). Alternativensuche Alternativenbewertung Gedächtnis externe Quellen Aufnahme Perzeption Speicherung Darstellung 2.4: Alternativensuche im Kaufentscheidungsprozess. Der erste Schritt in dieser Hinsicht wird darin liegen, dass darüber nachge‐ dacht wird, welche Informationen bzw. diesbezügliche eigene oder fremde Erfahrungen bereits bekannt sind. Sind hier nicht in ausreichender Form Informationen verfügbar, werden externe Quellen, wie Zeitschriften, Ge‐ schäftsbesuche und Beratungsgespräche, Internetrecherchen und Gesprä‐ che mit Freunden etc. genutzt. Einige der hier erhaltenen Informationen werden ohne weitere Veränderungen im Gedächtnis abgelegt, die meisten werden jedoch erst nach internen Bewertungen beispielsweise in Bezug auf Problemadäquanz oder Glaubwürdigkeit gespeichert. Wissen | Der bereits bekannte Begriff der Perzeption subsumiert diese Verzerrungen der ursprünglichen Information in eine subjektiv gefärbte Variante. Sind geeignete Alternativen gefunden worden, erfolgt vom potenziellen Käufer eine Evaluierung (vgl. Helm u. Steiner, 2008, S. 34ff.). In → 66 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="67"?> Darstellung 2.5 wird das in dieser Hinsicht zentrale Konstrukt Einstellung (vgl. → Abschnitt 2.3.1.2) thematisiert. Alternativenbewertung Endauswahl und Kauf Nachkaufphase Verfügbarkeit Verkaufsargumentation finanzielle Möglichkeiten externe Quellen intrinsische Merkmale extrinsische Merkmale wahrgenommenes Risiko Einstellung Darstellung 2.5: Alternativenbewertung im Kaufentscheidungsprozess. Einstellungen werden gegenüber den verschiedenen Alternativen gebildet bzw. bereits vorhandene Einstellungen sind aufgrund des vorangegangenen Schritts der externen Informationsaufnahme gefestigt oder auch verändert worden. Einstellungen deuten somit als Verhaltensprädispositionen die Präferenzen gegenüber den diesbezüglichen Objekten an (vgl. Wiswede, 2021, S. 43f. u. 336 ff.). Im Groben werden bei der Präferenzbildung zum einen Eigenschaften des betrachteten Objekts und zum anderen das damit wahrgenommene Risiko bewertet. Bereits im ersten Kapitel dieses Buchs war der Einfluss der subjektiv gefärbten Wahrnehmung auf die Kaufbereitschaft bzw. genauer auf die Einstellung gegenüber einem Objekt thematisiert worden. Wissen | Extrinsische Merkmale wie Preis, Herkunftsort, Marke etc. beeinflussen die Wahrnehmung eines Objekts, welche die Funktiona‐ lität nicht kausal beeinflussen, aber die Wahrnehmung der eigentlichen Merkmale steuern. Andererseits erfolgt eine Beeinflussung aber auch durch intrinsische Merkmale wie z. B. Farbe und Form, bei denen eine Veränderung das Objekt selbst verändert. 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 67 <?page no="68"?> Gerade wenn anhand der intrinsischen Merkmale kein eindeutiges Urteil über die Eignung des Produkts gebildet werden kann, werden extrinsische Merkmale für die Präferenzbildung herangezogen (vgl. auch Gierl u. Satz‐ inger, 2000). Extrinsische Merkmale haben jedoch nicht nur einen direkten Einfluss auf die Präferenz, sondern auch einen indirekten, indem sie zusätz‐ lich die Wahrnehmung intrinsischer Merkmale beeinflussen (vgl. Helm u. Steiner, 2008). Wissen | Der Verzerrungseffekt bei der Wahrnehmung eines Merkmals durch ein anderes Merkmal wird als Irradiation bezeichnet. Das wahrgenommene Risiko ist definiert als die Gesamtbewertung aller negativen Konsequenzen einer Handlung und der Wahrscheinlichkeit, dass diese auch auftreten (vgl. dazu → Abschnitt 2.3.2.2). Wissen | Eine Kaufhandlung wird erst dann zu Stande kommen, wenn das mit der Handlung vermutete Risiko einer Fehlentscheidung unter einem individuell als maximal zu akzeptierenden Risiko bleibt (vgl. Helm, 2001, S. 172). Dazu sind geeignete Maßnahmen aus dem Marketing-Mix zu ergreifen, die auf die Quellen der Risiken abzielen. Die diesbezüglich determinierenden Faktoren sind äußerst vielfältig. Risi‐ ken, die mit dem Kauf eines Produkts verbunden sein können, sind unter anderem finanzieller, produktleistungsbezogener oder auch psychosozialer Natur, indem beispielsweise bei letzteren die Akzeptanz im sozialen Umfeld bzw. der Fit mit den Zielorientierungen in Frage gestellt wird. Konsumenten entwickeln zur Risikoreduktion geeignete Strategien, indem sie markenloyal sind oder bei bekannten Händlern kaufen, Garantien einfordern etc. Zusätzlich zum Einfluss der Einstellung auf die Endauswahl und die Kaufhandlung per se kommen weitere externe Faktoren hinzu, welche bereits in → Kapitel 1 besprochen wurden. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf die erneute Diskussion verzichtet. Von nicht unerheblicher Bedeutung bei der Betrachtung der Phasen eines Kaufentscheidungsprozesses ist die so genannte Nachkaufphase, da viele Leistungen nicht nur einmal von einem Abnehmer in Anspruch genommen werden können, sondern in mehr oder minder großen zeitlichen Abständen wiedergekauft werden. Die Nachkaufphase, deren Verlauf sowie mögliche Konsequenzen sind in → Darstellung 2.6 thematisiert. 68 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="69"?> Nach dem Kauf eines Produkts oder der Inanspruchnahme einer Dienst‐ leistung können - sieht man von einer indifferenten Bewertung ab - zwei Konsequenzen resultieren: Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Beide Ausprägungen der Nachkaufbewertung werden dazu führen, dass die Ein‐ stellung bezüglich der gewählten Alternative gefestigt oder relativiert wird. Dies sollte sich bei zukünftigen Entscheidungen bemerkbar machen. Nachkaufphase Zufriedenheit Unzufriedenheit Inkongruenz zwischen Einstellung und Handlungsresultat Nutzung externer Quellen Alternativenbewertung Einstellung Beschwerde Endauswahl und Kauf Darstellung 2.6: Nachkaufphase im Kaufentscheidungsprozess. Wissen | (Kunden-)Zufriedenheit liegt vor, wenn ein Vergleich der tatsächlichen Erfahrung bei der Inanspruchnahme einer Leistung (Ist-Leistung) mit einem bestimmten zeitlich vorher entwickelten Ver‐ gleichsstandard des Kunden (Soll-Leistung) bestätigt oder übertroffen wird. Im Fall der Nicht-Bestätigung der erwarteten Leistungen tritt Unzufrieden‐ heit auf, die in einer offenen oder verdeckten Beschwerde resultieren kann. Wissen | Bei einer verdeckten Beschwerde wird aufgrund der of‐ fenkundigen Diskrepanz zwischen Handlungsresultat und Einstellung gegenüber dem Objekt, auf Basis derer die Wahl getroffen wurde, bei‐ spielsweise negative Mund-zu-Mund-Propaganda betrieben und/ oder bei einem Wiederkauf ein anderer Anbieter gewählt. 2.1 Das Verhalten von privaten Nachfragern 69 <?page no="70"?> Die Dramatik besteht hierbei darin, dass der Anbieter die Gründe für die Abwanderung nicht kennt, mithin seine Leistungen auch nicht verbessern kann. Daraus ergibt sich unmittelbar die Forderung, dass Unternehmen offene Beschwerden mittels eines aktiven Beschwerdemanagements stimulieren sollten. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass eine zufrieden stellende Bearbeitung der Beschwerde einen positiven Einfluss auf die Einstellung hat, eine nicht-zufrieden stellende zumindest dieselben Effekte wie eine verdeckte Beschwerde (vgl. Stauss, 2009). Aufgrund der offensichtlichen Bedeutung für den langfristigen Erfolg von Unternehmen sind Kundenzufriedenheit und Kundenbindung - definiert als Aufbau und Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung - immer mehr in den Fokus der Marketingaktivitäten gerückt. Im Folgenden wird das Kaufverhalten bzw. psychologische und soziolo‐ gische Determinanten, die auf den Entscheidungsprozess einwirken und in → Abschnitt 2.1.4 bereits angesprochen wurden, eingehender analysiert. 2.2 Mikroökonomische Erklärung von Entscheidungsprozessen Die ältesten Ansätze zur Erklärung bzw. Prognose des Konsumentenverhal‐ tens wurden in der Mikroökonomie entwickelt. Bei diesen Ansätzen werden die Ausprägungen des Konsumentenverhaltens (Reaktionsvariablen) allein auf der Basis von ökonomischen Stimulusvariablen und ausgewählten intrapersonalen Verhaltensdeterminanten dargestellt. Trotz der restriktiven Annahmen über das Wahlverhalten der Konsumen‐ ten erlaubt die ökonomisch orientierte Konsumentenverhaltenstheorie die Ableitung einiger auch unter realen Bedingungen gültiger Regelmäßigkeiten: • Bei gegebener Budgetsumme nimmt mit steigendem Preis die Nachfra‐ gemenge nach einem Produkt ab und umgekehrt. • Bei gegebener Budgetsumme nimmt mit steigendem Preis des Produkts i die Nachfragemenge von Produkt j zu, wenn i und j hinsichtlich eines Bedürfnisses substitutive Produkte sind; die Nachfragemenge von Produkt j nimmt dagegen ab, wenn i und j komplementäre Produkte sind. • Konsumenten streben bei der Planung ihrer Bedürfnisbefriedigung eine Situation an, bei der alle alternativen Möglichkeiten der Bedürfnisbe‐ friedigung gleich „gut“ sind. 70 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="71"?> Neben diesen empirisch vielfach bestätigten Ergebnissen wurden in der Realität immer wieder Nachfrageeffekte beobachtet, die mit dem Modell des hier zugrundeliegenden Homo oeconomicus nicht vereinbar sind. Die wichtigsten Fälle solchen „anormalen“ Verhaltens sind: • Mitläufer-Effekt: Die Nachfrage einer Person nach einem Produkt wird durch die Nachfrage anderer Personen nach demselben Produkt positiv beeinflusst. Als Ursache für dieses imitierende Konsumenten‐ verhalten ist der Einfluss von Bezugspersonen und Bezugsgruppen anzusehen. • Snob-Effekt: Die Nachfrage einer Person nach einem Produkt wird durch die Nachfrage anderer Personen nach demselben Produkt negativ beeinflusst. Die Ursachen dieses Exklusivitätsstrebens sind ebenfalls soziale Einflüsse beim Kaufentscheidungsprozess. • Veblen-Effekt: Die Nachfrage einer Person nach einem Produkt steigt bei einer Erhöhung des Preises für dieses Produkt. Die Ursache dieses Verhaltens ist darin zu sehen, dass hochpreisige Güter aus Prestigegrün‐ den erworben werden (Zusatznutzen infolge sozialer Anerkennung). Ähnliche Wirkungen ruft gelegentlich die Ausstrahlung des Preises auf die Qualitätswahrnehmung hervor (vgl. dazu →-Kapitel 6). Die eben genannten, in der mikroökonomischen Theorie nicht beachteten Einflussfaktoren werden in den nachfolgenden Abschnitten dieses Kapitels thematisiert. Die wesentlichen Mängel der ökonomisch orientierten Modellansätze des Konsumentenverhaltens sind darin zu sehen, dass sie zum einen die Abweichung der subjektiven Wahrnehmungen von den objektiven Gege‐ benheiten außer Acht lassen und zum anderen den Prozesscharakter der Kaufentscheidung mit all seinen Interdependenzen nicht berücksichtigen. Einige neuere Modellansätze - z. B. informations- (vgl. dazu beispiels‐ weise Akerlof, 1970; Spence, 1974; Grossman u. Stiglitz, 1976) und evolu‐ tionsökonomische Ansätze (vgl. hierzu beispielsweise Simon, 1959; Witt, 1987) - gehen nicht mehr von vollkommenen Informationen aus, sondern unterstellen eine begrenzte und/ oder eine variable Informationsstruktur und tragen so erheblich zu einer größeren Realitätsnähe der Modelle bei. 2.2 Mikroökonomische Erklärung von Entscheidungsprozessen 71 <?page no="72"?> 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung Das Nachfrager-Verhalten muss nach den vorangegangenen Ausführungen in → Abschnitt 2.1.4 als eine Funktion von Variablen der Person (bzw. Persönlichkeit) und von Umweltvariablen angesehen werden. Die Variablen der Person entsprechen weitgehend den bereits skizzierten intervenierenden Variablen des Organismus. Umweltvariablen erreichen die Person als Stimuli und werden von ihr bewusst oder unbewusst verarbeitet. Damit ergeben sich folgende Stimulusvariablen, die alle im Wege eines psy‐ chisch determinierten Wahrnehmungsvorgangs in den Organismus gelangen: • Physische Stimuli, z.-B. Produkte, äußere Bedingungen (Wetter). • Psychische Stimuli, z.-B. Motive. • Soziale Stimuli, z. B. Einstellungen von Bezugspersonen (beispiels‐ weise Familienmitglieder). Reaktionen auf bestimmte Stimuli können gleichfalls in drei Gruppen unterteilt werden: • Physische Reaktionen, z.-B. Kaufhandlung. • Physiologische Reaktionen, z.-B. Erhöhung der Herzfrequenz. • Psychische Reaktionen, z.-B. Veränderung von Einstellungen. Stimulusvariablen Variablen des Organismus Reaktionsvariablen Persönlichkeit natürliche Umwelt, z. B. Warenbestand des Haushalts, Wetter soziale nicht-kommerzielle Kommunikation, z. B. Einstellungen von Bezugspersonen, Kultur, soziale Schicht soziale kommerzielle Kommunikation (= Marktkommunikation), absatzpolitisches Instrumentarium physische physiologische psychische aktivierende Variablen kognitive Variablen Motive, Einstellungen Variablen der Wahrnehmung, des Denkens, des Lernens Rückkopplung Darstellung 2.7: Gesamtmodell der intrapersonalen Vorgänge beim Nachfrager. 72 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="73"?> Die Beziehungen zwischen den Stimuli und den Reaktionen werden von den intrapersonalen Verhaltensdeterminanten beeinflusst. Das Gesamtsystem ist in → Darstellung 2.7 wiedergegeben: Für den Kaufverhaltensprozess bezüglich eines bestimmten Produkts stellen die Variablen der Persönlichkeit gegebene, nicht prozessendogen de‐ terminierte Größen dar, sie sind daher als Stimulusvariablen zu qualifizieren. Die den intrapersonalen Gesamtprozess beschreibenden Teilprozesse können in zwei Gruppen unterteilt werden: • Kognitive Prozesse steuern die Informationsaufnahme, Informations‐ speicherung und Informationsverarbeitung. Sie werden in drei Teilpro‐ zesse aufgegliedert: Wahrnehmung, Denken und Lernen. • Aktivierende Prozesse initiieren zum einen aus den aufgenommenen Informationen Handlungen und steuern zum anderen auch die kogniti‐ ven Prozesse selbst. Die wesentlichen Elemente aktivierender Prozesse sind Motive und Einstellungen. Im Gesamtzusammenhang kommt den aktivierenden Prozessen eine re‐ aktionsaktivierende, den kognitiven Prozessen dagegen vor allem eine reaktionssteuernde Funktion zu. Aktivierende Prozesse sorgen also auch dafür, dass überhaupt eine Reak‐ tion ablaufen kann. Aktivierende Prozesse initiieren beispielsweise einen Kaufprozess bezüglich eines Pkws und legen die Bedeutung einzelner Merk‐ male fest, während sich aus kognitiven Prozessen die Qualitätsvermutungen bezüglich der einzelnen Merkmale ableiten lassen. Ein Mindestmaß an Aktivierung stellt dabei eine notwendige Bedingung für jegliche Äußerung des Nachfragerverhaltens dar. Eine Bedingung für ein bestimmtes Ausmaß an Aktivierung ist das so genannte Involvement eines Nachfragers (vgl. Kroeber-Riel u. Gröppel-Klein, 2019) Wissen | Das Involvement kann als innere Ich-Beteiligung ei‐ nes Nachfragers bei der produktspezifischen Informationssuche, -auf‐ nahme, -verarbeitung und -speicherung bezeichnet werden. Das Involvement ist abhängig von den betrachteten Produkten, der Situation und anderen persönlichen Faktoren. Dementsprechend wird im Marketing vielfach auch von High- oder Low-Involvement-Produkten gesprochen, was für die Ausgestaltung des Marketing-Mix von erheblicher Bedeutung ist. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 73 <?page no="74"?> Sowohl die aktivierenden als auch die kognitiven Prozesse werden vor allem durch die Persönlichkeitsstruktur gesteuert, die wiederum einer steten Modifikation insbesondere durch die natürliche Umwelt und die soziale kommerzielle sowie nicht-kommerzielle Kommunikation un‐ terworfen ist. Ebenso wie die intrapersonalen Verhaltensdeterminanten beeinflussen sich auch die Reaktions- und die Stimulusvariablen gegenseitig. Schließlich existieren Rückwirkungen von den Ergebnissen eines Verhaltensprozesses auf den Input künftiger Verhaltensprozesse. Eng mit der Unterteilung der Reaktionsvariablen in physische, physiolo‐ gische und psychische Variablen ist die Unterteilung dieser Variablen in den so genannten Stufenmodellen der Werbewirkung verknüpft. Nach dem AIDA-Modell können Wirkungen von Werbemaßnahmen in Reaktionen wie Aufmerksamkeit (Attention), Interesse (Interest), Kaufabsicht (Desire) und Kaufvollzug (Action) gegenüber dem beworbenen Produkt gemessen werden. Vernachlässigt man die beim AIDA-Modell unterstellte Stufenabfolge der ein‐ zelnen Wirkungsarten, so können diese ebenso einzelnen Reaktionsvariablen des Gesamtmodells des Nachfragerverhaltens zugerechnet werden. Vielfach werden zur Beschreibung des Verhaltens soziodemographische Merkmale der Personen herangezogen. Ihre Einordnung in das obige System ist nicht einheitlich: Zum einen werden sie als Indikatoren für intrapersonale Verhaltensdeterminanten (z. B. Alter als Indikator für die Ausprägung von Motiven), zum anderen als Indikatoren für Stimulusvariablen (z. B. Einkommen als Indikator für die Ausprägung der Variable Warenbestand) angesehen. In jedem Fall stellen sie zwar leicht messbare Hilfsgrößen dar, die anstelle der schwerer messbaren „wahren“ kausal verhaltenssteuernden Prozesse bei empirischen Erhebungen verwendet werden (vgl. → Kapitel 1). 2.3.1 Aktivierende Prozesse Kennzeichen der aktivierenden Prozesse des Nachfragerverhaltens ist, dass sie den Organismus in einen Erregungszustand versetzen, der ein irgend‐ wie geartetes Verhalten erst anregt (→ Darstellung 2.8). 74 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="75"?> Leistung Aktivierung EDR Schlaf starke Erregung wache Aufmerksamkeit Panik entspannte Wachheit Darstellung 2.8: Aktivierungsniveau und Leistungsfähigkeit (EDR: elektrodermale Reak‐ tion) | Quelle: in Anlehnung an Kroeber-Riel u. Gröppel-Klein, 2019, S. 84. Die wesentlichen verhaltensanregenden Größen sind Motive und Einstel‐ lungen. Die Begriffe Motiv und Bedürfnis können als Synonyma betrach‐ tet werden. Wissen | Ein Motiv ist ein wahrgenommener Mangelzustand, der den Organismus dazu veranlasst, nach Mitteln zu suchen, den Mangelzustand zu beseitigen. Motive verschaffen dem Organismus somit Energien, um physische, psy‐ chische oder physiologische Prozesse zu initiieren und ablaufen zu lassen. Sollen Motive solche Prozesse in Gang setzen und halten, so muss die entsprechende psychische Energie mindestens so stark sein, dass die ent‐ sprechenden individuell verschiedenen Reizschwellen zur Aktivierung überschritten werden. 2.3.1.1 Motive Motiven sind stets bestimmte Mangelzustände zugeordnet, ein allge‐ meines Handlungsmotiv besteht somit definitionsgemäß nicht. Zudem beinhalten Motive bereits Aussagen über die Richtung der Behebung des Mangelzustandes. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 75 <?page no="76"?> Beispiel | Allgemeine Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation allein erfüllt zum Beispiel nicht die Begriffsmerkmale eines Motivs; um von einem Motiv sprechen zu können, müsste die allgemeine Unzufriedenheit mit der beruflichen Situation durch das Streben, eine anspruchsvollere Tätigkeit zu erlangen, verknüpft sein. Motive lassen sich in vielfältiger Weise klassifizieren; zwei davon sollen hier kurz skizziert werden. Die einfachste Klassifikation von Motiven ist die nach primären und sekundären Motiven: • Primäre Motive sind physiologisch bedingt und werden in der Regel als angeboren eingestuft: - Versorgungsmotive (z.-B. Essen, Trinken), - Vermeidungsmotive (z. B. Vermeiden körperlicher und seelischer Verletzungen), - arterhaltende Motive (Geschlechtstrieb). • Sekundäre Motive sind grundsätzlich gelernt und weitgehend sozial bedingt. Ein Beispiel eines sekundären Motivs in Industriegesellschaf‐ ten stellt das Motiv zu Arbeiten dar. Die vielleicht bekannteste inhaltliche Motivationstheorie, die eine humanisti‐ sche Weltsicht widerspiegelt, ist die dynamische Motivationstheorie von Maslow. Das Prädikat dynamisch bringt dabei zum Ausdruck, dass Maslows Theorie nicht nur Aussagen über die Natur der menschlichen Motive enthält, sondern auch Aussagen darüber, wie sich die einzelnen Motive und deren relative Bedeutung im Laufe von psycho-physischen Prozessen entwickeln. Maslow unterscheidet fünf Klassen von Motiven, die nach Dringlichkeit und hierarchischer Ordnung zu unterscheiden sind (→ Darstellung 2.9). Dynamisch ist Maslows Theorie insofern, als sie aussagt, dass höherran‐ gige Motive erst dann verhaltenssteuernd werden, wenn die jeweils nied‐ riger rangigen Motive mindestens bis zu einem bestimmten Anspruchs‐ niveau befriedigt sind. Dabei ist die Höhe des Anspruchsniveaus eine Funktion der sozialen Umwelt und ihrer Wertvorstellungen sowie der Verhaltenserfahrungen des Individuums. Für das Marketing von Unternehmen in marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften lässt sich aus Maslows Theorie unmittelbar folgender Schluss ziehen: Je höher der Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft, desto mehr müssen etwa in der Werbung und bei der Produktgestaltung höherran‐ 76 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="77"?> Wachstumsmotive Defizitmotive Ich- Bedürfnisse Soziale Befürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Fundamentale physiologische Bedürfnisse Bedürfnis nach Selbstverwirklichung Darstellung 2.9: Motivhierarchie nach Maslow. gige Motive berücksichtigt werden. Die Bedeutung der ästhetischen Gestal‐ tung von Produkten und der Betonung von sozialen Komponenten (Wert‐ schätzung) in der Werbung wird damit unmittelbar einsichtig. In welcher Form sich Ausprägungen der einzelnen Bedürfniskategorien in konkreten marketingpolitischen Maßnahmen spiegeln, zeigt → Darstellung 2.10. Im Rahmen der Konsumentenverhaltensforschung haben Motive ihre ehemals große Bedeutung eingebüßt, da es bis heute nicht gelungen ist, verlässliche Indikatoren für die nicht direkt messbaren Motive zu entwickeln (vgl. auch Kroeber-Riel u. Gröppel-Klein, 2019). Als „Hintergrundtheorien“, d. h. als Theorien, welche die Ausprägung vordergründiger Verhaltensdeter‐ minanten zu deuten erlauben, haben Motivtheorien bleibende Bedeutung. So werden beispielsweise von Boltz u. Trommsdorff (2022) sieben verschiedene Konsummotive identifiziert, die für unterschiedliche Personengruppen und Produkte Bedeutung haben, so dass sie für die Ausgestaltung einer Marketingstrategie unmittelbar Verwendung finden können. • Ökonomik, Sparsamkeit und Rationalität. • Prestige, Status und soziale Anerkennung: Durch die Wertschätzung anderer wird die Person sozial belohnt. • Soziale Wünschbarkeit und Normenunterwerfung: Streben nach Zuge‐ hörigkeit zu einer Gruppe und Anpassung an allgemein anerkannte Verhaltensregeln. • Lust, Erregung und Neugier: Beinhaltet die positiven Basisemotionen und das Erreichen eines individuellen Optimums an Stimulation. • Sex und Erotik. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 77 <?page no="78"?> • Angst, Furcht und Risikoneigung. • Konsistenz, Dissonanz und Konflikt: Zielt auf das Harmoniestreben des Menschen ab. Motive nach Maslow Konkretisierung beim Konsum Wirkungen beim Verhalten Bedürfnis nach Selbst‐ verwirklichung (Streben nach Selbstfin‐ dung und Gestaltung seines Lebensraumes nach eigenen Wertvor‐ stellungen) Erlebnisstreben Genussstreben Freude am Können Spaß an der Technik alternative Lebensweise Hobbys (Lesen, Musizieren, Malen) Reparaturen im Haus sowie am Auto Jogging und Leistungssport Sammeln von Kunstwerken (Weiter-)Bildung religiöse Erbauung Wertschätzungsbedürf‐ nisse (Streben nach Selbstver‐ trauen und Anerken‐ nung durch relevante andere Individuen oder soziale Gruppen) Anerkennung Prestige Ruhm Luxuslokale Nobelautos „edle“ Getränke exklusive Kleidung Zweitwohnung soziale Bedürfnisse (Wunsch nach Kommu‐ nikation mit anderen In‐ dividuen) Liebe Zuneigung Geselligkeit Nächstenliebe Soziales Engagement Nachbarschaftsläden Gastronomie Hotellerie Spendenmarkt Sicherheitsbedürfnisse (Schutz vor unvorher‐ sehbaren Beeinträchti‐ gungen der Befriedi‐ gung physiologischer Motive) Schutz von Gesundheit, Eigentum, Umwelt Absicherung gegen Versorgungsengpässe, Kaufrisiken, Unwissen‐ heit, Krankheit, Arbeits‐ losigkeit, Alter naturbelassene Lebensmit‐ tel Krankenversicherungen Lebensversicherungen Sanatorien Altenheime Sicherheitsdienste Finanzberatung Markenartikel fundamentale physiolo‐ gische Bedürfnisse (Lebenserhaltung des In‐ dividuums) Sicherung der Daseins‐ grundlagen Essen und Trinken Kleidung Wohnung und Möbel Auto Darstellung 2.10: Konkretisierungen der Motive nach Maslow | Quelle: Dichtl, 1991, S. 77. 78 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="79"?> 2.3.1.2 Einstellungen, Präferenzen und Image Einstellungen stehen im Mittelpunkt der Nachfragerverhaltensforschung und sind der Ausgangspunkt der meisten theoretischen Überlegungen zum Verhalten von Nachfragern. Gegenüber den Motiven zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie relativ verlässlich gemessen werden können, darüber hinaus eine engere Beziehung zu den Reaktionsvariablen aufweisen und damit ceteris paribus besser geeignet sind, bestimmte Ausprägungen des Verhaltens zu prognostizieren. Wissen | Einstellungen sind gelernte, vergleichsweise dauerhafte Bereitschaften eines Individuums, auf Stimuli in einer bestimmten Weise zu reagieren. Der Lernprozess wird dabei von eigenen und fremden Erfahrungen (z. B. durch das soziale Umfeld, aber auch durch Werbung) determiniert. Stimuli können unter anderem Produkte, Marken, Unternehmen, Personen oder auch Ideen sein. Einstellungen sind nicht mit dem geäußerten Verhalten gleichzusetzen, sie stellen vielmehr innere Verhaltensbereitschaften dar. Großer Einfluss auf das geäußerte Verhalten kommt Einstellungen beim habituellem Kaufverhalten zu bzw. bei Kaufverhaltensprozessen, die für das Individuum nur mit geringen Risiken verbunden sind und bei denen daher kein überlegtes Entscheiden notwendig ist (vgl. dazu → Abschnitt 2.3.2). Für die Gestaltung der marketingpolitischen Maßnahmen von Unternehmen zur Beeinflussung des Verhaltens sind Einstellungen aber nicht nur deshalb bedeutungsvoll, weil sie als Vorentscheidungen (Prädispositionen) für die Wahl einer bestimmten Marke anzusehen sind, sondern auch, weil sie die Steuerung von Wahrnehmungsprozessen übernehmen. Einstellungen werden folgende Merkmale zugeschrieben: • Einstellungen haben einen Objektbezug, sie beziehen sich also stets auf ein bestimmtes Einstellungsobjekt, das jedoch - eine sprachliche Ungenauigkeit - keineswegs körperlich zu sein hat, sondern auch lediglich eine Idee sein kann (Einstellung zu bestimmten Nationen). • Einstellungen werden durch viele Lernprozesse erworben. Sie sind das Ergebnis von eigenen und fremden Erfahrungen, also sozial deter‐ miniert. Einstellungen spiegeln daher auch die Wertvorstellungen jener Personen(-mehrheiten) wider, mit denen sich das Individuum identifi‐ 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 79 <?page no="80"?> ziert, d. h. deren „Eigenschaften“ der Nachfrager ebenfalls aufweisen möchte. • Einzelne Einstellungen stehen untereinander in einem auf ein harmoni‐ sches Gleichgewicht ausgerichteten Systemzusammenhang (homöo‐ statisches System). Im Einstellungssystem sind relativ zentrale Einstel‐ lungen und relativ periphere Einstellungen miteinander verknüpft. Zentrale Einstellungen sind solche, die das Individuum als sehr bedeut‐ sam einstuft und die daher in der Regel auch als relativ stabil anzuse‐ hen sind. Peripheren Einstellungen wird dagegen eine vergleichsweise geringe Bedeutung zugemessen, sie werden auch leichter situationsbe‐ dingt abgewandelt. Die größere Stabilität zentraler Einstellungen rührt daher, dass sie eine größere „Ich-Nähe“, d. h. Nähe zur Persönlichkeits‐ struktur besitzen, während die peripheren Einstellungen den Variablen des geäußerten Verhaltens näherstehen. In diesem Zusammenhang wird auch vom so genannten Selbstkonzept eines Individuums gesprochen. • Jede Einstellung für sich ist gleichfalls systemhaft organisiert (vgl. v. Rosenstiel u. Neumann, 2002, S. 204f.). Einstellungen zu Objekten sind nicht einschichtig, sondern in zweifacher Hinsicht mehrschichtig: Zum einen weisen sie mehrere Komponenten (drei) und zum anderen mehrere Dimensionen (variabel) auf. Man unterscheidet zwischen einer kognitiven (vermutete Ausprägung), affektiven (gefühlsmäßige Bedeu‐ tung) und konativen (Bedeutung für das Kaufverhalten) Komponente und zwischen verschiedenen Dimensionen. Beispiel | Die Einstellung gegenüber der PKW-Marke X kann beispiels‐ weise auf folgenden Dimensionen beruhen: Sportlichkeit, Komfort, Kof‐ ferraumvolumen, Prestigegehalt. Die einzelnen Komponenten können durch Fragen folgenden Typs umrissen werden: • Kognitive Komponente: In welchem Ausmaß bietet Pkw X Fahr‐ komfort? • Affektive Komponente: Wie wichtig ist bei PKWs der Fahrkom‐ fort? • Konative Komponente: Inwieweit beeinflusst der Fahrkomfort eines Pkw das geäußerte Kaufverhalten? Die → Darstellung 2.11 verdeutlicht den aufgezeigten systemhaften Zusam‐ menhang der aufgezeigten Determinanten. 80 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="81"?> 1 | zentrale Einstellung (z. B. zur Technik) 2 | periphere Einstellung (z. B. zum Kfz) 3 | Einstellungsdimension (z. B. Komfort) 4 | kognitive Komponente („welche Ausprägung“) 5 | affektive Komponente („wie wichtig bei Kfz“) 6 | konative Komponente („welchen Einfluss auf Kauf“) 1 2 3 2 3 4 5 6 2 Darstellung 2.11: Der systemhafte Aufbau von Einstellungen. Eine noch größere „Ich-Nähe“ und damit einhergehend eine noch geringere Objekt-Nähe weisen Wertvorstellungen auf, die als produktbereichüber‐ greifende zentrale Einstellungen angesehen werden können. Es ist damit auch klar, dass eher periphere Einstellungen einerseits wegen ihrer größeren Handlungsnähe besser für Prognosezwecke geeignet sind, andererseits aber eine geringere Konstanz im Zeitablauf aufweisen, was ihre Eignung für längerfristige Prognosen einschränkt. Mit Einstellungen (peripheren und zentralen) auf das engste verknüpft sind entsprechende Präferenzen von Nachfragern für bestimmte Produkte. In der Regel wird die Präferenz als eindimensionaler Indikator für die subjektive Bevorzugung einer Alternative gegenüber anderen Produktalter‐ nativen zu einem bestimmten Zeitpunkt beschrieben. Wissen | Bei Präferenzen handelt es sich um die Einstellungsdiffe‐ renz zwischen mindestens zwei Alternativen und somit um relative Einstellungen. Durch die zeitliche Komponente wird deutlich, dass die Präferenz eine dynamische Größe und als solche das Ergebnis wiederholter Perzeptions- und Präferenzbildungsprozesse ist, das einem stetigen Wandel unterliegt. Präferenzen sind immer abhängig von den aktuell präsentierten Eigenschaf‐ ten und Eigenschaftsausprägungen der Produkte, d. h. sie sind immer kontextabhängig (vgl. Helm u. Steiner, 2008, S.-27). Gegenüber der Einstellung unterscheidet man das Image eines Objekts, das lediglich aus dessen kognitivem Teil besteht. Für das Geschehen am 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 81 <?page no="82"?> Markt ist vielfach das Image und weniger die chemische und physikalische Struktur von Produkten bzw. Leistungen von entscheidender Bedeutung. Wissen | Mit Image bezeichnet man demnach das subjektiv gefärbte Bild eines Einstellungsgegenstandes, mithin die Perzeption bzw. das innere Abbild des Objektes; es gibt die subjektive Realität der Umwelt wieder; sie ist der Ausgangspunkt aller menschlichen Entscheidungs‐ prozesse. Produktimage und Produktrealität weichen nicht nur bei häufig gekauften Produkten des Konsumgüterbereichs voneinander ab, sondern weisen auch im Bereich der Dienstleistungen und Investitionsgüter erhebliche Divergen‐ zen auf. Besonders drastisch ist die Divergenz zwischen Produktrealität und Produktimage im Konsumgüterbereich. Dies dürfte allerdings weniger ein Kennzeichen der Konsumgüter an sich, sondern eine Folge der vergleichs‐ weise größeren Homogenität dieser Produkte sein. Wissen | Je weniger die einzelnen Alternativen der angebotenen Pro‐ dukte objektiv differieren, desto bedeutungsvoller ist die Schein‐ welt im Vergleich zur Realwelt der Produkte. Da für manche Märkte von einer technisch bedingten Konvergenz der ein‐ zelnen Angebote infolge Normungen, Schutzvorschriften etc. gesprochen wird, wird die Scheinwelt der Produkte an Bedeutung gewinnen. Unter Imagepolitik im Rahmen des Marketings werden dieser Betrachtungs‐ weise entsprechend alle Maßnahmen verstanden, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen, einem Produkt oder einer Marke ein bestimmtes Image zu verleihen bzw. ein vorhandenes Image zu verändern. Wissen | Die Zielsetzung der Imagepolitik ist es, eine möglichst große Übereinstimmung des Selbstbzw. Idealimage eines Nachfragers mit dem so genannten Fremdimage der Marke zu erreichen, um auf diese Weise ein möglichst hohes Identifikationspotenzial aufzubauen. Dies führt über die Bildung einschlägiger Präferenzen zu einer Bestätigung des Selbstkonzepts durch das Verhalten, in unserem Sinne durch den Konsum von Produkten in entwickelten Volkswirtschaften. 82 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="83"?> Eine andere Variable, die häufig mit Einstellungen in Verbindung gebracht wird, ist die Variable Lebensstil. Wissen | Der Lebensstil ist Ausdruck eines spezifischen Konsumver‐ haltens und einer Konstellation grundlegender Einstellungen sowie der äußeren Umstände. Darunter wird von verschiedenen Autoren sehr Unterschiedliches verstan‐ den: Gewissermaßen als Minimalumfang des Lebensstilkonzepts kann das A-I-O-Konzept gelten. Wissen | Nach dem A-I-O-Konzept (Activities, Interests, Opini‐ ons)kann der Lebensstil anhand der Aktivitäten (z. B. Freizeitakti‐ vitäten), der Interessenlagen (z. B. Informationsinteressen) und der Meinungen (z. B. über bestimmte Wahrnehmungsgegenstände) be‐ schrieben werden. In → Darstellung 2.12 ist dagegen eine Art Maximalkonzept des Lebensstils konzipiert; danach wird mit Lebensstil die Gesamtheit des Verhaltens hin‐ sichtlich der Werte, der Aktivitäten bzw. Einstellungen und des Verbrauchs eingestuft. So geht mit einem gewissen Lebensstil konform, wenn bestimmte Marken verschiedenster Produkte kombiniert werden, die in der Summe die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Personen (z. B. Yuppies) signalisieren. Lebensstile sind zur Zielgruppenbestimmung besonders geeignet, nicht zuletzt sind deshalb viele Marken als Ausdruck gewisser Lebensstile mittels bildhaft-emotionaler Werbung beim Konsumenten verankert (vgl. Boltz u. Trommsdorff, 2022) Die Allgemeingültigkeit derartiger Lebensstiltypen ist jedoch zu bezwei‐ feln, da bestimmte Verhaltensweisen erkennbar sind, die mit solchen Mus‐ tern nicht übereinstimmen (vgl. →-Kapitel 1): Beispiel | Die Frau im Nerzmantel fährt mit dem Porsche vor, um bei Aldi oder einem anderen Discounter Nahrungsmittel einzukaufen. Der Geschäftsmann geht mittags zu McDonald’s und speist abends im Nobelrestaurant. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 83 <?page no="84"?> grundsätzliche Werterhaltung Einstellungen zu generellen Produkteigenschaften Präferenzen/ Marken-Einstellungen Verhalten (Verbrauch/ Gebrauch) Lebensstil Stabilität Handlungsnähe Darstellung 2.12: System der den Lebensstil charakterisierenden Merkmale. 2.3.1.3 Einstellungsänderungen Wie oben bereits angeführt, können Einstellungen gefestigt oder auch nur sehr vage sein; in jedem Fall steuern sie die menschlichen Informa‐ tionsnachfrage- und Informationsverarbeitungsprozesse. Der Unterschied zwischen ungefestigten und durch Erfahrungen gefestigten Einstellungen besteht im Grunde genommen nur darin, dass die erstgenannten Einstellun‐ gen leichter modifizierbar sind. Da Einstellungen gelernt werden, unterliegen sie einem laufenden Veränderungsprozess. Es stellt sich daher die Frage, wie es zu Einstel‐ lungsänderungen kommt. Relativ gut geeignet, um Einstellungsänderungen zu erklären, ist die auf Leon Festinger zurückgehende Theorie der kogniti‐ ven Dissonanz. Diese gehört zur Klasse der verhaltenswissenschaftlichen 84 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="85"?> Gleichgewichtsbzw. Konsistenztheorien, deren grundlegende Aussage wie folgt formuliert werden kann: Wissen | Gemäß der Theorie der kognitiven Dissonanz streben Individuen danach, sowohl im physisch/ physiologischen Bereich als auch im psychischen Bereich durch den Abbau von Mangelzuständen zu einem Gleichgewichtszustand zu gelangen. Stehen also • einzelne Einstellungen untereinander bzw. • einzelne Komponenten einer einzigen Einstellung (z. B. konative und affektive Komponente) zueinander oder aber • einzelne Handlungen und Einstellungen in einem disharmonischen Verhältnis (Dissonanz), so ist das Individuum bestrebt, durch Veränderung von Einstellungen bzw. Einstellungskompo‐ nenten das System in einen Gleichgewichtszustand zu überführen. Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz bemüht sich insbesondere um die Spezifizierung von Situationen, in denen Dissonanzen häufig entstehen, und um die Präzisierung von Strategien der Reduktion solcher Dissonanzen. Als besonders dissonanzträchtig gelten folgende Situationen: • Nachkaufsituation, da dann die Vorteile der nicht gekauften Marken/ Produkte und die Nachteile der gekauften Marken/ Produkte häufig be‐ sonders deutlich zutage treten (Dissonanz Verhalten versus Einstellung). • Situation nach Aufnahme von dissonanten Informationen über be‐ stimmte Einstellungsobjekte, d. h. Informationen, die nicht mit den bisherigen Einstellungen konform gehen (Dissonanz zwischen Kompo‐ nenten einer Einstellung). • Situation der unerfüllten Erwartungen (Dissonanz Verhalten versus Einstellung). Dissonanzen werden besonders dann empfunden, • wenn die Wahlentscheidung vergleichsweise bedeutungsvoll ist, • wenn sie erst kurz zurückliegt und/ oder • wenn die Beurteilung der zur Wahl anstehenden Alternativen relativ ausgewogen ist, d. h. keine eindeutige Präferenz für eine der Alter‐ nativen besteht. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 85 <?page no="86"?> Kognitive Dissonanzen können nur dann auftreten, wenn das Individuum an die getroffene Wahlentscheidung gebunden ist. Eine relativ großzü‐ gige Handhabung des Umtauschrechts von gekauften Produkten ist als ein Versuch anzusehen, dem Entstehen von kognitiven Dissonanzen und ihren für das Unternehmen oft negativen Folgen entgegenzuwirken. Diese kommen besonders dann zum Tragen, wenn wiederkehrender Bedarf vorhanden ist oder eine Imageübertragung auf andere Produkte möglich bzw. gewünscht ist. Bestehen bereits kognitive Dissonanzen, so wird auf unterschiedliche Weise versucht, diese abzubauen, um so wieder einen Gleichgewichtszu‐ stand zu erreichen. Einige Formen der Dissonanzreduktion sind: • Psychische Abwertung der Bedeutung der Kaufentscheidung. • Stärkere Gewichtung derjenigen Beurteilungsdimensionen, bei denen alle relevanten Alternativen gleiche Ausprägungen aufweisen. • Stärkere Gewichtung derjenigen Beurteilungsdimensionen, bei denen die gewählte Alternative vorteilhaft abschneidet. • Sensibilisierung der Wahrnehmung für die Aufnahme von Informatio‐ nen, die geeignet sind, die getroffene Wahlentscheidung zu stützen. Für alle Strategien der Dissonanzreduktion lassen sich unschwer empiri‐ sche Beispiele finden. Besonders deutlich ausgeprägt ist häufig die zuletzt genannte Strategie der Dissonanzreduktion, die von Unternehmen etwa da‐ durch gestützt wird, dass Gebrauchsanweisungen meist mit der Aufzählung aller für die betreffende Alternative günstigen Aspekte beginnen. Auch das Beschwerdemanagement bzw. eine aktive Kundendienstpolitik tragen diesem Aspekt Rechnung. 2.3.2 Kognitive Prozesse Kennzeichen der kognitiven Prozesse ist, dass sie die Informationen bereit‐ stellen, auf die im Rahmen der aktivierenden Prozesse zurückgegriffen wird. Kognitive Prozesse steuern somit die Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung, ohne unmittelbar handlungssteuernd zu wirken. Die wesentlichen kognitiven Teilprozesse sind diejenigen der Wahrnehmung, des Denkens und des Lernens. 86 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="87"?> 2.3.2.1 Wahrnehmung und Selektion von Alternativen Unter Wahrnehmung versteht man den psycho-physischen Prozess der menschlichen Informationsaufnahme und Informationsinterpretation, des‐ sen Endprodukt eine subjektiv gefärbte Darstellung der Realität dar‐ stellt. Subjektiv gefärbt bedeutet dabei, dass das Abbild der Realität in mehrfacher Hinsicht vom Urbild abweicht. Die wichtigsten Formen der teils bewussten, teils unbewussten Informationsveränderung sind: • Selektion von Informationen: Es werden nicht alle sensorisch wahr‐ genommenen Informationen weiterverarbeitet. Zum einen werden nur die für das jeweilige Individuum vermeintlich relevanten Informationen und zum anderen oft nur diejenigen Informationen, die der Bedürfnis‐ konstellation entsprechen, aufgenommen. Mit dieser selektiven Infor‐ mationsaufnahme kann das Individuum eine Informationsüberreizung vermeiden. • Abwehr von Informationen: Aufgrund des Strebens nach einem phy‐ sisch-psychischen Gleichgewicht werden häufig nur solche Informatio‐ nen aufgenommen, die mit den schon gespeicherten Informationen in einem konsonanten Verhältnis stehen. Die gespeicherten Informationen und Erfahrungen bewirken eine programmierte Voreingenommenheit und Erwartungshaltung des Individuums. Die Abwehr dissonanter Informationen (Perceptual Defense) bewirkt insbesondere auch, dass konsonante Informationen leichter als ebenso bedeutsame dissonante Informationen aufgenommen werden, was tendenziell zu einer Verfes‐ tigung von Einstellungsstrukturen beiträgt. • Akzentuierung von Informationen: Während die bisher genannten Effekte der Wahrnehmung vor allem das „Ob“ der Wahrnehmung betreffen, stellt der Akzentuierungseffekt auf die Modifikation der eingegangenen Informationen ab. Die Modifikation von Informationen wird ebenso wie deren Selektion und Abwehr insbesondere durch die affektive Einstellungskomponente bezüglich des jeweiligen Wahrneh‐ mungsobjekts gesteuert. Alle drei Effekte begründen bestimmte Wahrnehmungsschwellen, die je nach der Art der Information (konsonant/ dissonant) und dem Informati‐ onsgegenstand unterschiedlich wirksam sind. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 87 <?page no="88"?> Wissen | Die Folge einer individuell unterschiedlichen Wahrneh‐ mung beim Kunden ist, dass dem Kunden objektiv zur Verfügung gestellte Informationen in unterschiedlicher Art verarbeitet werden und in verschiedenen Konsequenzen resultieren. Wahrnehmung erfolgt allerdings nicht nur passiv, sondern in vielen Fällen auch aktiv. Phänomene, welche die Intensität und Richtung der aktiven Informationssuche steuern, sind etwa das Streben nach einem Gleichge‐ wichtszustand, bestimmte Einstellungen und die Art der im Rahmen eines Kaufprozesses evaluierten Produkte (Risikogehalt, Bedeutung). Aufgrund dieser und weiterer Phänomene (wie die aktive Beeinflussung der Wahr‐ nehmung durch Unternehmen) kommt es zur Bildung des Images als Ergebnis des Wahrnehmungsprozesses. Das Image (subjektive Realität) und die technischen Gegebenheiten (objektive Realität) können - wie bereits bemerkt - zuweilen erheblich voneinander abweichen, dies nicht nur hinsichtlich der Merkmalsmenge und der (vermuteten) Ausprägungen, sondern auch hinsichtlich der berücksichtigten Produkte. Die Gesamtheit der von einem potenziellen Kunden berücksichtigten Produkte wird üblicherweise in verschiedene Untermengen untergliedert. In → Darstellung 2.13 wird der Kaufentscheidungsprozess (→ Darstellung 2.2) in den Kontext der Selektion von Produktalternativen aus Nachfragersicht in Anlehnung an Helm u. Steiner (2008, S.-35f.) aufgezeigt. Available-Set Awareness-Set Processed-Set Evoked-Set Entscheidung Inert-Set Hold-Set Inept-Set Audi VW Mercedes BMW Porsche Opel Ford Nissan Mazda Toyota Renault Peugeot Citroen Saab Volvo Chrysler Seat … Audi VW Mercedes BMW Porsche Opel Ford Skoda Mitsubishi Audi Mercedes BMW Porsche VW Opel Ford Nissan Mazda Toyota VW Opel Ford Seat Skoda Peugeot Citroen Renault Chrysler Nissan Mazda Toyota Mitsubishi ? Unawareness-Set Brilliance SsangYong Kia … Skoda Mitsubishi Brilliance SsangYong Kia Nissan Mazda Toyota Renault Peugeot Citroen Saab Volvo Chrysler Seat Renault Peugeot Citroen Chrysler Seat Skoda Mitsubishi Produktkategorien Saab Volvo Prozessanregungsphase Such- und Vorauswahlphase Bewertungs- und Auswahlphase Realisierungsphase Nachkaufphase Darstellung 2.13: Selektion von Produktalternativen. 88 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="89"?> • Das Available Set besteht aus allen am Markt befindlichen Produkten der jeweiligen Produktklasse. Es ist auch nach dem Durchlaufen des Informationssuchprozesses kaum möglich, sämtliche im Gesamtmarkt potenziell vorhandenen Alternativen zu berücksichtigen. Zudem sind unter Umständen nicht alle Produktalternativen tatsächlich verfügbar, so dass sich die Zahl der weiter zu berücksichtigenden Produkte ver‐ mindert. • Das Awareness Set beschreibt deshalb die Produkte, die der jeweilige Nachfrager wahrgenommen hat. Sämtliche nicht wahrgenommenen Produkte befinden sich dementsprechend im Unawareness Set. Zu einem Teil der hier vorhandenen Alternativen besitzt der Nachfrager jedoch nur ungenügend Informationen über die Ausprägungen der relevanten Merkmale, um diese Produkte bewerten zu können. • Aufgrund dieser unvollständigen Informationen werden diese im Foggy Set (auch Inert Set) befindlichen Marken nicht weiter berücksichtigt. Die verbliebenen Alternativen im Processed Set werden zunächst anhand von nicht-kompensatorischen Kriterien bewertet, d. h. Alternativen, die den a priori definierten Mindestausprägungen nicht entsprechen, werden verworfen (Reject Set oder Inept Set). • Im Hold Set befinden sich die Alternativen, die zwar nicht völlig abgelehnt, aber nur akzeptiert werden, wenn der Preis reduziert oder einige Eigenschaftsausprägungen verbessert werden würden. Stellt der Nachfrager beim Kauf fest, dass das jeweilige Produkt im Sonderangebot ist oder bestimmte Eigenschaftsausprägungen verbessert wurden, kann das Produkt in das Accept Set gelangen. • Die Produkte im Evoked Set (auch Relevant Set“ oder Accept Set) kommen für die letztendliche Kaufentscheidung in die engere Auswahl. Diese Alternativen sind dadurch gekennzeichnet, dass sämtliche Ei‐ genschaftsausprägungen und auch deren Kombinationen akzeptiert werden. Als tauglich oder als untauglich können die einzelnen Alternativen der entsprechenden Mengen dabei entweder aufgrund eigener Erfahrung oder aufgrund Hörensagens eingestuft werden. Die Zahl der auf dem Markt befindlichen Produkte dürfte üblicherweise weit größer sein als die Menge, die im Relevant Set eines Nachfragers erfasst ist. 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 89 <?page no="90"?> Wissen | Das Marketing eines Unternehmens muss zielorientierte Anstrengungen unternehmen, um dafür zu sorgen, dass seine Ange‐ bote im Relevant Set der Zielgruppe enthalten sind. 2.3.2.2 Denken und Bewerten von Produktalternativen Unter Denken versteht man die psychischen Prozesse, die bei der Beur‐ teilung von Objekten, d. h. der Verarbeitung von Wahrnehmungen zu Präferenzen ablaufen. Denken in diesem Sinne (Problemlösen im Sinne eines psychischen Probehandelns) umfasst also die mit Evaluierung und Entscheidung gekennzeichneten Phasen des Entscheidungsprozesses, sofern sie intrapersonal ablaufen. Wesen des Denkvorganges ist es, dass Wahrnehmungen und gespeicherte Informationen (Einstellungen) zueinander in Beziehung gesetzt werden und daraus logisch zwingende („denknotwendige“) oder auch nur assoziativ ver‐ knüpfte Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Tatsache, dass Denken auf Wahrnehmungen und auf Vorwissen basiert, also stets auch Lernvorgänge involviert, macht deutlich, dass eine klare Trennung dieser drei Teilprozesse nur analytisch vorgenommen werden kann. Kaufentscheidungsprozesse Nach der Intensität der Denkprozesse unterscheidet man vier Typen von Kaufentscheidungsprozessen: • Extensive Kaufentscheidungsprozesse: Hier werden sämtliche Pha‐ sen der Entscheidung bzw. der kognitiven Informationsverarbeitung durchlaufen; sie laufen vor allem dann ab, wenn erstmalig bzw. nach ei‐ ner längeren Kaufpause oder über unbekannte und stark risikobelastete Produkte entscheiden. Das produktbezogene und/ oder das situations‐ spezifische Involvement ist hoch. • Limitierte Kaufentscheidungsprozesse: Hier wird der Entschei‐ dungsprozess insofern vereinfacht, als dass einige Phasen der kogniti‐ ven Informationsverarbeitung verkürzt werden, weil etwa eine Alter‐ nativensuche entfällt oder sich auf nur ein Merkmal (z. B. die Marke als Bündel von Informationen) zur Evaluierung beschränkt wird. Es wird auf bewährte Entscheidungsmuster (auch bei vormals extensiven Entscheidungsprozessen) zurückgegriffen, das Involvement und das mit 90 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="91"?> dem Kauf verbundene Risiko sind eher gering. Vielfach genügt dem Nachfrager, dass die Alternativen ein bestimmtes Anspruchsniveau erreichen. Begrenzte Kaufentscheidungsprozesse treten häufig dann auf, wenn zwischen mehreren und teilweise unbekannten Marken eines bekannten Produktes entschieden wird. • Habitualisierte Kaufentscheidungsprozesse: Hier werden erprobte Verhaltensweisen wiederholt oder auf vergleichbare Entscheidungssi‐ tuationen übertragen. Der Nachfrager ist nur wenig mit der Bewertung der Alternativen beschäftigt. Werden wiederholt bestimmte Produkte gekauft, so erfolgt dies aus Gewohnheit, aber nicht aufgrund einer besonderen Markentreue. Bei dieser Art des Kaufverhaltens wird relativ oft die Marke aus Langeweile oder aus dem Wunsch heraus, z. B. eine andere Geschmackssorte zu kaufen, gewechselt (variety seeking behaviour). Solche Kaufentscheidungsprozesse treten vor allem dann auf, wenn Wahlentscheidungen über bekannte Marken eines bekannten Produktes zu treffen sind. • Affektgesteuerte Kaufentscheidungsprozesse: Hier werden weder aktuelle noch gelernte Denkprozesse bei dem anstehenden Wahlakt berücksichtigt, sondern die Wahlentscheidung wird weitgehend ohne kognitive Steuerung vollzogen. Solche Kaufentscheidungsprozesse sind in der Realität kaum anzutreffen. Impulskäufe sind entgegen vielen Literaturäußerungen keineswegs notwendigerweise das Ergebnis af‐ fektgesteuerter Kaufentscheidungsprozesse, sondern häufig durchaus rational abgewogene Wahlakte. Der Unterschied zwischen Impulskäu‐ fen und geplanten Käufen ist lediglich darin zu sehen, dass bei geplanten Käufen das Bedürfnis am Anfang des Kaufentscheidungsprozesses steht, während Impulskäufe ihren Ausgangspunkt bei den Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung haben. Je nachdem, welcher Entscheidungsprozesstyp im konkreten Fall vorliegt, erfordert diese Erkenntnis aufgrund der unterschiedlichen Prozessabläufe die Anpassung des Marketing-Mix. So ist bei einem Produktbereich, in dem in hohem Maße Impulskäufe getätigt werden, darauf zu achten, dass die entsprechenden Kaufgelegenheiten durch Maßnahmen der Distribution in ausreichendem Maße gegeben sind. Der Impulskaufanteil variiert je nach Produktkategorie. Dabei haben Lebensmittel mit 71 % den größten Impulskaufanteil, gefolgt von Kleidung mit 53 % und Haushaltsutensilien auf dem 3. Platz mit 33-% (vgl. Slickdeals, 2018). 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 91 <?page no="92"?> Prospect-Theorie Unter den Modellen zur Erklärung des menschlichen Entscheidungsverhal‐ tens hat die Prospect-Theorie von Kahneman u. Tversky (1979) einen sehr hohen Stellenwert erreicht. Die diesbezüglichen Aussagen wurden bereits häufig in komprimierter Form dargestellt, so dass hier nur ein kurzer Über‐ blick gegeben werden soll (vgl. Gierl et al., 2001). Abweichend von der Er‐ wartungsnutzentheorie wird in der Prospect-Theorie unterstellt, dass Indivi‐ duen in einer Entscheidungssituation nicht die erwarteten (End-)Nutzen der unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten vergleichen, sondern jede einzelne Alternative zu einem Referenzniveau in Bezug setzen. Alternativen, die in ihrer Konsequenz das Referenzniveau unterschreiten, werden als Verlust, Alternativen, deren Ergebnis voraussichtlich oberhalb des Referenzniveaus liegt, als Gewinn wahrgenommen, wobei Verluste in ihrer Wertigkeit stärker empfunden werden als Gewinne. Zudem wird eine abnehmende Sensitivität unterstellt, d. h. es wird angenommen, dass der wahrgenommene Gewinn‐ zuwachs bzw. der zusätzlich wahrgenommene Verlust mit zunehmender Abweichung vom Referenzniveau abnimmt. Diese Zusammenhänge kom‐ men in der so genannten Wertfunktion der Prospect-Theorie zum Ausdruck. Die Aussagen der Prospect-Theorie wurden im Bereich des Marketings unter anderem für die Preisfestlegung, Wirkungen positiver vs. negativer Werbeappelle, die Präferenzbildung und das Produktwahlverhalten sowie die Erklärung von Kundenzufriedenheit (z. B. warum Unzufriedenheit bzw. Dissonanzen öfter kommuniziert werden als zufriedenstellende Erlebnisse) herangezogen. Theorie des wahrgenommenen Risikos Eine ebenfalls besondere Bedeutung bei der Produktbeurteilung hat das bereits thematisierte wahrgenommene Risiko einer Entscheidung (vgl. → Abschnitt 2.1.4). Aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht können die Risikotypen im Groben zu zwei Arten von Risiken zusammengefasst werden (ausführlicher bei Stürmer, 2016): • Das ökonomische Risiko (d. h. leistungsbezogen und finanziell), das in der Möglichkeit einer Fehldisposition knapper Mittel und damit verbunden einer relativ eingeschränkten Funktionserfüllung besteht. 92 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="93"?> • Das soziale und psychologische Risiko, das in einer möglichen Min‐ derung des sozialen Ansehens infolge der Verletzung sozialer Normen („falsche“ Produktwahl) seinen Ausdruck findet. Typische Strategien zur Reduktion von Risiken sind die Markenund/ oder Geschäftstreue. 2.3.2.3 Lernen Unter Lernen versteht man den Erwerb bzw. die Veränderung von Variablen des Verhaltens(-prädispositionen) infolge unmittelbarer (persönlicher) oder mittelbarer (symbolischer) Erfahrung. Geht man von einem Verhaltensmo‐ dell des S-O-R-Typs aus, so können Lernvorgänge wie folgt interpretiert werden: Lernen wird hier als eine Veränderung von Reiz-Reaktionsmus‐ tern (intraindividuelle Verhaltensdeterminanten) infolge von Erfahrungen definiert. Im Weiteren werden vier unterschiedliche Typen des Lernens unterschieden, die zur gezielten Beeinflussung potenzieller Nachfrager herangezogen werden können. Mere Exposure Lernmuster der kognitiven Berieselung bzw. Mere Exposure werden als automatische, vom Individuum unkontrollierte Lernprozesse bezeichnet. Der Begriff der kognitiven Berieselung umfasst ein unbewusstes Aufnehmen und Speichern von Informationen, denen der Konsument in kleinen Portio‐ nen mit einer hohen Frequenz ausgesetzt ist. Die Aktivierung reicht hier für eine aktive Informationsaufnahme nicht aus, da dieses Aufmerksamkeit voraussetzen würde (vgl. Moser, 2002, S.-127). Die so genannte Basishypothese des Mere Exposure (vgl. Zurstiege, 2007, S. 183) ist ähnlich gelagert: Danach wird ein Objekt umso positiver beurteilt, je häufiger man diesem Objekt ausgesetzt ist. Dieser Effekt tritt natürlich vor allem in Low-Involvement-Situationen (vgl. → Abschnitt 2.3) auf, wobei eine Einstellungsverbesserung nur bis zu einem gewissen Grad der Wiederholungsfrequenz auftritt, danach Reaktanzen beim Konsumenten erkennbar werden, d. h. er die Information bzw. den Kontakt abwehrt (vgl. Boltz u. Trommsdorff, 2022). 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 93 <?page no="94"?> Klassische Konditionierung Kennzeichen des (automatischen) Lernens nach der klassischen Kondi‐ tionierung ist die Verknüpfung (Assoziation) von Reizen, die natürliche Reflexe auslösen, mit ursprünglich neutralen Reizen, so dass beide zu Auslösern für die gleiche Reaktion (bedingter Reflex) werden. Entwickelt wurde diese Lerntheorie vor allem auf der Basis von Tierex‐ perimenten von dem russischen Physiologen Pawlow. Wird ein Stimulus, dem a priori keine bestimmte Reaktion zugeordnet ist (neutraler Reiz) und der wiederholt zusammen mit einem Stimulus, dem eine bestimmte Reaktion fest zugeordnet ist (konditionierter Reiz), dargeboten, so ruft der neutrale Stimulus schließlich ebenfalls die Reaktion des konditionierten Stimulus hervor; das Individuum hat also „gelernt“, auf den ursprünglich neutralen Reiz zu reagieren, dieser Reiz wurde konditioniert. Bekannt ist in diesem Zusammenhang vor allem Pawlows Hundeexperiment. Ebenso wie ein neutraler Reiz konditioniert werden kann, kann ein konditionierter Reiz wieder zu einem neutralen Reiz werden (Extrinktion). Das Prinzip der klassischen Konditionierung erlaubt die Erklärung ei‐ nes weiteren Lernphänomens, die so genannte Reiz-Generalisierung. Reiz-Generalisierung bedeutet dabei, dass Reize, die dem konditionierten Reiz ähnlich sind, ebenfalls zu konditionierten Reizen werden können, obwohl sie nicht während der ursprünglichen Konditionierung verwendet wurden. Das Phänomen der Reiz-Generalisierung ist unter anderem die Ursache dafür, dass Individuen von einer bestimmten Marke eines Produkts eher zu äußerlich ähnlichen Marken desselben Produkts als zu unähnlichen Marken „wandern“. Dieser Tatbestand wiederum ist die Ursache dafür, dass erfolgreiche Produkte häufig Me-too-Produkte nach sich ziehen, welche die erfolgreichen Produkte imitieren. Im Marketing wird das aufgezeigte Lernprinzip vielfach bei der Verbin‐ dung von Marken mit positiven Emotionen verwendet (emotionale Kondi‐ tionierung), um beim potenziellen Kunden eine positive Grundeinstellung zu erreichen und Erinnerungseffekte zu stimulieren. Lernen am Erfolg Lernen am Erfolg zeigt sich in der empirisch häufig festgestellten Gesetz‐ mäßigkeit, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens belohnter Reaktionen steigt und die von bestraften Reaktionen abnimmt (instrumentelle Kon‐ 94 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="95"?> ditionierung). Deshalb wird auch vom Lernen nach dem Verstärkerprinzip gesprochen (vgl. Pollmann, 2020). Während bei der klassischen Konditionie‐ rung der Lernvorgang von der Stimuluskomponente seinen Ausgang nimmt, gibt beim Lernen am Erfolg die Reaktionskomponente den Anstoß zum Lernen; die erwartete Reaktion der Umwelt bestimmt hier die Veränderung der Verhaltensdeterminanten. Zu unterscheiden sind positive Verstärker, die Lernen durch ihr Vorhan‐ densein fördern, und negative Verstärker, die durch ihr Fehlen wirken. Ver‐ suche, das Lernen nach dem Prinzip der instrumentellen Konditionierung im Marketing nutzbar zu machen, können beispielsweise in Aktionen mit Sammelpunkten, bspw. Meilen bei Star Alliance oder Punkte bei American Express, gesehen werden. Lernen am Modell Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung und des Lernens am Erfolg kommt es beim Lernen am Modell zu keiner unmittelbaren, d.-h. eigenen Erfahrung, sondern nur zu einer mittelbaren oder symbolischen Erfahrung (so genanntes komplexes, sozial-kognitives Lernen). Individuen lernen hier auf der Grundlage von Reflexionen über Erfahrungen anderer Personen, daher wird hierfür auch der Ausdruck stellvertretendes Lernen oder Be‐ obachtungslernen verwendet. Entscheidend für die Schnelligkeit und Nachhaltigkeit der Lernvorgänge sind hier Merkmale des Modells. Modelle mit einer ausgeprägten Fähigkeit, Lernen am Modell zu fördern, sind Personen mit hohem sozialem Prestige oder „idealisierte“ Menschen, „wie Du und ich“, die für andere Leitbild‐ funktionen ausüben (→ Abschnitt 2.4.2). Wissen | Der Denk- und Bewertungsprozess, d. h. das psychische Probehandeln eines Nachfragers kann unter Nutzung dieses Lernmo‐ dells auch mittels klassischer Mediawerbung unterstützt werden, in‐ dem passende Modelle in einer typischen Situation den Entscheidungs‐ prozess aufzeigen und die „richtige“ Wahl treffen. Lernen am Modell ist vor allem dann wenig wahrscheinlich, wenn Personen eine hohe Selbsteinschätzung besitzen und/ oder nur in geringem Maße außengesteuert (externe Kontrollüberzeugungen, vgl. Salewski u. Renner, 2009, S. 162f.) sind. Eine ökonomische Anwendung dieser verhaltenswissen‐ 2.3 Prozesse im Nachfrager - eine integrative psychologische Betrachtung 95 <?page no="96"?> schaftlichen Erkenntnisse ist die Leitbildwerbung (vgl. Felser, 2007, S. 157), mit deren Hilfe versucht wird, breite Bevölkerungsschichten mit relativ geringem Produktwissen zu einer bestimmten Markenwahl zu bewegen. 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung Hinsichtlich des Erklärungsanspruches greifen soziologisch und sozialpsy‐ chologisch orientierte Ansätze zur Erklärung von Nachfragerentscheidun‐ gen am weitesten; sie erfassen interindividuelle Bestimmungsgrößen des individuellen Kaufverhaltens. Die dabei primär nicht interessierenden öko‐ nomischen und psychologischen Variablen werden häufig nur rudimentär oder überhaupt nicht berücksichtigt. Nach dem Studium der nachfolgenden Ausführungen sollte unmittelbar einsichtig werden, dass die Kenntnis der behandelten Phänomene für ein effektives und effizientes Marketing von nicht zu unterschätzendem Wert ist. 2.4.1 Soziale Gruppen und deren Mitglieder als Zielgruppen Jedes Individuum ist eingebunden in eine Vielzahl von sozialen Gruppen seiner engeren und weiteren sozialen Umwelt. Wissen |Unter einer sozialen Gruppe versteht man dabei mehrere Individuen, die in wiederholten, nicht nur zufälligen, wechselseitigen Beziehungen zueinanderstehen. Von einer Gruppe kann demnach nur dann gesprochen werden, wenn unter ihren Mitgliedern relativ dauerhafte zwischenmenschliche Beziehungen bestehen. Diese führen in der Regel dazu, dass die Gruppenmitglieder ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl (Wir-Bewusstsein) entwickeln, dessen Grundlage häufig die Identifizierung mit den Zielen bzw. Bestre‐ bungen der Gruppe bildet. Innerhalb einer Gruppe besitzt jedes Mitglied eine bestimmte Stellung („Position“). Diesem strukturellen Standort einer Person entsprechen nach Einschätzung der Gruppe bestimmte Verhaltensmuster, die in den Rol‐ lenerwartungen ihren Niederschlag finden. Rollenerwartungen dienen der funktionellen Einordnung einzelner Personen in eine soziale Gruppe, sie 96 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="97"?> können als Muss-, Kann- oder Sollerwartungen ausgeprägt sein. Während die Position die funktionelle Einordnung einer Person in eine Gruppe regelt, bringt der Status die soziale Bewertung einer Position zum Ausdruck. Unterschiede zwischen dem Status und der Position sind vor allem in heterogenen Großgruppen anzutreffen. Heterogen bedeutet dabei, dass zur Beschreibung der Positionen unterschiedliche Merkmale herangezogen werden müssen. In einer homogenen Gruppe, wie etwa einer Universität, bestimmt weitgehend das Merkmal akademischer Grad (Student, B.Sc., M. Sc., Dr. o.ä.) Position und Status, anders dagegen in heterogenen sozialen Gruppen wie Stadtgemeinden. Dieser Tatbestand ist nicht zuletzt ein wesentlicher Grund dafür, dass etwa das soziodemographische Merkmal Beruf häufig als verhaltensbe‐ schreibendes Merkmal bei der Marktsegmentierung (vgl. → Kapitel 4) sinnvoll verwendet werden kann. Die Interaktionen in sozialen Gruppen werden vor allem durch Nor‐ men geregelt, die ihrerseits wieder die Rollenerwartungen und den Status wesentlich mitbestimmen. Normen sind dabei von den Mitgliedern der Gruppe anerkannte Verhaltensvorschriften, denen ein gewisser Weisungs‐ charakter zukommt. Konformität mit den gruppenspezifischen Normen pflegen Gruppen durch ein System von materiellen und immateriellen (soziale Anerkennung oder Missbilligung), positiven bzw. negativen Sank‐ tionen herbeizuführen. Wissen | Rollenerwartungen und der Status einer Person innerhalb einer sozialen Gruppe sowie die Konformität mit gruppenspezifischen Normen beeinflussen wesentlich das Nachfragerverhalten. Aus diesen Größen ergeben sich Ansatzpunkte der Zielgruppenbestimmung über soziale Gruppen hinweg. Eine für viele Zwecke sinnvolle Unterteilung sozialer Gruppen ist die Unter‐ teilung in Primär- oder Kleingruppen einerseits und in Sekundär- oder Großgruppen andererseits. Die beiden Typen von Gruppen unterscheiden sich zunächst in der Zahl der ihnen üblicherweise angehörenden Mitglieder, in der Folge aber auch durch die Art und Intensität der Kontaktaufnahme: Mitglieder von Primärgruppen nehmen personalen Kontakt zueinander auf und weisen eine vergleichsweise hohe interne Kontakthäufigkeit auf. Mitglieder von Sekundärgruppen treten dagegen häufig mittels formaler Kommunikationsmittel und technischer Medien untereinander in einen 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung 97 <?page no="98"?> zumeist unpersönlichen Kontakt. Bedeutsame Erscheinungsformen von Primärgruppen sind: • Die Familie prägt das Verhalten vor allem der heranwachsenden Konsumenten in äußerst nachhaltiger Weise. Aber auch Kinder selbst werden innerhalb der Familie als Entscheidungsbeeinflusser immer wichtiger. • Spielgruppen bei Kindern oder gesellschaftliche „Zirkel“ von Erwach‐ senen: Solche Gruppen von Gleichaltrigen oder sozial Gleichgestellten bezeichnet man auch als Peer Groups, denen häufig ebenfalls sehr nachhaltige Verhaltensbeeinflussungen zukommen. • Nachbarschaft oder Kollegen am Arbeitsplatz. Bedeutsame Erscheinungsformen von Sekundärgruppen stellen demgegen‐ über die Mitgliedschaften in Betrieben oder Vereinen dar. Die Vielzahl der sozialen Gruppierungen, denen Individuen angehören können, lässt sich in einem System sozialer Einflusskreise, etwa wie in → Darstellung 2.14 abgebildet, erfassen. → Darstellung 2.14 bringt die Hierarchie sozialer Gruppierungen zum Ausdruck, die zugleich einen Indikator der Intensität der Beeinflussung des individuellen Verhaltens darstellt. Während die Familie einen unmittelba‐ ren, langfristig prägenden Einfluss auf das Kaufverhalten des Individuums ausübt (Sozialisation), ist der Einfluss der verschiedenen Sekundärgruppen (z. B. soziale Schicht) insofern indirekt, als diese die Lebensumstände eines Individuums prägen (vgl. Herkner, 2001, S. 41) und damit mittelbar auch dessen Verhalten beeinflussen. Soziale Schichten sind Bevölkerungsteilmengen einer Subkultur, die durch einen gleichen sozialen Status ihrer Mitglieder gebildet werden. Sie werden in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen nach unterschiedlichen Kriterien gebildet: In der feudalen Gesellschaft ist das bedeutsamste Schicht‐ ungskriterium die Abstammung; in einer rein kapitalistischen Gesellschaft stellt das Vermögen das dominierende Schichtungskriterium dar; in den modernen Industriegesellschaften ist es vor allem die berufliche Stellung, die zumeist eng mit dem Einkommen und dem Ausbildungsgrad korreliert. Umfassendere soziale Gruppen als soziale Schichten sind Subkulturen, d.-h. größere soziale Gruppierungen innerhalb eines Kulturkreises, die sich durch spezifische Konventionen, Normen oder sonstige Verhaltensgegeben‐ heiten auszeichnen. Subkulturen bilden sich häufig auf der Basis rassischer Gegebenheiten (Schwarze, Weiße in den USA), religiöser Überzeugungen 98 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="99"?> Individuum Familie sonstige Primärgruppen soziale Schicht Subkultur Kultur Darstellung 2.14: Soziale Einflusskreise eines Individuums. oder regionaler bzw. altersmäßiger Zugehörigkeit und finden ihren Aus‐ druck etwa in der Kleidung (Trachten), der Musik (Volksmusik) oder in Essgewohnheiten (Weißwurst). Die Kultur als das wichtigste Hintergrundmerkmal menschlichen Ver‐ haltens zeichnet sich durch eine Übereinstimmung hinsichtlich menschli‐ cher Grundeinstellungen aus, die vor allem durch die einheitliche Sprache bzw. die einheitliche Sprachgruppe (vgl. Moser, 2002, S. 77) geformt wird. Der verhaltenssteuernde Einfluss der Kultur kann an unzähligen Beispielen verdeutlicht werden: Kulturen prägen etwa die Bedeutung von Symbolen (Farbe der Trauer in Europa: schwarz, in Indien: weiß) und insbesondere auch die Grundmotive menschlichen Handelns (Selbstverwirklichung durch eigengesteuerte Arbeit in Europa bzw. durch Selbsterkenntnis und Versen‐ 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung 99 <?page no="100"?> kung in Asien). Die Kultur als Hintergrundphänomen wird selten bewusst als verhaltenssteuerndes Merkmal erfahren, vielmehr entwickelt sie sich im Rahmen von Sozialisationsprozessen als selbstverständlich empfundene Einstellungen und Verhaltensweisen. Kulturaspekte sind vor allem im Rah‐ men der internationalen Unternehmenstätigkeit bzw. des Marketings auf internationalen Märkten von Interesse (zu verschiedenen Ansätzen der Determinierung von Kulturkreisen vgl. Hollensen, 2019). Wissen | Zielgruppen des Marketings können grundsätzlich alle Arten sozialer Gruppen sein. Entscheidend für die Eignung einer sozialen Gruppe ist, dass die einzelnen Mitglieder hinsichtlich der relevanten Verhaltensgegebenheiten (Einstellungen, (Kauf-)Gewohn‐ heiten) homogen sind. Bei einem sehr detailliert angelegten Marketing können unter Umständen sogar größere Primärgruppen das Ziel spezifischer Marketingüberlegungen sein, üblicherweise sind es aber Subkulturen. Innerhalb der bereits skizzierten Gruppen können aber auch Individuen als Zielgruppe definiert werden, die hinsichtlich der Kriterien, die in dem Modell der Meinungsführerschaft und der Diffusion herausgearbeitet wer‐ den, als homogen einzustufen sind. 2.4.2 Bezugspersonen zur Beeinflussung von Zielgruppen Bei den bisher skizzierten sozialen Systemen waren die Beeinflussungen von Individuen im Prinzip stets gegenseitiger Natur und die Mitglieder eines sozialen Systems gehörten einer in bestimmter Weise homogenen Per‐ sonenmenge an. Bei den nachfolgend zu diskutierenden sozialen Systemen ist die Beeinflussung im Prinzip unilateraler Natur, d. h. Personen eines sozialen Systems beeinflussen andere Personen desselben sozialen Systems, ohne von diesen selbst beeinflusst zu werden. Wissen | Bezugspersonen sind Personen, mit denen sich ein Nach‐ frager so identifiziert, dass die Verhaltensdeterminanten (Normen, Standards) und/ oder das Verhalten selbst der entsprechenden Perso‐ nen für das Verhalten des Nachfragers entscheidungsrelevant sind. 100 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="101"?> Individuum und Bezugspersonen können Mitglieder derselben sozialen Gruppe sein, sind es in der Regel aber nicht. Die Beeinflussung erfolgt durch Bezugspersonen einseitig; sie üben zwei unterschiedliche Wirkungen auf die anderen Personen aus. Ihnen kommt eine normative Funktion zu, indem sie vor der Wahlentscheidung Beurteilungskriterien vermitteln, Verhaltens‐ richtlinien geben oder nach der Wahlentscheidung die getroffene Wahl bestätigen. Eine informative Funktion wird erfüllt, indem sie Informatio‐ nen über Entscheidungsobjekte vermitteln, damit Vergleichsmöglichkeiten schaffen und den Kaufentscheidungsprozess indirekt steuern. Es ist unmittelbar einsichtig, dass der Einfluss der Bezugspersonen auf die beeinflussten Individuen umso größer ist, • je intensiver der Kontakt zwischen beiden Personengruppen ist, • je größer die Identifikationsmöglichkeit des Beeinflussten mit den Bezugspersonen ist, • je eher die Produkte von anderen Personen gesehen werden können (Demonstrativer Konsum) und • je weniger objektive Daten hinsichtlich des Entscheidungsgegenstands vorliegen. Anwendung im Marketing finden die theoretischen Überlegungen zu den Bezugspersonen vor allem in der Leitbildwerbung (Leitbilder: Zahnarzt‐ frau, Influencer, Musterfamilie, Stars, erfolgreiche Manager, vgl. → Ab‐ schnitt 2.3.2.3) oder im Influencer-Marketing (vgl. → Kapitel 8). Leitbilder verkörpern idealisierte Bezugspersonen, denen ein hoher Status zuge‐ sprochen wird. Durch ein dem Leitbild vergleichbares Verhalten hofft der Beeinflusste ebenfalls einen höheren Status bzw. mehr soziale Anerkennung zu erreichen. 2.4.3 Meinungsführer und Innovatoren als Zielgruppen Ein mit dem Konzept der Bezugspersonen eng verwandtes Konzept der einseitigen Beeinflussung ist das der Meinungsführerschaft. Wissen | Meinungsführer (Opinion Leader) innerhalb von Primär‐ gruppen sind Gruppenmitglieder, die bezüglich eines bestimmten Produkt- oder Themenbereichs einen starken Einfluss auf andere Gruppenmitglieder ausüben. 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung 101 <?page no="102"?> Sie können durch folgende Merkmale charakterisiert werden: • Meinungsführer sind typische Gruppenmitglieder, die nur hinsichtlich eines einzigen oder hinsichtlich einiger weniger Meinungsgegenstände Meinungsführer sind. Meinungsführerschaft kann demnach nicht als eine bestimmte persönliche Eigenschaft angesehen werden. • Meinungsführerschaft ist nicht als eine kategoriale, sondern als eine graduelle Eigenschaft anzusehen. • Kennzeichen der Meinungsführer ist ihr Kommunikationsverhalten: Sie besitzen eine besondere sachliche Kompetenz sowie ein überdurch‐ schnittliches Interesse an Neuerungen auf dem Gebiet der Meinungs‐ führerschaft. Sie zeichnen sich durch eine überdurchschnittliche Kon‐ taktfreudigkeit aus und stellen deshalb glaubhafte Multiplikatoren von Marketingbotschaften dar. Die hervorragende Eigenschaft der Meinungsführer ist ihre sachliche Kom‐ petenz, die unter anderem durch eine Aufgeschlossenheit gegenüber vielfältigen Quellen für relevante Produktinformationen (Werbung, redak‐ tionelle Berichte, Information durch das Produkt selbst) gestützt wird. Sie nehmen im Kommunikationsprozess bezüglich „ihres“ Meinungsgegen‐ standes insofern eine Schlüsselstellung ein, als sie einerseits von den üb‐ rigen Gruppenmitgliedern als Informanten und Beurteiler konsultiert werden und andererseits selbst aktiv Informationen von außerhalb sowie von innerhalb der Gruppe sammeln. Ihnen kommt bei der Bildung von Einstellungen anderer Personen eine vergleichsweise große Bedeutung zu. Im Bereich der Kommunikationspolitik im Marketing-Mix wird dieses Konzept verwendet, um eine so genannte zweistufige Kommunikation zwischen Anbieter und Nachfrager aufzubauen (→ Darstellung 2.15). Sender der Information Meinungsführer passive Empfänger der Information Massenkommunikation Individualkommunikation 1 1 2 Massenkommunikation Darstellung 2.15: Vereinfachter Kommunikationsfluss in modernen Industriegesellschaften. 102 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="103"?> Die Kommunikationsinhalte der Massenkommunikation 1 und 2 sind nicht identisch. Meinungsführer sind aufgrund ihrer Sachkenntnis, wenn mög‐ lich mit anderen, detaillierteren - auch technischen - Informationen zu versorgen, sie können mit diesen „etwas anfangen“, wohingegen an die sonstigen Rezipienten meist mit einfacheren Inhalten herangetreten werden muss. Die Individualkommunikation durch Meinungsführer ist relativ fle‐ xibel und bedürfnisorientiert. Für den Anbieter ist sie äußerst wertvoll, da die Wirksamkeit der Individualkommunikation vor allem aus der ver‐ gleichsweise hohen Glaubwürdigkeit der Informationen von Meinungs‐ führern resultiert, da sie als nicht materiell interessiert und kompetent eingestuft werden. Im Kaufverhaltensprozess der übrigen Gruppenmitglieder kommt den Meinungsführern demnach vor allem Bedeutung bei der Bildung von Ein‐ stellungen bzw. Produktpräferenzen zu, während die Massenmedien vor allem in der Lage sind, breiten Schichten Markttransparenz und einfache Produktkenntnisse zu übermitteln. Der Massenkommunikation wird häufig - in einer vereinfachten Sicht - die Funktion zugewiesen, einem Produkt einen bestimmten Bekanntheitsgrad zu verschaffen, während mittels Indi‐ vidualkommunikation insbesondere versucht wird, die Einstellung zum Produkt positiv zu formen. Meinungsführer sind in den meisten Fällen voneinander relativ isoliert, wenngleich sie gelegentlich auch untereinander kommunizieren (z. B. in Internetforen o.ä., vgl. auch Helm et al., 2011; Helm et al., 2013). Im Rahmen der diffusionstheoretischen Überlegungen stehen die Inno‐ vatoren im Mittelpunkt des Interesses. Ihnen und den Meinungsführern kommt für die soziale Kommunikation erhebliche Bedeutung zu; sie sind in der Regel allerdings nicht deckungsgleich, schon allein deshalb, weil Meinungsführer definitionsgemäß dem durchschnittlichen Mitglied des jeweiligen sozialen Systems sehr ähnlich sind, während Innovatoren andere Persönlichkeitsmuster aufweisen. Die Theorie der Meinungsführerschaft versucht eine Erklärung für den Fluss von Informationen in relativ kleinen sozialen Systemen zu liefern, die Diffusionstheorie dagegen eine Erklärung für die Ausbreitung von (neuen) Produkten und Ideen in größeren sozialen Systemen und fokussiert damit auf die interpersonale Ausbreitung von Ideen, Produkten oder Ver‐ haltensweisen. Die Übernahme solcher Neuerungen ist dabei primär von der Innovationsbereitschaft der betreffenden Personen abhängig, welche von Person zu Person unterschiedlich ist. Die Innovationsbereitschaft wiederum 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung 103 <?page no="104"?> wird - anders als die Meinungsführerschaft - als ein Persönlichkeitsmerk‐ mal klassifiziert. Stellt man die Übernahme einer Innovation als Funktion dar, so ergibt sich für ein bestimmtes soziales System nach Rogers (2003) die in → Darstellung 2.16 abgebildete Übernahmeverteilung. Die Abgrenzung der einzelnen Übernehmerkategorien ist natürlich willkürlich, die hier vorgenommene hat sich allerdings als Konvention durchgesetzt. Das Segment der Innovatoren hat in dem idealtypischen Modell einen Anteil von 2,5% aller Übernehmer. Empirische Studien aus dem Marketingbereich haben allerdings - auch vor einem umsetzungsorientierten Hintergrund - zwischen 10 % und 30 % aller Adoptoren als Innovatoren eingestuft sowie vielfach auf die bei Rogers ver‐ wendete weitere Differenzierung verzichtet und nur zwischen Innovatoren und Imitatoren unterschieden, da eine derartige „ideale“ Segmentabgren‐ zung in vielen Fällen unrealistisch erscheinen dürfte (vgl. van den Bulte u. Joshi, 2007). Die Schnelligkeit der Marktdurchdringung kann im Wesentlichen als eine Funktion • der Art der Marktkommunikation (Individualversus Massenkom‐ munikation), • der wahrgenommenen relativen Vorteilhaftigkeit der Neuerung gegenüber den bisher angebotenen Alternativen, • der Verträglichkeit der Neuerung mit etablierten (Konsum-)Normen und Verhaltensweisen sowie • der Erklärungsbedürftigkeit der Neuerung angesehen werden. Den Prozess der intrapersonalen Annahme einer Neuerung bezeichnet man dabei als Adoptionsprozess, der analog dem üblichen Entscheidungsprozess aus verschiedenen Phasen besteht (vgl. im Einzelnen Helm, 2001a, S.-108ff.). 104 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="105"?> frühe Mehrheit späte Mehrheit frühe Übernehmer Innovatoren Nachzügler 0,025 0,135 0,34 0,34 0,16 t ~ f ( ) t ~ t ~ t ~ σ µ -2 t ~ t ~ σ µ t ~ µ t ~ t ~ σ µ + t ~ : = Zeitpunkt der Übernahme einer Neuerung (Zufallsvariable) t ~ µ : = mittlere Zeitpunkt der Übernahme einer Neuerung t ~ σ : = Standardabweichung des Zeitpunkts der Übernahme Darstellung 2.16: Verteilung der Übernahme einer Neuerung. Die Theorie der Meinungsführerschaft und die Diffusionstheorie besitzen für das Marketing erhebliche Bedeutung. So ist es nahe liegend, Meinungs‐ führer oder Innovatoren als erste Zielgruppe zu verwenden. Aufgrund der insgesamt konservativeren Einstellung der Meinungsführer im Vergleich zu der von Innovatoren ist es ratsam, zunächst Innovatoren anzusprechen, die allerdings nicht direkt die Massen beeinflussen, wohl aber als Informan‐ ten der Meinungsführer fungieren können. Der Diffusionsprozess eines Produkts resultiert in einer glaubhaften, persönlichen, mehrstufigen Marktkommunikation, wobei die Innovatoren die Einstellungen der fortgeschrittenen Meinungsführer beeinflussen und diese wiederum die Einstellungen der übrigen Meinungsführer. Wissen | In vielen Fällen ist es unabdingbar, zu Beginn der Marktphase eines Produkts eine gewisse kritische Masse des Marktpotenzials mit gezielten Marketinginstrumenten zu gewinnen, um den Prozess der mehrstufigen Kommunikation in Gang zu setzen und Marktwider‐ stände beispielsweise aufgrund von Unsicherheiten der potenziellen (Massen-)Kunden zu beheben. 2.4 Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt - eine sozialwissenschaftliche Betrachtung 105 <?page no="106"?> Innovatoren entfalten wie Meinungsführer erhebliche Anstrengungen zur Informationsbeschaffung, sind allerdings anders als die Meinungsführer be‐ reit, im „Alleingang“ Neuerungen zu übernehmen. So werden beispielsweise durch das Internet, im Bereich des Soft- und technischen Hardwarevertriebs, Innovatoren und Meinungsführer zu exklusiven Betas oder Vorabzugängen eingeladen, um Neuerungen zu testen und folglich im Dialog mit den Ent‐ wicklern für Verbesserungen zu sorgen. Innovatoren versucht man darüber hinaus häufig auch durch ihnen entsprechende Angebote (nur beschränkte Menge, exklusive Bezugsquellen, zusätzliche Produktinformationen) zum Kauf zu bewegen. 2.5 „Schein und Sein der Produktwelt“: Fallstudien zur Subjektiven Realität Die Komplexität menschlicher Entscheidungsfindungsprozesse beruht zum Teil auf der Vielschichtigkeit der Wahrnehmungs- und Einstellungsbil‐ dungsprozesse. Einen Eindruck von einigen häufig auftretenden Divergen‐ zen zwischen der objektiven und der subjektiv gefärbten Realität soll die Darstellung der Ergebnisse einiger Studien verschaffen. 2.5.1 Fall 1: Wahrnehmung von Bieren bei unterschiedlichen Flaschenetiketten und Marken Im Rahmen einer Untersuchung sollten drei örtlich gebraute und allen Beteiligten bekannte Pilsbiere nach eingehender Verkostung beurteilt wer‐ den. Die Aufgabebestand darin, drei Pilsbiersorten auf der Basis von zwölf Merkmalen zu beurteilen und zusätzlich für jedes Bier ein Gesamturteil abzugeben. Die Auswahl der Merkmalsdimensionen basierte auf Vorstudien. Sie betrafen Eigenschaften, die mit dem Auge (visuell), und solche, die mit dem Geschmackssinn (olfaktorisch) wahrgenommen werden können. Das Besondere dieses Biertestes bestand darin, dass es sich bei den drei alternativen Biermarken um chemisch identische Biere handelte, denen lediglich unterschiedliche Etiketten - und zwar solche der drei konkurrie‐ renden Hersteller - aufgeklebt worden waren. Diese Gleichheit der Produkte war von keinem der Probanden festgestellt worden, im Gegenteil: Die Probanden gaben vergleichsweise einheitlich für die „drei Biere“ jeweils andere Images an. 106 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="107"?> Dieses Verhalten zeigten nicht nur Teilnehmer, die sich als bierunkundig bezeichneten, sondern auch solche, die sich als regelmäßige Biertrinker einer ganz bestimmten Marke ausgegeben hatten. Ohne Zweifel ist der unmittelbare Vergleich einzelner Bierarten der zuverlässigste Vergleichstest, den wir in diesem Bereich kennen, weshalb den Ergebnissen erhebliche Bedeutung zukommt. Die Resultate dieses Experiments können wie folgt zusammengefasst werden: • Bei einer direkten Gegenüberstellung besteht eine eindeutige Präferenz‐ rangfolge der Biermarken. • Die Unterschiedlichkeit der Beurteilung der einzelnen Biermarken gilt nicht nur hinsichtlich des gesamtheitlichen Urteils, sondern auch hinsicht‐ lich der wesentlich weniger scharf diskriminierenden Einzelmerkmale. Als Fazit dieses kleinen Experiments kann festgehalten werden: Wissen | Bei wahrgenommen homogenen Gütern bestimmt die - in diesem Fall bekannte - Marke wesentlich stärker das Image eines Produkts als die konkrete Probe des Produkts. Aber auch unbekannte Namen können bestimmte positive Assoziationen hervorrufen. 2.5.2 Fall 2: Mehrwert von Marken und Einkaufsstätten bei Kühlschränken Es erscheint einleuchtend, dass bei homogenen Produkten wie Bier das Image relativ weit von den tatsächlichen Gegebenheiten entfernt ist; übli‐ cherweise wird eine solche Divergenz allerdings nicht bei eher technisch orientierten Produkten, wie beispielsweise bei Kühlschränken, vermutet. Die Daten wurden im Rahmen einer standardisierten Befragung von repräsentativ ausgewählten Personen erhoben. Letztlich sollte im Rahmen dieser Untersuchung auch geklärt werden, welcher Gegenwert der Kenn‐ zeichnung eines Produkts - in isolierter Betrachtungsweise - zukommt. Dahinter steht die Vorstellung, dass Marken und Preise für die Kaufentschei‐ dung von Konsumenten die entscheidenden Schlüsselmerkmale darstellen. Im vorliegenden Fall waren sechs Marken von Kühlschränken der 160-Li‐ ter-Klasse auf einem vergleichbaren Preisniveau in das Experiment einbe‐ zogen. Berücksichtigt wurden drei Herstellermarken (bspw. Bosch) sowie drei Handelsmarken. 2.5 „Schein und Sein der Produktwelt“: Fallstudien zur Subjektiven Realität 107 <?page no="108"?> Es zeigte sich, dass die Konsumenten bei ansonsten „gleichen“ Produkten den Marken unterschiedliche Werte zubilligten. So wurde der am besten ein‐ gestuften Herstellermarke gegenüber einem Handelsmarken-Kühlschrank immerhin ein Mehrwert von 44,10 zugewiesen, d. h. ein „durchschnittlicher Konsument“ war bei ansonsten absoluter Identität für einen Kühlschrank ebendieser Herstellermarke bereit, 44,10 mehr zu bezahlen als für den anderen Kühlschrank. Die relative Bedeutung dieser markenbezogenen Mehrwerte zeigt ein Vergleich zu den Mehrwerten der Eigenschaften Fachgeschäft vs. Verbrauchermarkt (43,50 vs. 16) sowie ein um ein Drittel geringerer Verbrauch (75,70). Wissen | Konsumenten sind offensichtlich bereit, imaginären Qua‐ litätsmerkmalen eine erhebliche Bedeutung zuzuweisen. Dies ge‐ schieht, obwohl sie davon ausgehen (können), dass jeweils das gleiche technische Produkt präsentiert wird. Sind diese dem Anbieter bekannt, ergeben sich Potenziale für Preiszuschläge und Wettbewerbsdifferen‐ zierungen. Dieser zugebilligte Mehrwert kann nur so erklärt werden, dass Konsumen‐ ten offensichtlich willens sind, für die Garantie einer bestimmten Qualität (Marke) bzw. eines gewissen Services (Einkaufsstätte) bei ansonsten glei‐ chen technischen Ausprägungen erhebliche Beträge auszugeben. 2.5.3 Fall 3: Physikalisch-chemische Eigenschaften versus Image Der Nachweis der - zumindest häufig - höheren Relevanz der Scheinwelt als der physikalischen Welt für die ökonomische Realität soll an einem letzten Beispiel nochmals bei Bier demonstriert werden. Im Rahmen einer Untersuchung wurden Fragen der Imagebildung bei Bier einer Analyse unterzogen, zugleich wurde die Bedeutung technischer Merkmale für den Markterfolg hinterfragt. Um das „chemische Profil“ der einzelnen Biersorten zu erhalten, wurde für die acht in die Untersuchung einbezogenen Biere eine chemische Bieranalyse vorgenommen (→ Darstel‐ lung 2.17). 108 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="109"?> objektive Eigenschaften Marke Stammwürze (in %) Rest‐ ex‐ trakt (in %) Bitterge‐ halt (in EBU- Einh.) Farbe (in EBC- Einhei‐ ten) CO 2 - Gehalt (in Gew.-%) Alko‐ holgehalt (in Vol.-%) Vergä‐ rungs‐ grad (in-%) 1: 11,8 4,70 33,5 8,0 0,47 3,67 74,2 2: 11,9 5,37 33,5 9,5 0,48 3,37 67,6 3: 11,9 4,78 29,0 7,5 0,50 3,69 73,8 4: 11,6 4,26 27,0 7,5 0,50 3,76 77,9 5: 11,7 3,80 19,0 7,0 0,47 4,08 83,3 6: 11,3 4,34 19,5 9,5 0,56 3,58 76,0 7: 11,3 4,29 19,0 9,5 0,51 3,61 76,5 8: 11,7 4,08 20,8 7,5 0,52 3,93 80,3 Biermarken: 1: König-Pilsener; 2: Pilsner Urquell; 3: Dona-Bräu Pils; 4: Top-Bräu Pils; 5: Augustiner Hell; 6: Löwenbräu Hell; 7: Top-Bräu Hell; 8: Dona-Bräu Hell Darstellung 2.17: Ergebnisse einer chemischen Bieranalyse. Die Eigenschaftsprofile der einzelnen Biere weichen zum Teil stark vonein‐ ander ab, zum Teil sind sie allerdings auch fast identisch. Berücksichtigt man die ohne Zweifel nur beschränkt vorhandene Fähigkeit des Menschen, geringe Geschmacksunterschiede festzustellen, so dürfte offensichtlich sein, dass die oben aufgezeigten Unterschiede hinsichtlich der chemisch-physi‐ kalischen Eigenschaften nicht die auf dem Markt vorzufindenden deutlich vorhandenen Vorlieben erklären können. Um die Ursachen der Differenzen hinsichtlich der Produkte zu erklären, wurde ein für ein bestimmtes Absatzgebiet repräsentativer Bevölkerungsqu‐ erschnitt hinsichtlich mancher Biereigenschaften eingehend befragt. Dabei wurden von den Personen zum Teil alternative Biere probiert, zum Teil wurden sie aber auch aufgefordert, die alternativen Biermarken aus dem Gedächtnis heraus zu beurteilen. Drei Untersuchungsanordnungen wurden dabei unterschieden: 2.5 „Schein und Sein der Produktwelt“: Fallstudien zur Subjektiven Realität 109 <?page no="110"?> • Blindtest (Bt): Bei diesem Test wurden den Personen unetikettierte Flaschen gereicht; die Biere wurden von ihnen gekostet; anschließend hatten sie anhand eines standardisierten Fragebogens ihr Urteil zu den einzelnen Bieren abzugeben. • Produkttest (Pt): Bei diesem Befragungsteil wurden andere, ebenfalls repräsentativ ausgewählte Probanden gebeten, die relevanten Biere, die aus etikettierten Flaschen ausgeschenkt wurden, nach einer Probe zu beurteilen und das Urteil anhand desselben standardisierten Fragebo‐ gens niederzuschreiben. • Einstellungsbefragung (Eb): Der realen Kaufsituation entsprechend wurden wiederum repräsentativ ausgewählte Probanden gebeten, die‐ selben acht Biermarken aus dem Gedächtnis heraus zu beurteilen. Die Ergebnisse bezüglich des Blind- und des Einstellungstestes sind in → Darstellung 2.18 und → Darstellung 2.19 wiedergegeben. Blindtest (gemessen mittels Ratingskalen) Marke würzig / bierig vollmundig bitter mild spritzig malzig süffig 1: +16 +5 +84 -102 -41 -95 -36 2: +75 +80 +61 -18 +23 -93 +36 3: +58 +75 +35 -49 +47 -95 +49 4: -21 -12 -9 -16 -19 -78 -26 5: +11 +7 -66 +9 +2 -36 +25 6: -21 -30 -100 +49 -30 -40 +28 7: -26 -40 -67 +33 -26 -79 -9 8: -49 -49 -58 +7 -42 -60 -30 Biermarken: 1: König-Pilsener; 2: Pilsner Urquell; 3: Donau-Bräu Pils; 4: Top-Bräu Pils; 5: Augustiner Hell; 6: Löwenbräu Hell; 7: Top-Bräu Hell; 8: Donau-Bräu Hell Darstellung 2.18: Ergebnisse des Blindtests (unetikettierte Flaschen, Verköstigung; Wer‐ tebereich -200 bis +200). 110 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="111"?> Die Unterschiede der Werte der einzelnen Befragungssituationen sind evi‐ dent und signifikant; sie können im vorliegenden Fall nicht allein durch Unterschiede in den Stichproben erklärt werden Einstellungsbefragung (gemessen mittels Ratingskalen) Marke würzig / bierig vollmundig bitter mild spritzig malzig süffig 1: +104 +138 +75 -40 +154 -150 +88 2: +144 +149 +38 -49 +102 -123 +95 3: -8 -39 +8 -18 -18 -100 -18 4: +7 -10 +38 -33 -10 -90 -2 5: +63 +67 -92 +33 +46 -46 +79 6: +22 +5 -85 +8 +2 -55 +50 7: -114 -126 -67 -7 -98 -84 -75 8: -93 -107 -90 +15 -63 -90 -80 Biermarken: 1: König-Pilsener; 2: Pilsner Urquell; 3: Donau-Bräu Pils; 4: Top-Bräu Pils; 5: Augustiner Hell; 6: Löwenbräu Hell; 7: Top-Bräu Hell; 8: Donau-Bräu Hell Darstellung 2.19: Ergebnisse der Einstellungsbefragung (etikettierte Flaschen, keine Ver‐ köstigung; Wertebereich -200 bis +200). Will man die Ergebnisse der einzelnen Tests einander gegenüberstellen, so ist es erforderlich, sie wegen der je Messvorgang unterschiedlichen Werte‐ bereiche in Rangwerte zu überführen, wobei eine „Eins“ den unter allen acht Biermarken jeweils höchsten und eine „Acht“ den jeweils niedrigsten Wert anzeigt. Ein Ausschnitt der empirischen Befunde ist in → Darstellung 2.20 wiedergegeben. Betrachtet man die unterschiedlichen Testergebnisse, so entsteht unmit‐ telbar die Frage, welche der Ergebnisse für das reale Kaufverhalten die größte Relevanz besitzen. Die Prognosetauglichkeit wurde im vorliegenden Fall statistisch quantifiziert, wobei ein Wert von 0 keinen Zusammenhang und ein Wert von 1,0 den maximal möglichen Zusammenhang darstellt. Die Verhaltensrelevanz der verschiedenen Ergebnisse gibt → Darstellung 2.21 wieder. 2.5 „Schein und Sein der Produktwelt“: Fallstudien zur Subjektiven Realität 111 <?page no="112"?> Vergleich der Beurteilungen (gemessen mittels Ratingskalen) - Kohlensäure (spritzig) Extrakt (vollmundig) Marke ChA Bt Pt Eb ChA Bt Pt Eb 1: 7,5 7 2 1 3 4 2 2 2: 6 2 1 2 1 1 1 1 3: 4,5 1 5 6 2 2 6 6 4: 4,5 4 4 5 6 5 5 5 5: 7,5 3 3 3 8 3 3 3 6: 1 6 6 4 4 6 4 4 7: 3 5 7 8 5 7 8 8 8: 2 8 8 7 7 8 7 7 Biermarken: 1: König-Pilsener; 2: Pilsner Urquell; 3: Donau-Bräu Pils; 4: Top-Bräu Pils; 5: Augustiner Hell; 6: Löwenbräu Hell; 7: Top-Bräu Hell; 8: Donau-Bräu Hell Darstellung 2.20: Beurteilungen im Vergleich (Rangwerte). Zusammenhang zwischen tatsächlichem Kauf‐ verhalten und … chemischer Analyse 0,29 Blindtest 0,49 Produkttest 0,50 Einstellungsbefragung 0,69 Darstellung 2.21: Verhaltensrelevanz der Marktforschungsergebnisse und der chemischen Bieranalyse anhand der erfragten tatsächlichen Markenwahl und den Forschungsresultaten. Aus der kurz vorgestellten Studie lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: • Zwischen den chemisch-physikalischen Eigenschaften und den von den Probanden wahrgenommenen Eigenschaften besteht im vorlie‐ genden Fall nur ein relativ loser Zusammenhang. • Der Einstellungstest ist im vorliegenden Fall mit deutlichem Abstand dasjenige Instrument, das am besten die tatsächlichen Marktverhält‐ nisse wiederzugeben in der Lage ist. 112 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="113"?> Insofern ist ein wirkliches Verständnis für das Zustandekommen dieser Beurteilungen für das Marketing unabdingbar! Wissen | Marken haben einen erheblichen Einfluss auf die (Quali‐ täts-)Wahrnehmung der Nachfrager, d. h. dass nicht nur die objektiven Gegebenheiten, sondern auch Marken das Produktimage stark prägen. Ziel muss daher sein, der Marke ein entsprechendes Image zu verleihen, das die geplante Wahrnehmung des Produktangebots unterstützt. Wissen | Der Schein der Produktwelt, d. h. das, was die Nachfrager glauben zu wissen, beeinflusst das tatsächliche Marktverhalten der Nachfrager stärker als ihre chemisch-physikalisch beschriebene Wirklichkeit. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen Die bisher entwickelten Überlegungen zum Kaufverhalten waren weitgehend auf den privaten Käufer abgestellt. Hinsichtlich der Bedarfsentstehung und hinsichtlich des Ablaufs des Vorkauf-Kauf-Nachkauf-Prozesses können einige Unterschiede (vgl. dazu → Abschnitt 2.1.1) zwischen dem Konsumgüter- und dem gewerblichen Bereich bestehen. Zunächst soll daher eine Analyse der Unterschiedlichkeit der Kaufprozesse angestellt werden, anschließend sind einige Spezifika des Verhaltens gewerblicher Abnehmer zu beleuchten. 2.6.1 Konsumtive und nicht-konsumtive Entscheidungsprozesse im Vergleich Konsumtive Kaufentscheidungsprozesse betreffen so unterschiedliche Pro‐ dukte wie Brot, Waschmittel, Kosmetika, Personenkraftwagen, Kleidung und Wohnungsgegenstände; nicht-konsumtive Kaufentscheidungen betref‐ fen die gleichen Produktkategorien, daneben aber auch Fabrikanlagen, Lastwagen, EDV-Systeme, Kugelschreiber und Ersatzteile. An sich ist das Marketing universell angelegt, es macht daher keinen Unterschied, welche Art von Produkten an wen verkauft werden (vgl. McDonald, 2008, S. 12). Allerdings macht diese kleine Liste bereits deutlich, dass von einheitlich verlaufenden Kaufentscheidungsprozessen weder im einen noch im anderen Bereich ausgegangen werden kann. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 113 <?page no="114"?> Häufig anzutreffen ist nachfolgende Typologie der Verhältnisse auf Kon‐ sumgütermärkten und auf Märkten des nicht-konsumtiven Bereichs (→ Darstellung 2.22). Hierin werden naturgemäß nur die wichtigsten Kennzei‐ chen der beiden Markttypen berücksichtigt; implizit stehen bei obiger Ty‐ pologie Verbrauchsgüter (z. B. Lebensmittelprodukte) für den konsumtiven Bereich und Anlagegüter (z. B. Großmaschinen) für den nicht-konsumtiven Bereich Pate; für andere Produkte der beiden Bereiche gelten stark davon abweichende Gesetzmäßigkeiten, wobei sich dann das jeweilige Verhalten angleichen kann. Merkmale Konsumgütermarkt Produktivgütermarkt Struktur der Be‐ darfsträger große Zahl, nicht einzeln bekannt geringer durchschnittli‐ cher Bedarf originärer Bedarf geringe Zahl, einzeln bekannt großer durchschnittlicher Bedarf derivativer Bedarf Bedarfsträger im Buying Center organisiert Verhalten der Bedarfsträger eingeschränktes Infor‐ mationsbedürfnis eingeschränkte Beschaf‐ fungsanstrengungen teilweise Laien keine formalisierte Ent‐ scheidungsfindung großes Informationsbedürfnis umfangreiche Beschaffungsanst‐ rengungen Fachleute (oft Gremien) formalisierte Entscheidungsfin‐ dung Interaktivität im Entscheidungs‐ prozess Struktur der Be‐ ziehung eher transaktionsorien‐ tiert langfristig, auf wiederholte Transaktionen angelegt Art der Leistungen Einzelleistungen massengefertigte Leis‐ tungen (d.-h. lose Lieferanten-Kun‐ den-Beziehungen) Systemlösungen im Auftrag gefertigt (d.-h. enge Lieferanten-Kunden-Bezie‐ hung und -Interaktion) mehrere - auch externe Wert‐ schöpfungsstufen hohe Bedeutung von zusätzlichen Dienstleistungen Distribution der Leistungen mehrstufiger Vertrieb über Handelspartner Direktvertrieb über eigenes Per‐ sonal stark international Kommunikation der Leistungen unpersönliche, intensive Massenwerbung persönliche Kommunikation Darstellung 2.22: Typische Kennzeichen von Märkten des konsumtiven und solchen des nicht-konsumtiven Bereichs. 114 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="115"?> Das hervorstehende Merkmal nicht-konsumtiver Kaufentscheidungen ist, dass die Nachfrage nach solchen Produkten und Diensten weitgehend derivativ und nicht originär ist. Wissen | Nicht-konsumtive Nachfrage hängt somit entscheidend von der Nachfrage nach den originären Produkten ab. Insofern sind für die Marketingplanung die Kenntnisse über die tatsächlichen Letztver‐ braucher für viele Produktivgüterhersteller äußerst wertvoll. Basierend auf den Überlegungen, die zum Konsumentenverhalten entwi‐ ckelt wurden, lässt sich ein Kontinuum unterschiedlichen Ausmaßes rational geprägter Kaufentscheidungsprozesse entwickeln, wie es in → Darstellung 2.23 abgebildet ist. ganzheitliche Beschreibung des Kaufentscheidungsprozesses vorwiegend mikroökonomisch geprägtes Verhaltensmuster vorwiegend psychologisch geprägtes Verhaltensmuster produktbezogene Determinanten der Prozessbestimmung Produkte, die anhand ihrer technischen Merkmale beurteilt werden Produkte, die nur anhand von Schlüsselmerkmalen beurteilt werden Produkte, die in sozialer Isolation konsumiert werden Produkte, die vor allem als Prestige oder Schauprodukte verwendet werden käuferbezogene Determinanten der Prozessbestimmung Produkte, die relativ teuer sind bzw. große Änderungen bedingen Produkte, die relativ billig sind bzw. deren Ver- oder Gebrauch unproblematisch ist Personen mit großer Produktkenntnis Personen ohne große Produktkenntnis Darstellung 2.23: Typen von Kaufentscheidungsprozessen nach Produkten. Wissen | Unabhängig davon, ob es sich um Kaufentscheidungen von privaten oder gewerblichen Nachfragern handelt, bestimmen pro‐ dukt- und situationsspezifische Rahmenbedingungen, inwieweit klassische Verhaltensaspekte oder eher rationale/ formale Entschei‐ dungsabläufe zum Tragen kommen. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 115 <?page no="116"?> Für den Bereich der konsumtiven Nachfrage ist die Unterscheidung zwi‐ schen extensiven, begrenzten und habitualisierten Entscheidungsprozessen vorgenommen worden; in Erweiterung dieser Einteilung kann eine Unter‐ teilung der Produktivgüter-Kaufprozesse nach folgenden drei Kriterien erfolgen: • Grad der Neuartigkeit des Kaufentscheidungsproblems mit den beiden extremen Ausprägungen „reiner Wiederholungskauf “ und „erstmaliger Kauf “. • Ausmaß des organisatorischen Wandels, den der Ausgang der Kauf‐ entscheidung in der Institution induziert (gering oder groß). Relativer Wert des Objekts, über das entschieden wird. Die daraus resultierenden diversen Kombinationen sind in → Darstellung 2.24 verdeutlicht. extensive Kaufentscheidungsprozesse streng habitualisierte Kaufentscheidungsprozesse groß groß klein klein klein groß organisatorischer Wandel Wert Neuartigkeit A A C = = Darstellung 2.24: Typologie der Kaufentscheidungsprozesse nach Maßgabe der Prozess‐ habitualisierung. 116 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="117"?> Im Hinblick auf den Grad der Habitualisierung stellen die Typen A und C Extrempunkte dar. Kaufentscheidungsprozesse vom Typ C sind solche, bei denen ein Erstkauf vorliegt, der erwartete Wandel beachtlich und der relative Wert des in Frage stehenden Objektes groß sind. Während im Fall A vergleichsweise standardisierte Formen der Entschei‐ dung üblich sind, herrschen im Fall C häufig äußerst komplexe Entschei‐ dungsformen vor. Während Kaufentscheidungsprozesse vom Typ A meist nur von einer Person vorgenommen werden, oft sogar die Bestellung automatisiert durch EDV-Systeme bzw. über das Internet oder über elektro‐ nische Marktplätze erfolgt (Nachbestellungen), herrscht für Entscheidungs‐ prozesse vom Typ C eine starke Partialisierung des Kaufentscheidungsproz‐ esses vor. Wissen | Die Unterschiedlichkeit des situativen Kaufentscheidungs‐ prozesses bedingt eine Anpassung des Marketing-Mix des Anbieters. Wie auch immer die Kaufentscheidungsprozesse im konsumtiven und im nicht-konsumtiven Bereich zu beschreiben bzw. voneinander zu unterschei‐ den sind, es spricht alles dafür, nicht von der Dichotomie konsumtiver und nicht-konsumtiver Kaufentscheidungen auszugehen. Für einen fließenden Übergang spricht nicht zuletzt auch der Tatbestand, dass dieselbe Person, die zu einem bestimmten Zeitpunkt teils emotional, teils rational die Kon‐ sumentscheidung trifft, zu einem anderen Zeitpunkt die nicht-konsumtive Entscheidung trifft. Es erscheint daher angebracht, von einem Kontinuum mehr oder weniger rationaler Kaufentscheidungen auszugehen, wie es in → Darstellung 2.25 angedeutet ist. mehr mikroökonomisch geprägte Entscheidungen mehr psychologisch geprägte Entscheidungen Verbrauchsprodukte mit hohem Symbolwert und geringen objektiven Unterschieden zwischen den einzelnen Marken, z.B. Kosmetika, Kleidung Alltagsprodukte des konsumtiven Bereichs, die nicht sozial konsumiert werden und relativ gut beurteilt werden können, z.B. Brotwaren langfristig genutzte Gebrauchsgüter mit unklarem technischen Beurteilungsmuster, z.B. Geschirrspülmaschinen, Dienstwagen Gebrauchsprodukte ohne Prestigecharakter, die technisch klar unterschiedliche Profile aufweisen und für die eindeutige Anforderungsprofile vorliegen, z.B. Industrieanlagen, Nachfüllprodukte Darstellung 2.25: Rationalitäts-Emotionalitäts-Kontinuum der Kaufentscheidungen. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 117 <?page no="118"?> 2.6.2 Ein einfaches Prozessmodell Wenn auch das Beurteilungskriterium rational/ emotional als dominieren‐ des Merkmal zur Unterscheidung konsumtiver und nicht-konsumtiver Kaufentscheidungen entfällt, so verbleiben dennoch einige Charakteris‐ tika nicht-konsumtiver Kaufentscheidungen, die in den nachfolgenden Ab‐ schnitten beleuchtet werden sollen. Eine Gesamtsicht der nicht-konsum‐ tiven Kaufentscheidungsprozesse und des Beschaffungsverhaltens von Organisationen vermittelt → Darstellung 2.26, wobei in der Literatur eine Vielzahl an Varianten dieser allgemeinen Darstellung zu finden ist (vgl. Backhaus u. Voeth, 2014). Buying Center Phasenablauf Bildung organisationaler Präferenzen organisationale Entscheidung und Verhandlung Angebotseinholung realisierbarer Alternativen Bildung individueller Präferenzen in Betracht gezogene Alternativen Interaktionsstrukturen Bewertungskriterien Informationsquellen Individuelle Entscheidungsträger im Buying Center Umweltrestriktionen  physischer,  technologischer,  ökonomischer und  sozialer Art Organisationserfordernisse  technischer und  finanzieller Art Bedarfserkennung Darstellung 2.26: Gesamtmodell des Beschaffungsverhaltens von Organisationen | Quelle: Backhaus in Anlehnung an Choffray u. Lilien, 1980. 118 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="119"?> In → Darstellung 2.26 wird das Wechselspiel zwischen Entscheidungen von Individuen und Entscheidungen von Personenmehrheiten hervorgehoben, wobei davon ausgegangen wird, dass jeweils zuerst eine individuelle und dann eine organisationale Entscheidungsphase erfolgt. 2.6.3 Mehrpersonenentscheidungen 2.6.3.1 Buying Center Häufig wird die Ansicht vertreten, dass der Kaufentscheidungsprozess im nicht-konsumtiven Bereich relativ rational abläuft; begründet wird dies zumeist damit, dass an der Entscheidung in der Regel mehrere Per‐ sonen bzw. Institutionen teilhaben. Diese Schlussfolgerung „Vielzahl von Entscheidungsträgern - höhere Rationalität der Entscheidung“ ist allerdings fragwürdig, sind doch viele Entscheidungen von Gremien primär politischer Natur, d. h. dass Fragen der Machtbalance zwischen den einzelnen Mitgliedern der Entscheidungseinheit den Ausgang der Entscheidung domi‐ nieren. Vielfach geht es dabei nicht mal um die sachliche Durchsetzung der eigenen Meinung, sondern um das persönliche In-den-Vordergrund-Treten bzw. Festigen der eigenen Position und persönliche Weiterkommen. Bei der Analyse industrieller Beschaffungsentscheidungen wurde er‐ kannt, dass sich für bestimmte Kaufentscheidungstypen häufig einzelne Personen zu problembezogen gebildeten Gruppen zusammenfanden. Diese Gruppen werden Buying Center genannt. Dabei wird zwischen unter‐ schiedlichen Rollen im Rahmen institutioneller Kaufentscheidungen diffe‐ renziert (→ Darstellung 2.27) (vgl. Backhaus u. Voeth, 2014). Kaufentscheidung Einkäufer Benutzer Entscheider Beeinflusser Informationsselektierer (Gatekeeper) Darstellung 2.27: Mitglieder eines Buying Centers. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 119 <?page no="120"?> Häufig nimmt eine Person im Buying Center mehrere Rollen ein, auch kön‐ nen mehrere Personen eine Rolle übernehmen, wobei diese Differenzierung häufig auch noch durch sachliche Unterschiede bedingt ist, wie das Beispiel Lastkraftwagen verdeutlicht. Beispiel | Da der Kauf von schweren Lastkraftwagen erhebliche finan‐ zielle Mittel bindet, wird er häufig von der Geschäftsleitung vorgenom‐ men. Der Einkäufer ist in diesem Fall - um es in der Sprache des Konsumentenverhaltens auszudrücken - häufig nicht viel mehr als der Kaufagent, die Entscheidung selbst wird auf höherer Ebene beschlossen, auf dessen Entscheidung etwa der Fuhrparkleiter (Reparaturmöglichkeit der alternativen Fahrzeuge etc.), die Fahrer (Komfort etc.) und Kollegen (Erfahrungen) einwirken. Gatekeeper könnte in unserem Beispiel der Assistent der Geschäftsleitung sein. Nicht nur die Identifikation der Beteiligten im Buying Center ist von Inter‐ esse, sondern auch ihre positiven oder negativen Beziehungen zueinander, um entsprechend dieses imaginären Netzwerks agieren zu können. Beispiel | Als Einkäufer bezeichnet man dabei denjenigen, der Kaufab‐ schlüsse tätigt und abwickelt; diese Person hat im Lastkraftwagenbei‐ spiel ein besonderes Interesse an einer reibungslosen Vertragsabwick‐ lung und großzügigen Garantieregelung für Ernstfälle. Für die Benutzer (Fahrer) steht naturgemäß der Benutzungskomfort im Mittelpunkt; der Finanzvorstand ist in der Regel vor allem an den zu erwartenden Kosten und Erträgen interessiert; der Fuhrparkleiter ist wahrscheinlich vor allem an der Vermeidung von Stillstandszeiten und den damit unvermeidlichen Komplikationen interessiert. Das Marketing eines Lastkraftwagenherstellers wird bei einer solchen Aus‐ gangslage jedem Element des Buying Centers das auf ihn zugeschnittene Argument anbieten, was oft zur Folge hat, dass für den Verkauf eines Produkts unterschiedliche Werbematerialien (Argumentationshilfen) für Personen des gleichen Unternehmens entwickelt werden. 120 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="121"?> Bei noch komplexeren Beschaffungssituationen bietet es sich teilweise für den Anbieter an, dem Buying Center ein entsprechend besetztes Selling Center gegenüberzustellen. 2.6.3.2 Promotoren Eine andere, aber mit dem Konzept des Buying Centers verwandte Betrach‐ tungsweise industrieller Einkaufsentscheidungen ist diejenige nach dem Promotorenmodell (vgl. Witte, 1973). Als Promotoren werden Mitglieder des Buying Centers bezeichnet, die den Kaufentscheidungsprozess aktiv fördern bzw. auf ihn erheblichen Einfluss haben. Diese Personen werden in Fach-, Macht- und Prozesspromotoren unterteilt. Fachpromotoren sind dann diejenigen Personen, die aufgrund ihrer sachlich bedingten Kompetenz - unabhängig von ihrer hierarchischen Einbindung in das Unternehmen - einen Einfluss auf das Ergebnis der Entscheidung ausüben. Machtpromotoren sind demgegenüber diejenigen Personen, die über die formale Entscheidungsmacht (hierarchische Position) verfügen. In beiden Promotorenkategorien sind zusätzlich noch Opponenten zu betrachten, die den Kaufprozess verlangsamen bzw. behindern. Schließlich kommt den Prozesspromotoren die Rolle zu, aufgrund ihrer Beziehungen im Buying Center den Argumentationsfluss zwischen den anderen Beteiligten zu unterstützen. Wissen | Bei Kaufentscheidungen im Buying Center ist es für den Anbieter wichtig, die einzelnen Mitglieder, deren Ausgangslage im Entscheidungsprozess sowie die Beziehungen zueinander zu iden‐ tifizieren. Dem Promotorenmodell zufolge sollte für die Erreichung eines bestimmten Entscheidungsausgangs stets ein Promotoren-Gespann (Fach- und Macht‐ promotor) im Sinne der Entscheidung positiv beeinflusst werden; die Fachpromotoren gewährleisten dabei die fachliche Richtigkeit, die Macht‐ promotoren die organisatorische Absicherung: Die Einschaltung nur eines Promotorentyps ist demnach wenig Erfolg versprechend, weil bei fehlen‐ dem Engagement des Machtpromotors die Entscheidung z. B. für einen Lastkraftwagen von anderen organisatorischen Einheiten blockiert wird und weil bei fehlender Einbindung des Fachpromotors dem Machtpromotor die Argumentation für die Entscheidung unnötig erschwert wird. 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 121 <?page no="122"?> Das Buying-Center-Konzept und das Promotoren-Konzept initiieren Überlegungen zur Abgrenzung der mit der Kaufentscheidung überhaupt befassten Personen. Im Kontext der digitalen Transformation von Unternehmen haben Endres u. Hüsig (2022) das Promotorenmodell erweitert und das Konzept der Digi‐ tal Innovation Champions entwickelt und eingeführt. Dabei beleuchten sie im weitesten Sinne, wie Promotoren, die oftmals auch als Champions bezeichnet werden, die digitale Transformation von Unternehmen fördern können und dadurch die Innovationsleistung der Unternehmen steigern. Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Promotoren-Studien wird aufgezeigt, dass der Einsatz von Führungskräften aus bestimmten Unternehmensbe‐ reichen sogar kontraproduktiv für die digitale Transformation sein kann. Zusammen mit anderen aktuellen Studien werden durch die Ergebnisse auch die Besonderheiten des digitalen Innovationsmanagements deutlich (vgl. Endres et al., 2022; Hüsig u. Endres, 2018; Pesch et al., 2021). 2.6.4 Interaktive Mehrphasenprozesse Auch industrielle Kaufentscheidungen sind häufig in mehrere Phasen zu untergliedern (→ Darstellung 2.26). Sie sind oft auch noch dadurch gekenn‐ zeichnet, dass es zu ausgedehnten Interaktionen zwischen Käufern und Verkäufern kommt. Für Konsumgüter des Massenbedarfs können Interaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten zumeist schon aufgrund der Vielzahl der Personen nicht etabliert werden. Die Beziehungen zwischen Produktions- und Handelsunternehmen dagegen sind von relativ vielen Interaktio‐ nen gekennzeichnet, insbesondere dann, wenn ein gewisses Machtgleich‐ gewicht besteht (vgl. → Kapitel 7). Es kommt dann oft zu ausgedehnten Verhandlungen zwischen den Beteiligten. Für den Ablauf von Investitionsgüterentscheidungen existieren unter‐ schiedliche Ablaufschemata. Entsprechend der andersartigen Problemlage werden dabei die drei Fälle • Erstkauf, • Lieferantenwechsel und • Wiederholungskauf beim gleichen Lieferanten unterschieden. Je nach Produkt findet sich beim Erstkauf oft das komplette Buying Center (oftmals dominiert vom technischen Personal), beim Liefer‐ 122 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="123"?> antenwechsel der entsprechende (technische) Einkäufer und beim Wieder‐ holungskauf die Disponenten der Einkaufsabteilung bzw. in automatisierter Form die EDV (vgl. Foscht et al., 2017, S.-310-312). Alle Phasen der Kaufentscheidung sind durch unterschiedlich ausge‐ prägte Interaktionen zwischen den Verkäufern und den Käufern bestimmt (→ Darstellung 2.28). Kaufobjekt Verkäufer/ Käufer Interaktionsintensität problemlose Produkte des Massenverbrauchs (Lebens‐ mittel) Hersteller/ Konsumen‐ ten (über Handel) fast keine Interaktion problemhafte Produkte für Konsumenten (komplexe Elektrogeräte) Handelsunterneh‐ men/ Konsumenten geringe Interaktion in Form von Anwendungs‐ beratung und Kunden‐ dienst problemlose Produkte des Massenverbrauchs (Lebens‐ mittel) Hersteller/ Handelsun‐ ternehmen mittelmäßig intensive Interaktion, z.-B. zur Klärung der Produkt- und Lieferausgestaltung Büromaterial Hersteller/ Käufer geringe Interaktion Fabrikanlagen Hersteller/ Käufer sehr hohe Interaktion Darstellung 2.28: Beschreibung der Kaufentscheidungsprozesse nach der Interaktionsin‐ tensität. Wissen | Je intensiver die Interaktion zwischen Anbieter und Nach‐ frager für das entsprechende Kaufobjekt ist, desto weniger uniform darf die Ausgestaltung des Marketings gegenüber den unterschiedlichen Kunden sein. Die Marketingpolitik muss demnach umso mehr den Bedürfnissen der einzelnen Nachfrager angepasst werden. Die Anpassung kann sich dabei unter anderem auf die Produktgestaltung, den Preis, die Außendienststrate‐ gie und die werbliche Ansprache erstrecken; sie vollzieht sich zumeist in einer Art gegenseitigem Anpassungszyklus (→ Darstellung 2.29). 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 123 <?page no="124"?> Angebotserarbeitung mit Kooperationspartner Angebotsabgabe an Kunde Auftrag Anfrage Auftragsabwicklung Vorakquisition Angebotsphase Kundenverhandlungsphase anbieterinterne Verhandlungsphase Darstellung 2.29: Interaktionszyklus im Kaufentscheidungsprozess | Quelle: Backhaus, 1982, S.-70. Wissen | Kaufentscheidungen für nicht-konsumtive Zwecke sind demnach mehrpersonal, mehrphasig und durch eine relativ hohe Interaktivität gekennzeichnet. Diese Attribute gelten vergleichsweise selten auch für Kaufentscheidungen, die konsumtive Zwecke betref‐ fen. 2.6.5 Plattformbasierte Beschaffung gewerblicher Abnehmer Da mittlerweile die Beschaffung nicht-konsumtiver Güter bis zu einer mittleren Komplexität oftmals über virtuelle Einkaufsplattformen stattfin‐ det, ist hier das Interaktionsgeflecht von Verkäufer und Käufer in er‐ heblichem Umfang verändert. Der Begriff der elektronischen Marktplätze oder Einkaufsplattformen umschreibt dabei die Informations- und Kommu‐ nikationssysteme, welche Infrastruktur bereitstellen, Markttransaktionen unterstützen und damit physische Marktplätze ersetzen. Neue Marktteilnehmer können in die Geschäftsbeziehung drängen, das (Dienst-)Leistungsangebot wird individueller, Lieferanten-Wechselbarrie‐ ren von Abnehmern sinken und Geschäftsprozesse werden dadurch anony‐ mer (vgl. Helm et al., 2002). 124 2 Das Verhalten der Nachfrager <?page no="125"?> Wie bereits angedeutet, zeichnen sich die Beziehungen zwischen Zulie‐ ferern und Abnehmern im B2B-Bereich durch eine vergleichsweise hohe Komplexität und auch Langfristigkeit aus. Diese begründet sich mit häu‐ fig individuell verhandelten Kontrakten, einer vergleichsweise anspruchs‐ vollen datentechnischen Transaktionslogik und damit dem Bestreben, eine Optimierung der Geschäftsprozesse in der Wertschöpfungskette (Industrie 4.0) zu erreichen und dabei differenzierte Anforderungsprofile für den physischen Warenübergang zu berücksichtigen. Das gegenseitige Vertrauen der Geschäftspartner hat dabei eine heraus‐ ragende Bedeutung für die Qualität von Geschäftsbeziehungen. Es ist anzu‐ nehmen, dass die Wichtigkeit des Konstrukts Vertrauen bei Einschaltung von elektronischen Märkten (vgl. Helm u. Stölzle, 2007) oder allgemeiner einer datentechnischen Konnektivität innerhalb von Industrie 4.0 (vgl. Kraft et al., 2021) als Determinante einer erfolgreichen Geschäftsbeziehung steigt. Als wichtiger Bezugspunkt für Vertrauen ist bei elektronischen Transak‐ tionen demnach an die Informationen über die gehandelten Produkte zu denken. Weitere Bezugspunkte für Vertrauen stellen beispielsweise die spezifische Website - inklusive Aussehen und gegebener Interaktivität - sowie die schnelle Auslieferung der Güter mit allen Servicekomponenten, geeignete Informationswahl oder die permanente Verfügbarkeit eines Shops dar (vgl. Colla u. Lapoule, 2012). 2.6 Das Kaufverhalten von Unternehmen 125 <?page no="127"?> 3 Marketingplanung und Marketingstrategien Die strategische Planung des Marketings findet auf der Ebene des Unter‐ nehmens oder der Geschäftseinheiten statt. Dies hängt von der Größe des Unternehmens ab. Insofern werden im Folgenden die Begriffe Unternehmen und Geschäftseinheit synonym verwendet. Diese Planungen können nur vorgenommen werden, wenn die dafür benötigten Informationen vorliegen. Insofern ergibt sich in Bezug auf den Planungsablauf im strategischen Marketing ein didaktischer Zirkelschluss (→ Darstellung 3.1). Analyse der Mikro- und Makroumwelt (Kapitel 4) Analyse des Nachfragerverhaltens (Kapitel 2) strategische Marketingplanungen (Kapitel 3) Definition von Markt (-segmenten) Positionierungsanforderung der Kunden Leistungsgestaltung optimale, am Unternehmensprofil ausgerichtete Strategie mit am Kundennutzen ausgerichtetem Wettbewerbsvorteil möglicher Ausgangspunkt möglicher Ausgangspunkt möglicher Ausgangspunkt Leistungsvermittlung = Darstellung 3.1: Planungszyklen im strategischen Marketing. Einerseits kann die Situation vorliegen, dass erst Informationen von den Märkten (→ Kapitel 2 und → Kapitel 4) den Anstoß zu strategischen Planungen geben. Andererseits können derartige Planungen auch „am grünen Tisch“ durchgeführt werden, was dann dazu führt, dass aus der Planungstätigkeit heraus der Anstoß zur Informationssammlung auf den Märkten gegeben wird. Dies hat zur Folge, dass die logische Anordnung der einzelnen → Kapi‐ tel 2, 3 und 4 im Teil „Planungs- und Informationsgrundlagen“ je nach Ausgangssituation im Planungszyklus auch anders sein könnte. <?page no="128"?> 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 3.1.1 Leistungsangebot auf Unternehmensebene und Definition von Märkten Ein Unternehmen muss für die Marketingplanung zunächst die Felder festlegen, auf denen es tätig sein bzw. werden möchte. Diese Festlegung des Betätigungsfeldes hat zum einen bei bestimmten Unternehmensrechtsfor‐ men juristische Konsequenzen, z. B. hinsichtlich der Frage, welche Entschei‐ dungen der Vorstand allein oder nur im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat treffen kann, zum anderen aber auch praktische Folgen. Es werden dadurch alle betrieblichen Ressourcen auf bestimmte Fixpunkte hin ausgerichtet. Diese Konzentration sensibilisiert die Betroffenen für relevante Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken. Sie bestimmt die nötige Qualifikation der Mitarbeiter, erhöht deren Motivation und erleichtert die Koordination von Strategien und Maßnahmen. Welchen Betätigungsfeldern man sich zuwendet, hängt von einer Reihe von Faktoren ab: • spezifische Kompetenz, über die man verfügt oder deren es bedarf, um auf einem Markt aktiv tätig werden zu können, • vorhandene oder über einen Ausbau erreichbare Entwicklungs-, Pro‐ duktions- und Distributionskapazität, • Marktzutrittschancen oder -barrieren faktischer Art, zum Beispiel Wi‐ derstand von Absatzmittlern (Handel) oder Konkurrenten, • staatliche Restriktionen, zum Beispiel Verbot der Forschung, Produktion oder Ausfuhr bei bestimmten Produktkategorien etc. In der Literatur wird hierbei auch von einer so genannten Business Mission oder Unternehmensvision (Unternehmensphilosophie, vgl. → Abschnitt 3.1.5.1) gesprochen. Auf das engste damit verbunden ist die Frage der Bearbeitung spezifischer Kundenmärkte. Dieser Aspekt wurde bereits in → Kapitel 1 als zentrales Kennzeichen einer marktorientierten Unternehmensführung angesehen und wird in → Kapitel 4 unter dem Betrachtungswinkel der Marktanalyse erneut aufzugreifen sein. Letztendlich geht es um die Frage, welche - ausreichend großen - bedürfnisbezogene Gruppen von Kunden mit 128 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="129"?> den definierten internen Betätigungsfeldern bearbeitet werden sollen und aufgrund der entwickelten Fähigkeiten (→ Abschnitt 3.1.2) in längerer zeitlicher Perspektive rentabel zu bearbeiten sind. 3.1.2 Ressourcen, Kernkompetenzen und Wettbewerbsvorteile auf Unternehmensebene In → Abschnitt 3.1.1 wurde angesprochen, dass die Festlegung des Betäti‐ gungsfeldes des Unternehmens bzw. der Geschäftseinheit aufgrund spezifi‐ scher Kompetenzen erfolgen sollte, um die Erfolgswahrscheinlichkeit der Unternehmungen zu erhöhen. In den →-Kapitel 1 und 2 waren bei den Überlegungen immer die Marktge‐ gebenheiten als Ausgangspunkt herangezogen worden, d. h. das Ausmaß an benötigten Ressourcen wird auf Basis der Marktgegebenheiten identifiziert, und es wird eine möglichst gute Anpassung an diese zu erzielen versucht (vgl. Bea u. Haas, 2019, S.-29f.), um letztendlich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu erzielen. Diese Betrachtungsbzw. Vorgehensweise bezeichnet man auch als den Market-based View of Strategy. Um ein umfassendes Verständnis des Entstehungsprozesses von Wettbe‐ werbsvorteilen als Ziel aller Marketingaktivitäten zu erreichen, wird im Folgenden kurz auf den so genannten Resource-based View of Strategy eingegangen. Bei diesem Ansatz bilden die vorhandenen Ressourcen und Ressourcenkombinationsmöglichkeiten im Unternehmen den Ausgangs‐ punkt der strategischen Überlegungen, d. h. die beiden genannten Erklä‐ rungsansätze gehen von zwei Seiten (interner vs. externer Ausgangspunkt) an dasselbe Problem heran (vgl. Bea u. Haas, 2019, S. 29f.). Da aber auch der Resource-based View of Strategy zur Identifizierung von strategischen Wettbewerbsvorteilen nicht ohne eine Beurteilung der Märkte auskommt, ergeben sich zwangsläufig Überschneidungen. Etwas abstrakt dargestellt, resultieren strategische Wettbewerbsvor‐ teile auf Unternehmens- oder Geschäftseinheitsebene aus unternehmens‐ spezifischen Ressourcen(-bündeln). Diese umfassen sowohl tangible (finan‐ ziellen und physischen Ressourcen, wie z. B. Produktionsanlagen) als auch intangible Ressourcen (Humanressourcen, wie z. B. Know-how, Kreativität der Mitarbeiter, Organisation, Erfahrungen, Beziehungen; technologische Ressourcen, z.-B. Patente; Reputation und Image, z.-B. Marken). Neben dem Vorhandensein der Ressourcen müssen auch die Fähigkeiten (Capabilities) gegeben sein (vgl. Endres, 2018). Diese sind notwendig, um 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 129 <?page no="130"?> die Ressourcen optimal zu so genannten Kernkompetenzen zu bündeln. Die Fähigkeiten eines Unternehmens können unverwechselbar sein und sind essenziell für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Fähigkeiten las‐ sen sich nicht ohne Weiteres auf dem Markt nachbilden, da die Besonderheit interner Organisationen schwer zu kopieren ist. Dies bedeutet auch, dass Entrepreneure nicht in der Lage sind, die einzigartigen organisatorischen Fähigkeiten einfach zu imitieren, indem sie in einen Markt eintreten und Teile zusammensetzen, da die Replikation nicht über Nacht erfolgen kann, insbesondere die Replikation von Best-Practice-Fähigkeiten. Fähigkeiten zeigen ihr wahres Potenzial in der Manifestation von (Kern-)Kompetenzen, die entwickelte Fähigkeiten mit einem spezifischen Zweck für das Unter‐ nehmen widerspiegeln. Die Fähigkeiten einer Organisation können also nicht nur als ein paar Posten in einer Bilanz verstanden werden, sondern vielmehr als Organisationsstrukturen, -routinen und Managementprozesse, die die Produktivität unterstützen (vgl. Endres, 2018). Um langfristig zu überleben, ist es für Organisationen essenziell neben den oben genannten Fähigkeiten auch dynamische Fähigkeiten (Dynamic Capabilities) zu besitzen. Unter dynamischen Fähigkeiten versteht man das Sensing (das Erkennen von Bedrohungen und Chancen), das Seizing (Er‐ greifen von erkannten Chancen) und das Transforming (Umgestaltung des Unternehmens und seiner Strategie) (vgl. Endres, 2018; Endres et al., 2020a). Je stärker die dynamischen Fähigkeiten eines Unternehmens sind, desto resilienter ist das Unternehmen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Resilienzmanagement (vgl. Endres et al., 2015). Die durch die Fähigkeiten entstandenen Kernkompetenzen sind jedoch nicht an Endkunden veräußerbar, so dass dadurch keine Basis für Markt‐ transaktionen entsteht (vgl. Kreikebaum et al., 2018, S.-98). Wissen | Im Unternehmen muss die Fähigkeit (Capability) vorhanden sein, die Kernkompetenzen in letztendlich veräußerbare Produkte umzusetzen. Dies ist unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens, da erst auf der Produktebene die Basis für den Umsatz und finanziellen Erfolg auf den Märkten entsteht. Ressourcenbündel, aus denen sich ein Wettbewerbsvorteil für das Unterneh‐ men ergibt (vgl. → Abschnitt 3.2.1), benötigen einige notwendige Eigen‐ schaften, um ein dauerhaftes - nachhaltiges - Erfolgspotenzial darzustellen (vgl. Barney, 1991). Sie sollten 130 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="131"?> • sich nicht abnutzen, • auch nur begrenzt verfügbar, • begrenzt substituierbar und • eingeschränkt nachahmbar sein. Der Wert eines derartigen Bündels an Ressourcen muss nicht zwingend in einem einzigen betrieblichen Teilbereich entstehen, er kann sich über verschiedene Teilbereiche hinweg entwickeln. Die Erhaltung und Weiter‐ entwicklung der spezifischen Ressourcenausstattung des Unternehmens stellt somit eine conditio sine qua non der strategischen Unternehmensfüh‐ rung dar (vgl. Helm, 1997, S. 82). Der erläuterte Zusammenhang ist in → Darstellung 3.2 veranschaulicht. Die Entwicklung von Kernkompetenzen sowie die Umsetzung in Pro‐ dukte ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Generierung von Wettbewerbsvorteilen. Diese sind ein Kern-Kaufargu‐ ment für die Mehrheit von Kunden eines Zielmarktsegments. Ein Wettbe‐ werbsvorteil der Geschäftseinheit basiert damit immer auf den Perzeptio‐ nen der relevanten Kunden und nicht auf subjektiven Wahrnehmungen des Managements. Er ist dann als nachhaltig oder „strategisch“ zu bezeichnen, wenn das Unternehmen „is implementing a value creating strategy not simultaneously being implemented by any current or potential competitors and when these other firms are unable to duplicate the benefits from this strategy“ (Barney, 1991, S.-102). unternehmensspezifische Ressourcen unternehmensspezifische Ressourcenbündel, die Kernkompetenzen bilden Wettbewerbsvorteil durch Asymmetrien bei Auswahl und Kombinationsfähigkeiten von Ressourcen dauerhaftes, strategiebedingtes Erfolgspotenzial Auswahl und Kombination Wichtigkeit der Kernkompetenz für den Kunden Nachhaltigkeit der Kernkompetenz gegenüber der Konkurrenz Wahrnehmbarkeit des resultierenden Nutzenzuwachses für den Kunden wirtschaftliche Umsetzung in absetzbare Produkte in ausreichender Menge Darstellung 3.2: Die grundlegenden Zusammenhänge des Resource-based View of Strategy. 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 131 <?page no="132"?> Für eine vollständige Definition eines echten Wettbewerbsvorteils auf den Märkten bedarf es jedoch noch einiger Erweiterungen. So muss das Kaufkriterium für den Kunden nicht nur wichtig sein, sondern es muss - auch wenn es mit dem der Konkurrenzprodukte nicht direkt vergleichbar ist - ihm komparativ den größten Nutzenzuwachs (vgl. → Kapitel 5) bieten, den er bereit ist, mit Geld zu honorieren (vgl. → Kapitel 6). Dies entspricht einer kundenseitigen Nutzen- und anbieterseitigen Umsatzperspektive (vgl. auch → Abschnitt 3.2.1). Wissen | Wettbewerbsvorteile müssen wirtschaftlich zu erstellen sein, d. h. der komparativ größte Nutzenzuwachs für den Kunden muss auch der anbieterseitigen Ertragsperspektive Rechnung tragen. Die Differenz zwischen der kundenseitigen Honorierung des angebotenen Nutzens mit Geld und deren Erstellung muss dabei maximiert werden (vgl. Backhaus u. Schneider, 2020). Der Detaillierungsgrad des Wettbewerbsvorteils hängt ebenso wie Ziele und Strategien von der hierarchischen Betrachtungsebene ab. Dies hat zur Folge, dass mit niedrigerer Hierarchieebene die Vorteile einer (Produkt-)Leistung immer spezifischer werden müssen. Aus diesem Grund legen Unternehmen auf den höchsten Zielebenen relativ abstrakt fest, was sie wie erreichen wollen. Vielfach resultiert daraus die Verfolgung einer so genannten Basisstrategie im Marketing, die sich dann im Produktleis‐ tungsangebot konkretisiert und damit greifbar wird. 3.1.3 Die Art des Wettbewerbsvorteils als Basisstrategie im Marketing Das Betätigungsfeld eines Unternehmens in der in → Abschnitt 3.1.1 skizzierten Weise festzulegen, entscheidet oft schon darüber, ob das Unter‐ nehmen im Wettbewerb auf längere Sicht erfolgreich bestehen kann. Wie bereits bekannt, sind derartige - strategische - Festlegungen für längere Zeit zu treffen und schwer revidierbar, während im operativen Geschäft versucht wird, einerseits die erreichte Position zu halten (→ Abschnitt 3.1.4.3) und andererseits auf unteren hierarchischen Ebenen in kleineren Schritten Verbesserungen zu erreichen. Im Folgenden werden einige grundsätzliche Stoßrichtungen aufge‐ zeigt, die geeignet sind, die Unternehmenstätigkeit dahingehend auszurich‐ 132 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="133"?> ten, dass Ressourcen entwickelt werden, die eine einheitliche Basis für verschiedene Wettbewerbsvorteile auf Produktebene darstellen. 3.1.3.1 Das Konzept der Wettbewerbsvorteile nach Porter Bevor im Einzelnen auf die angesprochenen Stoßrichtungen eingegangen wird, wird kurz das Konzept der Wettbewerbsvorteile von Porter (2014) vorgestellt, da sich dieses in vielen der folgenden Überlegungen wieder fin‐ det und für die längerfristige Marketingplanung äußerst erklärungskräftig ist. Die möglichen Strategien sind in → Darstellung 3.3 formuliert. Damit werden zwei grundsätzliche Optionen zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen angesprochen. Ziel jeglicher Kostenführerschaft (rechte Felder) ist es, die niedrigen Kosten (z. B. entstanden durch hohe Ausbringungsmengen) in entspre‐ chende Preise umzusetzen, die dem Unternehmen selbst ausreichende Gewinne belassen, den Konkurrenten dies aber kaum mehr ermöglichen. Bei der Leistungsführerschaft wird dem Kunden ein leistungsbezogen überlegenes Angebot präsentiert, das sich aufgrund einer oder mehrerer Bestandteile von der Konkurrenz abhebt. Bei einer teilmarktbezogenen Politik wird bei beiden Optionen ein teilweise erheblicher Teil des Marktes dem Konkurrenten überlassen. - spezifische Stärke des Unternehmens - Leistungsvorteil Kostenvorteil Bearbeitung des Gesamt‐ marktes mit einem differen‐ zierten und relativ breiten Vertriebsprogramm A: generelle Qualitäts‐ führerschaft B: auf Kostendegression basierende aggressive Preispolitik für breites Sortiment Bearbeitung eines bestimm‐ ten Teilmarktes mit ei‐ nem spezifischen und relativ schmalen Vertriebs‐ programm C: Nischenpolitik, d.-h. Angebot eines spezifi‐ schen Produkts für ein bestimmtes Segment D: Discountpolitik für spezifisches Segment (Preisnische) Darstellung 3.3: Strategien mit Wettbewerbsvorteilen. Das beschriebene Konzept der Wettbewerbsvorteile ist ohne Zweifel äußerst vage, erfasst aber einige empirisch relativ gut bestätigte Sachverhalte und kann so - mit Vorsicht - als Anregung zur Formulierung von langfristigen 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 133 <?page no="134"?> Strategien dienen. Allerdings besteht auch darüber Einigkeit, dass die Unterscheidung zwischen einer Qualitäts- und einer Kostendimension zu undifferenziert ist, mithin bei Ersterem eine tiefergehende Unterscheidung vorzunehmen ist. Deshalb werden diese grundsätzlichen Möglichkeiten im Folgenden einzeln betrachtet. 3.1.3.2 Innovationsorientierung und Innovation Marketing Bereits 1954 postulierte Peter Drucker, dass die Innovationstätigkeit und das Marketing „basic functions of a business enterprise“ und demnach die wich‐ tigsten zu verfolgenden Unternehmensfunktionen sind. Kombiniert man beide Bereiche, spricht man vom Innovation Marketing oder Innovati‐ onsmarketing. Dies umfasst Marketingaktivitäten, die insbesondere zum Erfolg von Innovationen beitragen können. Die Tatsache, dass Innovationen unter anderem mit einer tendenziell höheren Unsicherheit sowohl beim Kunden als auch beim Verkäufer bzw. Vertriebsmitarbeiter einhergehen, kann zu anderen erfolgsversprechenden Marketingmaßnahmen führen als bei etablierten Produkten (vgl. Endres et al.; 2024, Endres et al., 2023). In vielen Branchen genügt es bei schnellen Produkt-, Technologie- oder Innovationslebenszyklen - wobei sich nicht nur Hersteller technologischer Güter kurzen Lebenszyklen ihrer Produkte ausgesetzt sehen (vgl. die Bei‐ spiele bei Ohms, 2000, S. 35) - nicht mehr, die bestehenden Leistungsange‐ bote des Absatzprogramms zu pflegen und moderat weiterzuentwickeln und sich somit an inkrementelle Bedürfnisveränderungen anzupassen. Es ist unmittelbar einsehbar, dass auf allen vom Unternehmen bedienten Märkten irgendwann die angebotenen Produkte und Leistungen nicht mehr den vom Kunden geforderten Standard erfüllen werden. Damit werden die Absätze dieser Produkte zurückgehen, und es müssen Folgeprodukte angeboten werden. Wissen | Das Absatzprogramm ist kontinuierlich in einem in Abhän‐ gigkeit der Markt- und Konkurrenzentwicklung mehr oder weniger starken Ausmaß mit neuen innovativen Produkten auszustatten, d. h. das Absatzprogramm ist zu aktualisieren und zu bereinigen. 134 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="135"?> ◾ anfängliche Monopolstellung ◾ Setzen von De-facto-Standards ◾ hohe Markterschließungskosten ◾ Vermarktung baut auf fehlendem Wissensstand der Konsumenten auf - neuer Markt ◾ Prägung von Entwicklungstrends ◾ Entwicklung von Markt- Know-how ◾ Positive Imageeffekte als technologischer Pionier ◾ Kundenbindung ◾ Kosteneffekte ◾ Imagerisiken bei - „Kinderkrankheiten“, - Kompatibilitätsmängeln, generell fehlender Akzeptanz Effekte in zeitlicher Perspektive kurzfristig langfristig Innovationsorientierung Nachteile Vorteile Darstellung 3.4: Vor- und Nachteile einer Innovationsorientierung. Die gezielte und permanente Innovationstätigkeit ist eine mögliche Stoß‐ richtung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten (vgl. Helm, 2001a, S. 27ff. bzw. → Abschnitt 3.1.4.1). Da die Entwicklung und Vermarktung von Innovationen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken - beide können extreme Ausmaße annehmen - für das Unternehmen bringt, ist eine sorg‐ fältige Planung unabdingbar. Einige Beispiele zu Chancen und Risiken einer grundsätzlichen Innovationsorientierung des Unternehmens werden in → Darstellung 3.4 aufgezeigt (vgl. auch Kleinaltenkamp et al., 2006, S. 188; Burmann et al., 2019, S. 448-449 sowie die entsprechenden Ausführungen in →-Kapitel 5). 3.1.3.3 Qualitätsorientierung Viele Nachfrager achten im Kaufprozess darauf, ein Produkt oder eine Leistung zu erwerben, die von „angemessener“ bzw. sogar „guter“ Qualität ist. Daher versuchen Unternehmen in jeder Branche, sich teilweise als so genannte Qualitätsführer im Markt zu positionieren. Bei dieser Strategie geht vielfach mit einem relativ hohen Leistungsniveau ein entsprechendes Preisniveau einher. 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 135 <?page no="136"?> Der Begriff der Qualität wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet. Keinesfalls ist darin nur die technische - objektive - Komponente einer Leistung zu verstehen; aus der Sicht des Marketings ist die subjektive Komponente zwingend mit einzubeziehen. Was ist darunter zu verstehen? Bei Produktions- und Investitionsgütern gibt es meistens, bei Konsumgü‐ tern und Dienstleistungen oft objektive Kriterien dafür, wie ein Erzeugnis beschaffen sein sollte. Um etwa die Belastbarkeit von Stoßdämpfern eines Autos vor Aufnahme der Serienfertigung zu überprüfen, wird dessen Her‐ steller Tests durchführen und danach sein Leistungsniveau in dieser Hin‐ sicht einschätzen können. In vielen Fällen erschöpfen sich die Ansprüche der Nachfrager aber nicht in dieser Art von Anforderungen. Ein Erzeugnis muss meistens auch ansprechend aussehen, sympathisch stimmen, anmutend wirken oder allgemein formuliert, die Erwartungen der Nachfrager in Bezug auf verschiedene Leistungskriterien erfüllen. Im Marketing richtet sich die Aufmerksamkeit demnach vorrangig nicht auf die objektive, sondern auf die subjektive Seite der Qualität von Produkten, d. h. diese werden als Leistungen mit einer Vielzahl für den Nach‐ frager nutzenstiftender Eigenschaften betrachtet. Ausgangspunkt der Qualitätseinschätzung ist demnach die subjektiv gefärbte Wahrnehmung, die Perzeption der Kunden. Als Bezugsebenen (→ Kapitel 5) kommen somit Material, Funktionalität, Verarbeitung und äußere Gestaltung als Beurteilungskriterien technische Angemessenheit, Umweltfreundlichkeit, Wirtschaftlichkeit, Komfort und Sicherheit in Betracht. Bei Dienstleistungen geht es vor allem um die Annehmlichkeit des Umfeldes, in dem sie erbracht werden, sowie um Verlässlichkeit, Reakti‐ onsgeschwindigkeit, Leistungskompetenz (Tech-Komponente) und Einfüh‐ lungsvermögen (Touch-Komponente) derjenigen, die für sie verantwortlich sind (vgl. Pasch u. Helm, 2000; Bruhn et al., 2019). Wissen | Qualitätsorientierung beinhaltet das Angebot der vom Kundensegment nachgefragten mehrdimensionalen technischen und nicht-technischen Qualität der Leistungen. Das Ziel der Qualitätsführerschaft als grundlegende Quelle des eigenen Wettbewerbsvorteils ist demnach nicht in Bezug auf absolute und/ oder „objektiv gemessene“ Ausmaße bzw. bei unternehmensintern als bedeutsam betrachteten Leistungsmerkmalen zu verfolgen. Zwingend zu betrachten 136 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="137"?> sind vielmehr die aus Nachfragersicht relativen Ausmaße (an bevorzug‐ tem Qualitätsniveau), deren Messkriterien sowie deren zur Präferenzbildung herangezogenen Merkmale. Anderenfalls wird man sich in den meisten Fällen hinsichtlich der Ausprägungen der Qualität an den Anforderungen des Marktes vorbei bewegen („Over-Engineering“). 3.1.3.4 Markenorientierung, Branding und emotionale Positionierung Der ausgeprägte Aufbau einer oder mehrerer Marken - oftmals auch als Branding bezeichnet - für die Leistungen des Unternehmens ist nicht nur in der Konsumgüterindustrie, sondern auch in anderen Branchen wie beispielsweise der Automobil-, aber auch der Investitionsgüterindustrie eine probate Strategie der Differenzierung vom Wettbewerb. Die Marken und somit immateriellen Ressourcen leisten bei vielen Unternehmen einen erheblichen Beitrag zum Unternehmenswert und sind ein begehrtes Trans‐ ferpotenzial bei Merger&Acquisition-Aktivitäten (vgl. Kumar u. Hansted Blomqvist, 2004). Ebenso dienen sie zur Ausweitung von Geschäftsbereichen durch Markentransfer, d. h. der Verwendung einer bereits etablierten Marke für andere, neue Produkte im Sortiment oder einer Dachmarkenstrategie für eine Produktfamilie (vgl. dazu → Kapitel 5 sowie Sattler u. Völckner, 2013). Die Gründe, die für die Wahl dieser Stoßrichtung sprechen, sind vor allem in einer starken wahrgenommenen Homogenität der Produkte, d. h. einer unzureichenden Unterscheidungsmöglichkeit aufgrund von Leistungseigenschaften oder geringem (technologischem) Fortschritt, oder auch einer nur eingeschränkten Beurteilungsmöglichkeit der Leistungsfähigkeit durch den Nachfrager zu suchen. Ersteres gilt nahezu für alle Convenience Goods, bei denen mittels einer Markierung eine quasi dif‐ ferenzierende Wirkung erreicht werden soll. Bei letzterem kann die „wahre“ Leistungsfähigkeit nicht korrekt beurteilt werden - dies trifft nahezu für alle Shopping Goods zu - weswegen Nachfrager ein Surrogat wie die Reputation (→-Abschnitt 8.1.3) einer Marke zur Beurteilung heranziehen. Weiterhin bietet sich diese Strategie auch in den Produktbereichen an, in denen man unter einer „Motivenge“ leidet, d. h. für eine eher rational, an Kaufgründen ausgerichtete Kommunikationspolitik zu wenige konkrete Argumente hat (z. B. bei Zigaretten), in denen Statussymbole benötigt werden oder in denen dem Wunsch nach demonstrativem Konsum, 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 137 <?page no="138"?> einem exklusiven Lebensstil oder dem Zeitgeist nachgekommen werden muss. Wissen | Eine (emotionale) Markierung der Produkte und Leistungen bietet sich dann an, wenn die Alternativen vom Nachfrager mangels wahrnehmbarer Unterschiede schwer differenziert, aufgrund der Kom‐ plexität schwer beurteilt oder produktleistungsbezogene Argumente nicht angeführt werden können. Produkte und Leistungen werden zum Teil nur erworben bzw. in Anspruch genommen, weil das Umfeld des Käufers weiß, welche Preise damit ver‐ bunden sind. Dies gilt beispielsweise für Modeartikel, Markenkleidung, Schmuck, Kosmetika, Autos und Sportgeräte, oder auch traditionsreiche Hotels. Die Leistungen verdanken ihre Attraktivität in diesen Fällen dem Image des Besonderen, Elitären und Teuren, das durch entsprechende Marketinganstrengungen errungen und kultiviert worden ist. Bei der Ver‐ folgung dieser Strategie sind drei zentrale Anforderungen zu beachten (vgl. Burmann et al, 2019, S.-346): • Eine einmalige Botschaft soll die herausragende Eigenschaft des Produkts vermitteln, • die Vermittlung sollte auf eine unverwechselbare Art und Weise geschehen und • die kommunikative Umsetzung erfolgt in sehr intensiver Weise und wird durch das entsprechend abgestimmte Marketing-Mix unterstützt. Durch diese Strategie der Betonung von Surrogatmerkmalen und dem Aufbau eines bestimmten Images kann aber auch die Wettbewerbssituation einer Branche verändert werden. Wenn beispielsweise ein Anbieter von Alltagsartikeln in einem Hochlohnland einsehen muss, dass er die Kosten‐ nachteile, unter denen er leidet, kaum überwinden kann, sollte er versuchen Nutzendimensionen zu kreieren, die das Kaufverhalten verändern, d. h. Kosten in den Hintergrund treten und niedrige Preise als irrelevant erschei‐ nen lassen. Dazu zwei Beispiele: Beispiel | Die Uhrenindustrie war lange Zeit eine der vorbildlichs‐ ten, stabilsten und renommiertesten Branchen, lag aber zu Beginn der 1980er-Jahre in ihren letzten Zügen. Japanische Billiguhren über‐ 138 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="139"?> schwemmten als automatisiert gefertigte Massenware den Uhrenmarkt. Ironischerweise war es sogar die schweizerische Uhrenindustrie selbst gewesen, die diese Art von Uhr in ihrem Drang nach Innovation und technischem Fortschritt entwickelt hatte - auf der Suche nach der nahezu perfekt und präzise gehenden Uhr hatten sich die traditionellen Uhrenfirmen einander zu überbieten und auszustechen versucht: „ge‐ naueste Uhr der Welt“, „flachste Uhr der Welt“ und so weiter. Im Rückblick erscheint es verwunderlich, dass niemand auf die Idee kam, dass damals die schweizerische Uhrenindustrie mit voller Kraft dabei war, sich das eigene Wasser abzugraben. Man dachte gerade bis zu dem Produkt und dessen Perfektion - bzw. daran, was man für Perfektion hielt -, und das hieß damals Genauigkeit. Ihre eigentlichen Stärken verlor die Branche aus dem Blickfeld, Stärken, welche die japanischen Anbieter niemals hatten und auch nicht zu imitieren ver‐ mocht hätten. Was die schweizerischen Unternehmen damals, Anfang der 1980er-Jahre, mit ihren neuen Quarzuhren vermochten, konnte die japanische Konkurrenz erst recht, dabei viel billiger und schneller. Was sich daraufhin vollzog, war der Zusammenbruch und Ausverkauf einer ganzen Branche. Auf der einen Seite die kühle, nüchterne und nur auf rationalen Effekt hin ausgerichtete Massenherstellung, auf der anderen Seite die Manufaktur. Auch heute mögen einige Konsumenten lieber das eine (z.-B. Apple Watch) und andere lieber das andere Extrem. In dieser Situation wurde die Herstellung einer mechanischen Armband‐ uhr von Grund auf neu in Angriff genommen. So wurde beispielsweise beschlossen, die Marke Blancpain wieder zu beleben. Zwar handelte es sich bei dieser Marke um die älteste Uhrenmanufaktur der Welt, aber inzwischen war davon nur noch der Name übriggeblieben, der bei einem Uhrenkonzern „in der Schublade lag“. Die Marke wurde mit dem Slogan „Seit 1735 gibt es bei Blancpain keine Quarzuhren. Es wird auch nie welche geben“ auf eine zur damaligen Zeit provozierende Weise versehen und damit schlagartig wieder bekannt gemacht. Mit diesem Satz wurde die ganze Logik der damaligen Uhrenentwicklung auf den Kopf gestellt. Man bekannte sich zu seiner radikalen Absicht und erzeugte damit ein Überraschungsmoment - man funktionierte die Schwäche zur Stärke um. Das löste Emotionen aus. Als die Banken vom Potenzial der Idee überzeugt werden sollten, wurde das ähnlich gelagerte Beispiel der Montblanc-Füller herangezo‐ 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 139 <?page no="140"?> gen. Montblanc war und ist ein Synonym für den Wert des persönlichen Utensils. Bei den Gesprächen hatten fünf von sieben der anwesenden Bankiers Montblanc-Schreibutensilien dabei, so fiel es leicht, sie zu überzeugen. 3.1.3.5 Kundennähe und Serviceorientierung Eine weitere grundlegende Differenzierungsmöglichkeit besteht in einer ausgeprägten Kundennähe und/ oder Serviceorientierung. Gerade wenn die Leistungserstellung im internationalen Vergleich durch hohe Kosten gekennzeichnet ist, muss diesen Nachteilen mit Kreativität, Kompetenz und Kundennähe begegnet werden. Damit nimmt die Bedeutung der Kosten - sicher auch in Abhängigkeit der Branche - relativ zum Produktionswert ab. Keine Ebene der Kundennähe ist so bedeutsam wie die Bereitschaft, spezifische Bedürfnisse bestimmter Abnehmergruppen schnell zu erken‐ nen und darauf einzugehen. Dies entspricht natürlich nicht den gängigen Vorstellungen von Standardisierung und Kostenbewusstsein. In der Pro‐ duktions- und Investitionsgüterindustrie waren schon immer individuelle, kundenspezifische Lösungen, die dann auch etwas teurer sein durften, gefragt. Vor allem anspruchsvolle Abnehmer („Pionierkunden“) verhelfen sensiblen Herstellern insofern zu einem Vorsprung, da sie das, was später in internationalen Märkten verlangt wird, vorwegnehmen oder sogar prägen. Die Internationalisierung von Unternehmen begründet sich nicht nur auf Kostenaspekten im Heimatland, sondern auch mit der Nähe der Produktion am Abnehmer, um beispielsweise die Absätze an sich zu sichern. Exempla‐ risch zu nennen ist hier die Bedeutung von Herkunftslandinformationen (Country-of-originbzw. Made-in-Effekte) bei Kaufentscheidungen sowie entsprechender Kampagnen („buy domestic“) in verschiedenen Ländern oder so genannter Local-Content-Vorschriften bzw. Einfuhrzölle (vgl. Sattler, 1991; Hausruckinger u. Helm, 1996). Auch Service setzt (Kunden-)Nähe voraus, denn persönliche Dienstleis‐ tungen können nicht aus der Ferne angeboten werden, sondern erfordern die Bereitstellung entsprechender Ressourcen vor Ort. Hier - und nicht bei den Produkten selbst - haben viele Unternehmen einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Nur die eigenen, kompetenten Mitarbeiter können die erforderliche hohe Qualität der begleitenden Dienstleistungen gewährleis‐ ten (vgl. Helm, 1997; Helm, 2001b). 140 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="141"?> Wissen | Kundennähe und Service erfordern demnach, durch phy‐ sische Präsenz und Nutzung von Kommunikationskanälen die phy‐ sische und psychische Distanz zu den Abnehmern zu verringern, um auf diese Weise Kundenbedürfnisse rascher erkennen und besser befriedigen zu können. Digitale oder hybride digitale Dienstleistungen (hier findet auf Basis oder mit Hilfe der digitalen Dienstleistung und persönlichem Einsatz eine Leis‐ tungserstellung statt) schwächen die Relevanz der Nähe teilweise ab (vgl. dazu auch Endres et al., 2020b; Graf u. Helm, 2018; Soellner et al., 2024). Wissen | Anbieter sollten bei digitalen Dienstleistungen darauf hin‐ wirken, dass die psychische Distanz durch regelmäßige Interaktion mit dem Kunden nicht zu groß wird. Der Weg zum Ziel führt damit nicht nur über die physischen Produkte. Beispiel | Jeff Bezos, unter dessen Leitung die Firma Amazon zu seiner heutigen Bedeutung gefunden hat, erhob folgenden Anspruch bzgl. Kundenerfahrung: „It’s our job every day to make every important aspect of the customer experience a little bit better.“ Somit wurde nicht die „Hardware“, sondern Service und Kundennähe bzw. Kundenerfahrung zum Mittelpunkt aller Marketingbemühungen erhoben. Es folgten zahl‐ reiche kleinere Verbesserungen, wie größere Auswahl bei günstigeren Preisen mit gleichzeitig äußerst großzügiger Retourpolitik. Dies hatte u. a. langfristig die Konsequenz, dass sich Amazon von der Konkurrenz erheblich absetzen konnte. Kundennähe konkretisiert sich nicht nur darin, seinen Abnehmern im wörtlichen wie im übertragenen Sinne „entgegenzukommen“. In vielen Fällen ist Präsenz im Markt unabdingbar, dies vor allem dann, wenn Käufer nicht bereit sind, weite Wege auf sich zu nehmen. Der Standort erfährt hier eine hohe Bedeutung. Kundennähe kann sich aber auch im Abbau zeitlicher Hürden äußern, die Geschäftspartner normalerweise zu überwinden haben. Kommunikative Nähe demonstriert auch, wer Kunden bei Anfragen und Bestellungen die Möglichkeit einräumt, jederzeit Beschwerden bei leitenden Mitarbeitern des Unternehmens loswerden lässt. 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 141 <?page no="142"?> Kundennähe und zugleich größere Effizienz der Marktbearbeitung dank besserer und allseits verfügbarer Kundenkenntnis sowie geringer Fehlstreu‐ ung von kommunikativen Maßnahmen resultieren in Konzepten, die all‐ gemein als Database-Marketing und Customer-Relationship-Manage‐ ment bekannt sind (vgl. → Abschnitt 3.4.3.2). Im Zusammenhang mit Kundennähe spricht man häufig auch vom Relati‐ onship-Marketing. Relationship-Marketing ist eine Form des Marketings, die den Schwerpunkt auf Kundenzufriedenheit und Kundenbindung statt auf Verkaufstransaktionen legt. Es unterscheidet sich von anderen Formen des Marketings dadurch, dass es den langfristigen Wert von Kundenbezie‐ hungen anerkennt und die Kommunikation über Werbe- und Verkaufsför‐ derungsbotschaften hinaus erweitert. Mit dem Internet hat sich das Relati‐ onship-Marketing weiterentwickelt, da die Technologie mehr kollaborative und soziale Kommunikationskanäle eröffnet, wie z. B. softwarebasierte Tools für das Management von Kundenbeziehungen, die über die Erfassung von demografischen Daten und Kundendienstdaten (CRM) hinausgehen. Diese Tools führen oft auch selbstständig Aufgaben aus. Dabei spricht man vom Begriff Marketing-Automation, also den Prozess, Marketing‐ aktivitäten mithilfe von Software zu automatisieren. Einige Unternehmen nutzen für den Kontakt mit dem Kunden auch Künstliche Intelligenz (KI), um Chatbots und virtuelle Assistenten zu erstellen, die Kundenfragen beantworten und den Kunden bei der Produktsuche helfen können. Beispiel | Beispielsweise nutzt die Firma OpenAI mit ChatGPT KI-Soft‐ ware, um einen virtuellen Assistenten zu erstellen, der Kundenfragen beantwortet und dem Nutzer bei der Produktsuche hilft. Googles Chatbot Bard stellt ein Konkurrenzprodukt dazu dar. Chatbots werden häufig auch als Apps angeboten, um die Kunden bzw. Nutzer möglichst direkt zu erreichen. Marketingmaßnahmen, die über Mo‐ bilgeräte, Apps bzw. drahtlose Telekommunikation durchgeführt werden, fallen unter den Begriff Mobile-Marketing. 3.1.3.6 Sortimentsorientierung Eine ähnlich gelagerte Strategie äußert sich im Angebot eines entsprechend tiefen oder breiten Sortiments bzw. in der Flexibilität, ein solches ggf. 142 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="143"?> mit anderen Unternehmen anbieten zu können. Gerade letzteres spielt im Kontext von Industrie 4.0 und Plattformökonomien eine erhebliche Rolle. Damit ergeben sich mehrere strategische Optionen für das Unternehmen (vgl. Bruhn et al., 2016). Für den Fall, dass nicht eine Nischenbearbeitung, d. h. mit einem sehr engen Angebot wird ein abgegrenzter Teilmarkt bearbeitet, oder eine (Gesamt-)Marktbearbeitung, d. h. eine Vielzahl breit definierter Kundengruppen wird mit adäquatem Angebot bedient, verfolgt wird, sind die folgenden drei Fälle denkbar (vgl. auch → Kapitel 4: Markt‐ segmentierung). • Im Falle einer Produktspezialisierung werden mit einem abgegrenz‐ ten Angebot (z. B. Mountainbikes) verschiedene Kundengruppen ange‐ sprochen. • Im Falle einer Marktspezialisierung wird einer bestimmten Kunden‐ gruppe (z. B. jüngeren sportlichen Personen) ein umfangreiches Pro‐ duktangebot für verschiedene Hobbies angeboten. • Im Falle einer selektiven Spezialisierung werden ausgewählten Kun‐ dengruppen verschiedene ausgewählte Produkte angeboten. Damit wird eine Mischung von Markt- und Produktspezialisierung erreicht. Um gegenüber tatsächlichen Spezialanbietern nicht im Kostennachteil zu sein, ist ein ausgeprägtes Synergiemanagement in der Beschaffung oder bei produzierenden Unternehmen in der F&E (Plattformstrategie und Baukas‐ tensystem, vgl. → Abschnitt 3.1.3.7) notwendig. Die Sortimentsorientierung kann auch durch eine angemessene Auswahl produktbegleitender Dienst‐ leistungen erreicht werden. 3.1.3.7 Kostenorientierung Die bisher genannten Basisstrategien bedingen sich zum Teil gegenseitig und bilden insofern keine direkt miteinander rivalisierenden Strategien. Nichtsdestotrotz sollten im Marketing des Unternehmens deutliche Akzente gesetzt werden, um jeder Fehlwahrnehmung im Markt vorzubeugen. Ein Ansatzpunkt ganz anderer Art liegt im Streben nach Kostenfüh‐ rerschaft, dem zwei verschiedene Motive zugrunde liegen können. Zum einen verbindet sich mit dem Streben, der Konkurrenz voraus zu sein, ein erheblicher Aufwand, der leicht außer Kontrolle geraten kann. Insofern unterstützt das Bemühen um geringe Kosten die Verfolgung übergeordneter Ziele, weil der Schritt etwa von hoher zu noch höherer Qualität zumeist mit 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 143 <?page no="144"?> einer überproportionalen Aufwandssteigerung verbunden sein wird. Zum anderen gibt es aber auch Unternehmen, die gezielt eine Tiefstpreispolitik verfolgen (Ryanair, KiK, TEDi). Dabei wird das Preis/ Leistungsverhältnis je‐ des Artikels, ausgehend von einem niedrigen bis mittleren Qualitätsniveau, nach unten verschoben. Da Produkte der in Frage kommenden Art jeder be‐ reitstellen kann, konkretisieren sich Leistungsvermögen und Wettbewerbs‐ stärke vorrangig im geforderten Preis am Markt. Um dies längerfristig zu gewährleisten, müssen die Kosten immer noch stärker gesenkt werden. Ein Mittel dazu besteht zunächst darin, die Fixkosten insoweit abzu‐ bauen, als Leerkapazität gegeben ist. Eine stärkere Auslastung vorhandener Ressourcen lässt sich aber auch dadurch erreichen, dass man für Menschen, Maschinen, Immobilien etc. weitere Finanzbzw. Nutzungsmöglichkeiten findet (Economies of Scope). Wenn man sich der Kapazitätsgrenze nähert und sich längerfristig auf Dauer noch mehr absetzen lässt, wird man eine Erweiterung der Anlagen ins Auge fassen, dabei aber einen Technologie‐ sprung zu erzielen versuchen. Dies bedeutet, dass nunmehr „im größeren Stil“, auf leistungsfähigeren Anlagen (Economies of Scale) produziert wird. Einen weiteren Ansatzpunkt, Stückkosten zu senken, bildet schließlich die Erlangung höherer Mengenrabatte im Einkauf. Diese Möglichkeiten eröffnen sich selbst dann, wenn man nicht ein einziges Stück mehr als bisher absetzt, indem Komponenten eines Produkts, insbesondere wenn Käufer des Endprodukts diese nicht sehen, über mög‐ lichst viele Varianten hinweg standardisiert werden (Plattformstrategie). Sollten sich schließlich Stückzahlen und auch Stückkosten nicht mehr steigern bzw. senken lassen, richtet sich die erste Überlegung darauf, Kostenarten oder -stellen völlig zu streichen. Schlagworte dazu sind beispielsweise Lean Production und Lean Management. Zumindest eine Reduktion sollte möglich sein, beispielsweise dadurch, dass man leistungsfä‐ higere Lieferanten findet, automatisiert, die Fertigungstiefe durch Outsour‐ cing vermindert, preisgünstigere Materialien verwendet, die Produktion ins Ausland verlagert oder Vertriebs- und andere Funktionen (z. B. den eigenen Fuhrpark) ausgliedert. Auch organisatorische Mängel (z. B. unnötige Wege und Wartezeiten) lassen sich beseitigen. Einen Versuch wert erscheint auch das Abwälzen von Kosten auf Marktpartner. Das Burden Sharing lässt sich gegenüber fast allen, zu denen man Geschäftsbeziehungen unterhält, betreiben. Beim Just-in-time-Kon‐ zept wird zum Beispiel die Lagerhaltung anderen aufgebürdet und beim POS-(Point of Sale bzw. Verkaufsstellen)-Banking teilen sich Einzelhandel 144 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="145"?> und Geldinstitute den Aufwand, der mit dem elektronischen Zahlungsver‐ kehr verbunden ist. Das Resultat all dieser Bemühungen lässt sich im Sinne einer groben Annäherung sogar quantifizieren. Das Ergebnis schlägt sich unter anderem in der so genannten Erfahrungskurve (vgl. →-Abschnitt 4.2.5.5) nieder. Wissen | Die Strategie der strikten Kostenorientierung mit der preisbezogenen Weitergabe der Kostenvorteile an den Kunden stellt eine echte Alternative zur Marktsegmentierung dar, die ihrem Wesen nach kleinere Stückzahlen bedingt. Bei der Verfolgung einer schnellen Marktdurchdringung können sogar Preise gefordert werden, die unter den aktuellen Stückkosten liegen. Dies geschieht im Vertrauen darauf, auf diese Weise schnell große Stückzahlen zu erzielen. Die Produktion großer Stückzahlen beschleunigt Erfahrungskur‐ veneffekte und Economies of Scale, sodass die Gewinnzone rasch - und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt - zu Preisen erreicht wird, die für die meisten möglichen Konkurrenten von vornherein nicht realisierbar sind. 3.1.4 Strategische Phasen der Marktbearbeitung Das Marketing kennt drei verschiedene prinzipielle Akzentuierungen, die gleichzeitig die zeitlichen Phasen einer Marktentwicklung darstellen. Es handelt sich dabei um die Schaffung von neuen Märkten, die gezielte Absatzausweitung sowie die Erfolgssicherung durch Kundenbindung und andere Sicherungsinstrumente. 3.1.4.1 Schaffung neuer Märkte Innerhalb des Marketings ist einer der innovativsten Vorgänge ohne Zwei‐ fel die Schaffung eines neuen Marktes, d. h. das Erkennen eines neuen Bedürfnisses und die Schaffung eines entsprechenden Angebots. Die dies‐ bezüglichen Möglichkeiten sind äußerst vielfältig, einige grundlegende Ansatzpunkte wurden in → Abschnitt 3.1.3 aufgezeigt. Dies wird als nachfrageorientierte Innovation bzw. als Market Pull bezeichnet. Es ist - wie schon des Öfteren betont - unabdingbar, den potenziellen Kunden eine so genannte Problemlösung als Summe aller entscheidungsrelevanten 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 145 <?page no="146"?> Produktbzw. Leistungseigenschaften zu bieten. Dazu ist eine systema‐ tisch betriebene Erforschung der Bedürfnisse der Abnehmer erforderlich. Neue Märkte entstehen aber auch durch die geschickte Vermarktung von Inventionen aus der F&E von Unternehmen oder anderen Forschungs‐ einrichtungen (Technology Push). Der neue Markt resultiert hier nicht aus der Nachfrage nach Lösungen für bestehende Probleme, sondern durch die Anwendung der Invention auf Probleme (angebotsorientierte Innovatio‐ nen), die bisher durch andere Lösungen in brauchbarer Weise behoben wurden bzw. deren Bestand lediglich latent vorhanden war. Die Nachfrager sind hier demnach vom Nutzen der Innovation erst zu überzeugen („We have the world’s greatest answer. Now let’s start looking for the problems“), während bei der nachfrageorientierten Innovation der Nutzen vom Nach‐ frager aufgrund seines bereits bestehenden Bedürfnisses leichter erkannt und (finanziell) honoriert wird. Diese angebotsorientierten Innovatio‐ nen sind meist mit einem höheren Neuartigkeitsgrad versehen. Dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs hier relativ gering ist, dieser aber im Erfolgsfall deutlich höher ist als bei nachfrageorientierten Innovationen ist offensichtlich (vgl. Helm, 2001a). Eine Mischung aus beiden strategischen Stoßrichtungen sollte am erfolgreichsten sein (vgl. Hauschildt et al., 2016, S. 3ff.). Ebenso wird jedoch auch immer wieder die Überlegenheit einer technologieorientierten „Basis“-Ausrichtung des Unternehmens postuliert und empirisch belegt. Daraus lässt sich folgern, dass ein iterativer Prozess zwischen den beiden Extremen als ideal betrachtet, da dann technologisches Know-how und Marktbedürfnisse synergetisch zusammengeführt werden können. 3.1.4.2 Ausweitung des Absatzes Auf die Markterschließung folgt als zweite Phase die Absatzausweitung, wobei sich beide Phasen oft nicht eindeutig voneinander trennen lassen. Die Absatzbzw. Marktausweitung ist durch folgende Ansatzpunkte einer Gewinnund/ oder Umsatzerhöhung gekennzeichnet: Zunächst kann man versuchen, mit den vorhandenen Produkten das Absatzvolumen auf den angestammten Märkten zu erhöhen. So kann man die Verbrauchsintensität erhöhen, die (physische oder psychisch ertragbare) Lebenszeit eines Produkts verkürzen und so den Ersatzbedarf stimulieren. Man kann aber auch die eigene Wettbewerbskraft so stärken, dass über einen 146 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="147"?> höheren Marktanteil auf Kosten der Konkurrenz zusätzlicher Umsatz erzielt wird oder Substitutionsprodukte verdrängt werden. Daneben besteht die Möglichkeit, für ein vorhandenes Produkt, vielfach unter Veränderung von Aussehen und Eigenschaften, neue Kundengrup‐ pen zu erschließen, indem neue Einsatzfelder und Verwendungszwecke entdeckt oder in neue geographische Absatzgebiete eingetreten wird (vgl. → Kapitel 5). Von der Möglichkeit, sowohl auf Produktals auch auf der Markseite gleichzeitig den Weg der Absatzausweitung zu beschreiten, wird allgemein abgeraten. Der Grund ist ein sozusagen „doppeltes Risiko“. 3.1.4.3 Sicherung des bisherigen Markterfolgs Die Absatzausweitung ist stets von dem Bemühen um Erfolgssicherung begleitet. Ziel ist das Erreichen einer hohen Wiederkaufwahrscheinlichkeit, einer hohen Wahrscheinlichkeit des Cross Buyings, d. h. auch andere Produkte werden beim selben Anbieter erworben, und hohen Weiteremp‐ fehlungsabsichten des Kunden. Ein Weg, dies zu erreichen, stellt im Allgemeinen das Angebot von Systemen um das ursprüngliche Bedürfnis herum, d. h. von aufeinander abgestimmten (Bau-)Teilen im Rahmen eines größeren Sortiments dar, wie dies beispielsweise bei Maschinen und Werkzeugen, IT-Anlagen, pro‐ duktbezogenen Dienstleistungen etc. der Fall ist. Ähnliche Effekte werden durch Erlangung von Patenten für technisch innovative Güter, oder durch den Abschluss von langfristigen (Service- oder Liefer-)Verträgen erzielt. Konkurrenten wird dadurch die Übernahme einer bestehenden Geschäfts‐ verbindung erschwert. Auch eine - nur zum Teil durch Kostendegression und höhere Produkti‐ vität legitimierte - Niedrigpreispolitik kann eine Erfolgssicherung bewir‐ ken. Goodwill des Nachfragers geht jedoch verloren, wenn man sich und das eigene Angebot nicht immer wieder durch (Aktualisierungs-)Werbung ins Gedächtnis bringt (vgl. Kroeber-Riel u. Esch, 2015, S. 248f.). Regallücken im Handel entstehen lässt (vgl. Helm et al., 2008) und wichtige Kunden oder Absatzmittler nicht regelmäßig besucht. Gerade bei letzterem werden persönliche Bindungen hergestellt bzw. intensiviert. So werden beispielsweise wichtige Kunden von Unternehmen zu oft mehrtägigen luxuriösen Kongressen etc. eingeladen. Man erhält „persönliche“ Glückwunschschreiben bzw. auch Geburtstagskarten. In vie‐ len Bereichen gehören Kundenclubs und -karten mit Kredit- und Bonus‐ 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 147 <?page no="148"?> funktion, regelmäßige Anschreiben mit Erinnerungen an Termine oder Neuproduktpräsentationen sowie Kundenzeitschriften als Maßnahmen der Kundenbindung zum Standard. Ziel ist, eine emotionale Bindung zum jeweiligen Anbieter zu erreichen und ihn dadurch beim Wiederkauf leichter für sich zu gewinnen bzw. im Falle einer Beschwerde (oder allgemeiner bei Unzufriedenheit) eher zur Artikulation eben dieser (anstatt zum Anbieter‐ wechsel) zu bewegen. Auch das Beseitigen der Ursachen von Unzufrieden‐ heit sollte dadurch leichter ermöglicht werden. Der zuverlässigste Weg zur Erfolgssicherung und Kundenbindung wird jedoch immer darin bestehen, durch Qualität und Preiswürdigkeit der eige‐ nen Leistung, durch Zuverlässigkeit des Kundendienstes etc. den angebo‐ tenen Nutzen den individuellen Erwartungen der Kunden möglichst gut anzupassen. Als Resultat wird damit - indem nach dem Kauf seine Erwar‐ tungen nicht enttäuscht werden - seine Zufriedenheit sichergestellt. Dies alles setzt voraus, dass es gelingt, konsistente Marketingkonzeptionen zu entwickeln. Dadurch wird das Eindringen von Konkurrenten in beste‐ hende Geschäftsbeziehungen erschwert, Kunden reagieren unelastischer auf eine zeitweilige Verschlechterung der Leistungen und sie sind eher bereit, Preiserhöhungen zu akzeptieren. Wissen | Vielfach wird zu Recht davon ausgegangen, dass die Akqui‐ sitionskosten für einen neuen Kunden deutlich höher sind als die Kosten für die Kundenbindung. Allerdings ist die Zufriedenheit der Kunden kein Garant für Loyalität, trotz hoher Zufriedenheit wandern Kunden aufgrund äußerer Umstände wie z. B. Angebote, Bedarfswegfall, Abwerbung, vermindertes Budget etc. zur Konkurrenz ab (vgl. Link u. Seidl, 2009, S.-17). 3.1.5 Ziel- und Strategieentwicklung 3.1.5.1 Ziele Die Formulierung von Zielen stellt sicher, dass das Unternehmen weiß, was es mit ihren Strategien erreichen will. Darüber hinaus ist die Notwendigkeit der Formulierung adäquater Zielsetzungen für die strategische Planung zur Überprüfung des Zielerreichungsgrades betrieblicher Aktivitäten von 148 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="149"?> elementarer Bedeutung. Sie unterstützen damit den organisationalen Lern‐ prozess. Ziele wirken zudem auf die Entscheidungsfindung dadurch ein, dass sie zum einen die Bewertung alternativer Handlungsoptionen einer be‐ stimmten Hierarchieebene ermöglichen und zum anderen die Ausprägung des Zielsystems nachgelagerter Hierarchieebenen beeinflussen. Nur wenn entsprechende Ziele vorliegen, kann die Effektivität, d. h. die Prüfung der korrekten Auswahl einer Aktion, und die Effizienz, d. h. die Prüfung der korrekten Durchführung, der gewählten Aktion beleuchtet werden. Wissen | Ziele dienen im Planungsprozess als Bewertungskriterien („Messlatten“) für durchzuführende Aktionen. Sie ermöglichen es, die Konsequenzen der Aktionen und damit auch die zur Auswahl stehenden Aktionen in eine eindeutige Rangfolge zu bringen. Sie sind demnach angestrebte zukünftige Zustände, die durch die Analyse der internen und externen Rahmenbedingungen erreichbar erscheinen. (1) Hierarchie von Zielen und Entscheidungen Beispiel langfristige, auf das Gesamtunternehmen bezogene Ziele langfristige Entscheidungen auf Gesamtunternehmensebene, z.B. über das Leistungsangebot, die Standorte oder die Organisation langfristige, absatzbezogene Ziele absatzpolitische Entscheidungen längerfristiger Natur, z. B. über neue Produkte, Vertriebssysteme Kurzfristige, absatzbezogene Ziele (1) (1) (2) (2) (3) (3) Ziel: Gewinnmaximierung Entscheidung: Export von Produkt X nach Land A Ziel: Marktanteil von Produkt X im Land A Entscheidung: Aufbau eines Vertriebssystems vom Typ C im Land A Entscheidung: ... Ziel: Umsatzmaximierung je Mitglied des Vertriebssystems im Land A Darstellung 3.5: Ziel- und Entscheidungshierarchie am Beispiel. Ziele sind jedoch nicht zu Beginn eines Planungsprozesses - unabhängig von der Planungsebene - vorgegeben, sie entwickeln sich in unterschied‐ lichem Umfang im Planungsbzw. im Lernprozess. Der Zielbegriff ist 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 149 <?page no="150"?> jedoch differenzierter zu betrachten. Übergeordnete Ziele sind als Prämissen bzw. Leitlinien für den Prozess der Bildung und Auswahl von Strategien anzusehen (vgl. Bea u. Haas, 2019, S. 74f.). Inhaltliche Handlungsziele und korrespondierende Strategien bedingen sich meist wechselseitig. Im Prinzip bedeutet dies, dass für alle Aktivitäten im Unternehmen entsprechende Ziele in einem Zielsystem zu formulieren sind. Es ergibt sich damit eine Vielzahl an Zielen eines Unternehmens, deren Inhalte im Entwicklungsprozess gegenseitig abzustimmen sind. Als Ausgangsbasis jeglicher Zielbildung dient auf oberster Ebene (vgl. → Abschnitt 3.1.1) die Unternehmensvision. Diese sollte einfach und für jeden verständlich formuliert sein, sich jedoch von Konkurrenten deutlich abgrenzen. Sinnvoll ist hier eine breite Formulierung, d. h. auf Basis der aktuellen oder angestrebten Kernkompetenzen (vgl. dazu → Abschnitt 3.1.2) des Unternehmens. Dies beugt einer - mentalen - Einengung des Aktivitätsbereichs vor und bewirkt eine größere Basis für neue Ideen. Die Unternehmensvision muss weit genug in die Zukunft reichen und grundsätzliche Inhalte kommunizieren, d. h. der Visionshorizont muss zeitlich und qualitativ über das Alltagsgeschäft hinausreichen. Sie ist aber keinesfalls statisch zu sehen, sondern sie muss aufgrund sich verändernder Rahmenbedingungen als variabel betrachtet werden. Erfolgreiche Unter‐ nehmen zeichnen sich unter anderem durch das permanente Infragestellen der Business Mission aus. Die Unternehmensvision dient demnach dazu, alle nachgelagerten Ziel‐ bildungsprozesse als auch die Unternehmensstrategien (bzw. deren simul‐ tane Entwicklung) in einen Rahmen einzubinden. Schließlich wird dadurch die Stringenz der entwickelten Prozesse gefördert, aber auch die nachge‐ lagerte (Top-down-)Kommunikation erleichtert, um eine effiziente Umset‐ zung im Unternehmen zu gewährleisten. Dies wird dadurch erreicht, dass • die Nachvollziehbarkeit der Planungen und damit • die Delegation auf die Mitarbeiter durch den im Unternehmen bekannten Rahmen unterstützt wird. Die auf der Vision aufbauenden konkreten Zielsetzungen sind üblicher‐ weise in einer so genannten Zielhierarchie abgebildet. → Darstellung 3.5 gibt exemplarisch den Aufbau einer derartigen Hierarchie wieder. Aus‐ gehend von der obersten Zielebene werden die in der Pyramide darunter liegenden Ziele immer konkreter und immer mehr auf einen bestimmten 150 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="151"?> Unternehmensbereich hin bezogen. Damit verbunden ist auch eine zuneh‐ mende Anzahl an Zielen auf einer Hierarchieebene. Unternehmenszweck („mission“) Unternehmensziele Geschäftseinheit-/ Funktionsbereichsziele Geschäftsfeldziele Was ist unser Geschäft? Wo liegen die Kompetenzen? z.B. Rentabilität, Marktstellung z.B. Beschaffung, Produktion, Kundenbindung z.B. Marktanteile, Umsätze zunehmende Konkretisierung zunehmende Anzahl möglicher Ziele Darstellung 3.6: Beispiel einer Zielhierarchie. Es ist deutlich erkennbar, dass mit abnehmender Hierarchieebene die Aktionen immer detailorientierter werden und dass Aktionen und Ziele einer bestimmten Hierarchieebene Zwecke zur Erreichung der Ziele (und Aktionen) der jeweils höheren Hierarchieebene sind. Ziele stellen generelle Imperative dar. Sie schreiben somit unmittelbar keine einzelnen Aktionen vor, bestimmte Handlungen schreiben lediglich die sogenannten speziellen Imperative vor. In der Umgangssprache und der betrieblichen Praxis werden, was ungenau ist, häufig sowohl generelle als auch spezielle Imperative als Ziele bezeichnet; Beispiele hierfür sind: • Genereller Imperativ: Erziele maximalen Gewinn! • Spezieller Imperativ: Erhöhe die Zahl der Außendienstmitarbeiter um fünf! Oft finden sich auch Zielformulierungen, die als Zwischenformen zwischen generellen und speziellen Imperativen angesehen werden können, etwa wenn die Forderung aufgestellt wird: „Festigung der Marktsituation durch Einführung des neuen Produkts x in den Markt! “ Die Unterscheidung zwischen Zielen, die als generelle, und solchen, die als spezielle Imperative 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 151 <?page no="152"?> anzusehen sind, bringt auch das Begriffspaar Formalziel und Sachziel zum Ausdruck. Formalziele sind demnach solche Ziele, die keine bestimmte Handlung vorschreiben und damit ein allgemeines Bewertungskriterium angeben; sie entsprechen den generellen Imperativen. Im Rahmen dieses Buches formulierte Ziele sind stets Formalziele; allein für sie, nicht aber für die Sachziele gelten die nachfolgenden Ausführungen. Damit Ziele ihre Funktion als Bewertungskriterien erfüllen können, müssen sie drei Anforderungen gerecht werden: • Ziele müssen vollständig formuliert sein. • Ziele müssen stellenbzw. aufgabenadäquat sein. • Ziele müssen koordinationsgerecht sein. Die grundlegende Anforderung, die an brauchbare Ziele gestellt werden muss, ist die der Vollständigkeit. Diese Anforderung impliziert zunächst die Forderung nach einer genauen Festlegung des Inhalts des Ziels durch die Extension des Zielinhalts und zugleich dessen Messung. In der Praxis wird häufig bereits gegen dieses einfache Prinzip verstoßen, wenn als Ziel der Gewinn formuliert wird, aber unbestimmt bleibt, ob dies ein Gewinn auf der Basis irgendeiner Form der Vollkostenrechnung oder der Deckungsbeitrag ist. Ist der Zielinhalt exakt festgelegt, so ist damit noch keine eindeutige Ableitung der optimalen Alternative einer Entscheidung möglich. Hierzu bedarf es unter anderem einer Festlegung, wie Zielbeiträge un‐ terschiedlicher Perioden miteinander zu verrechnen sind und bis wann diese zu erreichen sind. Am häufigsten erfolgt die Verrechnung von Zielbei‐ trägen unterschiedlicher Perioden durch die aus der Investitionsrechnung bekannte Abdiskontierung der Zielbeiträge unterschiedlicher Perioden mit einem risikoadäquaten Zinssatz auf den Zeitpunkt der Entscheidung. Die Darstellung von Zielbeiträgen einer Aktion zu einem Zeitpunkt, aber unter unterschiedlichen Umweltzuständen, wird mittels verschiedener Ent‐ scheidungsregeln wie etwa die Bayes-Regel vorgenommen. Besteht das für eine bestimmte Entscheidung maßgebliche Zielsystem aus mehr als einer Zielgröße (Deckungsbeitrag und Marktanteil), so bietet es sich bei‐ spielsweise an, die beiden Zielgrößen zu gewichten. Daraus ergibt sich als neue umfassende Zielgröße die Summe der gewichteten Einzelzielgrößen. Schließlich ist festzulegen, welche Ausprägung die Zielgröße erreichen soll. 152 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="153"?> Für viele Fälle der Praxis ist es ausreichend, wenn die Unternehmensbzw. Marketingziele hinsichtlich folgender Inhalte präzisiert werden, um den Zielerreichungsgrad zu kontrollieren: • Inhalt: „Was soll erreicht werden? “, z.-B. Steigerung des Umsatzes. • Angestrebtes Ausmaß: „Wie viel soll erreicht werden? “, z. B. Steigerung des Umsatzes um 15-%. • Zeithorizont: „Wann soll das Ziel erreicht werden? “, z. B. Steigerung des Umsatzes um 15-% innerhalb der beiden nächsten Jahre. • Geltungsbereich: „Für welchen Bereich (Geschäftsfeld, Region etc.) soll das Ziel gelten? “, z. B. Steigerung des Umsatzes um 15 % innerhalb der beiden nächsten Jahre bei Produkt A. Die Anforderung der Stellenadäquanz von Zielen hat ihre Begründung in dem organisationstheoretischen Postulat, dass die Aufgaben den Bereichen der Handlungskompetenzen und der Verantwortung entsprechen sollen. Als Maßstäbe für die Beurteilung von Aktionen kommt Zielen eine er‐ hebliche Bedeutung hinsichtlich der Motivation von Mitarbeitern zu, die nur dann zu erwarten ist, wenn die Beeinflussbarkeit der Beurteilungsgrößen in hinreichendem Maße gegeben ist. Der Zielinhalt Unternehmensgewinn kann für die Leiter des Unternehmens durchaus eine geeignete Beurtei‐ lungsgröße sein, für einen Werkstattleiter oder den einzelnen Mitarbeiter jedoch nicht. Während die Stellenadäquanz auf einzelne Stellen in einer Organisation abhebt, ist das Kriterium Aufgabenadäquanz auf Entschei‐ dungsbereiche zugeschnitten. Wie noch im Einzelnen zu diskutieren sein wird, ist etwa der einer Werbemaßnahme „zuzurechnende“ Gewinn kein geeignetes Ziel für die Entscheidung zwischen alternativen Inseraten, da einzelnen Inseraten meistens kein spezifischer Werbeerfolg zugerechnet werden kann. Die Anforderung der Koordinationsgerechtigkeit ergibt sich dadurch, dass Entscheidungen in Betrieben nicht isoliert getroffen werden. Einzelne Entscheidungen stehen zum einen in vertikaler Beziehung zu sachlogisch höherbzw. niederrangigen Entscheidungen und zum anderen in horizonta‐ ler Beziehung zu sachlogisch gleichrangigen Entscheidungen. Die Notwen‐ digkeit einer vertikalen Abstimmung ergibt sich aus der Hierarchie der Ziele und Aktionen: Ziele und Aktionen einer mittleren Entscheidungsebene sind Mittel zur Erreichung der Ziele höherer Entscheidungsebenen und Ziele der niedrigeren Entscheidungsebenen. Die daraus abzuleitende Forderung lautet: Teilziele müssen so formuliert sein, dass sie die Erreichung von 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 153 <?page no="154"?> Zielen übergeordneter Entscheidungsebenen fördern und die Erreichung von Zielen gleichgeordneter Entscheidungsbereiche zumindest nicht beein‐ trächtigen. Die bisher allgemein definierten Funktionen von Zielen werden im Folgenden nochmals präzisiert. Aus den vorangegangenen Ausführungen wurde erkennbar, dass Ziele zum Teil interdependente Funktionen haben: • Ziele sind Bewertungskriterien: Sie erlauben eine rationale Auswahl zwischen mehreren Aktionen im Rahmen der betrieblichen Planung. • Ziele sind Voraussetzung für jede betriebliche Kontrolle: Erst wenn Ziele formuliert sind, können Planungsprobleme erkannt werden, indem die realisierte und die gewünschte Ausprägung der Zielgrößen mitein‐ ander verglichen werden. • Ziele dienen der Koordination der einzelnen betrieblichen Aktionen: Vorwiegend mittels Zielvorgaben werden einzelne betriebliche Tätig‐ keitsbereiche in vertikaler und in horizontaler Richtung aufeinander abgestimmt. Die als realistisch zu verfolgenden Ziele können eine Unterscheidung in vor‐ ökonomische und ökonomische Ziele erfahren. Erstere betreffen Größen, die durch Marketingmaßnahmen direkt beeinflusst werden können, wie beispielsweise Bekanntheitsgrad, Reputation bzw. Qualitätsimage etc. Mar‐ ketingmaßnahmen können dementsprechend anhand dieser Ziele in ihrer Wirksamkeit beurteilt werden. Vorökonomische Ziele beeinflussen in einer längerfristigen Perspektive den Zielerreichungsgrad von ökonomischen Zielen, wie Absatz-, Umsatz und Deckungsbeitragszielen (vgl. Backhaus u. Voeth, 2014, S.-21). 3.1.5.2 Strategien Der Begriff der Strategie wird oft verwendet, ohne sich im Klaren darüber zu sein, was eigentlich damit gemeint ist. Aus einer militärischen Betrachtung heraus ist damit ein systematisches, planvolles an (Teil-)Zielen ausge‐ richtetes Vorgehen gemeint. Ursprünglich setzt sich der Begriff wohl an den griechischen Worten stratos (Armee) und agein (führen) zusammen und umschreibt damit die Kunst der Heeresführung in einem Mittel-Zweck-Denkzusammenhang: Die Strategie entspricht dem großen Rahmen (Strategiekanal), der die Vielzahl an Einzelentscheidungen durch intelligente Verknüpfung in Beziehung zur 154 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="155"?> übergeordneten Zielsetzung bringt. Da sich die Bedingungen, in denen sich die Strategie bewähren muss, ständig ändern, erfordert diese Unsicherheit eine gewisse Flexibilität im Sinne alternativer Teilpläne. Dazu sind präskriptive Theorien (griechisch theoria: wohlüberlegtes Durchdenken) notwendig, die die Wirkungen von Instrumenten vorhersagen. Die Erreichung von Zielen wird durch entsprechende Entscheidungen für oder wider bestimmte Aktionen gewährleistet. Im Rahmen der Planung werden möglicherweise zu ergreifende (marketingpolitische) Aktionen häu‐ fig in taktische und strategische Aktionen unterteilt. • Taktische Aktionen sind Aktionen, die nur eine vergleichsweise kurze Tragweite besitzen, die relativ schnell realisiert und zumeist auch relativ einfach korrigiert bzw. revidiert werden können (z. B. Sonderpreisak‐ tion). • Strategische Aktionen sind Aktionen, die eine vergleichsweise lange Zeit wirken, die häufig nur langsam in die Tat umgesetzt und nur schwer revidiert werden können (z.-B. Produktpositionierung). Langfristige, strategische Aktionen bzw. deren Konsequenzen formen in der Regel den groben Bezugsrahmen, den die kurzfristigen Aktionen ausfüllen. Taktische Aktionen dürfen demnach strategischen Aktionen nicht zuwider‐ laufen. Der sogenannte Strategiekanal in → Darstellung 3.7 verdeutlicht diesen Zusammenhang auch dahingehend, dass mit fortschreitender Zeit ausgehend vom Planungszeitpunkt eine zunehmende Flexibilität aufgrund sich unvorhersagbar veränderlicher Rahmenbedingungen gegeben sein muss (vgl. auch → Abschnitt 3.2.4). Wissen | Strategien geben demnach Antworten darauf bzw. zeigen den Weg an, wie entsprechende Ziele erreicht werden sollen. Strate‐ gien sind durch konkrete Aktionen mit Leben zu erfüllen, wobei mit weiter entferntem Zeithorizont aufgrund zunehmender Unsicherheit eine größere Flexibilität einhergeht. Oben wurde bereits verdeutlicht, dass die Ziel- und Strategieentwicklung keinesfalls als voneinander abgrenzbare Schritte gesehen werden dürfen, sondern dass sie sich vielmehr gegenseitig bedingen. Entsprechendes gilt natürlich für die Entwicklung des Ziel- und Strategiesystems. Konkret bedeutet dies, dass neben dem hierarchisch aufgebautem Zielsystem in 3.1 Grundlegende Aspekte des strategischen Marketings 155 <?page no="156"?> Eingrenzung der Strategie durch unternehmensinterne und -externe Rahmenbedingungen Strategiekanal Vorgaben durch Marketingstrategie Einzelmaßnahmen des Marketingmanagements (innerhalb des Strategiekanals) z.B. Produktvariation z.B. Sonderpreis Zeitverlauf Ziel Darstellung 3.7: Der Zusammenhang zwischen taktischen Aktionen und Strategien. → Darstellung 3.5 in Analogie ein ebenso gestaltetes Strategiesystem zu entwickeln ist. Ziele und Strategien gehören demnach zusammen und sind getrennt voneinander kaum sinnvoll zu betrachten, zumal Ziele beim Vorliegen von Strategiealternativen die Auswahl der letztendlich zu verfolgenden Strategie maßgeblich unterstützen (vgl. → Abschnitt 3.3.2). 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 3.2.1 Der Planungs- und Kontrollprozess 3.2.1.1 Strategische Analyse Der Ausgangspunkt der Planungen im Marketing liegt immer bei der Analyse der in einem zu bearbeitenden Markt relevanten Einflussfaktoren auf den Erfolg des Unternehmens. Als Systematik dient hierzu das in → Darstellung 3.8 abgebildete strategische Dreieck. 156 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="157"?> Unternehmen Konkurrenz Preis/ Nutzen Preis/ Nutzen Wettbewerbsvorteil Unsicherheit Kunde Darstellung 3.8: Strategisches Dreieck und die damit verbundene Unsicherheit als Aus‐ gangspunkt der Marketingplanung. Wie bereits in → Kapitel 1 besprochen, liegt der Ausgangspunkt beim möglichen Kunden. Dieser bewertet ein Leistungsangebot bei gegebenem Bedürfnis hinsichtlich des Verhältnisses aus wahrgenommenem Nutzen aller für ihn relevanten Bestandteile der angebotenen Unternehmensleis‐ tung (vgl. → Kapitel 5) und dessen Preis sowie mittels eines Vergleichs dieser Größe mit dem Nutzen der verfügbaren Konkurrenzangebote (zur Erfüllung des gleichen Bedürfnisses). Fällt diese Bewertung für das eigene Unternehmen positiv aus, so verfügt man in den Augen der Kunden über einen (Wettbewerbs-)Vorteil (vgl. → Abschnitt 3.1.2). Wissen | Ein Wettbewerbsvorteil einer angebotenen Leistung ge‐ genüber den relevanten Konkurrenzprodukten (den Substituten des eigenen Produkts) liegt vor, wenn dauerhaft eine für die Kunden substanzielle und wahrnehmbar überlegene Leistung angeboten wird. Diese muss effizient zu erstellen sein! Nur wenn diese Charakteristika gleichzeitig auf ein Leistungsmerkmal zu‐ treffen, kann von einem wirklichen Wettbewerbsvorteil gesprochen werden. Die Strategieformulierung basiert demnach auf der Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Schwächen in Relation zu denen der relevanten Konkur‐ renz (vgl. → Kapitel 1 und → Kapitel 4). Unter diesem Konkurrenzaspekt sind sowohl die aktuellen als auch die potenziellen Wettbewerber mit ihren 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 157 <?page no="158"?> Zielen und spezifischen Reaktionsprofilen aufgrund deren ressourcen‐ bezogener Ausstattung zu subsumieren. Gerade der Aspekt der Konkurrenz gestaltet sich auf den zweiten Blick diffiziler als vielfach vermutet wird. Einerseits ist die Informationsbeschaf‐ fung und -bewertung gegenüber der Kundenanalyse aufwändiger, da diese nicht frei zugänglich sind, und andererseits muss sich der Planer erst darüber klar werden, wer im konkreten Fall die Konkurrenz ist. So sind des Öfteren nicht unbedingt nur die direkten Anbieter vergleichbarer Leistungen (und vergleichbarer Größe) einzubeziehen, sondern auch diejenigen, die substi‐ tutive Leistungen anbieten. Beispiel | Ein Wäschereinigungsservice kann sich durchaus die Frage stellen, welche Dienstleistungen ein potenzieller Privatkunde bei einem gegebenen, begrenzten Budget außer der seinen in Anspruch nehmen könnte (z.-B. für Gartenarbeiten). Des Weiteren sind gleichzeitig die Bedürfnisse der Kunden sowie die aktuellen und zukünftigen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung mit einzubeziehen. Schließlich gehen die weiteren relevanten Markt- und Um‐ weltzustände (vgl. dazu → Abschnitt 3.2.1.3) mit ein. Diese Einschätzung der Stärken und Schwächen der relevanten Konkur‐ renz und der Bedürfnisse der Kunden ist naturgemäß mit einer mehr oder weniger großen Unsicherheit behaftet, d. h. im Unternehmen existieren üblicherweise keine genauen Vorstellungen bezüglich der beiden anderen Eckpunkte. Dementsprechend sind auch die Preis-Nutzen-Relationen nicht klar definierbar, d. h. Umweltzustände, daraus resultierende Handlungskon‐ sequenzen und somit die Planungen und Entscheidungen sind in aller Regel nicht auf einer sicheren Informationsgrundlage determinierbar bzw. zu fällen. Das Ausmaß an Unsicherheit ist bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Wissen | Die Unsicherheit im Planungsprozess kann mehr oder minder groß sein. Relevant ist damit das Denken in alternativ möglichen Szenarios, d. h. der Einfluss von Kombinationen von möglichen Ausprä‐ gungen bedeutender Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung mit einer bestimmten Strategie. 158 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="159"?> Der Vergleich der drei Eckpunkte des strategischen Dreiecks resultiert in einem System der strategischen Analyse (zu den Analyseinstrumenten vgl. →-Kapitel 4), wie in → Darstellung 3.9 abgebildet: • der relevanten Kunden im Rahmen einer Markt- und Bedürfnisana‐ lyse sowie deren Veränderungen („Welche Bedürfnisse wollen verschie‐ dene Kundengruppen befriedigt haben, welche Leistungsaspekte sind wichtig, verändert sich die Zahl der Kunden? “), • der relevanten Konkurrenz im Rahmen einer Konkurrenzanalyse („Mit wem konkurriere ich, was können diese besser, was können wir besser, ist dies für die Kunden relevant? “), • des eigenen Unternehmens im Rahmen einer Potenzialanalyse („Wo liegen unsere Stärken, wo liegen unsere Schwächen? “) und • der Branche insgesamt in Bezug auf die Ressourcenausstattung und weiterer Umweltdeterminanten. Potenzialanalyse Marktanalyse Chancen-Risiko-Analyse Konkurrenzanalyse Stärken-Schwächen- Analyse Geschäftsfeld Konkurrenz Kunde sonstige Marktdeterminanten Branchenanalyse … in relevanten Umweltszenarios Darstellung 3.9: Das System der strategischen Situationsanalyse. Im Anschluss daran können diese Informationen im Sinne einer ganzheit‐ lichen Unternehmensplanung beispielsweise in eine Balanced Scorecard einfließen. Dies geschieht durch den Fokus auf die folgenden vier Eckpunkte (vgl. Horváth et al., 2019, S.-130ff.): • Kunden („Wie sollten wir aus der Kundenperspektive dastehen? “), • Prozesse („Bei welchen Prozessen müssen wir Hervorragendes leisten? “), 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 159 <?page no="160"?> • Mitarbeiterlernen („Wie können wir unsere Flexibilitäts- und Verbesse‐ rungsfähigkeiten aufrechterhalten? “), • Finanzen („Wie sollten wir aus Kapitalgebersicht dastehen? “) Dieses Managementsystem erleichtert die Implementierung und Umsetzung von Strategien in eher operative Maßnahmen. Ein System wie die Balanced Scorecard stellt damit die Verbindung von Analyseergebnissen aus der Sicht des Marketings und unternehmensinternen Anknüpfungspunkten sicher. Die Befunde der Chancen-Risiko-Analyse - als Ausgangspunkt dieser Überlegungen war das Strategische Dreieck gewählt worden - gehen in die Punkte „Kunde“ und „Prozesse“ ein. Da aus diesen Überlegungen auch eine Zukunftsperspektive ableitbar sein sollte (vgl. dazu die Szenarioanalyse in → Abschnitt 4.2.5.7), ergeben sich Ansatzpunkte für den Aspekt „Lernen“. Schließlich münden alle Marketingaktivitäten in Änderungen bei finanziel‐ len Parametern - über die Absatzmenge und den realisierten Preis auf den Umsatz und den damit verbundenen Kosten auf den Deckungsbeitrag, die letztendlich die relevanten Erfolgsmaße darstellen. 3.2.1.2 Prozessablauf Für den Marketingmanagementprozess ergibt sich schließlich der in → Dar‐ stellung 3.10 wiedergegebene Ablauf. Zuerst erfolgt eine Analyse der Marketingsituation im zu planenden Geschäftsfeld sowie eine Durchführung von Prognosen zur Schaffung ei‐ ner geeigneten Informationsbasis für den Entwurf der Marketingstrategie. Innerhalb der Planungen zur Marketingstrategie werden danach die zu erreichenden Ziele (Frage: „Was soll erreicht werden? “) definiert. Beispiel | Betrachtet man zum Beispiel einen Hersteller von Kosme‐ tikprodukten, so könnte ein entsprechendes Ziel in einem Produktbe‐ reich lauten: „Der Marktanteil soll im mittelbis hochpreisigen After‐ shave-Markt innerhalb von drei Jahren mindestens 5-% betragen! “. Vor dem Hintergrund des festgelegten Ziels wird anschließend eine zieladä‐ quate Marketing-Strategie („Was ist generell zu tun? “) entworfen. Die Formulierung situationsadäquater Strategien ist von erheblichem Gewicht und macht das kreative Element des Marketings aus. 160 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="161"?> Beispiel | Bei obigem Beispiel könnte dies im Angebot eines hochwer‐ tigen Aftershave im Segment der 25bis 40-Jährigen mit mittlerem Einkommen bestehen. Die angestrebte Positionierung, d. h. der Wett‐ bewerbsvorteil, auf Basis der Konsumenten- und Konkurrenzanalyse könnte hier auf den Merkmalen „Hautpflege“ und „dezenter Duft“ liegen. Bei den Überlegungen, ob diese Strategie weiterentwickelt werden soll, gehen auch die Erkenntnisse bezüglich der Größe und Attraktivität (Wachs‐ tum, Stabilität, Konkurrenzdruck) dieses (Teil-)Marktes, übergreifende so‐ ziale und gesellschaftliche Aspekte sowie die Möglichkeiten einer interna‐ tionalen Vermarktung ein. Situationsanalyse und Prognose Konkurrenzanalyse Kundenanalyse Entwicklung einer Marketingstrategie: Marktsegmente / Positionierung Segmentpotenzial soziale/ Gesellschaftliche/ branchenbez. Aspekte internationale Aspekte Entwicklung des Marketing-Mix je Segment Implementierung des Marketing-Mix Prognose des Absatzes und der Deckungsbeiträge Kontrolle des Absatzes und der Deckungsbeiträge Zielformulierung von relevanten Szenarios Marktattraktivität Potenzialanalyse Darstellung 3.10: Der Marketingmanagementprozess. Die Festlegungen hinsichtlich der strategischen Komponenten des Marke‐ tings fasst man häufig im so genannten Produkt-Markt-Konzept zusam‐ 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 161 <?page no="162"?> men. Das Produkt-Markt-Konzept stellt die strategische Grundorientierung einer Geschäftseinheit dar; in ihm wird - entweder für ein einzelnes Produkt oder für die Gesamtheit der angebotenen Produkte einheitlich oder differenziert - insbesondere festgelegt, • welche Segmente des Gesamtmarktes die Zielmärkte darstellen (Seni‐ orenmarkt, Norddeutschland, Inland, Discounter-Markt etc.) und • welche grundsätzlichen Produktversprechen in einzelnen Segmenten (Positionierung) abgegeben werden sollen. Die Festlegung des Produkt-Markt-Konzeptes stellt eine wichtige Basis der strategischen Planung dar. Wissen | Die Strategie sowie ihre Ausgestaltung wird entwickelt, um den zukünftigen Erfolg nicht durch Zufall zu erringen. Aber schon mit dem ersten Schritt der Umsetzung ändert sich die Situation, und mit jedem weiteren muss neu überlegt werden. Marketingplanungen sind an geeigneten Zielen auszurichten. Sie sind voll‐ ständig zu formulieren und sie müssen stellenbzw. aufgabenadäquat sowie koordinationsgerecht sein. Die Inhalte der vier klassischen Instrumente des Marketing-Mix und bereichsadäquate Zielgrößen sind: • Produktpolitik: Der Nutzen des Angebots ist zu präzisieren, Ziel: Grad der Präferenz für das zu gestaltende Produkt. • Preispolitik: Die Gegenleistung für das präzisierte Angebot ist fest‐ zulegen, Ziel: Absatz und - daraus abgeleitet - Deckungsbeitrag des Produktes. • Distributionspolitik: Die Verfügbarkeit des Angebots im Markt ist zu gewährleisten, Ziel: Distributionsquote des Produktes (Akquisitorische Distribution). • Kommunikationspolitik: Die Bekanntheit des Angebots im Absatz‐ gebiet ist zu gewährleisten. Ziel: Reichweite bzw. Recognition-Wert bzw. Recall-Wert einer kommunikationspolitischen Maßnahme. Daraus ergeben sich die korrespondierenden Absatz- und Deckungsbeitrag‐ sprognosen. Die genannten Ziele sind insbesondere dann zu modifizieren, wenn nicht über Einzelprodukte, sondern über Produktgesamtheiten zu entscheiden ist. 162 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="163"?> Wissen | Eine umfassende Marketingplanung für alle Geschäftsbe‐ reiche eines Unternehmens ist ein wesentlicher Teil des Risikomana‐ gements eines Unternehmens. Nach Beendigung der Planungsphase folgt die Implementierung, wobei auf das Vorliegen geeigneter personeller und organisatorischer Vorausset‐ zungen zu achten ist (→ Balanced Scorecard). Im letzten Schritt des Mar‐ ketingprozesses, der Marketingkontrolle, erfolgt eine Überprüfung der Ergebnisse sowie gegebenenfalls eine Revision der Marketingstrategie. Die Ergebnisse der Marketingkontrolle fließen in den Prozess der Marketingpla‐ nung in Form einer Rückkopplung wieder ein (vgl. dazu auch → Abschnitt 3.2.4). Zusammenfassend lässt sich folgender Ablauf festhalten: • Analyse der Situation des Unternehmens und der für sie relevanten Umwelt und Festlegung der als relevant zu erachtenden Prämissenkons‐ tellationen. • Festlegung der Marketing-Gesamt- und Detailziele. • Erarbeitung von Strategien und operativen Maßnahmen. • Festlegung von Budgets. • Prognose von Wirkungen und Ergebnissen der Strategien und Maßnah‐ men bei Unterstellung alternativer Umweltbedingungen. • Erarbeitung von Planwerten. • Kontrolle nach Implementierung. 3.2.1.3 Ableitung von Planungsprämissen und Planwerten Die für die Planung und der Ableitung von erzielbaren Erfolgswerten relevanten Umweltzustände umfasst die Gesamtheit aller Faktoren, die in irgendeiner Weise einen Einfluss auf die Wirkung der Strategie eines Unternehmens haben können. Die einzelnen Zustände können durch Varia‐ blen aus nachstehendem Katalog (Pestel-Analyse, vgl. → Abschnitt 4.2) definiert werden; die Ausprägungen der verschiedenen Variablen werden häufig mittels so genannter Szenarioanalysen (vgl. → Abschnitt 4.2.5.7) zu möglichen sinnvollen Kombinationen zusammengefasst und mit Eintrittswahrscheinlichkeiten versehen. • Weltwirtschaftliche Bedingungen: „Weltkonjunktur“, weltweite Roh‐ stoffversorgung, internationale Handelsvereinbarungen bzw. Handelsre‐ gelungen, Angebots- und Nachfragesituationen in einzelnen Ländern etc. 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 163 <?page no="164"?> • Nationalwirtschaftliche Bedingungen: Marktvolumen, Konjunktur insgesamt und in einzelnen Wirtschaftsbereichen, Situation auf den Arbeits-, Rohstoff- und Finanzmärkten etc. • Branchen- und marktbezogene Bedingungen: Marktvolumen der Branche und dessen Entwicklung sowie Marktpotenzial (Marktattrak‐ tivität), Interaktionsintensität mit anderen Branchen (derivative Nach‐ frage), Zahl, Struktur, Größe, mögliche Aktionen und räumliche Vertei‐ lung der einzelnen Konkurrenten etc. • Regionale oder örtliche Bedingungen: Standortbedingungen hin‐ sichtlich Nachfrager und Lieferanten, Arbeitskräfte, steuerliche Bedin‐ gungen (Strukturbeihilfen), klimatische Bedingungen (Temperatur, Re‐ genfall) etc. • Rechtliche Bedingungen: Vorschriften des Arbeitsrechts, zur Un‐ ternehmensverfassung (Mitbestimmung), des Wettbewerbsrechts, des Handelsrechts, des Warenzeichen- und Patentrechts etc. • Betriebliche Bedingungen: Kapazität hinsichtlich Personen, Maschi‐ nen und Finanzmitteln, Know-how etc. • Eigenschaften der Produkte: Verderblichkeit/ Haltbarkeit, Sperrigkeit etc. Die ersten vier Bereiche umfassen dabei als große Gruppe von Zustands‐ variablen auch jeweils Variablen des Käuferverhaltens. Die meisten Pla‐ nungsprämissen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie als kurzfristig vom Entscheidungsträger nicht beeinflussbar, aber langfristig etwa durch eigene Anstrengungen oder durch politische Prozesse als beeinflussbar angesehen werden können. Für die Planung müssen sie daher in aller Regel als gegeben hingenommen werden, auf sie kann mithin lediglich reagiert werden. Planwerte ergeben sich als Handlungskonsequenzen, d. h. es handelt sich um die sich ergebenden Resultate der Strategien unter bestimmten Umwelt‐ zuständen. Dies wird bei den meisten Marketingentscheidungen der Absatz bzw. der Deckungsbeitrag sein, wenngleich auch andere Konsequenzen Be‐ deutung haben, wie etwa der Präferenzgrad für ein Produkt, die Bekanntheit eines Produkts oder eines Unternehmens und die Zahl der (Neu-)Kunden. Bei betrieblichen Entscheidungen sind meistens Absatzplanwerte zu defi‐ nieren und das Ergebnis als monetärer Gewinn auszuweisen. Die Ermittlung der Planwerte stellt ein typisches Problem der Marktforschung dar. Die Ermittlung der resultierenden monetären Größen kann weitgehend auf der Basis von innerbetrieblichen Gesetzmäßigkeiten vorgenommen 164 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="165"?> werden. Von dominierender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Kostenfunktionen, welche die kostenmäßigen Auswirkungen alternativer Absatzmengen und sonstiger betrieblicher Dispositionen abbilden. Aus den mit den jeweiligen Preisen bewerteten Absatzmengen und den entsprechen‐ den Kostenangaben lassen sich dann die Gewinnwerte ermitteln. 3.2.2 Das System der Marketinginstrumente Unter Marketing waren im ersten Kapitel alle diejenigen Entscheidungen, die primär die aktive Gestaltung der Absatzbedingungen eines Unterneh‐ mens zum Gegenstand haben, und die Realisation dieser Entscheidungen verstanden worden. Marketing wurde als absatzmarktorientierte Unterneh‐ menspolitik definiert („Führung des Unternehmens vom Absatzmarkt her“). In Anbetracht dessen stellen die Marketinginstrumente alle Instrumente zur Realisierung einer solchen Unternehmenspolitik dar. Die Gesamtheit der Marketinginstrumente kann demnach wie in → Darstellung 3.11 aufgezeigt, kategorisiert werden. Marketinginstrumente Marketinginstrumente sonstige absatzpolitisch relevante unternehmenspolitische Instrumente Instrumente der Marketingforschung sonstige informationswirtschaftliche Aktivitäten Instrumente der Preis- und Konditionenpolitik Instrumente der Innovations-, Produkt- und Programmpolitik Instrumente der Distributionspolitik Instrumente der Kommunikationspolitik (außer Öffentlichkeitsarbeit) Instrumente der Primärforschung Instrumente der Sekundärforschung Rechnungswesen Betriebsstatistik Betriebsvergleich ... Öffentlichkeitsarbeit Instrumente der Personalpolitik Standort,Betriebsgröße, Rechtsform des Unternehmens ... ... Instrumente der Informationsbeschaffung - Informationsbasis des Marketing - Instrumente der Absatzbeeinflussung - Aktionsseite des Marketing - Darstellung 3.11: Das System der Marketinginstrumente. Entsprechend der alle Teilbereiche eines Unternehmens berührenden Defi‐ nition des Begriffs Marketing ist auch der Bereich der Marketinginstrumente weit zu sehen. Sie werden bisweilen aber auch anders abgegrenzt bzw. bezeichnet und auch anders unterteilt (bspw. im Dienstleistungsmarketing, 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 165 <?page no="166"?> vgl. Bruhn et al., 2019, S. 490). Die marketingpolitischen Instrumente dienen der Beeinflussung der Absatzmarktsituation, die jedoch auch durch andere unternehmerische Maßnahmen maßgeblich beeinflusst wird. Das Instrument Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations - kurz PR) stellt sicher, dass eine günstige Ausgangslage für alle Aktionen des Unter‐ nehmens in der relevanten Öffentlichkeit vorhanden ist. Die Bedeutsamkeit der betrieblichen Personalpolitik für die Marketingziele ist vor allem bei Unternehmen offenkundig, die einen hohen Anteil an Dienstleistungen au‐ ßer Haus erbringen. Die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters einer Unterneh‐ mensberatung oder eines Handwerkbetriebs ist ohne Zweifel stark von der betrieblichen Personalpolitik abhängig, da diese wesentlich die Motivation des Mitarbeiters und dessen Arbeitsleistung wiederum die Absatzchancen eines Unternehmens beeinflusst. Bedeutsam für die Absatzmöglichkeiten eines Unternehmens sind auch dessen Größe und Standort, da in der Vorstel‐ lungswelt vieler Abnehmer der Standort eines Produktions- (Nürnberger Lebkuchen gelten bereits wegen ihrer Herkunft als qualitativ hochstehend) oder Dienstleistungsunternehmens (vielfach teuerste Innenstadtlage) und dessen Betriebsgröße (Großbetriebe gelten im Zweifel als leistungsfähiger) Indikatoren für das Leistungspotenzial eines Unternehmens sind. Wie bereits an früherer Stelle verdeutlicht wurde, ist die Beschaffung entscheidungsrelevanter Informationen häufig das größte Problem einer ra‐ tionalen marktorientierten Planung. Ebenso wie im Bereich der Instrumente der Absatzbeeinflussung kann im Bereich der Instrumente der Informati‐ onsbeschaffung eine Unterteilung danach vorgenommen werden, ob die entsprechenden Instrumente primär oder nur sekundär der Beschaffung von Daten für eine marktorientierte Absatzpolitik dienen. Dass die Absatz‐ marktforschung in erster Linie Daten für das Marketing zu beschaffen hat, trifft definitionsgemäß zu. Das Rechnungswesen dagegen dient vor‐ nehmlich anderen Zwecken (Gläubigerschutz, Gewinnermittlung), es liefert aber auch wichtige Daten für absatzbezogene Planungsaufgaben (vor allem Kosten und Umsatzwerte). Im Großen und Ganzen kann das klassische Marketinginstrumentarium oder der Marketing-Mix in die zwei Subgruppen Leistungsgestaltung und Leistungsvermittlung unterteilt werden. Die Leistungsgestaltung bezieht sich auf das „Produkt“ per se und auf das dafür vom Kunden zu entrichtenden Entgelt. Die Leistungsvermittlung umfasst die Aktivitäten, wie Kunden an für sie entscheidungsrelevante bzw. imagedeterminierende Informationen kommen und wie sie im Bedarfsfall die Leistung selbst 166 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="167"?> erwerben können. Alle Handlungsbereiche sind in irgendeiner Form in jeder Marketingstrategie nachweisbar. Das Entscheidungsproblem besteht also darin, in welcher Form die absatzpolitischen Instrumente zum Einsatz kom‐ men sollen, damit ein in sich stimmiges Marketingkonzept resultiert (→ Darstellung 3.12). primäre Instrumente der Leistungsgestaltung primäre Instrumente der Leistungsvermittlung produktpolitische Instrumente preispolitische Instrumente distributionspolitische Instrumente kommunikationspolitische Instrumente Marketing-Mix Darstellung 3.12: Instrumente der Leistungsgestaltung und Leistungsvermittlung im Mar‐ keting-Mix. Die Gesamtheit der Instrumente der Absatzbeeinflussung ist in → Abschnitt 3.1.5.2 in strategische und in taktische Instrumente unterteilt worden. Als strategische Instrumente des Marketings sind insbesondere die meisten Maßnahmen der Produkt- und Distributionspolitik anzusehen, während die Mehrzahl der preis- und kommunikationspolitischen Maßnahmen eher tak‐ tischer Natur sind. Diese Einteilung ist allerdings nur beschränkt zutreffend. Das Preisniveau eines Produkts (Normal-, nicht Sonderpreis) etwa kann kaum in kurzer Zeit mehrfach geändert werden, da andernfalls schwerwie‐ gende Folgen bei der Produkteinschätzung zu befürchten sind. 3.2.3 Optimale Gesamtplanung des Marketing-Mix Eine quantitativ fundierte Abstimmung der einzelnen Instrumente des Marketing-Mix kann nur bei Verwendung eines für alle Maßnahmen glei‐ chen Beurteilungskriteriums vorgenommen werden. Trotz der teilweise mangelnden Bereichsadäquanz kommt als ein solches Kriterium fast aus‐ schließlich der Deckungsbeitrag (vgl. → Abschnitt 3.3.1) in Betracht und 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 167 <?page no="168"?> als einheitliche Steuerungsgröße fast nur das Budget. Die Aufteilung des Marketingbudgets in unterschiedliche Teilbudgets stellt so einen einfachen Ansatz für eine Abstimmung der verschiedenen Planungen dar. Gemeinsames Kennzeichen aller Planungskalküle, die eine deckungs‐ beitragsoptimale Gestaltung eines einzelnen Marketinginstruments zum Gegenstand haben, ist der Tatbestand, dass der Instrumentaleinsatz dann optimal ist, wenn die zuletzt eingesetzte Einheit des Instruments keinen Deckungsbeitragszuwachs mehr erbringt. Dieser Aussage inhaltsgleich ist die Aussage, dass das betreffende Instrument dann im optimalen Umfang eingesetzt ist, wenn der Grenzdeckungsbeitrag der zuletzt eingesetzten Einheit gleich Null ist oder wenn die Grenzkosten gleich den Grenzer‐ lösen sind. Wissen | Das Budget ist gemäß dem Verhältnis der Elastizitäten der Nachfrage aufzuteilen, d. h. umsatzwirksamen Marketinginstrumenten sind mehr Mittel zuzuteilen als weniger umsatzwirksamen Instrumen‐ ten. Daraus kann ebenfalls abgeleitet werden, dass der Prozentsatz der Kom‐ munikationsaufwendungen vom Umsatz gleich dem negativen Verhältnis von Kommunikations- und Preiselastizität sein sollte. Nimmt man für den Fall von Konsumgütern die durchaus realistischen Werte von -2 für die Preiselastizität, von 0,1 für die Kommunikationselastizität (vgl. Tellis, 1988; bzw. auch die Übersicht bei Simon u. Dolan, 1997) an, sind 5 % vom Umsatz für die Kommunikation auszugeben. Diese für den Fall einer speziellen Marktwirkungsfunktion abgeleitete Erkenntnis gilt auch für andere Marktwirkungsfunktionen - die Auftei‐ lungsregel kann daher als allgemeine Handlungsanweisung angesehen werden. Sie ist darüber hinaus einsichtig und wird häufig implizit in der Praxis angewandt. Nach einigen mathematischen Umformungen des Theorems kann zudem eine optimale Beziehung zwischen Preisniveau und Kommunikati‐ onsbudget abgeleitet werden, nach der ein hohes Preisniveau mit einem hohen Kommunikationsbudget einhergehen sollte, et vice versa. Dieses als „Konsistenz“ bezeichnete Prinzip konnte empirisch bestätigt werden, indem nachgewiesen wurde, dass bei Beachtung der aufgezeigten Konsistenz höhere Renditen resultierten (vgl. Simon, 1992). 168 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="169"?> Wenn diejenigen Variablen, die den Einsatz der Marketinginstrumente charakterisieren, als stetig variierbar angesehen werden können, stellt der oben skizzierte marginalanalytische Ansatz ein realistisches Modell zur simultanen Optimierung des Einsatzes aller Marketinginstrumente dar. Mangelnde Kenntnisse über die empirischen Reaktionsfunktionen im Falle mehrerer Marketinginstrumente im Allgemeinen und das Vorhandensein von Wirkungsschwellen (z. B. Preisschwellen) im Speziellen machen es in der Regel allerdings kaum möglich, solche Modelle für globale Marke‐ ting-Mix-Entscheidungen zu formulieren (vgl. Tomczak et al., 2014, S. 235f.). Meistens ist daher eine simultane Optimierung des Einsatzes mehrerer Marketinginstrumente praktisch nicht realisierbar, allenfalls eine simultane Optimierung des Einsatzes von jeweils zwei Instrumenten. Simultane Opti‐ mierungen aller marketingpolitischen Instrumente für ein Produkt stehen in der Praxis allerdings auch nur sehr selten an. 3.2.4 Formen der Marketingplanung und -kontrolle Jegliche Planungsaktivitäten stellen eine gedankliche Vorwegnahme des Handelns (Probehandeln) dar. Planung umfasst demnach sowohl die Zielals auch die Mittelplanung, sie ist zukunftsorientiert. Planungsaktivitäten sind umso dringlicher, je dynamischer und komplexer die Unternehmens- und Umweltkonstellationen sind. Je stärker dies zutrifft, desto weniger wird man mit trial and error dem Optimum nahekommen (vgl. Schreyögg u. Koch, 2020, S.-9). Wissen | Unter Planung wird allgemein ein Festlegen von Zielen sowie Ressourcen und ein systematisches, zukunftsbezogenes Durch‐ denken sowie Festlegen von Maßnahmen zur Zielerreichung verstan‐ den. Die betriebswirtschaftliche Planungsliteratur hat unterschiedliche Klassifi‐ kationsschemata entwickelt. Das dominierende Einteilungskriterium für unterschiedliche Planungsmaßnahmen sind die Objekte der Planung (Pro‐ dukt, Preis, Distribution, Kommunikation. Andere Formen der Planung unterscheiden sich nach (vgl. auch Schweitzer, 2005): 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 169 <?page no="170"?> • Planungshorizont mit lang-, mittel- oder kurzfristigen Maßnahmen. Maßnahmen werden als kurzfristig und kürzestfristig eingestuft, wenn nur Wirkungen innerhalb des ersten Jahres bedacht werden, als mittel‐ fristig, wenn die Wirkungen bis maximal drei Jahre im Voraus analysiert werden und als langfristig schließlich alle übrigen Maßnahmen. • hierarchischer Ebene: Man unterscheidet zwischen Unternehmens‐ planung (Unternehmensleitung), Division- oder Abteilungsplanung (Middle Management) und Ausführungsplanung (Lower Manage‐ ment). • Revidierbarkeit: Demnach ist zwischen strategischen Plänen einer‐ seits und operativen bzw. taktischen Plänen andererseits zu unterschei‐ den. Die Ergebnisse der erstgenannten Pläne prägen das Erscheinungs‐ bild des Unternehmens und haben lange andauernde Wirkungen; die Ergebnisse der anderen Pläne dagegen sind einfach zu revidieren. Strategische Pläne kreisen um die Frage nach der Richtigkeit des Pro‐ dukt-Markt-Konzeptes bzw. der Marktwahl, während operative bzw. taktische Pläne vor allem die Frage nach den richtigen Maßnahmen zur Bearbeitung der ausgewählten Märkte zum Inhalt haben. Die der strategischen Planung zugrunde liegende Frage lautet also „Welche Produkt-Markt-Kombinationen sind zu bearbeiten? “; die Fragestellung der operativen bzw. taktischen Planung lautet dagegen „Wie ist die gewählte Produkt-Markt-Kombination richtig zu bearbeiten? “. Es ist evident, dass Parallelen zu →-Abschnitt 3.1.3 bestehen. Planungsmaßnahmen können schließlich auch danach beschrieben werden, wie sie mit anderen Planungen koordiniert werden. Allgemein gebräuchlich sind die Koordinationsprinzipien Top-down-, Bottom-up- und Gegen‐ strom-Prinzip. Die alternativen Koordinationsprinzipien sind in → Darstellung 3.13 verdeutlicht, wobei die einzelnen Planungsmaßnahmen anhand der hierar‐ chischen Ebene skizziert sind und nicht anhand des Planungshorizonts oder der Revidierbarkeit, was ebenfalls möglich wäre. Die Ziffern in → Darstellung 3.13 deuten die Reihenfolge der verschiedenen Aktivitäten in vereinfachter Weise an. 170 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="171"?> Planungen der Unternehmensleitung Planungen des Middle Managements Planungen des Lower Managements 1 2 3 3 2 1 Gegenstromprinzip 1 3 Leitlinien stellen Rahmen dar ausgefüllte Leitlinien werden zur Überprüfung vorgelegt 2 4 5 Top-down- Prinzip Bottom-up- Prinzip stellt Rahmen dar stellt Rahmen dar wird zusammengefasst zu wird zusammengefasst zu Leitlinien stellen Rahmen dar ausgefüllte Leitlinien werden zur Überprüfung vorgelegt Darstellung 3.13: Prinzipien der Koordination einzelner Pläne. Es ist unmittelbar einsichtig, dass bei einer Planung nach dem Top-down-Prinzip in keiner Weise gewährleistet ist, dass die auf höherer hierarchischer Ebene unterstellten, „globalen“ Wirkungszusammenhänge zum Beispiel zwischen verschiedenen Werbebudgethöhen und den ihnen entsprechenden Wirkungen realistisch sind. Bei einer Planung nach dem Bottom-up-Prinzip ist andererseits in keiner Weise gewährleistet, dass zum Beispiel die einzelnen Maßnahmen auch wirklich zu einer integrierten Strategie zusammenlaufen. Mit Hilfe des Gegenstrom-Prinzips versucht man, beide Probleme zu vermeiden und einerseits eine einheitliche sowie andererseits eine auf hinreichend genau spezifizierte Wirkungsgesetzmä‐ ßigkeiten aufbauende Konzeption zu erreichen. Planungen können schließlich starr oder flexibel sein, wobei unter starren Planungen unbedingte Planungen (z.B.: Senke den Preis auf € 9,99! ) und unter flexiblen Planungen bedingte Planungen zu verstehen sind, welche üblicherweise entweder als von Aktionen der Konkurrenten/ Absatzmittler oder als von Informationen abhängig sind. Die Beschreibung der alternativen Formen der Planung kann auch auf der Unterscheidung zwischen starrer und rollierender Planung aufbauen. Die Vorstellung, dass langfristige Planungen in größeren Periodenabstän‐ 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 171 <?page no="172"?> den vorgenommen werden, um dann für diesen Zeitraum als Fixpunkt der weiteren Planungen zu dienen, ist irreführend. Eine solche statische Betrachtungsweise der strategischen Planung würde angesichts laufender Änderungen in der Umwelt und im Unternehmen selbst unweigerlich zu erheblichen Problemen führen. Das Prinzip der rollierenden Planung ist in → Darstellung 3.14 verdeutlicht, in dem die Dichte der Schraffierung der einzelnen Balken die Detailliertheit der Planung andeutet (je dichter schraffiert das Feld, desto detaillierter die Planung).Bei der rollierenden Planung wird somit jeweils für den gesamten Planungshorizont (hier: 4 Jahre) geplant, wobei die jeweils am weitesten entfernt liegende Periode neu geplant wird und für alle anderen Perioden die Pläne des Vorjahres präzisiert bzw. überarbeitet werden. tt+1 t+2 t+3 Planungszeitpunkt: Anfang von Periode... Planungsperioden t t+1 t+2 t+3 t+4 t+5 t+6 Darstellung 3.14: Prinzip der rollierenden Planung. Wissen | Flexible Planungen sind vor allem bei längerfristigen Pla‐ nungen unverzichtbar, da anders kaum die Notwendigkeit einer klaren Vorausschau und zugleich die einer Anpassung an die spezifischen Marktforderungen zu gewährleisten ist (vgl. die → Abschnitt 3.1.5.2 und→-Abschnitt 3.2.1). Im Wege der Marketingplanungen versucht man, die unternehmenseigenen Möglichkeiten mit den marktbezogenen Begrenzungen sowie Chancen möglichst gut in Einklang zu bringen (vgl. →-Abschnitt 3.2.1). Wissen | Die Planung soll sowohl durch eine klare Analytik (Situati‐ onsanalyse) als auch durch einen kreativen Entwurf (Entwicklung von Strategien) gekennzeichnet sein. 172 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="173"?> Bereits bei → Darstellung 3.10 wurde der Zusammenhang zwischen der Planung und Umsetzung von Aktivitäten sowie der nachfolgenden Kon‐ trolle diskutiert. Die Interaktion dieser beiden betrieblichen Aktivitäten ist einfach zu skizzieren: Wenn nicht überprüft wird, ob Planungswerte erreicht werden bzw. in welchem Ausmaß Abweichungen eintreten, ist die nachfolgende Planung nicht mit der vorhergehenden Planung verbunden und es tritt keine Verbesserung der Planung (z. B. durch die Überprüfung der Marktgesetzmäßigkeiten) ein. Wenn keine Planung vorliegt, fehlt es der Kontrolle an dem Maßstab, um irgendwelche Überprüfungen vorzunehmen. Wissen | Eine sinnvolle Gesamtkonzeption der unternehmerischen Planung bedingt eine systematisch aufgebaute Kontrolle, denn Planung ohne Kontrolle ist sinnlos und Kontrolle ohne Planung un‐ möglich. Im Rahmen einer laufenden systematischen Überprüfung betrieblicher Vorgänge und Zustände sollen demnach die aus der Planung entnom‐ menen Sollwerte den tatsächlich erreichten Istwerten gegenübergestellt (Soll-Ist-Vergleich) und Hinweise für die Ursachen der Abweichung bzw. für Korrekturmaßnahmen gegeben werden. Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich im Rahmen der Kontrolle Klarheit darüber zu verschaffen, ob die der Planung zugrunde liegenden Situations‐ beschreibungen und Wirkungsgesetzmäßigkeiten zutreffend sind. So ist es etwa für die nachfolgende Planung von eminenter Bedeutung zu wissen, ob die unterstellten Werte der Preiselastizität der Nachfrage näherungs‐ weise zutreffend sind. Die Kontrolle geht hier über einen Vergleich der Sollmit den Ist-Werten hinaus. Dass diese Art der Kontrolle wesentlich komplexer und schwieriger zu realisieren ist als eine Ergebniskontrolle, ist nahe liegend. Diese so genannte Prämissenkontrolle ist insbesondere im Bereich des Marketings von entscheidender Bedeutung dafür, dass Planungen immer genauer wer‐ den. Bei Maßnahmen, die erst längerfristig Wirkungen zeigen, bedarf es in der Regel auch einer Tätigkeitskontrolle. Dem Verständnis der Mar‐ ketingpraxis folgend stellt beispielsweise eine Kontrolle der Tätigkeiten der Außendienstmitarbeiter einen wichtigen Teilbereich der Marketingkon‐ trolle dar. Erst ein abgerundetes System aus Tätigkeits-, Ergebnis- und 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 173 <?page no="174"?> Prämissenkontrolle verbunden mit entsprechenden Planungsmaßnahmen garantiert eine langfristig erfolgreiche Unternehmenspolitik. Wissen | Planung und Kontrolle im Sinne einer analytischen Durchdringung des Unternehmensgeschehens sind nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen für einen langfristigen Unter‐ nehmenserfolg. Ohne klare Analysen und kreative Konzeptionen (Produkt-Markt-Konzept) wird selbst die beste Planung und Kontrolle keinen langfristigen Unternehmenserfolg bringen. 3.2.5 Marketing-Audit und Marketingplan als Kern der Marketingplanung und -kontrolle Kontrollaktivitäten im Marketing müssen neben quantitativen Ergebni‐ sprüfungen auch qualitative Komponenten beinhalten. Zu diesem Zweck wird ein so genanntes Marketing-Audit durchgeführt, das eine kritische Durchsicht bestehender Sachverhalte beinhaltet. Damit wird eine um‐ fassende und systematische Analyse v. a. der Marketingumwelt (u. a. Planungsprämissen), -ziele, -strategien, aber auch der -aktivitäten einer Unternehmenseinheit bezeichnet (vgl. Tomczak et al., 2014, S.-266f.). Beim Start des Audits werden mit dem Unternehmensmanagement Ziele, Umfang und Tiefe sowie Informationsquellen (Mitarbeiter, Handelspartner, Kunden etc.) abgeklärt. Die erhobenen Informationen werden konsistent in einen Zusammenhang gebracht und interpretiert. Das bildet die Basis für konzeptionelle Vorschläge. Das Marketing-Audit ist mit intensiven Interaktionen zwischen Auditor und Management verbunden, so dass die im Unternehmen vorhandene Betriebsblindheit abgebaut wird. Die vielfältigen Marketingplanungs- und Kontrollmaßnahmen kulminie‐ ren in verschiedenen Plänen, wobei dem jährlich zu aktualisierenden Mar‐ ketingplan (auf Basis eines Audits) die größte Bedeutung zukommt. Bei Unternehmensneugründung ist der Marketingplan ebenfalls ein zentraler Bestandteil (zu Spezifika vgl. Gierl u. Helm, 2003). Er beinhaltet die Darstel‐ lung der Aktivitäten, die in → Abschnitt 3.2.1 aufgezeigt und miteinander verbunden worden waren. Vielfach steht zu Beginn des Plans eine Synopsis. Daneben können jedoch auch die Vision (→ Abschnitt 3.1.1 und → Ab‐ schnitt 3.1.5.1) sowie die grundsätzliche Strategie (→ Abschnitt 3.1.3) und die vorhandenen Ressourcen (→-Abschnitt 3.1.2) zu erläutern sein. 174 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="175"?> Am Anfang sollte eine klare und komplette Analyse der strategischen Situation (vgl. auch → Darstellung 3.9) stehen, in der die - auch finanz‐ orientierte - Ausgangslage der Planungseinheit klar umrissen ist. Dabei sind zum einen die gesamtwirtschaftlich-gesellschaftliche Umwelt und zum anderen die branchenbzw. einzelwirtschaftliche Umwelt zu berücksichti‐ gen. Ziel der Situationsanalyse ist es, die gesamten Umweltbedingungen klar gegliedert zusammenzustellen. In einer volatilen Umwelt kann es erforderlich sein, alternative Umweltszenarios darzustellen. Insbesondere sind die Aspekte aus → Abschnitt 3.3.2 sowie → Kapitel 4 zu beachten. Der Situationsbericht ist eine wichtige Grundlage für jede Art von Prämissen‐ kontrolle, die - wie bereits herausgestellt - eine Voraussetzung für effiziente weitere Planungsschritte ist. Wissen | Jeder Marketingplan kann nur so gut sein, wie die Infor‐ mationen, auf welche er baut. An den Situationsbericht schließt sich der Ziel- und Strategieteil an, der auf das Unternehmen selbst gerichtet ist. Im Wesentlichen sind in diesem Teil des Marketingplans drei Arten von Informationen zusammenzutra‐ gen: • Strukturelle Gegebenheiten des Unternehmens und ihre Veränderung aufgrund bereits vorgenommener Planungen. • Unternehmens- und relevante Bereichszielsetzungen. • Langfristige Strategie und generelle Festlegungen. Strukturelle Gegebenheiten betreffen die Kapitalversorgung, den Bestand an wichtigen Sachmitteln, an Know-how und die Personalsituation, die Struk‐ tur der Kosten und des Informationssystems. All diese Faktoren sind dann zu berücksichtigen, wenn ihnen ein Einfluss auf den Planungsgegenstand in der Gegenwart oder in naher Zukunft vor allem in der Form zukommen kann, dass sie zu einem Engpass werden können. Ergänzt wird dies durch eine klare Zielsystematik und eine Wieder‐ gabe der langfristigen Strategien bzw. generellen Festlegungen (z. B. Un‐ ternehmensvision etc.). Der Ziel- und Strategieplan sollte aufzeigen, in welchen längerfristigen betrieblichen Rahmen (auch finanzielle Ziele, vgl. → Abschnitt 3.1.5.1) sich die zu planenden Maßnahmen einzufügen haben. Dieser ist ggf. laufend zu überprüfen und fortzuschreiben. Sind bei der Situationsanalyse erhebliche Unsicherheiten bei der Einschätzung und 3.2 Planung und Kontrolle im Marketing 175 <?page no="176"?> Prognose von relevanten Umweltzuständen zu konstatieren, sollten Strate‐ giealternativen aufgezeigt werden. Das System der Ziele und längerfristi‐ gen Strategien ist auf Konsistenz, Richtigkeit und Umweltangemessenheit zu kontrollieren. Wissen | Veränderungen der gesellschaftlichen Bedingungen können etwa bestimmte Zielsetzungen in den Hintergrund treten und andere als bedeutungsvoller erscheinen lassen (z. B. zunehmende Berücksich‐ tigung ökologischer Faktoren in der Unternehmenszielsetzung). Auf den unternehmensexternen und den unternehmensinternen strukturel‐ len Gegebenheiten und den einzelnen Strategien fußt die Darstellung der eigentlichen Planungs- und Kontrollmaßnahmen des Jahresplans. Dies wird entweder nach Produkten bzw. Produktbereichen oder nach Märkten gegliedert und sollte durch einen umfassenden Kontrollteil eingeleitet wer‐ den. Der Kontrollteil beinhaltet zum einen Soll-Ist-Vergleiche aller wichtigen Maßnahmen und aller wesentlichen Marktsegmente und zum anderen Prämissenkontrollen etwa hinsichtlich der Attraktivität verschiedener Pro‐ duktmerkmale. Den Abschluss hat die (modifizierte) Fortschreibung und Präzisierung der längerfristigen Strategie (→ rollierende Planung) zu bilden. Dieser Kontrollbericht leitet unmittelbar zu einem Berichtsteil über, der gezielte Verbesserungen bzw. Anpassungen der bisherigen Maßnahmen zum Inhalt hat (reaktive Planung). Was unter Kontrolle der Planungsprä‐ missen sowie der Ergebnisse und unter Festlegung der Maßnahmen im Pla‐ nungsjahr zu verstehen ist, kann zumindest umrissartig aus den bisherigen und noch folgenden Ausführungen und den → Kapitel 5 bis 8 geschlossen werden. Er bildet ferner den Ausgangspunkt für die proaktive Planung der einzelnen marketingpolitischen Maßnahmen. Im letzten Teil des Marketingplanes werden die kompletten finanziel‐ len Auswirkungen der geplanten Maßnahmen in Bezug auf die Erlöse und Kosten im Sinne eines Einzahlungs-Auszahlungsplans, ggf. unter Be‐ rücksichtigung der zeitlichen Verteilung mittels einer Abzinsung, erfasst. Ebenso werden die einzelnen Budgets (z. B. Kommunikation, Außendienst, Verkaufsförderung für einzelne Produkte, Marktsegmente) tabellarisch so‐ wie die zeitliche Abfolge der einzelnen Maßnahmen kalendermäßig zusam‐ mengestellt. Der Marketingplan als Ganzes stellt dann die Summe der Handlungsempfehlungen für eine Planungsperiode ( Jahr) dar. 176 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="177"?> Wissen | Erst die Bewertung der geplanten Maßnahmen mit Erlösen und Kosten zeigt, ob der Plan finanziell konsistent - also auch durch‐ führbar ist und die finanziellen Unternehmensziele unterstützt. 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess In diesem Abschnitt werden einige Prinzipien aufgezeigt, um für bestimmte Entscheidungssituationen optimale bzw. adäquate Entscheidungen treffen zu können. Diese stellen im wesentlichen Regeln dar, wie Informationen über markt- und unternehmensbezogene Gegebenheiten rational zu verar‐ beiten sind. Damit soll ein Verständnis vermittelt werden, wie bzw. welche Kosten- und Erlösbeträge einzelnen Marketingmaßnahmen zuzurechnen sind und wie die im Hinblick auf bestimmte Ziele optimalen Aktionen abzuleiten sind. 3.3.1 Die Deckungsbeitragsrechnung als Entscheidungsrechnung Entscheidungen im Marketing sollen unter gegebenen Umständen zu opti‐ malen Preis-Mengen-Kombinationen führen. Optimal bedeutet in dieser Be‐ ziehung eine maximale Gewinnerzielung durch die Entscheidung. Innerhalb der Planungen im Marketing sind deshalb bei der Entscheidungsfindung in aller Regel die in Betracht kommenden Aktionen mit spezifischen Ausgaben und Einnahmen zu verbinden. 3.3.1.1 Kosten und Erlöse in entscheidungslogischer Sicht An einem Beispiel soll die Entscheidungsproblematik verdeutlicht werden. Beispiel | Ein Unternehmen könnte einen Zusatzauftrag eines Han‐ delsunternehmens über die Produktion von 10.000 Einheiten einer Variante eines Produkts in ihrem Sortiment annehmen, das dann beim Auftraggeber unter dessen Handelsmarke verkauft werden soll. Der Abgabepreis beträgt €-6,pro Einheit. Produktionsfläche bzw. -anlagen sind vorhanden, da der Betrieb zum Entscheidungszeitpunkt nicht die 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 177 <?page no="178"?> volle Kapazität nutzt. Der Personaleinsatz im betreffenden Betriebsbe‐ reich (dieses ist nicht ausgelastet) wird für die Dauer des Zusatzauftrags mit € 20.000,kalkuliert. Für die Produktion und den Absatz einer Einheit sind Kosten in Höhe von € 3,50 aufzuwenden. Alternativ könnte dieser Auftrag auch an einen Subunternehmer vergeben werden, der für die Produktion der geforderten Menge einen Preis von € 50.000,veranschlagt. Ein möglicher Ansatz zur Fundierung der anstehenden Entscheidung ist im Folgenden veranschaulicht: - eigene Fertigung fremde Fertigung Erlöse der Entscheidung, den Auftrag anzunehmen € 60.000 € 60.000 direkte Kosten für Material € 35.000 - Personalkosten € 20.000 - Kosten der Auftragsvergabe - € 50.000 Gewinn € 5.000 € 10.000 Die daraus abzuleitende Schlussfolgerung lautet: Die Absatzchance sollte zwar wahrgenommen werden, die Fertigung sollte jedoch an den Subunternehmer vergeben werden. Diese - durchaus verbreitete - Vorgehensweise der Ermittlung der Kosten eines Produkts ist für Planungszwecke nicht rational. Eine logisch schlüs‐ sige Planungs- oder Entscheidungsrechnung darf nur jeweils diejenigen Kostenbestandteile in das Entscheidungskalkül einbeziehen, die als von der Entscheidung abhängig anzusehen sind. Dieses Prinzip der strikten Trennung der entscheidungsabhängigen von den entscheidungsunabhängi‐ gen Kosten gilt ebenfalls für Erlöse. Diese diesbezügliche Trennung dient der Ermittlung eines entscheidungsabhängigen Nettoerlöses für jede Alternative, der im Allgemeinen Deckungsbeitrag genannt wird. Dieser ist für jede anstehende Alternative wie folgt zu ermitteln (wobei die zeitliche und betragsmäßige Gleichheit von Kosten und Aufwendungen bzw. von Erträgen und Erlösen unterstellt wird). 178 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="179"?> Entscheidungsabhängige Erlöse der Entscheidungsalternative i ./ . Entscheidungsabhängige Kosten der Entscheidungsalternative i = Deckungsbeitrag (entscheidungsabhängige Nettoerlöse) der Entscheidungsal‐ ternative i Dieser Deckungsbeitrag bringt somit denjenigen Erlösbeitrag zum Aus‐ druck, der zur Abdeckung der nicht-entscheidungsabhängigen Kosten ver‐ wendet werden kann bzw. als Gewinn anzusehen ist. Beispiel | In unserem Fall sind die Personalkosten im eigenen Unter‐ nehmen nicht durch die Entscheidung, den Zusatzauftrag anzunehmen verursacht, sondern durch die Entscheidung, diesen Betriebsbereich im Unternehmen zu halten. Der Zusatzerlös dieses Auftrags liegt demnach bei Eigenfertigung bei € 25.000,- und ist höher als bei Fremdvergabe. Dies ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: Da die Kosten des Personals für den betrachteten Zeitraum unabhängig von der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Zusatzauftrags im Unternehmen anfallen, können sie nicht auf die anstehende Entscheidung „umgelegt“ werden. Der Gewinn aus der Auftragsannahme deckt damit die in jedem Fall anfallen‐ den (Personal-)Kosten dieses Betriebsbereichs. Es handelt sich um einen durch die Entscheidung entstehenden Deckungsbeitrag, der sich durch die ausschließliche Berücksichtigung von entscheidungsrelevanten Kosten und Erlöse ergibt. Das Konzept der entscheidungsabhängigen Erfolgsbeiträge ist zuge‐ schnitten auf den Fall der Entscheidungsrechnung, die sowohl für Pla‐ nungsals auch für Kontrollzwecke, aber nicht für die handelsrechtlich vorgeschriebenen Dokumentationszwecke angemessen ist. Die Situation der Planung besteht typischerweise darin, sich Klarheit darüber zu verschaf‐ fen, welche Verbesserung bzw. Verschlechterung das Gesamtsystem infolge einer bestimmten Entscheidung erfährt. 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 179 <?page no="180"?> Wissen | Der Deckungsbeitrag einer Entscheidung stellt genau denjenigen Zusatzgewinn des Gesamtsystems dar, der infolge dieser Entscheidung bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen erzielt wird. Was unter entscheidungsabhängigen Erfolgsbeiträgen zu verstehen ist, hängt vom Einzelfall der Entscheidung ab. Entscheidungsabhängigkeit ba‐ siert in jedem Fall auf einer Marginalbetrachtung. Da Entscheidungsrech‐ nungen definitionsgemäß in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit gerichtet sind, sind grundsätzlich Plankosten und Planerlöse den Berech‐ nungen zugrunde zu legen. Betrachtet man den Deckungsbeitrag als ein geeignetes Entscheidungskriterium, so gilt folgendes: Plandeckungsbeitrag der Entscheidung = relevante Planerlöse (Grenzplanerlöse) der Entscheidung ./ . relevante Plankosten (Grenzplankosten) der Entscheidung Für die Zwecke der Ermittlung von relevanten Plankosten ist es bei pro‐ duktbezogenen Entscheidungen vielfach nützlich, die Gesamtkosten eines Unternehmens nach folgenden Kriterien zu unterteilen (vgl. Domschke u. Scholl, 2008, S. 300ff.): Ausbringungsmengenabhängigkeit und Zurechen‐ barkeit zu einem bestimmten Produkt. Nach dem Kriterium der Ausbringungsmengenabhängigkeit werden variable und fixe Kosten unterschieden. Fixe Kosten sind definitionsge‐ mäß nicht ausbringungsmengenabhängig; dies bedeutet allerdings nicht, dass sie unveränderlich sind, sie können vielmehr zeitabhängig oder von bestimmten betrieblichen Dispositionen abhängig sein. Variable Kosten sind solche Kosten, die von der Ausbringungsmenge abhängig sind, wobei die Abhängigkeit nicht unbedingt linearer Natur sein muss. Der Einfachheit halber sei im Folgenden angenommen, dass die Ausbringungsmenge der verkauften und nicht der produzierten Menge entspricht. Nach dem Kriterium der Zurechenbarkeit werden Einzelkosten und Ge‐ meinkosten unterschieden. Produkt-Einzelkosten sind Kosten, die einem bestimmten Produkt, nicht aber notwendigerweise einzelnen Stücken dieses Produktes zugerechnet werden können; Produkt-Gemeinkosten sind Kosten, die nicht einem einzelnen Produkt zugerechnet werden können. Da die beiden Kriterien grundsätzlich als unabhängig voneinander variierbar 180 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="181"?> angesehen werden können, kann das in → Darstellung 3.15 dargestellte Schema zur Verdeutlichung herangezogen werden. - Zurechenbarkeit zu einem bestimmten Produkt ja (Produkt-Einzelkosten) nein (Produkt-Gemeinkosten) Ausbrin‐ gungs‐ mengen‐ abhängigkeit ja (variable Kosten) Materialkosten bei Einzel‐ fertigung, Provisionen Materialkosten bei Kuppel‐ produktion, Boni nein (fixe Kos‐ ten) Kosten für Sonderma‐ schinen, Kosten für eine Ein-Produkt-Werbe‐ kampagne Kosten der Unternehmens‐ leitung, Kosten für eine Fir‐ menwerbungsmaßnahme Darstellung 3.15: System der Kosten (mit Beispielen). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass im Einzelfall die Zuordnung von Kosten zu einer der vier Klassen theoretische und vor allem erhebliche praktische Probleme aufwerfen kann (daher: Unterteilung zwischen echten und unechten Gemeinkosten). Analog können auch Erlöse unterteilt wer‐ den. In diesem Sinne stellen „variable Einzelerlöse“ den Regelfall dar. Beispiel | Beispiele für andere Erlöse sind: • Fixe Einzelerlöse: Erlöse aus Wartungsverträgen für einzelne Maschinen (z. B. Drucker); diese Erlöse sind einzelnen Produkten, nicht aber einzelnen Serviceleistungen zurechenbar, da zumeist ein fixer Wartungslohn vereinbart ist. • Variable Gemeinerlöse: Erlöse aus Geschäftsverbindungen, denen am Jahresende eine Erstattung nach Maßgabe des Gesamtumsatzes gewährt wird ( Jahresbonus). Aus entscheidungslogischer Sicht sind allein Grenzerlöse (= relevante Er‐ löse) und Grenzkosten (= relevante Kosten) beim Kalkül anzusetzen. Unterstellt man, dass sich die variablen Kosten proportional zur Aus‐ bringungsmenge verändern, so sind im Falle der Entscheidung über eine Zusatzproduktion bei konstanter Kapazität die entscheidungsabhängigen Kosten (Grenzkosten) die variablen Einzelkosten; steigen die variablen 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 181 <?page no="182"?> Kosten mit Zunahme der Ausbringungsmenge nicht linear an, so weichen variable Einzelkosten und Grenzkosten voneinander ab. In den folgenden Kapiteln wird von einer Differentialbetrachtung und linearen Kostenfunk‐ tionen ausgegangen, so dass bei einer Erhöhung der Ausbringungsmenge um eine Einheit zwischen den Grenzkosten und den Zusatzkosten kein Unterschied besteht. Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden: • Zur Entscheidungsfindung sind Planungsrechnung und Plandaten er‐ forderlich, letztere müssen noch beeinflussbar sein. • Kosten vor Planungszeitpunkt sind nicht mehr entscheidungsrelevant, da sie nicht mehr beeinflussbar sind. • Kosten, die nicht unmittelbar von der Entscheidung abhängig sind, sind nicht entscheidungsrelevant, da sie nicht von der Entscheidung beeinflusst sind, sie sind nicht zurechenbar. Andere Kosten, die auch bei Nicht-Realisierung der Entscheidung anfallen, sind ebenfalls nicht entscheidungsrelevant und demnach nicht zu berücksichtigen. Als Konsequenz dieser Überlegungen ergibt sich, dass Zusatzgewinne aus der Realisierung von Entscheidungen deutlich variieren können, je nachdem, inwieweit Kosten betriebswirtschaftlich korrekt berücksichtigt worden sind. Aus diesem Sachverhalt folgt, dass in einer Branche die Durchführung eines Auftrags bzw. die Aufnahme eines neuen Produkts in das Sortiment etc. von Unternehmen zu Unternehmen verschieden rentabel sein kann. Je nachdem, welche Voraussetzungen im Unternehmen vorliegen (vorhandenes Fertigungsmaterial, nicht ausgelastetes Personal oder Kapazitäten etc.), liegt eine andere Kostenstruktur hinsichtlich der Entscheidungsrelevanz vor. Die individuelle Kalkulation kommt dann fol‐ gerichtig auch zu verschiedenen Ergebnissen. Damit folgt letztendlich, dass die pauschalierende Aussage „die Konkur‐ renz verkaufe oder biete unter Herstellkosten an“ in der Regel nicht korrekt sein kann. Selbst bei subjektiv sehr ähnlichen Unternehmen, die beispielsweise um einen Auftrag konkurrieren, kann die Kostenstruktur hinsichtlich der einzubeziehenden Kosten in die Kalkulation aufgrund früherer Entscheidungen so unterschiedlich sein, dass daraus verschiedene Angebotspreise resultieren können. 182 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="183"?> 3.3.1.2 Mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung Auf lange Frist sind unstrittig alle entstehenden Kosten zu decken und darüber hinaus Überschussbeträge (Gewinn) zu erwirtschaften, wenn ein Unternehmen dauerhaft erfolgreich wirtschaften will. Eine geeignete Ent‐ scheidungsrechnung, die erlaubt, alle Kosten zu berücksichtigen, die aber zugleich nur die für die einzelnen Entscheidungen jeweils relevanten Kosten erfasst, stellt die mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung dar. Wissen | Das Grundprinzip der mehrstufigen Deckungsbeitrags‐ rechnung ist, dass zwar alle Kosten (Einzel- und Gemein-, fixe und variable Kosten) in die Kostenrechnung eingehen, die Zurechnung aber differenziert vorgenommen wird. Die Zurechnung erfolgt dabei nach dem Prinzip der Entscheidungsab‐ hängigkeit, wobei klar ist, dass weiterreichenden Entscheidungen mehr Kostenarten zugerechnet werden können als nicht so weitreichenden Ent‐ scheidungen. Während im vorangegangenen Abschnitt alle Kosten, die nicht variable Einzelkosten waren, als ein einheitlicher Block betrachtet wurden, wird bei der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung dieser Kostenblock aufgelöst. Die Zurechnung der Kosten erfolgt auf der Basis einer Bezugsgrößen‐ hierarchie, welche die einzelnen Entscheidungstatbestände gemäß einer mengentheoretischen Betrachtung ordnet. Geht man von einem Mehrpro‐ duktunternehmen aus, so ist ein abgesetztes Stück eines bestimmten Pro‐ dukts eine Teilmenge aller abgesetzten Stücke dieses Produkts, ein Produkt eine Teilmenge der zugehörigen Produktgruppe, eine Produktgruppe eine Teilmenge der Gesamtheit aller angebotenen Produkte usw. Aufgrund einer solchen Bezugsgrößenhierarchie kann ein Schema der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung abgeleitet werden, wie es in → Darstellung 3.16 an einem Beispiel illustriert ist. Die jeweiligen Deckungsbeiträge können als Nettogrenzerlöse interpretiert werden; sie bringen mithin diejenige Erlösmenge zum Ausdruck, um die sich der Gesamtunternehmensgewinn verringert, wenn die jeweilige Bezugsein‐ heit wegfällt. Die Frage, ob die jeweiligen Kosten auch wirklich kurzfristig abgebaut werden können (Fixkostenremanenz), wird im Einzelfall erheb‐ liche Probleme aufwerfen. Diese Problematik ist unmittelbar einsichtig für 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 183 <?page no="184"?> den Fall eines Mitarbeiters, der zwar einem bestimmten Produkt zugerechnet werden kann, aber langfristigen Kündigungsschutz besitzt. Andere Bezugsgrößenhierarchien, denen in der Praxis ebenfalls erhebli‐ che Bedeutung zukommt, sind etwa folgende: • Einzelne Produkteinheiten - Auftrag - Auftragsgrößenklasse - Gesamt‐ unternehmen. • Einzelne Produkteinheiten - Verkaufsbezirk - Verkaufsregion - Ge‐ samtunternehmen. Bezugsobjekt Ergebnisbeiträge Produkte Summe Grenzerlös (Nettoverkaufspreis) ./ . Grenzkosten (variable Einzelkosten je Einheit) 1 2 3 4 5 6 7 9 2 6 4 5 8 1 3 = Stückdeckungsbeitrag x abgesetzte Menge 2 2 1 1 3 10 5 20 3 16 = Stückdeckungsbeitrag x Menge 20 10 20 3 48 ./ . Fixkosten der einzelnen Produkte 5 8 3 4 20 101 40 Einzelne Einheiten eines Produkts = Produktdeckungsbeitrag Einzelne Produkte 15 2 17 -1 28 61 ./ . Kosten der einzelnen Produktgruppen (fixe und variable Gemeinkosten) 17 16 61 10 4 34 20 = Produktgruppendeckungsbeitrag 7 12 27 8 27 ./ . Kosten des Gesamtunternehmens (Rest) 20 20 = Gesamtunternehmenserlös 7 7 Einzelne Produktgruppen Gesamtunternehmen Darstellung 3.16: Beispiel einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung. 184 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="185"?> In der Literatur wird aufbauend auf diesem Ansatz auch eine Absatzseg‐ mentrechnung aufgezeigt (vgl. Freter, 2008, S.-236ff.). Dasjenige Bezugsobjekt, das einen negativen Deckungsbeitrag aufweist, ist für das Gesamtunternehmen zunächst als negativ einzustufen. Diese Betrachtungsweise ist allerdings strikt periodenbezogen und berücksichtigt nicht betriebliche Engpässe: So kann es durchaus vorkommen, dass ein Ob‐ jekt, das in einer Periode negative Nettogrenzerlöse aufweist, in langfristiger Sicht positiv zu beurteilen ist. Umgekehrt ist es unmittelbar einsichtig, dass bei begrenzter Kapazität ein Deckungsbeitrag größer Null als nicht ausrei‐ chend zu betrachten ist; vielmehr sind in diesem Fall Opportunitätskosten zu berücksichtigen. Schließlich müssen auch so genannte Verbundeffekte betrachtet werden, d. h. der Absatz eines Produkts oder einer Produktgruppe beeinflusst den Absatz anderer Sortimentsteile. 3.3.2 Entscheidungsfindung im entscheidungstheoretischen Grundmodell In der Marketingplanung werden aufgrund von externen und internen Gegebenheiten strategische Alternativen entwickelt, die gegeneinander abzuwiegen sind, um zu entscheiden, welche verfolgt werden soll. Welche Teilprobleme bei der Entscheidungsfindung zu lösen sind, soll im Folgenden aufbauend auf den Überlegungen von → Abschnitt 3.3.1 diskutiert werden. 3.3.2.1 Komplexitätsreduktion durch Modellbildung Die Komplexität der Realität erzwingt bei den meisten Marketingent‐ scheidungen dessen vereinfachte und zweckorientierte Darstellung. Zweck‐ orientiert bedeutet, dass die Darstellung geeignet sein muss, die bei der Entscheidung anstehenden Probleme sinnvoll zu erörtern und gegebenen‐ falls zu lösen. Ein solchermaßen vereinfachtes, zweckorientiertes Abbild der Realität bezeichnet man als Modell. Dies bedeutet: • Wesentliches muss enthalten sein und • von Überflüssigem ist abzusehen. Da die Darstellung zweckorientiert sein soll, muss von der Darstellung auf die Realität geschlossen werden können. Dies erfordert keine vollständige Wiedergabe der Realität, wohl aber eine Darstellung, bei der die Beziehun‐ gen zwischen den Elementen vollständig wiedergegeben werden (relations‐ 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 185 <?page no="186"?> eindeutige Darstellung), d. h. aus den Beziehungen zwischen Preisen und Nachfragemengen im Modell muss bspw. eindeutig auf die Beziehungen zwischen Preisen und Nachfragemengen in der Realität geschlossen werden können. In ein Entscheidungsmodell gehen also zwei Arten von Informa‐ tionen ein: Zum einen Daten über die Umwelt und zum anderen Angaben über die Entscheidungskriterien. Entscheidungsmodelle unterscheiden sich von den nur beschreibenden bzw. erklärenden Modellen bspw. des Konsumentenverhaltens im Wesent‐ lichen dadurch, dass sie eine oder mehrere Variablen enthalten, die eine Aussage darüber erlauben, wie Situationen zu bewerten sind. Für eine solche Bewertung sind Entscheidungskriterien bzw. Ziele heranzuziehen. Obwohl unmittelbar einsichtig ist, dass die jeweils komplexesten Ent‐ scheidungsmodelle diejenigen sind, die am ehesten der Realität entsprechen, werden im Weiteren nur Ein-Personen-Entscheidungsmodelle mit einer Zielsetzung verfolgt. Das Problem der Entscheidung bei risikobehafteten oder unsicheren Informationen wird im nächsten Abschnitt behandelt; die dort skizzierte Vorgehensweise kann auf alle in den folgenden Kapiteln skizzierten spezifischen Entscheidungsmodelle analog angewendet werden. 3.3.2.2 Die Ableitung der optimalen Entscheidungsalternative Eine marketingpolitische Entscheidungssituation, die in gewisser Hinsicht als typisch bezeichnet werden kann, ist folgende: Beispiel | Ein Unternehmen steht vor der Wahl, ob für ein bestimm‐ tes Produkt zusätzlich eine von drei möglichen Marketingaktionen ergriffen werden soll, wobei keine sicheren Informationen über die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Entwicklung der Branchenkonjunktur vorliegen. Das Unternehmen strebt nach ei‐ nem möglichst hohen Gewinn, die Kostensituation ist hinreichend genau bekannt. Das Entscheidungsproblem besteht nun darin, diejenige Marketingaktion zu wählen, die den maximalen Zusatzgewinn (Netto‐ grenzerlös) für das Unternehmen erwarten lässt. Um die gewünschte Wahl treffen zu können, ist es notwendig, das reale Entscheidungsproblem zunächst in geeigneter Form zu formalisieren, um 186 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="187"?> es dadurch einer rationalen Lösung zuführen zu können. Die Entscheidungs‐ situation (→-Abschnitt 3.2.1) kann durch • die möglichen Aktionen, d. h. zielführende Aktivitäten, anhand derer das Unternehmen agieren, die es also aktiv bestimmen kann, • die möglichen Umweltsituationen, d. h. Gegebenheiten, die das Unter‐ nehmen entweder in keiner Weise oder nur in sehr geringem Umfang beeinflussen kann, auf die es demnach durch Antizipation nur reagie‐ ren kann, und • das verfolgte Ziel hinreichend genau umschrieben werden. Es ist offensichtlich, dass sich für jede mögliche Aktion und mögliche Umweltsituation eine unterschiedliche Konsequenz ergeben kann. Nach den bisherigen Darlegungen stellt - wenn möglich - für die Entscheidungsfindung der jeweilige entscheidungsabhän‐ gige Deckungsbeitrag ein geeignetes Ziel dar. Im Rahmen modellbezogener Überlegungen wird man allerdings nicht alle möglichen Aktionen und Umweltsituationen berücksichtigen, sondern nur diejenigen, die als relevant bzw. realistisch anzusehen sind. Die Menge derjenigen Personen, Sachen oder Umweltzustände, welche die Ergebnisse von Entscheidungen beeinflussen können, bezeichnet man üb‐ licherweise als Entscheidungsfeld. Das Entscheidungsfeld ist im Falle einer Ein-Personen-Entscheidung bei einer einzigen Zielsetzung durch drei Merkmale gekennzeichnet (vgl. auch Bamberg et al., 2019): • Relevante Aktionen: A = {a i ; i = 1, …, I} Relevante Aktionen können sowohl Einzelmaßnahmen als auch Maß‐ nahmenbündel (Strategien) sein. Die Menge relevanter Aktionen ist so zu formulieren, dass sich ihre Elemente gegenseitig ausschließen und alle Handlungsmöglichkeiten erfasst werden. Die letztgenannte Forderung bedeutet, dass häufig auch die Unterlassung einer Aktion und die Fortführung einer Aktion als Handlungsmöglichkeiten in Be‐ tracht gezogen werden müssen. Weiterhin müssen die Aktionen auch tatsächlich realisierbar sein, d. h. Aktionen, die aufgrund zwingender Gegebenheiten (Gesetze, Kapazitäten) ausscheiden, werden nicht be‐ rücksichtigt. • Relevante Umweltzustände: Z t = {z jt ; j = 1, …, J; t = 1, …, T} Die Menge der relevanten Umweltzustände als zweite Komponente des Entscheidungsfeldes umfasst die Gesamtheit aller Faktoren, die in 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 187 <?page no="188"?> irgendeiner Weise einen Einfluss auf die Wirkung der Aktionen haben können. Typische Elemente sind die in → Abschnitt 3.2.1.3 angeführten Planungsprämissen, wie die gesamtwirtschaftliche Situation, die Kon‐ kurrenzsituation etc. Nicht-sicheres Wissen über die Umweltzustände ist zum einen dadurch bedingt, dass Informationen sowohl über aktuelle als auch über künftige Situationen nicht verlässlich sind, und zum anderen dadurch, dass über künftige Situationen grundsätzlich keine sicheren Informationen vorliegen können. • Handlungskonsequenzen: X t = {x ijt ; i = 1, …, I; j = 1, …, J; t = 1, …, T} Für jede mögliche Kombination einer Aktion und eines Umweltzustan‐ des trifft eine bestimmte Handlungskonsequenz zu. Die Ermittlung der Handlungskonsequenzen ist ein typisches Marktforschungsproblem, das entweder durch umfangreiche Feldstudien oder durch das Studium sekundärer Quellen gelöst werden kann. Vielfach begnügt man sich auch mit subjektiven Schätzungen des Managements („Erfahrungen“). Die Ermittlung der Werte der Ergebnisnutzen kann bei Vorliegen der Werte der Handlungskonsequenzen weitgehend auf der Basis von Kosten‐ funktionen, welche die kostenmäßigen Auswirkungen alternativer Absatz‐ mengen (es wird hier vereinfachend davon ausgegangen, dass je Periode und Produkt Absatz- und Produktionsmenge identisch sind) und sonstiger betrieblicher Dispositionen vorgenommen werden. Aus den mit den jewei‐ ligen Preisen bewerteten Absatzmengen (Handlungskonsequenzen) und den entsprechenden Kostenangaben lassen sich die Gewinnwerte ermitteln. Liegen für alle I × J × T möglichen Kombinationen Handlungskonsequen‐ zen vor, so gilt es, aus J × T Handlungskonsequenzen je Aktion einen einheitlichen Wert abzuleiten, der als Indikator der Vorziehenswürdigkeit der einzelnen Aktionen dienen kann. Für das hier skizzierte Entscheidungsfeld bedarf es einiger logischer Operationen, um anhand der Handlungskonsequenzen Indikatoren der Vorziehenswürdigkeit der einzelnen Aktionen abzuleiten: • Ermittlung der Matrix der Handlungskonsequenzen je Periode X t : Die Menge der I × J × T Werte der Handlungskonsequenzen ist sinnvol‐ lerweise in Matrizen zu ordnen; es ergeben sich dann T Handlungskon‐ sequenzen-Matrizen X t der in → Darstellung 3.17 wiedergegebenen Form. 188 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="189"?> Umweltzustände z 1t … z jt … z Jt Aktionen a 1 x 11t … x 1jt … x 1JT … … … … … … a i x i1t … x ijt … x iJT … … … … … … a I x I1t … x Ijt … x IJt Darstellung 3.17: Matrix der Handlungskonsequenzen für die Periode t, die Aktionen‐ menge A und die Zustandsmenge Z t (entscheidungstheoretisches Grundmodell). • Ermittlung der Ergebnisnutzen-Matrix U t : Die Matrix X t enthält die unter bestimmten Annahmen erwarteten Ergebnisse von Aktionen - allerdings noch nicht gemessen in Einheiten des Entscheidungskriteriums. Der Ergebnisnutzen stellt das Entschei‐ dungskriterium in allgemeiner Form, der monetäre Gewinn das Krite‐ rium in den meisten betrieblichen Anwendungsfällen dar. Mit der Ermittlung der Ergebnisnutzen-Matrix U t sind die erwarteten Ergebnisse der Aktionen in der relevanten Beurteilungsgröße ermittelt. Um für jede Aktion einen einzigen Nutzenindikator zu erhalten, sind nun die Ergebnisnutzenwerte der Aktionen aller Zeitpunkte und Um‐ weltzustände in einen Nutzenwert abzubilden. • Die Ermittlung des Nutzenwertes u it für alle i: Um für jede Aktion und jede Periode einen einzigen Nutzenwert zu ermitteln, sind die J Ergebnisnutzenwerte einer Aktion für jede Periode in einen Nutzenwert je Aktion abzubilden. Diese Darstellung geschieht mittels einer Risikonutzenfunktion, welchen Sicherheitsgrad die Informationen über die relevanten Umweltzustände abbildet. Unsicherheit liegt vor, wenn mehr als ein Umweltzustand eintreten kann und diese bei Implementierung einer Strategie zu verschiedenen Ergebnissen führen. Unsicherheit wird weiterhin in Risiko und (ex‐ treme) Ungewissheit unterteilt. Risiko beinhaltet die Möglichkeit, den verschiedenen Umweltzuständen Eintrittswahrscheinlichkeiten zuord‐ nen zu können, was bei dem Informationsstand der Ungewissheit 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 189 <?page no="190"?> nicht möglich ist. → Darstellung 3.18 verdeutlicht den beschriebenen Zusammenhang. zunehmendes Ausmaß an Umweltunsicherheit für den Eintritt des Umweltzustands besteht Sicherheit Unsicherheit Risiko Ungewissheit Darstellung 3.18: Abgrenzung des Unsicherheitsbegriffs. Für die Entscheidungssituation bei Sicherheit entfällt die Risikonutzen‐ funktion. Für die übrigen Entscheidungssituationen sind unterschiedliche Risikonutzenfunktionen definiert, die häufig als Entscheidungsregeln be‐ zeichnet werden. Eine im Fall der Entscheidung bei Risiko häufig gebrauchte Risikonutzenfunktion ist die so genannte Bayes-Regel, für die gilt: u it = ∑ j = 1 J w z jt u ijt Der Nutzen einer Aktion in einer Periode ist demnach der Erwartungswert des Ergebnisnutzens in dieser Periode. Diese Darstellung des Nutzens einer Aktion geht davon aus, dass der Entscheidungsträger risikoneutral ist. Im allgemeineren Fall, der auch den Fall der Risikofreude und der Risikoaversion einschließt, ist vom Bernoulli-Nutzen auszugehen. • Die Ermittlung des Nutzenwertes u i : Um den Nutzen einzelner Aktionen in bestimmten Perioden in einen einzigen Wert je Aktion abzubilden, nimmt man üblicherweise eine Abdiskontierung der einzelnen Nutzenwerte vor. Sei t = 1 der Entschei‐ dungszeitpunkt, so gilt: u i = ∑ t = 1 T 1 1 + i t − 1 u it 190 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="191"?> mit i als risikoadäquatem Zinssatz (vgl. →-Abschnitt 3.1.5.1) oder inter‐ nem Zinsfuß der besten alternativen Investition. Als Ergebnis aller Darstellungen erhält man für jede Aktion einen einzi‐ gen Nutzenwert, der die Risikosituation und dem zeitlich unterschiedlichen Anfall der Nutzengrößen Rechnung trägt. Wissen | Das Grundmodell der Entscheidungstheorie besitzt eine erhebliche Bedeutung sowohl als Grundlage für eine rationale Ablei‐ tung der optimalen Alternative von Entscheidungen als auch als Basis für die Beschreibung realer Entscheidungsprozesse. Der Aufwand der aufgezeigten Vorgehensweise rechtfertigt sich durch folgende Gründe: • Es handelt sich einerseits um eine Dokumentation für den Entschei‐ der selbst, um möglichst alle Alternativen und Umweltzustände zu berücksichtigen. • Es handelt sich andererseits um eine Dokumentation für andere, da - diese die Entscheidung leichter nachvollziehen können. Dies führt bei der Delegation zu gesteigerter Motivation. - im Falle des Scheiterns die Entscheidung im Nachhinein gegen‐ über anderen leichter plausibel gemacht werden kann. Es kann objektiv aufgezeigt werden, warum zum Entscheidungszeitpunkt eben diese Entscheidung gefällt wurde. 3.3.2.3 Beispiel zur Ableitung einer optimalen Entscheidung Die Ableitung der optimalen Alternative bei einer Entscheidung unter Risiko, bei der die Ergebnisse zweier Perioden zu berücksichtigen sind, wird anhand eines numerischen Beispiels verdeutlicht. Beispiel | Für das oben angeführte Entscheidungsproblem (→ Ab‐ schnitt 3.3.2.2) sind bei einem Budget von € 550 Tsd. je Periode die alternativen Aktionen wie folgt gestaltet: a 1 : einmalige Werbekampagne I in t = 1 (Kosten: €-200 Tsd.), drei zusätzliche Außendienstmitarbeiter in t = 1 und t = 2 (Kosten: €-240 Tsd. je Periode); 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 191 <?page no="192"?> a 2 : einmalige Werbekampagne II in t = 1 (Kosten € 100 Tsd.), drei zusätzliche Außendienstmitarbeiter in t = 1 und t = 2 (Kosten: €-240 Tsd. je Periode); a 3 : einmalige Werbekampagne II in t = 1 (Kosten € 100 Tsd.), fünf zusätzliche Außendienstmitarbeiter in t = 1 und t = 2 (Kosten: €-400 Tsd. je Periode). Nach dem Gebot der Vollständigkeit der Menge relevanter Aktionen ist auch das Unterlassen zusätzlicher marketingpolitischer Anstrengungen als Handlungsmöglichkeit zu berücksichtigen, also: a 4 : keine zusätzl. Werbemaßnahmen und Außendienstmitarbeiter (Zusatz‐ kosten: € 0). Die Menge der Umweltzustände besteht aus drei Elementen; die ein‐ zelnen Zustände können hinreichend genau durch den erwarteten Zuwachs des Marktvolumens gekennzeichnet werden. In diesem Fall sind die relevanten Umweltbedingungen sehr einfach strukturiert, da sie nicht aus Kombinationen mehrerer Variablen bestehen. Die drei alternativ möglichen Zuwachsraten sind für die Periode t = 1 und die Periode t = 2 identisch, dabei ist z 11 = z 12 durch ein reales Wachstum von 3 %, z 21 = z 22 ein solches von 5 % und z 31 = z 32 schließlich durch eines von 8 % gekennzeichnet. Die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der alternativen Umweltzustände sind: w(z 11 ) = 30% w(z 21 ) = 40% w(z 31 ) = 30% w(z 12 ) = 40% w(z 22 ) = 40% w(z 32 ) = 20% Der Preis des Produkts, über das zu entscheiden ist, steht nicht zur Diskussion, er beträgt € 200; die fixen Kosten der Produktion je Periode werden auf € 400 Tsd. und die proportionalen Kosten der Produktion auf € 100 je Stück geschätzt. Die (Gesamt-)Rentabilität aller im Unter‐ nehmen eingesetzten Finanzmittel beträgt 10 %, die deutlich über dem Marktzinsfuß liegt. Das Unternehmen strebt nach Gewinnmaximierung und sucht daher diejenige Marketingaktion, die für die kommenden zwei Perioden den höchsten Gewinn erwarten lässt. Sind die Menge der Aktionen und die Menge der Umweltzustände definiert, so sind zunächst die Handlungskonsequenzen zu bestimmen. Als Handlungskonsequenzen, die sich unmittelbar aus dem kartesischen Produkt der Aktionenmenge und der Zustandsmenge ergeben, sind hier die Absatzzahlen anzusehen. Nach Ermittlungen der Marktforschungs‐ 192 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="193"?> abteilung sind für die beiden relevanten Zeiträume folgende Matrizen der Handlungskonsequenzen zu erwarten: (t = 1) z 11 z 21 z 31 - (t = 2) z 12 z 22 z 32 a 1 7 9 10 - a 1 6 8 10 a 2 5 7 8 - a 2 4 6 8 a 3 8 10 12 - a 3 8 10 12 a 4 2,5 3 4 - a 4 2,5 3 4 Aus den Werten für die Handlungskonsequenzen sind nun die Ergebnis‐ nutzenwerte, in diesem Falle also die Deckungsbeitragswerte abzuleiten; dabei gilt für die Deckungsbeitragswerte u ijt die allgemeine Definitions‐ gleichung: u ijt = x ijt p it − x ijt − k t − F it mit: p it : Preis bei Aktion i in Periode t, wobei p it = p ∀i, t; k t : proportionale Kosten der Produktion in Periode t, wobei k t = k ∀t; F it : Fixkosten bei Aktion i in Periode t. Die Fixkosten einer Periode setzen sich aus den Fixkosten der Produk‐ tion und den Kosten für die Werbung sowie die Außendienstmitarbeiter zusammen (alle Werte in Tausend €). F 11 = 400 + 200 + 240 = 840 F 12 = 400 + 240 = 640 F 21 = 400 + 100 + 240 = 740 F 22 = 400 + 240 = 640 F 31 = 400 + 100 + 400 = 900 F 32 = 400 + 400 = 800 F 41 = F 42 = 400 Es ergeben sich folgende Ergebnisnutzen-Matrizen: (t = 1) z 11 z 21 z 31 - (t = 2) z 12 z 22 z 32 a 1 -140 60 160 - a 1 -40 160 360 a 2 -240 -40 60 - a 2 -240 -40 160 a 3 -100 100 300 - a 3 0 200 400 a 4 -150 -100 0 - a 4 -150 -100 0 Auf der Basis dieser I × J × T (hier: 4 × 3 × 2) Ergebnisnutzenwerte sind nun I × T Nutzenwerte zu ermitteln, die den jeweiligen Risikositua‐ 3.3 Prinzipien rationaler Informationsverarbeitung im Planungs- und Kontrollprozess 193 <?page no="194"?> tionen Rechnung tragen. Eine Analyse der Aktionen auf Dominanz soll hier unterbleiben. Unterstellt man ein Risikoverhalten, wie es durch die Bayes-Entscheidungsregel gekennzeichnet ist, so gilt in diesem Fall für Strategie a 1 in der Periode 1 und 2: u 11 = 0, 3 ⋅ −140 + 0, 4 ⋅ 60 + 0, 3 ⋅ 160 = 30 u 12 = 0, 4 ⋅ −40 + 0, 4 ⋅ 160 + 0, 2 ⋅ 360 = 120 Dieser Wert „30“ (Tsd. €) bringt die ganzheitliche Bewertung der Strategie a 1 in der Periode 1 zum Ausdruck. Die periodenbezogenen Nutzenwerte aller Strategien werden analog berechnet. - t = 1 t = 2 a 1 +30 +120 a 2 -70 -80 a 3 +100 +160 a 4 -85 -100 Der Nutzen u i wird im Wege der Abdiskontierung der periodenbezogenen Nutzenwerte ermittelt. Annahmegemäß ist Periode t = 1 der Entscheidungs‐ zeitpunkt, weshalb die Werte u it auch auf t = 1 hin abzudiskontieren sind. Da i-= 10-% ist, gilt u 1 : 139,09; u 2 : -142,73; u 3 : 245,45; u 4 : -175,91. Da als Zielsetzung Gewinnmaximierung unterstellt wurde, ist Aktion a 3 die optimale Strategie. 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle Die Wirksamkeit von Planung und Kontrolle ist von organisatorischen Regelungen abhängig. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusam‐ menhang zum einen die personelle Organisation der marketingbezogenen Aufgaben und zum anderen die Grundstruktur des betrieblichen Informa‐ 194 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="195"?> tionssystems, das der Schaffung einer adäquaten Entscheidungsgrundlage dienen kann. 3.4.1 Strategische Geschäftsfelder zur Abgrenzung des Betätigungsfeldes Bei der Darstellung der Zielhierarchie in → Darstellung 3.6 wurde erkenn‐ bar, dass üblicherweise eine Unterteilung der Unternehmensaktivitäten in einzelne Bereiche vorgenommen wird, die als Geschäftseinheiten bezeichnet werden. Wissen | Eine (strategische) Geschäftseinheit stellt einen organisa‐ torisch abzugrenzenden, teilweise autonomen Unternehmensteil (im Sinne von unabhängig voneinander vertriebenen Produktgruppen oder eigenständigen Technologien) dar, vielfach sind diese als Profitcenter organisiert. Sie sind zunächst unabhängig von den bearbeiteten Märkten zu sehen. Die Aufgabe der Bildung von Geschäftseinheiten fällt in nahezu jedem Unternehmen an, außer es verfügt nur über ein kleines, homogenes Pro‐ duktangebot (Nischenanbieter). Eine Geschäftseinheit kann durchaus auf verschiedenen Strategischen Geschäftsfeldern tätig sein. Diese Strategischen Geschäftsfelder sind da‐ mit Geschäftseinheiten in konkreten Märkten, die in bedürfnisorientierter, abnehmerorientierter und/ oder regionaler Hinsicht definiert sein können und die wiederum isoliert voneinander geplant und bearbeitet werden (vgl. Bea u. Haas, 2019, S. 161f.). Ein Geschäftsfeld ist damit kennzeichnet durch: • eine eigene, unabhängige Marktaufgabe zur Problemlösung von Kunden (im Vergleich zu anderen Geschäftsfeldern), • die verwendete Technologie, • Teilnahme im Wettbewerb als vollwertiger Konkurrent gegenüber an‐ deren Unternehmen, • ein geeignet großes Marktpotenzial, • die Formulierung und Implementierung weitgehend eigenständiger Pläne, • einen eigenständigen Beitrag zum Erfolgspotenzial des Unternehmens. 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 195 <?page no="196"?> Auch bei der Geschäftsfelddefinition ist es wichtig, diese nicht zu eng auszulegen. Die unter → Abschnitt 3.1.1 angeführten Argumente gelten in Analogie. Da die Geschäftseinheiten die Ausgangsbasis für die einzelnen Geschäftsfelder darstellen, sind hierfür geeignete Geschäftseinheitsziele und -strategien zu formulieren. Hinsichtlich der Ziele wird definiert (vgl. Schreyögg u. Koch, 2020, S.-153), • auf welchen Geschäftsfeldern man aktiv sein will, • wie der Wettbewerb im Sinne einer Profilierung gegenüber dem Kunden grundsätzlich bestritten werden soll und • wie die längerfristige Erfolgsbasis (im Sinne der Kernkompetenzen) aussieht. Wissen | Die Organisation des Unternehmens in Geschäftseinhei‐ ten und Geschäftsfelder kann in Analogie zur differenzierten Marktbe‐ arbeitung gesehen werden, d. h. es werden Marktstrukturen in der Unternehmensstruktur abgebildet. 3.4.2 Organisationsstrukturen für Marketingaufgaben Die Aufgaben im Marketing können nach Funktionen, Produkten, Regionen oder Kunden beschrieben werden. Demnach sind unterschiedliche Organi‐ sationsformen möglich. Neben der Organisation dieser Aufgaben selbst ist im Rahmen der organisatorischen Strukturüberlegungen auch die Frage zu behandeln, in welcher Weise diese mit den sonstigen unternehmerischen Aufgaben abgestimmt werden. Wissen | Ein Gestaltungsprinzip vieler organisatorischer Regelungen ist die Kongruenz von Aufgabe, Handlungskompetenz und Verant‐ wortung jeder Organisationseinheit. Unter Aufgabe subsumiert man die Menge der von einer Organisationsein‐ heit zu verrichtenden Tätigkeiten und der zu treffenden Entscheidungen; mit Handlungskompetenz kennzeichnet man dagegen die Menge der Tätigkeiten bzw. Entscheidungen, zu deren Vollzug die entsprechende Orga‐ nisationseinheit durch hierarchisch höher gestellte Einheiten autorisiert ist; Verantwortung schließlich bezieht sich auf die Ergebnisse des Handelns. 196 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="197"?> Beispiel | Eine Kongruenz der drei Aspekte ist beispielsweise dann nicht gegeben, wenn eine Person für den Deckungsbeitrag eines Produktes zur Verantwortung gezogen werden kann, aber keine Kompetenz zur Festlegung des Produktpreises besitzt. 3.4.2.1 Einordnung des Marketings in die Organisation des Unternehmens Hinsichtlich der Einordnung der Organisationseinheiten in das Gesamtun‐ ternehmen, die sich primär mit Absatzfragen befassen, werden häufig die nachfolgend skizzierten Alternativen diskutiert. Hierbei werden Grund‐ muster organisatorischer Regelungen veranschaulicht, die nicht als direkt umsetzbare Organisationsstrukturen aufgefasst werden können. Die auf‐ gezeigten Muster spiegeln in gewisser Weise auch einzelne Stufen der Entwicklung eines Marktes wider. Unternehmensleitung Public Relations Einkauf Produktion Marketing Personal/ Administration Finanzen F&E Darstellung 3.19: Nicht-integrierte Marketingorganisation innerhalb der Gesamtunterneh‐ mensorganisation. Die nicht-integrierte Marketingorganisation in → Darstellung 3.19 ist auf Verkäufermärkten besonders häufig anzutreffen, die Unternehmens‐ organisation als Marketingorganisation in → Darstellung 3.21 dagegen macht nur dann Sinn, wenn der Absatzsektor den deutlich dominierenden Engpasssektor darstellt. Beim ersten Organisationsmuster ist ein integrati‐ ves Marketing nur vergleichsweise schwer zu verwirklichen; die eindeutige Dominanz des Marketingsektors, die für das dritte Muster kennzeichnend ist, lässt Abstimmungsprobleme etwa zwischen den Bereichen Marketing und Produktion kaum mehr auftauchen, da die übrigen Funktionsbereiche fast als „Zuarbeiter“ des Marketingbereichs zu sehen sind. Die Unterneh‐ mensleitung ist hier mit der Marketingleitung identisch. 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 197 <?page no="198"?> Unternehmensleitung Public Relations strategische Marketingplanung Verkauf Produktplanung Kommunikation Messen, Verkaufsförderung Außendienst/ Vertretungen physische Distribution Life Cycle Services Einkauf Produktion Marketing Personal/ Administration Finanzen F&E Darstellung 3.20: Integrierte Marketingorganisation innerhalb der Gesamtunternehmens‐ organisation. Einkauf Personal/ Administration Finanzen Unternehmensleitung Public Relations Verkauf Außendienst/ Vertretungen physische Distribution F&E Produktplanung strategische Marketingplanung Kommunikation Messen, Verkaufsförderung Life Cycle Services Produktion Darstellung 3.21: Unternehmensorganisation als Marketingorganisation. Wissen | Die Frage der Angemessenheit der einzelnen Organisa‐ tionsmuster ist vor allem davon abhängig, wie ausgeprägt der Eng‐ passcharakter des Marketingsektors ist bzw. inwieweit technische Produkteigenschaften absatzdeterminierend sind. Unternehmen, die Spezialmaschinen vertreiben und bei denen die techni‐ sche Produktauslegung absatzbestimmend ist, können mit einem Organisa‐ tionsmuster analog dem der nicht-integrierten Marketingorganisation gut bedient (→ Darstellung 3.19) sein. Jedoch ist auch für diese Fälle aufgrund 198 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="199"?> der zunehmenden internationalen Konkurrenz und der Ausweitung des (mitunter digitalisierten) Produktangebots ein Umdenken erforderlich und auch zu beobachten. Eine wichtige Rolle spielen mittlerweile Lifecycle-Ser‐ vices (früher Kundendienst bzw. After Sales), die nicht nur den klassischen Kundendienst an physischen Produkten sondern auch die Bereitstellung und Erbringung (produktbegleitender, digitaler) Dienstleistungen beinhalten. Für Unternehmen im B2C-Bereich dagegen entspricht das reale Organisati‐ onsverhalten weitgehend der Unternehmensorganisation als Marketingor‐ ganisation (→ Darstellung 3.21). 3.4.2.2 Organisation des Marketingbereiches Die Organisation des Marketingbereiches selbst stellt in vielen Fällen ebenfalls eine wichtige Planungsaufgabe dar. Einige Grundstrukturen von Organisationsmustern sind nachfolgend wiedergegeben. Die Organisation der marktbezogenen Aufgaben wurde früher fast aus‐ schließlich nach funktionalen Gesichtspunkten vorgenommen, d. h. es wurden Organisationseinheiten gebildet, die einzelne Teile der gesamten marketingbezogenen Planungs- und Kontrollaufgabe bewältigen. Die Auf‐ teilung wird dabei häufig analog dem in → Darstellung 3.22 skizzierten Muster vorgenommen; eine mangelhafte Koordination der einzelnen Teil‐ aufgaben sowie die lediglich eingeschränkte Möglichkeit der Berücksichti‐ gung von Besonderheiten einzelner Märkte oder Produkte ist häufig die Folge. Seit einigen Jahren ist eine funktionale Gliederung neueren Typs für viele Unternehmen, die sich Käufermärkten gegenübersehen, kennzeich‐ nend. Marketing Marketingplanung Verkauf Produktplanung Kommunikation Messen, Verkaufsförderung Außendienst/ Vertretungen physische Distribution Life Cycle Services Darstellung 3.22: Funktionale Marketingorganisation (neueren Typs). 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 199 <?page no="200"?> Nach diesem Organisationsmuster werden die vielfältigen marketingbezo‐ genen Funktionen in zwei Bereiche zusammengefasst: Marketingplanung und Verkauf. Dem Bereich Marketingplanung werden die mehr analytischen bzw. konzeptionellen Aufgabenstellungen des Marketings zugewiesen, wäh‐ rend dem Bereich Verkauf die konkreten Verkaufs- und Lieferaktivitäten zugeordnet sind. Angesichts oft gravierender Unterschiede zwischen den einzelnen Produktmärkten hat sich in vielen Unternehmen die Produkt-Manage‐ ment-Organisationsform (→ Darstellung 3.23) herausgebildet. Im Unterschied zur rein funktionalen Gliederung wird hier der Pla‐ nungsbereich nicht funktional, sondern produktbezogen untergliedert. Der Produktmanager entwickelt und koordiniert alle Marketingmaßnahmen für ein Produkt oder eine Produktgruppe, von der Entwicklung bis zur Elimination aus dem Sortiment. Die Aufgaben umfassen damit insbesondere die Marktforschung und Prognose, Ableitung des Marketing-Mix, Prozess- und Ergebniskontrolle und Produktverbesserungen und gehen somit über die Produktplanung deutlich hinaus. Marketing Produktmanagement Verkauf Produktgruppe 1 Produktplanung, Kommunikation, Messen, Verkaufsförderung Produktgruppe 2 Produktplanung, Kommunikation, Messen, Verkaufsförderung Außendienst/ Vertretungen Logistik Life Cycle Services Produktgruppe 3 Produktplanung, Kommunikation, Messen, Verkaufsförderung Darstellung 3.23: Produkt-Management-Organisation. Kennzeichnend für die funktionale Marketingorganisation (neueren Typs) und die hier abgebildete Produkt-Management-Organisation ist, dass Ergeb‐ nisverantwortung und Handlungskompetenz nur dem Verkauf und dem ihm nachgeordneten Außendienst zukommt. Marketingplanung und Pro‐ dukt-Management haben zwar entsprechende Aufgaben, können zumeist 200 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="201"?> aber nicht allein deren Realisierung in die Wege leiten, sondern sind entweder auf die direkte Unterstützung übergeordneter Hierarchien oder des Vertriebs angewiesen. Aus dieser mangelnden Kongruenz erwachsen häufig Motivationsprobleme der Mitarbeiter. Kompetenz- und daraus erwachsende Motivationsprobleme treten bei den objektorientierten Organisationsformen (→ Darstellung 3.24) kaum auf; die Zuordnung von Aufgabe, Handlungskompetenz und Verant‐ wortung ist hier eindeutig geregelt. Die Objekte können unterschiedliche Produkt(-gruppen), Kunden(-gruppen) oder Absatzgebiete darstellen. Marketing Produktgruppe/ Kundengruppe Gebiet 1 Marketingplanung Verkauf Produktgruppe/ Kundengruppe Gebiet 1 Marketingplanung Verkauf Produktgruppe/ Kundengruppe Gebiet 1 Marketingplanung Verkauf Darstellung 3.24: Objektorientierte Marketingorganisation. Häufig diskutiert und implementiert wird aus der Vielzahl objektorientierter Marketingorganisationen das Key-Account-Management, bei dem alle Aktivitäten im Hinblick auf einen wichtigen Kunden (Schlüsselkunden) durch einen für ihn „bereitgestellten“ Großkundenmanager koordiniert werden. Dieser hat vielfach Verantwortung für den gesamten Umsatz mit diesem Kunden und dient als Ansprechpartner für beide Seiten. In summa soll dadurch die Geschäftsbeziehung gefestigt und der Transaktionsaufwand gesenkt werden (vgl. Diller et al., 2005), mithin konkretisiert sich hier in augenfälliger Weise der Wandel von der Transaktionsökonomie zum Beziehungsmanagement. Forciert wurde dieser Aspekt einer Marketing‐ organisation durch die in etlichen Branchen zu beobachtenden Konzentra‐ tionsprozesse. Je nach Art der Organisationsstruktur (nach Produktgruppen, Kunden‐ gruppen oder Gebieten) ist die Abstimmung einer Planungsdimension (Pro‐ duktgruppen, Kundengruppen, Gebiete) nahezu perfekt gewährleistet, nicht aber diejenige hinsichtlich der anderen Dimensionen. So ist etwa bei einer 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 201 <?page no="202"?> produktorientierten Marketingorganisation im Sinne eines Produktmanage‐ ments in der Regel gewährleistet, dass alle Aktivitäten für das entsprechende Produkt aufeinander abgestimmt sind, nicht aber im gleichen Maße, dass die Aktivitäten bezüglich Produkt A mit denen bezüglich Produkt B voll harmonieren (einheitliche Werbekonstante, Besuch durch einen einzigen Außendienstmitarbeiter). Analoge Probleme ergeben sich bei kunden- und gebietsorientierten Marketingorganisation. Aus diesem mindestens doppel‐ ten Abstimmungsbedürfnis heraus erwuchs die Idee der Matrixorganisation, vor allem diejenigen der Produkt-Funktions-Matrixorganisation, wie sie in → Darstellung 3.25 wiedergegeben ist. Marketingplanung ausführende Einheiten Produktgruppe 3 Produktgruppe 2 Marketing Produktgruppe 1 Verkauf Darstellung 3.25: Matrixorganisation. Bei dieser Organisationsform müssen Produkt- und Funktionsspezialisten zusammenwirken. Dementsprechend ist auch bei einer solchen Organisa‐ tion die Abstimmung bezüglich jedes Produkts und jeder Funktion gewähr‐ leistet, wobei der damit verbundene Aufwand nicht zu vernachlässigen ist. Die Komplexität der Entscheidungsprozesse lässt Matrix-Organisationen damit meist schwerfällig werden. Dem allgemeinen Prinzip structure follows strategy folgend ist für Märkte, bei denen ein zweistufiges Marketing (vgl. → Kapitel 7) notwendig ist, eine, in → Darstellung 3.26 veranschaulichte Marketingorganisationsform zu empfehlen. 202 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="203"?> Marketing Konsumentenmarketing Handelsmarketing Produktplanung Konsumentenwerbung Kundengruppe 1 Außendienst/ Vertretungen Verkaufsförderung (inkl. Life-cycle- Service) Logistik Kundengruppe 2 Außendienst/ Vertretungen Verkaufsförderung (inkl. Life-cycle- Service) Logistik Kundengruppe 3 Außendienst/ Vertretungen Verkaufsförderung (inkl. Life-cycle- Service) Logistik Darstellung 3.26: Marketingorganisation beim vertikalen Marketing. In solchen Märkten, in denen die Absatzmittler üblicherweise eine starke Stellung innehaben (Nachfragemacht des Handels), ist es für Produzenten unerlässlich, eine Marketingkonzeption zu realisieren, die sowohl eine auf den Handel als auch eine auf den Nachfrager gerichtete Strategie beinhaltet. Dieser strategischen Konzeption folgend wird dann die Marketingabteilung nach den Zielgruppen der Strategie (Nachfrager, Handel) ausgerichtet. Wissen | Die relative Vorteilhaftigkeit der einzelnen Formen der Organisation des Marketings bemisst sich vordringlich nach den markt‐ lichen Gegebenheiten. Für Unternehmen, die auf Verkäufermärkten operieren, dürfte die funktio‐ nale Absatzorganisation angemessen sein; für Unternehmen, die sehr unter‐ schiedliche Produktgruppen mit jeweils unterschiedlichen Abnehmergrup‐ pen aufweisen, ist eine objektorientierte Organisationsform nahe liegend; für Unternehmen, die sich einem starken Handel gegenübersehen, stellt die zuletzt skizzierte Organisationsform eine sich fast natürlich ergebende Regelung dar. 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 203 <?page no="204"?> 3.4.3 Organisation des Informationsmanagements 3.4.3.1 Aufbau und Anforderungen an ein Marketing-Intelligence-System Angesichts der offenkundig großen Bedeutung einer informationsbasier‐ ten Absicherung der marketingpolitischen Planungs- und Kontrollmaß‐ nahmen, müssen Überlegungen zur Organisation der Informationswirt‐ schaft angestellt werden. Bedenkt man die Fülle an Informationen, die durch neue Medien, Datenbanken und sonstigen internen Informationsver‐ arbeitungssystemen (ERP, CRM) zur Verfügung stehen, so kann dies zu einer paradox anmutenden Informationsflut führen, durch die Entscheidun‐ gen nicht unbedingt fundierter werden. Man spricht hier auch von der Informationsarmut im Informationsüberfluss. Das informationswirt‐ schaftliche System, das zur Lösung marketingbezogener Fragestellungen zur Verfügung steht und zielgerichtet eingesetzt wird, kann als Marke‐ ting-Intelligence-System bezeichnet werden. Dieses System sollte vor dem eingangs angeführten Hintergrund alle für die diversen Planungs- und Kontrollvorgänge notwendigen Informationen zweckneutral, ohne unnöti‐ gen Zeitverzug, aktuell und genau zur Verfügung stellen. Wissen | Zweckneutralität bedeutet, dass die Informationen in aller Regel vor bzw. unabhängig von Entscheidungen laufend gesammelt werden. Damit wird eine Verzerrung der Informationen pro oder contra einer konkreten Entscheidung vermieden. Anforderungen an ein Marketing-Intelligence-System sind: • In das System sind alle relevanten Daten unabhängig von ihrer Herkunft aufzunehmen, somit also sowohl Strukturals auch Reaktions‐ informationen (vgl. dazu → Kapitel 4). Das Informationssystem sollte danach zumindest folgende Informationsquellen berücksichtigen: - Rechnungswesen, - Absatzstatistik, - Außendienstberichterstattung, - Reklamationsstatistik, - Markt-, Segment-, Marktanteils-, Feldanteils-, Wiederkauf- und Distributionsanteilsdaten (z. B. aus Handelsbzw. Haushaltspanels), 204 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="205"?> - Marktstrukturdaten der Öffentlichen Statistiken und der Ver‐ bandsstatistiken und - Betriebsvergleichswerte. • Die gespeicherten Daten müssen schnell verarbeitbar sowie mitein‐ ander vernetzbar sein (z. B. einheitliches Indexsystem mit Produkt-, Kunden-, Gebiets- und Mitarbeiterindex). Sämtliche Informationen sind vor Eingabe in das System auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. • Neben Standardberichten (zu Kontrollzwecken, z. B. Deckungsbeitrags‐ listen) muss zum einen ein freier Zugang zu einzelnen Informationen und zum anderen beliebige Aggregationen ermöglicht werden. Dies setzt eine grundsätzlich unaggregierte Form der Speicherung vor‐ aus, sodass erst für einzelne Auswertungen eine geeignete Aggregation vorgenommen wird. • Hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten muss das System hinreichend flexibel sein, um den spezifischen Bedürfnissen der einzelnen Infor‐ mationsnachfrager entgegenkommen zu können. Unflexible Abfrage‐ routinen, die nicht nach dem Wunsch des Informationsnachfragers gestaltet werden können, führen stets zu Akzeptanzproblemen. • Basis der Konzeption des Marketing-Intelligence-Systems müssen sowohl objektive Analysen der regelmäßig zu fundierenden Ent‐ scheidungsaufgaben als auch anwenderorientierte Analysen der Informationsverarbeitungswünsche (Inhalt, Zugangsform) der Informa‐ tionsnachfrager sein. Übereinstimmung besteht hinsichtlich des Aufbaus des Marketing-Intelli‐ gence-Systems dahingehend, dass es mindestens drei Elemente aufweisen muss: • Datenbank, in der die einzelnen Informationen in Rohform leicht zugreifbar gespeichert sind. • Methoden- und Modellbank, die es erlaubt, mit Hilfe einfacher (z. B. Aggregation, Summenbildung etc.) oder komplexer (z. B. Progno‐ severfahren, statistische Tests) Verfahren die Rohdaten zu brauchbaren Informationen aufzubereiten. • Interaktionseinrichtung, mittels der ein Benutzer auf einfache Weise sowohl einzelne Daten direkt abrufen als auch Datenverarbeitungsrou‐ tinen einleiten kann. 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 205 <?page no="206"?> Trotz üblicherweise beträchtlicher Schwierigkeiten bei der Systemeinfüh‐ rung und Lösung von Detailproblemen sind Informationssysteme als Ba‐ sis einer rationalen Marketingplanung und -kontrolle unverzichtbar. Hier und beim nachfolgenden Customer-Relationship-Management ist die Mit‐ arbeit einer Vielzahl von Mitarbeitern von Relevanz. Insbesondere der Außendienst ist umso wichtiger, je direkter der Kundenkontakt (kurzer Marktkanal) ist. Nur wenn für die beteiligten Mitarbeiter aus der direkten Systemnutzung ein für sie verwertbarer Nutzen aus diesen Systemen gene‐ riert wird, werden sie die Datenbestände akkurat pflegen. Daher ist auf die Nutzerakzeptanz bei der Systemausgestaltung größter Wert zu legen (vgl. Helm et al., 2014). 3.4.3.2 Customer-Relationship-Management Eine Konzeption, welche auf die oben angesprochene Aufnahme, Spei‐ cherung und Verarbeitung der Informationen mithilfe von Datenbanken zurückgreift, ist das Customer-Relationship-Management (CRM) - das Kundenbeziehungsmanagement. CRM wird als ein kundenorientier‐ tes, technologiegestütztes Managementkonzept aufgefasst mit der Absicht, langfristig profitable Kundenbeziehungen durch (möglichst individuelle) Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen. Der Grundgedanke liegt darin, die verschiedenen IT-Systeme (Data Warehouse, Kundenservicesysteme, Callcenter, E-Commerce usw.) zu integrieren und mithilfe aller, über den Kunden gesammelten Informationen ein ganzheit‐ liches Bild der einzelnen Kunden mit allen vergangenen Interaktionen (360-Grad-Sicht) zu entwickeln und dem Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, die Kunden optimal - quantitativ und qualitativ - zu bearbeiten. Die Optimierung der Kundenbearbeitung, d.-h. die erfolgreiche Umsetzung von CRM im Unternehmen, in allen Phasen der Beziehung kann einen erheblichen Beitrag zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen durch Kun‐ denbindung leisten. Ein CRM-System kann als eine kundenfokussierte Spezialform eines Marketing- und Vertriebsinformationssystems angesehen werden, welche oftmals in drei Bereiche unterteilt wird. Das analytische CRM beinhaltet die Datengewinnung, -zusammenführung und -auswertung, das operative CRM die Verbesserung und Effizienzsteigerung der zu unterstützenden kundenorientierten Prozesse. Die Integration und Synchronisation ver‐ schiedener externer Kontakte der Marketing-, Vertriebs- und Serviceberei‐ 206 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="207"?> che des Unternehmens mit denjenigen der Kunden und Vertriebspartner wird als kollaboratives CRM bezeichnet. Letztlich kann diese Schnittstelle eine wichtige und nutzbare Quelle von Daten für spätere Marktforschungs‐ aktivitäten darstellen. 3.4.3.3 Microtargeting, Database-Marketing und Data-Mining Leistungsfähige Informationstechnologien machen es möglich, auf Basis umfangreicher interner (CRM-System) und externer (Soziale Medien, über‐ greifende Kundenprogramme wie Payback) Datenbanken vielfältige kun‐ denbezogene Informationen zu speichern und zu verarbeiten, so dass im Idealfall ein vollständiges Kundenprofil zur Verfügung steht. Dies er‐ möglicht das sogenannte Microtargeting. Microtargeting ist eine Form der Zielgruppenansprache, bei der die jüngsten technologischen Entwick‐ lungen genutzt werden, um große Mengen von Daten zu sammeln. Die Daten aus den digitalen Fußabdrücken der Menschen werden analysiert, um Botschaften zu erstellen und zu übermitteln, die die Vorlieben und die Persönlichkeit einer Person widerspiegeln. Die Forschung hat gezeigt, dass solche digitalen Fußabdrücke verwendet werden können, um psycho‐ logische Merkmale und Zustände großer Gruppen von Menschen genau und unauffällig vorherzusagen. Microtargeting ist im Vergleich zum sonst üblichen Massenmarketing, in dem eine relativ unbekannte Gruppe von Abnehmern bearbeitet wird, ein erheblicher Fortschritt und dann durchaus mit der Situation im Investitionsgütermarketing vergleichbar. Hier werden die relativ wenigen Kundenbeziehungen in ausführlichster Art und Weise dokumentiert und zur Vorbereitung des nächsten Kundenkontakts verwen‐ det. Letztendlich ergibt sich aus den vielfältigen Kundeninformationen das Potenzial für eine präzisere Marktbearbeitung, indem tatsächlich maßge‐ schneiderte Angebote zusammengestellt und dem Kunden im Sinne eines Direktmarketings oder als Social-Media-Werbung (vgl. → Abschnitt 8.2.1.2) offeriert werden können. Das eben beschriebene Konzept steht oft mit dem so genannten Database-Marketing in Verbindung (vgl. Hilde‐ brand u. Link, 1993). Die Notwendigkeit, jeden Kunden und jeden Kontakt mit diesem festzu‐ halten, ist sicherlich je nach Branche unterschiedlich ausgeprägt. Banken, Bausparkassen, Versandhäuser oder Versicherungsgesellschaften können z. B. auf keinen Fall darauf verzichten. Wenn allerdings Handelsunterneh‐ 3.4 Marketingorganisation als Strukturelement von Planung und Kontrolle 207 <?page no="208"?> men wie die REWE-Gruppe über den Payback-Kundenclub der üblichen An‐ onymität entgegenwirken, resultiert dies aus der Erkenntnis, dass es nicht um das Archivieren von Daten geht, sondern dass sich mit Wissenspartikeln wie Namen, Haushaltsstruktur und Kaufgeschichte vielfältige Ansatzpunkte für das Marketing ergeben können. Damit lassen sich kundenbezogene Informationen für Akquisitionszwecke nutzen. Beispiel | Man erkennt damit, welche Abnehmer lange nicht mehr bei ihm gekauft haben. Was erwerben diese von ihm, was offensichtlich bei anderen? Inwiefern bestehen Verbundwirkungen beim Absatz von Produkten? Wie viel Geld steht für Konsum- oder Investitionszwecke zur Verfügung? Wie reagieren sie auf Mailings? Im Sinne explorativer Analysen spricht man bei extrem umfangreichen Datenbeständen (Big Data) auch vom Data-Mining. Mit derartigen Infor‐ mationen und einer entsprechenden Aufbereitung kann aus einer planvollen Informationswirtschaft im Unternehmen das Marketing auch im Massenge‐ schäft nahezu kundenindividuelle Lösungen anbieten. Vielfach wird dann auch von einem One-to-One-Marketing gesprochen. 208 3 Marketingplanung und Marketingstrategien <?page no="209"?> 4 Informationsmanagement im Marketing: Analyse der Nachfrage- und Konkurrenzbedingungen In den → Kapitel 2 und 3 wurde aufgezeigt, dass für eine marktorien‐ tierte Unternehmenspolitik - soll sie nicht auf reinem Zufall basieren - Erkenntnisse über allgemeine Marktdaten, Kunden und Konkurrenten von grundlegender Bedeutung sind. Entsprechenden Informationslücken kann in zweierlei Hinsicht begegnet werden: • zum einen können einfach mehr oder minder plausible Annahmen zur Schließung der Lücke getroffen werden, • zum anderen können auch diesbezügliche Informationen vom Markt gewonnen werden. Der Befriedigung dieser Informationsbedürfnisse gemäß der letztgenannten Alternative dienen die Maßnahmen der Marketingforschung sowie ein Großteil der Anstrengungen im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Aufrechterhaltung betrieblicher Informationssysteme. Die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen zum Zweck der Entscheidungsvorbereitung ist im Marketing von grundlegender Bedeu‐ tung, in vielen Fällen prägen einzelne Informationen unmittelbar die Ent‐ scheidungsfindung. Ein Mindestmaß an Verständnis für Fragen der Marke‐ tingforschung ist daher unverzichtbar. Damit wird keinesfalls impliziert, die Verbesserung der Informationsbasis im Entscheidungsprozess könne garantieren, die richtige Entscheidung zu fällen. Es ist jedoch unmittelbar einsichtig, dass die Wahrscheinlichkeit, die falsche Entscheidung zu treffen, vermindert wird. <?page no="210"?> 4.1 Marketingforschung und marktorientierte Unternehmenspolitik 4.1.1 Die Bedeutung der Marketingforschung für die Erreichung der Unternehmensziele Eine Missachtung informationswirtschaftlicher Fragen ist für eine rational betriebene Unternehmenspolitik bedauerlich, für eine rational begründete Marketingpolitik aber kontraproduktiv. Den besonderen Stellenwert, wel‐ cher der Informationswirtschaft im Rahmen der Marketingplanung etwa im Gegensatz zur Produktionsplanung zukommt, machen nachstehende Beispiele deutlich. Beispiel | Ein Manager im Einzelhandel steht vor der Aufgabe, die Ver‐ kaufspreise für das Textilsortiment eines bestimmten Lieferanten festzu‐ legen. Einen erheblichen Anteil seiner Entscheidungsvorbereitung wird er in diesem Falle darauf verwenden, herauszufinden, welche Preise die Konkurrenten verlangen und wo für die betreffenden Produkte die Preisschwelle liegt - oder anders ausgedrückt: was ein normaler Käufer üblicherweise für das entsprechende Produkt zu zahlen bereit ist. Hat er diese Informationen in hinreichender Qualität vorliegen, so wird es für ihn leicht sein, den „optimalen“ Preis festzusetzen. Für einen Manager, der in einem größeren Werk die Produktionssteuerung durchführt, ist die Situation in der Regel insofern anders, als er über alle dazu notwendigen Informationen (z. B. Fertigungsdauer für ein Stück auf verschiedenen Maschinen) verfügt, daraus aber nur mühsam eine Empfeh‐ lung für die Produktionssteuerung abzuleiten vermag. Während dem Marketingplaner die Beschaffung der Daten üblicher‐ weise mehr Sorge bereitet als die Ableitung von Handlungsempfehlungen, stellt sich für den Produktionsplaner die Situation dem entgegengesetzt dar. Wissen | Die Qualität der Entscheidungen im Marketing wird we‐ sentlich von der Qualität der Informationen beeinflusst. 210 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="211"?> Dieser im Wege von Plausibilitätsüberlegungen (vgl. zur Planung auch → Kapitel 3) gewonnene Befund konnte auch empirisch gut gestützt werden und ist mit Sicherheit aufgrund der postulierten zunehmenden Marktdynamik auch heute in mindestens ähnlichem Umfang gültig (→ Darstellung 4.1, ähnlich Hannover Research, 2019). - - Umsatz- und Gewinnentwicklung - - überdurch‐ schnittlich durch‐ schnittlich unter‐ durch‐ schnittlich Summe Anwen‐ dungs‐ stand der Marktfor‐ schung voll ausrei‐ chend 16 14 3 33 nicht aus‐ reichend 7 20 40 67 - Summe 23 34 43 100 Darstellung 4.1: Zusammenhang zwischen dem Anwendungsstand der Marktforschung und der Umsatzbzw. Gewinnentwicklung von kleineren Unternehmen (Prozentangaben, Stichprobe: 75 Unternehmen) | Quelle: Böcker, 1978, S.-192. → Darstellung 4.1 belegt den engen Zusammenhang mit einem zu mehr als 99,9% statistisch gesicherten Schluss: „Eine gut entwickelte Marktforschung gewährleistet eine bessere Unternehmensentwicklung als eine schlecht entwickelte Marktforschung! “ Marketing ohne Marktforschung ist dem‐ nach nicht denkbar. 4.1.2 Marketingforschung und Entscheidungsprozess Die vergleichsweise große Bedeutung der Informationswirtschaft im Rah‐ men des Marketings kann auch am Beispiel des üblichen Ablaufs eines Marketingentscheidungsprozesses verdeutlicht werden (ähnlich auch Böh‐ ler et al., 2021, S.-20f.). Nachdem - mehr oder weniger zufällig - ein Entscheidungsproblem entdeckt wurde (z. B. starkes Fallen des Marktanteils), bedarf es zunächst einer groben Umfeldanalyse, um festzustellen, welche Ursachen für das Entstehen des Entscheidungsproblems möglicherweise maßgeblich sind. 4.1 Marketingforschung und marktorientierte Unternehmenspolitik 211 <?page no="212"?> Als Ursachen für einen fallenden Marktanteil kommen etwa mangelhafte Verfügbarkeit des Produkts im Markt, falsche Preisstellung, eine mangel‐ hafte Produktqualität oder neue Produkte der Konkurrenz im weiteren Sinne in Betracht. Aufgrund relativ vager Informationen und weitgehend gestützt auf Plausibilitätsüberlegungen kommt man beispielsweise zum Urteil, dass die Produktqualität der Anstoß des fallenden Marktanteils ist und gibt folglich eine Einstellungsstudie zur Verbesserung der Entschei‐ dungsgrundlage in Auftrag (Formulierung des Entscheidungsproblems und des Informationsbedarfs). Die konkrete marktforscherische Aufgabe besteht darin, aufgrund von Sekundärrecherchen die bestehende Informationslü‐ cke festzustellen, geeignete Verfahren zur Erhebung der fehlenden Infor‐ mationen auszuwählen, diese Informationen konkret zu beschaffen und verfügbar zu machen. Es gilt, die für den Kauf entscheidenden Faktoren herauszuarbeiten und aufzuzeigen, in welchem Ausmaß sich die Beurteilung eines Produkts infolge der Veränderung der Ausprägung eines Merkmals verändert. Diese Phase der Informationsaufbereitung schließt gewöhnlich mit dem Fällen der betreffenden Entscheidung ab. Im Anschluss daran sind die einzelnen Maßnahmen der Umsetzung einzuleiten, um so auch reale Veränderungen zu bewirken. Beginnend mit den ersten Maßnahmen der Implementierung und parallel zu allen anderen Umsetzungsaktivitäten bzw. diesen nachgelagert sind Informationen zu erheben, die eine hinreichende Kontrolle der Wirkung der einzelnen Mar‐ ketingmaßnahmen ermöglichen. Darüber hinaus ist im Rahmen der Marke‐ tingforschung die für das betreffende Unternehmen relevante Umwelt laufend daraufhin zu überprüfen, ob sich nicht bedeutsame Veränderungen eingestellt haben, auf die es zu reagieren gilt. Wissen | Der Zusammenhang zwischen Marketingplanung und -kontrolle und der Marketingforschung macht deutlich, dass Mar‐ ketingforschung kontinuierlich betrieben werden muss und sich nicht in Einzelstudien erschöpfen darf. Eine solche mit der Marketingplanung und -kontrolle auf das engste verknüpfte Informationswirtschaft umfasst mindestens die nachfolgend aufgeführten drei Bereiche: 212 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="213"?> • Durchführung konkreter Einzelstudien: Solche Marktforschungsakti‐ vitäten gehen auf konkrete im Einzelfall spezifizierte Informationsan‐ forderungen zurück und stellen in sich abgeschlossene Aktivitäten dar. • Laufende Erfassung von marketingbezogenen Informationen (Ana‐ lyse der Mikro-Umwelt) und deren Integration in ein betriebliches Informationssystem (vgl. → Kapitel 3): Diese Aufgabe stellt sich jedem Unternehmen fortwährend. Es geht dabei - zum einen darum, solche Informationen zu speichern, die es ohne Zeitverzug erlauben, das Auftreten von Entscheidungsproblemen zu erkennen (z.-B. Umsatzanstieg in einem Teilmarkt), und - zum anderen darum, Informationen bereitzuhalten, die für die betrieblichen Planungstätigkeiten laufend benötigt werden (z. B. Wirkung einer Werbekampagne). Ziel der Bemühungen in diesem Bereich ist es, das Wissen um den Markt kontinuierlich zu verbessern. • Laufende Erfassung allgemeiner ökonomischer und gesellschaftli‐ cher Daten (Analyse der Makro-Umwelt): Die laufende Sammlung und Umsetzung der vorher skizzierten Informationen garantiert zwar ein ad‐ äquates Reagieren auf Umweltveränderungen, gewährleistet aber nicht, dass die Planung innovativ gesellschaftliche Trends aufnimmt und in konkrete marketingpolitische Maßnahmen umsetzt. Diese Aufgabe hat eine kontinuierliche Umweltüberwachung zu übernehmen; damit wird eine so genannte Frühwarnindikatorfunktion initiiert. Beispiel | Die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung bei‐ spielsweise ist früher in der Planung zu beachten, als es aufgrund von Kontrollinformationen (Rückgang des Absatzes an Personen unter 18 Jahren) erkennbar werden kann. Wie die unternehmerische Praxis zeigt, ist eine solche ganzheitlich orien‐ tierte, integrativ angelegte Marketingforschung viel Erfolg versprechender als eine lediglich auf Einzelstudien abzielende Forschungstätigkeit. Während die einzelstudienorientierte Marketingforschung Ad-hoc-Charakter trägt, ist die ganzheitlich orientierte Marketingforschung eindeutig auf die Erarbeitung von miteinander verwobenen Strukturinformationen angelegt. Die Fundierung der Unternehmenspolitik durch eine wissenschaftlich betriebene Informations‐ wirtschaft, die sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensex‐ 4.1 Marketingforschung und marktorientierte Unternehmenspolitik 213 <?page no="214"?> terne Daten zeitnah, detailliert und erschöpfend zu Informationen für das Management aufbereitet, war auch in → Kapitel 1 als eines der zentralen Kennzeichen eines erfolgreichen Marketings identifiziert worden. Da die zuletzt genannte Form der Marketingforschung eine kontinuierliche Sammlung und Integration verschiedenster, auch unternehmensspezifischer Informationen verlangt, kann sie nicht vollständig unternehmensexternen Einheiten übertragen werden. Problematisch ist hierbei jedoch, dass eine Fülle von Informationen ohne konkreten Informationsbedarf gesammelt wird, was bei der Interpretation relativ schnell zu einem „Herumstochern im Datenmaterial“ führen kann (vgl. Fantapié Altobelli, 2017, S.-27). 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten Marketingforschung kann alle marketingpolitisch relevanten Personen, Objekte oder Phänomene zum Gegenstand haben, insofern ist ihr Einsatz‐ bereich sehr breit und auch vage. Das Instrument der in → Kapitel 3 kurz skizzierten Balanced Scorecard stellt einen geeigneten Rahmen dar, in dem die Erkenntnisse der Marketingforschung mit wichtigen internen Parametern des Unternehmens in Verbindung gebracht werden können, sodass diese Informationen mit den Voraussetzungen im Unternehmen (Ressourcen) und den entsprechenden Konsequenzen (z. B. auch finanzieller Art) verknüpft werden. Erkenntnisobjekte der Marketingforschung Analyse der Makroumwelt Analyse der Mikroumwelt - Marktabgrenzung - Marktpotenzial - Marktvolumen - Marktausschöpfung ökonomische Rahmenbedingungen technologische Rahmenbedingungen politisch-rechtliche (ökologische) Rahmenbedingungen sozio-kulturelle Rahmenbedingungen - Lieferanten - Abnehmer - Konkurrenten - Absatzmittler Darstellung 4.2: Erkenntnisobjekte der Marketingforschung im Überblick. 214 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="215"?> Um trotz der Breite des Arbeitsfelds eine gewisse inhaltliche Vorstellung zu vermitteln, sollen nach einem graphischen Überblick in → Darstellung 4.2 einige regelmäßig zu bearbeitende Erkenntnisobjekte der Marketingfor‐ schung vorgestellt werden. Häufig wird dies als Pestel-Analyse bezeichnet (Political Economic Social Technological Environmental Legal). 4.2.1 Analyse des Marktes im Allgemeinen Eine grundlegende Frage, die immer wieder zu stellen ist, ist diejenige nach dem relevanten Markt eines Unternehmens (vgl. → Kapitel 1 und 3). Der relevante Markt eines Unternehmens kann - je nach Gegebenheiten - unterschiedlich abgegrenzt werden: nach Produkten, Konkurrenten, Ab‐ nehmern etc. Wissen | Grundlegend für die Marktabgrenzung auf Käufermärkten ist stets die für den Kunden relevante Produktleistung als Abgren‐ zungskriterium. Der Grad der Substitutionalität bestimmt den relevan‐ ten Markt mit den relevanten Konkurrenzprodukten. Demnach sind als Teil eines bestimmten relevanten Marktes alle diejenigen Produkte, die gegenseitig substitutiv sind, bzw. deren Hersteller bzw. ihre Abnehmer zu sehen. Nicht die physische Gleichheit, sondern die Gleichheit des Verwendungszwecks war daher schon in → Kapitel 1 als Ausgangspunkt der Überlegung gewählt worden. Das Problem der Marktabgrenzung existiert in gleicher Weise bei regionalen, nationalen oder internationalen Märkten. Ist einmal ein Markt in irgendeiner Weise abgegrenzt, so interessiert zu‐ nächst dessen aktuelles Volumen und dessen Marktpotenzial als dessen maximal möglichen Volumens (vgl. Hüttner u. Schwarting, 2002, S.-368ff.). Beispiel | Marktvolumen und Marktpotenzial können stark voneinander abweichen: in der Bundesrepublik Deutschland gibt es ca. 13,3 Millionen Hörgeschädigte, von denen jedoch nur zwei bis drei Millionen ein Hör‐ gerät tragen. Auch wenn man sich nicht um eine Aufgliederung des Gesamtmarktes nach Neu- und Ersatzbedarf bemüht, wird unmittelbar klar, dass der Markt der Hörgeräte nicht annähernd ausgeschöpft ist. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 215 <?page no="216"?> In diesem Zusammenhang ist häufig die Unterscheidung zwischen einem kurzfristig realisierbaren Marktpotenzial und einem langfristig gültigen Marktpotenzial sehr nutzbringend; besonders leicht zu verdeutlichen ist der Unterschied etwa am Beispiel von PCs, deren Absatzpotenzial natürlich nicht nur vom kurzfristig veränderbaren Preis (kurzfristiges Marktpoten‐ zial), sondern auch von den nur langfristig veränderbaren grundlegenden Programmier- und Anwendungsfähigkeiten der möglichen Käufer (langfris‐ tiges Marktpotenzial) abhängt. Der Quotient Marktvolumen durch Markt‐ potenzial schließlich zeigt die Marktausschöpfung an. Ein geringer Wert dieser Kenngröße deutet darauf hin, dass ein Produkt mit erheblichem Wachstumspotenzial (neues Produkt oder inaktive Anbieter) vorliegt. Nicht nur die Größe eines Marktes (Volumen oder Potenzial), sondern auch die Struktur ist von erheblicher praktischer Relevanz. Die Möglich‐ keiten der Strukturierung sind äußerst vielfältig, alle Merkmale, die bei der Segmentierung eines Marktes (vgl. → Abschnitt 4.2.2) herangezogen werden können, eignen sich naturgemäß auch zu dessen Strukturierung. Von besonderem Interesse ist häufig eine Strukturierung nach den Anbie‐ tern, deren Absatzvolumina zum Marktvolumen in Beziehung gesetzt die Marktanteile der einzelnen Anbieter widerspiegeln. Den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kenngrößen zeigt → Darstellung 4.3. Alle in → Darstellung 4.3 genannten Indikatoren können mengen- und wertmäßig definiert werden. Der Vergleich zwischen dem wertmäßigen und dem mengenmäßigen Marktanteil ist häufig von besonderem Interesse, zeigt er doch klar den relativen Produktpreis der verschiedenen Anbieter an; so dürfte der mengenmäßige Marktanteil von Mercedes Benz an den bundes‐ deutschen Personenkraftwagenzulassungen etwa um die Hälfte niedriger als der wertmäßige sein. Die positive Veränderung des Marktvolumens wird als Marktwachstum bezeichnet. Wachsende Märkte sind in aller Regel relativ jung und haben eine hohe Marktattraktivität, da unter anderem die Wettbewerbsinten‐ sität zwischen den Anbietern gering ist. Das Konstrukt der Marktattraktivität ist eine zentrale, extern vorgege‐ bene Umweltbedingung, die im Wesentlichen nur marginal beeinflusst werden kann. Für die Bewertung der Attraktivität eines Marktes ist die Berücksichtigung der Wettbewerbsintensität zwischen den Unternehmen, der Markteintritt neuer Konkurrenten, die Marktmacht der Abnehmer (Konzentration) sowie das Potenzial, Volumen und Wachstum sowie die eigene Position (vgl. Helm et al., 2014) relevant. 216 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="217"?> langfristiges Marktpotenzial kurzfristiges Marktpotenzial Marktvolumen Absatzpotenzial Absatzvolumen ≥ ≥ ≥ > < langfristig maximal erzielbares Marktvolumen kurzfristig maximal erzielbares Marktvolumen aktuell erzieltes Marktvolumen, d.h. die Summe der Absätze aller Anbieter in einem Markt maximal erzielbarer Absatz eines Anbieters in einem Markt Aktuell erzielter Absatz eines Anbieters in einem Markt Darstellung 4.3: Indikatoren zur Beschreibung der Größe eines Marktes. 4.2.2 Analyse der Nachfrager, Marktsegmentierung und -priorisierung Die strukturelle Beschreibung ist meist der Ausgangspunkt der Erfor‐ schung eines bestimmten Marktes. Neben den geographischen und sozio‐ demographischen Variablen (vgl. → Darstellung 4.5), die auch bei den makroökonomischen Analysen herangezogen werden, besitzen hier vor allem Merkmale des Kaufverhaltens (für Konsumgütermärkte stehen für diesen Zweck Informationen aus so genannten Panels führender Marktfor‐ schungsinstitute zur Verfügung, (vgl. Böhler et al., 2021 und → Abschnitt 4.3.3) und des Informationsverhaltens marketingpolitische Relevanz. Bei den so genannten Bestandsdaten interessieren alle typischen W-Fragen nach der jeweiligen Kaufmenge, dem Preis, der Kaufhäufigkeit, der gewählten Marke innerhalb des Relevant Set etc. sowie die Frage, wer kauft, entscheidet etc. Bei letzterem könnte es in einem konkreten Fall sein, dass nur Haushalte ohne Kinder (unabhängig vom Alter der Haushaltsmitglieder) oder nur Jugendliche einer bestimmten Käuferschicht oder nur Senioren die Zielgruppe darstellen. Auf gewerblichen Märkten stellen sich nahezu die gleichen Fragen in Bezug auf das Buying Center (vgl. → Kapitel 2) bzw. im Hinblick auf den Aspekt der derivativen Nachfrage (vgl. →-Kapitel 1). Weiterhin ist von Interesse, was die Kunden kaufen. Wählen sie ein bestimmtes Angebot wegen des Produktkerns, einer konkreten Funktion oder weil weitere nutzenbeeinflussende Faktoren wie produktbegleitende Dienstleistungen, Finanzierungen oder zugehörige Sortimentsteile (vgl. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 217 <?page no="218"?> → Kapitel 5) angeboten werden? Welche Produktleistung ist für den Kunden also wichtig, was sind die Bewertungs- und Kaufkriterien? Aus → Kapitel 2 ist bekannt, dass neben diesen deskriptiven Aspekten für ein tieferes Verständnis des Marktes die Fragen nach dem Warum ebenso von Bedeutung sind. Welche Bedürfnisse stehen hinter den Kauf‐ handlungen und wie werden die Produkte des Marktes wahrgenommen? Der Analysefokus liegt hier demnach nicht auf konkreten Reaktionsvariab‐ len, sondern vielmehr auf den diesen vorgelagerten Konstrukten, wie beispielsweise den Einstellungen (vgl. → Kapitel 2 und Helm, 1999). Es ist unmittelbar einsichtig, dass solche Daten in der Regel nicht „auf dem freien Informationsmarkt“ erhältlich sind, sondern spezifisch für das betreffende Unternehmen erarbeitet werden müssen. Der Zusammenhang zum Marketingprozess in → Kapitel 3 sowie zum Ablauf der Teilschritte innerhalb des Marktforschungsprozesses gibt → Darstellung 4.4 wieder. Aus obigen Erkenntnissen für einen Markt generell lassen sich rele‐ vante Marktsegmente, die bearbeitet werden können, ableiten und unter Berücksichtigung weiterer, unten angesprochener Faktoren bewerten. Die Relevanz eben dieses Aspekts wurde als elementarer Baustein eines fundier‐ ten Verständnisses für das Marketing bereits in → Kapitel 1 ausführlich dargelegt. Wissen | Marktsegmentierung bedeutet damit einerseits die syste‐ matische Aufteilung eines Marktes in möglichst homogene Teile und andererseits deren differenzierte Bearbeitung mit Hilfe der Marketing‐ instrumente. Ziel ist es, Gruppen homogener Nachfrager zu bilden, d.-h. von Perso‐ nen, die einzelnen Produktmerkmalen die gleiche Bedeutung zumessen bzw. einzelne Objekte in sehr ähnlicher Weise wahrnehmen. Sie sind sich damit in Bezug auf ihre Nutzenstruktur ähnlich (Benefit-Segmen‐ tierung). Sind entsprechende Ressourcen im Unternehmen gegeben, können ein oder mehrere Segmente differenziert bearbeitet werden. 218 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="219"?> unternehmensspezifische Ressourcen Märkte/ Segmente beschreiben und Attraktivität bewerten Makro- und Mikroumwelt kennen Markt im Allgemeinen beschreiben Segmente bilden Kaufentscheidungen verstehen Positionierung der Konkurrenten kennen Darstellung 4.4: Ablauf der Marktbewertung und Marktsegmentierung. Die in → Darstellung 4.5 wiedergegebenen Personenmerkmale können Ausgangspunkt einer Segmentierung sein oder zur deskriptiven Abrun‐ dung ermittelter Segmente dienen. Während demographische und geographische Merkmale sowie die allge‐ meinen psychographischen Merkmale gewissermaßen universell (d. h. für alle Produktbereiche) anwendbar sind, sind die übrigen drei Merkmalsgrup‐ pen im Grundsatz auf bestimmte Produktbereiche beschränkt. Die bekanntesten Merkmale zur Abgrenzung von Gruppen „einheitlicher“ Nachfrager sind die soziodemographischen Merkmale. Der besondere Vorzug ist darin zu sehen, dass sie unmittelbar einsichtig und leicht ermit‐ telbar sind. Sie sind allerdings häufig wenig geeignet, wenn es darum geht, Nachfrager verschiedener Marken zu unterscheiden, da sie vielfach mit dem geäußerten Verhalten wenig zusammenhängen. Sie können jedoch sinnvoll eingesetzt werden, eine Segmentierung näher zu beschreiben, um die Ansprache zu erleichtern. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 219 <?page no="220"?> Soziodemographische Merkmale: Alter - Geschlecht - Familienstand - Stel‐ lung in der Familie - Größe der Familie - Einkommen (Familien-, persönliches, disponibles Einkommen) - Beruf - Ausbildungsabschluss - Soziale Schicht - Physiologische Gegebenheiten (Diätregeln, Körperschäden etc.) - Ethnie/ Religion Geographische Merkmale: Regionen (Bundesländer, Staaten) - Überörtliche Siedlungsstruktur (Ort mit < 500 Einwohnern / …/ Ort mit >1 Mio. Einwohnern) - Örtliche Siedlungsstruktur (Stadtrandlage / …/ Citylage) - Klimatische und topographische Bedingungen (Verkehrsanbindung) Allgemeine psychographische Merkmale (Persönlichkeit): Leistungsstre‐ ben - Geselligkeitsstreben - Risiko- und Innovationsbereitschaft - Beeinflussbar‐ keit durch formale oder personale Kommunikation - Wertvorstellungen Objektive Merkmale im Hinblick auf bestimmte Produktbereiche: Besitz bestimmter Gebrauchsgüter - Realisierte Kaufkraft - Intensiv-, Wenig-, Nichtkäu‐ fer einer Produktgruppe - Markenwechsler, markentreuer Käufer - Kaufrhyth‐ mus und jeweiliges Beschaffungsvolumen - Informationsverhalten vor dem Kauf (intensiv, wenig intensiv) Psychographische Merkmale im Hinblick auf bestimmte Produktberei‐ che: Lebensstil - Periphere und zentrale Einstellungen - Informationsinteresse - Wissen über angebotene Objekte - Aktivitätsvorlieben (Hobbys etc.) Reaktionsmerkmale auf den Marketing-Mix der Anbieter in einem be‐ stimmten Produktbereich: Qualitätsbewusstsein - Preisbewusstsein - Werbe‐ empfänglichkeit - Bereitschaft, Beschaffungsanstrengungen auf sich zu nehmen Darstellung 4.5: Merkmale zur Beschreibung von Nachfragergruppen. Statt der unmittelbar zugänglichen Merkmale Alter, Größe der Familie etc. wird häufig auch die aus diesen Variablen zusammengesetzte Variable Familienlebenszyklus zur Beschreibung verwendet. Ein sog. Familienlebens‐ zyklus, eine angepasste Variante mit den Anteilen an allen deutschen Haushalten, ist in → Darstellung 4.6 abgebildet. 220 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="221"?> Alter Ausbildung Berufsleben Ausbildung Studierende/ Auszubildende (eigener Haushalt) 3 / 3 / 3 Aufsteiger, Singles DINKS 10 / 12 / 15 Mittelschichtfamilien mit Kindern 19 / 15 / 12 Mittelschichtfamilien ohne Kindern 6 / 5 / 6 berufstätige Alleinlebende 5 / 5 / 7 Arbeiterfamilien mit Kindern 17 / 16 / 11 Arbeiterfamilien ohne Kindern 5 / 4 / 6 Arbeitslosenfamilien mit Kindern 4 / 6 / 5 Mittelschichtrentnerfamilien 11 / 12 / 12 Arbeiterschichtrentnerfamilien 9 / 9 / 9 alleinstehende Ältere 11 / 13 / 14 Quelle: Bachl, Hänel u. Hausruckinger, o.J., S. 9. Anteile an allen deutschen HH in %; Werte in den Feldern: 1995 / 2001 / 2010 © GfK Panel Services Consumer Research Darstellung 4.6: Prognose der Familienlebenswelten | Quelle: Bachl et al., 2003, S.-9. Objektive Verhaltensmerkmale sind gewissermaßen statisch angelegt. Sie bringen etwa Verbrauchsvoraussetzungen, Verbrauchshäufigkeiten und Ausgangsvolumina zum Ausdruck. Für das Marketing ist dabei auch der je‐ weilige Anteil an Ersatzkäufen, d. h. an Kaufakten, bei dem ein vorhandenes bzw. eventuell auch noch funktionsfähiges Gerät ersetzt wird, von Interesse. Psychographische Merkmale stellen Prädispositionen für das Verhal‐ ten bezüglich bestimmter Produkte und Marken dar. Diese Gruppe von Merkmalen ist für die Strukturierung der Märkte von außerordentlicher Bedeutung. Wissen | Eine sinnvolle Segmentierung des Marktes muss auf Basis von Merkmalen stattfinden, die kaufverhaltensrelevant sind. In der Folge unterscheiden sich die ermittelten Segmente durch ihr Produktwahlverhalten. Insbesondere die Variablen zentrale Einstellungen, Informationsinteresse und Aktivitätsvorlieben fasst man häufig zu dem Konglomerat Lebensstil (Lifestyle) zusammen. Der Lebensstil ist somit Ausdruck eines spezifischen Konsumverhaltens und einer Konstellation grundlegender Einstellungen sowie der äußeren Umstände. Lebens- und Konsumstile, seien es nun solche allgemeiner oder solche produktspezifischer Art, stellen einen natürlichen 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 221 <?page no="222"?> Ansatzpunkt für die Marketingpolitik dar. Zu beachten ist jedoch, dass die Allgemeingültigkeit solcher (durchaus einleuchtender) Lebensstiltypo‐ logien zu bezweifeln ist. Vielfach sind Verhaltensweisen offenkundig gewor‐ den, die mit solchen Mustern nicht übereinstimmen. Wissen | So fährt beispielsweise eine Frau im Porsche zu Aldi oder einem anderen Discounter, um Nahrungsmittel einzukaufen, und be‐ mängelt an der Kasse, dass ein Artikel um einige Cent teurer als bei einem Konkurrenten sei. Merkmale der Kaufverhaltensreaktion sind anders als alle anderen Merk‐ male insofern dynamisch, als sie Wenn-dann-Aussagen für die Marketing‐ planung beinhalten. So besagt beispielsweise ein hohes Preisbewusstsein, dass die entsprechende Nachfragergruppe auf Variationen des Preises für das jeweilige Produkt relativ stark reagiert. Eine hohe Bereitschaft zur Übernahme von Beschaffungsanstrengungen bringt zum Ausdruck, dass die entsprechenden Nachfrager bereit sind, für die Beschaffung eines Produktes erhebliche Mühen auf sich zu nehmen. Beispiel | Die Folgerung für das Marketing, die aus einer hohen Bereit‐ schaft zu Beschaffungsanstrengungen zu ziehen ist, ist evident: Da sich diese Nachfrager nicht scheuen, erhebliche Beschaffungsanstrengungen zu unternehmen, bedarf es für sie kaum eines sehr engmaschigen Netzes von Angebotspunkten. Damit weisen gerade die drei letztgenannten Segmentierungsmerkmale einen unmittelbaren Bezug zum Kaufverhalten der Nachfrager auf und geben wertvolle Hinweise für die Ausgestaltung der Marketinginstru‐ mente und insbesondere der Kommunikationspolitik. Im Idealfall lassen sich anschließend die auf Basis dieser Merkmale identifizierten Segmente mit beschreibenden Merkmalen weiter konkretisieren. Wissen | Die Strategie der Marktsegmentierung wird jedoch nicht immer gelingen, vor allen Dingen in den Fällen nicht, in denen zwar Kundengruppen mit ähnlichen Bedürfnissen bzw. Bedarfsstrukturen erkannt werden, diese Segmente jedoch anhand der oben angeführten Merkmalskategorien nicht eindeutig identifiziert werden können. 222 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="223"?> Allerdings sind bekannte und bearbeitbare Differenzierungspo‐ tenziale unbedingt bei der Ausgestaltung des Marketing-Mix zu be‐ rücksichtigen, um ein klares Bild der herrschenden Marktstruktur zugrunde zu legen. Sind diese Aspekte gegeben, müssen bei einer sinnvollen Segmentierung bzw. der geplanten adäquaten Bearbeitung einige weitere Bedingungen erfüllt sein (vgl. dazu auch Freter, 2008): • Zunächst muss die zeitliche Stabilität der Befunde gesichert sein, d. h. die Kundengruppen sollten sich nicht aufgrund kurzfristiger Modeer‐ scheinungen gebildet haben. • Die Bearbeitung mittels einer differenzierten Ausgestaltung der Mar‐ ketinginstrumente (v. a. in Bezug auf produkt-, preis-, aber auch in Bezug auf distributionspolitische Optionen) muss möglich sein, so dass sich eindeutige Strategien formulieren lassen. Der spezielle Nutzen für die jeweiligen Zielgruppen muss vorhanden sein. • Die kommunikative Ansprache der Zielgruppe muss mittels geeig‐ neter Medien vorgenommen werden können. • Das Segmentpotenzial muss so groß sein, dass eine getrennte Bear‐ beitung ökonomisch sinnvoll ist, d. h. die Kosten der Segmentierung müssen sich „rechnen“. Mit zunehmender Segmentierung im Sinne einer Zersplitterung des Gesamtmarktes muss dabei auch der Marktanteil des Unternehmens in einem Segment zunehmen (da sich die Struktur von fixen und variablen Kosten der Leistungserstellung allenfalls in Richtung steigender Fixkosten verschiebt). Wissen | Bei begrenzten Ressourcen sind die Segmente zu bear‐ beiten, die im Planungszeitraum die größten Deckungsbeiträge erwarten lassen. Betrachtet man vor dem Hintergrund der entwickelten Gedanken einzelne Kunden(-gruppen) - z. B. im gewerblichen Bereich - hinsichtlich ihrer At‐ traktivität, so kann diese mittels Punktbewertungsverfahren in Bezug auf das Kauf- oder Nutzungsverhalten oder mittels einer ABC-Analyse ermittelt werden (zu den Verfahren vgl. → Kapitel 5). Die Befunde dieser Analysen dienen im Anschluss der Kundenpriorisierung, indem beispielsweise die Betreuungsintensität entsprechend angepasst wird. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 223 <?page no="224"?> 4.2.3 Analyse der weiteren Mikroumwelt: Lieferanten, Absatzmittler und Konkurrenten Hier interessieren die Strukturen und Strategien der Absatzmittler bzw. deren Zusammenhänge. Ebenso sind Informationen in Bezug auf den Handel von Interesse, die Aussagen über die Finanzkraft oder die Kostensituation machen. Breiten Raum wird dabei üblicherweise der Erforschung der Reaktion auf unterschiedliche Marketingmaßnahmen eines Anbieters eingeräumt. Fragen wie • „Was passiert mit dem Absatz, wenn der Preis um € X gesenkt wird? “, • „Welche Wirkung hat eine kombinierte Sonderpreis-Flugblatt-Aktion? “ und • „Wie wird der Absatz beeinflusst, wenn Hausanlieferung zum Preis von € 10,angeboten und in Anspruch genommen wird? “ sind hier zu beantworten. Entsprechende Informationen sind dabei nicht nur für die Endabnehmer (Konsumenten), sondern auch für die Absatzmittler (Handel etc.) zu erarbeiten. Hinsichtlich der aktuellen und potenziellen Lieferanten des Unterneh‐ mens basiert eine fundierte Lieferantenbewertung ebenfalls auf Marktfor‐ schungsaktivitäten. Die Lieferantenbewertung dient der systematischen Bewertung von aktuellen und potenziellen Lieferanten bzw. von Lieferan‐ tenleistungen. Hilfreich ist hierbei die Erstellung eines Lieferantenprofils mittels unternehmensinterner Fachexperten oder Checklisten auf Basis von Selbstauskünften oder Firmenbesuchen (vgl. Wagner, 2003). Der Zusam‐ menhang zur Marketingforschung wird dadurch hergestellt, indem durch diese Aktivitäten eventuell neue technologische Trends bzw. Aktivitäten der Konkurrenz früher erkannt werden können. Der Zusammenhang zu beispielsweise dem System der Branchenanalyse nach Porter (vgl. → Abschnitt 4.2.5.3) ist unverkennbar, wobei diese In‐ strumente den Rahmen darstellen, der mit Information durch Marktfor‐ schungsaktivitäten ausgefüllt werden muss. Für eine umfangreiche Konkurrenzforschung sind verschiedene Se‐ kundärquellen frei zugänglich und sollten daher nicht außer Acht gelassen werden. Zudenken ist hierbei beispielsweise an jegliche Veröffentlichung von Unternehmen wie Werkszeitschriften, Bilanzen, Prospekte. Es interes‐ siert deren Größe, deren Produktleistungen und Neuentwicklungen sowie 224 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="225"?> die verfolgte Strategie. Ebenso sind Informationen von Interesse, die Aus‐ sagen über die Finanzkraft, das konkurrenzseitige Vertriebssystem, die Produktionskapazität oder die Kostensituation machen. Wissen | Der eigene Vertrieb ist für die Analyse der Kunden (vgl. → Abschnitt 4.2.2) auf B2B-Märkten, aber auch für Konsumgüterher‐ steller, eine wertvolle - und oft die einzige - Quelle (vgl. Helm et al., 2014). Wissen | Im Rahmen der Konkurrenzforschung gilt es, sich ein umfassendes Bild von diesen Unternehmen zu erstellen in Analogie zu einer entsprechenden Beschreibung des eigenen Unternehmens. Ähnlich der Frage nach dem relevanten Markt ist hier der Frage nach der relevanten Konkurrenz nachzugehen. Unmittelbar einsichtig ist, dass die direkte Konkurrenz, also die Unterneh‐ men, mit denen man in unmittelbarer Konkurrenz aufgrund der ähnlichen Problemlösungskompetenz steht, in die Analyse einzubeziehen sind. Darüber hinaus sind jedoch auch die mittelbaren Konkurrenzunternehmen zu untersuchen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie die Probleme und Bedürfnisse der Kunden mit anderen Mitteln befriedigen können. Allge‐ mein formuliert sind all diejenigen Unternehmen als Konkurrenten zu bezeichnen, die auf die eigenen Maßnahmen reagieren. So kann die Frage nach der Wirkung einer groß angelegten Sonderange‐ botsaktion eines Herstellers von Bauelementen für PCs schnell zu Fragen nach der Reaktion der Konkurrenz auf solche Aktionen und zu Fragen nach den begleitenden Maßnahmen des Handels führen. Beispiel | Hat man in diesem Zusammenhang gut fundierte Informa‐ tionen wie „Solange der Sonderangebotspreis nicht mehr als 20 % unter dem Marktpreis liegt, reagieren die Konkurrenten nicht! “ und „Der Büromaschinenhandel wird - bedingt durch seine starre Aufschlagskal‐ kulation - die Abverkaufspreise um den gleichen Faktor senken! “ zur Hand, so ist eine rationale Entscheidungsfindung wesentlich erleichtert. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 225 <?page no="226"?> 4.2.4 Analyse der Makroumwelt: Weltwirtschaft, Volkswirtschaft, Branche und Gesellschaft Einzelne Unternehmen sind eingebettet in ein System von Bezugskreisen, das vereinfacht wie folgt angedeutet werden kann: Branchen - Gesamtwirt‐ schaft und Gesellschaft - Weltwirtschaft. Konkret können (nicht müssen! ) damit folgende Rahmenbedingungen für die Bewertung von Märkten und damit Marketingentscheidungen von Relevanz sein: • ökonomische Rahmenbedingungen: z. B. die Entwicklung des Bruttoso‐ zialprodukts, des Einkommens der Abnehmer, dem Beschäftigungsgrad etc. • technologische Rahmenbedingungen: Änderungen der technologischen Basis (siehe beispielsweise Technologielebenszyklen, → Abschnitt 4.2.5.4). Diese stellen üblicherweise einen wesentlichen Faktor des Marktwachstums dar. • politisch-rechtliche (ökologische) Rahmenbedingungen: Arbeitszeiten, Steuer- und Abgabenbelastung, Rentendiskussion, ESG-Richtlinien, Lie‐ ferkettengesetz, Betriebsgenehmigungen etc. • sozio-kulturelle Rahmenbedingungen: gesellschaftlicher Wandel (Wer‐ tewandel), Umweltorientierung, Gesundheitsbewusstsein, Familien‐ struktur, demographische Verschiebungen, Multikulturalität etc. Alle bisher genannten Erkenntnisobjekte der Marketingforschung kenn‐ zeichnen Strukturen, sie erlauben noch keine Aussagen über die Verände‐ rung dieser Märkte - Informationen, an denen begreiflicherweise häufig ein erhebliches Interesse besteht. Solche Veränderungen oder mögliche Veränderungen zeigen Reaktionsdaten an, die immer Wenn-dann-Aus‐ sagen zum Inhalt haben, während die Strukturdaten demgegenüber nur Zeitpunktfeststellungen beinhalten. Reaktionsdaten können in zweierlei Form auftreten: • Zeitreihendaten: Strukturdaten, die für bestimmte voneinander unter‐ schiedliche Zeitabschnitte erhoben und dargestellt werden, erlauben einfache Prognosen. Diese Prognosen stellen lediglich Fortschreibun‐ gen dar. • Kausaldaten: Stellt man bestimmten Strukturdaten andere Strukturda‐ ten, die zu den erstgenannten Strukturdaten eine kausale Beziehung aufweisen, gegenüber, so können daraus häufig für die Planung äußerst wertvolle Kennziffern bzw. Strukturgleichungen entstehen. Wenn 226 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="227"?> etwa die Ersatznachfrage nach Elektrogroßgeräten weitgehend durch die reale Zunahme des Volkseinkommens erklärt werden kann, so ist es nahe liegend, diesen Sachverhalt für das Marketing zu nutzen. Alle genannten makroökonomisch orientierten Variablen sind in der Regel vor allem für die Marktdefinierung im Rahmen des Marketings hilfreich. 4.2.5 Analysekonzepte des Unternehmens und seiner Umwelt Sowohl zur Planung als auch zur Kontrolle von Marketingstrategien sind in der Literatur eine Vielzahl von Konzepten zu finden, von denen im Folgenden einige in prägnanter Form dargestellt und kritisch beleuchtet werden sollen. 4.2.5.1 Analyse von Unternehmenspotenzialen Unter einer Analyse der zukünftigen Erfolgspotenziale des Unternehmens oder der Konkurrenten werden in der einschlägigen Literatur verschiedene Betrachtungsweisen verstanden (vgl. Bea u. Haas, 2019, S.-133ff.; Kreikebaum et al., 2018, S. 216ff.), üblicherweise wird jedoch in Bezug auf die Funkti‐ onalbereiche des Unternehmens unterschieden, womit eine beliebige Diffe‐ renzierbarkeit erreicht wird. Vielfach werden hierzu strukturierte, auf das jeweilige Unternehmen bezogene Checklisten erstellt. Das Hauptproblem bei der Erstellung wird zumeist darin gesehen, dass die strategische Relevanz der aufzunehmenden Faktoren bestimmt werden muss. In Anlehnung an Kreikebaum et al. (2018) können folgende Objekte zum Tragen kommen: • Absatzseite: Produktzwecke zur Lösung von Kundenproblemen, Pro‐ duktqualität, Akquisitorische Wirkung des Produktprogramms, Alters‐ aufbau der Produkte, Produktgestaltung, Kundendienst. • Produktionsseite: Anlagenstruktur, Elastizität der Produktionsanla‐ gen, Qualität der Fertigungsplanung und -steuerung. • F&E: Intensität und Wirksamkeit des F&E-Know-hows, Outsour‐ cing-Partner. • Personalseite: Altersstruktur, Betriebszugehörigkeit, Ausbildungsstand. • Kapitalseite: Eigenkapitalausstattung, Überschüsse, Fremdfinanzie‐ rungsmöglichkeiten. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 227 <?page no="228"?> Die Elemente der Potenzialanalyse sind gleichzeitig auch Ansatzpunkte der Konkurrenzanalyse (vgl. →-Abschnitt 4.2.3). Wissen | Generell ist die Aussagefähigkeit der Potenzialanalyse nur dann gegeben, wenn auf einen sinnvollen Referenzpunkt Bezug genommen wird. Im Allgemeinen wird hierzu die relevante Konkur‐ renz bzw. der stärkste Konkurrent betrachtet. Zieht man nicht Leistungsbereiche, sondern Leistungsprozesse in die Betrachtung der Potenziale mit ein, wird im Rahmen des so genannten Benchmarkings üblicherweise der Vergleichsmaßstab über die Branche hinaus bei Unternehmen anderer Branchen oder sogar den in diesem Prozess führenden Anbietern gesucht. Vor allem durch den Blick über die Branchengrenzen hinaus werden historisch gewachsene Barrieren im Unternehmen durch Lernen am konkreten Beispiel und durch Anregung zu Analogieschlüssen vermindert. 4.2.5.2 Analyse der Wertschöpfungskette Die eben skizzierte Vorgehensweise wird in einen inneren Zusammenhang gebracht, wenn man die individuelle Wertschöpfungskette eines Unter‐ nehmens betrachtet. Porter (2014) geht davon aus, dass Wettbewerbsvorteile durch die Gesamt‐ heit der betrieblichen Unternehmensfunktionen geschaffen werden und deshalb eine ganzheitliche Analyse notwendig ist, die alle Aktivitäten des Unternehmens erfasst. Er unterscheidet dabei in primäre (Produktion bis zum Verkauf von Produkten) und in unterstützende (Versorgungsfunktion wie Beschaffung von Inputs und Personal, Technologieentwicklung, usw.) Aktivitäten des Unternehmens (→ Darstellung 4.7), wobei es keine hierar‐ chische Ordnung zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten im Sinne von wichtig oder weniger wichtig gibt. Die (Wert-)Aktivitäten sind nicht identisch mit den gleichnamigen Abteilungen in einem Unternehmen, sondern sind als Summe aller anfallenden Tätigkeiten eines Unternehmens zu interpretieren, in diesem Sinne wird bei diesem Konzept eine Prozess‐ orientierung verfolgt. Die Wertschöpfungskette ist somit eine grobstruktu‐ rierte Darstellung des Unternehmens, d. h. der Wertschöpfung. Die Differenz zwischen den Kosten der Aktivitäten und den erzielbaren Marktpreisen der dadurch erstellten Leistungen ist die Gewinnspanne. 228 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="229"?> Unternehmensinfrastruktur Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung Eingangslogistik Operationen Marketing & Vertrieb Ausgangslogistik Eingangslogistik Gewinnspanne primäre Aktivitäten unterstützende Aktivitäten Darstellung 4.7: Beispiel einer Wertschöpfungskette. Das Konzept besticht durch seine Einfachheit, die aber gleichzeitig die Notwendigkeit bei der konkreten Anwendung unterstreicht, auf Basis dieser Überlegungen eine unternehmensindividuelle Anpassung vorzunehmen. Das Ziel des Prozesses ist die Identifizierung von Aktivitäten, die zum Erfolg beitragen, d. h. die den Abnehmernutzen (Vorteile für den Abnehmer, wie Qualität, Preise, usw.) erhöhen können, indem diese entweder • kostengünstiger oder • besser oder • anders als durch die Konkurrenz erstellt werden. 4.2.5.3 Analyse der Wettbewerbskräfte der Branche Die Attraktivität eines Marktes wird auch von der Struktur der Branche bestimmt, d. h. von deren Zusammensetzung und den relevanten Wettbe‐ werbskräften, die Druck auf die Unternehmen ausüben können. Die fünf von Porter (2014) identifizierten Determinanten sind in → Darstellung 4.8 wiedergegeben (vgl. im Einzelnen Bea u. Haas, 2019, S.-114ff.). 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 229 <?page no="230"?> neue Anbieter Ersatzprodukte Lieferanten Kunden konkurrierende Unternehmen Wettbewerbsintensität durch  Wachstum,  Konzentration,  Fixkosten,  Leistungsunterschiede,  Branchenaustrittsbarrieren etc. Verhandlungsstärke Verhandlungsstärke Darstellung 4.8: Determinanten des Wettbewerbs in einer Branche. Bei Kenntnis dieser Kräfte können die eigenen Leistungspotenziale in Rela‐ tion zur Konkurrenz sowie die Gefährdungspotenziale besser eingeschätzt werden und es erleichtert die Bestimmung einer effizienten Marketingstra‐ tegie. Eine differenziertere Analyse der brancheninternen Struktur führt im Allgemeinen zur Bildung so genannter Strategischer Gruppen, die sich durch ähnliche Ausgangssituationen und dem Verfolgen sehr ähnlicher Strategien innerhalb der Branche auszeichnen. 4.2.5.4 Analyse von Lebenszyklen Die Nachfrage nach bestimmten Leistungen, die mittels verschiedener technologischer Konzepte in einzelne Produkte bzw. Produktgenerationen umgesetzt werden, durchläuft in vielen Fällen eine Anzahl unterschiedlicher Phasen, die in einem so genannten Lebenszyklus des entsprechenden Be‐ trachtungsobjekts zusammengefasst werden. → Darstellung 4.9 gibt diese Überlegungen in einer idealtypischen Form graphisch wieder (vgl. Sander, 2019, S.-312). In den meisten Fällen wird der Lebenszyklus einzelner Produkte „von der Wiege bis zur Bahre“ betrachtet. Die Einbettung des Produktlebenszyklus in die übergeordneten Technologie- und Nachfragezyklen schärft jedoch das Bewusstsein dahingehend, dass beispielsweise Umsatzrückgänge eines Produkts nicht nur auf das Ableben eben jenes Objekts zurückzuführen 230 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="231"?> sein können, sondern auch darauf, dass die zugrunde liegende Technologie veraltet und durch neuere technologische Ansätze ersetzt wird bzw. die Nachfrage nach diesen Leistungen generell sich im Abnehmen (Analyse der Makroumwelt, vgl. →-Abschnitt 4.2.4) befindet. Nachfragezyklus Technologiezyklen Produktlebenszyklen Umsatz Zeit Darstellung 4.9: Idealtypische Lebenszyklen im Zeitablauf. Der typische Produktlebenszyklus wird vielfach in die in → Darstellung 4.10 aufgezeigten Phasen unter Unterstellung eines Verlaufs der Umsätze bzw. Cashflows gemäß der (logistischen) Gompertz-Funktion (vgl. Gierl, 2000, S. 97ff.) eingeteilt, in denen ebenfalls in idealtypischer Weise geeignete Normaktivitäten in Bezug auf das Marketing-Mix empfohlen werden. In der empirischen Forschung wurden in einigen Fällen entsprechende Verläufe festgestellt, wobei die angeführten Einschränkungen hinsichtlich der Aus‐ sagekraft des Konzepts zu berücksichtigen sind. Marktzyklus Umsatz Zeit Cash-Flow Entstehungszyklus Einführungsphase Wachstumsphase Reifephase Degenerationsphase Cash-Flow Umsatz Darstellung 4.10: Idealtypischer Produktlebenszyklus. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 231 <?page no="232"?> So ist die Einteilung und Zuordnung konkreter Betrachtungsobjekte - und selbst hier ist strittig, ob Produkte, Marken oder Produktgruppen zu betrachten sind - in die unterstellten Phasen in praxi äußerst schwierig. Außerdem dürfte evident sein, dass ein naturgesetzlicher Verlauf keinesfalls unterstellt werden kann, der Verlauf des Lebenslaufs eines Produkts ist das Ergebnis typischer, situationsadäquater Marketinganstrengungen des Anbieters. Schließlich ist die Länge des Zyklus unter anderem abhängig vom Eintrittszeitpunkt des Unternehmens in den Markt. Der Sinn einer Beschäftigung mit (Produkt-)Lebenszyklen wird trotz des eindeutig deskriptiven Charakters des Instruments darin gesehen, dass eine Sensibilität für Signale eines „Phasenwechsels“ bzw. für die Marktdynamik im Allgemeinen geschaffen wird (vgl. auch →-Kapitel 5). Wissen | Das Konzept ist eine gute Grundlage für das Produkt‐ management als Basis einer zeitlich verteilten Absatz-, Umsatz- und Deckungsbeitragsplanung, da es die Verantwortlichen zwingt, auf Basis von fundierten Prämissen und Kenntnissen hinsichtlich der Konkurrenzsituation Planungsgrößen zum Zweck der Kontrolle zu formulieren. Wissen | Auf ein Unternehmen als Ganzes bezogen, ergibt sich aus den Lebenszyklusüberlegungen, dass ein Portfolio an Produkten in verschiedenen Phasen eines Lebenszyklus vorhanden sein sollte und dass an der Entstehung neuer Produkte beständig zu arbeiten ist. 4.2.5.5 Das Erfahrungskurvenkonzept Den Kern des Erfahrungskurvenkonzepts macht die bereits aus den 1930er-Jahren stammende empirische Erkenntnis aus, dass mit zunehmen‐ der Produktionserfahrung (d. h. die über die Zeit kumulierte Produktions‐ menge) die Herstellung eines Produkts günstiger wird. Dieses Phänomen wird nicht nur als durch Fixkosten, sondern auch als durch die variablen Kosten bedingt angesehen. Diese als Boston-Effekt bekannte - da auf der beobachteten Gesamtkostenentwicklung der durch die Boston Consulting Group beratenen Unternehmen beruhende - „Gesetzmäßigkeit“ gehört zum festen Inventar der strategischen Planung (vgl. Bea u. Haas, 2019, S.-153f.). 232 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="233"?> Um das Erfahrungskurvenkonzept richtig verstehen zu können, müssen drei Ursachen einer diesbezüglichen Kostendegression klar unterschieden werden. • Mengendegression: Dieser Kostendegressionseffekt ist darauf zurück‐ zuführen, dass bei gleichbleibender Technologie (inkl. gleichem Maschi‐ nenpark) die Fixkosten auf mehr Einheiten verteilt werden. Selbstver‐ ständlich tritt dieser Effekt nur bis Erreichung der Kapazitätsgrenze ein. • Technologiedegression: Häufig kann bei größerer Produktionsmenge eine insgesamt kostengünstigere Technologie eingesetzt werden. Dar‐ aus resultiert eine über die rein fixkostenbezogene Kostendegression hinausgehende Kostenverminderung. • Erfahrungsdegression: Bedingt durch im Einzelnen minimale Ände‐ rungen der Produktionsverfahren etwa in Form von anderen Arbeitsab‐ läufen, günstigeren Handhabungen („Lerneffekte“ der Mitarbeiter) etc. fallen die variablen Kosten der Produktion mit zunehmender kumulier‐ ter Produktionsmenge. Zwar wirft das Erfahrungskurvenkonzept noch erhebliche Probleme der Quantifizierung auf, an seiner grundsätzlichen Gültigkeit wird aber nicht gezweifelt. Es liegen auch zahlreiche Schätzungen des Effekts vor, wobei für industrielle Vor- und Zwischenprodukte größere Effekte als für Konsum- und Gebrauchsgüter ermittelt werden konnten. Eine graphische Darstellung der Kostendegression in logarithmierter, d. h. linearisierter Form mit einem unterstellten Erfahrungseffekt von 20 bzw. 30 % enthält → Darstellung 4.11. Wissen | Der Erfahrungskurveneffekt wird üblicherweise als pro‐ zentuale Verringerung der inflationsbereinigten Herstellungskosten je Stück bei einer Verdoppelung der kumulierten Produktionsmengen (ab Produktionsbeginn) gemessen. Im Beispiel von → Darstellung 4.11 sind dies also 20 % bzw. 30 %, wobei ersteres einen relativ guten Näherungswert für viele Produkte darstellt. Das Erfahrungskurvenkonzept ist für das strategische Marketing von kaum zu überschätzender Bedeutung. Bei der Einschätzung der Handlungs‐ optionen aufgrund der vorliegenden Kostensituation der Konkurrenz ist die Erfahrungskurve ein wichtiges Hilfsmittel. Es stellt ebenfalls den Erklärungshintergrund für die vielfach wiederholte Behauptung dar, dass Marktführer, die üblicherweise auch die größten Pro‐ 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 233 <?page no="234"?> Ausbringungsmenge log. Stückkosten Erfahrungskurve 20 % 30 % 1 2 4 2 1 4 6 8 10 Darstellung 4.11: Idealtypische Form der Erfahrungskurve. duktionsmengen auf sich vereinigen, besonders gewinnträchtig operieren. Diese Gewinnträchtigkeit gründet sich auf den eben angeführten Kosten‐ vorteilen. Der Unterschied zwischen erfahrungsbedingten niedrigen Kosten auf der einen Seite und mengenbzw. technologiebedingten Kosten auf der anderen Seite besteht allerdings darin, dass erfahrungsbedingte Kostensen‐ kungen nicht kurzfristig von der Konkurrenz wettgemacht werden können, sie offerieren also einen strategischen Wettbewerbsvorteil. Wissen | Die Aussagen des Erfahrungskurvenkonzepts können nur auf ein Kostensenkungspotenzial hinweisen, das genutzt werden muss. Die Voraussetzung hierfür ist ein effizientes Kostenmanagement im Unternehmen und die Kenntnis der kausalen Ursachen des Erfah‐ rungskurveneffekts. 4.2.5.6 Portfolioanalysen Das Portfoliokonzept erwuchs ebenfalls aus der Beratungstätigkeit der Bos‐ ton Consulting Group und hat in kurzer Zeit eine Vielzahl von Variationen und Verfeinerungen erfahren (vgl. dazu Bea u. Haas, 2019, S. 157ff.), deren Aussagegehalt nahezu identisch ist. Aus diesem Grund wird nachfolgend lediglich auf das so genannte BCG-Portfolio eingegangen. Nach dem Portfoliokonzept werden die Produkte bzw. Strategischen Ge‐ schäftsfelder eines Unternehmens als Teile eines Wertpapier-Portefeuilles 234 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="235"?> gesehen, die eine möglichst weitgehende Ausbalancierung des Risikos, eine finanzielle Einbuße zu erleiden, garantieren sollen. Wissen | Das Ziel von Portfolioanalysen ist darin zu sehen, dass durch adäquate Mittelallokation gewährleistet ist, dass die richtigen Geschäftsfelder bearbeitet werden (risk of missing the boat), aber nicht, dass die Geschäftsfelder richtig bearbeitet werden (risk of sinking the boat). Als wichtigstes Hilfsmittel der Planung dient die matrixartige Portfolio‐ darstellung mit den beiden (unabhängigen! ) Dimensionen „relatives Markt‐ wachstum“ als Indikator für die Attraktivität des betreffenden Marktes und „relativer Marktanteil“ als Indikator für die Marktstellung des betref‐ fenden Produkts. Die beiden Dimensionen werden üblicherweise wie folgt definiert. relativer Marktanteil = Marktanteil des Produkts in % Marktanteil des stärksten Konkurrenzprodukts in % relatives Marktwachstum = Wachstum des Marktes, dem das Produkt angehört in % Wachstum der Volkswirtschaft insgesamt in % Diese Dimensionsbezeichnungen resultieren aus der Erkenntnis, dass für die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Produkts einerseits die Attraktivität des Marktes (unternehmensexterner Aspekt) und andererseits die Stärke der Marktstellung (unternehmensinterner Aspekt) entscheidend ist. Es erfolgt hierbei eine Reduktion von zwei vielschichtigen und komplexen Größen auf jeweils einen Indikator. Die relativen Größen sind dabei erklärungsstärker als die absoluten Größen, die äußerst stark von nur bedingt beeinflussbaren allgemeinen Kon‐ stellationen abhängen. Sowohl hinsichtlich der Dimension Marktwachstum als auch hinsichtlich der Dimension Marktanteil sind regional und sach‐ lich abgegrenzte Märkte der Analyse zugrunde zu legen, was im Extrem‐ fall (unterschiedliche Produkte in verschiedenen Märkten) differierende Bezugspunkte (Volkswirtschaften, Märkte, Konkurrenten) für jedes Objekt der Darstellung zur Folge haben kann. 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 235 <?page no="236"?> Für marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen ist es erstrebenswert, möglichst viele Produkte in den beiden rechten Feldern von → Darstellung 4.12 aufzuweisen. Produkte im Feld Question Marks sind zwar zukunftsträch‐ tig, bringen aber in der Regel keine aktuellen Beiträge zur Abdeckung der Unternehmensfixkosten, Produkte im Feld Poor Dogs eröffnen weder kurznoch langfristig günstige Aussichten. Question Marks Stars Poor Dogs Cash Cows Einführungsphase Reifephase Wachstumsphase Degenerationsphase Investitionsbereich Desinvestitionsbereich relatives Marktwachstum1,0 1,0 relativer Marktanteil >> 1,0 >> 1,0 << 1,0 << 1,0 Darstellung 4.12: BCG-Portfoliokonzept und die „natürliche“ Produktentwicklung. Die häufig mit der Portfolio-Darstellung verknüpfte Vorstellung von einem „natürlichen“ Weg eines Produkts durch die Vier-Felder-Darstellung ist empirisch nicht nachweisbar; dieser Weg ist vielmehr das Ergebnis der spezifischen unternehmerischen Anstrengungen (→ Darstellung 4.13). Darüber hinaus stellt dieses Konzept auch deshalb keine operative Pla‐ nungshilfe dar, weil es noch nicht gelungen ist, die Stellung eines Produkts im Vier-Felder-Raum bzw. die Veränderung der Stellung in diesem Raum hinreichend präzise mit den Maßnahmen des Marketing-Mix in Beziehung zu bringen. Die Portfoliodarstellung ermöglicht jedoch eine plastische Übersicht über die relative Attraktivität der einzelnen Produkte und das Ausmaß der Ausgewogenheit eines Vertriebsprogramms. 236 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="237"?> Beurteilungs‐ kriterium Question Marks Stars Cash Cows Poor Dogs Marktanteil niedrig hoch hoch niedrig Marktwachs‐ tum hoch hoch niedrig niedrig Marktpositi‐ onsziele Marktan‐ teile gewin‐ nen Dominanz im Markt, dann Gewinne Liquidität und Gewinne maxi‐ mieren Produkte auf‐ geben, um‐ strukturieren Position im Lebenszyklus Marktein‐ tritt Wachstum Reife, Sättigung Verfall Liquiditäts‐ bedarf hoch hoch niedrig, bringt Li‐ quidität niedrig, bringt Liquidität Investitionen hoch hoch minimal oder keine, nur zur Marktpositions‐ erhaltung und Kostensenkung keine knap‐ pen Mittel ein‐ setzen Manage‐ menterfordernisse Unterneh‐ mer, Innova‐ toren konsequente analytische Planer Gewinn und Pro‐ duktionsorien‐ tierte Manager Krisenmana‐ ger, harte Operateure Darstellung 4.13: Kennzeichen der einzelnen Portfoliopositionen | Quelle: Kramer, 1987, S.-134. 4.2.5.7 Szenarioanalysen und Predictive Analytics Die Verwendung vergangenheitsorientierter, quantitativer Daten verbun‐ den mit dem Einsatz mathematisch statistischer Modelle sind Kennzeichen der klassischen Prognoseverfahren, die unter Verwendung moderner Da‐ tenverarbeitungstechniken oftmals auch als Predictive Analytics bezeichnet werden. Diesen liegt die Annahme zugrunde, dass in der Vergangenheit beobachtete Gesetzmäßigkeiten auch in der Zukunft Gültigkeit (Konstanz) haben. Die zunehmende Komplexität der Umweltbedingungen deckt die Nachteile dieser Verfahren auf. Quantitative Prognosemethoden können qualitative Größen des sozio-ökonomischen Bereichs, wie politische, gesell‐ schaftliche und technische Entwicklungen, nur unzureichend erfassen. Des Weiteren ist die Berücksichtigung von Strukturbrüchen nicht möglich (vgl. Endres u. Helm, 2015). 4.2 Analyse der Rahmenbedingungen der Marketingaktivitäten 237 <?page no="238"?> Neuere Prognoseverfahren versuchen durch die Erfassung und Analyse qualitativer Aspekte der interessierenden Problemstellung diese Nachteile zu beheben. Sie berücksichtigen zusätzlich Expertenurteile und qualita‐ tive Einflussfaktoren. Die Qualität der Prognosen hängt hier jedoch in erheblichem Ausmaß von den Fähigkeiten der Befragten und der Pro‐ gnose-Ersteller ab (vgl. Kreikebaum et al., 2018, S. 264ff.). Ein qualitatives Instrument der strategischen Planung stellt die Szenario-Analyse dar. Ziel einer Szenarioanalyse innerhalb der strategischen Planung ist eine rationale Analyse der aktuellen Unternehmenssituation sowie der zukünftigen Chancen und Risiken, um Ziele und Strategien planen zu können. Dazu werden Prognosen hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen relevanter Umweltbedingungen und deren Einfluss auf beeinflussbare Un‐ ternehmensparameter erstellt. Es werden dabei mögliche Ausprägungen von Einzelaspekten zu möglichen Kombinationen („Denken in alternativen Szenarios“) zusammengefasst. Die Eckpfeiler dieser Analyse sind in den Bezugspunkten Unternehmen, Kunde und Konkurrenz des Strategischen Dreiecks sowie der sonstigen Mikro- und Makroumwelt mit der damit verbundenen Unsicherheit zu sehen (vgl. Helm u. Satzinger, 1999a und 1999b). Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften ist der Begriff des Szenarios durch Kahn u. Wiener (1972, S. 6) geprägt worden, die diesen als „hypothe‐ tical sequence of events constructed for the purpose of focusing attention on causal processes and decision points“ definierten. Wissen | Szenarien beschreiben damit hypothetische, d. h. mögliche, aber nicht zwingend wahrscheinliche Situationen der Zukunft, die einen Einfluss auf z. B. die Entwicklung einer Geschäftseinheit im Unternehmen haben. Dazu wird eine Ereignisfolge entwickelt mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit auf Wirkungszusammenhänge und kritische Punkte zu lenken. Entscheidend ist dabei, dass die gewählten Einflussfaktoren und ihre Ver‐ netzungen untereinander zu einem widerspruchsfreien und konsistenten Bild der Zukunft zusammengeführt werden können. Nur so ist die Stabilität der Endszenarien gewährleistet, z. B. für den Fall, dass ein einzelner Faktor einen anderen als den ursprünglich angenommenen Entwicklungsverlauf nimmt (vgl. Mietzner, 2009, S. 120). Die Grundidee der Szenarioanalyse 238 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="239"?> kann in Anlehnung an Geschka (1999, S. 521) wie in → Darstellung 4.14 abgebildet, illustriert werden. Zukunftsbilder (Szenarien) Pfade in die Zukunft Pfade in die Zukunft Gegenwart Darstellung 4.14: Grundidee der Szenarioanalyse. Der Vorteil des expliziten Einbezugs vieler verschiedener (quantitativer und qualitativer) Einflussfaktoren in die Planung, die wiederum auf verschie‐ denste Weise kombiniert und sich gegenseitig beeinflussen können, führt natürlich auch dazu, dass die Erstellung einer brauchbaren Szenarioanalyse umso schwieriger wird, je komplexer und dynamischer die Umweltsitua‐ tion sich darstellt (vgl. Kreikebaum et al., 2018, S.-267). 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung Der Wert und die Grenzen der Marketingforschung können nur dann grob abgeschätzt werden, wenn gewisse Vorstellungen von der Leistungsfähig‐ keit der Methoden der Marketingforschung bestehen. Dem Prozess der Erkenntnisgewinnung im Rahmen der Marketingforschung folgend werden zunächst die Fragen der Durchführung und der Datenquellen angesprochen, daran schließen sich Überlegungen zur Datengewinnung, Datenauswertung und zur Qualität der erhobenen Daten an. In diesem Zusammenhang spricht man häufig von Marketing-Analytics. Marketing-Analytics umfassen die Sammlung, Verwaltung und die Ana‐ lyse von Daten, um Einblicke in die Marketingleistung zu erhalten, die Wirksamkeit der Marketingkontrollinstrumente zu maximieren und die 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 239 <?page no="240"?> Kapitalrendite (ROI) der Unternehmen zu optimieren. Die Zunahme der Verfügbarkeit von Daten in der digitalen Wirtschaft hat in den letzten zwei Jahrzenten dazu geführt, dass Marketing-Analytics bei Unternehmen zunehmend als entscheidender Wettbewerbsvorteil gesehen werden (vgl. Wedel u. Kannan, 2016). 4.3.1 Make or Buy? Bei jeder Marketingforschung stehen zwei grundlegende Optionen zur Ver‐ fügung: Informationen über Märkte lassen sich durch Eigen- oder Fremd‐ forschung ermitteln. Ersteres bedeutet, dass die Marktinformationen von unternehmensinternen Mitarbeitern durchgeführt werden, wohingegen bei der Fremdforschung ein externer Anbieter mit der Aufgabe betraut wird. Beide Alternativen verfügen über grundlegende Vorbzw. Nachteile, die in →-Darstellung 4.15 enthalten sind. Eigenforschung/ innerbetriebliche Marktforschung Vorteile Nachteile • bessere Vertrautheit mit dem Pro‐ blem • bessere Ausnutzung bereits vorhan‐ dener Informationen • besserer Informations- und Daten‐ schutz nach Projektabschluss • Betriebsblindheit • eventuell methodische Rückständig‐ keit • geringere Objektivität • oft schwierigerer Zugang zu gewis‐ sen Quellen Fremdforschung/ Auftragsforschung Vorteile Nachteile • Einsatz von Spezialisten • Synergieeffekte • ausgebildeter Interviewerstab • u.U. zu hohe Standardisierung und Routinierung Darstellung 4.15: Fremdvs. Eigenforschung. 4.3.2 Sekundärforschung als Ausgangspunkt Primärforschung liegt immer dann vor, wenn die für die unternehmeri‐ sche Planung notwendigen Daten speziell für diesen Verwendungszweck erhoben werden, Sekundärforschung dagegen immer dann, wenn die 240 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="241"?> entsprechenden Daten von Informationssammlungsaktivitäten stammen, die aus anderen Anlässen unternommen wurden. Informationslücken aus der Makro- und Mikroumwelt des Unterneh‐ mens, die typischerweise mittels der Sekundärforschung geschlossen wer‐ den, und die Quelle ihrer Schließung sind folgende: • Marktanteile können meist auf der Basis von Brancheninformationen der Verbände und von unternehmensbezogenen Umsatzzahlen berech‐ net werden. • Gesamtwirtschaftliche Strukturgrößen können meist den Veröffentli‐ chungen der Statistischen Ämter entnommen werden. Neben den genannten Informationen sind Forschungsinstitute, Bibliothe‐ ken, Onlinedatenbanken, die betriebliche Kostenrechnung und CRM-Infor‐ mationen (vgl. →-Abschnitt 3.4.3.2) wichtige Quellen. Es ist unmittelbar einsichtig, dass Sekundärforschung in der Regel bei eingeschränkter Aktualität (manchmal schon zum Zeitpunkt der Veröffent‐ lichung) und Problemadäquanz schneller und kostengünstiger betrie‐ ben werden kann, während Primärforschung - bei richtiger Gestaltung - auf die entsprechende Fragestellung genauer abzielende und zeitnähere Informationen liefert. Beide Informationsquellen stellen allerdings keine Alternativen dar, sondern sind in nahezu allen Fällen als sich ergänzend zu sehen. Jegliche Marktforschungsaktivität sollte mit Sekundärforschung beginnen, da nur so die in der Praxis häufig anzutreffenden ungewollten Zweituntersuchungen vermieden werden können. Erst danach sollten Inhalt und Methoden einer Primärstudie festgelegt werden. 4.3.3 Panelforschung Unter einem Panel wird im Allgemeinen eine Erhebung verstanden, die • wiederholt in regelmäßigen Zeitabständen, • zum gleichen Untersuchungsgegenstand, • bei identischen Personengruppen unternommen wird. Die Vorteile sind darin zu sehen, dass auch zeitliche Veränderungen im Verhalten erhoben werden können. Die Erhebung kann durch Befragung, Beobachtung und Experiment (vgl. → Abschnitt 4.3.4) geschehen. In der Regel werden Panels von großen Marktforschungsunter‐ nehmen unterhalten, da damit hohe Kosten verbunden sind. Üblicherweise 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 241 <?page no="242"?> werden Verbraucher- und Handelspanels unterschieden, wobei erstere nochmals unterteilt werden in Individual- und Haushaltspanels. Bei einem Individualpanel werden Einzelpersonen hinsichtlich ihrer persönlichen Kaufgewohnheiten befragt (z. B. persönlicher Bedarf an Kos‐ metika, Tabakerzeugnisse etc.). Haushaltspanel dagegen erfassen die Ein‐ käufe von Produkten, die in einem Haushalt von vielen Personen gemeinsam konsumiert werden. In den meisten Panels sind deutlich mehr als 2.500 Personen vertreten, die repräsentativ, i. d. R. durch Quoten festgelegt werden (vgl. → Abschnitt 4.3.4.4), so dass beim Ausscheiden einer Person gezielt eine ähnliche Person wieder aufgenommen werden kann, ohne die Panelstruktur zu verändern. Verschiedene Anbieter verwenden jedoch verschiedene Kriterien, so dass zwischen den Panels Vergleichbarkeitsprobleme bestehen können. Auf der Basis von Haushaltspaneldaten können für viele Produkte detaillierte Marktanalysen erstellt werden, da die Teilnehmer in standardisierter Form Auskunft geben über Menge, Preis, Marke, Einkaufsort, Datum, Packungs‐ größe etc. aller ihrer gekauften und im Panel interessierenden Produkte. Teilweise werden auch Sondererhebungen durchgeführt (z. B. zum Medi‐ averhalten oder über psychographische Größen) und versucht, diese mit dem Einkaufsverhalten in Verbindung zu bringen. Als Auswertungen sind beispielsweise folgende Erkenntnisse zu erhalten: • Standardauswertungen zu Gesamtmarktgrößen, Marktanteile, Teil‐ märkte (Gebiete, Absatzmittler, Sorten), Käuferstrukturen. • Sonderauswertungen zu Einkaufsintensität, Markentreue und Marken‐ wechselverhalten, Aktionsanalysen etc. Auf der Basis von Informationen aus Handelspanels, die aus einem gleich‐ bleibenden Kreis von Handelsunternehmen bestehen und regelmäßig über die An- und Abverkäufe bei einer Reihe von Produkten berichten, können re‐ lativ detaillierte und genaue Marktanteilsberechnungen angestellt werden. Auch hier werden noch Sondererhebungen durchgeführt (Displaymaterial, Aktionen, Lager- und Regalflächenaufteilung, Produktfrischedaten etc.). An Auswertungen sind möglich (auch für die Konkurrenz): • Produktwerte (Durchschnittlicher Absatz, Einkauf, Bestand, Bevorra‐ tungsdauer, Endverbraucherpreis je Geschäft). • Distributionswerte. • Preiselastizitäten und Sortimentsanalysen etc. 242 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="243"?> Schließlich können Informationen über das Mediawahlverhalten der jähr‐ lich durchgeführten Mediaanalyse (Stichprobe ca. 50.000 Personen) und solche über das Einkaufsverhalten und die Einstellungen einer breiten Be‐ völkerungsschicht der jährlich durchgeführten (ehemals Verbraucher-Ana‐ lyse) Best-for-planning-Analyse (Stichprobe ca. 30.000 Personen) entnom‐ men werden. Beide Untersuchungen stellen äußerst wertvolle Quellen für das Konsumgütermarketing und unter Berücksichtigung der derivativen Nachfrage ebenfalls auf B2BMärkten dar. 4.3.4 Datengewinnung im Fall der Primärforschung Insbesondere dann, wenn Meinungen, Einstellungen oder Präferenzen zu bestimmten Objekten erhoben werden sollen, ist es fast immer unum‐ gänglich, diese durch Primärforschung zu beschaffen. Der typische Ablauf kann in fünf Phasen unterteilt werden, die nachfolgend kurz umrissen werden. • Definitionsphase: Nach dem Problemaufriss („Was soll untersucht werden? “) und der Strukturierung des Problems in etwaige Teilpro‐ bleme, die mehr oder minder voneinander unabhängig zu analysieren sind, werden die wichtigsten Erhebungsziele definiert. • Designphase: Als nächster Schritt wird ein Forschungsplans aufge‐ stellt, in dem Zeit-, Kosten- und Tätigkeitsangaben enthalten sind. Anschließend wird die geeignete Erhebungsmethode bestimmt und ent‐ sprechend entworfen. Ebenso werden an dieser Stelle die Erhebungsein‐ heiten, d. h. die relevante Grundgesamtheit (relevanter Markt) definiert. Außerdem ist der Stichprobenumfang festzulegen, da in den wenigsten Fällen eine Vollerhebung erfolgen kann, sowie das entsprechende Aus‐ wahlverfahren, mit dem die Stichprobe ermittelt wird. • Feldphase: Nach der Vorbereitung der Erhebung, in der eventuell Interviewer angeworben und geschult worden sind, wird die Primärfor‐ schung durchgeführt. • Analysephase: Nach dem Eingang der Daten werden diese in Bezug auf ihre Verwertbarkeit kontrolliert (z. B. Vollständigkeit der Angaben, Schlüssigkeit der Antworten) und ggf. kodiert, falls dies nicht bei computergestützten (Telefon-)Interviews entfällt. Im Anschluss daran sind die Daten auszuwerten und die Ergebnisse hinsichtlich der zu beantwortenden Fragestellungen zu interpretieren. 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 243 <?page no="244"?> reine Befr. exper. Befr. exper. Beob. reine Beob. nein ja systematische Variation einzelner Umweltbedingungen Totalauswahl Quotenauswahl Zufallsauswahl Auswahl aufs Geratewohl Auswahlverfahren Beobachtung Befragung Erhebungstechnik Darstellung 4.16: Techniken der Primärforschung. • Kommunikationsphase: In der letzten Phase der Primärforschung werden die (Einzel-)Ergebnisse der Auswertungen sowie deren Inter‐ pretation in nachvollziehbarer Art in einem Untersuchungsbericht zu‐ sammengestellt und diskutiert. Nach der Technik der Informationsgewinnung bei der Primärforschung lassen sich dabei zwei grundsätzlich verschiedene Methoden unterscheiden: • die Befragung und • die Beobachtung. Je nachdem, ob die jeweilige Umweltkonstellation systematisch variiert wird oder nicht, unterscheidet man zwischen der reinen Befragung bzw. Beobachtung und der experimentellen Befragung bzw. Beobachtung. Als drittes wichtiges Kriterium der Charakterisierung von Primärerhebungen fungiert der Modus der Auswahl der zu befragenden bzw. zu beobachten‐ den Subjekte, der „Probanden“, nach dem zwischen Vollerhebung, Quoten-, Zufallsauswahl sowie Auswahl aufs Geratewohl zu unterscheiden ist. Die verschiedenen Ausprägungen der einzelnen Beschreibungskriterien können grundsätzlich beliebig miteinander kombiniert werden, was in → Darstel‐ lung 4.16 veranschaulicht ist. 244 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="245"?> Von den angedeuteten 16 möglichen Untersuchungstypen besitzen die bei‐ den dunkel getönten Varianten der „reinen Befragung“ die größte praktische Bedeutung. 4.3.4.1 Befragung als Methode der Marketingforschung Die in der Marketingforschung am häufigsten benutzte Erhebungstechnik ist die Befragung (vgl. ausführlich Schnell et al., 2018). Bei dieser Methode werden die Probanden durch genau fixierte Formulierungen (standardisierte Befragung) oder mittels eines nur schemenhaft vorgegebenen Fragenka‐ talogs (freie Befragungsart) veranlasst, ihre Meinungen und Ansichten wiederzugeben. Die Kosten für verschiedene Formen der Befragung können aus → Darstellung 4.17 ersehen werden. schriftliche Befragung | Kosten hängen auch von der Rücklauf‐ quote und den Teilnahmeanreizen ab € 6-16 Telefoninterview | siebenminütiges Interview mit dem Haus‐ haltsvorstand in einer Großstadt € 9-16 Telefoninterview | fünfzehnminütiges Interview in einem klei‐ nen Segment € 23-30 persönliches Interview | zehnminütiges Interview in einem Vorstadtgebiet € 26-33 persönliches Interview | vierzigbis sechzigminütiges Interview in einer national gezogenen Stichprobe € 50-65 Expertengespräch mind. € 70 Basis: 1997; durchschnittliche Kosten bei Erhebung durch ein kommerzielles Institut Darstellung 4.17: Kosten von Befragungen |Quelle: Aaker et al., 2013, S.-199. Standardisierte Befragungen zeichnen sich gegenüber freien Befragungen vor allem durch folgende Merkmale aus: • Die Auswertung der gesammelten Informationen ist wesentlich einfa‐ cher, da die unmittelbare Vergleichbarkeit der im Wege der standardi‐ sierten Befragung erhobenen Informationen gewährleistet ist. Dies ist auch bei mehrmals durchgeführten Erhebungen von Vorteil. 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 245 <?page no="246"?> • Die Qualität der Informationen hängt viel weniger von der Kompetenz der Interviewer ab, da diese nur in genau festgelegter - „standardi‐ sierter“ - Form tätig werden. Der Interviewer ist gewissermaßen ein „neutrales Medium“, das die Fragen vorliest und die Antworten auf‐ zeichnet. Im günstigsten Fall erweckt er weder positive noch negative Assoziationen beim Befragten. Es ergeben sich keine, durch die Person des Interviewers bedingten Verzerrungen bei den Auskünften der Pro‐ banden (Interviewer-Bias). • Da bei einer standardisierten Befragung nicht im gleichen Ausmaß auf die Besonderheiten der einzelnen Befragten eingegangen werden kann wie bei einer freien Befragung, ist die Ausschöpfung des individuellen Informationsangebots des Befragten naturgemäß nicht so groß wie etwa bei einem so genannten Tiefeninterview oder einer Delphi-Befragung (mehrstufiges Befragungsverfahren mit Rückkoppelung der einzelnen Meinungen an die anderen Teilnehmer, vgl. Böhler et al., 2021). • Der Fragebogen gibt die Messlatte der Untersuchung ab. Die Qualität der Untersuchungsergebnisse hängt somit entscheidend von diesem Frage‐ bogen ab; was nicht „vorgedacht“ wurde, kann nicht erfahren werden! Standardisierte Untersuchungen verlangen also erhebliches Vorwissen der Untersuchenden über das Untersuchungsobjekt, während freie Befragungen vor allem Einfühlungsvermögen und Lernfähigkeit des Interviewers erfordern. Bei der Verwendung eines Fragebogens erfolgt daher eine Problemverlagerung von der Interviewdurchführung auf die Fragebogengestaltung. Zusammenfassend können die angeführten Punkte wie in → Darstellung 4.18 veranschaulicht werden. Es dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass die Informationstiefe mit dem Erhebungsaufwand korreliert. Dafür muss auf der anderen Seite eine deutlich geringere Zahl an Erhebungseinheiten in Kauf genommen werden. Wissen | Die konkrete optimale Ausgestaltung des Befragungsinst‐ ruments hängt immer von der Untersuchungssituation ab. 246 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="247"?> Informationstiefe/ Erhebungsaufwand standardisierte Datenerhebung Delphi-Befragung bei Experten schriftliche Erhebung mit standardisiertem Fragebogen bei Konsumenten große Anzahl an Befragungsteilnehmern individuell angepasste Datenerhebung geringe Anzahl an Befragungsteilnehmern Darstellung 4.18: Informationstiefe und Erhebungsaufwand bei Befragungen. Betrachtet man die verschiedenen Möglichkeiten einer Befragung, so unter‐ scheiden sich diese durch die in → Darstellung 4.19 angeführten Punkte. standardisiertes Interview strukturiertes Interview freies Gespräch / Gruppendiskussion Tiefeninterview  Fragestellungen sind konkret vorgegeben  Antwortmöglichkeiten als Schemata vorgegeben  Vergleichbarkeit von verschiedenen Auskunftspersonen ist wichtig  Anforderungen an Interviewer gering  gute Vergleichbarkeit der Daten  standardisierte Auswertungsmöglichkeiten  schlechte Anpassungsmöglichkeit an den Befragten  hohe Anforderungen an die Qualität des Fragebogens/ Leitfadens  hohes Vorabwissen bei der Erstellung des Leitfadens erforderlich zunehmende Intensität der angeführten Punkte bei den Interviewformen Darstellung 4.19: Unterschiede der verschiedenen Befragungsarten. Bei der Interpretation der Ergebnisse einer Befragungsaktion ist zu berücksichtigen, dass sich Probanden bei Befragungen in einer Situation befinden, die durch erhöhte Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn nicht Fakten, wie z. B. der Besitz eines Elektrogeräts, sondern Einstellungen oder Meinungen den Gegenstand der 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 247 <?page no="248"?> Befragung bilden. In diesem Fall ist besonders darauf zu achten, dass Pro‐ banden weder bewusst noch unbewusst eine Einstellung erkennen lassen, die nicht der Wahrheit bzw. ihrer Überzeugung entspricht. Für die Entwicklung eines Fragebogens ist es zweckdienlich, zunächst den Untersuchungsgegenstand in einzelne Programmfragen aufzugliedern. Falsch wäre es allerdings, eine Frage wie „Welche Einstellung haben Sie zum Meinungsgegenstand A? “ zu stellen, weil zum einen „Einstellung“ ein viel zu ungenauer Begriff und zum anderen ein Kompositum aus kognitiven, affek‐ tiven und handlungsorientierten Elementen darstellt. Die Programmfrage muss daher in mehrere Teile zerlegt werden, die man Testfragen nennt. Gleichermaßen unzweckmäßig wäre eine Programmfrage folgenden Typs: „Würden Sie ein Produkt mit den Eigenschaften A und B und dem Preis C kaufen? “ Es ist gewissermaßen ein ehernes Gesetz der Marktforschung, niemals Akzeptanzurteile hinsichtlich nicht-existierender Erzeugnisse zu erfragen (vgl. Helm u. Steiner, 2008; Helm et al., 2011). Ein solches Aus‐ kunftsbegehren wäre mittels „zulässiger“ Testfragen zu befriedigen. Nach wie vor kann nicht auf das Fingerspitzengefühl eines erfahrenen Marktforschers verzichtet werden, wenn es darum geht, einen Fragebogen zu entwickeln, der nicht schon von vornherein Verzerrungen im Antwort‐ verhalten erwarten lässt. Üblicherweise wird dazu der Fragebogen zusätz‐ lich im Sinne einer Beta-Version vor der eigentlichen Erhebung mittels eines Pretests anhand einer kleinen Auswahl an Personen der Befragungsziel‐ gruppe getestet (vgl. Helm u. Glück, 1997). Ziel ist es dabei, Missverständ‐ nisse auszuräumen, so dass jeder Befragte den Fragenbogeninhalt in gleicher Weise interpretiert. Ein für schriftliche Befragungen typisches Problem ist die im Allgemeinen nur geringe Bereitschaft der Angeschriebenen, Fragebögen auszufüllen und zurückzusenden. Bei schriftlichen Befragungen von Konsumenten werden vielfach Rücklaufquoten von nur 5 % erreicht; 10 % bis 20 % gelten bereits als sehr zufrieden stellend, während man Werte von über 20 % als hervorragend betrachtet. Die Teilmenge der auskunftsbereiten Probanden ist jedoch nicht unbedingt als repräsentativ für die Gesamtheit der Zielgruppe zu betrachten! Um die Rücklaufquote generell zu erhöhen, werden Fragebögen gern mit einer Rücksendefrist versehen oder besonders adressatenfreundlich gestaltet. Auch materielle Anreize oder für den Fall der Rücksendung Belohnungen oder Verlosungen werden versprochen. 248 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="249"?> 4.3.4.2 Beobachtung als Methode der Marketingforschung Die in eine Befragungsaktion einbezogenen Personen sind sich notwen‐ digerweise der Tatsache bewusst, dass ihre Meinungen, Einstellungen, Verhaltensweisen etc. aufgenommen werden; wer beobachtet wird, bemerkt dagegen davon häufig nichts (bspw. beim Besuch von Internetseiten). Diese Gegebenheit wird oft als ein wesentlicher Vorzug der Beobachtung gegenüber der Befragung angesehen, da so Verzerrungen der Ergebnisse durch untersuchungsbedingte, bewusste oder unbewusste Verhaltensabwei‐ chungen vorgebeugt wird. Beobachtungen sind in gewissen Grenzen auch unabhängig von der Auskunftsbereitschaft und der Verbalisierungsfähigkeit der Personen (vgl. Schnell et al., 2018). Neben der Beobachtung im Feld, d. h. unter realen Lebensumständen, existieren noch einige Beobachtungsformen, die im Labor vorgenommen werden. Beobachtungen „im Feld“ werden im Rahmen der Marktforschung relativ selten angewandt, da sie nur äußerlich erkennbare Verhaltens‐ aspekte, nicht aber beispielsweise Einstellungen und Meinungen zu regis‐ trieren erlauben. Fragen nach dem „Warum“ des Verhaltens können damit nicht beantwortet werden. Hinzu kommt, dass sie relativ kostspielig sind. Eine vergleichsweise wichtige Rolle für die Marktforschung spielen die vielfältigen Beobachtungsverfahren im Labor. Charakteristisch für sie ist, dass der Proband jeweils in eine bestimmte Situation versetzt bzw. genau kontrollierten Einflüssen ausgesetzt wird, wobei seine Verhaltensweisen nach einem vorgegebenen Plan registriert werden. Die Aufzeichnung kann dabei entweder durch einen Beobachter erfolgen, der eine Vielzahl von Verhaltensvariablen verarbeitet, oder durch eine Maschine, die nur einen oder ganz wenige Aspekte erfasst. 4.3.4.3 Experimentelle Untersuchungsanlagen in der Marketingforschung Unter einem Experiment versteht man eine Methode zur Gewinnung von Informationen über abhängige Variablen im Wege einer systematischen Variation von unabhängigen Variablen (vgl. Böhler et al., 2021). Als abhän‐ gige Variablen kommen in erster Linie Verhaltensgrößen, wie etwa die Einkaufsmenge eines Produkts oder bestimmte Aufmerksamkeitswirkun‐ gen in Betracht, als unabhängige Variablen vor allem Umweltbedingungen, z. B. im Zusammenhang mit der Einkaufssituation im Geschäft. Die syste‐ 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 249 <?page no="250"?> matische Variation der unabhängigen Variablen muss nach einem vorab festgelegten Plan erfolgen, dessen Konstruktionsprinzip darin besteht, dass allen Ausprägungen der einzelnen unabhängigen Variablen die gleiche „Einwirkungsmöglichkeit“ auf die abhängige Variable eingeräumt wird. Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung experi‐ menteller Erhebungen ist die Wahl eines den Umweltbedingungen und den zu prüfenden Alternativen angepassten Versuchsplans. Experimentelle Erhebungen erfreuen sich in der Marktforschung zuneh‐ mender Bedeutung. Häufig verwendete experimentelle Methoden sind der Produkttest und der Markttest, weitere Ausgestaltungen finden sich bei Böh‐ ler et al. (2021). Der Produkttest, der regelmäßig im Labor vorgenommen wird, dient der Ermittlung der Anmutungsqualität alternativer Produkt- oder Werbekonzeptionen. Dabei werden Probanden mit verschiedenen Varianten eines vor der Einführung in den Markt stehenden Produkts bzw. einer Werbung konfrontiert und über ihre Meinung befragt. Beispiel | Bei einem entsprechenden (einfachen) Test für einen Pud‐ ding wäre die abhängige Variable die Präferenz der Testteilnehmer für eine bestimmte Kombination an Merkmalen, während als unabhängige Variablen die Verpackung (Plastik oder Glas) und der Produktname (Bambino oder Gluko) fungieren. Der Versuchsplan hätte damit die in → Darstellung 4.20 abgebildete Form. Konzept Verpackung Name 1 Plastik Bambino 2 Plastik Gluko 3 Glas Bambino 4 Glas Gluko Darstellung 4.20: Beispiel eines experimentellen Aufbaus. Zu jedem der vier Konzepte müssten nun die Versuchsteilnehmer ihre Präferenz angeben, so dass aus diesen Auskünften das - eventuell für verschiedene Zielgruppen - präferenzmaximale Produkt am Markt angeboten werden kann. 250 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="251"?> Beim Markttest wird ein marktreifes Produkt in einem möglichst typischen Teil des Gesamtmarktes eingeführt und die Absatzreaktion gemessen. Der Store-Test ist eine Variante des Markttests. Er dient zur Überprüfung von Marketingmaßnahmen (z. B. neue Produkte, alternative Preise, Wa‐ renplatzierungen etc.) in eigens dafür angeworbenen Geschäften oder in E-Shops. Im Vergleich zum Markttest lassen sich damit erhebliche Kosten- und Organisationsvorteile realisieren. Wenn Testmärkte den Forderungen nach Repräsentativität genügen, können die dort erzielten Ergebnisse als Indikatoren für das Abschneiden des Produkts auf dem Gesamtmarkt angesehen werden. 4.3.4.4 Das Problem der Auswahl der Probanden Da bei marketingbezogenen Studien in der Regel nicht die Gesamtheit der Personen erfasst werden kann, über deren Merkmale, Meinungen und Verhaltensweisen man mehr wissen will, steht man regelmäßig vor dem Problem, die Teilmenge („Stichprobe“) so auszuwählen, dass die erzielten Ergebnisse aus der Stichprobe für die Grundgesamtheit repräsentativ sind. Wissen | Repräsentativität bedeutet, dass die Stichprobenbefunde auf die Grundgesamtheit - in unserem Fall den Markt - ohne größere Fehler zu übertragen sind, d. h. die Verteilung der interessierenden Merkmale in der Stichprobe identisch mit der Verteilung der interes‐ sierenden Merkmale in der Grundgesamtheit ist. Im statistischen Zusammenhang wird hier auch von der Signifikanz gespro‐ chen. Bei hoher Signifikanz besteht - bei gegebener Repräsentativität - dementsprechend eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Studiener‐ gebnisse in die Grundgesamtheit übertragen werden können. Der zu realisierende Umfang der Stichprobe hängt von einigen Bestim‐ mungsfaktoren ab, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll (vgl. Döring, 2023). Anhand einer Meta-Analyse mehrerer hundert Studien bei Aaker et al. (2013, S. 329) können jedoch folgende, in → Darstellung 4.21 enthaltene Anhaltspunkte gegeben werden. 4.3 Marketing Analytics: Methoden der Marketingforschung 251 <?page no="252"?> Stichprobeneinheiten Konsumenten Haushalte Unternehmen Institutionen Untersuchungsbereich nationale Studien regionale oder spezielle Studien nationale Studien regionale oder spezi‐ elle Studien Stichprobenumfang 1.000-1.500 200-500 200-500 50-200 Darstellung 4.21: Übliche Stichprobenumfänge bei Marktforschungsstudien. Sieht man von der unwissenschaftlichen Methode der Auswahl aufs Geratewohl („Baggertechnik“, bei der diejenigen in die Stichprobe aufge‐ nommen werden, die zur Verfügung stehen) ab, die keinerlei Rückschlüsse auf die entsprechenden Werte der Grundgesamtheit zulässt, kommen für die Gewinnung von Stichproben lediglich das Zufalls- oder Random- und das Quotenverfahren in Betracht. Das Zufallsverfahren basiert auf wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen, die eine Berechnung des stichprobenbedingten Erhebungs‐ fehlers ermöglicht. Eine echte (reine) Zufallsauswahl ist nur dann gegeben, wenn alle Elemente der Grundgesamtheit eine von Null verschiedene, berechenbare Chance besitzen, in die Stichprobe zu gelangen. Die Erfüllung dieser Forderung setzt voraus, dass die Grundgesamtheit genau bekannt und in einer vollständigen (Adressen-)Kartei erfasst ist. Beim Quotenverfahren werden dem Beobachter bzw. Interviewer bestimmte Quoten hinsichtlich der als relevant erachteten Merkmale vorgegeben, nach denen er die Auswahl der Probanden vorzunehmen hat. Als Quotenmerkmale werden dabei fast immer soziodemographische Charakteristika des interessierenden Personenkreises herangezogen. In‐ nerhalb der Quotenanweisungen ist der Interviewer bzw. Beobachter in der Auswahl der Probanden frei. Der Einsatz dieses Verfahrens ist nur dann zu rechtfertigen, wenn zwischen den zur Strukturierung heran‐ gezogenen Kriterien und dem zu erforschenden Sachverhalt ein enger Zusammenhang vermutet wird und wenn die Anteile der in der Quo‐ tenanweisung berücksichtigten Merkmalsausprägungen in der Grundge‐ samtheit bekannt sind. Die meisten in der Praxis gezogenen Stichproben stellen Mischformen zwischen der reinen Zufallsauswahl und der bewussten Auswahl nach Art des Quotenverfahrens dar. Bei der geschichteten Zufallsstichprobe wird die Grundgesamtheit zunächst in einzelne Schichten unterteilt, aus denen 252 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="253"?> dann nach dem Zufallsprinzip in der Regel unterschiedlich große Stichpro‐ ben gezogen werden. Dies ist dann von Vorteil, wenn die Grundgesamtheit ein hohes Maß an Heterogenität aufweist, da in diesem Fall trotz insgesamt gleicher Stichprobengröße genauere Resultate (geringere Varianz) erzielt werden können. 4.4 Methoden der Datenanalyse Sowohl die durch Sekundärforschung als auch die durch Primärforschung gewonnenen Daten müssen weiterverarbeitet werden, um als Entschei‐ dungshilfen verwendbar zu sein. Zum einen geht es darum, die Daten zu übersichtlichen Tabellen und Kennzahlen zu verarbeiten, zum anderen um eine Kondensierung der Daten mit Hilfe passender statistischer Methoden. 4.4.1 Deskriptive Darstellung und Aggregation von Daten Daten der Primärforschung werden zu Beginn meist mittels der gebildeten Mittelwerte sowie deren Standardabweichungen dargestellt. Wissen | Unbedingt zu beachten ist, dass Mittelwerte für sich allein wenig aussagekräftig sind. Zum einen muss bekannt sein, welcher Wertebereich der Variable im Datensatz verwendet wird, zum ande‐ ren zeigt nur die Standardabweichung, ob mit dem errechneten Mit‐ telwert eine kleine oder große Spannweite an ermittelten Einzelwerten abgebildet wird. Ist die Standardabweichung beispielsweise in Bezug auf den Wertebereich der Variable relativ groß (Fall B), so wird mit dem Mittelwert ein großer empirisch ermittelter Wertebereich „eingefangen“. Damit ist dieser Mittel‐ wert relativ aussagelos. → Darstellung 4.22 zeigt diesen Effekt auf, wobei die Standardabweichung komprimiert die „Tauglichkeit“ der Rohdaten für eine brauchbare Aussage aufzeigt. 4.4 Methoden der Datenanalyse 253 <?page no="254"?> Zustimmung zur Aussage: Marke A ist qualitativ sehr hochwertig. Skala stimme voll und ganz zu stimme zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme nicht zu stimme über‐ haupt nicht zu Kodierung 6 5 4 3 2 1 Fall A: Häufigkeit der Ant‐ worten 10 10 10 10 10 10 Fall B: Häufigkeit der Ant‐ worten 20 15 5 6 18 18 Mittelwert einer Häufigkeitstabelle: 3,5; Standardabweichung: 1,71 Mittelwert: 3,5; Standardabweichung: 1,96 Darstellung 4.22: Mittelwert und Standardabweichung bei verschiedenen Verteilungen der Antwortwerte einer Variablen. 0 10 20 30 40 50 60 70 Gelegenheitskäufer loyaler Käufer sicher wahrscheinlichvielleicht wahrscheinlich nicht sicher nicht Gelegenheitskäufer loyaler Käufer sicher wahrscheinlich vielleicht wahrscheinlich nicht sicher nicht 11 2 13 3 50 5 66 6 30 5 Darstellung 4.23: Veranschaulichung des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen. Weiterhin werden oft Mehrwegtabellen (Kreuztabellen) oder Schaubilder verwendet. Der Zusammenhang zwischen zwei untersuchten Kundengrup‐ pen (Gelegenheitskäufer und loyale Kunden) und der erfragten Wiederkauf‐ 254 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="255"?> wahrscheinlichkeit eines Produkts lässt sich wie in → Darstellung 4.23 veranschaulicht als Kreuztabelle bzw. als entsprechende Graphik darstellen. Vielfach ist es empfehlenswert, Daten zu Marktkennzahlen zu verar‐ beiten, da sich auf diese Weise Informationen sachgemäß verdichten lassen. Häufig verwendete Marktkennzahlen sind etwa folgende: Marktanteile eines Unternehmens (mengen- und wertmäßig), Importquote, Exportquote, Umsatz je Kunde, Bekanntheitswerte, Verbrauchskennzahlen, Kaufkraft‐ kennzahlen und regionale Absatzsollwerte. Die beiden letztgenannten Kennzahlen stellen wichtige Hilfsmittel für eine regional differenzierende Marketingpolitik dar, da sie Anhaltspunkte für die unterschiedliche Er‐ giebigkeit einzelner Teilmärkte liefern. Im Investitionsgütersektor gelingt es daneben auch oftmals, konstante Beziehungen - etwa zwischen den verarbeiteten Mengen an Rohstoffen und den Ausbringungsmengen - her‐ zustellen, die mit gesamtwirtschaftlichen Input-Output-Koeffizienten eng verwandt sind. 4.4.2 Verfahren der multivariaten Statistik Multivariate Analyseverfahren sind aus der fundierten Marktforschung nicht mehr wegzudenken. Im Einzelnen handelt es sich um Methoden wie die Regressions-, die Diskriminanz-, die Faktoren- und die Clusteranalyse, die verschiedenen Varianten der Mehrdimensionalen Skalierung und die Conjoint-Analyse (vgl. Backhaus et al., 2021 mit ausführlichen Erläuterun‐ gen). Besonders leicht einleuchtend ist die Aufgabenstellung der Regressions‐ analyse, bei der man von einem vorab definierten linearen Modell (und damit additiven Zusammenhängen) ausgeht und anhand von empirischen Daten das Modell quantifiziert. Beispielsweise kann so untersucht werden, welche Wirkungen die drei Marketinginstrumente Preis, Verkaufsförderung und Außendiensteinsatz auf den Absatz haben. Im Rahmen der Marktsegmentierung geht es darum, Gruppen von Personen zu bilden, die hinsichtlich der für einen bestimmten Teilmarkt re‐ levanten Verhaltensvariablen weitgehend gleich sind. Man ist dabei bestrebt, die Gesamtheit der interessierenden Subjekte so in Gruppen zusammenzu‐ fassen, dass diese in sich möglichst gleichartig sind, sich aber voneinander möglichst stark unterscheiden. Um dieses Untersuchungsziel zu erreichen, sind zunächst die zur Unterteilung des Marktes geeigneten Variablen her‐ auszufinden, um später mit deren Hilfe die einzelnen Marktsegmente zu 4.4 Methoden der Datenanalyse 255 <?page no="256"?> beschreiben. Eine wirkungsvolle Hilfe hierbei ist die Clusteranalyse. Beispielsweise können so Angebote für verschiedene Zielgruppen optimiert werden, da die ermittelten Segmente sich hinreichend stark in ihren Be‐ dürfnissen und Wunschvorstellungen bezüglich des Produktangebots eines Anbieters unterscheiden. Das Ziel der Mehrdimensionalen Skalierung besteht in der trans‐ parenten Darstellung von vielen und komplexen Affinitätsbeziehungen von Objekten, d. h. in der Datenverdichtung. Das Ergebnis ist eine räum‐ liche Darstellung von Objekten nach Maßgaben ihrer wahrgenommenen Affinitäten bzw. Ähnlichkeiten, so dass die Raumdistanzen der Objekte möglichst gut mit den empirisch gemessenen Affinitäten bzw. Ähnlichkeiten übereinstimmen. Als Beispiele können die Ermittlung der Marktposition einer Gruppe von Produkten (die Produktpositionierung) oder die Abgren‐ zung des relevanten Marktes auf der Basis von Anwendungsähnlichkeiten von Produkten genannt werden (vgl. Berekoven et al., 2009, S. 214ff.). Damit wird demnach eine geometrische Repräsentation der Konkurrenzbe‐ ziehungen in einem Markt darstellt. Ein solches Modell (→ Darstellung 4.24) spiegelt die psychologische Nähe der einzelnen Produkte, d. h. die Konkurrenzintensität, zueinander wider. Projiziert man auf ähnliche Weise auch die Standorte einzelner Kundengruppen (A, B, C) gemäß ihrer Idealvorstellungen des betrachteten Produkts in dieses Modell, gewinnt man ein anschauliches Bild von der Konkurrenzsituation auf einem bestimmten Markt. Beispiel | In unserem Beispiel würde Dr. Koch‘s Trink 10 die Vorstel‐ lungen von Marktsegment B ziemlich gut treffen, die Präferenz von Personen in diesem Segment liegt damit bei dieser Marke. Eine Marklü‐ cke ergibt sich dagegen bei Segment C, da diesen Vorstellungen kein adäquates Angebot gegenübersteht. Weitere Beispiele finden sich in →-Kapitel 5. 256 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="257"?> Gesundheit/ Fitness Durstlöschung/ Frische Geschmack/ Genuss A B Dr. Koch’s Trink 10 C Darstellung 4.24: Dimensionierter Produktraum mit Subjektpositionen | Quelle: Berekoven et al., 2009, S.-369. Als besonders wertvoll haben sich Conjoint-Analysen (vgl. Helm u. Steiner, 2008) herausgestellt. Ein Beispiel hierfür ist im → Kapitel 2 dieses Buches (Kühlschrankbeispiel) wiedergegeben, ein weiteres Beispiel zur Conjoint-Analyse und Schätzung der Preisreaktionsfunktion findet sich in →-Kapitel 6. Viele Untersuchungsbereiche im Marketing beinhalten die Problematik, dass Faktoren untersucht werden sollen, die einen Einfluss auf eine oder sogar mehrere abhängige Variablen haben, aber nicht voneinander unab‐ hängig sind, wie dies bei Regressionsanalysen unterstellt wird. Mittels einer Kausalanalyse wird eine simultane Behandlung des Problems der Messung mehrdimensionaler Konstrukte und der Analyse komplexer Abhängigkeits‐ strukturen ermöglicht. Damit kann eine realitätskonforme Überprüfung eines komplexen theoretischen Zusammenhangs erfolgen, sowie die Mög‐ lichkeit einer gegenseitigen Kompensation von Effekten durch Darstellung und quantitativer Erfassung von möglichen Rückkopplungen zwischen Konstrukten genutzt werden (vgl. Berekoven et al., 2009, S.-217). Auch so genannte Künstliche Neuronale Netze finden als Analyseme‐ thode eine verstärkte Anwendung. Die Möglichkeit der Verwendung einer nicht linearen Funktion zwischen betrachteten Variablen kommt hier inso‐ 4.4 Methoden der Datenanalyse 257 <?page no="258"?> fern eine Bedeutung zu, da dies ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu den traditionellen ökonometrischen Verfahren darstellt. Künstliche Neuro‐ nale Netze eignen sich unter der Voraussetzung einer ausreichend und im Vergleich zu gängigen multivariaten Methoden großen Datenmenge (Big Data) dazu, komplexe Problemstellungen einer realitätsnahen Analyse zu unterziehen (vgl. Schwanenberg u. Helm, 1999). 4.4.3 Interpretation der Marktforschungsergebnisse Marktforschungsresultate basieren zumeist auf Stichprobenerhebungen; die zu treffenden Aussagen beziehen sich regelmäßig auf Vorgänge und Strukturen der Grundgesamtheit (dem Markt), oft nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. Dieser zweifache induktive Schluss impliziert Prämissen, die bei jeder Beurteilung von Resultaten einer Marktforschungsuntersuchung berück‐ sichtigt werden müssen. Soweit sie über die Repräsentanzannahme hin‐ ausgehen, sollten sie in jedem Fall bei der Interpretation der Forschungs‐ ergebnisse genannt werden. Bei einer gewissenhaften Interpretation der Forschungsergebnisse sind darüber hinaus auch die Reliabilität (Freiheit von Zufallsfehlern), Validität (Sicherheit des Messvorgangs) und Schätzge‐ nauigkeit (Estimation Accuracy) der Untersuchung zu bewerten (vgl. Falke et al., 2020). Marktforschungsstudien sollten Angaben zu verschiedenen Punkten ent‐ halten, um eine möglichst hohe Transparenz des Erstellungsvorgangs zu gewährleisten und damit die Nachvollziehbarkeit sicherzustellen. Dies wird gewährleistet durch die dezidierte Dokumentation des Entstehungs‐ prozesses mit folgenden Punkten (vgl. Helm, 2005): • Ziele der Studie/ Untersuchung, • Messungen von Variablen, • Auswahl und Zusammensetzung der Stichprobe, • Auswertungsmethoden und -ergebnisse, Interpretation, • Gütekriterien, • Original-Fragebogen/ Interviewleitfaden. 258 4 Informationsmanagement im Marketing <?page no="261"?> Teil II: Gestaltung der Leistungen für den Nachfrager <?page no="263"?> 5 Produktpolitik Gegenstand von Teil I dieses Buches mit den → Kapitel 2 bis 4 war die Schaffung einer geeigneten Ausgangsgrundlage für die Planung des auf eine konkrete Leistung hin bezogenen Marketing, was insbesondere in → Kapitel 3 bereits in wesentlichen Zügen skizziert wurde. In der konkreten Umset‐ zung findet dies seinen Niederschlag in der Ausgestaltung der Instrumente des Marketing-Mix. Die Reihenfolge der Behandlung der einzelnen Aktionsbereiche ent‐ spricht der nahezu immer vorzufindenden Vorgehensweise, bei der man in der Leistungsgestaltung im Rahmen der Produktpolitik berechtigterweise den Kern aller Marketinganstrengungen sieht. Die Preispolitik ist zwar auf das engste mit der Ausgestaltung des Leistungsangebots verknüpft, jedoch sind ohne ein definiertes, absetzbares Produkt diesbezügliche Über‐ legungen wertlos. Beides sind Aufgaben des Produktmanagements (vgl. →-Abschnitt 3.4.2.2). Da den Aspekten der Leistungsvermittlung der Kommunikationspoli‐ tik die Aufgabe zukommt, über die Leistungen aller betrieblichen Aktions‐ bereiche und den Weg, wie ein potenzieller Kunde diese erwerben kann (Distribution), zu informieren, ist es nahe liegend, sie erst zum Abschluss darzustellen und zu planen. Im Einzelfall können natürlich auch gegebene Distributionsoptionen die Produktangebotspolitik beeinflussen. 5.1 Inhalt und Zielsetzung der Produktpolitik Das Produktangebot ist durch produktpolitische Konkurrenzaktivitäten und den Wandel von Kundenpräferenzen einem ständigen Obsoles‐ zenzprozess unterworfen. Daher sind produktpolitische Aktivitäten im Unternehmen permanent zu verfolgen. Produktpolitik ist deshalb aus der Marketingperspektive auf das Engste mit der Innovationstätigkeit verbunden. <?page no="264"?> Wissen | Produkte und Dienstleistungen - oder allgemeiner alle Unternehmensleistungen, die für einen Kunden bestimmt sein können - sind Ausgangspunkt und Kern aller Anstrengungen im Unterneh‐ men, da sie bzw. deren Absatz die Basis für Umsatz und Gewinn darstellen. Die Bedeutung von Innovationen für den Erfolg von Unternehmen ist in → Darstellung 5.1 angerissen. Es ist klar erkennbar, dass vergleichsweise erfolgreiche Unternehmen einen erheblichen Anteil ihrer Erlöse aus unter‐ nehmens- und marktneuen Produkten (vgl. → Abschnitt 5.6) erzielen (vgl. auch Helm, 2001a, S. 39), jedoch gleichzeitig auch auf die Kostenentwicklung achten. Erlösanteile ... „erfolgreicher“ Unternehmen ... „erfolgloser“ Unternehmen Unternehmensneue Produkte 22% Marktneue Produkte 17% Produktverbesserungen 18% Produktlinienerweiterungen 30% Repositionierungen und Kostenreduktionen 13% Unternehmensneue Produkte 15% Marktneue Produkte 8% Produktverbesserungen 42% Produktlinienerweiterungen 31% Repositionierungen und Kostenreduktionen 4% Darstellung 5.1: Bedeutung von Innovationen für den Unternehmenserfolg | Quelle: in Anlehnung an Dalrymple u. Parsons, 2000, S.-104. Wissen | Unter Produktpolitik sind demnach alle Aktionen zu subsumieren, welche die Gestaltung einzelner Sachund/ oder Dienst‐ leistungen, von bestimmten Teilen des Vertriebsprogramms bzw. des gesamten Vertriebsprogramms zum Inhalt haben. Geht man davon aus, dass Produkte nicht technische Gebilde, sondern Bündel von wahrgenommenen bzw. erwarteten Nutzengrößen sind (vgl. → Abschnitt 5.2), so ergeben sich daraus gewichtige Folgen für die 264 5 Produktpolitik <?page no="265"?> Zielsetzung der Produktpolitik bzw. für dafür verantwortliche Personen im Unternehmen. Die Qualität der Produktpolitik kann demnach sicherlich nicht aus‐ schließlich durch Messwerte über die technische Leistung ermittelt werden. Ebenso wenig sinnvoll erscheint es, als spezifisches produktpolitisches Ziel den Absatz oder Deckungsbeitrag eines Produkts zu definieren, denn diese werden nicht nur von der Produktpolitik determiniert, sondern mindestens in gleichem Maße z. B. auch vom geforderten Preis. Ein Entscheidungskri‐ terium, das dem Wesen des Produkts als Nutzenbündel angemessen ist, stellt die Präferenz von Kunden (eines Marktsegments) für das Produkt dar. Wissen | Der Präferenzwert eines Produkts gibt dabei das Ausmaß des erwarteten Nutzens eines Produkts für einen Nachfrager wieder. Auf den Präferenzwert eines Produkts kann nicht unmittelbar aus Markt‐ daten geschlossen werden, sondern er ist stets gesondert zu erheben. Die Erhebungssituation stellt sich vereinfacht wie folgt dar: Mehreren Personen werden die zu bewertenden Produkte in der üblichen Verpackung (ohne Preisangabe) dargeboten und sie werden gebeten, diese Produkte in eine Rangfolge der Vorziehenswürdigkeit zu bringen. Die auf diese Weise ermittelten Präferenzrangwerte stellen einen Indikator der Produktqualität im weiteren Sinne, d. h. in den Augen der Nachfrager dar. Das derart definierte Entscheidungskriterium für produktpolitische Aktionen weist jedoch einen gravierenden Mangel auf: es berücksichtigt nicht die für das Produkt aufgewandten Kosten. Wissen | Das Ziel der Produktpolitik muss lauten: „Maximiere den Präferenzwert eines Produkts für die Nachfrager (eines Marktseg‐ ments) bei vorgegebenen Kosten für das Produkt! “ Zur Kostenkontrolle innerhalb der Produktpolitik stehen einige Instrumente wie Target Costing (vgl. Friedl, 2019) oder Erweiterungen der in → Kapitel 4 angesprochenen Conjoint-Analyse (vgl. Bauer et al., 1994) zur Verfügung. Beim Target Costing wird bei einem End- oder Halbfertigprodukt für alle Unternehmensteile verpflichtend vorgegeben, wie viel dieses (am besten aus Kundensicht) kosten darf. Angenommen, ein bestimmter Artikel muss im Einzelhandel knapp unter der Schwelle von € 10 angeboten werden, so gehen davon ca. € 1,60 MwSt. und die Handelsspanne von beispielsweise ca. € 3 ab. 5.1 Inhalt und Zielsetzung der Produktpolitik 265 <?page no="266"?> Strebt der Hersteller einen Stückgewinn von etwa € 1 an, muss das Erzeugnis zu rund € 4,40 produziert und an den Verkaufspunkten bereitgestellt werden können. Weiterhin können so für die einzelnen Nutzenbestandteile des Produkts Kostengrößen in Abhängigkeit des jeweiligen Präferenzbeitrags ermittelt werden. Die vorangegangenen Ausführungen zu Wesen und Zielkriterium der Produktpolitik und deren Folgen für das Marktgeschehen können gemäß → Darstellung 5.2 zusammengefasst werden. Perzeption Produktattribute Unternehmenskommunikation, Distribution, Vertrieb persönliche Kommunikation Präferenz Produktwahl relevant set Verfügbarkeit Preis Darstellung 5.2: Produktwahrnehmung und tatsächliche Produktwahl. Ausschlaggebend für die Präferenz von potenziellen Kunden in einer Ziel‐ gruppe ist die Perzeption der angebotenen Leistung. Dieses wahrgenom‐ mene Nutzenbündel setzt sich aus den wahrgenommenen Ausprägungen der Produktattribute sowie den „Verfärbungen“ durch verschiedene Arten der Kommunikation, durch den unternehmenseigenen Vertrieb und die Distributionsstellen zusammen. Die letztendliche Produktwahl wird durch weitere Einflussfaktoren determiniert, wie zum Beispiel dadurch, dass das Produkt in die engere Wahl kommt (Relevant Set, vgl. → Kapitel 2), dass es verfügbar ist und dass das Budget die Wahl tatsächlich erlaubt (vgl. auch →-Kapitel 1). 266 5 Produktpolitik <?page no="267"?> 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 5.2.1 Definition eines Produkts aus der Marketingperspektive Produktpolitik richtet sich primär auf Produkte bzw. Leistungen. Unvorein‐ genommen ist man geneigt, ein physisches Produkt mittels seiner physikali‐ schen und chemischen Eigenschaften und der äußeren Form zu beschreiben; das Produkt wird in diesem Falle als technische Leistung betrachtet. Für das Marketing in Käufermärkten ist es in den meisten Fällen sinnvoller, bei der Definition des Produkts von einem umfassenderen Ansatz auszugehen. Wissen | Das Produkt wird nicht nur als technische Leistung, son‐ dern als eine absatzorientierte Leistung gesehen, deren ganzheitliche Beurteilung anhand von subjektiven Nutzenerwartungen (der Kunden) vorgenommen wird. Ein Produkt aus Marketingsicht ist demnach als Bündel von individuell präferenzrelevanten Merkmalen definiert, die mit Nutzenerwartungen verknüpft sind. Die marketingorientierte Definition des Produkts umschließt insofern die technisch orientierte Definition, als die technischen Eigenschaften - sofern sie überhaupt wahrgenommen werden - ebenfalls Nutzenerwartungen induzieren. Beispiel | Die Bedeutung des Unterschieds zwischen beiden Definitio‐ nen wird beispielsweise bei Parfums oder Kosmetika evident; so kann ein Parfum nur schwer allein anhand von der Flüssigkeitszusammenset‐ zung hinreichend genau beschrieben werden. Besonders deutlich wird dieser Unterschied auch bei Kosmetika, bei denen die übliche Käuferin in keiner Weise die chemische Konsistenz interessiert, sondern allein deren Potenzial, „Schönheit“ zu verleihen. Die Definition des Produkts als die Summe wahrgenommener, mit Nutzen‐ erwartungen verknüpfter Leistungsmerkmale entspricht der in → Kapitel 1 skizzierten subjektiven Betrachtungsweise. 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 267 <?page no="268"?> Wissen | Entscheidend für den Erfolg der Produktpolitik sind damit nicht die objektiven Gegebenheiten eines Produkts, sondern die subjektiv gefärbten Wahrnehmungen des Produkts. Dass die objektiven Gegebenheiten eines Produkts den ihm zugerechneten Nutzen stark beeinflussen, ist unbestritten. Aber auch Werbemaßnahmen für Produkte oder soziale Einflüsse (Äußerungen von Meinungsführern) formen die Nutzenerwartungen gegenüber einem Produkt und haben damit Einfluss auf den Erfolg der Produktpolitik. Gegenstand und Zielsetzung der produktpolitischen Überlegungen waren bisher „Nutzenerwartungen“; was darunter zu verstehen ist, soll nachfol‐ gend präzisiert werden. 5.2.2 Grundnutzen und Zusatznutzen Produkte werden hinsichtlich des von ihnen gestifteten Nutzens wegen un‐ terschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen, Präferenzen und Wahrnehmun‐ gen der Abnehmer häufig unterschiedlich beurteilt (vgl. → Kapitel 1). Der Zusammenhang zwischen dem Grundnutzen sowie den sonstigen nutzenbeeinflussenden Faktoren eines Produkts und den Bedürfnissen von Nachfragern als Ausgangspunkt der marketingpolitischen Überlegungen ist in → Darstellung 5.3 abgebildet. Nutzensumme (Total Customer Value) Grundnutzen nutzenbeeinflussender Zusatz (Irradiationen) + = What does the product mean to me? What does this product do for me? funktionale Bedürfnisse sonstige Bedürfnisse wahrgen. Kosten des Nachfragers (Preis, indirekte Kosten) Ästhetik Selbstverwirklichung Wohlbefinden soziale Integration und Anerkennung = Nettonutzen (Net Customer Value) … Darstellung 5.3: Nutzenaspekte einer Leistung und Bedürfnisse von Nachfragern. 268 5 Produktpolitik <?page no="269"?> Bei der Definition des Grundnutzens ist klarzustellen, was das Produkt hinsichtlich der grundlegenden funktionalen Erwartungen für den Kunden zu erfüllen hat: „Was muss das Produkt in welcher Art erfüllen? “ In vielen Produktbereichen erfährt diese Leistung eine Differenzierung vom Wettbewerb bzw. eine nutzenbeeinflussende Anreicherung, indem nach der „emotionalen Bedeutung“ des betrachteten Produkts gefragt wird. Diese kann darüber hinaus auch in persönlichen Beziehungen bestehen (vgl. auch → Abschnitt 5.2.2). In → Darstellung 5.3 sind dazu einige Bei‐ spiele aus dem Nachfragerverhalten im Konsumgüterbereich angeführt. Bei entsprechenden Kenntnissen in Bezug auf diese Größen in der Zielgruppe im Rahmen der Marktsegmentierung (vgl. → Kapitel 4) kann das Produkt mit derartigen Nutzenerwartungen (z. B. hinsichtlich der Anerkennung in der sozialen Gruppe wegen der damit verbundenen Prestigewirkung) „angereichert“ werden, so dass beim Angebot des Grundnutzens eine ziel‐ gruppenadäquate, bedürfnisorientierte Ansprache möglich wird. Wissen | Die Summe aller für einen Nachfrager verbundenen Nutzen‐ bestandteile (Total Customer Value) ergibt sich aus der Erfüllung des Grundnutzens und der Erfüllung seiner Erwartungen in Bezug auf seine sonstigen Bedürfnisse. Zu beachten ist dabei, dass die Wahrnehmung der nutzenbeeinflussenden Zusätze einen Ausstrahlungseffekt auf die Wahrnehmung der Grundnut‐ zenaspekte hat. So kann beispielsweise die Marke eines Produkts (vgl. → Abschnitt 5.4.1) die Erwartungen und die Wahrnehmungen bezüglich der Erfüllung der Grundnutzen positiv oder negativ beeinflussen. Wissen | Die Höhe eines produktbezogenen Wettbewerbsvorteils im Sinne eines wahrgenommenen Nettonutzens (Net Customer Va‐ lue) bestimmt sich durch die Differenz aus Nutzensumme und wahr‐ genommenen Kosten. Unter diesen Kosten ist in erster Linie der zu entrichtende Preis zu sehen, aber auch andere indirekte Kostenaspekte wie der psychische Aufwand der Nutzung eines Produkts eines neuen Herstellers (Anbie‐ terwechsel), der Wechsel zu einem Nachfolgeprodukt des gleichen Herstellers oder weitere wahrgenommene Risiken, die damit ver‐ bunden sein können. 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 269 <?page no="270"?> Bezieht man die Erkenntnisse der Prospect-Theorie mit ein, so kann geschlussfolgert werden, dass neue und unbekannte Eigenschaften deutlich vorteilhafter wahrgenommen werden müssen, da „Gewinne“ durch diese weniger gewichtig sind als „Verluste“ durch die ersetzten, aber bekannten Eigenschaften (vgl. →-Kapitel 2). Im gewerblichen Bereich bieten sich hier auch konkrete Nutzenrech‐ nungen an, um Unterschiede vorher/ nachher oder gegenüber Konkurrenz‐ produkten transparent zu machen. Wissen | Die vom Nachfrager geschätzte Eignung der Leistung zur Befriedigung seines Bedürfnisses/ Problems bestimmt die Nutzen‐ summe und damit den Preis, den er dafür zu zahlen bereit ist. Der Nettonutzen bestimmt den Preisaufschlag gegenüber einem Konkur‐ renzprodukt. 5.2.3 Wahrnehmung des Produktnutzens und Positionierung Sind die einzelnen Nutzendimensionen voneinander unabhängig, so kann die Produktbeurteilung anhand der jeweils relevanten Nutzendimensio‐ nen in einem Objektraum visualisiert werden. Der Objektraum ist die Darstellung der wahrgenommenen Eigenschaften der einzelnen Produkte in einem Raum, wobei die Dimensionen des Raumes den produktbereichs‐ spezifischen Nutzenkategorien entsprechen. Diese Dimensionen sind somit zentrale image- oder präferenzbildende Faktoren. Die Distanzen zwischen den geometrischen Orten der Objekte im Objektraum zeigen dabei die wahrgenommenen Ähnlichkeiten der einzelnen Objekte A - G in → Darstellung 5.4) zueinander an. Wissen | Je größer die Ähnlichkeit von Produkten oder Dienst‐ leistungen wahrgenommen wird, desto austauschbarer sind sie in der Wahrnehmung der Kunden. Dies reflektiert die Wettbewerbsinten‐ sität. Wissen | Aus der Sicht des Marketings kommt es zunächst entschei‐ dend darauf an, dass sich ein Produkt von anderen in seiner Umgebung deutlich abhebt. Es geht darum, eine unverwechselbare Stellung einzunehmen, die Nachbarn auf „Distanz“ zu halten, über ein prägnan‐ tes Profil mit positiven Konturen zu verfügen. 270 5 Produktpolitik <?page no="271"?> Wissen | Ob das Ergebnis, nämlich einen bestimmten Standort in der Wahrnehmung der Nachfrager einzunehmen, auch ökonomisch sinnvoll erscheint, ist damit nicht sichergestellt. Idealvorstellungen, Kaufkraft, Nachfrageintensität etc. werden innerhalb des Marktes unterschiedlich verteilt sein. Insofern vermag eine Positionie‐ rung erst dann zufrieden stellen, wenn sich um das entsprechende Produkt eine ausreichende Käuferschaft gebildet hat. Der auf ein spezifisches Leis‐ tungsversprechen ansprechende Teil des Marktes muss bezüglich des Volu‐ mens ausreichend attraktiv sein (vgl. → Kapitel 4). Der Umkehrschluss, dass man immer nach der größten Nachfragedichte im Raum suchen sollte, wäre jedoch falsch, weil sich dort auch die meisten Wettbewerber positionieren wollen. Die Aussagekraft des Objektraumes kann wesentlich erhöht werden, wenn in den Objektraum die Idealvorstellungen der Individuen bzw. Personengruppen (Marktsegmente) als Punkte 1-7 in → Darstellung 5.4 hineinprojiziert werden (siehe auch Mehrdimensionale Skalierung, → Kapitel 4). Hierfür sind Personen danach zu befragen, welche Ausprä‐ gungen ein ideales Produkt des entsprechenden Produktbereichs haben sollte. Der Raum, in dem Objekte und Subjekte dargestellt sind, wird Ge‐ meinsamer Merkmalsraum genannt und gibt ein Abbild der Nachfrage- und Konkurrenzverhältnisse eines Marktes wieder (→ Darstellung 5.4). Ein derartiges, sorgfältig erstelltes Abbild des Marktes stellt eine ideale Planungsgrundlage dar! Die Distanzen zwischen den geometrischen Orten der verschiedenen Produkte und eines Segments entsprechen dem Grad der Präferenz, den die Nachfrager dieses Segments für die verschiedenen Produkte besitzen. Bei sonst gleichen Bedingungen der einzelnen Produkte wird dasjenige Produkt von einer bestimmten Person am wahrscheinlichsten gekauft, das die geringste Produkt-Segment-Distanz aufweist. Vergegenwärtigt man sich nun noch die Größe der einzelnen Marktsegmente 1-7, so wird klar, wo Marktchancen bestehen. Wissen | Marktnischen sind hier dadurch gekennzeichnet, dass zwar potenzielle Käufer, aber keine geeigneten Angebote zu finden sind (Segment 7). 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 271 <?page no="272"?> Vielseitigkeit der Verwendung E D F G C A B •6 •5 •4 •3 •2 •1 •7 Bequemlichkeit der (Weiter-)Verwendung alkoholfreie Getränke: Anbieter A, B, C, D, E, F, G Marktsegmente 1 bis 7 Darstellung 5.4: Zweidimensionaler Gemeinsamer Merkmalsraum. Betrachtet man beispielsweise Anbieter D, so stellt er in den Augen der Nachfrager von Segment 6 zwar für sie den geeignetsten Anbieter dar, er könnte jedoch seine Positionierung verbessern, indem er sein Produkt hinsichtlich der Verwendungsvielseitigkeit verbessert. Ob dies nun durch echte Produktveränderungen geschieht, oder durch eine Veränderung der Wahrnehmung des bestehenden Angebots (bspw. durch geeignete kommu‐ nikationspolitische Maßnahmen) sei dahingestellt. Zur Bearbeitung von Segment 7 würde es sich für ihn anbieten, eine weitere Marke zu schaffen, mit der er diese Nachfrage bedienen kann. Die Veränderung der Position in Richtung von Segment 7 und damit eine Verschlechterung der Wahrneh‐ mung seitens der Nachfrager von Segment 6 wäre suboptimal, da er sich damit „zwischen zwei Stühle setzen“ würde. Eine Analyse und Bewertung aller anderen Anbieter geschieht in ähnlicher Weise, wobei hier der Einfach‐ heit halber die Segmentgröße außer Acht gelassen wird. Wissen | Unter Positionierung wird das Beziehen einer bestimmten Position in der Wahrnehmung der Nachfrager verstanden. Diese kann mittels mehrerer präferenzrelevanter Merkmale der Produktleis‐ tung definiert sein. 272 5 Produktpolitik <?page no="273"?> Zur Positionierung eines Produkts werden alle Möglichkeiten der Pro‐ duktpolitik (→ Darstellung 5.7), aber auch alle anderen Instrumente des Marketing-Mix herangezogen, die dazu geeignet sind, das Angebot eines Unternehmens im Urteil der relevanten Nachfrager an einen bestimmten Punkt im Objektraum bzw. im Gemeinsamen Merkmalsraum zu platzieren. Beispiel | In Märkten relativ homogener Produkte (z. B. Bier) geschieht die Positionierung vor allem durch die Form-, Farb- und Namensgebung einerseits sowie durch gezielte kommunikationspolitische Maßnahmen andererseits. In Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Positionierung von Leistungen - diese Überlegungen gelten auch für Geschäftseinheiten oder Sorti‐ mentsteile - wird oft auch versucht, ein Nutzenversprechen als USP zu kreieren. Dies soll der eindeutigen Positionierung und Abgrenzung dienen. Wissen | Die Unique Selling Proposition (USP) eines Produkts oder einer Dienstleistung ist eine unverwechselbare, einzigartige Kompo‐ nente der Nutzensumme oder des Nettonutzens für ein Marktsegment. 5.2.4 Informationsökonomische Produktwahrnehmung Produktpolitische Überlegungen auf Basis der Informationsökonomie be‐ schäftigen sich mit der Qualitätsunsicherheit der Nachfrager, die sie im Rahmen ihrer Produktbeurteilung wahrnehmen (vgl. Helm u. Steiner, 2008, S. 61ff.). Diese Unsicherheit resultiert aus so genannten Informations‐ asymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern, wobei die Anbieter gegenüber den Nachfragern einen Informationsvorsprung hinsichtlich der Qualität der Produkte bzw. Dienstleistungen besitzen. Im Hinblick auf den Zeitpunkt (vor/ nach dem Kauf) und das Ausmaß der Beurteilbarkeit (mög‐ lich/ nicht möglich) von Produkteigenschaften lassen sich drei Kategorien - Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften - unterscheiden (→ Darstellung 5.5). Sucheigenschaften, wie Farbe, Design oder Preis eines Kleidungsstü‐ ckes, können vom Nachfrager vor dem Kauf durch Inspektion des Produktes oder durch eine entsprechende Informationssuche eindeutig verifiziert werden. Erfahrungseigenschaften, wie der Geschmack einer Konfitüre 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 273 <?page no="274"?> oder die Funktionstüchtigkeit eines Haushaltsgerätes, lassen sich erst nach dem Kauf bzw. nach Gebrauch durch Erfahrung mit dem Produkt sicher beurteilen. Bei Vertrauenseigenschaften kann der Nachfrager aufgrund von Kosten-, Zeit- und Fähigkeitsrestriktionen die Qualität weder vor noch nach dem Kauf bzw. Gebrauch des Produktes mit ausreichender Sicherheit beurteilen. Allein im Schadensfall lässt sich die Güte dieser Eigenschaften bewerten (vgl. Helm u. Mark, 2007). Beispiele für Vertrauenseigenschaften sind die Leistungsfähigkeit eines Arztes bzw. Rechtsanwaltes oder auch die Gesundheitswirkung eines Joghurts. - - Zeitpunkt der Qualitätsbeurteilung - - vor dem Kauf nach dem Kauf Beurteilbar‐ keit der Quali‐ tätseigen‐ schaften möglich Sucheigenschaften (Search Qualities) Erfahrungseigenschaf‐ ten (Experience Qualities) nicht mög‐ lich Erfahrungsbzw. Ver‐ trauenseigenschaften Vertrauenseigenschaf‐ ten (Credence Qualities) Darstellung 5.5: Abgrenzung von Leistungseigenschaften aus informationsökonomischer Sicht. Da sich Produkte und Dienstleistungen aus einem Bündel verschiede‐ ner Eigenschaften zusammensetzen, bestehen Unternehmensleistungen gemäß dieser Einteilung aus einer Kombination unterschiedlicher Anteile von Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Komplementarität der Eigenschaftskatego‐ rien. Beispiel | So stellt die Kruste des Brotes eine Such-, dessen Geschmack eine Erfahrungs- und die biologische Anbauweise des verwendeten Getreides eine Vertrauenseigenschaft dar. Darüber hinaus ist bei der anbieterseitigen Beurteilung von Produkten und Dienstleistungen gemäß der informationsökonomischen Eigenschaftstypo‐ logie die nachfragerseitig subjektive Zuordnung der einzelnen Produk‐ tattribute zu den drei Eigenschaftskategorien zu beachten. 274 5 Produktpolitik <?page no="275"?> Wissen | Einzelne Merkmale werden auf Basis der subjektiven Wahr‐ nehmung der Nachfrager hinsichtlich ihrer Beurteilbarkeit eingeteilt. Das individuelle Beurteilungsvermögen hängt beispielsweise von vor‐ handenen Produkterfahrungen bzw. erworbenem Produktwissen ab. Beispiel | So können beispielsweise bestimmte Produkteigenschaften für einen Laien Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften für einen Experten jedoch Sucheigenschaften darstellen. Diese Problematik tritt vor allem bei langlebigen Gebrauchsgütern auf. Zusätzlich beeinflusst die Zeitdauer, in der Produkterfahrungen gesammelt werden, die Fähigkeit, Produkte mit Sicherheit beurteilen zu können (vgl. → Abschnitt 5.6.2.1). Schließlich ist es möglich, dass im Zeitablauf die Do‐ minanz der Vertrauenseigenschaften zu- und die der Suchbzw. Erfahrungs‐ eigenschaften abnimmt, wenn beispielsweise durch einen Umweltskandal die Vertrauenseigenschaften ins öffentliche Interesse gerückt sind. Damit wird deutlich, dass die Zuordnung der Produkteigenschaften zu den drei Kategorien nicht nur zwischen den Nachfragern variiert, sondern sich auch im Zeitablauf ändern kann. Die Eigenschaftskategorien sind somit dynamisch und substituierbar. Beurteilbarkeit der Produktqualität hoch niedrig Dominanz der Sucheigenschaften Dominanz der Erfahrungseigenschaften Dominanz der Vertrauenseigenschaften die meisten Sachleistungen die meisten Dienstleistungen Bekleidung Schmuck Möbel Häuser Autos Restaurantbesuch Ferienreisen Haarschnitt Kinderbetreuung Fernsehreparatur Rechtsberatung Wurzelbehandlung Kfz-Repratur medizinische Diagnose Häufigkeit Darstellung 5.6: Verteilung der informationsökonomischen Leistungseigenschaften bei Sach- und Dienstleistungen. 5.2 Produktwahrnehmung aus der Sicht der Nachfrager - Das Nutzenkonzept 275 <?page no="276"?> Unabhängig von den oben angeführten Charakteristika der informations‐ ökonomischen Eigenschaftskategorien dominieren bei Sachleistungen (Produkten) Such- und Erfahrungseigenschaften, während Dienstleistun‐ gen eher Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften besitzen (→ Darstel‐ lung 5.6). Wissen | Mit zunehmendem Anteil an Erfahrungs- und Vertrauens‐ eigenschaften steigt das Ausmaß der Informationsasymmetrie und somit auch die vom Nachfrager wahrgenommene Qualitätsunsicher‐ heit der Produkte und Dienstleistungen. Daraus folgt, dass das Ausmaß des subjektiven Vorhandenseins dieser drei Eigenschaftskategorien nicht nur Implikationen für die sonstigen Nutzenfaktoren hat, sondern auch für die Kommunikationspolitik (vgl. → Kapitel 8). Deren Aufgabe ist die Bereitstellung adäquater Informationen zum Abbau der vorliegenden eigenschaftsbasierten Unsicherheit (vgl. Gierl et al., 1999). Die diesbezügliche Wahrnehmung der zu vermarktenden Produktnutzen ist damit bei der Planung des Marketing-Mix zu berück‐ sichtigen. Beispiel | So können Garantien oder Qualitätssiegel bei der Dominanz von Vertrauenseigenschaften oder beispielsweise Produktproben oder Probenutzungen bei einer Dominanz von Erfahrungseigenschaften ver‐ wendet werden. 5.3 Dimensionen der Produktgestaltung In → Abschnitt 5.2.1 war das Produkt aus Marketingsicht als Bündel von Merkmalen, die mit Nutzenerwartungen verknüpft sind, definiert worden. Als Gegenstand der Produktpolitik waren in → Abschnitt 5.1 grundsätzlich alle diejenigen Faktoren in Betracht gezogen worden, die auf die Ausformung der Nutzenerwartungen einen Einfluss haben können. Einige wesentliche Faktoren sind in → Darstellung 5.7 zusammengestellt. Sie sind daher prinzipiell als produktpolitische Gestaltungsbereiche anzuse‐ hen, mithin als Möglichkeiten, Produkte zu differenzieren bzw. das eigene Angebot zu positionieren. 276 5 Produktpolitik <?page no="277"?> Darstellung 5.7: Säulen der Produktgestaltung. Die Gestaltungsbereiche Preis, distributionswirtschaftliche Bedingungen und Marktkommunikation werden allerdings nicht nur bzw. nicht primär aus produktpolitischer Sicht geprägt, so dass sie nicht als produktpolitische Gestaltungsbereiche im engeren Sinne bezeichnet werden können. Diese drei Gestaltungsbereiche werden nur sekundär unter dem Gesichtspunkt der Beeinflussung produktspezifischer Nutzenerwartungen variiert, sie können daher auch als sekundäre produktpolitische Gestaltungsbereiche bezeichnet werden. Die wichtigsten Säulen bzw. Dimensionen produktpolitischer Gestaltung können sind: Die Produktqualität im engen Sinn stellt die Summe der objektiv messbaren bzw. feststellbaren Eigenschaften eines Produktes dar und steht in engem Zusammenhang mit dem Grundnutzen des Produktes (vgl. → Darstellung 5.3 sowie →-Abschnitt 5.2). • Der Produktkern umfasst physikalische und chemische Eigenschaften wie etwa Größe, Länge, Gewicht, chemische Zusammensetzung, tech‐ nische Leistung, technische Lebensdauer etc. • Die Produktfunktion ist eng mit dem Produktkern verbunden, stellt allerdings in stärkerem Maße auf die Verwendung und damit auch auf die Verwender ab. Aspekte der Produktfunktion sind Anwendungs‐ breite, wirtschaftliche Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Lebensdauer, Ge‐ brauchstüchtigkeit, Leichtigkeit der Handhabung etc. Die Wahrneh‐ 5.3 Dimensionen der Produktgestaltung 277 <?page no="278"?> mung der Produktfunktion versuchen Unternehmen häufig nicht nur durch die Gestaltung des Produktes selbst, sondern auch durch die Gewährung von Garantien zu beeinflussen. Vor allem für den Erstab‐ satz technisch neuartiger Güter ist die Gewährung eines adäquaten Ge‐ währleistungsversprechens (mittels eines entsprechenden Gewährleis‐ tungsumfangs oder einer entsprechenden Gewährleistungsdauer) eventuell durch einen kompetenten Partner von entscheidender Bedeu‐ tung (vgl. Helm, 2001a, S.-97ff.). Das Produktäußere und die sonstigen nutzenbeeinflussenden Faktoren zielen in erster Linie auf den Zusatznutzen eines Produktes ab (vgl. → Darstellung 5.3 sowie →-Abschnitt 5.2). • Die Produktform kann zum einen auf das Produkt selbst (z. B. Seife bzw. ergonomische Aspekte generell), zum anderen aber auch auf die Packung (z. B. Folienbeutel, Faltschachtel) bezogen werden. Die Packung ist dabei die Verkaufszwecken dienende Umhüllung des Produktes, während die Verpackung der für Transportzwecke vorgenommenen Umhüllung des Produktes entspricht. Insbesondere bei Produkten, die nicht formfest sind, besitzt man bei der Produktform einen relativ großen Spielraum (bspw. in Tuben, Dosen). Eine verbreitete Form des Zusatznutzens stellt eine besonders umweltfreundliche Packung dar. Dieser ist aber teilweise schon eine Grundanforderung der Kunden. • Die Produktfarben können wie die Produktform sowohl auf das Produkt selbst als auch auf die Packung bezogen werden. Bei letzterem spielen Individualisierungs- und Kennzeichnungsaspekte eine immer größere Rolle. Sonstige nutzenbeeinflussende Faktoren formen neben der Produkt‐ qualität im engeren Sinne und dem Produktäußeren die an ein Produkt geknüpften Nutzenerwartungen: • Der Produktname; dieser besondere Aspekt, der auch für Unterneh‐ men, die im B2B-Bereich aktiv sind, mittlerweile von besonderer Rele‐ vanz ist, wird in →-Abschnitt 5.4.1 eingehender behandelt. • Von besonderer Bedeutung ist in vielen Fällen die produktpolitische Dimension Service bzw. Kundendienstleistung (vgl. auch → Kapitel 3 bzw. Herrmann u. Huber, 2013, S. 319ff.). Der Kundendienst kann dabei technischer Natur (Aufstellen von Elektrogeräten, Möbeln) oder kaufmännischer Art (Anwendungsberatung) und damit primär auf das 278 5 Produktpolitik <?page no="279"?> Produkt oder primär auf den Nachfrager hin orientiert sein. Während der kaufmännische Kundendienst vorwiegend vor dem Kaufabschluss (Einzelhandel, Außendienst) gewährt wird, ist der technische Kunden‐ dienst sehr häufig eine Aufgabe dafür spezialisierter Einrichtungen (Kundendienstbüros, Niederlassungen). Auch diesem Aspekt wird in →-Abschnitt 5.4.2 vertiefte Aufmerksamkeit gewidmet. In Zusammen‐ hang mit den oben erwähnten Garantien sind bei diesem Aspekt auch die Garantie- oder Serviceverträge zu nennen, die mittlerweile bei vielen Produkten einen erheblichen Teil des Gesamtpreises darstellen. • Selbst das Produktprogramm (Sortiment), in dem das betrachtete Produkt Bestandteil ist, kann den entscheidenden Nutzen für einen Kunden („Alles aus einer Hand“) darstellen. Dieser Aspekt wird in →-Abschnitt 5.5 nochmals aufgegriffen. • Mit dem Produktpreis werden unter bestimmten Bedingungen Quali‐ tätsvorstellungen verknüpft (vgl. → Kapitel 6); der Preis ist insofern ein Faktor, der die Nutzenerwartungen beeinflusst (vgl. Fallstudie Jado GmbH in →-Kapitel 1). • Distributionsbedingungen: In manchen Fällen wird von Individuen auch vom Ort (Einzelhandelsgeschäftstyp) oder der Art des Verkaufs (persönliche Betreuung oder Beziehungen) auf den zu erwartenden Produktnutzen geschlossen (vgl. Fallstudie Jado GmbH in → Kapitel 1 bzw. →-Kapitel 7). • Produktbezogene Marktkommunikation: Insbesondere bei Produk‐ ten, deren Marken sich kaum hinsichtlich der Produktqualität im engeren Sinne und des Produktäußeren unterscheiden, wird die Nut‐ zenerwartung von Individuen häufig stark von den kommunikativen Anstrengungen geprägt. Im Einzelfall ist eine exakte Zurechnung produktpolitischer Gestaltungs‐ maßnahmen zu einer der oben skizzierten Dimensionen der Produktgestal‐ tung häufig kaum möglich bzw. eine Maßnahme kann mehrere Dimensionen tangieren (Gestaltung der Coca-Cola-Flasche). Letztendlich kann aber jeder dieser Gestaltungsparameter zur Differenzierung einer neuen Leistung verwendet oder zur Veränderung einer bereits angebotenen Leistung herangezogen werden. 5.3 Dimensionen der Produktgestaltung 279 <?page no="280"?> 5.4 Erweiterungen der klassischen Produktpolitik 5.4.1 Markenpolitik und Brand-Management Ein Blick auf die heutigen Marken lässt schnell erkennen, dass die Funktion von Marken weit mehr als die reine physische Kennzeichnung über die Herkunft eines Produktes ist; sie erfüllt darüber hinaus noch weitere, wichtige Funktionen. Der Name des Produktes bzw. der Name des Unter‐ nehmens hat in vielen Fällen wichtige Symbolfunktionen. Er hat nicht nur eine Informationsfunktion für den Käufer, sondern bieten auch Identifikationsmöglichkeiten für den Träger. Beispiel | Mit Mercedes verbindet die Mehrzahl der Personen etwas in qualitativer Sicht hochwertiges und prestigeträchtiges; einen Füllfeder‐ halter mit dem Namen Mercedes wird die gleiche Personengruppe daher tendenziell als hochwertig einstufen. Dasselbe gilt für prestigeträchtige Namen, die vor allem die Freizeitkleidung (Lacoste etc.) „schmücken“. Mittlerweile fällt es schwer, eine größere Zahl anonymer Produkte zu benen‐ nen. Mit der Zunahme der Bedeutung des Handels in den letzten Jahrzehnten gingen auch Handelsunternehmen dazu über, eigene (Handels-)Marken zu schaffen (z. B. Balea von dm). Die ebenfalls von Handelsunternehmen kreier‐ ten Gattungsmarken richten sich vor allem an relativ rational handelnde Konsumenten und sind preislich in der Regel besonders günstig. 5.4.1.1 Markenbegriff und Inhalt des Markenmanagements Der Begriff Marke geht auf das griechische marka (Zeichen) zurück. In der betriebswirtschaftlichen wie auch juristischen Betrachtungsweise wird damit ein Warenzeichen verbunden, wobei auch Dienstleistungen unter einem geschützten Zeichen vertrieben werden können. Die Marke ist neben dem Patent eines der wichtigsten gewerblichen Schutzrechte, welches ein Unternehmen zum Eigentum haben kann. Zur Erlangung des gewerblichen Rechtsschutzes bedarf es der Anmeldung und Zahlung der Gebühr beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) sowie letztlich der Erteilung des Schutzrechtes durch das DPMA. Der Markenin‐ 280 5 Produktpolitik <?page no="281"?> haber hat damit das ausschließliche Recht, die Marke im geschäftlichen Verkehr zu benutzen, wobei aber auch die Möglichkeit des Markentrans‐ fers z.-B. durch Lizenzierungen besteht. Nach rechtlichem Verständnis können dabei als Marken „alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buch‐ staben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von den‐ jenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden“ (§3 Abs. 1 MarkenG). Beispiel | Nach dieser Definition sind zum Beispiel Namen wie Deutsche Post, Buchstaben wie BMW (Bayerische Motorenwerke), Produktdesigns wie die Odol-Flasche mit dem typischen Schwanenhals, Farben wie das Magenta der Deutschen Telekom, Zeichen wie der Dreizackstern mit Ring von Mercedes Benz oder der typisch geschwungene Haken von Nike, aber auch Zahlen wie 8x4 (die bekannte Marke der Beiersdorf AG) oder Kombinationen von Zahlen und Wörtern wie 4711 Echt Kölnisch Wasser als Marken geschützt. Wissen | Die üblichen Kennzeichen einer Marke in der Praxis sind gleich bleibende Aufmachung, relative Ubiquität und gleich bleibende (Mindest-)Qualität des gekennzeichneten Produkts. Dadurch und durch andere relevante Merkmale soll die Entstehung und Speicherung eines bestimmten Vorstellungsbildes (Image, vgl. → Kapitel 2) einer Marke beeinflusst und in die gewünschte Richtung gelenkt werden (vgl. Sattler u. Völckner, 2007). Das markierte Produkt erfährt durch diese Markierung und dem damit verbundenen Image einen zusätzlichen Nut‐ zen gegenüber nicht- oder anders markierten Produkten. Vor allem auf gesättigten Märkten mit quasi homogenen Produkten (z. B. Margarine, Bier, aber auch im gewerblich technischen Bereich) kann die gefühlsmäßige Verankerung einer Marke in der Psyche den ausschlaggebenden Punkt für den Kauf eines bestimmten Produktes bilden (vgl. →-Kapitel 2). 5.4 Erweiterungen der klassischen Produktpolitik 281 <?page no="282"?> Wissen | Ziel des Markenmanagements muss es sein, im Rahmen von Segmentbeschreibungen (vgl. → Kapitel 4) Vorstellungsbilder zu erkennen bzw. zu generieren, die mit einer Marke verbunden werden können. Dazu sind alle marketingpolitischen Instrumente an diesen Vorstellungsbil‐ dern auszurichten und ein entsprechendes Markenimage herauszubilden. Eine gezielte Markenpolitik , die oftmals auch als Brandmanagement be‐ zeichnet wird, soll dadurch • Kaufentscheidungen durch die Reduktion vieler Argumente auf die Marke vereinfachen, • Wiedererkennungseffekte beim Wiederkauf fördern (Kundenbin‐ dungseffekte), • interpersonelle soziale Effekte am Markt bewirken (akquisitorisches Potenzial eröffnen) und schließlich • potenzielle Multiplikationseffekte im Rahmen der Produktpolitik (Markentransfer im weitesten Sinne) ermöglichen. 5.4.1.2 Markenname Bei der Auswahl des Markennamens, aber nicht selten auch des Marken‐ zeichens handelt es sich um eine langfristig orientierte (strategische) Entscheidung. Daher ist bereits im Vorfeld einiges zu beachten. Ein Markenname sollte eigenständig und einzigartig sein, um von vorn‐ herein Verwechslungen mit Konkurrenzmarken zu vermeiden. Dabei sollte der Name aber so gewählt werden, dass er sehr einfach zu lesen, auszu‐ sprechen und zu merken ist. Auch das Markenzeichen sollte einfach zu erkennen sein. Weiterhin sollten beide das anvisierte Markenimage eindeu‐ tig, prägnant und verständlich vermitteln können, dem Unternehmen eine gute Visualisierungsmöglichkeit bieten und frei von unerwünschten Asso‐ ziationen sein, d. h. Akzeptanz und Gefallen bei der Zielgruppe bewirken. Zusätzlich dürfen sowohl der gewählte Markenname als auch das Marken‐ logo keiner räumlichen oder physischen Erweiterung des Leistungsangebots im Wege stehen. Letztlich sollten beide sowohl national als auch interna‐ tional rechtlich schützbar sein, um die vom Unternehmen beabsichtigte zeitliche und räumliche Nutzung zu sichern. Bei der Entscheidung für einen Markennamen sind zudem Überlegungen zum Nutzen und den Vorteilen 282 5 Produktpolitik <?page no="283"?> des Produkts, zum Zielmarkt und zu den geplanten Marketingstrategien anzustellen. Beispiel | So wird beispielsweise der Name Rocher mit Assoziationen wie exklusiv, edel und königlich verbunden, welche durch die goldene Verpackung der einzelnen Pralinen noch zusätzlich verstärkt wird. 5.4.1.3 Neumarkenstrategie und Markentransferstrategie Grundsätzlich kann ein Unternehmen zum Aufbau und zur Erhaltung der strategischen Erfolgspotenziale mit vorhandenen oder neuen Marken in vorhandenen oder neuen Produktkategorien tätig werden. Eine Neumarkenstrategie erscheint immer dann nützlich, wenn die be‐ reits vorhandenen Marken und deren Images nicht mit dem neuen Produkt oder der neuen Produktkategorie vereinbar sind und somit die „Dehnung“ einer Marke nicht von Vorteil ist. Um die Risiken der Neumarkenstrategie zu umgehen, werden heutzu‐ tage sehr häufig Markenerweiterungen vorgenommen. Wie bereits oben angedeutet, besteht bei einer Produktneueinführung die Möglichkeit eine bereits vorhandene Marke und das mit ihr verbundene Markenimage zu übernehmen. In einem solchen Fall spricht man von einem Markentrans‐ fer. Dabei kann unterschieden werden, ob eine vorhandene Marke in einer bestehenden Produktkategorie zu einer so genannten Produktliniener‐ weiterung (Line Extension) oder in einer neuen Produktkategorie zu einer Markenerweiterung (Brand Extension) verwendet wird. 5.4.2 Dienstleistungen 5.4.2.1 Definition und Besonderheiten Dienstleistungen sind als primärer Geschäftsgegenstand von Unternehmen, als sonstiger nutzenbeeinflussender Faktor von physischen Produkten, aber auch als kombinierte Produkt-Service-Systeme fester Bestandteil eines modernen Angebots. Die Differenzierung des Produkts, die zielgruppen‐ genaue Positionierung oder auch die Definition der Unique Selling Proposition findet oft über produktbegleitende Dienstleistungen statt. 5.4 Erweiterungen der klassischen Produktpolitik 283 <?page no="284"?> In vielen Fällen fallen relevante Umsatzerlöse bzw. Erträge auch erst nach dem eigentlichen Produktverkauf an, wenn über die Zeit hinweg entsprechende Dienstleistungen (z. B. Wartungs- oder Garantieverträge, Updates, etc.) verkauft werden. Dienstleistungen zeichnen sich anhand ihrer typischen Merkmale aus, die sie im Gegensatz zu den Sachgütern besitzen: • Intangibilität, • fehlende Lager- und Transportfähigkeit, • Integration des externen Faktors, • Variation der Qualität. Die Intangibilität beschreibt die fehlende Greifbarkeit der Dienstleistung, da im Gegensatz zur Sachgüterproduktion kein materielles Gut vorliegt, welches im Vorfeld vom Nachfrager bewertet werden kann (vgl. → Ab‐ schnitt 5.2.4). Diese Immaterialität führt zu einer erhöhten (Qualitäts-)Un‐ sicherheit auf der Käuferseite. Eine Reduktion der Unsicherheit erfolgt im Allgemeinen durch Bereitstellung anderer Merkmale, anhand derer die Dienstleistungsqualität greifbar und bewertbar wird. Ferner weisen Dienstleistungen die Eigenschaft auf, dass sie nicht für einen späteren Verkauf oder eine spätere Verwendung aufbewahrt werden können. Die fehlende Lagerfähigkeit wird jedoch erst dann problema‐ tisch, wenn die Nachfrage nach dieser Dienstleistung starken Schwankun‐ gen ausgesetzt ist. Diesen wird mit speziellen Angeboten entgegengewirkt, z. B. durch Preisnachlässe für Urlaubsangebote, die außerhalb der Saison sind. Weiterhin unterliegen Dienstleistungen der Prämisse, dass die inter‐ nen und externen Produktionsfaktoren im Rahmen der Dienstleistungs‐ produktion zwingend aufeinandertreffen müssen. Diese fehlende Trans‐ portfähigkeit kann auch auf die Intangibilität von Dienstleistungen zurückgeführt werden. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass der Dienstleis‐ tungsanbieter zum Nachfrager geht (Hausbesuch des Arztes), allerdings wird die Gesamtdienstleistung dadurch nicht transportfähig. Die Integration des externen Faktors bedeutet, dass der gesamte Erst‐ ellungsprozess und das Ergebnis der Dienstleistung von diesem externen Faktor abhängig sind. Dabei kann es sich um eine Person (Friseurbesuch), ein materielles Gut (Autoreparatur), ein nominales Gut (Geldanlage) oder eine Information (Beratungsdienstleistung) handeln. 284 5 Produktpolitik <?page no="285"?> Ein weiteres wesentliches Merkmal von Dienstleistungen ist deren Qua‐ litätsvariation. Dies liegt darin begründet, dass bei der Leistungserstel‐ lung und Leistungsnutzung oft Menschen beteiligt sind. Somit hängt die Qualität der Dienstleistung davon ab, wie sie von welcher Person wann und wo ausgeführt wird. So können sich zum Beispiel Freundlichkeit und Kompetenz zwischen den Bediensteten in einem Restaurant stark unter‐ scheiden, was wiederum Auswirkungen auf die Leistungserstellung und das Leistungsergebnis hat. Letztlich unterliegt die Dienstleistungsqualität interpersonellen, intrapersonellen und intertemporären Einflüssen. Das Be‐ mühen um gleichbleibende Qualität kann durch verschiedene Maßnahmen unterstützt werden (→ nächster Abschnitt), wobei eine Überwachung der Kundenzufriedenheit (Beschwerdesysteme, CRM-Systeme) diese Bemühun‐ gen abrunden (vgl. Bruhn, 2022). 5.4.2.2 Instrumente des Dienstleistungsmarketing Aufgrund obiger Besonderheiten von Dienstleistungen gegenüber phy‐ sischen Produkten sind die klassischen Instrumente des Marketing-Mix erweiterungsbedürftig. Sie werden daher sehr häufig um drei weitere er‐ gänzt, welche direkt daran anknüpfen: • Personalpolitik (Personnel), • Ausstattungspolitik (Physical Facilities), • Prozesspolitik (Process Management). Da die meisten Dienstleistungen von Personen erbracht werden, ist das Personal eines Anbieters ein bedeutender Faktor im Erstellungsprozess. Durch eine exzellente Auswahl, Schulung und Motivation der Mitarbeiter (Personalpolitik) soll dem Kunden eine hohe (fachliche und soziale) Kom‐ petenz der Servicemitarbeiter vermittelt werden, welche wiederum auf die Minderung der Qualitätsunsicherheit bezüglich der Dienstleistung zielt. Die Leistungsfähigkeit des Dienstleistungsanbieters kann durch die phy‐ sische Ausstattung der Dienstleistungsinfrastruktur zusätzlich gefördert werden. So können zum Beispiel Gebäude, Fahrzeuge, Inneneinrichtung von Verkaufs- und Repräsentationsräumen, Werkzeuge bis hin zur Garderobe der Mitarbeiter das Erscheinungsbild und damit die Leistungsfähigkeit positiv beeinflussen. Bedingt durch die Intangibilität von Dienstleistungen werden solche sichtbaren Faktoren zur Qualitätsbeurteilung herangezogen. 5.4 Erweiterungen der klassischen Produktpolitik 285 <?page no="286"?> Ein im Vorfeld weniger sichtbares, aber trotzdem wichtiges Instrument des Dienstleistungsmarketing ist die Prozesspolitik, welche die Abgren‐ zung der einzelnen Schritte und Aufgaben der beteiligten Akteure des Dienstleistungsprozesses beschreibt. Das Ziel der Prozesspolitik besteht darin, eine gleichbleibende Ausführung der Dienstleistung zu gewährleis‐ ten, um die Dienstleistung sowohl aus zeitlicher als auch kostenmäßiger Perspektive effizient zu erstellen. Neben dieser Standardisierung des Ablauf‐ prozesses muss aber auch dessen Flexibilität im Vorfeld definiert werden, um auf eventuelle Veränderungen der Kundenpräferenzen oder Umweltzu‐ stände reagieren zu können. Eine Automatisierung und digitale, datenge‐ triebene Unterstützung des Ablaufprozesses sowie die dadurch mögliche permanente Bereitstellung einer Dienstleistung nimmt im gewerblichen Bereich eine zunehmend bedeutende Stellung ein. Neben den klassischen Instrumenten des Marketings sind es vor allem die zusätzlichen „drei Ps“, die einen bedeutenden Einfluss auf die wahrge‐ nommene Dienstleistungsqualität aus Sicht der Kunden haben. Wissen | Im Gegensatz zu Sachgütern beruht die vom Kunden emp‐ fundene Dienstleistungsqualität entscheidend auf der Erstellung der Dienstleistung, die erst durch die unmittelbare Wechselwirkung von Anbieter und Nachfrager entsteht. Die Kundenzufriedenheit beruht demnach nicht nur auf der Bewertung der technischen („War die Beratung des Bankangestellten erfolgreich? “), sondern auch den funktionalen und emotionalen Kriterien der Dienst‐ leistung („Hat sich der Bankangestellte auch ausreichend um den Kunden gekümmert? “). Wissen | Die Dienstleistungsqualität hängt einerseits von der technischen Durchführungsqualität (high-tech) und andererseits von den mit der Dienstleistung verbundenen Empfindungsgehalten (high-touch) ab. 286 5 Produktpolitik <?page no="287"?> 5.5 Inhalt der Sortimentspolitik 5.5.1 Angebotspolitik aus der Herstellerperspektive Aus der Definition der Produktpolitik in → Abschnitt 5.1 sowie den Überlegungen zur Produktgestaltung in → Abschnitt 5.3 ergibt sich eine erweiterte Sichtweise auf das Angebotsprogramm. Nutzenkomponenten für den Nachfrager können sich aus verschiedenen Quellen ergeben, so dass sich eine Erweiterung der Perspektive von → Darstellung 5.7 in → Darstellung 5.8 ergibt. Die Gesamtheit der von einem Produktionsunternehmen angebotenen Produkte nennt man das Vertriebs- oder Absatzprogramm; für Handels‐ betriebe hat sich dafür der Begriff Sortiment eingeprägt - beide Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet. Das Absatzprogramm eines produzierenden Unternehmens ist in vielen Fällen nicht identisch mit des‐ sen Produktionsprogramm, häufig werden zur „Abrundung des Angebots“ Produkte zugekauft und zusammen mit den eigenen Produkten entweder unter eigenem oder fremdem Namen verkauft. Produkt an sich  Funktion,  Farbe,  Form etc. Produktzusatznutzen  Marke,  Dienstleistung,  Preis etc. Sortiment an Produkten Angebot des Unternehmens Darstellung 5.8: Nutzenkomponenten des Produktangebots. Wissen | Die Angebots- oder Sortimentspolitik befasst sich mit der Zusammenstellung und Revidierung, d. h. Erneuerung, Erweiterung und partieller Eliminierung, des gesamten Leistungsangebots eines Unternehmens. 5.5 Inhalt der Sortimentspolitik 287 <?page no="288"?> Die mit einer Produktinnovation vorgenommenen Veränderungen des An‐ gebotsprogramms können wie in → Abschnitt 5.6.3.2 unter dem dort skizzierten Aspekt der Diversifikation systematisiert werden. Durch die Schaffung neuer Produkte (vgl. die → Abschnitt 5.6.1 und → Abschnitt 5.6.3) wird dieses stets modifiziert. Innovationen und Differenzierungen erhöhen den Sortimentsumfang und die Komplexität des Vertriebs- und ggf. Produktionsprogramms. Die Struktur dieses Angebotsprogramms lässt sich anhand eines zweidimensionalen Systems verdeutlichen. Wissen | Die Angebotsbreite bezieht sich auf die Anzahl der Pro‐ duktgruppen im Angebotsprogramm, wohingegen die Angebotstiefe die Zahl der Produkte oder Produktvarianten innerhalb dieser Produkt‐ gruppen beschreibt. Als Produktgruppe kann eine Gruppe von kundenseitig verbundenen Produkten verstanden werden. Wie letztendlich die beiden Strukturdimensi‐ onen ausgestaltet werden, hängt von der verfolgten Unternehmensstrategie ab, welche aus einer dynamischen Sichtweise vor allem Entscheidungen zur Erweiterung bzw. Straffung von Programmbreite und -tiefe beinhaltet. Bei der Erweiterung kann noch zwischen Ergänzungen innerhalb einer Produktgruppe und der Einführung neuer Produktgruppen unterschieden werden (vgl. auch →-Abschnitt 5.6.3.2). Die Vorteile eines breiten Sortimentes liegen beispielsweise darin, dass der Kunde verschiedene Bedarfe gleichzeitig decken kann („alles unter einem Dach“). Als nachteilig dürfte sich dagegen aber die geringe Auswahl an Alternativen erweisen, wodurch das vorhandene Bedarfspotenzial pro Kunde für das bestimmte Produkt geringer ausgeschöpft wird. Je tiefer ein Sortiment ist, desto stärker signalisiert es den Kunden die so genannte Sortimentskompetenz und desto größer ist das Ausschöpfungspotenzial je Kunde in der betreffenden Produktgruppe. Werden Veränderungen im Produktprogramm vorgenommen, so müssen dabei immer bestehende und potenzielle Verbundbeziehungen zwischen den Produkten Berücksichtigung finden. So kann die Einführung oder Elimination eines Produktes positive oder negative Auswirkung auf den Markterfolg eines anderen Produktes im Sortiment haben (vgl. → Abschnitt 5.6.2.2). Neben Verbunden in den Bereichen Beschaffung und Produktion 288 5 Produktpolitik <?page no="289"?> sind es vor allem die Nachfrageverbunde, die eine starke Wirkung auf die Ausgestaltung des Angebotsprogramms haben können. 5.5.2 Sortimentspolitik aus der Handelsperspektive Die Sortimentsstruktur eines Handelsunternehmens lässt sich anhand des oben beschriebenen zweidimensionalen Systems verdeutlichen, wobei hier von Warenbereichen gesprochen wird. Im Großen und Ganzen sind die Überlegungen sehr ähnlich, wobei sich aber unterschiedliche Fokussierun‐ gen ergeben. Wissen | Die Angebotsplanung des Handelsbetriebs befasst sich in erster Linie im Einklang mit der Unternehmensstrategie mit der Sortimentsausgestaltung. Dafür gelten alle bisher angestellten Überle‐ gungen in Analogie, die absatzorientierte Leistung des Handels ist sein Sortiment! Das Sortiment ist deshalb aus Handelssicht so zu planen, dass es den Nachfragern bei relevanten Aspekten (Netto-)Nutzen stiftet, es sich genügend differenziert etc. Die einzelnen Produkte im Sortiment haben dabei verschiedene Funktionen zu erfüllen. • Frequenzfunktion: diese Artikel sorgen für hohe Kundenfrequenz, z.-B. Angebotsartikel oder Dauer-Niedrigpreis-Linie. • Ertragsfunktion: diese Artikel sorgen für die notwendigen Erträge, d. h. hohe Umsatzanteile und schneller Umschlag (selten hohe Handels‐ spanne). Untersuchungsergebnisse im Lebensmittelgroßhandel ergeben, dass lediglich 7 % der Artikel knapp über 50 % des Umsatzes und fast 70 % des Rohgewinns verantworten. • Ergänzungsfunktion: diese Artikel sorgen für ein abgerundetes Sorti‐ ment und weisen Kompetenz und Leistungsfähigkeit des Unternehmens nach. Betrachtet man die Sortimentsstruktur aus einer dynamischen Perspek‐ tive, so stellt sich die Frage, welches Kriterium als Entscheidungsgrund‐ lage für die Listung eines Produktes verwendet werden soll (Listungspolitik des Handels). Ein allgemein gültiges und weit verbreitetes Instrumenta‐ rium stellt dabei die Umschlagshäufigkeit dar, anhand derer („schnell 5.5 Inhalt der Sortimentspolitik 289 <?page no="290"?> drehende“) Artikel - Artikel mit hohen Absatzmengen - eher auszubauen und („langsam drehende“) Artikel - Artikel mit geringen Absatzmengen - tendenziell zu reduzieren sind. Allerdings müssen auch hier bestehende oder potenzielle Verbundwirkungen zwischen den Warengruppen oder einzelnen Artikel eines Sortimentes bei der (Aus-)Listung berücksichtigt werden. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik Die Entwicklung neuer Produkte (Innovationen) steht im Mittelpunkt der produktpolitischen Anstrengungen, wobei insbesondere marktneue Produkte (vgl. → Abschnitt 5.1) angestrebt werden, da dem Unternehmen zumindest anfangs eine monopolistische Marktstellung zukommt. Wissen | Marktneue Produkte zeichnen sich oft durch ein großes Umsatz- und Gewinnpotenzial aus; die Entwicklung marktneuer Pro‐ dukte ist aber auch mit erheblichen Risiken verbunden. Der Terminus marktneu bezeichnet neue Produkte, welche bezogen auf die bisherigen Produkte aller relevanten Unternehmen „neu“ sind; bezieht sich das Attribut „neu“ nur auf die bisherigen Produkte desselben Unternehmens, so wird von einem unternehmensneuen Produkt gesprochen. Bei erfolg‐ reichen marktneuen Produkte werden häufig von Konkurrenzunternehmen ähnliche Produkte auf den Markt gebracht, um so am Erfolg des neuen Produktes teilhaben zu können (Me-too-Produkte). Innovationen sind aber nicht nur gänzlich marktneue Produkte, son‐ dern auch Produkte, die sich beispielsweise vom Vorgängermodell oder von Wettbewerbsalternativen nur anhand einer (innovativen) Eigenschaft oder sogar nur hinsichtlich einer (innovativen) Eigenschaftsausprägung unterscheiden. Diese Fälle stellen die Regel dar, so genannte Basisproduk‐ tinnovationen die Ausnahme „im täglichen Geschäft“. Die nachfolgenden Ausführungen gelten für beide Fälle, wobei bei letzterem die Prozesse und Bewertungen langwieriger, schwieriger und risikoreicher sind. Die Entwicklung eines neuen Produktes, das einen hohen technischen Perfektionsgrad aufweist und die im Rahmen der Positionierung gesetzten Anforderungen erfüllt, beansprucht in aller Regel viel Zeit und Geld. Das „Leben“ eines Produktes beginnt mit der Ideenphase; im günstigen Fall wird 290 5 Produktpolitik <?page no="291"?> diese Idee in ein marktfähiges Produkt umgesetzt, das schließlich in den Markt eingeführt und später eliminiert wird. 5.6.1 Der Prozess der Produktinnovation bis zur Markteinführung 5.6.1.1 Der Innovationsprozess Ein idealtypischer Produktentwicklungsprozess wie in → Darstellung 5.9 beinhaltet verschiedene Phasen, an deren Ende jeweils Entscheidungen hin‐ sichtlich des Projektfortgangs oder der Beendigung zu fällen sind (vgl. Ernst, 2007). Der Produktinnovationsprozess kann somit als eine Folge inein‐ andergreifender Entscheidungs- und Ausführungsphasen gekennzeichnet werden. Teilweise bietet sich innerhalb des Gesamtprozesses die Entwick‐ lung sog. Minimal Viable Products (eingeschränkt verwendungsfähige Produkte) an. Damit kann das Unternehmen schnell Nutzererfahrungen sammeln und diese in die weitere Entwicklung einbringen. Wissen | Ein definierter Produktentwicklungsprozesses mit rele‐ vanten Entscheidungszeitpunkten ist für ein Innovationscontrolling unerlässlich. Nur so kann sichergestellt werden, dass notwendige Entscheidungen nicht hinausgezögert werden, weil Projektbeteiligte mental damit verbunden sind. Von der Gesamtheit der ausformulierten Produktideen werden etwa 10-% bis 15 % bis zur Markteinführung weiterverfolgt. Von diesen wiederum er‐ reichen die meisten nicht die Marktbedeutung, welche es gestatten würde, alle mit der Entwicklung zusammenhängenden Kosten abzugelten. Damit wird deutlich, dass alle Möglichkeiten (→ Darstellung 5.9) ausgeschöpft werden müssen. Nur so kann eine Fülle von „potenziellen“ Möglichkeiten im Sinne von Produkt- oder Dienstleistungsideen mit Marktchancen ent‐ stehen. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 291 <?page no="292"?> Identifikation der potenziellen Möglichkeit Generierung von Ideen Definition des Marktes Entwicklung von Produktstudien und des Marketinggrundkonzept Testphase Markteinführung Lebenszyklusmanagement Repositionierung „Ernte“ go no go no Kundenbedürfnis (Nutzenprofil) Absatzschätzung Segmentierung Selektion Produktpositionierung Marketing-Mix Produkt- und Kommunikationstests Markttests Planung des Produktlaunch Beobachtung des Produktlaunch Produktrentabilitätsanalysen Wettbewerbsbeobachtung Entscheidung in Reifephase go no go no Darstellung 5.9: Ablauf des Produktinnovationsprozesses. 292 5 Produktpolitik <?page no="293"?> ? Delphi-Methode ? Konkurrenzforschung Ideen für neue Produkte  Unternehmen kaufen  Kontakt mit selbstständigen Dritten  Kooperation mit erfolgreichen Erfindern  eigene F&E  andere Abteilungen  betriebliches Vorschlagswesen  Messebesuche  Mitarbeitergespräche  Fachzeitschriften  Patentrecherchen  Verbesserungen in Konkurrenzprodukten  Beobachtung fremder Märkte  unbefriedigte/ nicht befriedigte Bedürfnisse der Nachfrager  Lösungsansätze der Nachfrager  Beschwerden, Garantieforderungen  Positionierungsstudien  allgemeine Beobachtung des Kundenverhaltens ? kreativitätsförderndes Material ? sich Personen bei der Problemlösung vorstellen ? Fokusgruppe ? kreative Gruppendiskussion ? morphologische Methode ? kreativitätsförderndes Material ? Beobachtung der Nachfrager bei der Problemlösung ? Frühindikatoren Ideen nachahmen technologische Entwicklung beobachten Ideen kaufen Ideen selbst entwickeln Ideen aus der Marktforschung Quellen für Ideen ? Methoden zur Steigerung der Produktivität der Quellen Output der Methoden Darstellung 5.10: Quellen von Produktideen | Quelle: Gierl u. Helm, 2007, S.-319. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 293 <?page no="294"?> Damit müssen in den definierten Entscheidungszeitpunkten zwingend entsprechende Entscheidungen in Bezug auf die weitere Verfolgung oder den Abbruch des Projekts gefällt werden. Häufig treten dadurch Rück‐ verweise mit der Anweisung der Erarbeitung modifizierter Pläne auf. Diese Auswahlentscheidung bedarf eines genaueren Entscheidungsver‐ fahrens; häufig werden hier Punktbewertungsverfahren eingesetzt. Bei jeweils positivem Bescheid werden in der Folge immer genauere Pläne erarbeitet bzw. detailliertere Analysen erstellt. Deckungsbeitragsanalysen können in der Regel frühestens ab der tatsächlichen Produktentwicklung durchgeführt werden, da erst zu diesem späten Zeitpunkt das Produkt hinreichend genau definiert ist und die Kosten- und Erlösschätzungen einigermaßen verlässlich sind. Während bis zur zweiten Phase häufig alle als möglich eingestuften Produktideen nebeneinander verfolgt werden, bedarf es danach in Folge zu‐ nehmender Kosten der Entwicklung einer Auswahl der erfolgverspre‐ chendsten Ideen). In dieser Phase wird dann für die verbliebenen Konzepte die Planung, wie sie in Kapitel 3 beschrieben worden ist, durchgeführt. Es folgen gegebenenfalls Testphasen, Markteinführung und Lebenszyklusma‐ nagement (vgl. →-Abschnitt 5.6.2.1). Damit neben den Erkenntnissen aus der Marketingforschung ein gro‐ ßer Pool an unternehmensinternen Ideen vorliegt, tritt die Installation eines Ideen- und Wissensmanagements in vielen Unternehmen in den Vordergrund. Ziel ist es dabei, ergebnisorientiert Ideen und Wissen von Mitarbeitern, das vielfach erst durch Vernetzung mit dem Wissen anderer Mitarbeiter realisiert werden kann, für das Unternehmen nutzbar zu machen (vgl. Helm u. Meiler, 2003). An einem Produktentwicklungsprozess sind sowohl Organisationseinheiten aus dem technischen als auch solche aus dem Marketing und Vertriebsbereich beteiligt. Nach Untersuchungen in den USA fallen in den einzelnen Phasen der Produktentwicklung im Durchschnitt die in → Darstellung 5.11 verdeutlichten Ausgabenanteile an. Dieselbe Darstellung enthält auch die so genannte Sterblichkeitskurve von Produktideen. Es ist davon auszugehen, dass diese Relationen zum aktuellen Zeitpunkt in ähnlicher Weise vorzufin‐ den sind. 294 5 Produktpolitik <?page no="295"?> Verträglichkeitsanalyse Produktstudien Produktentwicklung Tests Vermarktung Zeit (%) Anzahl der Konzepte Anteil der Ausgaben (%) Konzepte 1981 1968 Ausgaben 1981 1968 20 40 60 80 100 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 7 5 4 12 7 3 2 1 58 Darstellung 5.11: Sterblichkeitsrate und Kostenentwicklung bei neuen Produktideen | Quelle: Booz et al., 1982, S. 14. → Darstellung 5.11 verdeutlicht den Zuwachs an Professionalität bei der Produktentwicklung, der sich in einer gezielteren Entwicklung neuer Pro‐ dukte und in einer Vorverlagerung der Ausgaben niederschlägt. Eine erhebliche Bedeutung in den ersten Phasen hat die Analyse der Ver‐ träglichkeit von Produktideen mit den marktlichen und den verschiedenen betrieblichen Gegebenheiten. Ein wesentlicher marktbezogener Aspekt ist hierbei die Planung des Innovationsumfangs, d. h. des Ausmaßes an Neuheit gegenüber evtl. bisher verfügbaren Alternativen. Geht man davon aus, dass beim selben Nutzenbündel verschiedene Innovationsumfänge reali‐ sierbar sind, so stellt sich im Planungsstadium die Frage, welche(r) realisiert - ggf. in einem ersten Schritt - werden sollte(n). Beide Extreme bergen potenzielle Chancen und Risiken (→ Darstellung 5.12), die vom Unternehmen umso besser gesteuert werden können, je besser die Kenntnisse hinsichtlich deren determinierender Variablen - Nachfragereigenschaften und Konkur‐ renzaspekte - sind: eine generelle Vorteilhaftigkeit von geringen oder hohen Innovationsumfängen gibt es nicht (vgl. Helm, 2001a, S.-163f.). 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 295 <?page no="296"?> ◾ anfängliche Monopolstellung ◾ hohe Markterschließungskosten ◾ Verpassen von Entwicklungstrends ◾ technologischer Folger ◾ geringe Marktbearbeitungskosten ◾ positive Imageeffekte als technologischer Pionier - Kundenbindung ◾ Erfahrungskurveneffekte ◾ Imagerisiken bei Kinderkrankheiten und Kompatibilitätsmängeln Effekte hinsichtlich der zeitlichen Perspektive kurzfristig langfristig Innovationsumfang hoch gering ◾ Vermarktung baut auf gegebenem Wissensstand der Nachfrager auf - etablierter Markt ◾ Bearbeitung von Nischen ◾ kurze Marktperiode bei hoher Marktdynamik ◾ geringe Markterschließungskosten Darstellung 5.12: Effekte verschiedener Innovationsumfänge neuer Produkte. Bei der Analyse der Verträglichkeit mit den betrieblichen Gegebenheiten geht es um Fragen der Produktions- und der finanziellen Kapazität oder um Möglichkeiten der Beschaffung der jeweils notwendigen Vorprodukte. In dieser Phase soll im Wesentlichen über „möglich/ nicht möglich“ entschieden werden. Erst wenn im Screening eine positive Entscheidung gefallen ist, werden aufwändigere Analysen durchgeführt, deren Resultate dann Gegen‐ stand der Selektionsentscheidung sind. 5.6.1.2 Quality Function Deployment Beim Total-Quality-Management wird es bei der Qualitätsplanung neuer Produkte für notwendig erachtet, im Sinne eines Market-in Approach die Wünsche der Nachfrager an die Qualität der Produkte bei der Planung zu berücksichtigen. Den zentralen Ansatz der kundenorientierten Qualitäts‐ planung stellt das Quality Function Deployment (QFD) dar. Im Rahmen eines Quality Function Deployment sollte somit die „Stimme des Kunden“ möglichst ohne Verlust oder Verfälschung (im Sinne einer Stille-Post-Proble‐ matik) in die „Stimme des Ingenieurs“ (Herrmann u. Huber, 2013, S. 197) um‐ gewandelt werden. Durch eine systematische Vorgehensweise werden die Anforderungen der Kunden ermittelt und bewertet, die Wettbewerber 296 5 Produktpolitik <?page no="297"?> analysiert und letztlich die Produkte entsprechend den Kundenanforderun‐ gen geplant. wie? wie viel? wer ist innovativer? Wer ist besser? was? Wechselwirkungen + pos. neg. Kunden- Wettbewerbsvergleich Produktmerkmale Kundenanforderungen Schwierigkeitsgrad Beziehungsmatrix stark (9) mittel (3) schwach (1) Produktspezifikation Testvorgaben technischer Wettbewerbsvergleich Kritizität absolut relativ primär sekundär tertiär GEWICHTUNG SERVICE-SCHWACHPUNKTE VERKAUFSSCHWERPUNKTE QFD I Produktmerkmale Komponenten- QFD II max. min. Ziel Darstellung 5.13: Schematische Darstellung des House of Quality. Die Umsetzung des Quality Function Deployment erfolgt in einem QFD-Team. Als zentrales Element der Strukturierung der in den Planungs‐ prozess eingehenden Informationen und der Visualisierung der Ergebnisse dienen Matrizen und Tabellen, vor allem standardisierte Qualitätstabellen, häufig auch in Form eines House of Quality (HoQ). Das House of Quality kann für die Produktplanung schematisch gemäß → Darstellung 5.13 dargestellt werden. Qualitätstabellen bestehen prinzipiell aus zwei Baumstrukturen und einer Matrix. Die beiden Baumstrukturen dienen einer hierarchischen Ordnung der Forderungen (was? ) sowie der möglichen Umsetzungen der Forderun‐ gen (wie? ). In der Matrix werden letztlich die Abhängigkeiten zwischen den Forderungen und deren Umsetzungsalternativen dargestellt. Die Unterseite der Matrix dient der Quantifizierung der zur Erfüllung der Forderungen benötigten Umsetzungsalternativen (wie viel? ). 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 297 <?page no="298"?> Aspekte der Kundenorientierung im Qualitätsmanagement werden lediglich in der ersten Phase des Quality-Function-Deployment-Prozesses betrachtet. Es ist jedoch bereits an dieser Stelle offensichtlich, dass auf Basis der Produktplanung, genauer noch aus dem Input „Kundenforderungen“, durch die hierarchische Abhängigkeit der einzelnen Phasen alle anderen Phasen bis hin zur Fertigungsplanung resultieren. Im Quality Function Deployment, wie in allen Ansätzen des Total-Qua‐ lity-Management steht die objektive Qualität im Zentrum der Überle‐ gungen. Eine solche Vorgehensweise impliziert jedoch, dass die Kunden die Qualität auch entsprechend objektiv wahrnehmen. Das würde bedeu‐ ten, dass Nachfrager lediglich physikalisch-chemisch-technische Produkt‐ merkmale in ihrem Urteil berücksichtigen. In diesem Kapitel wurde bereits ausführlich diskutiert, dass vor allem die immateriellen Produktmerk‐ male wie Image oder Marke Einfluss auf die Beurteilung von Produkten nehmen. Das Quality Function Deployment ist ein sinnvolles Konzept, das eine Kooperation von Mitarbeitern verschiedener an der Produkt(-qualitäts)-Pla‐ nung beteiligter Bereiche im Unternehmen gewährleistet. Unter Berück‐ sichtigung individuell verschiedener Eigenheiten in der Wahrnehmung der Qualitätsmerkmale durch die Nachfrager und des Images des Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz kann das Konzept zu einer effektiven Planung neuer Produkte verwendet werden. 5.6.1.3 Bewertung von Innovationen Die in den einzelnen Entscheidungsphasen der Entwicklungsperiode an‐ gewandten Entscheidungstechniken zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit Fortschreiten der Zeit immer exakter werden und immer mehr Dateninput verlangen. Einige typische Entscheidungstechniken werden nachfolgend behandelt. Ferner werden Bewertungsverfahren für die Markt‐ periode skizziert. Bewertung von Innovationen in der Frühphase der Entwicklung Prüf- oder Checklisten stellen die einfachsten Entscheidungstechniken im Rahmen der Innovationsbewertung dar (→ Darstellung 5.14). Mit ihrer Hilfe kann sinnvollerweise nur eine Entscheidung für oder gegen die An‐ nahme bzw. Weiterverfolgung bestimmter Produktideen getroffen, nicht 298 5 Produktpolitik <?page no="299"?> aber eine differenzierte Abstufung einzelner Alternativen vorgenommen werden. Wissen | In frühen Phasen der Entwicklung wird nur ermittelt, ob eine Innovation mit den Unternehmenszielen und den als unverän‐ derlich zu betrachtenden Unternehmensgegebenheiten kompatibel ist oder nicht. Mittels Prüflisten versucht man, die prinzipielle Erfolgstauglichkeit von Produktideen zu ermitteln. Zu diesem Zweck wird eine Liste aller für den Erfolg eines Produktes relevanten Faktoren zusammengestellt, an‐ schließend werden die zur Beurteilung anstehenden Produkte hinsichtlich der einzelnen Faktoren einer getrennten Bewertung unterzogen. Die ein‐ zelnen Faktoren sind so zu wählen, dass sie unmittelbar einer Bewertung zugänglich sind, was beispielsweise bei einem Faktor Marktpotenzial nicht gegeben wäre. Da bei Prüflisten keine Verrechnung von Bewertungser‐ gebnissen einzelner Faktoren möglich ist, ist ein Gesamturteil im Grunde genommen bereits dann nicht mehr eindeutig möglich, wenn auch nur hinsichtlich eines einzigen Faktors ein Bewertungsergebnis vorliegt, das wesentlich von den Ergebnissen der Bewertung hinsichtlich der anderen Faktoren abweicht. Faktoren zur Beurteilung der Marktfähigkeit Faktoren zur Beurteilung der Produktionsfähigkeit • Innovationsumfang • Zahl der möglichen Abnehmergrup‐ pen • Möglichkeit der „Vermarktung“ (Ko‐ operationsbereitschaft des Handels) • Stabilität des Absatzes (Modeabhän‐ gigkeit, Reaktionsmöglichkeiten der Konkurrenz) • Produktionsmöglichkeiten hinsicht‐ lich des Personals • Möglichkeiten der Rohstoff- und Vorproduktbeschaffung • Produktionsmöglichkeiten hinsicht‐ lich maschineller Ausstattung Darstellung 5.14: Einfache Prüfliste zur Beurteilung eines Konsumguts. Um diese Entscheidungsproblematik partiell aufzulösen, unterteilt man häufig die einzelnen Faktoren in drei Gruppen: Muss-, Soll- und Wunsch‐ faktoren. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 299 <?page no="300"?> Mussfaktoren sind dabei solche Faktoren, hinsichtlich derer ein Beur‐ teilungsobjekt eine bestimmte Mindestausprägung erreichen muss, damit es als mit den Unternehmenszielen und unveränderlichen Unternehmensge‐ gebenheiten vereinbar eingestuft werden kann. Entsprechende Definitionen gelten für die Soll- und Wunschfaktoren. Bewertung von Innovationen in den mittleren Phasen der Entwicklung Eine strukturelle Unzulänglichkeit der Prüflisten ist darin zu sehen, dass bei diesem Bewertungsverfahren die Ergebnisse der Einzelbeurteilungen nicht zu einer gesamtheitlichen Beurteilung zusammengeführt werden können. Damit kommen Punktbewertungsverfahren zum Einsatz. Im Marke‐ ting können Punktbewertungsverfahren eingesetzt werden, um Produkt‐ konzepte in mittleren Entwicklungsphasen oder auch alternative Distribu‐ tionssysteme zu bewerten. In allen genannten Entscheidungssituationen erscheint es wenig sinnvoll, Gewinn- oder Deckungsbeitragskalküle anzu‐ wenden, da keine hinreichend genauen bzw. verlässlichen Gewinnschätzun‐ gen möglich sind. Kennzeichen von Punktbewertungsverfahren sind folgende: • Die Beurteilung der einzelnen Objekte geschieht anhand von Faktoren, deren Ausprägungen für die einzelnen Objekte hinreichend verlässlich festgestellt werden können (beurteilungsnahe Faktoren). • Die Faktoren, die der Einzelbeurteilung zugrunde gelegt werden, er‐ fassen die Gesamtheit der auf den Erfolg des Objekts einwirkenden relevanten Einflussgrößen (Vollständigkeit der Faktoren). • Alle Produkte werden für alle Faktoren mittels einer einheitlichen Skala beurteilt. • Die Beurteilung der Objekte auf den einzelnen Beurteilungsskalen wird mittels Wahrscheinlichkeitsangaben vorgenommen. Es sind also vom Beurteiler Urteile folgender Art abzugeben: Bezüglich Faktor X weist Objekt Y die Ausprägung „gut“ mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5 auf. All diese Kennzeichen betreffen die Beurteilung hinsichtlich einzelner Faktoren. Die Urteile hinsichtlich aller Einzelfaktoren sind in geeigneter Weise zu aggregieren. Insbesondere durch eine adäquate Zuweisung von Nutzenwerten zu den Stufen der Skala ist es möglich, auch der Risikobereit‐ 300 5 Produktpolitik <?page no="301"?> schaft des Managements Rechnung zu tragen. Ist ein Entscheidungsträger beispielsweise als risikoscheu einzustufen, so wird die Differenz der Nutzen‐ werte zweier benachbarter Stufen der Skala im Bereich unterdurchschnitt‐ licher Beurteilungen größer gewählt als im Bereich überdurchschnittlicher Beurteilungen. Wissen | Eine sinnvolle Anwendung von Punktbewertungsverfah‐ ren ist immer dann gegeben, wenn ein Vergleich zwischen verschie‐ denen Alternativen möglich ist. Weiterhin sollten beim mehrfachen Vergleich Sensitivitätsanalysen - mittels der Variation der Gewichte und Bewertungen - durchgeführt werden, um die Robustheit der ermittelten Reihenfolge festzustellen. Eine singuläre Bewertung einer Alternative ist wenig aussagekräftig. Ist die Reihenfolge nicht stabil, sollte aufgrund des Punktbewertungsverfahrens keine Entscheidung gefällt werden. Wissen | Eine externe Sichtweise in den Bewertungsprozess kann eingebracht werden, wenn potenzielle Kunden einzeln oder in Grup‐ pen bezüglich der Konzepte befragt werden. Bewertung von Produktinnovationen in der Spätphase der Entwicklung Bewertungen mittels Punktbewertungsverfahren werden in der Regel ange‐ wandt, um vergleichende Beurteilungen mehrerer Objekte vorzunehmen ohne diese unmittelbar mit der Bewertungsgröße Gewinn in Beziehung zu setzen. Geht man von Gewinnmaximierung als Gesamtunternehmensziel aus, so sind auch einzelne Produkte danach zu beurteilen. Ein vergleichsweise einfaches Bewertungsverfahren, das den Gewinnbeitrag der Beurteilungs‐ objekte zum Gegenstand hat, ist die Break-even-Analyse. Die Break-even-Analyse baut auf folgender bereits bekannter Formel zur Berechnung des Produktdeckungsbeitrages D s auf, wobei unterstellt wird, dass die variablen Kosten streng mengenproportional sind. Der Deckungsbeitrag als Maßgröße zur Beurteilung der Erfolgsträchtig‐ keit eines neuen Produktes ist im Produktentwicklungsprozesses erst dann angebracht, wenn die einzelnen Größen hinreichend genau abgeschätzt 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 301 <?page no="302"?> 0 500.000 1.000.000 1.500.000 2.000.000 2.500.000 0 200.000 400.000 600.000 800.000 Absatzmenge Umsatz und Kosten Break-even- Menge Fixkosten Erlöse Gesamtkosten Break-even-Punkt Break-even-Punkt: Punkt, bei dem weder Gewinn noch Verlust entsteht, rechts davon erwirtschaftet das Unternehmen einen Gewinn, links davon einen Verlust. Gewinn Verlust Darstellung 5.15: Break-even-Analyse. werden können. Im Regelfall können diese Forderungen allerdings erst gegen Ende des Produktentwicklungsprozesses erfüllt werden. Wissen | Ziel der Break-even-Analyse ist es, diejenigen Ausprägun‐ gen der interessierenden Größe zu ermitteln, bei der der Produktde‐ ckungsbeitrag gleich Null ist. An diesem Punkt wird die Gewinnschwelle erreicht, es erfolgt der Übergang von der Verlustzone in die Gewinnzone. Meistens interessiert die Break-even-Absatzmenge, d. h. derjenigen Absatzmenge, bei der kein Produktdeckungsbeitrag erzielt wird. In vielen Fällen wird der Break-even-Punkt auch in Zeiteinheiten gemessen. → Darstellung 5.15 zeigt graphisch die diskutierten Zusammenhänge auf. Sind die Break-even-Werte ermittelt, so ist das betrachtete Produkt positiv zu beurteilen, wenn die erwarteten Größen über den jeweiligen Break-even-Größen liegen. Die Break-even-Analyse ist ein einfach zu handhabendes Bewertungsver‐ fahren, das allerdings einige Probleme aufweist, wenn es zur Beurteilung der Erfolgsträchtigkeit von Produkten vor deren Markteinführung verwen‐ det wird: 302 5 Produktpolitik <?page no="303"?> • Sowohl die variablen als auch die fixen Kosten sind immer dann fragwürdig, wenn Gemeinkosten vorliegen, da jede Zurechnung von Gemeinkosten zu einzelnen Produkten willkürlich ist. • Wenn nur ein Vergleich der Form y s < oder > y sBE vorgenommen wird, wird keine Aussage über den einem Produkt zuzurechnenden Gesamtgewinn gemacht. Beim Vergleich der Erfolgsträchtigkeit von Produkten aufgrund deren Break-even-Zeiten werden beispielsweise Pro‐ dukte mit längerer Einführungszeit, aber insgesamt höheren Gewinnen fälschlicherweise schlechter eingestuft als die anderen Produkte. Dies kann beispielsweise bei einem hohen Innovationsumfang der Fall sein. • Nicht berücksichtigt wird die unterschiedliche zeitliche Verteilung der Kosten und Erlöse; realistischerweise fallen jedoch in der Zeit der Markteinführung die Kosten vor den Erlösen an. • Gravierend können insbesondere die Auswirkungen der folgenden logischen Inkonsequenz sein: Die fixen Kosten sind zwar nicht aus‐ bringungsmengenabhängig, aber dennoch nicht fest; meist sind sie zeitvariabel. Geht man von einem konstanten bzw. vorgegebenen Absatzvolumen je Zeiteinheit aus, so sind die Fixkosten eines Produktes von der Break-even-Menge dieses Produktes abhängig. Trotz der genannten Probleme ist die Break-even-Analyse als Verfahren für eine erste Abschätzung der Erfolgsträchtigkeit einzelner Produkte geeignet. Will man die drei zuletzt genannten Kritikpunkte umgehen, so sind die genaueren, aber auch datenintensiveren finanzmathematischen Me‐ thoden zur Bewertung heranzuziehen. Diese Verfahren wurden in der Investitionsrechnung entwickelt und sind ohne wesentliche Modifikation auch bei der Bewertung von Produkten einsetzbar. Wissen | Die Barwertmethode oder auch Kapitalwertmethode ge‐ nannt berücksichtigt einerseits die zeitliche Verteilung von produktbe‐ zogenen Ein- und Auszahlungen und andererseits die mit dem Produkt verbundenen und im Planungsprozess ermittelten Unsicherheiten, die einen Einfluss auf Zahlungsströme haben. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 303 <?page no="304"?> Der Barwert ist nichts anderes als der auf den Entscheidungszeitpunkt (t = 0) bezogene, risikoadäquat abgezinste gesamte Produktdeckungsbei‐ trag. Der risikoäquivalente Zinsfuß ist umso größer, je größer die in der Marketingplanung ermittelten vermuteten Schwankungen (Unsicher‐ heiten) von relevanten Einflussgrößen auf z. B. den Umsatz oder die Gestehungskosten des Produkts sind. Die Unsicherheiten in der Marketing‐ planung wirken auf entscheidungsrelevante Ein- und Auszahlungen im vollständigen Finanzplan des Produkts. Die Bestimmung des Zinsfußes ist alles andere als trivial - durch diesen wird determiniert, wann eine Investition lohnend ist (vgl. Götze, 2010). Da bis zur Markteinführung des Produktes praktisch keine Erlöse, wohl aber Kosten anfallen, ergibt sich die scheinbar widersinnige Erkenntnis: Auch bei konstanten Umweltverhältnissen sind Produkte in der Entwick‐ lungsphase mit fortschreitender Zeit im Sinne der Deckungsbeitragsrech‐ nung immer positiver zu beurteilen. Seine Ursache hat dieses Paradoxon darin, dass mit fortschreitender Zeit ein immer kleinerer Teil der Gesamt‐ kosten als relevant einzustufen ist. 5.6.2 Produkte nach der Markteinführung 5.6.2.1 Produktlebenszyklus Mit Marktperiode eines Produktes bezeichnet man jenen Zeitraum, während dem das betreffende Produkt am Markt angeboten wird. Die Marktperiode beginnt mit der Markteinführung des Produktes und endet definitionsgemäß mit der Produktelimination. Idealtypisch nehmen wichtige Kennzahlen der Marktentwicklung eines Produktes den in → Darstellung 5.16 skizzierten Verlauf: Diese Darstellung enthält eine Abbildung des Absatzes und des Deckungs‐ beitrages eines idealisierten erfolgreichen Produkts im Zeitablauf. Auch die Entwicklung des Deckungsbeitrages vor der Markteinführung ist aufgezeigt. 304 5 Produktpolitik <?page no="305"?> Marktperiode Entstehung der Produktidee Zeit seit Markteinführung Entwicklungsperiode Absatz, Produktdeckungsbeitrag Markteinführung Produktdeckungsbeitragskurve Absatzkurve Darstellung 5.16: Zeit-Umsatz- und Zeit-Deckungsbeitragskurve eines Produktes. Die Kurve der Absatzentwicklung - bisweilen auch der Umsatz- oder De‐ ckungsbeitragsentwicklung - wird zumeist als Produktlebenskurve oder Produktlebenszyklus bezeichnet (vgl. → Kapitel 4). Die Produktlebens‐ kurve zeigt die in den einzelnen Perioden idealtypischerweise zutreffenden Absatzwerte an. Aus den Absatzzahlen lassen sich die Umsatzzahlen und Deckungsbeitragswerte ableiten. Wenn dabei von Deckungsbeiträgen die Rede ist, sind periodenbezogene Produktdeckungsbeiträge gemeint, nicht jedoch Stückdeckungsbeiträge. Mangels Erlösen sind die Deckungsbeiträge vor der Markteinführung nega‐ tiv, sie weisen dabei vor allem gegen Ende der Entwicklungsperiode einen progressiv fallenden Verlauf auf (vgl. → Abschnitt 5.6.1.1). Auch in der ers‐ ten Zeit nach der Markteinführung werden die Deckungsbeiträge zumeist negativ sein, da in dieser Zeit zwar regelmäßig positive Stückdeckungs‐ beiträge, wegen des erheblichen, mit der Markteinführung verbundenen Aufwandes aber keine positiven Produktdeckungsbeiträge erzielt werden. Die Produktelimination erfolgt zumeist zu einer Zeit, in der der Produkt‐ deckungsbeitrag noch positiv, aber nicht mehr hoch genug ist, um einen angemessenen Unternehmensgewinn zu gewährleisten. Die Marktperiode 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 305 <?page no="306"?> eines Produktes ist unterteilt in vier Phasen, die in → Darstellung 5.17 skizziert sind. Die Produktlebenskurve bildet dabei die Absatzentwicklung sowohl der Erstkäufer als auch der Wiederholungskäufer im Zeitablauf ab. - Einführungs‐ phase Wachstums‐ phase Reifephase Degenerati‐ onsphase Konkurrenten wenige zunehmend mehr viele zunehmend weniger Nachdruck auf Bekanntheit Markenpräfe‐ renz Markentreue Markentreue wichtige Mar‐ ketingmaß‐ nahmen Einführungs‐ werbung; Auf‐ bau eines Dis‐ tributionssystems für das Produkt Massenwer‐ bung, um Pro‐ dukt Durch‐ bruch zu verschaffen und um Präfe‐ renzen gegen‐ über ersten Konkurrenten zu erhalten Produktvaria‐ tion, um sich von Konkur‐ renzproduk‐ ten abzuhe‐ ben; aktive Preispolitik wenig marke‐ tingpolitische Anstrengun‐ gen (wenn nicht „Wie‐ derbelebung“) Erfolgsfakto‐ ren Marketingfor‐ schung Marktanteils- und Qualitäts‐ sicherung Kundenbin‐ dung, Service, Sortiment geeignete Marktaust‐ rittsstrategien Darstellung 5.17: Kennzeichnung der einzelnen Phasen des Produktlebenszyklus in einem bestimmten Produktmarkt. Die in → Darstellung 5.17 wiedergegebenen Maßnahmen und Erfolgsfak‐ toren sind unmittelbar einsichtig. Es stellt sich aber die Frage, wie die konkreten kommunikationspolitischen Maßnahmen auszusehen haben, welche Distributionsstellen benötigt werden, welche Produktvarianten, Dienstleistungen und Preissysteme angeboten werden können, um sich von der ebenfalls aktiven Konkurrenz zu differenzieren. Auch die Siche‐ rung (nicht Steigerung! ) des Marktanteils birgt bei wachsenden Märkten erhebliches Risikopotenzial, da dies Investitionen in den Marketing-Mix sowie in die Produktion etc. mit sich bringt. Die „Qualität“ aller Nutzen‐ komponenten des Produkts unter diesen Umständen zu halten, ist vielfach nicht einfach. 306 5 Produktpolitik <?page no="307"?> Wissen | Das Produktlebenszykluskonzept gibt für tendenziell erfolgreiche Produkte gezielte Hinweise, was generell zu tun ist. Die Schwierigkeit besteht darin, im konkreten Fall das „wie“ erfolgreich zu gestalten und - auch in finanzieller Hinsicht - umzusetzen, um diesen Verlauf tatsächlich zu realisieren. Die in → Darstellung 5.16 wiedergegebene Kurve stellt den idealtypischen Verlauf der Produktlebenskurve dar. Dieser Verlauf gilt nur für erfolgreiche neue Produkte; viele neue Produkte überleben aber nicht die ersten Jahre der Marktperiode. Als wesentliche Gründe für die hohe Misserfolgsrate nach Markteinführung („Flops“) werden vor allem genannt: • mangelhafte Produktqualität, • Probleme mit dem Handel, • falscher Einführungszeitpunkt, • halbherzige interne Umsetzung und die • Unfähigkeit, das Spezifische des Produktes nahe zu bringen. Nach einer Untersuchung der Lebensmittelzeitung (Nr. 35, 2005) betrug der Anteil der 2004 nicht mehr regelmäßig georderten Produkte im Lebensmit‐ teleinzelhandel an allen 2003 neu in den Markt eingeführten Produkten im Durchschnitt etwa 73 %. Aktuell liegt die durchschnittliche Misserfolgsquote von neu eingeführten Produkten bei ca. 90 % (t3n, 2021). Als wesentliche Ursache des Misserfolgs wurde dabei die mangelhafte Neuartigkeit des Produkts diagnostiziert. In der Empirie treten zumeist Modifikationen der Grundform der Pro‐ duktlebenskurve auf, wobei die Zweihöckerkurve die am häufigsten auftre‐ tende Sonderform ist. Die Zweihöckerkurve kann dadurch entstehen, dass in der Phase der Degeneration eine Variation des Produktes erfolgt. Bei einem solchen Relaunch nimmt die Lebenskurve des variierten Produktes ihren Ausgang beim Absatzvolumen des ursprünglichen Produkts zum Zeitpunkt des Relaunchs. Die Produktlebenskurve basiert auf diffusionstheoretischen Vorstel‐ lungen (vgl. Gierl, 1995, S. 437ff.); vereinfacht könnte man diese etwa wie folgt skizzieren: Nach der Einführung eines Produkts in den Markt ergibt sich gewissermaßen naturgesetzlich eine bestimmte Entwicklung der Absatzwerte. Die Richtigkeit dieser Annahme ist allerdings in zweierlei Hinsicht anzuzweifeln: 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 307 <?page no="308"?> • Die Entwicklung der Absatzwerte im Zeitablauf ist nicht „automatisch“ gegeben, sondern vielmehr Ergebnis der für die einzelnen Phasen typischen marketingpolitischen Anstrengungen. • Es ist von entscheidender Bedeutung, was zum Gegenstand der Be‐ trachtungen nach Art der Produktlebenskurve gemacht wird: Produkt‐ bereiche (z. B. Brot, Fernsehgeräte), einzelne Produkte (z. B. Toastbrot, Flachbildschirme) oder gar einzelne Marken (z. B. GoldenToast, Sony Bravia). Einzelne Marken und meist auch einzelne Produkte unterliegen fast stets einem der Lebenskurve ähnlichen Absatzverlauf, kaum aber ganze Produktbereiche. Wenngleich damit die Tauglichkeit des Produktlebenszykluskonzepts zur Prognose von Absatzwerten nur sehr eingeschränkt gegeben ist, so kön‐ nen doch mit einiger Sicherheit zumindest folgende Aussagen gemacht werden: • Je modischer Produkte oder Marken gestaltet werden, desto kürzer ist ihre Marktperiode. • Je neuartiger ein Produkt ist, desto länger dauert die Einführungsphase. • Insgesamt kann eine Verkürzung der Lebenszyklen festgestellt wer‐ den. 5.6.2.2 Bewertung von Produkten in der Marktperiode In der Zeit nach der Einführung eines Produktes in den Markt sind dieselben Investitionskalküle angebracht, die auch kurz vor Einführung in den Markt häufig angestellt werden. Konsequenterweise dürfen hier ebenfalls nur relevante Kosten und Erträge berücksichtigt werden. Dies hat zur Folge, dass gegen Ende der Marktperiode regelmäßig auch solche Produkte noch als ökonomisch sinnvoll zu betrachten sind, die nur einen vergleichs‐ weise minimalen Stückdeckungsbeitrag erbringen. Diese minimalen Stück‐ deckungsbeiträge reichen allerdings in der Regel aus, um die sehr geringen fixen Kosten (für Werbung etc.) abzudecken und dennoch einen positiven Produktdeckungsbeitrag auszuweisen. Neben die aufwändigen investitionsrechnerischen Kalküle treten in der Marktperiode auch einfachere Beurteilungsverfahren, insbesondere die sehr einfach zu handhabende ABC-Analyse und einperiodig ausgerichtete De‐ ckungsbeitragsanalysen. 308 5 Produktpolitik <?page no="309"?> Wissen | Die Grundidee der ABC-Analyse besteht darin, die Ge‐ samtheit der von einem Unternehmen vertriebenen Produkte (oder auch bedienten Kunden) nach ihrem Umsatz- oder Gewinnanteil zu ordnen und graphisch zu verdeutlichen. A-Produkte zeichnen sich durch einen relativ hohen Anteil am Gesamt‐ umsatz aus, B-Produkte mit einem mittleren, und C-Produkte mit einem niedrigen Umsatzanteil. → Darstellung 5.18 ist zu entnehmen, dass im vorliegenden Fall mit 20 % der Produkte 50 % des Umsatzes und mit 50 % der Produkte ca. 85 % des Umsatzes erzielt werden. Die Graphik verdeutlicht den Konzentrationsgrad des Umsatzes, wobei stärkere Krümmungen stärkere Konzentrationsgrade anzeigen, und damit die Abhängigkeit von mehr oder weniger vielen Produkten. ABC-Analysen sind - was meist vergessen wird - natürlich nur dann entscheidungsrelevant, wenn gewisse Vergleichsanalysen vorliegen. Für den Handelsbereich wird dabei häufig die 80: 20-Regel als Norm angegeben, d. h. mit 20 % der Produkte werden 80 % der Umsätze getätigt. 0 0 20 50 100 10 20 30 40 50 70 60 80 90 100 Umsatz (in %) Anzahl der Produkte (in %) Konzentrationskurve (kumuliert) A B C Darstellung 5.18: Graphische ABC-Analyse. Die unmittelbar nahe liegende Konsequenz, C-Produkte aus dem Vertriebs‐ programm zu nehmen, ist allerdings nur bedingt richtig, da diese Produkte häufig zur Sortimentsabrundung unerlässlich sind. Bei Elimination der C-Produkte aus dem Sortiment würden nicht nur die Umsätze dieser Pro‐ 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 309 <?page no="310"?> dukte entfallen, sondern auch Teile der Umsätze der A- und B-Produkte. Weiterhin ist die Produktlebenszyklusphase der betrachteten Produkte zu beachten: Besteht noch offenes Potenzial? Ähnliche Analysen können in Bezug auf die Deckungsbeiträge oder auch in Bezug auf Kunden(-gruppen) durchgeführt werden. Eine weitere wichtige Bewertungsform für eingeführte Produkte stellt die Deckungsbeitragsrechnung dar, in deren Rahmen - wie in → Kapi‐ tel 3 skizziert - zunächst die Stückdeckungsbeiträge bzw. die kumulierten Stückdeckungsbeiträge und anschließend die Produktdeckungsbeiträge ermittelt werden. Am Ende einer solchen Deckungsbeitragsanalyse taucht regelmäßig die Frage auf, ob die so errechneten Produktdeckungsbeiträge angemessen oder ausreichend sind, d.-h. es gilt, die einzelnen Produkt‐ deckungsbeiträge im Hinblick auf den nicht zugerechneten Fixkostenblock zu bewerten. Um die Frage nach der Angemessenheit eines spezifischen Produktdeckungsbeitrags zu beantworten, stehen zwei Möglichkeiten offen. • Es werden produktbezogene Deckungsbedarfsbeträge ermittelt. Diese dürfen nicht im Wege einer Proportionalisierung der Fixkosten gewonnen werden, da so durch die Hintertür alle Probleme der Voll‐ kostenrechnung wieder belebt würden; als Leitlinien der Deckungsbe‐ darfszumessung können nur das Tragfähigkeitsprinzip oder das Fixkos‐ tenentstehungsprinzip (vgl. Götze, 2010) herangezogen werden. • Es werden je Produkt spezifische Deckungsbeitragswerte ermit‐ telt. Spezifische Deckungsbeiträge sind Quotienten mit dem Produktde‐ ckungsbeitrag im Zähler und wichtigen Inputgrößen im Nenner. Eine Rechnung mit spezifischen Deckungsbeiträgen ist vor allem für Han‐ delsbetriebe sehr nutzbringend. Als wichtige Faktoren zur Erzielung der Handelsleistung und damit auch als „Kausalfaktoren“ für die Produkt‐ deckungsbeiträge kommen etwa die Raumfläche, der Personaleinsatz oder der Lagerbestand infrage. Dementsprechend ergeben sich folgende spezifische Kennwerte je Produkt bzw. Produktgruppe: - „Produktdeckungsbeitrag-/ Raumbedarf (in m 2 )“, - „Produktdeckungsbeitrag-/ Personalbedarf (in %)“ und - „Produktdeckungsbeitrag-/ Lagerbestand (in €)“. Die solchermaßen ermittelten spezifischen Deckungsbeiträge sind meist informativer als die absoluten Produktdeckungsbeiträge. 310 5 Produktpolitik <?page no="311"?> 5.6.3 Produktpolitische Optionen im Verlauf der Marktphase 5.6.3.1 Handlungsspielraum der Produktpolitik Der Handlungsspielraum der Produktpolitik während der Marktphase eines Produkts beinhaltet folgende Klassen von Aktionen: • Veränderung bestehender Produkte (Produktmodifikation). • Schaffung neuer Produkte (Produktinnovation). • Entfernung bestehender Produkte aus dem Markt (Produktelimination). Sowohl die Innovation als auch die Modifikation von Produkten kann sich dabei jeweils auf einen oder auf mehrere produktpolitische Gestaltungsbereiche im engeren Sinne (vgl. → Darstellung 5.7) beziehen. Folgt man der subjektiv orientierten Definition von Produkten, so sind veränderte Produkte solche Produkte, die sich gegenüber ihren Vorgängern durch eine Veränderung des Nutzenbündels auszeichnen, und neue Produkte solche, die hinsichtlich der Nutzenerwartungen anders als bisherige Produkte eingestuft werden. Die Definition von neuen Produkten macht bereits klar, dass zwischen neuen Produkten und veränderten Produkten kaum ein klarer Trennungs‐ strich gezogen werden kann (vgl. Herrmann u. Huber, 2013, S. 369). Ohne Zweifel wurde der erste „Motorwagen“ (Benz 1886) als neues Produkt wahr‐ genommen; ob der Übergang von dem Personenwagentyp VW Golf MK7 zu dem Personenwagentyp VW Golf MK8 als Produktinnovation oder als Produktmodifikation wahrgenommen wird, ist nicht ohne Weiteres und nicht interindividuell gleich zu beantworten. Betrachtet man den Personenwagen‐ typ VW Golf MK8 als neues Produkt, so ist mit der Schaffung des neuen Produktes in diesem Fall zugleich eine Produktelimination verbunden. Die Produktelimination muss ebenfalls in die produktpolitischen Optio‐ nen einbezogen werden, da ansonsten nur Wachstumsstrategien betrachtet werden, was einer vollständigen Alternativenbetrachtung nicht entsprechen kann (vgl. Hermann u. Huber, 2013). Hier ist die Möglichkeit einer geplanten und einer ungeplanten Eliminierung des Produkts zu unterscheiden. Die geplante Eliminierung aus dem Absatzprogramm stellt dabei die aktive Heraus‐ nahme des Produkts im Sinne einer Einstellung der Verkaufsbemühungen dar, während die ungeplante Eliminierung aus dem Unterlassen von Anpassungen des Produkts an gewandelte Bedürfnisse entsteht, d.-h. man lässt das Produkt im Sinne einer Planned Obsolescence passiv „auslaufen“. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 311 <?page no="312"?> 5.6.3.2 Produkt-Markt-Strategien Bei den bisher aufgezeigten Überlegungen zu möglichen produktpolitischen Aktionsbereichen - Produktstrategien - darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese auch in Verbindung mit so genannten Marktstrate‐ gien gesehen werden können. Der dabei zugrunde liegende Gedanke der so genannten Produkt-Markt-Matrix wurde erstmals von Ansoff (1966, S. 132ff.) vorgestellt. Bezieht man schließlich das Angebot des un‐ veränderten Produkts mit ein, so ergeben sich sieben grundsätzliche Möglichkeiten innerhalb der Produktpolitik (vgl. Helm, 2001a, S. 42ff.). Eine entsprechende Systematisierung auf Basis der in → Abschnitt 5.2.1 vorgenommenen Definition von Produkt als subjektiv wahrgenommenes Nutzenbündel findet sich in → Darstellung 5.19. Produktstrategie Marktstrategie bisheriger Markt neuer Markt gleicher Nutzen anderer Nutzen neuer Nutzen Intensivierung des Marketings Erweiterung der Vertriebsreichweite Eliminierung geplant/ ungeplant Produktvariation Diversifikation im engeren Sinne echte Diversifikation Produktdifferenzierung Produktmodifikation Produktinnovation Produktbeibehaltung Darstellung 5.19: Nutzenorientierte Produkt-Markt-Strategien. Bei der Intensivierung des Marketings, bei der das unveränderte Nutzen‐ bündel den bisherigen Kunden weiterhin angeboten wird, wird versucht, die Marktpenetration zu erhöhen. Das heißt, durch die Steigerung der Marketingbemühungen soll sich der Erfolg auf diesem Markt erhöhen, um - bei einem schrumpfenden Markt - zumindest eine Stabilisierung bzw. in aller Regel eine Steigerung des Marktanteils und eventuell eine Ausweitung 312 5 Produktpolitik <?page no="313"?> des Marktvolumens zu erreichen. Dazu kann beispielsweise die Verbrauchs‐ intensität erhöht, die psychische Produktlebenszeit verkürzt und damit der Ersatzkauf stimuliert oder aber auch versucht werden, Substitutionspro‐ dukte zu verdrängen bzw. bisherige Nichtverwender zu gewinnen. Die Erweiterung der Vertriebsreichweite umfasst sowohl die Bear‐ beitung neuer nationaler als auch internationaler Märkte bzw. Kunden‐ gruppen. Das bisherige Eigenschaftsbündel wird dabei in unveränderter Form angeboten. Produktmodifikationen umfassen die Produktvariation und die Pro‐ duktdifferenzierung. In beiden Fällen findet eine Veränderung des ur‐ sprünglichen Nutzenbündels statt, und es ist abzuwägen, inwieweit die durch diese Strategie erzielbaren zusätzlichen Erlöse die entstehenden Kosten und eventuellen Kannibalisierungseffekte - beispielsweise im Falle einer nicht simultanen Eliminierung - übersteigen. Eine Produktvariation umfasst die gezielte Anpassung des bisherigen Nutzenbündels an sich verändernde Bedürfnisse von Kunden des bisheri‐ gen Marktes oder aufgrund gesetzlicher Auflagen, vielfach um die eigene Marktposition zu verteidigen. Die Funktionalität des Produkts bleibt dabei grundsätzlich erhalten. Oftmals wird hier zwischen der Produktpflege und dem Produktrelaunch differenziert. Erstere soll die kontinuierliche Anpassung bzw. Verbesserung eines Produkts darstellen, während der Relaunch zumeist aufgrund nicht zufriedenstellender Absätze durchgeführt wird, um mit umfassenden Modifikationen eine deutliche Verbesserung herbeizuführen. Problematisch ist bei regelmäßigen Variationen eines Pro‐ dukts, dass Kunden diese erwarten und „überspringen“, um auf die nächste Generation zu warten (vgl. Rao u. Turut, 2019). Innerhalb der Produktmodifikation wird aufgrund der Produkt- Markt-Betrachtung weiterhin die Produktdifferenzierung unterschieden. Eine Differenzierungsstrategie beinhaltet im Allgemeinen das gezielte An‐ sprechen verschiedener - neuer - Marktsegmente, d. h. das Angebot sich unterscheidender Varianten mit dem Ziel, in den einzelnen Marktsegmenten eine herausragende bzw. sogar eine monopolartige Stellung zu erreichen (vgl. → Kapitel 1 und → Kapitel 4). Dazu ist meist eine Anpassung eines gegebenen Produkts, dessen Marke bereits eine hervorragende Reputation hat, hinsichtlich einer oder mehrerer Eigenschaften notwendig. Das kann - wie in → Abschnitt 5.3 bereits erwähnt - auch mittels produktbeglei‐ tender Dienstleistungen geschehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass ein gewisses Ausmaß an Affinität zwischen Produkt und 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 313 <?page no="314"?> begleitender Dienstleistung vorhanden sein sollte (vgl. Herrmann u. Huber 2013, S. 375f.). Nur bei einer hohen Affinität werden beide Komponenten als Leistungsbündel aufgefasst, bei dem das Unternehmen eine Kompetenz aufzuweisen hat. Es ist unschwer erkennbar, dass sowohl der damit verbundene Aufwand als auch das Risiko des Scheiterns innerhalb der Aufzählung zunimmt. Wissen | Bei einem Produkt in einem gegebenen Markt sind zuerst alle ökonomisch sinnvollen Optionen der Marketingintensivierung umzusetzen, bevor Modifikationen angegangen werden. Neue Märkte oder Kundengruppen sind mit unverändertem Produkt bei vergleichbaren Ausgangsbedingungen ebenfalls der Modifikation vorzuziehen. Schließt man die Überlegungen zu möglichen Produkt-Markt-Strategien mit der Innovationspolitik ab, so schließt sich der argumentative Kreis, denn damit war zu Beginn dieses Kapitels gestartet worden. Der Bereich der Produktinnovation zielt darauf ab, dem potenziellen Nachfrager ein neues Nutzenbündel zu bieten. Auch in diesem Bereich kann zwischen der Bearbeitung des angestammten Marktes und der geplanten - zusätzlichen - Bearbeitung neuer Märkte unterschieden werden, wobei die Möglichkeit einer differenzierten Marktbearbeitung eventuell schon bei der Innovationsplanung im Sinne einer modularen Bauweise oder einer Plattformstrategie berücksichtigt werden sollte. Wird den Kunden auf dem bisherigen Markt ein neues Nutzenbündel angeboten, wird von einer Diversifikation im engeren Sinne gesprochen. Es wird damit entweder ein bisher eventuell auch nur latent vorhandenes Bedürfnis befriedigt oder auch einem vorhandenen Bedürfnis eine völlig neue Problemlösung entgegengesetzt. Der Passus „im engeren Sinne“ wird hier verwendet, da einer Diversifi‐ kationsstrategie vielfach unter dem Aspekt der Risikostreuung nachge‐ gangen wird. Aufgrund der angesprochenen großen Chancen aber auch Risiken, die mit dem Innovieren verbunden sind (vgl. → Abschnitt 5.6.1), kann jedoch bei einer Diversifikation kaum von einer echten Risikostreuung gesprochen werden. Vielmehr wird damit eine Verringerung der Abhän‐ gigkeit von einzelnen Produkten und/ oder Märkten erreicht. Als eine echte Diversifikation wird eine Strategie bezeichnet, bei der sich, ähnlich der vorher aufgezeigten Vorgehensweise auf der Produktseite der Matrix, das Angebot der Innovation aber auch noch zusätzlich an neue, 314 5 Produktpolitik <?page no="315"?> bisher nicht bearbeitete Märkte richtet. Je nach Verringerung der Abhän‐ gigkeit können folgende vier Diversifikationsausprägungen unterschieden werden: • Eine Rückwärtsdiversifikation bezeichnet die Vermarktung der In‐ novation auf einem neuen, dem bisherigen Markt vorgelagerten Markt. • Unter einer Vorwärtsdiversifikation wird eine Marktbearbeitung auf einem dem bisherigen Betätigungsfeld nachgelagerten Markt verstan‐ den. • Eine horizontale Diversifikation bezeichnet eine Strategie, bei der zwar auf einem neuen Gebiet gearbeitet wird, das jedoch mit dem bis‐ herigen hinsichtlich der Wirtschaftsstufe in Verbindung steht, beispiels‐ weise indem den bisherigen Kunden eine Problemlösung für andere, aber ähnliche Bedürfnisse angeboten wird. Geht man etwa davon aus, dass Bier und Limonade unterschiedlichen Märkten zuzurechnen sind, so wäre die Aufnahme von Limonaden in das Vertriebsprogramm einer Brauerei als Fall der horizontalen Diversifikation zu qualifizieren. • Eine laterale Diversifikation beinhaltet schließlich den Vorstoß in tatsächlich neue Märkte, die in keinerlei Beziehung zu dem bisher bear‐ beiteten Markt stehen. Unternehmen, die gemeinhin als Conglomerates bezeichnet werden, führen Produkte, deren Märkte ohne Beziehung zueinanderstehen. Wissen | Sinnvoll erscheinen Strategien der echten Diversifikation in vielen Fällen nur dann, wenn im Sinne einer Multiplikation vorhan‐ dener Fähigkeiten im Unternehmen diese auch auf die neuen Märkte zumindest zum Teil übertragen werden können, mithin Synergieef‐ fekte entstehen können. 5.6 Dynamische Perspektive der Produktpolitik 315 <?page no="317"?> 6 Preispolitik Der zweite Bereich der Leistungsgestaltung für den Nachfrager ist die Preispolitik. Hier werden die wesentlichen internen Erstellungskosten und kundenseitig zu honorierenden Nutzenbestandteile determiniert. Neben der kostenverursachenden Produktion (oder dem Einkauf) einer be‐ stimmten Produktqualität, die in den Preisen ihr Äquivalent finden (sollen), ist schließlich die Beurteilung der Qualität von Produkten häufig nicht vom Preis des jeweiligen Produkts unabhängig. Dabei stehen die Fragen der Bestimmung der Art und Höhe der Gegen‐ leistung, die für das zu veräußernde Produkt vom Nachfrager gefordert wird, im Mittelpunkt des Interesses. 6.1 Preispolitik als Gegenstand des Marketing-Mix 6.1.1 Inhalt und Zielsetzung der Preispolitik Die Preispolitik ist darauf ausgerichtet, an den Unternehmenszielen orien‐ tierte optimale Preise zu bestimmen und am Markt durchzusetzen. Ein alternativer Begriff dazu ist die Kontrahierungspolitik. Wissen | Unter Preis- und Konditionenpolitik versteht man meist diejenigen marketingpolitischen Maßnahmen, welche alle Gegenleis‐ tungen für die vom Unternehmen angebotenen Sach- und Dienstleis‐ tungen - betrachtet als Nutzenbündel - betreffen. Die Aussage, ein Produkt sei „zu teuer“ kann - wie in → Kapitel 3 bereits diskutiert - nicht korrekt sein: Ein Kunde betrachtet immer die Relation aus dem ihm gebotenen Nutzen und dem (finanziellen) „Opfer“, das er dafür bringen muss. Dadurch spricht man eventuell zu wenig Kunden an, so dass das Absatzvolumen hinter den Erwartungen zurückbleibt. Ist der gewählte Preis für die angebotene Leistung jedoch zu gering, verschenkt man poten‐ zielle Gewinne und kann im Weiteren auch mit dem Problem konfrontiert sein, dass durch den zu geringen Preis negative Ausstrahlungseffekte auf die vom Kunden vermutete Qualität der Leistung („zu billig“) entstehen. <?page no="318"?> Wissen | Der zu fordernde Preis ist immer in Bezug auf die dem Kun‐ den zukommenden Nutzenbestandteile zu betrachten. Er resultiert aus der „kundenorientierten“ Leistungsgestaltung, d. h. an der absatz‐ orientierten Leistung der Produktpolitik. Eine optimale Preispoli‐ tik setzt daher in Analogie dazu Marktinformationen voraus. Als Kriterium, anhand dessen die Vorteilhaftigkeit eines Preises zu beurtei‐ len ist, gilt meist der (mittelfristig) erzielbare Deckungsbeitrag. Dadurch wird im Idealfall sichergestellt, dass erstens die eigenen Kosten gedeckt werden, dass zweitens die Preisbereitschaft der Nachfrager ausgeschöpft wird und dass drittens der eigene Preis in einer angemessenen Beziehung zu den Preisen der Wettbewerber liegt. Wissen | Ein Preis sollte kosten-, kunden- und wettbewerbsorientiert festgelegt werden. Potenziellen Abnehmern steht es offen, ein Angebot zu akzeptieren. Ist die Anzahl derjenigen, die das Angebot nicht akzeptieren, vergleichsweise groß, so reagieren Unternehmen insbesondere dadurch, dass sie kurzfristig die Konditionen des Angebots verändern, langfristig aber auch das Angebot selbst (Produkt, Verkaufssystem) modifizieren. Wissen | Die Preispolitik ist jener Aktionsbereich, in dem Unterneh‐ men vergleichsweise am schnellsten ihre Parameter verändern können. Sie ist damit einerseits taktisches als auch strategisches Instrument des Marketings. Die Gegenleistung für eine bestimmte unternehmerische Leistung wird üblicherweise in Geld erbracht, wobei vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bestehen: • Die einfachste Form der Geldleistung besteht darin, dass ein Listenpreis gefordert wird und dieser Listenpreis Zug um Zug mit der Übergabe der Sachbzw. Dienstleistungen an das liefernde Unternehmen entrichtet wird. • In vielen Fällen wird allerdings nicht der Listenpreis selbst als Entgelt für eine Sach- oder Dienstleistung gefordert und festgelegt, sondern ein um einen bestimmten Rabatt ermäßigter Listenpreis. Diese Art der Preis‐ 318 6 Preispolitik <?page no="319"?> anpassung ist insbesondere dann relevant, wenn von verschiedenen Abnehmern unterschiedliche Preise gefordert werden (vgl. → Abschnitt 6.3.2). Eine Form des Rabatts ist die Rücknahme und Verrechnung von Altprodukten. • Die Entgeltleistung kann - wie bisher unterstellt - Zug um Zug mit der Sach- oder Dienstleistung oder aber zu einem davon abweichenden Zeit‐ punkt erfolgen. Erfolgt die Entgeltleistung vor der Sach- oder Dienst‐ leistung, so liegt eine Finanzierung des Lieferanten durch den Abnehmer vor. Erfolgt die Entgeltleistung nach der Sach- oder Dienstleistung, so liegt eine Finanzierung des Abnehmers durch den Lieferanten vor, was mit Absatzfinanzierung bezeichnet wird. Zahlungszeitpunkte werden in der Praxis zumeist durch Valutaklauseln („zahlbar am/ valuta 01.01.23“) festgelegt. Eine Form der Absatzfinanzierung, die mittlerweile in vielen Bereichen an Bedeutung gewonnen hat, stellt das Leasing dar, bei dem formalrechtlich für eine bestimmte Zeit eine Gebrauchs‐ überlassung (Miete) und zugleich eine Option auf Eigentumsübergang zu einem festgesetzten Zeitpunkt (Ablauf der Mietdauer) und zu einem festgesetzten Preis vereinbart wird. Im Investitionsgüterbereich werden auch so genannte Betreibermodelle installiert, bei denen der Anlagen‐ hersteller oder ein Konsortium das Objekt an den Abnehmer vermietet (vgl. Backhaus u. Voeth, 2014). • In enger Beziehung zur Absatzfinanzierung steht der Skonto; unter einem Skonto (genauer: Barzahlungsskonto) versteht man einen Preis‐ nachlass, der gefordert bzw. gewährt wird, weil der Abnehmer eine Rechnung vor dem Zeitpunkt, zu dem er zur Zahlung verpflichtet ist, bezahlt. • Statt der Verschaffung des Eigentums durch einen Kauf-, Tausch- oder Leasingvertrag kann auch die Nutzung des Produkts in Form einer Miete bzw. Leihe für eine festgelegte oder unbestimmte Zeit der Gegen‐ stand der Preispolitik sein. • Der Listenpreis für eine Sach- oder Dienstleistung kann darüber hinaus auch durch weitere Kundendienstleistungen (vgl. → Kapitel 5) beein‐ flusst werden. In diesem Fall ist das Kernprodukt per se relativ günstig und wird durch den Zusatz(dienst)leistungen preislich so angehoben, dass relevante Deckungsbeiträge entstehen. Sieht man einmal von der Kundendienstpolitik als Teil der Preispolitik ab, so vermag man unschwer preisliche Äquivalente für die anderen Gestaltungsele‐ 6.1 Preispolitik als Gegenstand des Marketing-Mix 319 <?page no="320"?> mente zu ermitteln. Ist k die Anzahl der Perioden, für die Zahlungsaufschub gewährt wird, so gilt für das Preisäquivalent p tä zum Sachleistungszeitpunkt t bei einem Preis p t + 1 zum Zeitpunkt t + 1 unmittelbar (i: Zinsfuß): p tä = p t + 1 1 + i k Nachfolgend soll daher allein der Preis als die Geldsumme, für die ein Käufer ein Produkt erwirbt, zum Gegenstand der Betrachtungen gemacht werden. 6.1.2 Besonderheiten des Preises als Parameter des Marketings Die Preispolitik ist neben anderen Instrumenten ein Teil des Marketing-Mix. Es gibt jedoch einige Besonderheiten dieses Instruments, die im vorange‐ gangenen Abschnitt bereits angedeutet wurden (vgl. dazu Diller et al., 2021): • Bei Preisänderungen sind vielfach starke Absatzwirkungen zu be‐ obachten, teilweise ergeben sich Marktanteilsverschiebungen im zwei‐ stelligen Prozentpunktbereich. Die durchschnittliche Preiselastizität - definiert als das Verhältnis der prozentualen Absatzänderung zur sie verursachenden prozentualen Preisänderung (→ Abschnitt 6.2.4) - hat über viele Produktbereiche hinweg einen Betrag von -2,62 (vgl. Tellis, 1988), während die langfristige durchschnittliche Werbeelastizität bei 0,24 (vgl. Sethuraman et al., 2011) liegt. Die Wirkung von Preisänderun‐ gen ist ca. zehnmal stärker als Änderungen am Werbebudget. • Alle Aktionen in diesem Bereich sind sehr schnell umgesetzt, es bedarf keiner großen Vorbereitungen oder Vorabinvestitionen, wie das im Produkt- oder Kommunikationsbereich der Fall ist. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass ohne exakte Ursachenanalyse bei Absatzproblemen vorschnell mit Preisreduktionen gearbeitet wird. • Vielfach sind auch sehr schnelle Nachfragereaktionen auf Preisän‐ derungen zu beobachten, da diese Änderungen im Marketing-Mix sofort erkennbar und quantifizierbar sind. Die Kommunikation durch das Unternehmen ist dementsprechend schnell und einfach. • Allerdings ist auch eine äußerst schnelle Konkurrenzreaktion denk‐ bar, vor allem dann, wenn diese sich auch in einer angespannten Lage befinden. Dadurch ergibt sich die große Gefahr von Preiskriegen („Spi‐ 320 6 Preispolitik <?page no="321"?> rale nach unten“), bei denen sich ceteris paribus an den Marktanteilen wenig ändert, am Ende die Deckungsbeiträge jedoch noch weiter zurück gegangen sind. Der niedrige Preis ist nur für den Kostenführer ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil (vgl. Nagle u. Holden, 2002, S.-143). • Der Verkaufspreis für den Endabnehmer ist durch Absatzmittler stark beeinflussbar, da es in den meisten Fällen keine Preisbindung gibt, d. h. der Handel ist in seiner Preissetzung frei. Die Preissetzung am Markt liegt damit in vielen Fällen nicht in der Hand der Hersteller. Aufgrund der schwachen Profilierungsmöglichkeiten des Handels durch Leistungsbestandteile hat die Preissetzung hier eine bedeutende Stel‐ lung. • Aus Kundensicht ist der Preis in einigen Produktbereichen ein eindeuti‐ ges Instrument zur Einordnung verschiedener Alternativen in verschie‐ dene Qualitätslagen. • Gerade für Newcomer ist der (niedrige) Preis ein beliebtes Instrument für den Markteintritt. • Bezüglich der Preissetzung existieren eine Fülle staatlicher Regulie‐ rungen, z. B. Arzneipreis- und Preisangabenverordnungen (Effektiv‐ zinsen bei Banken, Kenntlichmachung der Preise wesentlicher Speisen und Getränke an der Tür bei Gaststätten etc.). • Hohe Komplexität der Entscheidungsfindung durch mögliche Wett‐ bewerbsreaktionen und Marketing-Mix-Interaktionen wie z. B. der Werbeeffizienz oder der Innovationspolitik. • Der Preis ist schließlich ein starker Gewinntreiber. Jede Geldeinheit, die am Markt zusätzlich erlöst werden kann, erhöht unmittelbar den Umsatz des Unternehmens. Sind entsprechende Absatzänderungen mar‐ ginal, erhöhen sich die Gewinne in entsprechendem Umfang. Die Wirkungen einer Preissenkung bzw. einer Preiserhöhung bei gegebenen variablen Kosten auf das benötigte Absatzvolumen, mit dem Ziel jeweils den gleichen Gewinn wie bei der Ausgangssituation zu erzielen, sind in → Darstellung 6.1 abgebildet (vgl. Simon u. Fassnacht, 2019.). 6.1 Preispolitik als Gegenstand des Marketing-Mix 321 <?page no="322"?> Absatz 50 100 150 200 variable Stückkosten Preis Preiserhöhung Preissenkung variable Stückkosten 20 40 60 80 100120 Absatz 50 100 150 200 variable Stückkosten Preis variable Stückkosten 20 40 60 80 100120 Absatz 50 100 150 200 variable Stückkosten Preis variable Stückkosten 20 40 60 80 100120 67 Darstellung 6.1: Wirkungen von Preisänderungen. Gelingt es, den Preis um 20-% zu erhöhen, müssen nur zwei Drittel der frü‐ heren Absatzmenge verkauft werden, um den gleichen Gewinn zu erzielen. Anders ausgedrückt, liegt bei identisch realisierbarem Absatzvolumen der geforderte Preis in diesem Umfang unter dem optimalen Preis, werden 50 % Gewinn verschenkt. Betrachtet man schließlich den unteren rechten Teil von → Darstellung 6.1, so ist erkennbar, dass für den gleichen Gewinn wie in der Ausgangssituation bei einer Preissenkung um 20 % die Absatzmenge verdoppelt werden muss. In Käufermärkten stellt dies mit Sicherheit ein schwieriges Unterfangen dar. 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten Die mikroökonomische Preistheorie kann als Vorläufer der analytischen Betrachtungsweise des Marketings angesehen werden. Wie bereits in → Kapitel 2 dargelegt wurde, kommt der mikroökonomischen Preistheorie allerdings nicht nur historische Bedeutung, sondern mit Einschränkungen auch heute noch empirische Relevanz zu. 322 6 Preispolitik <?page no="323"?> Diese praktische Relevanz ist allerdings nur für die Fälle gegeben, in denen dem Anbieter eine Mehrzahl von Nachfragern gegenübersteht. In all denjenigen Fällen, in denen keine Mehrheiten auf der Nachfragerseite vor‐ handen sind, können die Erkenntnisse der mikroökonomischen Preistheorie nur im übertragenen Sinne nutzbar gemacht werden. Diese eingeschränkte Gültigkeit trifft beispielsweise für manche Investitionsgüterbranchen zu, wo Preise weniger das Ergebnis von fast automatisch ablaufenden Prozessen am Markt, denn von Verhandlungsprozessen sind. 6.2.1 Wirkungen von Preisvariationen auf die Nachfrage Der Preis eines Produkts hängt von der subjektiv gefärbten Wertschätzung eines Produkts durch die Nachfrager ab; der Preis eines Produkts ist also - um es mit den Begriffen des Marketings auszudrücken - abhängig vom perzipierten Grund- und Zusatznutzen. Wissen | Die relative Höhe der Preise einzelner Produkte ist eine Funktion der Nutzenerwartungen der Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Nachfrager. Der Zusammenhang zwischen dem perzipierten Nutzen eines Produkts und dem Preis, den die Nachfrager für dieses Produkt zu zahlen bereit sind, wird häufig mittels so genannter Preisbereitschaftsfunktionen wiedergegeben (→ Abschnitt 6.4.1). Preisbereitschaftsfunktionen stellen den Preis als eine Funktion des perzipierten Nutzens dar. Es ist unmittelbar einsichtig, dass der Preis, den eine Person zu zahlen bereit ist, auch von den finanziellen Möglichkeiten dieser Person abhängt. Bezieht man Personen mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten in die Analyse ein, so werden auch die Preise, welche die einzelnen Personen zu entrichten bereit sind, unterschiedlich sein. Geht man zusätzlich davon aus, dass Personen ein Produkt, für das sie x Geldeinheiten zu zahlen bereit sind, dieses erst recht für weniger als x Geldeinheiten erstehen, so ergibt sich daraus unmittelbar ein stark vereinfachter Zusammenhang (→ Darstellung 6.2). Die negative Steigung der Preisreaktionskurve kommt dabei allein da‐ durch zustande, dass mit sinkendem Preis zusätzliche Nachfrager für Pro‐ dukt s auf den Markt treten. Die zusätzliche Nachfrage bei sinkendem Preis ist darauf zurückzuführen, dass 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 323 <?page no="324"?> • zum einen nun auch Personen mit geringeren finanziellen Möglich‐ keiten den Kauf planen und • zum anderen auch Personen den Kauf planen, die dem Produkt einen geringeren Nutzen beimessen. Anzahl der Personen, die bereits sind, Produkt s zu kaufen geforderter Preis für s Darstellung 6.2: Allgemeine Preisreaktionskurve. Diese mit abnehmendem Preis zunehmende Nachfrage beruht demnach auf sehr allgemeinen Verhaltensgesetzmäßigkeiten, die Kurve ist daher auch als allgemeingültig anzusehen. Über den Verlauf der Kurve im Einzelnen (Gestalt, Schnittpunkte mit Achsen) ist damit noch keine Aussage gemacht. Die bisher plausibel gemachte Gesetzmäßigkeit der Nachfrage gilt zunächst nur für die Nachfrage nach einem Produkt, nicht aber für die Nachfrage nach einer Marke eines Produkts. 6.2.2 Marktformen und Preisbildung Das allgemeine Modell der Wirkung von Preisvariationen auf die Nachfrage kann nicht unmittelbar als Modell zur Beschreibung der Preis-Absatz-Zu‐ sammenhänge in unterschiedlichen Marktsituationen verwendet werden. Hierzu werden die Produktmärkte nach einem der drei Kriterien unterteilt: • Anzahl der Anbieter und Nachfrager der betreffenden Produkte. • Verhaltensweise der Anbieter gegenüber den Konkurrenten und den Nachfragern. • Ausmaß der Fühlbarkeit der Konkurrenz. 324 6 Preispolitik <?page no="325"?> Damit ergibt sich ein umfassendes Gliederungssystem auf der Basis der Anzahl der Anbieter und Nachfrager. Etwas vereinfacht gehen damit in der Regel spezifische Verhaltensweisen der Anbieter einher: • Der Monopolist berücksichtigt bei seiner Preispolitik (bzw. gesamten Absatzpolitik) lediglich die Reaktionen der Nachfrager. • Der Polypolist ist hinsichtlich seiner Gestaltungsmöglichkeiten durch seine vergleichsweise minimale Bedeutung bzw. geringen Einflussmög‐ lichkeiten zu einer relativ passiven Hinnahme der Marktgegebenheiten gezwungen. Für ihn ist es nicht sinnvoll, den Preis seines Produkts aktiv zu variieren, da er im Fall einer Preiserhöhung über den der Konkurrenzanbieter ohne jegliche Nachfrage verbliebe und bei einer Senkung seines Preises unter den der Konkurrenzanbieter sofort die gesamte Nachfrage auf sich zöge, die er nicht befriedigen könnte. • Der Oligopolist ist in der Lage, aufgrund seiner relativen Größe den Markt selbst zu gestalten (wie der Monopolist), dabei hat er aber die Reaktionen seiner Mitbewerber zu berücksichtigen. Die soeben unterstellten Marktgesetzmäßigkeiten gelten nur für einen bestimmten idealtypischen Markt, der üblicherweise als vollkommener Markt beschrieben wird. Kennzeichen des vollkommenen Marktes finden sich bspw. bei Hanusch et al. (2002, S. 55f.). Aus diesen Annahmen ergibt sich, dass der Preis als einziger Indikator für die Beurteilung der relativen Vorziehenswürdigkeit einzelner Marken eines Produkts herangezogen wird. Viele preistheoretische Überlegungen basieren auf den skizzierten, sehr restriktiven Annahmen; neuere preistheoretische Modelle basieren auf in vielerlei Hinsicht realistischeren Annahmen über den Markt. Als Ziel der theoretischen Überlegungen im Rahmen der Preispolitik wird häufig die Er‐ klärung der Höhe des Preises, der sich an einem bestimmten Markt gebildet hat (deskriptive Preistheorie), oder die Ermittlung derjenigen Preishöhe, die für den Unternehmer gewinnmaximal ist (normative Preistheorie), bezeichnet. Wissen | Die Preisbestimmung für ein Produkt basiert auf einer ad‐ äquaten Beschreibung der Zusammenhänge zwischen alternativen Preisen und Absatzmengen auf einem bestimmten Markt. Diese Gesetzmäßigkeiten können durch Preisabsatzfunktionen oder durch Elastizitätskoeffizienten erfasst werden. Auf solchermaßen forma‐ 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 325 <?page no="326"?> lisierten Gesetzmäßigkeiten des Marktes bauen dann die unterschiedlichen Optimierungskalküle auf. Die Darstellung der beiden Komponenten preistheoretischer Modelle (Darstellung der Marktgesetzmäßigkeiten bzw. Optimierungskalküle) er‐ folgt hier getrennt. Es wird somit zwischen reinen Analysetechniken (Rechenroutinen) und der Deskription von Marktgesetzmäßigkeiten unter‐ schieden. 6.2.3 Preisabsatzfunktionen bei verschiedenen Marktformen Der Zusammenhang zwischen Inputgrößen des Marktes und Outputgrö‐ ßen des Marktes wird allgemein in Marktreaktionsfunktionen wieder‐ geben. Inputgrößen bzw. „Stellgrößen“ sind die Variablen, die zur Ausge‐ staltung des Marketings zur Verfügung stehen, also z. B. der für ein Produkt geforderte Preis, die für ein Produkt disponierten Werbeausgaben oder ähnliche Größen. Outputgrößen des Marktes oder „Erwartungsgrößen“ sind beispielsweise der Absatz oder Umsatz eines Produkts. Eine Klasse von Marktreaktionsfunktionen sind die Preisabsatzfunkti‐ onen, die als grundlegendes preispolitisches Entscheidungskonzept den Zusammenhang zwischen der vom Unternehmen beeinflussbaren marktgestaltenden Variablen „Preis des Produkts s“ und der Erwartungs‐ größe „Absatz des Produkts s“ in einer einfachen mathematischen Form wiedergegeben. Wissen | Die Kenntnis der für ein Marktsegment relevanten Preis‐ absatzfunktion ist für die Preisentscheidung von elementarer Be‐ deutung. Preisabsatzfunktionen für monopolistische Marktsituationen sind formale Modelle, die den Zusammenhang zwischen dem von einem Alleinanbieter eines Produkts geforderten Preis - beispielsweise in einer Marktnische - und dem zu erwartenden Produktabsatz zum Ausdruck bringen. Da der Alleinanbieter begriffslogisch für ein bestimmtes Produkt das gesamte Angebot offeriert; gilt für ihn eine Preisabsatzfunktion, die den Gesetzmä‐ ßigkeiten des allgemeinen Preismodells (→ Abschnitt 6.2.1) entspricht. Die Preisabsatzfunktion weist somit eine negative Steigung auf. Übliche mathematische Formulierungen sind die nachfolgend präzisierten Preisab‐ 326 6 Preispolitik <?page no="327"?> satzfunktionen (→ 6.1, → 6.2). Andere Funktionen (sinh-Funktionen) sind mathematisch wesentlich komplexer, ohne mehr Realitätsnähe widerzuspie‐ geln. lineare Funktion: y s(1) = f (1) p s = a 0 + a 1 p s (6.1) multiplikative Funktion: y s(2) = f (2) p s = β 0 p sβ 1 (6.2) Dabei sind: y s : = Absatz Produkt s, p s : = geforderter Preis für Produkt s, α 0 , α 1 , β 0 , β 1 : = Koeffizienten; α 0 , β 0 ∈ ℜ + ; α 1 , β 1 ∈ ℜ − Für die beiden Funktionen gelten die in → Darstellung 6.3 angegebenen Kennwerte, sie sind graphisch in → Darstellung 6.4 wiedergegeben. - lineare Preisab‐ satzfunktion multiplikative Preis‐ absatzfunktion Sättigungsabsatz - f(0) y s = α 0 y s ∞ Grenzpreis - f(p s ) = 0 p s = − α 0 α 1 p s ∞ Grenzabsatz (absatzmäßige Wirkung einer Preisänderung) - ∂f p s ∂p s α 1 β 0 β 1 p sβ 1 − 1 relativer Grenzabsatz (relative Wirkung einer Preisänderung) - ∂f p s f p s : ∂p s p s α 1 p s α 0 + α 1 p s β 1 Darstellung 6.3: Kennwerte alternativer Preisabsatzfunktionen. 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 327 <?page no="328"?> y s p s α 0 α 0 α 1 f (2) (p s ) f (1) (p s ) Darstellung 6.4: Lineare und multiplikative Preisabsatzfunktion. Welche der beiden Preisabsatzfunktionen praktische Relevanz besitzt, ist im Einzelfall zu entscheiden. Dabei sind folgende Punkte aus → Darstellung 6.3 von Bedeutung: • Bei linearen Preisabsatzfunktion wird unterstellt, dass die absatz‐ mäßige Wirkung einer bestimmten Preisänderung unabhängig vom Preisniveau stets die gleiche ist (nämlich α 1 Δp s ), d.-h. es wird beispiels‐ weise erwartet, dass der absolute Mehrabsatz bei einer Preissenkung von € 5,auf € 4,der gleiche ist wie derjenige bei einer Preissenkung von € 1,auf € 0,-. Absolute Preisänderungen einer bestimmten Höhe führen unabhängig von der Preishöhe zu konstanten absoluten Mengenände‐ rungen. • Bei multiplikativen Preisabsatzfunktionen wird unterstellt, dass die absatzmäßige Wirkung einer bestimmten Preisänderung vom jewei‐ ligen Ausgangspreisniveau abhängt. Die Preisänderung ist dabei so geartet, dass bei höherem absolutem Preis der absolute Betrag der Mengenänderung infolge einer konstanten Preisänderung geringer ist als bei einem niedrigeren absoluten Preis; die absolute Mengenänderung infolge Preisänderung ist also umso größer, je größer die Menge ist. Da‐ gegen führen gleichgroße relative Preisänderungen zu konstanten relativen Mengenänderungen. So ist z. B. die relative Mengenände‐ rung bei einer Preissenkung von € 5,auf € 4,die gleiche, wie bei einer Preissenkung von € 1,auf € 0,80. 328 6 Preispolitik <?page no="329"?> • In vielen Fällen ist es realistischer anzunehmen, dass bei einer Preis‐ forderung von Null die nachgefragte Menge sehr groß wird und nicht nur einem vergleichsweise niedrigen Sättigungsniveau zustrebt. Wissen | Die multiplikative Preisabsatzfunktion entspricht eher der Realität als die lineare Preisabsatzfunktion. Nicht zu übersehen ist dabei, dass beide Kurven im mittleren Kurvenbereich, d. h. im relevanten Preisbereich, einen ähnlichen Verlauf aufweisen. Simon u. Fassnacht (2019) befürwortet deshalb die Verwendung des ein‐ fachen linearen Modells, wenn der betrachtete Preisbereich nicht allzu sehr von den bisherigen Preisen abweicht. Die Lage der Marktreaktionskurven im Preis-Mengen-Diagramm ist nicht nur von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes abhängig, sondern auch von anderen Marketingaktivitäten der Unternehmen bzw. des Unternehmens eines bestimmten Marktes. Wird die Qualität eines Produkts verbessert, so liegt es nahe, dass bei gleichem Preis eine höhere Menge nachgefragt wird bzw. die Nachfrager bereit sind, für die Mengeneinheit des Produkts einen höheren Preis zu entrichten. Welche Veränderungen der Preisabsatz‐ funktion bei einer Qualitätsvariation des Produkts eintritt, ist im Einzelfall empirisch festzustellen. Graphisch ist dieser Sachverhalt in → Darstellung 6.5 abgebildet; es wurde eine lineare Preisabsatzfunktion zugrunde gelegt, da bei dieser Funktion die Wirkungen alternativer Qualitäten besser verdeut‐ licht werden können. y s p s y s p s zunehmende Qualität von Produkt s zunehmende Qualität von Produkt s Darstellung 6.5: Preisabsatzfunktionen bei Änderung des Qualitätsniveaus eines Produkts. 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 329 <?page no="330"?> Polypolistische Marktsituationen waren dadurch charakterisiert, dass dem einzelnen Anbieter, der seinen Preis des Produkts über den der Kon‐ kurrenten erhöht, keine Nachfrage zufließt bzw. ihm bei einer Senkung des Preises unter den der Konkurrenten die gesamte Nachfrage zufällt. Dieses Nachfragevolumen kann der einzelne Anbieter aufgrund von Kapa‐ zitätsbeschränkungen meist nicht vollständig befriedigen. Die der Kurve in → Darstellung 6.6 entsprechende Marktreaktionsfunktion kann wie folgt formuliert werden: Dabei ist p s der für das Produkt s gültige Marktpreis und p rs der von Unternehmen r geforderte Preis. y s p rs Sättigungsabsatz f (2) (p rs < p s ) f (1) (p rs < p s ) p s (Marktpreis) Darstellung 6.6: Preisabsatzfunktionen bei polypolistischer Marktsituation. Der Preis ist hier unter praktischen Gesichtspunkten offensichtlich nicht geeignet, die auf ein Unternehmen entfallende Nachfrage nach einem Pro‐ dukt zu erklären: die Absatzmenge ergibt sich im Fall der polypolistischen Marktsituation beispielsweise aufgrund von Kapazitätsbedingungen des Unternehmens r. Die Preisabsatzfunktion der Form (6.3) ist nur dann relevant, wenn ein einziger Polypolist den Preis variiert, während alle anderen Polypolisten 330 6 Preispolitik <?page no="331"?> den Preis konstant halten. Für den Fall, dass alle Polypolisten (r =1, …, R) ihre Preisforderungen im Gleichklang verändern, gilt die allgemeine, negativ geneigte Preisabsatzfunktion, also: ∑ r = 1 R y rs = y s = α 0 + α 1 p s β 0 p sβ 1 Dabei wird unterstellt, dass: p rs = p s . die Gesamtheit aller Polypolisten ist somit als Monopol, genauer als Gruppenmonopol, aufzufassen. Für jeden einzelnen Polypolisten gilt dann (M rs : = Marktanteil von Unternehmen bzw. Marke r am Markt des Produkts s): y rs = M rs y s Oligopolistische Marktsituationen waren dadurch gekennzeichnet, dass der einzelne Anbieter bei seinen marketingpolitischen bzw. preispolitischen Entscheidungen nicht nur die Reaktionen der Nachfrager, sondern auch die möglichen Aktionen und Reaktionen seiner Konkurrenzanbieter zu berücksichtigen hat. In Analogie zur monopolistischen Marktsituation werden für oligopolistische Marktsituationen üblicherweise folgende zwei Preisabsatzfunktionen formuliert: y rs (4) = f (4) p rs , p r ′ s = α 0 + α 1 p rs + α 2 p r ′ s (6.4) y rs 5 = f (5) p rs , p r ′ s = β 0 p rs β 1 p r ′ s β 2 (6.5) mit r': in unmittelbarer Konkurrenz zu Unternehmen r stehendes Unterneh‐ men (gleiches Produkt, andere Marke), α, β: Koeffizienten. Je stärker in diesem Fall der Parameter des Konkurrenzprodukts ausge‐ prägt ist, desto abhängiger ist der Absatz des eigenen Produkts von dessen Preis. Preisabsatzfunktionen vom Typ (6.5.) können beispielsweise wie folgt graphisch (→ Darstellung 6.7) veranschaulicht werden: 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 331 <?page no="332"?> y rs p rs P r‘s zunehmend Darstellung 6.7: Preisabsatzfunktionen bei oligopolistischer Marktsituation. Steigt in diesem Beispiel der Preis des Konkurrenzprodukts r’, so wird bei gleichbleibendem Preis von Produkt r dessen Absatz zunehmen, die Preisabsatzfunktion „verschiebt sich nach oben“. r' kann dabei auch der durchschnittliche Preis aller Konkurrenzprodukte sein. Hinsichtlich der praktischen Relevanz beider Preisabsatzfunktionen gelten analoge Aussagen wie für den Fall monopolistischer Marktsituatio‐ nen. Generell basieren Preisabsatzfunktionen auf einigen Grundannah‐ men, die ihre uneingeschränkte praktische Anwendbarkeit begrenzen (vgl. Lilien u. Rangaswamy, 2003, S.-417): • Das unterstellte Ziel ist die kurzfristige Gewinnmaximierung bei einem Produkt. • Die Preissetzung ist unabhängig von anderen Aspekten des Marke‐ ting-Mix. • Die Nachfrage- und Kostenfunktionen können hinreichend genau be‐ stimmt werden. • Das Unternehmen hat eine faktische Kontrolle über die Preissetzung, d. h. das Unternehmen kann in Bezug auf die Preise agieren (Price Maker) und nicht nur reagieren (Price Taker). • Die Reaktionen des Marktes auf Preisänderungen sind absehbar. 6.2.4 Elastizitätskoeffizienten Marktreaktionsfunktionen geben die Marktgesetzmäßigkeiten in Form re‐ lativ umfassender Darstellungen der Inputgrößen in den Raum der Output‐ 332 6 Preispolitik <?page no="333"?> größen wieder. Eine einfachere Darstellung, die in manchen Fällen völlig ausreicht, stellen Elastizitätskoeffizienten dar. Elastizitätskoeffizienten sind dabei als Differentialquotienten • aus der relativen Änderung der Wirkungsgröße (Erwartungsgröße) • und der relativen Änderung der Einflussgröße (Stellgröße) definiert. Bei einer Preisabsatzfunktion gilt für die Preiselastizität der Nachfrage: ε = lim Δp s 0 Δys ys Δps ps (6.6) Wissen | Die Preiselastizität der Nachfrage drückt die relative Ver‐ änderung der Nachfrage durch die relative (infinitesimale) Verän‐ derung des Preises aus. Der Preiselastizitätskoeffizient, wie er in (6.6.) definiert ist, nimmt üblicher‐ weise negative Werte an. Während sich bei der völlig preisstarren Nachfrage infolge von Preisänderungen keinerlei Nachfrageänderungen ergeben, füh‐ ren bei völlig preiselastischer Nachfrage minimale Preisänderungen zu extrem hohen Nachfrageänderungen. Völlig preiselastisch ist die Nachfrage eines einzelnen Polypolisten (vgl. → Darstellung 6.6); extrem preisstarr ist dagegen dasjenige Nachfrageverhalten, das durch eine Parallele zur p s -Achse dargestellt wird. Beispiel | Die Preiselastizität für Schokolade (als Produkt) wird z. B. auf etwa -0,7 geschätzt, diejenige für einzelne Marken auf Werte zwischen -1,2 und -1,8 (je nach Marke), diejenige für kurzfristige Preisaktionen (eine Woche) einzelner Markenschokoladen schließlich auf ca. -10,0 bis ca. -12,0! Zu beachten ist hierbei, dass Elastizitätswerte für bestimmte Märkte und Kundengruppen gelten; daher sind hoch aggregierte Koeffizienten allenfalls geeignet, eine generelle Vorstellung von möglichen Effekten zu bekommen (vgl. Diller et al., 2021). 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 333 <?page no="334"?> Tendenziell eher geringe Preiselastizitäten ergeben sich, wenn • das betrachtete Produkt eine gewisse Einzigartigkeit in den Augen der Nachfrager besitzt bzw. wenn diese geringe Substitutionsmöglichkei‐ ten sehen, • das betrachtete Produkt mit anderen in Bezug auf die Nutzensumme schwer vergleichbar ist, • hohe (psychische) Kosten mit einem Anbieterwechsel verbunden sind und • der Kaufpreis in Bezug auf das Budget bzw. in Bezug auf die Kosten über die Verwendungsdauer gering ist. Für den Fall einer Konkurrenzsituation für ein Produkt s kann die so genannte Kreuzpreiselastizität der Nachfrage.berechnet werden. Wissen | Die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage bringt den Effekt der Änderung des Preises eines Produkts auf die Nachfrage nach anderen Produkten zum Ausdruck: sie ist somit ein Indikator für das Ausmaß an Substitutionalität oder Komplementarität von Produkten. Für die Preisabsatzfunktionen (6.1.) bis (6.5.) gilt dann (→ Darstellung 6.8, vgl. auch die Kennwerte in → Darstellung 6.3): - Preiselastizität der Nachfrage Kreuzpreiselastizität der Nachfrage y s = α 0 + α 1 p s α 1 p s α 0 + α 1 p s - y s = β 0 p sβ 1 β 1 - y rs = α 0 +α 1 p rs + α 2 p r ′ s α 1 p rs α 0 +α 1 p rs + α 2 p r ′s α 2 p r ′s α 0 +α 1 p rs + α 2 p r ′s y rs = β 0 p rs β 1 p r ′ s β 2 β 1 β 2 Darstellung 6.8: Elastizitätskoeffizienten bei alternativen Marktsituationen. 334 6 Preispolitik <?page no="335"?> 6.2.5 Ableitung optimaler Preise Sobald die Zusammenhänge zwischen Preisen und Absatzmengen eines Produkts vorliegen, kann die Bestimmung des in dieser Marktsituation optimalen Preises angegangen werden. Bei der Frage, was unter optimal zu verstehen ist, werden in diesem Zusammenhang die Ziele „Maximiere den Umsatz! “ oder „Maximiere den Gewinn! “ formuliert. Umsatz- und Gewinnmaximierung können sowohl bei Einals auch bei Mehrproduktunternehmen sinnvolle Ziele sein. Dabei ist für die Bestim‐ mung der optimalen Preise letztlich nicht entscheidend, ob es sich um den Fall eines Einoder eines Mehrproduktunternehmens handelt, sondern darum, ob bei der Bestimmung des optimalen Preises für ein bestimmtes Produkt die Preise und Absatzmengen anderer Produkte (Cross Buying) zu berücksichtigen sind. Bei Einproduktunternehmen sind logischerweise die Preise eines Produkts isoliert zu bestimmen; bei Mehrproduktunterneh‐ men ist allerdings sowohl der Fall denkbar, dass die Preise der Produkte jeweils isoliert voneinander, als auch der Fall denkbar, dass die Preise der einzelnen Produkte nur im Zusammenhang fixiert werden können. Eine simultane Bestimmung der Preise ist insbesondere dann notwendig, wenn irgendwelche Kapazitätsbegrenzungen vorliegen, die für mehrere Produkte gemeinsam relevant sind. 6.2.5.1 Preisbestimmung bei unbegrenzten Kapazitäten Zunächst soll der Fall der umsatzmaximalen Preisgestaltung untersucht werden. Da allein die Fälle monopolistischer und polypolistischer Situationen vollkommener Märkte analysiert werden, ist die optimale Situation vom Preis des anbietenden Unternehmens abhängig. Im Monopolfall stimmt logischer‐ weise der Preis des anbietenden Unternehmens mit dem Marktpreis überein. Eine Funktion erreicht dort ihr Maximum, wo ihre erste Ableitung den Wert Null und ihre zweite Ableitung einen Wert kleiner Null annimmt. Soll der umsatzmaximale Preis bestimmt werden, so ist die Preisumsatzfunktion die für die Berechnungen relevante Funktion. Es gilt: U rs = y rs p rs Um den im Einzelfall zutreffenden umsatzmaximalen Preis zu ermitteln, ist den Berechnungen eine bestimmte Preisabsatzfunktion zugrunde zu legen. 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 335 <?page no="336"?> Bei monopolistischen Marktsituationen ist der Anbieter in der Lage, Preispolitik zu betreiben, er kann also durch die Preisfixierung seine Ab‐ satzmenge beeinflussen. Bei polypolistischen Marktsituationen am vollkommenen Markt ist die Wirkung einer Abweichung des Preises vom Marktpreis so gravierend, dass der Anbieter realistischerweise keine Preis-, sondern nur eine Men‐ genpolitik betreiben kann; die anzubietende Menge wird dabei durch die betrieblichen Kapazitäten wesentlich beeinflusst. Wissen | Bei einer linearen Preisabsatzfunktion bei monopolistischen Marktsituationen beträgt der umsatzmaximale Preis die Hälfte des‐ jenigen Preises, bei dem der Absatz gerade Null wird. Der „Grenzpreis“ lautet damit p s * = − α 0 2α 1 . Die graphische Darstellung dieser Zusammenhänge erfolgt gemeinsam mit jenen bei gewinnmaximaler Preisgestaltung. Die Gesetzmäßigkeiten eines bestimmten Marktes können zum einen mittels Marktreaktionsfunktionen und zum anderen mittels Elastizitätskoef‐ fizienten operationalisiert werden. Für den Zusammenhang zwischen dem umsatzmaximalen Preis und dem Wert des Elastizitätskoeffizienten gilt: Wissen | Der umsatzmaximale Preis ist gegeben, wenn die relative Änderung des Absatzes dem Betrag nach genauso groß ist wie die relative Änderung des Preises. Preis- und Mengenwirkung einer Preisvariation heben sich also auf; das ist dann erfüllt, wenn ε = -1,0. Bei einer Preiselastizität der Nachfrage von -1,0 hat eine infinitesimale Preisvariation keine Wirkung mehr auf den Umsatz. Zur Ermittlung des gewinnmaximalen Preises sind ähnliche Überle‐ gungen anzustellen, wobei von der Gewinnbzw. Produktdeckungsbeit‐ ragsfunktion auszugehen ist. Für die folgenden Überlegungen soll einfach‐ heitshalber eine lineare Kostenfunktion der Form K s = k s y s +F s unterstellt werden. K s sind dabei die gesamten Kosten, die Produkt s zugerechnet wer‐ den können. F s sind die fixen Einzelkosten und k s die variablen Einzelkosten. Für den deckungsbeitragsmaximalen Preis ergeben sich bei folgender De‐ ckungsbeitragsfunktion 336 6 Preispolitik <?page no="337"?> D s = U s − K s = y s p s − k s y s − F s sowie der 1. Ableitung der Deckungsbeitragsfunktion (preisbezogener Grenzdeckungsbeitrag) gleich Null und der 2. Ableitung der Deckungsbeit‐ ragsfunktion (preisbezogener Grenzdeckungsbeitragszuwachs) kleiner Null die Kenngrößen aus → Darstellung 6.9: Preisabsatzfunktion y s = α 0 + α 1 p s y s = β 0 p sβ 1 Kosten als Funktion des Absatzes K s = k s y s + F s deckungsbeitragsmaxi‐ maler Preis p s * = − α 0 2α 1 + k s 2 p s * = β 1 β 1 + 1 k s für β 1 < − 1 ⇒ Amoroso-Robin‐ son-Relation p s * = ε ε + 1 k s für ε < − 1 Darstellung 6.9: Ermittlung deckungsbeitragsmaximaler Preise bei monopolistischen Marktsituationen und alternativen Preisabsatzfunktionen. Die Amoroso-Robinson-Relation zeigt unmittelbar, dass bei höherer Preiselastizität der optimale Preis geringer ist (für eine unendlich elastische Nachfrage gilt: p* = k). Ein Vergleich des umsatzmaximalen mit dem deckungsbeitragsmaxima‐ len Preis zeigt für den Fall linearer Preisabsatzfunktionen, dass der optimale Preis lediglich von den variablen Kosten, nicht aber von der Höhe der fixen Kosten abhängt. Der deckungsbeitragsmaximale Preis ist unter den gegebenen Bedingungen dabei derjenige, der um den halben Betrag der Stückkosten höher ist als der umsatzmaximale Preis. Bei Marktgesetzmäßigkeiten, die durch eine multiplikative Preisabsatz‐ funktion wiedergegeben werden können, lässt sich analytisch der optimale Preis lediglich für eine preiselastische Nachfrage ableiten. Aufgrund einfa‐ cher Überlegungen gilt, dass bei einer Preiselastizität β 1 ≠ − 1, 0eine sehr geringe Absatzmenge bzw. ein sehr hoher Preis optimal ist. Wie bereits dargelegt, kann die multiplikative Preisabsatzfunktion in vielen Fällen als gute Annäherung an reale Märkte gelten. 6.2 Preisbildung auf vollkommenen Märkten 337 <?page no="338"?> Wissen | Bei multiplikativer Preisabsatzfunktion gilt, dass bei gerin‐ gen Preiselastizitäten eher hohe Preise, bei hohen Preiselastizitäten dagegen eher niedrige Preise gewinnmaximal sind. 6.2.5.2 Preisbestimmung bei begrenzten Kapazitäten Die bisher dargestellten Optimierungskalküle berücksichtigen lediglich alternative Marktsituationen und Preisabsatzfunktionen, gingen allerdings stets davon aus, dass es entweder nur einen Produktpreis oder aber verschie‐ dene Produktpreise zu fixieren galt, wobei diese voneinander unabhängig gestaltet werden können. Dies ist vor allem dann nicht der Fall, wenn hinsichtlich bestimmter ma‐ schineller oder personeller Kapazitäten, die von allen relevanten Produkten in Anspruch genommen werden, Engpässe bestehen. Unter Engpass ist dabei der Fall zu verstehen, dass die jeweils isoliert ermittelten optimalen Preis-Mengen-Kombinationen nicht realisiert werden können. In solchen Fällen wird man die zu fixierenden Preise so festlegen, dass unter Berück‐ sichtigung des Kapazitätsengpasses der bestmögliche Wert der Zielfunk‐ tion erreicht wird. Eine vergleichbare Entscheidungssituation ist diejenige, bei der aufgrund exogener Gegebenheiten festgelegt wird, dass bestimmte Mindestniveaus beachtet werden müssen. Ein Beispiel hierfür wäre der Fall, dass in einem bestimmten regionalen Teilmarkt unabhängig von der Gewinnlage ein Mindestumsatz getätigt werden soll, um die Marktstellung nicht völlig zu verlieren. In solchen Entscheidungssituationen können zur Ableitung optimaler Preise Lagrangesche Multiplikatoren verwendet werden. Bei der Anwen‐ dung der Lagrangeschen Multiplikatoren ist zunächst die restringierende Bedingung zu operationalisieren, was üblicherweise mittels Kapazitätskoef‐ fizienten (hier: γ) geschieht. Werden zwei Produkte auf einer einzigen Maschine gefertigt, die eine Kapazität von 100 Stunden je Periode hat, und ist für die Fertigung einer Einheit des Produkts s diese Maschine drei Stunden und für die Fertigung einer Einheit des Produkts s' diese Maschine zwei Stunden belegt, so gilt die Nebenbedingung: 3y s + 2y s ′ ≤ 100( = 80). Ein im Absatzbereich häufig auftretender Engpass ist die Arbeitszeit der Außendienstmitarbeiter, wobei in diesem Fall die Nebenbedingung für jeden einzelnen Reisenden formuliert werden muss. Mittels Lagrangescher Multiplikatoren λ können solche Nebenbedingun‐ gen in die Zielfunktion eingefügt werden, wodurch eine modifizierte 338 6 Preispolitik <?page no="339"?> Zielfunktion entsteht, deren Maximierung dann die Einhaltung der Ne‐ benbedingung garantiert. Die erweiterte Zielfunktion wird mathematisch wie jede andere Zielfunktion behandelt, es werden also partielle Ableitun‐ gen nach allen Stellgrößen gebildet und dann die optimalen numerischen Werte der Stellgrößen und der numerische Wert von λ errechnet. Dieser numerische Wert von λ muss bei richtiger Berechnung einen Wert größer Null aufweisen; er stellt das Äquivalent für die Minderung des Zielfunkti‐ onswertes infolge der Änderung des Wertes der begrenzenden Variablen dar (λ: Gewinnentgang). Lagrangesche Multiplikatoren erlauben auf relativ einfache Weise die Ableitung optimaler Werte von Variablen einer Funktion mit nicht nur einer, sondern auch mehreren Nebenbedingungen. Wissen | Der Lagrange-Ansatz berücksichtigt jede Restriktion in vollem Umfang. Es ist daher stets zu überprüfen, ob die optimale Preis-Mengen-Kombination unter Missachtung der Restriktion auch wirklich zu einer Verletzung der Restriktion führt. Aus der Tatsache, dass bei der Anwendung Lagrangescher Multiplikatoren stets Werte der interessierenden Variablen ermittelt werden, die die Restrik‐ tion voll ausschöpfen, folgt auch, dass die Zahl der Nebenbedingungen nicht größer sein darf als die Zahl der zu optimierenden Variablen. 6.3 Preisbildung auf unvollkommenen Märkten 6.3.1 Marktformen und doppelt geknickte Preisabsatzfunktion Die bisherigen Überlegungen basieren auf den Annahmen des vollkomme‐ nen Marktes. Dabei wird u. a. nicht berücksichtigt, dass die Bedürfnisse der aktuellen und potenziellen Käufer zum einen differenziert sind und zum anderen gewissen Beeinflussungen unterliegen. Der Gemeinsame Merkmalsraum in → Kapitel 5 stellt eine Augenblick‐ aufnahme eines Marktes dar, die sich durch eine sehr differenziert abgestufte Beurteilung der Marken eines Produkts auszeichnet, wobei die einzelnen Personen noch unterschiedliche Präferenzvorstellungen besitzen. Diese Darstellung eines Produktmarktes wirft unmittelbar die Frage nach der Abgrenzung der jeweiligen Produktmärkte auf. 6.3 Preisbildung auf unvollkommenen Märkten 339 <?page no="340"?> Beispiel | Ist hinsichtlich eines VW Passats der relevante Markt durch die Mittelklassewagen deutscher Fabrikation, die Mittelklassewagen deutscher und ausländischer Produktion oder durch alle Personenkraft‐ wagenmodelle zu beschreiben? Ausgangspunkt der meisten Theorieansätze in diesem Zusammenhang ist ein Marktformenschema, bei dem sehr häufig von einer polypolistischen oder atomaren Nachfragerstruktur und alternativen Anbieterstruk‐ turen ausgegangen wird. Eine Gegenüberstellung der Marktformen bei vollkommenem und unvollkommenem Markt zeigt → Darstellung 6.10. - Marktformen bei polypolistischer Nachfragerstruktur Anbieterstruktur vollkommener Markt unvollkommener Markt monopolistisch Monopol | reines Monopol monopolistische Konkurrenz | generische Konkurrenz, Konkur‐ renz um totale Kaufkapazität oligopolistisch Oligopol | homogenes Oligopol monopolistische Konkurrenz | unter Berücksichtigung der Re‐ aktion einzelner Konkurrenten polypolistisch Polypol | vollkommene Konkurrenz monopolistische Konkurrenz | ohne Berücksichtigung der Re‐ aktion einzelner Konkurrenten Darstellung 6.10: Marktformen bei polypolistischer Nachfragerstruktur und alternativen Anbieterstrukturen auf vollkommenem und unvollkommenem Markt. Sowohl bei monopolistischer als auch bei oligopolistischer und polypolis‐ tischer Anbieterstruktur besitzt jeder Anbieter einen gewissen preispo‐ litischen Spielraum, d. h. einen Preisbereich, innerhalb dessen er die Preise variieren kann, ohne dass die Nachfrage wie beim Polypolisten am vollkommenen Markt völlig ausbleibt bzw. über alle Maßen ansteigt. • Bei monopolistischer Anbieterstruktur ist dieser preispolitische Spiel‐ raum vergleichsweise groß, da lediglich die so genannte generische Konkurrenz wirksam wird, d. h. die Konkurrenz aller Produkte um die begrenzte Kaufkraft der Käufer. 340 6 Preispolitik <?page no="341"?> • Bei polypolistischen Anbieterstrukturen ist der preispolitische Spiel‐ raum vergleichsweise gering, da Substitutionskonkurrenz gegeben ist. In der Realität ist der preispolitische Spielraum bei polypolistischer Anbieterstruktur vor allem durch die räumliche Verteilung der Anbieter und durch persönliche Präferenzen bedingt. • Bei oligopolistischer Anbieterstruktur besteht ebenfalls Substituti‐ onskonkurrenz, wobei in diesem Fall jeder Konkurrent einzeln in das Kalkül einbezogen wird. Die Grenzen zwischen den einzelnen alternativen Anbieterstrukturen sind im Übrigen in der Realität zumeist nicht klar zu ziehen, da die Abgrenzung der einzelnen Märkte kaum zweifelsfrei möglich ist. Als zentrale Aussage kann damit festgehalten werden, dass auf unvoll‐ kommenen Märkten bei polypolistischer Nachfragestruktur unabhän‐ gig von der Anbieterstruktur monopolistische Konkurrenz herrscht. Jeder Anbieter hat wegen Informationsasymmetrien der Nachfrager einen gewissen preispolitischen Spielraum, der begrenzt wird • bei monopolistischer Anbieterstruktur durch die Konkurrenz aller Produkte um die Kaufkraft der Nachfrager, • bei polypolistischer Anbieterstruktur durch die Substitutionskon‐ kurrenz der Produkte - abhängig von räumlicher Verteilung der An‐ bieter und Präferenzen. Die Problematik der Marktabgrenzung im Fall der Substitutionskon‐ kurrenz ist an einem Beispiel zu verdeutlichen: Beispiel | Bis vor wenigen Jahren kontrollierte das südafrikanische Unternehmen De Beers Consolidated Mines Ltd. ca. 80 % des Diamanten‐ welthandels. Der Markt für Diamanten kann damit als monopolistisch strukturiert betrachtet werden. Diamanten sowohl für Schmuckals auch für Industriezwecke stehen jedoch in einem gewissen Konkur‐ renzverhältnis etwa zu Saphiren, Rubinen und anderen Edelsteinen. Betrachtet man damit den größeren als relevanten Markt, ist De Beers nur mehr als - wenn auch starker - Oligopolist einzustufen. Geht man bei den preispolitischen Überlegungen davon aus, dass die lineare Preisabsatzfunktion eine brauchbare Repräsentation der Marktgegebenheiten 6.3 Preisbildung auf unvollkommenen Märkten 341 <?page no="342"?> darstellt, so können die Nachfragerverhältnisse bei monopolistischer Kon‐ kurrenz durch die doppelt geknickte Preisabsatzfunktion nach Guten‐ berg (1984, S. 246ff., vgl. auch Simon u. Fassnacht, 2019) adäquat abgebildet werden. Es ergibt sich der in → Darstellung 6.11 wiedergegebene Verlauf. y p s mit zunehmendem Preisvorsprung gegenüber den Wettbewerbern werden diese immer weniger als Surrogate akzeptiert akquisitorisches Potenzial des Angebots mögliche Surrogate werden in diesem Bereich (je höher p) immer mehr als solche akzeptiert (u) p s (o) p s monopolistischer Bereich polypolistischer Bereich Darstellung 6.11: Doppelt geknickte Preisabsatzfunktion nach Gutenberg. Verändert ein Anbieter im monopolistischen Bereich der Funktion seine Preise, so werden sich nur geringe Fluktuationstendenzen der bisherigen „Stammkundschaft“ zeigen (vgl. Diller et al., 2021). Das akquisitorische Potenzial eines jeden Anbieters bzw. der monopolistische Spielraum ist dabei umso größer, • je ausgeprägter das Profil durch Standort-, Produkt-, Sortiments- und Servicefaktoren etc. ist, • je qualitäts- und servicebewusster die Nachfrager sind, • je unvollkommener die Preis-Leistungstransparenz ist und • je langsamer die Nachfrager auf Preisveränderungen reagieren. Die multiplikative Preisabsatzfunktion weist zumindest für den unteren und mittleren Preisbereich bereits einen der doppelt geknickten Preisab‐ satzfunktion ähnlichen Verlauf auf. Im Bereich hoher Preise wird bei der multiplikativen Preisabsatzfunktion allerdings keine zunehmende Preisel‐ astizität unterstellt. Der Bereich dieser vergleichsweise hohen Preise ist allerdings für reale Gegebenheiten relativ wenig bedeutsam. 342 6 Preispolitik <?page no="343"?> 6.3.2 Klassische Preisdifferenzierung Geht man davon aus, dass die Nachfrager auf einem Markt hinsichtlich ihrer Reaktion auf alternative Ausprägungen eines Marketinginstruments (z. B. den Preis) unterschiedlich reagieren, so liegt es nahe, für die einzel‐ nen Nachfragergruppen alternative Ausprägungen des Instruments festzu‐ setzen. Werden für ansonsten gleiche Produkte unterschiedliche Preise gefordert, so liegt Preisdifferenzierung vor, was nichts anderes als eine preisbezogene Marktsegmentierung darstellt. Preisdifferenzierung ist ein in der Realität sehr häufig anzutreffendes Phänomen; einige Formen der Preisdifferenzierung für homogene Produkte sind nachstehend aufgeführt: • Räumliche Preisdifferenzierung: Je nach dem Ort des Angebots oder der Nachfrage werden unterschiedliche Preise gefordert. Die Un‐ terschiedlichkeit der Preise kann dabei zum Teil oder auch vollständig durch Transportkostendifferenzen begründet sein (z. B. Fisch in Nord- oder Süddeutschland). • Zeitliche Preisdifferenzierung: Je nach dem Zeitraum oder Zeitpunkt des Angebots oder der Nachfrage werden unterschiedliche Preise gefor‐ dert. Der Zeitraum kann dabei nach Stunden (Tag oder Nacht) oder nach Jahreszeiten (Saisonverkauf, Subskriptionen) bemessen sein (z. B. Kino, Flüge). • Personelle Preisdifferenzierung: Je nach der Person des Nachfragers werden unterschiedliche Preise gefordert. Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen sowie alters- oder berufsgruppenbezogene Unterscheidungen (z.-B. Softwarelizenzen für Studenten und Unternehmen). • Verwendungsbezogene Preisdifferenzierung: Je nach der Art der Verwendung werden unterschiedliche Preise gefordert (z. B. Salz als Viehsalz oder Speisesalz). • Mengenbezogene Preisdifferenzierung: Je nach Umfang der Nach‐ fragemenge werden unterschiedliche Preise gefordert (BahnCard; Men‐ genrabatt, üblicherweise wird der Mengenrabatt allerdings nicht als eine Form der Preisdifferenzierung eingestuft). • Nebenleistungsbzw. gestaltungsbezogene (sachliche) Preisdiffe‐ renzierung: Je nach der Art der Nebenleistungen oder der Ausgestal‐ tung einer absatzorientierten Leistung, die ein Anbieter seinen Nachfra‐ 6.3 Preisbildung auf unvollkommenen Märkten 343 <?page no="344"?> gern bietet, werden unterschiedliche Preise gefordert, die Grenze zur Produktdifferenzierung ist hier nur schwer zu ziehen. Die Ziele, die mit allen Formen der Preisdifferenzierung verfolgt werden, sind entweder soziale Ziele oder das ökonomische Ziel, die „Käuferrente“ abzuschöpfen. Wissen | Unter Käuferrente versteht man dabei denjenigen Betrag, den ein Nachfrager für eine bestimmte Marke eines Produkts weniger zu zahlen hat, als er aufgrund seiner Präferenzen zu zahlen bereit ist. Hinter dem Konzept der Käuferrente steht die Vorstellung, dass es indivi‐ duelle Preisabsatzfunktionen gibt. Da der gewinnmaximale Preis eines Unternehmens von der entsprechenden Preisabsatzfunktion abhängt, ist die Preisdifferenzierung dann gewinnmaximal, wenn jedem Nachfrager bzw. jeder Nachfragergruppe ein individueller Preis gesetzt wird. → Darstellung 6.12 verdeutlicht die Argumentation. Darstellung 6.12: Preisdifferenzierung und Käuferrente. 344 6 Preispolitik <?page no="345"?> Bei Preis p2 zahlen alle, die links vom Schnittpunkt mit der x-Achse liegen, d. h. deren Preisbereitschaft für das Produkt höher ist als der geforderte Preis, weniger als sie zu zahlen bereit sind. Bei Preisdifferenzierung und Durchsetzen eines Preises p1 wird von einem Teil der Käufer die Preisbe‐ reitschaft besser ausgenutzt, die Käuferrente wird besser abgeschöpft. Voraussetzung für eine solche Strategie ist: • Existenz und Erkennbarkeit von Nachfragersegmenten (Teilmärk‐ ten), die unterschiedliche Preisabsatzfunktionen aufweisen. • Isolierbarkeit dieser Segmente (z. B. durch mangelnde Preistranspa‐ renz oder durch Kosteneffekte wie z.-B. Transportkosten). • Durchführbarkeit hinsichtlich der Konkurrenzsituation. • Ökonomische Sinnhaftigkeit (die Summe der Deckungsbeiträge der getrennten Bearbeitung muss mindestens der Summe einer undifferen‐ zierten Bearbeitung entsprechen). • rechtliche Zulässigkeit. 6.3.3 Preisbündelung als spezielle Form der Preisdifferenzierung Die Preisbündelung ist als Gegenstück zur Produktbündelung zu sehen und daher eine spezielle Variante der leistungsbezogenen Preisdifferen‐ zierung. Konkret geht es darum, verschiedene Leistungen eines Angebotspro‐ gramms als Set zu einem „Paketpreis“ anzubieten. Teilweise ist dann nur der Erwerb des Pakets möglich, d. h. die Einzelleistungen sind separat nicht erhältlich (reine Preisbündelung, Pure Bundling) oder sind auch einzeln zu kaufen (gemischte Preisbündelung, Mixed Bundling). Das Ziel ist dabei immer das Abschöpfen von Käuferrenten heterogener Nachfrager bzw. allgemeiner die Reduktion der Heterogenität der Nachfrage. Ebenso werden vielfach auch Kosteneinsparungseffekte genannt. Das Beispiel in → Darstellung 6.13 in Anlehnung an Diller et al. (2021) illustriert die Möglichkeiten, Käuferrenten durch Preisbündelung abzuschöpfen. 6.3 Preisbildung auf unvollkommenen Märkten 345 <?page no="346"?> Beispiel | Markt mit zwei Nachfragern und variablen Kosten von 0 € Nachfrager Zahlungsbereitschaft Produkt 1 Zahlungsbereitschaft Produkt 2 A 12 € 25 € B 18 € 10 € Gewinnung beider Kunden: Produkt 1: 12 € und Produkt 2: 10 € ⇒ DB: 44 € suboptimale Preisstellung: Produkt 1: 18 € und Produkt 2: 25 € ⇒ DB: 43 € gemischte Preisbündelung: Produkt 1: 18 € und Produkt 2: 25 € + Paket: 28 € ⇒ DB: 56 € Darstellung 6.13: Ermittlung maximaler Produktdeckungsbeiträge bei Einzelpreisstellung und Preisbündelung. Man erkennt, dass durch das Angebot des Pakets aus beiden Produkten, der Deckungsbeitrag gegenüber der Einzelpreisstellung um € 12 ansteigt. Der Paketpreis von € 28 entspricht dabei der maximalen Preisbereitschaft von Nachfrager B für Produkt 1 und-2. Wissen | Voraussetzung für die Preisbündelung ist - wie immer, dass die Preisbereitschaften verschiedener Marktsegmente hinrei‐ chend bekannt sind. 6.3.4 Nichtlineare Preisbildung als spezielle Form der Preisdifferenzierung Nicht-lineare Preisbildung ist eine spezielle Variante der mengenbezoge‐ nen Preisdifferenzierung. Ausgangspunkt ist hier das Erste Gossen’sche Gesetz, wonach jede weitere Einheit eines Produkts dem Nachfrager einen geringeren Nutzenzuwachs bringt, mithin der Grenznutzen mit zunehmen‐ der Menge sinkt (vgl. Diller et al., 2021). In den Bereich der Preispolitik hineinversetzt, wird versucht, dem Nach‐ frager je nach Nutzen bzw. nach Abnahmemenge differenzierte Preise abzuverlangen, so dass dieser seinen Durchschnittspreis im Prinzip selbst bestimmen kann. 346 6 Preispolitik <?page no="347"?> Üblicherweise werden bei der nicht-linearen Preissetzung folgende Aus‐ gestaltungsalternativen unterschieden (vgl. dazu Diller et al., 2021): • Mengenrabatt: Beim durchgerechneten Mengenrabatt werden je nach Abnahmemenge höhere Rabattsätze gewährt, so dass der Durchschnitts‐ preisüberproportional sinkt. Beim so genannten angestoßenen Mengen‐ rabattgelten die jeweils angegebenen Rabattsätze nur für das jeweilige Mengenintervall. • Bonussysteme: Hier wird nachträglich ein Bonus auf die abgenom‐ mene Menge gewährt. Besonders bekannt sind die Frequent-Flyer-Pro‐ gramme von Fluggesellschaften. Mit dieser Form sollen vor allem die Bindung wirtschaftlich attraktiver Kunden erhöht und für das Direkt‐ marketing verwertbare Informationen gesammelt werden. • Zweiteilige Tarife: Bei dieser Variante werden zwei Preiskompo‐ nenten - eine fixe Grundgebühr und ein variables Nutzungsentgelt - vereint (z. B. BahnCard der Deutschen Bahn oder Telekommuni‐ kationstarife). Interessant sind hier empirische Ergebnisse, wonach beispielsweise der Gewinn mit dem Angebot eines zweiteiligen Tarifs gegenüber einem linearen Tarif um ca. 50 % gesteigert werden konnte. Schließlich konnte ermittelt werden, dass häufig schon zwei Tarifva‐ rianten ausreichen, um die Käuferrenten hinreichend abzuschöpfen. • Blocktarif: Bei Verwendung eines Blocktarifs wird auf die Grund‐ gebühr verzichtet, dafür werden verschiedene Mengenintervalle be‐ preist. • Die genannten Beispiele nicht-linearer Preisbildung sind dann sinnvoll einzusetzen, wenn die Nachfrager ihre Nachfrage nicht bündeln können, um die günstigsten Tarife auszunutzen. 6.4 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze der Preistheorie Den folgenden verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen kommt die Funktion zu, die bisher überwiegend formal begründeten, auf rationalen Kosten-Nut‐ zen- Abwägungen der klassischen Preistheorie basierenden Gesetzmäßig‐ keiten mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen zu erklären. 6.4 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze der Preistheorie 347 <?page no="348"?> 6.4.1 Preise und Nutzenerwartungen als kaufdeterminierende Faktoren Zur Beschreibung der Struktur eines Marktes war im → Kapitel 5 das Modell des Gemeinsamen Merkmalsraumes entwickelt worden. Der Gemeinsame Merkmalsraum stellt eine anschauliche Wiedergabe der Präferenz- und Konkurrenzverhältnisse in einem bestimmten Markt dar. Das Ausmaß des Nutzens, den eine bestimmte Marke eines Produkts dem Beurteiler verspricht, kann anhand der Entfernung der produktmerkmalsspezifischen Idealvorstellungen eines Nachfragers zu den jeweiligen Angeboten im Markt abgeleitet werden. Diese Nutzenwerte sind sowohl ökonomisch als auch psychologisch und soziologisch bedingt. Sind die einzelnen zur Beurteilung anstehenden Produkte hinsichtlich ihrer Merkmalsausprägungen und die Nutzenvorstellungen der einzelnen Beurteiler bekannt, so ist aus dem Präferenzraum unmittelbar die Nut‐ zeneinstufung dieser Produkte durch den jeweiligen Beurteiler ablesbar. Mittels der Nutzenwerte (Präferenzwerte) der einzelnen Produkte ist eine unmittelbare Vergleichbarkeit der subjektiven Vorziehenswürdigkeit der einzelnen Produkte gegeben. Produkten mit bestimmten Nutzenwerten können häufig ziemlich genau bekannte Höchstpreise zugewiesen werden, die allerdings personenabhängig sind. Es ist einsichtig, dass die Preisbereitschaftsfunktion monoton steigt und bedingt durch die Finanzmittel der jeweiligen Person ein Sättigungsniveau besitzt; sie stellt im Übrigen eine Sonderform der viel allgemeineren Reiz‐ empfindungsfunktion Fechners dar. Die Preisbereitschaftsfunktion einer beliebigen Person ist in → Darstellung 6.14 wiedergegeben. Anspruchsniveau Nutzen Preisbereitschaft Budgetbedingte, maximale Preisbereitschaft Darstellung 6.14: Preisbereitschaftsfunktion einer Person. 348 6 Preispolitik <?page no="349"?> Der Schnittpunkt der Kurve mit der Nutzen-Koordinate ist durch die Trägheit und/ oder das Anspruchsniveau der Person bedingt; der dazuge‐ hörende Nutzenwert kennzeichnet gewissermaßen den Schwellenwert des Nutzens, der überschritten werden muss, bevor überhaupt Geldmittel verausgabt bzw. bevor Beschaffungsanstrengungen unternommen werden. Die Preisbereitschaftsfunktionen verschiedener Personen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich des Schwellenwertes als auch hinsichtlich der Steigung und des Sättigungsniveaus der Kurve. Die Nutzenfunktion und Preisbereitschaftsfunktion können miteinander verknüpft werden; für den einfachen Fall, dass für die Beurteilung eines Objektes nur ein Merkmal relevant ist, gibt → Darstellung 6.15 den Zusam‐ menhang in folgendem 4-Felder-Modell wieder. Nutzen- Preisbereitschaft- Raum Preisbereitschaft Nutzen Preisbereitschaft Merkmalsausprägung ① ② ③ Merkmal- Nutzen- Raum Merkmal- Preisbereitschaft- Raum . . Darstellung 6.15: Gesamtmodell der individuellen Preisbereitschaft. Das in → Darstellung 6.15 abgebildete Preisbereitschaftsmodell stellt den Zusammenhang zwischen alternativen Merkmalsausprägungen und dem maximal zu zahlenden Preis dar. Geht man davon aus, dass die Merkmal‐ sausprägung für ein bestimmtes Produkt gegeben ist, so hängen die maximal 6.4 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze der Preistheorie 349 <?page no="350"?> gezahlten Preise allein von den personenindividuellen Preisbereitschafts‐ funktionen ab. Da Personen in der Regel auch bereit sind, Produkte zu kaufen, wenn sie einen Preis aufweisen, der unter ihrer Preisbereitschaft liegt, kann aus diesen Zusammenhängen eine monoton fallende Kurve der Zahl potenzieller Käufer in Abhängigkeit von alternativen Preisen entwi‐ ckelt werden (→ Darstellung 6.16). Damit ist die Entstehung der fallenden Preisabsatzfunktion aus nutzentheoretischen Überlegungen abgeleitet. budgetbedingte, maximale Preisbereitschaft Anzahl der Käufer Anzahl der Käufer Preis Darstellung 6.16: Preisurteil von Nachfragern. Eine andere Wiedergabe des Zusammenhangs zwischen dem einem Produkt zugeschriebenen Nutzen, der objektiven Produktqualität und dem objekti‐ ven bzw. dem wahrgenommenen Preis enthält → Darstellung 6.17. objektiver Preis wahrgenommener Preis Nutzen objektive Qualität Produkte Teilprozesse (3) „zu teuer“ (inakzeptabel) „teuer“ „normal“ „billig“ „sehr billig“ „exquisit“ „ sehr gut“ „befriedigend“ „schlecht“ „mangelhaft“ A BC DE AB C D E Produkte (1) (2) „sehr teuer“ „gut“ (inakzeptabel) Darstellung 6.17: Ableitung der fallenden Preisabsatzfunktion aus nutzentheoretischen Überlegungen. 350 6 Preispolitik <?page no="351"?> Demzufolge werden zuerst die Preis- und Nutzenwahrnehmungsprozesse durchlaufen (Teilprozesse 1 und 2), dann erst wird das Preiswürdigkeitsur‐ teil gefällt; über die Reihenfolge des Preis- und des Nutzenwahrnehmungs‐ prozesses wird dabei allerdings keine Aussage getroffen. Das Ergebnis des preisbezogenen Wahrnehmungsprozesses ist das Preisgünstigkeitsurteil; das Preiswürdigkeitsurteil ergibt sich aus dem Abgleich dieses Urteils mit dem Nutzenurteil. Im vorliegenden Fall werden somit zuerst die Produkte A und E ausge‐ schlossen, dann die anderen Produkte miteinander verglichen. Aus der Differenz zwischen dem Nutzen und dem wahrgenommenen Preis eines Produkts ergibt sich die Präferenzrangfolge B vor D vor C, die in der Steigerung der Preis-Nutzen-Geraden graphisch ihren Ausdruck findet. 6.4.2 Der Einfluss des Preises auf die Qualitätswahrnehmung Eine wesentliche Annahme bei der Ableitung der Funktion der Zahl poten‐ zieller Käufer in Abhängigkeit von alternativen Preisen war, dass diese den Nutzen eines Produkts unabhängig vom Preis beurteilen. Es wurde folglich auch angenommen, dass sie bereit sind, Produkte zu kaufen, deren Preis weit unter ihrer Preisbereitschaft liegt. In der Realität sind jedoch viele Fälle anzutreffen, in denen der einem Objekt zugemessene Nutzenwert nicht allein durch die Merkmalsausprägungen des Produkts, sondern auch durch dessen Preis bedingt ist. Ein solches Beurteilungsverhalten ist vor allem dann anzutreffen, wenn die Personen Produkte zu beurteilen haben, die für sie technisch relativ kompliziert und unüberschaubar sind, d.-h. wenn sie aus • Kompetenz-, • Zeit- oder • Kostengründen nicht in der Lage sind, sich ein zutreffendes Urteil über die Qualität aller Produktalternativen zu bilden. Damit bleibt dem Nachfrager praktisch kaum etwas anderes übrig, als seine Kaufentscheidung auf der Basis unvollkom‐ mener Qualitätsinformationen zu treffen. Die Qualität wird dann anhand von Kriterien oder „Indikatoren“ beurteilt, die dem Nachfrager leicht zugänglich sind und bei denen er eine enge 6.4 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze der Preistheorie 351 <?page no="352"?> Beziehung zur „objektiven“ Qualität vermutet. Damit soll das Qualitätsrisiko und daraus resultierende kognitive Dissonanz reduziert werden. Beispiel | Steht ein durchschnittlicher Nachfrager vor der Wahl zwi‐ schen alternativen Typen von Farbfernsehgeräten, so liegt es für ihn nahe, Preisunterschiede auf entsprechende Qualitätsunterschiede zu‐ rückzuführen. Eine preisbezogene Qualitätsvermutung wird insbeson‐ dere dann wirksam, wenn verschiedene Typen desselben Herstellers (im gleichen Geschäft) angeboten werden. Wissen | Die Ausstrahlung des Preises auf die Qualitätswahrnehmung wird als Preis-Qualitäts-Irradiation bezeichnet. Diese tritt vor allem dann auf, wenn die diesbezüglichen Produkte folgende Eigenschaften aufweisen: • Marken- und Herstellernamen spielen keine große Rolle. • Erfahrungen fehlen oder sind nicht zugänglich, weil ein Produkt neu ist oder weil der letzte Gebrauch zu lange zurückliegt. • Die objektive Qualität ist schwer abzuschätzen, z. B. wegen technischer Komplexität. • Der Preis selbst ist ein wichtiges Produktattribut, z. B. bei Prestigepro‐ dukten. • Der absolute Preis ist nicht zu hoch (wenn doch, lohnt sich die Suche nach Informationen und die damit verbundenen Kosten). • Das wahrgenommene Risiko, d. h. die vermutete Qualitätsbandbreite ist hoch. Weiterhin spielen einige situative Einflussfaktoren eine Rolle: • Zeitdruck, • Komplexität der Einkaufsaufgabe oder • Preisintransparenz. Schließlich haben auch einige personenbezogene Merkmale einen Einfluss: • geringes Selbstvertrauen, • geringes Produktwissen oder Produkterfahrung, • wenig Sparsamkeit, 352 6 Preispolitik <?page no="353"?> • hohe Bequemlichkeit oder • geringe Risikobereitschaft. Tritt einer der oben angeführten Umstände, die bei Kaufentscheidungen des Kunden zur Preis-Qualitäts-Irradiation führen, auf und will der Hersteller seine Marketingargumentation nicht allein auf den Preis reduzieren, so ist dafür Sorge zu tragen, dass beispielsweise der Kunde Zeit bekommt, sich entsprechende Beurteilungskompetenzen anzueignen etc. Beispiel | Die Preis-Qualitäts-Irradiation ist auch ein Grund dafür, dass häufig statt eines bestimmten Nettopreises ein wesentlich höherer Bruttopreis gefordert und darauf ein großzügiger Rabatt gewährt wird. Dahinter steht die Annahme, dass die Qualitätsvermutung durch den Brut‐ topreis und nicht durch den Nettopreis beeinflusst wird. Darüber hinaus erwecken Rabatte bei vielen Nachfragern den Eindruck, einen besonders günstigen Kauf getätigt zu haben bzw. tätigen zu können. Eine vollständige Preis-Qualitäts-Irradiation dürfte in der Empirie nicht anzutreffen sein, in abgeschwächter Form tritt sie allerdings sehr häufig auf. So konnte in der Studie von Rao u. Monroe (1989) bei einer Vielzahl von Produkten ein moderat positiver Preis-Qualitäts-Zusammenhang mit 0,2 ermittelt werden (ähnlich Diller et al., 2021, S. 139f.), wobei dieser mit der Höhe der experimentell variierten Preisspannweite korrelierte. 6.5 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen Ein wesentliches Problem bei der Preisbestimmung ist die Gewinnung von Daten zur Schätzung von Preisabsatzfunktionen. Wissen | Es existiert keine einzelne Methode, die sich generell für alle Fälle der Preisbestimmung eignet und die zudem gleichermaßen die Kosten-, Kunden- und Wettbewerbsorientierung des Preises sicherstellt. Optimale Preisfestsetzungen ergeben sich immer aus einer Anwendung eines Methoden-Mix (vgl. das Beispiel bei Helm u. Janzer, 2000). Im Wesentlichen stehen dazu folgende Methoden aus der Marketingforschung zur Verfügung: 6.5 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen 353 <?page no="354"?> • Expertenbefragung: Gerade bei neuen Produkten, bei denen sich Personen der Zielgruppen kaum eine konkrete Vorstellung hinsichtlich der Preiswürdigkeit machen können, sinnvoll (vgl. Simon u. Fassnacht, 2019,). • Preisexperimente: Es werden reale oder der Realität nachgestellte Kaufsituationen bei alternativen Preisen nachgestellt und die resultie‐ renden Absatzmengen gemessen (z. B. durch Scannerkassen in koope‐ rierenden Einzelhandelsgeschäften oder entsprechend in E-Shops). • Direkte Kundenbefragung: In der einfachsten Variante werden die Kunden direkt nach den oberen Preislimits befragt, die Angaben werden anschließend aggregiert (vgl. Simon u. Fassnacht, 2019). • Indirekte Kundenbefragung: Die Nachteile, wie z. B. das atypisch hohe Preisbewusstsein bei der direkten Befragung, können durch eine indirekte Technik, bei der gleichzeitig auch die Trade-off-Beziehung zwischen dem Preis und anderen wesentlichen Produkteigenschaften verdeutlicht werden kann, vermieden werden. Die bereits in den → Ka‐ pitel 4 und 5 angesprochene Conjoint-Analyse ist hier mittlerweile das dominante Verfahren (vgl. Helm u. Steiner, 2008, S.-205ff.). Mit der Conjoint-Analyse kann die Zahlungsbereitschaft (individueller Nutzen) für einzelne Ausprägungen von Produktmerkmalen berechnet werden. Dem Befragten werden dabei hypothetische Angebote gezeigt. Die gezeigten Produkte sind aus entscheidungsrelevanten Produktmerkmalen komponiert. Eine Produkteigenschaft kann der Preis sein. Die Auskunftsper‐ son entscheidet schließlich auf einer Skala entsprechend seiner Präferenz, welches Produkt er bevorzugen würde. Das Verfahren ist im Folgenden an einem kurzen Beispiel erläutert: Beispiel | Der Ausgangspunkt war, dass ein Hersteller von Software sich neben seinem Kerngeschäft, nämlich die Programmierleistung, auch auf weitere Dienstleistungen konzentrieren wollte. Die Frage war, wie viel die einzelnen Komponenten am Markt Wert seien. Für die Conjoint-Analyse wurden die möglichen Dienstleistungen zu‐ nächst präzisiert. Diese erstreckten sich auf die Dauer zwischen Anfrage des Kunden und dem ersten Problemlösungsansatz (Response-Zeit), auf die Fähigkeit, auch Betreuungsleistungen für einige weitere Software‐ produkte, die oft in Zusammenhang mit der hier primär betrachteten 354 6 Preispolitik <?page no="355"?> Software installiert sind, zu erbringen (Mulitvendor) und auf den Ort der Problemlösung. → Darstellung 6.18 zeigt diese Präzisierung der Dienstleistung nochmals auf. Die Kombinationen dieser Merkmale ergeben zwölf mögliche Dienst‐ leistungen. Repräsentativ aus der Zielgruppe ausgewählte Personen beurteilten, welchen Preis sie pro PC, auf dem die interessierende Software installiert ist, und pro Jahr vertraglich vereinbaren würden. →-Darstellung 6.19 zeigt die Art der Messung. Merkmal Ausprägung Response-Zeit • etwa eine Stunde • etwa drei Stunden • etwa sechs Stunden Multivendor • Spezialist betreut Software mehrerer Hersteller • Spezialist betreut nur die Software eines Herstellers Ort der Problem‐ lösung • On-Site-Support, d.-h. Spezialist kommt vor Ort • per Telefon oder Onlineverbindung Darstellung 6.18: Gestaltungsmöglichkeiten der angebotenen Dienstleistung. Angebot A Angebot B Angebot C … Angebot L Response-Zeit: 1 Stunde Response-Zeit: 1 Stunden Response-Zeit: 3 Stunden Response-Zeit: 6 Stunden kein Multivendor kein Multivendor kein Multivendor Multivendor Vor-Ort-Pro‐ blemlösung keine Vor-Ort-Pro‐ blemlösung keine Vor-Ort-Pro‐ blemlösung Vor-Ort-Pro‐ blemlösung Darstellung 6.19: Messung des individuellen Nutzens verschiedener Angebotskombi‐ nationen durch direkten Vergleich. 6.5 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen 355 <?page no="356"?> Anhand dieser Daten kann pro Nachfrager geschätzt werden, wie viel die Attribute in € wert sind. Das Ergebnis für eine ausgewählte Auskunftsperson lautet beispielsweise wie folgt: akzeptier‐ ter Preis = 14,91 für das Referenzobjekt +108,65 falls Response-Zeit rund eine Stunde +51,12 falls Response-Zeit rund drei Stunden +42,61 falls Betreuung von Software mehrerer Anbieter +93,74 falls der Spezialist vor Ort erscheint 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 0 50 100 150 200 250 300 Anteil Preis in € Darstellung 6.20: Preis-Response-Funktion für „Response-Zeit rund drei Stunden, Multivendor, On-Site-Support“. Das Referenzobjekt ist in diesem Fall durch „Response-Zeit höchstens sechs Stunden, nur eine Software betreut, Spezialist erscheint nicht vor Ort“ beschrieben. Anhand dieser Ergebnisse kann im Folgenden je Dienstleistungsprofil berechnet werden, welchen Preis eine aus‐ 356 6 Preispolitik <?page no="357"?> gewählte Auskunftsperson höchstens bezahlen würde. Ordnet man pro Dienstleistungsprofil diese oberen Preislimits, so entsteht eine Preis-Response-Funktion. Für eine der zwölf hier zu unterscheidenden Dienstleistungsangebote ist diese in → Darstellung 6.20 abgebildet. Analoge Zusammenhänge können für die weiteren elf Merkmalskom‐ binationen erstellt werden. In → Darstellung 6.20 ist aufgezeigt, wie viele Befragte, welche die interessierende Software installiert haben, bereit sind, einen Ein-Jah‐ res-Vertrag mit einem bestimmten Entgelt pro PC abzuschließen, der die Leistungen „Response-Zeit rund drei Stunden, Multivendor, On-Site-Support“ zusichert. Die Hälfte der Nachfrager wäre beispiels‐ weise bereit, einen solchen Vertrag einzugehen, wenn das jährliche Entgelt pro PC höchstens € 94,beträgt. Man kann nun den skizzierten Zusammenhang zur Ableitung des optimalen Preises für die ausgewählte Dienstleistung verwenden. Die dargestellte Preis-Response-Funktion lässt sich mittels einer Regressi‐ onsanalyse parametrisieren. Sie kann durch die Funktion y = 0, 94 − 0, 0019p mit: y: Anteil der Nachfrager, die bereit sind, den Preis zu entrichten, p: Preis. beschrieben werden R 2 = 0, 92 .Es ist folglich der Preis deckungsbeit‐ ragsoptimal, bei dem die Funktion DB = 0, 94 − 0, 0019p p − k mit: k: erwartete Kosten pro PC und Jahr für den After-Sales-Service im Falle der vertraglichen Vereinbarung der ausgewählten Dienstleistung. das Maximum erreicht. Analog lassen sich die optimalen Preise für die elf weiteren zur Wahl stehenden Dienstleistungsprofile ermitteln. 6.5 Bestimmung von Preisabsatzfunktionen 357 <?page no="358"?> 6.6 Sonderpreispolitik für Konsumenten Bei den bisherigen Überlegungen wurde davon ausgegangen, dass der ermittelte Preis auch das Entgelt im Einzelfall darstellt; diese Annahme ist jedoch so nicht voll zutreffend; im Alltag werden häufig Sonderpreise, die anders geplant werden, in offener oder verdeckter Form geboten und realisiert. Ein vor allem im Einzelhandel regelmäßig eingesetztes preispolitisches Instrument sind Sonderpreise. In der Regel werden sie als herabgezeichnete Preise auch optisch herausgestellt und stark werblich unterstützt. Für die Wirksamkeit von Sonderangeboten ist entscheidend, dass die Nachfrager bei kurzfristigen Sonderangeboten zumeist den Normalpreis als Qualitätsin‐ dikator und den Sonderpreis als Ausgabenindikator heranziehen. Damit ist - wie im Falle der Rabattgewährung - gewissermaßen ein doppelter Kaufanreiz gegeben, wird doch vermutet, man könne relativ hochwertige Ware zu besonders günstigen Preisen erwerben. Die Wirksamkeit solcher kurzfristigen Sonderpreise zeigt sich auch in den Preiselastizitätswerten. Expertenschätzungen und einfache Markttests lassen beispielsweise für Ta‐ felschokolade folgende Elastizitäten der Nachfrage (vgl. auch →-Abschnitt 6.2.4) als realistisch erscheinen. • Preiselastizität nach dem Produkt Tafelschokolade: ca. -1,0. • Preiselastizität nach einer Marke des Produkts Tafelschokolade bei konstanten Preisen der anderen Marken: ca. -3,0. • Preiselastizität nach einer Marke des Produkts Tafelschokolade im Rahmen einer kurzfristigen Sonderpreisaktion bei konstanten Preisen der anderen Marken: ca. -10,0. Die erhöhte Wirksamkeit von Sonderpreisen gilt nur dann, wenn diese Preise beispielsweise durch bestimmte Möglichkeiten der Preisoptik auch als Sonderpreise wahrgenommen werden und der Handel diese auch tat‐ sächlich weitergibt. Letzteres kann durch eigene kommunikative Maßnah‐ men des Herstellers unterstützt werden. Wird durch laufende Sonderpreisaktionen die Vorstellung vom nor‐ malen Preis eines Produkts insofern verändert, als nun der „Sonderpreis“ als Normalpreis empfunden wird, so leidet darunter die Qualitätsvermutung dieses Produkts, soweit sie preisgestützt ist (was zu einem bestimmten Teil immer der Fall ist). Diese durch Aktionen des Einzelhandels bedingte Veränderung der Positionierung eines Produkts stellt den Kern der Aus‐ 358 6 Preispolitik <?page no="359"?> einandersetzung zwischen Einzelhandels- und Produktionsunternehmen bezüglich der Preispolitik der Einzelhandelsunternehmen dar. Die absatzmäßige Auswirkung einer Sonderpreisaktion kann idealtypisch wie in → Darstellung 6.21 abgebildet werden. Absatz Absatz ① ① Ankündigungseffekt ② Aktionseffekt ③ Vorratseffekt ④ Good-Will-Effekt / Markentreue-Effekt ② ③ ④ Darstellung 6.21: Absatzwirkungen einer Sonderpreisaktion. Zu unterscheiden sind hierbei vier Phasen: Innerhalb des Ankündigungsef‐ fekts werden - falls die Kommunikation wirkt - die Absätze in Erwartung des reduzierten Preises sinken, während sie in der Aktionsphase auf ein deutlich überdurchschnittliches Niveau steigen. In der ersten Zeit nach der Aktion sinken die Absätze unter den Durchschnitt, da größere Mengen während der Aktion gekauft wurden. Letztendlich interessant ist die vierte Phase, da hier entweder negative oder positive Effekte auf den Absatz zu beobachten sind. Eine Sonderpreisaktion ist damit nur über die gesamte Zeitdauer zu bewerten. Es kann davon ausgegangen werden, dass der kurzfristige Umsatzeffekt im Durchschnitt bei 73 %, der langfristige Mar‐ kenbindungseffekt jedoch nur bei 40 % liegt. Auch der Handel kann durch (fortgesetzte) Preisaktionen nur jeden zweiten Kunden langfristig an die Einkaufsstätte binden (vgl. Bachl et al., 2003, S.-15). Als Ziele der Sonderpreispolitik können folgende Punkte angeführt wer‐ den (vgl. Diller et al., 2021), gleichzeitig stellen diese teilweise Situationen dar, in denen Sonderpreisaktionen sinnvoll sein können: Als innengerichtete Ziele sind zu nennen: • kurzfristige Überbrückung von Liquiditätsengpässen. • Abbau überhöhter Lagerbestände. • Motivation des Außendienstes (aktuelles Gesprächsthema). 6.6 Sonderpreispolitik für Konsumenten 359 <?page no="360"?> In Bezug auf den Handelspartner sind möglich Ziele: • Profilierungsmöglichkeit im Preiswettbewerb, • Unabhängig von der Weitergabe der Nachlässe an den Verbraucher bieten temporäre Sonderpreise einen Anreiz für den Handel, das La‐ ger aufzustocken. Dadurch ist eine Steigerung der Distributionsquote (→ Kapitel 7) durch neue Handelsunternehmen bzw. eine Steigerung der Marktpräsenz im Verkaufsraum der bisherigen Händler möglich. • „Verstopfung des Marktkanals“, dadurch Behinderung von Konkurrenz‐ marken. Mögliche verbrauchergerichtete Ziele sind: • Hervorrufen von Impulskäufen. • Erhöhte Kaufmengen. • Eventuelle Probierkäufe und Markenwechsel. • Inkaufnahme bestimmter Nachteile (z. B. ungünstiger Zeitpunkt bzw. Einkaufsort). Letztendlich hat die Sonderpreispolitik auch einige nachteilige Effekte zu verzeichnen: • negative Carry-over-Effekte in der Nachaktionsphase. • Gefahr der Absorption der Preisreduktion durch den Handel. • Förderung der Markenilloyalität. • Förderung des Preisinteresses und Schwächung der Bedeutung von anderen zentralen Produktmerkmalen. • Imagegefährdung prestigeträchtiger Produkte. • Senkung der Preisbereitschaft der Verbraucher. • Preisverfall im Zeitablauf. 6.7 Kostenrechnung und Preisbildung Die bisher angestellten Überlegungen basierten primär auf Marktreaktions‐ funktionen; es wurde gewissermaßen vom Markt her der optimale Preis ermittelt. Wenn Kosten dabei berücksichtigt wurden, dann lediglich, um für die Grenzumsätze eine untere Grenze aufzuzeigen. Dementsprechend wurden auch nicht alle Kosten in den bisher dargestellten Kalkülen berück‐ sichtigt. 360 6 Preispolitik <?page no="361"?> Wissen | Die vom Markt her ermittelten optimalen Preise gewähr‐ leisten nicht, dass alle Kosten voll gedeckt werden. Die (scheinbare) Sicherheit, Preise so festsetzen zu können, dass alle Kosten voll gedeckt werden, bietet die progressive Kalkulation, bei der die betrieb‐ lichen Gegebenheiten den Ausgangspunkt bilden. Das Grundschema der progressiven Kalkulation zeigt → Darstellung 6.22 (vgl. dazu Friedl, 2019). Variable Einzelkosten der Fertigung + Zuschlag für Fixkosten und Gemeinkosten der Fertigung = Gesamte Fertigungskosten + Zuschlag für Verwaltungskosten = Herstellungskosten + Zuschlag für Vertriebskosten = Gesamtkosten („Selbstkosten“) + Zuschlag für „angemessenen“ Gewinn = Verkaufspreis + MwSt. = Rechnungspreis Darstellung 6.22: Grundschema der progressiven Kalkulation. Dass die Sicherheit, auf diese Weise den „richtigen“ Preis zu ermitteln, nur eine scheinbare ist, wurde bereits in → Kapitel 3 dieses Buches dargestellt. Wissen | Jegliche Preisfindung auf Basis der progressiven Kalku‐ lation ist nur dann richtig, wenn die vorab geschätzte Absatzmenge nicht preisabhängig ist, die Nachfrage also als völlig preisstarr angenommen werden kann. Die häufige Anwendung der progressiven Kalkulation trotz dieser gravie‐ renden Einschränkung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass dieses Preisfindungsverfahren einfach standardisierbar und damit auch delegier‐ bar ist. Optimale Preise und damit maximale Gewinne durch Abschöpfung von Käuferrenten, d.-h. die in der Preisfindung und -gestaltung steckenden Gewinnpotenziale, können durch diese Verfahren nur zufällig ermittelt werden! 6.7 Kostenrechnung und Preisbildung 361 <?page no="362"?> Wissen | Die Nachfrager honorieren gemeinhin nicht die Kosten, sondern den Nutzen, die Basis einer marktorientierten Preispolitik ist das Verständnis des so genannten Value to Customer. Nur wenn der Nutzen und seine Unterschiede in den Segmenten quantifi‐ ziert sind, werden Produkte richtig entwickelt, positioniert und bepreist. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass in vielen Fällen die Kosten - vor allem diejenigen der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe - den preispolitischen Entscheidungsrahmen (keine bewussten Verlustverkäufe) sehr stark einen‐ gen. Der realistische Spielraum für die Preispolitik ist oft nicht allzu groß. Dies führt auch dazu, dass Gemeinkostenzuschläge im Verhältnis zu den direkt verrechenbaren Kostenbestandteilen eines Produkts immer größer werden, eine Folge der zunehmenden Automatisierung der Fertigungsprozesse. Der grundlegende Strukturmangel der progressiven Kalkulation kann auch durch mehr Variabilität bei der Festlegung des Gewinnzuschlags - etwa nach dem Tragfähigkeitsprinzip - nicht behoben werden. Das Tragfähigkeitsprinzip besagt, dass der Gewinnzuschlag nach Maßgabe der marktlichen Möglichkeiten festgelegt wird, d. h. bei einem im Verhält‐ nis zu den eigenen Kosten hohen Marktpreis wird demnach ein hoher Gewinnzuschlag „kalkuliert“, während bei einem vergleichsweise niedrigen Marktpreis ein geringer Gewinnzuschlag verrechnet wird. Jede (progressive) Kalkulation nach dem Tragfähigkeitsprinzip offenbart drastisch, welcher Stellenwert den Kosten im Rahmen einer Kalkulation zukommt. Neuere Verfahren wie das Target Costing oder das Quality Function Deployment wurden bereits in →-Kapitel 5 angesprochen. Wissen | Eine professionelle Preispolitik beginnt bereits vor der Produktentwicklung. Sollen Preise auf der Basis retrograder Kalkulationsverfahren ermittelt werden (bspw. für die Ermittlung der Preisuntergrenzen), so bedarf es stets einer marktbezogenen Preisbildung, wie sie der Gegenstand dieses Kapitels war, die folgende vier Schritte beinhalten sollte. • Konkretisierung der Produkte und/ oder Dienstleistungen. • Erfassung der Preisbereitschaft der Kunden bzw. der Preisabsatzfunk‐ tionen. 362 6 Preispolitik <?page no="363"?> • Konkurrenzanalyse: Marktpreise der Wettbewerber? • Prüfung der Kostendeckung: - Welche Kosten entstehen über die gesamte Prozesskette bis zum Kunden? - Gibt es weitere Einflüsse auf die Kosten, wie Preisschwankun‐ gen für Rohstoffe, Lohnkostensteigerung, Abgaben und Steuern? Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass alle hier behandelten Metho‐ den der Preisfindung vor allem folgenden zwei empirischen Phänomenen nicht gerecht werden: • Empirische Marktreaktionsfunktionen sind oft nicht stetig, sondern weisen Sprünge auf; dies trifft insbesondere für so genannte Preis‐ schwellen zu. Die Wirkung einer Preissenkung auf das Absatzvolumen kann beispielsweise bei einer Senkung von € 1,00 auf € 0,99 wesentlich größer sein als bei einer ebenso großen Preissenkung von € 1,01 auf € 1,00 oder von € 0,99 auf € 0,98. Existieren solche Preisschwellen, dann tendieren Unternehmen dazu, die Preise ihrer Produkte knapp unterhalb der Preisschwelle festzusetzen, was in der Praxis an den so genannten gebrochenen Preisen wie € 0,99, € 49,- oder € 990,deutlich wird (vgl. Müller-Hagedorn u. Wierich, 2005, S.-295ff.). • Nachfragerreaktionen auf Preisvariationen stellen sich häufig nicht un‐ mittelbar ein, sondern mit mehr oder weniger großen Verzögerungen. Diese Verzögerungen können insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass es häufig einer gewissen Zeit bedarf, bis potenzielle Käufer von bestimmten Preisänderungen erfahren Diese Limitationen können bei den neuesten Verfahren zur optimalen Preis‐ bestimmung unter Verwendung von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning teilweise überwunden werden. Ein Ansatz ist die Verwendung von neuronalen Netzen, um auf Basis von historischen Daten über Preis- und Verkaufsvolumina die besten Preise für ein Produkt vorherzusagen. Weiterhin ist die Verwendung von Algorithmen zur Optimierung von Preis‐ strategien, die auf Daten wie Marktforschungsergebnissen, Wettbewerb und Kosten basieren, oder die Verwendung von Verfahren der Experimentellen Wirtschaftswissenschaft, wie zum Beispiel A/ B-Testing, um die Wirkung von Preisänderungen auf die Nachfrage zu untersuchen, möglich. 6.7 Kostenrechnung und Preisbildung 363 <?page no="365"?> 7 Vertriebs- und Distributionspolitik Um den betrieblichen Leistungen zum absatzpolitischen Erfolg zu verhelfen, müssen im Rahmen der Leistungsvermittlung, der Distributions- und Kom‐ munikationspolitik, noch einige Determinanten geplant und gesetzt werden. Die distributionspolitischen Bemühungen zielen dabei darauf ab, die räumliche und zeitliche Distanz zwischen der Produktion und den Nach‐ fragern zu überwinden, aber auch darauf, durch die entsprechende Ge‐ staltung dieses Bereichs potenziellen Kunden den Erwerb der Leistungen optimal zu ermöglichen. In der Literatur wird nur teilweise zwischen Vertrieb und Distribution unterschieden (vgl. Helm et al., 2015). Dies liegt zuweilen auch daran, dass der jeweilige Betrachtungsschwerpunkt auf gewerblichen Märkten oder Konsumgütermärkten liegt. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass mit Vertrieb - im Sinne einer Funktion - der unternehmensinterne Teil des gesamten Distributionssystems eines Unternehmens definiert ist, während unter Distribution die unternehmensexternen Partner im Distri‐ butionssystem subsumiert werden. Unabhängig von diesen Definitionen und Betrachtungsperspektiven sind innerhalb dieses Bereichs des Marke‐ ting-Mix vergleichbare Planungen durchzuführen und Entscheidungen zu treffen, die unter den Begriff der Distributionspolitik fallen und somit sowohl Elemente des Vertriebs als auch der Distribution einbeziehen. 7.1 Leistungs- und Entscheidungsbereiche in der Distributionspolitik 7.1.1 Das System der Distributions- und Handelsfunktionen Verschiedene Schemata von in der Literatur vorzufindenden Handelsfunk‐ tionen stellen den Versuch dar, die Funktionen, welche Einzel- und Groß‐ handlungen für die Gesamtwirtschaft erbringen, zu systematisieren. Funk‐ tionskataloge wurden unter anderem von Oberparleiter (1955) oder Schäfer (1981) entwickelt. Nachfolgend wird das Schema von Oberparleiter skizziert. Danach erfüllt der Handel folgende Funktionen (vgl. auch Lingenfelder, 1996): <?page no="366"?> Durch die Raumüberbrückungsfunktion der Handelsbetriebe werden sowohl an beliebiger Stelle gewonnene Rohstoffe oder erstellte Vorprodukte den Produktionsunternehmen an ihren Standorten zur Verfügung gestellt als auch die von den Produktionsunternehmen erstellten Produkte überall den Nachfragern angeboten. Aufgrund der Zeitüberbrückungsfunktion können Urproduktionsein‐ heiten, Produktionsbetriebe und die Endkunden jeweils zu den von ihnen gewünschten Zeitpunkten über die nachgefragten Produkte verfügen, ohne auf irgendwelche Produktionszyklen der Vorstufen Rücksicht nehmen zu müssen. Die Quantitätsfunktion ermöglicht mengenmäßige Umschichtungs‐ prozesse. Produktionsvorgänge sind in der Regel insbesondere dann günstig, wenn in größeren Mengen produziert werden kann, dagegen sind der Kon‐ sum regelmäßig und die Nachfrage industrieller Abnehmer häufig auf kleine Mengen bezogen. Es ist daher eine mengenmäßige Aufteilung von Groß‐ mengen auf Kleinmengen notwendig (verteilender Handel). Umgekehrt ist die Produktionsmenge einer Urproduktionseinheit (z. B. Landwirtschaft) häufig relativ gering im Verhältnis zur Menge einer Weiterverarbeitungs‐ einheit; in diesem Fall ist eine Zusammenführung von vielen Kleinmengen in wenige Großmengen erforderlich (kollektionierender Handel). Die Qualitätsfunktion kann in zwei unterschiedliche Teilfunktionen untergliedert werden. • Dem Handel wesensimmanent ist die Sortimentsbildungsfunktion. Diese besteht darin, verschiedene Produkte qualitativ dadurch zu ver‐ ändern, indem sie in Sortimente eingebunden werden. Denkt man etwa an Sortimente, die Sportgeräte, Sportkleidung und Sportdienstleis‐ tungen (Trainerstunden) umfassen, so wird unmittelbar klar, dass die Zusammenfassung von Einzelleistungen zu Leistungsbündeln, welche Bedarfsbündeln entsprechen, einen erheblichen Nutzenzuwachs für den Nachfrager darstellen (→-Kapitel 5). • Der zweite Teilfunktion der Qualitätsfunktion umfasst solche Produkti‐ onsvorgänge, die kaum einen aktiven Einsatz von Produktionsverfahren verlangen. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang vor allem bestimmte Lagerungsvorgänge (z. B. Wein), aber auch Zubereitungsvor‐ gänge (z.-B. Kaffeerösten). Die Werbefunktion beinhaltet die Information der Nachfrager über Art, Preise und Erhältlichkeit der entsprechenden Produkte bzw. die Information 366 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="367"?> der Produzenten über die Bedürfnisse der Nachfrager. Auf gewerblichen Märkten spielen der Vertrieb und/ oder die Distribution bei dieser Funktion eine erhebliche Rolle, stellen doch diese den direkten Kontakt zum Kunden her und sind hier oftmals die wichtigsten Kommunikationskanäle. Auf Konsumgütermärkten ging diese Funktion erst mit der Einführung von Markenartikeln weitgehend auf die Markenartikel-Produktionsbetriebe über. Schließlich ist die Kreditfunktion zu nennen. Da früher die Handels‐ unternehmen kapitalkräftiger waren als die Konsumenten und die Produ‐ zenten, oblag ihnen häufig die Aufgabe der Kreditierung. Ein Beispiel der Kreditvergabe des Handels an den Verbraucher ist das früher übliche „Anschreiben“; auch heute werden vielfach Finanzierungsfunktionen vom Handel übernommen. Die einstmals auf den Einzel- und Großhandel (= Distribution im insti‐ tutionalen Sinne) gemünzten Funktionskataloge sind voll auf die Distri‐ butionspolitik (= Distribution im funktionalen Sinne) anwendbar. Die genannten Handelsfunktionen müssen zwar in jedem Fall erfüllt werden, nicht aber notwendigerweise von Handelsunternehmen. Es stellt sich damit nicht die Frage des „ob“, sondern vielmehr die Frage „wer“. Die Handelsfunktionen sind nicht nur als Beurteilungsgrößen (vgl. → Abschnitt 7.2), sondern auch zur Beschreibung alternativer Formen einzelner Vertriebs- und Distributionsorgane geeignet. 7.1.2 Entscheidungsbereiche der Distributionspolitik Innerhalb der Distributionspolitik werden alle diejenigen Institutionen betrachtet, die den Absatz von Sach- und Dienstleistungen organisieren/ be‐ treuen. Die Institutionen können dabei entweder unternehmensinterne Einheiten des planenden Unternehmens selbst (Vertrieb) oder unterneh‐ mensexterne Institutionen (Distributoren) sein. Wissen | Im Zentrum der Distributionspolitik steht die Gestaltung der Beziehungen des planenden Unternehmens zu allen ihm nachge‐ lagerten Wirtschaftseinheiten bis zum Endabnehmer. Dies resultiert in der Bereitstellung der vom Unternehmen angebotenen Sach- und Dienstleistungen zu angemessenen Kosten am Ort und zum Zeitpunkt der Nachfrage. 7.1 Leistungs- und Entscheidungsbereiche in der Distributionspolitik 367 <?page no="368"?> Das Ziel der Distributionspolitik eines Unternehmens ist damit eine ange‐ messene Verfügbarkeit der eigenen Produkte im Markt. Eine maximale Verfügbarkeit eines Produktes in räumlicher Hinsicht bedeutet dabei, dass das entsprechende Produkt an all denjenigen Stellen verfügbar ist, an denen es nachgefragt wird bzw. werden könnte. Dass dies unter Gewinngesicht‐ spunkten oft nicht sinnvoll ist, braucht nicht weiter dargestellt zu werden; daher müssen Umsatz- und Kosteneffekte einer Veränderung einzelner Elemente des Distributionssystems analysiert werden. Geht man davon aus, dass eine angemessene Verfügbarkeit bzw. Mög‐ lichkeit der Kontaktaufnahme für den Kunden in räumlicher Hinsicht ein wesentlicher Zweck der Distributionspolitik ist, so kommt der Festlegung der Anzahl, Lage und auch Art der Standorte eine erhebliche Bedeutung zu. Im Folgenden wird in Bezug auf die Kontaktpunkte des Endkunden mit dem Unternehmen der Einfachheit halber von Letztverkaufsstandorten oder Letztverkaufsstellen gesprochen, obwohl sich diese Termini eher auf Kon‐ sumgütermärkte beziehen (inhaltlich treffen die Ausführungen im Großen und Ganzen jedoch auch für gewerbliche Märkte zu). Hinsichtlich des Systems der Letztverkaufsstandorte sind folgende As‐ pekte zu bestimmen: • Anzahl und Lage der Letztverkaufsstellen nach Regionen, Orten, und ggf. innerhalb der einzelnen Orte. • Betriebsform der Letztverkaufsstellen. • Evtl. Standort des Angebots innerhalb der Letztverkaufsstellen. Am Beispiel der im ersten Kapitel vorgestellten Jado GmbH können die einzelnen Aspekte des Systems der Letztverkaufsstellen verdeutlicht wer‐ den: Im Rahmen der Distributionspolitik steht in der Regel am Anfang aller Überlegungen die Frage nach der anzustrebenden Angebotsdichte: • Soll das Parfüm Flair nur in wenigen Geschäften größerer Städte ange‐ boten werden oder auch in kleineren Geschäften auf dem so genannten flachen Land? • Sollen die einzelnen Letztverkaufsstellen im Stadtzentrum liegen? • Soll das Parfüm nur in hochpreisigen Geschäften oder soll/ kann es etwa auch in Discountläden angeboten werden? • Die Frage nach der Betriebsform der Letztverkaufsstelle schließt auch die Frage ein, ob die Letztverkaufsstelle vom Produktions- oder einem 368 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="369"?> unabhängigen Handelsunternehmen betrieben werden soll und welche sortimentsmäßige Einbettung gewünscht ist. • In vielen Fällen wird man sich auch noch Gedanken darüber machen müssen, wo in den betreffenden Letztverkaufsstellen die Produkte dargeboten werden sollen. • Das Bestreben, eine möglichst günstige Platzierung der eigenen Pro‐ dukte in den Letztverkaufsstellen zu erreichen, ist für viele Produkti‐ onsunternehmen ein mitentscheidender Grund, Außendienstsysteme zu schaffen. Eine wichtige Tätigkeit der Außendienstmitarbeiter ist dann die „Regalpflege“ (Merchandising). Die hier vorgenommene Darstellung der einzelnen Teilentscheidungsberei‐ che im Rahmen der verkaufsbezogenen Standortpolitik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Produktionsunternehmen häufig die einzelnen Ent‐ scheidungsbereiche nicht aktiv gestalten können, sondern diejenigen Standorte zu übernehmen gezwungen sind, die sich dazu anbieten. Die Festlegung der Standorte der Letztverkaufsstellen prägt die beiden anderen Entscheidungsbereiche, nämlich die Gestaltung des Marktkanal‐ systems und des Physischen Distributionssystems. Betrachtet man reale Distributionssysteme, so ist häufig festzustellen, dass die Aufträge von den Letztverkaufsstellen zu den Produktionsunternehmen andere Wege einschlagen als die Produkte selbst. Besonders bei beispielsweise volumi‐ nösen und schwergewichtigen Gütern wie Baustoffen oder Mineralien (Kohle) sind häufig Streckenhandelsunternehmen tätig, d. h. Handelsun‐ ternehmen, die keine eigenen Lager besitzen (Gegensatz: Lagerhandelsun‐ ternehmen). In ähnlicher Weise gespaltene Distributionssysteme treten in sehr vielen Wirtschaftszweigen auf. Sie können für den Fall des Vertriebs von Konsumgütern des Massenbedarfs wie in → Darstellung 7.1 verdeut‐ licht werden. Das aus Produktionsunternehmen, Zwischenverkauf und Letztverkaufs‐ unternehmen bestehende System bewerkstelligt den Fluss von Informatio‐ nen und Finanzmitteln zwischen den Produktionsunternehmen und den Letztverkaufsunternehmen. 7.1 Leistungs- und Entscheidungsbereiche in der Distributionspolitik 369 <?page no="370"?> Distributionskette Produktionsunternehmen Transport- und Lagerunternehmen Zwischenverkaufsorgane (Großhandlungen) Letztverkaufsunternehmen (z.B. Einzelhandlungen) Letztabnehmer Produkte Produkterlöse Aufträge Produktinformationen Darstellung 7.1: Idealtypisches System der Distribution von Konsumgütern des Massen‐ bedarfs. Das soeben skizzierte System wird üblicherweise als Marktkanal oder Akquisitorische Distribution bezeichnet. Durch dieses System wird den Letztverkaufsstellen und damit auch den Letztabnehmern („Konsument“ bzw. „Endkunde“) die rechtliche Verfügbarkeit über die Produkte verschafft, was regelmäßig mittels Kauf- oder Mietverträgen geschieht. Die Handelsunter‐ nehmen bzw. sonstigen Organe des Marktkanals disponieren somit diejenigen Leistungen, die im Rahmen der Raum- und Zeitüberbrückungsfunktion sowie der Qualitäts- und Quantitätsfunktion anfallen, und erfüllen selbst die im Rahmen der Kredit- und Werbefunktion zu verrichtenden Leistungen. Das aus Produktionsunternehmen, Transport- und Lagerunternehmen sowie Letztverkaufsunternehmen bestehende System bewerkstelligt demge‐ genüber den physischen Vollzug der Raum- und Zeitüberbrückungsfunktion, in selteneren Fällen auch den Vollzug von Quantitäts- und Qualitätsfunktio‐ nen. Die Gesamtheit der diesem System zuzuordnenden Unternehmen bzw. Unternehmensteile wird zumeist Physische Distribution genannt. Eine Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette hin zum Kunden wird unter dem Begriff des Supply-Chain-Management subsumiert. Distributionspolitik kann nur langfristig sinnvoll betrieben werden; eine kurzfristige Änderung der Distributionspolitik ist in vielen Fällen überhaupt nicht möglich. 370 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="371"?> Wissen | Der strategische Charakter der wichtigsten Entscheidungen in der Distributionspolitik zeigt sich darin, dass andere marketing‐ politische Entscheidungsbereiche durch diese Entscheidungen geprägt werden. So bedingt die Wahl von Letztverkaufsstellen, die z. B. als exklusiv und hochpreisig eingestuft werden, zwangsläufig auch eine bestimmte Produkt‐ gestaltung sowie eine diesem Distributionssystem adäquate Preis- und Kom‐ munikationspolitik. Die Distributionspolitik und die Produktpolitik stellen somit die primären Entscheidungsbereiche dar, durch deren Ausprägung auch das Produkt-Markt-Konzept eines Unternehmens determiniert wird. Während sich Produkt- und Distributionspolitik gegenseitig bedingen, ist die Art der Beeinflussung der Preis- und Kommunikationspolitik durch die Produkt- und Distributionspolitik primär einseitig. 7.1.3 Zur Bedeutung der Distributionspolitik Es ist offensichtlich, dass die Distributionspolitik in der heutigen Zeit vielfach mehr als die reine Verteilung der Produkte und Leistungen eines Unternehmens umfasst. Sie ist auf Käufermärkten - gerade bei jungen Unternehmen - zu einem strategischen Engpass geworden, da, wie sich später noch zeigen wird, sich die Rolle der klassischen Distributoren in erheblichem Umfang verändert hat. Wissen | Die Leistungsgestaltung mittels Produkt- und Preis‐ politik führt letztendlich nur dann zum unternehmerischen Erfolg, wenn es gelingt, das Distributionssystem so auszugestalten, dass die potenziellen Kunden die Produkte auch beschaffen können. Andern‐ falls entsteht kein Umsatz! Dem Vertrieb kommt damit eine immens wichtige Rolle im Unternehmen zu, dies geht sogar so weit, dass manchmal - und nicht zu Unrecht - postuliert wird, jeder Mitarbeiter sei letztendlich mit für den Absatz der Produkte verantwortlich. Auf längere Sicht hängt damit der Unternehmenserfolg bei gegebenen kon‐ kurrenzfähigen Unternehmensleistungen durchaus von der Effektivität der Distribution ab. Wie bereits in → Kapitel 5 aufgezeigt, kann die Art der Distribution der Produkte durchaus das differenzierende Merkmal sein. Man denke 7.1 Leistungs- und Entscheidungsbereiche in der Distributionspolitik 371 <?page no="372"?> dabei nur an den Direktvertrieb, wie er nicht selten von Unternehmen der verschiedensten Branchen auch neben anderen Marktkanälen genutzt wird. Vielfach wird bei der nahezu stiefmütterlichen Behandlung dieses As‐ pekts der Leistungsvermittlung übersehen, dass die Kosten der Distri‐ bution, d. h. die Kosten, die entstehen bis der Kunde über die Ware tatsächlich verfügt, häufig die Kosten der Leistungserstellung übersteigen (vgl. Wirtz, 2008, S. 357f.). Ein Indiz dafür ist beispielsweise die so genannte Handelsspanne, d. h. die Höhe des Nachlasses vom empfohlenen Endver‐ braucherverkaufspreis für den Handel, der bei Gütern des täglichen Bedarfs des Öfteren die 50-%-Marke übersteigt. Schließlich erfolgt in der Mehrzahl der Fälle der erste und umfangreichste Schritt der Internationalisierung von Unternehmen durch die Distribu‐ tion. Dadurch können bereits vorhandene Markterfolge von Produkten und Leistungen multipliziert werden (vgl. Helm, 1997). Aus dieser sicherlich nicht abschließenden Auflistung von Aspekten, welche die Bedeutung der Distribution im Unternehmen unterstreichen sollen, lässt sich unschwer erkennen, dass diesem Bestandteil des Marke‐ ting-Mix eine ausführliche Beachtung zu schenken ist. Die Aufgaben, welche die nachfolgend beschriebenen Distributions- und Vertriebsorgane zu erfüllen haben, sind dabei recht vielfältiger Natur. • Die Gewinnung und organisatorische Abwicklung von Aufträgen steht natürlich an erster Stelle. • Allerdings ist nicht zu vernachlässigen, dass die Mitglieder in der Dis‐ tributionskette - vor allem, wenn es sich um die unternehmensinternen Außendienstmitarbeiter handelt - oftmals den einzigen direkten Kontakt zum Kunden haben. Sie übernehmen damit im Wege der persönlichen Kommunikation eine wichtige Funktion bezüglich der Information und Einstellungsbildung beim Kunden. Die Distribution bildet damit ein wichtiges Instrument der Kundenbetreuung und des Beschwerdemanagements ab. • Schließlich stellt die Distribution durch den direkten Kontakt zum Kunden für die Marktforschung eine umfassende Quelle von Infor‐ mationen dar. Damit können Daten über diese selbst bzw. über deren Kunden, deren Entwicklung (Gewinne, Umsätze) und der direkten Konkurrenz des Unternehmens erhoben werden. 372 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="373"?> 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane Das Distributionssystem weist unterschiedlichste Elemente auf. Da es viel‐ fältige Möglichkeiten gibt, den Absatz der eigenen Produkte am Markt zu gestalten, sollte ein Unternehmen immer alle Optionen vor Augen haben, um eine optimale Gestaltung der Distribution zu gewährleisten. Fasst man die Gesamtheit der Absatzorgane in einem Schaubild zusammen, so ergibt sich eine Folge von Organen (→ Darstellung 7.2), die am Fluss der Produkte beteiligt sind (Distributionskette). Für den Absatz von Dienstleis‐ tungen gelten aufgrund ihrer Besonderheiten (vgl. → Kapitel 5) teilweise andere Organisationsstrukturen als für den Absatz von Sachleistungen (vgl. Scheuch, 2002, S.-210ff.). (Urproduktion ) Verkaufsorgane Absatzmittler, Absatzhelfer Beschaffungsorgane (Weiterverarbeitung) Verkaufsorgane Absatzmittler, Absatzhelfer Beschaffungsorgane (Verbraucher, Verwender) Marktveranstaltungen Marktveranstaltungen Darstellung 7.2: Fluss von Produkten in einer Distributionskette. 7.2.1 Unternehmensinterne Organe des Vertriebs Die wichtigsten Absatzorgane sind in der Regel neben den Absatzmittlern (vgl. → Abschnitt 7.2.2.1) die unternehmensinternen Vertriebsorgane, wel‐ che dem Unternehmen unmittelbar angehören und somit rechtlich unselbst‐ ständig sind. Auch alle jene Organe, die zwar rechtlich selbstständig sind, aber aufgrund entsprechender Beteiligungsverhältnisse als wirtschaftlich abhängig eingestuft werden müssen, gehören zu dieser Gruppe. Beide unterliegen der Weisung des planenden Unternehmens. Vertriebsorgane solcher Art sind: • Geschäfts-, Marketing- und Vertriebsleitung: In wichtigen Einzel‐ fällen werden sowohl Geschäftsanbahnungen als auch die endgültige Verhandlung von der Unternehmens- oder Marketingleitung selbst vor‐ genommen. Dies trifft insbesondere im Industrieanlagenbau und bei der 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane 373 <?page no="374"?> Vorbereitung, Festlegung und Pflege langfristiger Geschäftsverbindun‐ gen zu. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmender Abhängigkeit von einzelnen Kunden bzw. Aufträgen auch die Bedeu‐ tung dieses Distributionsorgans zunimmt. • Vertriebsabteilung: Die Vertriebsabteilung ist eine in der Regel am Standort des Betriebs befindliche Abteilung des Unternehmens, welche die Aufgabe hat, den Kontakt mit den Abnehmern herzustellen und zu unterhalten, Geschäftsvorfälle anzubahnen und die Abwicklung der Ge‐ schäftsvorfälle zu bewerkstelligen. Vielfach spricht man hier auch vom administrativen und akquisitorischen Vertriebsinnendienst, der zusätzlich von so genannten Callcentern und E-Commerce-Abteilungen (vgl. →-Abschnitt 7.2.4) unterstützt werden kann. • Vertriebsniederlassung/ Fabrikfiliale: Diese Vertriebsorgane sind rechtlich unselbstständige Teile des Unternehmens, die allerdings in der Regel räumlich vom Hauptbetrieb getrennt entsprechende Funk‐ tionen wahrnehmen. Das Spektrum der Ausgestaltung der Aufgaben solcher Vertriebsniederlassungen ist äußerst vielfältig: Im einfachsten Fall obliegt es diesen Organen lediglich, Aufgaben der Physischen Distri‐ bution (Lagerung, Auslieferung) wahrzunehmen. Im weitestgehenden Fall stellen die Vertriebsniederlassungen eigene Entscheidungs- und Handlungszentren (z.-B. Auslandsniederlassungen) dar, die im Rahmen der zentralen Unternehmenspläne regional differenziert marketingpoli‐ tisch tätig werden. • Vertriebsaußendienst: Der Außendienst besteht aus fest angestellten Mitarbeitern eines Unternehmens, die gegen einen weitgehend fixen Lohn Geschäftsverbindungen zu aktuellen Abnehmern unterhalten und zu potenziellen Abnehmern herstellen. Je nach dem Umfang der Tä‐ tigkeit kann der Außendienst näher charakterisiert werden: Er kann beauftragt und bevollmächtigt sein, Geschäfte vorzubereiten und ab‐ zuschließen (Abschlussvollmacht), oder auch nur berechtigt sein, Ge‐ schäfte anzubahnen, die dann erst durch Genehmigung einer zentralen Stelle rechtskräftig werden (Vermittlungsvollmacht). Darüber hinaus kann ihm gegebenenfalls auch Inkassovollmacht eingeräumt werden. Der Außendienst kann entweder der Vertriebsabteilung direkt oder auch einzelnen Vertriebsniederlassungen zugeordnet sein. Seine Aufgaben können in manchen Fällen (vor allem bei Massengütern mit kleinem Volumen und bei geringwertigen, transportintensiven Konsumgütern) auch Aufgaben der Warenauslieferung umfassen (Verkaufsfahrer). 374 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="375"?> • Vertriebsgesellschaft: Vertriebsgesellschaften sind rechtlich selbst‐ ständige, aber wirtschaftlich unselbstständige Organe, die gleiche Auf‐ gaben wie Vertriebsniederlassungen wahrnehmen können. Die Wahl zwischen Vertriebsniederlassung und Vertriebsgesellschaft wird zu‐ meist nicht durch marketingpolitische Gesichtspunkte bestimmt, son‐ dern durch handels- und steuerrechtliche Beweggründe. Aufgaben und Funktionen der unternehmensinternen Vertriebsorgane insgesamt hängen in erster Linie davon ab, welchen Anteil der distribu‐ tionspolitischen Aufgaben ein Unternehmen den nachgelagerten Stufen des Distributionssystems überträgt. 7.2.2 Unternehmensexterne Organe der Distribution 7.2.2.1 Absatzmittler Die in vielen Branchen bedeutendsten Distributionsorgane sind die Ab‐ satzmittler, welche im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die juristische Verfügbarkeit über Sachleistungen vermitteln. Als Einzelhan‐ delsunternehmen werden dabei solche Handelsunternehmen eingestuft, die Sachleistungen an Konsumenten und damit zum Verbrauch bzw. zur Verwendung im Konsumsektor bereitstellen. Als Großhandelsunternehmen sind alle anderen Handelsunternehmen einzustufen, also sowohl solche, die an Einzelhandelsunternehmen, als auch solche, die an industrielle oder gewerbliche Abnehmer verkaufen. Beide können nach bestimmten Merkmalen beschrieben und eingeteilt werden: • Stationarität des Geschäftsbetriebs: Werden die Handelsgeschäfte in einem räumlich festgelegten Geschäftslokal erledigt, so bezeichnet man diesen Betrieb als einen stationären Handelsbetrieb. Die Nachfrager suchen demnach den Anbieter auf. Beim so genannten ambulanten Handel dagegen werden die Geschäftsabschlüsse in den Räumlichkeiten der Nachfrager getätigt. • Kontaktform: Die Produktdarbietung und das konkrete Angebot kön‐ nen in unterschiedlicher Form erfolgen. Sie können in Bedienungsform, in der üblichen Selbstbedienungsform, in automatisierter Form und schließlich auch mittels eines Kataloges/ Internet erfolgen. 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane 375 <?page no="376"?> • Sortimentsstruktur: Nach der Struktur des Sortiments wird häufig zwischen Einbranchen- und Mehrbranchengeschäften unterschieden, daneben kann eine Unterteilung der Handelsbetriebe nach der Tiefe und Breite des jeweiligen Sortiments vorgenommen werden (vgl. → Kapitel 5). Die Sortimentsbreite ist durch die Vielfalt der angebotenen Pro‐ dukte (Warengruppen) einer oder mehrerer Branchen, die Sortiments‐ tiefe durch die Vielfalt der Marken, Qualitäts- und Größenabstufungen, Typen, Designalternativen u.Ä. der angebotenen Produkte gekennzeich‐ net. • Organisationsstruktur: Dieses Merkmal hebt nicht auf die einzelne Betriebsstätte ab, sondern auf die Art der Zusammenarbeit mehrerer Betriebsstätten derselben Stufe oder unterschiedlicher Stufen des Dis‐ tributionssystems. Ausprägungen dieses Merkmals sind beispielsweise Betriebe als Teile von Filialsystemen und völlig selbstständige Betriebe. • Eine Zwischenform stellen gebundene Organisationsformen wie Freiwillige Ketten oder Gruppen, Einkaufsgenossenschaften und Fran‐ chise-Systeme (vgl. → Abschnitt 7.4.3) dar, bei denen die einzelnen Betriebsstätten vor allem der Einzelhandelsstufe faktisch eine stark eingeschränkte Dispositionsfreiheit besitzen. Die Einschränkung be‐ steht dabei beispielsweise darin, dass Sortimentsentscheidungen und preispolitische Entscheidungen nur innerhalb bestimmter Grenzen frei gewählt werden können. Einkaufsgenossenschaften gemeinsamer Absatzförderung (z. B. Edeka, Rewe) stellten in ihrer Gründungszeit Vereinigungen von Einzelhändlern dar, die sich zur Erledigung der Großhandelsfunktionen eine gemeinsame Tochtergesellschaft geschaf‐ fen hatten. Oft beherrschen die rechtlich von den Einzelhandlungen abhängigen Genossenschaftszentralen faktisch die angeschlossenen Einzelhandlungen. Freiwillige Ketten bzw. Gruppen sind Zusam‐ menschlüsse mehrerer Großhandels- oder Einzelhandelsunternehmen. Darunter fällt bspw. die Verbundgruppe Sport 2000, eine international tätige Sport-Einkaufs- und Marketingkooperation. 7.2.2.2 Akquisitorisch tätige Absatzhelfer Absatzmittler werden alle diejenigen unternehmensexternen Distributions‐ organe genannt, die Eigentum an den zu verkaufenden Produkten erlangen, wohingegen die unternehmensexternen Organe, die nicht Eigentümer der zu verkaufenden Produkte werden, als Absatzhelfer bezeichnet werden. 376 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="377"?> Letztere haben auch bei der Internationalisierung der Vertriebsaktivitäten zumindest zu Beginn der Marktbearbeitung eine hohe Bedeutung, da sie Kundenbzw. Branchenkenntnisse haben, die vom internationalisierenden Unternehmen erst zeitaufwändig erworben werden müssten (vgl. Helm, 2001c). Diese Organe unterstützen die Absatzmittler bzw. Produktionsunterneh‐ men beim Absatzprozess, was darin bestehen kann, dass Transportaufgaben übernommen werden (Spediteure, Frachtführer) oder auch darin, dass Ab‐ schlüsse (akquisitorisch tätige Absatzhelfer) vorgenommen werden. Die be‐ deutsamsten Absatzhelfer dieser Art sind Vertreter, Kommissionäre und Makler; sie alle sind rechtlich selbstständige Gewerbetreibende und über‐ nehmen es - gegen einzelfallbezogene Bezahlung - Geschäftsbeziehungen anzubahnen oder Abschlüsse vorzunehmen. Die Nutzung von Absatzhelfern hat in aller Regel den Vorteil einer Verschiebung von fixen zu variablen Kosten innerhalb der gesamten Distributionskosten zur Folge. Nach dem Namen, in dem sie tätig werden, und nach dem Kriterium, auf wessen Rechnung bzw. Risiko sie tätig werden, können folgende Formen akquisitorisch tätiger Absatzhelfer unterschieden werden: • Tätig im fremden Namen und auf fremde Rechnung, Vermittlung von Geschäften: Dies trifft für den Vermittlungsvertreter (§§ 84 ff. HGB) zu, der für längere Zeit im Namen des Auftraggebers tätig wird. Vermitt‐ lungsvertreter sind die meisten der für Unternehmen tätigen Vertreter, insbesondere auch die Vertreter von Versicherungsgesellschaften und Geldinstituten. • Im Auftrag beider Seiten und jeweils für einzelne Geschäfte wird dagegen der Handelsmakler (§§ 93 ff. HGB) tätig. Handelsmakler sind insbesondere an (Internet-)Börsen und sonstigen Marktveranstaltungen tätig, wo sie es übernehmen, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. Eine dem Vertreter ähnliche Stellung haben häufig bera‐ tende Ingenieurfirmen (Consulting Engineers), die für große Industrie‐ anlagen- oder Infrastrukturprojekte unter anderem auch Abschlüsse vorbereiten. • Tätig im fremden Namen und auf fremde Rechnung, Abschluss von Geschäften: In dieser Form betätigen sich Abschlussvertreter (§§ 84 ff. HGB), denen gegebenenfalls auch Inkassovollmacht erteilt ist. • Tätig im eigenen Namen und auf fremde Rechnung, Abschluss von Geschäften: Kommissionäre (§§ 383 ff. HGB) weisen diese Merkmale auf. 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane 377 <?page no="378"?> Es ist im Geschäftsverkehr allerdings nur selten üblich, Kommissionäre als solche kenntlich zu machen. Kommissionäre sind (teilweise) die so genannten Pächter von Tankstellen; auch in Vertragsvertriebssyste‐ men (Franchisesysteme), zum Beispiel im Gastronomiebereich, finden sich teilweise Personen bzw. Unternehmen, die umgangssprachlich als Händler bzw. Pächter eingestuft werden, in Wirklichkeit aber Kommis‐ sionäre sind. Gemäß diesem Schema wäre noch die Ausprägung „tätig im eigenen Na‐ men und auf eigene Rechnung“ aufzuführen; diese Merkmalsausprägungen kennzeichnen die Handelsunternehmen (vgl. →-Abschnitt 7.2.2.1). Entscheidend für die Machtstellung im Distributionssystem sind weniger die rechtlichen Bestimmungen, sondern in weit größerem Maße das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Letztere hängt entscheidend davon ab, ob der entsprechende Absatzhelfer nur für eine Firma oder für mehrere Firmen tätig ist. Ein-Firmen-Absatzhelfer werden wirtschaftlich häufig ebenso behandelt wie unternehmensinterne Vertriebsorgane, wäh‐ rend Mehr-Firmen-Absatzhelfer neben ihrer rechtlichen meist auch eine entsprechende ökonomische Selbstständigkeit besitzen. Ähnliche Erschei‐ nungen sind für Absatzmittler festzustellen, wo derjenige Absatzmittler, der fast nur Produkte eines einzigen Lieferanten vertreibt (z. B. Getränkehand‐ lungen), häufig nicht als ökonomisch selbstständig einzustufen ist. 7.2.3 Marktveranstaltungen Die bisher genannten Vertriebs- und Distributionsorgane sind untereinan‐ der meistens nur geringfügig durch eine formal organisierte Kommuni‐ kation verbunden. Findet die Kommunikation zwischen ihnen dagegen in einem fest organisierten Rahmen statt, so spricht man von einer Marktveranstaltung. Marktveranstaltungen sind nach bestimmten Regeln ablaufende, räumlich und zeitlich fixierte Treffen mit Organen der Beschaf‐ fungswirtschaft. Die wichtigsten Marktveranstaltungen sind: • Auktion: Auf Auktionen werden die zum Verkauf anstehenden Pro‐ dukte im Prinzip körperlich dargeboten und anschließend verkauft. Die Produkte können anders als bei Mustermessen durchaus einmaliger Natur sein, weshalb auch ihre körperliche Darbietung wünschenswert ist. Auktionen sind die gerichtsamtlichen Versteigerungen, Kunstvers‐ teigerungen und die vielfältigen Versteigerungen von landwirtschaft‐ 378 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="379"?> lichen oder mineralischen Rohstoffen (Versteigerungen in Großmärk‐ ten, Woll-, Tabak-, Viehauktionen, Amsterdamer Diamantenbörse). Die Grenze zwischen Auktion und Börse ist häufig schwer zu ziehen, da beispielsweise viele landwirtschaftliche Produkte standardisierbar sind. Üblicherweise werden u.-a. folgende Auktionsformen unterschieden. Bei der Englischen Auktion (Höchstpreisauktion) werden Gebote in offener Form genannt und so lange gesteigert, bis nur noch ein Bieter übrig bleibt. Dieser Bieter erhält den Zuschlag zum Preis seines letzt‐ genannten Gebotes. Holländische Auktionen zeichnen sich dadurch aus, dass ein festgesetzter Höchstpreis so lange gesenkt wird, bis der erste Bieter den genannten Preis akzeptiert und dafür den Zuschlag erhält. Eine besondere Form der Auktion ist die Vickrey-Auktion, bei der von allen Bietern gleichzeitig Gebote in verdeckter Form abgegeben werden. Der Bieter mit dem höchsten Gebot erhält den Zuschlag, bezahlt aber den Kaufpreis des zweithöchsten Angebots. Diese Vorgehensweise schafft Anreize für den Bieter, Gebote in Höhe seiner tatsächlichen Zahlungsbereitschaft abzugeben. Aus diesem Grund kann die Vickrey-Auktion auch als ein Mittel zur Erhebung von Zahlungsbereitschaften verwendet werden (vgl. Skiera u. Spann, 2003, S.-394). • Messe bzw. Mustermesse: Auf Messen werden Muster von Produkten gewerblichen Verwendern oder Wiederverkäufern dargeboten, und es werden aufgrund dieser Muster Geschäftsabschlüsse getätigt. Muster‐ messen finden zumeist regelmäßig an bestimmten Orten statt (Hanno‐ ver-Messe etc.). • Börse: Auf Börsen werden die zum Verkauf anstehenden Produkte ohne Muster und ohne körperliche Darbietung verkauft. Dies setzt eine weitgehende Standardisierung der gehandelten Produkte voraus. Solche Standardisierungen sind unmittelbar für Wertpapiere gegeben, für Waren bedürfen solche Standardisierungen allerdings genauer Fest‐ legungen. Auf Warenbörsen werden beispielsweise Getreide, Kaffee, Zucker, NE-Metalle und Kautschuk gehandelt. • Musterung: Während bei einer Messe das Angebot grundsätzlich einer anonymen Menge von Unternehmen oder Personen unterbreitet wird, wird bei einer Musterung das Angebot grundsätzlich einem be‐ schränkten Kreis von Nachfragern, die meist Wiederverkäufer sind, gemacht. Besonders verbreitet sind Musterungen im Textilbereich, wo ein Bekleidungsunternehmen bestimmten Handelsunternehmen lange 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane 379 <?page no="380"?> vor Beginn der Saison seine Kollektion vorführt. Aufgrund dieser Mus‐ terung können Optionen bzw. Vorbestellungen (teilweise auch feste Bestellungen) abgegeben werden, die dem Anbieter dann auch eine genauere Produktionsplanung ermöglichen. • Ausstellung: Ausstellungen erfolgen grundsätzlich nicht, um konkrete Geschäftsabschlüsse zu tätigen, sondern, um über Produkte zum Zweck der Absatzförderung aufzuklären und zu informieren. Ausstellungen sind ihrem Charakter entsprechend grundsätzlich für jedermann offen (Internationale Automobil-Ausstellung). 7.2.4 Electronic Commerce und Plattformökonomie Das Internet hat für das Marketing seit jeher eine erhebliche Bedeutung (vgl. Zahn, 2005, S. 421ff.). Wurden im Jahr 2006 im Privatkundenbereich (B2C) allein in Europa 133 Milliarden Euro umgesetzt, so waren es im Jahr 2020 bereits 757 Milliarden Euro (vgl. Ecommerce News Europe, 2021). Wissen | Das Internet ist eine wichtige Transaktions- und Informa‐ tionsbasis für das Marketing geworden und somit für die meisten Unternehmen ein wichtiger Distributions- und Informationskanal. Der elektronische Vertrieb ist ein weiterer Vertriebskanal eines Unterneh‐ mens. Die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben dazu geführt, dass elektronische Medien, insbesondere das Internet, sowohl im B2Cals auch im B2B-Bereich zu den wichtigsten Kanälen der Information, Kommunikation und des Verkaufs gehören (vgl. Mauroner u. Fauck, 2014, Helm et al., 2015, S. 155ff.). Inner- und zwischenbetriebliche Abläufe können durch elektronische Medien rationalisiert und automatisiert werden (→ Ab‐ schnitt 2.6.5). So lässt sich der Informationsfluss sowohl im Unternehmen als auch zwischen Unternehmen aufgrund der elektronischen (mobilen) Ver‐ netzung von ortsunabhängig arbeitenden Mitarbeitern deutlich schneller, kostengünstiger und effizienter gestalten. Informationen sind damit schnell und jederzeit verfügbar. Die gesamte Auftragsabwicklung kann vom Einsatz von Vertriebssowie Produktionsplanungs- und Steuerungssystemen pro‐ fitieren. Geschäftsprozesse rund um den Vertrieb können effizienter und kostensparender gestaltet werden. Insbesondere mit Hilfe des Internets lässt sich ein einfacher und zugleich leistungsstarker Direktvertrieb aufbauen. So können kundenspezifische 380 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="381"?> bzw. kundensegmentspezifische Marketingmaßnahmen vergleichsweise kostengünstig durchgeführt werden. Kundenanbahnung und Kundenquali‐ fizierung können im Vergleich zum klassischen Außendienst sehr schnell erfolgen. Um Produkte und Dienstleistungen über das Internet zu vertreiben, können sowohl eigene Onlineshops als auch Internetmarktplätze genutzt werden, wobei Unternehmen sich nicht auf einen Vertriebskanal beschrän‐ ken und gleichzeitig den „offline-Vertrieb“ nicht vernachlässigen sollten (vgl. → Abschnitt 2.1.3). Aus der Perspektive der Kunden kommt es auf das Nutzenversprechen des elektronischen Vertriebs an (vgl. Helm et al., 2002). Ein erfolgsrelevanter Aspekt ist die Integration der elektronischen Medien in das bestehende Vertriebssystem, sodass eine internetbasierte Vertriebsunterstützung von den Mitarbeitern im Innen- und Außendienst des Vertriebs nicht als Bedrohung empfunden wird, sondern als zusätzliche Möglichkeit, die Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen. Winkelmann (2013, S. 527) unterscheidet internetbasierte Vertriebsstrategien in Abhän‐ gigkeit von Nutzungsintensität und Integration in Wertschöpfungsprozesse wie folgt: • webgestützte Informations- und Kommunikationsstrategie: In‐ teressenten und Kunden erhalten die Möglichkeit, relevante Infor‐ mationen abzurufen, wenn sie diese benötigen. Dadurch werden Vertriebsmitarbeiter entlastet, Prozesse automatisiert und eine Kontakt‐ qualifizierung erleichtert. • webgestützte Networkingstrategie: Vertriebsmitarbeiter bauen ihre persönlichen Kontakte zu beruflichen Beziehungsnetzwerken zuneh‐ mend über das Internet aus. • webgestützte Verkaufsförderungsstrategie: Das Internet kann ge‐ nutzt werden, um die Akquisitionstätigkeit der Verkäufer über den gesamten Prozess hinweg zu unterstützen, z. B. durch die Erstellung von Angeboten, die Abfrage von Preisen, Beständen und Lieferzeiten, den In‐ formationsaustausch zwischen Innen- und Außendienst, die technische Beratung, das Einholen von Verbesserungsvorschlägen der Kunden. • webgestützte Verkaufsstrategie: Der unmittelbare Internetverkauf kann durch Webshops, Anbieter-Portallösungen oder Marktplätze erfol‐ gen. Winkelmann (2013) zufolge hat sich die Euphorie um industrielle Markt‐ plätze gelegt, wofür er verschiedene Ursachen identifiziert. Zum einen geht es im Industriegütergeschäft vor allem um langfristige Beziehungen 7.2 Vertriebs- und Distributionsorgane 381 <?page no="382"?> und nicht um einen anonymen Abverkauf von Produkten und Leistungen; auch Preisvorteile sind in vielen technischen Märkten nicht allein absatz‐ entscheidend (vgl. Helm u. Stölzle, 2007). Zum anderen sind Marktplätze oft nicht ausreichend in der Lage, die Spezifität der industriellen Beschaf‐ fungsprozesse abzubilden, Geheimhaltungs- und Vertrauensaspekte werden oft nicht berücksichtigt, zudem besteht eine geringe Bereitschaft, sich auf Marktplätzen nach neuen Lieferanten umzuschauen. Trotzdem existieren viele erfolgreiche B2B-Handelsplattformen, wie z. B. der Geschäftskun‐ den-Marktplatz www.mercato.de, der Maschinen-Marktplatz www.netron. de oder die Branchenplattform www.holzboerse.de (vgl. Helm et al., 2015, S. 155ff.). Bisweilen scheitern die Internetambitionen von einigen Hersteller‐ unternehmen jedoch nicht (nur) an langsamen, nicht aktuellen oder generell nicht ansprechenden Internetseiten, sondern an der notwendigen Qualität der Physischen Distribution (Logistik). Werden klassische Marktplätze von Onlineplattformen im Kontext von Industrie 4.0 differenziert, so ergibt sich ein positiveres Bild, da sich durch die Digitalisierung ein weites Feld an Möglichkeiten bietet, die Kombinationen von physischen Produkten und dauerhaft zu nutzenden Dienstleistungsan‐ geboten ins Portfolio aufzunehmen. Damit werden eher der Verkauf und die Nutzung eines komplexen Nutzenbündels in den Fokus gerückt, als der vormalige Verkauf von einzelnen Produkten. Man spricht hier vielfach von hybriden Produkten oder von Produkt-Service-Systemen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Internet als (zu‐ sätzlicher) Distributionskanal besonders relevant ist, wenn • die Produkte standardisiert sind und einfach erklärt werden können (z.-B. Bücher, Schrauben), • digitale Produkte vorliegen (in aller Regel hohe fixe und sehr geringe variable Kosten, z.-B. Adressen in Onlinedatenbanken), • die Zustellung der gekauften Waren nicht kurzfristig/ sofort erfolgen muss, • ein Überblick durch Menüauswahl leichter erfolgen kann als im Handel und • Konflikte mit bisherigen Marktkanälen vermieden oder adäquat ge‐ handhabt werden können. 382 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="383"?> 7.3 Absatzbezogene Standortpolitik Als grundlegendes Ziel der Distributionspolitik war eine ausreichende Verfügbarkeit der angebotenen Leistungen des Unternehmens im Markt bezeichnet worden. Die Verfügbarkeit kann nur dann erreicht werden, wenn zum einen entsprechende Letztverkaufsstellen das Produkt führen und wenn zum anderen diese Letztverkaufsstellen mit dem die Leistungen bereitstellenden Unternehmen durch Kommunikations- und Transportwege verbunden sind. Die absatzbezogene externe Standortpolitik hat die Wahl der Art und der Standorte der Letztverkaufsstellen zum Gegenstand. Als Letztver‐ kaufsstellen sind bezüglich der üblichen Produkte des Massenkonsums die Einzelhandelsbetriebe oder vergleichbare Betriebsstätten anzusehen. Als vergleichbare Betriebsstätten sind insbesondere Verkaufsstellen zu bezeich‐ nen, die institutionell zwar nicht dem Einzelhandel zuzurechnen sind, die aber ähnliche Funktionen wahrnehmen. Solche Einzelhandelsbetriebe in funktionaler Betrachtung sind z. B. Verkaufsniederlassungen von Produkti‐ onsunternehmen (z.-B. WMF). Als Letztverkaufsstellen im Sinne der Distributionspolitik sind häufig auch Handwerks- oder Montagebetriebe einzustufen; aus der Sicht der Produktionsunternehmen erfüllen Kraftfahrzeugwerkstätten bezüglich des Neuwagen- und Teilegeschäfts Einzelhandelsfunktionen. Letztverkaufsstel‐ len im Sinne der Distributionspolitik sind aber auch Restaurants bzw. Hotels von Restaurant- und Hotelketten. Dass in diesem Beispiel an den Letztverkaufsstellen Leistungen angeboten werden, die überwiegend am entsprechenden Standort produzierte Dienstleistungen sind, ändert nicht die grundsätzliche Zielsetzung der entsprechenden Unternehmensgruppe. Als Letztverkaufsstellen in diesem Sinne können schließlich noch einzelne Verkäufer/ Außendienstmitarbeiter mit regional bzw. lokal begrenztem Ar‐ beitsbereich bezeichnet werden, die auch so genannte Direktvertriebssys‐ teme (z.-B. Vorwerk Staubsauger) ausmachen. Während im Konsumgüterbereich die Einzelhandelsstufe als Letztver‐ kaufsstufe betrachtet wird, sind dies im Investitionsgüterbereich die dem Abnehmer gegenübertretenden Großhandelsbetriebe oder ähnliche (interne und externe) Distributionsorgane. 7.3 Absatzbezogene Standortpolitik 383 <?page no="384"?> Wissen | Mit einem System von Letztverkaufsstellen versuchen Produktionsunternehmen bzw. Unternehmen des Dienstleistungsbe‐ reiches, eine physische Präsenz ihrer Leistungen im Markt zu erreichen, um so die Basis für Umsatztätigkeiten zu schaffen. Das Ziel ist dabei eine angemessene Abdeckung des Marktgebietes. Die Abdeckung des Marktes kann auf verschiedene Weise operationalisiert werden. Vor allem für den Bereich des stationären Einzelhandels relevante Ausformungen des vagen Zieles „Marktabdeckung“ sind: Distributionsquote (Distributionsgrad) = Anzahl der Letztverkaufsstellen, die eine bestimmte Marke des Produktes �ühren Anzahl der Letztverkaufsstellen, die irgendeine Marke des Produktes �ühren Distributionsdichte (produkt‐/ markenbezogen) = Anzahl der Letztverkaufsstellen, die in einem Absatzgebiet eine bestimmte (s) Marke des Produktes (Produkt) �ühren Fläche des Absatzgebietes Die Distributionsquote bringt dabei den Anteil der Geschäfte, die eine bestimmte Marke führen, an der Gesamtheit der Geschäfte, die diese Marke führen könnten, zum Ausdruck. Ermittelt wird die Distributionsquote im Zusammenhang mit dem Handelspanel (vgl. → Kapitel 4). Üblicherweise wird als Maximalzahl die Gesamtanzahl der Geschäfte einer bestimmten Branche genommen; eine Distributionsquote von 60 % in der Lebensmittel‐ branche besagt somit, dass 60 % aller Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe die entsprechende Marke führen. Dass die Abgrenzung der Branche häufig strittig ist, braucht nicht weiter ausgeführt werden. Wissen | Die Distributionsquote bringt zum Ausdruck, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man in den Verkaufsregalen der Einzel‐ handelsgeschäfte der betreffenden Branche die entsprechende Marke antrifft. Diese Betrachtungsweise macht unmittelbar die Bedeutung der Distributi‐ onsquote deutlich. Geht man im Extremfall davon aus, dass für ein bestimm‐ tes Produkt keinerlei Markenverbundenheit der Abnehmer gegeben 384 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="385"?> ist, so werden die Absatzvolumina der einzelnen Marken dieses Produktes weitgehend durch deren Distributionsquoten bestimmt. Bisher war insofern eine vereinfachte Betrachtungsweise vorgenommen worden, bei der alle Letztverkaufsstellen einer bestimmten Branche als mehr oder weniger gleichwertig betrachtet wurden. Dass dies eine grobe Vereinfachung darstellt, ist unmittelbar einsichtig, wenn man folgende Beschreibungsmerkmale der einzelnen Letztverkaufsstellen bedenkt: • Betriebsform der Letztverkaufsstelle (Verbrauchermarkt, Warenhaus, kleines Bedienungsgeschäft, etc.). • Lage der Letztverkaufsstelle nach Region und in Bezug auf ein bestimm‐ tes Siedlungsgebiet (Citylage, Stadtrandlage, etc.). • Sortimentsschwerpunkt der betreffenden Letztverkaufsstelle. Es ist daher plausibel, dass für den Absatz hochwertiger Parfüms fast ausschließlich solche innerstädtischen Einzelhandelsgeschäfte, die als Par‐ fümerie- oder Drogeriefachgeschäfte bezeichnet werden können, in Frage kommen. In einer solchen Situation ist nicht mehr die allgemeine Distributi‐ onsquote aus dem Quotienten zwischen der Anzahl der Letztverkaufsstellen, die die betreffende Marke führen, und der Anzahl der Parfümerie- und Drogerie-Letztverkaufsstellen, relevant, sondern die folgende spezielle Dis‐ tributionsquote: Distributionsdichte = Anzahl der innerstädtischen Par�ümerien und Drogeriefachgeschäfte, die die betreffende Marke �ühren Anzahl aller innerstädtischen Par�ümerien und Drogeriefachgeschäfte Wie die Menge der relevanten Letztverkaufsstellen abzugrenzen ist, ergibt sich - wie obiges Beispiel verdeutlichen sollte - aus Überlegungen zur Abgrenzung des relevanten Marktes des betreffenden Produktes bzw. der jeweiligen Marke des Produktes (vgl. →-Kapitel 4). Bei der Entscheidung über die adäquate Höhe der speziellen Distribu‐ tionsquote ist die Markenverbundenheit bei dem betreffenden Produkt von überragender Bedeutung. Wenn die Markenverbundenheit für eine bestimmte Marke eines Produktes sehr hoch ist, haben „Lücken in der Distribution“ nicht dieselben nachteiligen Folgen wie im Falle geringer Markenverbundenheit. Für die produktbezogene Distributionsdichte ist vor allem die Bedarfsdichte (Bedarfsmenge je Zeiteinheit: Fläche) eines Produk‐ 7.3 Absatzbezogene Standortpolitik 385 <?page no="386"?> tes von Bedeutung, wobei die Bedarfsdichte sowohl die Bedarfshäufigkeit als auch die Bedarfsmenge erfasst. Die markenbezogene Distributionsdichte ist das Produkt aus produktbezogener Distributionsdichte und Distributions‐ quote. Vor allem dann, wenn neue Standorte für Letztverkaufsstellen gesucht werden und mehrere Alternativen zur Wahl stehen, entsteht regelmäßig das Problem einer Standortbeurteilung hinsichtlich der damit verbundenen Umsatz- und Gewinnmöglichkeiten. Eine ähnliche Situation ist dann gegeben, wenn es gilt zu überprüfen, ob das Umsatzbzw. Absatzvolumen an einem bestimmten Standort vergleichsweise hoch bzw. niedrig ist. Solche Standortbewertungen werden sowohl von Unternehmen vorgenommen, die an einem der betreffenden Standorte eine eigene Betriebsstätte eröffnen wollen (Filialunternehmen des Handels und der Industrie), als auch von Unternehmen, die vor der Frage stehen, an welchem von bereits bestehenden Standorten ihre Marke angeboten werden soll, sofern sie nicht das Angebot an allen möglichen Standorten vorziehen. Eine solche Standortentscheidung steht bei Produktionsunternehmen beispielsweise dann an, wenn sie einem von mehreren externen Distributionsorganen exklusive Vertriebsrechte einräumen wollen. Da sich der dem Standort zurechenbare Gewinn bzw. Deckungsbeitrag als Differenz zwischen den Umsatzerlösen und den Kosten ergibt, ist die in diesem Zusammenhang sinnvollerweise zunächst zu behandelnde Frage die, ob die Umsatzerlöse standortabhängig sind. Sind die Umsatzerlöse standort‐ unabhängig, so kann statt des Gewinnkalküls das einfachere Kostenkalkül der Standortbewertung zugrunde gelegt werden. Bei Kostenkalkülen sind beispielsweise folgende Kostenbestandteile zu berücksichtigen: Standortbezogene Investitionskosten, Unterhaltskosten und steuerbedingte Einnahmedifferenzen. Neben Kostengesichtspunkten sind häufig auch technische Nebenbedingungen für die Bewertung von Standorten entscheidend; einige Beispiele hierfür sind: Verkehrsmäßige An‐ bindung, Parkmöglichkeiten, Umweltschutzbestimmungen und baurechtli‐ che Vorschriften. Standortbezogene Umsatzerlöse hängen von vielerlei Faktoren ab. Legt man den folgenden Überlegungen ein Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft zugrunde, so ist einsichtig, dass die Umsatzerlöse von folgenden Größen abhängig sind: 386 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="387"?> • Anzahl der Haushalte im Einzugsbereich des Standortes. • Art der Haushalte im Einzugsbereich des Standortes (soziodemographi‐ sche Merkmale, v.-a. Haushaltsgröße und Kinderzahl). • Kaufvolumen der verschiedenen Haushalte im Hinblick auf die relevan‐ ten Produkte. • Wahrscheinlichkeit, dass die Haushalte an dem bestimmten Standort die relevanten Produkte erwerben. Ein letzter wichtiger Gesichtspunkt im Rahmen der Standortpolitik bezüg‐ lich der Letztverkaufsstellen ist der innerbetriebliche Standort. Darunter versteht man dabei den Angebotsplatz eines bestimmten Produktes bzw. einer bestimmten Marke eines Produktes innerhalb eines Geschäftslokals; alternative Standorte sind dabei „an der Kasse“, „am Eingang“, „in einem Verkaufsregal“ oder „in einer Zweitplatzierung“. Die Wahl des innerbetrieb‐ lichen Standortes ist insofern bedeutsam, als die Wahrscheinlichkeit, dass eine entsprechende Marke gekauft wird, auch von dem innerbetrieblichen Standort abhängt. Standorte, die eine sehr große Aufmerksamkeit auf sich ziehen (Schüt‐ ten, Kassennähe, Regalfläche in Augenhöhe), bieten naturgemäß höhere Verkaufschancen. Die Folge dieser Standortunterschiede ist der „Kampf um den Regalplatz“, d. h. der Wettbewerb von Produktionsunternehmen um die besten Standorte in den Einzelhandelsgeschäften. Dieser Kampf um den Regalplatz wird mittels Vergünstigungen vielerlei Art geführt, welche die produzierenden Unternehmen den Handelsunternehmen anbieten (z. B. Rabatte, Regalpflege, Sonderaktionen, Werbekostenzuschüsse). 7.4 Gestaltung des Marktkanals Der Marktkanal soll sicherstellen, dass die Letztverkaufsstellen die rechtli‐ che Verfügungsmacht über die abzusetzenden Leistungen erlangen. Dies geschieht, sofern der Produktionsbetrieb und die Letztverkaufsstellen un‐ terschiedlichen Unternehmen angehören, durch Kauf- und Mietverträge, im anderen Fall mittels einfacher innerbetrieblicher Aufträge und Anweisun‐ gen. 7.4 Gestaltung des Marktkanals 387 <?page no="388"?> Wissen | Unter einem Marktkanal ist derjenige Teil des Distributions‐ systems zu verstehen, dessen Aufgabe darin besteht, den Fluss der per‐ sonenbezogenen Informationen und Finanzmitteln zwischen dem Produktionsunternehmen und den Letztverkaufsstellen zu bewerkstel‐ ligen. Der Marktkanal kann hinsichtlich seiner Aufbau- und Ablaufstruktur anhand folgender drei Merkmale charakterisiert werden: • Anzahl und Art der Stufen der Zwischenverkaufsorgane. • Anzahl der Zwischenverkaufsorgane auf jeder Stufe. • Art der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Elementen des Markt‐ kanals. 7.4.1 Aufbau des Marktkanals 7.4.1.1 Länge eines Marktkanals Analog zur obigen Definition soll der Marktkanal als die Gesamtheit der außerhalb der Produktion tätigen selbstständigen und unselbstständigen Organisationseinheiten bezeichnet werden, welche die akquisitorische Dis‐ tribution betreiben. Im Einzelnen können dies alle eingangs angeführten Distributionsorgane sein. Häufig wird im Zusammenhang mit Marktkanalsystemen von direktem und indirektem Absatz bzw. null-, ein- oder zweistufigem Vertrieb ge‐ sprochen. Indirekter Absatz heißt dabei, dass Handelsunternehmen in den Marktkanal eingeschaltet sind, direkter dagegen, dass bestimmte Handels‐ stufen nicht im Marktkanal eingeschaltet sind. So wird unter Direktabsatz zum Teil verstanden, dass unter Umgehung jeglichen Handels vom Produktionsunternehmen an den Letztabnehmer verkauft wird (nullstufiger Vertrieb, z. B. Textilien, Avon bzw. im Industrie‐ güterbereich), zum Teil aber auch, dass nur unter Umgehung des Großhan‐ dels über den Einzelhandel abgesetzt wird (einstufiger Vertrieb, z. B. über Großbetriebe des Einzelhandels). Im Kern geht es bei der Wahl zwischen direktem und indirektem Absatz um die Frage, ob ein kurzer Marktkanal oder ein langer Marktkanal als vorteilhaft anzusehen ist. Mit einem kurzen Marktkanal sind zumeist folgende Vorteile für ein Produktionsunternehmen verknüpft: 388 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="389"?> • Es besitzt einen intensiveren Kontakt mit den Letztverbrauchern, der für alle Informationen für und über den Markt genutzt werden kann. • Es ist aufgrund der wenigen Handelsstufen eventuell unabhängiger von Handelsbetrieben. Mit relativ langen Marktkanälen werden dagegen zumeist folgende Vor‐ teile verknüpft: • Es sind höhere Distributionsquoten bzw. Distributionsdichten er‐ reichbar. • Es bedarf keines unternehmenseigenen Angebots eines bedarfsorien‐ tierten Sortiments, da der mehrstufige Handelsbereich die Sortiments‐ bildungsfunktion übernimmt. • Die (quantitative) Informationsleistung des Marktkanals für das Produktionsunternehmen umfasst mehrere Bereiche, da die Marktabde‐ ckung größer ist. Das vielfach geäußerte Argument, dass der direkte Absatz auf jeden Fall günstiger sei, hält auch einer oberflächlichen Analyse nicht stand, da zwar der Handel institutional beim direkten Absatz (teilweise) entfällt, nicht aber dessen Funktionen. Die Kontaktqualität zum Kunden dürfte jedoch zwei‐ felsohne zunehmen. Nachfolgend sind einige Gesichtspunkte aufgeführt, die eine Entscheidung über die Länge des Marktkanals beeinflussen. Bei den produktspezifischen Faktoren sind zu nennen: • Technisch komplizierte und beratungsbedürftige Produkte erfor‐ dern meist einen kurzen Marktkanal, da anderenfalls ein Großteil der dem Letztkäufer zu übermittelnden Information verloren geht bzw. verzerrt wird. • Schnell verderbliche oder modische Produkte erfordern „schnelle“ Marktkanäle, was oft nur durch kurze Marktkanäle gewährleistet wer‐ den kann. • Vergleichsweise wertvolle Produkte erlauben es eher, einen relativ kurzen Marktkanal zu unterhalten, als relativ geringwertige Produkte, da im Falle billiger Produkte die Kostenbelastung je Stück bei direkten Marktkanälen höher ist als bei indirekten Marktkanälen. Zu den nachfragespezifischen Faktoren zählen: 7.4 Gestaltung des Marktkanals 389 <?page no="390"?> • Kurze Marktkanäle sind nur dann sinnvoll, wenn eine relativ hohe Be‐ darfsintensität im Absatzgebiet herrscht, da andernfalls der Unterhalt des Marktkanalsystems zu teuer ist. • Kurze Marktkanäle setzen eine bestimmte Reputation des Produzen‐ ten voraus, da anderenfalls dessen Abnehmer (gegebenenfalls auch Einzelhandelsunternehmen) nicht bereit sind, mit dem Produzenten in Verbindung zu treten. Als unternehmensspezifische Faktoren zählen u.a.: • Kurze Marktkanäle erfordern einen größeren Vertriebsapparat im Betrieb selbst und im Markt sowie - damit verbunden - eine höhere Finanzkraft des Produktionsunternehmens. • Kurze Marktkanäle setzen zumeist ein breites Sortiment des Produk‐ tionsunternehmens voraus, da der kurze Marktkanal nur eingeschränkt die Sortimentsbildungsfunktion des Handels erfüllt. Entscheidend für die Wahl des Marktkanalsystems ist aber vor allem die Be‐ antwortung der Frage, welche Bedeutung das Produktionsunternehmen der größeren Marktpräsenz im Falle eines indirekten Absatzsystems zumisst. Die skizzierten Faktoren veranschaulichen deutlich, warum vor allem in den Fällen, in denen eine geringe Bedarfsdichte besteht, das Produkt relativ billig ist und kapitalstarke Produktionsunternehmen fehlen, lange Marktkanäle vorherrschen. Der im Konsumgüterbereich ohne Zweifel seltenere andere Extremfall fördert entsprechend stark das Entstehen von relativ kurzen Marktkanälen. 7.4.1.2 Breite eines Marktkanals Ist die Anzahl der Stufen des Marktkanals festgelegt, bedarf es häufig gesonderter Überlegungen über die Anzahl der Elemente, die auf jeder Stufe des Marktkanals sinnvoll sind. In vielen Fällen ergibt sich die Lösung gewissermaßen von selbst, da mit der Entscheidung über die Anzahl und Art der Letztverkaufsstellen und die Länge des Marktkanals das Ergebnis der Entscheidung über die Anzahl der parallel eingesetzten Elemente auf allen Zwischenverkaufsstufen vorbestimmt ist. Über die Anzahl der Elemente auf einer Stufe des Marktkanals ist aber insbesondere immer dann explizit eine Entscheidung zu treffen, wenn die entsprechende Stufe aus Außendienstmitarbeitern oder Vertretern besteht. 390 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="391"?> In diesem Fall sind Überlegungen darüber anzustellen, wie viele Außen‐ dienstmitarbeiter bzw. Vertreter in das Marktkanalsystem einzubauen (vgl. Kuhlmann, 2001, S. 175ff.) bzw. wie deren Verkaufsbezirke aufzuteilen sind. Gerade letzteres kann zu erheblichen Effizienzsteigerungen im Vertrieb führen (vgl. Albers u. Krafft, 2013, S.-86ff.). Einen relativ globalen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Reisen‐ den bzw. den Kosten der Reisenden für ein Produkt (C s ) und den infolge des Reisendeneinsatzes zu erwartenden Absatzmengen (y s ) gibt → Darstellung 7.3 wieder. Die Funktion hat in den meisten Fällen einen konkaven Verlauf, da aufgrund der vorrangig zu besuchenden erfolgversprechendsten Kunden mit zunehmender Besuchsanzahl bzw. Außendiensteinsatz mit sinkenden Grenzabsätzen zu rechnen ist. Bei der in → Darstellung 7.3 skizzierten Reaktionsfunktion unterstellt man, dass auch ohne Reisendeneinsatz ein bestimmter Absatz (ß 0 ) erzielt wird. y s C s y s = β 0 + β 1 C Sβ 2 mit β 0 , β 1 , β 2 ∊ R + , β 2 < 1,0 Darstellung 7.3: Wirkungsfunktion für den Außendiensteinsatz. 7.4.1.3 Integration eines Marktkanals in das Marktkanalsystem Es ist jedoch in vielen Fällen nicht nur ein Marktkanal innerhalb der Distributionspolitik eines Unternehmens zu bestimmen, sondern in Abhän‐ gigkeit der Anzahl der bearbeiteten Marktsegmente bzw. auch für ein einzelnes Marktsegment (vgl. → Abschnitt 7.2.4) parallel mehrere Marktkanäle („Multi-Channel“) in ein Marktkanalsystem (= Breite des Marktkanalsystems) zu integrieren (vgl. Helm et al., 2015, S. 251ff.), das im 7.4 Gestaltung des Marktkanals 391 <?page no="392"?> ersten Fall auch sicher zu stellen hat, dass die Kanäle einzelnen Zielgruppen eindeutig zuordenbar sind. Flaschenwein Einzelhandel Großbetriebsformen des Einzelhandels Zielgruppe von Letztnachfragern im In- und Ausland Fasswein Sektindustrie, Wein- und Sektgroßhandel, Weinkellereien Erzeugergemeinschaften, Genossenschaften Gastronomie Erzeuger (Winzer) weinausbauende Betriebe nicht ausbauende Betriebe häufig unter Einschaltung von Kommissionären Rohware Trauben, Maische, Most Darstellung 7.4: Beispiel eines Mehrkanalsystems für Wein. Wie differenziert das Marktkanalsystem eines Produkts ausgeprägt sein kann, soll am Beispiel des Marktkanals für Wein in → Darstellung 7.4 ver‐ deutlicht werden, wobei hier ein Unterschied zwischen weinausbauenden Betrieben und nicht-weinausbauenden Betrieben gemacht wird (häufig sind Betriebe nur teilausbauende Betriebe). Bedenkt man die Fülle der Entscheidungsalternativen im Bereich des Marktkanals, so ist unmittelbar klar, dass eine fast unübersehbare Anzahl von Entscheidungssituationen identifiziert werden kann, die noch dazu wenig klar strukturiert sind. 392 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="393"?> 7.4.2 Unternehmensinterne Gestaltungsmöglichkeiten im Marktkanal 7.4.2.1 Organisationsformen des direkten Vertriebs Ein vielfach diskutierter Fall einer Entscheidung zwischen alternativen Ar‐ ten von Marktkanälen ist die Entscheidung zwischen Handelsvertretungen und einem mit unternehmensinternen Außendienstmitarbeitern. Letztere sind weisungsgebunden, vertreiben nur Produkte eines Unternehmens, und das Entgelt für ihre Leistung besteht zum größten Teil aus einem Festgehalt, hinzukommen ab einer bestimmten Absatz- oder Umsatzhöhe in der Regel Provisionen. Vertreter sind demgegenüber selbstständige Gewer‐ betreibende, damit nur bedingt steuerbar; sie vertreiben meistens Produkte mehrerer Unternehmen und werden prinzipiell mittels Provision und evtl. einer Aufwandsentschädigung entlohnt. Das Unternehmen steht vor der Wahl, im Unternehmen angestellte Mit‐ arbeiter (Außendienstmitarbeiter) oder externe Partner (Handelsvertreter) mit den Aufgaben des persönlichen Vertriebs zu betrauen. Eine ähnliche Überlegung ergibt sich bei der Bearbeitung internationaler Märkte, vor allem im gewerblichen Bereich. Wissen | Die grundsätzliche Entscheidung zwischen Eigenerstel‐ lung und Fremdbezug stellt eine strategische Marketingentschei‐ dung dar. Sie bindet das Unternehmen an eine Vertriebsform, da beide zumeist langfristig angelegt sind und der Aufbau von langfristigen Beziehungen mit den Kunden die Bereitschaft und Fähigkeit des Un‐ ternehmens mindern, die Absatzform zu wechseln. Betrachtet man allein die Kosten eines Absatzes über Vertreter und über Außendienstmitarbeiter, so kann das Entscheidungsproblem wie in → Darstellung 7.5 wiedergegeben skizziert werden. Es wird unmittelbar deutlich, dass in den meisten Fällen eine Absatz‐ menge (oder Umsatz) existiert, bei der die Kosten eines Systems aus eige‐ nen Außendienstmitarbeitern denen eines Systems aus Vertretern genau entsprechen. Steigt der Absatz über diesen Break-even-Punkt an, so ist das Außendienstsystem im Vergleich zum Vertretersystem günstiger. Die Darstellung verdeutlicht zudem, dass bei einem Außendienstsystem die Kosten des Marktkanals vor allem aus Fixkosten bestehen, bei einem 7.4 Gestaltung des Marktkanals 393 <?page no="394"?> Vertretersystem dagegen durch die Abwälzung eines Teils des Risikos auf die Vertreter vor allem aus variablen Kosten. Die Aufteilung zwischen Festgehalt und Provision stellt dabei ein eigenes Optimierungsproblem dar (vgl. Kräkel u. Schöttner, 2016). Meist sinnvoller als die Gewährung von Provisionen ist die Etablierung eines Bonussystems, bei dem sich der variable Anteil am vereinbarten Zielerreichungsgrad (mit Berücksichtigung von realistischen Spannweiten) orientiert. Wissen | Zielvereinbarungen für Provisionen oder Bonussysteme nur auf Basis des Umsatzes sind meist suboptimal, da der erwirtschaf‐ tete Ertrag, aber auch Faktoren wie Neukundenakquisition und Kun‐ denzufriedenheit entscheidend sind. In → Darstellung 7.5 ist der Verlauf verschiedener variabler Entlohungs‐ komponenten skizziert. Abweichungen vom Planwert werden in deutliche‐ rem Umfang positiv oder negativ sanktioniert; gerade Abweichungen nach unten (bspw. um 10 %) sind für das Unternehmen oft schon dramatisch, für den Außendienst hingegen bei einer üblichen Provisionsstruktur deutlich weniger fühlbar. Kosten bzw. % des Zielbonus 200% 100% 0% Außendienstfixkosten Vertreterfixkosten Break-Even-Punkt 90% 100% 110% bzw. Zielerreichungsgrad beim Außendienstmitarbeiter Außendienstmitarbeiter Vertreter Absatz Darstellung 7.5: Kosten beim Einsatz von Außendienstmitarbeitern und Vertretern. Ein solches Kostenkalkül ist nur dann als Entscheidungshilfe sinnvoll, wenn insbesondere folgende Annahmen zutreffen: 394 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="395"?> • Außendienst und Vertreter sind hinsichtlich der Erlösträchtigkeit gleich zu beurteilen. • Die Möglichkeit der Marktbeeinflussung in langfristiger Sicht ist von der Entscheidung zwischen Vertreter und Außendienst unabhängig. • Außendienst und Vertreter sind in gleichem Maße geeignet, Informatio‐ nen über den Markt einzuholen (vgl. →-Kapitel 4). Meist sind diese Annahmen nicht erfüllt, haben doch beide Formen des Marktkanals jeweils spezifische Vor- und Nachteile. Neben Kostenaspek‐ ten spielen auch die Aspekte der Steuerung der Außendienstmitarbeiter eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für ein Marktkanalsystem. Da Handelsvertreter laut der Legaldefinition der §§ 84 ff. HGB rechtlich selbst‐ ständig und generell nicht weisungsgebunden sind, kann die Steuerung lediglich über finanzielle Anreize erfolgen. Reisende dagegen sind weisungs‐ gebunden, so dass dem Unternehmen neben der Gestaltung des Entloh‐ nungssystems auch andere Maßnahmen der Führung und Überwachung zur Verfügung stehen. Das Abwägen der Vorteilhaftigkeit der zwei Absatzfor‐ men erfolgt zwischen Steuerungsgesichtspunkten und Economies of Scale and Scope. Unter die Steuerungsaspekte fallen die Kriterien Steuerung, Bindung an das Unternehmen und Persönlichkeit/ Risikoeinstellung des Mitarbeiters. Zu den Economies of Scale and Scope zählen Kosten, Verkaufsbemühungen, Kenntnisse, Kundenbeziehungen, Synergieeffekte und Information (vgl. Albers u. Krafft, 2013, S. 158ff.). Daraus ergeben sich für Vertreter und Reisende qualitative Vor- und Nachteile. In der Regel werden jeweils einige Vor- und Nachteile im konkreten Fall so gravierend sein, dass sich bereits aufgrund dieser qualitativen Kriterien eine eindeutige Präferenz für eine der beiden Alternativen ergibt. 7.4.2.2 Key-Account-Management Üblicherweise bestehen in der Bedeutung der Abnehmer Unterschiede für den Erfolg eines Unternehmens. Aufgrund dieser Situation ist es oft angeraten, diese Schlüsselkunden (Key Accounts) mit einem eigenen Vertriebsmitarbeiter oder je nach Größe mit einem eigenen Vertriebsteam zu betreuen, um die Beziehungen zu diesen zu festigen bzw. optimal zu gestalten (vgl. auch →-Kapitel 3; Helm et al., 2015, S.-151ff.). 7.4 Gestaltung des Marktkanals 395 <?page no="396"?> Wissen | Der Key-Account-Manager ist der Ansprechpartner so‐ wohl für die Mitarbeiter des eigenen Unternehmens als auch für den Kunden, seine Rolle liegt vielfach in der eines „Vermittlers“ zwischen beiden Seiten. Im Allgemeinen werden zwei Zielsetzungen mit einem Key-Account-Ma‐ nagement verfolgt: • Optimale Beziehungsqualität durch regelmäßige und intensive Kom‐ munikation zum Kunden und Kenntnis der Abläufe bei diesem. Dadurch ist es möglich, sich von der Konkurrenz abzuheben und seine Leistungen im Markt optimal, d.-h. unverfälscht zu präsentieren. • Senkung des (externen) Koordinationsaufwands zwischen den Par‐ teien, aber auch Senkung der innerbetrieblichen Koordinationsaufwen‐ dungen durch die Bildung einer zentralen Anlaufstelle im Unternehmen. Unkoordiniertes Auftreten einzelner Mitarbeiter wird dadurch vermie‐ den. Schon in den angeführten Punkten wird evident, dass der Key-Account-Ma‐ nager eine Fülle von Funktionen zu vollbringen hat, die potenzielle Kon‐ fliktherde im eigenen Unternehmen und beim Key Account berühren. Die Implementierung sollte damit nur erfolgen, wenn das Key-Account-Ma‐ nagement auch tatsächlich mit entsprechenden Kompetenzen ausgestat‐ tet ist. Key-Account-Manager sollten sowohl über eine hohe Fachkompetenz als auch über hohe Beziehungs-, Sozial- und Methodenkompetenzen verfü‐ gen und geübt in Verhandlungen sowie im Umgang mit Führungskräften sein. Meist verfügen sie über ein umfangreiches Netzwerk an Kollegen. Key-Account-Manager agieren meistens unabhängig von Produktlinien und Geschäftsbereichen und sind oftmals direkt der Unternehmensfüh‐ rung unterstellt. Dadurch werden Entscheidungsspielräume gesichert und eine flexible Vertriebssteuerung möglich. Zu den Aufgaben des Key-Ac‐ count-Managements gehören die Entwicklung und Umsetzung aller re‐ levanten Kundenbeziehungs-, Kundenbindungssowie Entwicklungsmaß‐ nahmen und die persönlich-individuelle Betreuung von einzelnen Kunden bzw. dem entsprechenden Buying Center. Gaitanides und Diller (1989) haben beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel festgestellt, dass nur ein „starker“ Key-Account-Manager als kompetenter Geschäftspartner gesehen wird, die „schwache“ Ausgestaltung jedoch eher kontraproduktiv wirkt. Binckebanck (2005) konstatiert, dass eine empirische Korrelation zwischen 396 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="397"?> Erfolg der Key-Account-Managements und der Qualität des entsprechenden Humankapitals besteht. Es gibt immer wieder neue Ansätze und Methoden, die entwickelt werden, um das Key-Account-Management effektiver zu gestalten. Einige der aktu‐ ellen Entwicklungen im Key-Account-Management beinhalten den Einsatz von Daten- und Analysewerkzeugen, um Kundenbedürfnisse besser zu ver‐ stehen, die Entwicklung von personalisierten Angeboten für Key Accounts, und die Verwendung von Technologie wie Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung um Prozesse zu optimieren. Zum Beispiel kann ein KI-System verwendet werden, um die Kommunikation mit Key Accounts zu automatisieren und schneller auf Anfragen zu reagieren. Ein anderes Beispiel ist die Verwendung von KI, um Prognosen zu erstellen und die Performance von Key Accounts zu überwachen, um schneller auf potenzielle Probleme reagieren zu können. 7.4.3 Zusammenarbeit im Marktkanal Die in den beiden vorangegangenen Abschnitten erörterten Entscheidungen betrafen Gesichtspunkte der Aufbaustruktur des Marktkanalsystems, in diesem Abschnitt sind Entscheidungen über die Struktur der Abläufe im Marktkanalsystem näher zu beleuchten. Zugleich ist dabei nochmals genauer die Frage zu diskutieren, inwieweit Produktionsunternehmen überhaupt in der Lage sind, ein Marktkanalsystem mit vielen rechtlich unabhängigen Organisationseinheiten zu steuern. Zwischen den einzelnen Stufen eines Marktkanalsystems, insbesondere zwischen den Produktionsunternehmen und den Einzelhandelsunterneh‐ men können grundsätzlich folgende drei Formen einer Machtbeziehung bestehen: • Die dominierende Stufe des Marktkanals ist die Produktionsstufe. Diese Situation tritt besonders häufig in Verkäufermarktsituationen auf und insbesondere dann, wenn die Handelsstufe in viele relativ kleine Be‐ triebe bzw. Unternehmen aufgesplittert ist (Erfüllungsgehilfen der Produktionsunternehmen). • Die dominierende Stufe des Marktkanals ist die Handelsstufe. Diese Situation ist in Käufermarktsituationen häufig dann gegeben, wenn die Handelsstufe in großen Filialsystemen bzw. starken kooperativen Gruppen zusammengeschlossen ist. Der „Besitz des Marktes“ und die 7.4 Gestaltung des Marktkanals 397 <?page no="398"?> Beherrschung des knappen Gutes „Regalplatz“ geben den Handelsun‐ ternehmen eine vergleichsweise starke Stellung. Das für diese Situation geprägte Schlagwort ist das von der Nachfragemacht des Handels, die nach Meinung vieler im Lebensmitteleinzelhandel (vgl. Bachl et al., 2003, S.-26) und bei Onlinemarktplätzen gegeben ist. • Keine der beiden Stufen, weder Produktionsnoch Handelsunterneh‐ men, besitzt einen eindeutigen Machtvorsprung; es herrscht gewisser‐ maßen ein Machtgleichgewicht im Marktkanal. Grundsätzlich sind in diesem Falle zwei Strategien möglich, zum einen die Konfrontations‐ strategie und zum anderen die kooperative Strategie des Vertikalen Marketing. Vor dem Hintergrund dieser Machtkonstellationen sind verschiedene Stra‐ tegien der beteiligten Unternehmen denkbar. 7.4.3.1 Vertikales Marketing Vertikales Marketing bedeutet, dass beide Stufen eine jeweils eigenständige Marketingpolitik betreiben, wobei diejenige des Produktionsunternehmens vor allem auf einzelne Produkte und diejenige der Handelsunternehmen primär auf ihr Sortiment insgesamt und die parallel angebotenen Dienstleis‐ tungen ausgerichtet ist. Wissen | Beim Vertikalen Marketing erfolgt trotz der Eigenständig‐ keit der Marketingstrategien von Hersteller- und Handelsunternehmen in mancherlei Form eine Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil. Die Abstimmung der beiden Marketingbereiche (vgl. auch zur Organisation → Kapitel 3) kann dabei im Bereich der Kommunikationspolitik durch gemeinschaftliche Werbeaktionen oder auch durch zeitlich abgestimmte Werbepläne erfolgen. Vertikales Marketing ist zum Beispiel bei der Pack‐ ungsgestaltung möglich, etwa dadurch, dass Packungen derart gestaltet werden, dass sie auch Bedürfnissen der Handelsunternehmen hinsichtlich Lagerung und Transport entsprechen (Shelf-ready-Packaging). Im Rahmen des Vertikalen Marketing hat man angesichts der starken Stellung einzelner Handelsunternehmen häufig drei Zielgruppen zu unter‐ scheiden, die simultan bearbeitet werden müssen: 398 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="399"?> • Kunden: Sie entscheiden letztlich über den Erfolg des Produktes. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, sind Produktqualität, Markenwerbung und andere präferenzbildende Maßnahmen auf sie auszurichten (Konsu‐ mentenmarketing). • Handelsunternehmen: Der Handelsbereich entscheidet zumindest kurzfristig über den Zugang der Produktionsunternehmen zum Markt. Um diese Unternehmen positiv zu stimmen, sind auf sie abgestimmte Kommunikations- und Aktionsstrategien zu entwickeln (Handelsbe‐ zogenes Marketing). • Top-Handelsunternehmen: Angesichts der Konzentration im Handel entscheiden wenige Unternehmen über einen großen Teil des Mark‐ tes. Diese Unternehmen verlangen eine besondere Behandlung, die ihnen in der Regel auch unter dem Schlagwort „Großkunden- oder Key-Account-Management“ gewährt wird (vgl. → Abschnitt 7.4.2.2), im Wesentlichen stehen dabei aufeinander abgestimmte Aktionen im Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund spricht man vielfach von den beiden grundsätzli‐ chen strategischen Ausrichtungen einer Pushbzw. Pull-Strategie (zum Teil werden diese auch bei der Marktkommunikation angeführt, vgl. Bruhn et al., 2016, S. 256f.). Beide werden im Extrem nahezu nie in reiner Form verwendet, sondern die Unternehmen versuchen - teilweise für einzelne Marken - entsprechende Schwerpunkte im Marktkanalmanagement zu setzen. • Bei der Pull-Strategie soll ein effektives am Endverbraucher ausgerich‐ tetes Marketing einen Nachfragesog durch den Kunden erzeugen, der den Handel sozusagen zur Listung der Produkte zwingt. Es resultiert dadurch eine geringere Abhängigkeit vom Handel sowie ein unmittelbar besserer Kontakt zum Kunden. • Verfolgt das Unternehmen eine Push-Strategie, so wird durch ein effektives handelsbezogenes Marketing - unter anderem durch niedrige Preise und so genannte Listungsgelder - versucht, eine adäquate Listung der Produkte im Handel zu erreichen. Wiederum durch einen relativ geringen Endverbraucherpreis und eine hohe Marktabdeckung soll Druck auf diese so weit erzeugt werden, dass relevante Absätze erzielt werden können (Handelsmarketing). Die Hersteller konzentrieren sich hier auf die Leistungserstellung und den Kontakt zum Absatzmittler. 7.4 Gestaltung des Marktkanals 399 <?page no="400"?> Beide Strategien beschreiben ein ungleichgewichtiges Verhältnis von Her‐ steller und Handel, sie sind in → Darstellung 7.6 gegenübergestellt. Eine Erweiterung dieser Überlegungen in Bezug auf die verschiedenen Zielset‐ zungen und Instrumente, die zur Verfügung stehen, findet sich u. a. bei Gierl et al. (2000) und Bruhn et al. (2016). handelsbezogene Marketing Handelsmarketing Push-Strategie Pull-Strategie vertikales Marketing Hersteller Handel Kunde Handel Hersteller Kunde push push pull pull effizientes Konsumentenmarketing Darstellung 7.6: Push- und Pull-Strategie. 7.4.3.2 Vertikale Abnehmerbindung Während beim Vertikalen Marketing eine Abstimmung vorwiegend fall‐ weise geschieht, bestehen bei den so genannten vertikalen Abnehmer‐ bindungen vertragliche Normen, die allen Beteiligten bestimmte Rechte und Pflichten vorgeben. Solche vertikalen Abnehmerbindungen werden vor allem von Produktionsunternehmen initiiert, die bestrebt sind, die Vorteile eines unternehmenseigenen, relativ einfachen Marktkanalsystems (gute Kontrolle der Marktaktivitäten) mit denen eines unternehmensfremden, relativ komplexen Marktkanalsystems (geringerer Kapitalbedarf, aufgrund der Selbstständigkeit im Zweifel höhere Motivation der Manager-Eigentü‐ mer) zu verbinden. Zu finden sind diese Vereinbarungen sowohl im B2Cals auch im B2B-Bereich. Die vielfältigen Abnehmerbindungen lassen sich grob danach unterschei‐ den, ob sie nur einzelne Funktionen der gebundenen Unternehmen betreffen oder ob sie die Unternehmen insgesamt erfassen. Häufig getroffene Verein‐ barungen bezüglich einzelner Funktionen sind folgende: 400 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="401"?> • Vereinbarungen über Gebietsschutz: In diesem Zusammenhang wird häufig vereinbart, dass Handelsbetriebe in einem bestimmten Gebiet alleine die Marken des jeweiligen Herstellers vertreiben dürfen; dafür ist es ihnen nicht erlaubt, konkurrierende Marken zu führen. In manchen Fällen wird bei solchen Exklusivverträgen auch eine Mindest‐ absatzmenge vereinbart. Beispiele hierfür sind einige Automobilvert‐ ragshändler. • Vereinbarungen über die Sortimentsgestaltung: Bisweilen wird etwa von Brauereien mit Gastwirtschaften vereinbart, dass nur be‐ stimmte alkoholfreie Getränke oder andere Biere zum Ausschank kommen dürfen. Diese Vereinbarungen sind wichtige Bestandteile der Bierlieferverträge. • Vereinbarungen über eine Mindestlagerhaltung: Insbesondere in Marktkanalsystemen technischer Güter (Kraftfahrzeuge, Elektrogeräte) werden Handelsunternehmen häufig verpflichtet, genau definierte Si‐ cherheitsbestände zu halten, um so bestimmte Reparaturen schnell ausführen zu können (Pflege des Herstellerimage). • Vereinbarungen über Vertriebsbindungen: Häufig verpflichten Hersteller Handelsunternehmen dazu, nur an bestimmte Abnehmer zu verkaufen. Dies geschieht vor allem zur Pflege des guten Kontaktes zu diesen Abnehmern. • Vereinbarungen über die Preisbindung: Hersteller oder andere Han‐ delsunternehmen verpflichten die ihnen im Marktkanal nachgelagerten Stufen dazu, Produkte zu bestimmten Preisen zu veräußern. Häufig wird dabei nicht nur die nächstfolgende Handelsstufe, sondern auch oder nur die dieser Handelsstufe folgende Handelsstufe hinsichtlich des Verkaufspreises gebunden („Preisbindung der zweiten Hand“). Ob und inwieweit dies juristisch möglich ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Mehrere Funktionalbereiche eines Unternehmens betreffen Abnehmerbin‐ dungen in der Form von Vertragshändlersystemen oder Franchisesys‐ temen. Solche Vereinbarungen können dabei so weit gehen, dass die miteinander verbundenen Unternehmen nach außen hin ein einheitliches Erscheinungsbild aufweisen. Dies trifft insbesondere auf Franchisesysteme zu, bei denen die zusammengeschlossenen Unternehmen bisweilen eine geschlossene Einheit bilden (z. B. Hotel- oder Schnellrestaurantketten), die äußerlich nicht von einem Filialsystem zu unterscheiden ist. 7.4 Gestaltung des Marktkanals 401 <?page no="402"?> • Vertragshändlersysteme basieren auf Vereinbarungen etwa über die Mindestlagerhaltung, die Sortimentsgestaltung, das Angebot von Serviceleistungen und den Vertrieb. Der Übergang zu den einfachen Abnehmerbindungen und zu den Franchisesystemen ist fließend. • Franchisesysteme basieren auf Vereinbarungen über mehrere betrieb‐ liche Funktionalbereiche und die Nutzung von Marken, Rezepten oder Warenzeichen. Wie der Ausdruck „Unternehmensfranchise“ andeutet, wird in diesem Fall ein großer Teil des Know-how, das im System angesammelt wurde, den einzelnen angeschlossenen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Dieses Verfügungsrecht ist meist mit einschneiden‐ den Bestimmungen über die Art der Geschäftspolitik verknüpft und wird durch einmalige, fixe und umsatzabhängige Franchise-Gebühren abgegolten. Bekannte Franchisesysteme sind unter anderem Hans im Glück, McDonalds, Subway, „vom Fass“ oder OBI-Baumärkte. • Diese Organisationsform hat für viele Unternehmen eine gewisse At‐ traktivität, da eine schnelle Multiplikation eines erfolgreichen Ge‐ schäftskonzepts erreicht werden kann. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Zahl der Franchise-Geber bzw. Franchisesysteme im Jahr 2021 auf ca. 920 in Deutschland stieg und deren Umsatz mittlerweile über 135 Milliarden Euro beträgt. Dabei führen ca. 181.000 Unternehmer/ Mana‐ ger in Deutschland einen Franchise-Betrieb, ca. sechsmal so viele wie noch 1997. 7.4.3.3 Efficient Consumer Response und Category-Management Letztendlich geht es auch beim Efficient Consumer Response um nachhaltig gute Kundenbeziehungen - folgt man der in → Kapitel 1 gegebenen Definition des Marketings handelt es sich um das Anliegen im Marketing per se. In → Kapitel 3 wurden diese Aspekte in anderem Zusammenhang unter Kundennähe und Customer-Relationship-Management angeführt. Wissen | Efficient Consumer Response (ECR) beinhaltet die im Sinne der Input-Output-Relation optimale Reaktion des Handels und der Hersteller auf Kundenbedürfnisse. Der Ansatz verfolgt dabei die gesamte Prozesskette, ausgehend vom Kunden, über die Handelsstufen zu den Produktionsunternehmen. 402 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="403"?> Das Resultat in einer Hersteller-Handel-Beziehung sollte in einem effizien‐ ten Category-Management bestehen. Wissen | Das Category-Management umfasst in diesem Zusammen‐ hang die kooperativen Planungen für ganze Warengruppen, so dass durch Verbundwirkungen (Cross Selling) der Abverkauf im Handel forciert wird. Wissen | Die Warengruppe definiert sich dabei nach dem Verwen‐ dungszusammenhang beim Kunden, den Substitutionsbeziehungen beim Kunden, dem Suchverhalten der Kunden und schließlich an logistischen Erfordernissen. Durch die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette (vgl. Ahlert u. Hesse, 2002) und einer Integration der Informationskette (vgl. Lingenfelder u. Kreipl, 2007, S. 894ff.) sollte eine echte Win-win-Situation für beide Parteien entstehen, d. h. die Verbesserungen sollten nicht aus einseitigen Konditionszugeständnissen resultieren, sondern aus der Überwindung viel‐ seitiger Bereichsegoismen (vgl. Holweg, 2009, S.-29). ECR baut auf die Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette durch die Integration von Logistik, Marketing und Produktentwicklung, was eine enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnern vor‐ aussetzt. So muss etwa im Rahmen einer Logistikkooperation vom Bestell- und Zahlungsverkehr über die operative Logistik die Lager- und Nach‐ schubversorgung überdacht und abgestimmt werden. Darüber hinaus sollte eine Marketingkooperation im Rahmen des Category-Managements eine kundenorientierte Sortimentsstruktur und Produktentwicklung fördern so‐ wie die Planung und Koordination von Verkaufsförderungsmaßnahmen unterstützend optimieren. Beispiel | Als Beispiel für die Effizienz kann eine Untersuchung deutscher Einzelhandelsunternehmen angebracht werden, bei der die Nutzung von ECR zu einer Reduktion der SKUs von 25 % im Bereich der Putz- und Haushaltsgegenstände führte (vgl. Dupre u. Gruen, 2004, S.-445). 7.4 Gestaltung des Marktkanals 403 <?page no="404"?> Eine solche Integration firmenübergreifender Aufgaben und Funktionen setzt insbesondere bei der Sortimentspolitik ein hohes Maß an Offenheit und gegenseitigem Vertrauen voraus (vgl. Helm u. Strohmayer, 1997). Dies birgt aber gleichzeitig das Risiko, durch die Preisgabe von Informationen eigene Wettbewerbsvorteile zu gefährden. Die Beziehungsqualität zwischen den Kooperationspartnern ist deshalb - wie auch sonst bei zwischenbetrieb‐ lichen Kooperationen - ein wichtiges Erfolgskriterium, womit der Wahl des Kooperationspartners bei ECR eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. Lingenfelder u. Kreipl, 2007, S. 898). Im nachfolgenden Abschnitt wird ein Konzept aufgezeigt, dass diese Zusammenarbeit gewährleisten soll. 7.4.3.4 Das CPFR-Geschäftsmodell Ziel des CPFR-Konzepts (Collaborative Planning Forecasting and Reple‐ nishment) ist es, dass alle Wertschöpfungspartner innerhalb der Wertschöp‐ fungskette zusammenarbeiten, um gemeinsam den Kundennutzen zu erhö‐ hen (vgl. Helm et al., 2015, S. 247). Dies soll durch eine enge Kooperation zwischen Handel und Hersteller in den Bereichen Planung, Prognose und Bevorratung erreicht werden. Durch eine stärkere Zusammenarbeit in die‐ sen Bereichen können Synergieeffekte realisiert, Out-of-Stock-Situationen vermieden (vgl. Helm et al., 2008; Helm et al., 2009; Helm u. Hegenbart, 2009) und Lagerbestände beim Hersteller und beim Handel optimiert werden. Der CPFR-Ansatz beruht letztendlich auf den Grundannahmen des ECR-Konzepts, wobei sich CPFR jedoch als holistische Herangehensweise versteht, bei dem sämtliche ECR-Techniken und -Methoden in einem Mo‐ dellansatz zusammengefasst werden (vgl. Deeg u. Rosenstein, 2002, S.-9ff.). Wissen | Beim CPFR-Ansatz wird in einem 9-stufigen Geschäftsmo‐ dell die Zusammenarbeit zwischen Handel und Hersteller ganzheitlich dargestellt. Diese neun Stufen lassen sich in die Bereiche Planning (gemeinsame Planung der Beschaffungsmenge), Forecasting (gemein‐ same Prognose) und Replenishment (Auftragsgenerierung) zusam‐ menfassen. Kern dieses Modells ist jedoch Collaborative, d. h. die enge, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Zusammenarbeit der Partner. Ähnliche Gedanken finden sich auch im Industriegüterbereich bei der Zusammenarbeit von Lieferanten und produzierendem Abnehmerunter‐ 404 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="405"?> nehmen. Die ganzheitliche Optimierung der Versorgungskette unter ver‐ triebslogistischen Gesichtspunkten wird unter dem Konzept des Sup‐ ply-Chain-Management subsumiert (vgl. dazu Eßig et al., 2013). Dies wird unterstützt durch eine teilweise proaktive, vergangenheitsbezogene datengestützte Verbrauchsanalyse sowie den Einsatz vielfältiger Sensorik am Maschinenpark (Predictive Maintenance). Für Anbieter ergeben sich hier eine Fülle von neuen Geschäftsmöglichkeiten unter dem Stichwort Industrie 4.0 oder IIoT - Industrial Internet of Things (vgl. Kraft et al., 2021). Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen sind u. a. die Bereitschaft zur offenen Kooperation und der Aufbau der nötigen technischen Strukturen für einen effizienten Informationsaustausch. Gerade an der Bereitschaft zur engen und offenen Zusammenarbeit scheitert es häufig, da ein Vertrauensverhältnis zwischen Hersteller und Handel oft nicht gegeben ist. In → Darstellung 7.7 ein typischer Ablaufprozess eines CPFR-Projekts aufgezeigt. Darstellung 7.7: Das CPFR-Geschäftsmodell | Quelle: in Anlehnung an Deeg u. Rosenstein, 2002, S.-9. 7.4 Gestaltung des Marktkanals 405 <?page no="406"?> Gerade kleine und mittelständische Hersteller stehen CPFR-Projekten oft eher skeptisch gegenüber, da die technischen Anforderungen zum Infor‐ mationsaustausch meist allein von den Handelsunternehmen vorgegeben werden, was für die einzelnen Unternehmen insbesondere deshalb erhebli‐ che Investitionen nach sich zieht, da die Handelsunternehmen unterschied‐ liche Vorstellungen zur Gestaltung solcher Systeme haben. Internetplatt‐ formen bieten allerdings gute Möglichkeiten der Vereinheitlichung von informationsbezogenen Schnittstellen. Problematisch ist zudem, dass Han‐ delsunternehmen oft eine dominante Rolle in der Wertschöpfungskette anstreben, was die Realisierung einer Win-win-Situation für alle Beteiligten im CPFR-Prozess beeinträchtigen könnte. Andererseits ist der potenzielle Nutzen von CPFR-Projekten weitge‐ hend unbestritten, da verschiedene Pilotprojekte gezeigt haben, dass so erhebliche Optimierungspotenziale genutzt werden können (vgl. Rode, 2003, S. 28). Eine Übertragung auf den Industriegütersektor scheint ebenfalls zu gelingen. 406 7 Vertriebs- und Distributionspolitik <?page no="407"?> 8 Kommunikationspolitik 8.1 Die Marktkommunikation im Rahmen des Marketings eines Unternehmens Im Rahmen der Produkt-, Preis- und Distributionspolitik werden Angebot‐ sinhalte und Angebotsbedingungen im weitesten Sinne festgelegt. Der Kommunikationspolitik kommt danach die wichtige Funktion zu, die re‐ levante Öffentlichkeit über diese Komponenten des Marketing-Mix zu informieren. Auf Käufermärkten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Besonderheit des Produkts, der dafür geforderte Preis und die Dis‐ tributionsleistungen gewissermaßen automatisch den potenziellen Kunden bekannt werden. Es sind vielmehr gezielte Anstrengungen notwendig, diese Elemente am Markt bekannt zu machen. Kommunikationspolitische Maßnahmen sind alle diejenigen marktorien‐ tierten Maßnahmen eines Unternehmens, die primär dazu dienen, Informa‐ tionen vom Unternehmen an die aktuellen bzw. potenziellen Abnehmer und die Öffentlichkeit zu übermitteln. Die Informationen können zum einen einzelne Qualitätsmerkmale von Produkten, einzelne Produkte oder ganze Vertriebsprogramme und zum anderen auch deren Preise und Verkaufsstel‐ len betreffen. Wissen | Als „Sprachrohr des Marketings“ kommt der Kommunikati‐ onspolitik die Aufgabe zu, alle diejenigen Informationen bereitzustel‐ len und zu verbreiten, die den Zielen des betreffenden Unternehmens nützlich sind. 8.1.1 Rahmenbedingungen der Kommunikationspolitik Es genügt grundsätzlich nicht, objektiv gute Sach- oder Dienstleistungen dem Markt zur Verfügung zu stellen. Oben wurde bereits angesprochen, dass in Käufermärkten nicht von einer per se gegebenen Bekanntheit oder Präferenz für die eigene Leistung ausgegangen werden kann. Vielmehr wer‐ den konkurrierende Angebote von potenziellen Kunden als austauschbar wahrgenommen (→ Darstellung 8.1). <?page no="408"?> Darstellung 8.1: Wahrgenommene Gleichheit von Marken | Quelle: in Anlehnung an Stef‐ fenhagen, 2000, S.-35. Potenzielle Abnehmer müssen deshalb in aller Regel durch gezielte Maß‐ nahmen darüber informiert werden, • dass diese Leistungen gut sind, • inwiefern sie sich von anderen am Markt erhältlichen Leistungen differenzieren • bzw. welche Sach- oder Dienstleistungen im Einzelnen erhältlich sind, • zu welchen Bedingungen und • an welchen Orten sie erstanden werden können. Die Kommunikationspolitik zielt somit darauf ab, bei den aktuellen und potenziellen Abnehmern ein den Unternehmenszielen förderliches Bild vom Angebot des Unternehmens oder vom Unternehmen selbst zu schaffen und bestimmte Aktionen des Unternehmens bekannt zu machen. Die Bedingungen für eine effiziente Marktkommunikation sind jedoch alles andere als einfach (vgl. Kroeber-Riel u. Esch, 2015, S.-17ff.): • Starke Informationsüberflutung: Darunter ist der Anteil der von Nachfragern nicht beachteten Informationen am gesamten Informati‐ onsangebot zu verstehen. In der Bundesrepublik Deutschland kann man von einem durchschnittlichen Wert von 95 % ausgehen. Benötigt ein Rezipient zur Aufnahme einer Zeitschriftenanzeige beispielsweise ca. 40 Sekunden, so liegt die tatsächliche Aufmerksamkeit bei ca. 2 Sekunden. • Dominanz der Bildkommunikation: Aufgrund der angesprochenen Informationsüberlastung bevorzugen die Rezipienten Bilder als Infor‐ mationsquelle, vor allem wenn es um emotionale Eindrücke geht. Mit Worten kann dieselbe Informationsmenge nur in einem erheblich 408 8 Kommunikationspolitik <?page no="409"?> größeren Zeitraum übermittelt werden. Einen Beleg dafür liefern die Betrachtungsdauern von Rezipienten bei einzelnen Bestandteilen einer Printanzeige in → Darstellung 8.2. Darstellung 8.2: Verteilung der Betrachtungsdauer bei einzelnen Anzeigenbestandteilen | Quelle: Kroeber-Riel, 1996, S. 17. • Gesättigte Märkte mit austauschbaren Angeboten (→ Darstellung 8.1): Daraus leitet sich unmittelbar ein nachlassendes Informationsinter‐ esse sowie eine nachlassende Wirksamkeit von informativer Werbung ab. Als Folge davon reagieren Unternehmen mit einer zunehmenden Marktdif‐ ferenzierung, indem sie verschiedenste zielgruppenspezifische Varianten auf den Markt bringen und mit entsprechender differenzierter Markt‐ kommunikation (Medien, Werbebotschaften, spezifische Produktverwen‐ dungen) vermarkten. 8.1 Die Marktkommunikation im Rahmen des Marketings eines Unternehmens 409 <?page no="410"?> 8.1.2 Ansatzpunkt und Zielsetzung der Kommunikationspolitik In der Regel enthalten Kommunikationsmaßnahmen sowohl sachdienliche Informationen („informative Kommunikation“) als auch der Beeinflussung dienende Informationen („beeinflussende Kommunikation“). Beide sollen die Perzeption der Leistung des Unternehmens oder eines Produktes positiv beeinflussen. Beeinflussende Kommunikation ist als eine unverzichtbare Form der Unternehmenstätigkeit anzusehen. Wissen | Die Kommunikationspolitik basiert auf den bzw. setzt die Erkenntnisse aus den Verhaltensanalysen der potenziellen Nachfrager in konkreter Weise um. Dies geschieht, indem bspw. konkrete (nicht-)erstrebenswerte Szenen und entsprechende Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Die Beeinflussung der Zielpersonen erfolgt auf Basis der Ausführungen in → Kapitel 1 und → Kapitel 2. Im Hinblick auf präferenztheoretische Überlegungen kann dies in zweierlei Hinsicht erfolgen: • Zum einen kann mittels kommunikationspolitischer Maßnahmen versucht werden, die Wahrnehmung von Merkmalsausprägungen bestimmter Objekte zu modifizieren. Bei Personenkraftwagen wird beispielsweise für einige Marken angestrebt, das Urteil über deren Sicherheit zu beeinflussen. • Zum anderen wird mittels kommunikationspolitischer Maßnahmen eine stärkere Gewichtung bestimmter Merkmale im Urteilsverhal‐ ten der aktuellen oder potenziellen Abnehmer angestrebt. Bei Perso‐ nenkraftwagen wird etwa durch die Präsentation eines schlafenden Kindes die Bedeutung der Sicherheit eines Kraftwagens und damit die Bedeutung der Tatsache, wieder gesund nach Hause zu kommen, zu steigern versucht. Letzteres geschieht dadurch, dass die Wahrnehmung positiv beeinflusst und bzw. oder die Merkmalsgewichtung im Sinne der Anbieter abgewandelt wird. 410 8 Kommunikationspolitik <?page no="411"?> 8.1.3 Erweiterte Betrachtungsweise des Signaling Ein Nachfrager kauft ein Produkt nur dann, wenn die subjektiv wahrgenom‐ mene Beschaffenheit des Produktes seine subjektiven Qualitätserwartungen an das Produkt mindestens erfüllt und das Produkt somit geeignet ist, seine individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Vor dem Kauf findet daher eine Qualitätsbeurteilung zur Auswahl des am besten geeigneten Produktes statt. Wissen | Den Nachfragern stehen zahlreiche Informationen zur Ver‐ fügung, die sie aufgrund von Zeit-, Kosten- und Fähigkeitsrestriktionen nicht alle nutzen können. Diese Situation führt zu einer nachfrager‐ seitigen Auswahl verschiedener Qualitätssignale. Qualitätssignale können als Instrumente betrachtet werden, mit deren Hilfe ein Anbieter den Nachfragern Informationen über die Qualität seiner Produkte vermittelt mit dem Ziel, die vorliegende Qualitätsunsicherheit der Nachfrager vor dem Kauf zu reduzieren. Qualitätssignale sind vom Anbieter manipulierbare Signale wie Informationen oder Garantien. Anbieter können auch durch so genannte Indizes, wie die Reputation, Qualität signalisieren. Indizes sind zumindest kurzfristig vom Hersteller nicht veränderbare Signale. Die verschiedenen Optionen der Qualitätssig‐ nalisierung, die Anbietern zur Verfügung stehen, sind in → Darstellung 8.3 wiedergegeben (vgl. Helm, 2001a, S.-98). Indexcharakteristika Ausprägungen verschiedener Signaltypen Reputation Information Garantie • Unternehmensgröße • Referenzkunden • Bekanntheitsgrad • Marktanteile • Internationalität • Erfahrungen im Pro‐ duktbereich • Dauer der Unterneh‐ menspräsenz • Reputation der Ab‐ satzmittler, der Part‐ ner (Markenallianzen) • Werbung • Preis • Markenkennzeichnung • Gütezeichen, Zertifi‐ kate, Sicherheitszei‐ chen, Umweltzeichen, • Testurteile • Herkunftszeichen • Schulungen • Internetpräsenz • Garantieumfang/ -dauer • Preisgarantie • Geld-zurück-Garantie • Probenutzung mit Rückgaberecht • Kundendienst • Reparaturservice • Vor-Ort-Service Darstellung 8.3: Ausprägungen der Signaltypen Information und Garantie sowie Bestim‐ mungsgrößen der Reputation. 8.1 Die Marktkommunikation im Rahmen des Marketings eines Unternehmens 411 <?page no="412"?> Welche dieser Instrumente im Einzelnen für den Abbau der Qualitätsunsi‐ cherheit beim Nachfrager geeignet sind, ist von der Art der vorliegenden Informationsasymmetrie, also vom Ausmaß der Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften der Produkte abhängig (vgl. → Kapitel 5). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die jeweiligen Instrumente nicht unabhängig voneinander wirken, sondern dass insbesondere die Reputation einen mo‐ derierenden Effekt auf die Signaleignung ausübt. Für die Signaleignung ist es notwendig, dass das Signal einerseits über eine hohe Vorhersagekraft verfügt, um die Produktqualität zu prognosti‐ zieren, andererseits muss das Signal für den Nachfrager glaubwürdig sein, damit es überhaupt unsicherheitsreduzierend wirken kann (vgl. Helm u. Mark, 2007). Bei Sucheigenschaften, die bereits vor dem Kauf verifiziert werden können, sollten Anbieter relativ kostengünstige Informationssignale, wie Werbung oder Zertifikate, anbieten. Aufgrund der ex ante Überprüfbarkeit der Produkteigenschaften besitzt der Anbieter keinen Opportunismuspiel‐ raum, so dass die Signalnutzung in diesem Fall unabhängig von der Repu‐ tation des Signalsenders erfolgt. Im Falle von Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften, die vor dem Kauf nicht überprüfbar sind, muss der Anbieter zum Abbau der Unsicher‐ heiten solche Signale wählen, bei denen er nach der Kaufhandlung vom Nachfrager noch greifbar ist. Diese Voraussetzung der Greifbarkeit des Anbieters erfüllen Garantien, aber auch die Reputation. Bei Garantien macht der Anbieter dem Nachfrager das Angebot, beim Schadenseintritt ex post für den erlittenen Schaden aufzukommen. Der Einsatz von Garantien stellt nicht nur bei Erfahrungseigenschaften ein geeignetes Signal dar, sondern auch bei Vertrauenseigenschaften, da im Schadensfall durch den Ausfall dieser Eigenschaft eine indirekte Überprüfung (mit einem negativen Ergebnis) erfolgt. Im Falle des Vorhandenseins von Reputation hat der Nachfrager im Schadensfall die Möglichkeit, diese zu zerstören. Da der Reputationsverlust für ein Unternehmen mit hohen Kosten verbunden ist, gilt dieses Instrument als äußerst wirkungsvoll. Darüber hinaus gilt bei Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften, dass eine effektive Qualitätssignalisierung nur möglich ist, wenn die Signale über eine hohe Glaubwürdigkeit verfügen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die häufige werbliche Verwendung von Testurteilen der Stiftung Warentest erklären, deren Wirksamkeit vor allem auf der Glaubwürdigkeit und hohen Reputation der anbieterunabhängigen Institution beruht. Bezo‐ 412 8 Kommunikationspolitik <?page no="413"?> gen auf unternehmenseigene Signale wie beispielsweise Garantien liegt eine hohe Glaubwürdigkeit des Signals vor, wenn der Anbieter über eine hohe Reputation verfügt. Damit wird deutlich, dass bei Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften die Signalnutzung maßgeblich von der Reputation des Signalsenders abhängt. 8.1.4 Elemente der Kommunikationsstrategie Die bisher diskutierten, vergleichsweise generellen Zwecksetzungen der Kom‐ munikationspolitik bedürfen für die konkrete unternehmerische Planung noch der Konkretisierung in Form bestimmter kommunikationspolitischer Ziele, wie sie insbesondere im →-Abschnitt 8.4.2 näher beleuchtet werden. Kein anderer Entscheidungsbereich des Marketingmanagement (inkl. Marketingforschung) wird in der Praxis von unternehmensexternen Orga‐ nisationen (insbesondere Werbeagenturen) mitgestaltet wie die Kommu‐ nikationspolitik, weswegen eine exakte Zieldefinition von überragender Bedeutung ist. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Briefing zu. Wissen | Im Briefing werden alle für die Festlegung der Aufgaben des Dienstleisters wichtigen Fakten, also insbesondere der übergeord‐ neten Ziele und der unternehmensinternen Rahmenbedingungen der Kommunikationspolitik vermittelt. Das Briefing dient somit der Verzahnung der beiden in verschiedenen Organisationen entwickelten Strategien - der a priori vorgegebenen Marketingstrategie und Kommunikationspolitik - und stellt die Arbeits‐ grundlage für die Tätigkeiten der Werbeagentur dar. Bisweilen werden in großen Organisationen solche Briefings auch zur Kooperation zwischen der Vertriebs- und der Werbeabteilung entwickelt. Jede Marktkommunikation enthält einige typische Elemente, die insbe‐ sondere für den Bereich der Mediawerbung unmittelbar verständlich sind, aber auch auf andere Formen der Marktkommunikation übertragen werden können. Im Einzelnen sind dies: • Das Werbeobjekt ist die Sach- oder Dienstleistung, über die eine Aussage gemacht wird. • Die Werbesubjekte sind die Elemente der Zielgruppe einer Werbemaß‐ nahme. 8.1 Die Marktkommunikation im Rahmen des Marketings eines Unternehmens 413 <?page no="414"?> • Unter der Werbebotschaft versteht man die Aussage, die den Markt‐ teilnehmern mitgeteilt werden soll (z. B. bestimmte Produkteigenschaft, vgl. →-Abschnitt 8.2.2). • Das Werbemittel stellt die objektivierte Form der Werbebotschaft dar, also die Ausformung der Werbebotschaft in einer ganz bestimmten Weise. Werbemittel sind etwa Anzeigen oder Werbespots. • Unter dem Werbeträger oder dem Werbemedium versteht man diejenige Person, Sache oder dasjenige Programm, die bzw. das die Übermittlung des Werbemittels zum Werbesubjekt bewerkstelligt (z.-B. Zeitungen, Zeitschriften, Radio-, Fernsehprogramm, Plakatwand, Inter‐ net). Bevor die Werbebotschaft entwickelt werden kann, muss zunächst eine ent‐ sprechende Werbestrategie (Copy Strategy) zusammen mit dem Kunden konzipiert werden (vgl. Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.288ff.) Wissen | Die Copy Strategy ist eine schriftlich fixierte und verbindli‐ che Argumentationssowie Gestaltungsstrategie. Sie soll die Differen‐ zierung gegenüber den Wettbewerbern und die Kontinuität, die für den Aufbau einer Marke unerlässlich ist, sichern. Eine Copy Strategy, die die Arbeitsgrundlage der so genannten „Kreativen“ (Texter und Graphiker) darstellt, beinhaltet die Elemente • Werbeziel, • Werbesubjekt bzw. Zielgruppe (inklusive deren „Beschreibung“, vgl. dazu die →-Kapitel 2 und →-Kapitel 4), • angestrebte Positionierung (vgl. → Kapitel 5, d. h. nachfragerseitige Zuordnung bestimmter Leistungseigenschaften, z. B. umweltverträgli‐ ches Weichspülkonzentrat zum Nachfüllen), • Consumer Benefit (Nutzenversprechen: „Was hat der Kunde davon? “: z.-B. absolut weiche Wäsche), • Reason Why (Begründung des Consumer Benefit: „Warum soll das so sein? “: z. B. neue Kombination umweltverträglicher Wirkstoffe) und die • Tonalität (grundsätzliche Atmosphäre). 414 8 Kommunikationspolitik <?page no="415"?> 8.2 Formen der Marktkommunikation Die vielfältigen Alternativen zur Ausgestaltung der Kommunikationspolitik werden zunächst systematisch erfasst, um so einen Überblick über die Ge‐ staltungsmöglichkeiten zu erlangen. Die folgenden Ausführungen werden sich dann auf einige wenige Formen der Marktkommunikation - vor allem auf die Mediawerbung - konzentrieren. 8.2.1 Das System der kommunikationspolitischen Maßnahmen Kommunikationspolitik kann aus höchst unterschiedlichen Gründen betrie‐ ben werden; stark vereinfachend kann diesbezüglich zwischen den beiden Formen Imagewerbung und Aktionswerbung (Werbung ist in diesem Zusammenhang nicht als Mediawerbung, sondern als Marktkommunikation zu verstehen) differenziert werden. Im Falle der Imagewerbung ist der Werbetreibende meist nicht an einer unmittelbaren Wirkung, sondern eher am langfristigen Aufbau einer bestimmten Marktposition (vgl. → Kapitel 5) interessiert. Demgegenüber werden Aktionswerbemaßnahmen vor allem um des kurzfristigen Erfolges willen durchgeführt, wobei die Aktionswer‐ bemaßnahmen meist noch mit anderen - vor allem preispolitischen - Maßnahmen kombiniert werden. Eine Gegenüberstellung der beiden Typen kommunikationspolitischer Maßnahmen enthält → Darstellung 8.4. - Imagewerbung Aktionswerbung Zielsetzung Schaffung oder Verstärkung einer bestimmten Produkt‐ wahrnehmung Aktivierung der potenziellen Käufer zur Kaufhandlung Wirkungsweise Langfristig im Aufbau und im Abbau (Depotwirkung) Kurzfristig entstehend, meist keine Nachwirkungen Zurechenbarkeit des Absatzes Wegen zeitlicher und sach‐ licher Ausstrahlungseffekte meist nicht möglich Wegen punktueller Wirkung oft sehr gut möglich dominierende Form Mediawerbung, Öffentlich‐ keitsarbeit Promotions, Direktwerbung Darstellung 8.4: Image- und Aktionswerbung als unterschiedliche Klassen kommunikati‐ onspolitischer Maßnahmen. 8.2 Formen der Marktkommunikation 415 <?page no="416"?> Das Produkt selbst bzw. die übrigen produktpolitischen Elemente wie Name und Verpackung besitzen als kommunikationspolitisches Mittel erhebliche Bedeutung; dies gilt besonders dann, wenn Produkte per Selbstbedienung verkauft werden. Die nachfolgend zu behandelnden typischen kommunikationspolitischen Instrumente müssen einer unternehmenstypischen einheitlichen Richtung (ähnlich einer Werbekonstante) folgen, um beim Rezipienten - dem Emp‐ fänger der kommunikativen Maßnahme - in diesem Sinne Wiedererken‐ nungseffekte (vgl. dazu die lerntheoretischen Ausführungen in → Kapitel 2) hervorzurufen. Üblicherweise wird dies durch Maßnahmen der Corporate Identity bewerkstelligt (→ Darstellung 8.5). Wissen | Corporate Identity bedeutet, die Gesamtheit der kommuni‐ kationspolitischen Maßnahmen im weitesten Sinne - das Verhalten des Unternehmens in bestimmten (Krisen-)Situationen, das Erscheinungs‐ bild nach außen (z. B. von Gebäuden) sowie die Marktkommunikation per se - wird in ein Gesamtkonzept eingebettet. Ausgangspunkt der Corporate Identity ist dabei die Unternehmenspersön‐ lichkeit, die in der Unternehmensvision definiert wurde (vgl. → Kapi‐ tel-3). Unternehmenspersönlichkeit Corporate Identity Unternehmenskommunikation Verkaufsförderung Mediawerbung Direktwerbung Öffentlichkeitsarbeit Darstellung 8.5: Einordnung typischer kommunikationspolitischer Instrumente | Quelle: in Anlehnung an Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-140. 416 8 Kommunikationspolitik <?page no="417"?> Das Wirkungssystem einer positiven und klaren Corporate Identity gibt →-Darstellung 8.6 wieder. Die Corporate Identity soll somit der gesamten Unternehmenspolitik, dem Führungsstil und dem Öffentlichkeitsbild als Leitfigur vorausschweben; sie soll Unternehmensangehörigen und Externen eine eindeutige positive Identifikation mit dem Unternehmen als Arbeitsstätte, als Produzent etc. erlauben und ein gewisses Wir-Gefühl entstehen lassen. Wirkungen einer positiven einheitlichen Corporate Identity sonstige Zielgruppen Arbeitsleistung der Mitarbeiter Öffentliche Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen Absatz der Produkte und Dienstleistungen Durchsetzung von Unternehmensinteressen im sozialen Umfeld Repräsentation des Unternehmens in der allgemeinen Öffentlichkeit Profilierung von Produkt- und Markenimages, Image- und Goodwill-Transfer Bewertung des Unternehmens im sozialen Umfeld gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, als Arbeitgeber, Sozialpartner, Steuerzahler etc. Profilierung des Unternehmensimages, Bewertung des Unternehmens in der Öffentlichkeit gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch Messung von Images Akzeptanz von Produkten und Dienstleistungen, Beobachtung von Verbraucherverhalten (z. B. Reklamationen) Messung von Images und Attitüden Beobachtung von sozialen Interaktionen (z. B. Bewerbungen, Bürgerinitiativen etc.) Messung von Images und Attitüden Beobachtung von sozialen Interaktionen (z. B. Werksbesichtigung etc.) Mitarbeiter als Zielgruppe Darstellung 8.6: Wirkungen einer eindeutigen Corporate Identity. 8.2 Formen der Marktkommunikation 417 <?page no="418"?> 8.2.1.1 Mediawerbung Mediawerbung ist der bewusste Versuch, Menschen mit Hilfe spezifischer Kommunikationsmittel (Werbemedia) zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Sie ist gemäß dieser Definition an den Gebrauch spezifischer Kommunikationsmittel geknüpft, wobei diese nicht individuell gestreut werden. Die im Bereich der klassischen Werbung (Image- und Aktionswerbung) hauptsächlich benutzten Werbeträgergruppen (Mediagruppen) sind übli‐ cherweise Zeitungen, Zeitschriften, Plakatanschlagstellen, Hörfunk- und Fernsehprogramme, aber auch verschiedene Formen im Internet. Begrifflich klar von Media zu trennen sind die dazugehörenden Werbemittel, was für obige Aufzählung Anzeigen, Plakate, Hörfunk- und Fernsehspots, E-Mails oder Websites sind. Wichtige Kriterien zur Beurteilung der einzelnen Media sind Reichweitenwerte. Wissen | Reichweiten bringen zum Ausdruck, wie viele Personen mit einer einzigen Anzeige eines Druckwerks oder einer einzigen Durchsage bzw. einem einzigen Spot eines elektronischen Mediums erreicht werden. Für die überregionalen Tageszeitungen sind die entsprechenden Werte aus dem Jahr 2020 in → Darstellung 8.7 abgetragen. Zeitung Reichweite in % der Gesamtbevölkerung Reichweite in Mio. Kontaktpreis einer Person FAZ 0,91 0,76 € 0,032 Süddeutsche Zeitung 1,5 1,25 € 0,025 Die Welt 0,79 0,66 € 0,031 Darstellung 8.7: Reichweiten und Kontaktpreise überregionaler Tageszeitungen. Nach den einzelnen Elementen kommunikationspolitischer Maßnahmen kön‐ nen verschiedene Ausprägungen der Mediawerbung unterschieden werden: • Die Produkt-, Sortiments- und Firmenwerbung unterscheiden sich nach dem Werbeobjekt. 418 8 Kommunikationspolitik <?page no="419"?> • Sprungwerbung ist eine Ausprägung der Mediawerbung, die bezüglich der Werbesubjekte eine Besonderheit aufweist. Sprungwerbung ist immer dann gegeben, wenn ein Unternehmen am Endverbrauchermarkt werblich hervortritt, aber selbst nicht an Endverbraucher, sondern nur an Handelsunternehmen die Produkte verkauft. Das Ziel der Sprung‐ werbung, die vor allem im Konsumgüterbereich auftritt, besteht darin, die Endverbraucher positiv für eine bestimmte Marktleistung zu stim‐ men, um so den Absatz gewissermaßen „vorzuverkaufen“ und in gewis‐ sem Sinne Druck auf die Handelsunternehmen ausüben zu können, das Produkt in ihrem Sortiment zu führen (vgl. dazu die Ausführungen zur Push- und Pull-Strategie in →-Kapitel 7). • Offene und Schleichwerbung unterscheidet man danach, ob der Werbezweck (z. B. Beeinflussung zum Kauf) erkennbar oder nicht bzw. nur beschränkt erkennbar ist. Von Schleichwerbung (in Deutschland gemäß Rundfunkstaatsvertrag und § 4 (3) UWG unzulässig) wird zum Beispiel dann gesprochen, wenn in Presseorganen der Anzeigenteil und der redaktionelle Teil vermischt werden. Product Placement ist gegeben, wenn in Filmen eine bestimmte Automarke deutlich sichtbar verwendet wird, wobei die Platzierung gezielt als Teil der Filmhandlung erfolgt. Beim Product Placement wird gewissermaßen die Nutzung von Unterhaltungsmedia als Werbeträger „erschlichen“. Beispiel | Ein besonders erfolgreiches Beispiel für Product Placement ist das On Set Placement von Manolo-Blahnik-Schuhen in der Serie Sex and the City. Die Darstellerin Sarah Jessica Parker ist in dieser Serie verrückt nach Manolo-Blahnik-Schuhen. Bei der Planung von Maßnahmen der Mediawerbung sind in der Regel folgende Planungstatbestände zu berücksichtigen: • Werbesubjekte. • Werbebotschaft. • Werbemittelgestaltung. • Werbeträgerauswahl. • Werbezeitpunkt und Werbedauer. • Werbebudget. 8.2 Formen der Marktkommunikation 419 <?page no="420"?> Die Bestimmung des Werbeobjektes bedarf demgegenüber kaum besonderer Planungsanstrengungen. In der Marketingpraxis wird besonders häufig eine explizite Planung der Werbebotschaft sträflich vernachlässigt, deren Planung allerdings unersetzbar ist, um eine Werbekontrolle durchführen zu können. 8.2.1.2 Direktwerbung Mediawerbung, Verkaufsförderung und die meisten Formen der Öffentlich‐ keitsarbeit richten sich an einen anonymen Markt. Gegebenenfalls sind zwar die einzelnen Segmente des Marktes nach Art, Volumen und Präfe‐ renzstruktur hinreichend genau umschrieben, die Personen der einzelnen Segmente sind aber nicht individuell bekannt. Wissen | Beim Direktmarketing werden die betreffenden Personen namentlich und einzeln umworben (Einzelumwerbung). Beim Direktmarketing bedient man sich entweder der Post bzw. dem Internet als Informationsmedium (mediales Direktmarketing) oder des persönlichen Verkaufs. Die jeweiligen Adressen werden dabei unterneh‐ mensinternen CRM-System (vgl. → Abschnitt 3.4.3.2 und → Abschnitt 3.4.3.3) entnommen und/ oder von speziellen Adressanbietern (z. B. Schober) bezogen. Werbebriefe, Werbeprospekte und in jüngster Zeit auch audiovisuelle Media wie DVDs machen den Kern der Kontaktmittel bei der medialen Di‐ rektwerbung (Direct Mail) aus. Insbesondere die audiovisuellen Media bieten dabei noch weit mehr Möglichkeiten als „einfache“ Direktwerbeaktionen. So können Gebrauchsdemonstrationen, Gebrauchsanweisungen und ähnliche Informationen mit gezielten Werbemaßnahmen verbunden werden. Die zunehmende Verbesserung der Informationsgrundlage in den Unter‐ nehmen (Database-Marketing) und die zunehmende Qualität des von Ad‐ ressenunternehmen erwerbbaren Adressenmaterials, die steigenden Kosten der Mediawerbung und Verkaufsförderung und das Bestreben vieler Un‐ ternehmen, ein möglichst gezieltes Marketing (One-to-One-Marketing, Microtargeting) zu betreiben, haben die Bedeutung des Direktmarketing und damit auch der Direktwerbung stetig wachsen lassen. Aber auch hier ist darauf zu achten, dass aufgrund dieser Zunahme keine Reaktanzen bei den Umworbenen auftreten. 420 8 Kommunikationspolitik <?page no="421"?> 8.2.1.3 Verkaufsförderung - Promotions Die bezüglich der aufgewendeten finanziellen Mittel nach der Mediawer‐ bung bedeutsamste Form der Marktkommunikation ist die Verkaufsförde‐ rung (Sales Promotions). Dieses Instrument bietet eine gute Unterstützung der (unpersönlichen) Mediawerbung und ermöglicht eine zusätzliche Dif‐ ferenzierung im Wettbewerb. Wissen | Verkaufsförderung ist ein Sammelbegriff, für eine Vielzahl von kommunikativen Maßnahmen, die kurzfristig den Absatz eines Produktes bzw. eines Unternehmens beeinflussen sollen, sie sollen einen Anreiz geben, die Kaufhandlung zu vollziehen. Über die Abgrenzung dessen, was als Verkaufsförderung zu bezeichnen ist, bestehen keine exakten Vorstellungen. Es hat sich eingebürgert, die der Verkaufsförderung zuzurechnenden Maßnahmen weitgehend kasuistisch festzulegen (vgl. Gedenk, 2002). So fasst man unter Verkaufsförderung vor allem folgende Maßnahmengruppen zusammen: • Schulung von Distributionsorganen, die mit dem Ziel verfolgt werden, die Verkaufschancen der Absatzobjekte zu verbessern. • Übermittlung von Informationen über Produkte und Märkte, die den Verkaufsprozess direkt unterstützen sollen. • Erstellung bzw. zur Verfügungstellung von Ausstattungsteilen, die Ver‐ kaufshilfen darstellen. • (Finanzielle) Anreize, die die Verkaufsanstrengungen der in der Distri‐ butionskette nachgeordneten Glieder erhöhen sollen. • Unterstützung der Verkaufsmaßnahmen der in der Distributionskette nachgeordneten Glieder zum Beispiel durch Übernahme von Arbeiten der „Regalpflege“. All diese Maßnahmen sollen dazu dienen, die konkreten Verkaufsvorgänge effizienter zu machen und durch Mediawerbung oder Öffentlichkeitsarbeit geschaffene günstige Einstellungen in konkrete Kaufakte umzuwan‐ deln, was im Übrigen auch mit Mitteln der Aktions-Mediawerbung möglich ist. Hinsichtlich der Zielgruppen der Verkaufsförderung sind folgende Fälle zu unterscheiden: 8.2 Formen der Marktkommunikation 421 <?page no="422"?> • Handelspromotions: Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich an die Handelsunternehmen insgesamt bzw. an einzelne Mitglieder dieser Unternehmen richten. • Außendienstpromotions: Verkaufsförderungsmaßnahmen, die Mit‐ glieder der Außendienstorganisation als Zielgruppe haben. • Verbraucherpromotions: Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich an Endverbraucher wenden. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: PoP-Werbung (Point-of-Purchase-Werbung) als Verbraucherpromoti‐ ons, die nur in Zusammenarbeit mit Handelsunternehmen realisiert werden, und sonstige Verbraucherpromotions, die direkt an die Endver‐ braucher herangebracht werden. Die spezifischen Zielsetzungen, die üblicherweise mit Maßnahmen der Han‐ dels- und Außendienstpromotions verfolgt werden, ähneln sich stark, weshalb diese beiden Maßnahmengruppen zusammen behandelt werden sollen. Die Grundidee dieser Maßnahmen ist es, die Handelsunternehmen (v. a. Einzel‐ handelsunternehmen) besser zu befähigen, ihre Verkaufsaufgaben zu erfüllen. Handelspromotions sind insbesondere vor Einführung neuer Pro‐ dukte besonders wichtig: Es ist in diesem Fall unter anderem dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten der Handelsunternehmen mit den Gegebenheiten des neuen Produktes vertraut sind (Schulung im Hinblick auf das Produkt). Ganz ähnliche Überlegungen gelten für den Vertrieb im Bereich des Industriegü‐ termarketing bzw. der Vermarktung industrieller Produkte (vgl. Endres et al., 2023). Speziell im Konsumgütermarketing sollen die neuen Produkte verkaufsgünstig platziert werden (ausreichend großer und gut gelegener Regalplatz) bzw. auch eine geeignete Zweitplatzierung erfahren (Bereitstellung von Ausstattungsteilen und Displaymaterial, finanzielle Anreize, Übernahme der Regalpflege). Dem „Kampf um den Regalplatz“, dessen Ausgang häufig mitentscheidend ist für den Erfolg eines Produktes, widmen sich insbesondere die so genannten Merchandiser. Sie sind in der Regel Angestellte eines Produktionsunternehmens und haben die Aufgabe, durch gezielte eigene Maßnahmen (Regalauffüllung etc.) oder durch Anregung von Maßnahmen des betreffenden Handelsunternehmens sicherzustellen, dass das eigene Produkt vergleichsweise günstig (Regalfläche, Regalstandort) platziert ist. Einige Maßnahmen der Verbraucherpromotions haben eine gewisse Ähnlichkeit mit der Mediawerbung, so zum Beispiel die PoP-Werbung. PoP-Werbung ist Werbung am Verkaufsort (auch Point of Sale), die ent‐ weder vom Produktions- oder vom Handelsunternehmen getragen wird. 422 8 Kommunikationspolitik <?page no="423"?> PoP-Werbemaßnahmen bestehen zumeist aus Prospekten, Flyern, Aufklebern, Aufstellern oder Regalstoppern, besitzen insofern also medialen Charakter; ihre Funktionen (Steigerung der Verkaufschancen) ähneln aber denen der Handelspromotions. PoP-Werbemaßnahmen wird häufig die Aufgabe zuge‐ schrieben, den potenziellen Käufer am Verkaufsort an die Mediawerbung zu erinnern, um die mittels der Mediawerbung angestrebten Einstellungen zu aktualisieren. Die verbreitetsten Formen sonstiger Verbraucherpromotions sind Preisausschreiben, Probenverteilungen und Zugaben. Einen Überblick über einige Maßnahmen von Verbraucherpromotions gibt → Darstellung 8.8. Promotions Beschreibung Wirksamkeit Rechtslage Produkt‐ proben oder Probenut‐ zung kurzzeitige Probenver‐ teilung des geförderten Produkts an der Haus‐ türe, in Geschäften oder auf Anforderung des Verbrauchers wirkungsvoll bei bisherigen Nichtkäu‐ fern und bei der Ein‐ führung neuer - risi‐ koreicher - Produkte Größe der Probepa‐ ckung muss zur Er‐ probung tatsächlich notwendig sein, an‐ dernfalls unlauterer Wettbewerb Zugaben Vergabe von Waren, Gutscheinen usw. beim Kauf des geförderten Produktes durchschnittliche Umsatzerfolge ohne langfristige Wirkung Rahmenbedingung für die Gestaltung liefert das UWG Gewinn‐ spiele der Produktkauf schließt die Teilnahme an einem Wettbewerb und die Chance eines Gewinns ein schnelle Umsatzans‐ tiege, aber kurzfristig (Erfahrungswert: bis zu 30 % Umsatzanstieg in der ersten Woche) Produktkauf als Voraussetzung zur Teilnahme am Wettbewerb ist ge‐ setzeswidrig Demonst‐ rations‐ verkauf Demonstration und Ver‐ kauf des Produktes durch Propagandisten, Passantenwerber sowie auf privaten oder öffent‐ lichen Verkaufspartys gute Umsatzerfolge, aber nur kurzfristig Passantenwerbung verstößt gegen die guten Sitten und ist daher unzulässig Merchan‐ dising besondere Platzierung und Hervorhebung des geförderten Pro‐ duktes am Verkaufsort (PoP) durch Displays, Dia-Einsatz u.a.m. Umsatzsteigerungen von durchschnittlich 40 bis 50% keine Probleme Darstellung 8.8: Maßnahmen von Verbraucherpromotions und ihre rechtliche Beurteilung. 8.2 Formen der Marktkommunikation 423 <?page no="424"?> Das Instrument der Verkaufsförderung stellt jedoch kein Allheilmittel gegen sinkende Absätze dar. Jede der aufgezeigten Ausgestaltungsmöglich‐ keiten zeigt bei zu starker Beanspruchung in Bezug auf ihre Wertigkeit Abnutzungserscheinungen, und es treten ähnliche Effekte wie bei der Überstrapazierung der Sonderangebotspolitik auf - Zugaben etc. werden mit der Zeit vom Kunden als „normal“ betrachtet, es erfolgt eine Abwertung des eigentlichen Produkts. 8.2.1.4 Öffentlichkeitsarbeit - Public Relations (PR) Mit Maßnahmen der Mediawerbung und der Verkaufsförderung wird eine direkte Beeinflussung der Absatzchancen der Werbeobjekte dadurch angestrebt, dass das Image positiv beeinflusst wird und/ oder konkrete Kaufanreize geboten werden. Wissen | Bei Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relati‐ ons) zielt man demgegenüber nicht unmittelbar auf einen Absatzerfolg, sondern versucht, durch die Schaffung einer günstigen Ausgangslage die Grundlage für erfolgreiche Einzelmaßnahmen zu legen. Die gezielte Öffentlichkeitsarbeit auch Public Relations (PR) genannt , ist demnach eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Kom‐ munikationspolitik bzw. im weiteren Sinne für ein erfolgreiches Marketing (vgl. Center et al., 2008). Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit haben als Werbesubjekte also nicht die Zielgruppe des Marketings, sondern im Grundsatz die Gesamtheit aller Personen, die in irgendeiner Weise für den Erfolg des Unternehmens Bedeutung haben (Stakeholder, vgl. → Kapitel 1). Die Relevanz kann dabei daher rühren, dass die Personen aktuelle bzw. potenzielle Abnehmer, Arbeitnehmer, Geldgeber oder Lieferanten sind oder aber einen Einfluss auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit (z. B. Gesetzgebung) oder auf die Beurteilung des Unternehmens in der Allgemeinheit besitzen. Ziel der Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit ist es regelmäßig, bei der Öffentlichkeit bzw. relevanten Personengruppen die Einstellung zu erzeugen, dass der Werbungtreibende bzw. dessen Produkte allgemein anerkannte gesellschaftliche Ziele fördern. Es wird also etwa nachzuwei‐ sen versucht, dass die Produkte besonders umweltfreundlich sind, dass 424 8 Kommunikationspolitik <?page no="425"?> das Unternehmen den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt fördert, einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherung leistet oder einfach sympathisch ist. Erweisen sich entsprechende Maßnahmen der Öffent‐ lichkeitsarbeit als zielführend, d. h. wird eine entsprechende positive (Grund-)Einstellung begründet oder verstärkt, so wird der betreffende Werbungtreibende seine spezifischen unternehmenspolitischen Maßnah‐ men im Zweifel besser realisieren können. Insbesondere dann, wenn das Bild eines Unternehmens in der Öffentlichkeit aufgrund irgendwelcher Vorkommnisse negativ belastet ist, sind alle anderen unternehmenspoli‐ tischen Maßnahmen deutlich erschwert. Geht es bei der Öffentlichkeitsarbeit primär um die Förderung gesell‐ schaftlicher Ziele gilt es sich mit den Erkenntnissen des Social-Marketings auseinander zu setzen. Das Social-Marketing oder auch Sozialmarketing genannt zielt darauf ab, Marketingkonzepte zu entwickeln und mit anderen Ansätzen zu verbinden, um Verhaltensweisen zu beeinflussen, die dem Ein‐ zelnen und der Gemeinschaft zum Wohle der Gesellschaft zugutekommen. Auch bei der Covid-19-Impfkampagne oder bei Crowdfunding-Kampagnen für soziale Projekte spielt dieses Thema eine tragende Rolle. Eine Form der Öffentlichkeitsarbeit ist das Sponsoring. Dabei bedient sich der Werbetreibende der positiven Einstellung der Öffentlichkeit zu einer Sportart, einem Kulturereignis, einer sozialen Einrichtung oder deren Repräsentanten, um Bekanntheit und Sympathie für sich zu gewinnen. Öffentlichkeitsarbeit soll ein einheitliches, positives Bild eines Un‐ ternehmens in der Öffentlichkeit mitgestalten; eine solche Zielsetzung kann nur dann systematisch erreicht werden, wenn auch im Unternehmen ein solches einheitliches, positiv geladenes Bild vom Unternehmen im Sinne einer Corporate Identity besteht. 8.2.2 Die Integration der kommunikationspolitischen Maßnahmen Kommunikationspolitische Maßnahmen sollen • einerseits gewisse Vorstellungen über die Leistungen eines Unter‐ nehmens bzw. über das Unternehmen selbst bei den aktuellen sowie potenziellen Kunden erzeugen und • andererseits den Abverkauf der Produkte fördern. 8.2 Formen der Marktkommunikation 425 <?page no="426"?> Zum Aufbau bzw. zur Verstärkung einer bestimmten Vorstellungswelt eignen sich insbesondere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, der Medi‐ afirmen- und der Mediaproduktwerbung (ausgenommen: Mediawerbung in der Tageszeitung). Als Träger von Maßnahmen der Aktionswerbung sind vor allem Tageszeitungen und das Internet sehr gut geeignet, daneben aber auch alle Maßnahmen der PoP- und Direktwerbung sowie einige Formen von Verbraucherpromotions. → Darstellung 8.9 macht diese regelmäßigen Zusammenhänge sowie die inhaltliche Verknüpfung der verschiedenen Maßnahmenbündel deutlich. Wissen | Effiziente Kommunikationspolitik ist dadurch gekenn‐ zeichnet, dass sämtliche Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind. Dies mündet in eine so genannte Holistische Kommunikation, d.h. über sämtliche Werbemittel und Media wird ein einheitliches und konsistentes Unternehmensbzw. Produktimage aufgebaut. Kommunikationspolitische Maßnahmen setzen in der Regel vielschich‐ tige Planungsüberlegungen voraus: Während die Festlegung der Werbeob‐ jekte meistens keine zu großen Probleme aufwirft, fordern die Planungen der Werbesubjekte, der Werbebotschaft, der Werbemittel, der Werbebudgets und der Werbezeitpunkte die Berücksichtigung eine Vielzahl von Überle‐ gungen. Bei der Werbeplanung für ein einzelnes Produkt sind neben unterneh‐ mensinternen Gegebenheiten (z. B. langfristige Marketingstrategie, Pro‐ duktionskapazität, Produktbesonderheiten, Finanzkraft des Unternehmens) und Gesetzmäßigkeiten des Marktes (z. B. Reaktionsweisen der aktuellen und potenziellen Abnehmer sowie der Konkurrenten) auch solche infolge gesetzlicher Regelungen (z. B. bestimmte Formen der „Vergleichenden Wer‐ bung“) von erheblicher Bedeutung. Bereits das Bestreben, die verschiedenen kommunikationspolitischen Maßnahmen für ein einzelnes Produkt zu integrieren, wie es stark ver‐ einfacht in → Darstellung 8.9 gezeigt wurde, stellt ein vielschichtiges Planungsproblem dar. In noch weit größerem Maße gilt dies für die Planung der kommunikationspolitischen Maßnahmen für eine ganze Pro‐ duktpalette. 426 8 Kommunikationspolitik <?page no="427"?> Öffentlichkeitsarbeit Zweck: Schaffung einer günstigen Einstellung der Öffentlichkeit zum Unternehmen bzw. zu dessen Produkten („Schaffung eines günstigen Klimas“) Marketingmaßnahmen fördert Wirksamkeit der personalpolitischen Maßnahmen beschaffungspolitischen Maßnahmen finanzpolitischen Maßnahmen Mediafirmenwerbung Zweck: Werbeobjekt (=Sortiment) bekannt Machen und Präferenzen für Werbeobjekt erzeugen stellt Hintergrund darf für Maßnahmen der Imagewerbung Mediaproduktwerbung, soweit Imagewerbung Zweck: Produkte bekannt machen und Präferenzen für Werbeobjekt erzeugen stellt Hintergrund dar für Mediaproduktwerbung, soweit Aktionswerbung Zweck: Hinweis auf konkrete Angebote stellt Hintergrund dar für Handels- und Außendienstpromotions (außer PoP-Werbung) Zweck: Verbesserung der Fähigkeit der Absatzmittler und -helfer zum Verkauf der Werbeobjekte baut Barrieren bei Distributionsorganen ab Verbraucherpromotions Zweck: Erreichen einer aktiven Bekanntheit des Werbeobjekts PoP-Werbung, Direktwerbung Zweck: Realisierung der Präferenzen durch Vollzug der Kaufakte Maßnahmen der Aktionswerbung Darstellung 8.9: Zusammenwirken einzelner kommunikationspolitischer Maßnahmen bei der Bearbeitung eines anonymen Marktes. Wissen | Eine integrierte Marketingstrategie kommt im Mehrpro‐ duktfall unter anderem darin zum Ausdruck, dass ein einheitliches kommunikationspolitisches Konzept für alle Werbeobjekte entwickelt wird. 8.2 Formen der Marktkommunikation 427 <?page no="428"?> Dementsprechend sollen nicht nur die Aussagen aller Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, der Mediawerbung, der Verkaufsförderung und der Direktwerbung für alle Werbeobjekte eines Werbungtreibenden sich nicht widersprechen, sondern gemeinsame Charakteristika (Corporate Iden‐ tity) aufweisen. Diese können zum Beispiel darin bestehen, dass bestimmte Werbekonstanten (auch Brand Signal) verwendet werden oder dass alle kommunikationspolitischen Maßnahmen einheitliche Aussagen enthal‐ ten. Die Einheitlichkeit der Aussage kann beispielsweise darin bestehen, dass bei allen kommunikationspolitischen Aktivitäten ein bestimmtes Merkmal des Produkts oder des Unternehmens hervorgehoben wird (z. B. aktive und passive Sicherheit bei PKWs von Mercedes-Benz; Ubiquität des Service bei Mercedes-Benz-LKWs). Die Funktion von Werbekonstanten können sowohl deutlich herausgestellte Markenzeichen, sonstige Symbole oder Signets als auch einheitliche Gestaltungsprinzipien aller Maßnahmen (konstante Farben, konstante Personen, …) erfüllen. Die Vorzüge einer einheitlich konzipierten Kommunikationsstrategie werden allerdings mit dem Nachteil eines höheren Risikos erkauft, da gewissermaßen „alles auf eine Karte“ gesetzt wird. Wissen | Im Mittelpunkt der Werbebotschaft sollte stets die Präsen‐ tation der Besonderheit des Werbeobjektes stehen (bei Produkten der einzigartige Produktnutzen = Unique Selling Proposition (USP)). Diese Besonderheit (USP, vgl. → Kapitel 5) kann in der Regel allerdings nicht unmittelbar den Werbesubjekten übermittelt werden, sie muss vielmehr zu‐ nächst in verständlicher und attraktiver Form in ein Werbemittel über‐ tragen werden. Wird das Werbemittel wahrgenommen, so ist die subjektiv gefärbte, tatsächlich vermittelte Werbebotschaft keineswegs immer mit der intendierten Werbebotschaft identisch, die am Anfang des Werbeplanungs‐ prozesses steht. Diese subjektiv gefärbte, realisierte Werbebotschaft bildet die Grundlage für die (psychische) Informationsverarbeitungsprozesse bei den Werbe-Erreichten (vgl. →-Abschnitt 8.4.1). 428 8 Kommunikationspolitik <?page no="429"?> 8.3 Onlinekommunikation Die oben erwähnten Kommunikationsaspekte stehen häufig in Verbindung mit der sogenannten Onlinekommunikation in verschiedenen Ausprä‐ gungen, welche sich wiederum den eingangs vorgestellten, klassischen Kommunikationsmix (→ Abschnitt 8.2) zuordnen lassen. Diese Instrumente sind sowohl für B2C als auch für B2B-Unternehmen von Interesse. 8.3.1 E-Mail-Newsletter-Marketing Ein E-Mail-Newsletter ist ein kosteneffizientes Mittel zum Aufbau von Beziehungen und zur Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Kontakts mit Auftraggebern, Kunden und Geschäftspartnern. Sie enthalten u. a. wichtige Neuigkeiten und Aktualisierungen. Ein erfolgreicher E-Mail-Newsletter sollte folgende Elemente enthalten (vgl. dazu auch Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-163): 1. Klare Ziele: Bevor ein Newsletter erstellt wird, sollte man sich über die Ziele im Klaren sein, wie zum Beispiel mehr Traffic auf der Website ge‐ nerieren, ausschließlich Produkte verkaufen oder die Marke aufbauen. 2. Relevante Inhalte: Der Inhalt des Newsletters sollte für die Zielgruppe relevant sein. Das können interessante Artikel, Tipps oder Angebote sein, die für die Leser von Wert sind. 3. Personalisierung: Eine Personalisierung, indem man den Namen der Abonnenten oder andere persönliche Informationen verwendet, kann die Öffnungs- und Klickraten erhöhen (→-Abschnitt 3.4.3.3). 4. Optimiertes Design: Ein gut gestalteter Newsletter sieht professionell aus und ist einfach zu lesen. 5. Call to Action: Man sollte einen klaren Call to Action in den Newsletter einbauen, um die Leser aufzufordern, eine bestimmte Aktion auszufüh‐ ren, wie zum Beispiel auf einen Link für weitere Informationen zu klicken, ein Produkt zu kaufen oder sich für ein Event anzumelden. 6. Optimierung für mobile Geräte: Der Newsletter sollte für die Ansicht auf mobilen Geräten optimiert sein, da immer mehr Menschen ihre E-Mails auf ihren Smartphones lesen. 7. Messbarkeit: Die Leistung des Newsletters sollte gemessen werden, indem vor allem die Öffnungsraten, die Conversion Rate und die Churn‐ Rate verfolgt werden. Die Conversion Rate (auch Konversionsrate oder Umwandlungsrate genannt) wird in Prozent angegeben und zeigt 8.3 Onlinekommunikation 429 <?page no="430"?> das Verhältnis einer Maßnahme zu einer Zielsetzung an. Im Falle des Newsletters kann das zum Beispiel der Prozentsatz der Newsletterleser sein, die auf den Link zur Website im Newsletter geklickt haben. Die Churn Rate, auch Abwanderungsrate genannt, misst den Anteil der Abwanderungen im Verhältnis zum Gesamtnewsletterverteiler. Die Auswertung dieser Daten kann man wiederum verwenden, um zukünf‐ tige Newsletter zu verbessern. 8. Regelmäßigkeit: Ein erfolgreicher Newsletter sollte nicht nur gut aussehen und interessante Inhalte enthalten, sondern auch regelmäßig versendet werden. Hier stellt Punkt 2 wiederum eine zentrale Heraus‐ forderung dar. Beispiel | Der Multivitaminhersteller Ritual ist ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das bei seinen E-Mail-Marketingbemühungen der Marke treu bleibt. Der E-Mail-Newsletter von Ritual hat ein ansprechendes Pro‐ duktbild, das die Neugierde der Besucher weckt. Außerdem informiert er die Leser über die Mission, das Versprechen und die Produkte des Unternehmens. Ritual hat jeden Abschnitt des Newsletters auf ein paar Sätze beschränkt, die den Leser informieren, ohne ihn zu überfordern. Und schließlich nutzt Ritual den unteren Teil des Newsletters, um die Leser aufzufordern, dem Unternehmen in den sozialen Medien zu folgen. Die Weiterleitung der Leser vom Newsletter zu den sozialen Medien hat unter anderem dazu beigetragen, dass Ritual auf Instagram 359.000 Follower hat, Tendenz steigend. 8.3.2 Website-Marketing Eine Unternehmenswebsite ist von großer Bedeutung für Unternehmen. Die Website dient als digitale Visitenkarte und ist das Erste, was potenzielle Kunden über das Unternehmen erfahren. Daher ist es wichtig, dass die Website gut gestaltet ist und einen positiven ersten Eindruck vermittelt. In diesem Zusammenhang wird oft von Website-Marketing für Firmen-Web‐ sites oder Marken-Websites gesprochen (vgl. dazu auch Schweiger u. Schrat‐ tenecker, 2021, S.-163). Eine gut gestaltete Unternehmenswebsite sollte benutzerfreundlich sein, mit einer einfachen Navigation und klaren Struktur. Dies ermöglicht es den Besuchern, schnell die gewünschten Informationen zu finden und positive 430 8 Kommunikationspolitik <?page no="431"?> Erfahrungen auf der Website zu machen. Außerdem sollte die Website responsiv sein, d.-h. auf verschiedenen Geräten gut dargestellt werden. Eine weitere wichtige Komponente ist der Inhalt der Website. Dieser sollte informativ, aktuell und relevant für die Zielgruppe sein. Außerdem sollte die Website einen Wiedererkennungseffekt (→ Abschnitt 8.2.1) haben und die USPs des Unternehmens hervorheben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Suchmaschinenoptimierung (SEO). Dies wird im nachfolgenden Abschnitt ausführlicher erläutert. Beispiel | Gut gestalte Unternehmenswebsites sind beispielsweise die Websites von Zalando und Siemens. Während bei der Zalando-Website vor allem die einfache Navigation, die benutzerfreundliche Oberfläche und das visuell ansprechende Design überzeugt, sind es bei der Siemens Website neben der einfachen Navigation auch die ansprechende visuelle Darstellung der Produkte. 8.3.3 Suchmaschinenoptimierung (SEO), Content Marketing, Inbound Marketing Suchmaschinenoptimierung (SEO) ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Website. Durch eine gute SEO kann man seine Website besser in den Suchmaschinenergebnissen platzieren und so mehr Besucher auf die Website lenken (vgl. dazu auch Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-164). SEO ist besonders relevant, da die meisten Internetnutzer bei der Suche nach Informationen oder Produkten auf die ersten Ergebnisse der ersten Seite der Suchmaschinenergebnisse vertrauen. Eine gute Platzierung kann daher den Traffic und die Sichtbarkeit einer Website erhöhen und letztend‐ lich auch dazu beitragen, mehr Kunden zu gewinnen. Um SEO durchzuführen, sind insbesondere folgende Aspekte zu berück‐ sichtigen: • Keyword-Recherche: Es sind die richtigen Keywords zu finden, mit denen man seine Website optimieren kann. Diese Keywords sollten relevant und beliebt sein, aber auch nicht zu stark umkämpft. • On-Page-Optimierung: Dies betrifft die einzelnen Seiten der Website. Die Keywords sollen in Überschriften, im Text und in den Bildbeschrei‐ bungen vorkommen. 8.3 Onlinekommunikation 431 <?page no="432"?> • Off-Page-Optimierung: Externe Faktoren, die den Rang einer Website beeinflussen können, sind zu optimieren. Dazu gehören beispielsweise Backlinks von anderen Websites. • Mobile-Optimierung: Immer mehr Nutzer verwenden ihre Mobilge‐ räte, um im Internet zu surfen. Daher ist es wichtig, dass die Website auch für Mobilgeräte optimiert ist. • Content-Marketing/ Inbound-Marketing: Ein wichtiger Faktor für eine gute SEO ist auch, dass die Website regelmäßig neue und relevante Inhalte bietet. Hier kann man beispielsweise Blog-Beiträge oder Info‐ grafiken nutzen. Beispiel | Das Baumarktunternehmen Hornbach nutzt diese Möglich‐ keit sehr umfangreich, in dem es Ratgeber und Inspirationen auf der Homepage für DIY-Handwerker inkl. Videoanleitungen und Podcasts anbietet. Diese Informationen können dann mit der Sharing-Funktion auch über Social Media wie Facebook, Instagram oder YouTube geteilt werden. Beispiel | Amazon ist ein Beispiel für eine sehr erfolgreiche Suchma‐ schinenoptimierung, da das Unternehmen in den Suchmaschinenergeb‐ nissen für eine Vielzahl von Suchbegriffen ganz oben platziert ist. Dies ist auf eine Kombination aus umfangreichen Keyword-Recherchen, On-Page-Optimierung und Content-Marketing zurückzuführen. Ama‐ zon nutzt auch viele interne Links, um seine Produkte und Kategorien zu verknüpfen und so eine bessere Navigation und Verknüpfung für seine Benutzer zu bieten. 8.3.4 Onlinewerbung, Suchmaschinenwerbung (SEA) Onlinewerbung ist von großer Bedeutung für die Werbeaktivitäten von Unternehmen. Dies ist auf die zunehmende Nutzung des Internets für die Suche nach Produkten und Dienstleistungen zurückzuführen (vgl. dazu auch Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-164). Eine gute Onlinewerbekampagne sollte zielgruppenorientiert ggf. auch auf mehreren Plattformen und Kanälen laufen, um eine angemessene Reich‐ weite zu erzielen. Eine solche Kampagne umfasst dabei häufig Suchmaschi‐ 432 8 Kommunikationspolitik <?page no="433"?> nenwerbung (Search Engine Advertising - SEA) (z. B. Google AdWords), Social-Media-Werbung (z. B. Facebook-Anzeigen) und Display-Werbung (z.-B. auf Websites). Es ist wichtig, dass Unternehmen regelmäßig die Leistung ihrer Online‐ werbekampagne überwachen und Analysen durchführen, um sicherzustel‐ len, dass sie ihre Ziele erreichen. Dazu können die Anzahl der Klicks auf Anzeigen, die Conversion Rate in Bezug auf die Verkäufe oder Leads (Kontakte mit potenziellen Kunden) und die Kosten pro Conversion über‐ wacht werden. Die oben angesprochenen Probleme der Zurechenbarkeit interessierender Größen zu einzelnen Maßnahmen sind hier und für alle nachfolgenden Ausprägungen des Onlinemarketing evident. Beispiel | Die Just Do It-Werbekampagne von Nike ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Onlinewerbung. Die Kampagne setzte auf Social-Me‐ dia-Werbung und Display-Werbung, um ihre Produkte einem großen Publikum zu präsentieren. Die Werbekampagne war erfolgreich, da sie eine klare und einprägsame Botschaft vermittelte und eine starke emotionale Verbindung zu den Produkten herstellte. 8.3.5 Buzz-Marketing und Affiliate-Marketing Im Kontext der Onlinekommunikation wird auch oft vom Buzz-Marketing und Affiliate-Marketing gesprochen. Buzz-Marketing, das oft auch als virales Marketing bezeichnet wird, bezieht sich auf die Schaffung einer positiven Aufregung (Aktivierung) oder eines Buzz. Dies kann erreicht werden, indem man das Interesse von Influencern, Meinungsbildnern und der Allgemeinheit weckt und damit eine starke emotionale Verbindung zu seinen Produkten schafft. Buzz-Marketing kann auch durch Wettbewerbe, Veranstaltungen oder soziale Medien erfol‐ gen. 8.3 Onlinekommunikation 433 <?page no="434"?> Beispiel | Ein erfolgreiches Beispiel für Buzz-Marketing ist die Will it Blend? -Kampagne von Blendtec. Blendtec nutzte eine Reihe von viralen Videos, in denen es ungewöhnliche Gegenstände in seinen Hochleis‐ tungsmixern zermahlte, um Aufmerksamkeit für seine Produkte zu erlangen. Die Videos wurden millionenfach gesehen und teilweise ge‐ teilt, was zu einem starken Anstieg des Bekanntheitsgrades von Blendtec und seiner Produkte führte. Die Kampagne war erfolgreich, weil sie eine starke emotionale Verbindung zu den Produkten schuf, indem sie zeigte, wie leistungsstark sie waren, und gleichzeitig unterhaltsam und humorvoll war. Beispiel | Ein weiteres erfolgreiches Beispiel ist die Old Spice Man-Kam‐ pagne. Die Kampagne bestand aus einer Reihe von humorvollen Online‐ werbespots, die von einem selbstsicheren und charmanten Sprecher präsentiert wurden. Die Spots waren ein großer Erfolg bei Onlinezu‐ schauern und wurden oft geteilt, was zu einem starken Anstieg des Bekanntheitsgrades von Old Spice und seiner Produkte führte. Die Kampagne war erfolgreich, weil sie eine starke emotionale Verbindung zu den Produkten schuf, indem sie humorvoll und unterhaltsam war, und gleichzeitig eine klare Botschaft über die Vorteile der Produkte vermit‐ telte. Außerdem nutzte sie erfolgreich den Trend des Onlinevideos, um eine breite und engagierte Zielgruppe zu erreichen. Affiliate-Marketing bezieht sich auf eine Partnerschaft zwischen ei‐ nem Unternehmen und einem Affiliate/ Geschäftspartner, bei der der Affiliate das Produkt des Unternehmens bewirbt und eine Provision zum Beispiel für jeden Verkauf erhält. Um erfolgreiches Affiliate-Marketing durchzuführen, sollte das Unternehmen ein starkes Affiliate-Netzwerk aufbauen, seine Affiliates passend zu den Unternehmens- und Produkt‐ zielen auswählen und ihnen die notwendigen Tools und Ressourcen zur Verfügung stellen. Beispiel | Für das Affiliate-Marketing ist das Amazon-Affiliate-Pro‐ gramm ein sehr gutes Beispiel. Amazon hat eines der größten und 434 8 Kommunikationspolitik <?page no="435"?> am weitesten verbreiteten Affiliate-Netzwerke aufgebaut, indem es Partnern eine Provision für jeden Verkauf anbietet, den sie über ihre Empfehlungen generieren. Das Programm hat eine große Anzahl von Partnern angezogen und ist für Amazon eine wichtige Quelle für Verkäufe geworden. Das Programm ist erfolgreich, weil es einfach zu nutzen ist, eine breite Palette an Produkten und Dienstleistungen anbietet und eine hohe Provision anbietet, die es für Partner attraktiv macht. 8.3.6 Social-Media-Marketing und Influencer-Marketing Zu den aktuell relevantesten Social-Media-Kanälen zählen unter ande‐ rem Facebook, Instagram, YouTube, LinkedIn, Twitter, Snapchat, Twitch und Pinterest. Social Media sind schnelllebig und die Plattformen, Regeln und Nutzungsmuster ändern sich oft. Um erfolgreich Social Media für seine Marketingzwecke zu nutzen, sollten insbesondere folgende Aspekte beachtet werden: 1. Kenne das Publikum: Wer ist in der Zielgruppe des Kanals und wie nutzen sie Social Media? Was sind ihre Interessen und Bedürfnisse? Welche Plattformen nutzen sie sonst? 2. Erstellung von ansprechenden Inhalten: Qualitativ hochwertige und ansprechende Inhalte ziehen die Aufmerksamkeit der Zielgruppe auf sich. Die Verwendung verschiedener Medienformate wie Bilder, Videos und Infografiken ist dabei sehr hilfreich. 3. Gezielte Werbung: Gezielte Werbung mit direkter Ansprache der Ziel‐ gruppe auf Social Media kann über Anzeigen oder Influencer-Marketing erfolgen. 4. Interaktionen mit der Zielgruppe: Es ist wichtig, mit der Zielgruppe zu interagieren, zum Beispiel durch Antworten auf Beiträge und Kom‐ mentare. Dies kann helfen, eine Beziehung aufzubauen und ihr Ver‐ trauen zu gewinnen. 5. Messen und Optimieren: Die Verwendung von Tools zur Analyse der Social-Media-Kampagne ist hilfreich, um einen Eindruck darüber zu gewinnen, welche Inhalte am besten funktionieren und welche Anzeigen die besten Ergebnisse liefern. 8.3 Onlinekommunikation 435 <?page no="436"?> Beispiel | Folgende Social-Media-Kampagnen waren sehr erfolgreich: • #LikeAGirl von Always: Diese Kampagne hat das Stereotyp der Schwä‐ che von Mädchen in Bezug auf sportliche Aktivitäten angegriffen und gezeigt, dass Mädchen genauso stark und fähig sind wie Jungen. • #LikeNike von Nike: Diese Kampagne hat Sportler und Prominente dazu aufgefordert, Bilder und Videos von sich selbst beim Sport treiben zu posten, um Nike zu unterstützen und ihre eigene Fitness zu inspirieren. • #ShareaCoke von Coca-Cola: Diese Kampagne hat dazu aufgerufen, Fotos von Freunden oder Familienmitgliedern mit personalisierten Coke-Flaschen zu teilen, um die Interaktion zwischen den Verbrau‐ chern und der Marke zu fördern. Eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne ist ohne die Einbindung von Influencern zwar möglich, aber heutzutage kaum mehr vorstellbar. Unter Influencer versteht man eine Person, die aufgrund ihrer Bekanntheit, Präsenz oder ihres Ansehens insbesondere in sozialen Netzwerken zur Verbreitung von Informationen, Meinungen, Einstellungen oder Verhalten beitragen kann (vgl. auch Bezugsperson in → Kapitel 2). Die Nutzung von Influencern für das Marketing wird oft als Influencer-Marketing bezeichnet. Um die besten Influencer für die Vermarktung eines Unterneh‐ mens, Produktes oder einer Dienstleistung zu finden, sind folgende Schritte auszuführen: 1. Zielgruppendefinition: Eine klar definierte Zielgruppe zum Beispiel für das Produkt ist unabdingbar, um Influencer zu finden, die eine ähn‐ liche Zielgruppe haben und deren Inhalte für ihre Zielgruppe relevant sind. 2. Social-Media-Plattformen Recherche: Um den bestmöglichen Influ‐ encer für das Vorhaben oder die jeweilige Branche zu finden, sind die verschiedenen Plattformen danach zu durchsuchen. 3. Influencer-Relevanz- und Kompatibilitäts-Prüfung: Analyse der Inhalte der Influencer, ihrer Zielgruppe und ihre Interaktionsraten bzw. Engagementrates. Ein Influencer, der über ein großes Publikum verfügt, aber nicht in der relevanten Branche oder Zielgruppe aktiv ist, kann nicht so effektiv sein wie ein Influencer mit einer kleineren Reichweite aber einer starken Verbindung zu betreffenden Branche 436 8 Kommunikationspolitik <?page no="437"?> oder Zielgruppe. Weitergehend ist hilfreich, nach einer ersten Relevanz‐ prüfung die Werte, Persönlichkeit und Arbeitsweise der Influencer zu prüfen, um sicherzustellen, dass sie gut zum jeweiligen Unternehmen oder der Marke passen. 4. Influencer-Kontaktaufnahme: Um eine erfolgsversprechende Zu‐ sammenarbeit zu gewährleisten, sollten konkrete Ziele mit den passen‐ den Influencern festgehalten werden. 5. Influencer-Erfolgsmessung: Der Erfolg der Kampagne kann gemes‐ sen werden, indem man zum Beispiel die Reichweite, Interaktionsra‐ ten/ Engagementrates und Verkäufe verfolgt. Allerdings können diese Kennzahlen nur als Indikatoren dienen, da Effekte wie der Carry-over- oder Spill-over-Effekt nicht herausgerechnet werden (→ Abschnitt 8.4.2). Diese Daten können wiederum dafür verwendet werden, zukünf‐ tige Kampagnen zu optimieren. Beispiel | Sony entwickelte in Kanada eine erfolgreiche Influencer-Mar‐ ketingkampagne für PlayStation VR, sein Virtual-Reality-Headset. Das Unternehmen entschied sich für die Zusammenarbeit mit kanadischen Tech- und Gaming-Influencern auf Instagram und YouTube. Das Thema der Kampagne war es, die positiven Spielerfahrungen zu zeigen, die Gamer mit den Produkten von Sony machen. Die Influencer teilten Posts von sich selbst, in denen sie Spaß mit dem Sony PlayStation VR-Headset hatten. Die meisten Influencer luden für die Kampagne zwei Posts hoch, die überwiegend Bilder zeigten. Insgesamt erhielten die Influencer-Bei‐ träge eine signifikante Anzahl an Likes und Kommentaren sowohl auf Instagram als auch auf YouTube. 8.3.7 Metaverse und Virtual-Reality-Marketing Neben den klassischen Social-Media-Kanälen beginnt das Metaverse an Bedeutung zu gewinnen. Das Metaverse bezieht sich auf eine virtuelle Welt (Virtual Reality), die von Menschen erstellt wurde und in der sich Men‐ schen treffen, interagieren und Geschäfte tätigen können. Das Metaverse hat das Potenzial, in Zukunft eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft und für Unternehmen zu spielen. Es kann sowohl für soziale Interaktionen als auch für Geschäfte genutzt werden. Darüber hinaus erhöht es die Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen für Menschen auf der ganzen Welt und 8.3 Onlinekommunikation 437 <?page no="438"?> erweitert dadurch auch die Möglichkeiten für Unternehmen, sich in neuer und innovativer Weise zu präsentieren und zu vermarkten. Um ein Produkt oder eine Dienstleistung im Metaverse bzw. mit Virtual Reality (VR) zu vermarkten, sollte man wie folgt vorgehen: 1. Externe Zielgruppe identifizieren: Wenn man weiß, wer die Ziel‐ gruppe im Metaverse ist, kann man besser verstehen, welche Plattfor‐ men und virtuelle Welten am besten für die eigene Kampagne geeignet sind. 2. Auswahl der richtigen VR-Plattform: Es gibt viele virtuelle Welten und Plattformen im Metaverse, wie zum Beispiel Second Life, VRChat und Decentraland. Es ist die Plattform auszuwählen, auf denen sich die Produkt-Zielgruppe häufig und möglichst lange aufhält. 3. Virtual-Reality-Präsenz aufbauen: Eine Präsenz für das Unterneh‐ men oder das Produkt in der virtuellen Welt kann in Form eines Ladens, einer Veranstaltung oder einer interaktiven Erfahrung liegen. 4. Nutzung von VR-Influencern: Influencer, die in der virtuellen Welt aktiv sind, sind hilfreich, um Produkte oder Unternehmen zu bewerben. Da das Metaverse noch ein relativ neuer Bereich ist, gibt es bisher nicht allzu viele Beispiele für eine erfolgreiche Vermarktung im Metaverse. Hier sind einige Beispiele aus der Virtual-Reality-Welt: Beispiel | • Virtual-Reality-Gaming: McDonald’s hat ein Virtual-Rea‐ lity-Spiel in ihren Restaurants in Frankreich angeboten, die es Kunden ermöglichte, in einer virtuellen Welt zu spielen, die auf dem McDonald’s-Branding basiert. • Virtual-Reality-Einkaufserlebnis: Ein Beispiel ist die Firma Lo‐ we’s, die Virtual-Reality-Showrooms in ihren Geschäften anbot, in denen Kunden virtuell durch verschiedene Wohnräume wandeln und Produkte in Echtzeit kaufen konnten. • Virtual-Reality-Veranstaltungen: Virtual Reality kann genutzt werden, um Veranstaltungen wie Konferenzen und Produktpräsen‐ tationen abzuhalten. Facebook bzw. das Unternehmen Meta hat beispielsweise Virtual-Reality-Veranstaltungen in ihrer virtuellen 438 8 Kommunikationspolitik <?page no="439"?> Welt Horizon angeboten. Ein weiteres Beispiel ist die Firma Volvo, die Virtual-Reality-Testfahrten anbot, um ihre Autos zu bewerben. 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation Um alternative Maßnahmen der Marktkommunikation hinsichtlich ihrer Vorteilhaftigkeit analysieren und adäquat beurteilen zu können, ist zunächst der Prozess darzustellen, der bei einer Marktkommunikation abläuft. Diese Darstellung berücksichtigt insbesondere den Fall der Marktkommunikation mittels Maßnahmen der Mediawerbung; die Ergebnisse können aber auch auf andere Formen der Marktkommunikation übertragen werden. Im Fol‐ genden werden kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt und das Problem der Formulierung geeigneter Zielsetzungen für kommuni‐ kationspolitische Maßnahmen diskutiert. 8.4.1 Abbildung der Marktkommunikation in Modellen Aufnahme und Verarbeitung von Werbemitteln sind wahrnehmungs- und gedächtnispsychologische Prozesse, die darüber hinaus in Gruppenprozesse eingebettet sind. Es ist daher sinnvoll, zunächst die interpersonalen Vor‐ gänge der Weiterleitung von Informationen und anschließend die intraper‐ sonalen Vorgänge der Informationsverarbeitung näher zu beleuchten. Die Ausführungen bauen auf den im → Kapitel 2 dargelegten Erkenntnissen über soziale Prozesse zwischen Nachfrager und Umwelt und über Denken und Lernen auf. Aus der Informationstheorie stammt das Modell der einstufigen Kom‐ munikation bei massenmedialer Informationsübertragung (→ Darstellung 8.10). Angewandt auf den Fall der Werbung gilt demnach: Ein Sender (Wer‐ bungtreibender) übermittelt mit Hilfe eines Werbeträgers ein bestimmtes Signal (Werbebotschaft). Dazu ist das Signal in bestimmter Form zu kodieren (Werbemittel). Das Signal trifft schließlich auf die Empfänger, die sich in sozialer Isolation befinden und relativ passiv das kodierte Signal aufnehmen. Nach gewissen internen psychischen (Dekodierung) und physischen Vor‐ gängen reagieren die Empfänger auf das ausgesandte kodierte Signal. 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation 439 <?page no="440"?> Sender Empfänger intendiertes Signal kodiertes Signal empfangenes Signal dekodiertes Signal Verhaltenswirkung Informationsübermittlung Werbeträger Rückkopplung Darstellung 8.10: Einstufiges Modell der Marktkommunikation. Das - vergleichsweise - starre einstufige Modell bildet jedoch nur einen Teil der Prozesse der Marktkommunikation sinnvoll ab. Es trifft bspw. auf diejenigen Kommunikationsprozesse zu, bei denen die Werbesubjekte üblicherweise keine aktive Rolle einnehmen und die von relativ einfacher Aussage sind (z. B. Plakatanschläge). Allerdings lässt sich daraus eine Erkenntnis ableiten, die einen Hinweis auf die Notwendigkeit von geeig‐ neten Tests der Botschaften gibt (vgl. →-Abschnitt 8.4.2): Wissen | Der Sender muss sicherstellen, dass der Empfänger in der Lage ist, die Botschaft richtig zu dekodieren. Zur Abbildung des Prozesses der Marktkommunikation bei komplexeren Informationsinhalten und bei Kommunikationsmitteln, denen die Werbe‐ subjekte in der Mehrzahl der Fälle nicht sozial isoliert gegenüberstehen (z. B. Zeitungen, TV, Internet), ist das Modell der zweistufigen Marktkommu‐ nikation eher geeignet (→ Darstellung 8.11). Signal Sender Meinungsführer passive Empfänger Rückkopplung Rückkopplung (Informationsnachfrage) (Informationsnachfrage) Signal Informationsmedium (apersonal) Informationsmedium (personal) Rückkopplung (Handlungswirkung) Darstellung 8.11: Zweistufiges Modell der Marktkommunikation. Wesentliches Element der zweistufigen Marktkommunikation ist der Mei‐ nungsführer, der als Quasifachmann insofern eine Mittlerrolle einnimmt, 440 8 Kommunikationspolitik <?page no="441"?> als er aktiv Informationen vor allem mittels formaler (apersonaler) Kom‐ munikation sucht und sie vornehmlich mittels informaler (personaler) Kommunikation uneigennützig an Werbesubjekte in seiner sozialen Um‐ gebung weitergibt. Die Meinungsführer, die nach der Überzeugung vieler sozialwissenschaftlicher Forscher etwa ein Viertel oder ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, üben im Rahmen der Marktkommunikation eine wichtige Relaisfunktion aus, da sie die empfangenen Informationen nur gefiltert, akzentuiert oder sogar um weitere Informationen ergänzt weiter‐ geben (vgl. →-Kapitel 2). Weder das zweinoch das einstufige Modell ist in der Lage, die Mehrzahl der realen Prozesse der Marktkommunikation adäquat abzubilden. Die realen Prozesse enthalten vielmehr sowohl Elemente der zweistufigen als auch solche der einstufigen Marktkommunikation. Darüber hinaus glaubt man jedoch zu wissen: Wissen | Apersonale Informationsmedien haben vor allem im Hin‐ blick auf das Wissen um die Werbeobjekte Bedeutung (kognitive Kom‐ ponente der Einstellung), während die personalen Informationskanäle insbesondere für die Formung der affektiven Einstellungskomponente und damit für die Präferenzbildung Relevanz besitzen. Meinungsführer (Stufe 1) Meinungsführer (Stufe 2) apersonales IM personales IM personales IM Informationsnachfrage Informationsnachfrage (→ Präferenzbildung) Informationsnachfrage apersonales IM apersonales IM (→ Bekanntheitsgrad) apersonales IM Rückkopplung (v. a. Handlungswirkung) Sender passive Rezipienten Darstellung 8.12: Mehrstufiges Modell der Marktkommunikation. Schließlich verläuft in vielen Fällen der Prozess der Marktkommunikation nicht nur über maximal zwei, sondern bisweilen über weit mehr Stufen; so können sich beispielsweise die in → Darstellung 8.12 dargestellten kom‐ plexen Kommunikationsbeziehungen ergeben (IM = Informationsmedium). 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation 441 <?page no="442"?> Die intrapersonalen Vorgänge bei kommunikationspolitischen Maßnah‐ men lassen sich mit der Adoptionstheorie erklären. Im Zusammenhang mit der Adoptionstheorie wurden auch unterschiedliche Stufenmodelle der Werbewirkung entworfen. Am bekanntesten ist die so genannte AIDA-Re‐ gel (vgl. → Abschnitt 2.3), die besagt, dass die Wirkung einer spezifischen Werbemaßnahme in folgender Abfolge psychischer bzw. physischer Reak‐ tionen besteht (vgl. Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-236): psychische (vorökonomische) Reaktionen: • Attention (Erwecken von Aufmerksamkeit für das Werbeobjekt) • Interest (Entstehen von Interesse am Werbeobjekt) • Desire (Entstehen von Nachfrage nach dem Werbeobjekt) physische (ökonomische Reaktion): • Action (Vollzug bestimmter Handlungen) Die AIDA-Regel erfasst die Wirkung einer Maßnahme der Mediawerbung nur unvollständig; bessere Einsichten in die Wirkungsprozesse vermitteln erweiterte Werbewirkungsmodelle, die beispielsweise folgende Wirkungs‐ stufen umfassen: • physischer Werbeträger-Kontakt, • physischer Werbemittel-Kontakt, • psychische Aufnahme des Werbemittels, • psychische Verarbeitung des Werbemittels (Dekodierung), • Speicherung der empfangenen Werbebotschaft, • Veränderung von Präferenzen (infolge Veränderung der Wahrnehmun‐ gen der Produkte und/ oder der Merkmalsgewichte) und • Handlungswirkung. Vielfach werden solche Stufenmodelle im Sinne deterministischer Gesetz‐ mäßigkeiten (d. h. eine Wirkung folgt zwangsläufig aus der vorhergehenden Wirkung) oder - abgeschwächt - als feste Folgen, die allerdings nur teilweise durchlaufen werden, verstanden. Eine solche Interpretation ist allerdings nicht richtig, da Fälle denkbar sind, bei denen eine Handlungs‐ wirkung infolge einer kommunikationspolitischen Maßnahme eintritt, ohne dass eine Speicherung der Werbebotschaft stattfindet. Stufenmodelle kön‐ nen daher nur im Sinne von Checklisten verstanden werden, welche die Vielzahl der bei Kommunikationsprozessen ablaufenden intrapersonalen Informationsverarbeitungsvorgänge zu typisieren erlauben. 442 8 Kommunikationspolitik <?page no="443"?> Wissen | Bei der Übermittlung von Informationen muss sicher‐ gestellt sein, dass alle notwendigen Stufen eines Kommunikationswir‐ kungsprozesses vom Empfänger durchlaufen werden. Nur dann kommt - bei richtiger Dekodierung - eine Kommunikationswirkung zu Stande. 8.4.2 Kriterien zur Messung der Kommunikationswirkung Sowohl die Darstellung der Planungsphasen kommunikationspolitischer Maßnahmen als auch die Strukturierung der inter- und intrapersonalen Prozesse deuten bereits alternative Kriterien zur Messung der Kommunika‐ tionswirkung an. Mögliche Kriterien sollen nachfolgend diskutiert werden. Es ist zunächst naheliegend, als Beurteilungskriterium für alternative kommunikationspolitische Maßnahmen den Zusatzgewinn des Werbeob‐ jektes heranzuziehen. Noch deutlicher als für die anderen marketingpoliti‐ schen Instrumentalbereiche muss der Gewinn mangels Aufgabenadäquanz als Beurteilungskriterium für den kommunikationspolitischen Bereich ab‐ gelehnt werden. Nachstehend soll das Abgrenzungsproblem allein für den Umsatz als einer Komponente des Gewinns diskutiert werden. Eine be‐ stimmte Umsatzhöhe kann einzelnen kommunikationspolitischen Maßnah‐ men (Ausnahme: Aktionswerbung) aus drei Gründen sinnvollerweise nicht zugeschrieben werden: • Der Umsatz ist allenfalls der Gesamtheit der marketingpolitischen Anstrengungen für ein bestimmtes Objekt zurechenbar, nicht aber allein der Kommunikationspolitik, die „nur“ über das Objekt informiert, und noch weniger einzelnen kommunikationspolitischen Maßnahmen, die häufig gar keinen konkreten Produktbezug besitzen (z. B. die Öffent‐ lichkeitsarbeit). • Der Umsatz ist kaum spezifischen kommunikationspolitischen Maßnah‐ men zurechenbar, da Kommunikationsmaßnahmen häufig Investitions‐ charakter haben, wirken sie doch über lange Zeit fort (Depotwirkung von Kommunikationsmaßnahmen). Für kommunikationspolitische Maßnahmen gelten im besonderen Maße zeitliche Ausstrahlungsef‐ fekte (Carry-over-Effekte). Deswegen ist es wenig zielführend, nur die Maßnahmenwirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt heranzuziehen. Für die Gesamtheit der kommunikationspolitischen Maßnahmen zum 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation 443 <?page no="444"?> Beispiel eines Jahres, die im Rahmen der Budgetplanung zur Diskussion ansteht, gilt diese Argumentation nur eingeschränkt. • Der Umsatz ist schließlich auch kaum Informationsmaßnahmen für einzelne Produkte zuzurechnen. Geht man etwa von einem Unterneh‐ men aus, das komplementäre Produkte anbietet, so wirkt sich eine Kommunikationsmaßnahme für ein Produkt auch auf die anderen Produkte aus. Aufgrund solcher sachlicher Ausstrahlungseffekte (Spill-over-Effekte) ist eine isolierte Betrachtungsweise nicht sinnvoll. Analog der Problematik einer Formulierung geeigneter produkt- und dis‐ tributionspolitischer Ziele muss es daher das Bestreben sein, Kriterien zu formulieren, die auf die spezifischen Gegebenheiten der Kommunikations‐ politik ausgerichtet sind. Wissen | Kommunikationspolitische Ziele müssen an „früheren“ Stufen in der Werbewirkungskette als der Stufe der Handlungswir‐ kung anknüpfen. Damit kommen kaum ökonomische Wirkungs‐ größen, sondern vorökonomische Wirkungsgrößen (wie z. B. Mar‐ kenbekanntheit, Image, Präferenzveränderungen) als Maßgrößen in Betracht. Geht man vom erweiterten Werbewirkungsmodell aus, so liegt es nahe, zunächst die Anzahl der Werbeträgerkontakte oder davon abgeleitete Kriterien zur Beurteilung von Kommunikationsmaßnahmen heranzuziehen. Im Falle einer einmaligen Aussendung eines bestimmten Werbemittels ist die Reichweite des entsprechenden Werbeträgers (Anzahl der kontaktier‐ ten Personen) gleich der Anzahl der Werbeträgerkontakte. Für den Fall, dass ein bestimmtes Werbemittel mehrfach ausgesandt wird, weichen die Anzahl der Werbeträgerkontakte und die Reichweite voneinander ab. Während die Anzahl der Werbeträgerkontakte, die so genannte Kontaktsumme, bei konstantem Mediennutzungsverhalten mit der Anzahl der Aussendun‐ gen proportional steigt, nimmt die Reichweite unterproportional zu, da bei der Reichweitenermittlung jede Person, unabhängig davon, wie viele Kontakte sie erhielt, nur einmal berücksichtigt wird. Die Reichweite ist das grundlegende Kriterium, das im Rahmen der Mediaplanung zur Beurteilung alternativer Kommunikationsmaßnahmen herangezogen wird. Die dem Werbeträgerkontakt nächstgelegene Wirkungsstufe ist der Wer‐ bemittelkontakt. Logischerweise kann die Anzahl der Werbemittelkont‐ 444 8 Kommunikationspolitik <?page no="445"?> akte nie größer sein als die Anzahl der Werbeträgerkontakte. Aufgrund von Paneldaten (TV-Panel, vgl. → Kapitel 4) können Schätzwerte für die Wahrscheinlichkeit angegeben werden, welche Werbesubjekte bei einem bestimmten Werbeträger mit dem Werbemittel in Kontakt kommen. Es ist einsichtig, dass man für die Mediaplanung nicht die Summe der werbeträgerbezogenen, sondern die der werbemittelbezogenen Reichweiten heranzieht. Die werbemittelbezogene Reichweite eines Mediums ergibt sich dabei als Produkt der werbeträgerbezogenen Reichweiten mit der oben skizzierten Wahrscheinlichkeit (so genannte Seitenkontaktwahrschein‐ lichkeit). Sowohl werbeträgerals auch werbemittelbezogene Reichweiten‐ werte können als absolute oder auch als relative Zahlen (in Bezug auf eine adäquate Referenzgröße) angegeben werden. Ein Beurteilungskriterium, das an der Aufnahme eines Werbemittels ansetzt, ist der so genannte Recognition-Wert, wobei Recognition Wie‐ dererkennung bedeutet. Wissen | Bei Recognition-Tests wird gemessen, ob ein Werbemittel, das vorgelegt wurde, entweder überhaupt gesehen oder sogar intensiv betrachtet wurde. Wurde der Recognition-Wert einer Kommunikationsmaßnahme auf die intensive Betrachtung bezogen, so sagt ein Recognition-Wert von 8 % aus, dass 8 % der relevanten Zielgruppe das entsprechende Werbemittel intensiv betrachtet haben. Wissen | Die typische Fragestellung für die Ermittlung des Recogni‐ tion-Wertes bei gleichzeitiger Vorlage des Werbemittels lautet: „Haben Sie dieses Werbemittel schon gesehen/ schon intensiv betrachtet? “ Ein Beurteilungskriterium, das die Speicherung eines Werbemittels betrifft, ist der so genannte Recall-Wert. Unter Recall wird der Tatbestand verstan‐ den, dass sich die Werbesubjekte an den Inhalt des Werbemittels erinnern. Wissen | Bei Recall-Tests wird üblicherweise das Werbemittel nicht vorgelegt, sondern es wird nur verbal angedeutet, und die Werbesub‐ jekte geben dann Auskunft über die Inhalte des Werbemittels. 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation 445 <?page no="446"?> Die Auskünfte über das Werbemittel werden zumeist danach klassifiziert, ob das meiste, wenig oder gar nichts richtig erinnert wurde. Der Recall-Wert wird ebenso wie der Recognition-Wert üblicherweise als relative Größe angegeben. Für ein bestimmtes Werbemittel bzw. eine bestimmte Werbemit‐ telkombination muss folgendes gelten: Werbeträgerreichweite ≥ Werbemittelreichweite ≥ Recognition-Wert ≥ Recall-Wert Die der Handlungswirkung am nächsten stehende Werbewirkung ist die Wirkung auf die Einstellungen und Präferenzen der Werbesubjekte. An‐ ders als für die anderen Werbewirkungsstufen existieren hier keine ver‐ gleichsweise einheitlich formulierten Beurteilungsgrößen. Die Feststellung der Wirkung einer Kommunikationsmaßnahme auf die Einstellungen ist insofern auch komplizierter, da man in diesem Fall nicht an der Einstellung an sich interessiert sein kann, sondern nur an der Einstellungsänderung. Dies kann dadurch geschehen, dass vor und nach der betreffenden kom‐ munikationspolitischen Maßnahme erfragt wird, ob ein Werbeobjekt als qualitativ hochwertig, preiswert, kaufenswert etc. beurteilt wird, und die Differenz zwischen beiden Messwerten dann als Werbewirkung betrachtet wird. Beurteilungskriterien (Ziele), die ebenfalls häufig im Zusammenhang mit kommunikationspolitischen Maßnahmen genannt werden, sind folgende: • Bekanntheitsgrad: Anteil der Zielgruppe, die das Werbeobjekt kennt. • Kaufinteressegrad: Anteil der Zielgruppe, die das Werbeobjekt zu kaufen beabsichtigt/ kaufen würde. • Wiederkäuferanteil: Anteil der Käufer eines Werbeobjektes, die es wiedergekauft haben. Diese Ziele können jedoch kaum als bereichsadäquat für die Kommunikati‐ onspolitik eingestuft werden, da die grundlegenden Anforderungen an Ziele nicht gegeben sind (vgl. →-Abschnitt 3.1.5.1). Die zuerst genannten vier Kriterien (Werbeträger-, Werbemittelreich‐ weite, Recall- und Recognition-Wert) erfüllen diese Anforderungen weitge‐ hend, wenn es sich um Maßnahmen der Imagewerbung handelt, nicht aber ökonomische Beurteilungskriterien. Wenn es darum geht, Maßnahmen der Aktionswerbung zu beurteilen, sind meist ökonomische Ziele angebracht. Verglichen mit Maßnahmen der Imagewerbung zeichnen sich Maßnahmen der Aktionswerbung dadurch 446 8 Kommunikationspolitik <?page no="447"?> aus, dass bei ihnen die Depotwirkung von Kommunikationsmaßnahmen kaum zum Tragen kommt und Spill-over-Effekte in der Regel vernachläs‐ sigbar gering sind. Als einziger Faktor, der einer Anwendung ökonomischer Beurteilungsverfahren im Wege steht, verbleibt somit die Schwierigkeit der Zurechnung der Wirkung zu einer bestimmten Marketingaktivität (z. B. Werbemaßnahmen bzw. Preis). In solchen Fällen ist die ökonomische Ana‐ lyse für die Aktion insgesamt (Werbung plus Sonderpreis) vorzunehmen. Die aktionsbezogenen Mehrumsätze sind dabei in der Regel vergleichsweise leicht festzustellen (Ankündigungs- und Vorratseffekt beachten, vgl. → Ab‐ schnitt 8.4.4 und →-Kapitel 6) ebenso wie die aktionsbezogenen Kosten. 8.4.3 Neuromarketing Seit dem Jahr 2002 gewinnt das Neuromarketing, also die Anwendung neurowissenschaftlicher Technologien für die Werbewirkungsanalyse und Effektivitätsmessung von Kommunikationsmaßnahmen zunehmend an Be‐ deutung. Dies hängt damit zusammen, dass in einem wettbewerbsintensiven Umfeld die Anforderungen an Kommunikationsmaßnahmen komplizierter und anspruchsvoller geworden sind, so dass die Marketingforschung die Erkenntnisse des Neuromarketing nutzt, um erfolgreiche Kommunikations‐ maßnahme zu entwickeln und richtig zu platzieren. Jahrzehntelang haben Marketingmanager und Werber versucht zu ver‐ stehen, was im Gehirn der Verbraucher vorgeht und wie sie Entscheidungen treffen. Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass der Großteil der geistigen Verarbeitung unbewusst oder unterbewusst (vgl. → Abschnitt 2.3.2) erfolgt (vgl. Alsharif et al., 2021). Vor diesem Hintergrund analysiert das Neuromarketing das Verbraucher‐ verhalten, aktivierende und kognitive Prozesse wie z. B. Emotion oder Gedächtnis, in Bezug auf Kommunikationsmaßnahmen oder das Branding. Die meisten Studien in diesem Bereich zeigen die entscheidende Rolle der emotionalen und kognitiven Prozesse bei der Entscheidungsfindung, wobei der präfrontale Kortex und der Frontallappen die wichtigsten Regionen zu sein scheinen (vgl. Alsharif et al., 2021). Die wissenschaftlichen Studien deuten darauf hin, dass Neuroima‐ ging-Techniken bzw. neurale bildgebende Verfahren für die Messung und Aufzeichnung von Entscheidungsprozessen in den Köpfen der Kun‐ den in Bezug auf die Kommunikation sehr hilfreich sind. So gelten bei‐ spielsweise die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) 8.4 Der Prozess der Marktkommunikation 447 <?page no="448"?> und Elektroenzephalographie (EEG) als die bevorzugten Techniken, die in der Werbeforschung eingesetzt werden (vgl. Alsharif et al., 2021). Aktuell gewinnt im Themenfeld Neuromarketing das sogenannte Facial-Co‐ ding-Verfahren an Bedeutung. Beim Facial Coding werden Emotionen aus Gesichtsausdrücken per Video zum Beispiel mit Hilfe einer KI-Software gelesen. Dadurch lässt sich die Wirkung von Videospots messen. Begleitet wird dieses Verfahren oftmals von einem Eyetracking Verfahren und einer Herzratenerkennung zur Aufmerksamkeitsanalyse. Diese Techniken helfen die positiven und negativen Elemente in der Kommunikation bzw. für das Branding zu erkennen, bevor sie in der realen Welt eingesetzt werden. Dadurch können die Stärken verbessert und die Schwächen beseitigt werden, was zu effektiveren Werbekampagnen bzw. auch einem effektiveren Branding führt (vgl. Alsharif et al., 2021). Beispiel | Ein bekannter Fall erfolgreichen Neuromarketings stammt von Hyundai. Hyundai setzte Elektroenzephalographie (EEG) ein, um seine Prototypen zu testen. Sie haben die Gehirnaktivität als Reaktion auf verschiedene Designmerkmale gemessen und untersuchten, welche Art von Stimulation am ehesten zu einem Kauf führte. Die Ergebnisse dieser Studie veranlassten Hyundai, das Außendesign der Autos zu verändern. Beispiel | Ein weiteres erfolgreiches Beispiel für Neuromarketing ist eine Kampagne des National Cancer Institute aus den USA. Hierbei wurde die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) genutzt, um Werbekampagnen zu vergleichen, bevor sie der Öffentlichkeit vor‐ gestellt wurden. In einer Studie wurden drei verschiedene Werbekam‐ pagnen für die Telefonhotline des National Cancer Institute von den Probanden betrachtet. Die Werbekampagne, die die höchste Gehirnak‐ tivität auslöste, führte zu deutlich mehr Anrufen bei der Hotline. 8.4.4 Dynamische Werbewirkungsanalyse Die Wirkung von werbepolitischen Maßnahmen tritt häufig weder un‐ mittelbar bei Betrachtung des Werbemittels im vollen Umfang ein (vgl. → Abschnitt 8.5.3.2), noch ist sie im Zeitablauf immer gleichartig. Die 448 8 Kommunikationspolitik <?page no="449"?> Veränderung der Wirkung von werbepolitischen Maßnahmen im Zeitablauf besitzt also sowohl einen quantitativen als auch einen qualitativen Aspekt. Den qualitativen Aspekt der Veränderung der Werbewirkung im Zeitab‐ lauf beschreibt der Schläfer-Effekt. Wissen | Die Kernaussage des Schläfer-Effekts lautet, dass im Zeit‐ lauf die größere Einflusswirkung von Informationen, die anfangs als vergleichsweise glaubwürdiger beurteilt wurden, gegenüber anfangs als weniger glaubwürdig beurteilten Informationen abnimmt. Die unterschiedliche Glaubwürdigkeit und damit auch unterschiedliche Überzeugungskraft sachlich identischer Informationen gleichen sich danach mit Fortgang der Zeit aneinander an. Eine Folge dieses Schläfer-Effekts ist, dass Werbeaussagen, die wegen des Eigeninteresses des Senders zunächst als wenig glaubwürdig angesehen werden und daher relativ wenig wirk‐ sam sind, nach einiger Zeit (ohne Berücksichtigung des Vergessenseffekts) ebenso wirksam sind wie die „Werbeaussagen“ übermittelt im Wege der informalen Kommunikation (Meinungsführer). 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes Nachdem bisher die marketingpolitische Einordnung der Kommunikations‐ politik, deren Gestaltungsmöglichkeiten und verhaltenswissenschaftliche Grundlagen dargestellt wurden, werden im Folgenden wesentliche kommu‐ nikationspolitische Entscheidungsbereiche der Planung spezieller Kommu‐ nikationsmittel am Beispiel der Mediawerbung näher erläutert. 8.5.1 Die Bestimmung der Höhe des Werbebudgets 8.5.1.1 Inhalt und Grundprobleme der Werbebudgetplanung Gegenstand der Werbebudgetplanung ist die Beantwortung der Frage: „Wie viel finanzielle Mittel sollen für die Marktkommunikation eines Werbeob‐ jektes bereitgestellt werden? “ In vielen Unternehmen ist es üblich, bereits bei der Werbebudgetplanung für jedes Werbeobjekt festzulegen, wie viel für die klassische Werbung (Mediawerbung, inkl. medialer Öffentlichkeitsarbeit) und wie viel für die 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 449 <?page no="450"?> Verkaufsförderung (inkl. PoP-Werbung) ausgegeben werden soll. Addiert man zu diesen Werbeteilbudgets noch die festen Kosten der Werbeabteilung und die Ausgaben für die nicht-mediale Öffentlichkeitsarbeit, so ergeben sich daraus die gesamten Kosten der Marktkommunikation. Im Zusammen‐ hang mit der Werbebudgetplanung eines Unternehmens sind also unter anderem folgende Werbebudgets zu disponieren bzw. zu berücksichtigen: • Fixe Kosten der Werbeabteilung. • Budget für die nicht-mediale Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Geschäftsbe‐ richte, etc.). • Budgets für die klassische Werbung jedes Werbeobjekts, wobei als Wer‐ beobjekte vor allem das Gesamtunternehmen, das gesamte Vertriebs‐ programm, einzelne Produktgruppen und einzelne Produkte in Frage kommen. • Budgets für die Verkaufsförderung jedes Werbeobjekts, wobei als Wer‐ beobjekte sowohl Produktgruppen als auch einzelne Produkte in Frage kommen. In sehr vielen Fällen begnügt man sich im Rahmen der Werbebudgetplanung nicht damit, pro Werbeobjekt ein einziges pauschales Werbebudget für die gesamte klassische Werbung zu fixieren. Vielmehr werden bereits in diesem frühen Stadium der Werbeplanung insofern Vorentscheidungen getroffen, als das Budget für klassische Werbung auch nach den verschie‐ denen Werbeträgergruppen aufgeschlüsselt wird. So werden Festlegungen darüber getroffen, welcher Teil des Werbebudgets für elektronische Media und welcher Teil für Druckmedia bereitgestellt wird. Gegebenenfalls kann auch noch eine weitere Aufschlüsselung stattfinden, beispielsweise dass festgelegt wird, den größten Teil des Werbebudgets für elektronische Media für das Medium Fernsehen zu verausgaben. Solche Festlegungen im Bereich der Werbebudgetplanung prägen bereits wesentlich die kommunikationspolitische Gesamtstrategie, ohne die Ziel‐ vorstellungen zu berücksichtigen! Jede Werbebudgetplanung ist vor dem Hintergrund eines unauflöslichen Dilemmas zu sehen: • Einerseits ist die Festlegung eines bestimmten Werbebudgets bzw. Werbeteilbudgets für ein Werbeobjekt nur dann sinnvoll, wenn bereits genau bekannt ist, wofür die entsprechenden Mittel verausgabt werden 450 8 Kommunikationspolitik <?page no="451"?> sollen. Diese Erkenntnis verlangt zuerst eine Planung der kommunika‐ tionspolitischen Einzelmaßnahmen bzw. Teilbudgets. • Andererseits ist es aber notwendig, die Festlegung eines Werbebudgets unter Berücksichtigung aller anderen Werbebudgets vorzunehmen, da andernfalls die Gefahr bestehen kann, dass die finanziellen Möglichkei‐ ten eines Unternehmens überfordert werden. Die Berücksichtigung beider Aspekte würde eine simultane Planung aller betrieblichen Maßnahmen verlangen, was naturgemäß unrealistisch ist. Anstelle der simultanen Planung sind grundsätzlich zwei Formen der sukzessiven Planung möglich: Bei der einen Art der Planung wird gewissermaßen „von oben nach unten“ geplant, es werden also zuerst die Werbebudgets festgelegt und dann in diesem Rahmen die einzelnen Kommunikationsmaßnahmen gestaltet. Bei der anderen Vorgehensweise wird ausgehend von Einzelmaßnahmen geplant. Die zweitgenannten Planungsweise hat jedoch die Schwierigkeit, eine Werbekonzeption zu entwerfen, wenn keine Informationen darüber vorliegen, welches Aktivitätsniveau angestrebt wird. Die Folge dieses Dilemmas ist, dass Budgets bzw. Teilbudgets für einzelne Werbeobjekte ohne genaue Kenntnis der einzelnen Maßnahmen festgelegt werden, wohl aber unter Berücksichtigung grundlegender (vermuteter) Vorstellungen über die Wirksamkeit der Budgets. 8.5.1.2 Vorgehensweisen bei der Fixierung des Werbebudgets Angesichts der Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Werbewirkungs‐ funktion haben sich in der Praxis einfach zu handhabende Regeln der Bestimmung des Werbebudgets herausgebildet: • Umsatzorientierte Werbebudgetfixierung: Das Werbebudget für jedes Werbeobjekt wird entsprechend dem realisierten Umsatz der Vor‐ periode bzw. dem geplanten Umsatz der Planperiode festgelegt. Dabei kommen häufig branchenübliche Prozentsätze zur Anwendung („In unserer Branche werden 3-% vom Umsatz für Werbung ausgegeben! “). • Hinter dieser Form der Werbebudgetfixierung verbirgt sich die Vermu‐ tung, dass bei einer durchschnittlichen Werbeintensität des Unterneh‐ mens auch die Umsatzentwicklung durchschnittlich sein wird, mithin der Marktanteil konstant bleibt. In Feldstudien hat sich gezeigt, 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 451 <?page no="452"?> dass der Zusammenhang zwischen dem Werbebudgetanteil und dem Marktanteil in vielen Branchen sehr eng ist. • Konkurrenzorientierte Werbebudgetfixierung: Analog zur um‐ satzorientierten Budgetfixierung wird hier die Gleichung „Werbebudget = f (vermeintliches Werbebudget der relevanten Konkurrenten)“ unter‐ stellt. • Dahinter steht die Vermutung, dass man hinsichtlich der Marktpräsenz möglichst immer mit dem/ den relevanten Konkurrenten (z. B. Markt‐ führer) gleichziehen müsse, um den Marktanteil zu halten. Vor allem bei stark unterschiedlichen Geschäftsvolumina der Konkurrenten ist die konkurrenzbezogene Budgetfixierung problematisch. • Gewinn- oder liquiditätsorientierte Werbebudgetfixierung: Bei Anwendung dieser Regel zur Fixierung des Werbebudgets werden die Werbeausgaben als vermeidbare finanzielle Belastungen betrachtet, die nur dann übernommen werden, wenn die Gewinnsituation bzw. die Liquiditätssituation dies erlaubt. Der Ausdruck All you can afford method macht diesen Tatbestand sehr deutlich. Die genannten Verfahren sind zwar sehr praktikabel, ihnen haften aber gravierende Mängel an; sie sind insbesondere nicht werbezielorientiert. Dies zeigt sich vor allem bei der umsatzorientierten Werbebudgetfixierung, die insofern einen Zirkelschluss darstellt, als das Werbebudget als proportio‐ nale Funktion des Umsatzes formuliert wird, und der Umsatz zugleich eine Funktion des Budgets ist. Obwohl die Berücksichtigung der Gewinnsituation und der Werbeintensität der Konkurrenten beachtenswerte Aspekte bei der Werbebudgetfixierung sind, darf rationalerweise das Werbebudget nicht als alleinige Funktion dieser Aspekte formuliert werden. Die einzig logisch gerechtfertigte Vorgehensweise bei der Fixierung des Werbebudgets besteht darin, von den Werbezielen auszugehen und deren adäquate Erfüllung anzustreben. Anders als bei den oben aufgelisteten Vorgehensweisen, wird bei der werbezielorientierten Werbebudgetfi‐ xierung versucht, anhand der Werbeziele auf das notwendige Budget zu schließen. Geht man davon aus, dass das Problem der Wirkungsabgrenzung und Werbewirkungsmessung im konkreten Fall gelöst ist bzw. einigermaßen belastbare Vorstellungen darüber bestehen, so bietet sich die nachfolgend skizzierte Planungsmethodik an. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine 452 8 Kommunikationspolitik <?page no="453"?> angenommene Kurve der Werbewirkung, wie sie in → Darstellung 8.13 abgebildet ist. Werbewirkung (y s ) Werbebudget (E s ) f‘ (E s ) f‘‘ (E s ) f (E s ) Darstellung 8.13: Wirkung alternativer Höhen des Werbebudgets. Die Wirkung der Werbung kann dabei entweder in der Form der werbeträ‐ gerbezogenen bzw. werbemittelbezogenen Reichweite, des Recognition- oder Recall-Wertes oder auch des Umsatzes gemessen werden. Es ist unmittelbar einsichtig, dass - zumindest bei einer kurzfristigen Betrach‐ tungsweise - auch bei Verzicht auf kommunikationspolitische Maßnahmen gewisse Werbewirkungen (etwa aus Vorperioden) existieren, insbesondere ist zu erwarten, dass der Umsatz bei Ausbleiben von Werbemaßnahmen nicht auf den Nullpunkt absinkt, sondern einen gewissen Mindestbetrag erreicht. Wird der kommunikationspolitische Aufwand gesteigert, so ist anzunehmen, dass sich bestimmte Wirkungen einstellen. Wie praktische Erfahrungen zeigen, ist die Zunahme der Werbewirkung bei zunehmendem Werbebudget oft zuerst steigend und dann fallend, woraus eine S-förmige Werbewirkungskurve resultieren würde. Die bei geringem Werbebudget vergleichsweise geringe Grenzwirkung der ent‐ sprechenden Ausgaben ist meist darauf zurückzuführen, dass bei geringem Budget nur wenig effiziente Werbeträger gewählt und nur wenig wirksame Werbemittel geschaffen werden können (vgl. zu den Rahmenbedingungen 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 453 <?page no="454"?> → Abschnitt 8.1.1). Andererseits ist ebenso einleuchtend, dass auch bei unbegrenztem Werbebudget die Werbewirkung nicht über alle Maßen steigt, sondern einem gewissen Sättigungswert zustrebt. In manchen Fällen ist es sogar denkbar, dass infolge einer Übersättigung die Werbewirkung bei weiter ansteigendem Budget zurückgeht. Ein formales Modell, das in der Lage ist, obigen S-förmigen Werbewir‐ kungsverlauf wiederzugeben, ist das relativ komplexe Gompertz-Modell. Eine einfachere Abbildung des in der Unternehmenspraxis relevanten Wer‐ tebereichs - bei dem unterstellt wird, dass geringe (relativ wirkungslose Werbebudgets überhaupt nicht zur Anwendung kommen - gelingt durch die degressive Funktion, die sich ebenfalls einem Sättigungswert annähert (vgl. Mertens u. Rässler, 2012, S.-196f.): y s = y 0 + e α 1 − α2 Es Analog zur → Darstellung 8.13 wird im Folgenden der Verlauf des De‐ ckungsbeitrages bei wachsendem Werbebudget betrachtet (→ Darstellung 8.14). Bei der Festlegung des Werbebudgets ist in der Praxis oft problematisch, dass das Optimum nicht bekannt ist. Schätzt das Unternehmen, dass sich das Optimum bei einem Werbebudget von x 1 befindet, so entfaltet sich eine erheblich geringere Werbewirkung als bei einem Werbebudget von x 2 . Lean Budgeting ist also mit Risiken verbunden, da das Unternehmen unter Um‐ ständen durch ein geringfügig höheres Werbebudget eine sehr viel höhere Werbewirkung erzielen kann. Das Overspending führt demgegenüber nur zu einer geringfügigen Verminderung der Werbewirkung und ist deshalb als risikoärmer einzustufen. Wissen | Die als Prinzip des flachen Maximums bekannte empi‐ rische Erkenntnis besagt, dass eine Abweichung des Werbebudgets um +/ -25% von der entsprechenden optimalen Budgethöhe keinen bedeutenden Einfluss auf den Deckungsbeitrag hat. Liegt das Werbebudget höher als das Optimum, werden die zusätzlichen Kosten durch einen höheren Absatz kompensiert. Wurde das Werbebudget unterhalb des Optimums festgelegt, so fallen entsprechend geringere Kosten für die Schaltung der Werbung an (vgl. Guhl u. Steffenhagen, 2016). 454 8 Kommunikationspolitik <?page no="455"?> Deckungsbeitrag Deckungsbudget Lean Budgeting Overspending optimales Werbebudget W* -25 % +25 % X 1 X 2 X 3 X 4 Darstellung 8.14: Deckungsbeitragsentwicklung und Werbebudget | Quelle: in Anlehnung an Tull et al., 1986. Wissen | Erst ab einem Mindest-Kommunikationsbudget treten spürbare Werbewirkungseffekte in der Zielgruppe auf. Sind die hier ermittelten Budgets zur Erreichung der jeweiligen Werbeziele nicht finanzierbar, müssen die Ziele oder die Kommunikationsmittel re‐ vidiert werden. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Ergebnisse dieser Funktion trügerisch wirken können, da sie dazu neigen, Optimierungsprobleme auf tieferen Ebenen zu maskieren (vgl. Fischer u. Albers, 2018). 8.5.2 Die Gestaltung der Werbebotschaft und der Werbemittel Auf das engste miteinander verbunden sind die beiden Entscheidungsberei‐ che Werbebotschaft und Werbemittel. Beide Bereiche werden häufig auch als die kreativen Elemente der Kommunikationspolitik bezeichnet, die Bereiche Werbebudget und Werbestreuung werden dann als analytische Elemente angesehen. Elemente der Werbemittelgestaltung sind die Größe, die Farbigkeit und das Format des Werbemittels; Werbebotschaften können demgegenüber unter anderem nach Gesichtspunkten wie Originalität, Aktualität und 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 455 <?page no="456"?> Glaubwürdigkeit beurteilt werden. Lange Zeit ist der Versuch gemacht worden, diejenigen Elemente herauszuarbeiten, die eine Werbebotschaft und ein Werbemittel in der Beurteilung der Werbesubjekte „attraktiv“ ma‐ chen. Ergebnisse solcher Forschungsbemühungen sind Erkenntnisse wie die folgenden, die jeweils unter Ceteris-paribus-Bedingungen zu verstehen sind: • Farbige Werbemittel erzielen höhere Wirkungswerte als schwarzweiß gestaltete Werbemittel. • Großformatige Werbemittel erzielen höhere Wirkungswerte als klein‐ formatige Werbemittel. • Werbemittel, die sexuelle Anreize beinhalten, erzielen bei Männern höhere momentane Aufmerksamkeitswirkungen als Werbemittel ohne solche Gestaltungselemente. • Originelle Werbebotschaften erzielen höhere Recognition-Werte als Werbebotschaften, die vergleichsweise übliche Werbebotschaften zum Inhalt haben. • Werbebotschaften mit aktuellem Bezug erzielen höhere Werbewir‐ kungswerte als Werbebotschaften mit geringem Aktualitätsgrad. • Leicht verständlich dargebotene Werbebotschaften erzielen höhere Wirkungswerte als vergleichsweise schwer verständlich dargebotene Werbebotschaften. Wissen | Die Wirkung einer kommunikationspolitischen Maß‐ nahme kann nur sehr beschränkt aus ihren einzelnen Komponenten abgeleitet werden. Ein Anbieter kann sich unter Missachtung aller „Er‐ folgsfaktoren“ allein aus der Differenzierung von den Wettbewerbern mittels seines Kommunikationsstils am Markt einen Vorteil hinsicht‐ lich der Werbewirksamkeit verschaffen. Die grundlegende theoretische Fragestellung hinter der Diskussion um einzelne Wirksamkeitsaussagen ist, ob für die Prognose der Wirkung einer Werbebotschaft bzw. eines Werbemittels elementenpsychologische oder ganzheitspsychologische Theorien besser geeignet sind (vgl. Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S. 234ff.). Während die Elementenpsychologie - vereinfacht ausgedrückt - davon ausgeht, dass die Wirkung einer Kommunikationsmaßnahme aus den Wirkungen der einzelnen Bestand‐ teile dieser Kommunikationsmaßnahme rekonstruierbar ist, verwirft die 456 8 Kommunikationspolitik <?page no="457"?> Ganzheitspsychologie diese Annahme. Die Wirkung einer bestimmten Kommunikationsmaßnahme wird nach Meinung von Gestalttheoretikern - einer Schule der Ganzheitspsychologie - wesentlich durch die Prägnanz ihrer Gestalt bestimmt. Die Qualität der Gestalt ergibt sich dabei nur aus einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, nicht aber als Summe einzelner Wirkkomponenten. Wenngleich die elementenpsychologische Schule nicht als völlig irrele‐ vant anzusehen ist, so legen vielfältige Analysen doch den Schluss nahe, dass eine ganzheitspsychologische Betrachtungsweise eher geeignet ist, die Wirkung von Kommunikationsmaßnahmen zu erklären, als elementenpsy‐ chologische Ansätze. Da es noch nicht gelungen ist, die entsprechenden Informationsverarbeitungsmechanismen vollständig aufzudecken (Neuro‐ marketing), ist es auch nicht möglich, „wirksame“ Kommunikationsmittel gewissermaßen analytisch zu konstruieren. Die praktische Folge des Mangels an theoretischer Erkenntnis ist die Unfähigkeit, effiziente Regeln für die Gestaltung von Werbebotschaften und Werbemitteln zu formulieren. Will man Aussagen über die Wirksamkeit bestimmter Werbebotschaften oder Werbemittel machen, so verbleibt keine andere Möglichkeit, als zunächst entsprechende Werbebotschaften und Werbemittel zu kreieren und sie dann zu beurteilen. Die Beurteilung kann dabei entweder von erfahrenen Fachleuten oder im Wege einer Be‐ fragung von Werbesubjekten vorgenommen werden (Werbe-Pretest). Als Wirkungsgrößen kommen dabei zum einen rein affektive Größen (Aufmerk‐ samkeitswirkung) und zum anderen auch kognitive Größen (Recall-Wert, Recognition-Wert) in Betracht (vgl. →-Abschnitt 8.4.2). Bei der Gestaltung der Werbebotschaft leisten bisweilen die allge‐ meinen Gesetzmäßigkeiten des Nachfragerverhaltens wichtige Anhalts‐ punkte. So lässt sich aus ihnen ableiten, dass Werbebotschaften, um akti‐ vierende Wirkungen (Aufmerksamkeit) zu erreichen, an die Motive des menschlichen Handelns anzuknüpfen haben. Um im Sinne des Werbungt‐ reibenden positive Einstellungen zu erzeugen, die noch dazu von einer gewissen Dauerhaftigkeit sind, ist es notwendig, nachhaltige Impulse zu geben, die eindeutig dem Werbeobjekt zugerechnet werden. Dies wird häu‐ fig durch die Herausstellung des einzigartigen Nutzens (Unique Selling Proposition) zu realisieren versucht (vgl. →-Abschnitt 8.2.2). 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 457 <?page no="458"?> 8.5.3 Die Auswahl von Werbeträgern - Die Werbestreuplanung 8.5.3.1 Werbeträgerauswahl im Inter- und Intramediabereich Im Rahmen der Werbestreuplanung geht man davon aus, dass die Werbe‐ mittel bereits feststehen und es „nur“ mehr darum geht, durch geeignete Streuung der Werbemittel die Wirkung der Werbemaßnahmen möglichst günstig zu gestalten. Unter dieser Voraussetzung ist die Wirkung einer be‐ stimmten kommunikationspolitischen Maßnahme allein vom so genannten Kontakterfolg abhängig. Im Rahmen der Werbestreuplanung sind grundsätzlich alle Werbeträger auf ihre Vorteilhaftigkeit hin zu analysieren. Betrachtet man allerdings die Werbemittel als gegeben, so besteht im Rahmen der Werbestreuplanung keine Wahl mehr etwa zwischen verschiedenen Trägern. Entsprechend einer in der Praxis üblichen Vorgehensweise verkürzt sich dann die Werbe‐ streuplanung auf eine Streuplanung im Intramediabereich. Ein Media‐ bereich umfasst nur Werbeträger, die sich durch eine gewisse Einheitlichkeit auszeichnen. Werbestreuplanung im Intramediabereich bedeutet demnach, dass es im Rahmen der Streuplanung nur darum geht, zwischen Media einer einzigen Mediagruppe auszuwählen, während im Falle der Streuplanung im Intermediabereich grundsätzlich alle Medien zu berücksichtigen sind. Da Media unterschiedlicher Mediabereiche üblicherweise andere Funktionen im Rahmen der Kommunikationsstrategie für ein Werbeobjekt auszufüllen haben und für die Gestaltung der Werbemittel je nach Mediagruppe andere „Gesetzmäßigkeiten“ zu beachten sind, nimmt man in der Praxis die Auf‐ teilung der kommunikationspolitischen Aktivitäten nach Mediagruppen zumeist im Vorfeld der Streuplanung vor. Wie bereits angedeutet, werden vielfach bereits im Bereich der Werbebudgetplanung nicht nur Budgets für klassische Werbung und Verkaufsförderung ermittelt, sondern zugleich wird eine Aufteilung der Budgets auf bestimmte Media oder Mediabereiche vorgenommen. Während dem Fernsehen (bewegte Bilder) komparative Vorteile bei der Schaffung und Veränderung von Einstellungen oder Präferenzen, mithin bei der Beeinflussung der Beurteilungsstruktur der Werbesubjekte, zugeschrieben werden, liegen die relativen Vorteile der Tagespresse (starre Bilder) vor allem in der Fähigkeit, schnell relativ viele Informationen zu übermitteln. Werbung im Fernsehen besitzt somit vor allem Bedeutung 458 8 Kommunikationspolitik <?page no="459"?> für die Darstellung von Funktionsweisen von Produkten und für emotionale Ansprachen (affektive Komponente), während Werbung in Tageszeitungen primär der Vermittlung sachorientierter Informationen (kognitive Kompo‐ nente) dient. Ähnliche Überlegungen gelten für verschiedene Formate, welche sich im Internet realisieren lassen. 8.5.3.2 Die Wirkung mehrfacher Aussendungen von Werbemitteln Werden bestimmte Werbemittel in einem oder mehreren Werbeträgern mehrmals geschaltet, so kann die Gesamtheit der Werbeerreichten in solche Personen unterteilt werden, die einmal, zweimal, dreimal etc. durch das Werbemittel erreicht wurden. Dieser Tatbestand macht es notwendig, den bereits eingeführten Reichweitenbegriff aus → Abschnitt 8.2.1.1 exakter zu fassen, wobei von einem Streuplan ausgegangen werden soll, der mehrere Einschaltungen eines Werbemittels vorsieht. • Die Bruttoreichweite oder Kontaktsumme eines Streuplans ist die Summe der Kontakte, die durch alle Einschaltungen im Rahmen eines Streuplans erreicht werden. • Die Nettoreichweite eines Streuplans ist dagegen die Anzahl der Perso‐ nen, die mindestens einmal kontaktiert werden. Sie ist numerisch nur dann der Bruttoreichweite gleich, wenn entweder nur eine Einschaltung vorgenommen wird oder die einzelnen Einschaltungen jeweils andere Personen erreichen. • Unter der internen Überschneidung eines Streuplans versteht man die Anzahl der mehrfachen Kontakte mit einem Medium (bei Zeitschrif‐ ten: mehrere Ausgaben oder eine Ausgabe des Mediums) des Streuplans. • Unter der externen Überschneidung eines Streuplans versteht man demgegenüber die Anzahl der mehrfachen Kontakte durch verschiedene Media eines Streuplans. • Unter dem Reichweitenzuwachs eines Mediums bei vorgegebenem Streuplan versteht man die Zunahme der Nettoreichweite infolge Ergän‐ zung des vorgegebenen Streuplans durch eine zusätzliche Einschaltung des betreffenden Mediums. Alle fünf Begriffe können absolut formuliert oder als relative Größen ausgedrückt werden. Als Bezugsgröße wird bei den Reichweitenbegriffen die Anzahl der Werbesubjekte und bei den Überschneidungsbegriffen die Kontaktsumme herangezogen. Reichweiten und Überschneidungen können 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 459 <?page no="460"?> a b c e f g k d h A1 B1 A2 S Z a, …, k = Mengen von Personen, die die gekennzeichneten Kontakte anweisen Darstellung 8.15: Venn-Diagramm für einen Streuplan mit einer Einschaltung zweier Ausgaben des Mediums A (A1 und A2) und einer Ausgabe des Mediums B (B1). darüber hinaus entweder auf Werbeträger- oder auf Werbemittelkontakte bezogen werden. Nachfolgend sollen die Zusammenhänge anhand eines Beispiels mit drei Werbeaussendungen verdeutlicht werden, die Reichweiten sind dabei als Werbeträgerreichweiten definiert. Die einzelnen Kreise in → Darstellung 8.15 stellen die Gesamtheit der Leser der entsprechenden Media dar, die Überschneidungsbereiche der Kreise deuten Mehrfachkontakte an. Das durch das Viereck gekennzeichnete Feld weist die Werbesubjekte (S) als Teilmenge der Gesamtbevölkerung über 14 Jahre (Z) aus. Bei absoluter Formulierung der Reichweitenbegriffe gilt: a + b + e + f: Leser der Ausgabe A1 des Mediums A (so genannte Leser pro Ausgabe [LpA], die dem Produkt aus Leser pro Exemplar [LpE] und der Auflage des Mediums gleich ist). b + c + d + f + g: Leser der Ausgabe A2 des Mediums A. 460 8 Kommunikationspolitik <?page no="461"?> e + f + g + h + k: Leser der Ausgabe B1 des Mediums B. a + b + c + d + e + f + g + h + k: Nettoreichweite des Streuplans. a + c + d + h + k + 2(b + e + g) + 3f: Bruttoreichweite des Streuplans. b + f: interne Überschneidung bei zweifacher Einschaltung des Mediums A. e + 2 f + g: externe Überschneidung zwischen Medium A und Medium B. c + d: Reichweitenzuwachs, wenn von einem Streuplan mit Einschaltungen von A1 und B1 auf den Streuplan mit Einschaltungen von A1, A2 und B1 übergegangen wird. Bei relativer Formulierung der Reichweitenbegriffe gilt: 0 ≤ a + b + e + f Z ≤ 1: Leser der Ausgabe 1 des Mediums A. 0 ≤ a + b + c + d + e + f + g + ℎ + k Z ≤ 1: Nettoreichweite des Streuplans. 0 ≤ a + c + d + ℎ + k + 2 b + e + g + 3f Z ≤ x: Bruttoreichweite des Streuplans aus A1, A2 und B1 (x: = Anzahl der Ein‐ schaltungen, gleichgültig welchen Mediums). 0 ≤ c + d Z ≤ 1: Reichweitenzuwachs, wenn von einem Streuplan mit Einschaltungen A1 und B1 auf den Streuplan mit Einschaltungen von A1, A2 und B1 überge‐ gangen wird. 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 461 <?page no="462"?> 0 ≤ b + f a + c + d + g + e + 2 b + f ≤ 1 y : interne Überschneidung bei zweifacher Einschaltung des Mediums A (y: = Anzahl der Einschaltungen im gleichen Medium). 0 ≤ e + 2f + g a + c + d + ℎ + k + 2 b + e + g + 3f : externe Überschneidung zwischen Medium A und Medium B. Berücksichtigt man schließlich, dass nur ein Teil der kontaktierten Personen tatsächlich Werbesubjekte sind, so können folgende Koeffizienten ermittelt werden (Nettoreichweite = Werbeerreichte): a + b + c + e + f + g + h: Nettoreichweite des Streuplans innerhalb der Gruppe der Werbesubjekte. 0 ≤ a + b + c + e + f + g + ℎ S ≤ 1: Werbesubjektabdeckung (Zielgruppenabdeckung). d + k: Streuverlust (absolut). 0 ≤ d + k a + b + c + d + e + f + g + ℎ + k ≤ 1: Streuverlust (relativ). Es ist einsichtig, dass man im Rahmen der Streuplanung bestrebt ist, einerseits den Streuverlust (Doppelkontakte werden hier nicht als Streuver‐ luste qualifiziert) möglichst gering zu halten, andererseits aber auch die Zielgruppenabdeckung möglichst groß werden zu lassen. Beide Ziele sind in der Regel allerdings konfliktär. Eine instruktive Darstellung des Reichweitenzuwachses bei Vergröße‐ rung der Anzahl der Schaltungen eines Mediums gibt die so genannte Kontaktverteilung, die für ein bestimmtes Medium wie in → Darstellung 8.16 aufgezeigt aussehen kann: 462 8 Kommunikationspolitik <?page no="463"?> Anzahl der Schaltungen eines Mediums werbeträgerbezogene Nettoreichweite (in % der Bevölkerung) 1 2 3 1X 1X 1X 2X 3X 2X 5 10 15 20 25 30 35 Darstellung 8.16: Kontaktverteilung eines Mediums. Diese Kontaktverteilung bringt zum Ausdruck, dass bei zweifacher Schal‐ tung des Mediums insgesamt 27 % der Bevölkerung erreicht wurden; 14 % sahen das Werbemittel einmal (erste oder zweite Schaltung) und 13 % (= 27%---14%) zweimal. Kontaktverteilungen stellen Spiegelbilder des Nutzungsverhaltens der durch das Medium erreichten Personen dar. Bei Media, die immer wieder von den gleichen Personen benutzt werden (Abonnementzeitungen, Media mit hohem Stammnutzeranteil), verläuft die Reichweitenkurve äußerst flach, bei Media, die stark schwankende Nutzerkreise aufweisen (Kaufzeitungen), dagegen vergleichsweise steil. Wichtige Quellen für Reichweiten verschiedener Medien in der Bundes‐ republik Deutschland sind in → Darstellung 8.17 zusammengestellt. 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 463 <?page no="464"?> Studie Mediaanalyse (MA) GfK-Fernsehfor‐ schung Allensbacher Werbe‐ träger-Analyse (AWA) Grundgesamtheit deutsche Wohn‐ bevölkerung in Privathaushal‐ ten ab 14 Jahren Erwachsene und Kin‐ der (ab 3 Jahre) in pri‐ vaten deutschen Fern‐ sehhaushalten deutsche Wohnbevöl‐ kerung in Privathaus‐ halten ab 14 Jahre: 64,08 Mio. Stichprobe ca. 25.000 bei Pressemedien, ca. 60.000 bei Hörfunk ca. 13.000 Personen ca. 20.000 Personen Auswahl random random quota Methodik mündliche In‐ terviews bei Print, telefoni‐ sche Interviews bei Hörfunk Haushaltspanel, elek‐ tronische Messung der TV-Nutzung (GfK-Meter) mündliche Interviews Erhebung jährlich täglich jährlich Erhebungs‐ themen Nutzung von Zeitschriften, Kino, Nutzung aller Hörfunksender elektronische Mes‐ sung der Programm‐ wahl der Familienmit‐ glieder, Reichweiten von Fernsehsendern, Soziodemografie, Be‐ sitzstände, Kaufpläne, Freizeit, Urlaubsver‐ halten, Markenver‐ wendung usw. Mediennutzung: Print, TV, Hörfunk, Kino, Pla‐ kat. Konsumgewohn‐ heiten: Ernährung, Urlaub, Gesundheit, Haus, Wohnen, Audio, Video, Computer, Telekommunikation, Kfz, Mode, Kosmetik Nutzen bei Mediaplanung Planung einer TV-Kampagne Zielgruppen- und Me‐ diaplanung Marktforschungsinstitut mehrere koope‐ rierende Mafo-Institute (z. B. GfK, Ipsos) GfK www.gfk.de Institut für Demosko‐ pie Allensbach www.ifd-allensbach.de/ Darstellung 8.17: Laufende Untersuchungen zum Mediaverhalten | Quelle: Schweiger u. Schrattenecker, 2021, S.-366. Die Kontaktverteilung stellt den Zusammenhang zwischen der Einschal‐ thäufigkeit und den Reichweitenangaben dar. Um die Werbewirkung - gemessen etwa in Recall- oder Recognition-Werten - in Abhängigkeit von der Kontakthäufigkeit darzustellen, bedarf es noch einer zusätzlichen Abbil‐ 464 8 Kommunikationspolitik <?page no="465"?> dung. Alternative Formen einer solchen Abbildung der Kontakthäufigkeiten in die Wirkungswerte sind in → Darstellung 8.18 abgebildet. Wie in → Darstellung 8.16 ist auch in diesem Schaubild die Treppenkurve durch eine kontinuierliche Kurve angenähert. Anzahl der Kontakte (m) 1 4 2 3 5 Werbewirkung maximale Werbewirkung a b c Darstellung 8.18: Wirkung alternativer Kontaktzahlen auf ein Individuum. Wenn angenommen werden kann, dass Individuen bereits beim ersten Kon‐ takt die individuell maximalen Recall- oder Recognition-Werte erreichen, ist die Wirkungskurve vom Typ a angemessen. Dies dürfte jedoch ein relativ seltener Grenzfall sein ebenso wie der Fall b, der eine proportionale Wirkungszunahme unterstellt. Die größte empirische Relevanz wird allgemein der Wirkungskurve von Typ c zugeschrieben, wobei auch hier unterstellt wird, dass jegliche Werbewirkung aufgrund einer gewissen Regelmäßigkeit bezüglich des Ausmaßes von Werbeanstrengungen und eines daraus resultierenden Wir‐ kungsniveaus eintritt. Dieser Zusammenhang wird als Werbewirkungs‐ funktion (vgl. Tietz u. Zentes, 1980, S. 239; Steffenhagen, 2000, S. 194f.) oder auch als Werbe-Response-Funktion bezeichnet. Wissen | In der Regel tritt erst nach einer gewissen Mindest-Kon‐ taktanzahl eine Werbewirkung beim Rezipienten auf. Der dargestellte Kurvenverlauf ist dadurch bedingt, dass bei geringen Kontaktzahlen noch gewisse psychische Hemmnisse gegen eine Entfaltung 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 465 <?page no="466"?> der Werbewirkung bestehen (vgl. zu den Rahmenbedingungen → Abschnitt 8.1.1) und bei hohen Kontaktzahlen gewisse Sättigungserscheinungen auftreten. Die personenindividuelle Kontaktwirkungskurve vom Typ c ist das Analogon zu der im Rahmen der Werbebudgetplanung diskutierten Wirkungskurve, die auf Personenmehrheiten abstellt. 8.5.3.3 Beurteilung alternativer Streupläne mittels qualitativer Tausenderpreise Bei den bisherigen Erörterungen wurden allein die Wirkungen von Werbe‐ streuungen berücksichtigt, nicht aber die Kosten der Streuung. Das am häufigsten gebrauchte Maß zur Beurteilung von Werbeträgern ist der so genannte Tausenderpreis. Wissen | Der Tausenderpreis beinhaltet diejenigen Kosten, die bei einem bestimmten Medium für 1.000 Kontakte bzw. für 1.000 erreichte Personen zu bezahlen sind. Tausenderpreis eines Streuplans auf der basis der Brutto bzw. Nettoreichweite = Kosten des Streuplans Brutto bzw. Nettoreichweite 1000 Für einen Streuplan, der nur aus einer Einschaltung eines einzigen Mediums be‐ steht, nehmen beide Tausenderpreise denselben Wert an. Es hat sich eingebür‐ gert, als Kosten einer Schaltung bei Zeitungen den Seitenpreis, bei Zeitschriften den Seitenpreis für schwarzweiße und den für vierfarbige Anzeigen, beim Fernsehen den Preis für einen 30-Sekunden-Spot und bei Plakatanschlägen den Preis für eine so genannte Ganzstelle pro Tag anzusehen. Der Vierfarben-Tausenderpreis für gängige aktuelle Zeitschriften so‐ wie der Tausenderpreis für einige andere Medien findet sich in → Darstel‐ lung 8.19 und → Darstellung 8.20. durchschnittliche Preis für 30-Sekunden-Spot bei ZDF zur Prime Time € 37.140 durchschnittliche Preis für 30-Sekunden-Spot bei ZDF zur Tageszeit € 6.540 durchschnittliche Preis für Radiowerbung bei Antenne Bayern € 2.580 Darstellung 8.19: Mediapreise von TV und Rundfunk | Quelle: ZDF u. Antenne Bayern, 2023. 466 8 Kommunikationspolitik <?page no="467"?> Bei den TV-Tausenderpreisen ist zu erkennen, dass die Spotpreise in er‐ heblichem Umfang in Abhängigkeit der Sendezeit schwanken. Sofern die Reichweitenangaben keinerlei qualitative Gesichtspunkte berücksichtigen, bezeichnet man sie häufig als quantitative Reichweiten und die entsprechen‐ den Tausenderpreise als quantitative Tausenderpreise. - Reichweite in Mio. Nettopreise in € für 1/ 1 Seite, 4-farbig Tausenderpreis Süddeutsche Zeitung (SZ) 1,23 € 85.870 € 69,81 Der Spiegel 5,04 € 99.500 € 19,74 BILD 8,23 € 600.000 € 72,90 Darstellung 8.20: Reichweiten und Vierfarben-Tausenderpreis für gängige Zeitschriften | Quelle: SZ, Spiegel u. Bild, 2023. Bei der Verwendung quantitativer Reichweiten und Tausenderpreise wird allen Werbeträgerkontakten der gleiche „Wert“ zugesprochen; dementspre‐ chend gering ist die Aussagekraft bei der Planung für ein konkretes Produkt. Bei der Verwendung qualitativer Reichweiten und Tausender‐ preise werden dagegen Unterschiede hinsichtlich der Qualität der durch die Medien hergestellten Kontakte und hinsichtlich der durch die Medien erreichbaren Personengruppen berücksichtigt. Die Erörterungen dieses Abschnitts bleiben beschränkt auf den Intrame‐ diabereich, d. h. eine Bewertung von Werbeträgern in einem bestimmten Mediabereich (z. B. Druckmedien), da die Gestaltung von Werbebotschaften und Werbemitteln an die Reproduktions- und Kontaktqualitäten der jewei‐ ligen Medien angepasst werden muss. Eine direkte Vergleichbarkeit der mediaspezifisch gestalteten Werbemittel ist nicht mehr gegeben. Grundsätz‐ lich ist eine Mediaauswahl auf der Grundlage von Tausenderpreisen jedoch auch im Intermediabereich möglich. Unterschiedliche Wertigkeiten werden üblicherweise mittels Gewichten ermittelt, wobei insbesondere folgende Gewichte verwendet werden: • Werbeträgergewicht: Es bringt die Wertigkeit eines Werbeträgerkon‐ taktes zum Ausdruck. Kontakte der Werbeerreichten mit den Werbeträ‐ gern sind insbesondere deshalb nicht für alle Werbeträger gleich, weil für alternative Media die Seitenkontaktwahrscheinlichkeiten und die 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 467 <?page no="468"?> Wirkungen eines Werbemittelkontaktes unterschiedlich sein können. Logischerweise gilt: werbemittelbezogene Reichweite = werbeträgerbezogene Reichweite × Seitenkontaktwahrscheinlichkeit • Neben diesem vergleichsweise technischen Aspekt geht in das Werbeträ‐ gergewicht auch die Kontaktqualität ein, die die relativen Unterschiede der Wirksamkeit von Kontakten in verschiedenen Media zum Ausdruck bringt. Unterschiede in Bezug auf die Kontaktqualität können beispiels‐ weise darin bestehen, dass das so genannte redaktionelle Umfeld in die Überlegungen mit einbezogen wird - in einer Special-Interest-Zeitschrift dürften einschlägige Anzeigen eine größere Wirkung erzielen. • Zielgruppengewicht: Dieses Gewicht soll die Zielgruppeneignung der Werbeerreichten zum Ausdruck bringen. In den meisten praktischen Fällen wird man versuchen, eine differenzierte Unterteilung etwa nach Maßgabe der Kaufvolumina oder der Einstellungen zu einem bestimm‐ ten Thema (z.-B. gesunde Ernährung) der einzelnen Gruppen von Werbe‐ erreichten vorzunehmen. Weiß man etwa, dass in → Darstellung 8.15 die Personen der Mengen a und b durchschnittlich vier Einheiten des fraglichen Produkts kaufen, die der Mengen c, e und f durchschnittlich eine Einheit und die Personen der Mengen g und h durchschnittlich zwei Einheiten, so liegt es nahe, folgende Werbeerreichtengewichte festzulegen: ea = eb = 1,0; ec = ee = ef = 0,25; eg = eh = 0,5; ed = ek = 0 Die soeben skizzierten Gewichtungsgrößen erlauben es in der Regel, das Werbestreuplanungsproblem realitätsnah abzubilden. Nach den Grundprin‐ zipien, die der Kalkulation mit dem Tausenderpreis zugrunde liegen, ist derjenige Streuplan der beste, der den geringsten Tausenderpreis aufweist. 8.5.4 Bestimmung des zeitlichen Einsatzes der Werbemittel - Das Werbetiming Vielfach wird die Bestimmung des Werbezeitpunkts als Teil der Werbestreu‐ planung aufgefasst, was insofern gerechtfertigt ist, als mit der Festlegung der Werbemedia und ihrer Einschalthäufigkeit implizit auch die Zeitpunkte der Einschaltungen der Werbung fixiert werden. Über dieses Problem hinaus werden nachfolgend drei weitere Aspekte des Werbetimings behandelt, die 468 8 Kommunikationspolitik <?page no="469"?> über die Kommunikationspolitik hinausgreifen und generelle marketingpo‐ litische Fragestellungen tangieren. 8.5.4.1 Zeitliche Verteilung des Werbebudgets In der Praxis unterscheidet man folgende Möglichkeiten, das Werbebudget im Zeitverlauf zu verteilen. Bei der Blitz Policy (→ Darstellung 8.21) wird das gesamte Werbebudget innerhalb einer relativ kurzen Zeit verbraucht, so dass zunächst eine hohe Werbewirkung erreicht werden kann. Diese lässt im Zeitverlauf allerdings nach. Zeit t Werbebudget Blitz Policy Darstellung 8.21: Zeitliche Verteilung des Werbebudgetspending (1). Bei der Even Policy (→ Darstellung 8.22) wird das Werbebudget über die Planungsperiode gleichmäßig verteilt. Zu Beginn der Werbemaßnahme können somit einmalig Wear-in-Effekte erzielt werden. Diese Form der Bud‐ getverteilung findet man insbesondere bei Low-Involvement-Produkten, wie z. B. Kartoffelchips, bei denen die Konsumenten ständig - ggf. mit kürzeren Spots - an das Produkt „erinnert“ werden müssen. Zeit t Werbebudget Even Policy Darstellung 8.22: Zeitliche Verteilung des Werbebudgetspending (2). 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 469 <?page no="470"?> Bei der Pulsing Policy (→ Darstellung 8.23) wird das Werbebudget in verschiedene Blöcke aufgeteilt, z. B. wird zwei Monate lang für das Produkt geworben und danach zwei Monate keine Werbung geschaltet. Der Vorteil besteht zumindest theoretisch darin, dass nach jeder Werbeaktion das Ausgangsniveau der Absätze höher liegt, da nach jeder Werbeaktion mit Carry-over-Effekten zu rechnen ist, die das Ausgangsniveau erhöhen. Zeit t Werbebudget Pulsing Policy Darstellung 8.23: Zeitliche Verteilung des Werbebudgetspending (3). Die Pulsing/ Maintanance Policy (→ Darstellung 8.24) stellt eine Misch‐ form zwischen der Pulsing Policy und Even Policy dar. Über den gesamten Zeitraum wird für das Produkt geworben, allerdings wechseln sich Zeiten mit einem hohen und niedrigen Werbebudgeteinsatz ab. Zeit t Werbebudget Pulsing / Maintanance Policy Darstellung 8.24: Zeitliche Verteilung des Werbebudgetspending (4). Theoretisch kann gezeigt werden, dass eine Werbebudgetierung mit pulsie‐ rendem Einsatz des Werbemittels vorteilhaft ist (vgl. Aravindakshan u. Naik, 2015). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Grundannahme dieser Verläufe darin besteht, dass die Werbebotschaft über den Planungszeitraum nicht verändert wird. Bei einer Änderung der Werbebotschaft sind auch entspre‐ chende Wear-in- und Wear-out-Effekte zu beobachten, so dass auch bei der 470 8 Kommunikationspolitik <?page no="471"?> Even Policy ein Absatzverlauf entsprechend der Pulsing Policy beobachtet werden kann, wenn die Werbebotschaft mehrfach verändert wurde. Auch andere Einflussfaktoren wie Konkurrenzaktivitäten, Produktspezifika und saisonale Einflüsse sind zu beachten, so dass zusammenfassend nicht von einer generellen Vorziehenswürdigkeit des pulsierenden Werbebudge‐ teinsatzes ausgegangen werden kann. 8.5.4.2 Werbepolitisches Aktivitätsniveau und Umsatzniveau im Zeitablauf Nach dem Aktivitätsniveau der werbepolitischen Maßnahmen im Zeitablauf kann zwischen einer periodischen und einer aperiodischen Werbestrate‐ gie unterschieden werden. Bei einer periodischen Werbestrategie werden die werbepolitischen Aktionen jeweils zu festgesetzten Zeitpunkten durch‐ geführt, z.-B. in Anlehnung an jahreszeitliche Schwankungen. Die werbepolitischen Schwerpunkte ergeben sich häufig aus Bedarfs‐ schwerpunkten, die periodisch wiederkehren und nicht ad hoc geplant werden. Feste Werbezyklen sind häufig auch deshalb notwendig, weil anders kaum eine Abstimmung mit anderen unternehmensinternen Aktivitätsbe‐ reichen (etwa Außendienst) und mit unternehmensexternen Entscheidungs‐ trägern (etwa Absatzmittler, Absatzhelfer) möglich ist. Von dem Begriffspaar periodisch vs. aperiodisch klar zu trennen ist das Begriffspaar prozyklisch vs. antizyklisch. Während beim ersten Begriffspaar ein unmittelbarer Bezug zurzeit hergestellt wird, ist dies beim zweiten Begriffspaar nur peripher gegeben. Als prozyklisch bezeichnet man diejenige Werbung, die bezüglich des Aktivitätsniveaus den Schwan‐ kungen des Umsatzniveaus folgt, als antizyklisch dagegen diejenige, die den Schwankungen des Umsatzniveaus entgegenläuft. Bei prozyklischer Werbung wird in Zeiten starker Umsatztätigkeit vergleichsweise intensiv geworben, während in Zeiten schwacher Umsatztätigkeit wenig geworben wird. Der zyklische Charakter von Werbemaßnahmen wird häufig dadurch induziert, dass die Höhe des Werbebudgets als proportionale Funktion des Umsatzes festgelegt ist. Die Vor- und Nachteile prozyklischer Werbung gegenüber antizykli‐ scher Werbung können wie folgt zusammengefasst werden: 8.5 Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes 471 <?page no="472"?> • Bei prozyklischer Werbung werden die Umsatzschwankungen ver‐ stärkt, was regelmäßig in den umsatzstarken Perioden zu Kapazität‐ sproblemen in der Produktion und im Distributionssystem führt. • Werbung zu Zeiten starker Umsatztätigkeit (= hoher allgemeiner Kauf‐ bereitschaft) ist zumeist vergleichsweise wirksamer als Werbung zu Zeiten geringer Kaufbereitschaft. • Werbemaßnahmen in Zeiten mit starker Werbetätigkeit werden häu‐ fig aufgrund der allgemein höheren Werbeaktivität vergleichsweise niedrigere Wirksamkeitswerte zugeschrieben als Werbemaßnahmen in Zeiten, in denen die Einzelmaßnahme nicht in der Menge der Werbeak‐ tivitäten „untergeht“. Obwohl eine Dämpfung von Umsatzschwankungen vom theoretischen Standpunkt als gewichtiges Argument für eine antizyklische Werbung angesehen werden muss, hat die antizyklische Werbung in der Praxis kaum eine größere Bedeutsamkeit erlangt, da die Werbeeffekte die negativen sonstigen Rahmenbedingungen nicht kompensieren können. 472 8 Kommunikationspolitik <?page no="473"?> Literaturverzeichnis A Aaker, D.A.; Kumar, V.; Leone, R.P.; Day, G.S. (2013): Marketing Research, 11th Ed. Hoboken. Aaker, D.A.; Kumar, V.; Day, G.S. (2007): Marketing Research, 9th Ed. New York. Akerlof, G. (1970): The Market for Lemons: Qualitative Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics 84, S.-488-500. Albers, S.; Krafft, M. (2013): Vertriebsmanagement. Organisation - Planung - Controlling - Support. Wiesbaden Alsharif, A.H.; Salleh, N.Z.M.; Baharun, R.; Hashem E,A.R.; Mansor, A.A.; Ali, J.; Abbas, A.F. 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Amoroso-Robinson-Relation-337 Analysen-159, 208 Anspruchsniveau-349 Aufgabenadäquanz-153 Auktionen-378 Ausgleichsgesetz der Planung-31 Außendienstpromotion-422 Ausstellung-380 Ausstrahlungseffekt-269, 443 Available Set-89 Awareness Set-89 Balanced Scorecard-159, 214 Barwertmethode-303 Bedarf-38, 43 Bedürfnis-38, 65, 75 Bedürfnisanalyse-159 Bedürfnisorientierung-45 Befragung-245 Erhebungsaufwand-246 Fragebogen-248 Kosten-245 Pretest-248 Rücklaufquote-248 Typen-247 Bekanntheitsgrad-446 Benchmarking-228 Beobachtung-249 Beschwerde-69 Beschwerdemanagement-70, 86 Bewertung-177 Beziehungsmarketing-34, 201, 269 Bezugsperson-100, 436 Bildkommunikation-408 Blindtest-110 Blitz Policy-469 Börse-379 Boston-Effekt-232 Branchenanalyse-224, 229 Branchenstruktur-229 Branding-137 Brand-Management-280 Break-even-Analyse-301f. Briefing-413 Budget-176, 451, 455 Budgetplanung-466 Bundling-345 Burden Sharing-144 Business Mission-128 Buying Center-119 Buzz-Marketing-433 Capabilities-129 Carry-over-Effekt-443 Category-Management-402f. <?page no="488"?> Chatbot-142 Churn Rate-430 Clusteranalyse-255 Conjoint-Analyse-257, 265, 354 Content-Marketing-432 Conversion Rate-429 Copy Strategy-414 Corporate Identity-416, 425, 428 Country-of-origin-Effekt-140 CPFR-Konzept-404 Cross Buying-335 Cross Selling-403 Crowdfunding-425 Customer Experience Management-63 Customer Journey-63 Customer-Relationship-Management 142, 206, 402 Database-Marketing-142, 207, 420 Data-Mining-208 Datenanalyse-253 Interpretation-258 Datengewinnung-243 Deckungsbeitrag-178, 302, 304f., 310 Deckungsbeitragsrechnung-183 Delphi-Befragung-246 Denken-90 Derivative Nachfrage-35 Deskriptive Darstellung-253 Deskriptive Preistheorie-325 Dienstleistung-141 Dienstleistungsmarketing-136 Dienstleistungsqualität-286 Diffusionstheorie-103 Digital Innovation Champion-122 Direktmarketing-207, 420 Direktvertrieb-383, 388 Display-Werbung-433 Dissonanzen-85 Distribution- akquisitorisch-370 Aufgaben-372 Bedeutung-371 Funktionen-365 Kosten-372 Organe-373 physisch-370 Politik-365, 367, 371 Quote-384 Ziele-368 Diversifikation-314f. Dominanz des Minimumfaktors-31 Dynamische Fähigkeiten (dynamic capabilities)-130 E-Commerce-206, 380 Economies of Scale-144, 395 Economies of Scope-144, 395 Effektivität-149, 235 Efficient Consumer Response-402 Effizienz-149, 235 Eigenerstellung-393 Einstellung-67, 79, 102, 441 Änderung-84, 446 Befragung-110 Wertvorstellung-81 Einzelhandel-375 Elastizität-168, 325, 333 Electronic Commerce-380 Elementenpsychologie-456 E-Mail-Newsletter-429 Empfänger-440 Engpassorientierung-31, 45, 197 Entscheidung-155, 321 Feld-187 Modell-185 488 Stichwörter <?page no="489"?> Rechnung-178 Situation-187 Erfahrung- Eigenschaften-412 Kurve-145, 232 Kurveneffekt-233 Kurvenkonzept-232 Even Policy-469 Evoked Set-89 Experiment-249 Markttest-251 Produkttest-250 Storetest-251 Expertenbefragung-354 Extrinktion-94 Extrinsische Merkmale-67 Eyetracking-448 Facial Coding-448 Fähigkeiten-129 Familienlebenszyklus-220 Foggy Set-89 Franchise-System-401 Fremdbezug-393 Frühwarnindikator-213 Glaubwürdigkeit-103 Gompertz-Funktion-231, 454 Gossen'sches Gesetz-346 Großhandel-375 Gruppen-96f., 100 Handel- ambulant-375 Einzelhandel-375 Franchising-401 Großhandel-375 Organisation-376 stationär-375 Handelsmakler-377 Handelspromotion-422 Herzratenerkennung-448 Horizon-439 House of Quality-297 Image-138 Fremdimage-82 Politik-82 Selbstimage-82 Impulskauf-91 Inbound-Marketing-432 Indikator-18, 60 Industrie 4.0-405 Inept Set-89 Inert Set-89 Influencer-100, 435ff. Information-87, 175 Asymmetrien-273 Funktion-280 Medien-441 Ökonomie-273, 412 Überflutung-408 Innovation-303, 314 angebotsorientiert-146 Bewertung-298 Führer-134 Marketing-134 nachfrageorientiert-145 Politik-290, 307 Prozess-291 Umfang-295 Innovationsmanagement-122 Innovator-103 Internationalisierung-372, 377, 393 Internet of Things-405 Intrinsische Merkmale-67 Stichwörter 489 <?page no="490"?> Involvement-73 Irradiation-68 Kannibalisierungseffekt-313 Kapitalwertmethode-303 Kaufentscheidungsprozess-62, 118 Alternativenmenge-88 Typen-90, 116 Käuferrente-344 Kaufinteressegrad-446 Kaufverhaltensprozess-103 Kaufverhaltensreaktion-222 Kausalanalyse-257 Kennzahlen-255 Kernkompetenz-130 Key-Account-Management-201, 395, 397 Keywords-431 Kommissionär-377 Kommunikation-102 Budget-455 einstufig-440 mehrstufig-105, 440 Modell-439 Strategie-413 Kommunikationspolitik-407, 410, 426, 444, 455 Bedingungen-407 Direktwerbung-420 Holistisch-426 Mediawerbung-418 Öffentlichkeitsarbeit-424 Product Placement-419 Verkaufsförderung-421 Konditionierung-94f. Konfrontationsstrategie-398 Kongruenz-196 Konkurrenz-158 Analyse-159, 228, 256 Bestimmung-158, 256 Forschung-224 Kosten- Degression-233 einzel-180 Entscheidungsrelevanz-182 fix-180 Führer-133, 234 Führer“-143 gemein-180 Rechnung-360 variabel-180 Kreuzpreiselastizität-334 Kultur-99 Kunden- Befragung-354 Beziehung-29 Bindung-70 Nähe-141, 402 Zufriedenheit-70 Künstliche Intelligenz (KI) 142, 363, 397 Lagrange-338 Ansatz-339 Multiplikator-338 Leasing-319 Lebensstil-83, 221 Lebenszyklus-230, 305 Lebenszykluskonzept-307 Leitbildwerbung-95f., 101 Lernen-93 Lerntypen-93 automatisches Lernen-94 instrumentelle Konditionierung-94 klassische Konditionierung-94 kognitive Berieselung-93 490 Stichwörter <?page no="491"?> Lernen am Erfolg-94 Lernen am Modell-95 Lernen nach dem Verstärkerprinzip-94 Mere Exposure-93 Line Extensions-44 Listungsgeld-399 Local-Content-Vorschriften-140 Machtbeziehung-397 Made-in-Effekt-140 Maintanance Policy-470 Marke-108 Kennzeichen-281 Management-282 Name-282 Politik-108, 280 Politik“-137 Transfer-283 Website-430 Market-based View of Strategy-129 Marketing-27, 29, 45, 90 Abteilung-32, 197 Analytics-239 Audit-174 Automation-142 balanced-52 Budget-176 Definition-28 Entscheidungsprozess-211 Ethik-52 Implementierung-19 Instrumente-40, 162, 165, 167 Intelligence-System-204f. Kontrolle-173 mehrstufig-35 Mix-162, 166 Planung-169, 174f. Strategie-427 Marketingbasisstrategie- Innovationsorientierung-134 Kostenorientierung“-143 Markierungsorientierung-280 Markierungsorientierung“-137 Qualitätsorientierung-135 Serviceorientierung-140, 278, 284 Sortimentsorientierung 142, 279, 287 Marketingforschung- Ablauf-243 Datenanalyse-253 Erkenntnisobjekte-214 Methoden-240 Nutzen-211 Stichprobe-251 Stichprobenauswahl-252 Stichprobenumfang-252 Marketingorganisation-32, 196 Key-Account-Management-201, 395 Marktforschung-204 Matrixorganisation-201 Produktmanagement-200 zweistufig-202 Market Pull-145 Markt- Abdeckung-384 Anteil-235 Attraktivität-164, 229 Ausschöpfung-216 Ausweitung-146 Bearbeitung (differenziert)-44, 48, 133 Bearbeitung (undifferenziert)-133 Bearbeitungsphasen-145 Durchdringung-104 Kanal-370, 387, 397 Kennzahlen-255 Stichwörter 491 <?page no="492"?> Kommunikation-439 Konsumgütermarkt-114 Nische-271 Penetration-312 Potenzial-215 Produktivgütermarkt-114 Reaktionsfunktion-326 relevanter-42, 158, 215, 217 Segmentierung-44, 47, 145, 218, 255, 313 Segmentierung (Bedingungen)-223, 345 Segmentierung (preisbezogene)-343 Sicherung-147 Test-251 vollkommener-325 Volumen-39, 215 Marktforschung- Informationsquellen-204 Organisation-204 Problem-188 Mediawerbung-418 Bruttoreichweite-459 Kontaktqualität-468 Kontaktsumme-444 Kontaktverteilung-462 Nettoreichweite-459 Reichweite-418, 444, 463 Seitenkontaktwahrscheinlichkeit 445 Tausenderpreis-466 Zielgruppenabdeckung-462 Zielgruppeneignung-468 Mehrdimensionale Skalierung-256 Meinungsführer-101, 103, 440 Merchandise-422 Mere-Exposure-Effekt-93 Merkmal- extrinsisch-67 intrinsisch-67 Messe-379 Metaverse-437 Me-too-Produkt-94, 290 Microtargeting-207 Mindest-Kontaktanzahl-465 Minimal Viable Product-291 Mitläufer-Effekt-71 Mittelwerte-253 Mobile-Marketing-142 Mobile-Optimierung-432 Modell-17 Entscheidungsmodell-185 Gesamtmodell des Konsumentenverhaltens-73 Kaufentscheidungsprozessmodell 62, 118 Kommunikationsmodell-439 Verhaltensmodell-60 Monopol-325 Motiv-75 Konsum-77 Motivationstheorie-76 Multi-Channel-63, 381, 392 Multiplikator-101, 103 Nachfrage- derivativ-35, 115 Networkingstrategie-381 Neuroimaging-Techniken“-447 Neuromarketing-447f., 457 Neuronale Netze-257 Normative Preistheorie-325 Normen-97 Obsoleszenz-311 Öffentlichkeitsarbeit-166, 424 Off-Page-Optimierung-432 492 Stichwörter <?page no="493"?> Oligopol-325 Omni-Channel-63, 381, 392 One-to-One-Marketing-208, 420 Onlinekommunikation-429 Onlinewerbung-432 On-Page-Optimierung-431 On Set Placement-419 Operationalisierung-61 Organisation- Franchising-401 Handel-376 Informationswirtschaft-204 Marketing-196 Marketingforschung-212 Marktkanal-388 Out-of-stock-404 Over-Engineering-136 Paketpreis-345 Panel-241, 445 Peer Groups-98 Persönlicher Verkauf-393 Perzeption-23, 66, 82, 131, 136, 266 Perzeption“-46 Pestel-Analyse-163, 215 Plankosten-180 Planung- flexibel-171 rollierend-172 starr-171 Planungshorizont-170 Planungskoordination-170 Planungsprozess-156, 160 Planungsrechnung-178 Plattformökonomie-380 Plattformstrategie-314 Polypol-325, 330, 336 PoP-Werbung-422 Portfolio-234, 236 Positionierung-162, 273, 414 Potenzialanalyse-159, 227 Präferenz-67, 81 Predictive Analytics-237 Predictive Maintenance-405 Preisabsatzfunktion-325f., 329, 344, 353 Annahmen-332 doppelt geknickte-342 Empirische Bestimmung-353 linear-327 multiplikativ-327 Preisbereitschaft-323, 348, 379 Preisbündelung-345 Preisdifferenzierung-343, 345f. Preiselastizität-333 Kreuzpreiselastizität-334 Preisexperimente-354 Preisfindung-361 Preispolitik-317ff., 322, 362 Preis-Qualitäts-Irradiation-351f. Preisschwellen-363 Preisstellung- Amoroso-Robinson-Relation-337 gewinnmaximal-336 progressive Kalkulation-361 retrograd-362 Sonderangebot-358 umsatzmaximal-335 Preistheorie- Marktformenschema-324, 340 Primärforschung-243 Befragung-245 Beobachtung-249 Experiment-249 Methoden-244 Product Placement-419 Stichwörter 493 <?page no="494"?> Produkt- Absatzorientierte Leistung-267 -differenzierung-279, 313 -diversifikation-314 -elimination-305, 311 -entwicklungsprozess-291 Innovationsumfang-295 Garantie-278 Grundnutzen-277 -innovation-314 -modifikation-313 -nutzen-268 Nutzenbündel-267 -pflege-313 -positionierung-273 -relaunch-313 -variation-313 Zusatznutzen-278 Produktbegleitende Dienstleistung-313 Produktbewertung-298 ABC-Analyse-308 Barwertmethode-303 Break-even-Analyse-301 Punktbewertung-300 Produktbündelung-345 Produktdimensionen-276 Produktentwicklungsprozess- House of Quality-297 Kundenorientierung-298 Quality Function Deployment-296 Produktidee-291 Produktlebenszyklus-230, 304, 307 Aussagen-308 Normstrategien-307 Produktmanagement-200 Produkt-Markt-Konzept-161, 371 Produkt-Markt-Matrix-312 Produktobsoleszenz-263, 311 Produktpolitik-264 Ziel-265 Produktqualität-277, 298 Produkt-Service-Systeme-283 Produkttest-110, 250 Produktwahrnehmung- Gemeinsamer Merkmalsraum-271 Objektraum-270 Wettbewerbsintensität-270 Promotion-422 Promotorenmodell-121 Prospect-Theorie-92 Prozessorientierung-228 Public Relations-166, 424 Pulsing Policy-470 Punktbewertungsverfahren-223, 300 Push- und Pull-Strategie-399, 419 Qualität-108, 136 Führer-135 Funktion-366 Indikator-358 Management-298 Quality Function Deployment-296 Quantitätsfunktion-366 Raumüberbrückungsfunktion-366 Reaktanz-93 Reaktionen-72 Recall- Test-445 Wert-445 Recognition- Test-445 Wert-445 Regressionsanalyse-255 Reichweite-418, 459 Reiz-Generalisierung-94 494 Stichwörter <?page no="495"?> Relationship-Marketing-34, 142, 269 Relaunch-313 Relevant Set-89, 266 Repräsentativität-251 Reputation-313, 411 Resilienzmanagement-130 Resource-based View of Strategy-129 Risiko-92, 189, 314 wahrgenommenes-68, 92 Ritual-430 Rollen-96f. Sättigungsniveau-348 Schätzgenauigkeit-258 Schläfer-Effekt-449 Schleichwerbung-419 Search Engine Advertising (SEA)-433 Segmentierung-221 Segmentierungsmerkmal- geographisch-219 psychographisch-219 reaktionsbezogen-219 soziodemographisch-219 Seizing-130 Sekundärforschung-240 Selbstkonzept-82 Selling Center-121 Sender-440 Sensing-130 Shelf-ready-Packaging-398 Signaling-411 Signifikanz-251 Situationsanalyse-160 Situationsbericht-175 Skonto-319 Snob-Effekt-71 Social-Marketing-425 Social Media- Kampagne-435f. Kanäle-435 Plattformen-436 Werbung-433 Sonderangebotspolitik-358 Sortiment-287 Bildungsfunktion-366 Struktur-376 Soziale Gruppe-96f. Einflusskreise-98 Normen-97 Schicht-98 Sozialisation-98, 100 Status-97 Subkultur-98 Sozialisation-98, 100 Spill-over-Effekt-444 Sponsoring-425 Sprungwerbung-419 Stakeholder-34, 424 Standardabweichungen-253 Standortbewertung-386 Standortpolitik-383 Status-97 Stellenadäquanz-153 Stimuli-72 Storetest-251 Strategie-155f., 159 Kanal-155 Strategische- Analyse-159 Dreieck-156 Geschäftseinheit-195 Geschäftsfeld-195 Gruppe-230 Marketing-233 Relevanz-227 Stichwörter 495 <?page no="496"?> Subkulturen-98 Sucheigenschaften-412 Suchmaschinen- Optimierung-431 Werbung-433 Supply-Chain-Management-370, 405 Surrogatmerkmal-138 Synergieeffekte-315 Szenario-163, 238 Target Costing-265, 362 Tarife-347 Tausenderpreis-466 Technology Push-146 Theorie der kognitiven Dissonanz-84 Touchpoints-63 Transforming-130 Übernahmeverteilung-104 Umfeldanalyse-211, 226 Umwelt-175, 187 Unique Selling Proposition-273, 283, 428, 457 Unsicherheit-158, 189, 238 Unternehmen- Kernkompetenz-150 Philosophie-150 Vision-150 Website-430 Validität-61 Veblen-Effekt-71 Verbraucherpromotion-422 Verkaufsförderung-421 Vertikale Abnehmerbindung-400 Vertikales Marketing-202, 398 Vertrauenseigenschaften-412 Vertrieb-365 Vierfarben-Tausenderpreis-466 Virales Marketing-433 Virtual Reality-437f. Virtueller Assistent-142 Vorteilhaftigkeit-203 Wahrnehmung-87 Wahrnehmungsschwellen-87 Wear-in/ -out-Effekte-470 Website-430 Marketing-430 Werbeagentur-413 Werbebotschaft-414, 428, 457 Werbebudget-449, 469 Werbefunktion-366 Werbekonstante-416, 428 Werbemittel- Recall-Wert-445 Recognition-Wert-445 Werbemittelgestaltung-455 Werbestreuplanung-458 Werbetiming-468 Werbeträger-414 Werbewirkungskurve-453, 465 Werbung- Aktions--415 Image--415 Leitbildwerbung-95, 101 Wertschöpfungskette-228 Wertvorstellungen-81 Wettbewerbsintensität-270 Wettbewerbsvorteil-129, 157, 228, 234 Wiederkäuferanteil-446 Wir-Bewusstsein-96 Wir-Gefühl-417 Wissensmanagement-294 496 Stichwörter <?page no="497"?> Ziel- Anforderungen-152 Definition-151 Hierarchie-150 Konflikt-153 ökonomisch-154 System-150 vorökonomisch-154 Zielgruppe-97, 100 Zielgruppengewicht-468 Zufriedenheit-69 Zusammengehörigkeitsgefühl-96 Zweckneutralität-204 Stichwörter 497 <?page no="498"?> Unternehmen, Marken und Produkte 4711 Echt Kölnisch Wasser-281 8x4-281 Aldi-83 Always-436 Amazon-141, 432, 434 Apple Watch-139 Audi A6-42 Beiersdorf-281 Blancpain-139 Blendtec-434 BMW-45, 281 Coca-Cola-436 De Beers-341 Decentraland-438 Deutsche Post-281 Deutsche Telekom-281 dm-280 Dr. Koch‘s Trink 10-256 Facebook-432, 438 Gauloise-41 Google AdWords-433 Google Chatbot Bard-142 Hornbach-432 Hyundai-448 Instagram-432, 437 KiK-144 Kupa-21 Lacoste-280 Lowe’s-438 Manolo Blahnik-419 McDonald’s-83, 438 Mercedes-280f. Meta-438 Montblanc-139 National Cancer Institute-448 Nike-281, 433, 436 Odol-281 Old Spice-434 OpenAI-142 PlayStation VR-437 RECUP-11 Revlon-50 Rocher-283 Ryanair-144 Second Life-438 Siemens-431 Sony-308, 437 Standard Oil-38 Steinway & Sons-38 TEDi-144 <?page no="499"?> Volvo-439 VRChat-438 VW Golf-43 VW Passat-340 YouTube-432, 437 Zalando-431 Unternehmen, Marken und Produkte 499 <?page no="500"?> ISBN 978-3-8252-5866-5 Roland Helm Herbert Endres Marketing strategisch analysieren und marktorientiert umsetzen 9. Auflage Marketingstrategien effektiv entwickeln Sie wollen in die dynamische Welt des Marketings und der marktorientierten Unternehmensführung eintauchen - dann ist dieses Buch ideal für Sie. Es bietet Praxiseinblicke und lässt Neues, wie Künstliche Intelligenz, Chatbots, Metaverse und Virtual Reality, nicht außer Acht. Es führt in die Grundlagen der Marketingtheorie und des Nachfragerverhaltens ein. Zudem stellt es das Informationsmanagement vor und zeigt so die Möglichkeiten der Analyse von Nachfragetrends und Konkurrenzbedingungen auf. Es beleuchtet außerdem die Produktpolitik, Preisgestaltung, Vertriebs- und Distributionsstrategien sowie Kommunikationspolitik wissenschaftlich. Die 9. Auflage ist weit mehr als ein Lehrbuch, denn sie bereitet Studierende und Führungskräfte optimal auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor. Betriebswirtschaftslehre Marketing 9. A. Helm | Endres Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2024-02-09_5866-5_Helm_Endres_M_919_PRINT.indd Alle Seiten 2024-02-09_5866-5_Helm_Endres_M_919_PRINT.indd Alle Seiten 09.02.24 11: 26 09.02.24 11: 26