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Medizinrecht

1114
2022
978-3-8385-5892-9
978-3-8252-5892-4
UTB 
Constanze Janda
10.36198/9783838558929

Das Medizinrecht gewann im Rahmen der Corona-Pandemie an Bedeutung. Es berührt neben dem Öffentlichen Recht auch das Zivil- sowie Strafrecht. Die fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage stellt die Querschnittsmaterie vor: Constanze Janda geht auf das Recht der gesetzlichen Krankenkassen, das ärztliche Berufsrecht und die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzt:innen und Patient:innen ein. Auch das Vertragsarztrecht, die Leistungserbringung durch Krankenhäuser sowie die Versorgung mit Arzneimitteln und das Heil- und Hilfsmittelrecht stellt sie dar und beleuchtet das Arzthaftungsrecht und die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzt:innen. Auch die aktuelle Gesetzgebung, etwa zum Digitale Versorgung-Gesetz, berücksichtigt sie neu in dieser Auflage.

<?page no="0"?> Constanze Janda Medizinrecht 5. Auflage <?page no="1"?> utb 3341 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Constanze Janda ist Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. <?page no="3"?> Constanze Janda Medizinrecht 5., überarbeitete und aktualisierte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> 5., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2022 4., überarbeitetet und erweiterte Auflage 2019 3., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage 2016 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage 2012 1. Auflage 2010 DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838558929 © UVK Verlag 2022 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 3341 ISBN 978-3-8252-5892-4 (Print) ISBN 978-3-8385-5892-9 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5892-4 (ePub) Umschlagabbildung: © Hispanolistic | iStockphoto Autorinnenbild: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 5 Inhalt Vorwort zur 5. Auflage 17 Abkürzungsverzeichnis 19 1. Kapitel : Einführung 25 A. Begriff des Medizinrechts 25 B. Rechtsquellen des Medizinrechts 28 C. Historische Entwicklung des Medizinrechts 31 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 41 A. Abgrenzung 42 I. Gesetzliche Krankenversicherung 42 II. Private Krankenversicherung 42 III. Beihilfe 43 IV. Sozialhilfe 43 B. Organisation der Krankenkassen 45 I. Die Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts 45 II. Das Prinzip der Selbstverwaltung 46 III. Organe der Krankenkassen 47 1. Verwaltungsrat 48 2. Vorstand 48 IV. Die Kassenarten 49 C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung 51 I. Pflichtversicherung, § 5 SGB V 51 1. Gegen Entgelt beschäftigte und gleichgestellte Personen 51 2. Der Auffangtatbestand § 5 I Nr. 13 SGB V 51 a. Anderweitige Absicherung im Krankheitsfall 52 <?page no="6"?> 6 b. Ausgestaltung der Versicherungspflicht 53 c. Durchsetzung der Versicherungspflicht 55 II. Versicherungsfreiheit, §§ 6, 7 SGB V 56 III. Versicherungsbefreiung, § 8 SGB V 57 IV. Freiwillige Versicherung, § 9 SGB V 58 V. Familienversicherung, § 10 SGB V 58 D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 59 I. Der Gesundheitsfonds als Sondervermögen der GKV 59 II. Beiträge 60 1. Abgrenzung zu anderen Abgabenarten 60 2. Einzug und Höhe der Beiträge 61 III. Bundeszuschuss, § 221 SGB V 62 IV. Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen 63 1. Standardisierte Leistungsausgaben 63 2. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich 64 a. Der Risikostrukturausgleich nach § 266 SGB V a. F. 64 b. Der „Morbi-RSA“ nach § 266 SGB V n. F. 65 3. Zuweisungen zur Finanzierung sonstiger Ausgaben, § 270 SGB V 66 V. Zusatzbeiträge der Krankenkassen 67 VI. Wahltarife 68 1. Die Tarife im Einzelnen 69 a. Selbstbehalttarif, § 53 I SGB V 69 b. Leistungsvermeidungstarif, § 53 II SGB V 69 c. Tarif für besondere Versorgungsformen, § 53 III SGB V 70 d. Kostenerstattungstarif, § 53 IV SGB V 70 e. Tarif für Arzneimittel besonderer Therapierichtungen, § 53 V SGB V 71 f. Krankengeld-Wahltarif, § 53 VI SGB V 71 2. Allgemeine Regeln für die Ausgestaltung der Wahltarife 71 E. Leistungsrecht 73 I. Versicherungsfall „Krankheit“ 73 1. Subjektiver Krankheitsbegriff 73 2. Objektivierbare Definitionsansätze 74 a. Der Gesundheitsbegriff der WHO 74 b. Der Krankheitsbegriff in der Rechtsprechung 75 c. Einzelfälle 76 3. Selbst verursachte Krankheiten 78 II. Sicherstellung der Leistungserbringung 79 1. Sachleistungsprinzip 79 <?page no="7"?> 7 2. Kostenerstattungsprinzip 80 a. Wahl der Kostenerstattung, § 13 II SGB V 81 b. Systemversagen, § 13 III, IIIa SGB V 82 c. Inanspruchnahme von Leistungserbringern in der EU, § 13 IV-VI SGB V 83 aa. Europäisches koordinierendes Sozialrecht 84 bb. Kostenerstattung nach § 13 IV SGB V 84 III. Grundsätze der Leistungserbringung 85 IV. Die Beurteilung von Behandlungsmethoden 86 1. Der Gemeinsame Bundesausschuss, §§ 91 f. SGB V 87 2. Anerkennung neuer Heilmethoden durch den GBA 88 3. Ausnahmen vom Erlaubnisvorbehalt des § 135 SGB V 89 V. Der Leistungskatalog des SGB V 92 1. Krankengeld 92 2. Sach- und Dienstleistungen 92 3. Zuzahlungen 92 a. Höhe und Abrechnungsverfahren 93 b. Überforderungsschutz 95 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht 97 A. Rechtsgrundlagen 98 B. Zugang zum Arztberuf 100 I. Der Arztberuf als freier Beruf 100 II. Zulassung zur Berufsausübung - Die Approbation 100 1. Voraussetzungen der Approbation 101 2. Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Approbation 102 III. Die Niederlassung 103 IV. Kooperative Formen der Leistungserbringung 104 1. Gemeinschaftspraxis 104 2. Praxisgemeinschaft 106 3. Praxisverbund 107 C. Standesorganisationen der Ärzte 108 I. Die Ärztekammern 108 1. Mitgliedschaft 108 2. Organe 109 3. Aufgaben 109 <?page no="8"?> 8 II. Die Bundesärztekammer 110 III. Sonstige berufsständische Verbände 111 D. Berufsständische Pflichten des Arztes 112 I. Heilauftrag 113 1. Behandlungspflicht 113 2. Privatautonomie 114 3. Notdienst 115 II. Fortbildungspflicht 116 III. Partnerschaft zwischen Arzt und Patient 117 1. Grundlagen 117 2. Aufklärungspflicht 118 3. Schweigepflicht 118 4. Dokumentationspflicht 119 IV. Kollegialität 120 V. Verbot berufswidriger Werbung 120 E. Berufsgerichtsbarkeit 122 I. Zuständigkeit der Berufsgerichte 122 II. Berufsgerichte und das Verbot der Doppelbestrafung 123 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten 125 A. Der Behandlungsvertrag 126 I. Rechtsnatur des Behandlungsvertrags 126 II. Kontrahierungszwang 127 III. Zustandekommen des Behandlungsvertrags 129 1. Vertragsschluss bei Geschäftsunfähigen 129 2. Vertragsschluss bei beschränkt Geschäftsfähigen 131 B. Vertragliche Pflichten des Arztes 133 I. Informationspflichten 133 II. Behandlungspflicht 133 III. Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung 135 IV. Aufklärung und Einwilligung des Patienten 136 1. Arten der Aufklärung 136 2. Umfang der Aufklärungspflicht 140 <?page no="9"?> 9 3. Adressaten der Aufklärung 141 4. Art und Weise der Aufklärung 144 V. Dokumentationspflicht 144 VI. Schweigepflicht des Arztes 145 VII. Sonstige Pflichten des Arztes 146 C. Vertragliche Pflichten des Patienten 147 I. Pflicht zur Vergütung von Behandlungsleistungen 147 1. Geltungsbereich der GOÄ 148 2. Höhe der Vergütung 149 II. Mitwirkungspflicht (Compliance) 150 III. Sonstige Pflichten des Patienten 151 5. Kapitel: Vertragsarztrecht 153 A. Grundlagen 153 B. Die Kassenärztlichen Vereinigungen als Träger der vertragsärztlichen Versorgung 155 I. Organisation 155 II. Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen 156 III. Pflichtmitgliedschaft 157 C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern 158 I. Kollektivverträge 158 1. Bundesmantelvertrag, § 82 I SGB V 159 2. Gesamtverträge, § 83 SGB V 159 II. Einzelverträge 160 1. Hausarztzentrierte Versorgung, § 73b SGB V 160 2. Besondere Versorgung, § 140a SGB V 161 a. Vertragspartner 162 b. Anforderungen an die besondere Versorgung 163 c. Teilnahme an der besonderen Versorgung 164 3. Strukturierte Behandlungsprogramme, § 137f SGB V 164 III. Zusammenfassung: Kollektiv- und Einzelverträge in der GKV 166 D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 167 I. Verfassungsmäßigkeit des Zulassungserfordernisses 168 <?page no="10"?> 10 II. Voraussetzungen der Zulassung 169 1. Einzelzulassung 169 2. Zulassung zur kooperativen Leistungserbringung 171 a. Gemeinschaftspraxis 171 b. Medizinisches Versorgungszentrum 171 3. Ermächtigung 174 III. Bedarfsplanung 175 1. Bedarfsregelung nach der RVO 176 2. Bedarfsgesteuerte Zulassung nach §§ 99 ff. SGB V 177 a. Unterversorgung, § 100 SGB V 178 b. Überversorgung, § 101 SGB V 179 IV. Rechtsfolgen der Zulassung 181 1. Vertragsarztsitz und Zweigpraxis 182 2. Pflicht zur vollzeitigen Berufsausübung 183 3. Präsenzpflicht 183 4. Besondere vertragsärztliche Behandlungspflicht 184 a. Recht zur Ablehnung von Patienten 184 b. Persönliche Leistungserbringung 185 c. Einhaltung der Fachgebietsgrenzen 186 5. Teilnahme am vertragsärztlichen Notdienst 187 6. Anstellungsrecht 188 V. Der berufliche Status des Vertragsarztes 189 VI. Ende der Zulassung 190 1. Ruhen der Zulassung, § 95 V SGB V 190 2. Entziehung der Zulassung, § 95 VI SGB V 191 3. Fristablauf, § 97 VII SGB V, § 19 IV Ärzte-ZV 191 4. Sonstige Beendigungsgründe, § 95 VII SGB V 192 E. Haus- und fachärztliche Versorgung 194 I. Hausärztliche Versorgung 194 II. Fachärztliche Versorgung 195 F. Vergütung der Vertragsärzte 196 I. Einheitlicher Bewertungsmaßstab 196 II. Euro-Gebührenordnung 198 III. Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung 198 IV. Honorarverteilung 200 V. Konsequenzen des Vergütungssystems für die Vertragsbeziehungen bei Kassenpatienten 201 <?page no="11"?> 11 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser 205 A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem 205 I. Rechtsquellen 206 II. Begriff des Krankenhauses 207 III. Typologie der Krankenhäuser 208 IV. Träger stationärer Einrichtungen 210 B. Krankenhausplanung und -finanzierung 212 I. Planung 212 1. Planungskriterien 212 2. Anspruch auf Aufnahme in den Krankenhausplan 214 II. Finanzierung 214 1. Investitionskosten 214 a. Begriff 215 b. Förderungsmodus 215 2. Betriebskosten 216 C. Organisation des Krankenhauses 218 I. Gliederung des Krankenhauses 218 II. Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Krankenhaus 219 III. Besonderheiten beim Chefarzt 220 1. Der Chefarzt als leitender Angestellter 220 2. Liquidationsrecht 221 IV. Exkurs: Arbeitszeit der Klinikärzte 223 D. Der Behandlungsvertrag 225 I. Kontrahierungszwang 225 II. Rechtsformen des Behandlungsvertrags im Krankenhaus 226 1. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag 226 2. Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag 227 E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 228 I. Zugelassene Leistungserbringer in der stationären Versorgung 228 1. Plankrankenhäuser 228 2. Vertragskrankenhäuser 229 3. Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung 230 II. Der Anspruch auf stationäre Versorgung nach SGB V 233 1. Abgrenzung der stationären Behandlung 233 <?page no="12"?> 12 2. Nachrang der vollstationären Behandlung 234 3. Umfang des Anspruchs 235 III. Vergütung von Krankenhausleistungen durch die Krankenkassen 235 1. Vertragsschluss 235 2. Tagessätze und Fallpauschalen 236 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 241 A. Begriff des Arzneimittels 242 B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 247 I. Herstellungserlaubnis 247 II. Zulassung von Arzneimitteln 248 1. Europäisches Zulassungsverfahren 249 2. Dezentrales Zulassungsverfahren 251 3. Zulassung nach deutschem Recht 252 a. Zulassungsantrag, § 22 AMG 252 b. Verfahren 253 c. Anspruch auf Zulassung 255 d. Zulassung von Generika 256 e. Rücknahme, Widerruf, Ruhen und Erlöschen der Zulassung 258 III. Abgabe von Arzneimitteln 259 1. Abgabeverbote 260 2. Apothekenpflicht 262 3. Verschreibungspflicht 263 C. Rechtsstellung der Apotheker 265 I. Approbation 265 II. Apothekenerlaubnis 266 1. Erteilungsvoraussetzungen 266 2. Mehr- und Fremdbesitzverbot 267 III. Aufgaben des Apothekers 269 IV. Versandhandel als besondere Vertriebsform 269 D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV 272 I. Anspruch der Versicherten 272 1. Verordnungsfähigkeit und Zulassung 272 2. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel 274 <?page no="13"?> 13 3. Ausschluss von Bagatell- und Lifestyle-Arzneimitteln 275 4. Off-Label-Use 276 5. Verordnungsfähigkeit nicht zugelassener Arzneimittel 277 II. Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Apotheken 278 III. Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den pharmazeutischen Unternehmen 280 E. Entgelte für Arzneimittel 281 I. Zulässige Preisspannen nach AMPreisV 281 II. Rabattpflichten nach SGB V 283 III. Bestimmung von Festbeträgen 285 1. Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Europarecht 285 2. Verfahren der Festbetragsbestimmung 286 3. Folge der Festbetragsregelung 286 4. Festbetragsfreiheit innovativer Arzneimittel 287 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht 291 A. Versorgung mit Heilmitteln 292 I. Berufsrecht 292 II. Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung 293 1. Umfang des Anspruchs 293 2. Zulassung zur Leistungserbringung 295 a. Zulassungsvoraussetzungen 295 b. Versorgungsverträge 296 3. Rechtsbeziehungen bei der Leistungserbringung 298 B. Versorgung mit Hilfsmitteln 300 I. Berufsrecht 300 II. Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung 301 1. Umfang des Anspruchs 302 a. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens 303 b. Brillen und Kontaktlinsen 304 c. Leistungsausschluss nach § 34 IV SGB V 305 d. Hilfsmittelrichtlinie des GBA 305 2. Hilfsmittelverzeichnis 306 a. Aufnahme von Hilfsmitteln 306 b. Verbindlichkeit des Hilfsmittelverzeichnisses 307 <?page no="14"?> 14 III. Zulassung von Leistungserbringern zur Hilfsmittelversorgung 308 1. Vertragsschluss nach Ausschreibung gemäß § 127 I SGB V 309 2. Rahmenverträge nach § 127 II SGB V 311 3. Einzelverträge nach § 127 III SGB V 312 IV. Vergütung 312 V. Abgrenzung zur Hilfsmittelversorgung im Pflegeversicherungsrecht 313 C. Digitale Gesundheitsanwendungen 315 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 319 A. Allgemeines 319 B. Fehlverhalten des Arztes 322 I. Behandlungsfehler 322 1. Diagnosefehler 322 2. Therapiefehler 324 3. Übernahmeverschulden 326 4. Therapeutische Sicherheitsaufklärung 326 II. Aufklärungsfehler 328 III. Dokumentationsmängel 330 C. Sorgfaltsmaßstab 331 I. Objektiver Sorgfaltspflichtverstoß 331 II. Therapiefreiheit 332 D. Kausalität und Zurechnung 334 E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 337 I. Haftungstatbestände und Haftungsschuldner 337 II. Sorgfaltsmaßstab 338 III. Organisationsverschulden des Krankenhausträgers 339 1. Anforderungen an die Organisation 339 2. Arbeitsteilung und Haftung 341 3. Behandlung durch Ärzte in Ausbildung 343 IV. Aufklärungsfehler 344 <?page no="15"?> 15 F. Beweislastverteilung 346 I. Substantiierungspflichten des Patienten 346 II. Beweiserleichterung im Arzthaftpflichtprozess 347 1. Vermutung des Verschuldens 347 2. Voll beherrschbare Risiken 348 3. Grobe Behandlungsfehler 349 4. Beweislastverteilung bei Aufklärungsfehlern 351 5. Beweislastverteilung bei Dokumentationsfehlern 352 G. Umfang des Schadenersatzes 354 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten 359 A. Abgrenzung von Arzthaftungsrecht und Arztstrafrecht 361 B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 362 I. Heilbehandlung als Körperverletzung 362 II. Kritik in der Literatur 362 1. Erfolgstheorie 362 2. Straffreiheit des regelgerechten Heileingriffs 363 III. Stellungnahme 364 IV. Die Einwilligung des Patienten 365 1. Aufklärung als Wirksamkeitsvoraussetzung 366 2. Stellvertretung 367 3. Die mutmaßliche Einwilligung 368 a. Patientenverfügung 369 b. Operationserweiterung 371 4. Die Bedeutung von Irrtümern 372 C. Strafrechtliche Bewertung von Behandlungsfehlern 373 I. Begriff des Behandlungsfehlers 373 II. Sorgfaltsmaßstab 373 III. Schuld 374 IV. Behandlungsfehler durch Unterlassen 374 D. Sterbehilfe als Straftat 375 I. Aktive Sterbehilfe 375 II. Indirekte Sterbehilfe 377 <?page no="16"?> 16 III. Behandlungsabbruch und -verzicht 378 1. Begriff und Voraussetzungen 378 2. Mutmaßlicher Wille 380 3. Behandlungsabbruch bei Betreuung 381 IV. Schutz vor Triage-Entscheidungen 383 E. Ärztliche Beteiligung am Suizid 385 I. Aktive Unterstützung der Selbsttötung 385 1. Abgrenzung zwischen Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen 385 2. Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen 386 II. Hilfeleistungspflichten beim Suizid 387 1. Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung 388 2. Strafbarkeit wegen Tötungsdelikten durch Unterlassen 389 F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht 391 I. Anvertrauen eines Geheimnisses 391 II. Offenbaren eines Geheimnisses 392 III. Fehlende Befugnis zur Offenbarung 393 1. Einwilligung des Patienten 393 2. Mutmaßliche Einwilligung des Patienten 394 3. Gesetzliche Offenbarungspflichten 394 4. Offenbarung im Notstand nach § 34 StGB 395 Musterklausuren 399 Fall 1 (Bürgerliches Recht) 399 Fall 2 (Öffentliches Recht) 405 Fall 3 (Strafrecht) 409 Literatur 415 Sachwortverzeichnis 427 <?page no="17"?> 17 Vorwort zur 5. Auflage Seit Erscheinen der letzten Auflage des Lehrbuchs zum Medizinrecht scheinen alte Gewissheiten im Gesundheitswesen grundlegend erschüttert. Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft herausgefordert wie wenige Krisen zuvor. Das Gesundheitswesen drohte die Grenzen seiner Belastbarkeit zu erreichen; erhebliche Grundrechtseingriffe mit dem Ziel des Infektionsschutzes wurden verabschiedet. Es gab kontroverse Diskussionen um die Verpflichtung zum Tragen von Schutzmasken, zur Zulassung von Impfstoffen und deren Verteilung sowie um die Einführung einer Impfpflicht. Mit der Versorgung der an Corona Erkrankten sind auch die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen stark gestiegen - so stark, dass die Finanzierung der Krankenversicherung durch eine Erhöhung des Beitragssatzes gesichert werden muss. Trotz dieser existenziellen Krise sind die Grundfesten des Medizinrechts unverändert geblieben. Der Gesetzgeber hat seit 2019 in schnellem Takt Neuregelungen eingeführt. Im Medizinrecht erweisen sich jedoch nur wenige als grundlegende Reform. Ein entscheidender Schritt wurde bereits vor der Pandemie mit dem Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) gegangen, wodurch ein Ausbau der Telematik-Infrastruktur vorangebracht und die Inanspruchnahme digitaler Gesundheitsanwendungen ermöglicht werden sollte. Zum Jahresbeginn 2023 wird mit dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts die Rechtsprechung des BGH und des BVerwG zur Bestimmtheit von Patientenverfügungen umgesetzt und ein Vertretungsrecht von Ehegatten in gesundheitlichen Notfällen eingeführt. In der Rechtsprechung sind vor allem die Entscheidungen zum assistierten Suizid sowie der sogenannte Triage-Beschluss des BVerfG zum Schutz von Menschen mit Behinderungen in einer Situation knapper intensivmedizinischer Kapazitäten hervorzuheben, die noch der Umsetzung durch den Gesetzgeber harren. In zahlreichen einzelnen Entscheidungen haben die oberen Gerichte das Krankenversicherungsrecht und auch das Arzthaftungsrecht geschärft. Die nunmehr 5. Auflage nimmt diese Entwicklungen auf. Das Medizinrecht bleibt ein dynamisches Rechtsgebiet, dessen Studium - auch über die klassische juristische Ausbildung hinaus - viele spannende Tätigkeitsfelder eröffnet. Die Arbeit an einem solchen Lehrbuch ist ohne Unterstützung kaum zu bewältigen. Ich danke Alina Albering, Martina Dieterle, Milena Herbig, Helen Hermann, Xenia Lakmann, Mathieu Wagner und Christina Wieda für die tatkräftige Unterstützung bei der Aktualisierung des Manuskripts und für die Durchsicht der Druckfahnen. Über Hinweise aus dem Kreis der Leserinnen und Leser freue ich mich. Speyer, im Juli 2022 Constanze Janda <?page no="18"?> 18 Vorwort zur 1. Auflage Die Idee zu diesem Lehrbuch entstand im Rahmen der Vorlesung „Medizinrecht“, die ich seit 2006 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena halte. Die Studierenden standen immer wieder vor dem Problem, dass es keine geeignete Studienliteratur gibt. Zwar ist die medizinrechtliche Literatur zahlreich und umfassend. Für den Leser, der sich erstmals mit diesem Rechtsgebiet auseinandersetzt, ist sie jedoch häufig zu detailliert und setzt zu viel Fachwissen voraus. Dieses Buch richtet sich nicht nur an Juristen, die sich mit den Grundlagen des Medizinrechts vertraut machen wollen. Auch Medizinern, Gesundheitsökonomen oder den Studierenden der Pflegewissenschaften soll es helfen, die rechtlichen Fallstricke des Arzt-Patienten-Verhältnisses, aber auch des Krankenversicherungsrechts zu durchdringen. Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer, an dessen Lehrstuhl ich seit langem tätig bin, hat mich in meiner Idee bestärkt und mich bei der Erarbeitung des Lehrbuchs mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung sehr unterstützt. Dafür sei ihm herzlich gedankt! Uta Preimesser von der UVK Verlagsgesellschaft war so freundlich, die Aufnahme des Buches in das Programm von UTB voranzubringen. Ein besonderer Dank gebührt Julia Hubert und Florian Wilksch. Beide haben mit großer Mühe und Gründlichkeit das Manuskript durchgesehen und dadurch den studentischen Interessen an einem klar gegliederten und verständlich geschriebenen Lehrbuch den nötigen Raum verschafft. Jena, 8. März 2010 Constanze Janda Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich in der Darstellung darauf verzichtet, Personen- und Berufsbezeichnungen in der weiblichen und männlichen Form zu verwenden. Die männlichen Begriffe schließen die weibliche Bezeichnung selbstverständlich ein. <?page no="19"?> 19 Abkürzungsverzeichnis A&R Arzneimittel und Recht (Zeitschrift) a. A. andere Ansicht AApprO Approbationsordnung für Apotheker ÄApprO Approbationsordnung für Ärzte Abb. Abbildung AbgrV Verordnung über die Abgrenzung der im Pflegesatz nicht zu berücksichtigenden Investitionskosten von den pflegesatzfähigen Kosten der Krankenhäuser ABl. Amtsblatt der Europäischen Union AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AMG Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln AMNOG Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) AMPreisV Arzneimittelpreisverordnung AMradV Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel AMuwV Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung AMVerkVO Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (Arzneimittelverkaufsverordnung) AMVV Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (Arzneimittelverschreibungsverordnung) Anm. Anmerkung AOK Allgemeine Ortskrankenkasse ApBetrO Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung) ApoG Gesetz über das Apothekenwesen (Apothekengesetz) ArbZG Arbeitszeitgesetz Art. Artikel Ärzte-ZV Zulassungsverordnung für Vertragsärzte ASR Anwalt/ Anwältin im Sozialrecht (Zeitschrift) AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BÄK Bundesärztekammer <?page no="20"?> 20 Abkürzungsverzeichnis BAnz Bundesanzeiger BÄO Bundesärzteordnung BApO Bundes-Apothekerordnung BArbBl. Bundesarbeitsblatt BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKK Betriebskrankenkasse BMG Bundesministerium für Gesundheit BMV-Ä Bundesmantelvertrag Ärzte BPflV Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze BQFG Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) BRAK Bundesrechtsanwaltskammer Breith. Breithaupt. Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BT-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages BtMG Betäubungsmittelgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVG Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) bzw. beziehungsweise DÄ Deutsches Ärzteblatt DÄ PP Deutsches Ärzteblatt für psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten DÄT Deutscher Ärztetag DDR Deutsche Demokratische Republik DMP Disease Management Programmes (Strukturierte Behandlungsprogramme für chronische Krankheiten) DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DRG diagnosis related groups <?page no="21"?> Abkürzungsverzeichnis 21 EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab für Leistungen EFZG Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall EG Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMA European Medicines Agency EMEA European Agency for the Evaluation of Medicines EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ErsK Die Ersatzkasse (Zeitschrift) EStG Einkommenssteuergesetz EU Europäische Union EuG Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften EuGH Europäischer Gerichtshof EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR Europäischer Wirtschaftsraum f. folgende(r) ff. fortfolgende Fn. Fußnote FPR Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift) GBA Gemeinsamer Bundesausschuss GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts GewArch Gewerbearchiv (Zeitschrift) GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GKV Gesetzliche Krankenversicherung GKV-FinG Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV-FQWG Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-VSG Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstärkungsgesetz) GKV-VStG Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstrukturgesetz) GKV-WSG Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung GMG Gesundheitsmodernisierungsgesetz - Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung GOÄ Gebührenordnung für Ärzte <?page no="22"?> 22 Abkürzungsverzeichnis GRG Gesundheitsreformgesetz - Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen GSG Gesundheitsstrukturgesetz - Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung GuP Gesundheit und Pflege (Zeitschrift) GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt HGB Handelsgesetzbuch HK-AKM Rieger/ Dahm/ Katzenmeier/ Steinhilper, Heidelberger Kommentar. Arztrecht. Krankenhausrecht. Medizinrecht. h. M. herrschende Meinung HPG Hospiz- und Palliativgesetz HS Halbsatz HVVG Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung HwO Handwerksordnung i. d. R. in der Regel IfSG Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen IHK Industrie- und Handelskammer i. H. v. in Höhe von IKK Innungskrankenkasse IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen i. S. v. im Sinne von IV Integrierte Versorgung i. V. m. in Verbindung mit jurisPK Juris Praxis-Kommentar jurisPR Juris Praxis-Report JZ Juristenzeitung KassKomm Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung KFPV Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser KG Kommanditgesellschaft KH Das Krankenhaus (Zeitschrift) KHG Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze KHEntgG Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen KHSG Krankenhausstrukturgesetz KSchG Kündigungsschutzgesetz KV Kassenärztliche Vereinigung <?page no="23"?> Abkürzungsverzeichnis 23 KVHilfsmV Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung KZV Kassenzahnärztliche Vereinigung LÄK Landesärztekammer LFBG Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch LogopG Gesetz über den Beruf des Logopäden LSG Landessozialgericht MBO Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte MedR Medizinrecht (Zeitschrift) MDK Medizinischer Dienst der Krankenversicherung MGV Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung MPG Gesetz über Medizinprodukte MPhG Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz) m. w. N. mit weiteren Nachweisen MüKo Münchener Kommentar MVZ Medizinisches Versorgungszentrum n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht - Rechtsprechungsreport NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht oHG Offene Handelsgesellschaft PatG Patentgesetz PartGG Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe PharmR Pharma-Recht (Zeitschrift) PKV Private Krankenversicherung RGBl. Reichsgesetzblatt RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RKEG Gesetz über die religiöse Kindererziehung Rn. Randnummer RL Richtlinie RLV Regelleistungsvolumina RSA Risikostrukturausgleich RVA Reichsversicherungsamt <?page no="24"?> 24 Abkürzungsverzeichnis RVO Reichsversicherungsordnung s. siehe S. Seite SG Sozialgericht SGB IV Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Die Gesetzliche Krankenversicherung SGG Sozialgerichtsgesetz Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs SozR Sozialrecht bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts (Loseblattsammlung) SpiBuKK Spitzenverband Bund der Krankenkassen st. Rspr. ständige Rechtsprechung TFG Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens TPG Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben u. a. unter anderem VAG Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen VÄndG Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz) VersR Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (Zeitschrift) VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung VSSR Vierteljahresschrift für Sozialrecht VVG Gesetz über den Versicherungsvertrag VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WHO World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen) WRV Weimarer Reichsverfassung WzS Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift) ZESAR Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht ZfF Zeitschrift für das Fürsorgewesen ZfS Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung ZMGR Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZSR Zeitschrift für Sozialreform zzgl. zuzüglich <?page no="25"?> 25 Freuet euch, ihr Patienten, Der Arzt ist euch ins Bett gelegt! (Franz Kafka, Der Landarzt) 1. Kapitel : Einführung Orientierungsfragen � Was ist unter „Medizinrecht“ zu verstehen? � Aus welchen Rechtsquellen lassen sich Regelungen zum Medizinrecht ableiten? � Welche historischen Entwicklungslinien prägen das Medizinrecht? A. Begriff des Medizinrechts Das Medizinrecht hat sich in der letzten Dekade als eigenständiges Rechtsgebiet etabliert. Die Auffassungen darüber, welche Materien ihm zuzuordnen sind, gehen jedoch weit auseinander. Eine exakte, feststehende Definition existiert nicht. Sie ist auch kaum möglich angesichts der Vielzahl der mit „Medizin“ verbundenen Personen und Tätigkeiten. Der Gehalt des Medizinrechts ist daher über die Beschreibung seines Gegenstands zu erschließen. Der Begriff „Medizin“ evoziert zunächst das Bild des Arztes. Im Gesundheitswesen nimmt er eine zentrale Rolle ein: an ihn wendet sich der Kranke im Vertrauen auf sein umfassendes Wissen über den menschlichen Körper und in der Erwartung, Heilung, zumindest aber Linderung seiner Beschwerden zu finden. Dieses Vertrauen wie auch das unterschiedliche Wissen von Arzt und Patient machen die rechtliche Beziehung zwischen beiden zu einer besonderen. Das Recht muss klare Regeln aufstellen, welchen Anforderungen ein Arzt gerecht werden muss und welche Erwartungen der Patient erfüllt sehen kann. In seiner Ausprägung als Arztrecht sucht das Medizinrecht diese Fragen zu beantworten. 1 Dieses umfasst alle Normen, die die ärztliche Berufs- 1 Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage, München 2019 gilt insoweit als Standardwerk. Aus Sicht des Mediziners vgl. Dettmeyer, Medizin und Recht, Heidelberg 2006 sowie Ries/ <?page no="26"?> 26 1. Kapitel: Einführung ausübung tangieren. 2 Neben den Anforderungen an Ausbildung und Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung „Arzt“ sind in diesem Kontext das Standesrecht und das Vertragsarztrecht relevant. Diese Fragen berühren auch die Interessen des Patienten. Sie sind notwendig in Beziehung zum Arztrecht zu setzen: Verpflichtungen des Arztes begründen Ansprüche des Patienten, kann deren Verletzung für diesen doch erhebliche Folgen haben. Daher muss sich Medizinrecht mit dem Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient auseinandersetzen. 3 Von Bedeutung sind die vertraglichen Beziehungen - von deren Zustandekommen über die Rechtsnatur bis hin zu den dadurch begründeten Rechten und Pflichten - und die Konsequenzen aus Vertragsverletzungen. Jene sind Gegenstand des Arzthaftungsrechts, welches durch umfassendes Richterrecht geprägt ist. 4 Aber auch die strafrechtliche Relevanz ärztlichen Handelns ist von Bedeutung, bergen die Straftatbestände doch erhebliche Unsicherheit für die Ärzteschaft über die Zulässigkeit der von ihnen beabsichtigten Maßnahmen. 5 Der Patient kann im Rahmen seiner Behandlung mit einer Vielzahl weiterer Leistungserbringer in Berührung kommen. Verordnet ihm der Arzt die Einnahme von Medikamenten, verbindet sich damit die Klärung des Arzneimittelbegriffs ebenso wie die Rechtsregeln für pharmazeutische Unternehmen oder Apotheker. Nimmt der Patient Heil- oder Hilfsmittel in Anspruch, sind diese gegeneinander abzugrenzen. Das Berufsrecht der Erbringer und Hersteller dieser Leistungen ist ebenfalls tangiert. Bei schweren Erkrankungen wird der Patient regelmäßig im Krankenhaus behandelt. Wie das Krankenhauswesen insgesamt organisiert und finanziert wird, ist in diesem Zusammenhang ebenso relevant wie die Ausgestaltung der Arbeitsabläufe in den einzelnen Einrichtungen. Für diese Leistungserbringer gelten wiederum Besonderheiten in ihrer rechtlichen Beziehung zum Patienten. Schließlich und endlich stellt sich die Frage nach der Finanzierung all dieser Gesundheitsleistungen. Für die meisten Patienten - mehr als 90 % der Bevölkerung sind gesetzlich versichert - tragen die gesetzlichen Krankenkassen die Kostenlast. Die sozialrechtliche Einbettung der im Gesundheitswesen Tätigen ist daher zwingend, verbliebe diesen doch ohne die gesetzlich Versicherten nur ein geringes Tätigkeitsfeld. 6 Schnieder/ Althaus/ Großbölting/ Voß, Arztrecht, Heidelberg 2017. 2 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 1, Rn. 4. 3 Diesen Fokus betonen Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, 7. Auflage, Berlin 2014. 4 Die umfassendste Darstellung findet sich bei Martis/ Winkhart-Martis Arzthaftungsrecht Fallgruppenkommentar, 6. Auflage, Köln 2022; Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 8. Auflage, München 2022; vgl. auch die grundlegende Monografie von Katzenmeier, Arzthaftung, Tübingen 2002. 5 Ulsenheimer/ Gaede, Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Auflage, Heidelberg 2020 behandelt diesen Aspekt umfassend. 6 Dieser Aspekt wird auch bei Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, München 2018 ausführlich behandelt. <?page no="27"?> A. Begriff des Medizinrechts 27 Der Gegenstand dieses Lehrbuchs lässt sich daher insoweit zusammenfassen, als unter Medizinrecht alle Rechtsfragen verstanden werden, die mit der Behandlung von Patienten 7 zusammenhängen: Beispiele Wer ist in die Behandlung involviert? Was ist an den Patienten zu leisten? Wie und mit welchen Mitteln wird die Behandlung durchgeführt? Wer trägt die Kosten? Welche Folgen hat die medizinische Behandlung, namentlich wenn sie fehlschlägt? Das Medizinrecht ist damit ein Querschnittsgebiet des Rechts. Es vereint öffentlichrechtliche sowie zivil- und strafrechtliche Aspekte und kann sich auch dem Einfluss des Europäischen Rechts nicht entziehen. 8 Die mit dem Krankenversicherungsrecht verbundene sozialpolitische Dimension kann in diesem Buch allenfalls angedeutet werden. 9 Gesundheitsreformen waren seit Bestehen der gesetzlichen Krankenversicherung auf der politischen Agenda. Sie werden es auch bleiben, geht doch mit jedem Regierungswechsel eine neue Akzentsetzung einher, die auf der Ebene der Gesetzgebung umzusetzen gesucht wird. Dies ist eine Besonderheit des Sozialrechts insgesamt: wie kaum ein anderes Rechtsgebiet ist dies von politischen Stimmungen und Zielsetzungen geprägt. Dies erklärt seinen stetigen Wandel, wenngleich die Grundpfeiler regelmäßig unangetastet bleiben. Organtransplantation und Transfusion werden ebenso wenig behandelt wie der Schutz vor Seuchen und ansteckenden Krankheiten. Gleiches gilt für biomedizinische und medizinethische Fragestellungen. 10 Die Diskussion solcher spezieller medizinisch-rechtlicher Probleme würde den Rahmen dieses Lehrbuchs sprengen. 7 Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, 3. Auflage, München 2018 stellen unter dem Begriff „Gesundheitsrecht“ auf alle Rechtsgebiete, die das Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit zum Gegenstand haben, ab; ebenda Rn. 2. 8 Insbesondere im Hinblick auf die Einführung eines Fachanwalts Medizinrecht finden sich umfassende Darstellungen nahezu aller involvierten Themen bei Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 4. Auflage, Bonn 2020; Clausen/ Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Auflage, München 2020 sowie Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 4. Auflage, Neuwied 2019. 9 Ausführlich beispielsweise Opielka, Sozialpolitik. Grundlagen und vergleichende Perspektiven, Reinbek 2004. 10 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, 7. Auflage, Berlin 2014 widmen sich auch diesen Themen tiefgreifend. <?page no="28"?> 28 1. Kapitel: Einführung B. Rechtsquellen des Medizinrechts So vielfältig wie die Definitionsansätze sind auch die Rechtsquellen des Medizinrechts. Eines der wichtigsten völkerrechtlichen Instrumente ist der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) der Vereinten Nationen. In Art. 12 I des Pakts haben die Vertragsstaaten das „Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ anerkannt. Dieses besteht freilich nicht in der negativen Dimension als Recht auf Freiheit von Krankheit. Ein solches Recht wäre nicht erfüllbar, da von Zufällen und unvorhersehbaren Abläufen im menschlichen Organismus abhängig. Das im IPwskR verankerte Recht auf Gesundheit garantiert vielmehr die Freiheit, über seinen Körper und seine Gesundheit selbst und frei zu bestimmen. Dies schließt den Zugang zu einem funktionierenden System der Gesundheitsfürsorge ebenso ein wie das Recht, von Misshandlungen, Humanexperimenten oder medizinischen Behandlungen gegen seinen Willen verschont zu bleiben. 11 Das Europäische Recht birgt eine Vielzahl von Regelungen mit gesundheitsrechtlichem Bezug. In Art. 151, 153 AEUV verpflichtet sich die EU, die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Nach Art. 168 AEUV wird die Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus als Querschnittsaufgabe der Union verstanden. 12 Die EU ergänzt daher die Politik der Mitgliedstaaten in Bezug auf Q die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung; Q die Bekämpfung, Erforschung und Verhütung von Krankheiten; Q die Gesundheitserziehung; Q die einheitliche Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für menschliche Organe und Substanzen und Q Maßnahmen im Veterinärwesen, die die Gesundheit berühren. Auch die Grundfreiheiten - sei es das Recht auf Freizügigkeit (Art. 45 AEUV), aber auch die Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) oder Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und die Freiheit des Warenverkehrs (Art. 34 AEUV) wirken sich auf das Gesundheitswesen aus, betreffen sie doch die Angehörigen der Heilberufe ebenso wie die Patienten. Diese sind berechtigt, medizinische Behandlungen im europäischen 11 Ausführlich zu den sozialen Grundrechten aus dem IPwskR Bernsdorff, VSSR 2001, 1 (11); Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 64 f. 12 Eingehend Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 6, Rn. 1 ff. <?page no="29"?> B. Rechtsquellen des Medizinrechts 29 Ausland in Anspruch zu nehmen. Aber auch der Handel mit Arzneimitteln und Medizinproduktion innerhalb des Binnenmarktes ist gewährleistet. Das Wettbewerbsrecht (Art. 101 ff. AEUV) wirkt sich insbesondere auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aus, die aufgrund der hohen Zahl gesetzlich versicherter Patienten ein gewisses „Nachfragemonopol“ auf dem Gesundheitsmarkt innehat. Instrumente wie der Risikostrukturausgleich in der Krankenversicherung oder die Bestimmung von Festbeträgen für Arzneimittel oder Hilfsmittel sind daher am Primärrecht zu würdigen. Im Sekundärrecht besteht mit der VO 883/ 2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit 13 ein gewichtiges Instrument, um die Ausübung der Freizügigkeit sozialrechtlich zu flankieren. Die Verordnung stellt sicher, dass niemand soziale Rechte einbüßt, wenn er die Grenzen seines Mitgliedstaats überschreitet. Sie ermöglicht die europaweite Inanspruchnahme von Leistungserbringern auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen. 14 Zahlreiche Richtlinien beschäftigen sich mit Maßnahmen zum Gesundheitsschutz oder zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die namentlich im Arbeitszeitrecht unmittelbar dem Patientenschutz zugutekommen, da sie die Arbeitsbelastung der Krankenhausärzte beschränken. Das Verfassungsrecht schützt mit der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 I GG), der Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG), dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG) die Selbstbestimmung des Einzelnen, insbesondere auch als Patient. Aber auch die anderen Grundrechte - sei es die Freiheit von Wissenschaft und Forschung (Art. 5 I GG) oder die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) - sowie das in Art. 20 I GG verankerte Sozialstaatsprinzip waren und sind im medizinischen Sektor von fundamentaler Bedeutung. 15 Die zahllosen einfachgesetzlichen Normen, die medizinrechtliche Fragen berühren: das SGB V für die gesetzliche Krankenversicherung, das BGB für die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Patient und Leistungserbringer, das StGB für die strafrechtliche Bewertung ärztlichen Handelns, das AMG über den Verkehr mit Arzneimitteln etc. spiegeln die enorme Vielfalt dieses Rechtsgebiets wieder. Parallel zu den bundesrechtlichen Vorgaben erlassen die Länder Gesetze über die in ihre Zuständigkeit fallenden Materien, beispielsweise zur Krankenhausplanung oder zu den 13 vom 29.4.2004, ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 14 Ausführlich Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, Rn. 848 ff.; Janda in jurisPK-SGB I, Art. 17 ff. VO 883/ 2004. 15 Im Einzelnen Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 2, Rn. 1 ff.; Welti in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 10, Rn. 2 ff. <?page no="30"?> 30 1. Kapitel: Einführung berufsrechtlichen Vorgaben. Rechtsverordnungen - die Gebührenordnungen und Zulassungsverordnungen insbesondere - präzisieren das Krankenversicherungsrecht. Aber auch untergesetzliche Normen, das Satzungsrecht der Krankenkassen und Ärztekammern oder die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses prägen das Medizinrecht, wenngleich sie in ihrem Rechtscharakter und ihrer Legitimität zuweilen Kritik ausgesetzt sind. 16 16 Grundlegend Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, Tübingen 2000. <?page no="31"?> C. Historische Entwicklung des Medizinrechts 31 C. Historische Entwicklung des Medizinrechts Ursprünglich ist die Gesundheitsversorgung als reine Privatangelegenheit verstanden worden. Wer krank war, musste die ärztliche Behandlung aus eigenen Mitteln finanzieren. Unterstützung gab es allenfalls in Form von Almosen der Kirchen zugunsten der arbeitsunfähigen Armen. Diese Hilfen waren motiviert vom christlichen Gebot der Nächstenliebe. 17 Sogenannte xenodochien waren die ersten Einrichtungen, die sich ab dem 3. Jahrhundert der Versorgung Armer und Kranker widmeten. Als Pilgerherbergen konzipiert, wurden sie aus kirchlichen Stiftungen finanziert und von den Bischöfen unter kaiserlicher Aufsicht verwaltet. Sie bilden den Ursprung für die Armenspitäler des späten Mittelalters. 18 Die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall ging mit der Herausbildung der Zünfte, Innungen und Knappschaften auf diese über. Handelte es sich zunächst um Selbsthilfevereinigungen für die Handwerker, Gesellen oder Bergleute, wurden diese später durch landesherrliche Anordnung in Zwangsvereinigungen umgewandelt. Aus den Beiträgen der Mitglieder wurden Leistungen im Fall von Krankheit, Invalidität, Alter und Hinterbliebenenschaft geleistet. Für die medizinische Behandlung galt das Prinzip der Kostenerstattung, d. h. der Arzt konnte die Vergütung seiner Leistungen vom Patienten einfordern, der sich die Kosten sodann von seiner Kasse rückerstatten ließ. Die Knappschaftskassen und Zunftbüchsen waren der Ursprung der heutigen Sozialversicherung. 19 Die im SGB V noch vorzufindende Aufspaltung der Krankenkassenarten 20 spiegelt diese frühen Anfänge wieder. Mit dem Aufkommen der Städte in der Neuzeit wurde die Versorgung durch die Zünfte, Innungen und Knappschaften durch eine öffentliche, zunächst aus Spenden der Bürger finanzierte Armenfürsorge ergänzt. Auf Grundlage des Heimatprinzips kamen die Unterstützungsleistungen nur denjenigen zugute, die in der Stadt geboren waren und dort ihren Wohnsitz hatten. Die Leistungen waren gering und häufig an repressive Maßnahmen - Arbeitspflicht oder Unterbringung im Armenhaus - geknüpft. 21 Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 hat die Armenfürsorge dem Staat überantwortet, 22 aber kein spezifisches Krankenkassenrecht geschaffen. Ein wichtiger 17 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 18. 18 Reicke, Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, Stuttgart 1970. 19 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 19. 20 Vgl. dazu S. 47. 21 Fischer, Armut in der Geschichte, S. 33; Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 17 f. 22 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 29. <?page no="32"?> 32 1. Kapitel: Einführung Schritt in diese Richtung wurde erst im 19. Jahrhundert unternommen. Mit der industriellen Revolution und dem damit einhergehenden technologischen Fortschritt, dem Wandel von der Agrarzur Industriegesellschaft und der Anonymisierung der Gesellschaft hatten die hergebrachten Solidarbeziehungen an Bedeutung und Wirkung verloren. Die gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen in der Massenproduktion minderten die Arbeitskraft, so dass sich einzelne Unternehmer zur Schaffung von Unterstützungskassen veranlasst sahen. Diese kamen für die Kosten medizinischer Behandlungen sowie für Arzneien und Kuren auf und wurden zu 1/ 3 von den Arbeitnehmern und zu 2/ 3 von den Arbeitgebern finanziert. 1845 wurde in der Preußischen Gewerbeordnung ein Versicherungszwang für diese Fabrikkrankenkassen - den Vorläufern der heutigen Betriebskrankenkassen - ermöglicht, der durch Anordnung der Gemeinden ausgelöst werden konnte. Gewerbetreibende und Unternehmer sollten Zuschüsse zu diesen Kassen leisten. Im Übrigen gab es keine Vorgaben zur Organisation und Finanzierung oder den zu gewährenden Leistungen. In der Folge bildeten sich zahlreiche freiwillige Unterstützungskassen für einzelne Berufsgruppen, die in der Regel auf dem Gegenseitigkeitsprinzip - Solidarität der Beitragszahler für die hilfebedürftigen Mitglieder - basierten. 23 Insgesamt existierten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches ca. 20.000 solcher Kassen in unterschiedlicher Trägerschaft. Einige Kassen schlossen Verträge mit Ärzten, die als deren Angestellte die Mitglieder der Hilfskassen zu vergünstigten Konditionen behandelten. Eine Abkehr vom Kostenerstattungsprinzip ging damit jedoch nicht einher, der Honoraranspruch des Arztes richtete sich also weiterhin gegen den Patienten. Ebenfalls in Preußen wurden 1852 erste Maßnahmen zur Organisation der Ärzteschaft ergriffen. Voraussetzung der Berufsausübung war danach die Approbation als Arzt, Wundarzt oder Geburtshelfer. Eine grundlegende Neuordnung der sozialen Unterstützung wurde mit der „Kaiserlichen Botschaft“ vom 17.11.1881 eingeleitet. Kaiser Wilhelm I. erhob in einer von Bismarck verlesenen Rede vor dem Deutschen Reichstag die Forderung, „soziale Schäden“ auch durch positive Förderung zum Wohl der Arbeitnehmer zu beseitigen. Soziale Sicherheit solle als Staatsaufgabe neben die repressive Armenfürsorge treten. Deren Hauptzweck solle die wirtschaftliche Absicherung der Arbeitnehmerschaft sein. Das gewerbliche Krankenkassenwesen sei unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung fortzuentwickeln. 24 23 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 29. 24 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 50. <?page no="33"?> C. Historische Entwicklung des Medizinrechts 33 Am 15.6.1883 wurde unter der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter 25 verabschiedet. Dieses statuierte im Wesentlichen folgende Grundsätze: Q eine Pflichtversicherung für Arbeitnehmer, Q die Ausgestaltung der Krankenkassen als selbständige Körperschaften mit Selbstverwaltungsrecht. Die bereits vorhandenen Kassen, für die ein Versicherungszwang angeordnet war, bestanden fort. Sie wurden als Orts-, Betriebs-, Innungs- und Knappschaftskassen in das neue Krankenversicherungssystem inkorporiert, Q die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung durch Beiträge, die auf das Bruttoarbeitsentgelt erhoben und zu 1/ 3 von den Arbeitnehmern, zu 2/ 3 von den Arbeitgebern getragen wurden, Q die Etablierung des Sachleistungsprinzips. 26 Da das Gesetz keinerlei Regeln über die in Betracht kommenden Leistungserbringer in der neuen Krankenversicherung beinhaltete, blieb das Sachleistungsprinzip zunächst ohne Gehalt. Zwar bestanden bereits einige wenige Verträge zwischen einzelnen Kassen und Ärzten. Die weit überwiegende Zahl der Patienten war jedoch darauf angewiesen, sich selbst Leistungen zu verschaffen. Der Leistungskatalog umfasste Geld- und Sachleistungen. Neben einer kostenfreien medizinischen Behandlung und der Versorgung von Schwangeren und Wöchnerinnen hatten die Versicherten Anspruch auf Arzneimittel, kleinere Hilfsmittel wie Brillen und Bruchbänder, freie Kur und Verpflegung in Krankenhäusern sowie Krankengeld, das ab dem dritten Tag der Erkrankung die Hälfte des üblichen Arbeitseinkommens ersetzte. Über diese Pflichtleistungen hinaus war es den Kassen unbenommen, weitere Leistungen anzubieten. 1892 erfolgte eine erste Neufassung des Krankenversicherungsgesetzes, die erstmals die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern einer Regelung unterwarf. Danach konnten die Krankenkassen durch Statut ihre Leistungspflicht bei medizinischen Behandlungen und der Versorgung mit Arzneimitteln oder Kuren auf bestimmte Leistungserbringer beschränken. Nahm ein Versicherter einen anderen Leistungserbringer in Anspruch, war die Kasse nicht zur Übernahme der Kosten verpflichtet. Die Reform brachte also eine Einschränkung der freien Arztwahl mit sich. 27 25 Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.6.1883, RGBl. 9/ 1883, 73; ausführlich Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 76 ff. 26 Dazu ausführlich S. 77f. 27 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 4, Rn. 6. <?page no="34"?> 34 1. Kapitel: Einführung In der Folge gründeten die Ärzte Interessenvereinigungen, um ein Gegengewicht zum „Nachfragemonopol“ der Krankenkassen zu schaffen. Der 1900 gegründete Leipziger Verband besteht noch heute als Hartmannbund fort. Zu den zentralen Forderungen der Ärzteschaft zählte die Zulassung aller Ärzte zu den Vertragswerken der Kassen, die statt in der Form von Einzelverträgen als Kollektivverträge abgeschlossen werden sollten. Die Behandlungs- und Verordnungsfreiheit sollte ebenso garantiert werden wie die Vergütung nach Einzelleistungen. 28 Um ihrerseits gegen die erstarkenden Ärzteverbände bestehen zu können, schlossen sich daraufhin auch die Krankenkassen zu Verbänden zusammen. Im Jahr 1911 wurde mit der Reichsversicherungsordnung (RVO) ein Gesetz geschaffen, das Invaliden-, Unfall- und Krankenversicherung integrierte. Das Reichsversicherungsamt (RVA) bildete die oberste Behörde für alle Versicherungszweige. Die Versicherungspflicht wurde auf die Angehörigen der Land- und Forstwirtschaft, Dienstboten und unständige Arbeiter ausgedehnt. Die gemeindlichen Krankenkassen wurden durch die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) abgelöst, deren Zuständigkeit ausschließlich nach den räumlichen Grenzen der Gemeinden statt, wie vormals, nach Berufsarten begründet wurde. Inhaltliche Änderungen des Leistungsgefüges der Krankenversicherung gingen mit dem Erlass der RVO jedoch nicht einher. Namentlich bestand das System der Einzelverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen fort. 29 1913 drohte der Hartmannbund daher einen Generalstreik der Ärzteschaft an, um seiner Forderung nach einem kollektiven Zulassungs- und Vergütungssystem Nachdruck zu verleihen - mit Erfolg: Am 23.12.1913 wurde mit dem „Berliner Abkommen“ die gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen begründet. Für die Zulassung zur Versorgung der Versicherten und die Ausgestaltung der Verträge waren nunmehr paritätisch besetzte Organe zuständig. Die Krankenkassen konnten also nicht mehr frei darüber entscheiden, welche Leistungserbringer sie in ihr Versorgungssystem einbeziehen wollten. Da das Abkommen jedoch inhaltlich unbestimmt blieb, wurde die Leistungserbringung faktisch weiterhin in Einzelverträgen ausgestaltet. Das Berliner Abkommen wurde 1924 schließlich in Gesetzeskraft überführt. Die gemeinsame Selbstverwaltung wurde durch den Reichsausschuss institutionalisiert. Dieser war mit je fünf Ärzten und fünf Vertretern der Krankenkassen sowie drei Unparteiischen besetzt. Dem Ausschuss war die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung überantwortet. Er entschied über die Zulassungsordnung und erließ Richtlinien über die zwischen Ärzten und Kassen abzuschließenden Verträge. Diese sollten 28 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 44; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 4, Rn. 9. 29 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 4, Rn. 11. <?page no="35"?> C. Historische Entwicklung des Medizinrechts 35 grundsätzlich in Form von Einzelverträgen ausgestaltet werden; der Abschluss von Kollektivverträgen wurde jedoch zugelassen. 30 Durch Notverordnungen aus den Jahren 1931 und 1932 sind mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Organisationen geschaffen worden, in denen die für die Krankenkassen tätigen Ärzte Pflichtmitglieder waren. Diesen war nunmehr der Sicherstellungsauftrag für die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten überantwortet. Zudem wurde eine Zulassungssperre etabliert: es durften nicht mehr Ärzte zugelassen werden, als für die Versorgung der Versicherten notwendig waren. Das Vergütungssystem wurde auf Kopfpauschalen umgestellt. Jeder Arzt erhielt einen Festbetrag für jeden seiner Patienten. Dieser wurde nicht direkt von den Krankenkassen ausgekehrt, sondern als Gesamtvergütung an die Kassenärztlichen Vereinigungen gezahlt, die diese wiederum an die einzelnen Ärzte zu verteilen hatten. 31 Im Nationalsozialismus wurde mit der Etablierung des „Führerprinzips“ die Selbstverwaltung in den Krankenkassen und den ärztlichen Organisationen abgeschafft. Der Reichsausschuss wurde entmachtet, die bestehenden Kollektivverträge durch einen reichseinheitlichen Vertrag ersetzt. Das Zulassungsverfahren wurde allein der Kassenärztlichen Vereinigung überantwortet; eine Beteiligung der Krankenkassen war nicht mehr vorgesehen. Gleiches galt für die Vergütung der ärztlichen Leistungen: auch hier wurde den Krankenkassen jedes Mitspracherecht genommen. Die rassistischen und antisemitischen Gesetze der nationalsozialistischen Gewaltherrscher begründeten zudem ein Berufsverbot für Juden, das sich auch auf die ärztliche Tätigkeit erstreckte, und schlossen diese aus der Sozialversicherung aus. Die Leistungen der Krankenversicherung wurden - nicht zuletzt um der Loyalität der Bevölkerung Willen 32 - ausgeweitet. Rentner wurden in die Krankenversicherung einbezogen. Krankenpflege wurde unbegrenzt geleistet; Mütter erhielten Einkommensersatzleistungen bei der Geburt eines Kindes. Organisatorisch bestand trotz der „Gleichschaltung“ weitgehend Kontinuität. 33 Namentlich wurde keine Einheitskasse errichtet. Lediglich die Verwaltung wurde vereinfacht, indem den Krankenkassen die Verantwortlichkeit für den Beitragseinzug für sämtliche Zweige der Sozialversicherung übertragen wurde. In der Nachkriegszeit wurde in der Sowjetischen Besatzungszone eine Einheitsversicherung etabliert. Diese vereinigte alle Versicherungsträger unter einem Dach. Das System wurde im Recht der 1949 gegründeten DDR fortgeführt und blieb bis zu deren Ende 1990 erhalten. 30 Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 79. 31 Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 156. 32 „Die Sozialpolitik war Teil des Kitts, der Staat und Gesellschaft im nationalsozialistischen Deutschland zusammenhielt.“, Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland, S. 66 ff. 33 Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, S. 105 f.; Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 47 f. <?page no="36"?> 36 1. Kapitel: Einführung In den westlichen Besatzungszonen war zunächst die Einführung einer einheitlichen „Bürgerversicherung“ nach dem Vorbild William F. Beveridges 34 diskutiert worden. Schließlich entschied man sich für die Fortführung des bis dahin bestehenden Sozialversicherungssystems unter Reaktivierung der Selbstverwaltung der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, vgl. Art. 123 I GG. Den Verbänden der Krankenkassen wurde die Kompetenz zum Abschluss von Gesamtverträgen mit den Verbänden der Leistungserbringer eingeräumt. Mit dem Gesetz über das Kassenarztrecht aus dem Jahr 1955 wurde den Kassenärztlichen Vereinigungen der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts eingeräumt. Die gemeinsame Selbstverwaltung zwischen Ärzten und Krankenkassen wurde neu begründet und mit der Einräumung des Sicherstellungsauftrags an diese wurde der nach den Verordnungen von 1931 und 1932 geltende Rechtszustand wiederhergestellt. 35 Der Gesetzgeber nahm im weiteren Verlauf zunächst keine substanziellen Änderungen der medizin- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen vor. Die zahlreichen Gesundheitsreformen zielten vor allem auf die finanzielle Konsolidierung der Krankenversicherung. Zwar wurde die gesetzliche Krankenversicherung zunächst ausgedehnt, insbesondere durch eine Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenzen sowie die Aufnahme weiterer Leistungen wie Früherkennung und Rehabilitation. Seit den 1970er Jahren konzentrierten sich die Reformbemühungen jedoch auf Maßnahmen zur Kostendämpfung. 36 Da die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Verhältnis zu ihren Einnahmen weiterhin überdurchschnittlich anstiegen, versuchte der Gesetzgeber seit Beginn der 2000er Jahre durch strukturelle Veränderungen einerseits die finanzielle Basis der GKV zu stärken und andererseits den Interessen der Patienten zu mehr Gewicht zu verhelfen. Mit der Gesundheitsreform 2009 ist die Finanzierung der Krankenversicherung durch Einführung des Gesundheitsfonds 37 umgestaltet und zugleich das Vergütungssystem der Vertragsärzte 38 neu gefasst worden. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz 39 sucht der Gesetzgeber der drohenden Unterversorgung mit ambulanten Leistungen, insbesondere in ländlichen Regionen, zu begegnen. Mit dem Patientenrechtegesetz wurde das umfassende Richterrecht zum Arzt-Patienten-Verhältnis in das 34 Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 211. 35 Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, S. 286 ff. 36 Schlenker in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band I, § 1, Rn. 86 ff.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 4, Rn. 26 ff. 37 Eingehend auf S. 57. 38 Dazu auf S. 193. 39 GKV-VStG vom 22.12.2011, BGBl. I S. 2983. <?page no="37"?> 37 C. Historische Entwicklung des Medizinrechts BGB inkorporiert. Im Juli 2015 ist das Versorgungsstärkungsgesetz 40 in Kraft getreten, welches die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit Gesundheitsleistungen zum Gegenstand hat. Die Möglichkeiten zur Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sind ausgeweitet worden. Auch eine an den Lebenswelten der Versicherten orientierte Prävention 41 sowie die Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung 42 waren wichtige Anliegen des Gesetzgebers. 2016 ist das Krankenhauswesen gestärkt worden - durch eine Aufstockung des Personals, aber auch eine verbesserte Berücksichtigung von Qualitätssicherungsaspekten bei der Krankenhausplanung. 43 In jüngerer Zeit hat der Gesetzgeber vor allem die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu fördern gesucht. Die Debatte um die Einführung der elektronischen Patientenakte wird bereits seit Jahren geführt. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz, 44 das 2021 in Kraft getreten ist, soll den Versicherten ihre (freiwillige) Nutzung nunmehr auch tatsächlich ermöglicht werden; Vertragsärzte und Krankenhäuser sind zur Bereitstellung der erforderlichen Telematik-Infrastruktur verpflichtet. Versicherte haben überdies einen Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen („App auf Rezept“, § 33a SGB V) und können über Videosprechstunden mit den Behandelnden in Kontakt treten; elektronische Verordnungen und elektronische Arztbriefe erleichtern den Datenaustausch. Einen fundamentalen Einschnitt brachte die Corona-Pandemie mit sich. Seit ihrem Ausbruch im Winter 2020 gab es unzählige Regelungen, mit denen der Infektionsschutz der Bevölkerung sichergestellt und die sozialen Folgen der Pandemie abgemildert werden sollten. 45 Die damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen werden Gerichte und Wissenschaft noch lange beschäftigten. Auch wenn das Gesundheitswesen insgesamt an die Kapazitätsgrenzen zu gelangen schien und nach Reform verlangte, blieben die Grundstrukturen des Medizinrechts unangetastet. Im SGB V gab es lediglich punktuelle Änderungen, mit denen etwa die Krankschreibung ohne unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt ermöglicht und die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Verordnungen erheblich vereinfacht worden ist. 40 Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16.07.2015, BGBl. I S. 1211. 41 Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz) vom 17.07.2015, BGBl. I S. 1368. 42 Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland vom 1.12.2015, BGBl. I S. 2114. 43 Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz) vom 10.12.2015, BGBl. I S. 2229. 44 Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (DVG) vom 09.12.2019, BGBl. I S. 2562. Dazu ausführlich Schulz, SGb 2020, 536. 45 Siehe etwa die umfassende Darstellung bei Schlegel/ Meßling/ Bockholdt, COVID-19 - Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2. Auflage, München 2022. <?page no="38"?> Versicherte haben Anspruch auf Schutzimpfungen und auf Corona-Tests, der Anspruch auf Kinderkrankengeld wurde stark ausgeweitet. Mindereinnahmen von niedergelassenen Ärzten und von Krankenhäusern - diese kamen durch die generelle Kontaktvermeidung zustande, die auch Kontakte zu Behandelnden erfasste - wurden durch die Krankenkassen ausgeglichen. 46 Sämtliche Maßnahmen erwiesen sich als Maßnahmen des Krisenmanagements, ohne den der Pandemie erstaunlich robust standhaltenden Sozial(versicherungs)staat als solchen umzugestalten. Lediglich einzelne Neuerungen wie etwa die Stärkung telemedizinischer Elemente, die aber bereits durch das Digitale-Versorgung-Gesetz angestoßen worden waren, werden wohl in der post-pandemischen Zeit erhalten bleiben. Eine größere Änderung steht zum Jahresbeginn 2023 im Vormundschafts- und Betreuungsrecht an. 47 Dieses wirkt sich im Medizinrecht bei der Entscheidung über die Behandlung von Menschen aus, die ihre Angelegenheiten nicht (mehr) eigenverantwortlich wahrnehmen können. Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrecht werden grundlegen neu geordnet. Materiell-rechtliche Umbrüche sind jedoch vor allem im Vormundschaftsrecht zu verzeichnen. Mit der Reform sollten auch die Vorgaben der UN-BRK 48 umgesetzt werden, um die größtmögliche Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung nach Art. 12 UN-BRK zu gewährleisten. 49 Das Betreuungsrecht bleibt im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung inhaltlich unverändert, erhält aber eine neue Nummerierung im BGB. Neu hinzu kommt ein Vertretungsrecht von Ehegatten in gesundheitlichen Notfällen. 50 Trotz der teilweise grundlegenden Neuregelungen in den letzten Jahrzehnten hat sich das seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehende Bismarcksche System insgesamt bewährt und der Bundesrepublik ein modernes, funktionstüchtiges und leistungsfähiges Gesundheitswesen gesichert. 46 Vgl. die Übersicht bei Ekhart/ Rath, NZS 2021, 417 (421 ff.). 47 Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht vom 04.05.2021, BGBl. I S. 882. 48 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl. II, S. 1419. 49 Vgl. BT-Drs. 19/ 24445. 50 Dazu ausführlich auf S. 367 f. 1. Kapitel: Einführung 38 <?page no="39"?> 39 Kontrollfragen 1. Wie lässt sich der Begriff des Medizinrechts erschließen? Welche Rechtsgebiete sind tangiert? 2. Welchen Gehalt hat das Recht auf Gesundheit aus Art. 12 I IPwskR? 3. Welche gesundheitspolitischen Kompetenzen hat die Europäische Union? 4. Zeitigen die Grundfreiheiten des AEUV Auswirkungen auf das Gesundheitswesen? 5. Schildern Sie die Bedeutung der Bismarckschen Sozialgesetzgebung für die Krankenversicherung in der heutigen Form. Inwieweit ging damit eine Abkehr von den ursprünglichen Charakteristika der Gesundheitsversorgung einher? C. Historische Entwicklung des Medizinrechts <?page no="41"?> 41 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Orientierungsfragen Q Welche verschiedenen Systeme bieten eine Absicherung im Krankheitsfall? Wodurch unterscheiden sie sich? Q Wie sind die gesetzlichen Krankenkassen verfasst? Q Durch welche Tatbestände wird die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt? Q Wie wird die gesetzliche Krankenversicherung finanziert? Q Welche Wahlmöglichkeiten haben die Versicherten in der konkreten Ausgestaltung ihrer Kassenmitgliedschaft? Q Wie ist der Leistungsfall der gesetzlichen Krankenversicherung definiert? Q Welche Leistungen umfasst der Leistungskatalog des SGB-V? Können im Einzelfall darüber hinausgehende Leistungen auf Kosten der Krankenkassen erbracht werden? Q Welchem Modus folgt die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung? Q Zu welchen Leistungen sind die Versicherten ihrerseits verpflichtet? Wie werden sie in diesem Zusammenhang vor finanziellen Härten geschützt? Die wenigsten Patienten kommen selbst für die Kosten von Krankenbehandlungen, Medikamenten, Heil- oder Hilfsmitteln auf. In der Regel tragen die gesetzlichen oder privaten Krankenkassen, die Dienstherren der Beamten oder die Sozialhilfeträger diese Ausgaben. Weil etwa 90 % der Bevölkerung Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, 1 entfällt der bedeutendste Anteil der Behandlungskosten auf die gesetzliche Krankenversicherung. 1 Quelle: www.bmg.bund.de. <?page no="42"?> 42 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung A. Abgrenzung Die verschiedenen Systeme folgen in Finanzierung und Leistungserbringung grundlegend unterschiedlichen Regeln. Dementsprechend verschieden ist ihre Rechtsnatur. I. Gesetzliche Krankenversicherung Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wird regelmäßig durch Gesetz begründet. Die Tatbestände, die dieses öffentlich-rechtliche Mitgliedschaftsverhältnis zur Folge haben, sind im SGB V geregelt. Die Leistungen werden nach dem Sachleistungsprinzip gewährt, d. h. die Versicherten erhalten die ärztliche Behandlung, Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel grundsätzlich unmittelbar und haben keine eigenen Aufwendungen zu tragen. Stattdessen werden die Leistungserbringer durch die Krankenkassen vergütet. Die Leistungen werden paritätisch aus den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber finanziert. Die Beitragshöhe bemisst sich nach deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, denn sie orientiert sich am Einkommen des Versicherten. II. Private Krankenversicherung Personen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst sind - insbesondere Selbständige oder Arbeitnehmer mit Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze - sind in der Regel in einer privaten Krankenversicherung versichert. Die Mitgliedschaft wird durch einen privatrechtlichen Versicherungsvertrag begründet. Im Grunde gilt also Vertragsfreiheit; diese ist jedoch im Rahmen des VVG eingeschränkt. Die Leistungen werden aus den Prämien der Versicherten finanziert, deren Höhe vor allem vom individuellen Risiko einer Erkrankung abhängt. Der Berechnung werden neben der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung - ausgehend vom Gesundheitszustand des Versicherten, dessen Beruf oder Hobbys - auch die zu erwartende Höhe der Ausgaben zu ihrer Behandlung zugrunde gelegt. Für die Beitragshöhe sind ferner individuelle Vereinbarungen zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsunternehmen von Bedeutung. So können der Leistungsumfang ausgehandelt oder Selbstbehalte vereinbart werden. Die Leistungen werden nach dem Kostenerstattungsprinzip erbracht: Der Versicherte beschafft sich Behandlungsleistungen zunächst auf eigene Kosten und lässt sich diese sodann von seiner Krankenversicherung erstatten. <?page no="43"?> A. Abgrenzung 43 III. Beihilfe Eine weitere Form der Absicherung im Krankheitsfall ist die Beihilfe. Sie wird den Beamten gewährt und gründet in deren öffentlich-rechtlichem Dienstverhältnis. Die Verpflichtung zur Leistung der Beihilfe leitet sich aus dem Alimentationsprinzip ab, welches den Dienstherrn zur Sicherstellung eines angemessenen Lebensunterhalts seiner Beamten verpflichtet. Das Alimentationsprinzip zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums i. S. v. Art. 33 V GG. Das Beihilferecht ist nicht einheitlich geregelt. Maßgeblich sind die Beihilfeverordnungen der jeweiligen Anstellungskörperschaften des Bundes oder der Länder. Auch für die Beihilfe gilt das Kostenerstattungsprinzip. Der Dienstherr übernimmt - abhängig vom Familienstand und Unterhaltspflichten gegenüber Kindern - indes nur einen Teil der Kosten. Die Beihilfeberechtigten schließen daher üblicherweise zusätzlich eine private Krankenversicherung ab, um die von der Beihilfe nicht getragenen Kosten abzudecken. IV. Sozialhilfe Schließlich kann eine Krankenbehandlung auch über die Sozialhilfe gewährt werden. Dies betrifft all jene Personen, die keinem der drei genannten Systeme zugeordnet sind und deren finanzielle Mittel nicht zureichen, um die Kosten selbst zu tragen. Ihnen soll mit der Sozialhilfe eine menschenwürdige Existenz und die Teilhabe am sozio-kulturellen Leben gesichert werden. § 48 SGB XII verweist für die Leistungserbringung auf die Grundsätze des SGB V. Die Bezieher von Sozialhilfe erhalten Leistungen bei Krankheit daher von einer gesetzlichen Krankenkasse nach dem Sachleistungsprinzip. Die Kasse lässt sich ihrerseits gemäß § 264 VII SGB V ihre Aufwendungen vom Sozialhilfeträger erstatten. <?page no="44"?> 44 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung Private Krankenversicherung Beihilfe Sozialhilfe Grundprinzip Solidarität individuelles Risiko/ Äquivalenzprinzip Alimentationsprinzip Existenzsicherung Leistungsberechtigung öffentlichrechtliche Mitgliedschaft privater Versicherungsvertrag öffentlichrechtliches Dienstverhältnis Bedürftigkeit Finanzierung Beiträge Prämien Steuern Steuern Leistungserbringung Sachleistung Kostenerstattung Kostenerstattung Sachleistung <?page no="45"?> B. Organisation der Krankenkassen 45 B. Organisation der Krankenkassen § 4 I SGB V bestimmt, wie auch die allgemeine Regelung in § 29 SGB IV, dass die gesetzlichen Krankenkassen rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind. I. Die Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts Unter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine mitgliedschaftlich verfasste Organisation zu verstehen, die in ihrem rechtlichen Bestand vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig ist, eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt und aufgrund eines Hoheitsakts mit Rechtspersönlichkeit und Hoheitsbefugnissen ausgestattet ist. 2 Die Willensbildung innerhalb der Körperschaft folgt demokratischen Grundsätzen. Als Mitglieder der Krankenkassen gelten die versicherungspflichtigen und die freiwillig versicherten Personen. Der Wechsel eines Mitglieds in eine andere Kasse - der wegen des Wahlrechts in § 173 SGB V möglich ist - berührt den Fortbestand einer Krankenkasse nicht. Die Rechtsfähigkeit der Kassen - also die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein und die damit verbundene Parteifähigkeit, d. h. die Fähigkeit vor Gericht klagen, aber auch verklagt werden zu können - resultiert unmittelbar aus § 29 I SGB IV; eine spezielle Regelung im SGB V existiert nicht. 3 Zu den gesetzlich eingeräumten Hoheitsbefugnissen zählen das Recht zum Erlass von Satzungen (§§ 194 ff. SGB V) und zur Erhebung von Beiträgen (§§ 220 ff. SGB V). Die Krankenkassen erfüllen eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung. Ob sie als Behörde i. S. v. § 1 II SGB X einzustufen sind, ist umstritten. Es wird vertreten, dass die Sozialversicherungsträger selbst keine Behörden seien. Behörden seien vielmehr stets nur Teil einer juristischen Person. 4 Dies belege auch § 31 III 1 SGB IV, wonach ausdrücklich die vertretungsberechtigten Organe der Sozialversicherungsträger als Behörden definiert werden. Auch nach Auffassung des BSG sind nicht die Sozialversicherungsträger selbst Behörden, sondern lediglich die Stellen, die „innerhalb der Organisation des Leistungsträgers nach dessen Geschäftsverteilung“ zur Erfüllung 2 Löcher in v. Koppenfels-Spies/ Wenner, SGB IV, § 29, Rn. 3. 3 Ausführlich zur Rechts- und Grundrechtsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen: Finkenbusch, Träger der Krankenversicherung, S. 149 ff. 4 Löcher in v. Koppenfels-Spies/ Wenner, SGB X, § 1, Rn. 6. <?page no="46"?> 46 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung einer konkreten Aufgabe berufen sind. 5 Indes ist der Behördenbegriff in der Rechtsprechung stets weit gefasst und funktional, d. h. bezogen auf das anwendbare Verfahrensrecht definiert worden. 6 Es verstößt daher nicht gegen den Regelungsgehalt des § 31 III 1 SGB IV, die Behördeneigenschaft über die Organe hinaus auch auf den Sozialversicherungsträger selbst zu erstrecken. 7 II. Das Prinzip der Selbstverwaltung Das den Krankenkassen in §§ 29 I SGB IV, 4 I SGB V eingeräumte Selbstverwaltungsrecht ist wesentlich für die Bestimmung ihres rechtlichen Status. Es garantiert die eigenverantwortliche Mit- und Ausgestaltung der Sozialversicherung durch die Versicherten und die Arbeitgeber - unter weitgehender Freiheit von staatlichem Einfluss. Dieser beschränkt sich auf die Rechtsaufsicht, so dass für konkrete aufgabenbezogene Weisungen kein Raum ist, vgl. §§ 29 II, III, 87 I SGB IV. Das eigenverantwortliche Handeln der Kassen wird also allein durch den gesetzlichen Rahmen beschränkt. Die Selbstverwaltungskörperschaften haben ein subjektives Recht auf Einhaltung dieser Grenzen staatlicher Einflussnahme, das sie im Klagewege durchsetzen können. 8 Das Recht zur Selbstverwaltung zeigt sich in der Satzungsautonomie. Das Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen war zunächst unbeschränkt, gingen diese doch aus freien Selbsthilfevereinen hervor, die ihr Binnenrecht ohne jeden staatlichen Rahmen setzen konnten. Heute sind der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung jedoch enge Grenzen gesetzt, die sich aus dem dichten Netz staatlicher Vorgaben für die gesetzliche Krankenversicherung ergeben. Den Krankenkassen verbleiben deshalb nur geringe materiell-rechtliche Spielräume zur Gestaltung des Versicherungsverhältnisses. Ihre Satzungsautonomie besteht gemäß § 194 II SGB V nur, soweit sie mit den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im Einklang steht; Leistungen dürfen nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in der Satzung vorgesehen werden. 9 Dies entspricht dem allgemeinen Verbot der Zwecküberschreitung 10 aus § 30 I SGB IV. Im Übrigen werden Art, Umfang, Höhe und Fälligkeit der Leistungen durch das SGB V vorgegeben. Auch der Kreis der Versicherten, die Aufgaben der Organe und die Finanzierung der Kassen einschließlich der Beitragshöhe sind gesetzlich vorgegeben. 5 BSGE 63, 224 (229); 77, 295 (298). 6 BVerwGE 9, 172 (178); 17, 41; dazu auch Finkenbusch, Träger der Krankenversicherung, S. 175 f. 7 Neumann in Hauck/ Noftz, SGB X, § 1, Rn. 44; a. A. Löcher in v. Koppenfels-Spies/ Wenner, SGB X, § 1, Rn. 6. 8 BSGE 58, 247 (249); 67, 160 (161). 9 BSG, NZS 2003, 374. 10 So Peters in KassKomm, SGB V, § 194, Rn. 20. <?page no="47"?> B. Organisation der Krankenkassen 47 Die Satzungsautonomie umfasst vor allem Namen und Sitz der Krankenkasse, ihren Bezirk, die Festlegung von Zusatzbeiträgen zu ihrer Finanzierung sowie Bestimmungen über die Zahl der Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen und deren Beschlussfassung, vgl. § 194 I SGB V. Im Leistungsrecht können die Krankenkassen nur Regelungen treffen, soweit diese nicht durch das SGB V bestimmt sind und soweit sie das Gesetz hierzu ermächtigt. Dies betrifft beispielsweise zusätzliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 II 4 SGB V), Haushaltshilfen (§ 38 II SGB V) oder der Prävention (§§ 20 I, 23 II 2 SGB V). Zudem tragen die Krankenkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen die gemeinsame Selbstverwaltung. Im Unterschied zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung bezieht sich diese auf die Versorgung der Versicherten mit Gesundheitsleistungen, betrifft also das Zusammenwirken von Krankenkassen und Leistungserbringern, namentlich im Vertragsarztrecht. Dieses regelt - wiederum aufgrund gesetzlicher Ermächtigung - ausführlich und detailliert die Grundsätze der Leistungserbringung, Art und Vergütung medizinischer Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen. 11 Diese Vertragswerke dienen dazu, die widerstreitenden Interessen zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen als Kostenträgern im Interesse der ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung der Versicherten auszugleichen. Den Krankenkassen ist damit die Rücksichtnahme auf diese Interessengruppen vorgegeben, was wiederum den Gehalt ihrer Autonomie schmälert. Das BVerfG 12 hat im Hinblick auf diese Beschränkungen festgestellt, dass die staatliche Rechtsaufsicht für die Selbstverwaltung der Krankenkassen keine untergeordnete Rolle spiele. Vielmehr seien die Kassen Teil der Staatsgewalt und nehmen Aufgaben der mittelbaren Staatsverwaltung wahr. Der Vollzug der detaillierten Sozialgesetzgebung sei ihre elementare Pflicht. Ihre Selbstverwaltung sei daher nur funktional, bestehe sie doch lediglich in Form organisatorischer Selbständigkeit und hinsichtlich der Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben unter staatlicher Rechtsaufsicht. 13 III. Organe der Krankenkassen Das Selbstverwaltungsrecht wird durch die Versicherten und die Arbeitgeber ausgeübt, § 29 II SGB IV. Zu diesem Zweck richten die Krankenkassen einen Verwaltungsrat und einen Vorstand als Selbstverwaltungsorgane ein, § 31 IIIa SGB IV. 11 Dazu ausführlich auf S. 158 ff. 12 BVerfGE 39, 302 ff. 13 Vgl. dazu auch Axer, VerwR 35 (2002) 377; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, Tübingen 1997. <?page no="48"?> 48 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 1. Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat ist Legislativ- und Kreationsorgan zugleich: zum einen erlässt er gemäß § 33 I, III SGB IV die Satzung. Zum anderen wählt er den Vorstand (§ 35a V 1 SGB IV) sowie den Geschäftsführer und dessen Vertreter (§§ 36 II, 33 III 2 SGB IV). Die maximal 60 Mitglieder des Verwaltungsrats setzen sich paritätisch 14 aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammen, §§ 43 I 2, 44 I Nr. 1 SGB IV. Sie werden im Rahmen der Sozialversicherungswahlen nach §§ 45 ff. SGB IV von den Versicherten und den Arbeitgebern gewählt. Eine Amtszeit beläuft sich - ausgehend von der gesetzlich vorgesehenen Amtsdauer nach § 58 SGB IV - auf sechs Jahre. Bei den Sozialversicherungswahlen handelt es sich um eine Friedenswahl: 15 die Kandidaten für die jeweiligen Vertretergruppen werden in Vorschlagslisten erfasst. Sie gelten auch ohne Abstimmung als gewählt, wenn nicht mehr Bewerber benannt werden, als Mitglieder zu wählen sind, § 46 II SGB IV. Die Aufgaben des Verwaltungsrats sind in § 197 SGB V näher definiert. Neben dem Satzungserlass ist er für Entscheidungen mit grundsätzlicher Bedeutung für die Kasse zuständig. Das Gesetz definiert den Begriff der grundsätzlichen Bedeutung nicht. Einen Anhaltspunkt hierfür kann die Vergleichbarkeit mit einer der anderen in § 197 SGB V genannten Aufgaben bieten. 16 Zu diesen zählen die Überwachung des Vorstands, die Feststellung des Haushaltsplans, die Vertretung der Kasse gegenüber dem Vorstand und dessen Mitgliedern wie auch Beschlüsse über die Auflösung der Krankenkasse oder deren Vereinigung mit einer anderen Krankenkasse. 2. Vorstand Der Vorstand ist das Exekutivorgan der Krankenkasse. Im Gegensatz zu den anderen Sozialversicherungsträgern (vgl. § 40 SGB IV) wird er hauptamtlich gebildet, §§ 31 IIIa, 35a III 1 SGB IV. Neben der Verwaltung der Krankenkasse ist der Vorstand zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung berufen, § 35a I 1 SGB IV. Zu den Geschäften der laufenden Verwaltung gehören alle Aufgaben, die regelmäßig wiederkehren und keine besonders herausgehobene sachliche oder wirtschaftliche Bedeutung für den Versicherungsträger haben. 17 Der Vorstand wird für die Dauer von sechs Jahren vom Verwaltungsrat gewählt. Die Wiederwahl ist möglich. Der Verwaltungs- 14 Eine Ausnahme bilden die Ersatzkassen, in denen der Verwaltungsrat gemäß § 44 I Nr. 3 SGB IV ausschließlich aus Vertretern der Versicherten gebildet wird. 15 Zur Zulässigkeit von Friedenswahlen BSGE 36, 242; vgl. dazu auch Jung/ Dahm in v. Koppenfels-Spies/ Wenner, SGB IV, § 46, Rn. 4 ff. 16 Peters in KassKomm, SGB V, § 197, Rn. 6. 17 BSGE 26, 129. <?page no="49"?> B. Organisation der Krankenkassen 49 rat hat bei der Besetzung des Amtes darauf zu achten, dass die Vorstandsmitglieder fachlich geeignet sind, die umfassenden Verwaltungsaufgaben einer Krankenkasse wahrzunehmen, § 35a VI SGB IV. Bei Kassen mit bis zu 500.000 Mitgliedern 18 besteht der Vorstand aus zwei, sonst maximal drei Personen. Da die laufenden Geschäfte der Verwaltung in den Krankenkassen durch den Vorstand wahrgenommen werden, ist anders als bei den sonstigen Sozialversicherungsträgern kein Geschäftsführer einzusetzen. IV. Die Kassenarten Die gesetzliche Krankenversicherung ist dezentral gegliedert. Es besteht also keine Einheitskasse, die für alle Versicherten gleichermaßen zuständig wäre. Im September 2022 existierten 97 gesetzliche Krankenkassen. 19 Diese gehören verschiedenen Kassenarten an, die § 4 II SGB V im Einzelnen nennt. Danach sind Allgemeine Ortskrankenkassen, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen sowie die landwirtschaftlichen Kassen und die Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zu unterscheiden. Einzelheiten zur Organisation der verschiedenen Kassenarten finden sich in den §§ 143 ff. SGB V. Gemäß § 143 I SGB V bestehen die Ortskrankenkassen für eine bestimmte Region. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten unter den Kassen kann im Einzelnen durch Rechtsverordnung der Bundesländer geregelt werden. Betriebskrankenkassen (BKK) können nach § 147 I SGB V durch Arbeitgeber für einen oder mehrere Betriebe errichtet werden, in denen regelmäßig mindestens 1000 versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt sind. Voraussetzung ist, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kasse dauerhaft gesichert ist. Die Errichtung einer Innungskrankenkasse (IKK) steht gemäß § 157 SGB V den Handwerksinnungen für die Handwerksbetriebe ihrer Mitglieder zu. Die Betriebe müssen wiederum mindestens 1000 versicherungspflichtig Beschäftigte vorweisen, dauerhaft leistungsfähig und in die Handwerksrolle eingetragen sein. Während bei diesen Kassenarten die gesetzliche Zuweisung der Mitglieder auf die Art ihrer Beschäftigung oder ihre regionale Zugehörigkeit abstellte, kann die Mitgliedschaft in einer Ersatzkasse (ErsK) seit jeher durch Beitritt erlangt werden, § 168 SGB V. 18 Aus der Formulierung „Mitglieder“ statt „Versicherte“ ist zu folgern, dass z. B. über § 10 SGB V mitversicherte Familienangehörige nicht mitzuzählen sind. 19 Bei Erlass der Bismarckschen Sozialgesetze gab es ca. 35.000, in den 1990er Jahren noch 1.700 Krankenkassen; Quelle: www.gkv-spitzenverband.de. <?page no="50"?> 50 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung War die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse ursprünglich strikt an die Zugehörigkeit der jeweils von dieser erfassten Personengruppe gebunden, ist mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 20 das Kassenwahlrecht eingeführt worden. Nach § 173 SGB V können die Versicherten - vorbehaltlich abweichender Spezialregelungen - wählen, in welcher Krankenkasse sie versichert sein wollen. Den Krankenkassen ist es nicht gestattet, ein Versicherungsgesuch abzulehnen, § 175 I 2 SGB V. Die ursprüngliche Einteilung der Kassenarten ist damit aus der Sicht der Versicherten weitgehend obsolet. Die einzelnen Kassenarten bilden gemäß § 207 SGB V jeweils einen Landesverband. Diese Landesverbände sind ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie unterstützen ihre Mitgliedskassen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und vertreten deren Interessen in der Öffentlichkeit. Dies soll insbesondere durch Beratungstätigkeit, Auswertung von Statistiken, die Ausrichtung von Tagungen und die Entwicklung von Verfahren und Programmen geschehen. Zudem vertreten die Landesverbände ihre Mitglieder gegenüber anderen Sozialversicherungsträgern, Behörden oder Gerichten, vgl. § 211 SGB V. Auf Bundesebene bilden sämtliche Krankenkassen den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, §§ 217a, 217f SGB V. Dieser unterstützt die Kassen und ihre Landesverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und der Wahrnehmung ihrer Interessen. 20 Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21.11.1992, BGBl. I S. 2266. <?page no="51"?> C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung 51 C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung Wer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sein kann, wird vom Gesetz bestimmt. Die Mitgliedschaft beruht also nicht auf einem privaten Versicherungsvertrag, sondern begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. I. Pflichtversicherung, § 5 SGB-V Die Pflichtversicherung ist ein prägendes Merkmal der gesetzlichen Krankenversicherung. 21 Jedoch besteht auch die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung. Der Kreis der versicherungspflichtigen Personen ist in § 5 SGB V geregelt. 1. Gegen Entgelt beschäftigte und gleichgestellte Personen Ausgehend von der durch Bismarck begründeten Tradition einer Arbeiterversicherung 22 sind Arbeiter, Angestellte und Auszubildende, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (Nr. 1). Ihnen gleichgestellt sind die Bezieher von Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Landwirte, Künstler und Publizisten, Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten, Anstalten oder Heimen tätig sind, Studierende und Praktikanten sowie Rentner. 2. Der Auffangtatbestand § 5 I Nr. 13 SGB-V Da die hergebrachten Sicherungssysteme - GKV, PKV und Beihilfe - nicht alle Personen erfassten, verfügten 2019 etwa 0,1 % der Bevölkerung über keinen Versicherungsschutz im Krankheitsfall. 23 Dabei handelte es sich vor allem um Selbständige, die die Prämien der PKV nicht finanzieren konnten, oder um Hausfrauen, die wegen einer Scheidung ihren Status als Familienversicherte verloren hatten. 21 Heldt-Andreas in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 5 SGB V, Rn. 3; zur Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht vgl. BVerfGE 102, 68. 22 Dazu ausführlich auf S. 33. 23 2019 gaben im Rahmen des Mikrozensus 61.000 Personen an, über keinen Krankenversicherungsschutz zu verfügen, vgl. Statistisches Bundesamt, Sozialleistungen, Angaben zur Krankenversicherung 2019, S. 28. <?page no="52"?> 52 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Daher ist in § 5 I Nr. 13 SGB V eine Pflichtversicherung für alle Personen begründet worden, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben. Ausgenommen sind gemäß § 5 I Nr. 13 lit. b) SGB V lediglich Selbständige sowie Versicherungsfreie nach § 6 I, II SGB V, die nie zuvor Mitglied der GKV waren. a. Anderweitige Absicherung im Krankheitsfall Eine anderweitige Absicherung besteht bei Personen, die in der GKV versichert sind - sei es, weil sie einen der Pflichtversicherungstatbestände nach § 5 I Nr. 1-12 SGB V erfüllen oder weil sie freiwillig bzw. familienversichert sind. Gleiches gilt für Personen mit vollumfänglicher Privatversicherung oder Beihilfeberechtigte mit ergänzender Privatversicherung. 24 Auch die in der Sozialhilfe oder dem Recht der sozialen Förderung gründenden Ansprüche auf Krankenhilfe stellen eine anderweitige Absicherung dar. § 5 VIIIa SGB V präzisiert diese und führt namentlich - wenngleich nicht abschließend 25 - den Bezug von Q Hilfen zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII), Q Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII), Q Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 ff. SGB XII), Q die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 ff. SGB XII) sowie Q Leistungen nach § 2 AsylbLG an. Darüber hinaus verdrängen Ansprüche nach § 40 SGB VIII, §§ 56 ff. StVollzG, §§ 10 ff. BVG, §§ 141a ff. BEG sowie solche aus den Sondersystemen der freien Heilfürsorge die Versicherungspflicht nach § 5 I Nr. 13 SGB V. Kurz nach Einführung des Auffangtatbestandes war umstritten, ob der Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII i. V. m. § 264 SGB V ebenfalls eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall begründet. Die nach § 48 SGB XII leistungsberechtigten Personen erhalten über § 264 SGB V Krankenhilfe von einem Träger der GKV. Dies führt jedoch nicht zu einem Statuswechsel. Die Leistung bleibt weiterhin im Regime der Sozialhilfe angesiedelt. Unter Verweisung auf das Prinzip der Subsidiarität der Sozialhilfe wird daher die Versicherungspflicht in diesen Fällen befürwortet. 26 24 Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 5, Rn. 62; Peters in KassKomm, SGB V, § 5, Rn. 167; Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 62. 25 Peters in KassKomm, SGB V, § 5, Rn. 169 f. 26 SG Speyer, ZfF 2007, 271; SG Speyer, ASR 2007, 173; LSG Hessen, KH 2008, 1335. <?page no="53"?> C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung 53 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine „anderweitige Absicherung“ jedoch gerade nicht nur im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses bestehen. 27 Der Versicherungspflicht nach § 5 I Nr. 13 SGB V soll als Auffangtatbestand absoluter Nachrang gegenüber allen anderen Absicherungsmöglichkeiten zukommen. 28 Auch das BSG hat - wenngleich in einem anderen Kontext - die Versicherungspflicht in diesen Fällen unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung abgelehnt. 29 Ohne jede Absicherung sind demnach nur Personen, die ihre Krankenbehandlung selbst finanzieren müssen, denen also keinerlei Sicherungssystem zur Seite steht. b. Ausgestaltung der Versicherungspflicht Alle Personen, die ehemals - und ausschließlich 30 - in der GKV versichert waren, haben das Recht, in ihre ehemalige Krankenkasse bzw. deren Rechtsnachfolger zurückzukehren, § 174 V SGB V. Die Auffangversicherung bei der früheren Krankenkasse entsteht kraft Gesetzes. Die Ausübung des Wahlrechts nach § 173 SGB V ist daher nur für die Zukunft möglich. Etwas andere gilt nur für Personen, die zuvor niemals gesetzlich versichert waren und deren Auffangversicherungspflicht zunächst unentdeckt geblieben ist. 31 Alle nicht anderweitig abgesicherten Personen müssen sich in einem bundes- und branchenweit einheitlichen Basistarif bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen absichern, § 193 III, V 1 Nr. 2 VVG i. V. m. § 152 VAG. Der Gesetzgeber hat einen Kontrahierungszwang etabliert: Die Versicherungsunternehmen müssen also jeden, der dies wünscht, unabhängig von seinem individuellen Risiko in diesem Tarif versichern, § 193 V 4 VVG. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Antragsteller bereits früher einmal bei diesem Unternehmen versichert war und der Vertrag wegen Drohung oder Täuschung angefochten bzw. wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten abgewickelt worden ist, § 152 II 4 VAG. 32 Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif müssen mit denen der Gesetzlichen Krankenversicherung 27 Vgl. die Gesetzesbegründung: „(…) ohne Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall sind insbesondere die nicht gesetzlich oder privat krankenversicherten Personen, die keinen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 40 SGB VIII, § 48 SGB XII, § 264 SGB V (haben) (…)“, BT-Drs. 16/ 3100, S. 94. 28 Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 5, Rn. 62; Peters in KassKomm, SGB V, § 5, Rn. 170; so auch SG Frankfurt, ASR 2007, 171. 29 BSG, SGb 2008, 177. 30 Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 5, Rn. 66. 31 BSG, 29.06.2021, B 12 KR 38/ 19 R. 32 Eine weitere Ausnahme hat das BVerfG für kleine Versicherungsvereine statuiert, deren Mitgliederkreis nach ihrer Satzung auf bestimmte Personengruppen (hier: katholische Priester) beschränkt ist. Sie sind nicht gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber diesem satzungsmäßig vorgesehenen Personenkreis zum Vertragsschluss verpflichtet, BVerfG, VersR 2009, 1056 (1059). <?page no="54"?> 54 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gleichwertig sein, § 152 I 1 VAG. Die Höhe der Prämie darf den Höchstbeitrag 33 in der GKV nicht überschreiten, § 152 III VAG. Damit sind die grundlegenden Abgrenzungsmerkmale zwischen GKV und PKV teilweise aufgehoben. Die Vereinbarkeit der „Versicherungspflicht für alle“ mit Verfassungs- und Europarecht ist daher angezweifelt worden. Der Basistarif, der die Versicherungsunternehmen ohne Risikoprüfung zum Vertragsschluss verpflichtet, verletze das die private Versicherung prägende Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitragsbemessung und individuellem Risiko. Dies widerspreche nicht nur europarechtlichen Vorgaben 34 , wonach bei der Ausgestaltung von Krankenversicherungsverträgen versicherungsmathematische Methoden zu beachten sind. Auch die Grundrechte der privaten Versicherungsunternehmen aus Art. 12, 14 GG seien durch das Außerkraftsetzen der wesentlichen Prinzipien des Versicherungswesens verletzt. 35 Das BVerfG hat einen Verfassungsverstoß dagegen verneint. 36 Der Basistarif gestalte das Recht der privaten Krankenversicherung nicht grundlegend um. Die Unternehmen seien auch weiterhin berechtigt, ihre hergebrachten Tarife anzuwenden. Zwar weise der Basistarif Elemente des sozialen Ausgleichs auf, indem er Risikozuschläge verbiete und ein bestimmtes Leistungsspektrum vorgebe. Die damit einhergehenden Belastungen seien jedoch angesichts der niedrigen Zahl zu erwartender Fälle gering und durch das legitime Anliegen gerechtfertigt, jedermann einen Versicherungsschutz im Krankheitsfall einzuräumen. Die europarechtlichen Bedenken sind spätestens seit der Neuordnung der versicherungsrechtlichen Richtlinien im Jahr 2011 ausgeräumt. In Art. 206 II RL 2009/ 138/ EG 37 ist zwar weiterhin die Anwendung versicherungsmathematischer Methoden für die Berechnung der Prämien vorgesehen. Diese Regelung ist jedoch im Rahmen einer „Kann-Vorschrift“ erfolgt, ihre Umsetzung also in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Nach dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie ist die Bindung der Prämien privater Krankenversicherungsunternehmen an den Leistungsumfang und Höchstbeitrag der gesetzlichen Versicherungssysteme ausdrücklich zulässig und dadurch gerechtfertigt, dass die Privatversicherung in diesen Fällen den durch das soziale Sicherungssystem gebotenen Schutz ersetzen soll. 33 Dieser ist ausgehend von der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 III SGB V bestimmbar und beläuft sich auf monatlich 706,28 € im Jahr 2022. 34 Die Argumentation bezog sich auf Art. 54 der Richtlinie 92/ 49/ EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung (Dritte Richtlinie Schadenversicherung), ABl. L 311 vom 14.11.1997, S. 42. Diese Richtlinie ist mit Wirkung vom 1.11.2012 aufgehoben worden. 35 Boetius, VersR 2007, 431; Sodan, NJW 2006, 3617 (3619 f.); a. A. Musil, NZS 2008, 113 (115 f.). 36 BVerfGE 123, 186. 37 Richtlinie 2009/ 138/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. L 335, S. 1. <?page no="55"?> C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung 55 c. Durchsetzung der Versicherungspflicht Ein Verzicht auf die gesetzliche Absicherung im Krankheitsfall ist nicht möglich. Dies würde auch dem Charakter einer Pflichtversicherung zuwiderlaufen. Beiträge müssen also auch die Personen entrichten, die eine solche Versicherung nicht wollen und deren finanzielle Mittel nicht ausreichen, um die Beiträge aufzubringen. 38 Melden sich die nach § 5 I Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen nicht bei einer Krankenkasse, hat dies spürbare finanzielle Folgen. Zum einen ruhen gemäß § 16 IIIa 2 SGB V die Leistungsansprüche, wenn ein Versicherter trotz Mahnung zwei Monate mit der Beitragszahlung in Verzug ist. 39 Diese Regelung ist als Folgeregelung zur allgemeinen Versicherungspflicht in das SGB V aufgenommen worden. Nach § 191 I Nr. 3 SGB V a. F. begründete der Verzug noch ein Kündigungsrecht der Krankenkasse, führte also zum Verlust des Versicherungsschutzes. Dies jedoch war mit dem Ziel, eine „Krankenversicherung für Jedermann“ zu etablieren, nicht mehr vereinbar. Das Ruhen der Leistungsansprüche lässt den Versicherten indes nicht gänzlich schutzlos. Er kann zumindest unaufschiebbare Leistungen beanspruchen. Dazu zählen Behandlungen bei akuten Erkrankungen und Schmerzen sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, § 16 IIIa 2 SGB V. Das Ruhen endet, wenn die rückständigen Beiträge entrichtet werden oder wenn der Beitragsschuldner hilfebedürftig i. S. v. SGB II oder SGB XII wird. Zusätzlich können die Krankenkassen ein Inkassoverfahren anstrengen, um ausstehende Beiträge rückwirkend ab Beginn der Versicherungspflicht einzufordern. Sie haben dabei die Möglichkeit, Säumniszuschläge in Höhe von 1 % des ausstehenden Beitrags zu erheben, § 24 I SGB IV. 40 Personen, die nach § 193 III, V 1 Nr. 2 VVG i. V. m. § 12 Ia VAG zur Versicherung in der PKV verpflichtet sind, haben keinerlei Versicherungsschutz, solange sie einen Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen haben. Wenden sie sich später als einen Monat nach Beginn der gesetzlichen Versicherungspflicht an ein privates Krankenversicherungsunternehmen, um einen Versicherungsvertrag abzuschließen, kann dieses einmalig einen Prämienzuschlag zusätzlich zur laufenden Versicherungsprämie erheben. Dieser beläuft sich während der ersten fünf Monate auf einen Monatsbeitrag, für jeden weiteren Monat der Nichtversicherung auf ein Sechstel eines Monatsbeitrags, § 193 IV VVG. Wird der Versicherungspflichtige durch diesen Zuschlag finanziell 38 SG Dresden vom 23.4.2008, mitgeteilt in NZA 2008, 692. 39 Dies betrifft indes nur die Personen, die alleiniger Beitragsschuldner sind. Versicherten, deren Beiträge von Dritten getragen werden (vgl. §§ 252 ff. SGB V), können Versäumnisse des Zahlungspflichtigen nicht angelastet werden, vgl. Peters in KassKomm, SGB V, § 16, Rn. 23; Kingreen in Becker/ Kingreen, SGB V, § 16, Rn. 16. 40 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung vgl. Zieglmeier in KassKomm, SGB IV, § 24, Rn. 29 ff. <?page no="56"?> 56 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung überfordert, kann er bei dem Versicherungsunternehmen die Stundung beantragen und eine Ratenzahlung vereinbaren. Die Neuregelung scheint wirksam. Die Zahl der Personen ohne Krankenversicherung ist von 196.000 im Jahr 2007 auf 61.000 im Jahr 2020 gesunken. 41 II. Versicherungsfreiheit, §§ 6, 7 SGB-V Versicherungsfreie Personen sind kraft Gesetzes von der Pflichtversicherung ausgenommen. Grund für die Versicherungsfreiheit kann zum einen ein bestimmter beruflicher Status sein, der dem Betreffenden einen äquivalenten Schutz im Krankheitsfall einräumt. So sind Beamte, Richter, Soldaten oder Geistliche nach § 6 I Nr. 2 ff. SGB V im Hinblick auf deren Beihilfeberechtigung versicherungsfrei. Zum anderen bedürfen Personen mit hohem Einkommen nicht des besonderen Schutzes der Versicherungspflicht. Sie beteiligen sich aber umgekehrt auch nicht an der solidarischen Tragung der Versicherungslasten. Versicherungsfrei sind Arbeitnehmer, deren regelmäßiges jährliches Entgelt über der in § 6 VI, VII SGB V definierten Grenze liegt, § 6 I Nr. 1 SGB V. Diese Jahresarbeitsentgeltgrenze wird durch Rechtsverordnung 42 der Bundesregierung bestimmt und an die Entwicklung der durchschnittlichen Bruttoeinkommen angepasst. Gemäß § 7 SGB V kann die Versicherungsfreiheit auch wegen des Unterschreitens einer Entgeltgrenze eintreten. Dies betrifft Personen, die eine geringfügige Beschäftigung i. S. v. §§ 8, 8a SGB IV ausüben, d. h. deren monatliches Arbeitsentgelt 450 € nicht überschreitet oder die innerhalb eines Kalenderjahres nicht mehr als zwei Monate bzw. 50 Tage erwerbstätig sind, sofern das daraus erzielte Entgelt nicht über 450 € im Monat liegt. Auch geringfügige Beschäftigungen in Privathaushalten fallen unter diese Regelung. Bei den geringfügig Beschäftigten unterstellt der Gesetzgeber ebenfalls ein fehlendes Schutzbedürfnis, da diese regelmäßig anderweitig abgesichert sind. 43 Der Versicherungsfreiheit der geringfügig Beschäftigten steht gleichwohl eine Beitragspflicht gegenüber. Gemäß § 249b SGB V sind ihre Arbeitgeber zur Entrichtung eines Beitrags i. H. v. 13 % des Arbeitsentgelts verpflichtet. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber Wettbewerbsverzerrungen zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sowie die Begründung von Leistungsansprüchen trotz kurzer und 41 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 15.09.2020. Die Daten werden lediglich alle vier Jahre erhoben. 42 Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung. Im Jahr 2019 liegt die Versicherungspflichtgrenze bei einem Jahreseinkommen von 60.750 €, vgl. Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2019 vom 27.11.2018, BGBl. I S. 2024. 43 Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 7, Rn. 1; Heldt-Andreas in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 7 SGB V, Rn. 2. <?page no="57"?> C. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung 57 niedriger Beitragszahlung vermeiden. Dies entspreche dem Grundsatz der Beitragsäquivalenz, nach dem gezahlte Beiträge und in Anspruch genommene Leistungen in angemessenem Verhältnis zueinander stehen sollen. 44 Die Regelung ist jedoch verfassungsrechtlich bedenklich. Im Gegensatz zur Renten- oder Arbeitslosenversicherung gilt das Äquivalenzprinzip in der GKV nicht. Denn der Umfang der nach dem SGB V geschuldeten Sachleistungen bemisst sich allein nach der medizinischen Notwendigkeit ihrer Inanspruchnahme. Ein Zusammenhang zur Höhe der eingezahlten Beiträge ist allein beim Krankengeld gegeben, welches jedoch nur einen verhältnismäßig geringen Anteil an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen hat. 45 III. Versicherungsbefreiung, § 8 SGB-V Personen, die vormals versicherungsfrei waren, aber aus bestimmten, in § 8 SGB V genannten Gründen versicherungspflichtig werden, können eine Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen. Dazu zählen beispielsweise Arbeitnehmer, deren Einkommen zunächst über der Jahresentgeltgrenze nach § 6 VI SGB V gelegen hat, die aber durch deren Anpassung nunmehr der Versicherungspflicht unterliegen. Der Antrag muss gemäß § 8 II SGB V binnen drei Monaten ab Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse gestellt werden. Er wirkt auf diesen Zeitpunkt zurück, sofern der Betreffende noch keine Leistungen der GKV in Anspruch genommen hat. Anderenfalls beginnt die Versicherungsfreiheit erst ab dem Monat der Antragstellung. Die Versicherungsbefreiung kann gemäß § 8 II 3 SGB V nicht widerrufen werden. Sie kann auch nicht nach § 48 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse zurückgenommen werden. Der Antragsteller soll über seine Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten nicht nach Belieben verfügen können. 46 Im Falle der rechtswidrigen Befreiung von der Versicherungspflicht besteht jedoch die Möglichkeit, diese mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Das BSG hat die Frage nach der Rechtsgrundlage der Rücknahme nicht entschieden. 47 Zwar entsprach die Versicherungsbefreiung im Zeitpunkt ihres Erlasses den Wünschen des Antragstellers und war somit für diesen begünstigend. Im Rücknahmeverfahren ist jedoch auf die aktuelle subjektive Sicht des Betroffenen abzustellen. 48 Danach kann sich die Befrei- 44 Dazu ausführlich Peters in KassKomm, SGB V, § 249b, Rn. 23; zur Vereinbarkeit des Ausschlusses geringfügig Beschäftigter aus der Sozialversicherung mit Europarecht vgl. EuGH, Slg. 1995, I-4741. 45 So schon BVerfGE 89, 365. 46 Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 8, Rn. 23; Heldt-Andreas in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 8 SGB V, Rn. 1. 47 BSGE 85, 208 (213). 48 Steinwedel in KassKomm, SGB X, § 44, Rn. 14. <?page no="58"?> 58 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ung durchaus als belastend darstellen - und wird es für den um Rücknahme Ersuchenden regelmäßig auch sein - beispielsweise wegen der Höhe der Prämien in der PKV. Daher ist bei Rücknahme der Versicherungsbefreiung auf § 44 SGB X und nicht auf § 45 SGB X als Rechtsgrundlage zurückzugreifen. IV. Freiwillige Versicherung, § 9 SGB-V § 9 SGB V ermöglicht den nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen die freiwillige Mitgliedschaft in der GKV. Dazu gehören ehemalige Pflichtmitglieder, die die Vorversicherungszeit nach § 9 I 1 Nr. 1 SGB V erfüllen oder ehemalige Familienversicherte. Der Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung ist binnen drei Monaten nach Beendigung der Pflichtversicherung schriftlich zu erklären. Die Erklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Mitgliedschaft beginnt unmittelbar mit dem Wirksamwerden dieser Erklärung, vgl. § 188 I, III SGB V. V. Familienversicherung, § 10 SGB-V Nach § 10 SGB V sind die Familienangehörigen von gesetzlich Versicherten beitragsfrei mitversichert. Die Familienversicherung ist Bestandteil des Familienlastenausgleichs, der auf diese Weise auch im Recht der GKV verwirklicht wird. Die Familienversicherung ist akzessorisch zur Mitgliedschaft eines Stammversicherten. Dies gilt sowohl für die zuständige Krankenkasse 49 als auch für die Dauer des Versicherungsverhältnisses. Mitversicherte Familienangehörige sind daher nicht selbst Mitglieder der GKV. 50 Sie haben gleichwohl eigene Leistungsansprüche gegen die Krankenkasse. In die Versicherung einbezogen sind Ehegatten und unterhaltsberechtigte Kinder, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und nicht selbst erwerbstätig und damit in die GKV einbezogen sind. Die Familienversicherung wird kraft Gesetzes begründet, bedarf also keiner Beitrittserklärung. Der Stammversicherte ist jedoch gehalten, seine mitversicherten Angehörigen bei der Krankenkasse zu melden, damit die Familienversicherung ordnungsgemäß durchgeführt werden kann, § 10 VI SGB V. Mit der beitragsfreien Familienversicherung werden die Lasten, die Eltern durch die Kindererziehung entstehen, im Krankenversicherungsrecht hinreichend ausgeglichen. 51 49 Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein Familienangehöriger mehrere die Familienversicherung begründende Tatbestände erfüllt, § 10 V SGB V. 50 Finkenbusch, Träger der Krankenversicherung, S. 154 f.; Just in Becker/ Kingreen, SGB V, § 10, Rn. 1; Heldt-Andreas in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 10 SGB V, Rn. 2. 51 BVerfG, 7.4.2022, 1 BvL 3/ 18, Rn. 361 ff. <?page no="59"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 59 D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Gemäß § 20 SGB IV werden die Mittel für die Sozialversicherung durch Beiträge der Versicherten, der Arbeitgeber und Dritter, staatliche Zuschüsse und sonstige Einnahmen aufgebracht. § 220 SGB V bestätigt diesen Grundsatz für die gesetzliche Krankenversicherung und verweist auf Beiträge und sonstige Einnahmen als Finanzierungsquellen. Zu den sonstigen Einnahmen zählen beispielsweise Erstattungsansprüche der Kassen gegen Private oder andere Sozialversicherungsträger, Zuschüsse aus Steuermitteln und die Erträge eigenen Wirtschaftens. 52 I. Der Gesundheitsfonds als Sondervermögen der GKV Die finanziellen Mittel der GKV werden in einem Gesundheitsfonds gebündelt. Beim Gesundheitsfonds handelt es sich gemäß § 271 I SGB V um ein vom Bundesversicherungsamt verwaltetes Sondervermögen. Ein Sondervermögen bezeichnet eine durch Gesetz eingesetzte staatliche Einrichtung, der eine bestimmte Aufgabe zur Ausführung zugewiesen worden ist. Diese ist zwar organisatorisch selbständig, besitzt jedoch keine Rechtspersönlichkeit. Das Bundesversicherungsamt, welches den Gesundheitsfonds verwaltet, ist als Bundesoberbehörde zuständig für die Rechtsaufsicht über die Sozialversicherungsträger, § 90 SGB IV. In den Fonds fließen neben den Beiträgen der Versicherten finanzielle Mittel des Bundes nach § 221 SGB V. 53 Die Kassen erhalten daraus Zuwendungen, mit denen sie ihre Ausgaben bestreiten. Sie sollen also nicht mehr über die Höhe der zu erhebenden Beiträge, sondern über attraktive Leistungen und Tarifangebote um Mitglieder konkurrieren. 54 Ihre beitragsrechtliche Autonomie haben die Krankenkassen damit weitgehend verloren. 55 Der Gesundheitsfonds ist nach § 271 II SGB V zum Aufbau einer Liquiditätsreserve verpflichtet. Diese soll konjunkturbedingte Einnahmeschwankungen oder -ausfälle des Fonds ausgleichen. Damit wird sichergestellt, dass die Zuweisungen an die Krankenkassen unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung konstant und in hinreichender Höhe erbracht werden. Können etwaige Einnahmeausfälle 52 Peters in KassKomm, § 220 SGB V, Rn. 15; Vossen in Krauskopf, § 220 SGB V, Rn. 10; Hesral in jurisPK-SGB V, § 220, Rn. 17. 53 Dazu ausführlich auf S. 62. 54 BT-Drs. 16/ 3100, S. 91 ff. 55 Vgl. dazu auch Schlegel, SozSich 2006, 378. <?page no="60"?> 60 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Liquiditätsreserve nicht abgedeckt werden, werden die fehlenden Mittel gemäß § 271 III SGB V durch ein zinsloses Liquiditätsdarlehen des Bundes gewährt. Der Gesundheitsfonds muss die Darlehenssumme bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres zurückzahlen. II. Beiträge Die Beiträge werden nach § 3 SGB V solidarisch von den Mitgliedern und deren Arbeitgebern getragen. Ihre Höhe orientiert sich an den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder, ist also abhängig vom wirtschaftlichen Leistungsvermögen des Einzelnen. 1. Abgrenzung zu anderen Abgabenarten Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von den übrigen Abgabenarten. Sie stellen keine allgemeine Last im Sinne einer Steuer dar. Denn sie werden - im Gegensatz zur Einkommensteuer, § 1 I, II EStG - nicht von allen Personen erhoben, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben. Sie fließen auch nicht in den allgemeinen Staatshaushalt, sondern fallen zweckgebunden dem Sondervermögen der GKV zu. Vom verwaltungsrechtlichen Beitrag unterscheidet sich der Sozialversicherungsbeitrag, da dieser die Kosten einer öffentlichen Einrichtung decken soll, die dem Schuldner objektiv besondere Vorteile bietet. Die mit den Krankenkassenbeiträgen finanzierten Leistungen kommen im Gegensatz dazu regelmäßig Dritten zugute. Denn die Solidargemeinschaft der Beitragszahler finanziert die Leistungen für alle Kranken. Beiträge stellen auch keine verwaltungsrechtliche Gebühr dar, die als Gegenleistung für die Inanspruchnahme öffentlich bereitgestellter Dienstleistungen erhoben wird. Nicht jeder, der Beiträge an die GKV entrichtet, wird auch deren Leistungen in Anspruch nehmen - denn dies setzt voraus, dass sich der Versicherungsfall Krankheit verwirklicht. Da eine Erkrankung ein allgemeines Lebensrisiko darstellt, ist der Krankenversicherungsbeitrag auch nicht als Sonderabgabe einzustufen, dient diese doch der Finanzierung atypischer Belastungen. Zwar wird mit den Beiträgen die Krankenversicherung finanziert. Sie sind damit einer Prämie in einem privaten Versicherungsvertrag vergleichbar. Das Beitragsrecht enthält jedoch Elemente des sozialen Ausgleichs, der Fürsorge und der Solidarität. Die Höhe der Beiträge bemisst sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, <?page no="61"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 61 nicht nach der Wahrscheinlichkeit, mit welcher sich beim Beitragsschuldner der Versicherungsfall verwirklicht. Im Ergebnis sind die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung daher als Abgabe sui generis einzustufen. 2. Einzug und Höhe der Beiträge Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung ist neben den Beiträgen zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung Bestandteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, § 28d S. 1 SGB IV. Er ist für die Pflichtversicherten jeweils zur Hälfte von den Mitgliedern und deren Arbeitgebern zu tragen, § 249 I SGB V. Schuldner des Beitrags ist der Arbeitgeber; er hat ihn an die Krankenkassen als Einzugsstellen der Sozialversicherung zu leisten, §§ 28e I 1, 28h, 28i SGB IV. Die Kassen behalten den auf die Krankenversicherung entfallenden Anteil des Beitrags jedoch nicht ein, sondern sind gemäß § 252 II 3 SGB V verpflichtet, diesen an den Gesundheitsfonds weiterzuleiten. Bis Ende 2008 haben die Krankenkassen den Beitragssatz für ihre Mitglieder autonom in ihrer Satzung festgelegt. Ab 2009 wurde ein allgemeiner Beitragssatz durch Rechtsverordnung der Bundesregierung einheitlich für alle Krankenkassen bestimmt, § 241 II SGB V a. F. Mit dem GKV-FinG 56 ist die Befugnis zur verbindlichen Festlegung des Beitragssatzes auf den Gesetzgeber übergegangen. Dieser erhofft sich damit, die Lohnnebenkosten zu stabilisieren. 57 Die Beitragshöhe ist nunmehr also explizit im Gesetz geregelt. Sie beläuft sich nach § 241 SGB V auf 14,6 % der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Erweist sich dieser Beitrag als unzureichend, um die Ausgaben einzelner Krankenkassen zu finanzieren, sind die Defizite über kassenindividuelle Zusatzbeiträge nach § 242 SGB V auszugleichen. 58 Bemessungsgrundlage für die zu erhebenden Beiträge sind nach § 223 II SGB V die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Diese sind für die versicherungspflichtig Beschäftigten in § 226 SGB V näher bestimmt. Sie umfassen neben dem Arbeitsentgelt auch Rentenzahlungen oder Versorgungsbezüge, Vorruhestandsgeld oder die Ausbildungsvergütung bei Auszubildenden. Jedoch unterliegen nicht die gesamten Einnahmen der Mitglieder der Beitragspflicht. § 223 III SGB V verweist insoweit auf die in § 6 VII SGB V niedergelegte Jahresentgeltgrenze als Beitragsbemessungsgrenze. Diese wird jährlich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung 56 Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2309. 57 Peters in KassKomm, SGB V, § 241, Rn. 4; Mack in jurisPK-SGB V § 241, Rn. 6. 58 Dazu ausführlich auf S. 65 f. <?page no="62"?> 62 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt, § 6 VI 4 SGB V, §§ 159, 160 SGB VI. Im Jahr 2022 belief sie sich auf ein Einkommen von 58.050 € im Jahr. Einnahmen oberhalb dieser Grenze werden bei der Beitragserhebung nicht berücksichtigt. III. Bundeszuschuss, § 221 SGB-V Zwar wird die GKV primär aus Beiträgen finanziert. Gemäß § 221 SGB V beteiligt sich jedoch der Bund an den Aufwendungen der Krankenkassen, indem er Zuschüsse aus Steuermitteln an den Gesundheitsfonds leistet. Rechtsgrundlage für die Abweichung von der Beitragsfinanzierung ist Art. 120 I 4 GG, wonach der Bund ermächtigt ist, Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zu tragen. Der Zuschuss soll der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen dienen. Die Bedeutung dieses Begriffs ist unklar, ist er doch vom Gesetzgeber nicht definiert worden. Im Rentenrecht umschreibt das Konzept der versicherungsfremden Leistungen alle Vergünstigungen, die nicht oder nicht im vollen Umfang durch Beitragszahlungen erworben werden, die daher Elemente des sozialen Ausgleichs aufweisen. 59 Für das Krankenversicherungsrecht ist dieser Ansatz jedoch untauglich, stehen hier doch - mit Ausnahme des Krankengeldes - keine Leistungen einem risikoäquivalenten Beitrag gegenüber. Die Versicherten erbringen die Beiträge nicht, um für die eigene Erkrankung vorzusorgen. Das Solidarprinzip in der GKV sichert vielmehr den Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken unabhängig von der Höhe der von ihnen erbrachten Beitragsleistungen. 60 Nach anderer Auffassung handele es sich bei den versicherungsfremden Leistungen um Aufwendungen für solche Leistungen, in denen sich per se keine Risiken der Sozialversicherung verwirklichen könnten. Dies betreffe die Haushaltshilfen, das Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes, aber auch Hilfen bei Schwangerschaftsabbruch, Empfängnisverhütung und Sterilisation. 61 Ferner wird vertreten, versicherungsfremd seien alle Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit dem abgesicherten Risiko - im Falle der GKV also dem Eintritt eines Krankheitsfalles - stünden. 62 Damit wären alle krankheitsbezogenen Leistungen, selbst wenn sie an Nichtmitglieder erbracht werden, versicherungsimmanent. Welche Leistungen der GKV nicht krankheitsbezogen und dieser Auffassung zufolge versicherungsfremd sein sollen, bleibt jedoch unklar. Es kommen allenfalls Leistungen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft in Betracht, da diese in ihrem gewöhnlichen Verlauf nicht einer Krankheit gleichzusetzen ist. 59 Ruland, Handbuch der Gesetzlichen Rentenversicherung, § 19, Rn. 44. 60 Schulin in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 6, Rn. 209; Rolfs, NZS 1998, 551 (555 f.). 61 Krause in VSSR 1980, 115 (117). 62 Rolfs, NZS 1998, 551 (555). <?page no="63"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 63 Der Gesetzgeber stuft offenbar die Leistungen, die nicht an das beitragszahlende Mitglied, sondern an Dritte gezahlt werden, als versicherungsfremd ein. Damit ließe sich die Finanzierung von Leistungen an Nichtmitglieder, beispielsweise die Familienversicherung nach § 10 SGB V unter diesen Begriff subsumieren. 63 Ebenfalls erfasst wäre das inzwischen abgeschaffte Sterbegeld, das nach dem Tod eines Versicherten an dessen Nachkommen ausgezahlt wurde. 64 Für die Praxis ist die Diskussion letztlich irrelevant, fließen doch die Mittel aus dem Bundeszuschuss in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen. Damit können sie - auch wenn der Gesetzgeber sie für die pauschale Abgeltung versicherungsfremder Leistungen vorgesehen hat - zur Finanzierung sämtlicher Ausgaben der Kassen verwendet werden. 65 Der Bundeszuschuss beläuft sich auf jährlich 14,5 Milliarden €, vgl. § 221 I SGB V. Im Zuge der Corona-Pandemie ist der Bundeszuschuss vorübergehend um weitere 7 Milliarden Euro jährlich erhöht worden, um den Beitragssatz auch vor dem Hintergrund der immensen pandemiebedingten Ausgaben zu stabilisieren, § 221a SGB V. IV. Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen Die Krankenkassen erhalten aus dem Gesundheitsfonds Zuwendungen, um ihre Ausgaben zu bestreiten. Diese setzen sich aus einer Grundpauschale sowie Zu- oder Abschlägen zum Ausgleich besonderer Risikostrukturen (§ 266 SGB V) und Zuweisungen für sonstige Ausgaben (§ 270 SGB V) zusammen. 1. Standardisierte Leistungsausgaben Die Grundpauschale und die alters-, geschlechts- und risikobezogenen Zu- und Abschläge dienen gemäß § 266 II SGB V der Finanzierung der standardisierten Leistungsausgaben der Kassen. Diese werden jährlich neu bestimmt. Grundlage der Berechnung sind die durchschnittlichen Ausgaben für die Versicherten aller Krankenkassen, die im Wege von Datenerhebungen nach § 267 III SGB V ermittelt werden. Die Grundpauschale ist für alle Krankenkassen einheitlich. Im Jahr 2022 belief sie sich auf monatlich ca. 305,00 € je Versicherten. 66 Die Einkünfte der Krankenkassen werden damit vom Einkommensniveau ihrer Versicherten abgekoppelt. Die bloße 63 Eckpunkte zu einer Gesundheitsreform 2006, KrV 2006, 192 (193). 64 Vgl. BT-Drs. 15/ 1525, S. 91. 65 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 907. 66 Bekanntmachung des BVA vom 22.11.2021, www.bundesversicherungsamt.de. <?page no="64"?> 64 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Zuweisung eines Pauschalbetrags wird jedoch den Bedürfnissen der Krankenkassen nicht gerecht. Kassen mit einer hohen Zahl von Mitgliedern, die überdurchschnittlich viele medizinische Leistungen in Anspruch nehmen - beispielsweise alte oder chronisch kranke Versicherte - würden schnell an die Grenzen der Finanzierbarkeit geraten. Aus diesem Grund werden von der Grundpauschale Zu- und Abschläge basierend auf Geschlecht, Alter und Erkrankungsrisiko vorgenommen, um der Versichertenstruktur der einzelnen Kassen gerecht zu werden. 67 2. Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich Die Zu- und Abschläge sind die Kernelemente eines jährlich bundesweit und kassenartenübergreifend durchzuführenden Risikostrukturausgleichs, § 266 I 2 SGB V. a. Der Risikostrukturausgleich nach § 266 SGB V a. F. Der Risikostrukturausgleich (RSA) ist keine Neuerung, die erst mit dem Gesundheitsfonds etabliert worden ist. Eingeführt durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 68 ist dieses Verfahren bereits seit 1994 ein zentrales Element der Finanzierung der GKV. Der Gesetzgeber wollte damit Wettbewerbsgleichheit zwischen den Krankenkassen herstellen, wichen die damals noch durch Satzung der Krankenkassen festzulegenden Versichertenbeiträge doch erheblich voneinander ab. Die Beitragssätze lagen - je nach der Versichertenstruktur und der damit verbundenen Ausgabenlast der einzelnen Kassen - im Jahr 1993 zwischen 8,5 % und 16,8 %. 69 Dies war im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 I GG nicht hinnehmbar. Denn die Mitglieder waren zu dieser Zeit noch kraft Gesetzes einer bestimmten Kassenart zugewiesen. Der im SGB V enthaltene Leistungskatalog galt jedoch gleichermaßen für alle Kassenarten. Das BVerfG hat darin eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gesehen, da sich die Versicherten der unterschiedlichen Beitragsbelastung nicht durch den Wechsel der Krankenkasse entziehen konnten. 70 Mit der ebenfalls durch das GSG zum 1.1.1996 eingeführten Wahlfreiheit unter den Krankenkassen hätten sich solche eklatanten Beitragsunterschiede ohne Ausgleichsmechanismus zudem wettbewerbsverzerrend ausgewirkt. Um günstige Beitragssätze finanzieren zu können, wären die Kassen gehalten gewesen, vor allem junge, gesunde und gut verdienende Versicherte an sich zu binden. Es bestand daher die Gefahr, dass die finanziellen Mittel der GKV unwirtschaftlich eingesetzt würden. Mit 67 Zu den Modalitäten der Berechnung dieser Zuschläge vgl. Becker in jurisPK-SGB V, § 266, Rn. 32 ff. 68 Art. 1 Nr. 143, Art. 35 III GSG vom 21. 12. 1992, BGBl. I S. 2266. 69 BArbBl 4/ 1993, 121. 70 BVerfGE 89, 365. <?page no="65"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 65 dem Risikostrukturausgleich nach §§ 266 f. SGB V a. F. erhielten Krankenkassen mit einer ungünstigen Risikostruktur nunmehr Ausgleichszahlungen von Kassen mit günstiger Risikostruktur. Die Beitragssätze näherten sich infolge dessen an. Die Höhe der Ausgleichzahlungen wurde anhand eines Vergleichs zwischen Beitragsbedarf und Finanzkraft der einzelnen Kassen berechnet. Als Beitragsbedarf galt die Summe der standardisierten Leistungsausgaben aller Versicherten. Um diese zu ermitteln, wurden die Versicherten in homogene Risikokategorien - Alter, Geschlecht und Erwerbsfähigkeit - eingruppiert. Zudem wurde berücksichtigt, wie viele Versicherte der einzelnen Kassen an strukturierten Behandlungsprogrammen 71 teilnahmen. Davon ausgehend wurde die Summe der innerhalb einer Risikogruppe angefallenen Kosten für die medizinische Versorgung ermittelt. Dem Beitragsbedarf wurde die Finanzkraft der Kassen gegenüber gestellt. Diese bemaß sich nach den beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder, die mit dem Beitragssatz zu multiplizieren war, der im Bundesdurchschnitt notwendig gewesen wäre, um sämtliche Leistungsausgaben aller Krankenkassen zu decken. Dieser Ausgleichsbedarfssatz wurde jährlich durch das Bundesversicherungsamt festgelegt. Ergab der Vergleich, dass der Beitragsbedarf einer Krankenkasse höher war als ihre Finanzkraft, begründete dies einen Ausgleichsanspruch gegen die Kassen, deren Finanzkraft den Beitragsbedarf überschritt. Der RSA nach § 266 SGB V a. F. wurde bundesweit zwischen allen Krankenkassen - vermittelt durch das Bundesversicherungsamt - durchgeführt. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Ausgleichsverfahrens ist höchstrichterlich bestätigt worden. Der RSA verfolge das Ziel, eine gerechte Beitragsbelastung aller gesetzlich Versicherten herbeizuführen. Der durch die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Krankenkassen ausgelöste Wettbewerb in der GKV müsse sozial flankiert werden, um einen „Wettlauf“ um die günstigsten Risikostrukturen zu verhindern. Nur wenn annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Kassen sichergestellt seien, sei eine gerechte Belastung einerseits und eine adäquate Versorgung der Versicherten andererseits gewährleistet. Damit diene der RSA dem die gesetzliche Krankenversicherung prägenden sozialen Ausgleich. 72 b. Der „Morbi-RSA“ nach § 266 SGB V n. F. Die Grundprinzipien des RSA sind seither unangetastet geblieben. Die Unterschiede im Krankheitsrisiko der Versicherten, der Höhe der Einnahmen aus den Beitragszahlungen und die Zahl der beitragsfrei mitversicherten Familienmitglieder sollen weiterhin ausgeglichen werden. Während der RSA nach altem Recht aber von 71 DMP (disease management programmes) für Chroniker nach Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, vorgesehen für Brustkrebs, Herzerkrankungen, Diabetes, Asthma, dazu ausführlicher auf S. 162. 72 BVerfGE 113, 167; BSGE 90, 231. <?page no="66"?> 66 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung den Krankenkassen untereinander durchgeführt wurde, erfolgt er nunmehr durch den Gesundheitsfonds, § 266 I SGB V. Die Morbiditätsgruppen des hergebrachten RSA - Alter, Geschlecht, Erwerbsfähigkeit - sind um einen Katalog von 80 ausgewählten Krankheiten erweitert worden. 73 Kassen, die viele Versicherte mit diesen schweren oder chronischen Erkrankungen und damit einem hohen Versorgungsbedarf aufweisen, erhalten Zuschläge auf die nach § 266 I SGB V zu gewährende Grundpauschale. Damit soll dem besonderen Versorgungsbedarf und der damit einhergehenden hohen Ausgabenlast Rechnung getragen werden. Weitere Zuschläge werden für Versicherte geleistet, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Voraussetzung ist, dass diese Versicherten an einer schweren Erkrankung leiden, für die zwar kein morbiditätsbezogener Zuschlag geleistet wird, die aber einen gleichermaßen hohen Versorgungsbedarf und damit eine gesteigerte Ausgabenlast für die Krankenkasse zur Folge haben. Maßgeblich für die Zuordnung der Versicherten zu einer der Morbiditätsgruppen sind die ärztlichen Diagnosen, die anonymisiert im Abrechnungsverfahren der Vertragsärzte erfasst und von den Krankenkassen an das Bundesversicherungsamt gemeldet werden, § 267 III SGB V. Die Höhe der Zuschläge richtet sich jedoch nicht nach den für die jeweilige Erkrankung anfallenden Behandlungskosten. Vielmehr sollen die Mehrkosten ausgeglichen werden, die durch den besonderen Aufwand für die Nachsorge verursacht werden. 74 Für Versicherte, die an keiner der genannten Krankheiten leiden, müssen die Krankenkassen dagegen alters- und geschlechtsbezogene Abschläge von der Grundpauschale hinnehmen. Dieses System soll sicherstellen, dass den Krankenkassen nur die Mittel zufließen, die sie zur angemessenen Versorgung ihrer Versicherten im Durchschnitt benötigen. 3. Zuweisungen zur Finanzierung sonstiger Ausgaben, § 270 SGB-V Da die Beiträge der Versicherten nicht mehr den einzelnen Kassen, sondern dem Gesundheitsfonds zufließen, müssen die Zuweisungen aus dem Fonds nicht nur die leistungsbezogenen Ausgaben, sondern auch die sonstigen Aufwendungen der Krankenkassen decken. Diesem Bedürfnis trägt § 270 SGB V Rechnung. Zu den sonstigen Ausgaben im Sinne dieser Norm zählen die Kosten für Leistungen nach § 266 IV 1 Nr. 2 SGB V 75 (Nr. 1), Ausgaben für strukturierte Behandlungs- 73 Dazu Baumann, ErsK 2008, 69. 74 Bundesversicherungsamt, S. 8 ff.; ausführlich Sichert/ Göpfharth, SGb 2010, 394; Stock/ Lüngen/ Lauterbach, SozSich 2006, 407. 75 Dabei handelt es sich um satzungsgemäße Mehrleistungen und Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht. <?page no="67"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 67 programme nach § 137g SGB V (Nr. 2) und die Verwaltungsausgaben (Nr. 3). Wie bei den behandlungsbezogenen Zuweisungen wird auch hier nicht nach anfallenden Kosten differenziert, sondern eine pauschalierte Summe gezahlt, die anhand der Durchschnittsausgaben für die einzelnen Versichertengruppen ermittelt wird. 76 Mit dieser standardisierten Finanzierung soll ein Anreiz zur Kostensenkung gesetzt werden. Könnten die Krankenkassen ihre tatsächlichen Aufwendungen vollumfänglich durch den Gesundheitsfonds finanzieren, bestünde keine Notwendigkeit, die vorhandenen Mittel wirtschaftlich einzusetzen. V. Zusatzbeiträge der Krankenkassen Soweit die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichen, um den Finanzbedarf einer Krankenkasse abzudecken, ist diese gemäß § 242 SGB V verpflichtet, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Entsprechende Regelungen hat jede Kasse in ihrer Satzung zu treffen. Der Zusatzbeitrag wurde ursprünglich ohne Zwischenschaltung des Gesundheitsfonds oder der Arbeitgeber unmittelbar beim Versicherten erhoben. Mit dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz 77 ist auch der Zusatzbeitrag nunmehr paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu finanzieren, § 249 I SGB V. Unverändert bleibt jedoch § 242 I 1 SGB V, wonach der Zusatzbeitrag weiterhin von den Krankenkassen bei ihren Mitgliedern erhoben wird, sodass dieser weiterhin vorher in den Gesundheitsfonds fließt. Der Zusatzbeitrag ist gemäß § 242 I 3 SGB V so zu bemessen, dass er gemeinsam mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds und den sonstigen Einnahmen die voraussichtlichen Ausgaben der Kasse deckt und zusätzlich die Bildung der gesetzlich vorgesehenen Rücklagen ermöglicht. 2009 eingeführt, hat die Ausgestaltung der Zusatzbeiträge bereits mehrfach Änderungen erfahren, zuletzt 2015 durch das GKV- FQWG. 78 Seither haben die Krankenkassen den Zusatzbeitrag nicht mehr als Pauschale, sondern als Prozentsatz vom beitragspflichtigen Einkommen der Versicherten zu erheben, § 242 I 2 SGB V. Der vormals in § 242b SGB V verankerte individuelle Sozialausgleich, mit dem eine übermäßige Belastung von Versicherten mit niedrigem Einkommen abgewendet werden sollte, ist entfallen. Stattdessen ist in § 270a SGB V nunmehr ein kassenübergreifender Ausgleich aus dem Gesundheitsfonds vorgesehen. Um Wettbewerbsverzer- 76 Göpffarth / Pfohl in Becker/ Kingreen, SGB V, § 270, Rn. 5. 77 vom 11.12.2018, BGBl. I, 2387. 78 Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz) vom 21.07.2014, BGBl. I S. 1133. Dazu ausführlich Algermissen, NZS 2014, 921. <?page no="68"?> 68 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung rungen zu Lasten der Krankenkassen mit unterdurchschnittlich verdienenden Mitgliedern zu vermeiden, erhalten diese eine Ausgleichszahlung aus dem Gesundheitsfonds, die so bemessen wird, als hätten ihre Mitglieder ein durchschnittliches Einkommen erzielt. 79 Für die Versicherten, deren Beiträge von Dritten getragen werden - beispielsweise Bezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende, behinderte Menschen in Werkstätten oder Personen in Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben - ist vorgegeben, dass der Zusatzbeitrag als durchschnittlicher Zusatzbeitrag zu erheben ist, §§ 242 II, 242a SGB V. Dieser wird jährlich im Voraus durch das Bundesgesundheitsministerium auf der Grundlage eines Berichts des Schätzerkreises beim Bundesversicherungsamt festgelegt. Im Jahr 2022 belief er sich auf 1,3 %. 80 Für Personen, die hilfebedürftig würden, müssten sie den Zusatzbeitrag selbst finanzieren, wird dieser durch die Bundesagentur für Arbeit in der zur Abwendung der Hilfebedürftigkeit erforderlichen Höhe übernommen, § 26 III SGB II. 81 Die Erhebung oder Erhöhung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags zieht gemäß § 175 IV 5 SGB V ein Sonderkündigungsrecht des Versicherten nach sich. Anders als vor Inkrafttreten des GKV-FQWG ist der Zusatzbeitrag jedoch bis zum Wirksamwerden der Kündigung zu entrichten. Die Krankenkassen trifft eine entsprechende Hinweispflicht, § 175 IV 6 SGB V. Die Krankenkassen müssen die Höhe der von ihnen erhobenen Zusatzbeiträge dem Bundesversicherungsamt melden, welches gemäß § 242 V SGB V eine laufend aktualisierte Übersicht im Internet veröffentlicht. Die kassenindividuellen Zusatzbeiträge sind seit der bundeseinheitlichen Festlegung des allgemeinen Beitragssatzes daher ein wesentlicher Pfeiler im Wettbewerb der Krankenkassen um Mitglieder. VI. Wahltarife Ein weiterer Finanzierungsmodus, mit dem Krankenkassen um Mitglieder konkurrieren, sind die Wahltarife nach § 53 SGB V. Das Gesetz ermächtigt sie, in ihrer Satzung verschiedene Möglichkeiten zur Anpassung der von den Versicherten zu tragenden Beiträge oder Zuzahlungen an deren Versorgungsbedürfnisse zu verankern. 79 Peters in KassKomm, SGB V, § 270a, Rn. 2; Algermissen, NZS 2014, 921 (925). 80 Bekanntmachung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2022 vom 18.11.2021, BAnz vom 19.11.2021. 81 Bittner in jurisPK-SGB II, § 26, Rn. 68 f. <?page no="69"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 69 1. Die Tarife im Einzelnen a. Selbstbehalttarif, § 53 I SGB V Im Selbstbehalttarif nach § 53 I SGB V vereinbaren die Versicherten, einen Teil ihrer jährlich anfallenden Behandlungskosten selbst zu tragen. Im Gegenzug erhalten sie von ihrer Krankenkasse eine Prämie. Der Selbstbehalt darf sich allein auf die Behandlungskosten des am Wahltarif teilnehmenden Versicherten, nicht aber auf dessen Familienangehörige erstrecken. 82 Aufwendungen für Früherkennungsuntersuchungen und Vorsorgemaßnahmen sind vom Selbstbehalt nicht erfasst. Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Norm. Da aber der Gesetzgeber der Prävention einen besonderen Stellenwert eingeräumt hat (§ 20 SGB V), würde es dessen Intention zuwiderlaufen, wollte man die Kosten für die regelmäßige Inanspruchnahme solcher Untersuchungen im Selbstbehalttarif den Versicherten aufbürden. 83 b. Leistungsvermeidungstarif, § 53 II SGB V Nehmen Versicherte und ihre mitversicherten Angehörigen im Laufe eines Kalenderjahres gar keine Leistungen der GKV in Anspruch, können die Krankenkassen Prämien im Rahmen des Leistungsvermeidungstarifs nach § 53 II SGB V gewähren. Vorsorgeuntersuchungen und die von minderjährigen Mitversicherten in Anspruch genommenen Leistungen bleiben außer Betracht. 84 Die Prämie darf ein Zwölftel des jährlich gezahlten Krankenversicherungsbeitrags - einschließlich des Arbeitgeberanteils - nicht überschreiten. Entscheidet sich eine Krankenkasse, einen solchen Tarif in ihre Satzung aufzunehmen, muss sie die Voraussetzungen für die Prämienzahlung prüfen. Ein Antrag des Versicherten ist nicht erforderlich. 85 Dem steht auch § 19 S. 1 SGB IV nicht entgegen, der ein Antragserfordernis für sämtliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung statuiert. 86 Denn bei der nach § 53 II SGB V zu gewährenden Prämie handelt es sich nicht um eine Leistung, die wegen des Eintritts des Versicherungsfalls zu erbringen ist, sondern um eine Form der Beitragsrückerstattung, die ihren Grund gerade in der unterbliebenen Inanspruchnahme von Leistungen hat. 82 BSG, NZS 2012, 263 (264). 83 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 374; Lang in Becker/ Kingreen, § 53 SGB V, Rn. 9. Ausführlich zum Selbstbehalt-Tarif Preisner, Wahltarife im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 53 ff. 84 Preisner, Wahltarife im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 75 und 82. 85 Lang in Becker/ Kingreen, SGB V, § 53, Rn. 13. 86 So aber Nolte, KassKomm, § 53 SGB V, Rn. 21. <?page no="70"?> 70 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung c. Tarif für besondere Versorgungsformen, § 53 III SGB V Für die Teilnahme der Versicherten an besonderen Versorgungsformen haben die Kassen gemäß § 53 III SGB V einen Wahltarif anzubieten. Die Krankenkassen haben diesbezüglich also kein Ermessen. Diese besonderen Versorgungsformen umfassen namentlich Modellvorhaben (§ 63 SGB V), das Hausarztmodell (§ 73b SGB V), strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch Kranke (§ 137f SGB V) oder die integrierte Versorgung (§ 140a SGB V). Die Teilnahme an solchen Programmen, die besonders abgestimmte Leistungen verschiedener Ärzte, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen oder sonstiger Anbieter beinhalten, ist für die Versicherten freiwillig. Entscheiden sie sich dafür, sollen sie durch Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen belohnt werden. Für Versicherte, die sich für diesen Wahltarif entscheiden, gilt die in § 53 VIII SGB V vorgesehene Bindungsfrist von mindestens drei Jahren nicht. d. Kostenerstattungstarif, § 53 IV SGB V Gemäß § 13 II SGB V haben Versicherte das Recht, statt des regulär geltenden Sachleistungsprinzips Kostenerstattung zu wählen. Zusätzlich 87 können sie sich für einen satzungsmäßigen Wahltarif zur Kostenerstattung entscheiden. Dazu müssen im Grunde die Voraussetzungen des § 13 II SGB V erfüllt sein. 88 Im Unterschied zu § 13 II SGB V sind im Rahmen des Wahltarifs jedoch weder die Krankenkassen noch die Leistungserbringer zur umfassenden Information und Beratung des Versicherten verpflichtet, § 53 IV 3 SGB V. Die Krankenkasse kann in der Wahltarif-Option gemäß § 53 IV SGB V variable Kostenerstattungssätze anbieten und den Versicherten dafür spezielle Prämien in Rechnung stellen. Die Prämie wird umso höher ausfallen, je höher der mit der Krankenkasse vereinbarte Kostenerstattungssatz ist. Versicherte und Krankenkasse können die Kostenerstattung auf einzelne Leistungsformen, beispielsweise die zahnärztliche oder die gesamte ambulante Versorgung beschränken, während im Übrigen weiter das Sachleistungsprinzip gelten soll. Der Wahltarif ist jedoch allein auf die Höhe der Kostenerstattung beschränkt. Das nach dem Leistungskatalog des SGB V geschuldete Maß an Sach- und Dienstleistungen darf nicht erweitert werden. 89 87 Dreher in jurisPK-SGB V, § 53, Rn. 69; Preisner, Wahltarife im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 105 ff. 88 Nolte in KassKomm, SGB V, § 53, Rn. 28. Wolf, NZS 2011, 87, 89 bezeichnet die Entscheidung für Kostenerstattung nach § 13 II SGB V als „Grundgerüst des Wahltarifmodells“. 89 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 387. <?page no="71"?> D. Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung 71 e. Tarif für Arzneimittel besonderer Therapierichtungen, § 53 V SGB V Die Krankenkassen haben das Recht, Versicherten die Kostenübernahme für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der „besonderen Therapierichtungen“ anzubieten. Diese Arzneimittel sind gemäß § 34 I 1 SGB V von der Regelversorgung ausgenommen. Der Begriff der besonderen Therapierichtungen ist im Gesetz nicht definiert. Nach allgemeiner Auffassung fallen die Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie darunter. 90 Wollen Versicherte die Versorgung mit derartigen Arzneimitteln in Anspruch nehmen, können die Krankenkassen in ihrer Satzung vorsehen, dass sie im Gegenzug eine gesonderte Prämie zu entrichten haben, § 53 V SGB V. f. Krankengeld-Wahltarif, § 53 VI SGB V Nach § 53 VI SGB V können Versicherte gegen die Zahlung einer Prämie einen individuellen Krankengeldanspruch mit ihrer Krankenkasse vereinbaren. 91 Das Krankengeld soll krankheitsbedingte Einkommensausfälle ausgleichen. Selbständige, geringfügig oder unständig Beschäftigte haben gemäß § 44 II SGB V keinen Anspruch auf diese Leistung. 92 2. Allgemeine Regeln für die Ausgestaltung der Wahltarife Die Wahltarife sollen den Versicherten die Auswahl einer auf ihre individuellen Ansprüche zugeschnittenen Krankenkasse ermöglichen und damit das Selbstbestimmungsrecht stärken. Dies gilt jedoch nicht für alle Versicherten. Diejenigen, deren Beiträge vollständig von Dritten getragen werden - dies betrifft namentlich die Bezieher von Arbeitslosengeld - können lediglich den Tarif für besondere Versorgungsformen wählen, § 53 VIII 6 SGB V. Die Versicherten sind mindestens drei Jahre an den gewählten Tarif und damit auch an ihre Krankenkasse gebunden. Lediglich für den Wahltarif für besondere Versorgungsformen besteht keine Mindestbindungsfrist, § 53 VIII SGB V. Ein Wechsel in den Normaltarif, beispielsweise wenn der Versicherte unvermutet schwer erkrankt, ist nicht möglich. Auch das Sonderkündigungsrecht im Falle der Erhebung oder Erhöhung eines Zusatzbeitrags nach § 175 IV SGB V ist eingeschränkt. Gemäß § 53 VIII 2 SGB V kann die Kündigung in diesem Fall frühestens zum Ablauf der dreijährigen Mindestlaufzeit erfolgen. Lediglich für besondere Härtefälle haben die Krankenkassen in ihren Satzungen ein Kündigungsrecht vorzusehen, § 53 VIII 3 SGB V. 90 Lang in Becker/ Kingreen, SGB V, § 53, Rn. 21; Dreher in jurisPK-SGB V, § 53, Rn. 90. 91 Eingehend Preisner, Wahltarife im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 140 ff. 92 Dazu Sodan, NJW 2007, 1313. <?page no="72"?> 72 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Die Prämienzahlungen an Versicherte sind in ihrer Höhe begrenzt. § 53 VIII 4 SGB V sieht vor, dass diese sich auf maximal 20 % der jährlich vom Versicherten entrichteten Beiträge, höchstens aber auf 600,00 € im Jahr belaufen dürfen. Damit soll sichergestellt werden, dass die von den Krankenkassen zu leistenden Prämien im angemessenen Verhältnis zu den entrichteten Krankenversicherungsbeiträgen stehen. 93 Die einzelnen Wahltarife sollen nach § 53 IX SGB V ausschließlich aus den Einsparungen und Effizienzsteigerungen finanziert werden, die durch eben jenen Tarif erreicht worden sind. Sie müssen sich also letztlich selbst tragen und dürfen keine zusätzlichen Kosten für die Krankenkassen verursachen. 93 BSG, NZS 2012, 263 (264). Ausführlich Preisner, Wahltarife im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 174. <?page no="73"?> E. Leistungsrecht 73 E. Leistungsrecht Die Versicherten haben gemäß § 11 I SGB V Anspruch auf Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. § 27 SGB V präzisiert den Begriff der Krankenbehandlung und weist dieser neben der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung auch die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die häusliche Krankenpflege, Krankenhausbehandlung sowie Leistungen zur Rehabilitation zu. I. Versicherungsfall „Krankheit“ Mit der medizinischen Behandlung eines Patienten sollen drohende Erkrankungen verhindert oder bestehende Krankheiten gelindert oder geheilt werden. Sie dient also der Aufrechterhaltung oder (Wieder-)Herstellung von Gesundheit. Wann aber gilt ein Mensch als krank und kann damit einen Anspruch auf Krankenbehandlung geltend machen? Beschreibt „Gesundheit“ lediglich einen Zustand der Abwesenheit von Krankheit oder geht sie darüber hinaus? Beide Begriffe sind nur schwer zu bestimmen, setzen sie doch bereits Klarheit über das zu Definierende voraus. Gesundheit und Krankheit sind kaum eindeutig und scharf voneinander abgrenzbar. Beide Zustände bedingen sich vielmehr gegenseitig. Nicht zuletzt sind die begrifflichen Unklarheiten der Bandbreite der Empfindungen jedes Menschen geschuldet, aber auch in divergierenden Einschätzungen des Zustands ein und desselben Patienten durch verschiedene Ärzte begründet. 94 1. Subjektiver Krankheitsbegriff Gleichwohl wird der Begriff der Gesundheit unter Berücksichtigung solcher subjektiven Einschätzungen zu bestimmen gesucht. So werden Krankheiten als „vom Kranken oder seiner mitmenschlichen Umgebung als Missbefinden, auffällige Zeichen, Funktionsstörungen, Stimmungs- und Verhaltensänderungen erlebte und beobachtete oder von einem Untersucher festgestellte Abweichungen von Normen“ beschrie- 94 Hafen, Sozial Extra, 5-6/ 2007, 32 (33 f.); Hartmann/ Linzbach/ Nissen/ Schaefer: Das Fischer Lexikon, Medizin I, S. 182: „Die Begriffe ‚gesund‘ und ‚krank‘ sind einer positiven Definition nicht fähig, d. h. es unterliegt in gewissen Grenzen dem Gutdünken von Arzt oder Patient, festzusetzen, wen man für gesund, wen für krank hält.“ <?page no="74"?> 74 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ben. 95 Eine solche subjektive Einschätzung mag zwar im Einzelfall berechtigt sein. So haben der Lebensstil und die Mentalität des Einzelnen einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf Heilungschancen, Schmerzempfinden oder psychosomatische Störungen. Sie kann aber nicht generell als Maßstab für die Begründung von Ansprüchen auf Krankenbehandlung dienen. Denn manche „Abweichungen von der Norm“ können von einem Menschen als schwerwiegend empfunden, von einem anderen dagegen als unbeachtlich („Krankfeiern“) abgetan werden. 2. Objektivierbare Definitionsansätze Das Recht ist indes auf klare Begrifflichkeiten angewiesen. Die Voraussetzungen für Ansprüche müssen im Interesse der Rechtssicherheit eindeutig bestimmbar, die zu ihrer Klärung erforderlichen Begriffe justiziabel sein. Es ist daher unerlässlich, sich dem Krankheits-/ Gesundheitsbegriff über objektivierbare Anhaltspunkte zu nähern. a. Der Gesundheitsbegriff der WHO Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gesundheit als einen Zustand „vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ und nicht lediglich die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. 96 Was jedoch soziales Wohlbefinden ausmacht, ist unklar. Der Begriff kann sowohl Wohlstand im Sinne von Abwesenheit von Armut meinen als auch dem sozialen Leben eines jeden Menschen zugeordnete Aspekte wie Freude oder die Abwesenheit von Verzweiflung, Trauer oder Erschöpfung. Soweit der WHO-Begriff auf ersteres, also auf materiellen Wohlstand abstellt, ist dies zwar zutreffend. Schließlich ist der Zusammenhang zwischen Armut und Erkrankungsrisiko in zahlreichen Studien nachgewiesen worden. 97 Die Beseitigung von Armut ist jedoch nicht Aufgabe der Krankenversicherung. Die WHO-Definition kann daher allenfalls so ausgelegt werden, dass die gesundheitlichen Folgen von Armut durch die Leistungen der Krankenversicherung abzumildern sind. Der zweite Aspekt, die Anknüpfung des Gesundheitsbegriffs an ein funktionierendes soziales Umfeld und positive Stimmungen und Empfindungen des Menschen greift zu weit und ließe den Begriff der Krankheit im Sinne von „Wellness“ ausufern. 95 Zitiert bei Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 1, Rn. 17. 96 Präambel der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22.7.1946, bestätigt durch die Charta der 1. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung („Ottawa-Charta“) vom 21.11.1986, abgedruckt in Franzkowiak, Dokumente der Gesundheitsförderung, S. 60, 96 ff. Ausführlich Kickbusch in Häfner (Hg.), Gesundheit - unser höchstes Gut, S. 275. 97 Statt vieler: Lampert/ Saß/ Häfelinger/ Ziese, Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit, Berlin 2007. <?page no="75"?> E. Leistungsrecht 75 Soll etwa jeder Moment der Trauer im Leben eines Menschen als Krankheit Ansprüche auf Behandlung oder auf Unterstützung durch die Krankenversicherung begründen können? Und kann nicht andererseits auch ein kranker Mensch Wohlbefinden verspüren? 98 Die Definition der WHO mag ambitioniert und wegweisend sein, was den Anstoß gesellschaftlicher, vor allem gesundheitspolitischer Entwicklungen und die Diskussion um den menschenrechtlichen Gehalt von Gesundheit angeht. Um konkrete Ansprüche eines Versicherten gegen die GKV herzuleiten, ist die Annäherung an den Versicherungsfall „Krankheit“ ausgehend vom Gesundheitsbegriff der WHO gerade wegen der Bezugnahme auf das Wohlbefinden jedoch nur schwer möglich. b. Der Krankheitsbegriff in der Rechtsprechung Auch die Gerichtsbarkeit hat sich mit der Problematik, Gesundheit und Krankheit voneinander abzugrenzen, auseinandergesetzt. Nach Ansicht des BGH ist der Begriff der Krankheit immer ausgehend vom jeweiligen gesetzgeberischen Kontext zu bestimmen. Die Unterschiede in der Zweckrichtung einzelner Normen ließen eine einheitliche, allgemeingültige Definition nicht zu. 99 In einer frühen Entscheidung zum Arzneimittelrecht hat der BGH Krankheit als „jede, also auch eine nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt werden kann“ definiert. 100 Für die GKV ist dieser Ansatz nur wenig geeignet. Vor allem das Abstellen auf die Heilbarkeit einer Krankheit birgt Probleme. Denn gerade Menschen, die von unheilbaren Erkrankungen betroffen und damit in besonderem Maße auf medizinische Versorgung angewiesen sind, wären von jedweden Ansprüchen gegen die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten ausgeschlossen. Indem auch jede kurzzeitige Abweichung als Krankheit definiert wird, wäre zudem wohl auch ein Vollrausch als Erkrankung anzusehen. Der menschliche Körper funktioniert im Vollrausch zwar nicht mehr normgemäß. Soll deshalb bereits von einer Krankheit die Rede sein, die Ansprüche gegen die GKV begründen kann? Das BAG hat Krankheit als regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand definiert, der einer Heilbehandlung bedarf. 101 Das BSG erweitert die arbeitsgerichtliche Definition um den Aspekt der Folgen einer Erkrankung. Krankheit ist demzufolge ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/ oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. 102 Das BSG orientiert sich also ebenso wie der BGH am Sinn und 98 Hafen, Sozial Extra 5-6/ 2007, 32 (33). 99 BGH, NJW 1958, 916 (917) mit zahlreichen Beispielen zur Auslegung des Krankheitsbegriffs. 100 BGH, NJW 1958, 916 (Leitsatz). 101 BAGE 10, 183 (184); 43, 54 (57); 48, 1 (3). 102 BSGE 26, 240 (242); 35, 10 (12). <?page no="76"?> 76 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Zweck der Normen, in deren Kontext der Krankheitsbegriff steht. Im Recht der Krankenversicherung ist somit auf solche Tatbestände abzustellen, die eine Leistungspflicht der Krankenkasse - also die Behandlung zu Lasten der Solidargemeinschaft - rechtfertigen. Zwar rekurriert auch die Definition des BSG auf den unklaren Begriff des „gesunden Menschen“. 103 Das Abstellen auf die Arbeitsunfähigkeit vermag diesen jedoch zu präzisieren und bietet somit einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Feststellung des Versicherungsfalls. Die Berücksichtigung der Behandlungsbedürftigkeit stellt sicher, dass der Regelwidrigkeit eine gewisse Relevanz zukommt. 104 Zugleich rechtfertigen Behandlungsbedürftigkeit und/ oder krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit das Eintreten der Solidargemeinschaft: wird die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt, ist die Teilhabe des Versicherten am gesellschaftlichen Leben gewährleistet. Diese Teilhabe - soziale Inklusion - sicherzustellen, ist eine der wesentlichen Anliegen des Sozialrechts. c. Einzelfälle Der Rückgriff auf den „Normalzustand“ des Körpers erfordert gleichwohl, diesen genauer zu bestimmen. Ein rein statistischer Ansatz ist an dieser Stelle nicht angezeigt, wären danach doch weit verbreitete Beschwerden wie beispielsweise Karies als normal zu erachten und damit ohne Auswirkung auf die Gesundheit im rechtlichen Sinne. Es ist daher vielmehr auf das Ideal des lehrbuchmäßig funktionierenden Körpers abzustellen. Leitbild für die Beurteilung ist der junge Mensch. Altersgebrechen wie Schwerhörigkeit oder Beeinträchtigungen des Sehvermögens, die zwar eine Vielzahl von alten Menschen betreffen und damit im Grunde der Norm entsprechen, gelten damit ebenfalls als Regelwidrigkeiten, die im Rahmen der GKV einen Anspruch auf Krankenbehandlung vermitteln. 105 Dabei handelt es sich nicht zuletzt um eine gesundheitspolitische Erweiterung des Krankheitsbegriffs. Die moderne Medizin hat Behandlungsmöglichkeiten auch für das typische altersbedingte Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit eröffnet. Das Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit i. S. v. Behandlungsfähigkeit ermöglicht daher die Anerkennung von Alterserscheinungen als Krankheit. 106 Es ist nicht notwendig, dass die Abweichung vom normalen Funktionieren des Körpers über die Privatsphäre des Versicherten hinaus Bedeutung hat. Dementsprechend hat das BSG den Krankheitswert von organisch bedingten Potenzstörungen 103 Zu den Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung vgl. auch Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 2, Rn. 5; Eichenhofer, SGb 1994, 501. 104 Nolte in KassKomm, SGB V, § 27, Rn. 9a; Steinmeyer/ Grötschel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, vor § 11 SGB V, Rn. 18. 105 BSG, NZA 1989, 287 (288), BSGE 85, 36 (39). 106 Nolte in KassKomm, SGB V, § 27, Rn. 14a. <?page no="77"?> E. Leistungsrecht 77 bejaht. 107 Lediglich solche Defizite, die ausschließlich persönliche Vorlieben und spezifische Interessen eines Versicherten berühren und durch eine bloße Änderung der persönlichen Lebensführung behoben werden können, sind vom Versicherungsfall Krankheit nicht erfasst. 108 Auf ästhetische, also ausschließlich äußerliche Aspekte kommt es nicht an. Sie werden nur dann relevant, wenn die Abweichung einer Entstellung gleichkommt 109 oder wenn sie die gewöhnlichen Körperfunktionen so beeinträchtigt, dass Folgeerkrankungen auftreten oder zu befürchten sind. Übergewicht kann damit nicht per se als Erkrankung eingestuft werden. Sind wegen der Fettleibigkeit aber Stoffwechsel, Bewegungsapparat oder das Herz-Kreislauf-System geschädigt oder zumindest in ihrer Funktionsweise bedroht, liegt eine behandlungsbedürftige Krankheit vor. 110 Ein operativer Eingriff ist nach ständiger Rechtsprechung in diesen Fällen gleichwohl nur die ultima ratio. Dafür müssen zwar nicht sämtliche sonstigen Therapieoptionen ausgeschöpft werden, aber es bedarf des Nachweises der medizinischen Erforderlichkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Operation am gesunden Organ den zu erwartenden Ergebnissen anderer Behandlungsformen eindeutig überlegen sei. 111 Hat eine rein kosmetische Regelwidrigkeit eine psychische Störung des Versicherten zur Folge, kann dies keinen Anspruch auf Beseitigung der kosmetischen Abweichung - etwa eine Schönheitsoperation - begründen. Der Anspruch auf Krankenbehandlung setzt vielmehr an der Krankheit selbst an und würde in diesem Fall allein die Behandlung der psychischen Störung beinhalten. 112 Abweichungen vom Regelzustand, die auf „natürlichen Entwicklungen“ beruhen, stellen ebenfalls keine Krankheit dar. Damit erfüllt eine Schwangerschaft den Krankheitsbegriff nicht. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Gesundheit der werdenden Mutter durch die Schwangerschaft über das übliche Maß hinaus beeinträchtigt ist und eine zweckmäßige Behandlungsmöglichkeit besteht. 113 Nicht vom Krankenversicherungsrecht erfasst sind regelwidrige Zustände infolge von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten. § 11 V SGB V weist diese der gesetzlichen Unfallversicherung zu. 107 BSGE 85, 35 (40); beachte aber § 34 I 7, 8 SGB V, wonach die medikamentöse Behandlung von Potenzstörungen auf Kosten der GKV ausgeschlossen ist. Dieser Leistungsausschluss ist nach BSGE 94, 302 rechtmäßig, da der Versicherte keinen Anspruch auf die Bereitstellung einer bestimmten Leistung hat. Ausführlicher dazu auf S. 270. 108 BSGE 39, 167; BSGE 50, 47. 109 BSGE 93, 252 (253 f.). 110 BSGE 90, 289 (290 f.); dazu auch Lang in Becker/ Kingreen, SGB V, § 27, Rn. 22. 111 BSG, 22.06.2022, B 1 KR 19/ 21 R. 112 BSGE 72, 96 (99); 82, 158 (163 f.). 113 BSGE 39, 167. <?page no="78"?> 78 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 3. Selbst verursachte Krankheiten Für das Eintreten der GKV kommt es grundsätzlich nicht darauf an, welche Ursache eine Erkrankung hat. Auch wenn der Versicherte diese durch schuldhaftes Verhalten oder einen risikoreichen Lebensstil verursacht hat, bestehen demnach Ansprüche auf Behandlung. 114 Gerade bei einem gesundheitsschädigenden Lebenswandel ist zudem der Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Versicherten und der aufgetretenen Krankheit oft fraglich. § 52 I SGB V ordnet nur für die Fälle eine Leistungsbeschränkung an, in denen eine Erkrankung vorsätzlich oder durch ein vom Versicherten begangenes Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen herbeigeführt worden ist. Die Krankenkasse kann den Versicherten in diesen Fällen in angemessenem Umfang an den Kosten der Behandlung beteiligen und das Krankengeld (teilweise) versagen oder zurückfordern. Diese Regelung entspricht dem versicherungsrechtlichen Grundsatz, dass Leistungen grundsätzlich nicht beansprucht werden können, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich ausgelöst worden ist (Versicherungsprinzip). 115 Für das Recht der sozialen Krankenversicherung wird dieses Prinzip insoweit eingeschränkt, als die Behandlung selbst nicht verweigert werden darf. Dies wäre mit dem Anliegen der GKV, die Gesundheit und damit die Arbeitsfähigkeit des Einzelnen wiederherzustellen, nicht vereinbar. Die Beteiligung an den Kosten der Behandlung verhilft dem Versicherungsprinzip jedoch auch im Rahmen des SGB V zu angemessener Geltung. Den Krankenkassen ist bei der Kostenbeteiligung der Versicherten ein Ermessensspielraum eingeräumt. Sie können selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang sie von diesem Recht Gebrauch machen. Anhaltspunkte sind neben Art und Schwere der Erkrankung, der Grad des Verschuldens des Versicherten sowie dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und der Umfang der Aufwendungen der Krankenkasse für die Heilbehandlung. 116 Steht die Verursachung der Krankheit durch ein Verbrechen oder Vergehen in Rede, kommt den Krankenkassen ein eigenständiges Prüfrecht zu. Die Ergebnisse etwaiger Strafverfahren können bei dieser Prüfung außer Betracht bleiben. 117 Beispiele Als vorsätzlich herbeigeführte Krankheiten gelten beispielsweise Fälle von Selbstverstümmelung oder Verletzungen, die im Rahmen einer Schlägerei verursacht worden sind. 114 BSGE 9, 232; 13, 240; 18, 257; dazu auch Eichenhofer, SGb 1994, 501 (502 f.). 115 Reyels in jurisPK-SGB V, § 52, Rn. 31; Prehn, NZS 2010, 260 (263). 116 Schifferdecker in KassKomm, SGB V, § 52, Rn. 18f. 117 SG Aachen, Breith 2007, 125. <?page no="79"?> E. Leistungsrecht 79 Ein bedingter, auf die Herbeiführung der Erkrankung gerichteter Vorsatz genügt, um den Anwendungsbereich des § 52 I SGB V zu eröffnen. 118 Auf ein solches vorsätzliches Verhalten kann namentlich beim Suizid nicht geschlossen werden. Kommt es beim gescheiterten Selbstmordversuch zu Verletzungen, bleibt die Krankenkasse vollumfänglich zur Leistung verpflichtet. Denn die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Suizidenten wird in der medizinischen Wissenschaft immer wieder in Frage gestellt. 119 Eine weitere Leistungsbeschränkung ist in § 52 II SGB V angeordnet. Danach haben die Krankenkassen den Versicherten an den Kosten der Krankenbehandlung zu beteiligen und das Krankengeld (teilweise) zu versagen, wenn infolge medizinisch nicht indizierter Maßnahmen eine Krankheit auftritt. Dies betrifft Schönheitsoperationen, Tätowierungen oder Piercings; die Aufzählung in § 52 II SGB V ist nicht abschließend, so dass vom Anwendungsbereich der Norm sämtliche, rein ästhetisch motivierte Eingriffe in den Körper erfasst sind. 120 Den Kassen ist in Bezug auf die Leistungsbeschränkung kein Ermessen eingeräumt. Mit dieser Regelung soll den Versicherten mehr Eigenverantwortung zugewiesen werden, wenn sie sich freiwillig derartigen Risiken aussetzen. 121 II. Sicherstellung der Leistungserbringung 1. Sachleistungsprinzip Der Leistungsanspruch des Versicherten richtet sich gegen seine Krankenkasse. Dies ist Ausdruck des in § 2 II SGB V verankerten Sachleistungsprinzips. Danach werden die Leistungen nicht in Form von Geld, sondern in natura zur Verfügung gestellt. Die Versicherten treffen also keine Kosten, wenn sie Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Mit der Befreiung der Versicherten von der Zahlungslast soll verhindert werden, dass diese aus finanzieller Not auf eine notwendige medizinische Behandlung verzichten. 122 Die Krankenkassen dürfen die geschuldeten Leistungen jedoch nicht selbst durch eigenes Personal erbringen. Vielmehr soll das Angebot im Regelfall über die freie 118 Schifferdecker, KassKomm, SGB V, § 52, Rn. 6; Rompf, SGb 1997, 105 (106). 119 LSG Berlin vom 11.12.2007 (L 1 B 616/ 07 KR ER); Reyels in jurisPK-SGB V, § 52, Rn. 75 m. w. N. 120 BT-Drs. 17/ 9469, S. 4. Anders Lang in Becker/ Kingreen, SGB V, § 52, Rn. 8 unter Berufung auf BT-Drs. 16/ 7439, S. 96. 121 Eingehend Prehn, NZS 2010, 260 (262); Mihm, NZS 1995, 7 (7); Schifferdecker in KassKomm, § 52 SGB V, Rn. 2; Janda, GuP 2015, 22 ff. 122 BSGE 42, 117 (119). <?page no="80"?> 80 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Wirtschaft, also durch freiberufliche und gewerbliche Leistungserbringer abgedeckt werden. 123 Die Krankenkassen sollen mit diesen Anbietern gemäß § 2 II 3 SGB V Verträge abschließen, um die Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Gegenstand der Verträge ist u. a. die Vergütung der Leistungserbringer durch die Kassen. Versicherter Krankenkasse Leistungserbringer - ö entlich-rechtliche Mitgliedschaft - Beitragszahlung - Sachleistungen - Dienstleistungen - Verträge, § 2 II 3 SGB V - Vergütung Bei der Versorgung der Versicherten sind die Gebote der Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit sowie der Beitragssatzstabilität aus §§ 70, 71 SGB V zu beachten. Beim Abschluss der Verträge sollen die Krankenkassen und die Leistungserbringer daher nicht nur die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Versicherten nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gewährleisten. Sie haben ihre Vereinbarungen auch so auszugestalten, dass der Beitragssatz zur Krankenversicherung nicht erhöht werden muss, um notwendige Leistungen zu finanzieren. 2. Kostenerstattungsprinzip Die Selbstbeschaffung der Leistungen durch den Versicherten gegen anschließende Kostenerstattung durch die Krankenkasse ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen statthaft, § 13 I SGB V. Nach dem Kostenerstattungsprinzip vergütet der Versicherte den Leistungserbringer selbst. Die Rechnung reicht er bei seiner Krankenkasse ein, die ihm seine Auslagen in vollem Umfang oder einen Prozentsatz erstattet. Zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer bestehen in diesem Fall keinerlei Rechtsbeziehungen. 123 BGHZ 82, 375 (387); bestätigt durch BSGE 90, 84. <?page no="81"?> E. Leistungsrecht 81 Versicherter Vergütung - Sachleistungen - Dienstleistungen Erstattung der Kosten für die medizinische Versorgung Krankenkasse Leistungserbringer Grundsätzlich haben Versicherte nach § 13 I SGB V lediglich einen Anspruch auf Naturalleistungen. Beschaffen sie sich eigenmächtig Behandlungen außerhalb des vertraglichen Versorgungssystems, dürfen die Krankenkassen die Kosten grundsätzlich nicht erstatten. 124 Anderenfalls wäre das Funktionieren des sorgfältig austarierten Sachleistungssystems mit den vereinbarten Vergütungssätzen gefährdet. a. Wahl der Kostenerstattung, § 13 II SGB V Gemäß § 13 II SGB V sind alle Versicherten berechtigt, Kostenerstattung anstelle von Sachleistungen zu wählen. Sie können ihr Wahlrecht auch auf einzelne Zweige - ärztliche, zahnärztliche oder stationäre Versorgung - beschränken. Mitversicherte Familienangehörige sind nicht an die Entscheidung der Stammversicherten gebunden, sondern können frei entscheiden, ob sie für sich das Kostenerstattungsprinzip in Anspruch nehmen wollen. 125 Die Versicherten sind gemäß § 13 II 12 SGB V ein Quartal an ihre Wahl gebunden. Die Versicherten müssen ihre Krankenkasse über den Gebrauch ihres Wahlrechts in Kenntnis setzen. Das Wahlrecht selbst wird im Einzelfall vor Inanspruchnahme einer Leistung durch Erklärung gegenüber dem Leistungserbringer ausgeübt. Dieser ist nach § 13 II 3 SGB V gehalten, den Versicherten über die Umstände und Folgen des Kostenerstattungsprinzips zu informieren. Die Krankenkassen trifft keine spezielle Informationspflicht; über §§ 13 ff. SGB I sind jedoch auch sie in der Pflicht, den Versicherten über sein Wahlrecht zu beraten und aufzuklären. 126 Entscheidet sich der Versicherte für das Kostenerstattungsprinzip, darf er auch nicht zugelassene Leistungserbringer in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist nach 124 BSGE 69, 170. 125 Kingreen, in Becker/ Kingreen, SGB V, § 13, Rn. 7; Schifferdecker in KassKomm, § 13 SGB V, Rn. 19; Grötschel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 13 SGB V, Rn. 6. 126 Kritisch zur Abwälzung der Aufklärungspflicht Helbig in jurisPK-SGB V, § 13, Rn. 29. <?page no="82"?> 82 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung § 13 II 5 SGB V die vorherige Zustimmung der Krankenkasse, der dabei jedoch Ermessen eingeräumt ist. In jedem Fall muss die selbst beschaffte Leistung dem Grunde nach vom Sachleistungsanspruch umfasst sein. Eine Erweiterung des gesetzlich vorgesehenen Leistungskatalogs über den Umweg der Kostenerstattung ist also nicht zulässig. 127 Zudem ist der Versicherte an die Berufsgruppen gebunden, die im 4. Kapitel des SGB V aufgeführt sind, so dass eine Kostenerstattung beispielsweise für Leistungen von Heilpraktikern ausgeschlossen ist. Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist gemäß § 13 II 8 SGB V auf den Betrag beschränkt, den die Krankenkasse bei der Gewährung der Leistung als Sachleistung hätte aufwenden müssen. Die Entscheidung für das Kostenerstattungsprinzip birgt für den Versicherten damit das Risiko, einen Teil seiner Behandlungskosten selbst tragen zu müssen. So sind Ärzte in diesem Fall zur Abrechnung nach der GOÄ 128 berechtigt und können damit ein Mehrfaches des Satzes verlangen, der der Vergütung im Rahmen des Sachleistungssystems zugrunde gelegt wird. Auf diese Kostenlast müssen die Leistungserbringer die Versicherten hinweisen, § 13 II 3 SGB V. b. Systemversagen, § 13 III, IIIa SGB V Nach § 13 III SGB V hat ein Versicherter einen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn er sich eine Leistung selbst beschaffen musste, weil die Krankenkasse diese nicht oder nicht rechtzeitig erbracht hat. Die Leistung muss jedoch im Rahmen der GKV geschuldet, d. h. ihre Ablehnung oder Verzögerung durch die Krankenkasse muss rechtswidrig sein. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 III SGB V ist damit akzessorisch zum Sachleistungsanspruch. Der Versicherte kann also nur Kostenerstattung für die Leistungserbringer und die Behandlungsmethoden fordern, die im Leistungskatalog des SGB V enthalten sind. 129 Der Anspruch setzt weiterhin voraus, dass die Krankenkasse eine Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt hat. In ersterem Fall muss die Inanspruchnahme eines Leistungserbringers außerhalb des Sachleistungssystems unaufschiebbar, also so dringlich sein, dass unter medizinischen Gesichtspunkten ein Zuwarten nicht vertretbar wäre. Der praktisch wichtigste Fall ist die Notfallbehandlung durch einen privaten Arzt, weil wegen einer Versorgungslücke kein Vertragsarzt erreichbar ist. Grundsätzlich sind aber die Versicherten gehalten, sich zunächst eine Sachleistung zu verschaffen. Bevor sie also wegen Systemversagens Kostenerstattung in Anspruch nehmen können, müssen sie zumindest Kontakt mit ihrer Krankenkasse 127 BSGE 79, 125; BSGE 93, 236; BSGE 99, 180. 128 Dazu ausführlich auf S. 145 f. 129 BSGE 79, 125 (126 f.); 81, 54 (56); 93, 236 (239). <?page no="83"?> E. Leistungsrecht 83 aufgenommen haben, um sich über die regulären Leistungsmöglichkeiten zu informieren. 130 Ist die Leistung zu Unrecht verzögert oder abgelehnt worden, ist der Versicherte so zu stellen, als hätte er die selbst beschaffte Leistung als Sachleistung erhalten. Seine Auslagen werden ihm in vollem Umfang - abzüglich der im Gesetz vorgesehenen Selbstbehalte - erstattet. Gleiches gilt, wenn ein Leistungsantrag nicht innerhalb von drei Wochen beschieden wird, § 13 IIIa SGB V. 131 Anders als im Falle der Kostenerstattung nach § 13 II SGB V gelten hier also nicht die im Sachleistungssystem vereinbarten Vergütungssätze als Obergrenze. Bei § 13 III SGB V handelt es sich um eine Ausprägung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, 132 der an die Stelle des eigentlich geschuldeten Anspruchs tritt. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Versicherte über das gesetzlich vorgesehene Maß an den Kosten beteiligt wird. Nach § 13 IIIa SGB V hat die Krankenkasse binnen drei - in Fällen, die die Einholung eines Gutachtens erfordern, binnen fünf - Wochen über einen Antrag auf Leistungen zu entscheiden; anderenfalls wird die Genehmigung fingiert. Aus der Genehmigungsfiktion hatte das BSG zunächst wahlweise einen Anspruch auf Naturalleistung oder auf Selbstbeschaffung gegen Kostenerstattung abgeleitet, wenn die begehrte Leistung erforderlich ist und „nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV“ liegt. 133 Von dieser Rechtsprechung ist das BSG inzwischen abgerückt. § 13 IIIa SGB V erlaube dem Versicherten lediglich die Selbstbeschaffung und verbiete es der Krankenkasse, die Kostenerstattung allein mit der Begründung abzulehnen, dass leistungsrechtlich kein Anspruch auf die Leistung bestehe. Das Gericht stützt sich insofern auf die Entstehungsgeschichte und die Binnensystematik der Norm. 134 c. Inanspruchnahme von Leistungserbringern in der EU, § 13 IV-VI SGB V Letztlich statuiert § 13 IV SGB V eine Pflicht der Krankenkassen zur Kostenerstattung, wenn ein Versicherter medizinische Leistungen in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR in Anspruch genommen hat. 130 Schifferdecker in KassKomm, SGB V, § 13, Rn. 80; Kingreen in Becker/ Kingreen, SGB V, § 13, Rn. 25. 131 Dazu Hahn, SGB 2013, 144 (145). 132 Eingehend dazu Grötschel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 13 SGB V, Rn. 22 m. w. N. 133 BSGE 121, 40; BSGE 123, 144; BSG, NZS 2018, 193; NZS 2018, 941. 134 BSGE 130, 200. <?page no="84"?> 84 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aa. Europäisches koordinierendes Sozialrecht Im Grunde richten sich die Voraussetzungen und Folgen von Behandlungen im europäischen Ausland nach der VO 883/ 2004, welche die Sozialrechtssysteme der Mitgliedstaaten im Wege der Koordinierung miteinander verknüpft. 135 Diese ermöglicht beispielsweise Touristen im Notfall den Zugang zu notwendiger medizinischer Behandlung, wenn sie sich vorübergehend im EU-Ausland aufhalten. Auch Versicherte, die sich gezielt ins Ausland begeben, um dort Leistungen in Anspruch zu nehmen, können aus der VO Leistungsansprüche herleiten. Voraussetzung ist jedoch, dass sie zuvor die Zustimmung ihrer Krankenkasse eingeholt haben. Versicherten, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnstaat versichert sind - beispielsweise Grenzgänger oder entsandte Arbeitnehmer - steht aufgrund der VO der uneingeschränkte Zugang zu medizinischer Versorgung am Wohnort offen. Der Krankenversicherungsträger des Aufenthaltsortes wird in diesen Fällen im Wege der Leistungsaushilfe tätig. Er wird aber nur die Leistungen erbringen, die nach dem für ihn verbindlichen nationalen Recht geschuldet sind. Der zuständige Träger erstattet diesem die entstandenen Kosten. bb. Kostenerstattung nach § 13 IV SGB V § 13 IV SGB V trägt der Rechtsprechung des EuGH Rechnung. Dieser hat in zahlreichen Urteilen 136 einen Anspruch der Versicherten auf Kostenübernahme bejaht, auch wenn sie ohne vorherige Zustimmung ihrer Krankenkasse medizinische Leistungen im europäischen Ausland in Anspruch genommen haben. Eine Ausnahme hat der EuGH lediglich für Krankenhausleistungen und ambulante Behandlungen, für deren Durchführung kostspielige Großgeräte genutzt werden, anerkannt, da diese aufgrund der Vorhaltungskosten der besonderen Planung bedürfen. 137 An diesem Grundsatz ist auch dann festzuhalten, wenn eine versicherte Person aus religiösen Gründen eine bestimmte Form der stationären Behandlung wünscht, die sie nur in einem anderen EU-Mitgliedstaat erlangen kann. 138 Dieser Anspruch wird aus den Grundfreiheiten, namentlich der Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV sowie dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr aus Art. 34 AEUV und Art. 56 AEUV hergeleitet. § 13 IV SGB V nimmt diese Grundsätze auf und statuiert einen Kostenerstattungsanspruch für die im EU-/ EWR-Ausland in Anspruch genommenen Behandlungsleistungen. Die Versicherten müssen zuvor keine Genehmigung ihrer Krankenkasse einholen. Der Leistungserbringer muss jedoch in seinem Aufenthaltsstaat zur 135 Dazu ausführlich Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, S. 81 ff.; Janda in jurisPK-SGB I, Art. 17 ff. VO (EG) 883/ 2004. 136 EuGH, C-120/ 95 (Decker für die Versorgung mit Brillen); C-158/ 96 (Kohll für die Versorgung mit zahnärztlichen Leistungen), C-157/ 99 (Geraets-Smits/ Peerbooms für Krankenhausleistungen). 137 EuGH, C-173/ 09 (Elchinov); EuGH, C-512/ 08 (Kommission/ Frankreich). 138 EuGH, C-243/ 19 (A / Veselības ministrija). <?page no="85"?> E. Leistungsrecht 85 Versorgung der Versicherten zugelassen sein. Für die Höhe des Erstattungsanspruchs ist nach § 13 IV 3 SGB V der nach dem SGB V geschuldete Sachleistungsanspruch maßgeblich. Darüber hinausgehende Kosten hat der Versicherte selbst zu tragen. Etwas anderes gilt nur bei Versorgungslücken in Deutschland, also einem Fall des Systemversagens: kann eine notwendige Behandlung im Inland nicht erlangt werden, müssen die Kosten für die Behandlung im Ausland in Gänze erstattet werden. Nach § 13 V SGB V bedarf es für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen einer Genehmigung der Krankenkasse. Diese darf verweigert werden, wenn eine ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig bei einem inländischen Vertragspartner der Krankenkasse erlangt werden kann. 139 III. Grundsätze der Leistungserbringung Gemäß § 12 SGB V haben die Versicherten einen Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung mit allen notwendigen Leistungen. Dieser Grundsatz spiegelt das Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV wieder. Bei den genannten Kriterien handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Diese können bei Streitigkeiten über die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung im Einzelfall gerichtlich voll überprüft werden. 140 Den Krankenkassen steht diesbezüglich kein Beurteilungsspielraum zu. Als ausreichend gelten die Leistungen, die nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für einen Heilerfolg bieten, die also einem Mindeststandard genügen. 141 Zweckmäßig sind die Leistungen, die objektiv auf eines der in §§ 11 I, II, 27 I 1 SGB V verankerten Ziele ausgerichtet sind, also der Verhütung, Früherkennung, Behandlung oder Rehabilitation dienen. Zudem sollen sie hinreichend wirksam sein. 142 Problematisch ist dies vor allem bei den Heilmethoden außerhalb der Schulmedizin. Dazu zählen neben der Homöopathie und der Pflanzentherapie auch die Anthroposophie und weitere Therapieformen. Diese sind nach § 2 I 2 SGB V zwar nicht per se aus der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen. Sie stehen jedoch nicht stets einem empirischen Wirksamkeitsnachweis im Wege von Experimenten oder Versuchen offen. Gegenstand der Leistungspflicht können sie nur sein, wenn ihre Wirksamkeit objektiv nachvollziehbar, d. h. zumindest innerhalb der jeweiligen Therapierichtung anerkannt ist. 143 139 BSGE 104, 1. 140 Grötschel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 12 SGB V, Rn. 6. 141 BSGE 55, 188. 142 BSGE 52, 70; 70, 24. 143 Schulin, ZSR 1994, 546; Katzenmeier, NVersZ 2002, 537 (538 f.); Grötschel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 12 SGB V, Rn. 10. <?page no="86"?> 86 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Eine Leistung ist notwendig, wenn sie unter Zugrundelegung des Leistungszwecks nach Art und Umfang unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar ist. 144 Sie muss also medizinischen Zwecken dienen und es dürfen keine Alternativen offen stehen, um den gleichen Erfolg zu erzielen. Ob eine Leistung wirtschaftlich ist, richtet sich nicht allein nach ihrem Preis. Vielmehr muss sie im Vergleich zu anderen Leistungsarten das günstigste Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung aufweisen. In diese Kosten-Nutzen-Abwägung müssen auch die Dauer und Nachhaltigkeit des Heilerfolgs einbezogen werden. 145 Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt aber nicht aus, dass Versicherte im Rahmen des Sachleistungsprinzips aufwändigere Leistungen wählen und die Kostendifferenz zur notwendigen Leistung selbst tragen. 146 IV. Die Beurteilung von Behandlungsmethoden Ob eine Behandlungsmethode den Kriterien des § 12 SGB V entspricht, war zunächst Gegenstand einer Einzelfallentscheidung. Wollte ein Patient eine bestimmte Behandlung in Anspruch nehmen, war zu prüfen, ob die Methode in der medizinischen Wissenschaft als wirksam anerkannt ist. War die generelle Wirksamkeit nicht nachweisbar, genügte es, wenn ihr im Einzelfall eine gewisse Aussicht auf Erfolg zugeschrieben werden konnte, um das angestrebte Behandlungsziel zu erreichen. Es musste also eine reale Chance auf Verbesserung des Gesundheitszustandes bestehen, damit die Methode als ernstzunehmende Therapiemöglichkeit eingestuft werden konnte. Durch das GRG ist ein allgemeines Prüfverfahren für neue, in der ambulanten Versorgung 147 angewandte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eingeführt worden. Nach § 135 SGB V sind diagnostischer und therapeutischer Nutzen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zu bewerten. Bereits seit langem etablierte Behandlungsmethoden dürfen dagegen unabhängig von einer Bewertung durch den GBA auf Kosten der GKV angewandt werden. 148 144 BSG SozR 2200 § 182b Nr. 26. 145 BSGE 52, 70. 146 BSG SozR 2200 § 182 Nr. 93 m. w. N. 147 Im Rahmen der stationären Behandlung sind gemäß § 137c SGB V auch neue, nicht zugelassene Methoden anwendbar und abrechnungsfähig, selbst wenn sie noch nicht durch den GBA anerkannt worden sind. Der GBA darf die neuen Methoden lediglich auf Antrag der Krankenhausgesellschaften oder des SpiBuKK prüfen und ihre Abrechnungsfähigkeit nur verneinen, wenn diese explizit als schädlich oder unwirksam einzustufen ist, § 137c I 2 SGB V. Dazu Gaßner/ Strömer, SGb 2011, 421 (424); Ihle in jurisPK-SGB V, § 137c, Rn. 7 ff.; Huster, GesR 2010, 337(339 f.). Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen kommt aber in jedem Fall nur dann in Betracht, wenn die neue Methode hinreichend erprobt sind, BSGE 113, 167. 148 Gaßner/ Strömer, SGb 2011, 421 (422 f.). <?page no="87"?> E. Leistungsrecht 87 1. Der Gemeinsame Bundesausschuss, §§ 91 f. SGB-V Der GBA ist ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen. Neben unparteiischen Mitgliedern sind in dem Ausschuss Repräsentanten der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie der Krankenkassen vertreten. Zudem haben gemäß § 140 f II SGB V bundesweit agierende Patientenorganisationen ein Mitberatungs- und Antragsrecht. Das Gremium steht unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit, § 91 I 1 SGB V. Aufgabe des GBA ist der Erlass von Richtlinien nach § 92 SGB V. In diesen wird festgelegt, welche medizinischen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und somit zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung gehören (§ 135 SGB V). Ob eine Behandlungsmethode dem Stand der medizinischen Forschung entspricht, soll also weder im Einzelfall von den Krankenkassen oder Gerichten entschieden noch durch parlamentarisches Gesetz geregelt werden. Ferner definiert der GBA die Anforderungen an Qualitätsmanagement- und Qualitätssicherungsmaßnahmen in der vertragsärztlichen Versorgung oder im Krankenhaus (§ 137 SGB V), 149 legt Maßnahmen zur zahnärztlichen Früherkennung fest (§ 26 I SGB V) oder bestimmt, in welchem Umfang Arzneimittel oder Heil- und Hilfsmittel zu Lasten der GKV verordnet werden können. Mit diesem umfassenden Katalog kommt dem GBA eine außerordentliche Gestaltungsmacht über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen zu. Denn bei den Richtlinien handelt es sich nicht lediglich um Verwaltungsvorschriften mit rein interner Wirkung. Vielmehr ordnet § 91 VI SGB V die Verbindlichkeit der Beschlüsse für die Krankenkassen, die Leistungserbringer in der ambulanten wie stationären Versorgung und die Versicherten an. 150 Angesichts dessen sind Bedenken gegen die Zulässigkeit dieses Steuerungssystems geäußert worden. Der GBA sei nicht hinreichend demokratisch legitimiert, da seine Mitglieder weder unmittelbar von den Versicherten noch den Leistungserbringern bestimmt würden. Zudem gebiete das Wesentlichkeitsprinzip, dass Entscheidungen von großer Tragweite der Regelung durch Gesetz vorbehalten sind. 151 Die Einwände sind in der Rechtsprechung jedoch nicht geteilt worden. Das BSG hat auf die lange Tradition der Rechtssetzung durch Verträge und Richtlinien im Krankenversicherungsrecht verwiesen. Die Verfassung gebe keinen „numerus clau- 149 Eingehend Igl in Deutscher Sozialrechtsverband, Qualitätssicherung im Sozialrecht, S. 86 ff. 150 Diese mit dem GMG 2003 in das Gesetz eingefügte Norm steht im Einklang mit der seit den 1990er Jahren etablierten Rechtsprechung des BSG, vgl. BSGE 78, 70 (75 ff.). 151 Wimmer, NZS 1999, 113 (118); Kingreen, NJW 2006, 877 (879 f.); Kingreen, NZS 2007, 113 (115 f.); Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567 (568); Saalfrank/ Wesser, NZS 2008, 17 (22); Neumann, NZS 2010, 593 (597); ausführlich Axer, Normsetzung durch die Exekutive, S. 332 ff. <?page no="88"?> 88 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sus“ der Rechtsnormen vor, der Regelungen durch Richtlinien von vorn herein ausschlösse. 152 Auch die demokratische Legitimation des GBA sei nicht zu bezweifeln. Von Seiten der Ärzteschaft werde die Legitimationskette durch ihre Mitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen mit den daran gebundenen Wahlrechten für die Vertreterversammlung vermittelt. Für die Repräsentanten der GKV im GBA leitet sie sich aus den Sozialversicherungswahlen her, bei denen die Versicherten über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Kassen entscheiden können. 153 Der mit Vertretern der Kostenträger wie der Leistungserbringer besetzte GBA bietet die Gewähr für eine objektive Prüfung anhand wissenschaftlicher Standards. Diese fachliche Kompetenz kann weder der Sachbearbeiter einer Krankenkasse, noch ein Richter oder ein Abgeordneter des Bundestages aufweisen. Das BVerfG hegt zwar „gewichtige Zweifel“ an der demokratischen Legitimation des GBA, hat aber eine Verfassungsbeschwerde mangels substantiierter Darlegung einer Grundrechtsverletzung als unzulässig verworfen. 154 2. Anerkennung neuer Heilmethoden durch den GBA Zur Übernahme der Kosten für neu eingeführte Behandlungsmethoden sind die gesetzlichen Krankenkassen erst nach deren Anerkennung durch den GBA verpflichtet, §§ 92 I 2 Nr. 5, 135 SGB V. Die Regelung beinhaltet ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Neue Verfahren dürfen also erst zu Lasten der GKV angewendet werden, wenn ihre Sicherheit überprüft und ihr diagnostischer und therapeutischer Nutzen anerkannt sind. Damit sollen die Versicherten vor unerkannten Risiken und Nebenwirkungen der neuen Methoden geschützt werden. Zugleich dient der Erlaubnisvorbehalt der Sicherung des Wirtschaftlichkeitsprinzips, wird dadurch doch gewährleistet, dass Versicherte nur zweckmäßige, Erfolg versprechende Behandlungen erhalten. 155 Der GBA befindet jedoch nicht selbst über die Wirksamkeit konkreter Methoden, sondern wertet die in medizinischen Fachkreisen vertretenen Ansichten und Erfahrungssätze aus. Dabei wird der GBA gemäß § 139a SGB V durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) unterstützt. 156 Herrscht unter den Medizinern Konsens über die Wirksamkeit einer Methode, erkennt der GBA diese als hinreichend gesichert an. Er befindet also darüber, ob sich 152 BSGE 81, 54 (64). 153 BSGE 78, 70 (74); BSGE 82, 41 (46 f.), BSGE 120, 170. 154 BVerfGE 140, 229; dazu Sodan/ Hadank, NZS 2018, 804. 155 BSGE 81, 54 (58 f.); 88, 51 (58); BSGE 93, 236 (243). 156 Gaßner/ Strömer, SGb 2011, 421 (422). <?page no="89"?> E. Leistungsrecht 89 eine Therapie in Fachkreisen durchgesetzt hat, weil ihr medizinischer Nutzen evident ist. 157 3. Ausnahmen vom Erlaubnisvorbehalt des § 135 SGB-V Im Einzelfall kann der Versicherte jedoch auch ohne Stellungnahme des GBA Anspruch auf eine bestimmte Behandlungsmethode haben. Dies betrifft zum einen die Fälle, in denen der GBA den Erlass einer Richtlinie pflichtwidrig, also ohne sachlichen Grund unterlassen hat. Liegen die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen für die Prüfung eines Antrags auf Anerkennung einer innovativen Heilmethode vor, erfüllt der verspätete oder gänzlich unterbliebene Richtlinienerlass den Tatbestand des Systemversagens. 158 Im Falle seltener Erkrankungen, die gerade wegen ihrer Seltenheit nicht systematisch erforscht sind, kann der GBA aus tatsächlichen Gründen keine Stellungnahme abgeben. Denn er ist lediglich zur Bewertung solcher Behandlungsmethoden berufen, die in einer Vielzahl von Fällen zur Anwendung kommen. 159 Schließlich kann im Einzelfall die Anwendung einer Standardmethode kontraindiziert sein, etwa weil der Patient nicht auf diese anspricht, Gegenanzeigen vorliegen oder starke Nebenwirkungen auftreten, die im Hinblick auf den angestrebten Behandlungserfolg nicht mehr hinnehmbar sind. Bestehen Alternativen zur Standardtherapie, gebieten es die Regeln der ärztlichen Kunst, diese für die Behandlung des Patienten in Erwägung zu ziehen. 160 In diesen Fällen kann ein fehlendes positives Votum des GBA nicht per se zum Ausschluss der Leistungspflicht der GKV führen. Denn den Versicherten würde damit eine notwendige Behandlung vorenthalten. Sie dürfen sich daher ausnahmsweise selbst die Therapie beschaffen und anschließend einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 III SGB V gegen ihre Krankenkasse geltend machen. Voraussetzung ist jedoch, dass die im konkreten Fall gewählte Behandlungsmethode den Anforderungen des §§ 2 I, 12, 70 SGB V genügt. Sie muss also dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und einen Erfolg zumindest als möglich erscheinen lassen. In qualitativer Hinsicht muss gewährleistet sein, dass etwaige Nebenwirkungen der neuen Behandlungsmethode den angestrebten Heilungserfolg nicht infrage stellen. Zudem dürfen keine wirtschaftlicheren Alternativen bestehen, mit denen sich der gleiche Erfolg erzielen ließe. 161 157 Saalfrank/ Wesser, NZS 2008, 17 (18); vgl. auch Felix, MedR 2011, 67 (67 f.); Ihle in jurisPK-SGB V, § 135, Rn. 13. 158 BSGE 81, 54 (65); 86, 54 (60 f.); 88, 51 (61); BSG NJW 2001, 2822 (2822). 159 BSGE 93, 236 (244 ff.). 160 BSGE 63, 102 (105). 161 BSGE 76, 194 (199). <?page no="90"?> 90 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Auf den potenziellen Behandlungserfolg kann geschlossen werden, wenn die Wirksamkeit der Therapie in einer hinreichenden Zahl von Fällen nachgewiesen ist. Zunächst hatte es das BSG noch für ausreichend erachtet, wenn der Nutzen einer neuen Methode im konkreten Einzelfall nachträglich bestätigt wurde. 162 Seit Inkrafttreten des SGB V forderte das BSG jedoch eine hinreichende wissenschaftliche Erprobung der angewandten Behandlungsmethoden, einen statistischen Nachweis ihres Erfolgs und ihre breite Anwendung in der ärztlichen Praxis. Das Gericht stützt sich zur Begründung dieser Auffassung auf § 2 I 3 SGB V, der auf den „allgemein anerkannten Stand“ der medizinischen Erkenntnisse abstellt. 163 Bei seltenen Erkrankungen, bei denen dieser statistische Beleg nicht erbracht werden kann, hat das BSG eine Leistungspflicht der GKV für eine vom GBA nicht anerkannte Methode nur in notstandsähnlichen Situationen für zulässig erachtet, wenn die Krankheit lebensbedrohlich ist, zumindest aber die Lebensqualität des Versicherten nachhaltig und schwer beeinträchtigt und keine anerkannten Methoden zu ihrer Behandlung zur Verfügung stehen. Zudem dürfen die Risiken der gewählten Methode deren voraussichtlichen Nutzen nicht überwiegen. 164 Diese strengen Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis sind nach Auffassung des BVerfG verfassungswidrig. Zwar sei es zulässig, neue Behandlungsmethoden zunächst auf ihren therapeutischen Nutzen und ihre Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Zudem habe der Versicherte regelmäßig keinen Anspruch auf eine bestimmte Behandlungsleistung. 165 Eine einzelne Methode nur deshalb aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen, weil die Anerkennung durch den GBA nicht erfolgt sei, sei jedoch unverhältnismäßig. Das Sozialstaatsprinzip sowie das in Art. 2 II GG verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit geböten es, den Versicherten auch nicht hinreichend erprobte Behandlungen zu gewähren, wenn eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ bestehe oder eine „spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ zu erwarten sei. Statt eines statistisch unterlegten Wirksamkeitsnachweises lässt das BVerfG bloße Indizien ausreichen, die auf einen positiven Einfluss der alternativen Behandlungsmethode schließen lassen. Diese Indizien seien sowohl aus früheren Erfahrungen mit der Anwendung der in Rede stehenden Therapie abzuleiten, könnten sich aber auch auf die fachliche Beurteilung des behandelnden Arztes im konkreten Einzelfall stützen. 166 162 BSGE 52, 70 (75); BSGE 63, 102 (105). 163 BSGE 76, 194 (198 f.); BSGE 81, 54 (68); BSGE 86, 54 (64 f.); kritisch Schlenker, NZS 1998, 411 (415 f.). 164 BSGE 93, 236 (247 f.). 165 So bereits BVerfG, NJW 1997, 3085 (3085). 166 BVerfGE 115, 25 (49 f.), vgl. dazu u. a. Wenner, SozSich 2006, 174; Kingreen, NJW 2006, 877; Schmid-De Caluwe, SGB 2006, 619; Huster, JZ 2006, 466. In weiteren Urteilen hat das BVerfG klargestellt, dass dies nur in den Fällen gelte, in denen eine anerkannte Standardtherapie nicht zur <?page no="91"?> E. Leistungsrecht 91 Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in § 2 Ia SGB V aufgenommen und sich dabei an der Terminologie des BVerfG orientiert. 167 Damit ist eine Ausdehnung der Rechtsprechung auf nichtlebensbedrohliche Erkrankungen ausgeschlossen. 168 Die Erbringung von Leistungen ohne Befürwortung des GBA bei anderen Erkrankungen setzt vielmehr voraus, dass diese wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen und tödlich verlaufenden Krankheit vergleichbar sind. Dies erfordert eine notstandsähnliche Extremsituation mit naher Lebensgefahr, bei der wegen der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck und ein akuter Behandlungsbedarf besteht. 169 Andererseits sind die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der „nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung“ mit der Neuregelung nicht ausgeräumt. Nach Auffassung des BSG verbiete es die aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abzuleitende Schutzpflicht des Staates, den Versicherten zweifelhafte Therapien zur Verfügung zu stellen. Die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode sei daher unverzichtbare Voraussetzung für die Leistungspflicht der GKV, wenngleich für deren Beurteilung ein „angemessen geringerer Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ zugrunde zu legen sei. 170 Die Orientierung an wissenschaftlichen Grundsätzen ist zwingend, wenngleich die Wirksamkeit einer neuen Behandlungsmethode auch durch deren erfolgreiche Anwendung im Einzelfall nachgewiesen werden kann. 171 Hat der GBA eine neue Behandlungsmethode bereits negativ bewertet, ist deren medizinischer Nutzen jedenfalls nicht erwiesen, so dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch die Verweigerung der Kostenübernahme nicht verletzt werden kann. 172 Steht eine Entscheidung des Bundesausschusses aus, kommt § 135 I 6 SGB V zur Anwendung. Danach soll der GBA Anträge auf Anerkennung neuer Heilmethoden binnen sechs Monaten seit Vorliegen der „für die Entscheidung erforderlichen Auswertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ bescheiden. Geschieht dies nicht, dürfen der Antragsteller, aber auch die KBV, die KV, der SpiBuKK und das Bundesministerium für Gesundheit binnen weiteren sechs Monaten die Beschlussfassung durch den GBA verlangen. Ist danach noch immer kein Votum Verfügung stehe. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vermittele dem Einzelnen keinen Anspruch auf bestimmte Behandlungsmethoden, BVerfG, NZS 2008, 36; BVerfG, NZS 2009, 377. 167 Dazu BT-Drs. 17/ 8005, S. 103; Peters in KassKomm, SGB V, § 2, Rn. 6; Joussen in BeckOK, SGB V, § 2, Rn. 4a; 168 Dafür LSG Sachsen-Anhalt, Breith 2008, 298; aufgehoben durch BSG, WzS 2009, 90; siehe auch BSG, WzS 2009, 185; BSG, Breith 2006, 893 (903 f.); BSG, SGb 2007, 363 (368); BVerfG, NJW 2017, 2096. 169 BSG, 16.08.2021, B 1 KR 29/ 20 R. 170 BSGE 96, 170 (174 f.); BSGE 97, 190 (196 f.); vgl. dazu auch Saalfrank/ Wesser, NZS 2008, 17 sowie die umfassende Übersicht bei Bohmeier/ Penner, WzS 2009, 65. 171 Plagemann in jurisPK-SGB V, § 2, Rn. 60. 172 BSGE 96, 170 (174 f.); BSGE 97, 190 (196 f.). <?page no="92"?> 92 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergangen, darf die in Rede stehende Behandlungsmethode zu Lasten der GKV angewendet werden, § 135 I 7 SGB V. 173 V. Der Leistungskatalog des SGB-V Die Versicherten haben gemäß § 11 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Prävention, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten, sowie auf Leistungen zur Rehabilitation. Neben den Sachleistungen umfasst der Leistungskatalog Geldleistungen, die einen durch Krankheit bedingten Einkommensausfall ausgleichen sollen. 1. Krankengeld Ist ein Arbeitnehmer wegen einer Erkrankung arbeitsunfähig, erhält er gemäß §§ 3 I, 4 EFZG während der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit weiterhin sein gewöhnliches Entgelt vom Arbeitgeber. Dauert die Arbeitsunfähigkeit an, leistet die Krankenkasse im Anschluss an die Entgeltfortzahlung Krankengeld. Dieses beläuft sich auf 70 % des regelmäßigen Entgelts, §§ 44 I, 47 I SGB V. Grundsätzlich wird das Krankengeld unbeschränkt gewährt. Wegen ein und derselben Erkrankung beläuft sich der Anspruch jedoch auf maximal 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, § 48 I SGB V. 2. Sach- und Dienstleistungen Neben den Geldleistungen können die Versicherten Sach- und Dienstleistungen beanspruchen. Dazu zählen Maßnahmen zur Prävention (§§ 20 ff. SGB V), die Behandlungsleistungen der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser (§§ 27 ff. SGB V), aber auch Maßnahmen zur Nachsorge und Rehabilitation (§ 40 SGB V). Ferner gewährt die GKV Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfen. 3. Zuzahlungen Das Sachleistungsprinzip bedingt, dass die Versicherten die Leistungen der GKV kostenfrei erhalten. Gleichwohl ordnet das Gesetz in gewissem Umfang eine finanzielle Beteiligung der Versicherten an. 173 Diese Regelung zielt auf eine Beschleunigung der beim GBA anhängigen Verfahren, Hollo in Becker/ Kingreen, SGB V, § 135, Rn. 21. <?page no="93"?> 93 E. Leistungsrecht Diese Zahlungsverpflichtungen sind nicht als Gegenleistung für die Krankenbehandlung oder die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln anzusehen. Sie fungieren vielmehr als Steuerungsinstrument, mit dem die Ausgaben für medizinische Leistungen kontrolliert werden sollen. Durch eine Beteiligung an diesen Ausgaben soll ein Anreiz für die Versicherten gesetzt werden, nur notwendige Leistungen in Anspruch zu nehmen. „Ärzte-Hopping“, Doppeluntersuchungen und einander widersprechende Therapien sollen vermieden werden. Damit ist die Zuzahlungspflicht auch Ausdruck der in § 1 SGB V statuierten Eigenverantwortung der Versicherten. a. Höhe und Abrechnungsverfahren § 61 SGB V bestimmt die Höhe der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung allgemein auf 10 % des Abgabepreises. Die Mindestzuzahlung beträgt 5,00 €; ihr Maximalbetrag 10,00 €, wobei die Kosten der Behandlung bzw. des eingesetzten Mittels die Obergrenze bilden. Die Norm bildet nicht den Rechtsgrund für die Zahlung selbst, sondern nimmt lediglich Bezug auf andere Normen des SGB V, in denen eine Zuzahlungspflicht der Versicherten angeordnet ist. Die Zuzahlungspflicht trifft nur Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. <?page no="94"?> Leistung Höhe der Zuzahlung Arznei- und Verbandmittel, § 31 III 1 SGB V 10 % des Apothekenabgabepreises, mindestens 5,00 €, maximal 10,00 € je Mittel Fahrkosten, § 60 II 1, 2 SGB V 10 % der Fahrkosten, mindestens 5,00 €, maximal 10,00 € je Fahrt Heilmittel, § 32 II 1 SGB V 10 % der Kosten der Anwendung zzgl. 10 € je Verordnung Hilfsmittel, § 33 VIII 1 SGB V 10 % der Kosten des Hilfsmittels, mindestens 5,00 €, maximal 10,00 € zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, § 33 VIII 3 SGB V 10 % der Kosten je Packung, maximal 10 € pro Monat stationäre Leistungen der medizinischen Vorsorge, § 23 VI SGB V 10,00 € je Kalendertag Krankenhausbehandlung, § 39 IV SGB V 10,00 € je Kalendertag, für maximal 28 Tage Leistungen der medizinischen Rehabilitation, § 40 V SGB V 10,00 € je Kalendertag Anschlussrehabilitation, § 40 VI SGB V 10,00 € je Kalendertag, für maximal 28 Tage Rehabilitation für Mütter und Väter, § 41 III SGB V 10,00 € je Kalendertag Häusliche Krankenpflege, § 37 V SGB V 10 % der Kosten für die ersten 28 Tage im Kalenderjahr zzgl. 10 € je Verordnung Haushaltshilfe, § 38 V SGB V 10 % des Gesamtaufwands je Kalendertag, mindestens 5,00 €, maximal 10,00 € Die Zuzahlungen werden vom Versicherten direkt an den Leistungserbringer entrichtet. Wirtschaftlich ist die Zuzahlung als Teil der von den Krankenkassen geschuldeten Vergütung der Leistungserbringer zu begreifen. Denn der Vergütungsanspruch gegen die Kasse vermindert sich in entsprechender Höhe, § 43c I SGB V. Zahlt der Versicherte trotz schriftlicher Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, wird die Zuzahlung durch die Krankenkasse eingezogen, § 43c I 2 SGB V. 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 94 <?page no="95"?> 95 b. Überforderungsschutz Um die Versicherten vor unzumutbaren finanziellen Belastungen zu schützen, sieht § 62 SGB V vor, dass die jährlichen Zuzahlungen die Belastungsgrenze nicht überschreiten. Diese beläuft sich auf 2 %, bei chronisch Kranken auf 1 % ihrer jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Darunter fallen alle Einnahmen des Versicherten, die tatsächlich dessen Lebensunterhalt dienen bzw. dazu geeignet sind, also jene, die einem Arbeitsentgelt vergleichbar sind. Zweckgebundene Einkünfte, wie beispielsweise Kindergeld oder Pflegegeld sollen dagegen besondere Bedarfe abdecken und sind daher bei der Ermittlung der Belastungsgrenze außer Acht zu lassen. 174 Wegen dieser Überforderungsklausel werden die Zuzahlungen als verfassungsmäßig angesehen. Angesichts der angespannten Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen seien Steuerungsinstrumente unerlässlich, um Beitragssteigerungen zu verhindern. Im Interesse einer umfassenden Versorgung mit notwendigen Leistungen sei es dabei eher hinzunehmen, dass die leistungsfähigen Versicherten an deren Finanzierung beteiligt werden, als einzelne Leistungen aus dem Katalog zu streichen. 175 Mit den Zuzahlungen wird die Leistungsfähigkeit der GKV gesichert. Diese Zielsetzung berührt einen wichtigen Belang des Gemeinwohls und rechtfertigt damit die vergleichsweise geringfügige finanzielle Belastung der Versicherten und den Verwaltungsaufwand der Leistungserbringer bei der Einziehung der Zahlungen. Von der Zuzahlungspflicht sind auch die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung nicht von vornherein ausgenommen. Ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum gehe damit nicht einher, da dem Grundsicherungsempfänger über § 24 I 1 SGB II die Möglichkeit zur Inanspruchnahme eines Darlehens des Grundsicherungsträgers eingeräumt sei und er überdies ohne jede eigene Beitragsleistung mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt werde. 176 174 BSG SozR 3-2500, § 61 Nr. 8; BSG SozR 4-2500, § 62 Nr. 5; BSG, NZS 2008, 482. 175 BSGE 92, 46 (52); BSG SozR 3-2500, § 61 Nr. 8; speziell zur inzwischen abgeschafften „Praxisgebühr“ BSGE 103, 275, vgl. dazu auch Linke, NZS 2004, 186; Wolf, SGb 2010, 249. 176 BSGE 100, 221 mit kritischer Anmerkung Wunder, SGb 2009, 79. E. Leistungsrecht <?page no="96"?> Kontrollfragen 1. Grenzen Sie gesetzliche und private Krankenversicherung, Beihilfe und Sozialhilfe voneinander ab. 2. Welche Bedeutung hat das Selbstverwaltungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen? 3. Welche Tatbestände begründen eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung? Welche Maßnahmen hat der Gesetzgeber ergriffen, um Personen einzubeziehen, die bislang über keine Absicherung im Krankheitsfall verfügten? Inwieweit werden dadurch die grundlegenden Abgrenzungskriterien zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung tangiert? 4. Erläutern Sie das Rechtsinstitut der Familienversicherung. 5. Schildern Sie die unterschiedlichen Ansätze zur Definition des Begriffs „Krankheit“. 6. Kommt die gesetzliche Krankenkasse für die Behandlungskosten auf, wenn der Versicherte V a. sich beim Abfahrtsskilauf einen komplizierten Beinbruch zugezogen hat? b. über Jahrzehnte hinweg starker Raucher war und nun an Lungenkrebs erkrankt? c. sich aus ästhetischen Gründen einer Nasenkorrektur unterzogen hat, in deren Folge er immer wieder an Beschwerden leidet? 7. Verdeutlichen Sie die Unterschiede zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip. In welchen Fällen sind die Versicherten zur Selbstbeschaffung von Leistungen gegen Kostenerstattung berechtigt? 8. V lebt im sächsischen Grenzgebiet zu Polen. Ist sie berechtigt, eine zahnärztliche Behandlung in Polen durchführen zu lassen? Kann sie als gesetzlich Versicherte von den dort geltenden günstigeren Preisen für Zahnersatz profitieren? 9. Erläutern Sie die Rolle des Gemeinsamen Bundesauschusses bei der Bestimmung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Welche Grundsätze gelten bei der Anwendung von Heilmethoden, deren Wirksamkeit der GBA nicht anerkannt hat? 10. V leidet an Neurodermitis. Da bislang keine konventionelle Behandlungsmethode angeschlagen hat, begibt er sich zu X, die seine Erkrankung durch „Handauflegen“ heilen möchte. Muss die Krankenkasse für die Kosten dieser Heilmethode aufkommen? 11. Welche Leistungsarten sind nach dem SGB-V geschuldet? 2. Kapitel: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 96 <?page no="97"?> 97 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht Orientierungsfragen Q Gibt es ein „Sonderrecht“ für den Berufsstand der Ärzte? Welche Wirkungen erzeugt das Berufsrecht? Q Welchen beruflichen Status weist die Ärzteschaft auf? Q Unter welchen Voraussetzungen wird man zur Berufsausübung als Arzt zugelassen? Q Dürfen sich mehrere Ärzte zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammenschließen? Wenn ja, was sind zulässige Rechtsformen? Q Welche Organisationen vertreten die berufsrechtlichen Interessen der Ärzte? Q Welche berufsständischen Pflichten treffen die Ärzteschaft? Entfalten diese Außenwirkung? Q Welche Konsequenzen haben Verstöße gegen die berufsständischen Pflichten? Das Berufsrecht ist ein Sonderrecht der Ärzte. Es ist Bestandteil der gesetzlich anerkannten Selbstverwaltung der Ärzteschaft und bezieht sich allein auf deren Rechte und Pflichten. Patienten oder Dritte können aus dem ärztlichen Berufsrecht keine Rechtspositionen ableiten. Vielmehr legt es allgemeine ethische Leitlinien für das Verhalten des Arztes fest. <?page no="98"?> 98 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht A. Rechtsgrundlagen Die maßgeblichen Rechtsnormen sind zersplittert. Neben dem internationalen Standesrecht enthalten sowohl das Bundesals auch das Landesrecht Regelungen zum Berufsrecht der Ärzte. Auf internationaler Ebene sind die Stellungnahmen und Deklarationen des Weltärztebundes von herausragender Bedeutung. Im 1947 gegründeten Weltärztebund haben sich zahlreiche nationale Berufsorganisationen der Ärzteschaft zusammengeschlossen; die Bundesärztekammer ist die Vertreterin der deutschen Ärzte. Eines seiner wichtigsten Dokumente ist das Genfer Gelöbnis, 1 eine moderne Fassung des hippokratischen Eides, in dem die ethischen und moralischen Anforderungen an das Verhältnis zwischen Arzt und Patient festgehalten sind. Die ebenfalls vom Weltärztebund verabschiedete Deklaration von Helsinki 2 bezieht Position zu Fragen der Organtransplantation, künstlicher Befruchtung, Gentechnologie, Sterbehilfe, Abtreibungen, dem Verbot der Mitwirkung an körperlichen Bestrafungen oder zur Suchtgefahr durch Medikamente, Tabak etc. Die Deklarationen des Weltärztebundes sind nicht verbindlich. Als Programmsätze haben sie appellativen Charakter, ohne konkrete Rechte und Pflichten zu begründen. Der Bund hat nach Art. 74 I Nr. 19 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen inne. Diese berechtigt ihn zum Erlass von Normen, die sich auf die Erteilung, Zurücknahme und den Verlust der Approbation oder die Ausübung des ärztlichen Berufes beziehen. Die Bundesärzteordnung (BÄO) wird auch als „Magna Charta des Arztberufs“ bezeichnet. 3 Sie statuiert die Voraussetzungen, unter denen man die Berufsbezeichnung „Arzt“ führen darf. Namentlich enthält sie allgemeine Regeln über die subjektiven fachlichen Anforderungen, Erteilung und Widerruf der Approbation oder die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des Arztberufs und bestimmt die Zuständigkeiten im Approbationsverfahren. Die Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) regelt die Mindestanforderungen an die Ausbildung und Staatsprüfungen der Ärzte. Rechtsgrundlage für den Erlass dieser Verordnung ist die Ermächtigung in § 4 BÄO. Alle sonstigen Materien - namentlich Weiterbildung, Facharztwesen oder Regeln zur Berufsausübung - sind Gegenstand des Landesrechts. Die Länder haben Heilberufegesetze erlassen, in denen Näheres zu den Berufsvertretungen, den Modalitäten 1 Deklaration von Genf verabschiedet von der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes in Genf, September 1948, abgedruckt bei Seidler, in Wiesing, Diesseits von Hippokrates, S. 156. 2 Taupitz, MedR 2001, 277; Straßburger, MedR 2006, 462 mit ausführlichen Erläuterungen. 3 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 2; Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, BÄO, Vorbem. Rn. 4. <?page no="99"?> A. Rechtsgrundlagen 99 der Berufsausübung und Weiterbildung sowie zur Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker geregelt ist. Die Berufsordnungen der Landesärztekammern enthalten Regelungen über den Status des Arztes als Mitglied eines freien Berufs. Diese betreffen das Verhalten des Arztes bei der Berufsausübung, beispielsweise den Grundsatz der Kollegialität, Pflichten gegenüber den Patienten oder das Verbot bzw. die Einschränkung von Werbung für ärztliche Leistungen. Die Berufsordnungen, die historisch im Satzungsrecht der Ärztevereine des 19. Jahrhunderts gründen, setzen kein verbindliches Außenrecht, aus dem Patienten oder Dritte Ansprüche herleiten könnten. 4 Sie stellen vielmehr allgemeine ethische Maßstäbe für das berufliche Handeln des Arztes auf. Inhaltlich orientieren sich sämtliche Berufsordnungen an der vom Deutschen Ärztetag beschlossenen Musterberufsordnung (MBO). Diese wiederum hat das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes in seine Präambel aufgenommen. 4 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 9. <?page no="100"?> 100 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht B. Zugang zum Arztberuf I. Der Arztberuf als freier Beruf Ärzte üben gemäß § 1 II BÄO einen freien Beruf aus. Die freien Berufe sind gekennzeichnet durch eine persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Leistungserbringung. Gegenstand der Berufsausübung sind geistig-ideelle Dienstleistungen höherer Art, für die der Einzelne beruflich besonders qualifiziert oder schöpferisch begabt ist. Die erbrachten Leistungen dienen nicht nur dem Interesse des Empfängers, sondern auch der Allgemeinheit. 5 Freiberuflichen Status haben nicht nur die niedergelassenen Ärzte, die in eigener Verantwortung und mit eigenem wirtschaftlichem Risiko eine Praxis betreiben. Auch angestellte Krankenhausärzte üben einen freien Beruf aus. Zwar sind sie als Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber abhängig und dessen Weisungen unterworfen. Diese Gebundenheit bezieht sich jedoch vornehmlich auf organisatorische Aspekte der Arbeit wie Arbeitszeit, Arbeitsort oder Urlaubsplanung. Bei seiner spezifischen ärztlichen Tätigkeit, der Behandlung von Patienten, ist auch der angestellte Arzt unabhängig und weisungsfrei. 6 Dies gilt zumindest für Anordnungen durch Nicht-Ärzte, die solche Weisungen schon mangels medizinischer Kompetenz nicht erteilen können, § 2 IV MBO. Bei seiner Berufsausübung ist der Arzt daher allein dem ärztlichen Berufsrecht und dem Willen des Patienten unterworfen. 7 II. Zulassung zur Berufsausübung-- Die Approbation Als Arzt darf nur tätig sein, wer über eine entsprechende staatliche Zulassung, die Approbation verfügt. Dieser sogenannte Arztvorbehalt ist in § 2 I BÄO verankert. Die Approbation ist Voraussetzung für die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung „Arzt“ bzw. „Ärztin“, § 2a BÄO. 5 Vgl. die Definition in § 1 II Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG). Das Gesetz gibt einen Rechtsrahmen für Gesellschaften vor, in denen sich Angehörige freier Berufe zusammenschließen können. 6 BGHZ 70, 158; BAGE 11, 225; BVerwGE 27, 303. 7 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 10; Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, § 1 BÄO, Rn. 6 ff; vgl. auch BFHE 247, 195. <?page no="101"?> B. Zugang zum Arztberuf 101 1. Voraussetzungen der Approbation Bei der Approbation handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der die Befähigung zur Ausübung des ärztlichen Berufs feststellt. Dieser ergeht auf Antrag, wird also nicht von Amts wegen erteilt. Zuständig ist nach § 12 BÄO, § 8 ÄApprO die nach dem Recht des Landes bestimmte Behörde, in dem der Antragsteller seine medizinische Prüfung abgelegt hat oder in dem er seine Tätigkeit ausüben will. Der um Zulassung Ersuchende hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Approbation, sobald er die Voraussetzungen des § 3 BÄO erfüllt: Q Der Antragsteller darf nicht unwürdig oder unzuverlässig für die Ausübung des Arztberufs sein. Unwürdigkeit liegt vor, wenn der Antragsteller durch ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten nicht das zur Ausübung des Arztberufs erforderliche Ansehen und Vertrauen besitzt. In diese Abwägung wird das Gesamtverhalten einbezogen; sowohl etwaige Vorstrafen als auch außerberufliches Verhalten werden beurteilt. Unzuverlässigkeit ist demgegenüber gegeben, wenn der Antragsteller nicht die charakterliche Gewähr für die ordnungsgemäße Ausübung der Heilkunde bietet. Hier wird also zukünftiges Verhalten prognostiziert, um festzustellen, ob der Antragsteller seine beruflichen Pflichten erfüllen kann. 8 Q Der Antragsteller darf nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet sein. Körperliche Gebrechen, geistige Schwäche oder Suchterkrankungen sprechen gegen eine hinreichende gesundheitliche Konstitution. Q Ferner muss der Antragsteller ein Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren absolviert haben. Davon müssen mindestens acht, höchstens aber zwölf Monate als praktische Ausbildung in Krankenhäusern oder geeigneten Einrichtungen der ärztlichen Krankenversorgung erfolgen. Am Ende der Ausbildung muss die ärztliche Prüfung bestanden werden. 9 Bis April 2012 war die Erteilung der Approbation noch an die deutsche Staatsangehörigkeit bzw. die Staatsangehörigkeit eines EU- oder EWR-Staates geknüpft, selbst wenn die medizinische Ausbildung in der Bundesrepublik durchlaufen worden war, § 3 I Nr. 1 BÄO a. F. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen (BQFG) wird stattdessen auf die Gleichwertigkeit der im Ausland erworbenen Qualifikationen und 8 Dazu eingehend Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 18 ff. sowie Rn. 33 ff.; Schmuck/ Huber, NJOZ 2011, 1793 (1793 f.); Stollmann, MedR 2010, 682 (682 f.). 9 Im Ausland erworbene Diplome, Prüfungszeugnisse oder andere Befähigungsnachweise werden für die Unionsbürger nach Art. 53 AEUV anerkannt. Vgl. dazu auch Richtlinie 93/ 16/ EWG vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, ABl. L 165 vom 7.7.1993. <?page no="102"?> 102 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht beruflichen Erfahrungen abgestellt 10 und zusätzlich der Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse gefordert. 2. Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Approbation Als Verwaltungsakt kann die Approbation widerrufen, zurückgenommen oder ruhend gestellt werden. Die Rücknahme beseitigt die Rechtsfolgen der Zulassung ab dem Zeitpunkt ihrer Erteilung (ex tunc) und hebt alle an sie geknüpften Rechte und Pflichten rückwirkend auf. Der Widerruf wirkt demgegenüber ab dem Zeitpunkt seines Ergehens (ex nunc). Die Anordnung des Ruhens der Approbation bewirkt deren vorübergehende Unwirksamkeit. 11 Stellt sich heraus, dass die nach § 3 I 1 Nr. 4 BÄO zu absolvierenden Ausbildungs- und Prüfungsleistungen nicht erbracht worden sind, ist die Approbation zwingend zurückzunehmen, § 5 I 1 BÄO. Waren die übrigen Voraussetzungen des § 3 BÄO im Zeitpunkt ihrer Erteilung nicht erfüllt, kann sie zurückgenommen werden. Die zuständige Behörde hat das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß auszuüben und muss dabei insbesondere abwägen, ob die Rücknahme verhältnismäßig ist. Neben der möglichen Gefährdung der Patienten sind auch die wirtschaftlichen Folgen der Rücknahme zu beurteilen, denn diese kommt einem Berufsverbot gleich, so dass dem Arzt die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit, kann die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit der Rücknahme anordnen. Ein Widerspruch des Arztes hätte in diesem Fall keine aufschiebende Wirkung, vgl. § 80 II Nr. 4 VwGO. Ein Widerruf kommt bei nachträglich eingetretenen Umständen in Betracht, die der Fortdauer der Approbation entgegenstehen. Gemäß § 5 II BÄO ist sie zwingend bei Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zu widerrufen. Die Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit kann sich beispielsweise aus vom Arzt verschuldeten oder zu befürchtenden Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, Honorar- oder Abrechnungsbetrug oder der Verwendung gefälschter Urkunden ergeben. 12 Treten gesundheitliche Beeinträchtigungen auf, kann die Approbation widerrufen werden. Die Behörde ist gehalten, ihr Ermessen pflichtgemäß auszuüben. Sie hat insbesondere zu prüfen, ob der Widerruf das mildeste Mittel ist, um die aus der körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung des Arztes resultierenden Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemein- 10 Maier/ Rupprecht, ZAR 2011, 201 (203). Zur früheren Rechtslage Schiller, MedR 2010, 79. 11 Dazu ausführlich Braun, GeSR 2014, 73. 12 Vgl. OVG Niedersachsen, MedR 2009, 483 sowie die ausführliche Übersicht bei Schelling in Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 39. <?page no="103"?> B. Zugang zum Arztberuf 103 heit abzuwehren. Bei überragenden Interessen der Allgemeinheit kann wiederum nach § 80 II Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufs angeordnet werden. Das Ruhen beseitigt die Rechtswirkungen der Approbation nur vorübergehend. Dem Arzt ist in dieser Zeit die Ausübung seines Berufs verboten, Kammermitgliedschaften bleiben jedoch erhalten. Nach § 6 BÄO ist das Ruhen anzuordnen, wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Auch wenn nachträglich der Zulassung entgegenstehende gesundheitliche Gründe bekannt oder vermutet werden und der Arzt sich weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, kommt eine Ruhensanordnung in Betracht. 13 Liegen deren Voraussetzungen nicht mehr vor, ist sie aufzuheben. Die Zulassung lebt in diesem Fall wieder auf, ohne dass ein neues Antragsverfahren durchlaufen werden muss. Ist die Approbation zurückgenommen oder widerrufen worden oder hat der Arzt nach § 9 BÄO auf sie verzichtet, kann ihre Wiedererteilung betrieben werden. In diesen Fällen hat die Behörde gemäß § 8 BÄO die Möglichkeit, ihre endgültige Entscheidung zunächst zurückzustellen und eine widerrufliche Berufserlaubnis für maximal zwei Jahre zu erteilen. In diesem Verfahren dürfen die in § 3 BÄO verankerten Approbationsvoraussetzungen berücksichtigt werden. Sie sind aber nicht selbst Voraussetzung für die befristete Wiedererteilung. III. Die Niederlassung Die mit der Approbation verliehene Befugnis zur Ausübung des Arztberufs nimmt der Arzt - sofern er nicht angestellt ist - im Rahmen seiner Niederlassung wahr. Mit dieser werden die medizinischen Dienstleistungen öffentlich bereitgestellt. 14 Die Niederlassung setzt eine feste Praxis voraus, § 17 I MBO. Diese muss nicht zwingend im Eigentum des Arztes stehen. Sie muss lediglich ärztlich geleitet werden. Darüber hinaus dürfen Ärzte bis zu zwei weitere Teilniederlassungen betreiben. Sie sind jedoch gehalten, die gleichmäßige Versorgung aller Patienten an sämtlichen Praxissitzen sicherzustellen, § 17 II MBO. Dies ist der Fall, wenn der Arzt sämtliche Praxen innerhalb kurzer Zeit aufsuchen kann. Das Gebot zur Niederlassung in einer festen Praxis beinhaltet das Verbot, ärztliche Leistungen im Umherziehen anzubieten. Sprechstunden dürfen also ausschließlich in den Behandlungsräumen einer dauerhaft eingerichteten Praxis angeboten werden. 13 Vgl. die Übersicht bei Stollmann, MedR 2010, 682 (686); dazu auch Schiller, NZS 2007, 103 (104). 14 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 17 MBO, Rn. 2, BGHZ 70, 158 (161). <?page no="104"?> 104 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht Damit soll sichergestellt werden, dass der Arzt für Patienten räumlich erreichbar ist. 15 Wenn berufliche Belange nicht beeinträchtigt werden, kann jedoch gemäß § 17 III MBO im Ausnahmefall die Erlaubnis zur „aufsuchenden Gesundheitsversorgung“ erteilt werden. Dies betrifft beispielsweise Ärzte, die Obdachlose behandeln. IV. Kooperative Formen der Leistungserbringung Niedergelassene Ärzte müssen ihre Leistungen nicht notwendig in Einzelpraxis anbieten, § 18 MBO. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen verschiedene Versorgungsformen, insbesondere auch die medizinischen Berufsausübungs- und Organisationsgemeinschaften miteinander in Wettbewerb treten, um eine optimale Versorgung der Patienten zu realisieren. 1. Gemeinschaftspraxis Während die Einzelpraxis noch immer das vorherrschende Modell der ärztlichen Berufsausübung darstellt, gewinnt die Gemeinschaftspraxis an Bedeutung. 16 Mehrere Ärzte schließen sich hier zusammen, um Investitions- und Betriebskosten auf mehrere Personen zu verteilen. Die als Berufsausübungsgemeinschaften bezeichneten Gemeinschaftspraxen gehen über eine bloße wirtschaftliche Kooperation hinaus. Neben der gemeinsamen Nutzung von Geräten, Labor und Personal sind sie durch eine gemeinsame Patientenkartei, gemeinschaftliche Abrechnung und einheitliches Auftreten nach außen gekennzeichnet. 17 Der BGH 18 definiert die Gemeinschaftspraxis als Q gemeinschaftliche Ausübung ärztlicher Tätigkeit Q durch mehrere Ärzte des gleichen oder ähnlichen Fachgebiets Q mit gemeinsamem Patientenstamm, Q in gemeinsamen Räumen, Q mit gemeinsamem Personal und Q auf gemeinsame Rechnung. 15 VGH Baden-Württemberg, MedR 2000, 439 (440). 16 Vgl. das Beschlussprotokoll des 115. Deutschen Ärztetags, S. III-01, abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de. 17 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 15, Rn. 4; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 705 BGB, Rn. 4; Wigge, NZS 2001, 293 (293); Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 182. 18 BGHZ 165, 36. <?page no="105"?> B. Zugang zum Arztberuf 105 Die Berufsausübungsgemeinschaft ist üblicherweise als GbR i. S. v. §§ 705 ff. BGB organisiert; zulässig sind aber auch Partnerschaftsgesellschaft (PartGG) 19 oder GmbH, § 23a MBO. Der einheitliche Auftritt nach außen hat zur Folge, dass der Patient den Behandlungsvertrag mit der Gemeinschaftspraxis als solcher und nicht mit den einzelnen beteiligten Ärzten abschließt. Er hat daher keinen Anspruch auf Behandlung durch einen bestimmten Arzt. Gleichwohl muss dem Recht des Patienten auf freie Arztwahl hinreichend Rechnung getragen werden. Deshalb werden Patienten regelmäßig nicht „arztübergreifend“ 20 gemeinschaftlich behandelt, sondern sind einem Arzt als Stammpatient zugeordnet. Evident wird dies bei der fachgebietsübergreifenden Gemeinschaftspraxis. Deren Zulässigkeit setzt die Vergleichbarkeit der Fachrichtungen voraus. Beispiel Zulässig ist die Zusammenarbeit eines Facharztes für Allgemeinmedizin und eines Facharztes für Innere Medizin in einer Gemeinschaftspraxis. 21 Beide können an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen und sind daher in vergleichbaren Fachgebieten tätig. Die Mitglieder der fachgebietsübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft dürfen trotz der im Grunde gemeinschaftlichen Behandlung die Grenzen ihres Fachgebiets nicht überschreiten. Dies ist ihnen im Interesse der Patientensicherheit nicht nur berufsrechtlich, sondern auch nach dem Vertragsarztrecht untersagt. 22 Daraus folgt, dass die ärztlichen Leistungen in der Gemeinschaftspraxis nicht zwingend austauschbar sein müssen, dass sie es im Einzelfall ja nicht einmal sein dürfen. 23 Nach § 18 I 2 MBO sind auch sogenannte Teil-Berufsausübungsgemeinschaften zulässig. Dabei handelt es sich um eine Kooperationsvereinbarung, bei der sich ein Arzt nur mit einer oder mehreren einzelnen Leistungen an der Berufsausübungsgemeinschaft beteiligt. 24 Dies bietet sich beispielsweise an bei labormedizinischen oder pathologischen Untersuchungen, mit welchen die von den übrigen Ärzten erhobenen Befunde verifiziert werden. 19 Eingehend Lück in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 1 PartGG, Rn. 1 ff. 20 Rothfuß in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 33, Rn. 25. 21 BSGE 55, 97; dazu Bösche, MedR 1984, 21. 22 BSGE 23, 97; 30, 83; 55, 97; BVerfGE 33, 125. 23 So auch Rothfuß in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 33, Rn. 25, 35 f. 24 Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 705 BGB, Rn. 8 ff. <?page no="106"?> 106 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht 2. Praxisgemeinschaft In der Praxisgemeinschaft schließen sich Ärzte gleicher oder verschiedener Fachrichtungen zusammen, um gemeinsam Räume und Ausstattung, Apparate oder Personal zu nutzen. Da jeder beteiligte Arzt seine Praxis im Übrigen selbständig führt, bietet die Praxisgemeinschaft lediglich einen organisatorischen Rahmen, mittels dessen Kosten rationalisiert werden können. Sie stellt daher keine Berufsausübungsgemeinschaft, sondern eine Organisationsgemeinschaft dar. 25 Im Gegensatz zur Gemeinschaftspraxis fehlt es bei der Praxisgemeinschaft also am einheitlichen Auftritt nach außen. Jeder Arzt handelt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Er verfügt über einen eigenen Patientenstamm, den er allein und eigenverantwortlich behandelt. Seine Leistungen rechnet er individuell ab. Dementsprechend bestehen zwischen Patienten und Praxisgemeinschaft keinerlei Rechtsbeziehungen. Sie ist vielmehr eine regelmäßig als GbR (§§ 705 ff. BGB) organisierte reine Innengesellschaft, die eine rechtliche Verbindung allein zwischen den beteiligten Gesellschaftern begründet und keine Außenwirkung entfaltet. 26 Die Praxisgemeinschaft muss nicht notwendig unter dem gleichen Dach wie die Niederlassung organisiert sein. So werden in der Apparategemeinschaft Personal und/ oder Geräte außerhalb der eigenen Praxisräume mit anderen Ärzten genutzt. Diese Nutzung geht über eine bloße schuldrechtlich vereinbarte Gebrauchsüberlassung i. S. v. Miete oder Leihe hinaus. Die beteiligten Ärzte finanzieren und beschaffen die Apparate vielmehr gemeinschaftlich und stimmen sich bei der Nutzung ab. Beispiel Die Ärzte A, B und C müssen regelmäßig Blutbilder, Blutzuckeranalysen, Leber- und Nierenwerte, aber auch hormonelle Befunde ihrer Patienten erheben und auswerten. Die dafür erforderlichen Apparaturen sind sehr teuer und es ist speziell ausgebildetes Personal notwendig, um die anfallenden Aufgaben zuverlässig zu erledigen. 25 Zur Abgrenzung Ehmann, MedR 1994, 141; Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 278. 26 Lück in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, vor § 705 BGB, Rn. 19; a. A. Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 299. <?page no="107"?> B. Zugang zum Arztberuf 107 Um Kosten zu sparen, gründen sie eine Laborgemeinschaft GbR. Sie nutzen deren Einrichtung, um alle in ihren Praxen anfallenden Laboruntersuchungen durchzuführen. Die gewonnenen Proben werden an die Laborgemeinschaft übersandt, dort aufbereitet, analysiert und ausgewertet; die Ergebnisse werden an A, B und C übermittelt. Die Patienten erhalten ihren Befund und die daraus folgende Diagnose unmittelbar von ihrem behandelnden Arzt. Sie treten also selbst nie mit der GbR in Kontakt. 3. Praxisverbund Nach § 23d I MBO dürfen sich Ärzte des Weiteren zu einer Kooperation ohne gemeinschaftliche Berufsausübung zusammenschließen, um gemeinsam einzelne Versorgungsaufträge zu erfüllen. Daran dürfen auch Krankenhäuser, Einrichtungen zur medizinischen Rehabilitation oder Angehörige anderer Gesundheitsberufe beteiligt werden. Gegenstand des Praxisverbunds ist in der Regel die Abstimmung der einzelnen Versorgungsmaßnahmen zur Sicherung bzw. Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung. Durch den Praxisverbund sollen die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten erleichtert und Kosten eingespart werden. Zugleich erhoffen sich die einzelnen Parteien eine Ausweitung ihres jeweiligen Patientenstammes. Die praktische Relevanz ist gering. Es handelt sich wiederum um eine reine Organisationsgemeinschaft. Sie kann als GbR oder GmbH ausgestaltet werden, tritt gegenüber dem Patienten jedoch nicht in Erscheinung. Vielmehr übt jeder Kooperationspartner seine Tätigkeit eigenverantwortlich in eigener Praxis aus. Er behält seinen Patientenstamm und rechnet alle an diesen erbrachten Leistungen selbständig ab. 27 27 Möller/ Ruppel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 17, Rn. 478 ff.; Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 23d MBO, Rn. 1. Anderweitige Vereinbarungen sind jedoch möglich, Lück in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, vor § 705 BGB, Rn. 33. <?page no="108"?> 108 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht C. Standesorganisationen der Ärzte I. Die Ärztekammern Die Ärzteschaft ist auf Länderebene in den Ärztekammern organisiert. Deren Binnenrecht ist Gegenstand der von den Bundesländern erlassenen Heilberufsgesetze. Die Landesärztekammern (LÄK) sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihnen ist ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt. Sie nehmen die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben also eigenverantwortlich wahr und können ihre Angelegenheiten kraft ihrer Satzungsautonomie selbst regeln. Die staatliche Einflussnahme ist auf die Rechtsaufsicht beschränkt. Die LÄK werden durch die Beiträge ihrer Mitglieder finanziert. 1. Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft in der Kammer ist verpflichtend. Alle Ärzte, die im Zuständigkeitsbereich der LÄK ihren Beruf ausüben oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind Zwangsmitglieder. Dies betrifft nicht nur niedergelassene Ärzte oder solche, die in Krankenhäusern angestellt sind, sondern auch die in Forschung und Lehre oder im öffentlichen Gesundheitswesen Beschäftigten sowie Sanitätsoffiziere. 28 Die Zwangsmitgliedschaft stellt zwar einen Eingriff in die durch Art. 2 I GG geschützte Handlungsfreiheit dar. Diese beinhaltet auch das Recht, von „unnötigen“ Mitgliedschaften freigestellt zu sein. Auch die Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 I GG ist betroffen, verbietet doch die Tätigkeit in einem freien Beruf jedwede Bevormundung. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Inanspruchnahme der Pflichtmitglieder gerechtfertigt, wenn die Mitgliedschaft geeignet und erforderlich ist, um zur Verwirklichung der Zielsetzung der Kammer beizutragen und die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten wird. 29 Die den LÄK übertragenen Aufgaben sind öffentlich-rechtlicher Natur. Die Pflichtmitgliedschaft ist damit Voraussetzung für die Verbindlichkeit des Handelns der Kammer. 28 BVerwGE 39, 100 (Beamter im öffentlichen Gesundheitsdienst); 39, 110 (Sanitätsoffizier); OVG Lüneburg, MedR 1989, 104 (Lehrstuhlinhaber für Physiologie und Anatomie). 29 BVerfG, NVwZ 2002, 335 (Industrie- und Handelskammer); NJW 1991, 746 (Versorgungsanstalt der Ärzte); BVerwGE 59, 231 (Studentenschaft); 64, 298 (Ärztekammer); 64, 115 (Steuerberaterkammer); 107, 169 (IHK); BGHZ 64, 301 (BRAK). Eingehend zur Pflichtmitgliedschaft in der Ärztekammer Dettmeyer, NJW 1999, 3367. <?page no="109"?> C. Standesorganisationen der Ärzte 109 2. Organe Die Ärztekammern verfügen regelmäßig über einen Vorstand und die Kammerversammlung. Letztere wird von den Mitgliedern gewählt und ist zur Beschlussfassung über die Angelegenheiten der Kammer berufen. Die Kammerversammlung ist damit zuständig für den Erlass der Satzung, der Geschäftsordnung sowie der im jeweiligen Land geltenden Berufs- und Weiterbildungsordnung. Der Vorstand, der in der Regel über einen Präsidenten, ein bis zwei Vizepräsidenten und mehrere Beisitzer verfügt, führt die laufenden Geschäfte der Kammer. Er bereitet die Kammerversammlungen vor und vertritt - durch den Präsidenten oder Vizepräsidenten - die Kammer gerichtlich und außergerichtlich. 3. Aufgaben Die Ärztekammern nehmen nicht nur die Interessen der Ärzteschaft wahr, sondern vertreten auch die Interessen der Allgemeinheit, etwa indem sie die Erfüllung der berufsständischen Pflichten durch ihre Mitglieder überwachen. Kommt es zu berufsbezogenen Streitigkeiten zwischen Ärzten und Dritten, sind sie zur Schlichtung berufen. Zudem fördern die LÄK die berufliche Fort- und Weiterbildung, stellen Heilberufsausweise aus oder gründen und betreiben Altersversorgungswerke und Fürsorgeeinrichtungen für ihre Mitglieder. Auf Ersuchen von Gerichten oder Behörden vermitteln die LÄK medizinische Gutachter. Im Rahmen der Wahrnehmung der beruflichen Belange der Ärzteschaft geben die Kammern auch berufsbezogene Informationsblätter („Ärzteblatt“) heraus. Dies ist legitim, um einerseits dem Informationsbedürfnis der Mitglieder zu genügen und andererseits der Informationspflicht als Standesorganisation nachzukommen. Indes dürfen die im Ärzteblatt veröffentlichten Stellungnahmen zu politischen oder gesellschaftlichen Fragen den Rahmen der den Ärztekammern zugewiesenen Aufgaben nicht überschreiten. Die in Art. 2 I GG geschützte Handlungsfreiheit und die Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 I GG vermitteln den Pflichtmitgliedern einen Anspruch auf Beachtung der durch die gesetzliche Aufgabenzuweisung gesetzten Grenzen. Allgemeinpolitische Aktivitäten oder Äußerungen zu beliebigen politischen Fragen überschreiten die Befugnisse der Kammern, da sie keinen Bezug zu der die Zwangsmitgliedschaft rechtfertigenden legitimen Zielsetzung der Ärztekammer aufweisen. 30 Sie betreffen vielmehr die individuelle Sphäre 30 BVerwGE 34, 69 (Studentenschaft); 59, 231 (Studentenschaft); 64, 115 (Steuerberaterkammer); 64, 298 (Ärztekammer); BGH, NJW 1986, 992 (Bundesrechtsanwaltskammer). <?page no="110"?> 110 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht der einzelnen Mitglieder. Die LÄK dürfen sozial- und gesellschaftspolitische Aussagen daher nur treffen, soweit das Gesundheitswesen oder der ärztliche Beruf betroffen sind. II. Die Bundesärztekammer Die Landesärztekammern haben sich auf Bundesebene zur Bundesärztekammer (BÄK) zusammengeschlossen. Dabei handelt es sich um eine rein organisatorische Verbindung; die BÄK ist in ihrer Satzung als „Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern“ in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins ausgewiesen. 31 Die BÄK verfügt über einen Vorstand und eine Mitgliederversammlung bestehend aus 250 Entsandten der Landesärztekammern. Letztere beschließt die Satzung der BÄK. In der mindestens einmal jährlich stattfindenden Hauptversammlung fasst die Mitgliederversammlung als Deutscher Ärztetag (DÄT) Beschlüsse zu den grundlegenden Angelegenheiten der BÄK. Der DÄT wird auch als „Standesparlament der Ärzteschaft“ bezeichnet. Der Vorstand setzt sich aus einem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und zwei weiteren Ärzten zusammen. Die Präsidenten aller LÄK sind kraft ihres Amtes ebenfalls Mitglieder des Vorstands. Der Vorstand führt die laufenden Geschäfte der Bundesärztekammer und vertritt diese gerichtlich und außergerichtlich. Im Gegensatz zu den LÄK erfüllt die BÄK keine öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Sie nimmt die übergeordneten Belange der einzelnen Kammern wahr und fördert den Erfahrungsaustausch und die enge Abstimmung zwischen diesen. Der Öffentlichkeit vermittelt sie die Position der Ärzteschaft zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Diskussionen und veröffentlicht Stellungnahmen, Empfehlungen oder Richtlinien zur Dokumentation des medizinischen Standards. 32 Die Gremien der BÄK erarbeiten überdies Vorschläge für länderübergreifende Regelungen im Berufsrecht. Als Beispiele seien die Muster-Berufsordnung und die Weiterbildungsordnung genannt. Damit sollen möglichst einheitliche Grundsätze für die ärztliche Tätigkeit im gesamten Bundesgebiet befördert werden. Diese Aufgaben erfüllt die BÄK in Gremien, Ausschüssen und Konferenzen, die größtenteils ehrenamtlich besetzt sind. 33 31 Hess in HK-AKM, Beiträge, Bundesärztekammer, Rn. 1. 32 Zur Rechtsnatur der Richtlinien Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (264). 33 Ratzel/ Knüpper in Handbuch Medizinrecht, § 6, Rn. 78 ff.; Hess in HK-AKM, Beiträge, Bundesärztekammer, Rn. 12 ff. <?page no="111"?> C. Standesorganisationen der Ärzte 111 III. Sonstige berufsständische Verbände Über ihre obligatorische Mitgliedschaft in den Landesärztekammern hinaus hat sich die Ärzteschaft freiwillig in zahlreichen weiteren berufsständischen Vereinigungen zusammengeschlossen. Die Verbände verfolgen vor allem berufspolitische und wirtschaftliche Ziele der einzelnen in ihnen verfassten Arztgruppen. Der Hartmannbund vertritt als „Verband der Ärzte Deutschlands“ die Interessen der Ärzte aller Fachrichtungen. Daneben gibt es eine Vielzahl spezifischer Interessenvertretungen für die einzelnen medizinischen Fachrichtungen und Berufsbilder. So ist der Marburger Bund die einzige an der Tarifbindung beteiligte Gewerkschaft der angestellten und Interessenvertretung der beamteten Ärzte Deutschlands. Der Virchow-Verband repräsentiert die niedergelassenen Ärzte aller Fachrichtungen. Auch die Anhänger alternativer Heilverfahren sind in spezifischen Verbänden vertreten. 34 34 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 104. <?page no="112"?> 112 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht D. Berufsständische Pflichten des Arztes Die im ärztlichen Berufsrecht gründenden Pflichten sind Ausdruck der Ethik des Arztberufs. Sie sind beispielhaft in den Berufsordnungen der Ärztekammern kodifiziert, finden ihre Grundlage aber im gesamten Rechtssystem - neben dem Verfassungsrecht enthalten auch das Zivil- und das Strafrecht tragende Maximen der ärztlichen Berufsausübung. Spezifische Regelungen ergeben sich aus den Heilberufegesetzen der Bundesländer. Das Berufsrecht ist gekennzeichnet durch seine Wechselwirkung zwischen ethischen Maßstäben und rechtlichen Vorgaben. Während jene justiziable Ansprüche vermitteln, bringen diese einen ideellen Anspruch zum Ausdruck. Dies macht nicht zuletzt das der Präambel der Berufsordnungen vorangestellte Gelöbnis deutlich. In der Tradition des Hippokratischen Eides und des Gelöbnisses von Helsinki stehend, 35 sind darin das eigene Berufsbild und der Anspruch des Arztes an sein eigenes Handeln zusammengefasst: Präambel der MBO „Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern sowie Kolleginnen und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich auf meine Ehre.“ 35 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, MBO, Vorbemerkung, Rn. 8. <?page no="113"?> D. Berufsständische Pflichten des Arztes 113 I. Heilauftrag Gemäß § 1 I BÄO dient der Arzt der Gesundheit des Menschen und des gesamten Volkes. Dieser sogenannte Heilauftrag ist das wichtigste Gebot der ärztlichen Berufsausübung und spiegelt den Grundsatz der Humanität wieder. 36 1. Behandlungspflicht Der Heilauftrag geht mit einer Untersuchungs- und Behandlungspflicht einher. Geleitet von seinem fachlichen Können und seinem Gewissen 37 ist der Arzt gehalten, Krankheiten zu heilen oder zumindest die damit verbundenen - körperlichen wie psychischen - Beschwerden zu lindern, das Wohlbefinden zu verbessern, Leben zu erhalten und Sterbenden beizustehen, vgl. § 1 II MBO. Der Beistand für Sterbende umfasst nicht das Recht zur Sterbehilfe: diese ist ebenso wie die Die Tötung auf Verlangen ist berufsrechtlich untersagt, § 16 MBO. Die früher ebenfalls verbotene Hilfe zur Selbsttötung ist nach der Entscheidung des BVerfG, dass aus dem Persönlichkeitsrecht auf ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben folge(Fußnote BVerfGE 153, 182) ist dagegen aus § 16 MBO gestrichen worden. Die Bundesärztekammer sieht den assistierten Suizid gleichwohl weiterhin nicht als ärztliche Aufgabe an. 38 Nach § 11 MBO sollen die Patienten mit „geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ versorgt werden. Dabei ist der Arzt verpflichtet, die Regeln der medizinischen Wissenschaft („lex artis“) einzuhalten. Dies impliziert nicht, dass Behandlungen ausschließlich nach der schulmedizinischen Lehre vorzunehmen sind. 39 Auch die Naturheilkunde, die Homöopathie oder andere alternative Methoden genügen dem Standard der medizinischen Wissenschaft, soweit sie nachprüfbaren Regeln unterliegen und diese eingehalten werden. Die wissenschaftliche Absicherung bildet die einzige Grenze ärztlichen Handelns. In seinen fachlichen Entscheidungen ist der Arzt - entsprechend seinem Status als Angehöriger eines freien Berufes - autonom; es gilt das Prinzip der Therapie- und Behandlungsfreiheit. Diese umfasst nicht nur die Freiheit der Methodenwahl, sondern auch die freie Einschätzung, ob überhaupt eine Behandlung angezeigt ist. 40 Die lex artis verpflichtet insbesondere den forschenden Arzt dazu, zur Fortentwicklung der medizinischen 36 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 50. 37 BVerwGE 27, 303 (305). 38 https: / / www.bundesaerztekammer.de/ presse/ aktuelles/ detail/ trotz-aenderung-der-muster-berufsordnung-hilfe-zur-selbsttoetung-weiterhin-keine-aerztliche-aufgabe 39 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 11 MBO, Rn. 2. 40 Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 15, Rn. 14. <?page no="114"?> 114 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht Wissenschaft beizutragen. Diesem Anspruch genügt er beispielsweise, indem er bislang unbekannte Nebenwirkungen von Medikamenten oder Behandlungsmethoden publik macht, vgl. § 6 MBO. Die berufsrechtliche Behandlungspflicht kann über die nach dem Recht der GKV zu leistenden Behandlungen hinausgehen. So schließt das Gebot zur Verbesserung des Wohlbefindens auch die plastische Chirurgie oder das Verschreiben von potenzfördernden Arzneimitteln ein, 41 deren Verordnung gemäß § 34 I 7 SGB V nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gedeckt ist. Der Heilauftrag impliziert, dass Ärzte sich nicht an schädigenden Handlungen gegenüber Patienten beteiligen dürfen. Dazu zählt neben dem Verbot der Beteiligung an aktiver Sterbehilfe, Folter oder Verstümmelung auch das Verbot, Gefahren für Gesunde - beispielsweise durch Doping im Sport 42 - zu schaffen. 2. Privatautonomie Im Grunde kann sich der Arzt auf seine Privatautonomie berufen und damit frei entscheiden, ob und mit wem er einen Behandlungsvertrag abschließen möchte. Die Behandlungspflicht gilt also nicht uneingeschränkt in dem Sinne, dass der Arzt standesrechtlich verpflichtet wäre, jedwede Behandlung zu übernehmen. Dementsprechend betont § 7 II 2 MBO das Recht des Arztes, einen Patienten abzulehnen. 43 Im Notfall ist die Vertragsfreiheit des Arztes jedoch beschränkt. Sofern der Gesundheitszustand eines Patienten bedrohlich und keine anderweitige Hilfe erreichbar ist, muss der Arzt Maßnahmen zur Versorgung des Patienten ergreifen. Zudem muss eine einmal begonnene Behandlung fortgeführt werden. Dabei muss der Arzt den persönlichen Kontakt zum Patienten suchen, selbst notwendige Befunde erheben und sich ein Bild vom Zustand des Patienten machen. Ferndiagnosen per Telefon oder vermittelt durch Angaben Dritter sind unzulässig. Ist der Patient aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert, den Arzt in seiner Praxis aufzusuchen, umfasst die Behandlungspflicht auch den Hausbesuch. 41 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 12; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 15, Rn. 13 mit weiteren Beispielen; Janda, GuP 2015, 22. 42 Franz/ Hartl, NJW 1988, 2277 (2278 f.); Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 15, Rn. 15. 43 Krieger, MedR 1999, 519 (519); Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 7 MBO, Rn. 7. <?page no="115"?> D. Berufsständische Pflichten des Arztes 115 3. Notdienst Außerhalb der Sprechzeiten ist gemäß § 26 MBO ein ärztlicher Notdienst sicherzustellen. Adressat dieses Sicherstellungsauftrags ist die in den Kammern verfasste Ärzteschaft; die Kammern organisieren den Notfalldienst. Einzelheiten sind in den Heilberufegesetzen der Bundesländer geregelt. Der ärztliche Notfalldienst ist vom Rettungsdienst zu unterscheiden. Im Rahmen des Notdienstes können Patienten in dringenden Fällen - Unfällen, plötzlich auftretenden schweren oder sich stark verschlechternden Erkrankungen - außerhalb der Sprechzeiten der niedergelassenen Ärzte eine ambulante Erstversorgung erhalten. Geschuldet ist lediglich eine Grundversorgung, die den Patienten befähigt, die Zeit bis zu den regulären Sprechzeiten zu überbrücken. Der diensthabende Arzt ergreift im Rahmen seiner Möglichkeiten lediglich allgemeine Sofortmaßnahmen. Der landesrechtlich organisierte Rettungsdienst hat dagegen die Notfallrettung und den Krankentransport als Aufgabe der Daseinsvorsorge zum Gegenstand. Die Notfallrettung zielt auf die Reanimation und Wiederherstellung der elementaren Körperfunktionen ab, bevor der Patient unmittelbar zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus transportiert wird. 44 Alle niedergelassenen Ärzte sind zur Teilnahme am Notdienst verpflichtet. 45 Die Ärztekammern erarbeiten Notfalldienstordnungen, in denen die Dienstzeiten und -bereiche sowie der Modus der Einsatzverteilung unter der Ärzteschaft festgelegt werden. Eine Befreiung vom Notdienst kommt nach den Berufsordnungen der Ärztekammern nur aus schwerwiegenden Gründen in Betracht. Dazu zählen beispielsweise körperliche Behinderungen, besondere familiäre Verpflichtungen wie die Betreuung von Kindern unter einem Jahr, Schwangerschaft oder die Teilnahme am Rettungsdienst. Namentlich können Fachärzte die Teilnahme am Notdienst nicht unter Hinweis auf ihre Spezialisierung verweigern. Zwar hat das BVerwG eingeräumt, dass diese Verpflichtung einen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) und die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) darstelle. Ein Arzt dürfe daher nicht zu solchen Aufgaben herangezogen werden, die er „ohne begründete Gewissensbedenken nicht übernehmen“ könne. Solche Bedenken könnten sich insbesondere aus der Unberechenbarkeit der im Notfalldienst zu erbringenden Leistungen ergeben, die 44 Vgl. dazu ausführlich Abig, Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung, Berlin 2003. 45 Für die zur Versorgung der gesetzlich Versicherten zugelassenen Ärzte besteht daneben die Pflicht zur Teilnahme an dem durch die Kassenärztliche Vereinigung organisierten vertragsärztlichen Notdienst nach §§ 75 I 2, 95 III 1 SGB V. Ärztekammern und kassenärztliche Vereinigung organisieren den Notdienst daher typischerweise gemeinsam, um eine doppelte Inanspruchnahme der Ärzte zu vermeiden, Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 26 MBO, Rn. 2. <?page no="116"?> 116 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht eine Vielzahl medizinischer Fachgebiete berühren können. Wer jahrelang in einem Spezialgebiet tätig sei, sei unter Umständen dem allgemein-ärztlichen Wissen „entfremdet“, so dass die Gefahr falscher Entscheidungen bestehe. 46 Indes soll durch die Notfallversorgung lediglich die Zeit bis zur nächstmöglichen regulären ambulanten Sprechzeit überbrückt werden. Der diensthabende Arzt hat daher vor allem den Zustand des Patienten zu sichern und akute Schmerzen und Beschwerden zu lindern. Eine vollumfängliche Behandlung, insbesondere die Heilung der Erkrankung ist nicht geschuldet. 47 Zudem trifft alle Ärzte eine Fortbildungspflicht, die sich bei Wissens- und Erfahrungslücken auch auf die Teilnahme am Notfalldienst erstreckt. Eine völlige Befreiung vom Notdienst wegen mangelnder fachlicher Kompetenz kommt daher nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht. II. Fortbildungspflicht Die praktizierenden Ärzte sind gehalten, sich regelmäßig im notwendigen Umfang fortzubilden, § 4 MBO. Adressaten dieser Pflicht sind nicht nur die niedergelassenen, sondern auch die angestellten Ärzte. Angesichts des rasanten Voranschreitens der medizinischen Erkenntnisse 48 müssen sie gewährleisten, dass sie ihr zur Berufsausübung erforderliches Fachwissen nicht nur präsent halten, sondern auch weiterentwickeln. Erst dadurch werden sie in die Lage versetzt, bei der Patientenversorgung dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu genügen. 49 Dem Weiterbildungsgebot wird nicht nur durch die Teilnahme an Kursen genügt, sondern auch durch das regelmäßige Studium fachgebietsbezogener Publikationen, die Kenntnisnahme aktueller Kongressergebnisse oder die klinische Fortbildung durch Hospitationen. 50 Die Ärztekammern bieten regelmäßig zertifizierte Fortbildungsveranstaltungen an. Solche Zertifikate sind auf Verlangen der Kammer vorzulegen, § 4 II MBO. Eng verknüpft mit der Fortbildungspflicht ist das Gebot zur Teilnahme an qualitätssichernden Maßnahmen nach § 5 MBO. Diese dienen - anders als die Fortbil- 46 BVerwGE 27, 303. 47 BVerwG, DÖV 1973, 321; vgl. auch Kerber, jurisPR-MedizinR 7/ 2011, Anm. 3; kritisch Bielitz, NJW 2012, 1253 (1255). 48 Das medizinische Fachwissen verdoppelt sich alle fünf Jahre, Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 79. 49 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 58. Eingehend zum Inhalt der Fortbildung Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 4 MBO, Rn. 2. 50 Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 82; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 12, Rn. 45 f.; Hübner/ Loof, MedR 2010, 547 (549). <?page no="117"?> D. Berufsständische Pflichten des Arztes 117 dung - nicht der Anpassung des Fachwissens an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft, sondern sollen sicherstellen, dass die Ärzte ihre Leistungen in der gebotenen Qualität anbieten können. Die Maßnahmen zur Qualitätssicherung werden nach den Heilberufegesetzen der Bundesländer ebenfalls von den Ärztekammern angeboten. III. Partnerschaft zwischen Arzt und Patient Gegenüber seinen Patienten ist der Arzt zu partnerschaftlichem Verhalten verpflichtet. Nach § 7 MBO schließt dieses Gebot die Achtung der Menschenwürde und Selbstbestimmung des Patienten ebenso ein wie den persönlichen Kontakt. 1. Grundlagen Beratung und Behandlung sollen grundsätzlich in persönlichem Kontakt stattfinden. Nach § 7 IV 2 MBO dürfen „Kommunikationsmedien“ jedoch unterstützend angewandt werden. Ist es ärztlich vertretbar und wird die ärztliche Sorgfalt gewährleistet, ist nach § 7 IV 3 MBO auch eine ausschließliche telemedizinische Beratung und Behandlung zulässig. Das vormals strikte Verbot der Fernbehandlung ist damit zugunsten der Telemedizin aufgegeben worden nicht zuletzt um eine flächendeckende und den Bedürfnissen der Patienten entsprechende Versorgung zu ermöglichen. Arzt und Patient sollen zusammenwirken. Trotz seines Wissensvorsprungs hat der Arzt die Entscheidungen des Patienten zu respektieren, auch wenn sie aus seiner Sicht unvernünftig sein mögen. Dies betrifft den Wunsch nach Abbruch einer Behandlung oder auch nach einem Wechsel des Arztes oder der Einholung einer Zweitmeinung. Desgleichen ist es dem Arzt untersagt, seinen Wissensvorsprung gegenüber dem Patienten auszunutzen und ihm beispielsweise wirtschaftlich attraktive Behandlungen aufzudrängen, deren Erfolg fraglich ist. Auch die Zusicherung eines bestimmten Heilerfolgs ist vom Berufsrecht nicht gedeckt, was nicht zuletzt an der Unwägbarkeit biologischer Prozesse wie der Heilung liegt. 51 Sind mehrere Ärzte in die Behandlung involviert, muss der Patient vor Gefahren geschützt werden, die aus einander widersprechenden Diagnosen oder möglichen Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen herrühren. Der Arzt muss daher Informationen über frühere Behandlungen, Diagnosen und Therapien einholen. Das Partnerschaftsgebot weist weitere spezifische Ausprägungen auf: die Aufklärungs-, Schweige- und Dokumentationspflicht. Für Sterbehilfe, Schwangerschaftsab- 51 Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 193. <?page no="118"?> 118 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht brüche oder die medizinische Forschung sehen die §§ 13 ff. MBO detaillierte Sonderregelungen vor, mit denen der besonderen Bedeutung des Menschenwürdegebots in diesen Grenzbereichen der Medizin Rechnung getragen werden soll. 52 2. Aufklärungspflicht Dem aus der Menschenwürde (Art. 1 I GG) und der Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) abgeleiteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten genügt der Arzt nur, wenn er vor jeder Behandlung dessen Einwilligung einholt. Diese ist aber nur dann wirksam, wenn sie auf klaren Vorstellungen des Patienten über die zu ergreifenden Maßnahmen beruht. Der Einwilligung muss daher stets ein persönliches Aufklärungsgespräch vorausgehen, in dem der Arzt dem Patienten das für seine Entscheidung notwendige Wissen für den Laien verständlich vermittelt, § 8 MBO. Zu den wesentlichen Fragen zählen neben der Diagnose und den Heilungschancen auch Hinweise auf alternative Behandlungsmethoden, das Risiko von Komplikationen und eventuelle Folgen einer Nichtbehandlung. Die Aufklärung muss umso detaillierter sein, je weniger der Eingriff medizinisch geboten ist. 53 Der Patient muss die Gelegenheit haben, alle aus seiner Sicht notwendigen Fragen zu stellen. Die Übergabe eines Formblattes allein reicht daher nicht aus. 54 3. Schweigepflicht § 9 MBO verpflichtet die Ärzte zu Stillschweigen über alles, was sie in ihrer Eigenschaft als Arzt erfahren oder anvertraut bekommen haben. Die Schweigepflicht beinhaltet nicht nur das Gebot, mündliche Äußerungen für sich zu behalten, sondern untersagt dem Arzt auch die Weitergabe von Schriftstücken, Befunden oder Krankenunterlagen wie Röntgenbilder. Tatsachen, die ein Arzt als Privatperson erfahren hat, werden von der Schweigepflicht nicht erfasst. Damit bezieht sich die Schweigepflicht allein auf die Informati- 52 Dazu ausführlich Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 13 MBO, Rn. 5 ff.; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 42, Rn. 10 ff.; Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 195 ff. 53 Dies gilt namentlich für Schönheitsoperationen. Hier ist eine besonders eingehende Aufklärung über die zu erwartenden Risiken notwendig, Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 146; Krüger/ Helml, GesR 2011, 584 (585). 54 Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, Abschnitt B 1000, Rn. 143; Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 8 MBO, Rn. 2; Ratzel/ Lippert, GesR 2011, 536 (537). <?page no="119"?> D. Berufsständische Pflichten des Arztes 119 onen, die er im Zusammenhang mit der Untersuchung und Behandlung eines Patienten erhalten hat - indes nicht nur solche medizinischer Art, sondern auch persönliche Angaben, etwa über familiäre oder finanzielle Angelegenheiten. Nicht erfasst sind solche Informationen, die jedermann öffentlich zugänglich sind. 55 Das Gebot zur Achtung der Privat- und Intimsphäre besteht über den Tod des Patienten hinaus. Ein Recht zur Offenbarung der von der Schweigepflicht erfassten Tatsachen besteht nur im Ausnahmefall. § 9 II MBO nennt die ausdrückliche Entbindung von der Schweigepflicht durch den Patienten oder Offenbarungspflichten im öffentlichen Interesse. Letztere betreffen vor allem meldepflichtige Krankheiten nach §§ 6 ff. IfSG oder Auskunftspflichten im Zusammenhang mit der Entnahme von Organen zum Zwecke der Transplantation nach § 7 TPG. Ferner ist die Offenbarung von Patientengeheimnissen zum Schutz eines höherwertigen Rechtsguts zulässig. In diesem Fall kann sich der Arzt auf einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB berufen. Dazu zählen beispielsweise Tatsachen, die auf eine Misshandlung oder den sexuellen Missbrauch von Kindern hindeuten 56 oder die Infektion eines Patienten mit einer lebensgefährlichen Erkrankung, wenn dieser sich nachhaltig weigert, ansteckungsgefährdete Personen über seine Infektion zu informieren. 57 4. Dokumentationspflicht Alle Feststellungen und Maßnahmen, die ein Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung getroffen hat, hat er nach § 10 I MBO zu dokumentieren. Diese Aufzeichnung dient dem Arzt als Gedächtnisstütze. Sie ist aber auch für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten von Bedeutung, weil nur eine ordnungsgemäße Dokumentation die Kenntnisnahme aller ihn betreffenden medizinischen Tatsachen ermöglicht. Denn mit der Dokumentationspflicht korrespondiert das in § 10 II MBO verankerte Recht des Patienten auf Einsichtnahme in seine Krankenakte. Die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht betrifft neben Anamnese, Diagnose und Therapiemaßnahmen auch Befunde und Röntgenaufnahmen, Komplikationen und Warnhinweise an den Patienten sowie Überweisungen des Patienten an andere Ärzte. 58 55 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 8 MBO, Rn. 1; Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 157 f. 56 Bender, MedR 2002, 626 KG Berlin, MDR 2013, 1162. 57 Spickhoff, NJW 2000, 848. 58 Lopacki, GuP 2011, 98 (98); Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 176. <?page no="120"?> 120 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht Auf diese Fakten erstreckt sich auch das Einsichtsrecht des Patienten. Ausgenommen sind nach § 10 II 1 MBO die Teile, die „subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen“ des Arztes enthalten. Daher sind dem Patienten nur solche Aufzeichnungen, die naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und Fakten zum Gegenstand haben, zur Verfügung zu stellen. An der Kenntnis persönlicher, möglicherweise emotionaler Anmerkungen des Arztes hat der Patient demgegenüber kein berechtigtes Interesse. 59 IV. Kollegialität Bei der Ausübung ihres Berufs haben sich Ärzte untereinander kollegial zu verhalten, § 29 MBO. Für unsachliche Kritik oder abfällige, herabsetzende Äußerungen über Kollegen verbleibt daher unter berufsrechtlichen Aspekten kein Raum. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist freilich zulässig. Ebenso ist es berufsunwürdig, einen Arzt als Mitbewerber oder Anbieter gleicher Leistungen mit unlauteren Mitteln vom Markt zu verdrängen, § 29 II MBO. Dieses Konkurrenzverbot betrifft namentlich den medizinischen Nachwuchs. Beispiele Es gilt als unlauter, wenn ein jüngerer Kollege einen älteren, der ihm zuvor Gelegenheit zur Aus- und Weiterbildung in seiner Praxis gegeben hat, durch Niederlassung im Einzugsbereich von dessen Praxis Patienten abspenstig zu machen sucht. 60 V. Verbot berufswidriger Werbung Der Arztberuf ist kein Gewerbe, sondern dient dem Wohl der gesamten Bevölkerung. Demnach soll er vor Kommerzialisierung bewahrt werden. Damit geht das in § 27 MBO verankerte Verbot berufswidriger Werbung einher. Früher als absolutes Werbeverbot formuliert, hat die Norm eine gewisse Liberalisierung erfahren und gewährt dem Arzt nunmehr ein reglementiertes Werberecht. Die MBO gestattet sachgerechte und angemessene, berufsbezogene Informationen. Auch 59 BGHZ 85, 327. 60 Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, Abschnitt B 1000, Rn. 227; Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 29 MBO, Rn. 11. <?page no="121"?> D. Berufsständische Pflichten des Arztes 121 Werbung zum Zwecke der Akquisition ist grundsätzlich erlaubt. 61 Dazu zählen alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Patienten zur Inanspruchnahme der angebotenen ärztlichen Leistungen zu gewinnen - sei es durch Sponsoring als Imagepflege, die Verwendung von Logos oder die Verbreitung von Informationen im Internet, in Zeitschriften oder auf Merkblättern. 62 Verboten ist lediglich anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung, § 27 III MBO, was mit dem Anspruch des Patienten auf angemessene und wahrheitsgemäße Informationen korrespondiert. Der um „Kundschaft“ werbende Arzt darf sich daher nicht marktschreierisch verhalten, d. h. sein Angebot und seine Fähigkeiten übertreiben. Ebenso ist die sogenannte Fremdwerbung für Arznei- oder Hilfsmittel durch den Arzt nicht gestattet, soweit sich dieser dadurch in eine Abhängigkeit vom Hersteller begibt. Diese Gefahr besteht immer dann, wenn die Verordnung solcher Mittel weniger vom Patientenwohl als von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist. 63 Zulässig sind dagegen wahrheitsgemäße Angaben zu Erfolgszahlen, der Hinweis auf besondere Behandlungsmethoden, die öffentliche Darstellung von besonderen Qualifikationen oder der Hinweis auf organisatorische Besonderheiten wie beispielsweise eine barrierefrei eingerichtete Praxis. 64 61 BVerfG, NJW 2003, 3472. 62 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 77; grundlegend Riedel, GesR 2008, 1 (2). 63 Dazu auch BVerfG, NZS 2004, 31. 64 Vgl. die umfassende Übersicht bei Kleine-Cosack, NJW 2003, 868; Bahner, GesR 2012, 1; Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, § 27 MBO, Rn. 7 ff. sowie Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 82. <?page no="122"?> 122 E. Berufsgerichtsbarkeit Die Durchsetzung der berufsständischen Pflichten obliegt der Berufsgerichtsbarkeit. Diese ist ein typisches Merkmal verkammerter Berufe und Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit. 1 Ihre Zulässigkeit ergibt sich aus Art. 101 II GG. Danach sind Gerichte für „besondere Sachgebiete“ zulässig, wenn und soweit sie durch Gesetz errichtet worden sind. Entsprechende Regelungen über die Berufsgerichte der Ärzteschaft finden sich in den Heilberufegesetzen der Bundesländer. I. Zuständigkeit der Berufsgerichte Die Berufsgerichte für Heilberufe werden in den Bezirken der Ärztekammern errichtet. Ihre Zuständigkeit wird dementsprechend durch die Mitgliedschaft eines Arztes in der betreffenden Landesärztekammer begründet. Gebildet werden die Berufsgerichte bei den Verwaltungsgerichten. Sie sind typischerweise mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt, die der Berufsgruppe des Beschuldigten angehören. In der zweiten Instanz sind die Landesberufsgerichte für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht angesiedelt. Diese sind wiederum besetzt mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei weiteren Berufsrichtern und darüber hinaus mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus der Berufsgruppe des Beschuldigten. Die Berufsgerichte haben die Aufgabe, die Einhaltung der standesrechtlichen Pflichten zu überwachen und gegebenenfalls Verstöße zu ahnden. Diese Befugnis besteht aber ausschließlich im Hinblick auf die berufsständischen Pflichten und auch nur dann, wenn diese eine berufsunwürdige Handlung begründen. Als berufsunwürdig gelten alle Handlungen, die dem Ansehen der Ärzteschaft in hohem Maße zu schaden geeignet sind. 2 Einzelne Tatbestände, die eine Berufsunwürdigkeit begründen, sind in der MBO normiert, beispielsweise unkollegiales Verhalten nach § 29 II MBO. Die zur Verfügung stehenden Sanktionen reichen von Verwarnungen und Verweisen über Geldbußen bis hin zur zeitweiligen Entziehung des Wahlrechts in der Ärztekammer und zur Feststellung der Berufsunwürdigkeit, die letztlich einen Verlust der Approbation zur Folge hat. 1 Frehse/ Weimer in HK-AKM, Beiträge B: Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe, Rn. 4. 2 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 84; Frehse/ Weimer in HK-AKM, Beiträge B: Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe, Rn. 32. <?page no="123"?> E. Berufsgerichtsbarkeit 123 II. Berufsgerichte und das Verbot der Doppelbestrafung In Art. 103 III GG ist der Grundsatz „ne bis in idem“ verankert. Danach darf niemand mehrfach für ein und dieselbe Tat verurteilt werden. Das Problem stellt sich namentlich im Zusammenhang mit Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten. Sobald wegen derselben Taten, auf die sich der berufsrechtliche Vorwurf stützt, ein Strafverfahren eröffnet wird, darf kein berufsgerichtliches Verfahren stattfinden. Bereits anhängige Verfahren sind auszusetzen. Ein Freispruch oder die Einstellung eines Strafverfahrens binden das Berufsgericht. Für dieses steht in diesem Fall zwingend fest, dass kein Straftatbestand erfüllt ist. Das berufsgerichtliche Verfahren darf daher nur fortgesetzt werden, wenn die vormals angeklagte Tat dennoch als berufsunwürdig einzustufen ist. Das Berufsgericht ahndet also nur besonderes berufsrechtliches Fehlverhalten, das durch das Strafrecht nicht erfasst ist. Dies betrifft solche Handlungen, die den Kernbereich der beruflichen Rechte und Pflichten berühren, für die über das Strafrecht hinaus ein zusätzliches Bedürfnis zur Ahndung besteht. Das ist der Fall, wenn die strafrechtliche Verurteilung nicht ausreicht, um das Ansehen des ärztlichen Berufsstandes zu wahren (sogenannter „berufsrechtlicher Überhang“). 3 Beispiel Ein Arzt ist wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB strafrechtlich verurteilt worden. Fand die Trunkenheitsfahrt in der Freizeit des Arztes statt, bleibt für ein weiteres berufsrechtliches Verfahren kein Raum. Denn der Sachverhalt berührt die berufliche Sphäre nicht. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Arzt während eines Einsatzes als Notarzt in trunkenem Zustand ein Fahrzeug führt. 4 Ist ein Arzt wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB verurteilt worden, ist der berufsrechtliche Überhang durch das strafrechtliche Urteil nicht aufgebraucht. Der Dienst am Kranken ist eine prägende Berufspflicht, die den Arzt nicht nur während der Sprech- oder Dienstzeit trifft. Ein berufsgerichtliches Verfahren darf daher eröffnet werden. 5 3 Buchner/ Jäkel in Stellpflug/ Hildebrandt/ Middendorf, Gesundheitsrecht, B 1000, Rn. 24f.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 96; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 17, Rn. 22 f.; Schmuck/ Huber, NJOZ 2011, 1793 (1795). 4 Berufsgericht für Heilberufe Frankfurt, MedR 2006, 70. 5 BVerfGE 27, 180. <?page no="124"?> 124 3. Kapitel: Das ärztliche Berufsrecht Kontrollfragen 1. Welche Besonderheiten weisen freiberuflich Tätige im Vergleich zu sonstigen Erwerbstätigen auf? Ist auch der angestellte Krankenhausarzt Freiberufler? 2. A möchte die Approbation beantragen. Welche Voraussetzungen muss er erfüllen? 3. A hat die Approbation erlangt. Welche Möglichkeiten hat die zuständige Behörde, wenn a. sich später herausstellt, dass A seine Leistungen in den Staatsexamina durch Täuschung erlangt hat? b. A über Jahre hinweg die Einnahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit nicht versteuert? c. der Verdacht aufkommt, dass der als Gynäkologe niedergelassene A mehrere Patientinnen sexuell belästigt hat? 4. Die approbierte Ärztin A möchte Obdachlose medizinisch versorgen. Darf sie zu diesem Zweck außerhalb ihrer Praxisräume agieren und die Obdachlosen direkt an deren üblichen Treffpunkten aufsuchen? 5. Grenzen Sie Gemeinschaftspraxis, Praxisgemeinschaft und Praxisverbund voneinander ab. 6. Ist die Gründung einer Gemeinschaftspraxis zulässig zwischen a. einem Facharzt für Allgemeinmedizin und einem Facharzt für Innere Medizin? b. einem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und einer Hebamme? c. einem Chirurgen und einem Pathologen? 7. Arzt A möchte sich gegen die Zwangsmitgliedschaft in der Ärztekammer zur Wehr setzen. Wird er Erfolg haben? Kann er sich zumindest dagegen wehren, dass die Ärztekammer zur aktuellen Steuerpolitik der Bundesregierung Stellung bezieht? 8. Sind Ärzte berufsrechtlich verpflichtet, jeden um Hilfe ersuchenden Patienten zu behandeln? 9. P ist seit Jahren als Psychiater tätig. Darf er die Teilnahme am ärztlichen Notdienst verweigern, weil er sich wegen seiner Spezialisierung den dort anfallenden Aufgaben nicht gewachsen fühlt? 10. Anästhesist A, der in seiner Freizeit ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig ist, ist in einem Strafverfahren wegen a. Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) b. unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) c. Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verurteilt worden. Darf das zuständige Berufsgericht wegen der gleichen Sachverhalte ein berufsgerichtliches Verfahren gegen A eröffnen? <?page no="125"?> E. Berufsgerichtsbarkeit 125 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten Orientierungsfragen Q Welche vertraglichen Beziehungen bestehen zwischen Ärzten und Patienten? Q Wie kommt ein Behandlungsvertrag zustande, wenn ein Patient bewusstlos ist? Q Welche Besonderheiten bestehen bei minderjährigen Patienten? Q Welche Pflichten treffen den Arzt? Q Welche Pflichten treffen den Patienten? Q Nach welchen Grundsätzen bemisst sich die Vergütung des Arztes? Begibt sich ein Patient in ärztliche Behandlung, kommt - ungeachtet seines Krankenversicherungsstatus 1 - ein Behandlungsvertrag zustande. Dieser Vertragstypus weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die im Charakter des Arzt-Patienten-Verhältnisses gründen. Er ist geprägt von den Grundsätzen der ärztlichen Berufsethik und dem besonderen Vertrauen, das der Patient seinem behandelnden Arzt entgegenbringt. Dieses geht weit über die normalerweise unter Vertragspartnern bestehende Interessenlage hinaus. Die Rechtsbeziehungen waren lange Zeit nicht gesetzlich geregelt. Erst 2012 ist die umfassende Rechtsprechung zum Arzt-Patientenverhältnis durch das Patientenrechtegesetz 2 in das BGB inkorporiert worden. 1 Dies ist umstritten. Insbesondere das BSG und ein Teil des sozialrechtlichen Schrifttums sind der Auffassung, zwischen gesetzlich Versicherten und Vertragsärzten bestehe ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Dazu ausführlich auf S. 198 f. 2 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBI. I 277. <?page no="126"?> 126 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten A. Der Behandlungsvertrag I. Rechtsnatur des Behandlungsvertrags Unabhängig davon, ob ein Patient gegen das Risiko Krankheit gesetzlich oder privat versichert ist oder ob ihm Leistungen der Krankenbehandlung über die beamtenrechtliche Beihilfe oder die Sozialhilfe gewährt werden, kommt zwischen Arzt und Patient ein zivilrechtlicher Behandlungsvertrag zustande. Zur Beurteilung der den Parteien obliegenden Rechte und Pflichten hat die h. M. stets das Dienstvertragsrecht angewandt, § 611 ff. BGB, 3 wenngleich das Arzt-Patienten-Verhältnis wegen der Besonderheiten der Berufsethik und dem besonderen Vertrauen, das der Patient dem Arzt entgegen bringt, über ein rein juristisch begründetes Vertragsverhältnis hinausgehe. 4 Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes 2013 ist der Behandlungsvertrag nunmehr als ein dem „Dienstvertrag ähnlicher Vertrag“ geregelt. § 630b BGB erklärt die Vorschriften über das Dienstverhältnis ausdrücklich für anwendbar. Der Arzt schuldet also lediglich das fach- und sachgerechte Bemühen um die Heilung. Ungeachtet konkreter Erwartungen des Patienten, dass der Arzt die Erkrankung heilen und Beschwerden lindern möge, 5 kommt kein Werkvertrag i. S. v. § 631 BGB zustande. Ziel der Heilbehandlung ist zwar die Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist indes stark von subjektiven Einschätzungen und Befindlichkeiten abhängig und angesichts der Unbeherrschbarkeit der biologischen Abläufe im menschlichen Körper nicht sicher zu gewährleisten. 6 § 630a BGB differenziert nicht nach krankheitsbezogener und wunscherfüllender Medizin. Daher gilt die Regelung auch für kosmetische Operationen. 7 Unbeantwortet lässt der Gesetzgeber jedoch die Frage, ob im Einzelfall gleichwohl Werkvertragsrecht zur Anwendung kommen kann. 8 Dies betrifft die Fälle, in denen die medizinische Behandlung die Herstellung von Sachen erfordert, beispielsweise die Anpassung von Prothesen und orthopädischen Schuhen oder die Ausführung von Laborarbeiten. In diesen Fällen liegt ein Dienstvertrag mit werkvertraglichen Elementen vor. Auf solche rein technischen Leistungen sind trotz der Verweisung auf das 3 Statt vieler BGHZ 76, 259; 97, 273; Luig in Gitter, Vertragsschuldverhältnisse, S. 226; Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 42, Rn. 1. 4 BGHZ 29, 46. 5 Dazu Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 1, Rn. 39. 6 Griebau in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 11, Rn. 1. 7 Insofern zur hergebrachten Rechtslage OLG Zweibrücken, NJW 1983, 2094; OLG Celle, NJW 1987, 2304; OLG Köln, VersR 1988, 1049; OLG München, Urt. v. 19.1.2012 (1 U 2532/ 11) - juris; Prütting, MedR 2011, 275. 8 Dazu auch Spickhoff, ZRP 2012, 65 (66). <?page no="127"?> A. Der Behandlungsvertrag 127 Recht des Dienstvertrags in § 630b BGB für die gesamte medizinische Behandlung 9 die §§ 635 ff. BGB, namentlich das Gewährleistungsrecht anzuwenden. 10 Gleiches soll gelten, wenn der Behandelnde im Einzelfall einen bestimmten medizinischen Erfolg zusichert. 11 II. Kontrahierungszwang Fraglich ist, ob ein Arzt verpflichtet ist, mit jedem um Behandlung ersuchenden Patienten einen Vertrag abzuschließen. Das Zivilrecht ist vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt. Diese stellt die Handlungsfreiheit im rechtsgeschäftlichen Verkehr sicher. Neben der Gestaltungsfreiheit - also der freien Vereinbarkeit des Inhalts eines Vertragsverhältnisses - ist die Abschlussfreiheit eines ihrer wesentlichen Elemente. Sie überlässt dem Einzelnen die freie Entscheidung, ob und mit wem er einen Vertrag abschließen will. Indes gilt die Privatautonomie nicht uneingeschränkt. Hat der Anbieter einer Leistung ein Monopol oder eine marktbeherrschende Stellung inne oder handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anbieter von Waren oder Dienstleistungen, steht es ihm nicht frei, sich seine Vertragspartner auszusuchen. Auch Ärzte können sich grundsätzlich auf Vertragsfreiheit berufen. Sie sind nicht verpflichtet, jeden Patienten zu behandeln. Das allgemeine Zivilrecht begründet also ebenso wenig wie das Berufsrecht - § 7 II 2 MBO - einen Kontrahierungszwang. 12 Die Privatautonomie des Arztes ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern wird durch die spezifischen Charakteristika des ärztlichen Berufs determiniert. Der Arzt hat kein Recht, Patienten willkürlich abzulehnen, sondern muss hierfür einen sachlichen Grund nachweisen. 13 Anders als die Anbieter sonstiger Dienstleistungen übt der Arzt kein Gewerbe aus, sondern erbringt eine freiberufliche Leistung - er ist nicht nur im Interesse des einzelnen Patienten, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit tätig. Durch seinen Eid verpflichtet er sich, sein Leben und sein umfassendes Fachwissen über den menschlichen Körper in den Dienst der Menschlichkeit zu 9 Kritisch wegen der fehlenden Legaldefinition des Begriffs der „medizinischen Behandlung“ Katzenmeier, SGb 2012, 125 (128). 10 So die hergebrachte Auffassung der h. M., BGHZ 63, 306; OLG Karslruhe, MedR 1995, 374; Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 9; Spinner in MüKo, § 611, Rn. 10. 11 BT-Drs. 17/ 10488, S. 17. 12 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 42, Rn. 12; vgl. auch KG Berlin, MedR 2010, 35; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 52; Klose/ Strauß, MedR 2017, 935 (936). Zur sozialrechtlich begründeten Behandlungspflicht des Vertragsarztes vgl. S. 179 f. 13 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 17; Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 44, Rn. 4. <?page no="128"?> 128 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten stellen. Ein sachlicher Grund, der zur Ablehnung eines Patienten berechtigt, kann beispielsweise im fehlenden Vertrauen zwischen Arzt und Patient liegen. Eine Verpflichtung zum Vertragsschluss lässt sich überdies aus §§ 2 I Nr. 5, 19 II AGG herleiten, wenn der Arzt aus Gründen des Geschlechts, der Rasse oder ethnischen Herkunft, wegen Alters, Behinderung, sexueller Orientierung, Religion oder Weltanschauung eines Patienten den Vertragsschluss verweigern will. 14 Beispiel 15 Der Kreisvorsitzende der rechtsradikalen P-Partei P sucht den Arzt A auf, um eine schwere Lungenentzündung mit hohem Fieber behandeln zu lassen. A, der mit einer Ausländerin verheiratet ist und dessen Patientenkreis sich überwiegend aus Migranten zusammensetzt, verweigert die Behandlung. Er beruft sich auf seine politische Einstellung, die es ihm unmöglich mache, ein Vertrauensverhältnis zu P aufzubauen. Bei der Beurteilung, ob A zur Behandlung des P verpflichtet ist, ist zwischen der Privatautonomie des A und der Wahlfreiheit des P abzuwägen. Es ist jedoch fraglich, ob die politische Einstellung des P für sich genommen eines sachlichen Grund bietet, der A das Recht zur Verweigerung der Behandlung vermittelt. Relevant sind nur solche Umstände, die die schutzwürdige Privatsphäre des Arztes tangieren. Die politische Einstellung kann nicht per se einen Grund für die mangelnde Vertrauensbildung zwischen Arzt und Patient darstellen. Der politische Meinungskampf ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, die nicht auf dem Rücken des einzelnen Patienten auszutragen ist. In Notfällen ist der Arzt zwar zur Gewährung einer Notfallversorgung verpflichtet, d. h. er muss die vitalen Funktionen des Patienten wiederherstellen. Damit ist jedoch kein Kontrahierungszwang dergestalt verbunden, dass der Arzt auch zur Weiterführung der Behandlung nach Behebung der Notsituation verpflichtet wäre. 16 14 Dazu ausführlich Franke in Däubler/ Bertzbach, AGG, § 2, Rn. 46; Klose/ Braunroth in Däubler/ Bertzbach, AGG, § 19, Rn. 66 f.; ablehnend Klose/ Strauß, MedR 2017, 935 (938). 15 Nach Hecker, MedR 2001, 224. 16 OLG München, NJW 2006, 1883 (1884); Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 44, Rn. 15; Roth, NJW 2006, 2814 (2814 f.). <?page no="129"?> A. Der Behandlungsvertrag 129 III. Zustandekommen des Behandlungsvertrags Der Abschluss des Behandlungsvertrags richtet sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben. Notwendig sind allein die korrespondierenden Willenserklärungen von Arzt und Patient. Bei MVZ 17 oder Berufsausübungsgemeinschaften wird die gesamte Gemeinschaft - die regelmäßig als GbR organisiert ist - Vertragspartner des Patienten. Der Behandlungsvertrag wird in diesem Fall durch den behandelnden Arzt als Stellvertreter der Gesellschaft mit dem Patienten geschlossen. Dieses Auseinanderfallen von Vertragspartner und der die Behandlung konkret leistenden Person ist in § 630a BGB angelegt 18 , wenngleich dies im Wortlaut der Norm nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Danach wird durch den Behandlungsvertrag derjenige, der die Behandlung zusagt, zur Leistung der versprochenen Behandlung verpflichtet. Nach dem Willen des Gesetzgebers 19 ist die als „Behandelnder“ bezeichnete Person Vertragspartner des Patienten. Dies schließe juristische Personen, namentlich Praxisgemeinschaften, 20 MVZ oder Krankenhäuser ein. Die die Behandlung durchführende Person müsse nicht mit dem Vertragspartner identisch sein. Eine besondere Form ist beim Vertragsschluss nicht einzuhalten. Die Erklärungen können daher auch konkludent, z. B. durch Aufsuchen der Arztpraxis durch den Patienten und die Vergabe eines Termins oder die faktische Übernahme der Behandlung durch den Arzt abgegeben werden. 21 1. Vertragsschluss bei Geschäftsunfähigen Personen, deren Geistestätigkeit dauerhaft gestört ist, können gemäß §§ 104 Nr. 2, 105 BGB keine wirksame Willenserklärung abgeben. Sofern ein Betreuer für die Gesundheitsversorgung bestellt ist, 22 kann - und muss! - dieser alle notwendigen medizinischen Behandlungen veranlassen und entsprechende Verträge im Namen des Betreuten abschließen, §§ 1896, 1901, 1902 BGB a.F./ §§ 1814, 1821, 1823 n.F. 17 Döring in Schallen, Ärzte-ZV, Vorbem. § 18, Rn. 37 sowie unten S. 167 f. 18 BT-Drs. 17/ 10488, S. 18. 19 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, Erläuterungen S. 27 (abrufbar unter www.bmg.bund.de). 20 Richtigerweise dürfte die Gemeinschaftspraxis gemeint sein, da die Praxisgemeinschaft als reine Innengesellschaft typischerweise nicht Vertragspartner des Patienten wird, vgl. dazu S. 103. 21 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 14; Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 44, Rn. 1; Luig in Gitter, Vertragsschuldverhältnisse, S. 227. 22 Zu den Voraussetzungen der Betreuerbestellung eingehend Schneider in MüKo, § 1896 BGB, Rn. 7 ff; Janda, FamRZ 2013, 16. <?page no="130"?> 130 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten Für Kinder schließen die Eltern in Ausübung ihrer elterlichen Sorge nach § 1626 BGB den Behandlungsvertrag. 23 Auch der bewusstlose Patient kann keine wirksame, auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgeben, § 105 II BGB. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient werden in diesen Fällen unterschiedlich hergeleitet. Findet eine zufällig hinzukommende Person einen Bewusstlosen auf und verständigt einen Arzt, kommt regelmäßig kein Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB zwischen dem Arzt und dem Hilferufenden zustande. Denn dies würde dessen Verpflichtung zur Entrichtung des Arzthonorars nach sich ziehen, wovon man bei einander völlig fremden Personen nur schwerlich ausgehen kann. Der Hilferufende wird in der Regel nicht den Willen haben, sich vertraglich zu binden. 24 Denkbar wäre es, den Hilferufenden als Vertreter ohne Vertretungsmacht zu qualifizieren, der im Namen des Patienten einen Behandlungsvertrag schließt. Der Patient habe die Möglichkeit, diesen Vertrag zu genehmigen, wenn er das Bewusstsein wieder erlangt. Verstirbt der Patient, könne die Genehmigung durch die Erben erteilt werden, §§ 1922, 1967 BGB. Dadurch werde der zunächst schwebend unwirksame Behandlungsvertrag uneingeschränkt wirksam, § 177 I BGB. Der Hilferufende könne seinerseits Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag gegen den Patienten oder dessen Erben geltend machen, sofern ihm Aufwendungen entstanden sind. 25 Ferner wird vertreten, zwischen Arzt und bewusstlosem Patient bestehe ein faktisches Vertragsverhältnis, 26 welches durch sozialtypisches Verhalten der Parteien zustande komme. 27 Indes wird die Anwendung dieser stark umstrittenen Rechtsfigur auf solche Geschäfte beschränkt, die die massenhafte Inanspruchnahme von öffentlich angebotenen Leistungen zum Gegenstand haben. 28 Diese Situation ist bei der medizinischen Versorgung eines geschäftsunfähigen Patienten nicht gegeben. Die h. M. nimmt eine Geschäftsführung ohne Auftrag durch den Arzt an, §§ 677, 683 BGB. 29 Diese berechtigt ihn zum Ersatz seiner Aufwendungen, wenn die Geschäftsführung im Interesse des Patienten lag - was bei Maßnahmen zur Wieder- 23 Brückner, Das medizinische Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, Marburg 2014; differenzierend nach Versichertenstatus Spickhoff, FamRZ 2018, 412 (414 f.). 24 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 43, Rn. 13. 25 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 43, Rn. 16. 26 Luig in Gitter, Vertragsschuldverhältnisse, S. 228. 27 Klassisches Beispiel ist das Betreten eines Busses, wodurch auch ohne Willensäußerung ein Beförderungsvertrag begründet wird. 28 Vgl. die Übersicht über den Diskussionsstand bei Busche in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Busche in MüKo, Vorbem. § 145 BGB, Rn. 40. 29 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 83; Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 44, Rn. 2; Gutmann in Staudinger, § 630a BGB, Rn. 105; Roth, NJW 2006, 2814 (2815). <?page no="131"?> A. Der Behandlungsvertrag 131 herstellung der Gesundheit zweifellos gegeben sein dürfte - und dessen mutmaßlichen Willen entsprach. § 680 BGB, wonach die Haftung des zur Gefahrenabwehr tätigen Geschäftsführers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist, ist im Verhältnis Arzt-Patient jedoch nicht anzuwenden. Dieses Haftungsprivileg soll einen Anreiz zu spontaner Hilfe und Beistand im Notfall bieten. Diese Spontaneität fehlt jedoch regelmäßig beim niedergelassenen Arzt - es sei denn, dieser wird in seiner Freizeit als Helfer in einer Notsituation tätig. Im Rahmen seiner Berufsausübung ist der Arzt zwingend damit konfrontiert, medizinische Notsituationen bewältigen zu müssen. In diesen Fällen ein Haftungsprivileg anzunehmen, wäre nicht zuletzt im Hinblick auf die Erwartungen und Interessen des Patienten kaum sachgerecht. Stattdessen muss der allgemeine ärztliche Sorgfaltsmaßstab, d. h. eine volle Haftung für jedwede Form von vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung gelten. 30 2. Vertragsschluss bei beschränkt Geschäftsfähigen Beschränkt Geschäftsfähige - Personen, die das siebte, aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, §§ 106, 2 BGB - können gemäß § 107 BGB Verträge selbst abschließen, solange sie dadurch keinen rechtlichen Nachteil erleiden. Anderenfalls sind sie auf die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter angewiesen. Dies sind regelmäßig die Eltern, §§ 1626 I, 1629 BGB. Durch den Abschluss eines Behandlungsvertrags verpflichtet sich der Patient zur Vergütung des Arztes. 31 Diese Verpflichtung ist rechtlich nachteilig, mindert sie doch die Aktiva des minderjährigen Vertragspartners. Ohne Zustimmung seiner Eltern ist der Behandlungsvertrag daher regelmäßig unwirksam. 32 Nur wenn der beschränkt geschäftsfähige Patient die Vergütung aus Mitteln begleicht, die ihm zur freien Verfügung überlassen worden sind, ist die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter nach § 110 BGB entbehrlich. 33 Bei gesetzlich versicherten Patienten entfällt die Vergütungspflicht. 34 Der Behandlungsvertrag ist für den Minderjährigen dadurch rechtlich neutral, so dass er ihn grundsätzlich selbständig abschließen kann. 35 Dabei ist jedoch zu beachten, dass die 30 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 83; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 110 f.; Gutmann in Staudinger, § 630a BGB, Rn. 19; Spickhoff, Medizinrecht, § 680 BGB, Rn. 8; Bielitz, NJW 2012, 1253 (1255); a. A. Lippert, NJW 1982, 2089 (2093); Wagner in MüKo, vor § 630a BGB, Rn. 30. 31 Dazu ausführlich auf S. 145. 32 BGHZ 29, 33; Gutmann in Staudinger, § 630a BGB, Rn. 19; zum Ganzen ausführlich Brückner, Das medizinische Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, Marburg 2014. 33 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 43, Rn. 36. 34 Dazu S. 193. 35 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 81; Gutmann in Staudinger, § 630a BGB, Rn. 98; Spickhoff, FamRZ 2018, 412 (416). <?page no="132"?> 132 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten sozialrechtliche Handlungsfähigkeit gemäß § 36 SGB I an die Vollendung des 15. Lebensjahrs gebunden ist. 36 Stimmen die Eltern der Behandlung ihres Kindes zu, kommt der Behandlungsvertrag zwischen dem Arzt und dem minderjährigen Patienten zustande. Nach einer anderen Auffassung agieren die Eltern bei Abschluss des Arztvertrages nicht im Namen des Kindes. Sie schließen vielmehr im eigenen Namen einen Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB, in dem das behandlungsbedürftige Kind leistungsberechtigt ist. 37 Welche Konstruktion vorliegt, ist nach der Situation im Einzelfall zu entscheiden. Bei einem vergleichsweise jungen Kind wird man eher einen Vertrag zugunsten Dritter annehmen können als bei einer 16jährigen, die sich Ovulationshemmer verschreiben lassen möchte. 38 Damit wird auch dem in § 1626 II BGB verankerten Gebot genügt, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes nach einer selbstbestimmten Lebensführung zu achten. 36 Bergmann in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 106 BGB, Rn. 2; Waschull in Krauskopf, § 36 SGB I, Rn. 3 ff.; Wichner in KassKomm, § 36 SGB I, Rn. 4 ff. 37 RGZ 152, 175; Wagner in MüKo, §630a BGB, Rn. 23; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 81; Gutmann in Staudinger, § 630a BGB, Rn. 101. 38 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 43, Rn. 37. <?page no="133"?> 133 B. Vertragliche Pflichten des Arztes B. Vertragliche Pflichten des Arztes I. Informationspflichten In § 630c II, III BGB sind eingehende Informationspflichten des Arztes etabliert worden. Über die einzelnen Behandlungsschritte soll der Arzt den Patienten informieren. Dieser Informationsanspruch gründet im Selbstbestimmungsrecht und der Menschenwürde des Patienten. 39 Der Behandelnde hat dem Patienten danach vor Beginn der Behandlung sämtliche Umstände zu vermitteln, die für das Behandlungsverhältnis von wesentlicher Bedeutung sind. Dies betrifft gemäß § 630c III BGB insbesondere die Information gesetzlich versicherter Patienten, dass eine Behandlung durchgeführt werden soll, deren Kosten von der Krankenversicherung nicht getragen werden. 40 Nach § 630c II BGB soll der Behandelnde den Patienten zudem über die Diagnose und die Therapie informieren. Von der Aufklärungspflicht unterscheidet sich diese Pflicht dadurch, dass diese auf eine konkrete Behandlung, jene auf den Behandlungsvertrag im weiteren Sinne bezogen sein soll. Sie sei mit dem Konzept der Sicherungsaufklärung vergleichbar. 41 Der spezifische Gehalt der Regelung erschließt sich trotz dieser Erläuterung nicht, ist doch die Sicherungsaufklärung nicht auf die Behandlung im Allgemeinen, sondern vielmehr auf konkrete Maßnahmen zur Sicherung des Erfolgs der geleisteten Behandlung bezogen. 42 II. Behandlungspflicht Die Behandlungspflicht ist die primäre Pflicht des Arztes aus dem Behandlungsvertrag. Sie umfasst die Anamnese, Untersuchung, Erhebung von Befunden, das Stellen einer Diagnose und das Ergreifen der notwendigen therapeutischen Maßnahmen, um den Patienten zu heilen. 39 BVerfG, NJW 2005, 1103. 40 Zur Aufklärung über wirtschaftliche Aspekte der Behandlung Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 33 ff. 41 BT-Drs. 17/ 10488, S. 21 f. 42 Dazu unten auf S. 330. Ebenfalls kritisch Katzenmeier, SGb 2012, 125 (127); Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67). <?page no="134"?> 134 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten Elemente der Behandlungspflicht Q Anamnese: Im persönlichen Gespräch teilt der Patient seine Erkrankungsgeschichte mit und gibt auf Nachfrage des Arztes Auskunft über Vorerkrankungen oder andere Besonderheiten. Q Untersuchung und Befunderhebung: Mit der Untersuchung, ggf. unter Hinzuziehung medizinischer Apparate erfasst der Arzt den körperlichen und geistigen Zustand des Patienten, um eine Diagnose erstellen und die optimale Behandlungsmethode ermitteln zu können. Q Diagnose: Sodann ordnet der Arzt die festgestellten Symptome und gewonnenen Befunde einem Krankheitsbild zu. Q Indikationsstellung: Das Stellen der Indikation beinhaltet die Prüfung, ob angesichts der Diagnose eine bestimmte medizinische Behandlung des Patienten angezeigt ist. Q Heileingriff: Der Heileingriff selbst umfasst alle Eingriffe und therapeutischen Maßnahmen, die am Körper des Menschen vorgenommen werden, um physische oder psychische Krankheiten, Leiden oder Körperschäden und Beschwerden zu verhüten, erkennen, heilen oder lindern. Der Arzt muss sich persönlich ein Bild vom Zustand des Patienten machen. Ist dieser nicht in der Lage, die Praxis aufzusuchen, muss der Arzt Hausbesuche durchführen. 43 Keinesfalls darf er sich auf „Ferndiagnosen“ verlassen oder sich Einschätzungen Dritter über den Zustand des Patienten ungeprüft zu eigen machen. Die Behandlungspflicht endet nicht mit der Veranlassung einer Therapie oder der Verschreibung von Medikamenten, Heil- oder Hilfsmitteln. Soweit erforderlich, ist der Arzt im Einzelfall auch zur Nachsorge verpflichtet, d. h. er muss den Patienten wiederholt untersuchen, um den Heilerfolg zu überprüfen und zu sichern. 44 Die ärztliche Tätigkeit ist am allgemein anerkannten, aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft auszurichten (§ 630a II BGB). Dieser Standard wird beispielweise durch die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften, durch DIN-Normen oder die medizinische Fachpresse „sichtbar gemacht“. 45 Es gilt jedoch der Grundsatz der Therapiefreiheit. Dem Arzt ist die Auswahl der Methoden in eigener Verantwortung überlassen. Namentlich ist er nicht an die Schulmedizin gebunden, sondern 43 BGH, NJW 1979, 1248. 44 BGHZ 85, 212; BGHZ 99, 391. 45 Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (362). Den genannten Instrumenten, namentlich den Leitlinien kommt folglich keine konstitutive Wirkung im Sinne einer Begründung eines medizinischen Standards zu. Sie geben den herrschenden Konsens lediglich wieder. Eingehend Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (367 ff.); vgl. auch OLG Jena, GuP 2011, 36 (37); BGH, NJW-RR 2014, 1053 (1055). <?page no="135"?> 135 kann auf alternative Verfahren zurückgreifen, soweit deren Anwendung wissenschaftlich vertretbar ist. Dabei hat er das „Prinzip des sichersten Weges“ zu beachten: stehen mehrere Behandlungsmethoden zur Wahl, hat der Arzt diejenige auszuwählen, die im Hinblick auf die zu erwartenden Erfolge die wenigsten Risiken für den Patienten birgt. 46 III. Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung Der Arzt ist gehalten, die Behandlung des Patienten persönlich vorzunehmen. Diese Pflicht resultiert unmittelbar aus § 613 S. 1 BGB, gründet aber auch im ärztlichen Berufsrecht, ist die persönliche Leistungserbringung doch ein prägendes Merkmal der freien Berufe. 47 Hintergrund ist das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. 48 Dieser erwartet in besonderem Maße ein persönliches Bemühen um den Heilerfolg durch den Arzt, den er zum Zwecke der Behandlung aufgesucht hat. 49 Indes ist es dem Arzt nicht gänzlich verwehrt, einzelne Tätigkeiten an nichtärztliches Personal - Sprechstundenhilfen, Schwestern oder Pfleger - zu übertragen. Die Delegation ist jedoch nur unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Aufgaben, die zum ureigenen Kernbereich ärztlichen Wirkens gehören, sind nicht übertragbar. Dazu gehören das Stellen der Diagnose, Beratung und Aufklärung oder das Ergreifen konkreter Therapiemaßnahmen. Hilfstätigkeiten, die die Diagnose oder Therapie vorbereiten, können dagegen delegiert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um einzelne Maßnahmen handelt, die ihrerseits vergleichsweise risikoarm sind. Dazu zählen beispielsweise Maßnahmen zur Befunderhebung wie Blutabnahmen. Die Durchführung dieser Aufgabe durch nichtärztliches Personal darf also keine höhere Gefahr von Gesundheitsschädigungen mit sich bringen, als würde der Arzt sie selbst vornehmen. Es ist daher erforderlich, dass das Personal über eine abgeschlossene Ausbildung in einem medizinischen Beruf verfügt. Der Patient darf zudem kein besonderes Interesse daran haben, dass der Arzt diese höchstpersönlich durchführt. Der Mitarbeiter, an den die Aufgabe delegiert ist, muss vom Arzt beaufsichtigt werden, was voraussetzt, dass sich dieser in Rufnähe aufhält. Verstößt der Arzt gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung, verliert er nicht nur seinen Vergütungsanspruch gegen den Patienten - selbst wenn die Leistung ordnungsgemäß erbracht worden ist. 50 Darüber hinaus hat er möglicherweise 46 Ausführlich Katzenmeier, Arzthaftung, S. 304 ff. 47 BSGE 8, 256; vgl. auch §§ 1 BÄO, 15 I BMV-Ä, § 4 II GOÄ. 48 Starzer in Spickhoff, Medizinrecht, § 17 KHEntGG, Rn. 14. 49 Peikert, MedR 2000, 352 (353). 50 OLG Karlsruhe, MedR 1987, 244. B. Vertragliche Pflichten des Arztes <?page no="136"?> 136 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten straf- und wettbewerbsrechtliche Konsequenzen oder im Falle der Schädigung des Patienten weit reichende Haftungsansprüche zu vergegenwärtigen oder kann mit disziplinarischen Maßnahmen nach den Heilberufsgesetzen belegt werden. 51 IV. Aufklärung und Einwilligung des Patienten „Voluntas aegroti suprema lex.“ - Der Wille des Kranken ist die oberste Maxime ärztlichen Handelns. Diesem Grundsatz ist der Arzt bei der Behandlung von Patienten verpflichtet. Eine Behandlung ohne Einwilligung ist nicht zulässig. Dies folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, welches Ausdruck der Menschenwürde aus Art. 1 I GG sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 I, II GG ist. 52 §§ 630d, 630e BGB beinhalten Bestimmungen zur Aufklärung und Einwilligung des Patienten, die den von der Rechtsprechung etablierten Standard wiedergeben. Die Einwilligung kann nur dann selbstbestimmt erteilt werden, wenn der Patient über die notwendigen Informationen verfügt, die seine Erkrankung und deren Behandlung betreffen. Um ihm dieses Wissen zur Verfügung zu stellen, ist der Arzt zur Aufklärung des Patienten verpflichtet (Selbstbestimmungsaufklärung). Dieses bereits im Berufsrecht verankerte Gebot ist eine der Hauptpflichten im Behandlungsvertrag. 53 Fehlen Aufklärung und Einwilligung, verletzt der Arzt nicht nur seine vertraglichen Pflichten, sondern begeht überdies eine strafrechtlich und deliktsrechtlich sanktionierte Körperverletzung. Der Arzt hat die Entscheidung des Patienten für oder gegen eine bestimmte Behandlung daher zu respektieren. Insbesondere ist dem Patienten das Recht auf aus medizinischer Sicht unvernünftige Entscheidungen zuzugestehen. 1. Arten der Aufklärung Das Aufklärungsgespräch umfasst verschiedene Stadien und Aspekte der ärztlichen Behandlung. Es werden unterschieden Q die Diagnoseaufklärung, Q die Therapieaufklärung, 51 Peikert, MedR 2000, 352 (352). 52 St. Rspr., vgl. BGH, NJW 1956, 1106; NJW 1961, 2203; BGHSt 11, 111; BVerfGE 52, 131 (170); Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, S. 11. 53 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Aufklärungspflicht, Rn. 1. <?page no="137"?> B. Vertragliche Pflichten des Arztes 137 Q die Verlaufsaufklärung und Q die Risikoaufklärung. 54 Die Diagnoseaufklärung soll Informationen über den Befund und die daraus resultierenden Prognosen für den weiteren Krankheitsverlauf vermitteln. Der Arzt soll den Patienten jedoch durch Art und Inhalt der Diagnose nicht unnötig in Angst versetzen und belasten. Eine Diagnose soll daher nur gestellt werden, soweit diese für den Patienten, beispielsweise wegen möglicher Auswirkungen auf seine weitere Lebensführung, erkennbar von Bedeutung ist oder wenn dieser ausdrücklich danach fragt. 55 Verdachtsdiagnosen soll der Arzt nur bei gesicherten Befunden äußern. Dies gilt umso mehr, wenn der geäußerte Verdacht den Patienten auf eine lebensbedrohliche Erkrankung schließen lässt und der Patient aufgrund seiner psychischen Disposition möglicherweise zu Überreaktionen verleitet würde. 56 Insbesondere bei psychisch kranken oder labilen Patienten hat die Aufklärung daher möglichst schonend zu erfolgen. Beispiel Patient P war nach plötzlicher Bewusstlosigkeit ins Krankenhaus eingeliefert worden. Eine Röntgenaufnahme des Gehirns erbrachte keine Erkenntnisse. Eine Computer-Tomografie ergab einen Verdacht auf eine Veränderung des Gewebes im Gehirn. Der behandelnde Arzt teilte P mit, dass er an einem schnell wachsenden Hirntumor leide. Daraufhin erlitt P einen Schock, in dessen Folge er über lange Zeit an Sprachstörungen litt. Die Krebsdiagnose war nur eine von mehreren Erklärungen für die Auffälligkeiten im Befund. Der Arzt hätte den Patienten daher zunächst allenfalls auf seinen Verdacht einer Veränderung des Hirngewebes hinweisen und ohne weitere Untersuchungen keine Spekulationen über deren Ursache anstellen dürfen. 57 54 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 88; Laufs in Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 66, Rn. 1 und 15; Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 554; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1731; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 49, Rn. 21 ff. 55 Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Rn. 82 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 56 BGH, VersR 2004, 198 unter Verweis auf die gefestigte Rechtsprechung OLG Celle, VersR 1981, 1184; OLG Köln, VersR 1988, 139; OLG Braunschweig, VersR 1990, 57. 57 OLG Köln, NJW 1987, 2936. <?page no="138"?> 138 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten Die Therapie- oder Behandlungsaufklärung beinhaltet die Aufklärung über den beabsichtigten Eingriff selbst. Der Arzt muss den Patienten über die Art der Behandlung (Operation, medikamentöse Therapie etc.) und mögliche Alternativen informieren. Die Chancen und Risiken der angestrebten Therapie im Vergleich zur Nichtbehandlung sind herauszustellen. Dabei muss der Arzt jedoch nicht alle Einzelheiten des Eingriffs vermitteln, sondern lediglich einen allgemeinen Eindruck von der Art, Tragweite und Schwere des Eingriffs und dessen Belastungen für die körperliche Integrität und die künftige Lebensführung vermitteln. Sind beispielsweise Schmerzen, Vernarbungen, Amputationen, Folgeoperationen oder anderweitige Belastungen für die weitere Lebensführung zu befürchten, muss der Patient hierüber in Kenntnis gesetzt werden. 58 Gleiches gilt für als wahrscheinlich erscheinende Operationserweiterungen. 59 Die Information über Behandlungsalternativen muss umso detaillierter ausfallen, wenn der Arzt vom anerkannten und verbreiteten medizinischen Standard abweichen möchte oder wenn mehrere, gleichermaßen übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die aber unterschiedliche Chancen und Risiken aufweisen. 60 Im Rahmen der Verlaufsaufklärung hat der Arzt die möglichen Begleiterscheinungen der vorgeschlagenen Behandlung selbst - beispielsweise Unannehmlichkeiten oder Schmerzen - zu schildern. 61 Die Verlaufsaufklärung überschneidet sich teilweise mit der Behandlungs- und der Risikoaufklärung. 62 Mit der Risikoaufklärung soll der Patient in die Lage versetzt werden, selbst über die Durchführung oder Verweigerung der Behandlung zu entscheiden. Dazu muss er über alle Komplikationen und Gefahren informiert werden, die bei ordnungsgemäßer Durchführung der Behandlung auftreten können. 63 Maßgeblich ist der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs. Es genügt, wenn der Arzt dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere der mit dem Eingriff einhergehenden Risiken vermittelt. Statistische Angaben zu den Erfolgschancen einer Behandlung sind ebenso wenig notwendig wie detaillierte Schilderungen von vergleichsweise unerheblichen Behandlungsfolgen. Auf wenig wahrscheinliche oder atypische Risiken muss der Arzt jedenfalls dann hinweisen, wenn sie den Patienten im Falle ihrer Verwirklichung schwer belasten würden und trotz ihrer Seltenheit spezifische Risiken der Behandlung darstellen, welche aber für 58 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 540. 59 BGH, NJW 1987, 2291. 60 BGH, NJW 1986, 780; NJW 1987, 2291; NJW 2005, 1718; BGHZ 168, 103 sowie Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht C. Rn. 21 ff. mit weiteren Nachweisen. 61 BGHZ 90, 96 (Schmerzen bei Rektoskopie). 62 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 92. 63 BGH, NJW 1979, 1933; NJW 1995, 2410. <?page no="139"?> B. Vertragliche Pflichten des Arztes 139 den Patienten überraschend sind. Dies gilt auch, wenn die Wahrscheinlichkeit unter 1 % liegt. 64 Beispiel Patient P wurde wegen Polypen in der Nase und in den Kieferhöhlen operiert. Durch den Eingriff kam es zu einer Einblutung in die Augenhöhle, in deren Folge der Patient erblindete. Eine sofortige Intervention des hinzugezogenen Augenarztes blieb erfolglos. Die Gefahr, dass sich dieses schwere Risiko verwirklicht, lag bei dieser Operation im Promille-Bereich. In den vergangenen 35 Jahren war eine solche Einblutung bei jährlich mehreren hundert Operationen erst zweimal eingetreten. Gleichwohl hätte im Aufklärungsgespräch auf die Gefahr von Sehstörungen hingewiesen werden müssen, stellt doch der Verlust der Sehkraft eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung des Patienten dar. 65 Bei ganz außergewöhnlichen und nicht vorhersehbaren eingriffspezifischen Risiken besteht dagegen keine Aufklärungspflicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese für den Entschluss des Patienten, in die Behandlung einzuwilligen, ohne Bedeutung sind. Beispiel Patient P begab sich wegen sehr starker Zahnschmerzen in zahnärztliche Behandlung. Bei der Anästhesie wurde ein Nerv in der Zunge dauerhaft geschädigt. In der Folge litt P an Taubheit in der Zunge; sein Geschmacksempfinden war gemindert. Das Risiko dieser Nervenschädigung lag bei 1 : 400.000. Nach Auffassung des Gerichts macht der vor einem schmerzhaften Eingriff stehende Patient seine Entscheidung für oder gegen die Anästhesie vernünftigerweise nicht davon abhängig, dass dabei ein Nerv mit einer derart geringen Wahrscheinlichkeit dauerhaft geschädigt werden kann. 66 64 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 557 mit zahlreichen Nachweisen. 65 Nach BGH, NJW 1994, 793. 66 OLG Stuttgart, NJW-RR 1999, 751. <?page no="140"?> 140 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten Die Aufklärungspflicht wird nicht etwa dadurch eingeschränkt, dass der Patient angesichts der geschilderten Risiken unter Umständen eine objektiv gebotene und sinnvolle Behandlung ablehnt. Seine Entscheidungsfreiheit umfasst auch das Recht auf medizinisch unvernünftige Entscheidungen. Dies gilt auch, wenn der Patient ohne die angebotene Therapie alsbald versterben würde. 67 Verweigert der Patient die Behandlung, hat ihn der Arzt nochmals auf deren Dringlichkeit hinzuweisen und die Patientenentscheidung zu dokumentieren. 68 Die Information des Patienten über wirtschaftliche Aspekte der Behandlung ist nach hergebrachtem Verständnis den ärztlichen Aufklärungspflichten zugeordnet. 69 Mit der Kodifizierung der Patientenrechte im BGB sind solche Angaben jedoch nicht mehr als Aspekt der Selbstbestimmungsaufklärung, sondern Gegenstand der allgemeinen Informationspflichten nach § 630c III BGB. 70 2. Umfang der Aufklärungspflicht Im Rahmen der Aufklärung muss der Arzt dem Patienten alle Fragen beantworten. Maßstab für den Umfang der Aufklärung sind also der erklärte Wille und das subjektive Interesse des Patienten. 71 Mit Art und Maß der Aufklärung hat sich die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen auseinandergesetzt. Im Aufklärungsgespräch soll sich der Arzt auf die Persönlichkeit des Patienten einstellen und dessen Bildungsgrad oder evtl. medizinische Vorkenntnisse berücksichtigen, so dass die vermittelten Informationen im Einzelfall unterschiedlich ausfallen können. 72 Der Umfang der Aufklärungspflicht ist abhängig vom Grad der Gefährlichkeit des Eingriffs - also der Häufigkeit und Schwere möglicher Komplikationen. 73 Jedoch muss der Arzt nicht alle denkbaren Folgen eines Eingriffs schildern, wenn diese nur in seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten nicht ernsthaft ins Gewicht fallen würden. 74 Spezifische Risiken der Behandlung müssen dem Patienten aber dann vermittelt werden, wenn sie im Falle ihrer Verwirklichung dessen Lebensführung schwer belasten würde. 75 67 BGHZ 29, 46 („Zweites Elektroschock-Urteil“); BGHZ 90, 103. 68 BGH, NJW 1991, 748; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816. 69 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 95; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1788 f.; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 49, Rn. 33 f. 70 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 771. 71 BGH, NJW 1972, 335; NJW 1992, 743. 72 BGHZ 29, 176. 73 BGHZ 29, 176. 74 BVerfGE 52, 131; BGHZ 29, 46; 29, 176; BGH, NJW 1963, 292 (394); NJW 1980, 1905. 75 BGHZ 90, 103. <?page no="141"?> B. Vertragliche Pflichten des Arztes 141 Die Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff medizinisch vordringlich oder geboten erscheint. 76 Bei kosmetischen Operationen sind daher Risiken eingehender zu besprechen als bei dringend indizierten lebensrettenden Maßnahmen. Im Einzelfall kann die Aufklärung aus therapeutischen Gründen unzumutbar sein. Dafür reicht es aber nicht aus, dass durch Diagnose einer schweren, möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit Stimmung und Allgemeinbefinden des Patienten gedrückt werden. 77 Diese Grundsätze gelten für die Aufklärung vor medizinischen Eingriffen zum Zwecke der Behandlung und Heilung des Patienten. Bei fremdnützigen Eingriffen, also solchen, die der Allgemeinheit zugutekommen, beispielsweise Blutspenden, muss der Arzt auch über seltene Risiken aufklären, soweit diese typischerweise und spezifisch mit diesem Eingriff verbunden sind. Der Patient soll anhand dessen abschätzen können, ob er auch ein sich selten verwirklichendes Risiko dauerhafter Schädigungen zum Wohle der Allgemeinheit hinzunehmen bereit ist. 78 Auch Lebendorganspender sind eingehend über alle möglichen Folgen des Eingriffs aufzuklären. Selbst wenn die Spende zugunsten eines nahen Angehörigen erfolgt, darf die hypothetische Einwilligung nicht unterstellt werden. 79 3. Adressaten der Aufklärung Adressat der Aufklärung ist der Patient selbst. Ist seine Entscheidungsfähigkeit wegen Bewusstlosigkeit, Alkohol- oder Drogeneinflusses oder Krankheit gemindert oder gar aufgehoben, kann er nicht wirksam in Behandlungen einwilligen. Bei bewusstlosen Patienten muss daher, soweit dies medizinisch vertretbar ist, das Wiedererlangen des Bewusstseins abgewartet werden. Ist eine sofortige Behandlung geboten, kann unter Rückgriff auf § 683 BGB die Behandlung durchgeführt werden, die im Interesse des Patienten objektiv geboten ist und daher seinem mutmaßlichen Willen entsprechen würde. 80 Bei Patienten, die an einer psychischen oder seelischen Erkrankung oder geistigen Behinderung leiden, ist zunächst zu eruieren, ob sie gleichwohl über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen, um Ausmaß und Tragweite der geplanten ärztlichen Maßnahmen zu überschauen. Der Patient muss also in der Lage sein, 76 BGH, NJW 1972, 335; NJW 1980, 1905. 77 RGZ 163, 129. 78 BGHZ 166, 336, dazu Spickhoff, NJW 2006, 2075; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1758. 79 BGH, 29.01.2019, VI ZR 495/ 16 und VI ZR 318/ 17. 80 St. Rspr. seit RGZ 151, 349 (355); Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 200. <?page no="142"?> 142 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten dem Aufklärungsgespräch zu folgen. Er muss die Diagnose verstehen und die Heilungsmöglichkeiten wie auch die Risiken der Behandlung beurteilen können. Dies zu ermitteln und festzustellen obliegt allein dem Arzt. Nur wenn es an der Einwilligungsfähigkeit fehlt und der Patient mithin nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu besorgen, hat an seiner Stelle ein Betreuer nach §§ 1896, 1901, 1902 BGB a.F./ §§ 1814, 1821, 1823 BGB n.F. zu entscheiden. Der Betreuer hat den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, jedoch nur soweit dies dessen Wohl entspricht, § 1901 II, III BGB a.F./ § 1821 I, II, III BGB n.F. 81 Daher ist auch eine medizinisch notwendige Zwangsbehandlung eines nach § 1906 BGB a.F./ 1831 n.F. untergebrachten Betreuten grundsätzlich unzulässig, wenn der Betreute diese ablehnt. Ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ist ein derart schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des psychisch Kranken nicht gerechtfertigt, selbst wenn der für die Gesundheitsversorgung bestellte Betreuer grundsätzlich zur Vertretung des Betreuten berechtigt ist. 82 Ausnahmen sind nur in den engen Grenzen des § 1906a BGB a.F./ § 1832 n.F. zulässig. Die in Abs. 1 der alten wie der neuen Fassung genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Es reicht daher nicht aus, dass die Zwangshandlung objektiv zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, sondern der Betreuer muss zuvor ohne Druck den Betreuten von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen versuchen, es darf keine weniger belastende Maßnahme zur Verfügung stehen und der zu erwartende Nutzen muss die mit der Zwangsbehandlung verbundenen Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Dies ist ausführlich zu dokumentieren. 83 Der Gesetzgeber hatte zunächst in § 1906 BGB a.F. nur die Zwangsbehandlung im Falle der Unterbringung geregelt. Nachdem der BGH angesichts des Wortlauts der Norm die ambulante Zwangsbehandlung untersagte 84 und das BVerfG die Unmöglichkeit der Zwangsmedikation bei nicht krankheitseinsichtigen Patienten als Verletzung der Art. 2 II GG immanenten Schutzpflicht für das Leben einstufte 85 hat der Gesetzgeber 2017 mit § 1906a BGB a.F./ § 1832 BGB n.F. die erforderliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen. Die Zwangsbehandlung ist seither nicht mehr auf die Fälle der Unterbringung beschränkt. Minderjährige Patienten können und müssen selbst in die Behandlung einwilligen, sofern sie das Ausmaß des Eingriffs, mögliche Komplikationen oder Auswirkungen der unterlassenen Behandlung auf ihren Gesundheitszustand ermessen können. Auf die Grundsätze der Geschäftsfähigkeit nach §§ 104 ff. BGB kommt es in diesem Zusam- 81 BVerfG, NJW 2002, 206. 82 BGHZ 193, 337 unter Bezugnahme auf BVerfGE 128, 282. Anders noch BGHZ 166, 141; dazu Lipp, JZ 2006, 661; vgl. auch Olzen/ Schneider, MedR 2010, 745 (748). 83 BGH, 09.02.2022, XII ZB 159/ 21. 84 BGHZ 145, 297. 85 BVerfGE 142, 313. <?page no="143"?> B. Vertragliche Pflichten des Arztes 143 menhang nicht an. Denn die Einwilligung stellt keine Willenserklärung dar. Es handelt sich vielmehr um die „Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen.“ 86 Einen Anhaltspunkt für die Einsichtsfähigkeit bietet die Vollendung des 14. Lebensjahres. 87 Ab diesem Zeitpunkt gelten Minderjährige als religionsmündig (§ 5 RKEG 88 ), strafmündig und voll schuldfähig (§ 19 StGB), so dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die notwendige Reife und Einsichtsfähigkeit gegeben ist. Der Arzt darf diese jedoch nicht pauschal unterstellen. Vielmehr hat er sich in einem individuellen Vorgespräch, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Psychologen von der Entscheidungsfähigkeit des minderjährigen Patienten zu überzeugen. 89 Selbst wenn die Sorgeberechtigten die medizinische Behandlung befürworten, kommt dem einsichtsfähigen Jugendlichen ein Vetorecht zu. Sein Selbstbestimmungsrecht hat Vorrang vor dem Willen der Sorgeberechtigten. 90 Fehlt dem minderjährigen Patienten die notwendige Einsicht in die Tragweite seiner Entscheidungen, kann er keine wirksame Einwilligung in eine Behandlung erteilen. An seiner Stelle ist die Entscheidung der Sorgeberechtigten maßgeblich. 91 Dies sind gemäß § 1626 I BGB die Eltern. Sie üben ihr Sorgerecht grundsätzlich gemeinsam aus. Bei einfachen, risikoarmen Behandlungen kann jedoch auch ein Elternteil allein entscheiden und auf die mutmaßliche Zustimmung des anderen Elternteils vertrauen. Nur bei außergewöhnlich schwerwiegenden Eingriffen ist der Arzt verpflichtet, die ausdrückliche Zustimmung beider Elternteile einzuholen. 92 Die Eltern sind bei ihrer Entscheidung gemäß § 1627 BGB an das Kindswohl gebunden. Werden gebotene ärztliche Behandlungen ohne nachvollziehbaren Grund abgelehnt, so stellt dies nach einhelliger Auffassung einen Missbrauch des Sorgerechts i. S. v. § 1666 BGB dar. 93 In diesen Fällen hat der Arzt die Pflicht, das Vormundschaftsgericht anzurufen. Das Gericht ermittelt von Amts wegen und entscheidet gemäß § 1666 III BGB anstelle der Eltern, soweit dies zur Wahrnehmung der berechtigten Interessen des Kindes angezeigt ist. Alternativ kann es einen Pfleger bestellen, der nach § 1909 I BGB a.F./ § 1809 BGB n.F. die Entscheidung über die Behandlung des Kindes trifft. 86 RGSt 41, 392 (395 f.); BGHZ 29, 33; BGH, NJW 1959, 811; NJW 1972, 335; NJW 1988, 2946 (2947); anders noch RGSt 25, 375 (381); ausführlich Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, S. 61 ff.; Nebendahl, MedR 2009, 197 (199). 87 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 508; Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, S. 67, Spickhoff, FamRZ 2018, 412 (419). 88 Gesetz über die religiöse Kindererziehung in der Fassung vom 17.12.2008, BGBl. I S. 2586. 89 Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2299); Nebendahl, MedR 2009, 197 (202). 90 Ausführlich Rehborn/ Schäfer in 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft - 25 Jahre Arzthaftung, S. 257 ff. 91 St. Rspr., vgl. RG, JW 1911, 748. 92 BGHZ 105, 45; Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, S. 74; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1841. 93 So bereits RGSt 74, 350; OLG Celle, NJW 1995, 792 (793); Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 582. <?page no="144"?> 144 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten 4. Art und Weise der Aufklärung Die Aufklärung soll in einem persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient erfolgen, § 630e II BGB. Die bloße Vorlage eines Formulars zum „Abzeichnen“ ist unzulässig. Ein Formblatt darf allenfalls der Vorbereitung und Ergänzung des Patientengesprächs dienen, indem darauf beispielsweise handschriftliche Vermerke über besondere Risiken oder Nachfragen des Patienten festgehalten werden. 94 Das Aufklärungsgespräch soll zeitnah vor der geplanten Therapie stattfinden. 95 Gleichwohl soll ein hinreichender zeitlicher Abstand zu dieser bestehen, um den Patienten nicht unnötigem Druck auszusetzen und ihm ausreichend Gelegenheit zu geben, das Für und Wider des Eingriffs abzuwägen. Nur wenn der Patient im vollen Besitz seiner Erkenntnis- und Entscheidungsfreiheit ist, ist die auf die Aufklärung hin erteilte Einwilligung wirksam. Befindet sich der Patient bereits auf dem Operationstisch oder wird er medikamentös auf die Operation vorbereitet, ist diese Entscheidungsfreiheit nicht mehr gegeben. Bei stationären Eingriffen soll daher spätestens am Tag vor der Operation aufgeklärt werden. 96 Bei ambulanten Eingriffen kann die Aufklärung noch am Tag der Operation stattfinden. Sie muss vom Eingriff aber deutlich abgesetzt sein. V. Dokumentationspflicht Die bereits im Berufsrecht verankerte Pflicht zum Führen von Krankenunterlagen ist eine Nebenpflicht im Behandlungsvertrag, § 630f BGB. Die Dokumentation ist also keine private Angelegenheit des Arztes, sondern ein wesentlicher Bestandteil der sorgfältigen Behandlung. 97 Die Krankenakten dienen nicht nur ihm als Gedächtnisstütze, der sich damit einen Überblick über die Diagnose und die ergriffenen Maßnahmen zur Behandlung des Patienten verschaffen kann. Sie bilden auch die Basis für eine umfassende Information des Patienten oder anderer, beispielsweise mit der Weiterbehandlung desselben Patienten befasster Ärzte und sind damit Ausprägung seiner Rechenschaftspflicht. Letztendlich dient die Dokumentation auch der Beweisführung in Arzthaftungsprozessen. 94 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 100; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 67 Rn. 34 ff. 95 BGH, NJW 1956, 1106 („Erstes Elektroschock-Urteil“). 96 BGH, NJW 1998, 2734; vgl. auch Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Rn. 97 ff. 97 BGHZ 72, 132; BGHZ 85, 327; Hart in HK-AKM, Beiträge Patientenrechte, Rn. 28; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 149 f. <?page no="145"?> B. Vertragliche Pflichten des Arztes 145 Der Umfang der Dokumentationspflicht hängt von den therapeutischen Gegebenheiten ab. Der Arzt muss in den Krankenunterlagen also nicht jede Einzelheit festhalten. Es reicht aus, wenn er die zu therapeutischen Zwecken notwendigen Angaben in das Krankenblatt aufnimmt. 98 Dazu zählen die Anamnese, Befunde, Diagnosen oder der Verdacht auf bestimmte Erkrankungen sowie Umstände und Verlauf der Behandlung einschließlich der Angaben zu Medikamenten oder Operationen. Ferner soll der Arzt Zwischenfälle festhalten und Warnhinweise, sofern er solche an den Patienten ausgesprochen hat. Aus dem patientenbezogenen Gehalt der Dokumentationspflicht folgt zwangsläufig die Verpflichtung, dem Patienten selbst oder einem von ihm Bevollmächtigten Einsicht in die Krankenunterlagen zu gewähren. 99 Das Recht auf Einsichtnahme besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Da es sich um eine vertragliche Nebenpflicht handelt, muss der Patient in Anlehnung an § 242 BGB ein ersichtliches Interesse an der Kenntnisnahme der dokumentierten Fakten haben. Im Gegenzug darf der Arzt die Einsichtnahme verweigern, sofern er billigenswerte Gründe dafür nachweisen kann, vgl. § 630g I BGB. Naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde und Fakten - nicht subjektive Einschätzungen! - die einen persönlichen Bezug zum Patienten haben, sind diesem daher mitzuteilen. 100 Diese Offenlegungspflicht besteht auch auf die Gefahr hin, dass der Patient durch die Einsicht in seine Krankenakte beispielsweise Kenntnis von der Diagnose einer tödlichen Krankheit oder einer schlechten Prognose seiner Heilungschancen erlangt und sich dadurch sein Befinden zu verschlechtern droht. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten muss das Urheberrecht des Arztes an den von ihm angefertigten Aufzeichnungen zurücktreten lassen. 101 Berechtigte Belange des Arztes, die in seinem eigenen Persönlichkeitsrecht gründen, bilden dagegen die Grenze der Offenlegungspflicht. Subjektive Eindrücke und Meinungen des Arztes, beispielsweise Aufzeichnungen über querulatorisches Verhalten des Patienten, darf er daher vor diesem fernhalten. 102 VI. Schweigepflicht des Arztes Der Arzt hat Stillschweigen über alle Tatsachen und Umstände zu bewahren, die er im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten erlangt. Die Schweigepflicht gründet im Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Sie besteht unabhängig davon, ob 98 BGHZ 72, 132. 99 BGHZ 85, 327. 100 Dazu Spickhoff, ZRP 2012, 65 (69). 101 BGHZ 85, 327; BVerfGE 32, 373. 102 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 466; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 163. <?page no="146"?> 146 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten der Arzt das Interesse des Patienten an der Geheimhaltung einzelner Tatsachen als schützenswert einstuft oder nicht. 103 Die Verpflichtung zum Stillschweigen besteht nicht nur im Hinblick auf Angaben zur Erkrankung und Therapie eines Patienten sondern kann auch dessen Namen und die Tatsache, dass er überhaupt einen Arzt aufgesucht hat, umfassen. Es kommt nicht darauf an, ob die Tatsache dem Arzt vom Patienten bewusst anvertraut worden ist. Es genügt, wenn der Arzt im Rahmen seiner Tätigkeit in irgendeiner Form - und sei es durch persönliche Schlussfolgerungen - Kenntnis von bestimmten Tatsachen und Umständen gewonnen hat. 104 Im Einzelfall ist der Arzt jedoch berechtigt, Informationen über seine Patienten weiterzugeben. Dies betrifft beispielsweise den Facharzt, dem ein Patient vom Hausarzt überwiesen worden ist, wenn der Hausarzt zur Fortsetzung seiner eigenen Behandlung auf dessen Untersuchungsergebnisse angewiesen ist. 105 Bei minderjährigen Patienten ist zu differenzieren. Grundsätzlich besteht die Schweigepflicht auch diesen gegenüber. Dies gilt namentlich für Geheimnisse, die das Kind ausschließlich dem Arzt, nicht aber seinen Eltern anvertrauen möchte. Bei Kindern unter 14 Jahren wird jedoch regelmäßig die Berechtigung des Arztes bejaht, Befunde und Diagnosen an die Eltern weiterzugeben. VII. Sonstige Pflichten des Arztes Neben diesen Hauptpflichten obliegen dem Arzt einige Nebenpflichten in Bezug auf die schützenswerten Interessen des Patienten. Dies ergibt sich aus § 241 II BGB, wonach jeder Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seiner Vertragspartner zu nehmen hat. Der Arzt ist daher verpflichtet, seine Behandlungsmaßnahmen so auszuwählen und anzuwenden, dass vermeidbare Schäden vom Patienten abgewehrt werden. Dies umfasst auch die Vermeidung von Gefahrenquellen in der Arztpraxis, die sichere Verwahrung von persönlichen Sachen, die der Patient in die Praxis mitbringt sowie eine effektive Organisation der Abläufe, um unnötige Wartezeiten zu vermeiden. 106 Bringt eine vom Arzt angeratene Therapie Zusatzkosten mit sich, etwa weil diese Art der Behandlung nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten und damit vom Patienten selbst zu finanzieren ist, muss der Arzt diesen darauf hinweisen. 107 103 Stellpflug HK-AKM, Beiträge Schweigepflicht, Rn. 14-25. 104 Kiesecker/ Rieger Stellpflug, HK-AKM, Beiträge Schweigepflicht, Rn. 14-25. 105 BGH NJW 1983, 350. 106 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 21 ff. 107 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 31. <?page no="147"?> C. Vertragliche Pflichten des Patienten 147 C. Vertragliche Pflichten des Patienten Als Partei des Behandlungsvertrags treffen natürlich auch den Patienten Verpflichtungen. Als Hauptpflicht obliegt dem Patienten - sofern er nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist und nach dem SGB V geschuldete Leistungen in Anspruch nimmt - die Leistung des Entgelts für die ärztliche Behandlung. Darüber hinaus treffen ihn Nebenpflichten, vor allem Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten. I. Pflicht zur Vergütung von Behandlungsleistungen Gemäß § 611 I BGB muss derjenige, der eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, dem Dienstleistenden eine Vergütung entrichten. Diese Pflicht besteht selbst wenn die Parteien keine ausdrückliche Abrede darüber getroffen haben. Denn nach § 612 BGB gilt die Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen Entgelt erbracht wird. In § 630a BGB findet sich die Regelung, dass der Patient zur Entrichtung der Vergütung verpflichtet ist, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist. Die Norm zielt auf privat versicherte Patienten, die ihre Aufwendungen von ihrer Krankenversicherung erstattet bekommen. Gesetzlich Versicherte sind demgegenüber durch das vertragsarztrechtliche Vergütungssystem von der Vergütungspflicht befreit. 108 Geschuldet ist eine „taxmäßige“ Vergütung, § 612 II BGB. Unter einer „Taxe“ sind Gebührensätze zu verstehen, die durch Bundes- oder Landesrecht oder durch Verwaltungsvorschriften festgelegt worden sind. 109 Für ärztliche Leistungen ist dies in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) geschehen. Es handelt sich dabei um eine Rechtsverordnung der Bundesregierung, zu deren Erlass § 11 BÄO ermächtigt. 110 Die GOÄ regelt abschließend sowohl die Höhe der vom Patienten zu entrichtenden Entgelte als auch deren Abrechnung. Ihr Erlass ist vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips zu verstehen: der Gesetzgeber wollte verhindern, dass die Preise für Therapien frei zwischen Arzt und Patient ausgehandelt werden. In ihrer Ausprägung als Vertragsschließungsfreiheit gewährt die Privatautonomie dem Einzelnen das Recht, sich seine Vertragspartner frei auszuwählen. Damit besteht im Grunde die Möglichkeit, den Vertragsschluss von der Liquidität des potenziellen Vertragspartners abhängig zu machen. Um zu verhindern, dass der gesundheitlich angeschlagene oder gar lebensbedrohlich erkrankte Patient erst über die von ihm zu entrichtende Gegenleistung verhandeln muss oder in seiner Notlage überhöhte Entgelte verspricht, um 108 BT-Drs. 17/ 10488, S. 18. 109 Müller-Glöge in MüKo, § 612 BGB, Rn. 28. 110 Zur Verfassungsmäßigkeit der GOÄ vgl. BVerfGE 68, 319. <?page no="148"?> 148 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten eine Behandlung zu erlangen, ist ein solches Gebührenverzeichnis notwendig. Die GOÄ schützt aber auch den Arzt vor wirtschaftlicher Abhängigkeit von einem bestimmten Auftraggeber. Gleichwohl wird der Privatautonomie im gebotenen Maße Rechnung getragen: Arzt und Patient ist es gestattet, in bestimmten Fällen durch Vereinbarung von dem in der GOÄ vorgegebenen Gebührenrahmen abzusehen. Insgesamt darf die Gebührenordnung jedoch nicht abbedungen werden. 1. Geltungsbereich der GOÄ Die GOÄ gilt für sämtliche von Ärzten angebotenen Leistungen, soweit durch Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, § 1 I GOÄ. Anderweitige Bestimmungen enthalten Q § 85 I SGB V mit einem gesonderten Vergütungssystem für Vertragsärzte 111 Q § 1 KHEntgG für die Leistungen der Krankenhäuser 112 Q § 52 III SGB XII für die medizinische Versorgung der Sozialhilfeempfänger 113 Q § 18c IV BVG für die medizinische Versorgung von Kriegsopfern. Bedeutung hat die GOÄ damit vor allem für privat versicherte Patienten. Für gesetzlich Versicherte, die gemäß § 13 I, II SGB V die Leistungserbringung nach dem Kostenerstattungsprinzip gewählt haben oder die „individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) in Anspruch nehmen, ist ebenfalls die GOÄ maßgeblich. 114 Die IGeL werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erbracht, gelten aber als ärztlich empfehlenswert oder zumindest vertretbar. 115 Jedoch stellt es einen Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten dar, wenn ein Arzt gesetzlich versicherten Patienten IGeL aufdrängt, § 128 Va SGB V. Die Vergütungsregelungen der GOÄ setzen voraus, dass die Leistungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um eine medizinisch notwendige Versorgung sicherzustellen. Andere, also nicht notwendige Leistungen dürfen nur dann nach GOÄ abgerechnet werden, wenn sie auf ausdrückliches Verlangen des Patienten erbracht worden sind, § 1 II GOÄ. In diesen Fällen müssen sie jedoch als „verlangte Leistungen“ besonders auf der Rechnung ausgewiesen werden. Dies folgt aus dem Transparenzgebot des § 12 III 5 GOÄ. 111 Dazu ausführlich auf S. 193 ff. 112 Dazu ausführlich auf S. 233 ff. 113 Diese Norm verweist auf den Abrechnungsweg nach §§ 294, 295, 300 ff. SGB V und schließt damit die Anwendung der GOÄ aus. 114 Miebach in Uleer/ Miebach/ Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, Einleitung, Rn. 2; Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, § 1 GOÄ, Rn. 15. 115 Steinhilper/ Schiller in HK-AKM, Beiträge: IGeL, Rn. 6, 82. <?page no="149"?> C. Vertragliche Pflichten des Patienten 149 2. Höhe der Vergütung Die ärztliche Vergütung ist nur im Rahmen der GOÄ bestimmbar. Grundlage der Berechnung ist ein Gebührenverzeichnis, welches einzelne ärztliche Leistungen ausweist und einer bestimmten Punktzahl zuweist. Diese Punktzahl ist mit dem sogenannten Punktwert zu multiplizieren (einfacher Gebührensatz). Der Punktwert beläuft sich gemäß § 5 I 3 GOÄ auf 5,82873 Cent. Der Gebührensatz darf innerhalb des zulässigen Rahmens - dies ist das Einfache bis Dreieinhalbfache des einfachen Gebührensatzes - nach billigem Ermessen bestimmt werden. Dabei sollen die Schwierigkeit und der Zeitaufwand für die einzelnen Leistungen berücksichtigt werden. Im Regelfall soll der Gebührensatz maximal mit dem Steigerungsfaktor 2,3 multipliziert werden, § 5 II GOÄ. Nur bei besonders schwierigen oder zeitaufwändigen Leistungen oder wenn andere besondere Umstände vorliegen, darf der in § 5 I GOÄ vorgesehene Rahmen vollständig ausgeschöpft werden. Der Arzt hat dies dann aber ausführlich zu begründen, § 12 III GOÄ. Die Schwierigkeit der Leistung ist objektiv und im Vergleich zur regelmäßigen Behandlung zu bestimmen. Auf die Einschätzung des Arztes oder dessen Fähigkeiten kann es dabei nicht ankommen. Maßgeblich ist vielmehr, ob aufgrund der beim konkreten Patienten gegebenen Umstände stärkere Herausforderungen zu bewältigen sind als beim durchschnittlichen Kranken. 116 In der Praxis wird der Höchstsatz der Regelspanne (Faktor 1,0 bis 2,3) voll ausgeschöpft, d. h. es wird eine Mittelgebühr für ärztliche Leistungen mit dem Faktor 2,3 und für medizinisch-technische Leistungen von 1,8 veranschlagt. 117 Beispiel Nach Ziffer 6 des Gebührenverzeichnisses 118 ist die vollständige Untersuchung des HNO-Bereichs mit 100 Punkten veranschlagt. einfacher Gebührensatz: 100 × 5,82873 Cent = 5,83 €. zulässiger Gebührenrahmen: 100 × 5,82873 Cent × 1,0 = 5,83 € bis 100 × 5,82873 Cent × 3,5 = 20,40 € regelmäßiger Gebührensatz: 100 × 5,82873 Cent × 2,3 = 13,40 € 116 Miebach in Uleer/ Miebach/ Patt, Vergütung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, Rn. 13; Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, § 5 GOÄ, Rn. 5 ff. 117 BGHZ 174, 101; dazu ausführlich Miebach in Uleer/ Miebach/ Patt, Vergütung von Arzt- und Krankenhausleistungen, § 5 GOÄ, Rn. 34; Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, § 5 GOÄ, Rn. 10 f.; sowie Miebach, NJW 2001, 3386. 118 Enthalten in der Anlage I zur GOÄ. <?page no="150"?> 150 Unter normalen Umständen darf der Arzt für die HNO-Untersuchung daher 13,40 € abrechnen. Handelt es sich um einen außergewöhnlich unruhigen Patienten und ist die Untersuchung des Nasen- und Rachenbereichs daher erschwert, kann der Arzt den Gebührenrahmen ausschöpfen. In diesem Fall darf er für die gleiche Untersuchung bis zu 20,40 € verlangen. Abweichungen vom Vergütungssystem der GOÄ sind nur durch Vereinbarung eines anderen Steigerungsfaktors zulässig, § 2 I 1 GOÄ. Solche Vereinbarungen sind vor der Behandlung persönlich 119 zwischen Arzt und Patient zu treffen und schriftlich zu dokumentieren, § 2 II 1 GOÄ. Über die in der GOÄ bestimmten Punktzahlen des Leistungsverzeichnisses oder die Höhe des Punktwertes dürfen Arzt und Patient dagegen keine Vereinbarungen treffen, § 2 I 3 GOÄ. Unzulässig ist insbesondere die Vereinbarung eines Pauschalhonorars für ein Paket von Einzelleistungen. Die Abrechnung muss also stets sämtliche erbrachten Leistungen des Arztes gesondert ausweisen und in Rechung stellen. In Notfällen und bei akuten Schmerzbehandlungen sowie bei Schwangerschaftsabbrüchen ist generell keine Abweichung vom festgelegten Gebührensystem gestattet, §§ 2 I 4, 5a GOÄ. II. Mitwirkungspflicht (Compliance) Neben der Entrichtung der Vergütung ist der Patient gehalten, im notwendigen Umfang an der Therapie mitzuwirken. Durch diese compliance soll der therapeutische Erfolg gesichert werden. Der Patient muss also Verhaltensanweisungen seines Arztes, z. B. über die Einnahme von Medikamenten, das Einhalten einer Diät, Aufgabe des Rauchens usw. befolgen. 120 Ferner muss der Patient den Arzt über Vorerkrankungen, frühere Verletzungen, Unfälle, Operationen, Medikamenteneinnahmen oder Allergien informieren. Zumindest darf er solche Informationen nicht bewusst oder fahrlässig verschweigen. 121 Damit wird sichergestellt, dass der Arzt die optimale Therapie auswählt, ohne dass es zu unerwünschten Neben- oder Wechselwirkungen kommt. Kommt der Patient die- 119 Eine Honorarvereinbarung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ist dadurch nicht ausgeschlossen. Zu den Anforderungen vgl. BGH, NJW 1992, 746. 120 Zur Vertiefung: Schellenberg, VersR 2005, 1620; Mennemeyer/ Hugemann in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 372. 121 OLG Köln, NJW-RR 1992, 986. 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten <?page no="151"?> C. Vertragliche Pflichten des Patienten 151 ser Verpflichtung nicht nach, wird dies im Rahmen etwaiger Schadensersatzansprüche als Mitverschulden nach § 254 BGB berücksichtigt. Gemäß § 630c I BGB sind die Vertragsparteien zur Zusammenwirkung bei der Durchführung der Behandlung verpflichtet. Dies schließt die Obliegenheit des Patienten zur Offenbarung aller für die Behandlung wesentlichen Umstände und zur Befolgung ärztlicher Anordnungen ein. 122 III. Sonstige Pflichten des Patienten Wie in jedem Vertrag, so ist auch der Patient aus § 241 II BGB zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Rechtsgüter seines Arztes als Vertragspartner gehalten. 123 Leidet er beispielsweise an einer ansteckenden Krankheit oder besteht ein entsprechender Verdacht, muss er den Arzt und das Praxispersonal darüber informieren, damit diese entsprechende Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz und dem der anderen Patienten treffen können. Ebenso darf er nicht vorsätzlich oder fahrlässig die Praxiseinrichtung des Arztes beschädigen oder zerstören oder sich anmaßend und beleidigend dem Arzt und seinem Personal gegenüber verhalten. Kontrollfragen 1. Bei einem Spaziergang verliert P das Bewusstsein und stürzt. Der zufällig vorbeikommende Arzt A versorgt P. Welche rechtlichen Beziehungen bestehen zwischen A und P? 2. Die 15jährige P möchte sich die „Pille“ verschreiben lassen. Sie sucht die Gynäkologin G auf. Kann sie ohne Wissen ihrer Eltern mit dieser einen Behandlungsvertrag schließen? 3. Patient P leidet seit langem an Magenschmerzen. Der behandelnde Arzt A vermag keine Ursache dafür zu erkennen. Seine-- den Regeln der medizinischen Wissenschaft entsprechende-- Behandlung zeitigt keinen Erfolg. Kann P den Arzt wegen Nichterfüllung des Behandlungsvertrags in Anspruch nehmen? 4. A ist niedergelassener Arzt. Eines Tages trifft er den Liebhaber seiner Ehefrau im Wartezimmer an. Er weigert sich, diesen als Patienten anzunehmen. Darf er das? 122 BT-Drs. 17/ 10488, S. 21. 123 Katzenmeier in HK-AKM, Beiträge Arzt-/ Behandlungsvertrag, Rn. 22 f. <?page no="152"?> 152 4. Kapitel: Die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Patienten 5. Welche Elemente umfasst die ärztliche Behandlungspflicht? 6. Als einziger Hausarzt in der Region ist A oft überlastet mit der Vielzahl seiner Patienten. Er möchte daher einige Aufgaben an seine Sprechstundenhilfe übertragen. Darf er das? Nach welchen Kriterien richtet sich die Delegation? 7. Muss ein Arzt im Rahmen der Risikoaufklärung auch auf sehr seltene Risiken hinweisen? 8. Patient P leidet an starken Kopfschmerzen. Nach eingehenden Untersuchungen stellt der behandelnde Arzt A fest, dass sich im Gehirn des P ein Tumor befindet. Da er P nicht unnötig beunruhigen will, verschweigt er ihm die Diagnose und teilt ihm nur mit, er werde alles Nötige veranlassen, um P zu heilen. Ist sein Verhalten zulässig? 9. Der 15jährige P hat Segelohren. Seine Eltern befürworten eine kosmetische Operation zur Korrektur der Ohren. Was muss der behandelnde Arzt A bei der Aufklärung beachten? Muss er vor dem Eingriff auch das Einverständnis des P einholen oder genügt die Einwilligung seiner Eltern? 10. Bei der Geburt ihres Kindes hat P einen schweren Blutverlust erlitten. Die behandelnde Ärztin möchte ihr daher eine Bluttransfusion verabreichen. P verweigert dies unter Berufung auf ihre Mitgliedschaft bei den „Zeugen Jehovas“. Darf A diese Äußerung ignorieren und die medizinisch notwendige Transfusion vornehmen? 11. Bei der Behandlung des P unterläuft A ein Fehler. Um eine Schadenersatzklage vorbereiten zu können, verlangt P Einsicht in seine Patientenakten. Darf A dies verweigern? 12. Unter welchen Voraussetzungen darf ein Arzt seine Schweigepflicht brechen? 13. Nach welchen Grundsätzen bemisst sich die Vergütung für eine ärztliche Behandlung? 14. P ist stark übergewichtig. Als er an einem Herz-Kreislauf-Leiden erkrankt, weist ihn der behandelnde Arzt A dringend darauf hin, dass er eine Diät einhalten und Gewicht abbauen müsse. Ist P verpflichtet, den Hinweis zu befolgen? Welche rechtlichen Folgen hat es, wenn er dies nicht tut? <?page no="153"?> 153 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Orientierungsfragen Q Wie wirkt sich das Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient aus? Q Welche Rolle kommt den Kassenärztlichen Vereinigungen zu? Q Welche Vereinbarungen können die Krankenkassen mit der Ärzteschaft schließen? Welchen Rechtscharakter weisen diese auf? Q Welche besonderen Versorgungsformen werden für gesetzlich versicherte Patienten angeboten? Q Unter welchen Voraussetzungen darf ein Arzt Leistungen zugunsten gesetzlich versicherter Patienten erbringen? Q Inwieweit wird der Versorgungsbedarf der Bevölkerung bei der Zulassung von Ärzten berücksichtigt? Mit welchen Maßnahmen kann einer Unterversorgung abgeholfen werden? Q Welche besonderen Pflichten treffen den Vertragsarzt? Q Wie werden die Leistungen der Vertragsärzte vergütet? A. Grundlagen Ist ein Patient in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert, ergeben sich Besonderheiten für sein Rechtsverhältnis zum Arzt. Seinen Hintergrund hat dies im Sachleistungsprinzip, das in § 2 II SGB V vorgesehen ist. Danach werden den Versicherten alle geschuldeten Leistungen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu Privatversicherten sind sie also nicht zur Vergütung von Behandlungsleistungen verpflichtet. Einzelne finanzielle Beteiligungen wie Zuzahlungen berühren die Kostenfreiheit nicht. Denn es handelt sich dabei lediglich um Steuerungsinstrumente, die eine übermäßige und nicht gebotene Inanspruchnahme der medizinischen Leistungserbringer verhindern sollen. <?page no="154"?> 154 Die Krankenkassen dürfen die Leistungen nicht selbst an die Versicherten abgeben. Bei der Leistungserbringung haben sie sich vielmehr der freiberuflichen oder selbständig tätigen Anbieter von Gesundheitsleistungen zu bedienen. Eigeneinrichtungen der Krankenkassen sind nur im Ausnahmefall zulässig, wenn zwingende gesundheitspolitische Erwägungen berührt sind. 1 Um die Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, müssen die Krankenkassen gemäß § 2 II 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern schließen. Im Vergleich zu den sonstigen im SGB V vorgesehenen Leistungserbringern besteht für die Ärzteschaft eine Besonderheit. Die Ärzte sind kraft ihrer Zulassung zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Diese - nicht die Ärzte selbst - sind regelmäßig Vertragspartner der Krankenkassen. Es ergibt sich damit ein „Beziehungsviereck“: Versicherter Krankenkasse Kassenärztliche Vereinigung Arzt Mitgliedschaft, § 95 III SGB V Verträge, §§ 82 . SGB V Behandlungsvertrag Mitgliedschaft, § 5 SGB V Direkte vertragliche Beziehungen zwischen den Krankenkassen und einzelnen Ärzten sind nur im Ausnahmefall vorgesehen, so im Rahmen der Integrierten Versorgung nach § 140a SGB V oder der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V. 2 1 BGHZ 82, 375 („Feinbrillenurteil“); BSGE 90, 84 („Häusliche Krankenpflege“). 2 Dazu ausführlich auf S. 158 ff. 5. Kapitel: Vertragsarztrecht <?page no="155"?> 155 B. Die Kassenärztlichen Vereinigungen als Träger der vertragsärztlichen Versorgung Die Kassenärztlichen Vereinigungen vertreten die Ärzteschaft als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung. I. Organisation Gemäß § 77 I SGB V werden die KVen auf dem Gebiet jedes Landes 3 durch die Vertragsärzte gebildet. Im Gegenzug wird durch die Zulassung eines Arztes zur vertragsärztlichen Versorgung automatisch dessen Zwangsmitgliedschaft in der KV begründet, § 95 III SGB V. Auf Bundesebene agiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Beratungsgremium für die einzelnen KVen. Die KBV hat jedoch diesen gegenüber keinerlei Weisungsbefugnisse. KVen und KBV sind gemäß § 77 V SGB V als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst. Im Gegensatz zur Bundesärztekammer, die als Arbeitsgemeinschaft ausgestaltet ist, ist der Körperschaftsstatus für die KBV zwingend, da diese auf Bundesebene Normenverträge mit den Krankenkassen aushandelt, die für alle Akteure des Vertragsarztwesens verbindlich sind. Die Körperschaften stehen unter der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit, § 78 I SGB V. Die Aufsicht erstreckt sich also lediglich auf die Rechtmäßigkeit der von den KVen getroffenen Entscheidungen. Ihre Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit wird dagegen nicht überprüft. Die Vertreterversammlung ist das Selbstverwaltungsorgan der KV. Sie besteht je nach Größe der jeweiligen KV aus 30 bis 50 gewählten Mitgliedern, § 79 II SGB V. Zu ihren Aufgaben gehört neben dem Erlass der Satzung die Entscheidung über die grundlegenden Angelegenheiten der Vereinigung, die Überwachung des Vorstands und die Verabschiedung des Haushaltsplans. Die laufenden Geschäfte und die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung obliegen demgegenüber dem Vorstand der KV. Dieser setzt sich aus bis zu drei Mitgliedern zusammen, die hauptamtlich tätig sind. Während ihrer Amtszeit sind sie also gehalten, ihre ärztliche Tätigkeit ruhen zu lassen oder diese zumindest auf den Umfang einer Nebentätigkeit zu begrenzen, § 79 III, IV SGB V. 3 Mit Ausnahme Nordrhein-Westfalens: hier bestehen die KV Nordrhein und die KV Westfalen-Lippe. B. Die KassenärztlichenVereinigungen alsTräger der vertragsärztlichenVersorgung <?page no="156"?> 156 5. Kapitel: Vertragsarztrecht II. Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen Die KVen sind mit der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der gesetzlich Versicherten betraut. Gegenüber den Krankenkassen und deren Verbänden haben sie zu gewährleisten, dass die vertragsärztlichen Leistungen den gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Erfordernissen entsprechen (Sicherstellungsauftrag), §§ 72, 75 SGB V. Daneben fungieren die KVen als Interessenvertreter der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen. Sie haben deren schutzwürdige Belange in der gesetzlichen Krankenversicherung wahrzunehmen. Gleichzeitig sollen sie die Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten - namentlich die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Behandlung von Patienten und der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln und die ordnungsgemäße Abrechnung - überwachen und die Ärzte gegebenenfalls zu deren Erfüllung anhalten, § 75 II SGB V. Dazu stehen ihnen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung, die von Verwarnungen und Verweisen über Geldbußen bis hin zur Anordnung des Ruhens der Zulassung reichen. Näheres ist gemäß § 81 V SGB V in der Satzung zu regeln. Der Sicherstellungsauftrag umfasst die Gewährleistung einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen ärztlichen Versorgung der Versicherten in der Nähe ihres Wohnortes. Zwar verweist § 75 I SGB V auf den gesamten in § 73 SGB V verankerten Leistungskatalog. Flächendeckend müssen jedoch vor allem allgemeinärztliche und internistische Leistungen angeboten werden. Es muss also nicht notwendig an jedem Ort jede spezialisierte Leistung verfügbar sein, jedoch sollen Fachärzte in zumutbarer Entfernung vom Wohnort des Versicherten erreichbar sein, § 75 Ia 6 SGB V. Außerhalb der Sprechstundenzeiten muss die KV einen Notdienst organisieren, § 75 Ib SGB V. 4 Die KV hat bei allen angebotenen ärztlichen Leistungen zu gewähren, dass diese dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen und zugleich - vor dem Hintergrund ihrer Einbindung in das System der GKV - ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Bedarfsplanung nach §§ 100 ff. SGB V. Damit sollen Überwie Unterversorgung der Bevölkerung mit vertragsärztlichen Leistungen verhindert werden. Die KV hat in diesem Zusammenhang alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu fördern und zu verbessern. 5 4 Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 75 SGB V, Rn. 6; Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, § 75 SGB V, Rn. 20 ff. 5 Dazu ausführlich auf S. 173 ff. <?page no="157"?> 157 B. Die KassenärztlichenVereinigungen alsTräger der vertragsärztlichenVersorgung III. Pflichtmitgliedschaft Die Mitgliedschaft in der KV ist nicht auf die niedergelassenen Ärzte beschränkt. Auch alle im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als Angestellte in einem Medizinischen Versorgungszentrum (§ 95 I 2 SGB V) tätigen Ärzte sowie die ermächtigten 6 Krankenhausärzte (§ 116 SGB V) sind Mitglieder der für ihren Arztsitz zuständigen KV, § 77 III SGB V. Die Zwangsmitgliedschaft stellt - wie auch bei den Ärztekammern - einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG dar. Sie bedarf daher der Rechtfertigung, also des Nachweises ihrer Notwendigkeit für die Aufgabenerfüllung der KV. Diese lässt sich unter verschiedenen Aspekten begründen. So kann die KV ihrer Überwachungs- und Disziplinarfunktion gegenüber den Vertragsärzten nur wirksam nachkommen, wenn sämtliche zugelassenen Ärzte Mitglied sind und damit von ihrer Regelungsbefugnis erfasst werden. Gleiches gilt für die Durchsetzung der Bindungswirkung der zwischen KVen und Krankenkassen ausgehandelten Verträge zur Versorgung der Versicherten oder die Bedarfsplanung. 7 6 Im Gegensatz zu der auf Dauer angelegten Zulassung gestattet die Ermächtigung lediglich eine zeitlich begrenzte Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, Düring in Schallen, Ärzte-ZV, vor § 18, Rn. 1. 7 Rademacker in KassKomm, SGB V, § 77, Rn. 17 f.; Hamdorf in Hauck/ Noftz, SGB V, § 77, Rn. 12. <?page no="158"?> 158 5. Kapitel: Vertragsarztrecht C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern Zur Sicherstellung der gleichmäßigen Versorgung der Versicherten mit notwendigen medizinischen Leistungen müssen die Krankenkassen Verträge abschließen. Diese sollen nach § 72 II SGB V gewährleisten, dass die Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich behandelt und dass die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. I. Kollektivverträge Im Regelfall schließen die Krankenkassen und die Leistungserbringer Kollektivverträge. Die Leistungserbringer verpflichten sich darin zur flächendeckenden Versorgung mit notwendigen medizinischen Leistungen, die Krankenkassen im Gegenzug zur Zahlung einer Gesamtvergütung an alle an der ambulanten Versorgung beteiligten Ärzte für sämtliche gesetzlich versicherten Patienten. Die Verträge dienen damit der Vereinheitlichung des Leistungserbringungsrechts für alle Versicherten. 8 Die Kollektivverträge weisen insofern eine Besonderheit auf, als ihre unmittelbaren Rechtswirkungen nicht nur unter den Vertragspartnern, sondern auch gegenüber Dritten eintreten. Obwohl Vertragspartner die Krankenkassenverbände und die Verbände der Leistungserbringer sind, werden unmittelbar auch die einzelnen Kassen und Ärzte verpflichtet. Diese Wirkung tritt nicht automatisch ein, sondern aufgrund sogenannter Erstreckungsregelungen. Eine solche ist beispielsweise in § 83 I SGB V enthalten, der anordnet, dass die KVen und die Krankenkassenverbände die Gesamtverträge „mit Wirkung für die Krankenkassen“ abschließen. Wegen dieser allgemein erzeugten Rechtswirkungen werden die Vereinbarungen auch als Normenverträge bezeichnet. In der Normenhierarchie stehen sie unter dem gesetzten Recht des SGB V sowie unterhalb der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses oder der KBV. Gegenüber dem Satzungsrecht der Kassen wie auch dem der Verbände der Leistungserbringer nehmen sie jedoch einen höheren Rang ein. Es handelt sich also nicht um „klassische“ öffentlich-rechtliche Verträge i. S. d. §§ 53 ff. SGB X. 8 Schiller/ Rückeshäuser in HK-AKM, Beiträge, Selektivverträge, Rn. 2; Theuerkauf, NZS 2011, 921 (922). <?page no="159"?> C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern 159 Die Normenverträge sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Soweit der Gesetzgeber den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung Normsetzungsbefugnisse übertragen hat, steht diesen ein Gestaltungsspielraum zu. Dieser darf nur in Ausnahmefällen beschränkt werden, da anderenfalls die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung gefährdet würde. Im Streitfall prüfen die Gerichte daher lediglich, ob der Normgeber seine Befugnisse missbräuchlich oder sachwidrig ausgeübt hat. 9 1. Bundesmantelvertrag, § 82 I SGB-V Die allgemeinen Regelungen zur vertragsärztlichen Versorgung werden gemäß § 82 I SGB V im Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) geregelt. Vertragspartner sind die KBV und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der nach § 217a SGB V die einheitliche Dachorganisation der Krankenkassen auf Bundesebene bildet. Der BMV-Ä enthält Vorgaben für die Ausgestaltung der Gesamtverträge, nämlich alle Normen, die notwendig und zweckmäßig einer bundeseinheitlichen Regelung bedürfen. Dazu zählen Q der einheitliche Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen (EBM), § 87 I 1 SGB V 10 Q die Organisation der ärztlichen Versorgung, § 87 I 2 SGB V. Dies beinhaltet vor allem Regelungen über die Behandlungspflicht der Ärzte und die Ansprüche der Versicherten, das Verfahren bei Zuzahlungen, den Einsatz der Krankenversicherungskarte, das Abrechnungsverfahren, den Schutz der Patientendaten, aber auch Vordrucke und Nachweise. Q Vorgaben zu Fachkundenachweisen, Praxisausstattung und Qualitätssicherung, § 135 II SGB V Q die Richtlinien des GBA, § 92 VIII SGB V. 2. Gesamtverträge, § 83 SGB-V Im Einzelnen wird die Sicherstellung der Versorgung durch die Gesamtverträge geregelt. Der Abschluss erfolgt grundsätzlich getrennt für jede Kassenart mit Wirkung für alle dem jeweiligen Landesverband angehörigen Krankenkassen. 9 BSGE 88, 126. Dazu auch Altmiks in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 82 SGB V, Rn. 7 ff. 10 Der EBM wird zwischen KBV und SpiBuKK „durch den Bewertungsausschuss“ vereinbart. Diesem gehören seinerseits Vertreter der KBV und des SpiBuKK an. <?page no="160"?> 160 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Die Gesamtverträge konkretisieren den BMV-Ä in den einzelnen KV-Bezirken. Jedoch ist der BMV-Ä gemäß § 82 I 2 SGB V gleichzeitig auch Bestandteil der Gesamtverträge. Zu den wesentlichen Vertragsgegenständen zählen Q die konkrete Ausgestaltung des Vergütungssystems, § 85 II 1 SGB V bzw. § 87a SGB V Q die Einbeziehung von Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen in die ärztliche Versorgung, § 73 III SGB V. II. Einzelverträge Das Gegenstück zum Kollektivvertrag bilden die Einzelverträge. 11 Sie ergänzen das kollektivvertraglich geregelte Vertragsarztwesen. Die Einzelverträge werden individuell zwischen einzelnen Krankenkassen und einzelnen Leistungserbringern ausgehandelt und wirken nur inter partes. Ihnen kommt also keine allgemeine Normwirkung für Dritte zu. Damit fallen die im Rahmen von Einzelverträgen erbrachten Leistungen auch aus dem System der Gesamtvergütung heraus. Das Gesetz ermächtigt die Kassen und Ärzteschaft, in bestimmten Bereichen der ärztlichen Versorgung solche Einzelverträge außerhalb der KVen und der Krankenkassenverbände abzuschließen. 1. Hausarztzentrierte Versorgung, § 73b SGB-V Gemäß § 73b SGB V haben die Krankenkassen ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung: die hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Dazu müssen sie - allein oder in Kooperation mit anderen Kassen - flächendeckend entsprechende Verträge abschließen. Als Vertragspartner kommen alle zugelassenen Ärzte in Betracht, die an der hausärztlichen Versorgung nach § 73 Ia SGB V teilnehmen. Dies sind Allgemeinärzte, Kinderärzte, Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung oder die nach Landesrecht als praktischer Arzt tätigen Ärzte. Darüber hinaus können die Kassen Verträge mit Gemeinschaften solcher Ärzte 12 wie auch mit MVZs oder anderen ärztlich geleiteten Einrichtungen (vgl. § 95 SGB V) schließen. Die KVen sind unter der Voraussetzung 11 Diese Vertragswerke werden auch als Direkt- oder Selektivverträge bezeichnet. Ausführlich Theuerkauf, NZS 2011, 921 (922 ff.). 12 Dies sind Praxisgemeinschaften, aber auch Verbände und Interessenvertretungen der Hausärzte, Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 73b, Rn. 10; ausführlich Huster, NZS 2010, 69 (70). <?page no="161"?> C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern 161 als Vertragspartner der Kassen zugelassen, dass sie von den Ärzten oder deren Gemeinschaften ausdrücklich dazu ermächtigt worden sind. Die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung ist für die potenziellen Vertragspartner wie auch für die Versicherten freiwillig. Dies kann im Einzelfall zu Problemen führen, wenn die Krankenkassen keinen geeigneten Vertragspartner finden. Die Beteiligten haben in diesem Fall nach § 73b IV 2, IVa SGB V das Recht, ein Schiedsverfahren herbeizuführen. Zwangsweise kann ein Vertragsschluss jedenfalls nicht durchgesetzt werden, da dieser nur für die Krankenkassen, nicht aber für die Ärzteschaft verpflichtend ist. Zudem trifft § 73b IV 5 SGB V die ausdrückliche Feststellung, dass zwar eine Ausschreibungspflicht der Krankenkassen, aber kein Anspruch auf den Abschluss solcher Verträge besteht. Der Gesetzgeber wollte damit den Krankenkassen ermöglichen, den Vertragsschluss am tatsächlichen Bedarf zur Versorgung mit hausärztlichen Leistungen zu orientieren. 13 Entscheiden sich die Versicherten zur Teilnahme an dieser Versorgungsform, verpflichten sie sich gegenüber ihrer Krankenkasse, fachärztliche Behandlungen - mit Ausnahme der Leistungen der Hautärzte und Frauenärzte - erst nach Überweisung durch den Hausarzt in Anspruch zu nehmen, § 73b III SGB V. An ihre Entscheidung und an den konkreten Hausarzt sind sie für ein Jahr gebunden. Nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist ihnen ein Wechsel gestattet. Diese Möglichkeit besteht beispielsweise wenn das Vertrauensverhältnis des Patienten zum Arzt gestört ist. Als Anreiz für die Versicherten können die Krankenkassen einen Wahltarif nach § 53 III SGB V anbieten. Für die Teilnahme am Hausarztmodell werden den Versicherten danach Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen gewährt. Dieser Tarif sowie die weiteren Modalitäten der hausarztzentrierten Versorgung sind in der Satzung der Krankenkassen bzw. in den darauf beruhenden Teilnahmevereinbarungen zwischen Versicherten und Krankenkassen zu regeln, § 73b III 8 SGB V. Die Kassen sind gehalten, ihre Versicherten umfassend über Inhalt und Ziele dieses Modells sowie über die teilnehmenden Ärzte zu informieren, § 73b VI SGB V. 2. Besondere Versorgung, § 140a SGB-V Der Abschluss von Verträgen zur besonderen Versorgung dient der Vernetzung von ambulantem und stationärem Sektor und Rehabilitation sowie zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern. Sie ist in verschiedenen Ausprägungen vorgesehen: als verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung oder als interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung, welche auch als integrierte Versorgung (IV) bezeichnet wird, sowie als besondere ambulante Versorgungsaufträge. 13 Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 73b, Rn. 14. <?page no="162"?> 162 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Anhand eines klar definierten, individuellen Therapieziels sollen Behandlungsverläufe aufeinander abgestimmt und somit kostensteigernde Faktoren reduziert werden, die mit der vormals strikten Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Regelversorgung einhergehen. Die IV ist daher geeignet für bestimmte komplexe Krankheitsbilder, bei deren Behandlung die Patienten Kontakt zu einer Vielzahl von Leistungserbringern haben. Insbesondere bietet sich der Vertragsschluss in Bezug auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Depressionen, Bandscheibenerkrankungen oder Fettleibigkeit an. 14 a. Vertragspartner Einzelne Krankenkassen können zu diesem Zweck gemäß § 140a III SGB V Vereinbarungen mit Q zugelassenen Ärzten oder deren Gemeinschaften, Q Trägern zugelassener Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Q Trägern von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), Q anderen nach dem 4. Kapitel SGB V zugelassenen Leistungserbringern, beispielsweise Therapeuten, Hebammen, Apotheken, Q Pflegekassen und zugelassenen Pflegeeinrichtungen nach SGB XI, Q Praxiskliniken nach § 115 II 1 Nr. 1 oder Q pharmazeutischen Unternehmen oder Herstellern von Medizinprodukten abschließen. Die Aufzählung der zulässigen Vertragspartner ist abschließend, umfasst aber letztlich das gesamte Spektrum der in der GKV tätigen Leistungserbringer. 15 Seit 2015 können sich auch die KV an den Verträgen beteiligen, um ihre Mitglieder bei der Teilnahme an der IV zu unterstützen. Werden die Versicherten auf Grundlage des § 140a SGB V versorgt, reduziert sich der in § 75 I SGB V verankerte Sicherstellungsauftrag der KV in entsprechendem Maße. Interessierte Leistungserbringer haben keinen Anspruch auf Vertragsschluss gegen die Krankenkassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie im Auswahlverfahren völlig schutzlos sind. Denn die Krankenkassen sind als öffentlich-rechtliche Körperschaften gehalten, den grundrechtlich geschützten Interessen der Leistungserbringer - namentlich auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG sowie die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG - im Rahmen des Auswahlverfahrens Rechnung zu tragen. 16 14 www.bmg.bund.de. 15 Engelhard in Hauck/ Noftz, SGB V, § 140b, Rn. 12; Jung, SGb 2009, 385 (387); Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 97. 16 Zur umstrittenen Problematik der Ausschreibungspflicht für IV-Verträge vgl. Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 140a, Rn. 37; Jung, SGb 2009, 385 (388 ff.); Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 105 f.; Adolf in jurisPK-SGB V, § 140a, Rn. 121; Fischinger/ Werthmüller in Spickhoff, Medizinrecht, § 140a SGB V, Rn. 15. <?page no="163"?> C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern 163 b. Anforderungen an die besondere Versorgung Voraussetzung für den Vertragsschluss ist eine sektorenübergreifende oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Kooperation, die konkrete Verbesserungen im Vergleich zur hergebrachten Arbeitsteilung in der Medizin birgt. Darüber hinaus können besondere ambulante ärztliche Versorgungsaufträge vereinbart werden, was jedoch die Beteiligung von Vertragsärzten oder deren Gemeinschaften voraussetzt, § 140a I 2 SGB V. Die „interdisziplinär-fachübergreifende“ Versorgung erfordert die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern, die unterschiedlichen Fachrichtungen angehören. Diesem Kriterium genügt beispielsweise ein Vertrag unter Beteiligung von Hausärzten und Fachärzten oder von mehreren Fachärzten mit jeweils verschiedener Spezialisierung. 17 Ob eine Vereinbarung sektorenübergreifend ist, ist im Einzelfall schwierig zu bestimmen. Nach Auffassung des BSG ist dieser Begriff funktionell ausgehend von der gesetzgeberischen Intention zu bestimmen. Dieser zielt vor allem auf die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung ab. Die besondere Versorgung ist jedoch nicht darauf beschränkt, sondern ermöglicht weitere Kooperationsformen. Diese sollen Alternativen zur hergebrachten Regelversorgung eröffnen und diese zumindest teilweise ersetzen. Namentlich müssen „Schnittstellenproblematiken“ beseitigt, d. h. die in der Überlappung von ambulantem und stationärem Sektor gründenden Doppeluntersuchungen, Wartezeiten oder unvollständigen Informations- und Datentransfers zwischen den einzelnen Leistungserbringern vermieden werden. 18 Beispiel Nach diesen Kriterien hat das BSG den sogenannten „Barmer Hausarztvertrag“ für unvereinbar mit den Anforderungen des § 140a SGB-V erklärt. Der zwischen der Krankenkasse, Hausärzten und Apotheken-- die die Funktion einer „Hausapotheke“ erfüllen sollten- - abgeschlossene Vertrag spiegele lediglich das hergebrachte System der Regelversorgung wider und ersetze diese nicht. 19 Als zulässig wurde dagegen ein Vertrag unter Beteiligung eines Krankenhaus- und eines Rehabilitationsträgers angesehen, in dem die stationäre Akutbehandlung im Krankenhaus mit einer Anschlussrehabilitation verzahnt wird. 20 17 Jung, SGb 2009, 385 (385). 18 BSGE 100, 52 (55); BSG, MedR 2009, 110, dazu Jung, SGb 2009, 385 (386). 19 BSGE 100, 52; so auch die Vorinstanz LSG Thüringen, MedR 2007, 746. 20 BSG, MedR 2009, 110 (113); anders noch die Vorinstanz LSG Baden-Württemberg, MedR 2007, 318: es fehle an einer sektorenübergreifenden Versorgung, da die Rehabilitation ebenfalls im stationären Sektor angesiedelt sei und zudem die Akutbehandlung im Krankenhaus lediglich fortsetze. <?page no="164"?> 164 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Die ärztlichen Leistungserbringer werden im Rahmen der Selektivverträge abweichend vom Regelsystem nicht durch die an die KVen geleistete Gesamtvergütung entgolten. Den leistungsrechtlichen Anforderungen müssen die angebotenen Leistungen gleichwohl genügen. Hierauf verweist § 140a II 3 SGB V, der auf die Grundsätze der Qualitätssicherung, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Versorgung verweist. Zudem wird klargestellt, dass durch die IV Negativentscheidungen des GBA über neue Behandlungsmethoden 21 nicht umgangen werden dürfen, § 140a II 3 SGB V. c. Teilnahme an der besonderen Versorgung Versicherte können an der besonderen Versorgung gemäß § 140a IV SGB V freiwillig teilnehmen, sofern ihre Krankenkasse entsprechende Verträge abgeschlossen hat. Der Beitritt zu Versorgungsverträgen anderer Krankenkassen ist nicht möglich. 22 Die Teilnahme hat für die Versicherten den Vorteil, dass sie sich ihre Behandlungen nicht mehr selbst organisieren müssen. Stattdessen werden sie nach Stellung der Diagnose gezielt an die „passenden“ beteiligten Leistungserbringer überwiesen. Auch die Nachsorge wird standardmäßig einbezogen, um Folgeerkrankungen zu vermeiden. Zudem gewähren die Krankenkassen ihren Versicherten regelmäßig Boni für die Teilnahme an IV-Programmen, indem sie Wahltarife nach § 53 III SGB V anbieten. Wollen Versicherte an der Integrierten Versorgung teilnehmen, müssen Sie dies schriftlich gegenüber ihrer Krankenkasse erklären, § 140a IV 1 SGB V. Die Krankenkassen haben - basierend auf ihrer Satzung - nähere Vorgaben zur Bindung der Versicherten an diese Programme in den Teilnahmeerklärungen zu verankern. Beispielsweise sind der zeitliche Rahmen zu regeln, aber auch die Folgen von Pflichtverstößen und unzureichender Mitwirkung der Versicherten. Damit wird im Vergleich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes 2015 ein höheres Maß an Verbindlichkeit sichergestellt. 23 3. Strukturierte Behandlungsprogramme, § 137f SGB-V In Disease Management Programmes (DMP) werden hoch spezialisierte Leistungen für besonders schwere Erkrankungen oder besondere Krankheitsverläufe angeboten, um eine Verschlechterung der Erkrankung oder das Auftreten von Folgeerkrankungen zu verhindern. Damit soll die Versorgung chronisch kranker Versicherter verbessert werden. Die Auswahl geeigneter Krankheitsbilder obliegt dem GBA, § 137f I 1 21 Dazu ausführlich auf S. 84 ff. 22 Engelhard in Hauck/ Noftz, SGB V, § 140a, Rn. 16. 23 Kritisch zur vorherigen Regelung Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 140a, Rn. 15. <?page no="165"?> C. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern 165 SGB V. 24 Dieser trifft unter Beteiligung von Patientengruppen, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie Fachärzten für die jeweiligen Krankheitsbilder Empfehlungen für die Aufnahme bestimmter Krankheiten in die DMP sowie für die Ausgestaltung der abgestimmten Behandlung. Dabei hat er sich von den in § 137f I 2 SGB V genannten Kriterien leiten zu lassen. Die Empfehlungen werden dem Bundesministerium für Gesundheit übermittelt und fließen in eine vom Ministerium nach § 266 VII Nr. 3 SGB V zu erlassende Rechtsverordnung ein. Liegen sämtliche in § 137f SGB V und der Rechtsverordnung etablierten Voraussetzungen vor, aber auch erst in diesem Zeitpunkt ihres erstmaligen Vorliegens, besteht nach § 137g I 1 SGB V ein Anspruch auf Zulassung des DMP. 25 Die im Rahmen der strukturierten Behandlungsprogramme anfallenden Kosten werden im Risikostrukturausgleich 26 gesondert berücksichtigt. Bislang ist die Durchführung von DMP empfohlen für die Behandlung von Diabetes mellitus, Brustkrebs, koronare Herzerkrankungen, Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen. Auch die chronische Herzinsuffizienz oder starkes Übergewicht sollen im Rahmen strukturierter Behandlungsprogramme berücksichtigt werden. 27 Die Krankenkassen und ihre Verbände schließen mit den in Betracht kommenden Leistungserbringern Verträge über die Durchführung der DMP, § 137f VII SGB V. In diesen werden auch Regelungen über die Dokumentation, die Qualitätssicherung und die Vergütung getroffen. Den Beteiligten stehen alle geeigneten, im SGB V vorgesehenen Vertragsformen offen. DMP können daher sowohl über Kollektivals auch über Einzelverträge realisiert werden. 28 Ziel ist die Vernetzung von ambulanter und stationärer Behandlung sowie die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Die gesamte Behandlung steht unter „Aufsicht“ eines koordinierenden Arztes. Dieser wird vom Patienten frei gewählt und erstellt gemeinsam mit diesem einen persönlichen Therapieplan. Durch eine engmaschige Evaluierung der Behandlungsergebnisse findet eine besondere Qualitätssicherung statt. Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen (Evidenz) der angebotenen Leistungen werden zudem in regelmäßig aktualisierten wissenschaftlichen Studien überprüft. Die Patienten sollen aktiv an der Behandlung mitwirken; ihre Beteiligung an dem Programm insgesamt ist jedoch freiwillig, § 137f III SGB V. Einen Anreiz zur Teilnahme bieten die Wahltarife, die die Krankenkassen nach § 53 III SGB V ihren Versicherten anbieten können. Es können Prämien oder Zuzahlungsbefreiungen gewährt werden. 24 Baierl in jurisPK-SGB V, § 137f, Rn. 137. 25 BSGE 105, 251. 26 Dazu ausführlich auf S. 62. 27 Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 137f, Rn. 4; Regelin in Spickhoff, Medizinrecht, § 137g SGB V, Rn. 4. 28 Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 137f, Rn. 16; Baierl in jurisPK-SGB V, § 137f, Rn. 16. <?page no="166"?> 166 5. Kapitel: Vertragsarztrecht III. Zusammenfassung: Kollektiv- und Einzelverträge in der GKV 29 Kollektivverträge Einzelverträge Vertragspartner − Kassenärztliche Vereinigungen − Verbände der Krankenkassen − zugelassene Ärzte, MVZ, Gemeinschaften der Leistungserbringer, ärztlich geleitete Einrichtungen − einzelne Krankenkassen − KV nur im Einzelfall Vertragsschluss − verpflichtend − verpflichtend nach § 73b SGB V − im Übrigen freiwillig Vertragsinhalt − Sicherstellung der Versorgung der Versicherten, §§ 2 II 3, 72 II SGB V − hausarztzentrierte Versorgung, § 73b SGB V − ambulante spezialfachärztliche Versorgung, § 116b SGB V − Integrierte Versorgung, § 140a SGB V Vergütung − Gesamtvergütung, § 85 SGB V − gesonderte vertraglich vereinbarte Vergütung Teilnahme − verpflichtend − freiwillig für Versicherte und Ärzte Anreize − keine − Befreiung von Zuzahlungen oder Leistung von Prämien an Versicherte Qualitätssicherung − verpflichtend nach § 135 II SGB V, Strukturverträgen und Richtlinien des GBA − je nach Vertragsinhalt; Richtlinien des GBA als Richtschnur 29 Zusammengefasst nach Schiller/ Rückeshäuser in HK-AKM, Beiträge: Selektivverträge, Rn. 8 ff. <?page no="167"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 167 D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung Ärzte dürfen gesetzlich versicherte Patienten nur dann auf Kosten der Krankenkassen behandeln, wenn sie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, § 95 I SGB V. Die Zulassung wird gemäß § 96 I SGB V durch einen Zulassungsausschuss erteilt. Dieser wird von der zuständigen KV und den Landesverbänden der Krankenkassen für den jeweiligen KV-Bezirk als Zulassungsbezirk gebildet. Die Zulassung wie auch ihre Versagung sind Verwaltungsakte. Sie können sowohl durch die betroffenen Ärzte als auch durch die Krankenkassenverbände oder die Kassenärztlichen Vereinigungen durch Widerspruch angegriffen werden. Dazu müssen sie gemäß § 96 IV SGB V den Berufungsausschuss anrufen. Der Berufungsausschuss wird ebenfalls für jeden KV-Bezirk von den KVen und den Landesverbänden der Krankenkassen als Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung eingesetzt, § 97 SGB V. Die Anrufung hat gemäß § 96 IV 2 SGB V aufschiebende Wirkung. Der betreffende Arzt darf daher seine Tätigkeit so lange nicht aufnehmen, bis über den Widerspruch entschieden oder dieser zurückgenommen worden ist. Eine Ausnahme hat das BSG 30 jedoch für die Fälle gemacht, in denen nicht der Arzt selbst, sondern ein Dritter - beispielsweise ein Konkurrent um eine Vertragsarztstelle - die Entscheidung des Zulassungsausschusses anfechten will. Hier soll die aufschiebende Wirkung erst eintreten, wenn der Arzt Kenntnis von der Anrufung des Ausschusses erhält. Bis dahin darf er seine Leistungen auf Kosten der Krankenkassen erbringen. Das BSG ist damit von seiner früheren Rechtsprechung abgewichen, wonach die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs immer auf den Zeitpunkt des Erlasses der Zulassung zurückwirken solle. Folglich waren bis dahin erbrachte Leistungen im vertragsärztlichen System ebenfalls rückwirkend unwirksam und konnten nicht abgerechnet werden. Die Rechtsprechung wurde daher als unpraktikabel kritisiert. Sie stand auch im Widerspruch zum Vertrauensgrundsatz, konnte die Wirksamkeit der Zulassung danach doch nicht wie üblich mit Bekanntgabe, sondern erst mit Bestandskraft eintreten. 31 Gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses steht gemäß § 51 I Nr. 2 SGG der Klageweg zum Sozialgericht offen. 30 BSG, MedR 2010, 128 mit Anm. Langhoff. 31 Dazu ausführlich Bracher, MedR 2001, 452. <?page no="168"?> 168 5. Kapitel: Vertragsarztrecht I. Verfassungsmäßigkeit des Zulassungserfordernisses Das Zulassungserfordernis greift zwar in die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 I GG ein. Da ca. 90 % der Bevölkerung gesetzlich versichert sind, steht dem nicht zugelassenen Arzt lediglich ein vergleichsweise kleiner Patientenkreis offen. Denn ohne Zulassung kann ein niedergelassener Arzt keine Leistungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen. Die Zulassung steht daher einer Berufszulassungsschranke nahe, an deren Zulässigkeit besonders strenge Voraussetzungen geknüpft sind. 32 Die Berufsausübungsfreiheit darf beschränkt werden, wenn besonders wichtige Interessen der Allgemeinheit berührt sind, die nicht anders geschützt werden können. 33 In den 1960er Jahren hatte das BVerfG noch keinen Rechtfertigungsgrund für das Zulassungserfordernis gesehen. 34 Die Rahmenbedingungen haben sich seitdem jedoch maßgeblich geändert. So waren im Zeitpunkt des Kassenarzt-Urteils erst ca. 50 % der Bevölkerung Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Zahl der praktizierenden Ärzte ist seitdem ebenfalls signifikant gestiegen. Dem Gesetzgeber war daher die Regelung des Zugangs zur vertragsärztlichen Versorgung nicht auf Dauer verwehrt. Zu den Eingriffe in Art. 12 I GG rechtfertigenden schützenswerten Interessen zählt zum einen die Realisierung einer bedarfsdeckenden Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen. Diesen Bedarf berücksichtigen die Zulassungsausschüsse in ihrer Entscheidung. Überwie Unterversorgung sollen vermieden und die Zahl der vorhandenen Ärzte mit dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung in Einklang gebracht werden. Damit wird auch die Qualität der ärztlichen Leistungen gesichert, bestünde doch in einem ungeregelten freien Wettbewerb die Gefahr, dass die Patientenakquise um jeden Preis die Beachtung standesrechtlicher Maßstäbe gefährdet und Ärzte beispielsweise zu Großzügigkeit bei Krankschreibungen oder der Verschreibung von Medikamenten verleiten könnte. Damit wäre zugleich die finanzielle Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt betroffen, die die Kosten ungesteuerter Leistungen schultern müsste. Die Sicherung der Leistungsfähigkeit und die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung hat nunmehr auch das BVerfG als hochrangiges Gemeinwohlinteresse angesehen, das eine an der Bedarfsplanung orientierte Zulassung als Voraussetzung für die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten legitimiert. 35 32 BVerfGE 11, 30 („Kassenarzt-Urteil“). 33 BVerfGE 7, 377 („Apotheken-Urteil“); BVerfGE 12, 144 („Kassen-Zahnärzte-Urteil“). 34 BVerfGE 11, 30; BVerfGE 12, 144. 35 BVerfG, MedR 2001, 639. <?page no="169"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 169 II. Voraussetzungen der Zulassung Die Voraussetzungen, unter denen die Zulassung erteilt werden kann, ergeben sich aus § 95 II SGB V und der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). 1. Einzelzulassung Gemäß § 95 II SGB V kann jeder Arzt eine Zulassung beantragen, der im Arztregister der für seinen Wohnort zuständigen KV eingetragen ist. Die Eintragung erfolgt nach der Approbation als Arzt und dem erfolgreichen Abschluss einer allgemeinmedizinischen Weiterbildung oder der Weiterbildung in einem anderen Fachgebiet zum Facharzt, § 95a SGB V, § 3 Ärzte-ZV. Der approbierte Arzt muss sein Fachwissen also auf einem abgegrenzten Fachgebiet, beispielsweise der Chirurgie oder der Inneren Medizin, hinreichend vertieft haben. 36 Der Arzt muss für die vertragsärztliche Tätigkeit geeignet sein. An der Eignung fehlt es, wenn der Arzt dem in § 20 I Ärzte-ZV verankerten Präsenzgebot nicht genügt. Er muss, sofern er weitere Tätigkeiten ausübt, sicherstellen, dass er im erforderlichen Maße persönlich zur Versorgung der Versicherten zur Verfügung steht. Dies schließt regelmäßige Sprechstunden sowie die Teilnahme am Notfalldienst ein. In der Rechtsprechung ist eine anderweitige Berufstätigkeit im Umfang von 13 Wochenstunden noch als zulässig erachtet worden. Eine strikte zeitliche Grenze ist jedoch nicht anzulegen. Vielmehr ist im Einzelfall zu überprüfen, ob die vertragsärztliche Tätigkeit als Hauptberuf des um Zulassung Ersuchenden ausgeübt und dass diese durch gleichzeitige weitere Beschäftigungen nicht gehindert oder gestört wird. 37 Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber in § 20 I 1 ÄrzteZV aufgenommen: Entscheidend ist, dass der Arzt unter Berücksichtigung der Dauer und zeitlichen Lage der anderweitigen Tätigkeit den Versicherten persönlich zur Verfügung steht und insbesondere Sprechstunden im üblichen Umfang anbieten kann. Starre Grenzen sind daher nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin nicht angezeigt. 38 Ärztliche Nebentätigkeiten dürfen nach § 20 II Ärzte-ZV nicht zu Interessenkonflikten führen. Sie müssen also ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz zu vereinbaren sein. Eine Interessenkollision steht zu befürchten, wenn sich die vertragsärztliche mit der ärztlichen Nebentätigkeit vermischt und der 36 Ausführlich Meschke in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 3, Rn. 4 ff.; Filler in Schallen, Ärzte-ZV, § 3, Rn. 15 ff. 37 BSGE 89, 134; dazu Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 20, Rn. 8 ff.; Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 95 SGB V, Rn. 8; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 20 ÄrzteZV, Rn. 3 ff. 38 BT-Drs. 17/ 6906, S. 104. <?page no="170"?> 170 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Arzt dadurch verleitet wird, einzelne Leistungen aus rein persönlichen Interessen ohne sachlichen Grund - beispielsweise wegen attraktiverer Gegenleistungen - vom einen in den anderen Arbeitsbereich zu verlagern. Gleiches gilt für den Fall, dass der Arzt aufgrund seiner Einbindung in andere betriebliche Abläufe daran gehindert ist, frei über die sachlichen und persönlichen Mittel in seiner Praxis zu entscheiden. Beispiel Nach diesen Maßstäben sind die gleichzeitige Tätigkeit als Vertragsarzt und Betriebsarzt 39 oder als Psychotherapeut 40 als unzulässig angesehen worden. Für zulässig wurde dagegen die gleichzeitige Tätigkeit als Krankenhausarzt und als Pathologe erachtet. 41 Die parallele Tätigkeit als angestellter Arzt in einem zugelassenen Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung stellt ebenfalls keinen Hinderungsgrund für die Zulassung als Vertragsarzt dar. Darüber hinaus ist die Zulassung an die gesundheitliche Eignung des Arztes geknüpft. Diese fehlt gemäß § 21 Ärzte-ZV bei schwerwiegenden geistigen oder persönlichen Mängeln. Beispielhaft ist die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder Alkohol in den letzten fünf Jahren vor Beantragung der Zulassung genannt. Daneben können dauerhafte schwere Erkrankungen, aber auch die Verletzung von Standesrecht oder Verurteilungen wegen Straftaten einen Versagungsgrund bilden, die den Schluss darauf zulassen, dass der Arzt den Patienten oder dem vertragsärztlichen System als solchem Schaden zufügen könnte. 42 Die vormals in § 25 Ärzte-ZV verankerte Altersgrenze von 55 Jahren, oberhalb derer keine Zulassung mehr erlangt werden konnte, ist 2007 abgeschafft worden. Der Gesetzgeber hatte diese Grenze zunächst um der Stabilität der GKV Willen für notwendig erachtet. Wer das 55. Lebensjahr vollendet habe - so die Argumentation - dem verbleibe nur ein kurzer Zeitraum für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, innerhalb dessen unter gewöhnlichen Umständen die Praxiskosten nicht amortisiert werden könnten. Es bestehe daher die Gefahr, dass der Arzt aus wirt- 39 BSGE 80, 130. 40 BSGE 89, 134. 41 BSGE 81, 143. 42 Mit weiteren Beispielen Schallen, Ärzte-ZV, § 21, Rn. 2 ff.; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 21 ÄrzteZV, Rn. 1. <?page no="171"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 171 schaftlichen Gründen zu ausufernden, medizinisch nicht notwendigen Leistungen verleitet würde. 43 2. Zulassung zur kooperativen Leistungserbringung a. Gemeinschaftspraxis Beabsichtigen mehrere Ärzte, ihre Leistungen im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis anzubieten, bedarf diese Berufsausübungsgemeinschaft der Zulassung, § 33 III Ärzte- ZV. Diese wird erteilt, wenn sichergestellt ist, dass nicht gegen tragende Grundsätze des Berufs- oder des Vertragsarztrechts verstoßen wird. Namentlich muss dem Recht des Patienten auf freie Arztwahl genügt werden. Die gemeinschaftliche Berufsausübung darf nicht zur Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen führen und die Grenzen der ärztlichen Fachgebiete müssen eingehalten werden. Die Gemeinschaftspraxis kann als örtliche Berufsausübungsgemeinschaft unter einem Dach an ein und demselben Vertragsarztsitz organisiert werden. Nach § 33 II 2 Ärzte-ZV sind aber auch überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften zulässig. In diesen Fällen hat die Gemeinschaftspraxis mehrere Filialen, die am Vertragsarztsitz, aber in anderen Stadtteilen, jedoch auch in unterschiedlichen KV-Bezirken angesiedelt sein können. Die Zulässigkeit der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft ist daran geknüpft, dass die beteiligten Vertragsärzte an allen Sitzen ihre Leistungspflichten im erforderlichen Umfang ordnungsgemäß erfüllen können. 44 Die Errichtung einer Gemeinschaftspraxis bedarf der Genehmigung durch den Zulassungsausschuss, § 33 III Ärzte-ZV. Überschreitet die Berufsausübungsgemeinschaft die Grenzen eines KV-Bezirks, vereinbaren deren Gesellschafter, welcher Bezirk für die Zulassung, aber auch für die Abrechnung sowie die Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen zuständig sein soll. Diese sogenannte Betriebsstätte ist danach auszuwählen, wo der Schwerpunkt der Tätigkeit der Gemeinschaftspraxis liegt. Lässt sich ein solcher nicht ausmachen, können die Gesellschafter frei wählen. 45 An ihre Entscheidung sind sie für zwei Jahre gebunden, § 33 III 4 Ärzte-ZV. b. Medizinisches Versorgungszentrum Nach § 95 I 1 SGB V können nicht nur einzelne Ärzte, sondern auch medizinische Versorgungszentren (MVZ) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Dabei handelt es sich gemäß § 95 I 2 SGB V um 43 Dazu BSG, NZS 1994, 429; BSGE 73, 223. 44 Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 239; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 33 ÄrzteZV, Rn. 11; Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 181. 45 Rothfuß in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 33, Rn. 47; zu den Gestaltungsmöglichkeiten vgl. auch Michels, MedR 2011, 411. <?page no="172"?> 172 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Q ärztlich geleitete Einrichtungen, Q in denen im Arztregister eingetragene Ärzte Q als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Die MVZ waren ursprünglich so konzipiert, dass sie unter einem Dach fachübergreifend Leistungen zur Verfügung stellen und somit eine medizinische Versorgung „aus einer Hand“ anbieten sollten. Zu diesem Zweck sollten die im MVZ tätigen Leistungserbringer eng zusammen arbeiten, etwa durch die Abstimmung von Behandlungszielen und Therapieplänen für einzelne Patienten. Dadurch können Doppeluntersuchungen und -therapien, abweichende Diagnosen oder widersprüchliche Medikationen vermieden und dem Bedürfnis des Patienten nach zielgerichteter und effektiver Behandlung Rechnung getragen werden. Durch die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen, Personal, Geräten und anderen technischen Einrichtungen sowie durch die gemeinsame Verwaltung werden Zeit und Kosten eingespart. Dem interdisziplinären Ansatz war genügt, wenn mindestens zwei Ärzte verschiedener Fachrichtungen oder verschiedener Schwerpunktbezeichnungen innerhalb derselben Fachrichtung am MVZ beteiligt waren. Es war nicht notwendig, dass sich die Fachgebiete oder Schwerpunkte komplementär ergänzen. Das Erfordernis der fachübergreifenden Besetzung von MVZ ist mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 46 jedoch vollständig entfallen. Seither können auch Ärzte gleicher Fachgruppen in einem Versorgungszentrum tätig sein und auch die vormals unzulässige Kooperation mehrerer an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte in einem MVZ (§ 95 I 3 HS 2 SGB V a. F.) ist nunmehr zulässig. Damit wird zwar die Gründung von MVZ erleichtert, jedoch verschwimmt der Unterschied zu anderen Formen der kooperativen Berufsausübung und der grundlegende Vorteil der Fachgrenzen überschreitenden, eng auf einander abgestimmten Patientenbehandlung geht verloren. Auch nach der Reform ist die Gründung von MVZ nur durch mindestens zwei Ärzte möglich; sogenannte Mono-MVZ sind weiterhin nicht vorgesehen. 47 Die medizinischen Versorgungszentren durften zunächst von allen Leistungserbringern gegründet werden, die aufgrund einer Zulassung, Ermächtigung oder eines Vertrages an der Versorgung gesetzlich versicherter Patienten teilnehmen. Damit stand die Gründung auch Apotheken, Krankenhäusern, 48 Psychotherapeuten oder Erbringern von Heil- oder Hilfsmitteln offen. 49 Nach § 95 Ia 1 HS 1 SGB V ist der Gründerkreis inzwischen beschränkt auf Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztli- 46 vom 16.7.2015, BGBl. I S. 1211. 47 Schaks, NZS 2016, 761, 762 f. 48 Dazu Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 190 ff. 49 Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, Anhang zu § 18, Rn. 2; Düring in Schallen, Ärzte-ZV, Vorbem. zu § 18, Rn. 16 ff.; Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 854; Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 95 SGB V, Rn. 18 f. <?page no="173"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 173 cher Dialyseleistungen oder gemeinnützige Träger, die aufgrund einer Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Hintergrund der Restriktion ist die Tatsache, dass die Rechtsform des MVZ bis dahin Investoren ohne jedweden medizinisch-fachlichen Bezug als „Türöffner“ für den Erwerb des Status eines Leistungserbringers in der GKV missbraucht werden konnte. 50 Seit 2015 dürfen auch Kommunen Versorgungszentren gründen. Ihnen ist damit die Möglichkeit eingeräumt, die regionale Gesundheitsversorgung aktiv zu steuern und zu verbessern. 51 Beispiele Ein Kinderarzt, eine niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und ein Krankenhaus mit Neonatalstation zur Versorgung Frühgeborener können sich zu einem MVZ zusammenschließen. Unzulässig ist jedoch die Gründung eines MVZ durch einen niedergelassenen Hausarzt, einen ambulanten Pflegedienst und einem auf Pflegebedürftige spezialisierten Hilfsmittellieferanten. Die zulässigen Rechtsformen eines MVZ sind auf Personengesellschaften, e.G. oder GmbH beschränkt, § 95 Ia 1 HS 2 SGB V. Damit soll sichergestellt werden, dass die ärztliche Tätigkeit im MVZ von Kapitalinteressen unbeeinflusst durchgeführt werden kann. 52 Üblicherweise wird die Rechtsform der GbR gewählt. 53 Unzulässig ist die Gründung eines MVZ als oHG oder KG, da diese Gesellschaftsformen den Betrieb eines Handelsgewerbes voraussetzen. Die freiberufliche ärztliche Tätigkeit kann jedoch nicht als solches qualifiziert werden. 54 Die Leitung muss in den Händen eines Arztes liegen. Sind nichtärztliche Leistungserbringer beteiligt, ist auch eine kooperative Leitung möglich. Es ist jedoch auch in diesen Fällen mindestens ein Arzt an der Leitung zu beteiligen. Dieser muss Mitglied der KV sein, in dessen Bezirk das MVZ seinen Sitz nehmen wird. Er muss zwingend selbst - sei es als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt - im MVZ praktizieren, § 95 I 3 SGB V. Die Leitung ist nicht als rechtliche oder kaufmännische Befugnis im Sinne einer Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht zu verstehen. Diese kann 50 BT-Drs. 17/ 6906, S. 70 f. Ausführlich Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 73; Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (78 f.); Kaufmann/ Grühn, MedR 2012, 297 (298). Kritisch, vor allem zur verfassungsrechtlichen Dimension Scholz/ Buchner, NZS 2011, 401 (404 ff.). 51 BT-Drs. 18/ 4095, S. 105; ausführlich Kingreen/ Kühling, DÖV 2018, 890. 52 Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (79 f.); Kaufmann/ Grühn, MedR 2012, 297 (298); Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 86 ff. 53 Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, Anhang zu § 18, Rn. 19, 27 f. 54 Schallen, Ärzte-ZV, Vorbem. § 18, Rn. 29. <?page no="174"?> 174 5. Kapitel: Vertragsarztrecht auch einer Management-Gesellschaft übertragen werden. Sie bezieht sich vielmehr auf die Beaufsichtigung der medizinischen Leistungserbringung 55 und ist kollegial auszugestalten. Der ärztliche Leiter hat daher beispielsweise keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Angehörigen des MVZ. Für die MVZ gelten im Übrigen die gleichen zulassungsrechtlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen wie für einzelne Vertragsärzte, namentlich die im Folgenden geschilderten Grundsätze der Bedarfsplanung. 3. Ermächtigung Mit der Ermächtigung nach § 116 SGB V i. V. m. § 31 I Ärzte-ZV bietet sich angestellten Krankenhausärzten die Möglichkeit zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Die Ermächtigung wird nach § 95 IV, V SGB V vom Zulassungsausschuss der KV und der Landesverbände der Krankenkassen erteilt. Sie ist subsidiär zur Zulassung 56 und kommt daher nur in Betracht, wenn anderenfalls die ausreichende medizinische Versorgung der Versicherten nicht sichergestellt ist. Es müssen also quantitative oder qualitative Lücken in der Bedarfsdeckung bestehen, die durch die zugelassene niedergelassene Ärzteschaft nicht befriedigt werden können. 57 Die Beurteilung, ob ein Nachfrageüberhang besteht, obliegt dem Zulassungsausschuss. Dieser hat einen Beurteilungsspielraum, so dass seine Entscheidung nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Im Streitfall kann das Gericht lediglich prüfen, ob der vom Zulassungsausschuss angelegte Beurteilungsmaßstab erkennbar und nachvollziehbar ist. Steht danach eine Bedarfsdeckungslücke fest, besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der Ermächtigung („ist zu erteilen“). 58 Statt der Einzelermächtigung für einen bestimmten Krankenhausarzt nach § 116 SGB V kann auch eine Institutsermächtigung für ein Krankenhaus nach § 116a SGB V erteilt werden. Voraussetzung ist wiederum die Deckung einer Bedarfslücke. Die Institutsermächtigung ist subsidiär und daher nur zulässig, wenn der Ermächti- 55 Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, Anhang zu § 18, Rn. 69; Schallen, Ärzte-ZV, Vorbem. § 18, Rn. 76; Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 95 SGB V, Rn. 17; Möller/ Makoski in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 843 f.; Scholz/ Buchner, NZS 2011, 401 (402). 56 Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 135; Szabados in Spickhoff, § 116 SGB V, Rn. 6. 57 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 116, Rn. 9; Schroeder-Printzen in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 7, Rn. 402 ff.; Joussen in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 116 SGB V, Rn. 1. 58 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 16, Rn. 68. <?page no="175"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 175 gung einzelner Ärzte Hindernisse entgegenstehen. 59 Ihre Erteilung steht im Ermessen des Zulassungsausschusses („kann … ermächtigen“). Die Ermächtigung hat zur Folge, dass der Krankenhausarzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet ist, d. h. er darf Leistungen der ambulanten Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbringen. Der Arzt bzw. das Krankenhaus ist in die freie Arztwahl der Versicherten nach § 76 SGB V einbezogen. 60 Die ermächtigten Ärzte und Krankenhäuser tragen jedoch nur nachrangig zur Sicherstellung der Versorgung bei. Sie dürfen daher nicht allgemein alle ambulanten Leistungen erbringen, sondern nur solche, bei denen die ausreichende Versorgung der Versicherten sonst nicht sichergestellt wäre. Das Aufgabenfeld ist daher in der Ermächtigung ausdrücklich zu umschreiben, § 31 VII Ärzte-ZV. Die Ermächtigung wird regelmäßig auf zwei bis drei Jahre befristet. In dieser Periode darf sie im Interesse der Rechts- und Planungssicherheit selbst bei geänderter Bedarfslage nicht widerrufen werden. Denn der Arzt bzw. das Krankenhaus soll sich darauf verlassen können, Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbringen zu können. 61 Nach Fristablauf endet die Ermächtigung automatisch, ohne dass es hierzu eines weiteren Verwaltungsaktes bedarf. Abzugrenzen sind die von den ermächtigten Ärzten erbrachten Leistungen zu solchen ambulanten Leistungen, die der stationären Versorgung zuzurechnen sind. Dazu zählen alle Maßnahmen, die im Hinblick auf eine bevorstehende stationäre Behandlung unter Verantwortung eines Krankenhausarztes erbracht werden und eine ansonsten erforderliche stationäre Behandlung ersetzen, an ihre Stelle treten oder überflüssig machen. Dies betrifft beispielsweise präoperative Eigenblutspenden. Für solche Leistungen darf keine Ermächtigung erteilt werden. 62 III. Bedarfsplanung Mit der Bedarfsplanung ist in §§ 99 ff. SGB V eine zweite Zulassungshürde verankert. Auch wenn ein Arzt die in § 95 II SGB V und der Ärzte-ZV genannten Voraussetzungen erfüllt, wird ihm die Zulassung nicht erteilt, wenn der Bedarf der Bevölkerung durch die bereits zugelassene Ärzteschaft hinreichend gedeckt ist. 59 BSG, MedR 2000, 492, dazu auch Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 116a, Rn. 3, Gamperl in KassKomm, SGB V, § 116a, Rn. 5; Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 144. 60 Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 15, Rn. 47. 61 BSGE 70, 167; 71, 280; BSG, MedR 1997, 286. 62 BSGE 74, 263. <?page no="176"?> 176 5. Kapitel: Vertragsarztrecht 1. Bedarfsregelung nach der RVO In § 368a RVO 63 war zunächst eine Verhältniszahlenregelung getroffen worden: auf 500 gesetzlich versicherte Patienten sollte ein Arzt kommen. Mit der Begrenzung der Ärztezahl wollte der Gesetzgeber einer unkontrollierten Ausgabensteigerung im Gesundheitswesen entgegenwirken. Die Befürchtung, ein ungeregelter Zugang zum Vertragsarztsystem würde die finanzielle Basis der Gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Gleichgewicht bringen, hat das BVerfG nicht geteilt. Vielmehr hat es das Verhältniszahlprinzip als unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 I GG qualifiziert. Ein solcher sei allein zur Abwehr schwerer Gefahren für das Gemeinwohl zulässig. Diese seien aber nicht gegeben. Das BVerfG war der Ansicht, dass die Zulassung weiterer Ärzte keinerlei Auswirkungen auf die Finanzkraft der GKV zeitigen würde, sei doch die Höhe der Gesamtvergütung unabhängig von der Zahl der Ärzte, auf die diese zu verteilen sei. Sofern sich durch eine Abschaffung der Bedarfsplanung die Zahl der Ärzte erhöhe, führe dies zwar zu einer Einkommensminderung für die zugelassenen Ärzte, die aber ihrerseits nicht Existenz bedrohend seien. Höhere Ausgaben seien gegebenenfalls durch Beitragserhöhungen oder andere Einsparmaßnahmen auszugleichen, die im Vergleich zur Zulassungssperre ein milderes und damit verhältnismäßiges Mittel darstellten. 64 Infolge dieses Urteils ist § 368a RVO aufgehoben worden. Jeder Arzt, der die persönlichen Voraussetzungen - Approbation, Geeignetheit und gesundheitliche Eignung - erfüllte, ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden. Die völlig ungesteuerte Zulassung hatte jedoch negative Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten: in einigen Ballungszentren kam es zu einer Überversorgung, in anderen zumeist ländlichen Regionen siedelte sich keine hinreichende Zahl von Ärzten an, um die vollumfängliche und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Daraufhin hat sich der Gesetzgeber zu einer Neuregelung entschlossen und 1986 das Bedarfsplanungsgesetz verabschiedet, welches in der Folge mehrfach modifiziert worden ist. Das Grundanliegen, die Verhinderung von Überwie Unterversorgung, ist jedoch erhalten geblieben. 63 Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911, RGBl. I S. 509. Die Regelungen der RVO zur Krankenversicherung sind mit der Gesundheitsreform 1989 in das SGB V überführt worden. 64 BVerfGE 11, 30. <?page no="177"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 177 2. Bedarfsgesteuerte Zulassung nach §§ 99 ff. SGB-V Die §§ 99 ff. SGB V sehen eine am Bedarf orientierte Steuerung der Zulassung vor. Grundlage des Verfahrens ist ein Bedarfsplan, den die KV im Einvernehmen - d. h. mit ausdrücklicher Zustimmung 65 - der Verbände der Krankenkassen für jeden KV- Bezirk verabschiedet. Darin wird die im Verhältnis zur Einwohnerzahl eines Planungsbereichs zulässige Ärztezahl - gesondert für einzelne Arztgruppen 66 - festgeschrieben. Die zuständigen Landesbehörden haben das Recht zur Beanstandung des Plans, § 99 I 6 SGB V. 67 Neben den Zielen und Erfordernissen der Raumordnung werden bei der Aufstellung des Plans die Landes- und Krankenhausplanung sowie die Struktur ärztlicher Leistungen, insbesondere die Ausgewogenheit zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung berücksichtigt, § 99 I 2 SGB V. Um bundesweit einheitliche Verhältniszahlen zu gewährleisten, orientiert sich die Bedarfsplanung an einer Richtlinie des GBA. 68 Mit dem Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) 69 hat der Gesetzgeber ein Konzept erarbeitet, um eine drohende Unterversorgung, insbesondere in der hausärztlichen Versorgung in ländlichen Gebieten abzuwehren. Orientierten sich die Planungsbereiche bis zu dessen Inkrafttreten an den Grenzen der Landkreise und kreisfreien Städte, 70 sind diese nunmehr nach § 101 I 6 SGB V durch den GBA so festzulegen, dass eine flächendeckende Versorgung der Versicherten ermöglicht wird. Bei der Erstellung des Bedarfsplans dürfen die KVen jedoch von den Richtlinien des GBA abweichen. Dies setzt jedoch gemäß § 99 I 2 SGB V eine regional begrenzte Sondersituation voraus, etwa eine vom Durchschnitt abweichende demografische oder morbiditätsbezogene Struktur der Versicherten. 71 65 BSGE 70, 285; Pawlita in jurisPK-SGB V, § 99, Rn. 11; Sproll in Krauskopf, § 99 SGB V, Rn. 6; Möller, SGb 2011, 557 (562). 66 Anästhesisten, Augenärzte, Chirurgen, Frauenärzte, HNO-Ärzte, Hautärzte, Internisten (gemäß § 101V SGB V), Kinderärzte, Nervenärzte, Orthopäden, Psychotherapeuten, Fachärzte für diagnostische Radiologie, Urologen, Hausärzte (gemäß § 101 V 5 SGB V). 67 Bis 2011 waren sie lediglich „ins Benehmen“ zu setzen, d. h. mit der Gelegenheit zur Stellungnahme über die Planung zu informieren. Zum neuen, weiterreichenden Beanstandungsrecht Möller, SGb 2011, 557. 68 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) vom 15. Februar 2007, BAnz 2007, 3491. 69 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I S. 2983. 70 Tiedemann in Schallen, Ärzte-ZV, § 12, Rn. 19. 71 Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (78); Pawlita in jurisPK-SGB V, § 99, Rn. 16. <?page no="178"?> 178 5. Kapitel: Vertragsarztrecht a. Unterversorgung, § 100 SGB V Wird die im Bedarfsplan vorgesehene Zahl von Vertragsarztsitzen nicht erreicht und ist dadurch die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen unzumutbar erschwert, liegt Unterversorgung vor. Nach § 29 der Bedarfsplanungsrichtlinie ist von Unterversorgung auszugehen, wenn die Zahl der vorgesehenen Hausärzte um 25 % und die der Fachärzte um 50 % unterschritten wird. Bei der Ermittlung des Versorgungsgrads mit fachärztlichen Leistungen sind die von ermächtigten Krankenhausärzten zu erbringenden Leistungen zu berücksichtigen, § 101 I Nr. 2b SGB V. Diese durch das GKV- VStG eingefügte Regelung stärkt die Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, ohne das Subsidiaritätsverhältnis zwischen Zulassung und Ermächtigung als solches zu verändern. 72 Die nach § 90 SGB V zu bildenden Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen 73 haben von Amts wegen zu prüfen, ob Versorgungslücken bestehen. Ist dies der Fall, haben sie der zuständigen KV eine angemessene Frist zur Abhilfe zu setzen, § 100 I SGB V, § 16 Ärzte-ZV. Das gleiche gilt, wenn Unterversorgung droht, also beispielsweise wegen der Altersstruktur der bislang zugelassenen Vertragsärzte absehbar ist. Den KVen stehen verschiedene Möglichkeiten offen, um die ärztliche Versorgung in den unterversorgten Gebieten wieder sicherzustellen. Die Ursachen liegen zumeist in der dünnen Besiedlung der betroffenen Regionen, so dass es vor allem darauf ankommt, Anreize für die Ansiedlung von Praxen zu setzen oder der Gefahr unwirtschaftlicher Praxen zu begegnen. Beispiele Zum einen können die KVen Eigeneinrichtungen gründen. Sie errichten dabei eine Praxis in ihrer Trägerschaft, in der ein Arzt als Angestellter ohne eigenes wirtschaftliches Risiko tätig ist. Eine andere Möglichkeit ist die Gewährung verlorener Zuschüsse. In diesem Fall beteiligt sich die KV an den Investitionen niederlassungswilliger Ärzte in ihre Praxis und an einem Teil ihrer Betriebskosten. Diese Finanzierungshilfen sind von den Ärzten nicht zurück zu zahlen. Bei dieser Variante besteht jedoch die Gefahr des Mitnahmeeffekts: die Niederlassung wird nur errichtet, um die Zuschüsse in Anspruch zu nehmen und nach vergleichsweise kurzer Zeit wieder aufgegeben. 72 Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (78). 73 Die Ausschüsse werden durch die KV und die Landesverbände der Krankenkassen gebildet. Sie sind paritätisch besetzt und sollen die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern fördern. <?page no="179"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 179 Ferner kann der Zulassungsausschuss nach § 116 SGB V angestellte Krankenhausärzte oder nach § 116a SGB V zugelassene Krankenhäuser zur vertragärztlichen Versorgung ermächtigen (Einzelbzw. Institutsermächtigung). Damit sind diese vorübergehend befugt, ambulante Leistungen zu erbringen. 74 Ein innovativer Weg wird in Sachsen gegangen. 75 Dort ist eine hohe Zahl von Hausarztstellen unbesetzt. Wegen der in naher Zukunft zu erwartenden Pensionierung von ca. 40 % der noch tätigen Hausärzte ist eine Unterversorgung bereits absehbar. Sachsen gewährt daher bis zu 150 Studierenden der Medizin Stipendien, die mit einer Patenschaft eines niedergelassenen Arztes verknüpft ist. Die Studierenden erhalten so die Möglichkeit der Hospitation und einer praxisbezogenen Ausbildung. Sie verpflichten sich im Gegenzug, im Anschluss an das Studium eine Weiterbildung zum Allgemeinmediziner zu absolvieren und mindestens vier Jahre in einem unterversorgten Gebiet in Sachsen zu arbeiten. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, ist das Stipendium zurück zu zahlen. Schließlich birgt auch die seit 2015 bestehende Möglichkeit der Gründung kommunaler MVZ einen Ausweg aus der drohenden Unterversorgung. b. Überversorgung, § 101 SGB V Ergibt sich im Rahmen des Zulassungsverfahrens, dass die im Bedarfsplan festgelegte Zahl von Vertragsarztsitzen um mehr als 10 % überschritten ist, liegt Überversorgung vor. Der jeweilige Landesausschuss ist dann verpflichtet, Zulassungsbeschränkungen anzuordnen, §§ 103, 101 I 3 SGB V. Dem Ausschuss ist insoweit kein Ermessen eingeräumt. 76 Besteht eine Zulassungsbeschränkung, kann in den betroffenen Planungsbezirken grundsätzlich keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erreicht werden, selbst wenn ein Arzt alle persönlichen Anforderungen erfüllt. Das BSG hat diese Regelung bestätigt 77 und sich dabei vor allem auf das Bedürfnis gestützt, die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Stünde die Zulassung trotz Überversorgung jedermann offen, bestehe die Gefahr einer „anbieterinduzierten Nachfrage“ nach ärztlichen Leistungen. Ärzte würden also möglicherweise veranlasst, medizinisch nicht notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um sich einen Patientenstamm aufzubauen bzw. zu erhalten. Die damit einhergehenden Kostensteigerungen gefährdeten das finanzielle Gleichgewicht der GKV, das durch andere, mildere Mittel 74 Meschke in in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 16, Rn. 15 ff.; Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 142 ff. 75 www.kvs-sachsen.de „Programm Hausärzte für Sachsen“. 76 Tiedemann in Schallen, Ärzte-ZV, § 16b, Rn. 3; Altmiks in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 103 SGB V, Rn. 2; Pawlita in jurisPK-SGB V, § 103, Rn. 24; Hess in KassKomm, § 103 SGB V, Rn. 8. 77 BSGE 82, 41. <?page no="180"?> 180 5. Kapitel: Vertragsarztrecht nicht ausgeglichen werden könne. Der mit der Zulassungssperre einhergehende Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung sei durch dieses höherrangige Interesse gerechtfertigt. Das BVerfG hat sich in Abweichung von seinem Kassenarzt-Urteil aus dem Jahr 1960 dieser Einschätzung angeschlossen. 78 In einzelnen, explizit im Gesetz geregelten Fällen ist trotz bestehender Zulassungssperre eine Zulassung möglich. Q Sonderbedarfsfeststellung, § 101 I 1 Nr. 3 SGB V: bei punktuellen Lücken in der Versorgung mit vertragsärztlichen Leistungen kann ein Sonderbedarf festgestellt werden. Bei der Einschätzung, ob einzelne Versorgungslücken bestehen, haben die Landesausschüsse die Tätigkeitsgebiete und Altersstruktur der Ärzte, die ambulanten Angebote der ansässigen Krankenhäuser, die Struktur der Wohnbevölkerung sowie die Qualität der Infrastruktur zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass Sonderbedarfe entweder auf die Region oder eine bestimmte Arztgruppe bezogen sein können, § 101 I Nr. 3 SGB V. 79 Die Zulassung im Rahmen der Sonderbedarfsbestellung ist daran gebunden, dass für die Dauer von fünf Jahren nur die Leistungen auf Kosten der GKV abgerechnet werden können, die mit dem Ausnahmetatbestand in Zusammenhang stehen. Der Zulassungsausschuss muss bei seiner Entscheidung über die Zulassung in einem im Grunde überversorgten Bezirk beachten, dass der Sonderbedarf den Umfang einer wirtschaftlich tragfähigen Praxis erreicht. Dabei ist zu ermitteln, ob das Füllen der Versorgungslücke eine besondere medizinisch-technische Ausstattung erfordert, welche Sonderbedarfsleistungen in dem Planungsbereich bisher angefallen und von wem diese in welchem Umfang erbracht worden sind. 80 Q Ist in Großstädten oder anderen großräumigen Planungsbezirken nicht an jedem Ort eine hinreichende Versorgung der Bevölkerung mit bedarfsgemäßen Leistungen möglich, kann ein lokal begrenzter Sonderbedarf festgestellt werden. Besteht ein Mangel an Ärzten, die einen bestimmten Schwerpunkt in einer Arztgruppe abdecken, kann ein schwerpunkt- oder qualitätsbezogener Sonderbedarf festgestellt werden. Dies kommt in Betracht beispielsweise bei einem Mangel an Endokrinologen 81 , an Praxen für ambulantes Operieren oder dem Fehlen einer kardiologischen 78 BVerfG, MedR 2001, 639. 79 Dazu Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (82). 80 BSGE 102, 21: Das Fehlen eines Kinderradiologen in einem Planungsbereich genügt nicht, um einen Sonderbedarf annehmen zu können, wenn radiologische Leistungen bis dahin von anderen Radiologen auch an Kinder erbracht worden sind; dazu ausführlich Tiedemann in Schallen, Ärzte-ZV, § 16b, Rn. 21 ff. Vgl. auch die Übersicht bei Altmiks in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 101 SGB V, Rn. 11 ff. 81 Dabei handelt es sich um Fachärzte für Innere Medizin, die sich schwerpunktmäßig mit den Hormondrüsen befassen. <?page no="181"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 181 Schwerpunktpraxis in einem Planungsbereich, in dem bereits die entsprechend der Planung vorgesehene Zahl von Internisten zugelassen ist. Q Job-Sharing, § 101 I 1 Nr. 4, 5 SGB V: Ferner kommt die ausnahmsweise Zulassung von Ärzten in Betracht, die ihre Tätigkeit gemeinsam mit einem bereits tätigen Vertragsarzt desselben Fachgebiets ausüben wollen - sei es als Partner in einer Gemeinschaftspraxis oder als Angestellte. Voraussetzung ist jedoch, dass durch die Zulassung des weiteren Arztes der bisherige Praxisumfang nicht überschritten wird. Der Patientenstamm und der Umfang der erbrachten Leistungen müssen also im Wesentlichen gleich bleiben. Q Nachbesetzungsverfahren, § 103 IV SGB V: Endet in einer überversorgten Region die Zulassung eines ansässigen Vertragsarztes durch Tod, Verzicht oder Entziehung, kann der frei gewordene Vertragsarztsitz im Nachbesetzungsverfahren mit einem neuen Anwärter besetzt werden. Selbst wenn die Zahl der im Bedarfsplan vorgesehenen Ärzte überschritten ist, wird also mit der Entscheidung über Neuzulassungen nicht gewartet, bis die zulässige Verhältniszahl erreicht ist. Der Grund dafür liegt im verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums in Art. 14 I GG. Dieser würde unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn ein aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheidender Arzt an der wirtschaftlichen Verwertung seiner Praxis gehindert wird. 82 Um eine bereits eingetretene Überversorgung nicht festzuschreiben, kann der Zulassungsausschuss nach § 103 IIIa 3 HS 2 SGB V die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens ablehnen, wenn dies aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. 83 Eine Ausnahme besteht lediglich in den Fällen, in denen die Praxis von einem bereits dort angestellten Arzt oder vom Ehegatten, Lebenspartner oder Kind des bisherigen Vertragsarztes fortgeführt werden soll. 84 IV. Rechtsfolgen der Zulassung Die Zulassung berechtigt und verpflichtet den Arzt gemäß § 95 III SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung am Ort seiner Niederlassung (Vertragsarztsitz). Spezielle Leistungen dürfen in ausgelagerten Praxisräumen erbracht werden, § 24 V Ärzte-ZV. Der Erstkontakt zwischen Arzt und Patient muss jedoch stets am Vertragsarztsitz erfolgen. 85 82 BSGE 85, 1. 83 Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Nachbesetzung werden die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers nur bis zur Höhe des Verkehrswerts berücksichtigt, BSGE 115, 57; 121, 76. Zur Nachbesetzung im MVZ vgl. BSGE 121, 143. 84 Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (83 ff.). 85 Clemens in Schallen, Ärzte-ZV, § 24, Rn. 1. <?page no="182"?> 182 5. Kapitel: Vertragsarztrecht 1. Vertragsarztsitz und Zweigpraxis War zunächst nur der Betrieb einer einzelnen Praxis zulässig, hat das VÄndG die Möglichkeit zum Betrieb von Zweigpraxen eröffnet, und zwar ohne Bindung an die Bezirksgrenzen der KV, § 24 III Ärzte-ZV. Die Zweigpraxis muss von der zuständigen KV genehmigt werden. Soll die Filiale außerhalb des angestammten KV-Bezirks des Arztes liegen, bedarf er einer Ermächtigung durch den Zulassungsausschuss, der für den Ort der Zweigpraxis zuständig ist. Ein Anspruch auf Erteilung dieser Genehmigung bzw. Ermächtigung besteht jedoch nur, wenn und soweit Q die Versorgung der Versicherten auch am Ort der Zweigniederlassung verbessert und Q die ordnungsgemäße Leistungserbringung am Vertragsarztsitz nicht beeinträchtigt wird. Die Verbesserung der Versorgung am Ort der Zweitpraxis beurteilt sich nicht allein nach der Qualität der erbrachten Leistungen. Vielmehr sind auch Aspekte der Bedarfsplanung in die Abwägung einzubeziehen. Führt der Betrieb der Filiale mangels Bedarf zu einer Überversorgung, kann keine Verbesserung der Versorgung angenommen werden. Denn in diesem Fall stünden Ausgabensteigerungen zu befürchten, die die Finanzkraft der gesetzlichen Krankenkassen beeinträchtigen könnten. 86 Zweigpraxen kommen in überversorgten Gebieten daher nur in Betracht, wenn damit Versorgungslücken geschlossen werden, deren Umfang freilich nicht das Ausmaß des § 101 SGB V erreichen müssen. Es genügt beispielsweise, wenn die räumliche Erreichbarkeit von Ärzten für die Patienten verbessert wird. 87 Es muss jedoch sichergestellt werden, dass neben der Zweigpraxis die Versorgung am Vertragsarztsitz weiter erbracht werden kann. Geringfügige Beeinträchtigungen sind unbeachtlich, sofern diese durch die Verbesserung der Versorgung durch die Zweitpraxis aufgewogen werden, § 24 III 1 Nr. 2 a. E. ÄrzteZV. Am Vertragsarztsitz muss der Hauptanteil der vertragsärztlichen Tätigkeit stattfinden. Jedoch müssen nach § 24 III 2 ÄrzteZV nicht mehr zwingend alle Leistungen in der Hauptniederlassung und der Zweigpraxis erbracht werden. Gegebenenfalls darf sich der Arzt angestellter Ärzte bedienen, um seinem Versorgungsauftrag gerecht werden zu können. 86 BayLSG, MedR 2009, 56 ff. mit Anm. Steinbrück. 87 Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 24, Rn. 37 f.; Clemens in Schallen, Ärzte-ZV, § 24, Rn. 88 f.; Ratzel in Spickhoff, § 24 ÄrzteZV, Rn. 5. <?page no="183"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 183 2. Pflicht zur vollzeitigen Berufsausübung Durch die Zulassung wird ein Arzt grundsätzlich zur Ausübung seiner Tätigkeit in Vollzeit verpflichtet, § 19a Ärzte-ZV. Damit soll sichergestellt werden, dass der Vertragsarzt hauptberuflich als solcher tätig ist - nicht zuletzt um dem Präsenzgebot zu genügen und Interessenkonflikte zu vermeiden. Im Verhältnis zu etwaigen Nebenbeschäftigungen muss die vertragsärztliche Tätigkeit also den wirtschaftlichen und zeitlichen Schwerpunkt bilden. Eine Teilzeitbeschäftigung kommt lediglich im Rahmen der Teilzulassung nach § 19a II Ärzte-ZV in Betracht. Diese kann sowohl vor als auch nach der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung betrieben werden. Die Zulassung beschränkt sich sonach auf die Hälfte der hauptberuflichen Tätigkeit und gestattet dem Arzt damit beispielsweise, parallel als angestellter Krankenhausarzt zu arbeiten, Praxen an zwei verschiedenen Vertragsarztsitzen zu betreiben 88 oder verschiedenen fachärztlichen Tätigkeiten - sofern er über hinreichende Weiterbildung verfügt - gleichermaßen nachgehen zu können. 89 3. Präsenzpflicht Nach § 24 II Ärzte-ZV muss der Vertragsarzt an seinem Sitz Sprechstunden abhalten. Dieser Präsenzpflicht genügt er nur, wenn er den Patienten an wöchentlich mindestens 25 Stunden - bei Teilzulassung reduziert sich der Umfang gemäß § 19a I 4 Ärzte-ZV anteilig - die Möglichkeit gibt, ihn persönlich zu konsultieren. Fachärzte müssen nach § 19a I 3 Ärzte-ZV jede Woche mindestens fünf offene Sprechstunden ohne vorherige Terminvereinbarung anbieten. Betreibt ein Arzt mehrere Filialen, muss der Schwerpunkt der Sprechzeiten am Vertragsarztsitz abgehalten werden. In ausgelagerten Praxisräumen dürfen keine Sprechstunden stattfinden. Diese dienen also ausschließlich speziellen Untersuchungen, für die beispielsweise die Kapazitäten am Vertragsarztsitz nicht ausreichen. Die Sprechstunden müssen so geplant werden, dass der Arzt regelmäßig und auch zu solchen Zeiten zu erreichen ist, in denen die Patienten seiner bedürfen. Daher können im Einzelfall auch Sprechzeiten am Abend oder am Wochenende geboten sein. 88 BSG, SozR 4-2500 § 95 Nr. 29. 89 Düring in Schallen, Ärzte-ZV, § 19a, Rn. 16 ff.; Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 357 ff.; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, § 19a ÄrzteZV, Rn. 3. <?page no="184"?> 184 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Neben dem Abhalten der Sprechstunden verpflichtet das Präsenzgebot den Arzt zur ordnungsgemäßen Organisation und Überwachung der Arbeitsabläufe in seiner Praxis und die Abrechnung der erbrachten Leistungen. 90 Bis Ende 2011 resultierte aus der Zulassung die Residenzpflicht des Vertragsarztes. Nach § 24 II 2 Ärzte-ZV a. F. hatten Vertragsärzte ihren Wohnsitz so zu wählen, dass sie für die Versorgung der Patienten am Vertragsarztsitz zur Verfügung stehen, d. h. ihre Praxis in angemessener Zeit aufsuchen können. Das BSG hielt eine Anreisezeit von ca. 30 Minuten vom Wohnsitz zum Vertragsarztsitz noch für zulässig. 91 Die Regelung ist durch das GKV-VStG ersatzlos gestrichen worden, insbesondere um Negativanreize gegen die Niederlassung im ländlichen Raum zu mindern. 4. Besondere vertragsärztliche Behandlungspflicht Nach § 95 III SGB V ist der Vertragsarzt berechtigt und verpflichtet, sich zur Behandlung der Versicherten bereit zu halten und die Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen. 92 a. Recht zur Ablehnung von Patienten Wegen dieser im Sicherstellungsauftrag der KV gründenden Behandlungspflicht steht dem Vertragsarzt grundsätzlich keine Privatautonomie im Hinblick auf die Auswahl seiner Patienten zu. Der Kontrahierungszwang besteht jedoch nur im Verhältnis zur KV. Es handelt sich insoweit um eine aus der Zwangsmitgliedschaft resultierende Pflicht des Arztes. Da § 95 SGB V keine Außenwirkung hat, kann ein Patient darauf gestützt keine Behandlung einklagen. In ihren Satzungen können und müssen die KVen aber Sanktionen festlegen, die im Fall der Behandlungsverweigerung zu verhängen sind, §§ 75 II, 81 V SGB V. Diese können von Verwarnungen oder Verweisen und Geldbußen bis hin zur Anordnung des Ruhens der Zulassung reichen. Die Behandlungspflicht besteht jedoch nicht uneingeschränkt. In § 13 VII BMV-Ä ist statuiert, dass ein Arzt die Behandlung ablehnen darf, wenn ein Patient die Versichertenkarte nicht vorlegt. Im Notfall, also bei akuter Behandlungsbedürftigkeit, gilt dies jedoch nicht. Hier hat der Arzt die unverzüglich gebotenen Maßnahmen zu treffen, um Leben und Gesundheit des Patienten zu stabilisieren. 90 Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 436 und 442; Clemens in Schallen, Ärzte-ZV, § 24, Rn. 28 ff. 91 BSG, MedR 2004, 405. 92 BVerfGE 11, 30. <?page no="185"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 185 Im Übrigen kann in „begründeten Fällen“ die Versorgung eines Patienten verweigert werden. 93 Dies ist der Fall, wenn das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht besteht und auch keine Aussicht besteht, dass dieses begründet werden könnte. Die Ausnahme von der Kontrahierungspflicht muss aber unmittelbar im Arzt-Patienten-Verhältnis gründen und einen Bezug zur medizinischen Versorgung aufweisen. Beispiele Zulässige Ablehnungsgründe sind Q Überlastung des Arztes. Diese ist nur gegeben, wenn der Arzt keine weiteren Patienten annehmen kann, ohne dass dies zu Lasten seines Patientenstammes ginge. Unzulässig ist die Ablehnung von Kassenpatienten, solange der Arzt Privatpatienten zur Behandlung annimmt. Q querulatorisches Verhalten des Patienten, beispielsweise das Nichtbefolgen ärztlicher Anweisungen, das Verlangen nach unzweckmäßigen und unwirtschaftlichen Wunschbehandlungen oder nicht angezeigter Krankschreibungen. Unzulässig ist die Ablehnung eines Patienten Q aufgrund seiner ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung. Selbst wenn letztere den persönlichen Werten des Arztes krass zuwiderläuft, handelt es sich um eine gesellschaftliche Frage, die nicht auf dem Rücken des Kranken ausgetragen werden darf. Q unter Verweis auf die unzureichende Honorierung der Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen. 94 b. Persönliche Leistungserbringung Nach § 32 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt seine Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben. Diese Norm manifestiert die sich aus dem freiberuflichen Charakter des Arztberufs ergebenden Prägungen. Der Arzt soll eigenverantwortlich und selbstbestimmt unter Einsatz eigener wirtschaftlicher und persönlicher Mittel tätig sein. Leistungen, die den Kernbereich ärztlichen Wirkens ausmachen, muss der Arzt selbst vornehmen. Dazu zählen Anamnese, Untersuchung, Stellung von Diagnose 93 Hess in KassKomm, § 95 SGB V, Rn. 76. 94 Statt vieler: BSGE 88, 20. <?page no="186"?> 186 5. Kapitel: Vertragsarztrecht und Indikation sowie die Vornahme medizinischer Eingriffe. 95 Der Arzt darf solche Tätigkeiten allenfalls im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen an Assistenten ohne abgeschlossene ärztliche Ausbildung delegieren. Voraussetzung dafür ist, dass er sich in unmittelbarer Nähe aufhält, den Assistenten hinreichend überwachen und gegebenenfalls sofort eingreifen kann, um Schaden von den Patienten abzuwenden. 96 Hilfsleistungen können vom nichtärztlichen Personal erbracht werden. Dieses darf jedoch nur auf Anweisung des Arztes hin tätig werden, muss fachlich geeignet sein und regelmäßig überwacht werden. Nach § 28 I 3 SGB V erarbeiten die Parteien des Bundesmantelvertrags Kriterien für delegationsfähige Leistungen und die Anforderungen an deren Ausführung. Diese Regelung soll Ärzten und nichtärztlichem Personal zu mehr Rechtssicherheit verhelfen, indem die bislang durch die Rechtsprechung determinierten Regeln zur Delegation ärztlicher Aufgaben durch die Kostenträger und Leistungserbringer exemplarisch definiert werden. 97 Von der Ermächtigung wurde mit Anlage 24 zum BMV-Ä Gebrauch gemacht. Darin wurden die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit der Delegation aufgenommen. c. Einhaltung der Fachgebietsgrenzen Bei seiner Tätigkeit ist der Arzt gehalten, die Grenzen seines Fachgebiets zu beachten. Untersuchungen und Behandlungen, die einer anderen fachärztlichen Qualifikation zuzuordnen sind, darf er nicht vornehmen. Mit dem Erwerb einer Facharztbezeichnung eröffnen sich dem Arzt bestimmte Patientenkreise und wirtschaftliche Chancen, die gerade auf diesen besonderen fachärztlichen Aufgaben basieren. Die Bevölkerung tritt dem Facharzt mit einer gewissen Erwartungshaltung gegenüber. Dieser muss der Arzt entsprechen, indem er sein spezifisches Wissen und gegebenenfalls spezielle Apparaturen verantwortungsvoll einsetzt. Denn nur so kann die Bevölkerung angemessen medizinisch versorgt werden. Für nah beieinander liegende Fachgebiete sind freilich Toleranzgrenzen anzuerkennen. Das dauerhafte Hinwegsetzen über die eigene fachärztliche Qualifikation ist jedenfalls nicht erlaubt. 98 95 Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 32, Rn. 7; Ratzel in Spickhoff, Medizinrecht, vor § 32 ÄrzteZV, Rn. 1. 96 Harwart/ Thome in Schallen, Ärzte-ZV, § 32, Rn. 8 ff. 97 BT-Drs. 17/ 6906, S. 54; dazu auch Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (90). 98 BVerfGE 33, 125. <?page no="187"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 187 Beispiel Ein Facharzt für Röntgenologie und Strahlenheilkunde ist nicht befugt, Elektrokardiogramme (EKG) auszuwerten. 99 Während das EKG die elektrische Aktivität des Herzens mittels Kurvendiagrammen anzeigt, ist die diagnostische Radiologie ihrem Wesen nach auf die Auswertung bildgebender Verfahren angelegt, die das zu untersuchende Organ selbst unmittelbar sichtbar machen. Ein Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe darf auch im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung keine Untersuchungen der Schilddrüsenhormone seiner Patientin vornehmen. 100 Die „gynäkologische Endokrinologie“ kann sich nur auf spezifisch weibliche Hormondrüsen beziehen. Schilddrüsenuntersuchungen kommen demgegenüber bei Männern wie Frauen in Betracht und sind daher der Inneren Medizin zuzuordnen. Erbringt ein Arzt unter Missachtung dieser Grenzen fachfremde Leistungen, kann er diese nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Ein Wechsel der Fachrichtung ist nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Zulassungsausschuss möglich, § 24 VI Ärzte-ZV. Problematisch wird der Wechsel, wenn für das angestrebte Fachgebiet Zulassungsbeschränkungen bestehen. In diesem Fall ist der Wechsel daran geknüpft, dass die Voraussetzungen des § 101 SGB V erfüllt sind, dass also die Zulassung in überversorgten Gebieten ausnahmsweise gestattet ist. 5. Teilnahme am vertragsärztlichen Notdienst Kraft seiner Zulassung ist jeder Vertragsarzt zur Teilnahme am Notdienst verpflichtet. Dieser beinhaltet die Versorgung von Patienten außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten und ist nicht identisch mit dem landesrechtlich organisierten Rettungsdienst, § 75 Ib SGB V. Der Vertragsarzt muss also umfassend und jederzeit für die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags zur Verfügung stehen. 101 Eine Befreiung vom Notdienst kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn er seine eigene Praxis aus gesundheitlichen Gründen nur noch in eingeschränk- 99 BSGE 23, 97; 36, 155. 100 BSG SozR 3-2500, § 95 Nr. 9. 101 BSG, MedR 2009, 428. Ermächtigte Krankenhausärzte müssen nicht am Notdienst teilnehmen, BSG, 12.12.2018, BGKA 50/ 17 R. <?page no="188"?> 188 5. Kapitel: Vertragsarztrecht tem Umfang führt, sodass die Auferlegung einer darüber hinausgehenden Dienstpflicht unzumutbar wäre. Auf fehlende fachliche Kenntnisse, beispielsweise weil er wegen seiner fachärztlichen Spezialisierung keine allgemeinärztlichen Leistungen erbringen könne, kann sich der Arzt nicht berufen. Denn im Notdienst sei lediglich eine Grundversorgung geschuldet, die es dem Patienten ermögliche, zur Weiterbehandlung ohne Verschlechterung seines Gesundheitszustands bis zu den regulären Sprechzeiten zuzuwarten. Diese Maßnahmen der Erstversorgung müssen lediglich mit den „typischen Mitteln des niedergelassenen Arztes“ erbracht werden und erfordern daher kein Spezialwissen. Gegebenenfalls muss der Arzt sicherstellen, dass seine Verpflichtung zur Teilnahme am Notdienst auf eigene Kosten durch einen Vertreter erfüllt wird. Zudem ist er gehalten, über die in §§ 81 IV, 95d SGB V verankerte Fortbildungspflicht seinen Kenntnisstand regelmäßig aufzufrischen und sich damit in die Lage zu versetzen, auch Aufgaben zu erfüllen, die nicht zu seiner regelmäßigen Kerntätigkeit zählen. 102 6. Anstellungsrecht Gemäß §§ 95 IX, IXa SGB V, § 32b ÄrzteZV darf ein Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz und in den von ihm betriebenen Filialen Ärzte anstellen. Für MVZ folgt das Anstellungsrecht aus § 95 I 2 SGB V. Unter einer Anstellung ist die Beschäftigung als Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsvertrags zu verstehen. 103 Vor Inkrafttreten des VÄndG war lediglich die Beschäftigung eines Angestellten in Vollzeit bzw. zweier Angestellten in Teilzeit zulässig. Die Angestellten mussten der gleichen Fachrichtung angehören wie ihr Arbeitgeber und das Gesamtvolumen der abgerechneten Leistungen durfte durch die zusätzlichen Arbeitskräfte nicht ansteigen. Diese Beschränkungen sind nunmehr aufgehoben. Insbesondere ist die fachgebietsübergreifende Anstellung zulässig. Jedoch dürfen für die Arztgruppe, der der anzustellende Arzt angehört, keine Zulassungsbeschränkungen bestehen. 104 In überversorgten Gebieten kommt die Beschäftigung eines weiteren Arztes daher nur in Betracht, wenn ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf i. S. v. § 101 I 1 Nr. 5 SGB V festgestellt worden ist. Die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte können unabhängig von der Bedarfsplanung Anstellungen vornehmen. Die Anzustellenden müssen ihrerseits im Arztregister eingetragen sein. Die Anstellung bedarf der Genehmigung durch den Zulassungsausschuss. Der Vertragsarzt ist für die Überwachung seiner Angestellten zuständig und hat sicherzustellen, dass diese 102 BSGE 33, 165; 44, 252; BSG, MedR 1987, 122; MedR 2007, 504. 103 Joussen in Becker/ Kingreen, SGB V, § 95, Rn. 29. 104 Hess in KassKomm, § 95 SGB V, Rn. 117. <?page no="189"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 189 die vertragsärztlichen Pflichten einhalten. Fachfremde angestellte Ärzte agieren lediglich als Erfüllungsgehilfen des Vertragsarztes. 105 Dies folgt nicht zuletzt aus dem Gebot der Einhaltung der Fachgrenzen. V. Der berufliche Status des Vertragsarztes Die vertragsärztliche Tätigkeit ist kein eigenständiger, gesondert von Art. 12 I GG geschützter Beruf. Es handelt sich lediglich um eine „besondere Ausübungsform“ des Arztberufs in seiner frei praktizierenden Variante. 106 Nach Auffassung des BSG 107 ist der Vertragsarzt Beliehener der Krankenkasse. Unter Beleihung ist die Übertragung von Hoheitsgewalt auf Privatpersonen zu verstehen, die dadurch in die mittelbare Staatsverwaltung eingebunden werden. Zur Begründung verweist das BSG darauf, dass dem Vertragsarzt nicht nur die Kompetenz eingeräumt sei, den Eintritt des Versicherungsfalls „Krankheit“ für die Versicherten wie die Krankenkassen verbindlich festzustellen. Darüber hinaus stehe es ihm zu, verbindlich den geschuldeten Leistungsinhalt festzusetzen und eine Kostentragungspflicht der Krankenkasse auszulösen. Lediglich unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit verbleibe den Kostenträgern eine eigene Einschätzungsbefugnis. Daher sei der Vertragsarzt ein eigenständiges Hoheitssubjekt mit einem eigenverantwortlich wahrzunehmenden Aufgabenkreis. Zwar nehmen Vertragsärzte eine öffentliche, d. h. der Allgemeinheit zugutekommende Aufgabe wahr, wenn sie gesetzlich versicherte Patienten behandeln. Die Zwangsmitgliedschaft in der KV und ihre enge Einbindung in das Gefüge und die Anforderungen des öffentlich-rechtlichen Vertragsarztsystems haben jedoch keine Auswirkungen auf den Charakter des Arztberufs als freier Beruf. Trotz der strengen Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit und des definierten Leistungskatalogs ist der Arzt nicht Dienstnehmer der KV oder der Krankenkassen. Gegenüber seinen Patienten, also im Rahmen des Kernbereichs seines ärztlichen Wirkens ist er weisungsfrei und handelt nur in eigener Verantwortung. Auch das wirtschaftliche Risiko seiner Berufsausübung trägt der Arzt allein. Die gesetzliche Krankenversicherung bedient sich lediglich dieses freien Berufes, um ihrerseits ihre Aufgaben erfüllen zu können. 108 Der 105 Clemens in Schallen, Ärzte-ZV, § 32b, Rn. 12. Zu der durch das GKV-VStG in § 95 IXb SGB V eingeführten Möglichkeit der Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung vgl. Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (81). 106 BVerfGE 11, 30 (41); Steinhilper in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 25, Rn. 1 f.; eingehend Quaas, MedR 2001, 34; Weiß, NZS 2005, 67. 107 BSGE 73, 271; 79, 190; kritisch Sodan, Freie Berufe, S. 102 ff. 108 BVerfGE 11, 30. <?page no="190"?> 190 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Vertragsarzt ist daher weder der mittelbaren Staatsgewalt noch dem öffentlichen Dienst zuzuordnen. 109 VI. Ende der Zulassung Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist nicht befristet oder an bestimmte Bedingungen geknüpft. Gleichwohl unterliegt sie als Verwaltungsakt den allgemeinen Regelungen des Verwaltungsrechts. Daher kommt unter bestimmten Voraussetzungen die Anordnung ihres Ruhens ebenso in Betracht wie ihre Entziehung oder der Verzicht auf ihre Ausübung. 1. Ruhen der Zulassung, § 95 V SGB-V Das Ruhen führt nicht zum Erlöschen der Zulassung, sondern hat lediglich zur Folge, dass diese vorübergehend nicht ausgeübt werden darf. 110 Beim Ruhensbeschluss handelt es sich um einen Verwaltungsakt des Zulassungsausschusses. In diesem ist auch die Dauer des Ruhens anzuordnen, § 26 II Ärzte-ZV. Nach Ablauf dieser Frist lebt die Zulassung automatisch wieder auf und der Arzt tritt ohne gesonderte Anordnung wieder in seine Rechte und Pflichten als Vertragsarzt ein. Zum einen ruht die Zulassung, wenn der Arzt seine Tätigkeit nicht aufnimmt oder ausübt, dies aber in naher Zukunft (wieder) zu erwarten ist. Der Zeitraum, in dem der Arzt an der Aufnahme seiner Tätigkeit gehindert ist, muss also überschaubar sein. Er sollte die Dauer von zwei Jahren nicht überschreiten. Relevant ist dies beispielsweise bei Auslandsaufenthalten oder Erkrankungen des Arztes. 111 Solche Ausfallzeiten kann der Arzt jedoch unter den Voraussetzungen und in den Grenzen des § 32 Ärzte- ZV durch Einstellung eines Vertreters überbrücken. Ferner kann das Ruhen auf Antrag des Arztes angeordnet werden, wenn er als Funktionär in den Vorstand der KV oder KBV gewählt worden ist. 109 Weiß, NZS 2005, 67 (74); Sodan, Freie Berufe, S. 102; Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 15, Rn. 101. 110 Meschke in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 26, Rn. 41; Pawlita in jurisPK-SGB V, § 95, Rn. 479; Hess in KassKomm, § 95 SGB V, Rn. 89. 111 Joussen in Becker/ Kingreen, SGB V, § 95, Rn. 20. <?page no="191"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 191 2. Entziehung der Zulassung, § 95 VI SGB-V Die Zulassung ist zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nach § 18 Ärzte-ZV nicht mehr vorliegen, der Arzt seine berufliche Tätigkeit endgültig 112 nicht aufnimmt oder ausübt oder der Arzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Pflichtverletzungen, die einen Zulassungsentzug rechtfertigen können, müssen wiederholt erfolgen und einen gewissen Schweregrad erreichen, aus dem sich die Ungeeignetheit des Arztes zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ergibt. Das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen und der KV muss durch die Pflichtverletzung so schwer gestört sein, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann. 113 Dazu zählt neben Abrechnungsmanipulationen oder dem Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung auch die ungerechtfertigte Verweigerung der Erbringung von Sachleistungen. Die in § 95 VI 1 SGB V genannten Gründe sind abschließend. Der Entzug stellt wiederum einen Verwaltungsakt dar, der von Amts wegen vom Zulassungsausschuss zu erlassen ist, § 27 Ärzte-ZV. Dem Zulassungsausschuss ist kein Ermessen eingeräumt. Er hat jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen. Die Entziehung der Zulassung nimmt dem Arzt die wirtschaftliche Grundlage seiner Berufsausübung und kann daher nur ultima ratio sein. 114 Als milderes Mittel kommen namentlich die standesrechtlichen Disziplinarmaßnahmen in Betracht. Erst wenn diese keinen nachhaltigen Erfolg zeitigen und den Arzt nicht zu ordnungsgemäßem Verhalten veranlassen können, ist der Zulassungsentzug angezeigt. 3. Fristablauf, § 97 VII SGB-V, § 19 IV Ärzte-ZV Die Befristung der Zulassung gemäß § 98 II Nr. 12 SGB V scheint zwar auf den ersten Blick dem Interesse der Planungssicherheit nicht gerecht zu werden. § 19 IV ÄrzteZV präzisiert die Voraussetzungen der Befristung jedoch dahin, dass diese nur in Planungsbereichen in Betracht kommt, in denen keine Zulassungsbeschränkungen bestehen und in denen der Zulassungsbedarf zu 100 % gedeckt ist. Dem Zulassungsausschuss ist sowohl ein Erschließungsals auch ein Auswahlermessen im Hinblick auf die Dauer der Befristung eingeräumt. 112 In überversorgten Regionen gilt nach § 19 III Ärzte-ZV eine Frist von drei Monaten. Wird innerhalb dieser Zeit die ärztliche Tätigkeit nicht aufgenommen, soll die Zulassung kraft Gesetzes, also ohne gesonderten Verwaltungsakt enden. Für diese Regelung fehlt es jedoch an einer Ermächtigungsgrundlage in § 98 SGB V, vgl. Düring in Schallen, Ärzte-ZV, § 19, Rn. 15; a. A. Großbölting/ Jaklin, NZS 2002, 525 (527) sowie Bäune in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 19, Rn. 17. 113 BVerfGE 69, 233; Großbölting/ Jaklin, NZS 2002, 525 (528) mit Beispielen. 114 BVerfGE 69, 233; Meschke in Bäune/ Meschke/ Rothfuß, Ärzte-ZV, § 27, Rn. 26 ff. <?page no="192"?> 192 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Der Sinn der Regelung erschließt sich vor dem Hintergrund, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Zulassung besteht, solange die Schwelle zur Überversorgung - die gemäß § 101 I 3 SGB V erst bei einem Bedarfsdeckungsgrad von 110 % anzusetzen ist - nicht überschritten ist. 115 Die Befristung soll also bereits die drohende Überversorgung abwenden. Ist danach die Zulassung wirksam befristet worden, endet sie nach § 97 VII SGB V automatisch mit Ablauf des Befristungszeitraums. Auch die Nachbesetzung des befristeten Vertragsarztsitzes ist ausgeschlossen, arg. e § 103 IIIa 1 SGB V. 4. Sonstige Beendigungsgründe, § 95 VII SGB-V Im Übrigen endet die Zulassung durch Q den Wegzug des Arztes aus dem Bezirk der KV. Will er an seinem neuen Wohnort wieder zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten bereit stehen, muss er bei der nunmehr zuständigen KV erneut ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Q den Tod des Vertragsarztes. Sie kann also nicht vererbt werden. Will ein Erbe die Praxis des Verstorbenen übernehmen, muss er sich bei der KV bewerben und wird auf eine Warteliste gesetzt. Er hat keinen Anspruch auf Übernahme der Praxis, sondern lediglich auf pflichtgemäße Ermessensausübung bei der Auswahl eines geeigneten Nachfolgers, § 103 IV, V SGB V. Q das Wirksamwerden eines Verzichts. Dabei handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Selbst in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen muss der Zulassungsausschuss daher dem Verzicht nicht zustimmen. Eine Sonderregelung im Zusammenhang mit einem kollektiven Zulassungsverzicht enthält § 95b SGB V. Der kollektive Zulassungsverzicht ist eine gängige Drohgebärde im (sozialpolitischen) Streit um die Durchsetzung politischer Ziele der berufsständischen Vertretungen der Ärzteschaft. Nach § 95b SGB V stellt der abgestimmte Verzicht auf die Zulassung einen Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten dar. Die Ärzte nähmen mit einer solchen konzertierten Aktion kein individuelles Recht zur Beendigung ihres Status wahr, sondern wollten das Vertragsarztsystem bewusst schädigen, um eigene Interessen durchzusetzen. 116 Versicherte dürfen einen Arzt in diesem Fall nur in Anspruch nehmen, wenn sie anderenfalls unbehandelt blieben. Es muss also ein Systemversagen i. S. v. § 13 III 115 Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (82). 116 Hess in KassKomm, § 95b SGB V, Rn. 3; Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 95b SGB V, Rn. 2. <?page no="193"?> D. Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung 193 SGB V vorliegen. 117 Der Arzt, der gemeinsam mit anderen auf seine Zulassung verzichtet hat, erhält für seine Behandlungsleistungen nicht die volle privatärztliche Vergütung. Gemäß § 95b III SGB V kann er lediglich den einfachen Vergütungssatz nach GOÄ abrechnen. Darüber hinausgehende Vergütungsansprüche stehen ihm weder gegen den Versicherten noch gegen dessen Krankenkasse zu. Eine Wiederzulassung ist frühestens sechs Jahre nach Abgabe der Verzichtserklärung möglich, § 95b II SGB V. 118 117 BSGE 98, 294 verweist insoweit auf die Möglichkeit zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus. 118 Zur Zulässigkeit der Wiederzulassungssperre BSGE 103, 243. <?page no="194"?> 194 5. Kapitel: Vertragsarztrecht E. Haus- und fachärztliche Versorgung Die zugelassenen Ärzte bieten die in §§ 11, 73 II SGB V vorgesehenen Leistungen zur Prävention, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten an. Sie verordnen Arznei-, Heil- und Hilfsmittel sowie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Bei der Auswahl der geeigneten und erforderlichen Leistungen sind sie an die Richtlinien des GBA gebunden. Gemäß § 73 I SGB V gliedert sich das Leistungsspektrum der Vertragsärzte in die haus- und fachärztliche Versorgung. Hintergrund der Aufspaltung ist die Sicherung der Qualität der Versorgung: während Hausärzte für die intensive Betreuung der Patienten in deren sozialen Umfeld verantwortlich sind und als „Lotse“ Anschlussbehandlungen veranlassen und koordinieren, erbringen Fachärzte spezialisierte Behandlungsleistungen gestützt auf spezifische Untersuchungen und diagnostische Methoden. Deren Inanspruchnahme ist nicht zuletzt im Interesse der Kostendämpfung durch die Hausärzte zu steuern. Nicht erforderliche mehrfache oder gar einander widersprechende Leistungen können damit verhindert werden. Aufgrund dieser übergeordneten Ziele ist die Aufgliederung der ärztlichen Versorgung auch vom BVerfG für zulässig erachtet worden. 119 I. Hausärztliche Versorgung Hausarzt ist gemäß § 73 Ia SGB V, wer als Allgemeinarzt, Kinderarzt, Internist ohne Schwerpunktbezeichnung, nach Landesrecht anerkannter „Praktischer Arzt“ (§ 95a IV SGB V) oder Arzt mit einem anerkannten ausländischen Ausbildungsnachweis (§ 95a V SGB V) zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassen ist. Die hausärztliche Versorgung bildet eine Querschnittsaufgabe der Patientenbetreuung. In § 73 I SGB V sind ihre Schwerpunkte definiert. Namentlich sollen Hausärzte Q die Patienten in Kenntnis ihres häuslichen und familiären Umfelds ärztlich betreuen, wobei sie auch von der Schulmedizin abweichende Maßnahmen ergreifen dürfen. Q diagnostische, therapeutische und pflegerische Maßnahmen als „Lotse“ koordinieren, also eine erste Anlaufstelle für den Kranken bieten und diesen zur weiteren Versorgung anderen Leistungserbringern zuweisen. 119 BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 26; BVerfG, NJW 1999, 2730; vgl. auch Adolf in jurisPK-SGB V, § 73, Rn. 64 ff; Huster in Becker/ Kingreen, SGB V, § 73, Rn. 2. <?page no="195"?> E. Haus- und fachärztliche Versorgung 195 Q alle mit der Behandlung zusammenhängenden Daten und Befunde dokumentieren. Dazu haben sie Berichte der involvierten ambulanten wie stationären Leistungserbringer zusammenzuführen, zu bewerten und aufzubewahren. Q Maßnahmen zur Prävention bzw. Rehabilitation veranlassen und die Einbeziehung nichtärztlicher Leistungserbringer in das Behandlungskonzept veranlassen. Diese allgemeinen Aufgaben obliegen allen Hausärzten. Für die in die hausarztzentrierte Versorgung eingebundenen Ärzte gelten einige darüber hinausgehende Besonderheiten. Sie sind gemäß § 73b II SGB V gehalten Q ihre Behandlung an eigens für die hausärztliche Versorgung entwickelten und praxiserprobten Leitlinien der evidenzbasierten Medizin anzupassen, Q an strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie teilzunehmen, Q regelmäßig an Fortbildungen teilzunehmen, die sich auf spezifische Probleme in der hausärztlichen Versorgung beziehen, sei es zur Durchführung von Patientengesprächen, psychosomatischer Grundversorgung, Palliativmedizin oder geriatrischer Medizin und Q ein eigenes Qualitätsmanagement für ihre Praxis zu führen. Die Einzelheiten sind in den Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und den teilnehmenden Hausärzten zu regeln, § 73b IV 1 SGB V. II. Fachärztliche Versorgung Alle nicht in § 73 Ia SGB V genannten Ärzte sind Fachärzte. Sie sind kraft Gesetzes verpflichtet, ihre fachärztlichen Leistungen anzubieten. Eine hausärztliche Betreuung dürfen sie daher selbst dann nicht vornehmen, wenn der Versicherte dies wünscht. Auch unter dem Aspekt der Vergütung ist die gleichzeitige Teilnahme an haus- und fachärztlicher Versorgung nicht zulässig. Denn beide Zweige sind im EBM 120 strikt voneinander getrennt, § 87 IIa SGB V. 120 Dazu ausführlich auf S. 193 f. <?page no="196"?> 196 5. Kapitel: Vertragsarztrecht F. Vergütung der Vertragsärzte Anders als in der privaten Krankenversicherung gestaltet sich die Vergütung im Vertragsarztsystem kompliziert. Die Behandlungsleistungen der Vertragsärzte werden nicht gegen anschließende Kostenerstattung direkt vom Patienten entgolten. Aufgrund des Sachleistungsprinzips wird die Vergütung von den Kassen über den Umweg der Kassenärztlichen Vereinigungen an die Ärzte ausgekehrt. Nur gegen diese richtet sich der Anspruch des Arztes auf Vergütung. 121 Denn den KV obliegt gemäß § 75 I SGB V die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, sodass sie zwingend in das Vergütungsverfahren einzubeziehen sind. Grundlage der Abrechnung ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) nach §§ 87, 87a III SGB V. Als Gegenleistung für ihren Sicherstellungsauftrag erhalten die KV mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung von den Krankenkassen, § 85 I SGB V. Diese ist auf der Basis des sogenannten Honorarverteilungsmaßstabs an die einzelnen Vertragsärzte weiterzugeben, § 87b SGB V. Eine Direktvergütung des Vertragsarztes durch den Patienten kommt nur in Betracht, wenn dieser nach § 13 III SGB V die Leistungserbringung nach dem Kostenerstattungsprinzip gewählt hat oder wenn er individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in Anspruch nimmt. Bei letzteren handelt es sich um medizinische Leistungen, die nicht von der Leistungspflicht der GKV umfasst sind. Sie werden ausschließlich nach GOÄ 122 abgerechnet, selbst wenn der Patient gesetzlich versichert ist. Die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen unmittelbar durch die Krankenkasse ist ebenfalls die Ausnahme. Sie setzt voraus, dass ein Arzt Leistungen aufgrund eines Direktvertrags mit einer Krankenkasse erbracht hat, beispielsweise im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V oder der integrierten Versorgung nach § 140a SGB V. I. Einheitlicher Bewertungsmaßstab Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbaren gemäß § 87 I 1 SGB V den EBM als Bestandteil des Bundesmantelvertrags. Der EBM beschreibt abschließend 123 den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistun- 121 BVerfGE 11, 30. 122 Dazu ausführlich auf S. 146. 123 Scholz in Becker/ Kingreen, SGB V, § 87, Rn. 5; Freudenberg in jurisPK-SGB V, § 87 SGB V, Rn. 90; Hess in KassKomm, SGB V, § 87, Rn. 9. <?page no="197"?> F. Vergütung der Vertragsärzte 197 gen und ihr wertmäßiges Verhältnis zueinander, § 87 II SGB V. 124 Der im SGB V vorgegebene Leistungsrahmen wird dadurch konkretisiert. Jeder Leistung wird eine bestimmte Ziffer zugeordnet und deren Wert in Form von Punkten festgeschrieben. Teilweise werden die Punktzahlen für einzelne Leistungsblöcke pauschaliert; einzelne Teilleistungen werden also nicht differenziert bewertet. Damit ist die allgemeine und fortgesetzte Betreuung des Patienten in Diagnose und Therapie, die Koordinierung flankierender Leistungen anderer behandelnder Ärzte wie auch nicht-ärztlicher Leistungserbringer, die Erhebung, Zusammenführung, Dokumentation und Auswertung von Befunden und Behandlungsdaten auch anderer behandelnder Ärzte pauschal abgegolten. Diese Pauschale kann bei Vorliegen eines Behandlungsfalls einmal im Quartal abgerechnet werden, unabhängig davon, welcher Arbeitsaufwand mit der Betreuung des einzelnen Patienten tatsächlich einher ging. Beispiel Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt in der hausärztlichen Versorgung wird bei Patienten zwischen dem 6. und 59. Lebensjahr nach Ziffer- 03000 des EBM pauschal mit 150 Punkten bewertet. Ein Augenarzt kann nach Ziffer-06211 für den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt pauschal 127-Punkte zur Abrechnung bringen, sowie einen Zuschlag für die augenärztliche Grundversorgung von 21 Punkten nach Ziffer-06220. Außerhalb des EBM können keine vertragsärztlichen Leistungen abgerechnet werden. Er bildet mithin das sozialversicherungsrechtliche Pendant zum Gebührenverzeichnis der GOÄ. Die sich aus dem EBM ergebende Punktzahl ist bei der Abrechnung in einen Geldbetrag umzurechnen. Um eine gleichmäßige Vergütung im Bundesgebiet zu erzielen, wird im Bundesmantelvertrag jährlich zum 31. August als Orientierungswert ein bundeseinheitlicher Punktwert festgelegt. Dieser wird als fester Geldbetrag in Euro ausgedrückt, § 87 IIe SGB V. Für 2019 ist er auf 10,8226 Cent festgelegt worden. 125 Die vormals in § 87 IIe SGB V enthaltene Differenzierung nach dem regionalen Versorgungsgrad (Regel-, Über- oder Unterversorgung) wurde im Jahr 2012 aufgegeben. Ein Anreiz zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten soll - im Interesse der Vereinfachung des Vergütungssystems - seither nicht mehr über die Orientierungswerte, sondern durch finanzielle Fördermaßnahmen der KV nach § 105 SGB V gesetzt werden. 126 124 Abrufbar unter http: / / www.kbv.de/ html/ ebm.php 125 Pressemitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 24.08.2018, abrufbar unter www.kbv.de. 126 BT-Drs. 17/ 6906, S. 61. <?page no="198"?> 198 5. Kapitel: Vertragsarztrecht II. Euro-Gebührenordnung Gemäß § 87a II SGB V vereinbaren die KV mit den Landesverbänden der Krankenkassen zum 31. Oktober jedes Jahres Punktwerte, die für das Folgejahr die Basis der Abrechnung bilden. Die auf Bundesebene bestimmten Orientierungswerte nach § 87 IIe SGB V werden damit für jeden KV-Bezirk präzisiert. Den Vertragspartnern ist die Möglichkeit eingeräumt, Zu- oder Abschläge zu den Orientierungswerten zu vereinbaren, um regionalen Besonderheiten in der Kosten- und Versorgungsstruktur Rechnung zu tragen. Dies betrifft beispielsweise Zuschläge für unterversorgte oder von Unterversorgung bedrohte Regionen, besonders förderungsfähige Leistungen oder besonders förderungswürdige Leistungserbringer, § 87a II 3, 4 SGB V. Der Höhe nach sind die Zubzw. Abschläge so zu bemessen, dass die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sichergestellt wird, § 87a II 4, 5 SGB V. Auf der Basis der Punktwerte sowie der Zu- und Abschläge und des im EBM verankerten Leistungsverzeichnisses haben die KV und die Landesverbände der Krankenkassen regionale Gebührenordnungen zu erarbeiten, in denen die Preise für die vertragsärztlichen Leistungen in Euro ausgewiesen sind. III. Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung Zugleich vereinbaren die KV und die Landesverbände der Krankenkassen gemäß § 87a III SGB V jährlich zum 31. Oktober eine kassenübergreifende Gesamtvergütung. Diese wird mit befreiender Wirkung von den Krankenkassen an die KV geleistet. Damit sind alle in einem Jahr an alle im KV-Bezirk ansässigen Versicherten erbrachten vertragsärztlichen Leistungen vollständig abgegolten. 127 Die Gesamtvergütung bildet die Gegenleistung für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Aufgrund der Privatautonomie der Vertragsparteien variiert die Höhe der Gesamtvergütung je nach KV-Bezirk. Der Gesetzgeber hat keine bestimmte Methode für die Bemessung der Gesamtvergütung vorgegeben. In § 85 II 2 SGB V sind beispielhaft folgende Möglichkeiten genannt: Q die Bestimmung eines Festbetrags. Diese Variante bürdet das Risiko steigender Mitgliederzahlen in den gesetzlichen Krankenkassen sowie steigender Morbidität der Versicherten den KV auf. Q die Ausgestaltung des Vergütungssystems nach Einzelleistungen auf der Basis des EBM. Die KV und die Landesverbände der Krankenkassen können danach einen 127 Es gilt also das Wohnortprinzip, Hess in KassKomm, SGB V, § 87a, Rn. 9. <?page no="199"?> F. Vergütung der Vertragsärzte 199 Punktwert vereinbaren, mit dem die im EBM festgelegten Punktzahlen für einzelne Leistungen zu vergüten sind. Bei der Wahl dieses Systems ist gemäß § 85 II 7 SGB V ein Höchstbetrag sowie Vorkehrungen für den Fall zu bestimmen, dass dieser Höchstbetrag überschritten würde. Q die Bestimmung einer Kopfpauschale. Nach dieser Methode wird die Gesamtvergütung anhand der Zahl der im jeweiligen KV-Bezirk ansässigen Versicherten und ihrer mitversicherten Familienmitglieder sowie deren durchschnittlich zu erwartenden Jahresbedarf an vertragsärztlichen Leistungen bemessen. Q die Bemessung nach Fallpauschalen. Danach wird der durchschnittliche Aufwand, der den Vertragsarzt je Behandlungsfall trifft, zur Grundlage der Bestimmung der Gesamtvergütung gemacht. Unter einem Behandlungsfall sind alle innerhalb eines Quartals von demselben Vertragsarzt an denselben Kranken ambulant zu Lasten derselben Krankenkasse vorgenommenen Behandlungsleistungen zu verstehen, § 21 I BMV-Ä. Die einzelnen Berechnungsarten können auch als Mischsystem miteinander verknüpft werden. In der Praxis werden regelmäßig Einzelleistungen, Kopf- und Fallpauschalen kombiniert, um die Risiken steigender Mitgliederzahlen wie auch steigender Behandlungsfälle gleichmäßig auf alle involvierten Parteien zu verteilen. 128 Die Gesamtvergütung muss sich gemäß § 87a III SGB V an der Morbidität der Versicherten orientieren. Bei Anstieg des Behandlungsbedarfs der Versicherten müssen die Krankenkassen also mehr Honorar an die Ärzteschaft auskehren. Der voraussichtliche Behandlungsbedarf bildet dementsprechend auch die Grundlage für die Berechnung der Gesamtvergütung. Er wird gemäß § 87a III 2 SGB V als Punktzahlvolumen ausgedrückt, welches auf der Grundlage der im EBM vorgesehenen Leistungen sowie der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten - basierend auf sogenannten diagnosebezogenen Risikoklassen - ermittelt wird. Der Bewertungsausschuss 129 ist nach § 87a V SGB V verpflichtet, ein Verfahren zu beschließen, mittels dessen Versicherte mit vergleichbarem Behandlungsbedarf in solche Risikogruppen eingestuft werden können. Bei der Vereinbarung der Gesamtvergütung ist überdies der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und der wirtschaftlichen Situation der Versicherten Rechnung zu tragen: Gemäß § 71 SGB V sind die Vereinbarungen über die Vergütung so auszugestalten, dass Beitragssatzerhöhungen vermieden werden. Von diesem Prinzip kann nur abgewichen werden, wenn die notwendige medizinische 128 Ausführlich Scholz in Becker/ Kingreen, SGB V, § 85, Rn. 9ff.; Hess in KassKomm, SGB V, § 87, Rn. 22ff. 129 Im Bewertungsausschuss sind drei von der KBV sowie drei vom SpiBuKK bestellte Mitglieder vertreten, § 87 III SGB V. <?page no="200"?> 200 5. Kapitel: Vertragsarztrecht Versorgung der Versicherten auch nach Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsreserven nicht anders gewährleistet werden kann. Der gesetzliche Ausschluss von Beitragserhöhungen stellt damit eine zwingende Obergrenze für die Gesamtvergütung dar und hat Vorrang vor allen anderen Aspekten, die bei deren Vereinbarung zu berücksichtigen sind. 130 Für alle über den ermittelten voraussichtlichen Behandlungsbedarf hinausgehenden Leistungen schulden die Krankenkassen den KV eine gesonderte Nachvergütung, für die aber ebenfalls die in der Gebührenordnung festgelegten Preise gelten, § 87a III 4 SGB V. Voraussetzung der Nachvergütung ist, dass die Überschreitung des Leistungsumfangs durch einen krankheitsbedingt gestiegenen Behandlungsbedarf der Versicherten bedingt ist, der bei Vereinbarung der Gesamtvergütung nicht vorhersehbar war. Dieses Kriterium ist restriktiv zu handhaben. Als nicht vorhersehbar gelten nur solche Erkrankungen, die mindestens zwei Prozent der Bevölkerung im KV- Bezirk betreffen und kann regelmäßig nur bei Epidemien, Seuchen oder in Katastrophenfällen zur Anwendung kommen. 131 IV. Honorarverteilung Gemäß § 87b I 2 SGB V legen die KV im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen einen Verteilungsmaßstab für die Gesamtvergütung als Satzung 132 fest, so dass regional unterschiedliche Regelungen für die Honorarverteilung möglich werden, beispielsweise durch Individualbudgets oder eine fallzahlenbasierte Zuweisung. Der Verteilungsmaßstab hat zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung zu differenzieren, § 87b I 1 SGB V. Er ist so zu konzipieren, dass er einerseits keinen Anreiz für eine übermäßige Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit gibt, andererseits aber zur flächendeckenden Versorgung aller Versicherten beiträgt und den Leistungserbringern Gewissheit über das für die erbrachten Leistungen zu erwartende Honorar vermittelt, § 87b II 1 SGB V. Daher dürfen beispielsweise in unterversorgten Gebieten keine Maßnahmen zur Anwendung kommen, die auf eine Reduzierung der Fallzahlen der Vertragsärzte abzielen, § 87b III SGB V. Kooperative Formen der Leistungs- 130 BSGE 86, 126; kritisch Wimmer, MedR 2001, 361. 131 Hess in KassKomm, SGB V, § 87a, Rn. 12; Freudenberg in jurisPK-SGB V, § 87a, Rn. 81; Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, § 87a SGB V, Rn. 26. 132 Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, § 87b, Rn. 1; Scholz in Becker/ Kingreen, SGB V, § 87b, Rn. 3. <?page no="201"?> erbringung und vernetzte Praxen dürfen bei der Honorarverteilung nach § 87b II 2 SGB V besonders gefördert werden. 133 Im Ergebnis muss also ein Ausgleich zwischen dem Prinzip der Beitragssatzstabilität und dem Anspruch der Ärzte auf eine angemessene Vergütung ihrer Leistungen gefunden werden. Die Versicherten müssen - orientiert am aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse - alle notwendigen Leistungen erhalten, die gemäß § 72 II SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Zwar haben Vertragsärzte keinen individuellen Anspruch auf ein bestimmtes Entgelt für ihre Leistungen. Es ist jedoch zu gewährleisten, dass die berufliche und wirtschaftliche Existenz der Ärzteschaft hinreichend gewahrt bleibt. Dies ist der Fall, solange die Ärzteschaft insgesamt kostendeckend arbeiten kann und die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht gefährdet wird. 134 V. Konsequenzen des Vergütungssystems für die Vertragsbeziehungen bei Kassenpatienten Auch die gesetzlich versicherten Patienten schließen einen Behandlungsvertrag mit dem Arzt ab. Dessen Rechtsnatur ist umstritten. Teilweise wird vertreten, es handele sich - ebenso wie bei privat versicherten Patienten - um einen Dienstvertrag nach §§ 630b, 611 ff. BGB. 135 Zur Begründung wird auf § 76 IV SGB V verwiesen, der den Arzt auf die Einhaltung des bürgerlich-rechtlichen Sorgfaltsmaßstabs verpflichtet. Auf diese Norm bezieht sich jedoch auch die Gegenmeinung. Durch die Einbettung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung sei der Behandlungsvertrag öffentlich-rechtlicher Natur, denn in ihm werde lediglich der im SGB V gründende Leistungsanspruch vollzogen. 136 Der Verweis auf den bürgerlich-rechtlichen Sorgfaltsmaßstab wäre nicht notwendig, wäre der Vertrag insgesamt nach Zivilrecht zu beurteilen. Diese Auffassung verkennt jedoch, dass Arzt und Patient zwingend eine Vereinbarung zu treffen haben - nämlich um dem Arzt den Eingriff in die körperliche Unver- 133 Eingehend Bäune/ Dahm/ Flasbarth, MedR 2012, 77 (94f.); Hess in KassKomm, SGB V, § 87b, Rn. 14ff.; Freudenberg in jurisPK-SGB V, § 87b, Rn. 92ff. 134 BSGE 75, 187; 83, 1; 94, 50. 135 BGHZ 76, 259; BGHZ 100, 363; BGHZ 142, 126; so auch Müller-Glöge in MüKo, BGB, § 611, Rn. 84; Uhlenbruck/ Laufs in Laufs/ Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 40, Rn. 31; Middendorf in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 280 BGB, Rn. 6; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 1, Rn. 20; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 96 f. m. w. N. 136 BSGE 33, 158; BSGE 59, 178; Krause, SGb 1982, 425; Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer, S. 127. 201 F. Vergütung der Vertragsärzte <?page no="202"?> 202 sehrtheit des Patienten, die mit jeder Untersuchung und Behandlung einhergeht, zu ermöglichen. 137 Bei dieser Vereinbarung unterliegen die Beteiligten der Privatautonomie, denn auch dem gesetzlich versicherten Patienten steht das Recht auf freie Arztwahl zu, § 76 I SGB V. Ebenso steht es dem Vertragsarzt - außer in Notfällen - frei, die Behandlung eines Patienten abzulehnen. Dies wäre nicht verständlich, würde man ihn als bloßen „Erfüllungsgehilfen“ des Krankenversicherungssystems verstehen. Zwar hat der gesetzlich Versicherte einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Versorgung mit allen notwendigen Leistungen zur Wiederherstellung seiner Gesundheit. Dieser richtet sich jedoch gemäß § 1, 2 I SGB V gegen die Krankenkasse, die sich wiederum der freien Ärzteschaft bedienen muss. Aus diesem öffentlich-rechtlichen Bezug ergeben sich jedoch keine Konsequenzen für die Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses insgesamt. Er führt lediglich dazu, dass der gesetzlich versicherte Patient nicht Schuldner des Arzthonorars ist. Die Vergütung wird durch die Krankenkassen über die KV an die Ärzte geleistet. Die gesamte Behandlung - sowohl das Zustandekommen des Vertrages als auch die Haftung für Vertragsverletzungen - sind demgegenüber privatrechtlich organisiert. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der die im Jahr 2013 in Kraft getretenen Regeln in §§ 630a ff. BGB ausdrücklich auf gesetzlich Versicherte bezogen hat. 138 Es besteht mithin ein Beziehungsviereck: Q der privatrechtliche Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient nach §§ 630a ff. BGB, Q die öffentlich-rechtliche Mitgliedschaft des gesetzlich versicherten Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung nach §§ 186 ff. SGB V, Q die öffentlich-rechtliche Mitgliedschaft des Arztes in der Kassenärztlichen Vereinigung nach § 95 III SGB V sowie Q der öffentlich-rechtliche Vertrag über die Gesamtvergütung zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und den Landesverbänden der Krankenkassen, § 87a SGB V. Neben dem Vergütungssystem modifiziert auch das Leistungsrecht den Inhalt des Behandlungsvertrags: die gesetzlich Versicherten und die Vertragsärzte sind nicht völlig frei in der Vereinbarung der geschuldeten Behandlungsleistungen. Sie sind an den in §§ 11, 73 II SGB V verankerten Leistungskatalog gebunden, der durch die Richtlinien des GBA konkretisiert wird. Der Arzt ist zudem gehalten, die Prinzipien des Wirtschaftlichkeitsgebots zu beachten und nur medizinisch notwendige Leistungen zu erbringen. Anderenfalls verliert er seinen Vergütungsanspruch. Es steht ihm aber frei, die nicht von der GKV geschuldeten Leistungen als IGeL zu erbringen und - dessen Einverständnis vorausgesetzt - vom Patienten direkt vergüten zu lassen. 137 Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 373. 138 BT-Drs. 17/ 10488, S. 18 f. 5. Kapitel: Vertragsarztrecht <?page no="203"?> F. Vergütung der Vertragsärzte 203 Kontrollfragen 1. Erläutern Sie die rechtlichen Beziehungen zwischen Ärzten, Patienten und Krankenkassen. Welche Rolle kommt den Kassenärztlichen Vereinigungen zu? 2. Kann sich Vertragsarzt A gegen seine Pflichtmitgliedschaft in der KV zur Wehr setzen? 3. Erläutern Sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kollektiv- und Einzelverträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Nennen Sie Beispiele. 4. Die Krankenkasse K möchte mit a. einem niedergelassenen Chirurgen und einer Rehabilitationseinrichtung, b. niedergelassenen Hausärzten und Apotheken einen Vertrag zur Integrierten Versorgung nach § 140a SGB-V abschließen. Ist dies zulässig? 5. Nachdem er die Approbation erlangt hat, möchte A zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassen werden. Welche Voraussetzungen muss er erfüllen? Darf er nebenbei in dem Krankenhaus, dem er sich nach seiner Ausbildung noch verbunden fühlt, arbeiten? 6. Der niedergelassene Arzt A möchte mit einigen Kollegen ein Medizinisches Versorgungszentrum gründen. Welche Voraussetzungen hat er zu beachten? Welche Rechtsform kann er für das MVZ wählen? 7. Vertragsarzt A betreibt eine gut gehende Praxis in einer Großstadt. Wegen seines guten Rufs drängen immer mehr Patienten, auch aus dem Umland zu ihm. Darf er a. in der Stadt b. im benachbarten KV-Bezirk eine Zweigpraxis eröffnen? Darf er zu diesem Zweck Ärzte anstellen, um einen reibungslosen Ablauf der Sprechstunden zu gewährleisten? 8. Warum gilt die Bedarfsplanung als „zweite Zulassungshürde“? Welchen Wandel haben die rechtlichen Regelungen hierzu in der Vergangenheit erfahren? 9. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Arzt in einem überversorgten Gebiet eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erlangen? 10. Im KV-Bezirk X sind nur noch wenige Vertragsärzte zur hausärztlichen Versorgung zugelassen. Mehr als 50 % davon werden in den nächsten fünf Jahren das Rentenalter erreichen. Muss die zuständige KV einschreiten? Welche Maßnahmen kann sie veranlassen? <?page no="204"?> 204 5. Kapitel: Vertragsarztrecht 11. Vertragsarzt A beabsichtigt, sich angesichts seines Alters zur Ruhe zu setzen. Seine Praxis möchte er seiner Tochter übertragen, die gerade erfolgreich ihre medizinische Ausbildung absolviert hat. Ist dies möglich? 12. Weil sie die von den Krankenkassen geleistete Vergütung für nicht auskömmlich halten, wollen die im KV-Bezirk X ansässigen Hausärzte geschlossen auf ihre Zulassung verzichten. Welche Konsequenzen hat ein derartiges Verhalten? 13. Wie unterscheiden sich haus- und fachärztliche Versorgung? Darf ein Hausarzt fachärztliche Leistungen erbringen? Welche Folgen hätte dies für deren Vergütung? <?page no="205"?> A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem 205 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser Orientierungsfragen Q Welche Regelungen gelten für Krankenhäuser und andere Einrichtungen zur stationären Versorgung? Q Wie können stationäre Einrichtungen systematisiert werden? Q Wer hat sicherzustellen, dass eine ausreichende Zahl von Krankenhäusern vorhanden ist, um alle Patienten zu versorgen? Q Wie werden Krankenhäuser finanziert? Q Welche organisatorischen Strukturen sind im Krankenhaus unverzichtbar? Q Woraus erklärt sich die Sonderposition der Chefärzte? Q Können angestellte Krankenhausärzte zeitlich unbeschränkt eingesetzt werden? Welche Anforderungen gelten an die Verteilung der Nachtdienste? Q Welche vertraglichen Beziehungen bestehen zwischen Krankenhaus und Patient? Können niedergelassene Ärzte Behandlungen im Krankenhaus anbieten? Q Welche Leistungen zur stationären Versorgung schulden die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten? Q Wie werden die Leistungen der Krankenhäuser vergütet? A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem Der stationäre Sektor ergänzt die ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte. Neben den Krankenhäusern sind die Rehabilitationseinrichtungen an der stationären Versorgung beteiligt. Das Krankenhausrecht unterliegt keiner einheitlichen Regelung. Die betroffenen Materien sind vielfältig. Sie reichen von der Planung über deren Finanzierung und die Entgelte für deren Leistungen bis hin zu den arbeitsrechtlichen Vorgaben für das im <?page no="206"?> 206 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser stationären Sektor tätige Personal. Diese Fragen zu regeln unterliegt nur teilweise der Zuständigkeit des Bundes. I. Rechtsquellen Nach Art. 74 I Nr. 19a GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz 1 für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Krankenhauspflegesätze. Dem Bund ist damit die Befugnis zur Gewährung von Finanzhilfen eingeräumt, nicht aber die finanzielle Organisation und Ausstattung des Krankenhauswesens insgesamt. Die Pflegesätze beinhalten die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen der stationären Versorgung, also ein Preisverzeichnis. Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), dem Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) hat der Bund von dieser Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht. Ergänzt wird dieser Titel durch Art. 74 I Nr. 12 GG, welcher dem Bund die konkurrierende Kompetenz für das Arbeitsrecht und die Sozialversicherung einräumt. Danach konnte der Bund im SGB V die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen durch die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso regeln wie die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern. Im Arbeitsrecht finden die beruflichen Belange des Krankenhauspersonals eine Regelung, unter denen das Arbeitszeitrecht eine herausragende Bedeutung einnimmt. Der Bund setzt damit lediglich einen organisatorischen Rahmen für das Krankenhauswesen und die von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragenden Kosten. Alle sonstigen Aspekte, namentlich die strukturelle Planung und Organisation des stationären Sektors bleiben den Bundesländern vorbehalten. Diesen obliegt die Sicherstellung der bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen. 2 Dieser Sicherstellungsauftrag gründet in der Daseinsvorsorge, welche die staatliche Bereitstellung aller Güter und Leistungen umfasst, die für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendig sind. 3 Die Daseinsvorsorge wird aus dem in Art. 20 I GG verankerten Sozialstaatsprinzip abgeleitet. Sie 1 Gemäß Art. 72 I GG haben die Länder in den Bereichen, die der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugewiesen sind, nur solange und soweit eine Regelungsbefugnis, wie der Bund von seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. 2 Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 20, Rn. 11. 3 Der Begriff wurde von Forsthoff als Gegenstück zum bis dahin herrschenden Verständnis der Eingriffsverwaltung als vornehmlicher Aufgabe des Staates begründet, Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, dazu v. Unruh, i 2005, 779; speziell für den Krankenhaussektor BVerfGE 78, 179; 80, 1; 82, 209 sowie Pitschas, NZS 2003, 341 (343). <?page no="207"?> A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem 207 obliegt - wenngleich vornehmlich auf kommunaler Ebene realisiert - den Bundesländern. In Ausübung ihrer Kompetenz haben diese Landeskrankenhausgesetze erlassen. II. Begriff des Krankenhauses In § 2 Nr. 1 KHG sind Krankenhäuser als Einrichtungen definiert, in denen Q durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Q Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und Q in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können. Dieser weite Krankenhausbegriff umfasst neben dem „klassischen“ Krankenhaus auch Einrichtungen zur Vorsorge oder Rehabilitation sowie Kurkliniken. 4 Auch das Krankenversicherungsrecht hat eine Begriffsklärung getroffen. Nach § 107 I SGB V sind unter Krankenhäusern Einrichtungen zu verstehen, die Q der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, Q fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, Q über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, Q mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, Q vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten und Q in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können. Auch Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sind dem stationären Sektor zugeordnet. Sie sind durch eine besondere Ausrichtung der angebotenen Leistungen gekennzeichnet, die in § 107 II SGB V näher umrissen werden. Es handelt sich um Einrichtungen, die Q eine stationäre Behandlung zum Zweck der Vorsorge oder Rehabilitation anbieten, Q fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan, Q vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, fer- 4 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 25, Rn. 35; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 2 KHG, Rn. 2. <?page no="208"?> 208 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser ner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen Q und in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können. Unter Vorsorge ist eine Behandlung zu verstehen, mit der eine gesundheitliche Schwäche beseitigt werden soll, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde oder mit der Gefahren für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern entgegen gewirkt werden soll. Rehabilitation soll demgegenüber zur Heilung von Krankheiten bzw. der Linderung von Beschwerden beitragen oder eine Verschlechterung des Gesundheitszustands verhindern. Als Rehabilitation gelten auch Maßnahmen, die im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung erbracht werden und mit denen der bereits erzielte Behandlungserfolg gesichert werden soll. Sie können mit dem Ziel verknüpft sein, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern oder auszugleichen. 5 Während im Krankenhaus also der Schwerpunkt auf den ärztlichen Leistungen liegt, steht in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen die pflegerische Leistung im Vordergrund, wenngleich diese an einem Behandlungsplan auszurichten ist, den ein Arzt erarbeitet hat. Aus der Sicht des Patienten ist die Differenzierung im Gesetz ohne Relevanz. Bedeutung kommt ihr aber für die Planung und Finanzierung sowie den Abschluss von Versorgungsverträgen mit den Krankenkassen zu: Reine Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen unterliegen nicht der Investitionsförderung nach dem KHG, § 5 I Nr. 7 KHG. Für den Abschluss von Versorgungsverträgen mit den gesetzlichen Krankenkassen gelten ebenfalls Sonderregelungen, § 111 SGB V. III. Typologie der Krankenhäuser Krankenhäuser lassen sich nach der Art der von ihnen angebotenen Leistungen systematisieren. 6 Ein Allgemeinkrankenhaus erfüllt vorrangig stationäre Versorgungsaufgaben. Es bietet eine umfassende medizinische Versorgung in mehreren Fachgebieten an. Das Fachkrankenhaus ist demgegenüber auf einzelne Fachrichtungen speziali- 5 Wahl in jurisPK-SGB V, § 107, Rn. 39 ff.; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 107 SGB V, Rn. 10 ff.; Becker in Becker/ Kingreen, § 107 SGB V, Rn. 12 ff. 6 Zum Ganzen Quaas in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 508 ff.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 60 ff.; Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, Rn. 28 ff. Kaltenborn, GesR 2006, 538 (540 ff.). <?page no="209"?> A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem 209 siert. Es ergänzt die Versorgung durch die Allgemeinkrankenhäuser. Differenzierungskriterien sind Q die fachliche Ausrichtung, z. B. Klinik für Psychiatrie oder Klinik für Kardiologie Q die angebotenen Behandlungsmethoden, z. B. Klinik für anthroposophische Medizin Q die Behandlung besonderer Krankheitsbilder, z. B. Allergie- und Asthma-Klinik oder Klinik für Suchterkrankungen Q der bediente Patientenstamm, z. B. Kinderklinik oder geriatrische Klinik. Die Aufgabe der Universitätskliniken geht über die stationäre Versorgung hinaus. Sie haben ihren Schwerpunkt in der medizinischen Ausbildung, also in Forschung und Lehre. Zu diesem Zweck decken sie eine breite Auswahl an Fachgebieten, Behandlungsmethoden, Krankheitsbildern und Patientengruppen ab. Die Hochschulkliniken unterliegen nicht dem allgemeinen Krankenhausrecht, sondern werden nach dem Hochschulrecht der Bundesländer finanziert, § 5 I Nr. 1 KHG. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Möglichkeit, als Leistungserbringer für die Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassen zu werden. Je nach geografischem Einzugsgebiet und den konkret zu erfüllenden Aufgaben der Einrichtungen werden unterschieden Q Krankenhäuser der Grundversorgung, die auf kommunaler Ebene den Bedarf der Einwohnerschaft decken. Inhaltlich sind sie vor allem auf körperlich bedingte Erkrankungen ausgerichtet und decken damit in der Regel die Innere Medizin und die Allgemeine Chirurgie ab. 7 Q Krankenhäuser der Regelversorgung bedienen zusätzlich den überörtlichen Bedarf, haben also einen weiteren Einzugsbereich. Ihr Leistungsangebot ist breiter als das der Grundversorgung. Q Krankenhäuser der Maximalversorgung - hierzu zählen vor allem Universitätskliniken 8 - bieten neben den grundlegenden medizinischen Fachgebieten auch hochspezifische diagnostische und therapeutische Maßnahmen an. Sie können damit auch Patienten behandeln, die an seltenen Erkrankungen leiden. Diese Eingruppierung ist für die Bedarfsplanung von Belang. Denn die Versorgungsaufträge der in einem Bundesland vorhandenen Krankenhäuser müssen so aufeinander aufbauen bzw. einander ergänzen, dass eine Grundversorgung generell erreichbar 7 Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, Rn. 31. 8 Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, Rn. 31; Halbe/ Rothfuß in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 8, Rn. 43. <?page no="210"?> 210 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser ist, aber auch hoch spezialisierte Leistungen in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden können. 9 Eine weitere Systematisierung richtet sich an den personellen Strukturen im Krankenhaus aus. Im Anstaltskrankenhaus erfolgt die Behandlung durch angestellte Ärzte. Das Belegkrankenhaus räumt dagegen niedergelassenen - also freiberuflich und selbständig tätigen - Ärzten vertragliche Nutzungsrechte ein. Sie dürfen ihre Patienten unter Nutzung der im Krankenhaus vorhandenen Einrichtungen dort behandeln, vgl. § 121 II SGB V. Das Krankenhaus erbringt in diesem Fall nur die Leistungen, die nicht der Behandlung als solcher zuzuordnen sind, d. h. die pflegerischen Leistungen durch nichtärztliches Personal sowie Unterkunft und Verpflegung. 10 Einen Unterfall des Belegkrankenhauses bildet die Praxisklinik. In dieser schließen sich mehrere Vertragsärzte zur ambulanten und stationären Versorgung ihrer Patienten zusammen, § 115 II 1 Nr. 1 SGB V. Dazu werden mehrere (Fach-)Arztpraxen in die Räume eines Krankenhauses eingegliedert. Die Praxisklinik bietet den Vorteil, dass die bislang strikt voneinander getrennten Sektoren der ambulanten und stationären Versorgung verzahnt werden. 11 Die Patienten erhalten ihre Behandlung daher eng aufeinander abgestimmt und müssen weder Ärztenoch Ortswechsel in Kauf nehmen, sollte eine stationäre Behandlung notwendig werden. 12 Die Unterscheidung in Tages- oder Nachtkliniken richtet sich nach dem Zeitraum der Unterbringung. Diese ist auf bestimmte Abschnitte des Tages oder der Nacht begrenzt. Dementsprechend wird hier lediglich eine teilstationäre Behandlung angeboten. 13 Sie kommt vor allem in der Dialysebehandlung, der Geriatrie oder der Psychiatrie in Betracht. IV. Träger stationärer Einrichtungen Als Träger wird die natürliche oder juristische Person bezeichnet, die das Krankenhaus betreibt. § 1 II KHG statuiert den Grundsatz der Trägervielfalt. Danach ist bei der wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser zu gewährleisten, dass die Bevölkerung unter einem möglichst breit gefächerten Angebot an Krankenhäusern auswählen 9 Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 82, Rn. 22. 10 Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 19; Halbe/ Rothfuß in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 8, Rn. 38; Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, Rn. 32. 11 Um eine Verbrauchertäuschung zu vermeiden, muss eine Praxisklinik zumindest die Möglichkeit einer vorübergehenden stationären Aufnahme bieten, BGH, 17.10.2018, I ZR 58/ 18. 12 Ausführlich Schiller, NZS 1999, 325. 13 Schiller, NZS 1999, 325 (329); Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 79, Rn. 50. <?page no="211"?> A. Das Krankenhaus im medizinischen Versorgungssystem 211 und damit beispielsweise seiner konfessionellen Bindung Rechnung tragen kann. Es werden folgende Träger unterschieden: Q öffentlich-rechtliche Träger: dies sind die Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, also Gemeinden, Bundesländer, aber auch die Bundeswehr. In öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stehen auch solche Einrichtungen, die zwar in privatrechtlicher Form, beispielsweise als GmbH betrieben, dabei jedoch von einer öffentlich-rechtlichen Institution beherrscht werden. 14 Q frei-gemeinnützige Träger: dabei handelt es sich um religiöse Gemeinschaften oder soziale Vereinigungen, die der Wohlfahrtspflege zuzuordnen sind. Sie sind privatrechtlich organisiert, arbeiten aber nicht gewinnorientiert. Ziel der freigemeinnützigen Träger ist in erster Linie die Deckung des Gesundheitsbedarfs der Bevölkerung. Sie arbeiten also bedarfs-, aber nicht erwerbswirtschaftlich. 15 Q private Träger: dies sind die natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts. Denkbar sind alle gesellschaftsrechtlichen Rechtsformen, namentlich die oHG oder die KG. Zwar erfüllen auch die privaten Krankenhäuser eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, indem sie zur bedarfsdeckenden Versorgung der Bevölkerung mit stationären medizinischen Leistungen beitragen. Dies ist jedoch nur ein Sekundäreffekt ihres Auftretens. Die Gewinnerzielungsabsicht steht klar im Vordergrund, so dass der Begriff des Handelsgewerbes erfüllt ist. Folglich bedürfen die privaten Träger einer Gewerbeerlaubnis nach § 30 GewO. Gemäß § 1 II 2 KHG sind die frei-gemeinnützigen und die privaten Träger insofern privilegiert, als insbesondere deren wirtschaftliche Sicherung zu gewährleisten ist. Sie sind daher beispielsweise bevorzugt bei der landesrechtlichen Bedarfsplanung zu berücksichtigen. 16 14 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 25, Rn. 76; Halbe/ Rothfuß in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 8, Rn. 28. 15 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 25, Rn. 82; Halbe/ Rothfuß in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 8, Rn. 30. 16 BVerwG, NJW 1987, 2318; Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 1 KHG, Rn. 3. <?page no="212"?> 212 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser B. Krankenhausplanung und -finanzierung Das Recht der Krankenhausplanung und -finanzierung betrifft die Abstimmung der Krankenhauszahlen mit dem stationären Versorgungsbedarf der Bevölkerung sowie die Finanzierung der Investitions- und der Betriebskosten. Das Bundesrecht gibt im KHG einen organisatorischen Rahmen vor, dessen Ausfüllung gemäß § 6 KHG den Bundesländern übertragen ist. Diese haben die konkreten Planungen und Investitionsprogramme zu erstellen. I. Planung Der Krankenhausplan soll sicherstellen, dass die Bevölkerung entsprechend ihrem Bedarf mit leistungsfähigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu sozial tragbaren Pflegesätzen versorgt wird, § 1 I KHG. In den Bundesländern ist die Gewährleistung der bedarfsdeckenden stationären Versorgung als öffentliche Aufgabe des Landes, der Landkreise und der kreisfreien Städte ausgestaltet. Diese sind zur engen Kooperation verpflichtet. Zuständig für die Aufstellung des Krankenhausplans sind die Landesministerien für Soziales und Gesundheit. 1. Planungskriterien Die Zahl der stationären Einrichtungen ist so zu bemessen, dass sie angesichts der potenziellen Patientenzahlen notwendig, aber auch ausreichend sind. Zugleich ist den finanziellen Interessen Rechnung zu tragen: die Anzahl der Krankenhäuser darf nicht so knapp bemessen werden, dass aufgrund einer ausgeprägt hohen Nachfrage die Vergütung (Pflegesatz) für die von ihnen erbrachten Leistungen übermäßig steigt. 17 Anhand des Plans wird der konkrete Versorgungsauftrag für die einzelnen Krankenhäuser bestimmt. Nach diesem wiederum richtet sich gemäß § 4 I 3 KHEntG die Höhe der Vergütung der stationär erbrachten Leistungen. Die Krankenhäuser sind in ihren Versorgungsaufträgen aufeinander abzustimmen. Abhängig von der Bevölkerungszahl und der Siedlungsstruktur sind eine hinreichende, gut erreichbare Zahl von Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung 17 Eingehend Stollmann in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 4, Rn. 10 ff.; Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 20, Rn. 12 ff.; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 1 KHG, Rn. 3; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 634; Halbe/ Rothfuß in Clausen/ Schroeder-Printzen Medizinrecht, § 8, Rn. 56 ff. <?page no="213"?> B. Krankenhausplanung und -finanzierung 213 in den Plan aufzunehmen. Diese müssen sich nach der Art der von ihnen angebotenen Leistungen, ihrer fachlichen Ausrichtung und technisch-apparativen Ausstattung gegenseitig ergänzen, so dass der Bevölkerung nahezu die gesamte Palette stationärer Leistungen angeboten werden kann. Auch Einrichtungen der Maximalversorgung sind notwendig in die Planung einzubeziehen, um die Behandlung seltener oder besonders schwerwiegender Erkrankungen gewährleisten zu können. Aufgrund ihrer hochspezifischen technischen Ausstattung und ihres besonderen diagnostischen und therapeutischen Angebots, welches einen erhöhten wirtschaftlichen Aufwand nach sich zieht, müssen diese freilich nicht flächendeckend vorgehalten werden. Sie müssen jedoch über eine hinreichende Bettenzahl verfügen, um die regelmäßig anfallenden Patientenzahlen bewältigen zu können. 18 Insgesamt sind daher folgende Kriterien bei der Krankenhausplanung relevant: 19 Q Bevölkerungszahl und Altersstruktur, um die voraussichtlichen Patientenzahlen abschätzen zu können, Q Raumordnung, Siedlungs- und Infrastruktur, um die örtliche Erreichbarkeit in Ballungsräumen und ländlichen Gebieten sicherzustellen, Q das Leistungsangebot der Krankenhäuser in fachlicher und technisch-apparativer Hinsicht, um eine umfassende stationäre Versorgung zu gewährleisten, Q Bettenzahl, tagesklinische Plätze, Notfall- und Katastrophenbetten, um ein zahlenmäßig ausreichendes Angebot sicherzustellen, Q Ausbildungsstätten für ärztliches und sonstiges medizinisches Personal, Q die Trägerschaft der Krankenhäuser, um dem Privileg privater und frei-gemeinnütziger Träger nach § 1 II KHG Rechnung tragen zu können. Die Planung ist regelmäßig zu aktualisieren und fortzuschreiben, um strukturellen Änderungen gerecht zu werden. Infolge der planerischen Abstimmung der Versorgungsaufträge sind die Krankenhäuser zur gegenseitigen Zusammenarbeit verpflichtet. Sie haben dabei insbesondere zu gewährleisten, dass im Notfall wechselseitig Patienten aufgenommen werden. 20 18 BVerwGE 72, 38. 19 Exemplarische Darstellung anhand der Mindestanforderungen an den Krankenhausplan nach § 4 II ThürKHG; eine Übersicht über die landesrechtlichen Regelungen im Einzelnen findet sich bei Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 41 ff. 20 Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 79, Rn. 56. <?page no="214"?> 214 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser 2. Anspruch auf Aufnahme in den Krankenhausplan Gemäß § 8 I 3 KHG wird durch Bescheid - also einen Verwaltungsakt - festgestellt, ob ein Krankenhaus in den Landesplan aufgenommen wird. Rechtsschutz gegen diesen kann auf dem Verwaltungsrechtsweg begehrt werden. Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in den Krankenhausplan besteht nicht, wenngleich die Berechtigung zur Teilhabe an der finanziellen Förderung von Investitionen und Betriebskosten an die Aufnahme in den Plan anknüpft, § 8 I 1, II KHG. Die Krankenhausträger haben lediglich einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Planungsbehörde. 21 Das behördliche Ermessen wird lediglich durch § 1 II 2 KHG geleitet, wonach die freien und privaten Träger besonders zu berücksichtigen sind. Diese Norm beinhaltet einen Bestandsschutz für gemeinnützige wie erwerbsorientierte Krankenhäuser. Sofern geeignete privilegierte Träger vorhanden sind, können öffentlich-rechtliche Träger daher unter Umständen nicht ihre Aufnahme in den Krankenhausplan erreichen. II. Finanzierung Da die Vorhaltung einer hinreichenden Zahl von Krankenhäusern nach Landesrecht als öffentliche Aufgabe ausgestaltet ist, obliegt der öffentlichen Hand die Finanzierung des stationären Sektors. Dem trägt das KHG Rechnung, wonach die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser die bedarfsdeckende Versorgung der Bevölkerung ermöglichen soll. Die Krankenhausfinanzierung folgt einem dualen System: 22 nach § 4 KHG erfolgt die wirtschaftliche Sicherung durch die öffentliche Förderung der Investitionskosten zum einen und durch leistungsgerechte Erlöse aus Pflegesätzen sowie die Vergütung für die vor- und nachstationäre Behandlung sowie für ambulante Operationen zum anderen. 1. Investitionskosten Gemäß §§ 9, 11 KHG ist die Tragung der Investitionskosten den Bundesländern überantwortet. 21 Stollmann in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 4, Rn. 64; Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 11 KHG, Rn. 6; Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 20, Rn. 16. 22 Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 23; Degener-Hencke in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 5, Rn. 2 ff.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 10. <?page no="215"?> B. Krankenhausplanung und -finanzierung 215 a. Begriff Nach § 2 Nr. 2 KHG fallen darunter die Kosten für Q die Errichtung, d. h. den Neubau, Umbau und Erweiterungsbau von Krankenhäusern Q die Anschaffung der zum Krankenhaus gehörenden Wirtschaftsgüter, ausgenommen der zum Verbrauch bestimmten Güter (Verbrauchsgüter) Q die Kosten der Wiederbeschaffung der Güter des zum Krankenhaus gehörenden Anlagevermögens (Anlagegüter). Die Aufwendungen für den Erwerb der Grundstücke, deren Erschließung und ihrer Finanzierung sowie für Telekommunikation und Datenverarbeitung gelten nicht als förderungsfähige Investitionskosten. Auch die Anlaufkosten, dies sind die mit der Inbetriebnahme des Krankenhauses zusammenhängenden Kosten, sind vom Träger selbst zu leisten. b. Förderungsmodus Nach dem Willen des Bundesgesetzgebers soll die Investitionsförderung seit 2012 zwar durch Pauschalen erfolgen, § 10 I KHG. Nach Landesrecht werden jedoch regelmäßig zwei Verfahren zur Verteilung der Fördermittel im Krankenhauswesen unterschieden. 23 Der Einzelförderung unterliegen die Kosten für den Neubau und die Erstausstattung von Krankenhäusern sowie die Wieder- und Ergänzungsbeschaffung von langfristig genutzten Anlagegütern. 24 Die Ergänzungsbeschaffung von Anlagegütern mit kürzerer Nutzungsdauer kann ebenfalls nach diesem Modus gefördert werden, wenn die Ergänzung über die übliche Anpassung an den medizinischen Fortschritt hinausgeht. Im Einzelförderungsverfahren stellt der Krankenhausträger einen Antrag auf Förderung konkreter Investitionen. Diese werden nach einer positiven fachlichen und sachlichen Prüfung in bestimmter Höhe bewilligt, sind aber in ihrer Verwendung an die konkrete Maßnahme gebunden. Die übrigen Investitionskosten werden über die Pauschalförderung abgegolten. Danach wird jedem Krankenhaus jährlich ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt. Über diesen kann der Krankenhausträger ohne gesondertes Prüfungsverfahren im Rahmen der Zweckbindung frei verfügen. Der Pauschalförderung unterliegen die Wiederbeschaffung und Ergänzung kurzfristiger Anlagegüter sowie Baumaßnahmen, deren Kosten bestimmte, durch Rechtsverordnung festzulegende Wertgrenzen nicht überschreiten. 23 Eingehend Prütting in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 5, Rn. 16; Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 11 KHG, Rn. 9 ff.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 161. 24 Zum Begriff Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 118 f. <?page no="216"?> 216 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser Mit der Aufnahme einer Einrichtung in den Krankenhausplan wird ein Anspruch auf Teilhabe an der Investitionsförderung begründet. Dieser Anspruch richtet sich jedoch nicht auf die Bewilligung und Auszahlung konkreter Summen zu einem bestimmten Termin. Es handelt sich vielmehr um eine Anwartschaft, also ein Teilhaberecht am Förderungsverfahren. Die Fördermittel sind so zu bemessen, dass sie die förderungsfähigen und betriebswirtschaftlich notwendigen Investitionskosten decken. Dies impliziert eine vollumfängliche Finanzierung durch die öffentliche Hand, die auf Antrag des Trägers zu gewähren ist. Das Landesrecht räumt den zuständigen Ministerien und den Krankenhausträgern jedoch die Möglichkeit ein, die Förderung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag auf Teilbeträge zu beschränken und dem Träger die Restfinanzierung aufzuerlegen. 25 Die finanziellen Mittel werden durch die Bundesländer aufgebracht. Landkreise und kreisfreie Städte werden regelmäßig mit einem jährlichen Beitrag am Finanzierungsaufkommen beteiligt. 26 2. Betriebskosten Die Betriebskosten werden aus den Pflegesätzen finanziert. Diese legen die Vergütung für stationäre Behandlungen fest und werden von den Patienten bzw. den gesetzlichen oder privaten Krankenkassen getragen, § 2 Nr. 4 KHG. In die Bemessung der Pflegesätze dürfen darüber hinaus auch die pflegesatzfähigen Kosten einfließen. 27 Nicht berücksichtigungsfähig sind in diesem Zusammenhang nach § 17 III, IV KHG Q Leistungen, die nicht der ambulanten oder stationären Versorgung zuzuordnen sind, Q die Kosten für Forschung und Lehre, Q Investitionskosten, Q Grundstückskosten, Q Anlaufkosten Q und sonstige Kosten, die aus öffentlichen Mitteln gefördert werden. Die Instandhaltungskosten sind in den Pflegesätzen zu berücksichtigen, § 17 IVb KHG. Dabei handelt es sich um die Aufwendungen für die Erhaltung oder Wiederherstellung von Anlagegütern. 25 Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 2 KHG, Rn. 5; Halbe/ Orlowski in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 13, Rn. 99 ff. 26 In Thüringen beläuft sich dieser Beitrag auf 10,23 € je Einwohner, § 8 II ThürKHG. 27 Näheres dazu ist in der Abgrenzungsverordnung (AbgrV) geregelt. Vgl. auch Prütting in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 5, Rn. 50. <?page no="217"?> B. Krankenhausplanung und -finanzierung 217 Die Höhe der Pflegesätze wird gemäß § 16 I KHG durch Rechtsverordnung der Bundesregierung (BPflV) geregelt. Überschüsse aus den Pflegesätzen dürfen vom Träger verbraucht werden, § 17 I 4 KHG. Jedoch sind auch Verluste vom Krankenhaus zu schultern. Die Träger haben daher nach dem Gesetzeswortlaut keinen Anspruch auf eine kostendeckende Bemessung der Pflegesätze. Vielmehr stellt § 17 I 3 KHG klar, dass das Prinzip der Beitragsstabilität im Vordergrund steht. Nach Auffassung des BVerwG ist der Träger jedoch nicht verpflichtet, die Instandhaltungskosten selbst zu tragen, sofern er dadurch in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wird. Notfalls ist durch eine Erhöhung der Pflegesätze ein Ausgleich dieser Aufwendungen herbeizuführen. 28 Das Pflegesatzsystem hat mit der Umstellung der Krankenhausvergütung auf Fallpauschalen 29 weitgehend an Bedeutung verloren. Aufwendungen Kostenträger Investitionskosten Bundesländer Betriebskosten Patienten, gesetzliche und private Krankenkassen Grundstückskosten und Anlaufkosten Träger des Krankenhauses Entgelt für stationäre Leistungen Patienten, gesetzliche und private Krankenkassen 28 BVerwGE 99, 362. 29 Dazu ausführlich auf S. 234. <?page no="218"?> 218 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser C. Organisation des Krankenhauses Die interne Struktur und Organisation eines Krankenhauses liegt in der Verantwortung seines Trägers. Es existieren keine detaillierten gesetzlichen Bestimmungen hierzu. Gleichwohl ist der Träger gehalten, ein Mindestmaß innerbetrieblicher Regelungen zu treffen und dadurch Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse bestimmten Verantwortlichen zuzuweisen. Dies geschieht durch Dienst- oder Geschäftsordnungen, Dienstanweisungen sowie in den Anstellungsverträgen des Personals. I. Gliederung des Krankenhauses In der Regel sind die Einrichtungen horizontal in „Säulen“ sowie innerhalb der Säulen vertikal nach Hierarchien gegliedert. In der horizontalen Gliederung wird regelmäßig zwischen ärztlichem Bereich, pflegerischem Bereich sowie Wirtschaft und Verwaltung differenziert. Diese Abgrenzung dient der Aufgabenverteilung: jeder Säule sind bestimmte Zuständigkeiten zugewiesen. Mit der vertikalen Gliederung wird innerhalb der einzelnen Säulen eine Rangfolge der Verantwortungsträger bestimmt. Die obere Ebene hat Entscheidungsbefugnisse, die nachgeordneten Ebenen sind mit deren Ausführung betraut. 30 Trotz der Hierarchisierung ist eine partnerschaftliche und kollegiale Zusammenarbeit aller Ebenen das Leitbild der Arbeitsorganisation im Krankenhaus. Eine völlige Trennung ließe sich auch im Krankenhausalltag nicht aufrecht erhalten. So ist die Ärzteschaft zur Koordinierung, Überwachung und Anleitung des Pflegepersonals ebenso befugt wie sie zur Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit verpflichtet ist. 31 Ärztlicher Bereich Pflegerischer Bereich Wirtschaft/ Verwaltung Ärztlicher Direktor Pflegedirektion Verwaltungsdirektor oder Geschäftsführer Chefarzt Verwaltungsangestellte Oberarzt Leitende Pflegefachkraft Stationsärzte Stationsleitung Assistenzärzte Pflegekräfte 30 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 16, Rn. 3; Ricken in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13, Rn. 1; zu den Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation s. auch Gross/ Kucharz, MedR 2018, 143, 149. 31 Genzel/ Degener-Henck in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 84, Rn. 3 ff. <?page no="219"?> C. Organisation des Krankenhauses 219 In der ärztlichen Säule ist der ärztliche Direktor nicht gleichzusetzen mit einem Vorgesetzten der Chefärzte. Er hat vielmehr die Aufgabe - soweit vorhanden - die Chefärzte mehrerer Abteilungen des Krankenhauses zu leiten und ist regelmäßig selbst Chefarzt. Der Chefarzt, der zuweilen auch als Leitender Arzt bezeichnet wird, führt in eigener Verantwortung eine bestimmte, seiner fachlichen Ausrichtung entsprechende Abteilung des Krankenhauses. Er überwacht und berät die ihm nachgeordneten Ärzte und ist diesen gegenüber fachlich weisungsberechtigt. Der Oberarzt vertritt den leitenden Arzt und ist aus diesem Grund zur Kontrolle und Überwachung der nachgeordneten Stations- und Assistenzärzte berufen. Die Assistenzärzte haben ihre Facharztausbildung noch nicht abgeschlossen. Sie verfügen dementsprechend über keine eigenständige Entscheidungskompetenz bei der diagnostischen und therapeutischen Versorgung der Patienten. Eine Ausnahme besteht nur bei Notfällen, in denen kein ihnen gegenüber weisungsbefugter Arzt erreichbar ist. 32 II. Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Krankenhaus Die Rechte und Pflichten des Arztes gegenüber dem Krankenhaus ergeben sich regelmäßig aus einem Arbeitsvertrag. Dieser unterliegt den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts und ist ein Unterfall des Dienstvertrags nach §§ 611 ff. BGB. Der Arbeitsvertrag wird durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ergänzt und teilweise auch abbedungen. Für konfessionelle Träger gelten insofern Besonderheiten, als diesen nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV die Befugnis zur eigenverantwortlichen Regelung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der allgemeinen Gesetze eingeräumt ist. Daher ist beispielsweise das Betriebsverfassungsrecht nicht auf kirchliche Arbeitgeber anwendbar, § 118 II BetrVG. Tarifparteien im herkömmlichen Sinne existieren in der Kirche nicht. Die Arbeitsverträge werden daher nicht durch Tarifverträge, sondern durch die innerkirchlich vereinbarten Arbeitsvertragsrichtlinien der evangelischen und katholischen Kirche bestimmt. Diese werden jedoch nur durch ausdrückliche und individuelle Bezugnahme Bestandteil des Arbeitsvertrags. 33 Ärzte, die in Krankenhäusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft tätig sind, können nach den beamtenrechtlichen Vorgaben des Bundes und der Länder ins Beamtenverhältnis berufen werden. Sie sind dann nicht Arbeitnehmer. Maßgeblich für ihr Beschäftigungsverhältnis ist daher nicht ein Dienstvertrag, sondern das Beam- 32 Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 86, Rn. 31 f. 33 BAG, NZA 2006, 611. Nach BAG, NZA 2006, 872 handelt es sich bei den kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. §§ 305 ff. BGB; ausführlich zum kirchlichen Arbeitsrecht Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, München 2009; Keysers in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 611 BGB, Rn. 16 ff. <?page no="220"?> 220 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser tenrecht. 34 Typischerweise erfolgt die Verbeamtung aber nur bei Hochschullehrern, die Aufgaben der stationären Versorgung in Universitätskliniken wahrnehmen. Ihr Arbeitsverhältnis richtet sich in diesem Fall zusätzlich nach dem Hochschulrecht der Bundesländer. III. Besonderheiten beim Chefarzt Beim Chefarzt - gleich welcher Trägerschaft das Krankenhaus unterliegt - sind die Arbeitsbedingungen, namentlich die Vergütung regelmäßig im Einzelnen ausgehandelt. Zu seinen Aufgaben zählt die eigenverantwortliche Leitung einer Krankenhausabteilung. Neben der Überwachung und Beratung der nachgeordneten Ärzte sowie des Pflegepersonals obliegt ihm die Verantwortung für die Versorgung der Patienten seiner Abteilung. Er hat gegebenenfalls auch Patienten auf anderen Stationen zu versorgen und wird zu Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft herangezogen. 35 1. Der Chefarzt als leitender Angestellter Trotz seiner herausgehobenen Verantwortung ist der Chefarzt Arbeitnehmer. 36 Es ist jedoch umstritten, ob er als leitender Angestellter einzustufen ist. Dies hat vor allem Auswirkungen auf das Kündigungsrecht. Denn gemäß § 5 III BetrVG ist das Betriebsverfassungsrecht auf leitende Angestellte nicht anwendbar. Daher ist bei deren Kündigung beispielsweise keine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG vorgesehen. Im Kündigungsschutzverfahren vor den Arbeitsgerichten bedarf zudem der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses abweichend vom üblichen Verfahren keiner besonderen Begründung, §§ 14 II, 9 I 2 KSchG. Greift ein leitender Angestellter seine Entlassung erfolgreich gerichtlich an, wird die Kündigung also nicht aufgehoben, sondern es wird lediglich die Zahlung einer Abfindung vereinbart. Ein leitender Angestellter ist gemäß § 5 III BetrVG nach seinem Arbeitsvertrag oder seiner betrieblichen Position 34 Ausführlich zum rechtlichen Status des verbeamteten Krankenhausarztes Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 86, Rn. 3 ff. 35 Vgl. dazu Diringer, MedR 2003, 200 (205). 36 Grundlegend BAGE 11, 225; Genzel/ Degener-Henck in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 86, Rn. 24 (Fn. 1); Ricken in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13, Rn. 6 f. Vgl. auch die Ausführungen des BVerfG, NJW 1980, 1327 (1329 f.) zum Wesen des Chefarztberufs. <?page no="221"?> C. Organisation des Krankenhauses 221 Q zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt, Q hat eine umfassende Vertretungsmacht, beispielsweise aufgrund Generalvollmacht oder Prokura inne oder Q nimmt solche Aufgaben wahr, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt. Die Qualifizierung des Chefarztes als leitender Angestellter kann allenfalls am letzten Merkmal anknüpfen, denn er hat regelmäßig keine Personalentscheidungsbefugnis und auch keine Vertretungsmacht im Verhältnis zum Klinikträger. Zwar übt er eine Tätigkeit aus, die besondere fachliche Kenntnisse voraussetzt, ist der Chefarzt doch zur Anleitung und Überwachung ganzer Krankenhausabteilungen berufen und unterliegt dabei keinen Weisungen. Gleichwohl ist der Begriff des leitenden Angestellten nicht erfüllt. Denn das Gesetz schreibt diesem eine wirtschaftlich-unternehmerische Verantwortung zu, die der Chefarzt in aller Regel nicht innehat. Zwar kann ihm im Arbeitsvertrag die Verantwortung für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots und die Verwaltung eines abteilungsbezogenen Budgets zugewiesen werden, innerhalb dessen der Chefarzt die Leistungserbringung steuern und dokumentieren muss. Diese Befugnis ist jedoch auf die ihm zugewiesene Abteilung begrenzt und daher nicht so umfassend, dass damit eine Verantwortung für das wirtschaftliche Wohl und Wehe des Krankenhauses insgesamt verbunden ist. 37 Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Chefarzt gewöhnlicher Arbeitnehmer ist. So wird in § 18 I Nr. 1 ArbZG zwischen leitenden Angestellten und Chefärzten differenziert. 2. Liquidationsrecht Neben ihrem festen monatlichen Lohn erhalten Chefärzte regelmäßig zusätzliche Einkünfte für einzelne Leistungen, die sie im Krankenhaus erbringen und für die ihnen der Träger ausdrücklich ein Liquidationsrecht eingeräumt hat. 38 Zulässig ist auch die 37 BAG, MedR 2008, 570; NZA 2010, 955 (957 f.); a. A. Moll, MedR 1997, 293; vermittelnd unter Verweis auf die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrags Diringer, MedR 2003, 200; Laufs in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 12, Rn. 8; Flachsbarth in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 565; Wahlers, MedR 2011, 331 (337 f.). 38 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 16, Rn. 43; ausführlich Clausen/ Schroeder-Printzen in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 17, Rn. 1 ff. <?page no="222"?> 222 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser prozentuale Beteiligung an den Einnahmen des Krankenhausträgers, die seinem Verantwortungsbereich zuzuordnen sind. Damit soll erreicht werden, dass der angestellte Chefarzt ein dem niedergelassenen Arzt vergleichbares Einkommen erzielt. 39 Das Liquidationsrecht besteht namentlich bei der Behandlung von Wahlleistungspatienten. Das Recht zur Abrechnung von Wahlleistungen folgt aus § 17 KHEntgG. Was zu den Wahlleistungen zählt, ist in Unterscheidung zu den allgemeinen Krankenhausleistungen zu ermitteln. 40 Letztere umfassen gemäß § 2 II 2 BPflV alle Leistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Beispiel Patient P schließt mit dem Krankenhausträger K einen Vertrag über die Behandlung im Krankenhaus ab. Dabei vereinbaren P und K, dass P ausschließlich vom Chefarzt behandelt werden soll. Dies geht über die allgemeinen, planmäßig angebotenen Krankenhausleistungen hinaus. Denn typischerweise wird die Behandlung von den Oberärzten, Stationsärzten und Assistenzärzten erbracht, während der Chefarzt eine Kontroll- und Beratungsfunktion einnimmt. Der Patient erhält aufgrund einer solchen Wahlleistungsvereinbarung nicht jedwede von ihm gewünschte Behandlung, sondern nur die, die angesichts seines Gesundheitszustands geboten ist. Der Unterschied zur „Standardbehandlung“ liegt darin, dass der Patient den Arzt auswählt, dessen Fähigkeiten er besonders vertraut. Er hat daher einen Rechtsanspruch auf persönliche Behandlung durch den Chefarzt, der die ihm obliegenden Aufgaben abweichend von der üblichen Praxis nicht an andere delegieren darf. 41 Mit der Einräumung des Liquidationsrechts tritt der Krankenhausträger seine Entgeltforderung gegen den Patienten an den Chefarzt ab. Auch gesetzlich versicherte Patienten müssen die Wahlleistungen selbst vergüten, da sie nicht vom Leistungsanspruch gegen die GKV umfasst sind. Entsprechende Abreden sind jedoch ausdrück- 39 Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 81 ff.; Genzel/ Degener-Hencke in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 87, Rn. 1; Keysers in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 611 BGB, Rn. 69 ff.; Wagener/ Hauser in Robbers/ Wagener, Die Krankenhausbehandlung, S. 71 ff ; ausführlich Schrader/ Siegel, MedR 2022, 121. 40 Bender in HK-AKM, Beiträge Wahlleistungen, Rn. 10; Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 26 f.; Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 17 KHEntgG, Rn. 2 ff.; Quaas in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 533 f. 41 BGHZ 106, 391; BGH, NJW 2010, 2580; BGH, NJW 2016, 3523. <?page no="223"?> C. Organisation des Krankenhauses 223 lich zu treffen und vor der Leistungserbringung schriftlich zu fixieren. Der Patient muss zudem vor Abschluss der Vereinbarung schriftlich über den Inhalt und die Entgelte für Wahlleistungen informiert werden, § 17 II KHEntgG. 42 Die Vergütung richtet sich gemäß § 17 III 7 KHEntgG nach der GOÄ. Die danach abrechnungsfähigen Gebühren sind jedoch um 25 % zu mindern, § 6a GOÄ. IV. Exkurs: Arbeitszeit der Klinikärzte Grundsätzlich werden die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag frei ausgehandelt. Die Privatautonomie gilt jedoch nicht umfassend, sondern wird durch Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer eingeschränkt. Für den stationären Sektor ist das im ArbZG verankerte Arbeitsrecht von besonderer Bedeutung, ginge doch eine uneingeschränkte zeitliche Beanspruchung der Ärzte wie des Pflegepersonals zu Lasten der Patienten, die infolge von Überlastung und Erschöpfung Gefahren durch medizinische Fehlentscheidungen ausgesetzt wären. Der Inhalt des ArbZG ist ganz wesentlich durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie vorgegeben. 43 Gemäß § 3 ArbZG darf die Arbeitszeit an Werktagen acht Stunden nicht überschreiten. Im Einzelfall ist eine Verlängerung auf zehn Arbeitsstunden zulässig, sofern im Durchschnitt die Höchstgrenze von acht Stunden eingehalten wird. Die maximal zulässige Wochenarbeitszeit liegt bei 48 Stunden. Nach § 4 ArbZG ist die Arbeitszeit durch Ruhepausen von 30 bzw. 45 Minuten zu unterbrechen; ein Arbeitnehmer darf nie länger als sechs Stunden am Stück arbeiten. In den Ruhepausen ist der Arbeitnehmer zu keinerlei Leistungen verpflichtet. Was als Arbeitszeit anzusehen ist, war jedoch lange problematisch, insbesondere im Hinblick auf den Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft im Gesundheitswesen. Im Bereitschaftsdienst ist der Arbeitnehmer zum Aufenthalt am Arbeitsplatz verpflichtet und muss bei Bedarf sofort tätig werden. Im Gegensatz dazu darf er in Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort frei bestimmen, ist aber ebenso gehalten, im Bedarfsfall unverzüglich Arbeitsleistungen zu erbringen. 44 42 Zu den Informationspflichten des Krankenhausträgers gegenüber dem Patienten BGH, NJW-RR 2005, 419; Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 27 f.; Miebach/ Patt, NJW 2000, 3377 (3378). 43 Richtlinie 2003/ 88/ EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABL. L 299 vom 18.11.2003, S. 9. 44 Köhler-Hohmann in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 18, Rn. 23 f; Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 87; Ricken in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13, Rn. 55; Keysers in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 611 BGB, Rn. 31. <?page no="224"?> 224 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser In der Arbeitszeitrichtlinie ist Arbeitszeit als die Zeitspanne bezeichnet, während deren ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Die Definition in § 2 I ArbZG ist allgemeiner gefasst und verweist auf die Zeit vom Anfang bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. In der Praxis sind Zeiten des Bereitschaftsdienstes nicht als Arbeitszeit qualifiziert worden. Begründet wurde dies damit, dass in diesen Perioden zwar Arbeitsbereitschaft bestehen müsse, Leistungen aber nur im Bedarfsfall erbracht werden müssten. 45 In den Tarifverträgen waren daher gewöhnliche Dienstzeiten und Bereitschaftsdienste gesondert geregelt, so dass sich die tatsächliche Arbeitszeit der Klinikärzte ohne Überstunden auf durchschnittlich 67 Stunden pro Woche belief. Dieser Situation ist der EuGH mit seiner Rechtsprechung entgegen getreten. In den Rechtssachen SIMAP und Jäger 46 hat das Gericht klargestellt, dass der Bereitschaftsdienst alle Merkmale des Arbeitszeitbegriffs erfülle. Während des Bereitschaftsdienstes habe sich der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufzuhalten und verfügbar zu sein. Im Gegensatz zur reinen Freizeit werde von ihm also Leistungsbereitschaft gefordert. Entspannung und Erholung kämen im Bereitschaftsdienst nicht in Betracht, der Arbeitnehmer könne nicht frei über seine Zeit verfügen. Auch wenn die tatsächlich geleistete Arbeit von den Umständen abhänge, sei die Arbeitsbereitschaft Bestandteil der beruflichen Aufgaben des Arztes und daher Arbeitszeit. Das ArbZG ist daraufhin an die Rechtsprechung angepasst worden, so dass der Bereitschaftsdienst auch nach deutschem Recht als Arbeitszeit einzustufen ist. Abweichungen durch Öffnungsklauseln im Tarifvertrag blieben aber möglich. In einem weiteren Urteil in der Rechtssache Pfeifer 47 hat der EuGH jedoch die pauschale Abweichung vom Arbeitszeitrecht in Tarifverträgen für unzulässig erklärt. Eine Verlängerung der Arbeitszeit über die Grenzen des ArbZG hinaus erfordere eine individuelle, ausdrückliche und freie Zustimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag. Dieser Rechtsprechung wurde mit der Einführung des § 7 IIa, VII ArbZG Rechnung getragen. 45 So die frühere ständige Rechtsprechung und h. M., vgl. statt vieler BAG, NZA 2004, 164. 46 EuGH, Slg. 2000, I-7963, R. 48 (SIMAP); EuGH, Slg. 2003, I-8389, Rn. 57 (Jäger). 47 EuGH, Slg. 2004, I-8835 (Pfeifer) mit Anmerkung Abig, ZESAR 2005, 93. <?page no="225"?> D. Der Behandlungsvertrag 225 D. Der Behandlungsvertrag Die Behandlung im Krankenhaus erfolgt aufgrund eines Vertrags. Parteien der Vereinbarung sind der Patient und der Krankenhausträger. Mit dem einzelnen behandelnden Arzt tritt der Patient also nicht in vertragliche Beziehungen. Unabhängig vom Versichertenstatus des Patienten und der Trägerschaft der Einrichtung handelt es sich um einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag. 48 Wird ein Patient bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert, kann er gemäß § 105 II BGB keine wirksame Willenserklärung abgeben. In der Regel kommt der Vertrag in diesen Fällen nach Wiedererlangen des Bewusstseins rückwirkend zustande. Anderenfalls greifen die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB. Es sind dann die Leistungen zu erbringen, die im mutmaßlichen Interesse des Patienten liegen. 49 I. Kontrahierungszwang Im Vergleich zur Behandlung durch niedergelassene Ärzte besteht beim Abschluss des Krankenhausvertrags eine Besonderheit, denn die Privatautonomie der Träger ist teilweise eingeschränkt. Alle in die öffentliche Bedarfsplanung aufgenommenen Einrichtungen unterliegen einem Kontrahierungszwang. 50 Sie sind also gezwungen, mit jedem um Behandlung ersuchenden Patienten einen Vertrag abzuschließen. Ein Ablehnungsrecht steht ihnen nur zu, soweit eine stationäre Behandlung des Patienten aus medizinischer Sicht nicht angezeigt ist. Der Kontrahierungszwang folgt aus der Zuordnung der Krankenhausversorgung zu den Leistungen der Daseinsvorsorge. Für diese ist prägend, dass sie gleichmäßig und flächendeckend allen Einwohnern zur Verfügung stehen müssen. Für die medizinische Versorgung gilt dies umso mehr, zielt sie doch auf den Erhalt des Lebens und der Gesundheit des Einzelnen ab und tangiert damit unmittelbar die verfassungsrechtlich geschützten Güter der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 1, 2 II GG. 48 Bender in HK-AKM, Beiträge Krankenhausaufnahmevertrag, Rn. 5; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 7 zu den Besonderheiten der Krankenhausbehandlung gesetzlich versicherter Patienten; dazu auch Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, Rn. 278 ff. 49 Dazu ausführlich auf S. 127 f. Siehe auch Bender in HK-AKM. Beiträge Krankenhausaufnahmevertrag, Rn. 19 ff. 50 Rehborn in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 14, Rn. 28; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 18. <?page no="226"?> 226 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser Alle anderen Einrichtungen - dies sind jene, die ihre Leistungen außerhalb des Bedarfsplans in eigener finanzieller Verantwortung für die Investitions- und Betriebskosten anbieten - trifft der Kontrahierungszwang im Notfall, wenn das Leben des Patienten unmittelbar bedroht ist. Ebenso wie die frei praktizierenden Ärzte können sie also Patienten ohne nähere Angabe von Gründen ablehnen, sofern deren Gesundheitszustand nicht eine sofortige Behandlung indiziert. 51 II. Rechtsformen des Behandlungsvertrags im Krankenhaus Je nach dem Umfang der geschuldeten Leistung werden verschiedene Arten von Verträgen zur stationären Versorgung unterschieden. 1. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag Regelfall ist der einheitliche oder totale Krankenhausaufnahmevertrag. 52 In diesem verpflichtet sich der Träger, alle für die stationäre Behandlung erforderlichen Leistungen an den Patienten zu erbringen. Die vom Krankenhaus geschuldeten Leistungen sind in § 2 BPflV näher umrissen und beinhalten neben der ärztlichen Behandlung die pflegerische Betreuung, die Versorgung mit den notwendigen Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Unterkunft und Verpflegung. Das Krankenhaus bietet mithin ein „Leistungspaket“ an, das einheitlich zu vergüten ist. Der Vertrag wird formlos zwischen Träger und Patient abgeschlossen. Es handelt sich um einen typengemischten Vertrag, der Elemente des Kauf-, Dienst-, Werk- und Mietvertrags enthält. 53 Bei Leistungsstörungen ist dementsprechend nach den einzelnen Vertragsbestandteilen zu differenzieren, wobei für die Behandlungsleistungen die Vorgaben der §§ 630a ff. BGB gelten. Ergänzend werden zumeist Krankenhausaufnahmebedingungen 54 herangezogen. Dabei handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB. Diese orientieren sich am „Muster allgemeiner Vertragsbedingungen (AVB) für 51 Meister/ Ganse in Robbers/ Wagener, Die Krankenhausbehandlung, S. 26 f. 52 Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 55; Rehborn in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 14, Rn. 15; Mennemeyer/ Hugemann in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 724; Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Medizinrecht, § 31, Rn. 280. 53 Bender in HK-AKM, Beiträge Krankenhausaufnahmevertrag, Rn. 9; Meister/ Ganse in Robbers/ Wagener, Die Krankenhausbehandlung, S. 24. 54 Wagener/ Hauser/ Korthus in Robbers/ Wagener, Die Krankenhausbehandlung, S. 115 ff.; Rehborn in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 14, Rn. 81 ff.; zu typischen Klauseln im Einzelnen vgl. Bender in HK-AKM, Beiträge Krankenhausaufnahmevertrag, Rn. 93 ff. <?page no="227"?> D. Der Behandlungsvertrag 227 Krankenhäuser“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Diese ist Dachverband der Spitzen- und Landesverbände der Krankenhausträger. Die Aufnahmebedingungen werden Bestandteil des Krankenhausaufnahmevertrags, wenn der Patient die Möglichkeit hat, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen und mit der Geltung einverstanden ist, § 305 II BGB. 2. Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag Bei der Behandlung durch Belegärzte wird ein gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag abgeschlossen. 55 Der Belegarzt ist ein freiberuflich tätiger, niedergelassener Arzt, dem kraft Vertrages mit dem Krankenhausträger das Recht eingeräumt ist, seine Patienten in der Einrichtung stationär zu behandeln, § 2 I 2 BPflV, §§ 18, 19 KHEntgG. 56 Dabei darf der Belegarzt - gegebenenfalls in einer gesonderten Belegabteilung - alle vom Klinikträger bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel nutzen. Der Träger verpflichtet sich im Gegenzug, die belegärztliche Tätigkeit durch die Bereitstellung hinreichend ausgestatteter Räume, Geräte und Personal zu ermöglichen. Für seine Leistungen erhält der Belegarzt vom Krankenhausträger keinerlei Vergütung. Er steht namentlich nicht im Anstellungsverhältnis. Die Behandlungsleistungen sind vielmehr Gegenstand eines mit dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrags. Die allgemeinen Krankenhausleistungen - pflegerische Betreuung, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Unterkunft und Verpflegung - werden aufgrund des Krankenhausaufnahmevertrags zwischen Patient und Krankenhausträger bereitgestellt. Der Patient steht somit zwei Vertragspartnern gegenüber, die getrennt für die von ihnen zu erbringenden Leistungen haften: Q Der Belegarzt haftet für die belegärztlichen Behandlungsleistungen, Q der Krankenhausträger haftet für die allgemeinen Krankenhausleistungen. 57 Eine gesamtschuldnerische Haftung von Arzt und Träger nach § 421 BGB kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Patient einen Schaden erleidet, in dem sich gleichermaßen ein Fehlverhalten von Belegarzt und Krankenhaus manifestiert. 55 Meister/ Ganse in Robbers/ Wagener, Die Krankenhausbehandlung, S. 31; Rehborn in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 14, Rn. 16; Mennemeyer/ Hugemann in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 731; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 13. 56 Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 18 KHEntgG, Rn. 1; Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 183. 57 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 13; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 47, Rn. 56; Peikert in HK-AKM, Beiträge Belegarzt, Rn. 33 ff. <?page no="228"?> 228 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten Gesetzlich versicherte Patienten können eine stationäre Behandlung von ihrer Krankenkasse nur durch zugelassene Krankenhäuser erhalten, § 108 SGB V. I. Zugelassene Leistungserbringer in der stationären Versorgung Die Zulassung wird erlangt durch Q Anerkennung als Hochschulkrankenhaus nach dem Hochschulrecht der Bundesländer, Q die Aufnahme in den Krankenhausplan eines Bundeslandes (Plankrankenhaus) oder Q den Abschluss eines Versorgungsvertrags mit den Landesverbänden der Krankenkassen (Vertragskrankenhaus). 1. Plankrankenhäuser Als Plankrankenhäuser gelten nach § 108 Nr. 2 SGB V stationäre Einrichtungen, die in den Krankenhausplan eines Bundeslandes aufgenommen sind. 58 Das SGB V enthält keine näheren Vorgaben zum Umfang des Sicherstellungsauftrags dieser Krankenhäuser. § 39 I 3 SGB V, der den Anspruch des Versicherten auf stationäre Leistungen näher umreißt, verweist lediglich auf den Versorgungsauftrag des Krankenhauses und bezieht sich damit auf den Verwaltungsakt nach § 8 I 3 KHG, mit dem die Aufnahme der Einrichtung in die öffentliche Investitionsförderung begründet worden ist. In diesem Bescheid ist nicht nur der Standort des Krankenhauses festgelegt, sondern auch die vorzuhaltende Bettenzahl, Zahl und Art der Fachabteilungen sowie die Versorgungsstufe (Grund-, Regel- oder Maximalversorgung). Diese Feststellung ist Ausdruck der Planungshoheit der Bundesländer, in die der Bund mit dem Erlass des SGB V nicht eingreifen durfte. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Krankenhausträger können jedoch im Einvernehmen mit der zuständigen Landesbehörde planmodifizierende Vereinbarungen über eine geringere Bettenzahl abschließen. Die Einrichtung stellt in 58 Dazu Wahl in jurisPK-SGB V, § 108, Rn. 19; Hess in KassKomm, § 108 SGB V, Rn. 3; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 108 SGB V, Rn. 4. <?page no="229"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 229 diesem Fall nur einen Teil ihrer planmäßig vorgesehenen Betten für Kassenpatienten zur Verfügung. Voraussetzung einer solchen Vereinbarung ist nach § 109 I 4 SGB V, dass die Leistungsstruktur des Krankenhauses selbst nicht verändert wird. Die Erteilung des Einvernehmens steht im Ermessen der zuständigen Behörde. 59 Ist im Krankenhausplan keine oder keine abschließende Regelung über die Bettenzahl oder die Leistungsstruktur des Krankenhauses getroffen, ist den Landesverbänden der Krankenkassen und den Trägern nach § 109 I 5 SGB die Befugnis zum Abschluss plankonkretisierender Vereinbarungen eingeräumt. Diese sind „im Benehmen“ mit der zuständigen Behörde abzuschließen. Die Behörde ist also lediglich über die beabsichtigte Vereinbarung zu informieren und hat das Recht, Bedenken zu äußern. Ihr Einverständnis ist jedoch nicht erforderlich. Den Vertragsparteien ist damit ein weiterer Gestaltungsspielraum eingeräumt als bei den planmodifizierenden Vereinbarungen. 60 Um der Planungshoheit der Länder Rechnung zu tragen, dürfen diese Abreden jedoch nicht im Widerspruch zum Krankenhausplan oder zu den im Bescheid gegenüber dem Krankenhaus getroffenen Regeln stehen. 61 2. Vertragskrankenhäuser Vertragskrankenhäuser sind nicht in die Krankenhausplanung einbezogen. Sie erhalten damit keine öffentliche Förderung für ihre Investitionen - was indes keinerlei Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Betriebs eines Krankenhauses hat. Gemäß §§ 108 Nr. 3, 109 SGB V dürfen die Landesverbände der Krankenkassen mit solchen Einrichtungen Versorgungsverträge abschließen. Dabei handelt es sich um Normsetzungsverträge, da sie unmittelbare Rechtswirkungen über die Vertragsparteien hinaus entfalten: mit dem Abschluss des Vertrags, der nach § 109 III 2 SGB V freilich unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Planungsbehörde steht, wird der Status als zugelassenes Krankenhaus begründet. Die Einrichtung darf Leistungen zu Lasten aller (! ) gesetzlichen Krankenkassen im Inland erbringen, § 109 I 3 SGB V. 62 Der Umfang des Versorgungsauftrags, namentlich die vorzuhaltende Bettenzahl und Leistungsstruktur richtet sich nach dem Inhalt und der Laufzeit der jeweiligen Vereinbarung. Die Krankenhäuser haben nach § 109 II 1 SGB V keinen Anspruch auf Einbeziehung in solche Versorgungsverträge. Sofern die Krankenkassenverbände die Auswahl 59 BVerwGE 212, 1. 60 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 109, Rn. 13; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 27, Rn. 83; Wahl in jurisPK-SGB V, § 109, Rn. 47. 61 Stollmann in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 4, Rn. 96; eingehend Meßling, SGb 2011, 257. 62 BSGE 78, 243. <?page no="230"?> 230 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser unter mehreren Bewerbern haben, sollen sie diese nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen treffen. 63 Dabei haben sie der Vielfalt der Träger Rechnung zu tragen, um den Versicherten die Wahlfreiheit unter verschiedenen Anbietern von stationären Leistungen einzuräumen. Auch die Geeignetheit des um Vertragsschluss ersuchenden Krankenhausträgers ist maßgeblich. Es ist zu prüfen, ob dieser die Möglichkeit hat, eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Behandlung vorzuhalten. Ist dies nicht gewährleistet, darf ein Versorgungsvertrag nicht abgeschlossen werden, § 109 III 1 SGB V. Die Leistungsfähigkeit einer Einrichtung wird danach beurteilt, ob diese im Hinblick auf ihre personelle und sachliche Ausstattung die voraussichtliche Patientenzahl auf dem aktuellen medizintechnischen Stand versorgen kann. 64 Der Bezug auf die bedarfsgerechte Versorgung hat zur Folge, dass der Abschluss von Versorgungsverträgen nur dann in Frage kommt, wenn die Nachfrage nach stationären Leistungen durch die in den Krankenhausplan aufgenommenen Einrichtungen nicht gedeckt werden kann. Unabhängig von der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit besteht damit ein Vorrang für Plankrankenhäuser. 65 3. Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung In den letzten Jahren ist die vormals strikte Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor geöffnet worden. Diese ist nicht nur unwirtschaftlich, gehen damit doch häufig Doppeluntersuchungen und möglicherweise sogar divergierende oder widersprüchliche Therapieentscheidungen einher. Durch den medizinischen Fortschritt konnte auch die Verweildauer der Patienten in den Krankenhäusern verkürzt werden. Zuweilen ist eine Unterbringung gar nicht erforderlich. Es haben sich daher Zwischenformen zwischen ambulanter und stationärer Behandlung etabliert. 66 Begründet wird die Vernetzung entweder durch den Abschluss entsprechender Verträge zwischen den KVen, den Landesverbänden der Krankenkassen und der jeweiligen Landeskrankenhausgesellschaft. Diese vertritt als Landesverband die einzelnen Krankenhausträger. Eine andere Möglichkeit ist die Ermächtigung stationärer Einrichtun- 63 Joussen in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 109 SGB V, Rn. 9 f.; Wahl in jurisPK-SGB V, § 109, Rn. 57; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 109 SGB V, Rn. 7; Hess in KassKomm, § 109 SGB V, Rn. 4. 64 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 109, Rn. 8; Stollmann in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 4, Rn. 76; Szabados in Spickhoff, Medizinrecht, § 109 SGB V, Rn. 6; Knittel in Krauskopf, § 109 SGB V, Rn. 10 ff. 65 BSGE 81, 182; 89, 294. Eingehend zum Verhältnis zwischen landesrechtlicher Bedarfsplanung und der Versorgung mit stationären Leistungen nach dem SGB V Meßling, SGb 2011, 257. 66 vgl. auch die Übersicht bei Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 32 ff., Degener-Hencke, NZS 2003, 629. <?page no="231"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 231 gen oder einzelner Krankenhausärzte durch den Zulassungsausschuss. Die verschiedenen im Gesetz vorgesehenen Kooperationsformen lassen sich wie folgt systematisieren: 67 Zum einen hat der Gesetzgeber originär vernetzte Leistungsangebote etabliert, für die prototypisch das MVZ steht. Dieses kann gemäß § 95 I, Ia SGB V unter Beteiligung von Krankenhäusern betrieben werden, wird aber gleichwohl (ausschließlich) zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung von Versicherten zugelassen. Andere Kooperationsformen dienen dazu, eine enge und gut abgestimmte Versorgung von Patienten zwischen stationären Einrichtungen und Vertragsärzten zu gewährleisten und die vor- und nachstationäre Behandlung stärker zu koordinieren. In diesem Zusammenhang sind folgende Formen von Bedeutung: Q dreiseitige Verträge zwischen Krankenhäusern, Krankenkassen und Vertragsärzten (§ 115 SGB V) und die darauf basierende ambulante vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus (§ 115a SGB V), Q das Belegarztwesen (§ 121 SGB V), Q die abgestimmte Versorgung bei seltenen oder besonders schweren Erkrankungen im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (§ 116b SGB V), Q die Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen bei chronischen Krankheiten (§ 137f SGB V) und Q die integrierte Versorgung (§ 140a SGB V): Mit der integrierten Versorgung sollen ambulanter und stationärer Sektor vernetzt und dadurch Leistungen der Regelversorgung partiell ersetzt werden. Begründet wird dieses Versorgungsmodell durch Verträge der Krankenkassen mit verschiedenen, interdisziplinär und fachübergreifend tätigen Leistungserbringern. 68 Gemäß § 140a II 1 SGB V können in diesen Verträgen Abweichungen vom Recht der Krankenhausplanung und -finanzierung vereinbart werden. Die Vertragspartner können damit flexibel auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen, für deren Behandlung eine integrierte Versorgung in Betracht kommt. Wieder andere Versorgungsformen zielen darauf ab, die stationäre Aufnahme von Patienten überflüssig zu machen (sog. stationsersetzende Maßnahmen), namentlich Q das ambulante Operieren im Krankenhaus (§ 115b SGB V). Dazu vereinbaren der SpiBuKK, die KBV und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder andere Verbände der Krankenhausträger einen Katalog, in dem ambulant durchführbare Operationen und deren Vergütung geregelt werden. Q die stationsersetzende Behandlung in Praxiskliniken (§ 122 SGB V), in denen mehrere Belegärzte ihre Patienten aufeinander abgestimmt versorgen. 67 Zum Ganzen ausführlich Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, Baden- Baden 2011. 68 Dazu ausführlich auf S. 159 ff. <?page no="232"?> 232 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser Schließlich kommt die sektorenübergreifende Versorgung als Ausweg aus der Unterversorgung mit vertragsärztlichen Leistungen bzw. deren ungenügende Erreichbarkeit in Betracht. Dies betrifft Q die ambulante Behandlung durch ermächtigte Krankenhausärzte und Krankenhäuser (§§ 116, 116a SGB V), Q Hochschulambulanzen, § 117 SGB V: Ambulanzen, Institute oder Abteilungen der Hochschulklinik sind kraft Gesetzes zur ambulanten Behandlung ermächtigt, ohne dass ein Antrag erforderlich ist oder eine Bedarfsprüfung durchgeführt wird. Der Umfang der Ermächtigung ist davon abhängig, dass Forschung und Lehre im notwendigen Umfang gewährleistet wird. 69 Q psychiatrische Institutsambulanzen, § 118 SGB V: psychiatrische Krankenhäuser haben einen Rechtsanspruch auf Ermächtigung zur ambulanten Versorgung von Versicherten. Sie sollen vorwiegend die Patienten psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandeln, die wegen der Art und Schwere ihrer Erkrankung darauf angewiesen sind oder die wegen großer räumlicher Entfernung keinen niedergelassenen Psychiater oder Psychotherapeuten aufsuchen können. Eine Bedarfsprüfung findet nicht statt. Q sozialpädiatrische Zentren, § 119 SGB V: die Zulassungsausschüsse können Einrichtungen zur ambulanten sozialpädiatrischen Behandlung ermächtigen. Diese bieten unter fachlich-medizinischer Leitung interdisziplinäre Hilfe und Unterstützung für Kinder mit Entwicklungsstörungen und Behinderungen bzw. für von Behinderung bedrohte Kinder an. Beteiligt sind beispielsweise Ergotherapeuten oder Logopäden. Die Ermächtigung ist jedoch an einen entsprechenden Bedarf geknüpft. Sie kann daher verweigert werden, wenn eine leistungsfähige, wirtschaftliche und wohnortnahe Versorgung mit sozialpädiatrischen Leistungen anderweitig sichergestellt ist. Die Anwendung dieser sektorenübergreifenden Versorgungsformen ist bislang keineswegs flächendeckend für alle Versicherten umsetzbar, 70 was nicht zuletzt an zahlreichen inhaltlichen Restriktionen, wie etwa der Beschränkung auf bestimmte Krankheitsbilder liegt. Gleichwohl hat sich durch diese neuen Angebote die Leistungserbringung im Krankenversicherungsrecht verändert: die vormals strikt getrennten Sektoren beginnen zusammenzuwachsen. 69 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 117, Rn. 5; Kania in jurisPK-SGB V, § 117, Rn. 26; Lamouri in KassKomm, § 117 SGB V, Rn. 5. 70 Udsching, NZS 2003, 411 (411f.). <?page no="233"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 233 II. Der Anspruch auf stationäre Versorgung nach SGB-V Gemäß § 27 I 2 Nr. 5 SGB V ist die stationäre Versorgung Bestandteil der Krankenbehandlung. Ebenso wie in der vertragsärztlichen Versorgung gilt grundsätzlich das Sachleistungsprinzip. Die Krankenkassen schulden zwar die Leistungen, bedienen sich bei deren Erbringung jedoch der zugelassenen Krankenhäuser, §§ 2 II, 108 SGB V. 1. Abgrenzung der stationären Behandlung Die Krankenhausbehandlung umfasst nach § 39 SGB V die voll- und teilstationäre, die vor- und nachstationäre sowie die ambulante Behandlung im Krankenhaus. Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Versorgungsarten richtet sich vor allem nach der zeitlichen Dauer der Patientenaufnahme. Während die vollstationäre Behandlung die Versorgung des Patienten „rund um die Uhr“ für mindestens einen Tag und eine Nacht beinhaltet, bezieht sich die teilstationäre Versorgung auf die Tages- oder Nachtpflege. Diese muss sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Obwohl in diesen Fällen die ununterbrochene Anwesenheit des Patienten im Krankenhaus entbehrlich ist, bedarf es der medizinisch-organisatorischen Infrastruktur eines Krankenhauses, um ihn adäquat behandeln zu können. 71 Die Behandlung ist vorstationär, wenn der Patient ohne Unterbringung oder Verpflegung im Krankenhaus versorgt wird, um eine vollstationäre Behandlung vorzubereiten oder deren Erforderlichkeit abzuklären. Die nachstationäre Behandlung zielt darauf ab, den Erfolg einer zuvor erfolgten vollstationären Versorgung zu sichern oder zu festigen. 72 Für beide Formen gelten zeitliche Höchstgrenzen, § 115a II SGB V. Die Abgrenzung der ambulanten Operation im Krankenhaus von der vollstationären Aufnahme gestaltet sich zuweilen schwierig. Ob eine Operation in Vollnarkose durchgeführt wurde, ist ebenso wenig ein taugliches Abgrenzungskriterium wie die Nutzung eines Aufwachraums oder eines Stationsbettes zur postoperativen Überwachung. Der medizinische Fortschritt erlaubt inzwischen selbst nach einer Vollnarkose die zeitnahe Entlassung des Patienten. Auch die Nutzung der Räume und Einrichtungen des Krankenhauses spricht nicht per se für eine vollstationäre Aufnahme. Nach Auffassung des BSG ist vor allem auf die Aufenthaltsdauer des Patienten abzustellen. 71 BSGE 92, 223; BSG, SGb 2007, 687; BSG, GesR 2014, 173; Schrinner in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 6, Rn. 36; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 27, Rn. 33; Wahl in jurisPK- SGB V, § 39 SGB V, Rn. 33 ff. 72 Schrinner in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 6, Rn. 39 f.; Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 155 ff.; Trenk-Hinterberger in Spickhoff, Medizinrecht, § 39 SGB V, Rn. 21. <?page no="234"?> 234 Eine ambulante Behandlung liege demnach vor, wenn der Patient zwar während der Behandlung organisatorisch in den Krankenhausbetrieb eingegliedert ist, die Nacht vor und nach dem Eingriff dagegen zu Hause verbringt. 73 2. Nachrang der vollstationären Behandlung Die Versicherten haben einen Anspruch auf vollstationäre Behandlung, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. § 39 I 2 SGB V statuiert damit die Nachrangigkeit der vollstationären Versorgung. Die Erforderlichkeit der stationären Unterbringung ist vom Krankenhausträger zu prüfen. Die Einschätzung des behandelnden Krankenhausarztes ist gerichtlich voll überprüfbar. 74 Maßstab sind jedoch allein medizinische Gesichtspunkte. Die Krankenkassen sind daher nicht zur Kostentragung verpflichtet, wenn zur Behandlung der diagnostizierten Erkrankung eine ambulante Therapie ausreicht. Andere Aspekte, die nicht mit der Behandlung zusammenhängen, müssen außer Betracht bleiben. 75 Für die Aufnahme ins Krankenhaus können die ständige Verfügbarkeit ärztlichen und besonders geschulten nichtärztlichen Personals, die spezifische apparative Ausstattung der Klinik oder die Art der Medikation sprechen. Ein genereller Vorrang der ambulanten Behandlung im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot lässt sich nicht begründen, da die ambulante Versorgung nicht notwendig in jedem Fall preisgünstiger ist. 76 Nicht erforderlich ist die Verordnung der stationären Behandlung durch einen niedergelassenen Vertragsarzt. Es genügt, dass das Krankenhaus den Patienten aufgenommen hat, weil die Behandlung nach dessen Einschätzung erforderlich war. 77 73 Mit zahlreichen Nachweisen BSGE 92, 223; BSG, MedR 2005, 609. Ausführlich Quaas, Rechtsfragen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus, S. 161 ff. 74 BSGE 99, 111, vgl. dazu Pitschas, NZS 2003, 341 (344); Schrinner in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 6, Rn. 20; Wagner in Krauskopf, § 39 SGB V, Rn. 26; Wahl in jurisPK-SGB V, § 39, Rn. 140 ff. 75 BSGE 99, 111 hat die Kostentragungspflicht der Krankenkasse für die vollstationäre Versorgung eines psychisch Erkrankten abgelehnt. Der Betreuungsbedarf bezog sich in diesem Fall allein auf die pflegerische Versorgung, für die keine andere geeignete heilpädagogische Einrichtung zur Verfügung stand. 76 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 39, Rn. 1. 77 BSG, 19.6.2018, B 1 KR 26/ 17 R. <?page no="235"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 235 3. Umfang des Anspruchs Steht der stationäre Versorgungsbedarf fest, umfasst der Anspruch des Versicherten alle Leistungen, die nach Art und Schwere der Krankheit für seine medizinische Versorgung notwendig sind, § 39 I 3 SGB V. Neben der ärztlichen Behandlung sind die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenpflege sowie Unterkunft und Verpflegung geschuldet. Die akutstationäre Behandlung beinhaltet darüber hinaus die erforderlichen Leistungen zur Frührehabilitation, die so schnell wie möglich einsetzen sollen, um die Wiedereingliederung des Patienten zu fördern. Dazu zählen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Mobilität, der Kommunikationsfähigkeit oder des Orientierungsvermögens. 78 III. Vergütung von Krankenhausleistungen durch die Krankenkassen 1. Vertragsschluss Auch gesetzlich versicherte Patienten schließen mit dem Krankenhausträger einen Krankenhausaufnahmevertrag, der dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist. Dies gilt auch für die ambulante Behandlung im Krankenhaus, sei es im Rahmen der vor- oder nachstationären Betreuung, in der Notfallambulanz, den Institutsambulanzen oder beim ambulanten Operieren. Der Vertrag ist in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingebettet, welche aufgrund des Sachleistungsprinzips zur Kostenübernahme verpflichtet ist. Es kommt daher eine Dreiecksbeziehung zustande. Gegen den Versicherten kann der Krankenhausträger keine Vergütungsansprüche geltend machen. Bei Streitigkeiten ist daher nicht der ordentliche, sondern der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. 79 Nach der Rechtsprechung des BSG hat das Krankenhaus nur dann einen Anspruch auf Vergütung der Leistungen durch die Krankenkasse, wenn der Versicherte ordnungsgemäß über die Behandlung aufgeklärt worden ist. Die Aufklärung diene auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V. 80 Auch wenn das Krankenversicherungsrecht und das Arzthaftungsrecht vergleichbaren Standards im Hin- 78 Becker in Becker/ Kingreen, SGB V, § 39, Rn. 28; dazu auch Wahl in jurisPK-SGB V, § 39, Rn. 92 ff.; Wagner in Krauskopf, § 39 SGB V, Rn. 33. 79 BGHZ 89, 250; Schrinner in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 6, Rn. 34. 80 BSGE 130, 73. <?page no="236"?> 236 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser blick auf die Erforderlichkeit einer Behandlung oder die Möglichkeit der Anwendung neuer Behandlungsmethoden folgt, sind beide Rechtsgebiete nicht vollständig deckungsgleich. Die Entscheidung des BSG ist daher abzulehnen. Versicherter Krankenhaus Krankenkasse Krankenhausaufnahmevertrag Vergütung, §§ 108, 109 SGB V Mitgliedschaft Wird der Patient jedoch durch einen nach § 116 SGB V ermächtigten Krankenhausarzt behandelt, ist nicht der Träger, sondern der Arzt selbst Vertragspartner. 81 Da die Ermächtigung das Recht und die Pflicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung beinhaltet, wird die so gewährte Behandlung nicht dem stationären, sondern dem vertragsärztlichen Sektor zugeordnet. Gleiches gilt für die im Krankenhaus erbrachten Leistungen der Belegärzte nach § 121 III 1 SGB V. 82 2. Tagessätze und Fallpauschalen Bis Ende 2003 sind stationäre Leistungen aufgrund der BPflV nach Tagessätzen vergütet worden. Die Verweildauer des Patienten hatte daher maßgebenden Einfluss auf die Vergütung, die die Krankenhausträger zur Abrechnung bringen konnten. Damit waren in finanzieller Hinsicht kaum Anreize für eine schnelle und effektive stationäre Behandlung gesetzt. Der Gesetzgeber sah sich daher zu einer Neuregelung veranlasst. Inzwischen werden alle vollstationären Leistungen nach Fallpauschalen, den diagnosis related groups (DRG) abgerechnet. Mit den DRG wird die Vergütung an eine „leistungsbezogene und pauschalierende“, auf die Diagnose bezogene Standardbehandlung geknüpft. Die BPflV findet nur noch auf psychiatrische, psychosomatische und psychotherapeutische Kliniken und Krankenhäuser Anwendung, 81 St. Rspr. BGHZ 100, 363; 105, 189; 124, 128. 82 So auch juris Literaturnachweis zu Hart, MedR 2020, 895. <?page no="237"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 237 § 17b I 1 KHG. 83 Mit dem PsychEntG 84 ist die Vergütung der Leistungen psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen neu justiert worden. Die Vergütung folgt nunmehr einem Mittelweg zwischen Pauschalierung und Abrechnung nach Tagessätzen. Grundlage der Abrechnung sind nicht Fall-, sondern Tagespauschalen, deren Höhe von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem SpiBuKK erarbeitet werden. Das Verfahren zur Festlegung der Fallpauschalen ist in § 17b KHG, §§ 7, 9 KHEntgG sowie der KFPV geregelt. 85 Die Vereinbarung der DRG obliegt dem Spi- BuKK, dem Verband der privaten Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Anhand medizinischer und demografischer Daten - Alter und Geschlecht, Diagnosen, typischerweise durchgeführte Behandlungen sowie charakteristische Begleiterkrankungen und Komplikationen - werden die stationären Leistungen in Fallgruppen klassifiziert. Diese werden nach dem für die Behandlung der diagnostizierten Erkrankung erforderlichen ökonomischen Aufwand bewertet. Der zu erwartende Behandlungsaufwand wird also pauschaliert und als „Paket“ entgolten. Die Vergütung deckt somit alle Leistungen, die dem Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus gewährt werden. 86 Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sind die Pflegepersonalkosten für die unmittelbare Patientenversorgung aus dem Vergütungssystem ausgegliedert, § 17b IV KHG. Sie werden seither gesondert vergütet. Um einer frühzeitigen Entlassung aus Kostengründen entgegenzuwirken, müssen die Krankenhausträger Abschläge von den DRG hinnehmen, wenn sie die durchschnittliche Grenzverweildauer der Patienten unterschreiten. Die Grenzverweildauer ist als ein Aspekt der Standardbehandlung ebenfalls in den DRG verankert. Ist im Einzelfall aus medizinischen Gründen eine längere als die durchschnittliche Verweildauer angezeigt, leisten die Krankenkassen einen Zuschuss für jeden weiteren Tag der stationären Behandlung. 87 83 Die Tagessätze werden jedoch nicht in unbeschränkter Höhe, sondern nur im Rahmen eines zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern vereinbarten Budgets nach § 12 BPflV, § 18 KHG geleistet; zur Vertiefung Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 280. 84 Gesetz zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen, BR-Drs. 349/ 12. 85 Verordnung zum Fallpauschalensystem der Krankenhäuser; zum Verfahren insgesamt vgl. Thomae/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 31, 191 ff.; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 362 ff.; Prütting in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 1, Rn. 73 ff. 86 Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 134; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 26, Rn. 363 f.; Ihle in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 8 KHEntgG, Rn. 2. 87 Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, § 9 KHEntgG, Rn. 4; Münzel/ Zeiler, Krankenhausrecht und Krankenhausfinanzierung, S. 137. <?page no="238"?> 238 6. Kapitel: Leistungserbringung durch Krankenhäuser Kontrollfragen 1. Wodurch unterscheiden sich Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen? 2. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Krankenhäusern der Grund-, Regel- und Maximalversorgung. Wofür ist diese Unterscheidung von Bedeutung? 3. Nach welchen Kriterien richtet sich die Aufnahme einer stationären Einrichtung in den Krankenhausplan? Darf ein Krankenhaus auch betrieben werden, wenn es nicht in den Plan aufgenommen worden ist? 4. T ist Träger eines katholischen Krankenhauses. Er begehrt die Aufnahme in den Krankenhausplan des Bundeslandes B. Dabei konkurriert er mit einem städtischen Krankenhaus. Hat er einen Anspruch auf Aufnahme in den Krankenhausplan? Welche besonderen Rechte stehen ihm als konfessionellem, nicht gewinnorientiertem Träger zu? 5. Erläutern sie die wesentlichen Grundsätze der öffentlichen Krankenhausfinanzierung. 6. In welche Säulen und Hierarchien ist ein Krankenhaus üblicherweise gegliedert? 7. Ist ein Chefarzt als leitender Angestellter zu qualifizieren? Welche rechtliche Bedeutung hat diese Einordnung? 8. Der angestellte Krankenhausarzt A möchte sein Gehalt aufbessern, indem er sich zu fünf Nachtdiensten pro Woche-- zusätzlich zu seiner täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden- - bereit erklärt. Darf er mit dem Träger der Einrichtung eine entsprechende Vereinbarung abschließen? 9. P wird zum Zweck einer Operation als Patient in das K-Krankenhaus aufgenommen. Welche Leistungen schuldet ihm der Träger? Wie verhält es sich, wenn die Operation in den Räumen des Krankenhauses vom niedergelassenen Chirurgen C durchgeführt wird? 10. Darf ein Krankenhausträger Allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber seinen Patienten verwenden? 11. Das K-Krankenhaus ist nicht in den Krankenhausplan aufgenommen. Kann der Träger dennoch erreichen, dass er gesetzlich versicherte Patienten behandeln darf? 12. Welche vertraglichen Beziehungen bestehen zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und gesetzlich versicherten Patienten? <?page no="239"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 239 13. Der gesetzlich versicherte Patient P leidet seit längerer Zeit an unklaren Beschwerden. Nachdem der niedergelassene Arzt mit seiner Therapie keinen Erfolg erzielt hat, möchte sich P nunmehr in die Spezialklinik K einweisen lassen. Er meint, die Ruhe und die Rund-um-Versorgung des Krankenhauses würden ihm gut tun. Muss seine Krankenkasse für die stationäre Versorgung aufkommen? 14. Nach welchen Grundsätzen richtet sich die Vergütung von Krankenhausleistungen? Im Zuge der Vergütungsreform 2003/ 2004 wurde die Befürchtung geäußert, die Krankenhäuser würden durch die Fallpauschalen zur „blutigen Entlassung“ nicht austherapierter Patienten gezwungen. Ist diese Befürchtung zutreffend? <?page no="241"?> E. Die stationäre Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten 241 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Orientierungsfragen Q Was sind Arzneimittel? Welche Abgrenzungsprobleme gibt es? Q Wer ist berechtigt, Arzneimittel herzustellen? Q Unter welchen Voraussetzungen dürfen Arzneimittel in Verkehr gebracht werden? Inwieweit wirkt sich das Europarecht auf die deutsche Rechtslage aus? Q Was ist unter einem Generikum zu verstehen? Wie wird der Hersteller des Originalpräparats geschützt? Q Sind alle Arzneimittel apothekenpflichtig? Wann muss ein Arzneimittel von einem Arzt verordnet werden, damit es an Patienten abgegeben werden kann? Q Welchen beruflichen Status haben Apotheker inne? Q Ist der Betrieb von Apothekenketten zulässig? Q Unter welchen Voraussetzungen dürfen Arzneimittel im Versandhandel angeboten werden? Q Für welche Arzneimittel müssen die gesetzlichen Krankenkassen aufkommen? Q Nach welchen Grundsätzen werden die Preise für Arzneimittel gebildet? Sind in der gesetzlichen Krankenversicherung Maßnahmen zur Reduzierung der hohen Arzneimittelausgaben vorgesehen? Q Wie werden Festbeträge für Arzneimittel bestimmt? Wie wirken sich Festbeträge auf die Leistungsansprüche der gesetzlich Versicherten aus? Das Arzneimittelrecht umfasst neben den Regelungen zur Arzneimittelsicherheit auch die Anforderungen an die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheken. Die Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wird im Folgenden ebenfalls dargestellt. <?page no="242"?> 242 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln A. Begriff des Arzneimittels Der Arzneimittelbegriff ist Gegenstand des § 2 I AMG. Als Arzneimittel gelten danach Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die Q dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten (Nr. 1) oder Q die am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um - die Körperfunktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder - eine Diagnose zu erstellen (Nr. 2). Ein Arzneimittel ist folglich entweder nach seiner Bestimmung (Präsentationsarzneimittel) oder nach seiner objektiven 1 Funktion (Funktionsarzneimittel) zu definieren. 2 Bei den Präsentationsarzneimitteln kommt es auf die pharmakologische Wirkung nicht an; entscheidend ist die der Substanz vom Hersteller zugemessene Bestimmung. 3 Dass auch therapeutisch zweifelhafte oder unwirksame Stoffe dem Arzneimittelrecht unterworfen sind, dient dem Schutz des Verbrauchers, der diese aus Unkenntnis möglicherweise einem tatsächlich geeigneten Arzneimittel vorzieht. 4 Es kommt aber wesentlich darauf an, dass der in Rede stehende Stoff einen spezifischen therapeutischen Bezug aufweist. Beispiel E-Zigaretten enthalten zwar Nikotin- - einen Stoff, der die Körperfunktionen beeinflusst. Ihre Anwendung hat jedoch weder einen objektiv therapeutischen Zweck, noch ist dieser dem Produkt vom Hersteller zugemessen. Das in der E-Zigarette enthaltene Nikotinliquid soll ausschließlich als Genussmittel eingesetzt werden. 5 1 Nach dem AMG 1961 kam es noch auf die dem Stoff vom Hersteller zugemessene Funktion an, Fuhrmann in Fuhrmann/ Klein/ Fleischfresser, § 2, Rn. 2. 2 EuGH, Slg. 1991, 1487 (Delattre); EuGH, Slg. 1991, 1547 (Monteil und Samanni); EuGH, Slg. 1991, I-1703 (Upjohn). 3 EuGH, Slg. 1983, 3883 (van Bennekom); EuGH, Slg. 1991, I-1703 (Upjohn); EuGH, Slg. 2007, I-9811 (Knoblauchkapsel). Dazu auch Steinbeck, MedR 2009, 145 (146): „Anscheinsarzneimittel“. 4 Kügel in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 17, Rn. 60; Koenig/ Müller, PharmR 2000, 148, 154; Müller in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 2 AMG, Rn. 72. 5 BVerwG, NVwZ 2015, 749 (750 f.). Ausführlich Volkmer, PharmR 2012, 11; Müller, NVwZ 2015, 751. <?page no="243"?> A. Begriff des Arzneimittels 243 Nach § 3 AMG sind unter „Stoffen“ chemische Elemente, aber auch Pflanzen, Tierkörper oder Mikroorganismen zu verstehen. Die Anwendung am Körper erfolgt durch Auftragen auf die Haut oder andere äußerliche Flächen, beispielsweise Haare und Nägel. Im Körper wird ein Stoff angewendet, wenn er in diesen eingeführt wird, sei es durch Schlucken, Inhalieren, Einspritzen oder Auftragen auf die Schleimhäute. 6 Beispiele Zu den Arzneimitteln zählen daher nicht nur die auch im Alltag als solche bezeichneten Mittel wie Tabletten, Tropfen oder Salben. Darüber hinaus sind Hormone, Kontrastmittel, radioaktive Stoffe, medizinische Blutegel, Schlangengift, Viren oder Blut- und Plasmazubereitungen 7 vom Arzneimittelbegriff erfasst. Bestimmte Stoffe und Materialien erfüllen zwar den Arzneimittelbegriff nach § 2 I AMG nicht. Sie werden diesen aber in § 2 II AMG als fiktive Arzneimittel gleichgestellt. Dazu zählen beispielsweise mit Arzneimitteln beschichtete Pflaster, hormon- oder kupferbeschichtete Intrauterinpessare („Spirale“) oder tierärztliche Instrumente. § 2 III AMG bestimmt den Ausschluss bestimmter Stoffe und Zubereitungen aus dem AMG, wenngleich sie im Grunde als Arzneimittel nach § 2 I AMG zu qualifizieren wären. Abzugrenzen sind insbesondere Lebensmittel, kosmetische Mittel und Medizinprodukte. Die Abgrenzung richtet sich nach der objektiven Zweckbestimmung im Einzelfall. Dabei ist von Bedeutung, wie der Stoff allgemein durch den Verbraucher verwendet und wahrgenommen wird. Aber auch die dem Mittel zugeschriebene Indikation, die Aufmachung und die Bewerbung sind zur Beurteilung heranzuziehen. 8 Lebensmittel sind Stoffe und Produkte, die in verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand zum Zweck der Ernährung oder des Genusses vom Menschen verzehrt werden. 9 Darunter fallen auch Nahrungsergänzungsmittel. Diese werden zwar häufig als Tabletten oder Kapseln, mithin in einer für ein Arzneimittel typischen äußeren Form 6 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 2, Rn. 10 f.; Müller in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 2 AMG, Rn. 67 ff. 7 Für die Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie die Anwendung von Blutprodukten gilt darüber hinaus das TFG. 8 St. Rspr. BGHZ 23, 84; 44, 208; BGH, NJW 1976, 1154; NJW 1995, 1615; NJW-RR 2000, 1284; NJW-RR 2001, 1329. 9 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 854; Lippert in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 32, Rn. 34; Müller in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 2 AMG, Rn. 140 ff.; vgl. auch die Definition in Art. 2 VO (EG) 178/ 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts vom 28.1.2002. <?page no="244"?> 244 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln angeboten. Ihre wesentliche Zweckbestimmung liegt jedoch in der Ergänzung der normalen Ernährung durch Zuführung konzentrierter Nährstoffe, beispielsweise Vitamine oder Mineralien. Nach Auffassung des EuGH ist auch darauf abzustellen, ob die Substanz geeignet ist, die Körperfunktionen in nennenswertem Umfang durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkweise zu beeinflussen. 10 Im Ergebnis folgen daraus aber keine Unterschiede im Vergleich zur Abgrenzung nach der Zweckbestimmung: die Stoffe, die keine nennenswerten Auswirkungen auf Funktion und Wirkweise des Organismus haben, werden regelmäßig nur zu Ernährungs- oder Genusszwecken angewendet. Ist die Zweckbestimmung unklar, liegt im Zweifel ein Lebensmittel vor. 11 Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind bei der Abgrenzung von Nahrungs- und Arzneimitteln auch die möglichen Gesundheitsrisiken bei der Verwendung des Präparats zu berücksichtigen. 12 Beispiele Knoblauch-Kapseln sind danach Arzneimittel. Wegen der ihnen zugeschriebenen blutdruck- und cholesterinsenkenden Wirkung, ihrer Darreichungsform als Kapsel und der umfassenden Anwendungshinweise stuft der Verbraucher diese Produkte nicht lediglich als Nahrungsergänzungs-, sondern als Arzneimittel ein. 13 Trotz seiner beruhigenden Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt wird Fencheltee demgegenüber weit überwiegend als Durstlöscher verwendet. Er ist daher ein Nahrungsmittel. 14 Kosmetika sind Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen. 15 Ihre überwiegende Zweckbestimmung liegt daher in der Verbesserung des ästhetischen Empfindens. Bei der Abgrenzung ist ebenso wie bei den Lebensmitteln auf die 10 EuGH, Slg. 2009, I-41 (Red Rice). 11 Ausführlich zur Zweifelsregelung Müller, NVwZ 2009, 425 (429). 12 BVerwGE 167, 66. 13 BGH, NJW 1995, 1615. 14 BGH, NJW 1976, 1154. 15 Art. 2 I lit. a) VO (EG) 1223/ 2009; eingehend Müller in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 2 AMG, Rn. 183; Lippert in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 32, Rn. 38; Friedrich in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 17, Rn. 283; Wulff, PharmR 2015, 52. <?page no="245"?> A. Begriff des Arzneimittels 245 Verkehrsauffassung im Einzelfall abzustellen. Werden mit dem Mittel arzneiliche und kosmetische Zwecke gleichermaßen erzielt, ist ihm also eine spezifische heilende oder vorbeugende Wirkung beizumessen, ist es als Arzneimittel einzustufen. 16 Beispiele Eine Pflegeserie auf der Basis von Vitamin K, mit der Augenringe und Altersflecken, aber auch Narben abgemildert werden können, ist ein Kosmetikum. Denn nach allgemeiner Verkehrsauffassung werden hautglättende oder -straffende Cremes nicht als Arzneimittel angesehen. Augenringe und ähnliche Symptome sind zudem weder Krankheiten noch krankhafte Störungen, sondern bloße ästhetische Abweichungen. 17 Hühneraugenpflaster sollen zwar ebenfalls Hautveränderungen beseitigen. Diese sind jedoch nicht rein ästhetischer Natur, sondern dringen in tiefere Hautschichten vor. Daher können sie sich störend auswirken und beispielsweise Schmerzen beim Laufen verursachen. Hühneraugenpflaster sind mithin Arzneimittel. 18 Medizinprodukte sind ebenfalls vom AMG ausgenommen; sie unterliegen der Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/ 745. Gemäß Art. 2 Nr. 1 VO (EU) 2017/ 745 handelt es sich dabei um Instrumente, Apparate, Geräte, Software, Implantate, Reagenzien, Materialien oder andere Gegenstände, die für Menschen bestimmt sind und spezifische medizinische Zwecke erfüllen. Zu diesen Zwecken zählt die Diagnose, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen, aber auch Untersuchungen oder Analysen von Proben. Desgleichen sind Gegenstände und Stoffe erfasst, die Körperteile oder -funktionen ersetzen, ausgleichen oder verändern können („Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands“) sowie Mittel zur Empfängnisverhütung. Im Gegensatz zu den Arzneimitteln wirken Medizinprodukte nicht pharmakologisch oder immunologisch am oder im Körper, sondern physikalisch. 19 16 BGH, NJW-RR 2001, 1329 (Franzbranntwein-Gel). 17 VGH Baden-Württemberg, MedR 2009, 52. 18 Beispiel nach Rehman in Rehmann/ Greve, AMG, § 2, Rn. 28. 19 Zum Begriff Müller in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 2 AMG, Rn. 211 ff.; Lippert in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 32, Rn. 44; Czettritz, PharmR 1997, 212. <?page no="246"?> 246 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Beispiele Medizinprodukte sind Blutzuckermessgeräte, Prothesen, Herzklappen, Herzschrittmacher oder Kontaktlinsen sowie Implantate. Auch Verbandsmittel oder chirurgische Materialien, die früher noch als Arzneimittel eingestuft waren, fallen in den Anwendungsbereich der Medizinprodukte-Verordnung. Im Ergebnis richtet sich die Abgrenzung zum Arzneimittel also stets nach der objektiven Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsbetrachter darstellt. 20 20 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 2, Rn. 2; Webel in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 3 MPG, Rn. 5. <?page no="247"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 247 B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht Wegen ihrer Einwirkung auf die Körperfunktionen des Menschen sind Arzneimittel keine gewöhnlichen Waren. Ihre Herstellung, Vertrieb und Abgabe an den Konsumenten unterliegen vielmehr einem Erlaubnisvorbehalt. Die Genehmigungserfordernisse nach dem AMG sollen sicherstellen, dass die Arzneimittelversorgung qualitativ hochwertig, wirksam und medizinisch unbedenklich - also sicher - ist. I. Herstellungserlaubnis Nach § 13 AMG ist zunächst eine Herstellungserlaubnis erforderlich, um Arzneimittel zum Zwecke der Abgabe an andere gewerbs- oder berufsmäßig herstellen zu dürfen. Als Herstellung gilt das Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, Be- und Verarbeiten, Abfüllen sowie Abpacken einer Arznei, § 4 XIV AMG. Die Erlaubnis bezieht sich auf den Hersteller selbst, sie ist also an persönliche Eigenschaften und Verhältnisse geknüpft und nicht auf ein konkretes Arzneimittel bezogen. Der Hersteller hat einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis, sofern nicht einer der in § 14 AMG normierten Versagungsgründe vorliegt. 21 Die Aufzählung ist abschließend. Die Herstellungserlaubnis ist danach zu versagen, wenn Q im Unternehmen des Herstellers nicht mindestens eine sachkundige Person vorhanden ist, die für die Prüfung der einzelnen Arzneimittelchargen und die Qualitätskontrolle zuständig ist. Die notwendige Sachkunde wird gemäß § 15 AMG nachgewiesen durch die Approbation als Apotheker oder durch ein Zeugnis über eine erfolgreich abgelegte Prüfung nach abgeschlossenem Hochschulstudium 22 der Pharmazie, der Chemie, der Biologie, der Human- oder der Veterinärmedizin. Q die sachkundige Person oder der Antragsteller nicht zuverlässig ist. Die Unzuverlässigkeit muss auf konkreten Tatsachen beruhen, die zwingend darauf schließen lassen, dass die Person ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen kann. Namentlich begründen Verstöße gegen das BtMG die Annahme der Unzuverlässigkeit. Außerberufliches Fehlverhalten ist nur relevant, wenn es eine allgemeine Unzuver- 21 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 53, Rn. 11; Brixius in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 14 AMG, Rn. 1; Kügel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 14 AMG, Rn. 5; Heßhaus in Spickhoff, § 14 AMG, Rn. 3 ff. 22 Im Studium müssen Kenntnisse der experimentellen Physik, allgemeinen, analytischen, organischen, anorganischen und pharmazeutischen Chemie, Biochemie, Physiologie, Mikrobiologie, Pharmakologie, pharmazeutischen Technologie, Toxikologie und der pharmazeutischen Biologie vermittelt worden sein, § 15 II AMG. <?page no="248"?> 248 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln lässigkeit nahelegt, was bei schweren Straftaten oder schwerwiegenden Suchterkrankungen der Fall ist. 23 Q die sachkundige Person oder der Antragsteller die ihr bzw. ihm obliegenden Aufgaben nicht ständig erfüllen kann. Dies erfordert eine hinreichende zeitliche Verfügbarkeit, die beispielsweise durch Nebenbeschäftigungen nicht übermäßig eingeschränkt sein darf. Im Falle vorübergehender Abwesenheit ist die Delegation der Überwachungsaufgaben an einen Vertreter zulässig. 24 Q geeignete Räume und Einrichtungen für die beabsichtigte Herstellung, Prüfung und Lagerung der Arzneimittel fehlen. Q die Herstellung oder Prüfung der Arzneimittel nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht gewährleistet ist. Der Hersteller muss seinen Betrieb also laufend an den technischen Fortschritt anpassen und so organisieren, dass alle Arbeitsabläufe optimal aufeinander abgestimmt sind. 25 II. Zulassung von Arzneimitteln Ist dem Hersteller die Produktion von Arzneimitteln gestattet worden, berechtigt ihn dies nicht, diese auch an andere abzugeben. Es bedarf überdies einer Zulassung. Diese bezieht sich auf das konkrete Arzneimittel, soll also dessen Sicherheit gewährleisten. Seit den 1960er Jahren sind die nationalrechtlichen Vorgaben zur Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit von Arzneimitteln im Interesse des gemeinsamen Marktes teilweise harmonisiert worden. Damit sind die Hürden im europaweiten Arzneimittelvertrieb abgemildert worden, war zuvor doch aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen und Standards in den einzelnen Mitgliedstaaten regelmäßig in mehreren Staaten ein Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Neben dem nationalrechtlich geregelten dezentralen Zulassungsverfahren 26 besteht die Möglichkeit, die Zulassung nach einem gemeinschaftsrechtlichen Verfahren 27 zu erlangen. Lediglich wenn 23 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 14, Rn. 6; Kügel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 14 AMG, Rn. 17 ff. 24 Ratzel in Deutsch/ Lippert, AMG, § 14, Rn. 3; Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 14, Rn. 7. 25 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 14, Rn. 10; Kügel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 14 AMG, Rn. 35 ff. 26 Auch dieses ist durch Gemeinschaftsrecht weitgehend angeglichen und auf gemeinsame Standards verpflichtet worden, vgl. bereits RL 65/ 65/ EWG vom 26.1.1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten. Inzwischen gelten die Vorgaben der RL 2001/ 83/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67. 27 VO (EG) 726/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, ABl. L 136 vom 30.4.2004, S. 1; dazu <?page no="249"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 249 das Arzneimittel ausschließlich auf dem Territorium eines Mitgliedstaats vertrieben werden soll, ist allein dieser Staat zuständig für die Erteilung der Zulassung. 28 Die verschiedenen Genehmigungsverfahren lassen sich vereinfacht wie folgt voneinander abgrenzen: Verfahrensart Kriterium Antragstellung bei Zentralisiertes Verfahren Inverkehrbringen des Arzneimittels in nur vereinzelten Mitgliedstaaten ist unwirtschaftlich oder das Arzneimittel muss aus Gründen des öffentlichen Interesses in allen Mitgliedstaaten verfügbar sein EMA Dezentrales Verfahren erstmalige Zulassung, die gleichzeitig in mehreren Mitgliedstaaten beantragt wird, in denen das Arzneimittel in Verkehr gebracht werden soll Mitgliedstaaten Verfahren der gegenseitigen Anerkennung bereits erfolgte Zulassung in einem Mitgliedstaat, die auf andere Mitgliedstaaten ausgedehnt werden soll, weil das Arzneimittel dort ebenfalls in Verkehr gebracht werden soll Mitgliedstaaten Nationalrechtliches Verfahren Inverkehrbringen des Arzneimittels auch langfristig nur in einem einzelnen Mitgliedstaat vorgesehen Mitgliedstaat 1. Europäisches Zulassungsverfahren Im gemeinschaftsrechtlichen Zulassungsverfahren ist ein Antrag an die European Medicines Agency (EMA 29 ) mit Sitz in Amsterdam zu stellen. Zwingend 30 ist dieses Verfahren für Arzneimittel, die Roth in Schwarze/ Becker, EuR Beiheft 2/ 2007, 9, 14; Friedrich in Clausen/ Schroeder-Printzen, Medizinrecht, § 17, Rn. 20. 28 EuG, Slg. 2002, I-4945, Rn. 116 (Rs. Artegodan); ausführlich Janda in Ruffert, Enzyklopädie des Europarechts, Band 5, S. 650 ff. 29 Zur Rechtsform der EMA ausführlich König/ Müller, PharmR 2000, 148 (150 f.); Friese in Dieners/ Reese, § 5, Rn. 34. 30 Vgl. den Anhang zu VO (EG) 726/ 2000. <?page no="250"?> 250 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Q in bestimmten biotechnologischen Verfahren hergestellt werden, Q einen neuen Wirkstoff beinhalten und der Behandlung von Krebs, Diabetes, Viruserkrankungen, fortschreitenden Erkrankungen des Nervensystems - beispielsweise Alzheimer, Parkinson oder Multipler Sklerose - sowie Immunschwächen wie AIDS oder Leukämie dienen, Q der Behandlung lebensbedrohender oder chronisch verlaufender seltener Leiden dienen, an denen weniger als fünf von 10.000 Menschen erkranken 31 oder Q als Leistungssteigerungsmittel zur Förderung des Wachstums oder zur Erhöhung der Ertragsleistung in der Tiermedizin Verwendung finden. Bei anderen Medikamenten können sich die pharmazeutischen Hersteller frei entscheiden, ob sie eine nationale oder die gemeinschaftsrechtliche Zulassung beantragen. Dies betrifft gemäß Art. 3 II VO (EG) 726/ 2004 Arzneimittel, Q die einen neuen Wirkstoff enthalten, der bislang in keinem der EU-Mitgliedstaaten zugelassen ist, Q die im Vergleich zu den bislang auf dem Markt erhältlichen Medikamenten in therapeutischer, wissenschaftlicher oder technischer Hinsicht eine bedeutende Innovation darstellen oder Q deren Zulassung auf Gemeinschaftsebene dem Interesse der Patienten dient. Bei der EMA wird ein Ausschuss für Humanarzneimittel gebildet. 32 Dieser erstellt binnen 210 Tagen nach Antragstellung ein Gutachten, in dem beurteilt wird, ob der Antragsteller Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels angemessen und ausreichend nachgewiesen hat, Art. 6, 12 VO (EG) 726/ 2004. Ferner muss für das Arzneimittel eine europaweit einheitliche Bezeichnung, also ein Markenname angegeben werden, unter dem es in der EU vertrieben werden soll. 33 Ist der Antragsteller mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden, kann er die EMA um eine erneute Überprüfung ersuchen. Er hat sein Gesuch jedoch zu begründen, Art. 9 II VO (EG) 726/ 2004. Die endgültige Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Zulassung erlässt die Europäische Kommission. Ist der Zulassungsantrag erfolgreich, wird die Zulassung im Amtsblatt der EU veröffentlicht, das Medikament wird in das Europäische Arzneimittelregister aufgenommen. Die Zulassung ist in allen Mitgliedstaaten unmittelbar rechtswirksam und gestattet dem pharmazeutischen Unternehmen das 31 Sogenannte Orphan Drugs, siehe VO (EG) 141/ 2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1999 über Arzneimittel für seltene Leiden, ABl. L 18, S. 1. 32 Ausführlich zur Zusammensetzung und zu den Aufgaben der einzelnen Ausschüsse Friese in Dieners/ Reese, § 5, Rn. 49 ff. 33 Dazu ausführlich König/ Müller, PharmR 2000, 148 (154 f.); Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, Vorbem. § 21, Rn. 6. <?page no="251"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 251 Inverkehrbringen des Medikaments, Art. 13 VO (EG) 726/ 2004. Sie gilt zunächst für fünf Jahre, kann aber auf Antrag verlängert werden, Art. 14 VO (EG) 726/ 2004. Gegen die Versagung der Zulassung ist nach Art. 263 i. V. m. Art. 256 AEUV der Klageweg zum EuGH eröffnet. Zur Entscheidung berufen ist das Gericht erster Instanz (EuG). Nach Ablauf des Zulassungsverfahrens wird das Arzneimittel ständig weiter kontrolliert. So ist der Hersteller selbst zur fortlaufenden Überprüfung der Qualität und Sicherheit und namentlich zur Anzeige von Neben- oder Wechselwirkungen, die erst im weiteren Verlauf bekannt werden, verpflichtet. 2. Dezentrales Zulassungsverfahren Ist der Weg zur EMA nicht zwingend vorgegeben, können die pharmazeutischen Hersteller die Zulassung von Arzneimitteln auch im dezentralen Verfahren erlangen. Sie stellen einen Zulassungsantrag bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates. Das Verfahren richtet sich nach dem nationalen Recht dieses Staates. Die nationalen Behörden haben ein eigenständiges Prüfungs- und Entscheidungsrecht. 34 Die wesentlichen Anforderungen an die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit sind allerdings durch den Gemeinschaftskodex für Arzneimittel 35 harmonisiert worden. Die Zulassungsentscheidung einer mitgliedstaatlichen Behörde wird daher europaweit anerkannt. Im dezentralisierten Verfahren wird die Zulassung gleichzeitig in mehreren Mitgliedstaaten beantragt. Dies kommt in Betracht, wenn zuvor in keinem anderen Mitgliedstaat die Zulassung beantragt worden ist. Im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (mutual recognition) wird dagegen in einem Mitgliedstaat die Anerkennung der bereits zuvor von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Zulassung betrieben. Für beide Verfahren gelten identische Regeln, die sich nach nationalem Recht richten, vgl. für die Bundesrepublik § 25b AMG. 36 34 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, Vorbem. § 21, Rn. 18; Kleist, PharmaR 1998, 192 (194); König/ Müller, PharmR 2000, 148 (151). 35 RL 2001/ 83/ EG, ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67. 36 Lippert in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 32, Rn. 85 ff.; König/ Müller, PharmR 2000, 148 (149). Eingehend zum Ablauf des Verfahrens Friese in Dieners/ Reese, § 5, Rn. 168 ff. sowie Kortland in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 25b AMG, Rn. 14 ff. <?page no="252"?> 252 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 3. Zulassung nach deutschem Recht Das deutsche Zulassungsverfahren ist in §§ 21 ff. AMG geregelt. Zulassungspflichtig sind nur Fertigarzneimittel i. S. v. § 4 I AMG. Medikamente, die ein Apotheker direkt und individuell für einen bestimmten Patienten in seinem eigenen Labor herstellt, müssen folglich kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Ohne die notwendige Zulassung sind weder der Verkauf noch das Vorrätighalten der Arznei gestattet, § 96 Nr. 5 AMG i. V. m. § 4 XVII AMG. Auch die Krankenkassen müssen nicht für die Kosten einer Behandlung mit nicht zugelassenen Arzneimitteln aufkommen. 37 a. Zulassungsantrag, § 22 AMG Der pharmazeutische Unternehmer muss zunächst einen Zulassungsantrag bei der zuständigen Behörde stellen, § 21 III AMG. Dies ist grundsätzlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Für die Zulassung von Impfstoffen, biomedizinischen Arzneimitteln sowie von Arzneimitteln für neuartige Therapien ist das Paul-Ehrlich-Institut zuständig, §§ 21 I, 77 I, II AMG. Beide Einrichtungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit nachgeordnet. Als pharmazeutischer Unternehmer gilt gemäß § 4 XVIII AMG, wer Arzneimittel unter seinem Namen in Verkehr bringt. Er ist also nicht notwendig identisch mit dem Hersteller des Medikaments. Im Zulassungsantrag müssen Unternehmer und Hersteller jedoch gleichermaßen benannt werden. Außerdem sind Angaben über die Bezeichnung des Arzneimittels und dessen Bestandteile, die Darreichungsform, Wirkungen, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Dosierung, Art und Dauer der Anwendung notwendig. Der Antragsteller muss das Herstellungsverfahren offenlegen, einschließlich der angewendeten Methoden zur Qualitätskontrolle sowie ausführlich die Methoden und Ergebnisse einer analytischen Prüfung der Arznei dokumentieren. Diese umfasst physikalische, chemische, biologische oder mikrobiologische Versuche und dient dem Nachweis der Wirksamkeit des Medikaments. Zusätzlich sind Humanarzneimittel einer klinischen Prüfung 38 zu unterziehen, deren Ergebnisse ebenfalls im Zulassungsantrag zu dokumentieren sind. Diese Prüfung dient dem Nachweis der medizinischen und pharmakologischen Wirksamkeit. Sie läuft in der Regel in vier Phasen ab: 39 37 BSGE 93, 237. 38 Der Ablauf richtet sich nach der RL 2001/ 20/ EG über die klinische Prüfung von Humanarzneimitteln vom 4.4.2001, ABl. L 121, S. 34. 39 Dazu ausführlich Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 914 ff.; Lippert in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 30, Rn. 101 ff. <?page no="253"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 253 Q 1. Phase: Erprobung des Medikaments an zehn bis 15 gesunden Probanden Q 2. Phase: Erprobung des Medikaments an 100 bis 500 Personen, die in Test- und Kontrollgruppen aufgeteilt sind. Während die Probanden der Testgruppe das neue Medikament erhalten, wird den Probanden der Kontrollgruppe die Standardbehandlung oder ein Placebo, d. h. ein Scheinmedikament ohne Wirkstoffe verabreicht. Q 3. Phase: Erprobung des Medikaments an mehreren Tausend Personen. Diese Phase wird meist gleichzeitig in mehreren Kliniken oder Praxen - den Prüfzentren - durchgeführt. Nach deren Abschluss wird der Zulassungsantrag gestellt. Q 4. Phase: Überwachung des Arzneimittels in der Anwendung nach Abschluss des Zulassungsverfahrens (Pharmakovigilanz). Die klinische Prüfung darf erst begonnen werden, nachdem eine Ethikkommission 40 diese zustimmend bewertet hat §§ 40 IV, 41 AMG. Dies setzt voraus, dass der vorgesehene Prüfplan dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht und dass das medizinische Risiko für die an der Studie teilnehmenden Probanden und Patienten im Verhältnis zum erwarteten Nutzen des Arzneimittels vertretbar ist. Die Studienteilnehmer müssen ausführlich und detailliert über die Studie und die damit einhergehenden Risiken aufgeklärt werden und in ihre Teilnahme einwilligen. Für Studien mit Minderjährigen, mit demenziell erkrankten oder sonst einwilligungsfähigen Erwachsenen gelten die besonderen Anforderungen in § 40b AMG. Zusätzlich ist eine Probandenversicherung abzuschließen, die im Falle von Gesundheitsschädigungen, Verletzungen oder Tod aufgrund der klinischen Studie Leistungen gewährt, §§ 40 IV, 41 AMG. b. Verfahren Der Antrag wird zunächst durch unabhängige Sachverständige auf Vollständigkeit überprüft. Ferner wird beurteilt, ob das Arzneimittel nach dem gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnisse geprüft worden ist, § 25a AMG (Vorprüfung). Dem Antragsteller kann sodann eine Frist zur Beseitigung etwaiger Mängel gesetzt werden. Verstreicht diese fruchtlos, wird die Zulassung versagt. Wird die Zulassung für ein verschreibungspflichtiges Medikament der Phytotherapie, Homöopathie oder Anthroposophie beantragt, wird zusätzlich eine Zulassungskommission angehört, § 25 VI AMG. Diese setzt sich aus Sachverständigen zusam- 40 Die Ethikkommissionen werden nach den Heilberufegesetzen der Bundesländer eingerichtet. Sie sind interdisziplinär besetzt. Neben Ärzten verschiedener Fachrichtungen sind Medizintechniker, Vertreter des Pflegepersonals, Geistes- oder Sozialwissenschaftler, Juristen und regelmäßig auch ein Geistlicher vertreten, Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 729 ff.; Paus in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 42 AMG, Rn. 2 f.; Koyuncu in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 42 AMG, Rn. 11 ff. <?page no="254"?> 254 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln men, die über wissenschaftliche Kenntnisse auf den jeweiligen Anwendungsgebieten und in der jeweiligen Therapierichtung verfügen und entsprechende praktische Erfahrungen gesammelt haben. Gemäß § 27 AMG muss binnen sieben Monaten nach Antragstellung eine Entscheidung über die Zulassung ergehen. Durch die Mängelbescheide nach § 25a AMG wird der Fristlauf gehemmt. Grundlage der Entscheidung sind die im Zulassungsantrag gemachten Angaben des Herstellers sowie die Sachverständigengutachten zur Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels. Das Medikament wird nicht allgemein, sondern nur für bestimmte Indikationen zugelassen. Der Zulassungsbescheid spiegelt also die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche sowie der klinischen Prüfungen wieder. 41 Bei der Zulassung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den die gewöhnlichen verwaltungsrechtlichen Rechtsmittel - Widerspruch und Anfechtungsbzw. Verpflichtungsklage vor dem Verwaltungsgericht - offen stehen. Die Zulassung kann mit Auflagen versehen werden, sofern diese zur Abwehr von Gefahren für den Konsumenten oder zur Sicherung der Qualität der Arznei geboten sind, § 28 I AMG. Im Vergleich zur Versagung der Zulassung ist die Zulassung unter Auflagen das mildere Mittel, so dass das BfArM stets zu prüfen hat, ob etwaige qualitative oder Sicherheitsbedenken durch solche Nebenbestimmungen ausgeräumt werden können. 42 Beispiele Die Zulassung eines Arzneimittels kann mit der Auflage versehen werden, die Verpackung kindersicher zu gestalten, um eine versehentliche Einnahme durch Kinder zu verhindern. Desgleichen können Warnhinweise vorgegeben werden, beispielsweise dass nach Einnahme des Medikaments die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt ist. Auch Hinweise zur Aufbewahrung, beispielsweise in einem bestimmten Temperaturbereich sind denkbar. In § 28 III AMG ist die Möglichkeit der Schnellzulassung vorgesehen. Eine solche vorzeitige Zulassung kommt in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen großen therapeutischen Wert des Arzneimittels erkennbar sind und daher ein öffentliches Interesse am unverzüglichen Inverkehrbringen besteht. Die Schnellzulassung ist daher vorwiegend bei Medikamenten denkbar, die der Behandlung schwerwiegender Krankheiten dienen, für die bislang keine medikamentöse Therapie existiert. 41 Wille, PharmR 2009, 365 (365 f.); Kortland in Kügel/ Müller/ Hofmann, Vorbem. § 21 AMG, Rn. 19. 42 Ausführlich Denninger, PharmR 2009, 327 (327 f.); zur Auflagenbefugnis Krüger in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 28 AMG, Rn. 2; Heßaus in Spickhoff, Medizinrecht, § 28 AMG, Rn. 3 ff. <?page no="255"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 255 Obwohl für die endgültige Beurteilung der Sicherheit und Qualität des Arzneimittels noch weitere Angaben erforderlich sind, wird die Zulassung erteilt. Nebenwirkungen im vertretbaren Umfang werden hingenommen. Die Schnellzulassung wird regelmäßig mit der Auflage verbunden, dass weitere toxische, analytische oder klinische Prüfungen durchgeführt werden. 43 Treten Erkenntnisse über Gegenanzeigen, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Nebenwirkungen auf, die im Zulassungsverfahren noch nicht bekannt waren, ist der pharmazeutische Unternehmer zur Anzeige gegenüber dem BfArM verpflichtet, § 29 I AMG. Beabsichtigt der Hersteller nach Abschluss des Zulassungsverfahrens das Herstellungsverfahren, die Packungsgröße oder die Art und Dauer dessen Anwendung zu ändern, muss er hierfür die Zustimmung des BfArM einholen, § 29 IIa AMG. Diese gilt als erteilt, wenn nicht innerhalb von drei Monaten ein abschlägiger Bescheid ergeht. Sollen jedoch die Indikation erweitert, die Zusammensetzung der wirksamen Bestandteile der Arznei oder die Darreichungsform geändert oder gentechnologische Herstellungsverfahren angewendet werden, ist eine Neuzulassung erforderlich, § 29 III AMG. Eine Änderung der Bezeichnung des Arzneimittels setzt dagegen lediglich die Änderung des Zulassungsbescheids voraus. Unter der alten Bezeichnung darf das Medikament maximal ein Jahr durch den Hersteller bzw. maximal zwei Jahre durch den Großhandel in Verkehr gebracht werden, § 42 II AMG. c. Anspruch auf Zulassung Der Antragsteller hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Zulassung, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind. Indes sind diese Voraussetzungen nicht positiv im AMG formuliert. Stattdessen führt § 25 II AMG einen abschließenden Katalog von Versagungsgründen auf, bei deren Vorliegen die Zulassung nicht erteilt werden darf. Zulässige Versagungsgründe sind Q unvollständige Unterlagen im Zulassungsantrag nach § 22 AMG, Q keine ausreichende Prüfung des Arzneimittels nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, Q eine unzureichende Qualität des Arzneimittels nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln, Q das Fehlen oder die unzureichende Begründung der vom Antragsteller angegebenen therapeutischen Wirksamkeit, Q ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Dies ist der Fall, wenn Nebenwirkungen zu befürchten sind, die im Hinblick auf die dem Arzneimittel beigemessene Wirkung nicht hinnehmbar sind. Der Zulassungsbehörde ist insofern Ermessen eingeräumt. 44 43 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 881; Krüger in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 28 AMG, Rn. 43 ff. 44 Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 25, Rn. 21; Heßaus in Spickhoff, Medizinrecht, § 25 AMG, Rn. 6 ff.; Kügel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 25 AMG, Rn. 9 ff. <?page no="256"?> 256 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Q oder bei Arzneimitteln aus mehr als einem Wirkstoff die fehlende Wirksamkeit der Kombination dieser Wirkstoffe. Jeder Einzelwirkstoff muss also einen Beitrag zur positiven Wirkung der Arznei leisten. Nach § 25 III AMG ist die Zulassung ausgeschlossen, wenn bereits ein Medikament mit der gleichen Bezeichnung, aber anderer Zusammensetzung von Wirkstoffen zugelassen oder auf dem Markt ist. Damit sollen Apotheker und Verbraucher vor Verwechslungsgefahren geschützt werden. Sie dürfen somit darauf vertrauen, dass Arzneimittel gleichen Namens über die gleichen Wirkstoffe verfügen. 45 Aus der negativen Formulierung von Versagungsgründen folgt, dass die Darlegungs- und Beweislast für deren Vorliegen grundsätzlich bei der Behörde liegt. Eine Ausnahme gilt nur für das Fehlen der therapeutischen Wirksamkeit. Hier erlegt das Gesetz in § 25 II 3 AMG die Beweislast ausdrücklich dem Antragsteller auf. Denn die therapeutische Wirksamkeit fehlt nach dieser Norm, wenn der Antragsteller nicht entsprechend dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Ergebnisse nachweist, dass sich mit dem Arzneimittel therapeutische Erzeugnisse erzielen lassen. Diese Umkehr der Beweislast ist gerechtfertigt. Denn anderenfalls müsste das BfArM eine negative Tatsache beweisen, was regelmäßig schwieriger ist als der Nachweis eines positiv formulierten Tatbestands. 46 Anders verhält es sich jedoch mit dem Versagungsgrund der unzureichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit. Dieser Versagungsgrund ist gegeben, wenn die eingereichten Antragsunterlagen nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht den Schluss auf therapeutische Wirksamkeit dieses konkreten Arzneimittels zulassen, beispielsweise weil sie unvollständig oder inhaltlich falsch sind. Diese ist von der Zulassungsbehörde darzulegen und als positive Tatsache auch unproblematisch zu beweisen. 47 d. Zulassung von Generika Ein erleichtertes Zulassungsverfahren ist in § 24b AMG für Generika vorgesehen. Ein Generikum ist ein Arzneimittel, das die gleiche Zusammensetzung der Wirkstoffe nach Art und Menge, die gleiche Darreichungsform und die gleiche Bioverfügbarkeit 48 wie ein Referenzarzneimittel aufweist. Es handelt sich mithin um die wirkstoff- 45 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 25, Rn. 14; Kügel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 25 AMG, Rn. 100. 46 Die auf den Wortlaut der alten Fassung rekurrierende Rechtsprechung in BVerwGE 58, 167, wonach die fehlende Wirksamkeit durch die Zulassungsbehörde nachzuweisen war, ist mit BVerwGE 94, 215 aufgegeben worden. 47 BVerwGE 94, 215. 48 Die Bioverfügbarkeit gibt an, wie schnell und in welchem Umfang der Arzneistoff vom Körper aufgenommen wird und damit seine Wirkung entfalten kann. <?page no="257"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 257 gleiche Kopie eines Originalpräparats, die auch als Nachahmerpräparat bezeichnet wird. Das Herstellungsverfahren und einzelne Hilfsstoffe, beispielsweise Farb- oder Konservierungsstoffe können jedoch variieren, § 24b II AMG. Sicherheit und Wirksamkeit dürfen jedoch nicht wesentlich voneinander abweichen. 49 Generika sind regelmäßig preiswerter als Originalpräparate, denn die Kosten ihrer Erforschung und Entwicklung sind wesentlich geringer, da auf Tierversuche und klinische Studien verzichtet werden kann. Die Hersteller grenzen sich in ihrem Marktauftritt strikt voneinander ab. Teilweise kommt es zu Wettbewerbsbehinderungen und -verzerrungen durch unlautere Praxis im Patentverfahren oder durch übermäßige Interventionen bei nationalen Behörden. 50 Wegen der immer stärkeren Verflechtung infolge von Unternehmensübernahmen sind Original- und Generikahersteller jedoch häufig im selben Konzern angesiedelt. 51 Die Zulassung als Generikum darf für Kopien von Originalarzneimitteln - im Gesetz als Referenzarzneimittel bezeichnet - beantragt werden, die in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der EU zugelassen sind. Voraussetzung für die Nachahmung ist jedoch, dass der Patentschutz für das Originalmedikament abgelaufen ist. Vor diesem Zeitpunkt ist allein der Patentinhaber zu Herstellung und Vertrieb des Medikaments befugt, § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Die Patente werden üblicherweise am Beginn der Entwicklung, also weit vor der Zulassung des Präparats beantragt. 52 Die Schutzfristen belaufen sich regelmäßig auf 20 Jahre, § 16 I 1 PatG. Innerhalb dieses Zeitraums sollen sich die hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung der arzneilichen Substanzen amortisieren, die bei durchschnittlich 500 Mio. € pro Neuzulassung liegen. 53 § 24b I 1 AMG sieht eine weitere Schutzfrist vor: die Zulassung als Generikum kann danach nicht beantragt werden, wenn das Originalpräparat nicht seit mindes- 49 EuGH, Slg 1998, I-7967 (Generics UK); Slg. 2004, I-4403 (Novartis Pharmaceuticals); Slg. 2005, I-595 (SmithKline Beecham/ Lægemiddelstyrelsen); Slg. 2009, I-5259 (Generics). 50 Europäische Kommission, Bericht über die Untersuchung des Arzneimittelmarktes, Pressemitteilung IP/ 09/ 1098 vom 8.7.2009, abrufbar unter http: / / ec.europa.eu/ competition/ sectors/ pharmaceuticals/ inquiry/ index.html. 51 So verfügt der Novartis Konzern mit seinem Tochterunternehmen Sandoz über eine eigene Generikasparte, der wiederum die Hexal AG - ebenfalls ein Generikahersteller - angehört. Vgl. dazu Bierbaum/ Schöffski in Schöffski/ Fricke/ Guminski, Pharmabetriebslehre, S. 457 ff.; sowie Mand/ Burk, A&R 2008, 107 (110) mit Beispielen zur Verflechtung von Herstellern, Großhändlern und Apothekenketten. 52 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1049; Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 24b, Rn. 1. Zur Verwertung des geistigen Eigentums bei der Entwicklung von Arzneimitteln; Gassner, GRUR Int 2004, 983 (985). 53 Dazu ausführlich Hufnagel in PharmR 2003, 267; Schröder in Dautert/ Jorzig/ Winter, Arzneimittelsicherheit, S. 1. <?page no="258"?> 258 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln tens acht Jahren zugelassen ist oder vor mindestens acht Jahren zugelassen wurde - es sei denn, der Erstanmelder stimmt dem zu. Auch das Generikum wird von der Zulassungsbehörde auf seine Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit überprüft. Der Zweitanmelder kann in seinem Antrag jedoch Bezug auf die Erstanmeldung nehmen. Das BfArm zieht dann die Zulassungsunterlagen des Originalpräparats einschließlich der hierzu erstellten Sachverständigengutachten bei. Wird das Generikum zugelassen, darf es jedoch erst frühestens zehn Jahre nach der Zulassung des Originalpräparats in Verkehr gebracht werden, § 24b I 2 AMG. So lange hat der Originalhersteller das exklusive Verwertungsrecht für das Medikament auf dem Markt inne. 54 e. Rücknahme, Widerruf, Ruhen und Erlöschen der Zulassung Als Verwaltungsakt kann die Zulassung zurückgenommen, widerrufen oder ihr Ruhen angeordnet werden. Die Bestimmungen des AMG enthalten Sonderregelungen zum allgemeinen Verwaltungsrecht. 55 Die Zulassung ist zwingend zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht vorlagen, § 30 I AMG. Dies ist der Fall, wenn Fehler im Zulassungsverfahren aufgetreten sind, weil Versagungsgründe nicht erkannt worden sind. Sie kommt daher beispielsweise in Betracht, wenn die Wirksamkeit des Arzneimittels nicht nachgewiesen oder notwendige Prüfungen nicht oder nicht vollständig durchgeführt worden sind. Sind lediglich die Antragsunterlagen unvollständig oder teilweise unrichtig, steht die Rücknahme im Ermessen der Behörde, § 30 II Nr. 1 AMG. Diese kann also darüber entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will. Die Rücknahme wirkt grundsätzlich 56 ex tunc, also auf den Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung zurück. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Antragsteller die Zulassung durch bewusst falsche Angaben erschlichen hat. 57 Der Widerruf wird demgegenüber erst im Zeitpunkt seines Ergehens - ex nunc - wirksam. Er ist anzuordnen, wenn nach Erteilung der Zulassung Tatsachen auftreten, die einen Versagungsgrund i. S. v. § 25 AMG begründen würden und die den freien Erwerb des Medikaments untragbar werden lassen, § 30 I AMG. Zugelassene Arzneimittel unterliegen daher der ständigen Kontrolle auf ihre Wirksamkeit, aber auch auf Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen. 54 Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 24b, Rn. 5; Hufnagel, PharmR 2003, 267 (267 f.); Gassner, GRUR Int 2004, 983 (983). 55 Für aufgrund Gemeinschaftsrechts erteilte Zulassungen sind zusätzlich die Art. 22, 36, 107 RL 2001/ 83/ EG maßgeblich. 56 Krüger in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 30 AMG, Rn. 5. 57 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 885; Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 30, Rn. 4. <?page no="259"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 259 Besteht zunächst lediglich ein begründeter Verdacht, dass von einem zugelassenen Arzneimittel schädliche Wirkungen ausgehen, kann zeitlich befristet das Ruhen der Zulassung angeordnet werden, § 30 I 4 AMG. Der Zulassungsbehörde ist insoweit Ermessen eingeräumt, ob sie von dieser Möglichkeit als im Vergleich zu Rücknahme und Widerruf weniger einschneidender Maßnahme Gebrauch macht. 58 Während der Ruhenszeit darf von der Zulassung kein Gebrauch gemacht werden, bis der Verdacht ausgeräumt und die Ruhensanordnung aufgehoben worden ist. 59 Der Inhaber der Zulassung ist vor Erlass der Entscheidung anzuhören, § 30 III AMG. Eine Ausnahme besteht lediglich in dringenden Fällen, wenn Gefahr im Verzug ist. Die Beweislast für das Vorliegen der Rücknahme-, Widerrufs- oder Ruhensgründe trägt die Zulassungsbehörde. Dies gilt insbesondere auch für die fehlende therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels. 60 Zusätzlich kann die Behörde den Rückruf des Arzneimittels nach § 69 AMG anordnen und dieses vom Markt nehmen. Nach § 31 AMG erlischt die Zulassung, wenn Q das Arzneimittel innerhalb von drei Jahren nach Erteilung der Zulassung nicht in den Verkehr gebracht wird, Q ein zunächst in Verkehr gebrachtes Arzneimittel sich in drei aufeinander folgenden Jahren nicht mehr im Verkehr befindet, Q durch schriftlichen Verzicht oder Q nach fünf Jahren seit Erteilung der Zulassung, wenn nicht spätestens sechs Monate vor Ablauf der Frist ein Antrag auf Verlängerung gestellt wird. Sobald ein Erlöschenstatbestand erfüllt ist, entfällt die Zulassung automatisch, ohne dass es hierzu eines gesonderten Verwaltungsakts bedarf. Die zuständige Behörde ist nicht verpflichtet, den Zulassungsinhaber auf den baldigen Ablauf der Fristen hinzuweisen. 61 III. Abgabe von Arzneimitteln Nach Erteilung der Zulassung darf ein Arzneimittel in Verkehr gebracht werden. Voraussetzung ist die Kennzeichnung des Arzneimittels gemäß § 10 AMG. Danach sind auf der Packung unter anderem der Name des Präparats, der Hersteller, die Darreichungsform und gegebenenfalls die Patientengruppen (z. B. Säuglinge oder Kleinkinder) sowie die Zulassungsnummer und das Verfallsdatum anzugeben. Nach § 11 58 Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 30, Rn. 2; Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 30, Rn. 2. 59 Krüger in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 30 AMG, Rn. 7. 60 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 885; Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 30, Rn. 2. 61 Anker in Deutsch/ Lippert, AMG, § 31, Rn. 11. <?page no="260"?> 260 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln AMG ist eine allgemein verständliche und gut lesbare Packungsbeilage beizufügen, die detaillierte Angaben zur Anwendung sowie Gefahren durch Wechsel- und Nebenwirkungen oder Gegenanzeigen enthalten muss. Die Abgabe von Arzneimitteln an den Verbraucher unterliegt jedoch Einschränkungen. Teilweise statuiert das AMG selbst Abgabeverbote. Andere Beschränkungen ergeben sich aus dem Apothekenrecht. Allen ist gemein, dass der Verbraucher vor Gefahren durch die unregulierte Ausgabe von Arzneimitteln geschützt werden soll. 1. Abgabeverbote Gemäß § 5 AMG dürfen bedenkliche Medikamente nicht abgegeben werden. Als bedenklich gelten alle Arzneimittel, bei denen nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein vertretbares Maß hinausgehen. Bestimmungsgemäß ist der Gebrauch, der vom Hersteller in der Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) vorgegeben ist. 62 Schädliche Nebenwirkungen begründen also nicht in jedem Fall ein Abgabeverbot. Vielmehr sind die Risiken gegen den möglichen therapeutischen Nutzen abzuwägen. Je geringer der therapeutische Effekt des Arzneimittels, umso weniger Nebenwirkungen sind hinnehmbar. Bei schwerwiegenden Erkrankungen mit lebensgefährlichem Verlauf können demgegenüber auch schwerste Nebenwirkungen toleriert werden. Ob das betreffende Arzneimittel zugelassen ist oder nicht, ist für die Geltung des Abgabeverbots irrelevant. 63 Beispiel In der Rechtsprechung sind Schlankheitsmittel als bedenklich eingestuft worden, die ohne vorangehende Untersuchung und ohne Beachtung von Gegenanzeigen „massenweise und undifferenziert“ Patienten verschrieben worden sind, die abnehmen wollen. 64 62 Hofmann in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 5 AMG, Rn. 20; Zumdick, PharmR 2012, 184 (186). 63 Ausführlich Fuhrmann, Sicherheitsentscheidungen im Arzneimittelrecht, S. 73 ff.; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 21 f. 64 BGH, MedR 2000, 482. <?page no="261"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 261 § 7 AMG statuiert ein Abgabeverbot für radioaktive Arzneimittel sowie für solche, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet wurden. Es handelt sich dabei um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, denn das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Rechtsverordnung 65 erlassen, in der die Abgabe einzelner radioaktiver Substanzen mit bestimmter Strahlungsintensität ausdrücklich erlaubt wird, § 7 II AMG. Nach § 8 AMG ist ferner die Herstellung oder Abgabe minderwertiger, gefälschter oder irreführender Arzneimittel verboten. Qualitätsminderungen sind nur relevant, wenn sie den mit der Anwendung der Arznei verfolgten Behandlungserfolg gefährden, sei es aufgrund eines zu geringen Wirkstoffgehalts, Verunreinigungen oder wegen unzureichender Haltbarkeit. 66 Eine Irreführung liegt danach vor, wenn Q einem Arzneimittel eine therapeutische Wirkung beigelegt wird, die es nicht hat, Q fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass nach Anwendung des Arzneimittels mit Sicherheit ein Erfolg erwartet werden kann, Q fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass nach bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten oder Q zur Täuschung über die Qualität geeignete Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen verwendet werden, die für die Bewertung des Arzneimittels mitbestimmend sind, § 8 I AMG. Beispiel Irreführend ist die Bezeichnung eines Medikaments mit dem Begriff„forte“, wenn es keinen höheren Wirkstoffgehalt aufweist als die normale Darreichungsform. 67 Auch Medikamente mit abgelaufenem Verfallsdatum unterliegen einem Abgabeverbot, § 8 III AMG. Die Norm beinhaltet einen Gefährdungstatbestand, d. h. es ist nicht notwendig, dass der pharmazeutische Unternehmer einen Willen zur Irreführung der Verbraucher hat. Eine objektive Gefährdung der Interessen der Verbraucher genügt. 68 65 Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMradV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.1.2007, BGBl. I S. 48. 66 Deutsch in Deutsch/ Lippert, AMG, § 8, Rn. 4; Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 8, Rn. 2; Nickel in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 8 AMG, Rn. 7 ff. 67 OVG Nordrhein-Westfalen, PharmR 2008, 383. 68 Rehmann in Rehmann/ Greve, AMG, § 8, Rn. 1. <?page no="262"?> 262 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 2. Apothekenpflicht Grundsätzlich dürfen Arzneimittel für den Endverbraucher nur in Apotheken oder im behördlich genehmigten Versand abgegeben werden, § 43 AMG. Damit besteht ein gesetzlich verankertes Monopol für den Handel mit Arzneimitteln. Dieses ist gerechtfertigt. Zum einen sichert die Lenkung der Arzneimittelversorgung, dass Medikamente stets in ausreichender Zahl und einwandfreiem Zustand zur Verfügung stehen. Zum anderen müssen die Verbraucher vor den gesundheitlichen Gefahren eines übermäßigen Medikamentenkonsums geschützt werden. Wären Arzneimittel frei und unkontrolliert erhältlich, könnte deren missbräuchliche Anwendung gerade auch im Hinblick auf die möglicherweise aggressive Werbung zumindest nicht sicher ausgeschlossen werden. Die Fachkenntnisse des Apothekers gewährleisten die notwendige kompetente Beratung des Verbrauchers, die im freien Verkauf kaum zu gewährleisten ist. 69 Eine Ausnahme von der Apothekenpflicht besteht nur, wenn diese ausdrücklich in § 44 AMG oder in einer nach § 45 AMG vom BMG zu erlassenden Rechtsverordnung niedergelegt ist. Nach § 44 I AMG sind solche Arzneimittel frei verkäuflich, die nicht der Heilung oder Linderung von Krankheiten oder Körperschäden dienen. Beispiel Ein Gel zur Linderung von Zahnungsbeschwerden bei Säuglingen dient nicht der Heilung einer Krankheit. Denn der Zahndurchbruch ist eine vorübergehende, normal verlaufende Erscheinung, die der normalen Körperfunktion entspricht. 70 Frei verkäuflich nach § 44 II AMG sind die dort ausdrücklich in einem abschließenden Katalog aufgeführten Substanzen, unter anderem Q Pastillen aus natürlichen Salzen, Q Pflanzen und Pflanzenteile (Kräutertee), Q Pflaster, Q Mund- und Rachendesinfektionsmittel - sofern sie nicht der Beseitigung von Schädlingen dienen, da ihnen in diesem Fall eine heilende Wirkung zuzuschreiben ist. 69 BVerfGE 7, 377; 9, 73; 94, 372; Hofmann in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 43 AMG, Rn. 6; Heßaus in Spickhoff, Medizinrecht, § 43 AMG, Rn. 3 ff. 70 BVerwG, GewArch 1973, 273. <?page no="263"?> B. Genehmigungsvorbehalte im Arzneimittelrecht 263 In § 45 AMG ist das Bundesministerium für Gesundheit zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden, nach der weitere Arzneimittel zum Verkehr außerhalb von Apotheken freigegeben werden können. Von dieser Ermächtigung hat das BMG mit der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV) Gebrauch gemacht. Frei verkäuflich sind danach beispielsweise Hustenbonbons oder Hühneraugenpflaster. Pharmazeutische Unternehmer und Großhändler dürfen darüber hinaus Arzneimittel im Wege der Direktbelieferung unmittelbar an andere pharmazeutische Unternehmer und Großhändler, Krankenhäuser und Ärzte oder Gesundheitsämter abgeben, ohne dass eine Apotheke zwischengeschaltet ist, § 47 AMG. 3. Verschreibungspflicht Arzneimittel, die bestimmte Wirkstoffe enthalten, dürfen nur aufgrund einer ärztlichen Verschreibung (Rezept) abgegeben werden, § 48 AMG. Die verordnungspflichtigen Stoffe sind im Einzelnen in der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) aufgeführt. Ihnen ist gemein, dass sie selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch möglicherweise Gesundheitsgefährdungen verursachen oder dass sie häufig und in erheblichem Umfang missbräuchlich angewendet werden. Sie sind mithin nicht frei verkäuflich. 71 Die Rezeptpflicht kann auch nach der Zulassung begründet werden, wenn entsprechende Tatsachen bekannt werden. Der Zulassungsinhaber ist daher nach § 29 AMG zur Anzeige gegenüber der Zulassungsbehörde verpflichtet, wenn Tatsachen den Verdacht auf schwerwiegende Nebenwirkungen oder erheblichen Missbrauch begründen. Beispiele Arzneimittel zur Behandlung von leichten bis mäßig starken Schmerzen und/ oder Fieber sind rezeptpflichtig, wenn sie eine Gesamtwirkstoffmenge an Paracetamol von 10 g je Packung überschreiten. Hintergrund ist die Gefahr von lebensbedrohlichen Vergiftungen oder Leberschäden, die auch bei geringfügiger Überdosierung auftreten können. Desgleichen bedürfen Präparate zur Behandlung mittelschwerer Depressionen auf der Basis von Johanniskraut der Verschreibung. Hier war ein erhöhtes Suizidrisiko der behandelten Patienten zu beobachten gewesen. 71 Ausführlich Pabel, PharmR 2009, 499; Hofmann in Kügel/ Müller/ Hofmann, § 48 AMG, Rn. 36 ff.; zu den Folgen für die europaweite Vermarktung von Arzneimitteln, für die eine Rezeptpflicht besteht Guttau/ Winnands, PharmR 2009, 274. <?page no="264"?> 264 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Gemäß § 43 III AMG dürfen verschreibungspflichtige Medikamente generell nur in Apotheken abgegeben werden. <?page no="265"?> C. Rechtsstellung der Apotheker 265 C. Rechtsstellung der Apotheker Im Vergleich zu den Ärzten nehmen Apotheker insofern eine Sonderposition ein, als sie sowohl einen freien Beruf ausüben als auch ein Gewerbe i. S. v. § 1 II HGB betreiben. 72 Zugleich erfüllt der Apotheker eine öffentliche Aufgabe: gemäß § 1 BApO ist er zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln berufen und dient damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Zentrale Rechtsquelle ist das ApoG und die auf seiner Grundlage erlassene ApBetrV. Einzelheiten zu Qualifikation und Aufgaben des Apothekers oder zum Betrieb von Apotheken sind darüber hinaus Gegenstand zahlreicher weiterer Verordnungen. I. Approbation Zur Berufsausübung ist nur berechtigt, wer die Approbation als Apotheker erlangt hat, § 2 I BApO. Das Erteilungsverfahren ist in der BApO und der AApprO geregelt und mit dem der ärztlichen Approbation vergleichbar. Die Apotheker-Approbation wird gemäß § 4 BApO auf Antrag erteilt an Personen, die Q sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht haben, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergibt, Q nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet sind, Q eine Ausbildung mit hinreichendem praktischem Ausbildungsanteil und eine pharmazeutische Prüfung erfolgreich absolviert haben und Q über die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Das vormals in § 4 I 1 Nr. 1 BApO enthaltene Staatsangehörigkeitserfordernis ist aufgehoben worden. Die Approbation berechtigt zum Führen der Berufsbezeichnung „Apotheker“ und zur Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln, §§ 3, 2 III BApO. Approbierte Apotheker sind Pflichtmitglieder der Apothekerkammer, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die nach den Regeln der Heilberufegesetze der Bundesländer verfasst ist. 72 BVerfGE 94, 372, Saalfrank in HK-AKM, Beiträge Apotheke, Rn. 11; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 38, Rn. 1. <?page no="266"?> 266 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln II. Apothekenerlaubnis Der Betrieb einer Apotheke ist erst nach Erteilung einer behördlichen Erlaubnis gestattet, § 1 II ApoG. Dieses Erfordernis spiegelt das gesetzliche Monopol der Apotheken für den Arzneimittelhandel wieder und soll die Sicherheit der Arzneimittelversorgung garantieren. 73 1. Erteilungsvoraussetzungen Die Apothekenerlaubnis knüpft an persönliche Eigenschaften des Antragstellers an, weist zugleich aber einen Bezug zu den zur Nutzung vorgesehenen Räumlichkeiten auf. Eine Bedarfsprüfung findet nicht statt. Voraussetzungen der Erteilung sind gemäß § 2 I ApoG Q die volle Geschäftsfähigkeit i. S. v. §§ 104 ff. BGB, Q die Approbation als Apotheker, Q Zuverlässigkeit. Diese fehlt insbesondere bei Straftaten oder „schweren sittlichen Verfehlungen“, die auf mangelnde Eignung zur Leitung einer Apotheke schließen lassen, beispielsweise der illegale Handel mit Betäubungsmitteln. Dazu zählen auch gröbliche und beharrliche Zuwiderhandlungen gegen das ApoG, die ApBetrV oder das AMG. Das Fehlverhalten darf also nicht nur punktuell auftreten, sondern muss eine gewisse Intensität und Schwere erreicht haben. Ein bloßer Verdacht genügt nicht. Vielmehr müssen Tatsachen nachgewiesen sein, die den Schluss auf die mangelnde Eignung zulassen. 74 Q hinreichend ausgestattete Räume. Gemäß § 4 ApBetrO müssen die Räumlichkeiten für die einwandfreie Entwicklung, Herstellung, Prüfung, Lagerung und Verpackung geeignet sein. Auch die ordnungsgemäße Abgabe von Arzneimitteln und die Information und Beratung der Kunden müssen sichergestellt sein. Notwendig ist die Einrichtung eines Verkaufsraums, der zur vertraulichen Beratung geeignet ist (Offizin), ein Laboratorium, ausreichender Lagerraum sowie ein Nachtdienstzimmer. 75 Q sowie die gesundheitliche Eignung zur ordnungsgemäßen Leitung einer Apotheke. Diese fehlt beispielsweise bei schweren Suchterkrankungen des Antragstellers. 76 73 Lippert in Deutsch/ Lippert, AMG, Gesetz über das Apothekenwesen, Erster Abschnitt, Rn. 3; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, § 1 ApoG, Rn. 1. 74 Senge/ Hadamitzky in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 2 ApoG, Rn. 5; Saalfrank in HK-AKM, Beiträge Apotheke, Rn. 83; Mecking in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 2 ApoG, Rn. 3; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, § 4 ApoG, Rn. 3. 75 Ausführlich Wiesener in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 32, Rn. 60 ff. 76 VGH München, GewArch 2005, 389. <?page no="267"?> C. Rechtsstellung der Apotheker 267 Die Apothekenerlaubnis wird für den Antragsteller (Personalkonzession) und die konkreten, im Antrag beschriebenen Räume erteilt, § 1 III ApoG. Eine Übertragung, Veräußerung oder Vererbung der Erlaubnis ist nicht möglich. Auch die Verpachtung der Apotheke kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, § 9 ApoG. 77 Beabsichtigt der Apotheker die Verlegung der Apotheke in andere Räumlichkeiten, muss er eine erneute Erlaubnis beantragen. Dabei werden die persönlichen Voraussetzungen in der Regel nicht neuerlich geprüft. 78 2. Mehr- und Fremdbesitzverbot Der Inhaber der Apothekenerlaubnis muss die Apotheke persönlich und eigenverantwortlich leiten (Fremdbesitzverbot), § 7 ApoG. Aus diesem Grund war zunächst nur der Betrieb einzelner Apotheken gestattet. Diese strikte Regelung ist inzwischen gelockert worden: nach § 1 II ApoG darf ein Apotheker eine Apotheke nunmehr mit drei weiteren Filialen betreiben (Mehrbesitzverbot). Die Apothekenerlaubnis wird in diesen Fällen als Gesamtbetriebserlaubnis für die „kleine Filialkette“ erteilt. 79 Hauptniederlassung und Filialen müssen jedoch innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder im Nachbarkreis liegen. Die Hauptapotheke muss der Betreiber persönlich führen. Für die Filialen hat er einen verantwortlichen Apotheker zu benennen, § 2 IV, V ApoG. Damit soll sichergestellt werden, dass der Apotheker seine Filialkette - wie in § 7 ApoG vorgesehen - persönlich leiten und ordnungsgemäß überwachen kann. 80 Mit dem Fremdbesitzverbot korrespondiert § 8 ApoG, wonach mehrere Personen gemeinsam eine Apotheke nur in der Rechtsform der GbR oder der oHG betreiben dürfen. Zulässige Rechtsformen sind daher lediglich Personen-, nicht aber Kapitalgesellschaften. Da es sich bei Kapitalgesellschaften nicht um natürliche, sondern um juristische Personen handelt, ist eine persönliche Leitung durch den Betreiber i. S. v. § 7 ApoG nicht denkbar. Fremd- und Mehrbesitzverbot waren zu Beginn der 2000er Jahre in die Diskussion geraten, als „Doc Morris N. V.“, eine niederländische Apothekenkette in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, ihr Filialnetz auf den deutschen Markt ausweiten woll- 77 Mecking in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 2 ApoG, Rn. 9 f.; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, § 9 ApoG, Rn. 2 ff. 78 BVerwGE 40, 157. 79 Saalfrank in HK-AKM, Beiträge Apotheke, Rn. 21; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 38, Rn. 36 f. 80 Saalfrank in HK-AKM, Beiträge Apotheker, Rn. 54; Senge/ Hadamitzky in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 2 ApoG, Rn. 14. <?page no="268"?> 268 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln te. 81 Das BVerfG hatte diese Rechtsinstitute in den 1960er Jahren noch mit der Begründung bestätigt, dass im Interesse der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs der „Apotheker in seiner Apotheke“ Leitbild des deutschen Apothekenrechts sei. 82 Unter Berufung auf § 7 ApoG war DocMorris zunächst die Apothekenerlaubnis versagt worden. In einer Eilentscheidung war sodann eine vorläufige Erlaubnis zum Weiterbetrieb einer Filiale in Saarbrücken erteilt worden. 83 Es seien keine Gründe ersichtlich, die eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 54 AEUV rechtfertigen könnten. Im Vergleich zu einem völligen Verbot des Apothekenbetriebs durch Kapitalgesellschaften seien weniger einschneidende und damit verhältnismäßigere Mittel ersichtlich. So könne Gesundheitsgefahren durch unkontrollierte Ausgabe von Arzneimitteln oder mangelhafte Beratung durch die zwingende Anwesenheit qualifizierten Personals begegnet werden. DocMorris wurde daher aufgegeben, die Leitung der Filiale einer ausgebildeten Apothekerin zu übertragen. Der EuGH hat die Vereinbarkeit des Fremdwie des Mehrbesitzverbots mit Europarecht bestätigt. 84 Sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Freiheit des Kapitalverkehrs seien zum Schutz der Öffentlichkeit vor Gesundheitsgefahren beschränkbar. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Waren können Arzneimittel bei falscher Anwendung schwere Gesundheitsschädigungen bis hin zum Tod auslösen. Es sei daher gerechtfertigt, den Verkauf von Arzneimitteln auf Apotheken zu beschränken, die von einem ausgebildeten Apotheker persönlich geleitet werden. Es stehe den Mitgliedstaaten zu, dem persönlich agierenden Apotheker eine höhere Gewähr für die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Medikamentenhandels zuzumessen. Denn er betreibe sein Gewerbe nicht allein unter Gewinnerwirtschaftungsinteressen, sondern auch und gerade wegen seiner beruflich-fachlichen Eignung. Nichtapotheker verfügen weder über eine entsprechende Ausbildung, noch über hinreichende berufli che Erfahrungen in der Herstellung von Arzneimitteln sowie der Beratung von Patienten. 81 Statt vieler vgl. Streinz/ Herrmann, EuZW 2006, 455; Eichenhofer, MedR 2007, 329; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, § 8 ApoG, Rn. 5 ff.; Wiesener in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 34, Rn. 13. 82 BVerfGE 17, 323. 83 OVG Saarlouis, NVwZ-RR 2008, 95, zustimmend Kruis, EuZW 2007, 715. 84 EuGH, MedR 2009, 593, kritisch Anm. Eichenhofer, MedR 2009, 593 (597), Herrmann, EuZW 2009, 409 (413); zustimmend Kamann/ Gey/ Kreuzer, PharmR 2009, 320 (322); Martini, NJW 2009, 2112 (2116). <?page no="269"?> C. Rechtsstellung der Apotheker 269 III. Aufgaben des Apothekers Den Apothekern obliegt die Sicherung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, § 1 ApoG. Diesem Sicherstellungsauftrag kommen sie in erster Linie durch die Abgabe von Fertigarzneimitteln, in geringem Umfang aber auch durch die Herstellung von Arzneimitteln im eigenen Labor nach. Darüber hinaus sind Apotheker zur Information und Beratung der Kunden verpflichtet, § 20 ApBetrO. Sie haben Auskunft über Dosierung und Einnahmefrequenz, Therapiedauer oder Wechselwirkungen der Arzneimittel zu erteilen. Dabei dürfen sie jedoch nicht in die Therapiefreiheit des Arztes eingreifen, beispielsweise indem sie abweichende Dosierungen vorgeben. Die Apotheker sind verpflichtet, die zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung erforderliche Menge an Arzneimitteln, Verbandstoffen, Einwegspritzen und Einwegkanülen auf Vorrat zu halten. Nach § 15 I ApBetrO muss dieser Vorrat mindestens den durchschnittlichen Bedarf der Bevölkerung für eine Woche abdecken. Zumindest aber muss gewährleistet sein, dass nicht vorhandene Arzneimittel kurzfristig beschafft werden können, § 15 II ApBetrO. Für verschreibungs- und apothekenpflichtige Medikamente haben die Apotheken das Monopol. Bezüglich der Arzneimittel, die zum freien Verkauf zugelassen sind sowie des sogenannten Randsortiments stehen sie jedoch im freien Wettbewerb mit dem Einzelhandel. Das Randsortiment umfasst apothekenübliche Waren, beispielsweise Mittel zur Hygiene und Körperpflege, Chemikalien, Laborbedarf, Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel, § 1a X ApBetrO. 85 Das Geschäft mit dem Randsortiment darf den ordnungsgemäßen Betrieb der Apotheke nicht gefährden, § 2 IV ApBetrO. Die Apotheke darf also nicht den Charakter einer gewöhnlichen Drogerie annehmen. 86 IV. Versandhandel als besondere Vertriebsform Gemäß § 17 Ia ApBetrO dürfen Arzneimittel grundsätzlich nur in den Apothekenbetriebsräumen und nur durch pharmazeutisches Personal ausgegeben werden. Seit 2004 ist in den Grenzen der § 43 I 1 AMG, §§ 11a, 11b ApoG auch der Versand von Arzneimitteln gestattet. Das bis dahin geltende Verbot des Versandhandels hat nach Auffassung des EuGH gegen das Verbot von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen aus Art. 34 AEUV verstoßen. 87 Dies galt zumindest für nicht verschrei- 85 Wiesener in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 34, Rn. 102 mit weiteren Beispielen. 86 Senge/ Hadamitzky in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 2 ApBetrO, Rn. 4. 87 EuGH, Slg. 1989, 617 (Schumacher I); Slg. 1992, I-2575 (Schumacher II); Slg. 2003, S. I-14887 (DocMorris). Das BVerfG hat zudem einen Verstoß gegen Art. 12 I GG bejaht, BVerfGE 107, 186. <?page no="270"?> 270 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln bungspflichtige Medikamente. Die Patientensicherheit rechtfertige nicht die strikte Koppelung der Abgabe der Arzneimittel an die Räumlichkeiten einer Apotheke. Der Gesetzgeber hat den Versandhandel daraufhin liberalisiert und über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch für verschreibungspflichtige Medikamente geöffnet. 88 Der Versandhandel ist nunmehr gemäß § 11a I ApoG nach behördlicher Erlaubnis zulässig. Diese kann nur dem Inhaber einer Apothekenerlaubnis erteilt werden, der schriftlich versichert, die besonderen Anforderungen für den Arzneimittelversand zu erfüllen. Der Versand muss daher zwingend aus einer öffentlichen Apotheke heraus, also zusätzlich zum üblichen Apothekenbetrieb erfolgen (Direktvertriebsgebot). Damit wird § 17 I ApoG Rechnung getragen. Eine allein auf den Arzneimittelversand beschränkte Apothekenerlaubnis ist nicht zulässig. Dem Direktvertriebsgebot steht es nicht entgegen, wenn eine reine Versandapotheke eine Kooperationsvereinbarung mit einer Drogerie schließt, der zufolge in der Drogerie die Bestellungen eingesammelt und die gelieferten Medikamente ausgehändigt werden sollen. Die Arzneimittelsicherheit sei dadurch nicht stärker gefährdet als im gewöhnlichen Versand, der auch ohne direkten Kontakt zwischen Apotheker und Patient abgewickelt werde. 89 Zusätzlich müssen nach § 11a ApoG folgende Anforderungen erfüllt sein: Q Es ist ein Qualitätssicherungssystem für Verpackung, Transport und Auslieferung des Medikaments zu etablieren, um dessen gleich bleibende Qualität und Wirksamkeit zu gewährleisten. Q Die Apotheke muss eine Beratung durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache anbieten. Q Die Auslieferung darf nur an einen namentlich benannten Besteller erfolgen. Q Der Versand muss innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Eingang der Bestellung abgewickelt sein. Gegebenenfalls ist eine kostenfreie Zweitzustellung zu veranlassen. Die Apotheke muss zudem ein System zur Sendungsverfolgung installieren, um den Verlust einzelner Sendungen zu vermeiden. Q Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass bei Problemen mit der Medikation Kontakt zum behandelnden Arzt aufzunehmen ist. Zusätzlich muss die Apotheke ein geeignetes System zur Meldung von Risiken und zur Information der Kunden über solche Risiken einrichten. Q Es ist zwingend eine Transportversicherung abzuschließen. 88 Ausführlich Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, § 11a ApoG, Rn. 1 ff.; kritisch Starck, DÖV 2008, 389. 89 BVerwGE 131, 1. <?page no="271"?> C. Rechtsstellung der Apotheker 271 Erfüllt ein Apotheker diese Voraussetzungen, hat er einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Versandhandelserlaubnis. 90 Rücknahme und Widerruf der Versandhandelserlaubnis sind in § 11b ApoG geregelt. Auch im Versandweg dürfen nur solche Medikamente abgegeben werden, die in Deutschland in Verkehr gebracht werden dürfen, also zugelassen sind. Dabei sind die in anderen EU-Mitgliedstaaten erteilten Zulassungen ebenso anzuerkennen wie die nach dem zentralen Zulassungsverfahren. Nach § 73 I Nr. 1a AMG ist auch der grenzüberschreitende Versandhandel innerhalb der EU gestattet. Die zunächst in der Rechtsprechung 91 vertretene Auffassung, wonach die ausländische Versandapotheke gleichzeitig eine Präsenzapotheke betreiben müsse, um Seriosität der Betreiber, fachliche Kompetenz und finanzielle Sicherheit zu gewährleisten, ist vom BGH 92 nicht geteilt worden. Solange und soweit der Sicherheitsstandard im Apothekenrecht der EU-Mitgliedstaaten mit deutschem Recht vergleichbar ist, sei der Versandhandel zulässig - selbst wenn das Recht des anderen Mitgliedstaates nicht den Betrieb einer Präsenzapotheke erfordert. Um diesen Sicherheitsanforderungen zu genügen, veröffentlicht das BMG in regelmäßigen Abständen eine Aufstellung über die Staaten, deren Standards dem deutschen Recht genügen, vgl. § 73 I 3 AMG. Nicht erlaubt ist die Abgabe von Arzneimitteln über Automaten; hierbei handelt es sich nicht um eine dem Versand gleichgestellte Form der Abgabe von Medikamenten. Zudem ist die Arzneimittelsicherheit, insbesondere eine sichere Lagerung, nicht gewährleistet. 93 90 Saalfrank in HK-AKM, Beiträge Apotheke, Rn. 123 f. 91 KG Berlin, A&R 2005, 23; LG Berlin, A&R 2007, 98; zustimmend Saalfrank, A&R 2005, 11. 92 BGH, MedR 2008, 611. 93 BGH, GesR 2020, 658. <?page no="272"?> 272 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV Die Arzneimittel verursachen einen Großteil der von der GKV aufzuwendenden Kosten. 2020 beliefen sie sich auf 43,3 Milliarden €. Der Gesetzgeber versucht, einem weiteren Kostenanstieg entgegenzutreten und gleichzeitig dem Interesse an der Forschung und Entwicklung innovativer Arzneimittel Rechnung zu tragen. I. Anspruch der Versicherten Gemäß § 31 SGB V haben gesetzlich versicherte Patienten einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Diese ist Bestandteil der Krankenbehandlung und wird ebenso wie diese als Sachleistung gewährt. Nach §§ 31 III, 61 S. 1 SGB V sind die Versicherten zu einer Zuzahlung in Höhe von 10 % des Abgabepreises verpflichtet, die mindestens 5,00 € betragen muss, aber 10,00 € nicht überschreiten darf (Rezeptgebühr). Die Rezeptgebühr wird von den Apotheken einbehalten und an die Krankenkassen weitergeleitet, § 43c SGB V. Voraussetzung der Kostenübernahme durch die GKV ist eine Verordnung des Medikaments durch einen Vertragsarzt auf einem dafür vorgesehenen Formblatt (Rezept). 94 Seit 2022 kann das Rezept auch elektronisch ausgestellt werden, §§ 360, 361 SGB V. Mit der Verordnung bescheinigt der Arzt die medizinische Notwendigkeit der Anwendung des Arzneimittels. Er hat dabei den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten, § 12 SGB V. Einen Anreiz für die Verordnung preisgünstiger Medikamente bietet das Bonus-Modell nach § 84 I Nr. 2, IV SGB V. KV und Landesverbände der Krankenkassen schließen danach Zielvereinbarungen zur wirtschaftlichen Versorgung. Werden diese Vereinbarungen erfüllt, entrichten die Krankenkassen einen Bonus an die zuständige KV. 1. Verordnungsfähigkeit und Zulassung Grundsätzlich sind nur zugelassene Arzneimittel verordnungsfähig. Zwar verfolgen AMG und SGB V unterschiedliche Zwecke. Das AMG zielt auf die Sicherheit des Arzneimittelverkehrs, während das SGB V die therapeutisch und wirtschaftlich möglichst effiziente Verordnung von Arzneimitteln sicherstellt. 95 94 BSGE 73, 271; 77, 194. 95 BVerfG, NJW 1997, 3085; BVerwGE 58, 167, dazu auch Roberts/ Riegraf, PharmR 2005, 84 (87 f.). <?page no="273"?> D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV 273 Gleichwohl erfolgt keine gesonderte sozialrechtliche Zulassung von Arzneimitteln zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten. Das Recht der Arzneimittelsicherheit ist mithin vorgreiflich für das Leistungsrecht des SGB V. Dies gilt zumindest in negativer Hinsicht: ist einem Medikament die Zulassung versagt worden, kommt dessen Verordnung zu Lasten der GKV nicht in Frage. Denn die Anwendung eines nicht verkehrsfähigen Medikaments kann schlechterdings nicht als zweckmäßig und erforderlich angesehen werden. 96 Zugleich kommt der Zulassung eine gewisse positive Vorgreiflichkeit zu. Sie bewirkt zwar nicht automatisch die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels. Diese kann zumindest aber nicht mehr unter Verweis auf die mangelnde Wirksamkeit verweigert werden, war diese doch Gegenstand der umfassenden Prüfung im Rahmen des AMG. 97 Das SGB V geht jedoch insoweit über das AMG hinaus, als die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung eines der tragenden Kriterien für die Leistungspflicht der Krankenkassen ist. 98 Daraus ergibt sich zwar nicht das Erfordernis einer leistungsrechtlichen Arzneimittelzulassung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot aus §§ 2, 12 I SGB V rechtfertigt jedoch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel aus der Versorgung. Bis Ende 2011 hatte der Gesetzgeber in § 34 III SGB V das BMG ermächtigt, durch Verordnung 99 unwirtschaftliche Arzneimittel aus der Leistungspflicht der GKV auszuschließen. Parallel konnte der GBA entsprechende Richtlinien erlassen. Mit dem AMNOG ist die Befugnis zum Ausschuss unwirtschaftlicher Arzneimittel allein auf den GBA übertragen worden. Die Leistungsausschlüsse nach der AMuwV werden als Bestandteil der GBA-Richtlinien fortgeführt, vgl. § 34 III SGB V. Als unwirtschaftlich gelten Medikamente, die im Hinblick auf das Therapieziel nicht erforderliche Inhaltsstoffe enthalten, deren Wirksamkeit wegen der Vielfalt der enthaltenen Inhaltsstoffe nicht mit Sicherheit beurteilt werden kann oder deren Nutzen nicht nachgewiesen ist. Diese ehemals in § 34 III 2 SGB V enthaltene Legaldefinition dürfte auch nach Erlass des AMNOG weiterhin Geltung beanspruchen. In medizinisch begründeten Einzelfällen ist trotz fehlender Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise eine vertragsärztliche Verordnung zulässig, § 31 I 4 SGB V. Der Vertragsarzt muss begründen, dass der Therapieerfolg durch ein anderes, wirtschaftlicheres Arzneimittel nicht erreicht werden kann. 96 BSGE 72, 252; 82, 233; 93,1; 96, 153.; dazu auch Francke, MedR 2006, 638 (685); Roberts/ Riegraf, PharmR 2005, 84 (84). 97 BSGE 82, 233. 98 BSGE 95, 132, Francke, MedR 2006, 683 (685). 99 Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMuwV) vom 21.2.1990, BGBl. I S. 301. <?page no="274"?> 274 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 2. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Gemäß § 34 I SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen. Auch bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung kommen die Krankenkassen daher nicht für die Kosten auf. Eine Ausnahme besteht nach § 34 I 5 SGB V für Q Kinder unter 12 Jahren sowie Q Jugendliche unter 18 Jahren, bei denen Entwicklungsstörungen diagnostiziert sind. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel gilt als vertretbar, da diese vor allem der Behandlung geringfügiger Erkrankungen dienen und regelmäßig ohne Rezept abgegeben werden. Zudem bewegen sich die Kosten im unteren Preissegment, so dass für die Versicherten keine übermäßigen finanziellen Belastungen zu befürchten stehen. Die Selbstzahlung ist mithin zumutbar. 100 Nicht verschreibungspflichtige Medikamente sind ausnahmsweise auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen zu leisten, wenn sie bei schwerwiegenden Erkrankungen als Therapiestandard gelten und vom GBA in eine entsprechende Richtlinie aufgenommen worden sind, § 34 I 2 SGB V (OTC-Ausnahmeliste 101 ). Als schwerwiegende Erkrankungen gelten nur solche, die lebensbedrohlich sind oder die die Lebensqualität gravierend beeinträchtigen können, 102 beispielsweise Krebserkrankungen oder Herzinfarkte. Wenn der Gesetzgeber auch die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden in diesen Zusammenhang einordnet, 103 ist dies bedenklich, handelt es sich beim Klimakterium doch um einen gewöhnlichen biologischen Vorgang. Damit einhergehende gesundheitliche Belastungen erreichen nicht per se, sondern allenfalls im Einzelfall lebensbedrohliche oder vergleichbar schwerwiegende Ausmaße. 104 Der GBA hat bei Erlass der Richtlinie die therapeutische Vielfalt zu beachten, § 34 I 3 SGB V. Daher sind auch naturheilkundliche, homöopathische oder anthroposophische Medikamente in die OTC-Liste aufzunehmen, wenn sie bei bestimmten Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Dazu zählen beispielsweise Mistelpräparate in der onkologischen Therapie. Der Anwendungsbereich des § 34 SGB V ist auf Arzneimittel beschränkt. Pflegeprodukte und Kosmetika sind daher auch dann nicht vom Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst, wenn deren Anwendung Krankheitsbeschwerden zu lindern vermag. 105 100 BSGE 102, 30. 101 Der Begriff OTC (= over the counter) bezeichnet Arzneimittel, die wie gewöhnliche Waren „über die Ladentheke“ verkauft werden. 102 BSGE 76, 194; 89, 184. 103 BT-Drs. 15/ 1525, S. 86. 104 So auch Hess in KassKomm, SGB V, § 34, Rn. 3. 105 BSG, Urt. v. 6.3.2012 (B 1 KR 24/ 10) R (zinkhaltige Fettcreme bei Neurodermitis). <?page no="275"?> D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV 275 Die Krankenkasse trägt die Kosten für die in der OTC-Liste aufgenommenen Arzneimittel jedoch nur, wenn der Vertragsarzt deren Notwendigkeit ausdrücklich dokumentiert und begründet. Die Regelung spiegelt das Erforderlichkeitsprinzip bei der Krankenbehandlung (§ 27 I 1 SGB V) wieder. 3. Ausschluss von Bagatell- und Lifestyle-Arzneimitteln Auch bestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel sind aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen. Nach § 34 I 6 SGB V haben volljährige Versicherte keinen Anspruch auf die Versorgung mit Bagatellarzneimitteln. Dies sind Medikamente, die der Behandlung vergleichsweise leichter Erkrankungen dienen. Dazu zählen Q Arzneimittel gegen Erkältungskrankheiten und grippale Infekte, einschließlich Schnupfenmittel und Hustenlöser, Q Mund- und Rachentherapeutika, soweit sie nicht der Behandlung von Pilzinfektionen dienen Q Abführmittel sowie Q Arzneimittel gegen Reisekrankheiten. Bei diesen Arzneimitteln wird die Eigenversorgung angesichts ihrer geringen medizinischen Relevanz für zumutbar erachtet. 106 Arzneimittel, bei deren Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht (Lifestyle-Arzneimittel), unterliegen ebenfalls nicht der Leistungspflicht der GKV. Dazu zählen Mittel zur Steigerung der sexuellen Potenz, zur Rauchentwöhnung, Gewichtsregulierung oder zur Verbesserung des Haarwuchses. Ob sie verschreibungs- oder apothekenpflichtig sind, ist ohne Belang. Es ist allein darauf abzustellen, ob mit der Anwendung des Arzneimittels ein individuelles, zumeist ästhetisch motiviertes Bedürfnis befriedigt oder eine Krankheit behandelt werden soll. Ist jenseits lebensbedrohlicher Zustände allein die persönliche Lebensführung des Patienten betroffen, ist der Leistungsausschluss insbesondere angesichts der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen gerechtfertigt. 107 Ein Anspruch auf Gewährung derartiger Arzneimittel als Sachleistung lässt sich auch nicht aus einem durch Völker- und Verfassungsrecht vermittelten Teilhabeanspruch behinderter oder chronisch kranker Menschen herleiten. Ist die persönliche 106 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 34, Rn. 6; Dettling-Kuchler in Krauskopf, § 34 SGB V, Rn. 2; kritisch Pitz in jurisPK-SGB V, § 34, Rn. 22. 107 BSGE 94, 302 (Viagra). <?page no="276"?> 276 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Lebensführung durch oder aufgrund einer Behinderung beeinträchtigt, resultiert weder aus dem Benachteiligungsgebot des Art. 3 III GG noch aus Art. 25 UN-BRK 108 eine Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Kostenübernahme. Der Leistungsausschluss nach § 34 I 6 SGB V knüpft einerseits nicht spezifisch an das Vorliegen einer Behinderung an. Zum anderen vermitteln die genannten Normen keinen Anspruch auf umfassenden und vollständigen Ausgleich aller durch eine Behinderung erlittenen Nachteile, sondern stellen lediglich den gleichberechtigten und gleichwertigen Zugang behinderter Menschen zu allen notwendigen Leistungen zur Gesundheitsversorgung sicher. Wenn der Gesetzgeber Arzneimittel, die der Erhöhung der Lebensqualität dienen, für alle Versicherten gleichermaßen aus dem Leistungskatalog ausnimmt, ist dies von seinem Spielraum gedeckt. 109 4. Off-Label-Use Die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels bezieht sich nur auf die in der Zulassung vorgesehene Indikation. Soll ein Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes (Off-Label-Use) verordnet werden, ist die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit seines Einsatzes grundsätzlich nicht gegeben. Die Rechtsprechung hat hiervon jedoch eine Ausnahme anerkannt, wenn Q ein Versicherter an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leidet, Q keine Behandlungsalternativen bestehen und Q eine nach dem Stand der medizinischen Forschung begründete Aussicht besteht, dass mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. 110 In diesen eng umgrenzten Fällen darf ein zugelassenes Arzneimittel auch außerhalb der vorgesehenen Indikation Anwendung finden. Der Systembruch zum Recht der Arzneimittelsicherheit wird bewusst hingenommen. Zwar soll mit der Begrenzung der Zulassung auf bestimmte Indikationen eine besondere Sicherheit erreicht werden. Indes ist nach dem SGB V die ausreichende Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Bliebe der Versicherte anderenfalls unbehandelt, ist eine Überschreitung des vorgesehenen Anwen- 108 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 6.12.2006. 109 BSGE 110, 194 (Cialis gegen erektile Dysfunktion, die durch Multiple Sklerose bedingt ist). Kritisch im Hinblick auf das nach Art. 6 I GG geschützte Recht, eine Familie zu gründen, welches durch diesen Leistungsausschluss insbesondere bei behinderten oder chronisch kranken Versicherten tangiert sei, Welti, MedR 2010, 379 (385). 110 BSGE 89, 184; 93, 1; BSG, Breith 2007, 361; BVerfG, NJW 2003, 1236. <?page no="277"?> D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV 277 dungsgebiets nach Abwägung der damit einhergehenden Risiken und des zu erwartenden Nutzens 111 nicht nur gerechtfertigt, sondern verfassungsrechtlich geboten. Ist die Erkrankung lebensbedrohlich, begründet das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und den Schutz des Lebens aus Art. 2 II GG einen Anspruch des Versicherten auf die Versorgung mit der einzig denkbaren und Erfolg versprechenden Therapie. 112 5. Verordnungsfähigkeit nicht zugelassener Arzneimittel Ebenfalls unter Heranziehung des grundrechtlich gebotenen Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit hat die Rechtsprechung in bestimmten Fällen sogar die Verordnung von Arzneimitteln für zulässig erachtet, die über keinerlei Zulassung - sei es in Deutschland oder in der EU - verfügen. Voraussetzung dafür ist, dass Q der Versicherte an einer seltenen Erkrankung leidet, Q für die es wegen der geringen Fallzahlen keine systematische Forschung und damit keinen wissenschaftlich anerkannten Behandlungsstandard gibt, Q die lebensbedrohlich oder zumindest geeignet ist, die Lebensqualität nachhaltig und dauerhaft einzuschränken und Q ohne Rückgriff auf ein nicht zugelassenes Medikament schwere Schäden drohen. 113 Der Einsatz nicht zugelassener Medikamente ist also auf notstandsähnliche Situationen begrenzt, in denen keine Behandlungsalternative besteht. Diese kann sich auch dadurch ergeben, dass der Patient ein zugelassenes Arzneimittel nicht verträgt, so dass dessen Gabe nicht vertretbar ist. Eine Ausweitung auf Erkrankungen, die zwar nicht lebensbedrohlich sind, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei weiterem Fortschreiten zu schwerwiegenden Ausfällen der Beweglichkeit oder der Leistung der Sinnesorgane führen, ist nicht angezeigt. Ein Verzicht auf die arzneimittelrechtlich gebotene Sicherheitsprüfung muss die absolute Ausnahme bleiben. Sie ist nur im Falle einer akuten Gefahr für das Leben oder des drohenden, nicht kompensierbaren Verlusts eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gegeben. 114 Die Entscheidung über die Anwendung der konkreten Therapie steht im Ermessen des Arztes. Er muss das individuelle Risiko für seinen Patienten abwägen und seine 111 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 31, Rn. 33; ausführlich Reese/ Stallberg in Dieners/ Reese, § 17, Rn. 124 ff. 112 Ausführlich Niemann, NZS 2002, 361. 113 BSGE 93, 236; 96, 170 unter Bezugnahme auf BVerfGE 115, 25. 114 BSG, WzS 2009, 90; anders die Vorinstanz LSG Sachsen-Anhalt, NZS 2007, 150. <?page no="278"?> 278 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchführen und hinreichend dokumentieren. 115 Trotz des Verzichts auf die Zulassung ist dem Bedürfnis nach Arzneimittelsicherheit Rechnung zu tragen. Ein abschlägiger Bescheid des BfArM im Verfahren nach dem AMG bzw. der Kommission im europäischen Zulassungsverfahren verbietet die Anwendung des Medikaments, ist danach doch dessen Sicherheit und Wirksamkeit nicht gewährleistet. Die Gabe nicht zugelassener Arzneimittel ist daher nur möglich, wenn ein Zulassungsverfahren bislang nicht stattgefunden hat. 116 Beim Import von Arzneimitteln ist ferner § 73 III AMG zu beachten. Danach ist die Einfuhr von nicht zugelassenen Medikamenten aus dem Ausland nur im Einzelfall, d. h. für einzelne Personen und in geringen Mengen zulässig. Sie steht ferner unter der Voraussetzung, dass das Medikament im Herkunftsland in Verkehr gebracht werden darf und der Import über eine Apotheke mit Apothekenerlaubnis erfolgt. II. Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Apotheken Gemäß § 129 II SGB V schließen der SpiBuKK und die für die wirtschaftliche Interessenvertretung der Apotheker maßgebliche Spitzenorganisation eine Rahmenvereinbarung über die Arzneimittelversorgung. Die Organisation, die bundesweit die meisten Apotheker vertritt, ist der Deutsche Apothekerverband e. V. (DAV). 117 Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss der Landesapothekerverbände. Diesem können alle in der Bundesrepublik ansässigen Betreiber von Apotheken freiwillig beitreten. Kennzeichen der Mitgliedschaft ist das rote „Apotheken-A“. Bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Normenvertrag. 118 Streitigkeiten über seinen Inhalt sind gemäß § 51 I Nr. 2 SGG vor den Sozialgerichten zu verhandeln. Der Rahmenvertrag entfaltet Bindungswirkung für alle Apotheker, die Mitglied eines Landesapothekerverbandes sind. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dem Vertrag beizutreten, § 129 III Nr. 1, 2 SGB V. Der Beitritt muss ausdrücklich erklärt werden. Ein konkludenter Beitritt, beispielsweise durch das Einlösen vertragsärztlicher Verordnungen, ist nicht möglich. Die Versicherten haben die freie Wahl unter den Apotheken, auf die sich der Geltungsbereich der Rahmenvereinbarung erstreckt, § 31 I 5 SGB V. 115 BSGE 96, 170. 116 Roberts/ Riegraf, PharmR 2005, 84 (90). 117 Weiß in Krauskopf, SGB V, § 129, Rn. 46. Der DAV und die Apothekenkammern sind in der ABDA, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zusammengeschlossen. 118 BSGE 89, 24. <?page no="279"?> D. Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der GKV 279 Die Rahmenvereinbarung konkretisiert das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 I SGB V. 119 Zu diesem Zweck sollen Krankenkassen und Apotheken eine Einigung über folgende Inhalte erzielen: Q die Substitutionspflicht: hat ein Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet, soll der Apotheker das preisgünstigste Arzneimittel abgeben. Gleiches gilt, wenn der Arzt ein konkretes Medikament verordnet, dessen Ersetzung durch ein preisgünstigeres aber nicht ausschließt (aut-idem Regelung) - etwa weil Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen vorliegen. Voraussetzung ist, dass das Substitut in Wirkstärke und Packungsgröße identisch ist, für eine 120 gleiche Indikation zugelassen ist und über die gleiche oder eine vergleichbare Darreichungsform verfügt. 121 Die Versicherten sind nicht an die Substitutionsarzneimittel gebunden, für die ihre Krankenkasse eine Erstattungsvereinbarung nach Maßgabe von § 130b SGB V geschlossen hat. Sie können gegen Kostenerstattung auch andere Arzneimittel auswählen, die in Indikation, Wirkstärke und Packungsgröße mit dem verordneten Arzneimittel übereinstimmen, müssen aber freilich die über dem Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V liegenden Kosten selbst tragen. 122 Q die Abgabe preisgünstiger importierter Arzneimittel, wenn diese gegenüber den im Inland hergestellten Arzneimitteln mindestens 15 % oder mindestens 15,00 € günstiger sind. Dies setzt wiederum voraus, dass das Substitut die gleiche Wirkstärke und Packungsgröße und eine zumindest vergleichbare Darreichungsform aufweist. 123 Q die Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen: hat der Arzt keine bestimmte Menge angegeben oder kann seiner Verordnung auch durch die Abgabe von Teilmengen bzw. der Kombination mehrerer Packungsgrößen genügt werden, soll der Apotheker die wirtschaftlichste Teilmenge abgeben. Weicht die vom Arzt verordnete Menge des Medikaments also von den handelsüblichen Packungsgrößen ab, ist der Apotheker danach zur Abgabe der kleinstmöglichen Packung verpflichtet. 124 Q die Angabe des Apothekenabgabepreises auf der Verpackung. Dadurch soll das Kostenbewusstsein der Versicherten gestärkt werden. 125 119 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 129, Rn. 5. 120 Kritisch zu dieser durch das AMNOG erfolgten Umformulierung („eine“ statt „die“ gleiche Indikation) Wolf/ Jäkel, PharmR 2011, 1 (4). 121 Dazu ausführlich Mand/ Burk, A&R 2008, 107 (110 f.); Wille, PharmR 2009, 365 (368); Kaufmann, PharmR 2011, 223 (229). 122 Kritisch Ebsen, GuP 2011, 41 (45); Wolf/ Jäkel, PharmR 2011, 1 (5). 123 Hess in KassKomm, SGB V, § 129, Rn. 9. 124 BSG, SozR 4-2500 § 129 Nr. 1. 125 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 129, Rn. 27. <?page no="280"?> 280 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln III. Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den pharmazeutischen Unternehmen Der SpiBuKK ist nach § 131 SGB V zum Abschluss von Verträgen über die Arzneimittelversorgung mit den auf Bundesebene tätigen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen 126 ermächtigt. Die Vereinbarungen sind freiwillig. Sie sind als öffentlich-rechtliche Normenverträge zu qualifizieren, denn ihre Rechtswirkung erstreckt sich über die vertragsschließenden Parteien hinaus. 127 Wie bei den Verträgen nach § 129 SGB V kann die Bindungswirkung entweder durch Mitgliedschaft in der vertragsschließenden Spitzenorganisation oder durch ausdrücklichen Beitritt zur Vereinbarung begründet werden. Der mögliche Inhalt der Vereinbarungen ist in § 131 II SGB V nur exemplarisch vorgegeben. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Nach Auffassung des BVerfG darf über die in § 131 II SGB V genannten Materien hinaus jedoch nicht von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden. 128 SpiBuKK und die Verbände der pharmazeutischen Unternehmen können unter anderem Q therapiegerechte und wirtschaftliche Bezugsgrößen und Packungsausstattungen festlegen. Daraufhin sind Bezeichnungen für Kleinpackungen (N 1), Mittelpackungen (N 2) und Großpackungen (N 3) bestimmt worden. Q Maßnahmen zur Erstellung von Preisvergleichslisten nach § 92 II SGB V treffen. Diese bilden die Basis für die Arzneimittelrichtlinien des GBA, welche den Arzt in die Lage versetzen sollen, einen Preisvergleich anzustellen, um das wirtschaftlichste Arzneimittel verordnen zu können. Q Maßnahmen zur Festsetzung von Festbeträgen nach §§ 35, 35a SGB V treffen. Danach sollen Daten über Arzneimittelpreise und -verbrauch sowie deren Verordnung transparent erfasst und damit eine adäquate Basis zur Bestimmung von Festbeträgen vermittelt werden. 126 Die Hersteller von Originalpräparaten werden vom Wirtschaftsverband der forschenden Arzneimittelunternehmen (vfa) repräsentiert. Der Deutsche Generika Verband e. V. und der Pro Generika e. V. vertreten dagegen die Interessen der Generikahersteller. 127 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 131, Rn. 4. 128 BVerfGE 114, 196; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 8, Rn. 29; Hess in KassKomm, SGB V, § 131, Rn. 2. <?page no="281"?> E. Entgelte für Arzneimittel 281 E. Entgelte für Arzneimittel Die Preisbildung bei Arzneimitteln unterliegt nicht in Gänze dem freien Wirken des Marktes. Für verschreibungspflichtige Medikamente bestehen gesetzliche Vorgaben. So sind die Entgelte, die der pharmazeutische Großhandel gegenüber den Apotheken geltend machen darf, Gegenstand der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), § 78 AMG. 129 Nicht verschreibungspflichtige Arzneien unterliegen nicht der öffentlichen Preisbildung. Sie sollen im freien Wettbewerb gehandelt werden, wodurch sich der Gesetzgeber Preissenkungen erhofft. I. Zulässige Preisspannen nach AMPreisV Bei allen Medikamenten sind zunächst die Hersteller frei in der Bestimmung eines Entgeltes, das sie für ihre Präparate erzielen wollen. 130 Die Hersteller sollen gemäß § 78 III AMG einen bundesweit einheitlichen Abgabepreis festlegen. Auf diesen Herstellerpreis darf der Großhandel nur den in § 2 AMPreisV vorgesehenen Zuschlag erheben. Dieser besteht aus zwei Komponenten, einem preisabhängigen Zuschlag in Höhe von 3,15 % (bis maximal 37,80 €) und einem preisunabhängigen Zuschlag von 0,70 €. 131 In § 3 AMPreisV ist der Apothekenpreis, also das Entgelt, das Apotheker bei der Abgabe der Arzneimittel an den Verbraucher erheben dürfen, geregelt. Dieser ist zwingend nach folgender Formel zu bestimmen: Herstellerpreis + Festzuschlag in Höhe von 3 % + preisunabhängiger Festzuschlag in Höhe von 8,10 € + Umsatzsteuer = Apothekenabgabepreis 129 Ob darin ein Wettbewerbshemmnis auf dem Binnenmarkt liegt, hat der EuGH zu klären, vgl. OLG Düsseldorf, PharmR 2015, 323. 130 Francke, MedR 2006, 683 (683); Mand/ Burk, A&R 2008, 107 (108). 131 Ausführlich Buchner/ Burk, WRP 2011, 1543 (1545). <?page no="282"?> 282 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln Der Apothekenabgabepreis ist also für jedes Medikament bundesweit einheitlich. Zweck des Arzneimittelpreisrechts ist die Sicherstellung der flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Durch die bindenden Vorgaben zu Preis- und Handelsspannen soll einem ruinösen Wettbewerb unter den Apotheken vorgebeugt werden. Zugleich soll eine indirekte Steuerung der Zahl der am Markt ansässigen Apotheken, mithin ein Ausgleich für das Fehlen eines bedarfsorientierten Zulassungsverfahrens für Apotheken erreicht werden. 132 Das Arzneimittelpreisrecht hatte zur Folge, dass importierte Arzneimittel zu günstigeren Preisen angeboten werden konnten, als im Inland hergestellte. 133 Der Gesetzgeber hatte daher zunächst den sachlichen Anwendungsbereich auf alle Arzneimittel erstreckt, die in der Bundesrepublik - sei es in einer Präsenzapotheke, sei es im Wege des Versandes - an einen Verbraucher abgegeben werden, § 78 I 4 AMG (Marktortprinzip). 134 Für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die aus einem anderen EU-Mitgliedstaat importiert werden, hatte der EuGH die Preisbindung nach § 78 AMG als unzulässige Einfuhrbeschränkung nach Art. 34 AEUV eingestuft. Der Versandhandel sei für ausländische Apotheken der einzige Weg, ihre Waren in anderen Mitgliedstaaten zu vertreiben. Sie könnten deshalb auch keine Kunden durch persönliche Betreuung und Beratung und durch die Notversorgung mit Arzneimitteln an sich binden. Ihre Position im Wettbewerb werde daher ganz wesentlich durch den Preis der von ihnen angebotenen Arzneimittel bestimmt. Nach Auffassung des EuGH ist ein einheitlicher Apothekenpreis objektiv nicht geeignet, um das Ziel des Gesundheitsschutzes zu erfüllen, da ein „Preiskampf“ im Arzneimittelversand nicht automatisch zu einem Rückgang der Präsenzapotheken führt oder gar die Notversorgung vor Ort gefährdet. Aufgrund bloßer Vermutungen könne eine Beschränkung des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt daher auch nicht nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden. 135 § 78 I 4 AMG ist daher gestrichen worden. Im Gegenzug wurden die Apotheken in § 129 III 3 SGB V verpflichtet, die in der AMPreisV festgesetzten Preise und Preisspannen einzuhalten. Damit soll die Arzneimittelversorgung der Versicherten gewährleistet werden. 136 132 Mand, PharmR 2008, 582 (585). 133 BSGE 101, 161 unter Bezugnahme auf BGH, NJW 1987, 2931. 134 So bereits BGH, NJW 2010, 3724, 3726; BGHZ 194, 354; anders dagegen nach BSGE 101, 161. 135 EuGH 19.10.2016 - Rs. C-148/ 15 (Deutsche Parkinson Vereinigung), ECLI: EU: C: 2016: 776. 136 BT-Drs. 19/ 21732, S. 2. <?page no="283"?> II. Rabattpflichten nach SGB-V Auch bei der Abgabe von Medikamenten an gesetzlich Versicherte bildet die in § 3 AMPreisV festgelegte Apothekenhonorierung die Grundlage der Preisbildung. Gemäß § 130 I SGB V sind die Apotheken zur Gewährung eines Apothekenrabatts von 1,77 € für jedes verschreibungspflichtige bzw. von 5 % des Abgabepreises auf sonstige Arzneimittel verpflichtet. Zusätzlich ist ein Herstellerrabatt in Höhe von 7 % des Herstellerabgabepreises nach § 2 AMPreisV zu gewähren, § 130a I SGB V. Für Generika und preisgünstige importierte Arzneimittel beläuft sich der Abschlag auf 10 % des Abgabepreises, § 130a IIIb SGB V. 137 Die Verpflichtung der Apotheken zur Rabattgewährung besteht gegenüber den Krankenkassen. Die Apotheker können jedoch entsprechende Ausgleichsansprüche gegen die pharmazeutischen Unternehmen geltend machen, § 130a I 3 SGB V. In der Regel werden die Ausgleichsansprüche mit den Ansprüchen der Pharmaunternehmen gegen die Apotheker bzw. die Großhändler aus den Lieferungsverträgen verrechnet, § 130a VII SGB V. Die Rabattpflicht ist als verfassungswidrig kritisiert worden. Sie greife unzulässig in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 I GG) der pharmazeutischen Unternehmer und Arzneimittelhändler ein. 138 Das BVerfG hat die Bedenken indes nicht geteilt. Ziel der Regelung sei es, den vom Arzneimittelverkehr profitierenden Unternehmen einen Beitrag zur Stabilisierung der Arzneimittelkosten abzuverlangen. Angesichts überproportionaler Zuwächse in diesem Sektor und der damit einhergehenden finanziellen Belastung der gesetzlichen Krankenkassen sei die Rabattpflicht gerechtfertigt. Eine freie Preisbildung würde die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und die Beitragssatzstabilität so stark beeinträchtigen, dass die daraus resultierenden Folgen für das Wohl der Allgemeinheit weit schwerwiegender seien als die vergleichsweise geringfügige Schmälerung der Umsätze der Wettbewerbsteilnehmer. 139 Der Herstellerrabatt ist für alle in der Bundesrepublik in Verkehr gebrachten Arzneimittel zu gewähren. Dies gilt namentlich für im Ausland ansässige Versandapotheken, die ihre Waren nach Deutschland einführen. Es kommt lediglich darauf an, dass der Abgabepreis der Arznei nach der AMPreisV oder nach § 129 Va SGB V bestimmt wird. 137 Dazu ausführlich Sandrock/ Stallberg, PharmR 2007, 498. 138 Becker, NZS 2003, 561 mit einer Übersicht zum Streitstand. 139 BVerfGE 106, 359; 114, 196; BSG, Breith 2006, 458; vgl. auch BGHZ 54, 115 zur Rechtslage nach der RVO sowie Dettling, MedR 2006, 81; Wallerath, SGB 2006, 505. <?page no="284"?> 284 Nach Auffassung des BSG 140 sollen diese Normen aufgrund des „Territorialprinzips“, welches die Rechtssetzungsbefugnis des deutschen Gesetzgebers auf das Inland beschränke, auf im Ausland ansässige Arzneimittelhersteller, deutsche Exporteure aber auch Importeure nach Deutschland keine Anwendung finden. Diese seien daher berechtigt, ihre Abgabepreise frei zu bestimmen. Sie unterlägen nur dann der Rabattpflicht, wenn sie der Rahmenvereinbarung nach § 129 II SGB V beigetreten sind. Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen: sobald ein Arzneimittel in das Inland importiert worden ist, besteht kein Grund, die Anwendbarkeit der AMPreisV abzulehnen. Denn es liegt ein inländischer Sachverhalt - Abgabe eines Arzneimittels im Inland an hiesige Verbraucher - und kein „Export deutscher Staatshoheitsakte für ausländische Apotheken“ vor. 141 Über die gesetzliche Abschlagspflicht hinaus können die Krankenkassen oder ihre Verbände mit den pharmazeutischen Unternehmen Direktverträge abschließen, in denen sie zusätzliche Rabatte vereinbaren, § 130a VIII SGB V. Diese werden unmittelbar von den Arzneimittelherstellern an die Krankenkassen gezahlt. Die Krankenkassen haben ihre Absicht zum Abschluss solcher Vereinbarungen im Wege der Ausschreibung publik zu machen, § 69 SGB V i. V. m. §§ 97 ff. GWB. 142 Bei Streitigkeiten ist der Weg zu den Zivilgerichten eröffnet. Darüber hinaus ist den Krankenkassen und ihren Verbänden abweichend von bestehenden Vereinbarungen die Befugnis zum Abschluss weiterer Verträge mit pharmazeutischen Unternehmen eingeräumt, § 130c I SGB V. Dies setzt jedoch voraus, dass sich SpiBuKK und pharmazeutische Unternehmen auf einen bundeseinheitlichen Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V 143 geeinigt haben. Besteht eine solche Vereinbarung nicht, können die Krankenkassen lediglich Direktverträge nach Maßgabe von § 130a SGB V abschließen, 144 die aber beispielsweise geringere Beteiligungsmöglichkeiten für Ärzte vorsehen. 140 BSGE 101, 161. 141 Mand, PharmR 2008, 582 (586), so auch OLG Frankfurt, A&R 2008, 137. 142 BSG, NJW 2008, 3238; BGH, NJW 2008, 3222, kritisch Hölzl/ Eichler, NVwZ 2009, 27; allgemein zu den Anforderungen an die Ausschreibung von Rabattverträgen Kamann/ Gey, PharmR 2009, 114 (118 ff.). 143 Dazu auf S. 283. 144 Wolf/ Jäkel, PharmR 2011, 1 (3); Luthe, PharmR 2011, 193 (196); Kaufmann, PharmR 2011, 223 (226); a. A. (überschneidender Anwendungsbereich von § 130a SGB V und § 130c SGB V) Ebsen, GuP 2011, 41 (44). <?page no="285"?> E. Entgelte für Arzneimittel 285 III. Bestimmung von Festbeträgen Nach § 35 I SGB V bildet der GBA Arzneimittelgruppen, für die Festbeträge bestimmt werden können. Ziel der Regelung ist es, Preisspannen zwischen vergleichbaren Arzneimitteln auszugleichen. Die Krankenkasse schuldet im Rahmen des Sachleistungsprinzips lediglich den Festbetrag. Den darüber hinausgehenden Entgeltbestandteil muss der Versicherte selbst tragen. 1. Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Europarecht Die Verfassungsmäßigkeit dieser Ermächtigung ist vor allem von Seiten der pharmazeutischen Industrie angezweifelt worden. Das BVerfG hat diese jedoch bestätigt. 145 Zwar greife die Bestimmung von Festbeträgen in die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 I GG ein, welche die Teilhabe am Wettbewerb, auch im Wege der freien Preisbildung schützt. Die Wettbewerbsteilnehmer haben jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen dauerhaft unverändert bleiben. Es stehe dem Gesetzgeber zu, Unternehmen zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven anzuhalten. Die Festbeträge begründeten lediglich Höchstpreise, oberhalb derer die gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr zur Leistung verpflichtet seien. Die Versicherten fragen die Leistungen der pharmazeutischen Unternehmen weiterhin nach, so dass die Marktchancen der Hersteller sich auf den über den Festbetrag hinausgehenden Anteil des Preises konzentrieren. Eine staatliche Wirtschaftslenkung sei jedenfalls nicht gegeben. Auch in europarechtlicher Hinsicht sind die Festbetragsregelungen unbedenklich. Namentlich liegt kein Verstoß gegen das Verbot des Preisdiktats kraft marktbeherrschender Stellung aus Art. 101, 102 AEUV vor. Wenn die Krankenkassen von der Ermächtigung zur Bestimmung von Festbeträgen Gebrauch machen, agierten sie nicht als Unternehmen. Unter einem Unternehmen sei unabhängig von ihrer Rechtsform oder ihrer Finanzierung eine wirtschaftlich tätige Einheit zu verstehen. Die Krankenkassen handelten in diesem Falle jedoch nicht in Gewinnerzielungsabsicht, sondern im Interesse ihrer Versicherten. Grundlage ihrer Tätigkeit sei der Solidaritätsgedanke: die Festbeträge sollen sicherstellen, dass alle Versicherten unabhängig von der Höhe der von ihnen geleisteten Beiträge gleiche Leistungen erhalten. Von diesem rein sozial motivierten Zweck gehe keine den Wettbewerb verzerrende Wirkung aus. 146 145 BVerfGE 106, 275. 146 EuGH, Slg 2004, I-2493; dazu statt vieler König/ Engelmann, EuZW 2004, 682. <?page no="286"?> 286 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 2. Verfahren der Festbetragsbestimmung Der GBA bildet zunächst Gruppen von Arzneimitteln, für die Festbeträge bestimmt werden können. Danach werden die Arzneimittel eingeordnet in Gruppen Q mit gleichen Wirkstoffen, § 35 I 2 Nr. 1 SGB V, Q mit vergleichbaren Wirkstoffen, § 35 I 2 Nr. 2 SGB V sowie Q mit vergleichbarer therapeutischer Wirkung, § 35 I 2 Nr. 3 SGB V 147 . Nicht einbezogen in die Gruppen nach Nr. 2 und Nr. 3 werden Arzneimittel, die über patentgeschützte Wirkstoffe verfügen und die eine neuartige Wirkung oder therapeutische Verbesserungen mit sich bringen, § 35 I 6 SGB V. Es handelt sich dabei um innovative Arzneimittel, die einen Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Therapie aufweisen. 148 In jede Gruppe sind Produkte konkurrierender Anbieter einzubeziehen, um die Marktchancen nicht durch Herausnahme einzelner Konkurrenten zu beeinträchtigen. Nach Abschluss der Gruppenbildung werden Sachverständige der Hersteller, der Wissenschaft und der Apotheken angehört, § 35 II SGB V. Auf der Basis dieser Stellungnahmen erarbeitet der GBA eine Beschlussvorlage, die an das BMG weitergeleitet wird. Die Festbetragsgruppen sind gültig, wenn das BMG sie nicht binnen zwei Monaten beanstandet. Sodann ist der SpiBuKK zur Bestimmung der Festbeträge für die einzelnen Arzneimittelgruppen berechtigt. Die Höhe ist so zu bemessen, dass unter Ausschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven der Hersteller die ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und qualitativ hinreichende Versorgung gesichert ist, zugleich aber Preiswettbewerb bei hinreichender Arzneimittelauswahl ermöglicht wird, § 35 V SGB V. Der Festbetrag soll sich daher insbesondere an der preisgünstigsten Alternative orientieren. Die Festbeträge werden im Bundesanzeiger bekannt gegeben. Sie sind, soweit erforderlich, jährlich an die veränderte Marktlage anzupassen, § 35 V 3 SGB V. 3. Folge der Festbetragsregelung Der Anspruch der Versicherten auf Arzneimittelversorgung beschränkt sich auf die Höhe des Festbetrags. Verordnet der behandelnde Arzt ein teureres Medikament, muss der Versicherte die Mehrkosten selbst tragen, § 31 II SGB V. Dies gilt auch im Falle der Zuzahlungsbefreiung. Denn der Selbstkostenanteil beinhaltet keine Zuzah- 147 Die Wirkung ist vergleichbar, wenn mehrere Arzneimittel für ein gemeinsames oder mehrere gemeinsame Anwendungsgebiete zugelassen sind, Wille, PharmR 2009, 365 (367 f.). 148 Zum Begriff BSGE 114, 217. <?page no="287"?> 287 lung i. S. v. §§ 61, 62 SGB V, sondern ist Bestandteil des Preises einer auf dem freien Markt erworbenen Ware. Auf diese Weise soll den Versicherten ein Anreiz für die Verwendung preisgünstiger Medikamente gegeben werden. Zugleich soll der Wettbewerb unter den Herstellern befördert werden, denn Wirksamkeit und Kosten der angebotenen Arzneimittel werden transparent. 149 Der Arzt soll gemäß § 73 V SGB V bei der Verordnung die Preisvergleichsliste des GBA (§ 92 SGB V) konsultieren. Er muss den Versicherten auf Mehrkosten hinweisen, die sich aus der Überschreitung des Festbetrags ergeben und gegebenenfalls auf ein Festbetragsarzneimittel ausweichen. 4. Festbetragsfreiheit innovativer Arzneimittel Patentgeschützte Präparate, die über eine neuartige Wirksamkeit verfügen, sind von der Festbetragsbildung nach § 35 I 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB V ausgenommen, § 35 I 6. Damit soll ein Anreiz für die pharmazeutische Industrie gesetzt werden, neuartige Arzneimittel zu produzieren, da sie für diese höhere Preise erzielen können. Ohne die Ausnahmeregelung könnte zudem der Patentschutz unterlaufen werden, wären die Innovationen doch möglicherweise zusammen mit Generika in eine Arzneimittelgruppe aufzunehmen. Voraussetzung ist jedoch eine echte Innovation mit therapeutischem Mehrwert, beispielsweise weil das Medikament geringere Nebenwirkungen aufweist oder die Erweiterung der Indikation für die Anwendung des Medikaments. 150 Eine entsprechende Bewertung nimmt nach § 35a SGB V der GBA vor. Diese so genannte frühe Nutzenbewertung basiert auf einem Dossier, welches der Hersteller gemäß § 35a I 3 SGB V spätestens mit dem erstmaligen Inverkehrbringen des Arzneimittels an den GBA zu übermitteln hat. Darin muss er darlegen, worin der therapeutische Zusatznutzen im Vergleich zur hergebrachten Therapie liegt. Nach § 5 AM- NutzenV 151 ist der Zusatznutzen allein vom Unternehmer nachzuweisen; den GBA trifft keine Amtsermittlungspflicht. Der Zusatznutzen ist nachgewiesen, wenn das neu entwickelte Arzneimittel im Vergleich zur hergebrachten Therapie eine für den Patienten relevante Verbesserung des Gesundheitszustands zur Folge hat, die Genesung beschleunigt, die Überlebensdauer verlängert, Nebenwirkungen mindert oder die Lebensqualität verbessert, § 2 III, IV AMNutzenV. Dabei wird einerseits zwischen der erwarteten Wirkung des Arzneimittels und seinen Risiken abzuwägen, anderer- 149 Axer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 35, Rn. 1; Francke, MedR 2006, 683 (684); Ebsen, GuP 2011, 41 (42). 150 Heinemann/ Lang, MedR 2011, 150 (150). 151 Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V vom 28.12.2010, BGBl. I S. 2324. <?page no="288"?> 288 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln seits seine allgemeine therapeutische Bedeutung zu berücksichtigen sein. 152 Die bloße Verbesserung der compliance, also der Mitwirkung des Patienten bei der Anwendung des Medikaments ist nur dann von Relevanz, wenn daraus tatsächlich therapeutische Vorteile resultieren. 153 Bringt der pharmazeutische Unternehmer die notwendigen Unterlagen nicht bei, gilt der Zusatznutzen als nicht belegt. Bei orphan drugs, die zwingend im europäischen Verfahren vor dem EMA zuzulassen sind, gilt der Zusatznutzen mit Erteilung der Zulassung als erwiesen, § 35a I 11 SGB V. Der GBA oder, auf seinen Auftrag, das IQWIG überprüft das Dossier binnen drei Monaten; sodann hat der GBA binnen weiterer drei Monate einen Beschluss über den Zusatznutzen zu fassen. 154 Lehnt der GBA den Zusatznutzen ab, kann das Arzneimittel in die Festbetragsgruppe der pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimittel nach § 35 I 2 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB V eingruppiert werden, § 35a IV SGB V. Gegen diese Eingruppierung ist eine gesonderte Klage gemäß § 35a VIII SGB V nicht möglich. 155 Die Festbetragsfreiheit von Arzneimitteln mit erwiesenem Zusatznutzen führt jedoch nicht dazu, dass die Krankenkassen deren Kosten ohne jedwede Einschränkung zu tragen haben. Vielmehr bestimmt § 130b SGB V, dass der SpiBuKK und die pharmazeutischen Unternehmen einen einheitlichen Erstattungsbetrag vereinbaren. Es handelt sich dabei um einen Normenvertrag, der für alle Krankenkassen verbindlich ist. Basis der Verhandlung bildet der vom Hersteller festgelegte Abgabepreis nach § 78 III AMG. Kommt eine Einigung über den Erstattungsbetrag nicht binnen sechs Monaten zustande, ist dieser durch eine vom SpiBuKK und den Spitzenverbänden der pharmazeutischen Unternehmen besetzten Schiedsstelle zu bestimmen, § 130b IV SGB V. Damit ist trotz der Festbetragsfreiheit die Preisbildung für innovative Arzneimittel der Regulierung, wenngleich unter Beteiligung der Unternehmer und der Kostenträger, zugänglich. 156 Abweichend von § 130b SGB V können die Krankenkassen und ihre Verbände Direktverträge mit den pharmazeutischen Unternehmen über die Erstattung von Arzneimitteln und die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln abschließen, 152 Francke/ Hart, MedR 2008, 2 (5); Wolf/ Jäkel, PharmR 2011, 1 (1 f.); Heinemann/ Lang, MedR 2011, 150 (150); Hess, GesR 2011, 65 (67); zu den methodischen Anforderungen an Vergleichsstudien Windeler, GesR 2011, 92. 153 Windeler, GesR 2011, 92 (92). 154 Ebsen, GuP 2011, 41 (42); Piltz in jurisPK-SGB V, § 34, Rn. 30; Hess in KassKomm, § 35a SGB V, Rn. 27 ff. 155 Dazu Hess in KassKomm, § 35a SGB V, Rn. 68; kritisch Heinemann/ Lang, MedR 2011, 150 (152). 156 Ebsen, GuP 2011, 41 (43); Huster, GesR 2011, 76 (82); kritisch unter Bezugnahme auf die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmen Luthe, PharmR 2011, 193 (193 f.); ebenso Kaufmann, PharmR 2011, 223 (223): „Zwangsverträge ohne Exit-Option“. <?page no="289"?> E. Entgelte für Arzneimittel 289 § 130c SGB V. Zulässig sind beispielsweise die mengenbezogene Staffelung von Preisnachlässen, die Vereinbarung eines jährlichen Umsatzvolumens oder die Festlegung der Erstattungssätze in Abhängigkeit von messbaren Therapieerfolgen. Die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V sind bei den Verhandlungen zu berücksichtigen. Eine Neuerung geht mit dieser Norm nicht zuletzt deshalb einher, weil Ärzten, der KV oder den Verbänden von Ärzten die Möglichkeit eingeräumt ist, mit den Krankenkassen bzw. deren Verbänden Vereinbarungen über die bevorzugte Verordnung der Medikamente zu treffen, die Gegenstand der Direktverträge nach § 130c SGB V sind, § 130c III SGB V. Die Absatzchancen der pharmazeutischen Unternehmen erhöhen sich dadurch erheblich, so dass diese einen Anreiz haben, mit den Krankenkassen eine Übereinkunft zu erzielen. Kontrollfragen 1. Grenzen Sie Arznei- und Nahrungsmittel sowie Kosmetika voneinander ab. Wofür ist die Unterscheidung von Bedeutung? 2. Wodurch unterscheidet sich die Herstellungserlaubnis von der Zulassung eines Medikaments? 3. Der weltweit agierende Arzneimittelkonzern A will ein neues Medikament zur Behandlung von AIDS in Verkehr bringen. In welchem Verfahren kann er eine Zulassung erlangen? Welche Nachweise muss er erbringen? 4. Schildern Sie die Rolle der Ethikkommissionen im Rahmen des Zulassungsverfahrens. 5. Der Arzneimittelkonzern A möchte eine Kopie des äußerst gewinnträchtigen Kopfschmerzmittels „Schmerzfrei“ auf den Markt bringen. Ist ein erneutes Zulassungsverfahren erforderlich? Muss A die Erlaubnis des Herstellers des Originalpräparats einholen? 6. Der Pharmakonzern P hat die Zulassung für das Medikament „Fettweg“ erlangt, welches zur Senkung der Blutfettwerte eingesetzt werden kann. Einige Zeit, nachdem das Medikament auf den Markt gebracht wurde, sind erste Todesfälle zu verzeichnen. Erste Untersuchungen ergeben den Verdacht, dass der Wirkstoff des Arzneimittels in Kombination mit anderen Medikamenten zu Nierenversagen und letztlich zum Tod des Patienten führen kann. Welche Maßnahmen werden die zuständigen Behörden veranlassen? 7. Apotheker A gibt des Öfteren gegen Bezahlung morphiumhaltige Präparate an Heroinabhängige ab. Kann ihm die Approbation entzogen werden? <?page no="290"?> 290 7. Kapitel: Versorgung mit Arzneimitteln 8. Welche Bedeutung hat das Fremdbesitzverbot im Apothekenrecht? Erläutern Sie insbesondere die europarechtlichen Bezüge. 9. Die niederländische Kapitalgesellschaft „Apotheke N. V.“ betreibt in den Niederlanden ein gut gehendes Netz von Apotheken. Als sie auf den deutschen Markt expandieren will, verweigert die zuständige Behörde die Erteilung der Apothekenerlaubnis. Womit wird sie dies begründen? Könnte„Apotheke N. V.“ mit Erfolg Rechtsmittel gegen die Verweigerung der Erlaubnis einlegen? 10. Apotheker A möchte Arzneimittel im Wege des Versandes an seine Kunden abgeben. Unter welchen Voraussetzungen darf er das? 11. Erläutern Sie die Ansprüche der gesetzlich Versicherten im Rahmen der Arzneimittelversorgung. Welche Arzneimittel sind generell von der Versorgung ausgenommen? 12. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Patient in Deutschland nicht zugelassene Medikamente auf Kosten seiner gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch nehmen? 13. A betreibt eine Apotheke. Was muss er tun, um Medikamente an gesetzlich versicherte Patienten abgeben zu können? 14. Erläutern Sie die „aut idem“-Regel. Welche Zielsetzung wird damit verfolgt? 15. Nach welchen Grundsätzen werden die Preise für Arzneimittel gebildet? 16. Der pharmazeutische Unternehmer P ist empört über die im SGB- V vorgesehenen Rabattpflichten. Kann er mit Erfolg dagegen vorgehen? 17. Schildern Sie die verfassungs- und europarechtlichen Bedenken, die gegen die Festbetragsregelungen vorgebracht worden sind. 18. Patient P ist gesetzlich krankenversichert. Sein Arzt verschreibt ihm ein Medikament, für das ein Festbetrag bestimmt ist. Welche Folgen hat dies für P? Kann er unter Berufung auf sein geringes Einkommen von der Zahlung des über den Festbetrag hinausgehenden Entgelts befreit werden? 19. Das pharmazeutische Unternehmen P entwickelt innovative Medikamente, welche die bisherigen Standardtherapien entscheidend verbessern. Muss P befürchten, dass die von ihm hergestellten Arzneimittel auf Festbetragsbasis an gesetzlich versicherte Patienten abgegeben werden? <?page no="291"?> 291 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht Orientierungsfragen Q Wodurch unterscheiden sich Heil- und Hilfsmittel? Q Welche Leistungserbringer sind an der Heil- und Hilfsmittelversorgung beteiligt? Q Wie verhalten sich die berufsrechtlichen Regelungen zu den Anforderungen des Krankenversicherungsrechts? Q Auf welche Heil- und Hilfsmittel haben gesetzlich versicherte Patienten einen Anspruch? Q Welche rechtlichen Beziehungen bestehen zwischen gesetzlich versicherten Patienten und den Heilmittelerbringern? Q Wer überprüft die Qualität und Wirtschaftlichkeit der einzelnen Hilfsmittel? Q Haben die Hersteller einen Anspruch darauf, dass die Kosten ihrer Hilfsmittel von den Krankenkassen getragen werden? Q Welche Besonderheiten bestehen bei der Hilfsmittelversorgung in Pflegeeinrichtungen? Bestehen Überschneidungen zwischen SGB- V und SGB-XI? Wer krank ist, ist nicht allein auf die Behandlung durch Ärzte oder Krankenhäuser sowie die Einnahme von Medikamenten angewiesen. Im Einzelfall können weitere Dienstleistungen nichtärztlicher Anbieter, aber auch Gegenstände vonnöten sein, um den Heilerfolg herbeizuführen oder zu sichern. Diese waren zunächst unter dem Begriff des Heilmittels mit den Unterkategorien sächliche Heilmittel und Dienstleistungen gefasst worden. 1 Nunmehr werden Dienstleistungen als Heil-, Sachleistungen dagegen als Hilfsmittel bezeichnet. 2 1 BSGE 28, 158; 42, 16; 48, 258. 2 BSG, NZS 2001, 532. <?page no="292"?> 292 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht A. Versorgung mit Heilmitteln Heilmittel sind ärztlich verordnete Dienstleistungen, die einem Heilzweck dienen oder einen Heilerfolg sichern und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfen. 3 In § 124 SGB V werden beispielhaft die Physiotherapie, die Sprachtherapie und die Ergotherapie genannt. Der Physiotherapie sind Behandlungen zuzuordnen, die auf physikalischen Methoden beruhen, z. B. durch Anwendung von Wärme, Strom, Infrarot oder Wasser, aber auch Massagen. Die Sprachtherapie beinhaltet Leistungen zur Verbesserung und zum Erhalt der sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten. Unter dem Begriff der Ergotherapie sind solche Maßnahmen zusammengefasst, die motorische, sensorische, neuropsychologische, neurophysiologische oder psychosoziale Störungen (spastische Lähmungen, Anfallsleiden etc.) ausgleichen oder beseitigen sollen. I. Berufsrecht Es existiert kein einheitliches Berufsrecht der in der Heilmittelversorgung tätigen Leistungserbringer. Es fehlt bereits an einer einheitlichen Bezeichnung der von ihnen abgedeckten Tätigkeitsfelder: die Begriffe medizinische Assistenzberufe, Heilhilfsberufe, Heilergänzungsberufe, nicht-ärztliche Heilberufe, Medizinalfachberufe und soziale Pflegeberufe bezeichnen gleichermaßen Personen, die an der ärztlichen Behandlung mitwirken bzw. diese ergänzen. 4 Für die einzelnen Leistungserbringer gelten spezifische Gesetze, in denen die Berufsbezeichnungen sowie Ausbildungsanforderungen- und Berufsausübungsregeln statuiert sind. 5 Beispiele Neben den Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten zählen Diätassistenten, Krankengymnasten, Masseure und medizinische Bademeister zu den Heilmittelerbringern. 3 Zum Bedeutungswandel des Begriffs ausführlich Butzer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 32, Rn. 4 ff. 4 Kiesecker in HK-AKM, Beiträge Medizinische Assistenzberufe, Rn. 1; Igl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 12, Rn. 1 f. 5 Beispielsweise das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG); Gesetz über den Beruf des Logopäden (LogopG); Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten (ErgThG); Gesetz über den Beruf der Diätassistentin und des Diätassistenten (DiätAssG). <?page no="293"?> A. Versorgung mit Heilmitteln 293 Ähnlich dem Berufsrecht der Ärzte oder Apotheker sehen diese Gesetze vor, dass die Leistungserbringer eine Ausbildung ableisten und eine staatliche Prüfung bestehen müssen. Sie dürfen nicht unzuverlässig oder wegen körperlicher oder geistiger Defizite oder Suchterkrankungen für die Ausübung des Berufs ungeeignet sein. Die Leistungserbringer im Heilmittelwesen üben einen freien Beruf aus. 6 II. Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung Die Versorgung mit Heilmitteln ist gemäß § 27 I 2 Nr. 3 SGB V Bestandteil der Krankenbehandlung und unterliegt damit auch dem Sachleistungsprinzip. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten jedoch nur, wenn ein Vertragsarzt die Anwendung des Heilmittels verordnet, d. h. seine medizinische Notwendigkeit bestätigt hat, § 73 II Nr. 7 SGB V. Der Versicherte muss also an einer Krankheit leiden, die der ärztlichen Behandlung bedarf. Das verordnete Heilmittel muss geeignet sein, um die Krankheit zu heilen oder zu lindern und muss in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen. 7 Mit dem HHVG hat der Gesetzgeber die Verantwortung der Leistungserbringer gestärkt. Nach § 64d SGB V kann in Modellvorhaben vorgesehen werden, dass die Heilmittelerbringer aufgrund der ärztlichen Verordnung selbst bestimmen, welche konkrete Therapie gewährt wird, wie lange diese dauert und in welcher Frequenz sie durchgeführt wird. 1. Umfang des Anspruchs Der Anspruch der Versicherten wird in §§ 32 I, 34 SGB V weiter konkretisiert. Nach § 34 IV SGB V können Heilmittel von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder mit geringem Abgabepreis durch eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums von der Versorgung ausgeschlossen werden. Von der Ermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden. Zudem ist der GBA zum Erlass einer Heilmittelrichtlinie 8 ermächtigt, in welcher der therapeutische Nutzen einzelner Heilmittel bewertet ist, § 92 I 2 Nr. 6 SGB V. Ist dieser nicht nachgewiesen, sind die Krankenkassen ebenfalls nicht leistungspflichtig, § 32 I 2 SGB V. In der Richtlinie wird nach Maßnahmen unterschieden, für die per 6 Nolte in KassKomm, SGB V, § 124, Rn. 3. 7 BSGE 73, 271. 8 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Rahmenrichtlinie) vom 19.5.2011, BAnz. Nr. 96 vom 30.6.2011. <?page no="294"?> 294 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht se kein therapeutischer Nutzen nachweisbar ist, sowie nach Indikationen, bei denen bestimmte Maßnahmen keinen Nutzen erzielen können. Andere Maßnahmen werden der gesundheitsbewussten Lebensführung zugeschrieben, die jedem Einzelnen obliegt und die daher nicht vom Leistungsanspruch der Versicherten umfasst sind. Beispiele Nicht verordnungsfähige Maßnahmen sind danach die Hippotherapie (therapeutisches Reiten 9 ), Musik- und Tanztherapie oder Fußreflexzonenmassage. Trotz anerkannten medizinischen Nutzens können zu Lasten der Krankenkassen keine Maßnahmen verordnet werden, die der Stimmtherapie im Stimmbruch oder der Behandlung von Lese-Rechtschreibschwächen dienen. Ebenfalls nicht verordnungsfähig, da dem Bereich der persönlichen Lebensführung zuzuordnen, sind Schwimmen und Baden, Saunabäder, Bodybuilding oder Fitnesstraining. Auch neue Heilmittel sind erst nach Anerkennung ihres therapeutischen Nutzens durch den GBA verordnungsfähig. Welches Heilmittel als „neu“ gilt, ist in Abgrenzung zu den hergebrachten Methoden und Maßnahmen zu bestimmen. Einen Anhaltspunkt bietet die Aufnahme in die Heilmittelrichtlinie des GBA. Die bloße Weiterentwicklung eines etablierten Heilmittels genügt jedenfalls nicht. Es kann aber als neu gelten, wenn sich seine bislang maßgebliche Indikation wesentlich ändert. 10 9 Dazu bereits BSG, SozR 3-2500, § 138, Nr. 2. 10 Butzer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 138, Rn. 1. <?page no="295"?> A. Versorgung mit Heilmitteln 295 2. Zulassung zur Leistungserbringung Die Abgabe von Heilmitteln darf gemäß § 124 I SGB V nur durch zugelassene Leistungserbringer erfolgen. Die Zulassung bezieht sich also nicht auf das Heilmittel als solches, sondern auf die Person, die dieses beim Patienten zur Anwendung bringen möchte. a. Zulassungsvoraussetzungen Die Zulassung ist nach § 124 I SGB V an Personen zu erteilen, Q die erfolgreich die nach dem jeweiligen Berufsrecht vorgesehene Ausbildung absolviert haben und über eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung verfügen (Nr. 1), Q deren Praxisausstattung eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung ermöglicht (Nr. 2) und Q die die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen - dies sind die nach § 125 SGB V abzuschließenden Rahmenvereinbarungen zwischen dem SpiBuKK und den Verbänden der Leistungserbringer - anerkennen (Nr. 3). Dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Person nicht Mitglied eines vertragsschließenden Berufsverbands ist. 11 Die Aufzählung ist abschließend. Insbesondere findet keine Bedarfsprüfung statt. 12 Die berufsrechtlichen Voraussetzungen nach Nr. 1 werden durch die für die Heilberufe zuständigen Verwaltungsbehörden der Bundesländer überprüft. Deren Entscheidung ist für die Krankenkassen bindend. 13 Haben die Kassen konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit und Eignung des Leistungserbringers begründen, steht ihnen allenfalls das Recht zu, die zuständige Behörde um Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der berufsrechtlichen Anforderungen zu ersuchen. 14 Allein die Erfüllung der in § 124 I SGB V niedergelegten Voraussetzungen begründet keinen Rechtsanspruch auf Zulassung. Der Antragsteller muss darüber hinaus die „besonderen Anforderungen an Qualität und Zuverlässigkeit der Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung“ erfüllen. Dieses Erfordernis geht über die berufsrechtlichen Aspekte von Zuverlässigkeit und Geeignetheit hinaus, die vor allem die Gefahrenabwehr bezwecken. Ziel des Krankenversicherungsrechts ist demgegenüber die zweckmäßige, ausreichende und wirtschaft- 11 Nolte in KassKomm, SGB V, § 124, Rn. 3; Butzer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 124, Rn. 19. 12 Butzer in Becker/ Kingreen, SGB V, § 124, Rn. 7; Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 124 SGB V, Rn. 10. 13 St. Rspr. BSGE 77, 108; 77, 130; 78, 125; BSG, NJW 1996, 3228; BSG, NZS 2002, 535. 14 BSGE 77, 130. <?page no="296"?> 296 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht liche Versorgung der Versicherten. Diese obliegt den Krankenkassen. Ihnen ist daher notwendig ein eigenes Prüfungsrecht einzuräumen, ob die Leistungserbringer, deren sie sich im Rahmen des Sachleistungsprinzips bedienen, geeignet sind, das Maß der notwendigen und wirtschaftlichen Versorgung einzuhalten. 15 Beispiel Einem wegen Trunkenheit im Straßenverkehr, Betrug, Diebstahl und Urkundenfälschung vorbestraften Krankengymnasten, der wegen seiner Alkoholabhängigkeit unter Betreuung steht, darf die Krankenkasse danach die Zulassung verweigern. Die Zulassung wird durch die jeweiligen Landesverbände der Krankenkassen, also für jede Kassenart gesondert, erteilt. Sie berechtigt ihren Inhaber zur Teilnahme an der Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten, § 124 V SGB V. Werden die Zulassungsvoraussetzungen nicht weiter erfüllt oder notwendige Fortbildungen nicht nachgewiesen, kann sie widerrufen werden, § 124 VI SGB V. Den Krankenkassen ist trotz des darauf hindeutenden Wortlauts der Norm („kann“) kein Ermessen eingeräumt. 16 Bei der Zulassung, deren Verweigerung sowie deren Widerruf handelt es sich um Verwaltungsakte, gegen die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten offen steht. Zugelassene Leistungserbringer können nach § 124 II 2 SGB V in einem weiteren Heilmittelbereich zugelassen werden, wenn sie über eine hinreichende Praxisausstattung verfügen und den Rahmenvereinbarungen nach § 125 SGB V beitreten. Zudem müssen sie eine oder mehrere Personen beschäftigen, die die berufsrechtlichen Anforderungen erfüllen. b. Versorgungsverträge § 125 I SGB V verpflichtet den SpiBuKK und die zur Wahrnehmung der Interessen der Leistungserbringer maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene zum Abschluss von Verträgen über die Einzelheiten der Versorgung mit einzelnen Heilmitteln. In diesen sollen unter Berücksichtigung der GBA-Richtlinien Regelungen getroffen werden, die eine einheitliche Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln ermöglichen. Die Richtlinien des GBA sind in Bezug auf die Vorgaben zu den zulässigen Verordnungsmengen und zur Anwendungsfrequenz bindend, da 15 BSG, NZS 2002, 535, zustimmend Gitter, SGb 2003, 46. 16 BSGE 77, 108 unter Verweisung auf BSGE 56, 295: „Das ‚Kann‘ steht vielmehr für ein bloßes rechtliches ‚Dürfen‘…“. <?page no="297"?> A. Versorgung mit Heilmitteln 297 sie das Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisieren. Von ihnen darf also nicht abgewichen werden. 17 Insbesondere soll eine Einigung erzielt werden über Q die Inhalte der Leistungen einschließlich der Regelleistungszeit, Q die Preise der Leistungen sowie einheitliche Regelungen für deren Abrechnung, Q den Umgang mit elektronischen Rezepten, Q die Anforderungen an die Fort- und Weiterbildung der Leistungserbringer sowie an die Qualitätssicherung, Q die Zusammenarbeit der Leistungserbringer mit dem verordnenden Vertragsarzt, Q die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung, Q die personellen, räumlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung, Q ggf. die telemedizinische Erbringung von Leistungen. Beispiel Nach Anlage 1a der Leistungsbeschreibung zum Vertrag nach § 125 Absatz 1 SGB V 18 umfasst die klassische Massagetherapie die manuelle, mechanische Anwendung der Massagegrundgriffe Streichungen, Knetungen, Friktionen, Klopfungen (Erschütterungen) und Vibrationen sowie deren Kombination und Variationen. Sie dient dem Ziel, den Muskeltonus zu regulieren, Schmerzen zu lindern und die Durchblutung zu verbessern. Angezeigt ist eine Behandlung einzelner oder mehrerer Körperteile entsprechend dem individuell erstellten Behandlungsplan. Für die Einzelbehandlung sind 15 bis 20 Minuten zu veranschlagen. Für Streitigkeiten über den Inhalt der Verträge ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet, § 51 I Nr. 2 SGG. Die Leistungserbringer haben keinen Rechtsanspruch auf Einbeziehung in die Verträge. Sie stehen mithin untereinander im Wettbewerb um die günstigsten Vertragsbedingungen, unter denen die Kassen nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Gebots zur flächendeckenden und notwendigen Versorgung der Versicherten auswählen können. 17 BSG, SozR 4-2500 § 125 Nr. 3; so auch SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 für die häusliche Krankenpflege. 18 Abrufbar unter https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ krankenversicherung/ ambulante_leistungen/ heilmittel/ 125_physio/ 125_physiotherapie.jsp. <?page no="298"?> 298 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht 3. Rechtsbeziehungen bei der Leistungserbringung Die Leistungserbringung in der Heilmittelversorgung basiert nach Auffassung des BSG auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB analog. Dieser wird zwischen den Krankenkassen - vertreten durch den die Heilmittelbehandlung verordnenden Vertragsarzt - und dem Leistungserbringer abgeschlossen. Kraft seiner Mitgliedschaft in der Krankenkasse ist der Versicherte unmittelbar leistungsberechtigt. 19 Nach anderer Ansicht agiert der Versicherte als Vertreter der Krankenkasse und schließt in deren Namen mit dem Leistungserbringer einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag ab. 20 Diese Auffassungen vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Es ist nicht ersichtlich, warum sich die Rechtsbeziehungen im Heilmittelrecht so manifest von denen in der vertragsärztlichen Versorgung oder der Krankenhausbehandlung unterscheiden sollen. Ein Rechtsgrund für die Vertretungsmacht des Versicherten gegenüber der Krankenkasse ist nicht ersichtlich - weder aus Gesetz, noch aus rechtsgeschäftlich erteilter oder aus Rechtsscheingrundsätzen abgeleiteter Vollmacht. Auch die Konstruktion eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zugunsten Dritter ist nicht notwendig. Zwar ist der Leistungsanspruch des Versicherten durch die ärztliche Verordnung, die sich wiederum im Rahmen der Heilmittelrichtlinie des GBA und der Rahmenempfehlungen nach § 125 I SGB V bewegen muss, weitgehend vorgegeben. Die Verträge nach § 125 II SGB V konkretisieren diesen Rahmen weiter. Ähnliche Einschränkungen gelten jedoch auch für die ärztliche Behandlung: auch hier ist der zu vereinbarende Vertragsinhalt durch die GBA-Richtlinien und das Wirtschaftlichkeitsgebot determiniert. Dennoch gehen die h. M. wie auch die Rechtsprechung einhellig von einem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag aus. 21 Dies ist auch im Verhältnis zum Heilmittelerbringer sachgerecht. Der Versicherte wählt selbst aus, welchen konkreten Leistungserbringer er in Anspruch nehmen möchte und vereinbart mit diesem eine bestimmte Leistung. Diese Vereinbarung ist als privatrechtlicher Dienstvertrag nach § 611 BGB zu qualifizieren. 22 Aufgrund 19 BSG, SozR 3-2500 § 19 Nr. 2; SozR 4-2500 § 125 Nr. 4. Seine alte Rechtsprechung, wonach die Rechtsbeziehungen allein dem Zivilrecht zuzuordnen seien, hat das BSG mit der Einführung der öffentlich-rechtlichen Zulassung der Heilmittelerbringer nach § 124 SGB V aufgegeben, zur alten Rechtslage vgl. BSGE 79, 28. 20 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 65, Rn. 9 unter Verweisung auf die alte Rechtsprechung des BSG, die vor der Neufassung des § 69 IV SGB V alle Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern dem Zivilrecht zuordnete, vgl. statt vieler BSGE 79, 28. 21 Vgl. BSGE 51, 108 für die Krankenhausbehandlung. 22 So auch Eichenhofer, Sozialrecht, Rn. 373 ff.; Schmitt in Schulin, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, Band 1, § 30, Rn. 46 ff.; Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte im Sozialrecht, S. 216. <?page no="299"?> A. Versorgung mit Heilmitteln 299 des Sachleistungsprinzips und seiner Mitgliedschaft in der GKV ist der Versicherte jedoch von der Verpflichtung zur Entrichtung einer Vergütung befreit. Als Bestandteil der Krankenbehandlung schulden die Krankenkassen die Versorgung mit Heilmitteln als Sachleistung. Sie sind für die Versicherten daher kostenfrei. Die Vereinbarungen zwischen Kassen und Leistungserbringern bzw. deren Repräsentanten befreien den Versicherten als antizipierte Schuldübernahme 23 von der Vergütungspflicht. Die privatrechtliche Beziehung zwischen Versichertem und Leistungserbringer ist also in ein öffentlich-rechtliches System eingebettet. 24 Versicherte nach Vollendung des 18. Lebensjahrs sind gemäß §§ 32 II 1, 61 S. 3 SGB V zur Leistung einer Zuzahlung in Höhe von 10 % der anfallenden Kosten zuzüglich 10,00 € pro Verordnung verpflichtet. Die Zuzahlung ist direkt an den Leistungserbringer zu zahlen. Sie steht jedoch der Krankenkasse zu, wird also bei der Leistung der Vergütung mit dieser verrechnet. Die Höhe der Vergütung folgt aus den Vereinbarungen nach § 125 II 1 SGB V. Dabei handelt es sich um Höchstpreise, für deren Ausgestaltung § 125 III SGB V wiederum eine Untergrenze vorgibt. Diese soll sich mindestens auf den Betrag belaufen, der sich aus der Summe des niedrigsten Preises und 2/ 3 der Differenz zwischen höchstem und niedrigstem Preis ergibt. Die gesetzliche Verankerung der Höchstpreise ist zulässig, handelt es sich dabei doch nicht um unmittelbar kraft Gesetzes geltende Vergütungssätze. Sie erfordern vielmehr Verhandlungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern bzw. deren Repräsentanten und ermöglichen somit die Berücksichtigung aller involvierten Interessen. 25 Mit seiner Zulassung erkennt der Leistungserbringer diese Preise als verbindlich an. 26 Weder ihm noch den Krankenkassen steht während der Laufzeit der Vereinbarungen das Recht auf eine Änderung der Vergütungsabrede zu. Auch nach deren Ende - beispielsweise durch Kündigung des Leistungserbringers - kann eine Anpassung nur verlangt werden, wenn Leistung und Gegenleistung in krassem Missverhältnis zueinander stehen. 27 Der Leistungserbringer muss gemäß § 125 II 2 SGB V Abschläge von der Vergütung hinnehmen, wenn er die vertraglich vereinbarten Fortbildungspflichten nicht erfüllt. 23 So auch Schmitt in Schulin, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, Band 1, § 30, Rn. 46 ff.; Kleinmann, NJW 1985, 1367 zur Rechtslage nach der RVO. 24 Kleinmann, NJW 1985, 1367 (1369 f.). 25 BVerfGE 68, 193 für zahntechnische Leistungen. 26 BSG SozR 3 - 2500 § 124 Nr. 3. 27 BSGE 66, 163. <?page no="300"?> 300 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht B. Versorgung mit Hilfsmitteln Bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen können nur durch Sachen ausgeglichen werden. Diese gegenständlichen Leistungen werden als Hilfsmittel bezeichnet. Anders als Arzneimittel werden Hilfsmittel äußerlich angewendet. 28 Im Gegensatz zu den Heilmitteln handelt es sich also um ärztlich verordnete Sachen. Ebenso wie jene zielen sie darauf ab, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden zu mildern oder auszugleichen. 29 Ihr unmittelbarer Zweck liegt im Ausgleich von Funktionsdefiziten des Körpers. Hilfsmittel sichern daher Grundbedürfnisse wie das Sehen oder Hören, die Nahrungsaufnahme oder die Fortbewegung und ermöglichen dadurch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. In § 33 I 1 SGB V werden beispielhaft Hörhilfen, Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel genannt. Körperersatzstücke sollen fehlende Körperteile ersetzen. Dazu zählen Prothesen für Arme oder Beine oder Glasaugen. Orthopädische Hilfsmittel werden am Stütz- oder Bewegungsapparat eingesetzt. Sie sollen Körperfunktionen ausgleichen oder unterstützen, beispielsweise Krücken, Mieder oder orthopädische Schuhe. Als Hilfsmittel gilt auch das zum Betrieb des Hilfsmittels erforderliche Zubehör wie Batterien für Hörgeräte. 30 Nach einhelliger Ansicht sind nur bewegliche Sachen als Hilfsmittel zu qualifizieren. Der behindertengerechte Umbau einer Wohnung ist daher nicht der Krankenbehandlung zuzuordnen und somit nicht von den Krankenkassen zu leisten. 31 I. Berufsrecht Hilfsmittel werden von den Gesundheitshandwerkern hergestellt und zumeist über den Fachhandel an die Patienten abgegeben. Zu den Gesundheitshandwerkern zählen neben Augenoptikern, Hörgeräteakustikern und Zahntechnikern auch Bandagisten und orthopädische Schuhmacher. 32 Für sie gelten die Vorgaben der Handwerksordnung (HwO). Darüber hinaus bestehen gesonderte Berufsordnungen für die einzelnen Berufe. 33 28 BSGE 28, 158. 29 BSGE 87, 105; 93, 176; näheres auch bei Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 33, Rn. 4. 30 Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 7 ff. mit weiteren Beispielen. 31 BSG, SozR 2200 § 182b RVO Nr. 23; SozR 3-2500 § 33 Nr. 30 (Treppenlift). 32 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 39, Rn. 1. 33 Verordnung über die Berufsausbildung zum Augenoptiker (AugOptAusbV); Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und im fachtheoretischen Teil der <?page no="301"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 301 II. Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung Gemäß § 33 I 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um Q den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, Q einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder Q eine Behinderung auszugleichen. Es ist nicht notwendig, dass der die Behinderung begründende regelwidrige Gesundheitszustand durch das Hilfsmittel beseitigt wird. 34 Die Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V ist Bestandteil der Krankenbehandlung und wird daher ebenso wie diese als Sachleistung erbracht. Daneben haben die Versicherten einen Anspruch auf notwendige Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Vorsorge, § 23 I SGB V. Zu präventiven Zwecken ist der Einsatz eines Hilfsmittels notwendig, um Q eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, Q um einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken, Q um Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden oder Q um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Auch zum Zweck der Nachsorge haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln. Zwar folgt dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 111 II, 40 ff. SGB V. Der Anspruch ergibt sich jedoch zumindest mittelbar aus der Definition der Rehabilitationseinrichtungen in § 107 II SGB V. In diesen soll eine stationäre Behandlung „vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln … ferner durch andere geeignete Hilfen“ gewährt werden. Zudem enthält § 33 I SGB V den allgemeinen Rechtsgedanken, dass - soweit erforderlich - zur Sicherung eines Heilerfolgs Hilfsmittel eingesetzt werden können. Dies muss auch für die medizinische Rehabilitation gelten. 35 Meisterprüfung für das Hörgeräteakustiker-Handwerk (HörgAkMstrV); Verordnung über die Berufsausbildung zum Orthopädiemechaniker und Bandagisten (OrthMechAusbV). 34 Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 6. 35 BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 3; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29; BSGE 85, 287. <?page no="302"?> 302 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht 1. Umfang des Anspruchs Ein Anspruch des Versicherten setzt eine ärztliche Verordnung des Hilfsmittels nach § 73 II Nr. 7 SGB V voraus. Jedoch genügt diese für sich genommen nicht, um die Leistungspflicht der Krankenkasse auszulösen. Der Einsatz des Hilfsmittels muss auch im Einzelfall erforderlich i. S. v. § 12 I SGB V sein. 36 Das Hilfsmittel muss also geeignet sein, um den verfolgten Zweck zu erreichen. Gleichzeitig muss es wirtschaftlich sein, d. h. seine Kosten müssen in angemessenem Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen. Es darf also kein gleich geeignetes, kostengünstigeres Hilfsmittel zur Verfügung stehen. 37 Höhere Kosten sind daher nur gerechtfertigt, wenn durch das Hilfsmittel ein entscheidender therapeutischer Nutzen erzielt wird. Dieser kann aber nur durch eine wesentliche Verbesserung der Körperfunktionen begründet werden. Als dem Ausgleich durch Hilfsmittel zugängliche Funktionsstörungen gelten nicht nur der Verlust oder die eingeschränkte Funktion der Sinnesorgane oder anderer Körperteile, sondern auch Krankheiten oder Verletzungen mit „entstellender Wirkung“. Daher werden beispielsweise auch die Kosten einer Perücke bei vollständigem Haarverlust einer Frau übernommen. Dies dient der Sicherung der freien und unbefangenen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die für behinderte Menschen in § 1 I SGB IX ausdrücklich als Ziel der Versorgung ausgewiesen ist. 38 Ermöglicht ein Hilfsmittel die selbstbestimmte Lebensführung, kann es also beispielsweise die Körperpflege durch eine Pflegeperson ersetzen, gebietet das in § 1 I SGB IX verankerte Recht auf Selbstbestimmung, behinderten Menschen dieses Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen. 39 Bloße ästhetische Verbesserungen, Komfortsteigerungen oder private Annehmlichkeiten reichen jedoch nicht aus, um eine Leistungspflicht der Krankenkassen auszulösen. 40 Beispiel Ein gehbehinderter Versicherter hat lediglich einen Anspruch auf Versorgung mit einem gewöhnlichen Rollstuhl. Für einen speziell ausgestatteten Sportrollstuhl ist die Krankenkasse nicht leistungspflichtig, da dieser eine Freizeitbeschäftigung ermöglichen soll. Diese dient nach Auffassung des BSG keinem vitalen Grundbedürfnis. 41 36 BSG, SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 25; BSGE 77, 209; 88, 204. 37 BSG, SozR 2200 § 182b RVO Nr. 37, dazu auch Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 18. 38 BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 45. 39 LSG Rheinland-Pfalz, WzS 2011, 357 mit Anm. Heinz, WzS 2011, 358. 40 BSG, NZS 2003, 477. 41 BSG, NZS 2000, 296. Vgl. aber BSG, Urt. v. 18.5.2011 (B 3 KR 7/ 10 R) zum Anspruch auf ein Rollstuhl-Bike, wenn die Fortbewegung (Grundbedürfnis! ) mit einem gewöhnlichen Rollstuhl <?page no="303"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 303 Die Erforderlichkeit können die Krankenkassen gemäß § 275 III Nr. 1 SGB V vor der Bewilligung vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung überprüfen lassen. a. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens Die Leistungspflicht der Krankenkassen ist ausgeschlossen, wenn ein Hilfsmittel zugleich als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu qualifizieren ist, § 33 I 1 a. E. SGB V. Diese Aufwendungen sind vom Versicherten selbst zu tragen. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind Sachen, die üblicherweise von einem großen Personenkreis regelmäßig genutzt werden und unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich sind. Entscheidendes Kriterium ist die Zweckbestimmung des Gegenstands - sowohl aus Sicht des Herstellers als auch aus Sicht der Benutzer. 42 Dient eine Sache verschiedenen Zwecken, ist zu differenzieren: ein Gegenstand mit therapeutischem Nebenzweck ist kein Hilfsmittel. Ist umgekehrt ein allgemeiner Nebenzweck für eine hauptsächlich therapeutische Sache zu bejahen, liegt ein Hilfsmittel vor. Beispiele Anti-allergene Bettwäsche ist ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die therapeutische Wirkung tritt in Bezug auf die alltägliche und weit verbreitete Verwendung von Bettwäsche in den Hintergrund. Demgegenüber sind Gummieinlagen für Bettwäsche bei Inkontinenz als Hilfsmittel zu qualifizieren. Diese zählen zwar ebenfalls zur Bettwäsche. Sie dienen aber hauptsächlich dem Ausgleich der Erkrankung und werden daher nicht allgemein verwendet. 43 Im Übrigen dient die Verbreitung des Gegenstands als Abgrenzungskriterium. Ist eine Sache im Einzelhandel für jedermann zugänglich und wird sie üblicherweise von einem großen Personenkreis verwendet, spricht dies für einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die ehemals zur Bestimmung des „großen Personenkreises“ maßgebliche Grenze von 3 % der Bevölkerung ist jedoch als Maßstab inzwischen aufgegeben worden. 44 unmöglich ist. 42 BSGE 84, 266. Nach BSGE 77, 209 war ab einem Preis von ca. 1.000,00 DM = ca. 500,00 € von einem Hilfsmittel auszugehen, weil dann davon auszugehen sei, dass die Sache in Haushalten mit einem durchschnittlichen Einkommen nur vereinzelt anzutreffen sei. Diese Auffassung gilt jedoch als überholt. 43 BSGE 77, 209. 44 BSGE 84, 266; Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 22d. <?page no="304"?> 304 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht Beispiele Alltagsgegenstände sind elektrische Heizkissen, Computer in gewöhnlicher Ausstattung oder Standardtelefone. 45 Leidet eine Mutter an Gehörlosigkeit, ist dagegen ein Babyfon als Hilfsmittel einzustufen, denn es soll die spezifischen Auswirkungen ihrer Behinderung ausgleichen. 46 Trotz weiter Verbreitung und Nutzung durch einen großen Personenkreis sind Gegenstände, die spezifisch für behinderte Menschen hergestellt werden, nicht als Alltagsgegenstände einzustufen. Beispiele Hilfsmittel sind behindertengerecht ausgestattete Krankenbetten, 47 Brillen und Hörgeräte. 48 Bestimmte Gegenstände sind im täglichen Leben unabdingbar, dienen aber zugleich dem Ausgleich einer Behinderung (Gegenstände mit Doppelfunktion). Dazu zählen beispielsweise orthopädische Schuhe oder behindertengerechte Toiletten. Solche Gegenstände hätte sich der Versicherte auch anschaffen müssen, wenn er nicht an einer Krankheit oder Behinderung leiden würde. Aus diesem Grund wird von ihm eine Eigenbeteiligung verlangt. Die restlichen Kosten werden von der Krankenkasse getragen, wenn der auf die Hilfsmittelfunktion entfallende Anteil den Versicherten übermäßig stark belasten würde, wäre er zur Selbstbeschaffung der Sache verpflichtet. 49 b. Brillen und Kontaktlinsen Die Versorgung mit Brillen und Kontaktlinsen ist in §§ 33 II-IV SGB V ausdrücklich geregelt. Die Leistungspflicht der Krankenkassen ist weitgehend eingeschränkt worden. Minderjährige Versicherte haben ohne weitere Voraussetzungen einen Anspruch auf Sehhilfen, soweit diese zum Ausgleich einer Sehschwäche erforderlich sind. Für Volljährige gilt dies nur, wenn diese an Blindheit oder einer erheblichen Sehschwäche 45 Vgl. Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 23 mit weiteren Beispielen. 46 BSG, SozR 2200 § 182b RVO Nr. 37. 47 BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 13. 48 BSGE 77, 209. 49 BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 16. <?page no="305"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 305 auf beiden Augen leiden oder wenn sie zur Behandlung einer Augenverletzung oder -erkrankung einer therapeutischen Sehhilfe bedürfen, § 33 II SGB V. Der Anspruch umfasst jedoch nur die Brillengläser; für das Gestell muss der Versicherte nach § 33 II 4 SGB V selbst aufkommen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Versicherte wegen der besonderen Art der Behinderung oder aus von seinem Willen unabhängigen Gründen ein besonderes Brillengestell benötigt - beispielsweise eine Sportbrille, um im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht am Sportunterricht teilnehmen zu können. 50 Kontaktlinsen müssen die Krankenkassen nur im medizinischen Ausnahmefall leisten, wenn eine Indikation gegeben ist, für die der GBA den Einsatz von Kontaktlinsen befürwortet hat. Selbst in diesen Fällen ist der Anspruch gegen die Krankenkasse der Höhe nach auf die Kosten einer Brille beschränkt, § 33 III 3 SGB V. Eine neue Sehhilfe kann nach Vollendung des 14. Lebensjahres nur beansprucht werden, wenn sich die Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien geändert hat, § 33 IV SGB V. c. Leistungsausschluss nach § 34 IV SGB V Gemäß § 34 IV SGB V ist das BMG zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, nach der Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen von der Versorgung ausgeschlossen werden können. Aufgrund der daraufhin ergangenen KVHilfsmV 51 haben die Versicherten keinen Anspruch auf die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen, Leibbinden, Augenklappen, Brillenetuis oder Batterien für Hörgeräte volljähriger Versicherter. 52 d. Hilfsmittelrichtlinie des GBA Nach § 33 I 3 SGB V bleibt die Befugnis des GBA zum Erlass von Richtlinien nach § 92 SGB V unberührt. In seiner Hilfsmittelrichtlinie 53 hat der GBA den Anspruch der Versicherten lediglich in Bezug auf die Versorgung mit Brillen, Kontaktlinsen und Hörgeräten präzisiert. 50 BSGE 75, 74. 51 Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 13.12.1989, BGBl. I S. 2237. 52 Für minderjährige Versicherte sind die Instandsetzung von und die Batterien für Hörgeräte gemäß § 34 IV 3 SGB V von den Krankenkassen geschuldet. 53 Richtlinie über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 16.10.2008, BAnz 2009, Nr. 61, S. 462. <?page no="306"?> 306 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht 2. Hilfsmittelverzeichnis Nach § 139 I SGB V ist der SpiBuKK zur Erstellung eines systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnisses verpflichtet. 54 In diesem Verzeichnis sind von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfasste Hilfsmittel aufzuführen. Zum Zweck der Qualitätssicherung ist es fortlaufend zu aktualisieren, § 139 IX SGB V. Zusätzlich dürfen gemäß § 139 II SGB V indikations- oder einsatzbezogene Qualitätsanforderungen festgelegt werden. Diese sollen einen Mindeststandard sichern, denn im Gegensatz zu den Arzneimitteln findet bei Hilfsmitteln kein Zulassungsverfahren statt. 55 Zudem sollen die von den Krankenkassen zu finanzierenden Hilfsmittel der Zielsetzung des Krankenversicherungsrechts genügen und zur ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein. Aus diesem Grund darf der SpiBuKK insbesondere solche Anforderungen aufstellen, die eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder die Wiederverwendung des Hilfsmittels ermöglichen. a. Aufnahme von Hilfsmitteln Die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis erfordert zunächst einen Antrag des Herstellers, § 139 III SGB V. Dieser hat einen Rechtsanspruch 56 auf Aufnahme seines Erzeugnisses in das Verzeichnis, wenn dieses den in § 139 IV SGB V genannten Anforderungen genügt. Dazu muss der Hersteller Q die Funktionstauglichkeit und Sicherheit des Produkts nachweisen, Q die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten besonderen Qualitätsanforderungen erfüllen, Q den medizinischen Nutzen des Hilfsmittels nachweisen und Q eine Gebrauchsinformation beifügen, die eine sichere und ordnungsgemäße Handhabung des Produkts gewährleistet. Der Nachweis der Funktionstauglichkeit bezieht sich auf die technische Eignung des Hilfsmittels, den ihm zugeschriebenen Zweck zu erfüllen. 57 Die notwendigen Sicherheitsstandards werden bei Medizinprodukten durch das CE-Zertifikat 58 bestätigt. Erzeugnisse mit diesem Zertifikat gelten als ungefährlich, können also angewendet 54 Abrufbar unter https: / / www.gkv-spitzenverband.de/ Aktuelles_Hilfsmittelverzeichnis.gkvnet 55 Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 139, Rn. 9. 56 BSGE 87, 105; so auch Joussen, SGb 2007, 489 (495). 57 Zuck, NZS 2003, 417 (418); Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 139, Rn. 7. 58 Die Abkürzung CE bedeutet „conformité europeenne“. Das Zertifikat darf nur geführt werden, wenn die Konformität des Produkts mit den in § 9 MPG statuierten Voraussetzungen - die auf Europarecht verweisen - ausdrücklich bestätigt worden ist, vgl. Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1214 ff. <?page no="307"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 307 werden, ohne dass infolge dessen Schäden oder Beeinträchtigungen zu befürchten sind. 59 Der Nachweis des medizinischen Nutzens erfordert, dass das Produkt tatsächlich geeignet ist, den angestrebten Therapieerfolg zu erzielen. Er geht also über die bloße Wirksamkeit des Mittels hinaus und ist an der konkreten Indikation zu messen. 60 Neben einer Abwägung von Risiko und Nutzen sind an dieser Stelle die - erwünschten wie unerwünschten - Folgen der Anwendung des Hilfsmittels zu bewerten. Es muss sich also insgesamt positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken, also diesen z. B. verkürzen, die Lebensqualität steigern oder Nebenwirkungen abmildern. 61 Nicht notwendig ist demgegenüber, dass das aufzunehmende Hilfsmittel preisgünstiger ist als andere, etablierte Hilfsmittel oder Methoden gleicher Zielsetzung oder dass es diesen qualitativ überlegen ist. 62 Die Gebrauchsinformation soll schließlich sicherstellen, dass das Hilfsmittel nicht nur durch besonders geschultes Personal, sondern vom Versicherten selbst oder einer Betreuungsperson angewendet werden kann. 63 Sie muss daher in deutscher Sprache formuliert und leicht verständlich sein. Ob die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis erfüllt sind, kann der SpiBuKK bei Zweifeln durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (§§ 275 ff. SGB V) überprüfen lassen. Das Hilfsmittelverzeichnis wird im Bundesanzeiger veröffentlicht. b. Verbindlichkeit des Hilfsmittelverzeichnisses Die rechtliche Wirkung des Hilfsmittelverzeichnisses ist umstritten. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass der SpiBuKK mit der Aufnahme eines Hilfsmittels in das Verzeichnis über dessen Verordnungsfähigkeit befindet. Nach § 6 V 2 der Hilfsmittelrichtlinie des GBA dient das Verzeichnis jedoch lediglich als Orientierungs- und Auslegungshilfe und soll einen Vergleich unter verschiedenen, zur Anwendung in Betracht kommenden Hilfsmitteln ermöglichen. Gleichwohl wird vertreten, dass der Vertragsarzt nur die Hilfsmittel verordnen könne, die im Verzeichnis aufgeführt sind. Denn es lege verbindlich fest, welche Hilfsmittel den Anforderungen des Krankenversicherungsrechts genügen, d. h. notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Als Auslegungshilfe könne es nur dienen, soweit Qualitätsstandards in Rede stünden. Hätte es rein informatorischen Cha- 59 BSGE 93, 183; 97, 133; dazu ausführlich Zuck, NZS 2003, 417; Seidel/ Hartmann, NZS 2006, 511. 60 BSGE 93, 183. 61 Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 139, Rn. 10. 62 BSGE 97, 133 mit Anm. Joussen, SGB 2007, 489 (496). 63 Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 139, Rn. 11. <?page no="308"?> rakter, sei überdies weder das umfassende Prüfverfahren noch die Bekanntgabe im Bundesanzeiger notwendig. Das Verzeichnis sei daher als Positivliste einzustufen. 64 Die Rechtsprechung und die überwiegende Auffassung in der Literatur sehen im Hilfsmittelverzeichnis demgegenüber keine Positivliste, sondern lediglich eine unverbindliche Auslegungshilfe. Es handele sich um eine Meinungsäußerung des Spitzenverbandes der Krankenkassen, welche die Ansprüche der Versicherten nicht einschränken könne. Die Vertragsärzte seien daher nicht an der Verordnung von Hilfsmitteln gehindert, die nicht im Verzeichnis aufgeführt sind. Einzige Voraussetzung ist, dass das verordnete Hilfsmittel mit den gelisteten in Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vergleichbar ist. 65 Diese Auffassung verdient Zustimmung. Zum einen beinhaltet die Ermächtigung in § 139 I SGB V keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der SpiBuKK die Ansprüche der Versicherten begrenzen darf. Der Wortlaut der Norm stellt vielmehr klar, dass das Verzeichnis „von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfasste Hilfsmittel“ allgemein erfassen soll. 66 III. Zulassung von Leistungserbringern zur Hilfsmittelversorgung War die Berechtigung zur Abgabe von Hilfsmitteln im Rahmen der GKV bis Ende 2008 noch an eine Zulassung durch Verwaltungsakt der Landesverbände der Krankenkassen gebunden, beruht diese gemäß § 126 SGB V nunmehr ausschließlich auf dem Abschluss von Verträgen. Als Vertragspartner kommen nur Leistungserbringer in Betracht, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, haben die Krankenkassen zu überprüfen, § 126 Ia 1 SGB V. Der SpiBuKK gibt Empfehlungen ab, um eine bundesweit einheitliche Handhabe der Anforderungen zu gewährleisten. Mit Abschluss der Verträge hat der Versicherte nicht mehr die freie Wahl unter allen am Markt tätigen Hilfsmittelherstellern bzw. -händlern. Er ist auf die Vertragspartner seiner Krankenkasse beschränkt, § 33 VI SGB V. 67 Lediglich wenn der Versicherte ein berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme eines Anbieters nachweist, 64 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 136. 65 St. Rspr, vgl. BSGE 77, 209; BSG, SozR 4-2500 § 33 Nr. 12; Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 139, Rn. 3; Seidel/ Hartmann, NZS 2006, 511 (513); kritisch; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 61, Rn. 6 ff. 66 Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 33, Rn. 38. 67 Bühring/ Linnemannstöns, MedR 2008, 149 (151); Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 127 SGB V, Rn. 1. <?page no="309"?> 309 der nicht Vertragspartner seiner Krankenkasse ist, kann er diesen wählen. Er muss jedoch die Mehrkosten selbst tragen. Ein berechtigtes Interesse liegt beispielsweise vor, wenn der Versicherte bereits vor Abschluss des Versorgungsvertrags jahrelang von diesem Leistungserbringer betreut worden ist. 68 1. Vertragsschluss nach Ausschreibung gemäß § 127 I SGB-V Gemäß § 127 I SGB V sollen die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer abschließen. Diese müssen jedoch zweckmäßig sein. Eine Ausschreibungspflicht auf Kassenseite ist ausdrücklich im Gesetz angeordnet. Es ist jedoch umstritten, ob das Vergabeverfahren den förmlichen Anforderungen der §§ 97 ff. GWB genügen muss oder ob ein einfaches „sozialrechtliches Ausschreibungsverfahren“ ausreichend ist. Daran hat auch die Vergaberechtsreform nichts geändert, mit der 2016 die europäischen Vergaberichtlinien in nationales Recht umgesetzt worden sind. 69 Das Verfahren nach dem GWB vermittelt den Bietern einen Anspruch auf Einhaltung der Vergaberegeln. Die Vergabeentscheidung ist gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar. Besteht der Verdacht, dass die Verfahrensregeln nicht eingehalten werden, ist das Verfahren zu unterbrechen. Im sozialrechtlichen Verfahren wird demgegenüber allenfalls einstweiliger Rechtsschutz gewährt, der nicht zu einer Aussetzung des Verfahrens führen kann. Ein Anspruch auf Erteilung des Auftrags besteht nicht. Der übergangene Bewerber kann bei Verletzung der Verfahrensvorschriften allenfalls einen Schadenersatzanspruch gegen die ausschreibende Krankenkasse geltend machen. Insgesamt ist seine Rechtsposition daher schwächer als im förmlichen Vergabeverfahren. 70 Der Wortlaut des § 127 I SGB V legt weder das eine noch das andere Verfahren zwingend nahe. Der Begriff „Ausschreibung“ ist kein auf das förmliche Vergaberecht beschränkter Terminus. Für ein eigenständiges sozialrechtliches Verfahren spricht jedoch § 69 I 2 SGB V. Danach hat das Krankenversicherungsrecht im SGB V eine abschließende Regelung erfahren. Indes verweist § 69 II SGB V ausdrücklich auf die Geltung der §§ 97 ff. GWB. 71 Auch nach europäischem Recht ist bei der Hilfsmittelversorgung die Beachtung vergaberechtlicher Normen vorgegeben. So hat der EuGH 68 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 325. 69 Hansen, NZS 2016, 814 (815 f.). 70 Goodarzi/ Junker, NZS 2007, 632 (633). 71 Dazu ausführlich Wallrabenstein, NZS 2015, 48 ff. <?page no="310"?> 310 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht entschieden, dass die Beschaffungstätigkeit der Krankenkassen insoweit in den Anwendungsbereich der Vergabe-Richtlinie 72 - welche im GWB umgesetzt ist - fällt. 73 Zwar wird teilweise bestritten, dass es sich bei den Krankenkassen um öffentliche Auftraggeber i. S. v. § 98 GWB handele, so dass aus diesem Grunde kein förmliches Verfahren durchzuführen sei. 74 Dies vermag indes nicht zu überzeugen, würde sie die Verweisung in § 69 II SGB V doch als leere Hülse erscheinen lassen. Öffentliche Auftraggeber sind juristische Personen, die Aufgaben wahrnehmen, deren Erfüllung im allgemeinen Interesse liegt. Gemäß § 4 I SGB V handelt es sich bei den Krankenkassen um Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dass die Versorgung von mehr als 90 % der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen im allgemeinen Interesse liegt, kann schlechterdings nicht bezweifelt werden. Die Verträge zur Sicherstellung der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln sind zudem als entgeltlicher öffentlicher Auftrag nach § 99 GWB zu qualifizieren. Ein öffentlicher Auftrag liegt vor, wenn der Auftraggeber die in Rede stehende Leistung selbst nachfragt, sich diese also im Wege der Ausschreibung beschaffen will. Die Krankenkassen fragen die Dienstleistungen der Gesundheitshandwerker und Fachhändler selbst nach, denn ihre Beschaffung ist notwendig, damit sie die aus dem Sachleistungsprinzip resultierenden Pflichten gegenüber den Versicherten erfüllen können. Aus diesem folgt zudem die Pflicht zur Vergütung der angebotenen Leistungen. Letztlich wird regelmäßig auch der in § 100 GWB verankerte Schwellenwert von 211.000,00 € pro Auftrag überschritten werden, denn aufgrund des hohen Anteils gesetzlich Versicherter an der Bevölkerung ist zur Sicherstellung der Versorgung ein entsprechend großes Auftragsvolumen zu veranschlagen. Grundsätzlich wird also vor dem Abschluss der Verträge zur Hilfsmittelversorgung ein förmliches - europaweites! - Ausschreibungsverfahren durchzuführen sein. 75 Nur bei Unterschreitung des Schwellenwertes kommt ein nichtförmliches Verfahren in Betracht. Die Verträge nach § 127 I SGB V können sich auf die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln, die Versorgung einer bestimmten Anzahl von Fällen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum beziehen. Sie müssen so ausgestaltet sein, dass eine qualitativ hochwertige Versorgung der Versicherten gewährleistet ist. Zudem müssen in hinreichendem Umfang Beratungsleistungen angeboten werden 72 Richtlinie 2004/ 18/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 114. 73 EuGH, Slg. 2009, I-4779 (Oymanns). 74 Engelmann, SGb 2008, 133 (145 f.); BayObLG, NVwZ 2004, 117 mit kritischer Anm. Byok/ Jansen, NVwZ 2005, 53. 75 Goodarzi/ Junker, NZS 2007, 632 (633); Byok/ Jansen, NVwZ 2005, 53 (56); Steinmeyer in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 127, Rn. 3; a.A. Lungstras in Becker/ Kingreen, SGB V, § 127, Rn. 11; OLG Düsseldorf, 20.3.2019, VII-Verg 65/ 18. <?page no="311"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 311 und die Versorgung muss möglichst wohnortnah erfolgen. Der Zuschlag ist nach § 127 I b SGB V zwar dem wirtschaftlichsten Angebot zu erteilen. Maßgeblich ist dabei jedoch nicht allein der Preis, sondern auch qualitative Aspekte, vgl. § 127 Ib 3 SGB V. 2. Rahmenverträge nach § 127 II SGB-V Ist die Ausschreibung nicht zweckmäßig oder wird das in § 100 GWB vorgesehene Auftragsvolumen nicht erreicht, sollen die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften Verträge mit Leistungserbringern, deren Landesverbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen schließen. Statt einer Ausschreibung soll in diesem Fall „in geeigneter Weise“ eine öffentliche Bekanntgabe der Absicht zum Vertragsschluss erfolgen. Die Krankenkassen müssen also sicherstellen, dass die geeigneten Leistungserbringer umfassend Kenntnis von der Möglichkeit zum Abschluss eines solchen Rahmenvertrags erlangen. 76 Wann die Ausschreibung nach Abs. 1 zweckmäßig ist, wird gemäß § 127 Ia SGB V vom SpiBuKK festgelegt. Namentlich ist die Ausschreibung bei individuell für einzelne Versicherte angefertigte oder angepasste Hilfsmittel nicht zweckmäßig oder wenn der Dienstleistungsanteil bei der Versorgung mit einem konkreten Hilfsmittel vergleichsweise hoch ist, § 127 I 4 SGB V. In diesem Fall würde eine standardisierte Ausschreibung bezogen auf ein pauschales „Leistungspaket“ dem besonderen Aufwand des Leistungserbringers nicht gerecht. 77 Die Verträge nach § 127 II SGB V sollen Einzelheiten der Versorgung regeln. Insbesondere ist eine Einigung über die Qualität der Hilfsmittel, deren Wiederverwendung sowie zusätzlich zu erbringende Leistungen - hierzu zählen neben der Beratung auch die Anprobe und Anpassung des Hilfsmittels sowie die Betreuung in der Nutzungszeit 78 - zu erzielen. Ferner werden Fortbildungspflichten für die Leistungserbringer, die Preise der Hilfsmittel und die Modalitäten der Abrechnung vereinbart. 76 Bühring/ Linnemannstöns, MedR 2008, 149 (150). 77 Vgl. Bühring/ Linnemannstöns, MedR 2008, 149 (150) mit weiteren Beispielen. 78 Goodarzi/ Junker, NZS 2007, 632 (632). <?page no="312"?> 312 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht 3. Einzelverträge nach § 127 III SGB-V Bestehen keine Verträge nach Abs. 1 oder 2 oder können die Versicherten aufgrund solcher Vereinbarungen nicht hinreichend versorgt werden, sind die Krankenkassen im Einzelfall zum Abschluss von Einzelverträgen verpflichtet. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Versicherten alle notwendigen Hilfsmittel in zumutbarer Weise verschaffen können. Das Merkmal zielt letztlich auf die Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung in dünn besiedelten Gebieten oder die Versorgung mit hochspeziellen, individuell angepassten Hilfsmitteln für schwerstbehinderte Menschen ab. 79 Die Krankenkassen sind berechtigt, vor Abschluss der Vereinbarungen Preisangebote einzuholen und unter diesen auszuwählen. Die Versicherten wie auch die Vertragsärzte sind darüber zu informieren, welche Leistungserbringer zur Versorgung berechtigt sind. IV. Vergütung Unter Heranziehung des Hilfsmittelverzeichnisses bestimmt der SpiBuKK gemäß § 36 SGB V Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden können. In die Vergleichsgruppen sollen auch im Hilfsmittelverzeichnis nicht enthaltene Erzeugnisse einbezogen werden, soweit sie der gleichen Funktion dienen und ungefähr den gleichen Wert haben. Die Festsetzung der Festbeträge erfolgt ebenfalls durch den SpiBuKK. Hersteller und Leistungserbringer haben dabei jedoch ein Recht zur Stellungnahme. Gleichzeitig sind sie verpflichtet, dem SpiBuKK alle für seine Entscheidung notwendigen Angaben mitzuteilen, § 36 II SGB V. Der Höhe nach sollen sich die Festbeträge zwar an der preisgünstigsten Versorgungsmöglichkeit orientieren. Sie sind aber so zu bemessen, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet ist. Dumpingpreise sind daher nicht zulässig, wenngleich Wirtschaftlichkeitsreserven ausdrücklich ausgeschöpft und ein Preiswettbewerb ausgelöst werden soll, §§ 36 III, 35 V SGB V. Die Krankenkassen sind nur in Höhe des Festbetrags zur Leistung verpflichtet. Den darüber hinausgehenden Anteil des Abgabepreises tragen die Versicherten selbst. 80 Ist ein Festbetrags-Hilfsmittel indes objektiv nicht ausreichend, um den Versicherten angemessen medizinisch zu versorgen, kann der Festbetrag die Leistungs- 79 Nolte in KassKomm, SGB V, § 127, Rn. 1; Bühring/ Linnemannstöns, MedR 2008, 149 (151). 80 Nolte in KassKomm, SGB V, § 36, Rn. 10. <?page no="313"?> B. Versorgung mit Hilfsmitteln 313 pflicht der Krankenkassen nicht beschränken. Sie haben daher für den vollen Preis aufzukommen. 81 Sofern keine Festbeträge bestimmt sind, richten sich Preis und Abrechnungsweg nach den gemäß § 127 SGB V abzuschließenden Verträgen. In jedem Fall haben die Versicherten eine Zuzahlung zu leisten. Diese beläuft sich auf 10 % des Abgabepreises, mindestens 5,00 €, höchstens aber 10,00 €, §§ 33 II 5, 61 S. 1 SGB V. Die Zuzahlung ist direkt an den Leistungserbringer zu leisten, dessen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse insoweit gemindert wird. V. Abgrenzung zur Hilfsmittelversorgung im Pflegeversicherungsrecht Werden Hilfsmittel an die Bewohner von Pflegeheimen gewährt, ist die Bestimmung des Kostenschuldners im Einzelfall schwierig. Auch bei stationärer Pflege werden schwerstbehinderte Versicherte von ihrer Krankenkasse mit den notwendigen Hilfsmitteln versorgt. Dies gilt gemäß § 33 I 2 SGB V auch, wenn diese aufgrund ihrer Behinderung kaum noch am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, wenn also das eigentliche Ziel der Hilfsmittelversorgung in der GKV gar nicht erreicht werden kann. 82 Dem Anspruch nach § 33 SGB V steht in § 40 I SGB XI ein entsprechender Anspruch im Rahmen der Pflegeversicherung gegenüber. Danach haben Pflegebedürftige einen Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder Linderung der Beschwerden beitragen oder ihnen eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit sie nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenkasse zu leisten sind. Es ist daher nach einem geeigneten Kriterium zu suchen, um die Zuständigkeiten der Kostenträger zu klären. Der Grad der Behinderung ist wegen der in § 33 I 2 SGB V enthaltenen Regelung jedenfalls nicht tauglich. Es ist daher auf die Zielrichtung der einzelnen Leistungszweige abzustellen. Im Rahmen der Pflegeversicherung sind die Träger vollstationärer Einrichtungen verpflichtet, notwendige Hilfsmittel bereitzustellen. Der aus dem Heimvertrag resultierende Anspruch auf Pflege, soziale Betreuung und medizinische Behandlung besteht indes nur „in“ vollstationären Einrichtungen, § 43 II 1 SGB XI. Befindet sich ein Versicherter in vollstationärer Pflege, endet die Pflicht der Krankenkassen zur Hilfsmittelversorgung mithin dort, wo die Pflicht des Heimträgers zur 81 BSGE 105, 70. 82 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 316. <?page no="314"?> Versorgung einsetzt. Letzterer muss das Inventar der Pflegeeinrichtung bereitstellen und die eigentliche Pflege ermöglichen. Die dafür benötigten Hilfsmittel sind von der Leistungspflicht der Pflegeversicherung umfasst. Dazu zählen auch Hilfsmittel, die benötigt werden, um Verwirrtheit, Lähmungen und andere gesundheitliche Störungen auszugleichen. 83 Der Anspruch gegen die Krankenkassen besteht dagegen zum einen für solche Hilfsmittel, die auch für Aktivitäten außerhalb der Einrichtung benötigt werden. Darüber hinaus haben die Krankenkassen die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die nicht der Sphäre der vollstationären Pflege zuzurechnen sind, weil sie individuell angepasst und daher nur für einen einzelnen Versicherten anwendbar sind. Gleiches gilt für Hilfsmittel zur Befriedigung von allgemeinen Grundbedürfnissen wie Mobilität oder Kommunikation, die auch außerhalb des Heims bestehen. 84 Diese dienen dem Ausgleich der Behinderung als solcher. 85 Beispiele Von der Pflegeversicherung sind Pflegebetten, Dekubitusmatratzen 86 oder Rollstühle für die Bewegung im Heimgelände oder für Ausflüge mit anderen Heimbewohnern und Pflegepersonal 87 zu leisten. Diese dienen unmittelbar der Sicherstellung der vollstationären Pflege und sind somit der Sphäre des Pflegeheims zuzuordnen. Prothesen, Brillen oder Hörgeräte fallen als individuell angepasste Hilfsmittel in die Leistungspflicht der Krankenkassen. Rollstühle, mit denen regelmäßig und ohne Begleitung von Heimpersonal Aktivitäten außerhalb des Pflegeheims nachgegangen wird, erfüllen allgemeine Grundbedürfnisse und sind aus diesem Grund von den Krankenkassen zur Verfügung zu stellen. 88 83 Nolte in KassKomm, SGB V, § 33, Rn. 3a. 84 BSGE 85, 287; BSG, SGb 2001, 185; ausführlich Meuthen/ Hartmann, NZS 2002, 26. 85 Wille/ Koch, Gesundheitsreform 2007, Rn. 319. 86 BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 47. Dekubitusmatratzen sollen das Auftreten von Druckgeschwüren bei bettlägerigen Patienten verhindern. 87 BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 36. 88 BSGE 85, 287. <?page no="315"?> 315 C. Digitale Gesundheitsanwendungen Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz 89 ist § 33a SGB V eingefügt worden. Versicherte haben seither einen Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Dabei muss es sich zunächst um „Medizinprodukte mit niedriger Risikoklasse“ handeln. Die Klassifizierung richtet sich nach Anhang VIII der VO (EU) 2017/ 745. Eine niedrige Risikoklasse bezieht sich auf die Klasse I und IIa, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie weder direkt noch indirekt ernste Gesundheitsstörungen verursachen können. 90 Zudem muss die Hauptfunktion der Anwendung auf digitalen Technologien basieren und die Anwendung muss nach dem Willen des Herstellers der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder der Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu dienen bestimmt sein. Solche Gesundheits-Apps, Online-Programme oder sonstige Computerprogramme müssen vom BfArM in ein Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen (§ 139e SGB V) aufgenommen worden sein und durch den behandelnden Arzt oder einen Physiotherapeuten verordnet oder mit Genehmigung der Krankenkasse eingesetzt worden sein. Letzteres setzt eine medizinische Indikation voraus. Die digitalen Gesundheitsanwendungen sind eine hilfsmittelähnliche Leistung. Von den Hilfsmitteln unterscheiden sie sich dadurch, dass diese körperliche Gegenstände, jene aber Softwareanwendungen sind. 91 Unter Umständen kann eine Anwendung gleichzeitig Hilfsmittel und DiGA sein; die Versicherten haben dann jeweils einen voneinander unabhängigen Anspruch aus unterschiedlichen Normen des SGB V, die sich gegenseitig nicht ausschließen. 92 Ein wesentlicher Unterschied zur Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V liegt jedoch darin, dass nach § 33a SGB V auch die Erbringung von Alltagsgegenständen nicht ausgeschlossen ist. 93 DiGAs werden den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung gestellt. Dies geschieht nach § 33a III SGB V durch die elektronische Übertragung oder die Abgabe von Datenträgern an die Versicherten, und zwar unmittelbar durch die Hersteller. Nur wenn dies nicht möglich ist, können die Versicherten auf den Download über 89 Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (DVG) vom 09.12.2019, BGBl. I S. 2562. 90 BT-Drs. 19/ 13438, S. 44. 91 Kircher in Becker/ Kingreen, SGB V, § 33a, Rn. 2 und 14; Heckelmann/ Schödel, NZS 2018, 926 (927). 92 BT-Drs. 19/ 13438, S. 45. 93 Kircher in Becker/ Kingreen, SGB V, § 33a, Rn. 25. <?page no="316"?> 316 8. Kapitel: Heil- und Hilfsmittelrecht digitale Vertriebsplattformen („App-Stores“) verwiesen werden. In diesem Fall haben sie einen Kostenerstattungsanspruch gegen ihre Krankenkasse. Die Versicherten haben die freie Wahl unter den Herstellern, d.h. die Verordnung darf sich nicht auf einen bestimmten Leistungserbringer beschränken. Einzige Voraussetzung ist die Aufnahme der Anwendung in die Positivliste nach § 139e SGB V. 94 Diese erfolgt nach § 139e II SGB V auf Antrag des Herstellers und setzt voraus, dass der Hersteller nachweist, dass die DiGA den Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität entspricht und interoperabel ist, Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sind und positive Versorgungseffekte bestehen. Über die die technische Unbedenklichkeit bescheinigende CE-Kennung hinaus müssen also spezifische krankenversicherungsrechtliche Anforderungen erfüllt sein; neben dem medizinischen Nutzen sind auch positive Auswirkungen auf die Lebensqualität denkbar. 95 Kontrollfragen 1. Grenzen Sie Heil- und Hilfsmittel voneinander ab. 2. Patientin P leidet an Rückenschmerzen. Der behandelnde Arzt rät ihr, regelmäßig in der städtischen Schwimmhalle schwimmen zu gehen. Kann sich P die Eintrittsgebühren für die Schwimmhalle von ihrer Krankenkasse ersetzen lassen? 3. X ist nach erfolgreichem Ablegen der Prüfung die Befugnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ verliehen worden. Als er sich um seine Zulassung als Heilmittelerbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung bemüht, verweigert der Landesverband der Betriebskrankenkassen deren Erteilung und verweist auf das recht umfassende Vorstrafenregister des X. Dieses weist u. a. Verurteilungen wegen Körperverletzung, Betrugs und Nötigung auf. X meint, die Vorstrafen hätten nichts mit seinen beruflichen Fähigkeiten zu tun. Dem Landesverband stehe daher insoweit kein Prüfungsrecht zu. Zu Recht? 4. Schildern Sie die verschiedenen Auffassungen über die vertraglichen Beziehungen zwischen Heilmittelerbringern, gesetzlich Versicherten und Krankenkassen. 5. Der gesetzlich versicherte Patient P ist gehbehindert. Um seinem Hobby, dem Basketballspiel, nachgehen zu können, verlangt er von seiner Krankenkasse einen Sportrollstuhl. Ist die Krankenkasse zur Leistung verpflichtet? 94 Das sogenannte DiGA-Verzeichnis ist abrufbar unter https: / / diga.bfarm.de/ de. 95 BT-Drs. 19/ 13438, S. 59. <?page no="317"?> C. Digitale Gesundheitsanwendungen 317 6. Handelt es sich bei folgenden Gegenständen um ein von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfasstes Hilfsmittel oder lediglich um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens? a. eine Personenwaage, mit der der chronisch kranke Patient P täglich sein Gewicht überprüft, b. ein Kinderautositz für das gehbehinderte Kind K, welches täglich mit dem Auto in die Schule gebracht wird, c. orthopädische Schuhe. 7. Erläutern Sie die Rechtsnatur des Hilfsmittelverzeichnisses. 8. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Erbringer von Hilfsmitteln zur Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassen werden? 9. Die Krankenkasse K plant, Verträge zur Versorgung ihrer Versicherten mit Rollstühlen abzuschließen. Muss sie ein öffentliches Ausschreibungsverfahren durchführen? 10. Die gesetzlich versicherte V ist in einem Pflegeheim untergebracht. Trotz ihrer Gebrechlichkeit unternimmt sie täglich einen kurzen Spaziergang im nahe gelegenen Stadtpark. Kranken- und Pflegekasse streiten darüber, wer für die Kosten ihres Hörgeräts und ihrer Gehhilfe aufzukommen hat. Nehmen Sie Stellung. 11. Unter welchen Voraussetzungen haben Versicherte einen Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen? 12. P leidet unter starkem beruflichen Stress. Sie ist der Auffassung, dass ihr die Krankenkasse die Kosten einer Smartphone-App erstatten muss, mit der sie an regelmäßige Ruhepausen erinnert wird und die verschiedene Übungsanleitungen zur Entspannung bereithält. Die Krankenkasse ist der Auffassung, dass es sich dabei um einen Alltagsgegenstand handele und P zudem noch nicht ernsthaft erkrankt sei. Wer hat Recht? <?page no="319"?> 319 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Orientierungsfragen Q Auf welcher Rechtsgrundlage können Patienten Ansprüche gegen Ärzte herleiten, wenn sie infolge einer Behandlung einen Schaden erleiden? Q Kann jedes ärztliche Fehlverhalten Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche auslösen? Q Welche Folgen hat es, wenn ein Arzt eine Fehldiagnose stellt oder wenn er von den Regeln der Schulmedizin abweicht? Q Welche Anforderungen werden an die Sorgfalt des Arztes gestellt? In welchem Verhältnis stehen diese zur Therapiefreiheit? Q Welche Besonderheiten ergeben sich bei arbeitsteiligen Abläufen, insbesondere im Krankenhaus? Q Treffen den Krankenhausträger besondere Pflichten? Q Ist das nichtärztliche Personal verpflichtet, Anweisungen der Ärzte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen? Q Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen zur Ausgabenbegrenzung in der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Haftungsmaßstab? Q Gibt es verfahrensrechtliche Besonderheiten im Arzthaftungsprozess? Wie verteilt sich die Beweislast? Q Wie verhält es sich mit den Schadenersatzansprüchen, wenn ein gesetzlich oder privat krankenversicherter Patient durch ein ärztliches Fehlverhalten geschädigt wird? A. Allgemeines Trotz aller Bemühungen um eine den Regeln der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlung kann es immer wieder vorkommen, dass Ärzten oder deren Angestellten Fehler unterlaufen. Für das Jahr 2017 hat die Bundesärztekammer mehr als 2.213 Behandlungsfehler festgestellt. In 1.783 Fällen sind dadurch Gesund- <?page no="320"?> 320 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht heitsschädigungen hervorgerufen worden. 1 Die Folgen sind für Ärzte wie Patienten gravierend. Während diese sich hohen Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen 2 ausgesetzt sehen, leiden jene unter Umständen an dauerhaften Behinderungen oder verlieren ihr Leben. Neben der Haftung wegen einer Pflichtverletzung im Behandlungsvertrag aus §§ 280, 630a ff. BGB kommt eine deliktische Haftung nach §§ 823 ff. BGB in Betracht. Beide Ansprüche weisen dem Grunde nach identische Voraussetzungen auf, wenngleich sich die Prüfung im Einzelnen geringfügig voneinander unterscheidet. 3 Das Vorliegen eines Behandlungsvertrags ist im Rahmen der Haftung wegen unerlaubter Handlung irrelevant: der Grund für die Schadenersatzpflichten liegt hier allein in der faktischen Übernahme einer Behandlung. Denn auch diese löst Schutzpflichten des Arztes im Hinblick auf die Rechtsgüter seines Patienten aus. Die Verletzung vertraglicher Pflichten nach § 280 I BGB führt in der Regel auch zu einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, des Lebens oder des Selbstbestimmungsrechts des Patienten nach § 823 I BGB. Die Sorgfaltspflichten sowie die Anforderungen an den Nachweis der Kausalität stimmen ebenfalls überein. Auch in ihren Rechtsfolgen gleichen sich vertragliche und deliktische Haftung, ist doch wegen § 253 II BGB neben dem Schadenersatz stets Schmerzensgeld geschuldet. 4 Wird eine Untersuchung oder Behandlung im öffentlichen Interesse angeordnet, kann der Patient im Schädigungsfall Ansprüche aus Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG geltend machen. 5 Relevant ist dies namentlich bei der Behandlung durch Notärzte im Rahmen des Rettungsdiensts, 6 bei der Unterbringung psychisch Kranker in psychiatrischen Anstalten 7 oder bei Behandlungen durch Amtsärzte. 8 In diesen Fäl- 1 Bundesärztekammer, Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2017, abrufbar unter www.bundeaerztekammer.de 2 Zu den Größenordnungen der Haftpflichtschäden vgl. Bergmann/ Wever, Die Arzthaftung, S. 2 ff. sowie Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 30 ff. 3 Instruktiv Vogeler, MedR 2020, 180. 4 BGH, NJW 1989, 767; NJW 1990, 2929; NJW 1991, 2960. 5 Gaidzik/ Weimer in Huster/ Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 15, Rn. 25 ff; Bergmann in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 839 BGB, Rn. 2 ff.; Mennemeyer/ Hugemann in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 396 ff. 6 BGHZ 160, 216. 7 Die Voraussetzungen der zwangsweisen Unterbringung sind landesrechtlich geregelt. Die Gesetze über die Unterbringung psychisch Kranker sehen gemeinhin vor, dass eine Unterbringung angeordnet werden kann, wenn eine Person an einer schwerwiegenden psychischen Störung leidet und sich selbst oder andere zu gefährden droht. Sie kommt daher beispielsweise bei Suizidversuchen oder Angriffen auf Dritte in Betracht. 8 BGH, NJW 1994, 2415 (Eignungsuntersuchung im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung einer Fahrerlaubnis für die Fahrgastbeförderung); BGHZ 126, 386 (Durchführung einer staatlichen Schutzimpfung). <?page no="321"?> A. Allgemeines 321 len haftet nicht der Arzt bzw. das nichtärztliche Personal selbst, sondern die Anstellungskörperschaft, d. h. die Körperschaft, in deren Dienst er steht, Art. 34 I GG. <?page no="322"?> 322 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht B. Fehlverhalten des Arztes Nicht jedes Fehlverhalten des Arztes kann Ansprüche des Patienten auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld auslösen. In Bezug auf dessen Rechtsgüter sind Behandlungs-, Aufklärungs- und Dokumentationsfehler zu unterscheiden. I. Behandlungsfehler Zwar schuldet der Arzt bei der Behandlung seiner Patienten keinen Erfolg. Er ist also nicht verpflichtet, die Krankheit zu heilen oder Körperschäden vollständig zu kompensieren. Das Fehlschlagen einer Behandlung kann daher nicht per se einen Haftungstatbestand begründen. So genannte „schicksalhafte Krankheitsverläufe“ sind dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. 9 Treten also Schädigungen auf, die trotz aller Sorgfalt nicht beherrschbar sind, sieht sich der Arzt keinerlei Ansprüchen ausgesetzt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine lebensrettende Operation nach einem schweren Unfall scheitert. Der Arzt schuldet das fachgerechte Bemühen um den Behandlungserfolg. Dabei hat er die Regeln und den aktuellen Stand der medizinischen Forschung zu beachten. Tut er dies nicht, liegt ein vormals als „Kunstfehler“ 10 bezeichneter Behandlungsfehler vor. Er ist nicht zwingend an die Behandlung als solche gekoppelt, sondern kann auch im Rahmen der Prophylaxe oder Nachsorge auftreten. 1. Diagnosefehler Unterlässt ein Arzt die Erhebung von Befunden, obwohl diese medizinisch geboten ist, liegt ein Diagnosefehler in der Form des Befunderhebungsfehlers vor. Dieser setzt jedoch voraus, dass der Patient eindeutige oder zumindest deutliche Symptome aufweist, die auf eine bestimmte Erkrankung hindeuten. Drängt sich danach der Verdacht einer Diagnose geradezu auf, ist der Arzt verpflichtet, diesem durch die üblichen Methoden der Befunderhebung nachzugehen. Denn diese ist Voraussetzung für das Ergreifen der geeigneten therapeutischen Maßnahmen. 11 Reichen die üblichen 9 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 97, Rn. 2; Müller in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1413. 10 Zur Etymologie vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 273. 11 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, NJW 1988, 1513; NJW 1995, 778; NJW 2003, 2827; NJW-RR 2014, 1051; NJW 2016, 1447; vgl. auch Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, U 15f. mit zahlreichen Beispielen. <?page no="323"?> B. Fehlverhalten des Arztes 323 Befunderhebungsmethoden nicht aus, sind gegebenenfalls spezielle diagnostische Verfahren anzuwenden bzw. zu veranlassen. Beispiel Eine schwangere Frau suchte im vierten Schwangerschaftsmonat wegen vaginaler Blutungen ihren behandelnden Gynäkologen auf. Dieser nahm eine Urinprobe und diagnostizierte daraufhin eine Harnwegsentzündung. Auch als die Blutungen im weiteren Verlauf stärker und häufiger wurden und Schmerzen im unteren Rücken hinzutraten, sah er sich nicht zu einer vaginalen Untersuchung veranlasst. Er erkannte daher nicht, dass eine extreme Frühgeburt drohte, die in der 26. Schwangerschaftswoche schließlich auch eintrat. Das Kind ist aufgrund seiner unreifen Geburt mehrfach schwerstbehindert. 12 Ein Diagnosefehler ist darüber hinaus bei der fehlerhaften Auswertung erhobener Befunde gegeben, wenn der Arzt dadurch die Symptome einer behandelbaren Krankheit nicht erkennt (Befundauswertungsfehler). 13 Beispiel Ein Mann suchte mit Bluthochdruck und starken Schmerzen im Brustbereich einen Internisten auf. Dieser erstellte ein EKG, welches mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % darauf hindeutete, dass der Patient einen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Arzt erkannte dies trotz der geschilderten Symptome nicht und entließ den Patienten aus seiner Praxis. Kurz darauf verstarb der Mann an den Folgen des Herzinfarkts. 14 Dies gilt auch für Zufallsbefunde, die nicht gezielt, sondern nur aus Anlass einer medizinisch gebotenen Behandlung erhoben worden sind. Unterlässt der Arzt die ihm mögliche und erkennbar notwendige medizinische Abklärung einer Auffälligkeit, liegt ein Diagnosefehler vor. 15 12 BGH, NJW 1995, 778. 13 BGHZ 99, 391; BGHZ 132, 47; BGH, NJW 2003, 2827. Zur Abgrenzung zwischen Befunderhebungs- und Befundauswertungsfehler Schultze-Zeu, VersR 2008, 898; Kohrenbach, MedR 2018, 950. 14 BGHZ 132, 47. 15 BGHZ 188, 29 mit kritischer Anmerkung Voigt, MedR 2011, 645. <?page no="324"?> 324 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Symptome aufgrund der Individualität des menschlichen Organismus nicht immer eindeutig bestimmten Erkrankungen zuzuordnen sind. Sie können nicht nur verschiedene Ursachen haben, sondern auch in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten oder von verschiedenen Patienten unterschiedlich empfunden werden. 16 Daher ist das Verschulden des Arztes regelmäßig nur schwer nachzuweisen. 2. Therapiefehler Hat der Arzt die Symptome des Patienten richtig bewertet, muss er die diagnostizierte Erkrankung behandeln. Dabei hat er unverzüglich alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, mit denen (weitere) Schäden vom Patienten abgewendet werden können. Der Misserfolg einer Behandlung deutet nicht per se auf einen Therapiefehler hin. Denn der Arzt muss nicht im Sinne einer Garantiehaftung für alle Gesundheitsschäden einstehen, die nach der Behandlung verbleiben. Ein Therapiefehler ist ohne weiteres anzunehmen, wenn der Arzt eine medizinisch gebotene und mögliche Behandlung unterlässt oder zu spät beginnt. Stehen mehrere Behandlungsmethoden zur Verfügung, erlaubt die Therapiefreiheit dem Arzt, die Vorgehensweise auszuwählen, die er für Erfolg versprechend hält. Es gilt jedoch das Prinzip des sichersten Weges. Grundsätzlich sind daher solche Methoden zu wählen, die dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung entsprechen, vergleichsweise unumstritten, weit verbreitet und bewährt sind. Risikoreiche Methoden sollen nur zur Anwendung kommen, wenn die zu befürchtende Belastung des Patienten im Einzelfall besonders gerechtfertigt ist, etwa weil die Heilung durch diese Methode mit hoher Wahrscheinlichkeit beschleunigt wird. 17 Die Verpflichtung zur Beachtung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft bedeutet nicht, dass ausschließlich die Schulmedizin zur Anwendung kommen darf. Alternative Heilmethoden sind zulässig. Jedoch ist der Arzt gehalten, den insoweit bestehenden methodischen Erkenntnissen zu genügen. 18 Insgesamt begründet nicht jede Abweichung vom herrschenden Standard einen Behandlungsfehler. 16 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 76; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 36. 17 BGH, NJW 1987, 2927; BGHZ 168, 103; BGHZ 172, 254; zum „Therapieauswahlfehler“ auch Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14, Rn. 66 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 277 ff. 18 BGHZ 113, 297; BGHZ 133, 208. <?page no="325"?> B. Fehlverhalten des Arztes 325 Dies betrifft namentlich Q Außenseitermethoden, die von den allgemeinen anerkannten Standards der Schulmedizin abweichen, 19 Q Neulandmethoden, die noch nicht zum Standard zählen, da sie sich noch in der Erprobungsphase befinden 20 sowie Q Heilversuche, also Abweichungen vom medizinischen Standard im konkreten Fall, weil ein solcher Standard fehlt oder keinen Erfolg verspricht. 21 Bietet eine neue Behandlungsmethode im Vergleich zu einer hergebrachten Methode höhere Aussichten auf einen nachhaltigen Behandlungserfolg, womöglich mit geringeren Risiken, kann der Arzt im Einzelfall sogar verpflichtet sein, dem Patienten die Neulandmethode vorzuschlagen. 22 Die Wahl einer vom Standard abweichenden Therapiemethode ist zulässig, wenn der Arzt über besondere Erfahrungen mit deren Anwendung verfügt und entsprechend technisch ausgestattet ist. Zudem muss er abwägen, ob die Vorteile der Alternativmethode gewichtiger sind als die daraus drohenden Nachteile und den Verlauf der Behandlung fortlaufend kontrollieren. 23 Treten Komplikationen auf, muss der Arzt die Behandlung abbrechen. Neben den eigenen praktischen Erfahrungen des Arztes 24 sind auch die Gegebenheiten in der Praxis, d. h. deren räumliche und apparative Ausstattung, Maßstab für die zu ergreifenden Maßnahmen. Der Arzt darf also bevorzugt solche Methoden anwenden, die er schon häufig durchgeführt hat und für die er über eine entsprechend große Erfahrung und Geschicklichkeit verfügt. Zwar sollen keine veralteten Methoden zum Einsatz kommen. Der Arzt ist jedoch nicht verpflichtet, stets das neuste therapeutische Konzept anzubieten. Auch die in der Praxis vorhandenen Geräte sind nicht ständig zu modernisieren. Der Einsatz älterer Apparaturen ist zulässig, sofern und so lange sie technisch und methodisch neueren Geräten entsprechen. 25 19 BGHZ 172, 254 (Spritzen eines Medikamentencocktails durch einen Katheter im Rückenmarkskanal anstelle einer konventionellen Bandscheibenoperation). 20 BGHZ 168, 103 (Einsatz des Operationsroboters „Robodoc“ bei der Implantation einer Hüftgelenkprothese); dazu Katzenmeier, NJW 2006, 2738. Vgl. auch den instruktiven Ansatz von Becker, RW 2013, 123, der die Anwendbarkeit der Regeln über die Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB) bei Behandlungsmethoden thematisiert, deren Wirksamkeit (noch) nicht hinreichend erprobt ist. 21 BGHZ 172, 1 (Anwendung eines Arzneimittels, das erst nach Beginn der Behandlung zugelassen worden ist), zu den vorgenannten Entscheidungen vgl. Vogeler, MedR 2008, 697. 22 Gaßner/ Strömer, SGb 2011, 421 (423); Gassner/ Strömer, MedR 2012, 159 (160). 23 BGHZ 168, 103; BGHZ 172, 1. 24 OLG Naumburg, VersR 2006, 979; Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 25. 25 BGH, NJW 1988, 763; OLG Frankfurt, VersR 1991, 185. Dazu auch Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (372). <?page no="326"?> 326 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 3. Übernahmeverschulden Der Arzt darf Behandlungsleistungen nur erbringen, wenn er über hinreichende theoretische und praktische Fachkenntnisse und die notwendige räumliche oder apparative Ausstattung verfügt. Übernimmt er eine Behandlung, obwohl er hätte erkennen können, dass er nicht über hinreichende Fähigkeiten verfügt, liegt ein Behandlungsfehler in der Form des Übernahmeverschuldens vor. Die berufsrechtlich begründete Behandlungspflicht findet insofern ihre Grenze. 26 Relevant wird dies insbesondere bei Ärzten, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Aber auch erfahrene Ärzte kann ein Übernahmeverschulden treffen, beispielsweise wenn sie trotz Überlastung, Übermüdung oder eigener gesundheitlicher Beeinträchtigungen Patienten behandeln. Übernimmt ein Arzt Behandlungen, die einem anderen Fachgebiet zuzuordnen sind, hat er die dort geltenden medizinischen Standards vollumfänglich zu erfüllen. 27 Der Arzt ist mithin verpflichtet, vor Behandlungsbeginn zu prüfen, ob er den Patienten adäquat versorgen kann. Durch regelmäßige Weiterbildungen muss er sein Wissen auf dem aktuellen Stand halten und sich mit der Funktionsweise der von ihm verwendeten Geräte und Apparate vertraut machen. 28 Reichen seine persönlichen wie apparativen Möglichkeiten nicht aus, ist er gehalten, diesen an einen besser qualifizierten oder ausgestatteten Arzt oder ein Krankenhaus zu überweisen. 29 In Notfällen darf der Arzt freilich erste Sicherungsmaßnahmen treffen. 4. Therapeutische Sicherheitsaufklärung Im Rahmen der Behandlung ist der Arzt verpflichtet, den Patienten über alle Umstände zu informieren, die zur Sicherung des Heilerfolgs und für therapiegerechtes Verhalten notwendig sind. Es handelt sich insoweit um eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag i. S. v. § 241 II BGB. 30 Namentlich muss er auf eine bestehende Ansteckungsgefahr hinweisen oder dem Patienten bestimmte Untersuchungen, 31 Kontrollen 32 oder eine gesundheitsbewusste 26 Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 96, Rn. 31 ff. 27 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 85; Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, B 28a mit Beispielen. 28 Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B, Rn. 11. 29 BGH, NJW 1992, 1560. 30 Hausch, VersR 2007, 167 (167). 31 LG München, NJW-RR 2009, 898 (Unterlassen eines HIV-Tests in der Schwangerschaft). 32 BGH, NJW 2005, 427 (Notwendigkeit von Kontrolluntersuchungen bei drohender Netzhautablösung im Auge). <?page no="327"?> B. Fehlverhalten des Arztes 327 Lebensführung nahe legen. Diagnose- oder Therapiefehler sind in diesem Zusammenhang ebenso zu offenbaren wie die fehlende Sicherheit der angewendeten Behandlungsmethode. 33 Verweigert der Patient die Behandlung, hat er ihm die Dringlichkeit und mögliche Gefahren der Nichtbehandlung zu schildern. Beispiel Die 30jährige Patientin P ist starke Raucherin. Ihr Gynäkologe verschrieb ihr die „Pille“. In der Packungsbeilage des Medikaments fand sich der Hinweis, dass die Einnahme des Arzneimittels bei Raucherinnen, insbesondere wenn sie älter als 30 Jahre sind, zu Veränderungen der Blutgefäße führen und dadurch Herzinfarkte oder Schlaganfälle auslösen kann. Der Arzt wies P nicht gesondert auf diese Gefahr hin. Später erlitt sie wegen der Nikotinzufuhr einen Schlaganfall. 34 Auch nach dem Abschluss der Behandlung müssen mögliche negative Folgen so gering wie möglich gehalten werden. Misslungene Behandlungen sind daher durch Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Ferner muss der Arzt den Patienten auf mögliche Spätfolgen oder Nachwirkungen hinweisen (posttherapeutische Sicherheitsaufklärung). 35 Unterlässt der Arzt derartige Hinweise, liegt ein Behandlungs- und kein Aufklärungsfehler vor, denn er enthält dem Patienten therapeutisch bedeutsame Informationen vor. 36 In § 630c II 2 BGB ist explizit die Pflicht zur Information des Patienten über Behandlungsfehler verankert, sofern dies zur Abwehr gesundheitlicher Gefahren notwendig ist. Die Offenbarung von Behandlungsfehlern 37 ist daher zwingend, wenn diese durch eine Nach- oder Folgebehandlung behoben oder in ihren Auswirkungen zumindest gemildert werden können. Im Einzelfall kann sich die Sicherheitsaufklärung mit der Selbstbestimmungsaufklärung 38 überschneiden, wenn die therapeutische Aufklärung den Hinweis auf eine Behandlung beinhaltet, in die der Patient einwilligen muss. 39 33 BGH, NJW 1981, 2002 (Unterlassen eines Hinweises auf die hohe Misserfolgsquote einer Sterilisation). 34 BGHZ 162, 320. 35 OLG Koblenz, MedR 2000, 37. 36 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 572. 37 Richtigerweise muss sich die Informationspflicht über den Wortlaut der Norm hinaus wohl auch auf Organisations- und Aufklärungsfehler erstrecken, sofern diese eine Reaktion erfordern, Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67). 38 Dazu ausführlich auf S. 134 ff. 39 Hausch, VersR 2007, 167 (167); Wagner in MüKo, § 630e BGB, Rn. 2. <?page no="328"?> 328 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Beispiel Patient P möchte eine Vasektomie (Unfruchtbarmachung durch Durchtrennung der Samenstränge) durchführen lassen. Insbesondere in den ersten sechs bis neun Monaten nach dem Eingriff ist es nicht ausgeschlossen, dass es gleichwohl zu Schwangerschaften kommt. Der behandelnde Arzt hat den Patienten auf diese Gefahr hinzuweisen und auf die Anwendung zusätzlicher Verhütungsmethoden oder die Erstellung eines Spermiogramms hinzuwirken. 40 Dieses Erfordernis besteht nicht nur im Hinblick auf die Pflicht des Arztes zur Abwehr von Schäden, sondern auch zur Sicherstellung der Selbstbestimmung: kennt der Patient die mögliche Unwirksamkeit der Vasektomie, möchte er sich möglicherweise gegen den Eingriff entscheiden. Hat der Arzt den Anforderungen an die therapeutische Sicherheitsaufklärung genügt, ignoriert der Patient aber entsprechende Hinweise (non compliance 41 ), so können seine Schadenersatzansprüche gemäß § 254 BGB wegen Mitverschuldens gemindert oder gar ausgeschlossen sein. II. Aufklärungsfehler Die Aufklärung des Patienten soll dessen über Art. 1 I, 2 I GG geschütztes Selbstbestimmungsrecht gewährleisten. Behandlungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn der Patient in diese einwilligt: er soll Subjekt, nie aber bloßes Objekt der Behandlung sein. Die wirksame Einwilligung setzt voraus, dass der Patient hinreichend über seine Erkrankung und die zur Anwendung kommenden Behandlungsmethoden informiert ist (informed consent). 42 Diese Kenntnisse werden ihm über die Selbstbestimmungsaufklärung vermittelt, §§ 630d, 630e BGB. Grundsätze der ordnungsgemäßen Aufklärung 43 Q Die Aufklärung ist vom Arzt selbst durchzuführen. In arbeitsteiligen Abläufen ist die Delegation an einen anderen Arzt, nicht aber an nichtärztliches Personal zulässig. 40 OLG Hamm, VersR 2002, 1562. 41 Dazu ausführlich auf S. 150. 42 RGSt 25, 375 (376). Ebenso die st. Rspr. des BGH seit NJW 1956, 1106 (1107); NJW 1961, 2203 (2204). 43 Dazu im Einzelnen auf S. 136 ff. <?page no="329"?> B. Fehlverhalten des Arztes 329 Q Die Aufklärung hat in einem persönlichen Gespräch, nicht lediglich formularmäßig zu erfolgen. Q Adressat der Aufklärung ist der Patient selbst. Fehlt diesem die Fähigkeit, Art, Tragweite und Folgen des Eingriffs zu ermessen (Einwilligungsfähigkeit), sind dessen gesetzliche Vertreter aufzuklären. Q Dem Patienten muss kein medizinisches Expertenwissen, sondern die für den Laien verständlichen Grundkenntnisse über den Eingriff vermittelt werden. Q Umfang und Genauigkeit der Aufklärung sind umgekehrt proportional zu Dringlichkeit und Heilungsaussichten, d. h. je weniger der Eingriff medizinisch geboten und dringlich, umso umfangreicher muss die Aufklärung erfolgen. Q Das Aufklärungsgespräch muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient ohne Zeitdruck das Für und Wider des Eingriffs abwägen kann. Aufklärungsfehler stellen eine Pflichtverletzung im Behandlungsvertrag nach §§ 280 I, 630e BGB dar. Welches Rechtsgut aber im Rahmen der deliktischen Haftung aus § 823 I BGB durch einen Aufklärungsfehler verletzt wird, ist umstritten. Nach Auffassung der Rechtsprechung stellt der ärztliche Eingriff eine Körperverletzung dar. Dies gilt selbst dann, wenn dieser völlig fehlerfrei und erfolgreich durchgeführt worden ist. 44 Um die Rechtsgutverletzung zu rechtfertigen, bedarf es der auf hinreichender und ordnungsgemäßer Aufklärung beruhenden Einwilligung des Patienten. Der Aufklärungsmangel verletze daher die Entscheidungsfreiheit über die körperliche Unversehrtheit, die im Rechtsgut „Körper“ aufgehe. Eine Schadenersatzpflicht des Arztes bestehe daher nur, wenn dem Patienten auch ein Gesundheitsschaden entstanden ist. 45 In der Literatur wird dagegen weit überwiegend die Auffassung vertreten, die fehlerhafte oder unvollständige Aufklärung reduziere die Entscheidungsgrundlage des Patienten und greife damit isoliert in dessen Persönlichkeitsrecht ein. 46 Regelmäßig werden beide Rechtsgüter gleichermaßen verletzt: die ärztliche Behandlung, wenn sie mit Nebenwirkungen oder unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden ist, stellt eine Körperverletzung dar. Zugleich verletzt die Beeinträchtigung der Selbstbestimmung das Persönlichkeitsrecht des Patienten. Ob ein zum Ersatz verpflichtender Schaden vorliegt, ist durch einen Vergleich zwischen dem weiteren 44 RGSt 25, 375 (376); RGZ 68, 431 (433 f.); BGHZ 29, 46 (49); 106, 391 (394); 144, 1(5); 162, 320 (323); 166, 336 (339); zustimmend Wagner in MüKo, § 823 BGB, Rn. 1073; vor § 630a, Rn. 12 ff. 45 BGHZ 90, 96 (102); 176, 342 (374); zustimmend Gessaphe MedR 2009, 283 (285); Bergmann in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 823 BGB, Rn. 9; Simmler in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1685. 46 Laufs VersR 1967, 1 (5 f.); Katzenmeier, in Laufs/ Katzenmeier/ Lipp, Arztrecht, Teil V, Rn. 83; Schramm, Der Schutzbereich der Norm im Arzthaftungsrecht, S. 194; Laufs, Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 71, Rn. 2; Bender MedR 1999, 260 (263); Katzenmeier, Arzthaftung, S. 120.; vgl. auch OLG Jena, VersR 1998, 586. <?page no="330"?> 330 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Krankheitsverlauf ohne Behandlung und dem Gesundheitszustand nach der ohne informed consent durchgeführten Behandlung zu ermitteln. 47 Die Beeinträchtigung der Selbstbestimmung über die körperliche Unversehrtheit kann demnach durch den Erfolg des eigenmächtigen Eingriffs aufgewogen werden. 48 Zudem kommt es darauf an, ob der Patient auch bei Vorliegen einer vollständigen Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. 49 Die Aufrechterhaltung des Lebens ist daher nicht um jeden Preis geboten. Das OLG München hatte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 daher dem Hinterbliebenen eines tödlich Erkrankten Schmerzensgeld zugesprochen, weil die Ärzte ohne jede Erörterung der medizinischen Indikation über Monate hinweg eine künstliche Ernährung fortgeführt haben, obwohl diese zu keiner Verbesserung des Gesundheitszustandes, sondern einer bloßen Verlängerung des (Über) Lebens geführt hat. 50 Der BGH hat die Entscheidung jedoch aufgehoben. Der Gerichtshof ging dabei nicht darauf ein, ob die behandelnden Ärzte ihre vertraglichen Pflichten verletzt haben. Die Klage wurde vielmehr deshalb abgewiesen, weil außer dem Patienten selbst keinem Dritten ein Urteil über den Wert eines Lebens zustehe. Auch ein mit erheblichem Leiden verbundenes Weiterleben könne daher nicht als Schaden qualifiziert werden. Auch die mit der Aufrechterhaltung des Lebens verbundenen wirtschaftlichen Belastungen stellen keinen Schaden dar, da die ärztlichen Aufklärungs- und Schutzpflichten nicht dazu dienten, das Vermögen des Patienten für dessen Erben zu erhalten. 51 III. Dokumentationsmängel Die unzureichende Dokumentation von Befunden, Diagnose und Behandlung begründet keinen eigenständigen Haftungstatbestand. Jedoch können im Einzelfall Behandlungsfehler dadurch verursacht werden, dass bestimmte Risiken oder Vorfälle nicht dokumentiert sind. Dokumentationsmängel wirken sich vor allem auf die Beweislastverteilung aus. 52 47 Vgl. BGH VersR 1967, 495 (496); BGH NJW 1985, 676 (677); BGHZ 86, 240 (248). 48 Kullmann, VersR 1999, 1190 (1192); ausführlich Janda, JZ 2012, 932. 49 Janda, JZ 2012, 932 (935). 50 OLG München, MedR 2018, 317. 51 BGH, 2.4.2019, VI ZR 13/ 18. 52 BGHZ 132, 47; BGH, NJW 1993, 2375, vgl. dazu auch S. 344. <?page no="331"?> C. Sorgfaltsmaßstab 331 C. Sorgfaltsmaßstab In aller Regel beruhen Aufklärungs- und Behandlungsfehler nicht auf Vorsatz, also der wissentlichen und willentlichen Herbeiführung eines Schadens. Es ist daher zu prüfen, ob dem Arzt oder anderen an der Behandlung beteiligten Personen fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist. Unter Fahrlässigkeit ist gemäß § 276 II BGB das Außerachtlassen der im Verkehr üblichen Sorgfalt zu verstehen. Dies ist in der Arzthaftung dahingehend zu spezifizieren, dass die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft außer Acht gelassen werden, § 630a II BGB. Maßstab ist der Facharztstandard, der sich beispielsweise aus wissenschaftlichen Publikationen oder den Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften - nicht hingegen aus den Richtlinien des GBA! - ableiten lässt. 53 Indes kommt dem Verstoß gegen diese Leitlinien lediglich eine Indizwirkung zu, geben diese doch nur den Standard in „Normalfällen“ wieder. Im Einzelfall ist der Arzt sogar gezwungen, von den Vorgaben der Leitlinien abzuweichen, wenn die individuellen Umstände dies erfordern. 54 Es ist also zu prüfen, wie sich ein besonnener und gewissenhafter Arzt derselben Fachrichtung in derselben konkreten Situation verhalten hätte. 55 Dieser Sorgfaltsmaßstab gilt unabhängig vom Krankenversicherungsstatus des Patienten. 56 I. Objektiver Sorgfaltspflichtverstoß Es kommt nur auf das objektive Außerachtlassen des medizinischen Standards an. Subjektive Besonderheiten im Zeitpunkt der Behandlung bleiben - anders als im Strafrecht - in der zivilrechtlichen Haftung außer Betracht. Der Arzt kann sich daher beispielsweise nicht auf seine mangelnde Ausbildung und Erfahrung oder auf Erschöpfung berufen, um den Sorgfaltspflichtverstoß zu entkräften. Er haftet, weil er trotz Kenntnis der Grenzen seiner Einsatzfähigkeit eine Behandlung übernommen hat, deren ordnungsgemäße Durchführung er nicht garantieren konnte. 57 Denn ein besonnener und gewissenhafter Arzt hätte in diesem Fall einen besser qualifizierten Arzt hinzugezogen bzw. den Patienten an diesen überwiesen. 53 Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 98 f.; Gassner/ Strömer, MedR 2012, 159 (159); dazu auch OLG Jena, GuP 2011, 36 (37). 54 Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (359 f.). 55 Es ist also kein juristischer, sondern ein medizinischer Beurteilungsmaßstab anzulegen, BVerfG, NJW 1982, 691. 56 Gassner/ Strömer, MedR 2012, 159 (162). 57 BGHZ 89, 263; BGHZ 113, 297; BGH, NJW 1990, 759; NJW 2003, 2311; OLG Stuttgart, VersR 2001, 1560; vgl. auch Spickhoff, NJW 2002, 2530 (2533). <?page no="332"?> 332 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Beispiel Bei der Geburt des Kindes K hatte sich dessen Schulter im Geburtskanal verkeilt. Der Geburtsverlauf kam zum Stillstand. Der anwesende Assistenzarzt versuchte, diesen durch Ziehen am Kopf des Kindes wieder in Gang zu bringen. Das Kind leidet seitdem an Lähmungen der Spinalnerven, des Gesichts und des Augenlids. Eine Lösung des Geburtsstillstands wäre auch auf andere Art und Weise möglich gewesen. Diese hatte der Arzt aufgrund seiner mangelnden Erfahrungen nicht in Betracht gezogen. Seine Überforderung mit dem Geburtsverlauf vermochte ihn jedoch nicht vom Vorwurf fahrlässigen Verhaltens zu entlasten. 58 Gleiches gilt, wenn ein Arzt eine Behandlung übernimmt, die nicht seinem Fachgebiet zuzuordnen ist. Es ist in diesen Fällen nicht „sein“ Facharztstandard maßgeblich, sondern der des Fachgebiets, dem die Behandlung zuzuordnen ist. Beim Befundauswertungsfehler ist Zurückhaltung angezeigt. Da Krankheitssymptome nicht immer eindeutig sind und bei verschiedenen Patienten unterschiedlich ausgeprägt bzw. empfunden werden können, ist eine fehlerhafte Befundauswertung nicht immer vorwerfbar. Fahrlässiges Verhalten kann hier nur bei fundamentalen Irrtümern angenommen werden. Dies ist der Fall, wenn die Fehldiagnose aus Sicht eines gewissenhaften Arztes unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums schlechterdings nicht vertretbar erscheint. 59 In Notsituationen sind naturgemäß geringe Anforderungen an die Sorgfalt zu stellen. Die im Einzelfall verfügbaren sachlichen und personellen Mittel bestimmen insofern den an die Behandlung anzulegenden Maßstab. Zudem ist zu berücksichtigen, dass dem Arzt in diesen Fällen nur ein kurzer Zeitraum eröffnet ist, in dem er eine Entscheidung über die anzuwendende Methode zu treffen hat. II. Therapiefreiheit Das Festhalten an den Regeln der medizinischen Wissenschaft darf nicht dazu führen, dass jegliche Abweichung davon als fahrlässiges Verhalten zu beurteilen ist. Es gibt keinen starren Katalog, welche Maßnahme in welchem Stadium einer Erkrankung angezeigt ist. Im Rahmen der Therapiefreiheit muss dem Arzt die Entscheidung 58 BGH, NJW 2001, 1786. 59 BGHZ 85, 212; BGH, NJW 1988, 1513; NJW 1991, 2350. <?page no="333"?> C. Sorgfaltsmaßstab 333 darüber überlassen bleiben, welche konkrete Methode er anwenden will. Entscheidet er sich vom hergebrachten Standard abzuweichen, weil er nach gründlicher Abwägung der Vor- und Nachteile eine andere Methode für vorzugswürdig erachtet, so kann ihm dies nicht vorgeworfen werden. 60 Bei Außenseiter- oder Neulandmethoden muss er sich jedoch besonders gewissenhaft verhalten. Zwar sind diese nicht per se als nicht standardgemäß einzustufen. Ihre Anwendung ist jedoch dann sorgfaltspflichtwidrig, wenn das „Lernen zu Lasten des Patienten“ geht. Der Patient ist also besonders sorgfältig aufzuklären. 61 Zudem sind die medizinischen Standards der Alternativmethode einzuhalten. 62 60 BGHZ 102, 17; BGH, NJW 1992, 754. 61 BGHZ 168, 103; OLG Hamm, MedR 2017, 812 mit Anm. Gödicke, MedR 2017, 770. 62 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 309: Die besondere Sorgfalt ist ein unausweichliches Korrelat zur Therapiefreiheit; siehe auch Vogeler, MedR 2008, 697 (704); OLG Köln, VersR 1990, 856. <?page no="334"?> 334 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht D. Kausalität und Zurechnung Voraussetzung für einen Schadenersatz- oder Schmerzensgeldanspruch des Patienten ist weiterhin, dass die Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes ursächlich für den eingetretenen Schaden ist. Die Äquivalenztheorie weitet die Kausalität unangemessen weit aus. Denn danach sind alle Umstände kausal, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Im Zivilrecht wird daher die Adäquanztheorie angewendet. Kausal ist danach jede Handlung, die objektiv und unter gewöhnlichen Umständen geeignet ist, den Erfolg herbeizuführen. Bei ganz außergewöhnlichen Verläufen ist das Handeln des Arztes mithin nicht als ursächlich für die Schädigung des Patienten anzusehen. 63 Beispiel Patient P sucht wiederholt den Arzt A auf und klagt über unbestimmte Beschwerden. Trotz umfassender Untersuchungen sind keine gesundheitlichen Störungen nachweisbar. P ist also objektiv gesund. Als A ihm dies mitteilt und ihn auffordert, ihn in Zukunft nicht weiter zu belästigen, regt sich dieser so stark auf, dass er eine Hirnblutung erleidet. 64 Zwar wäre die Hirnblutung ohne die abwertende Äußerung des A nie eingetreten. Sie ist also conditio sine qua non. Allerdings steht es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass infolge einer harmlosen verbalen Auseinandersetzung eine derart schwere Schädigung auftritt. Nach der Adäquanztheorie ist daher keine Kausalität gegeben. Im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität ist ein Zusammenhang zwischen der Verletzungshandlung des Arztes und dem Schaden an Körper und Gesundheit des Patienten zu prüfen. Dieser Zusammenhang ist gegeben, wenn der Schaden bei einer ordnungsgemäßen und sorgfältigen Behandlung nicht eingetreten wäre. Bei Aufklärungsfehlern liegt er vor, wenn der Patient bei richtiger Aufklärung seine Einwilligung in die Behandlung nicht erteilt hätte. Kommt es zum Prozess, ist die haftungsbegründende Kausalität positiv nachzuweisen. Das 63 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 185 ff. 64 Nach BGH, NJW 1976, 1143. <?page no="335"?> D. Kausalität und Zurechnung 335 Gericht muss also vom Vorliegen dieser Voraussetzung überzeugt werden, vgl. § 286 ZPO. 65 Die haftungsausfüllende Kausalität ist demgegenüber lediglich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, vgl. § 287 ZPO. 66 Sie bezeichnet den Zusammenhang zwischen dem Primär- und dem Sekundärschaden, also beispielsweise die Verursachung weiterer Gesundheitsschäden, seelischer Reaktionen wie Schocks 67 oder Vermögenseinbußen, beispielsweise weil der Patient infolge eines Körperschadens nicht erwerbsfähig ist und ihm daher Arbeitseinkommen entgeht. Das Fehlverhalten des Arztes muss jedoch nicht die einzige Ursache für den eingetretenen Schaden sein. Vom Zurechnungszusammenhang sind alle Umstände erfasst, die für den Schaden zumindest mitursächlich sind. 68 So gehen Vorschäden des Patienten zu Lasten des Schädigers. Der Arzt haftet daher auch dann in vollem Umfang, wenn seine Handlung nur im Zusammenwirken mit einer Vorerkrankung des Patienten einen Schaden auslösen konnte. 69 Beispiel Patient P ist Bluter. Bei einer Operation verletzt der Arzt A aus Unachtsamkeit ein Blutgefäß. Die daraufhin eintretende Blutung lässt sich unter großem Aufwand stillen. A muss in vollem Umfang für die Schädigung des P aufkommen. Er ist nicht etwa so zu behandeln, als hätte er einen gesunden Menschen verletzt. 70 Der Zurechnungszusammenhang wird auch nicht durch das Hinzutreten einer dritten Person unterbrochen, die sich ihrerseits fehlerhaft verhält. 65 BGH, NJW 2014, 1527; vgl. auch Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, G 116 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 66 BGH, NJW 2008, 1381. 67 Zum Schockschaden wegen fehlerhafter Behandlung BGHZ 222, 125 m. Anm. Hütter-Brungs, MedR 2021, 708. 68 St. Rspr., vgl. BGH, NJW-RR 2005, 897. 69 BGHZ 132, 341; Burmann/ Heß in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, Kap. 7, Rn. 10; Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B., Rn. 190 mit weiteren Beispielen. 70 Vgl. OLG Koblenz, VersR 1987, 1225. <?page no="336"?> 336 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Beispiel Patient P leidet nach einem Sturz an starken Schmerzen im Handgelenk. Arzt A erkennt bei der Untersuchung nicht, dass das Gelenk angebrochen ist. Eine Röntgenaufnahme fertigt er nicht an. Als sich P nach einem neuerlichen Sturz an den Arzt B wendet, erkennt dieser den alten Bruch und entschließt sich zur Operation. Dabei unterläuft ihm ein Fehler, infolge dessen das Handgelenk des P dauerhaft steif ist. Der letztlich eingetretene Schaden wird auch dem Erstverursacher zugerechnet. Etwas anderes gilt nur, wenn der die Zweitbehandlung durchführende Arzt derart gegen alle ärztlichen Regeln verstößt, dass der eingetretene Schaden wertungsmäßig allein ihm zuzuordnen ist. 71 Bei Aufklärungsfehlern ist der Zurechnungszusammenhang stets gegeben, wenn sich das aufklärungspflichtige Risiko verwirklicht. Dies gilt selbst wenn dabei weitere schwere Folgen eintreten, die so ungewöhnlich sind, dass der Patient hierüber nicht aufzuklären war. Fehler in der „Grundaufklärung“ wirken sich also auf die Folgeschäden aus. Denn der Patient kann sich kein adäquates Bild über die Tragweite und Schwere der angedachten Behandlung machen, wenn er nicht auf mögliche schwere Risiken des Eingriffs hingewiesen worden ist. 72 71 BGH, VersR 1968, 773; BGH, NJW 1986, 2367 mit Anm. Deutsch. 72 BGH, NJW 1996, 777; BGH, NJW 2001, 2798. <?page no="337"?> E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 337 E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus I. Haftungstatbestände und Haftungsschuldner Im Krankenhaus gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie bei der Haftung des einzelnen Arztes. Neben den Behandlungs- und Aufklärungsfehlern besteht jedoch ein weiterer Haftungstatbestand: der Organisationsfehler. Der Krankenhausträger ist verpflichtet, den Klinikbetrieb so zu organisieren, dass jede Gefährdung oder Schädigung des Patienten ausgeschlossen ist. Verstößt er dagegen, muss er für den daraus resultierenden Schaden aufkommen. Zusätzlich ist der Chefarzt als leitender Stationsarzt für einen reibungslosen Ablauf der Vorgänge auf der ihm zugewiesenen Station zuständig. Er haftet jedoch nur für die Fehler des ihm untergeordneten Personals, wenn er dieses selbst fehlerhaft angewiesen hat. 73 Der Krankenhauspatient kann seine Ansprüche also regelmäßig gegen mehrere Schuldner richten. Diese haften teils aus eigenem, teils für fremdes Verschulden. Namentlich ist der Träger für das Fehlverhalten sämtlicher ärztlicher wie nichtärztlicher Mitarbeiter als Erfüllungsbzw. Verrichtungsgehilfen verantwortlich. Vertragliche und deliktische Ansprüche bestehen parallel; jedoch ist genau zu differenzieren, mit wem ein Vertrag geschlossen worden ist. Beim „klassischen“ totalen Krankenhausaufnahmevertrag ist nur der Träger Vertragspartner des Patienten. 74 Danach ergeben sich in der Regel folgende Ansprüche: Q Eigenhaftung des behandelnden Arztes für Aufklärungs- oder Behandlungsfehler, § 823 BGB, Q Haftung des Chefarztes für mangelhafte Auswahl und Überwachung der ihm nachgeordneten Ärzte, § 831 BGB, Q Eigenhaftung des Krankenhausträgers für Organisationsverschulden, § 280 I BGB oder § 823 BGB, Q Haftung des Krankenhausträgers für Aufklärungs- oder Behandlungsfehler der angestellten Ärzte, §§ 280 I, 278 BGB oder § 831 BGB. 75 73 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, B 134. 74 Dazu ausführlich auf S. 226, sowie Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103 ff.; Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A, Rn. 26. 75 Zu den Schwierigkeiten der Bestimmung der Passivlegitimation bei ambulanter Behandlung im Krankenhaus Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 47, Rn. 25 ff. <?page no="338"?> 338 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht II. Sorgfaltsmaßstab Ob ein Behandlungsfehler vorliegt, richtet sich auch in stationären Einrichtungen nach dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung, also danach, was in Fachkreisen als sichere und richtige Methode anerkannt ist. Ähnlich dem Facharztstandard gilt in der Krankenhaushaftung der Gruppenstandard. Ein Fehlverhalten wird demzufolge daran gemessen, wie die Abläufe in einem in Aufgaben, Versorgungsauftrag, Fachrichtungen, Größe und Ausstattung entsprechenden Krankenhaus organisiert gewesen wären. 76 In einem Klinikum der Maximalversorgung gelten damit unter Umständen höhere Sorgfaltsanforderungen als in einer ländlichen Klinik der Grundversorgung. Weder personelle noch sachliche Engpässe können die Haftung für Organisationsfehler ausschließen. Auch in Eil- oder Notfällen muss der Träger ausreichend qualifiziertes Personal in gebotener Zahl bereithalten. 77 Dieses Gebot ist Grundlage für die ordnungsgemäße Patientenversorgung und daher unverzichtbar. Eine unzureichende finanzielle Ausstattung rechtfertigt ebenfalls nicht die Unterbesetzung oder mangelhafte Ausstattung eines Krankenhauses. Eine Ausnahme gilt nur für Leistungsbeschränkungen, die unmittelbar im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gründen. Das Leistungsrecht des SGB V und die aus dem Zivilrecht resultierenden Schadenersatzansprüche sind insoweit deckungsgleich. Dies belegt nicht zuletzt § 76 IV SGB V, wonach die Leistungserbringer mit der Übernahme einer Behandlung zur Einhaltung der bürgerlich-rechtlichen Sorgfaltsmaßstäbe verpflichtet sind. 78 Das Krankenhaus muss seine gesetzlich versicherten Patienten daher mit den von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellten Mitteln ausreichend versorgen. 79 Die Vergütung der Krankenhausleistungen über DRG 80 stellt keine so erhebliche Rationalisierung dar, dass ein Krankenhaus beispielsweise zur Entlassung eines nicht genesenen Patienten gezwungen würde. Denn durch Zuschläge auf die Fallpauschalen nach § 17b KHG, §§ 5, 9 KHEntgG ist ein besonderer Versorgungsaufwand für einzelne Patienten beherrschbar. 81 76 Müller in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1464. 77 BGHZ 85, 353 (Parallelnarkose), BGH, NJW 1986, 776 (Operation im unmittelbaren Anschluss an einen Nachtdienst mit vielen Zwischenfällen). 78 Gassner/ Strömer, MedR 2012, 159 (161 ff.); vgl. auch Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 130; eingehend Laufs/ Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 100, Rn. 17 ff. 79 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 288 f.; Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (371). 80 Dazu ausführlich auf S. 236 f. 81 a. A. Gassner/ Strömer, MedR 2012, 159 (168), denen zufolge die DRG dazu führen, dass die Krankenhausbehandlung nicht in jedem Fall auskömmlich vergütet werde. <?page no="339"?> E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 339 III. Organisationsverschulden des Krankenhausträgers Der Krankenhausträger ist verpflichtet, die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Leistungen unter Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt an den Patienten zu leisten. Dieser Verpflichtung kommt er in erster Linie durch eine ordnungsgemäße Organisation des Klinikbetriebs nach. 1. Anforderungen an die Organisation Innerhalb der Säulen und Hierarchieebenen 82 müssen Aufgaben und Verantwortung eindeutig zugewiesen sein. Dies geschieht durch die Erstellung von Einsatzplänen, wobei auch für die Sicherstellung von Wochenend-, Nacht- oder Feiertagsdiensten Sorge zu tragen ist. Die Pläne müssen so ausgestaltet sein, dass jederzeit auf jeder Station ein hinreichend qualifizierter Arzt verfügbar ist, der dem nachgeordneten Personal Anweisungen erteilen und deren Ausführung überwachen kann. Für jeden Verantwortlichen muss ein Stellvertreter benannt werden. Der Träger hat bei der Personalplanung daher die Urlaubsansprüche oder mögliche Erkrankungen seiner Angestellten zu berücksichtigen und kann sich keineswegs darauf verlassen, dass sämtliche Mitarbeiter während des Jahres stets zur Verfügung stehen. Auch die Aufgaben innerhalb der einzelnen Stationen sind klar zu definieren. So muss beispielsweise feststehen, wie bei Einlieferung von Unfallopfern oder bei der akuten Verschlechterung des Gesundheitszustands eines auf der Station befindlichen Patienten zu verfahren ist. Das ärztliche wie nichtärztliche Personal muss sorgfältig ausgewählt werden. Der Träger muss zudem geeignete Kontrollmechanismen etablieren, um die Arbeitsabläufe und die Zuverlässigkeit der Mitarbeiter zu überwachen. Auch die sachliche und apparative Ausstattung des Krankenhauses müssen ausreichend sein. Es müssen jederzeit genügend funktionsfähige Geräte, Spritzen und Verbandmittel, aber auch Infusionen und Blutkonserven vorhanden sein. Der im Einzelfall erforderliche Umfang richtet sich nach Größe, Art und Versorgungsauftrag der Einrichtung, wie sie sich aus der Bedarfsplanung ergibt. Entstehen durch eine fehlerhafte Organisation Kapazitätsmängel, etwa weil das vorhandene Personal nicht optimal auf die einzelnen Stationen verteilt worden ist oder weil notwendige Arzneimittel oder Verbrauchsgüter nicht rechtzeitig beschafft worden sind, haftet der Krankenhausträger für alle dadurch entstandenen Schäden des Patienten. Die ordnungsgemäße Organisation des Klinikbetriebs erfordert darüber hinaus die Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten. Damit soll sichergestellt werden, dass 82 Dazu ausführlich auf S. 218. <?page no="340"?> 340 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht der Aufenthalt auf dem Klinikgelände für die Patienten und deren Besucher jederzeit gefahrlos möglich ist. Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Sicherstellung ausreichender hygienischer Bedingungen dar. Nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene ziehen sich jährlich ca. 900.000 Patienten bei der Behandlung in stationären Einrichtungen Infektionen durch Keime zu, die teilweise sogar zum Tod führen. 83 Der Klinikträger ist daher verpflichtet, ausreichend und flächendeckend Desinfektionsmittel bereit zu stellen. Zudem muss er das Personal anweisen und überwachen, regelmäßig Hände, Arbeitsgeräte und Arbeitsflächen zu desinfizieren. Arzneimittel müssen sicher aufbewahrt und gekennzeichnet werden, um Missbrauch oder Verwechslungen auszuschließen. Ferner müssen mögliche Quellen einer Selbstgefährdung der Patienten beherrscht werden. Dies bedeutet, dass beispielsweise Kinderbetten vorhanden sind oder dass suizidgefährdete Psychiatriepatienten in Zimmern mit vergitterten Fenstern untergebracht werden. 84 Unfallverhütungsvorschriften, Brandschutznormen und sonstige Gefahrverhütungsvorschriften müssen eingehalten werden. 85 Beispiel Da in der Ferienzeit einige angestellte Ärzte im Urlaub sind, setzt der Krankenhausträger T den Anästhesisten A als Narkosearzt für drei parallel stattfindende Operationen ein. Die ihm zugewiesene Assistenzärztin B meldete sich krank. Ein Stellvertreter stand nicht zur Verfügung, so dass A die Anästhesien allein durchführte und überwachte. Als während einer der drei Operationen eine Komplikation in der Narkose auftritt, konnte A den Patienten P wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht rechtzeitig versorgen. P wurde nicht mehr hinreichend beatmet und erlitt infolge dessen schwere Hirnschäden. 86 A haftet aus § 823 I BGB wegen Übernahmeverschuldens. Als Narkosearzt ist er neben der Narkotisierung zuständig für die Überwachung, Aufrechterhaltung und Wiederbelebung der vitalen Funktionen des Patienten. Eine Überforderung bei drei Patienten, so dass Gefahrensituationen möglicherweise parallel auftreten, ist evident. Als gewissenhafter und verständiger 83 Abrufbar unter www.dgkh.de/ informationen/ presseinformationen/ . 84 OLG Köln, VersR 1999, 624; vgl. Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 158 mit weiteren Beispielen. 85 Ausführlich Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A., Rn. 56; Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 119; Alberts/ Michalcik in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB Anhang 3, Rn. 36 ff. 86 Nach BGHZ 85, 393; zur Zulässigkeit von Parallelnarkosen Uhlenbruck, NJW 1972, 2201 sowie BGH, NJW 1974, 1424. <?page no="341"?> E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 341 Arzt hätte er also die Durchführung der Parallelanästhesie auch auf die Gefahr hin verweigern müssen, dass der gesamte Operationsplan nicht eingehalten werden kann. Die Gesundheit des Patienten geht den planungsgemäßen Abläufen vor. 87 Zusätzlich haftet T aus § 280 I BGB und aus § 823 I BGB wegen Organisationsverschuldens, weil er nicht sichergestellt hat, dass ausreichend Narkoseärzte anwesend sind, die alle Patienten adäquat betreuen können. Gleichzeitig haftet er gemäß §§ 280 I, 278 BGB für das Verschulden des A als Erfüllungsgehilfe, sowie aus § 831 BGB für die mangelhafte Auswahl und Überwachung seines Verrichtungsgehilfen A. 2. Arbeitsteilung und Haftung Die Zuordnung von Haftungsrisiken muss die geteilten Verantwortlichkeiten in den Arbeitsabläufen der Klinik widerspiegeln. Daher ist stets zu prüfen, inwieweit sich beispielsweise die Weisungsgebundenheit nachgeordneten Personals auf dessen Haftung im Schadensfall auswirkt. Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen eines Krankenhauses bzw. zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtungen wird unter dem Begriff der horizontalen Arbeitsteilung erfasst. Generell ist jede Abteilung für die ihr zugeordneten Aufgaben selbst verantwortlich. Ein Chefarzt der einen Abteilung hat daher keine Weisungsbefugnisse gegenüber Ärzten oder nichtärztlichem Personal anderer Stationen. Im Gegenzug darf aber jeder Arzt darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter anderer Fachrichtungen ihre Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllen und die Patienten entsprechend dem medizinischen Standard behandeln. Nur bei offensichtlichen Fehlleistungen oder evidenten qualitativen Mängeln ist ein Einschreiten geboten. Bei Bedenken an der Richtigkeit der vorgenommenen Handlungen muss der Kollege zumindest nachfragen. 88 Ungeachtet des Vertrauensgrundsatzes sind alle an der Behandlung eines Patienten beteiligten Ärzte verpflichtet, die von ihnen veranlassten Behandlungsmaßnahmen aufeinander abzustimmen, um Risiken für die Gesundheit des Patienten zu vermeiden. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht in ausreichendem Umfang nach, haften alle Beteiligten wegen Koordinationsmangels 89 als Gesamtschuldner nach § 421 BGB. 87 BGHZ 85, 393; dazu auch Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 161. 88 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 153 f.; Mennemeyer in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1888; Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 253 f. mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 89 Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B., Rn. 115 ff. mit zahlreichen Beispielen. <?page no="342"?> 342 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht Beispiel Patient P sollte wegen Schielens am Auge operiert werden. Der Anästhesist A entschied sich für eine Narkotisierung durch Zufuhr reinen Sauerstoffs in hoher Konzentration. Zum Stillen der bei der Operation auftretenden gewöhnlichen Blutungen setzte der Chirurg C einen Thermokauter ein, bei dem verletzte Gefäße durch Erhitzung verschlossen werden. Dabei kam es wegen der Sauerstoffzufuhr im Rahmen der Narkose zu einer plötzlichen Flammenentwicklung. P erlitt infolge dessen schwere Verbrennungen im Gesicht. A und C hätten sich vor der Operation über die Wahl ihrer Vorgehensweise abstimmen müssen. Die offensichtliche Brandgefahr durch das Zusammentreffen von Hitze und Sauerstoff hätte durch den Einsatz kompatibler Methoden ausgeschlossen werden müssen. 90 Innerhalb desselben Fachgebiets gilt die vertikale Arbeitsteilung. Der Vertrauensgrundsatz kommt nur den in der Hierarchie untergeordneten Ärzten zugute. Sie dürfen darauf vertrauen, dass die Anordnungen weisungsbefugter Ärzte zutreffend sind und dürfen diese befolgen, ohne deren Richtigkeit zu hinterfragen. Eine Ausnahme besteht lediglich bei offensichtlich falschen Anordnungen oder solchen, bei denen sich einem verständigen Arzt Zweifel aufdrängen müssen. Für die leitenden Ärzte kommt die Wertung des § 831 BGB zum Tragen: sie sind gehalten, alle Gefahren vom Patienten abzuwehren, die durch das Handeln des ihnen untergeordneten Personals entstehen können. 91 Innerhalb der Hierarchie dürfen ärztliche Aufgaben im Einzelfall auch an nichtärztliches Personal - Pflegehilfs- und Pflegefachkräfte - delegiert werden. Dies setzt jedoch voraus, dass die in Rede stehende Tätigkeit angesichts ihres Schwierigkeitsgrades, der Unvorhersehbarkeit ihres Ausgangs und der damit verbundenen Gefahren für den Patienten nicht zwingend vom Arzt selbst zu erbringen sind. 92 Pflegepersonal darf daher beispielsweise Blutabnahmen oder Blutdruckmessungen durchführen, nicht aber Operationen, selbst wenn sie vom Dienst habenden Arzt entsprechende Anweisungen erhalten. Vor der Übertragung einfacher Hilfstätigkeiten an das nichtärztliche Personal muss sich der Arzt von dessen Kompetenz und Erfahrung überzeugen. 90 BGHZ 140, 309. 91 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 119. 92 Bergmann/ Wever, Die Arzthaftung, S. 51; Kern/ Rehborn in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 99, Rn. 17 ff. <?page no="343"?> E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 343 3. Behandlung durch Ärzte in Ausbildung Die Dienstpläne sind so auszugestalten, dass die angestellten Ärzte in die Lage versetzt werden, ihre Patienten unter Einhaltung des für sie geltenden Facharztstandards zu versorgen. Dies hat nicht zur Folge, dass nur Ärzte mit abgeschlossener Facharztausbildung zur Behandlung herangezogen werden können. Auch Assistenzärzte dürfen Patienten versorgen, auch in der Anfängeroperation. Denn die Aus- und Weiterbildung wäre ohne die selbständige Arbeit am Patienten schlechterdings nicht möglich. Für die Assistenzärzte gilt ebenfalls der Facharztstandard, wobei jedoch darauf abzustellen ist, ob sie die Behandlung theoretisch und praktisch so beherrschen, wie es von einem Facharzt dieses Fachs erwartet wird. Verfügt ein in Ausbildung befindlicher Arzt noch nicht über diese Kenntnisse, ist er durch einen Facharzt zu begleiten. Mindestens aber muss ein Aufsicht führender Chefarzt oder Oberarzt ständig erreichbar und eingriffsbereit sein. Ist das nicht der Fall, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass mögliche Schäden bei Patienten auf der mangelnden Qualifikation des handelnden Arztes beruhen, § 630h IV BGB. 93 Beispiel Oberarzt O ist nach dem Dienstplan für eine Operation eingeteilt. Er weist den Assistenzarzt A an, den seiner Meinung nach einfachen Eingriff durchzuführen, da er-- womit der Klinikträger T einverstanden ist-- noch einige bürokratische Aufgaben zu erledigen hat. Bei der Operation unterläuft A, der mit den notwendigen Arbeitsschritten nicht vertraut ist, ein Fehler, in dessen Folge der Patient P an schweren gesundheitlichen Schäden leidet. A ist P wegen Übernahmeverschuldens aus § 823 BGB zu Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtet. Er hätte die ihn überfordernde Operation nicht allein durchführen dürfen. O haftet aus § 823 BGB, weil er die Operation an den unerfahrenen A übertragen hat, ohne diesen zu überwachen. T schuldet Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen Organisationsverschuldens nach § 280 I BGB bzw. § 823 I BGB. Er hat nicht sichergestellt, dass ein Arzt ohne abgeschlossene Facharztausbildung bei der Behandlung von Patienten begleitet und beaufsichtigt wird. Darüber hinaus hat er für das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen A aus §§ 280 I, 278 BGB sowie für die mangelhafte Auswahl und Überwachung beider Ärzte § 831 BGB einzustehen. 93 BGH, NJW 1992, 1560 mit Anmerkung Weißauer/ Opderbecke, MedR 1993, 447; Gaidzik/ Weimer in Huster/ Kaltenborn, § 15, Rn. 33. <?page no="344"?> 344 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht IV. Aufklärungsfehler Im Krankenhaus ist jeder Arzt für die Aufklärung über die von ihm durchgeführten Eingriffe selbst zuständig. Soweit also mehrere Ärzte an der Behandlung beteiligt sind und sich die Behandlung in selbständige Schritte unterteilen lässt, muss für jeden Schritt eine gesonderte Aufklärung stattfinden und eine gesonderte Einwilligung des Patienten eingeholt werden. Fehler in der Aufklärung über einen Teileingriff tangieren die Wirksamkeit der Aufklärung über den anderen Teileingriff nicht. 94 Insoweit gilt wiederum der Vertrauensgrundsatz: jeder Arzt darf darauf vertrauen, dass der Arzt des anderen Fachgebietes für dieses ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Ausnahmen bestehen nur, wenn sich aus den Umständen Hinweise auf Aufklärungsfehler ergeben. Beispiel Vor einer Operation muss der Anästhesist den Patienten über die geplanten Narkosemaßnahmen aufklären. Der Chirurg hat die Aufklärung über den eigentlichen Eingriff durchzuführen. Unterlässt der Chirurg dies, haftet nur er, nicht aber der Anästhesist für den Aufklärungsfehler. Zur Vereinfachung der Arbeitsabläufe ist die Delegation der Patientenaufklärung zulässig. Die Übertragung darf nur an ausgebildete Ärzte, nicht aber an Ärzte in Ausbildung oder Pflegekräfte erfolgen. 95 Der verantwortliche Arzt muss zudem sorgfältig prüfen, ob der Arzt, an den er die Aufklärung abgeben will, über die notwendige Sachkunde verfügt. Er ist ferner gehalten, den Delegatar zu instruieren und über alle für die Aufklärung wesentlichen Umstände zu informieren. Zudem muss er die Durchführung der Aufklärung in vollem Umfang überwachen, was beispielsweise durch ein kurzes Patientengespräch oder die Prüfung der Patientenakte geschehen kann. Nur wenn er diesen Anforderungen genügt, kann er sich im Falle von Aufklärungsmängeln von der Haftung nach § 831 BGB exkulpieren. 96 Der aufklärende Arzt selbst haftet aus § 823 BGB, denn durch die Übernahme der Aufklärung ist er als Garant verpflichtet, alle Gesundheitsgefahren vom Patienten abzuwehren. Er trägt also Mitverantwortung für dessen wirksame Einwilligung in die Operation. 97 94 Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, A 1754a. 95 OLG Dresden, GesR 2003, 157. 96 BGHZ 169, 364; siehe auch Laufs/ Kern in Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 99, Rn. 12. 97 BGH, NJW 1980, 1905. <?page no="345"?> E. Besonderheiten bei der medizinischen Behandlung im Krankenhaus 345 Neben den behandelnden Ärzten hat der Krankenhausträger für Aufklärungsmängel einzustehen. Namentlich ist er verpflichtet, die ordnungsgemäße Durchführung und Dokumentation der Aufklärung zu gewährleisten. Überlässt er der Ärzteschaft beispielsweise, die Aufklärung nach Belieben durchzuführen oder lässt er die reine Formularaufklärung zu, haftet er unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens aus § 280 I BGB bzw. § 823 BGB. Darüber hinaus haftet er für das Verschulden der Ärzte aus §§ 280 I, 278 BGB sowie aus § 831 BGB. <?page no="346"?> 346 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht F. Beweislastverteilung Kommt es zu einem Prozess, ist jede Partei verpflichtet, die für sie günstigen Umstände darzulegen und zu beweisen. Der Kläger muss also alle Tatsachen vortragen, die die Anspruchsvoraussetzungen stützen. Der Beklagte kann dagegen Tatsachen vorbringen, die den Anspruch entfallen lassen, beispielsweise Einreden und Einwendungen. Dieser Grundsatz wird der besonderen Situation in der Arzthaftung jedoch nicht gerecht. Aufgrund seiner fachlichen Qualifikation hat der Arzt gegenüber dem Patienten einen erheblichen Wissensvorsprung. Nach der herkömmlichen Beweislastverteilung würde dem Patienten folglich die Durchsetzung seiner Rechte erschwert. Eine völlige Umkehr der Beweislast würde dagegen den Arzt über Gebühr belasten, hätte sie doch faktisch eine Einstandspflicht für den Erfolg seiner Behandlung zur Folge. 98 Um Chancengleichheit herzustellen und das Wissensgefälle auszugleichen, hält das Arzthaftungsrecht einige Beweiserleichterungen bereit. Die Patienten können ihre Ansprüche daher leichter durchsetzen als dies bei anderen Schuldverhältnissen der Fall ist. I. Substantiierungspflichten des Patienten Grundsätzlich muss der Kläger alle Tatsachen, die seinen Anspruch begründen, substantiiert vortragen. Seine Behauptungen müssen also vollständig, schlüssig und nachvollziehbar, d. h. „substanziell“ sein. Nicht substantiierte Behauptungen stellen einen sogenannten Ausforschungsantrag dar, der unzulässig ist. Für den geschädigten Patienten gilt dies nur eingeschränkt. So ist er nicht gezwungen, medizinische Details darzulegen oder diese gar durch vorprozessual eingeholte Sachverständigengutachten zu belegen. 99 Er hat lediglich vorzutragen, dass sein Schaden angesichts des typischen Verlaufs der bei ihm durchgeführten Behandlung auf eine Abweichung vom medizinischen Standard zurückzuführen ist. Seine Beweispflicht erstreckt sich mithin auf den objektiven Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten und die haftungsbegründende Kausalität. Das Gericht ist verstärkt verpflichtet, von Amts wegen auf die Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten hinzuwirken. 100 98 Dazu grundlegend BVerfGE 52, 131 sowie Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 368; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 378 ff.; Schärtl, NJW 2014, 3601 ff. 99 OLG Köln, VersR 1987, 791. 100 Quaas/ Zuck/ Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 108; Kern in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 106, Rn. 9; Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, E., Rn. 2; Zoll, MedR 2009, 569. <?page no="347"?> 347 Zudem sollen die Krankenkassen gemäß § 66 SGB V gesetzlich versicherte Patienten bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern unterstützen. Den Krankenkassen ist lediglich ein Auswahlermessen eingeräumt. Die Unterstützung bezieht sich auf die Beweiserleichterung und die Erteilung von Auskünften, kann also beispielsweise die Begutachtung des geschädigten Versicherten durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen zum Gegenstand haben, um einen Arzthaftungsprozess vorzubereiten. 101 II. Beweiserleichterung im Arzthaftpflichtprozess 1. Vermutung des Verschuldens Im Rahmen der vertraglichen Haftung wegen Pflichtverletzungen wird das nach § 280 I 2 BGB erforderliche Verschulden grundsätzlich vermutet. Es obliegt also dem Schuldner, sich vom Vorwurf vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens zu entlasten. 102 Wegen der Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus ist die Anwendung der Verschuldensvermutung im Arzthaftungsrecht in der Rechtsprechung abgelehnt worden. Dass infolge medizinischer Eingriffe Schäden auftreten, sei zuweilen dem Schicksal geschuldet. Der Arzt könne nicht alle Risiken beherrschen und für den Erfolg seines Handelns einstehen. § 280 I 2 BGB sei daher teleologisch zu reduzieren und nicht auf Aufklärungs- und Behandlungsfehler anzuwenden. 103 Dies überzeugt jedoch nicht. Denn die Vermutung des Verschuldens führt keinesfalls zu einer Garantiehaftung des Arztes in dem Sinne, dass er zwingend für den Erfolg seiner Behandlung einstehen müsse. Vielmehr knüpft die Verschuldensvermutung an eine bereits erwiesene Pflichtverletzung an. Diese liegt nicht bereits im Misserfolg der Behandlung, sondern im Außerachtlassen der lex artis. Der Arzt kann sich ohne weiteres vom Verschuldensvorwurf entlasten. Er kann zum einen Befunde nachweisen, die im konkreten Fall ein Abweichen vom anerkannten medizinischen Standard gestattet haben oder dass ein solcher Standard nicht besteht bzw. für ihn nicht erkennbar war. 104 101 Katzenmeier, SGb 2012, 125 (128 f.); Lang in Becker/ Kingreen, § 66 SGB V, Rn. 4; Nebendahl in Spickhoff, Medizinrecht, § 66 SGB V, Rn. 5. 102 Ernst in MüKo, BGB, § 280, Rn. 34. 103 St. Rspr., vgl. statt vieler BGH, NJW 1991, 1540; BGH, NJW 1999, 860; OLG Jena, GuP 2011, 36 (36); vgl. auch die Übersicht bei Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B, Rn. 214. 104 Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 378 ff.; im Ergebnis so auch Spickhoff, NJW 2002, 2530 (2537); Katzenmeier, Arzthaftung, S. 488 ff. <?page no="348"?> 348 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 2. Voll beherrschbare Risiken Grundsätzlich muss der Patient als Kläger beweisen, dass ein bestimmtes Fehlverhalten kausal für seinen erlittenen Schaden war. Dieser Nachweis ist in der Regel schwer zu führen, lässt sich doch nur selten eine bestimmte Ursache ausmachen. Zudem sind auch bei größter Sorgfalt nicht alle Gesundheitsschädigungen vermeidbar. 105 Der Gesetzgeber gesteht dem Patienten daher eine Beweiserleichterung bei den sogenannten voll beherrschbaren Risiken zu. Entstammt die Schädigung des Patienten einer Gefahrenquelle, die vom Arzt durch gute Organisation in vollem Umfang vermeidbar ist, wird gemäß § 630h I BGB das Vorliegen eines Behandlungsfehlers vermutet. Es obliegt aber weiterhin dem Patienten, die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden darzulegen und zu beweisen. Als beherrschbar gelten namentlich Risiken, die aus der arbeitsteiligen Organisation der medizinischen Versorgung oder der Zuverlässigkeit der technisch-apparativen Ausstattung resultieren. 106 Beispiel Patient P leidet an einer Schwellung der Lymphknoten. Zur Klärung des Befundes sollte in einer Operation in der Klinik des Trägers T einer der Lymphknoten entnommen werden. Der zuständige Oberarzt O übertrug die Operation dem Assistenzarzt A. Dieser hatte bislang keinerlei Erfahrung mit derartigen Eingriffen. A führte die Operation unbeaufsichtigt durch und verletzte dabei einen Nerv des P. Zwar war P vor der Operation nicht darüber aufzuklären, dass er von einem Berufsanfänger operiert werden sollte. Denn die Risiken, die von einer Anfängerbehandlung ausgehen, sind durch gute Organisation voll beherrschbar, etwa indem der Operateur ständig von einem erfahrenen Arzt begleitet, überwacht und gegebenenfalls korrigiert wird. Im Prozess kann daher eine Pflichtverletzung vermutet werden. T und O können den Gegenbeweis antreten, dass A hinreichend überwacht worden ist. 107 105 Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 4, Rn. 126; Müller in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1498. 106 St. Rspr., BGH, NJW 1978, 584; NJW 1978, 1681; NJW 1991, 1541; NJW 1995, 1618; BGH, VersR 2007, 1416. 107 BGHZ 88, 248. <?page no="349"?> F. Beweislastverteilung 349 Der Patient ist also nicht von jedweder Nachweispflicht befreit. Er hat darzulegen und zu beweisen, dass ein Fehlverhalten vorliegt und bei ihm ein Schaden eingetreten ist 108 . Lediglich der ursächliche Zusammenhang zwischen beiden wird vermutet. Der Arzt bzw. das Krankenhaus müssen daher nachweisen, dass sie den Patienten sachgemäß behandelt haben, ohne ihn zu gefährden. Dazu zählen unter anderem der Nachweis der richtigen Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch, 109 des ordnungsgemäßen Zustands eines Beatmungstubus, 110 der Vollständigkeit aller Operationsinstrumente (z. B. Tupfer) nach Abschluss der Operation 111 oder der Einhaltung aller Hygienevorschriften für Geräte und Personal. 112 Als nicht beherrschbar gilt dagegen beispielsweise die Gefahr, dass bei bettlägerigen Patienten Druckgeschwüre auftreten. Druckgeschwüre werden durch eine unsachgemäße Lagerung und mangelnde Bewegung des Patienten ausgelöst. Wegen der Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus könne hier aber nur das Bemü hen um eine Vermeidung des Dekubitus, nicht aber ein Erfolg geschuldet sein. 113 3. Grobe Behandlungsfehler Beruht der Schaden des Patienten auf einem Fehlverhalten, welches aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler schlechterdings nicht unterlaufen darf, kommt dem Patienten nach § 630h V BGB eine Umkehr der Beweislast zugute. Voraussetzung ist jedoch zum einen, dass sich dieses Fehlverhalten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zwischen Patient und Behandelnden und nicht lediglich in Notfällen ereignet, z. B. bei der Rettung eines Bewusstlosen durch einen zufällig vorbeikommenden Arzt. Denn die Beweislastumkehr würde den Arzt im Vergleich zum hilfeleistenden Laien übermäßig benachteiligen. 114 Zum anderen muss ein eindeutiger Verstoß des Arztes gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse oder bewährte ärztliche Behandlungsregeln vorliegen. 115 Ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, ist ausschließlich unter rechtlichen Gesichtspunkten vom entscheidenden Gericht zu bewerten. Grundlage der Einschätzung ist aber stets ein Sachverständigengutachten, welches die medizinische Bewer- 108 OLG Hamm, GesR 2015, 421 zur Beweislast für Hygienemängel im Krankenhaus. 109 BGH, NJW 1984, 1403. 110 BGH, NJW 1975, 2245. 111 BGH, VersR 1981, 462. 112 Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14, Rn. 126 ff. 113 OLG Braunschweig, MedR 2009, 733; vgl. auch BGH, NJW 1988, 762. 114 OLG München, NJW 2006, 1883 (1886); zustimmend Roth, NJW 2006, 2814 (2816). 115 BGH, NJW 1995, 778; NJW 1996, 2428; NJW 1997, 794; NJW 1998, 1782; GesR 2010, 19; NJW 2011, 3442; NJW 2018, 3382. <?page no="350"?> 350 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht tung des Fehlverhaltens deutlich macht. 116 Das Abweichen von dem in den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften wiedergegebenen Standard begründet nicht per se einen groben Behandlungsfehler. Diese Leitlinien sind nur für den „Normalfall“ entworfen, so dass im Einzelfall sogar ein Abweichen vom Standard geboten ist. 117 Ein typisches Beispiel für einen groben Behandlungsfehler ist das Unterlassen einer medizinisch gebotenen Befunderhebung, wenn nicht auszuschließen ist, dass dies eine Gesundheitsbeschädigung, namentlich durch Nichterkennen einschlägiger Therapiemöglichkeiten zur Folge hat. 118 Auch mehrere, im Einzelnen vergleichsweise unbedeutende Fehler können einen groben Behandlungsfehler begründen, wenn sie in ihrer Summe ein nicht mehr tragbares Fehlverhalten darstellen. 119 Ist der Behandlungsfehler als „grob“ zu qualifizieren, wird die haftungsbegründende Kausalität, also dessen Ursächlichkeit für die Gesundheitsbeschädigung des Patienten vermutet. Der Arzt hat die Möglichkeit, sich zu entlasten. Sein Gegenbeweis kann sich jedoch nur auf die objektiven Umstände seines Handelns beziehen. Ob ihm sein Verhalten persönlich vorzuwerfen ist, ist irrelevant. 120 Er muss also beweisen, dass der konkrete Schaden auch eingetreten wäre, wenn er entsprechend der lex artis gehandelt hätte. Diese Beweislastumkehr ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn der Kausalzusammenhang gänzlich unwahrscheinlich ist. Bei einer „fehlenden Schadensneigung“ des Behandlungsfehlers kann sie daher nicht zum Tragen kommen. 121 Der grobe Behandlungsfehler muss mithin seiner Art nach geeignet sein, den eingetretenen Schaden hervorzurufen. Und es muss zumindest als möglich erscheinen, dass er den Schaden mitverursacht hat. Beispiel Patient P sucht mit starken Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen seinen Arzt A auf. Dieser führt eine Untersuchung durch, kann dabei aber keine Auffälligkeiten entdecken. 40 Minuten danach erleidet P einen Schlaganfall. 116 Dazu ausführlich Müller, MedR 2001, 487 sowie Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn. 408; Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (356). 117 Taupitz, AcP 211 (2011) 352 (381). 118 BGH, NJW 2011, 2508 (2508 f.); mit zustimmender Anmerkung Francke, jurisPR-MedizinR 9/ 2011, Anm. 5; kritisch Hausch, MedR 2012, 231 (233 ff.). Unklar BGH, NJW-RR 2010, 833 (834). 119 Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, § 14, Rn. 122. 120 BGH, NJW 1992, 754. 121 St. Rspr., vgl. BGHZ 138, 1; BGHZ 159, 48; Müller in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1533; vgl. auch Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, G 195 mit zahlreichen Beispielen. <?page no="351"?> F. Beweislastverteilung 351 P verlangt von A Schadenersatz und Schmerzensgeld, weil dieser es unterlassen habe, den Schlaganfall zu verhindern. Zwar hat A möglicherweise nicht alle adäquaten Maßnahmen zur optimalen Versorgung des P ergriffen. Da der Schlaganfall aber binnen kurzer Zeit aufgetreten ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein korrektes Verhalten des A diesen verhindert hätte. P kommt daher keine Beweiserleichterung zugute. Er muss nachweisen, dass das Unterlassen des A tatsächlich ursächlich für den Schlaganfall war. 122 Darüber hinaus scheidet die Beweislastumkehr trotz nachweislich grober Behandlungsfehler aus, wenn der Patient beharrlich ärztlichen Rat ignoriert. Ein solches Mitverschulden in erheblichem Umfang kann dazu führen, dass der grobe Fehler allein nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden ist. 123 4. Beweislastverteilung bei Aufklärungsfehlern Macht der Patient Ansprüche geltend, weil er wegen fehlerhafter Aufklärung in seinem Selbstbestimmungsrecht verletzt ist, liegt die Beweislast beim Arzt, § 630h II BGB. Denn die ordnungsgemäße Aufklärung ist Voraussetzung für die wirksame Einwilligung des Patienten in die Behandlung. Ohne diese liegt eine rechtswidrige Körperverletzung vor. Als Rechtfertigungsgrund stellt die Einwilligung daher eine entlastende Tatsache dar, deren Nachweis nach den gewöhnlichen Beweislastregeln stets dem Beklagten obliegt. Der Arzt muss demzufolge sämtliche Tatsachen vortragen und beweisen, aus denen sich die Wirksamkeit der Einwilligung ergibt - deren Umfang, Rechtzeitigkeit usw. Der Patient kann dies jedoch entkräften, indem er beispielsweise nachweist, dass der Aufklärungsbogen nachträglich verändert worden ist oder dass er seine Einwilligung widerrufen hat. Beruft sich der Arzt darauf, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung für den Eingriff entschieden hätte, ist er dafür beweispflichtig, wenn der Patient einen Interessenkonflikt plausibel darlegen kann. An den Vortrag des Patienten dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Er muss daher nicht darlegen, dass er sich tatsächlich gegen die Behandlung entschieden hätte. Anderenfalls würde sein Recht auf Aufklärung unterlaufen. 124 122 OLG Düsseldorf, VersR 1997, 575. 123 OLG Hamm, 2.2.2018, 26 U 72/ 17. 124 BGH, NJW-RR 2022, 462; BGH, NJW 2005, 1718. <?page no="352"?> 352 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 5. Beweislastverteilung bei Dokumentationsfehlern Für sich genommen bilden Dokumentationsfehler zwar keinen Haftungstatbestand. Sie können jedoch die Sachverhaltsaufklärung erschweren, wenn der Patient einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler geltend macht. Da die Dokumentation nicht dem Zugriff des Patienten unterliegt, gelten hier wiederum Beweiserleichterungen zu seinen Gunsten. So wird vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt nicht ergriffen worden ist, § 630h III BGB. Ferner wird vermutet, dass sich ein nicht dokumentierter Umstand so ereignet hat, wie ihn der Patient glaubhaft schildert. 125 Die Vermutung kann vom beklagten Arzt widerlegt werden, indem er beispielsweise durch Benennung von Zeugen nachweist, dass er die nicht dokumentierte Behandlung vorgenommen hat. 126 Ist eine Maßnahme elektronisch dokumentiert, verwendet der Arzt dabei aber eine veraltete Software, die nicht erkennen lässt, ob nachträglich Änderungen eingefügt worden sind, kann dagegen nicht darauf geschlossen werden, dass die dokumentierte Maßnahme tatsächlich erfolgt ist. 127 Sind Befunde nicht dokumentiert, wird vermutet, dass der Befund ein reaktionspflichtiges Ergebnis aufgewiesen hätte. Der Patient muss also nicht beweisen, dass ein Befund vorlag, der eine bestimmte Behandlung erforderlich gemacht hätte. Dies gilt jedoch nur, wenn ein eindeutiger Befund hinreichend wahrscheinlich ist. Denn nur in diesem Fall ist eine Vermutung des Ursachenzusammenhangs zwischen Verkennung des Befundes und Nichtbehandlung gerechtfertigt. 128 Beispiel Patient P unterzog sich einer Operation der Gallenblase, bei der Gallensteine entfernt werden sollten. Im Rahmen der Nachsorge wurde auf einer Röntgenaufnahme ein nicht entfernter Gallensteinrest erkannt. Der Versuch, diesen medikamentös zu entfernen misslang ebenso wie eine weitere Operation. Später entzündete sich die Bauchspeicheldrüse des P. 125 BGHZ 129, 6; BGH, NJW 1993, 2375. 126 Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14, Rn. 128; BGH, NJW 2015, 411 (413). 127 BGHZ 229, 331. 128 BGH, NJW 1996, 1589, vgl. auch Jung/ Lichtschlag-Traut/ Ratzel in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14, Rn. 124 ff. <?page no="353"?> F. Beweislastverteilung 353 Im bald eröffneten Prozess stellte sich heraus, dass das Röntgenbild abhanden gekommen war. Dass eine solche Aufnahme angefertigt worden war, war unstreitig. Zugunsten des Patienten wurde vermutet, dass auf dem Röntgenbild ein Gallensteinrest erkennbar war. Dem behandelnden Arzt wie dem Krankenhausträger oblag dagegen der Beweis, dass Gallensteinreste bei der Folgeoperation nicht mehr erkennbar gewesen seien. 129 129 Nach BGH, NJW 1996, 779. <?page no="354"?> 354 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht G. Umfang des Schadenersatzes Gemäß § 249 BGB hat der zum Schadenersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Dieser als Naturalrestitution bezeichnete Grundsatz würde den Arzt also zur Behebung des Behandlungsfehlers durch Beseitigung der Körper- und Gesundheitsschäden verpflichten. Da der Patient aber regelmäßig keine weitere Behandlung durch den Schädiger wünschen wird, hält ihm § 249 II BGB die Möglichkeit offen, stattdessen die zur Wiederherstellung der Gesundheit erforderliche Geldsumme zu verlangen. Darüber hinaus steht ihm der Ersatz seiner weiteren Schäden zu, dies umfasst etwa den Ausfall von Arbeitseinkommen infolge der (fortdauernden) Erkrankung, Kosten für vermehrte Bedürfnisse infolge der Schädigung, beispielsweise eine notwendige Betreuungsperson oder einer Haushaltshilfe sowie Kosten zur Rechtsverfolgung. 130 Außerdem ist nach § 253 II BGB ein angemessenes Schmerzensgeld geschuldet. Die Angemessenheit des Schmerzensgeldes ist im Verhältnis zu Dauer, Art und Schwere der Schädigungen zu beurteilen und fällt beispielsweise höher aus, wenn der Geschädigte dauerhaft entstellt oder seine endgültige Genesung ungewiss ist. Aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers fließen in die Beurteilung ein. 131 Mit Blick auf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ist zudem zu berücksichtigen, ob der Behandlungsfehler geringfügig ist oder ob der Schadensfall durch grobes Verschulden geprägt ist. Grob fahrlässiges Verhalten kann daher ein höheres Schmerzensgeld nach sich ziehen allein der Umstand, dass ein grober Behandlungsfehler i.S.v. § 630h V BGB vorliegt, bildet jedoch noch kein Indiz für grobe Fahrlässigkeit. 132 In der Praxis wird dessen Höhe anhand von Tabellen ermittelt, in denen einzelne gesundheitliche Beeinträchtigungen bestimmten Entschädigungssummen zugeordnet sind. 133 Die Kosten der Heilbehandlung und Rehabilitation zur Beseitigung der Folgen des Behandlungsfehlers werden bei gesetzlich und privat Versicherten von der Krankenkasse übernommen. Die Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger gehen in diesem Fall gemäß § 116 SGB X bzw. § 86 I VVG im Zuge einer cessio legis auf das Versicherungsunternehmen über, soweit sie mit den von diesem erbrachten Leistungen deckungsgleich sind. Schwere Behandlungsfehler, die aus Anlass einer medizi- 130 Bergmann/ Wever, Die Arzthaftung, S. 10; Burmann/ Heß in Bergmann/ Pauge/ Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, Kap. 7, Rn. 42 ff.; Zoll in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 2093 ff. 131 Statt vieler vgl. BGHZ 18, 149; BGHZ 138, 388. 132 BGH, 08.02.2022, VI ZR 409/ 19. 133 Diese orientieren sich der Höhe nach an Schmerzensgeldern, die in der Vergangenheit für vergleichbare Schädigungen zugesprochen worden sind, vgl. Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle, 18. Aufl., München 2022. <?page no="355"?> G. Umfang des Schadenersatzes 355 nisch nicht indizierten und auch nicht dem Wohl des Patienten dienenden Behandlung entstehen, können im Einzelfall Ansprüche auf soziale Entschädigung nach § 1 I OEG begründen. 134 Auch in diesem Fall gehen die Schadenersatzansprüche des Opfers gegen den Schädiger auf den Träger über, § 5 OEG, § 81a BVG. Ist dem Patienten ein Mitverschulden nachzuweisen, vermindern sich gemäß § 254 BGB seine Ersatzansprüche. Dies ist namentlich der Fall, wenn die durch den Behandlungsfehler ausgelösten Schädigungen durch non-compliance verstärkt werden. Häufigste Fälle sind die Nichteinnahme von verordneten Medikamenten oder die Aufrechterhaltung einer ungesunden Lebensweise, etwa weil das Rauchen nicht aufgegeben oder eine notwendige Diät nicht eingehalten wird. 135 Die Prüfungsreihenfolge arzthaftungsrechtlicher Ansprüche verdeutlichen folgende Schemata: Voraussetzungen der Haftung des Arztes/ des Krankenhausträgers wegen einer Pflichtverletzung, § 280 I BGB 136 1. Entstehen eines Schuldverhältnisses zwischen Arzt/ Krankenhausträger und Patient a. vorvertragliches Schuldverhältnis, § 311 II BGB b. Abschluss eines Behandlungsvertrags, § 630a BGB c. Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677, 680 BGB 2. Pflichtverletzung a. Behandlungsfehler, Aufklärungsfehler, Organisationsfehler b. Verschulden des Arztes oder seiner Erfüllungsgehilfen, §§ 276 I, 278 BGB (wird vermutet) 3. Schaden des Patienten 4. Kausalität a. haftungsbegründende Kausalität b. haftungsausfüllende Kausalität 5. Mitverschulden des Patienten, § 254 BGB (z. B. non compliance) Voraussetzungen der deliktischen Haftung des Arztes/ des Krankenhausträgers, § 823 I BGB 1. Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts a. durch aktives Tun oder b. durch Unterlassen bei Bestehen einer Handlungspflicht und c. haftungsbegründende Kausalität 134 BSGE 106, 91 (Fettabsaugung). 135 Hausch, VersR 2007, 167 (169). 136 Zur Struktur der Haftungstatbestände vgl. ausführlich Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 129 ff. <?page no="356"?> 356 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 2. Rechtswidrigkeit 3. Verschulden 4. Schaden des Patienten 5. haftungsausfüllende Kausalität 6. Mitverschulden des Patienten, § 254 BGB (z. B. non compliance) Voraussetzungen der deliktischen Haftung des Arztes/ des Krankenhausträgers, § 831 BGB 1. Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts a. durch rechtswidriges Tun oder Unterlassen b. haftungsbegründende Kausalität 2. durch einen Verrichtungsgehilfen 3. im Rahmen der Ausübung der Verrichtung 4. Exkulpationsmöglichkeit nach § 831 I 2 BGB? 5. Schaden des Patienten 6. haftungsausfüllende Kausalität 7. Mitverschulden des Patienten, § 254 BGB Kontrollfragen 1. Unterscheiden Sie die möglichen Anspruchsgrundlagen für Schadenersatzforderungen im Rahmen der Arzthaftung. 2. Patient P wird nach einem Suizidversuch mit schwersten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt A kann P trotz aller ergriffenen Maßnahmen nicht mehr retten, da die Schädigungen zu weit fortgeschritten sind. Können die Erben des P den operierenden Arzt A auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen? 3. Erläutern Sie die rechtliche Bedeutung des Befundauswertungsfehlers. 4. Dürfen Ärzte in Ausbildung eigenständig Behandlungen übernehmen? Was haben sie dabei zu beachten? 5. Arzt A verordnet der Patientin P ein Antibiotikum. Er vergisst sie darauf hinzuweisen, dass die Einnahme des Antibiotikums die Wirksamkeit der von ihr eingenommenen „Pille“ zur Empfängnisverhütung aufhebt. Als P daraufhin ungeplant schwanger wird, verlangt sie von A Ersatz der Unterhaltskosten für das Kind. Zu Recht? Wie wäre die Situation, wenn A ihr den Hinweis erteilt, P diesen aber nicht beachtet hätte? <?page no="357"?> G. Umfang des Schadenersatzes 357 6. Patientin P möchte sich „Besenreiser“ (Blutgefäßerweiterungen infolge einer Schwäche der Gefäßwände) im Gesicht veröden lassen. Arzt A, der den Eingriff durchführt, klärt sie nicht darüber auf, dass es im Einzelfall zur Narbenbildung kommen kann. Als P im Nachhinein von diesem Risiko hört, ist sie empört. Zwar seien bei ihr keine Narben aufgetreten. Hätte sie von dieser Möglichkeit aber gewusst, hätte sie den Eingriff nicht durchführen lassen. Kann P den A auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen? 7. In der Praxis des Arztes A ist die Patientenakte des P abhanden gekommen. P meint, die in der Akte befindlichen Angaben beziehen sich auf seine ureigenen privaten Angelegenheiten und möchte den A daher auf Schadenersatz in Anspruch nehmen. Kann er das? 8. Erläutern Sie die Dimension des Fahrlässigkeitsbegriffs in der Arzthaftung. Inwieweit ist ein Abweichen von der Schulmedizin zulässig? 9. Hausarzt H diagnostiziert bei Patient P fehlerhaft eine lebensbedrohliche Erkrankung. Er veranlasst den sofortigen Transport des P in das nahe gelegene K-Krankenhaus. Als P vom Krankenwagen in das Gebäude verbracht wird, wird er von einem herabfallenden Dachziegel schwer am Kopf verletzt. Dem Träger des Krankenhauses war die Schadhaftigkeit des Daches schon länger bekannt. Aus Kostengründen hat er jedoch nichts unternommen. Kann P den H und den Träger des Krankenhauses auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen? 10. Patient P leidet an Leukämie. Er wird im K-Krankenhaus mittels Chemotherapie behandelt. Dabei soll ihm das Medikament A intravenös, das Medikament B über einen Zugang im Rückenmark verabreicht werden. Die behandelnde Ärztin A verwechselt beide Medikamente, da diese im Durcheinander des Medikamentenschranks nur schwer zu finden und überdies nicht deutlich genug gekennzeichnet waren. P verstirbt. Können die Erben des P den Träger des Krankenhauses und die A auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen? 11. Erläutern Sie die Begriffe „horizontale“ und „vertikale“ Arbeitsteilung und deren Bedeutung für die Arzthaftung. 12. Oberarzt O weist die Stationsschwester S an, dem Patienten P ein Schmerzmittel in einer bestimmten Dosis zu verabreichen. S wundert sich zwar über die außergewöhnlich hohe Menge, fragt aber nicht nach. P verstirbt infolge der Überdosierung. Muss S Schadenersatz an die Erben leisten? <?page no="358"?> 358 9. Kapitel: Arzthaftungsrecht 13. Oberärztin O wird nach einem Nachtdienst, in dem sie mehrere Einsätze hatte, überraschend für den OP-Dienst eingeteilt. Der zuständige Arzt hat sich krank gemeldet. Weiteres qualifiziertes Personal ist wegen der Urlaubszeit nicht anwesend. O glaubt, dass sie den vergleichsweise unkomplizierten Eingriff trotz des anstrengenden Nachtdienstes noch bewältigen kann. Dennoch unterläuft ihr ein Fehler, infolge dessen Patient P dauerhaft an seiner Gesundheit beschädigt ist. Haften O und der Krankenhausträger? 14. Oberarzt O ist als Chirurg für den OP-Dienst eingeteilt. Da er viel zu tun hat, bittet er den Assistenzarzt A, an seiner Stelle die Aufklärungsgespräche mit den Patienten durchzuführen. Er drückt ihm ein Formular in der Hand, das A lediglich abzeichnen lassen müsse. Wegen seiner mangelnden Erfahrung klärt A den Patienten P nicht über alle mit dem Eingriff verbundenen Risiken auf. Später macht P eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts geltend. Haften O und A auf Schadenersatz und Schmerzensgeld? 15. Schildern Sie die Beweiserleichterungen, die dem geschädigten Patienten im Arzthaftungsprozess zugute kommen. 16. Patient P hat sich anlässlich seiner Behandlung im K-Krankenhaus eine Infektion zugezogen. Die Ursache kann nicht eindeutig geklärt werden. Als P den Krankenhausträger auf Schadenersatz in Anspruch nimmt, ergibt die Beweisaufnahme, dass im Krankenhaus nicht ausreichend Desinfektionsmittelspender vorhanden sind, mit denen sich das Personal keimfrei halten kann. Kommt P diese Tatsache im Prozess zugute? 17. Patient P begibt sich mit Schmerzen in der Brust zum Arzt A. Dieser fertigt ein EKG an, hält den sich daraus ergebenden Befund für unbedenklich und veranlasst keine weiteren Maßnahmen. Wenige Tage später wird P mit starken Beschwerden ins Krankenhaus eingeliefert, wo eine fortgeschrittene Herzmuskelentzündung festgestellt wird. P erhebt Klage gegen A, weil dieser ihn nicht standardgemäß behandelt habe. Das EKG ist jedoch nicht mehr auffindbar. Welche Konsequenzen hat dies für die Beweislastverteilung? 18. Arzt A hat den Patienten P im Rahmen einer medizinischen Behandlung verletzt. P will A auf Schadenersatz in Anspruch nehmen. A ist jedoch der Auffassung, dass P kein Schaden entstanden sei, da er als gesetzlich Versicherter nicht für die Behandlungskosten zur Beseitigung der Folgen des Therapiefehlers aufkommen muss. Hat A Recht? <?page no="359"?> 359 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten Orientierungsfragen Q Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen in der straf- und der haftungsrechtlichen Bewertung der ärztlichen Tätigkeit? Q Welche strafrechtlichen Folgen haben Behandlungsfehler? Q Sind Aufklärungsfehler strafbar? Q Unter welchen Voraussetzungen ist die Beteiligung von Ärzten an Sterbehilfe zulässig? Q Welche Bedeutung ist einer Patientenverfügung beizumessen? Q Ist ein Arzt bei einem Selbstmordversuch zur Rettung des Suizidenten verpflichtet? Q In welchen Fällen darf der Arzt seine Schweigepflicht brechen? Wird ein Patient durch einen Arzt verletzt oder gar getötet, stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Bewertung des ärztlichen Handelns. Im klinischen wie im Praxisalltag sind über die Delikte gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit hinaus viele weitere Straftaten denkbar. Rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche, der Handel mit Organen oder Betäubungsmitteln oder die Verletzung der Schweigepflicht sind strafrechtlich ebenso relevant wie Abrechnungsbetrug oder das Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse. Die Annahme von Zuwendungen durch Ärzte, beispielsweise als Prämie für die Verordnung bestimmter Arzneimittel, war trotz berufsrechtlicher Bedenken 1 in der Vergangenheit regelmäßig nicht strafbar. 2 Im Jahr 2016 wurde daher mit § 299a StGB der Tatbestand der Bestechlichkeit, mit § 299b StGB der Tatbestand der Bestechung im Gesundheitswesen geschaffen. 3 Strafbar wegen 1 Einbecker Empfehlungen der DGMR, MedR 2011, 154. 2 Vgl. die Vorlagebeschlüsse BGH, MedR 2011, 651 sowie BGH, NStZ-RR 2011, 303 und den darauf ergangenen Beschluss des Großen Senats BGHSt 57, 202. 3 Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 30.05.2016, BGBl. I S. 1254. <?page no="360"?> 360 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten Bestechlichkeit ist seither, wer als Angehöriger eines Heilberufs im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten oder für die Zuführung von Patienten eine Gegenleistung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Damit korrespondiert der Bestechungstatbestand. Mit der Neuregelung soll die Lauterkeit des Wettbewerbs im Gesundheitswesen geschützt und zugleich die Qualität der medizinischen Versorgung gesichert werden. 4 Die Fallzahlen sind bisher überaus gering die Aufklärungsquote mit mehr als 90% dagegen überproportional hoch. 5 Im unmittelbaren Verhältnis zwischen Arzt und Patient sind die Delikte gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit sowie Schweigepflichtverstöße von weitaus größtem Gewicht. Sie werden im Folgenden daher eingehend dargestellt. 4 BT-Drs. 18/ 6446, S. 12; ausführlich zu Tatbestand und Rechtsfolgen Graalmann-Scheerer, MedR 2017, 601. 5 Hohmann in MüKo, StGB, § 299a, Rn. 7. <?page no="361"?> A. Abgrenzung von Arzthaftungsrecht und Arztstrafrecht 361 A. Abgrenzung von Arzthaftungsrecht und Arztstrafrecht Zivilrecht und Strafrecht folgen einer unterschiedlichen Zielrichtung, die auch im Arzt-Patienten-Verhältnis von Bedeutung ist. Die zivilrechtliche Arzthaftung dient dem Ausgleich erlittener Schäden zwischen Privatpersonen in Geld. Der auszugleichende Schaden kann sowohl materieller als auch ideeller Natur sein. Durch die Verpflichtung zur Leistung von Schmerzensgeld soll zudem eine gewisse Genugtuung für das Opfer eines Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers erreicht werden. 6 Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld präventiv wirken. Die Abwehr weiterer Rechtsgutsverletzungen ist jedoch nicht dessen Hauptzweck, sondern allenfalls eine durchaus erwünschte Begleiterscheinung. 7 Das Strafrecht zielt demgegenüber auf Vergeltung; es soll den Strafanspruch des Staates in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren durchsetzen. Die Strafandrohung hat zugleich einen präventiven Effekt. Mit dem in §§ 46a, 49 StGB vorgesehenen Täter-Opfer-Ausgleich 8 kommt das Strafrecht darüber hinaus dem zivilrechtlichen Ausgleichsgedanken nahe. Neben der unterschiedlichen Funktion bestehen Abweichungen in den Haftungsvoraussetzungen sowie in prozessualer Hinsicht. Während zur Begründung zivilrechtlicher Ansprüche ein objektives Verschulden ausreicht, ohne dass es auf subjektive Umstände ankommt, ist die individuelle Vorwerfbarkeit wesentliche Voraussetzung für die Strafbarkeit der Tat. Der strafrechtliche Vorwurf erfordert mithin eine Handlungsalternative des Täters: nur wenn ihm ein anderes Verhalten möglich und zumutbar war, kann sein Verschulden angenommen werden. Die Beweiserleichterungen, die dem geschädigten Patienten im zivilrechtlichen Haftungsprozess zugestanden werden, gelten im Strafrecht nicht. Die Anklagebehörde muss das Verschulden wie auch die kausale Verknüpfung zwischen Schädigungshandlung und Schaden positiv zur Überzeugung des Gerichts nachweisen. 9 6 BGHZ 18, 149; BGHZ 128, 117 (Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zumindest bei vorsätzlich zugefügten Schäden); Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 332; kritisch Diederichsen, VersR 2005, 433. 7 Zur Kritik ausführlich Oetker in MüKo, BGB, § 249, Rn. 9; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 362. 8 Danach kann der Täter von einer Strafmilderung profitieren, wenn er die Tat wieder gut gemacht oder das Opfer durch persönliche Leistungen zumindest teilweise entschädigt hat. 9 Dazu ausführlich Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 363 f. <?page no="362"?> 362 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten I. Heilbehandlung als Körperverletzung Die ärztliche Behandlung erfüllt nach ständiger Rechtsprechung den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB. 10 Unabhängig davon, ob der Eingriff den Regeln der medizinischen Wissenschaft entspreche oder nicht, ob er erfolgreich sei oder fehlschlage, liege ein Eingriff in die Integrität des Körpers vor. Dieser sei nur dann straflos, wenn er gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung ergebe sich nicht bereits aus dem berufsrechtlich begründeten Heilauftrag des Mediziners. 11 Es bedürfe vielmehr der Einwilligung des Patienten. 12 II. Kritik in der Literatur Diese Auffassung sieht sich der Kritik der strafrechtlichen Literatur ausgesetzt. Zwar werde damit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gebührender Raum eingeräumt. Jedoch werde der Arzt, der dem Patienten helfen und diesen heilen wolle, mit dem Messerstecher gleichgestellt. Verwendet er bei seinem Eingriff Spritzen, Skalpelle oder ähnliche Werkzeuge, sei sogar der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 StGB erfüllt. Die darin vorgesehene hohe Strafandrohung werde der Zielsetzung ärztlichen Handelns in keiner Weise gerecht. Die Literatur sieht in der ärztlichen Behandlung daher keine tatbestandsmäßige Körperverletzung. Denn Eingriffe zur Wiederherstellung der Gesundheit berührten die auf seine körperliche Integrität bezogene Interessenlage des Patienten nicht. 1. Erfolgstheorie Nach der Erfolgstheorie ist zwischen gelungenen und fehlgeschlagenen Eingriffen zu unterscheiden. § 223 StGB sei nicht erfüllt, wenn das Wohlbefinden des Patienten gesteigert oder zumindest gewahrt wird. Dem ärztlichen Handeln fehle in diesem Fall 10 St. Rspr. seit RGSt 25, 375; vgl. auch Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, § 223, Rn. 29 mit weiteren Nachweisen. 11 RGSt 25, 375; RGSt 61, 252. 12 BGHSt 11, 111; 12, 379; 16, 303; 43, 306; 45, 221. <?page no="363"?> B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 363 der Erfolgsunwert. 13 Misslungene Eingriffe seien dagegen als Körperverletzung zu qualifizieren, die aber regelmäßig durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sei. Die Erfolgstheorie kommt damit der herrschenden Rechtsprechung nahe. 2. Straffreiheit des regelgerechten Heileingriffs Eine andere Meinung in der Literatur stellt demgegenüber auf die Art und Weise der Durchführung der Behandlung ab. Genüge das ärztliche Handeln dem medizinischen Standard, so sei der Tatbestand des § 223 StGB selbst bei einem Misserfolg nicht erfüllt. Der von einer Heilungstendenz getragene Eingriff bedürfe keiner Rechtfertigung. 14 Dieser Standpunkt macht im Einzelfall eine Abgrenzung erforderlich, ob eine Behandlung tatsächlich Heilzwecken dient. Unzweifelhaft ist dies der Fall bei therapeutischen Eingriffen, die Leben retten, Erkrankungen beseitigen oder gesundheitliche Störungen zumindest lindern sollen. Medizinisch nicht indizierte Eingriffe können nicht als Heileingriff qualifiziert werden. Sie sind jedoch auch nach dieser Theorie straflos, wenn sie durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sind. Beispiele Die Heilungstendenz ist danach bei Operationen oder der Verabreichung von Medikamenten ebenso zu bejahen wie bei diagnostischen Maßnahmen, beispielsweise der Blutabnahme oder bei Impfungen, mit denen Erkrankungen vorgebeugt werden soll. Sie fehlt jedoch bei Organentnahmen oder Blutspenden aus der Sicht des Spenders, denn dessen Organismus profitiert selbst nicht von solchen Eingriffen. Bei kosmetischen Operationen ist zu differenzieren. So stellen Maßnahmen der wiederherstellenden plastischen Chirurgie, beispielsweise der Wiederaufbau der Brust nach deren krebsbedingten Amputation, durchaus Heileingriffe dar. Bei Brustvergrößerungen, die aus rein ästhetischen Gründen vorgenommen werden, liegt dagegen keine Heilungstendenz vor. Denn damit soll lediglich das äußere Erscheinungsbild der Patientin verändert werden. 13 Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 138, Rn. 10; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 67 ff. 14 Schmidt, Der Arzt im Strafrecht. S. 69 ff.; Fischer, StGB, § 223, Rn. 19; Lackner/ Kühl, StGB, § 223, Rn. 8 ff. <?page no="364"?> 364 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten Einen Grenzbereich berühren Maßnahmen zu Forschungszwecken, namentlich Studien und Versuche an behandlungsbedürftigen Patienten. Diese Eingriffe weisen zum einen experimentellen Charakter auf, denn es sollen diagnostische oder therapeutische Verfahren oder Medikamente erprobt werden. Zugleich sind sie auch vom Heilungsgedanken getragen, verfolgt der Arzt doch zumindest subjektiv das Ziel eines Heilversuchs. Objektiv dominiert jedoch der Forschungsaspekt, wenn Verfahren zur Anwendung kommen, deren Sicherheit und Wirksamkeit bislang nicht hinreichend erprobt sind. Aufgrund dieser Doppelfunktion - und weil es insoweit an einem medizinischen Standard fehlt - muss hier zwingend auf die Einwilligung des Patienten zurückgegriffen werden, um eine Strafbarkeit des Arztes auszuschließen. An die Aufklärung sind in diesem Fall besondere Anforderungen zu stellen, denn der Patient setzt sich Risiken aus, über deren Tragweite er sich bewusst sein muss. III. Stellungnahme Der Auffassung der Rechtsprechung ist zu folgen. Sie ermöglicht eine klare und vorhersehbare Bewertung ärztlichen Handelns und wird den Interessen von Ärzten und Patienten gleichermaßen gerecht. Durch die Notwendigkeit der Rechtfertigung ärztlicher Eingriffe durch eine umfassende Aufklärung und Einwilligung wird dem Persönlichkeitsrecht der Patienten Rechnung getragen. Zugleich sieht sich die Ärzteschaft damit keinem übermäßigen Strafverfolgungsrisiko ausgesetzt, beschränkt sich die Strafverfolgung doch auf eigenmächtige Eingriffe. Die Erfolgstheorie macht die Strafbarkeit von Zufällen abhängig. Die Reaktion des menschlichen Organismus auf einzelne Therapien ist angesichts der Vielzahl und der Unberechenbarkeit der Abläufe im Körper unvorhersehbar. Das Ge- oder Misslingen eines Eingriffs kann und darf daher nicht ausschlaggebend für die Tatbestandserfüllung sein. Überdies bergen beide in der Literatur vertretenen Meinungen die Gefahr, dass der Patient zum Objekt ärztlichen Handelns wird, führen sie doch dazu, dass der berufsrechtliche Heilauftrag als Rechtfertigung schwerer wiegt als der Wille des Patienten. Von diesem patriarchalischen Bild des Arztberufs hat sich jedoch bereits die Ärzteschaft selbst inzwischen abgewendet. Insbesondere bei eigenmächtigen Eingriffen von Ärzten - seien sie erfolgreich oder kunstgerecht durchgeführt - bestünden nach dieser Auffassung Strafbarkeitslücken. Denn es werden offensichtlich Rechtsgüter des Patienten verletzt. Andere Straftatbestände, namentlich Beleidigung (§ 185 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) oder Nötigung (§ 240 StGB) können der Interessenlage nicht immer gerecht werden. 15 15 So auch Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, § 223, Rn. 30; kritisch Lackner/ Kühl, StGB, § 223, Rn. 1, der darauf verweist, dass nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern die körperliche Integrität Schutzgut des § 223 StGB sei. <?page no="365"?> B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 365 IV. Die Einwilligung des Patienten Die Rechtsprechung muss sich stets, die Literaturmeinungen zumindest im Einzelfall bei fehlender Heilungstendenz oder beim Ausbleiben des Behandlungserfolgs, mit dem Willen des Patienten auseinandersetzen. Liegt eine vom freien Willen getragene Einwilligung des Patienten vor, rechtfertigt diese das tatbestandsmäßige Handeln des Arztes. 16 Die Einwilligung ist vor der Behandlung vom Patienten selbst einzuholen. Dies setzt dessen natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit voraus, die weder mit der Geschäftsfähigkeit nach §§ 104 ff. BGB noch mit der Strafmündigkeit nach § 19 StGB identisch ist. 17 Steht ein Patient für die Gesundheitsvorsorge unter Betreuung, ist der Betreuer nicht berechtigt, gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten in eine Zwangsbehandlung einzuwilligen, selbst wenn diese aus medizinischen Gründen geboten ist. 18 Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln erklärt werden. Unterliegt der Patient einem Irrtum oder wird er durch Täuschung oder Drohung zu deren Abgabe veranlasst, kann sie die Behandlung nicht rechtfertigen. Unzulässiger Zwang wird beispielsweise ausgeübt, wenn der Patient nach Verabreichen einer Beruhigungsspritze auf dem Weg in den Operationssaal vom Arzt zum Unterzeichnen einer Einwilligungserklärung gedrängt wird. 19 Irrtümer, die sich lediglich auf die der Einwilligung zugrunde liegenden Motive des Patienten beziehen, sind jedoch irrelevant. Beispiel Die Einwilligung ist wirksam, wenn der Patient bei der Behandlung einer geringfügigen Schnittverletzung dachte, der behandelnde Arzt sei Oberarzt und nicht lediglich Arzt in Ausbildung. Nur wenn der Patient seine Einwilligung ausdrücklich auf einen bestimmten Arzt beschränkt oder wenn der vorgenommene Eingriff die Kenntnisse und Fähigkeiten eines approbierten Arztes erfordern, liegt ein Willensmangel vor, der die Wirksamkeit der Einwilligung entfallen lässt. 20 16 BGHSt 11, 111; 43, 306; BGH, NStZ 96, 34. Nach Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, § 223, Rn. 33 wirkt das Einverständnis des Patienten bei wesentlichen Verletzungen der Körpersubstanz - beispielsweise infolge einer Amputation - dagegen tatbestandsausschließend. Voraussetzung ist jedoch, dass trotz der Einbuße einzelner Körperteile der Gesamtzustand des Patienten durch den ärztlichen Eingriff verbessert wird. 17 RGSt 41, 396; BGHSt 4, 90; 12, 382. Eingehend Norouzi in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 3, Rn. 39. 18 BGH, Urt. v. 20.6.2012 (XII ZB 99/ 12, XII ZB 130/ 12) - juris. 19 BGH, NJW 1998, 1784. 20 BGHSt 16, 309. <?page no="366"?> 366 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten Der Patient kann die Einwilligung jederzeit widerrufen. 21 Wird der Eingriff trotz Widerruf vorgenommen oder fortgesetzt, liegt eine Körperverletzung nach § 223 StGB vor. Würde der Abbruch einer bereits begonnenen Behandlung den Patienten jedoch einer akuten Lebensgefahr aussetzen, ist deren Fortführung als Notstand gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. 1. Aufklärung als Wirksamkeitsvoraussetzung Wie im Zivilrecht setzt eine wirksame Einwilligung eine hinreichende Aufklärung über den beabsichtigten Eingriff voraus. 22 Durch die Darstellung von Art, Ziel, Dringlichkeit, Risiken und Alternativen der Behandlung soll dem Patienten ein Bild über deren Tragweite vermittelt werden, damit dieser das Für und Wider der Behandlung abwägen kann. Hinsichtlich des Adressaten, des Aufklärungspflichtigen, sowie Art und Weise, Umfang und Zeitpunkt der Aufklärung gelten die gleichen Grundsätze wie im Zivilrecht. 23 Beispiel Patientin P suchte ihren Hausarzt H zu einer Routineuntersuchung auf. Dabei äußerte sie, dass sie hin und wieder an Schmerzen im rechten Unterbauch leide. H überwies sie zur Beobachtung in das K-Krankenhaus. Der behandelnde Arzt A diagnostizierte eine Blinddarmreizung, die eine Entfernung des Blinddarms nicht dringend notwendig mache. Zur Vermeidung weiterer Beschwerden sei diese aber hilfreich. A führte keine Anamnese durch. Daher hatte er keine Kenntnis vom Verdacht einer verminderten Blutgerinnung, den H einst bei P festgestellt hatte. Er entfernte P unter Einhaltung der Regeln der medizinischen Wissenschaft den Blinddarm, ohne diese zuvor aufzuklären und ihre Einwilligung einzuholen. Nach der Operation kam es zu Einblutungen in den Unterbauch, an deren Folgen P verstarb. 21 BGH, NJW 1980, 1903. 22 BGH, NStZ 2008, 150. 23 St. Rspr. seit RGSt 66, 181; vgl. dazu S. 134 ff. <?page no="367"?> B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 367 Da P im Grunde gesund und der Eingriff medizinisch nicht indiziert war, waren besonders hohe Anforderungen an die präoperative Aufklärung zu stellen. A hätte P daher dringend auf die Komplikations- und Sterblichkeitsrate bei Blinddarmoperationen hinweisen müssen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich P der entfernten Möglichkeit eines tödlichen Ausganges des Eingriffs ausgesetzt hätte, nur um vor künftigen Blinddarmentzündungen geschützt zu sein, deren Eintritt nicht sicher ist. A ist daher gemäß § 227 StGB wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar. 24 Hätte der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt (hypothetische Einwilligung), entfällt die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Handelns. Nur wenn die Beweisaufnahme eindeutig ergeben hat, dass der Patient seine Einwilligung in diesem konkreten Fall verweigert hätte, ist der Arzt strafbar. Es kommt insbesondere nicht darauf an, welche Entscheidung ein „vernünftiger Patient“ getroffen hätte. Zweifel müssen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ dem Arzt zugute kommen. 25 2. Stellvertretung Da es sich bei der Einwilligung um eine höchstpersönliche Erklärung handelt, kommt eine Stellvertretung in diesen Fällen grundsätzlich nicht in Betracht. Ab 2023 gilt für Ehegatten jedoch eine spezifische Vertretungsbefugnis nach § 1358 BGB n.F. Der Gesetzgeber wollte damit nicht nur die gegenseitige Vertretung ermöglichen, sondern vor allem den Aufwand einer vorläufigen Betreuerbestellung nach § 300 FamFG vermeiden. 26 Zur Betreuerbestellung und zur Vorsorgevollmacht ist die neue Vertretungsbefugnis daher auch subsidiär, wenngleich sich deren Voraussetzungen am Betreuungsrecht orientieren. 27 Sie gilt nach § 21 LPartG entsprechend für eingetragene Lebenspartnerschaften. Nach § 1358 I BGB n.F. ist ein Ehegatte berechtigt, anstelle des anderen Ehegatten in eine Untersuchung, Behandlung oder einen Heileingriff einzuwilligen oder diese zu untersagen und ärztliche Aufklärungen entgegennehmen, wenn dieser wegen Bewusstlosigkeit oder Krankheit außerstande ist, seine Angelegenheiten der Gesund- 24 BGHSt 12, 379. 25 BGH, NStZ-RR 2004, 16; dazu Kuhlen, JR 2004, 227; Puppe, JR 2004, 470. 26 BT-Drs. 19/ 24445, S. 179. 27 Lugani, MedR 2022, 91 (92). <?page no="368"?> 368 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten heitssorge selbst zu besorgen. Auch die entsprechenden Verträge für Behandlung oder Rehabilitation darf ein Ehegatte in der Vertretung des anderen abschließen und zivilrechtliche Ansprüche aus Anlass der Krankheit geltendmachen. Die Vertretungsbefugnis gilt zudem für freiheitsentziehende Maßnahmen i.S.v. § 1831 IV BGB, also in Krankenhäusern, Heimen oder ähnlichen Einrichtungen, die durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder in anderer Weise vorgenommen werden und nicht länger als sechs Wochen andauern. § 1358 II BGB sieht eine Schweigepflichtentbindung gegenüber dem vertretenden Ehegatten vor. Das Vertretungsrecht besteht nach § 1358 III BGB n.F. nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben oder wenn bekannt ist, dass die vertretene Person die Vertretung durch den Ehegatten ablehnt oder eine andere Person mit der Wahrnehmung ihrer Gesundheitsangelegenheiten bevollmächtigt hat oder eine Betreuung eingerichtet ist. Während sich die Bevollmächtigung oder die Betreuerbestellung durch entsprechende Dokumente recht leicht nachweisen lässt, bedarf es für die Kenntnis der Ablehnung der Ehegattenvertretung eindeutiger Äußerungen - dies ist unter Umständen nicht nur schwer nachzuweisen, sondern setzt zudem eine Art „opt-out“ der Ehegatten voraus, das vor dem Hintergrund ihres Selbstbestimmungsrechts problematisch ist. Unklar bleibt auch, auf welche Weise sich die behandelnden Ärzte Kenntnis verschaffen sollen, insbesondere wenn eine Ehe vermeintlich intakt ist, tatsächlich aber kein gegenseitiges Vertrauen mehr besteht, auch wenn die Partner (noch) nicht getrennt leben. 28 Die mutmaßliche Einwilligung nach § 630d I 4 BGB bei unaufschiebbaren Maßnahmen muss in jedem Fall Vorrang vor § 1358 I BGB n.F. haben. Dies gründet bereits im Zeitmoment, muss die Behandlung doch so dringlich sein, dass sie keinen weiteren Aufschub - etwa durch die Einholung weiter Informationen - duldet. 29 3. Die mutmaßliche Einwilligung Die Einwilligung muss nicht notwendig ausdrücklich erteilt werden. Ist der Patient beispielsweise wegen Bewusstlosigkeit nicht in der Lage, seinen Willen zu äußern, kann auf das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung zurückgegriffen werden. Dies ist jedoch nur zulässig, wenn dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinreichend genügt wird. Hat sich der Patient in einem früheren Stadium bereits eindeutig gegen eine solche Behandlung ausgesprochen, kann diese Äußerung nicht unter Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen übergangen werden. Der Inhalt des mutmaßlichen Willens ist anhand der persönlichen Umstände des Betroffenen, seiner individuellen Wertvorstellungen, Interessen und Überzeugungen zu ermitteln. 28 Lugani, MedR 2022, 91 (93). 29 Lugani, MedR 2022, 91 (94). <?page no="369"?> B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 369 Auf objektive Kriterien kann es nicht ankommen. Selbst wenn ein geplanter Eingriff gemeinhin für vernünftig und notwendig erachtet würde, lässt dies nicht den Schluss zu, dass auch der Patient im konkreten Fall seine Einwilligung erteilt hätte. 30 Auch die Meinung von Angehörigen vermag keine stellvertretende Wirkung zu entfalten. Deren Anhörung kann allenfalls als Indiz für den tatsächlichen Willen des Patienten herangezogen werden. 31 a. Patientenverfügung Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Patientenverfügung zu. In dieser trifft der Patient Anweisungen, welche derzeit noch nicht unmittelbar bevorstehenden medizinischen Maßnahmen (Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe) im Falle einer späteren Entscheidungsunfähigkeit vorgenommen oder unterlassen werden sollen. Der behandelnde Arzt ist - sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen - nicht verpflichtet, nach einer Patientenverfügung zu suchen. 32 Eine Patientenverfügung ist nur unter den eng umgrenzten Voraussetzungen des § 1901a BGB a.F./ § 1827 BGB n.F. verbindlich. Zum einen muss der Patient bei Abgabe der Erklärung volljährig und einwilligungsfähig gewesen sein. Die Erklärung muss schriftlich abgegeben werden; ihr Widerruf ist hingegen jederzeit auch formlos möglich. 33 Zum anderen muss der in der Patientenverfügung geäußerte Wille der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten entsprechen, § 1901a I 1 BGB a.F./ § 1827 I 1 BGB n.F.; mit dieser Vorgabe hat der Gesetzgeber die hergebrachte Rechtsprechung aufgenommen und umgesetzt. Der BGH hatte aus der Menschenwürde des Patienten die Pflicht abgeleitet, selbstbestimmt getroffene Entscheidungen zu respektieren, selbst wenn der Patient später nicht mehr in der Lage sein sollte, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. 34 Die Entsprechung zwischen Wunsch und tatsächlicher Behandlungssituation setzt eine hinreichend konkrete Formulierung voraus. Allgemeine Äußerungen wie „Sollte ich einmal an Krebs erkranken, wünsche ich keine Behandlung.“ genügen nicht, schlösse diese doch bei wortwörtlicher Interpretation nicht nur Operation und Chemotherapie sondern sogar die Gabe von Schmerzmitteln aus. Die Anforde- 30 BGHSt 35, 246; 45, 219. 31 OLG Köln, NJW 1987, 2302. 32 Diehn/ Rebhahn, NJW 2010, 326 (328). 33 Bislang nicht geklärt ist jedoch, wie sich spätere Bekundungen des natürlichen Willens bei zwischenzeitlich demenziell Erkrankten auswirken, dazu ausführlich Lanzrath, MedR 2017, 102; Gutmann, MedR 2021, 949. 34 BGHZ 154, 205. In der Literatur war die Verbindlichkeit der Patientenverfügung vor Einfügung des § 1901a BGB a.F. umstritten, vgl. Verrel, MedR 1999, 547; Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2301 f.) mit einem Überblick zum Streitstand. <?page no="370"?> 370 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten rungen an die Bestimmtheit der Erklärung dürfen jedoch nicht überspannt werden, da ein Mensch kaum die eigene Patientenbiografie wird antizipieren können. 35 Eine Patientenverfügung, mit der die Einwilligung in lebenserhaltende Maßnahmen versagt wird, muss klar erkennen lassen, dass sich der Patient der Gefahr des Todes bewusst ist. Eine Patientenverfügung muss daher beispielsweise unmissverständlich erkennen lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen 36 ein Patient die künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde ablehnt und darf sich nicht auf die Äußerung beschränken, lebensverlängernde Maßnahmen seien nicht erwünscht. 37 Liegt eine wirksame Patientenverfügung vor und besteht zwischen behandelndem Arzt und Betreuer Einvernehmen darüber, dass der Abbruch der lebensverlängernden Maßnahme dem Patientenwillen entspricht, ist die sonst erforderliche Genehmigung durch das Betreuungsgericht gemäß § 1904 IV BGB a.F./ § 1829 IV BGB n.F. entbehrlich. Vor Ergreifen oder Unterlassen bestimmter Maßnahmen erörtern Arzt und Betreuer gemeinsam die indizierten Behandlungsmaßnahmen und würdigen sie im Lichte des Patientenwillens, § 1901b I BGB a.F./ § 1828 I 1 BGB n.F. Nicht erforderlich ist, dass die in der Patientenverfügung beschriebene Situation, für die eine bestimmte Behandlung abgelehnt wird, lebensbedrohlich ist. Der vom Patienten geäußerte Wille ist in jedem Erkrankungsstadium verbindlich, § 1901a III BGB a.F./ § 1827 III BGB n.F. Das Vorliegen einer inhaltlich bestimmten Patientenverfügung erleichtert den behandelnden Personen die Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen. § 1901a IV BGB a.F./ § 1827 IV BGB n.F. sieht daher vor, dass Betreuer in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer solchen Erklärung hinweisen und den Betreuten bei der Errichtung unterstützen soll. Ein Zwang zur Errichtung einer Patientenverfügung besteht jedoch nicht, § 1901a V BGB a.F./ § 1827V BGB n.F. Fehlt eine Patientenverfügung, ist sie zu unbestimmt oder nicht auf die konkrete Behandlungssituation zugeschnitten, verpflichtet § 1901a II BGB a.F./ § 1827 II BGB n.F. den Betreuer, die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des entscheidungsunfähigen Patienten zu ermitteln. Dafür genügt es nicht, die nahen Angehörigen oder andere Bezugspersonen des Patienten ihrerseits um Zustimmung zu einer Behandlungsmaßnahme zu bitten, auch wenn diesen nach § 1901b II BGB a.F./ § 1828 II BGB n.F. Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist. Der mutmaßliche Wille ist vielmehr aufgrund konkreter Anhaltspunkte, etwa früherer Aussagen, auch in einer aufgrund ihrer fehlenden Bestimmtheit unwirksamen Patientenverfügung, die religiöse Überzeugung oder sonstige Wertanschauungen des Betreuten zu erforschen, § 1821 IV BGB n.F. Beson- 35 BGHZ 202, 226; BGHZ 211, 67; BGHZ 214, 62. 36 Beispielsweise Ablehnung der künstlichen Ernährung für den Fall, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, vgl. BGH, 14.11.2018, XII ZB 107/ 18. 37 BGHZ 211, 67; BGHZ 214, 62. <?page no="371"?> B. Die ärztliche Behandlung ohne/ gegen den Willen des Patienten 371 dere Aussagekraft misst die Rechtsprechung zeitnahen - mündlichen oder schriftlichen - Äußerungen zu, die einen konkreten Bezug zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen. 38 Im Zweifel gilt der Grundsatz „in dubio pro vita“. b. Operationserweiterung Einen Sonderfall stellt die Operationserweiterung dar. Stellt sich während einer Operation heraus, dass der der Einwilligung zugrunde liegende Umfang des Eingriffs erweitert werden muss, stellt sich die Frage, ob auch hier auf die mutmaßliche Einwilligung zurückgegriffen werden kann oder ob die Operation unterbrochen werden muss, um die tatsächliche Einwilligung einzuholen. Beispiel Bei Patientin P sollte eine Kaiserschnittentbindung vorgenommen werden. Während des Eingriffs, der unter Vollnarkose durchgeführt wurde, kam es zu Rissen in der Gebärmutter und starken Blutungen. Diese hätten bei einer erneuten Schwangerschaft zu einem lebensgefährlichen Gebärmutterriss führen können. Der operierende Arzt A entschied sich daher zur Sterilisation der P durch Durchtrennung der Eileiter. P, die sich immer weitere Kinder gewünscht hatte, stellte Strafantrag. Nach Auffassung des BGH ist eine solche Operationserweiterung ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten nur in Akutsituationen zulässig. Eine vitale Gefährdung ist jedoch nicht notwendig. Es genügt, dass der Patient durch den Abbruch der begonnenen und die spätere Durchführung einer weiteren Operation erheblichen Gefahren und körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen ausgesetzt wird. Das eigenmächtige Handeln des Arztes ist in diesen Fällen durch die mutmaßliche Einwilligung des Patienten oder über das Institut des Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt. 39 Kann die während der Operation erkannte Gesundheitsgefahr durch andere Maßnahmen oder eine spätere Operation abgewendet werden, ist die Einwilligung des Patienten unabdingbar. 40 38 BGHZ 202, 226; BGHZ 211, 67; BGHZ 214, 62. 39 BGHSt 45, 219. 40 OLG Hamm, 23.2.2017, 3 h 122/ 15 <?page no="372"?> 372 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten 4. Die Bedeutung von Irrtümern Glaubt der Arzt, Aufklärung und Einwilligung seien nicht erforderlich, weil der Eingriff medizinisch dringend geboten ist, unterliegt er einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB. Danach handelt der Täter schuldlos, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war. Indes zählt die ordnungsgemäße Aufklärung zu einer derart prägenden Pflicht des Arztes, dass dieser wohl stets als vermeidbar einzustufen ist. 41 Wird dagegen irrtümlich die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten unterstellt, handelt es sich dagegen um einen Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 StGB. Dieser lässt lediglich die Vorsatzschuld entfallen, d. h. eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Handelns bleibt unberührt. 42 Der Schuldvorwurf setzt dann aber voraus, dass der Irrtum für den Arzt vermeidbar war. 41 BGHSt 45, 219, vgl. dazu Geppert, JZ 1988, 1024. 42 BGHSt 3, 105; BGHSt 3, 357; BGHSt 31, 264; strittig - ausführlich zum Streitstand Joecks / Kuhlhanek in MüKo, StGB, § 16, Rn. 123 ff. <?page no="373"?> C. Strafrechtliche Bewertung von Behandlungsfehlern 373 C. Strafrechtliche Bewertung von Behandlungsfehlern Leidet ein Patient infolge eines Behandlungsfehlers an einer Gesundheitsschädigung, stellt sich die Frage nach einer Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzungsdelikten nach §§ 223 ff. StGB. Im Todesfall kommt eine Strafbarkeit nach §§ 211 ff. StGB in Betracht. I. Begriff des Behandlungsfehlers Wie im Zivilrecht gilt auch im Strafrecht jede Behandlung als fehlerhaft, die nicht den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft entspricht. Dies ist der Fall, wenn Q bei einer Behandlung vom Standard abgewichen wird, sei es in der Therapie oder in einer unzureichenden therapeutischen Sicherheitsaufklärung oder Q wenn eine gebotene Behandlung nicht durchgeführt wird. 43 Dies muss ex ante beurteilt werden, also mit dem Wissen und der medizinischen Erfahrung, über die der Arzt im Augenblick des Eingriffs verfügt hat. Nachträglich bekannt gewordene medizinische Erkenntnisse oder neue Behandlungsmethoden spielen daher keine Rolle. 44 Ist eine Gesundheitsverletzung oder der Tod trotz Beachtung der lex artis eingetreten, liegt ein schicksalhafter Verlauf vor, der keine strafrechtliche Relevanz hat. Die Einwilligung des Patienten ändert an der strafrechtlichen Bewertung von Behandlungsfehlern nichts. Denn sie bezieht sich nur auf die dem medizinischen Standard entsprechende Durchführung des Eingriffs. II. Sorgfaltsmaßstab Da Behandlungsfehler in aller Regel nicht wissentlich und willentlich verursacht werden, kommt allenfalls eine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeitsdelikten, also § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) oder § 222 StGB (fahrlässige Tötung) in Betracht. 45 Der Sorgfaltsmaßstab entspricht insoweit dem zivilrechtlichen. Es gilt also 43 Nebendahl in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 48, Rn. 1 ff.; Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 139, Rn. 39. 44 Giring/ Schmidt in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 16, Rn. 19. 45 Vgl. aber BGHSt 55, 121 zum Tötungsvorsatz bei Einsatz von Brechmitteln im Rahmen der strafrechtlichen Beweissicherung sowie BGHSt 56, 277 zur Ermittlung des Tötungsvorsatzes bei unterlas- <?page no="374"?> 374 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten wiederum der Facharztstandard, d. h. es ist zu prüfen, wie ein besonnener und verständiger Arzt in diesem Fachgebiet in der konkreten Situation agiert hätte. Dabei sind nur durchschnittliche Anforderungen zu stellen: der Täter wird also nicht am bestmöglich agierenden, sondern am durchschnittlich befähigten Arzt gemessen. 46 Daraus folgt, dass das Übernahmeverschulden auch im Strafrecht einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen kann. Übernimmt der Arzt eine Behandlung, ohne über hinreichende Erfahrungen zu verfügen, handelt er dem medizinischen Standard zuwider. 47 Gleiches gilt, wenn er den Anforderungen aus anderen Gründen, beispielsweise wegen Übermüdung nicht gewachsen ist. III. Schuld Ein wesentlicher Unterschied zur vertraglichen oder deliktischen Arzthaftung liegt darin, dass die subjektive Vorwerfbarkeit Strafbarkeitsvoraussetzung ist. Nur wenn der aufgetretene Schaden für den Arzt nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten vorhersehbar und vermeidbar war, ist er strafbar. 48 IV. Behandlungsfehler durch Unterlassen Liegt das Fehlverhalten des Arztes darin begründet, dass er eine medizinisch notwendige Behandlung gar nicht erbringt, kann er wegen Körperverletzung oder Tötung durch Unterlassen strafrechtlich belangt werden. Die Strafbarkeit wegen eines Unterlassens setzt gemäß § 13 StGB neben Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit voraus, dass der Täter rechtlich verpflichtet war, für das Nichteintreten des Erfolgs einzutreten. Diese Garantenstellung des Arztes wird in der Regel durch die Aufnahme eines Patienten zur Untersuchung und Befunderhebung begründet. 49 sener Rettung einer Patientin während einer misslungenen Schönheitsoperation. Dazu auch Kudlich, NJW 2011, 2856. 46 BGH, NJW 2000, 2754; ausführlich Müller in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 2, Rn. 1447 ff. 47 RGSt 64, 269; BGHSt 43, 311; BGH, JR 1986, 248. Sehr instruktiv auch BGHSt 55, 121 zu einem tödlich verlaufenen ärztlichen Brechmitteleinsatz. 48 Lackner/ Kühl, StGB, § 15, Rn. 49 mit weiteren Nachweisen. 49 Vgl. auch BGHSt 7, 211 für den Arzt im Bereitschaftsdienst. <?page no="375"?> D. Sterbehilfe als Straftat 375 D. Sterbehilfe als Straftat Die Sterbehilfe nimmt im Arztstrafrecht eine besondere Rolle ein, ist sie doch in hohem Maße durch ethische Anforderungen geprägt und gesellschaftlich weitgehend umstritten. Die Möglichkeiten der modernen Medizin, aber auch die Achtung vor dem Recht des Patienten auf ein würdevolles Leben lösen häufig Unsicherheit unter den Ärzten aus. Einerseits sind sie kraft ihres Berufsethos zum Heilen und Helfen verpflichtet. Andererseits müssen sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten genügen. Das Verlangen nach Sterbehilfe stürzt den Arzt daher unter Umständen in einen tiefen Gewissenskonflikt. Einfache Leitlinien zur Auflösung dieses Konflikts sind kaum denkbar. Es werden verschiedene Arten der Sterbehilfe unterschieden: 50 Q die aktive Sterbehilfe, also ein direktes ärztliches Eingreifen zur Verkürzung des Lebens, Q der Behandlungsabbruch (früher bezeichnet als passive Sterbehilfe), d. h. der Verzicht auf lebensrettende Maßnahmen oder der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, Q die mittelbare oder indirekte Sterbehilfe, bei der Maßnahmen zur Schmerzlinderung ergriffen werden, die den Todeseintritt beschleunigen sowie Q die Beihilfe zur Selbsttötung. Die Hilfe im Sterben, also die Unterstützung und Begleitung des Sterbenden in der letzten Lebensphase, fällt nicht unter den Begriff der Sterbehilfe. I. Aktive Sterbehilfe Die gezielte Verkürzung menschlichen Lebens ist als Totschlag nach § 212 StGB strafbar. Dies gilt selbst bei aussichtslosen Prognosen, wenn gewiss ist, dass der Patient nie von seinem Leiden geheilt werden kann. 51 Treten missbilligenswerte Motive wie Habgier, Heimtücke oder niedrige Beweggründe hinzu, sind Mordmerkmale erfüllt, so dass die Strafbarkeit nach § 211 StGB begründet ist. Hat das Opfer die Tötung ausdrücklich verlangt, kommt § 216 StGB zum Tragen. 52 Auch der mit dem Einverständnis des Opfers handelnde Täter wird also bestraft, wenngleich das Strafmaß 50 Vgl. die Darstellung bei Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 495. 51 BGHSt 37, 376. 52 Kutzer, NStZ 1994, 110 (110); Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 149, Rn. 11; zum umstrittenen Verhältnis zwischen § 211 StGB und § 216 StGB vgl. BGHSt 2, 258; 13, 362; sowie Schneider in MüKo, StGB, § 216, Rn. 67. <?page no="376"?> 376 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten geringer ausfällt als beim Totschlag. Die geschäftsmäßige Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung war 2015 in § 217 StGB unter Strafe gestellt worden. 53 Das BVerfG hat die Regelung jedoch 2020 für nichtig erklärt, da wegen der Strafandrohung die Möglichkeiten zur assistierten Selbsttötung so stark verengt würden, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum bleibt, um seinem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen. 54 Die Entscheidung fügt sich in die jüngere Entwicklung der Rechtsprechung ein. Nach der Rechtsprechung des EGMR umfasst das in Art. 2 EMRK verankerte Recht auf Leben sowie das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 2 I, 1 I GG kein spiegelbildliches Recht zu Sterben. Der Schutz des Lebens könne nach Auffassung nicht so ausgelegt werden, dass er auch einen negativen Aspekt beinhalte, da es sich auf Entscheidungen zur persönlichen Lebensführung und Fragen der Lebensqualität beziehe. Ein Recht auf den eigenen Tod sei dem diametral entgegengesetzt und könne daher nicht unter Art. 2 I EMRK subsumiert werden. 55 Der BGH hat zwar anerkannt, dass sich aus Art. 1 I GG grundsätzlich ein Recht auf „Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen“ ableiten lasse. Der Schutz des Lebens habe jedoch Vorrang vor der Selbstbestimmung. Die Rechtsordnung missbillige daher die Mitwirkung an der Tötung eines anderen. 56 Das BVerwG 57 leitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht jedoch das Recht unheilbar kranker Menschen ab, Zeitpunkt sowie Art und Weise des eigenen Todes frei zu bestimmen - auch wenn der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat. Ein entscheidungsfähiger Patient müsse daher in extremen Notlagen sogar Zugang zu Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung haben. Eine solche extreme Notlage liegt nach der Rechtsprechung des BVerwG aber nur vor, wenn die unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden einhergeht und zu unerträglichem Leidensdruck führt und dem Patienten keine andere zumutbare Möglichkeit zur Umsetzung seines Sterbewunsches offensteht. 58 Der Anwendungsbereich ist folglich eng gefasst. Auch das BVerfG hat anerkannt, dass das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG als Ausdruck persönlicher Autonomie und des eigenen Verständnisses von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Einzelnen ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben vermittelt. Dieses Recht umfasse auch die Freiheit, sich dabei der Hilfe Dritter zu bedienen. Zwar dürfe der Gesetzge- 53 Zum Entwurf Brose, ZRP 2014, 235; Schliemann, ZRP 2013, 51; Jäger, JZ 2015, 875. 54 BVerfGE 153, 182. 55 EGMR, NJW 2002, 2851. In einer weiteren Entscheidung hatte der EGMR aus verfahrensrechtlichen Gründen keine Entscheidung zur Zulässigkeit des Verbots der Sterbehilfe in Deutschland zu treffen, EGMR, NJW 2013, 953. 56 BGHSt 46, 285. 57 BVerwGE 158, 142. 58 BVerfG, NJW 2021, 1086; BVerwG, NJW 2019, 2789. <?page no="377"?> D. Sterbehilfe als Straftat 377 ber wegen des hohen Rangs des Rechts auf Leben auch die Sterbehilfe regeln, jedoch nicht so weit, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum für die Wahrnehmung seines Rechts auf selbstbestimmtes Sterben genommen werde. 59 Eine Neuregelung wird noch in der 20. Legislaturperiode angestrebt. Die Vorschläge reichen von einer Liberalisierung des assistierten Suizids 60 über die Gewährung des Zugangs sterbewilliger Menschen zu Betäubungsmitteln 61 bis hin zur Stärkung der Suizidprävention und der Zulassung des assistierten Suizids in engen Grenzen und nur für Volljährige. 62 Tatbestandsmäßig ist i.S.v. § 212 StGB nur die Tötung eines Menschen vor Eintritt des Hirntods, also dem Versagen aller Funktionen des menschlichen Gehirns. Die vormals übliche Orientierung am klinischen Tod - dem Stillstand von Herz und Atmung - ist angesichts der intensivmedizinischen Fortschritte und der verbesserten Reanimationsmöglichkeiten aufgegeben worden. 63 Mit dem Hirntod endet also das Menschsein. Damit erfolgt die strafrechtliche Bewertung konform zu dem im TPG verankerten, wenngleich umstrittenen „Todeskonzept“. 64 II. Indirekte Sterbehilfe Die indirekte Sterbehilfe ist der aktiven Sterbehilfe vergleichsweise nahe. Der Patient erhält Schmerzmittel, die so hoch dosiert sind, dass der Arzt den Tod des Patienten in Kauf nimmt. Über die Straflosigkeit dieses Handelns besteht Einigkeit - vorausgesetzt die Schmerzlinderung erfordert eine derart hohe Dosis und der Sterbeprozess hat bereits eingesetzt. Der Anspruch des Patienten auf Achtung seiner Menschenwürde gebietet es, dem Sterbeprozess grundsätzlich freien Lauf zu lassen - sofern der Patient nicht ausdrücklich die Tötung verlangt. Will der Arzt jedoch dem Wunsch des Patienten nach Linderung seiner Schmerzen nachkommen und wendet er dabei die gebotene medizini- 59 BVerfGE 153, 182. 60 BT-Drs. 20/ 2332 61 BT-Drs. 20/ 2293. 62 BT-Drs. 20/ 904. 63 Ganz h. M., vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, Vorbem. § 211, Rn. 19; Rosenau in Leipziger Kommentar, vor §§ 211 ff., Rn. 20. 64 Ausführlich m. w. N. Hoyer in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 51, Rn. 15 ff. <?page no="378"?> 378 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten sche Sorgfalt an, ist er nach § 34 StGB gerechtfertigt. 65 Die Lebensqualität überwiegt insoweit die verbleibende Lebensdauer. 66 III. Behandlungsabbruch und -verzicht Der vormals als passive Sterbehilfe 67 bezeichnete Behandlungsverzicht oder -abbruch ist durch ein Unterlassen geprägt. Beim Verzicht auf eine mögliche und gebotene Behandlung ist die Untätigkeit des Arztes offenkundig, sei es durch das Unterlassen der künstlichen Beatmung oder Ernährung, sei es durch das Nichtergreifen medizinischer Maßnahmen zur Reanimation. Auch der Abbruch einer bereits begonnenen Behandlung, etwa das Abschalten von Beatmungsgeräten oder die Entfernung einer Sonde zur künstlichen Ernährung stellen sich als Unterlassen dar: Sie erfordern zwar eine Handlung, sind aber gleichwohl als Passivität zu werten, liegt der Schwerpunkt solcher Vorgänge doch in der Nichtvornahme einer gebotenen Handlung. 68 1. Begriff und Voraussetzungen Strafrechtlich relevant ist der Behandlungsabbruch daher nur in Form des Unterlassungsdelikts. Die Strafbarkeit erfordert gemäß § 13 StGB eine Garantenpflicht. Der Arzt muss also zum aktiven Einschreiten verpflichtet sein, um den Tod des Patienten zu verhindern. Eine solche Garantenstellung wird durch die Übernahme einer Behandlung begründet, 69 kann sich aber auch aus einem besonderen Näheverhältnis zwischen Opfer und Täter oder vorangegangenem Tun des Täters ergeben, welches das Opfer einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat (Ingerenz). Die Garantenpflicht fehlt, wenn die medizinische Behandlung oder deren Fortsetzung nicht indiziert ist oder der Patient hierzu keine Einwilligung erteilt hat. 70 Zudem muss das Unterlassen nach § 13 StGB dem aktiven Herbeiführen des Todes entsprechen (Entsprechungsklausel). Dies ist nur dann der Fall, wenn durch das 65 BGHSt 42, 301; BGHSt 37, 376; vgl. auch Norouzi in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 3, Rn. 110; Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 149, Rn. 12, sowie Eser/ Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB,Vorbem. § 211, Rn. 26 und Rosenau in Leipziger Kommentar, vor §§ 211 ff., Rn. 45 ff. zu anderen Auffassungen, wie die Straflosigkeit des Arztes in diesen Fällen zu begründen sei. 66 Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 502; Hoyer in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 53, Rn. 12. 67 Kritisch zu diesem Begriff Rosenau in Leipziger Kommentar, Vor §§ 211 ff. Rn. 53. 68 BGHSt 40, 257. 69 BGH, NJW 1979, 1258; Norouzi in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 3, Rn. 85 f. 70 Rosenau in Leipziger Kommentar, vor §§ 211 ff., Rn. 57. <?page no="379"?> D. Sterbehilfe als Straftat 379 Ergreifen oder Fortführen ärztlicher Maßnahmen der Todeszeitpunkt hätte hinausgezögert werden können. Bei unmittelbarer Todesnähe des Patienten ist der die Behandlung abbrechende Arzt daher mangels Indikation straflos. 71 Diese ist gegeben, wenn das Grundleiden des Patienten irreversibel ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Kriterien sind die dauerhafte Bewusstlosigkeit und Kommunikationsunfähigkeit des Patienten sowie die Unterstützung der grundlegenden Körperfunktionen wie Nahrungsaufnahme, Atmung oder Ausscheidung durch medizinische und technische Maßnahmen. Werden derartige Maßnahmen abgebrochen, muss der Tod alsbald eintreten. 72 Der Arzt muss also eine Prognose über die verbleibende Lebensdauer erstellen und beurteilen, ob der Sterbevorgang bereits eingesetzt hat. Kann zwar das Grundleiden des Patienten nicht mehr behoben, dessen Leben aber durch Weiterbehandlung signifikant verlängert werden, kommt es auf den Willen des Patienten an. Verweigert er die Einwilligung in die Weiterbehandlung, ist der Behandlungsabbruch ebenfalls straflos. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen ist vom Selbstbestimmungsrecht des Patienten gedeckt. Denn eine ärztliche Behandlung ohne dessen Einwilligung ist nicht zulässig, selbst wenn durch den Behandlungsverzicht der Todeseintritt beschleunigt wird. 73 Voraussetzung ist jedoch, dass der Patient die Verweigerung aus freiem Willen erklärt hat. Er muss umfassend über das Für und Wider der bestehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sein, um die Tragweite seiner Entscheidung ermessen zu können. Beispiel Die in einem Pflegeheim betreute Patientin P ist unheilbar krank. Sie äußert ihren Kindern gegenüber, dass sie keinesfalls künstlich ernährt werden möchte. Als sie in ein Wachkoma fällt, veranlasst der diensthabende Arzt das Legen einer PEG-Sonde zur künstlichen Ernährung. Die Tochter T der P schneidet nach langen Auseinandersetzungen mit der Heimleitung schließlich den Schlauch der PEG-Sonde durch. Bald darauf verstirbt P. Der BGH hat die T vom Vorwurf des Totschlags nach § 212 StGB freigesprochen. 74 71 St. Rspr. BGHSt 40, 257; BGH NJW 2003, 1588; zur zivilrechtlichen Bewertung vgl. OLG München, MedR 2018, 317. 72 Vgl. dazu Bühler/ Stolz, FamRZ 2003, 1622. 73 Ulsenheimer in Laufs/ Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 133, Rn. 4; Kutzer, NStZ 1994, 110 (113). 74 BGHSt 55, 191. <?page no="380"?> 380 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten Hat der Patient eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt, dürfen sie nicht ergriffen werden. Die Frage, ob bei der Beendigung oder der Nichtvornahme einer möglichen Behandlung ein Tun oder Unterlassen das Geschehen prägt, ist dann nicht von Bedeutung, weil die Behandlung insgesamt nicht vom Patientenwillen gedeckt wäre. Mit dieser Entscheidung hat der BGH keineswegs die hergebrachte Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe aufgegeben, ist die aktive Sterbehilfe doch durch lebensbeendende Maßnahmen gekennzeichnet, die keinen Bezug zur medizinischen Behandlung aufweisen, etwa die Gabe von Gift. 75 Ihre entscheidende Bedeutung liegt vielmehr darin, dass die Befugnis zur Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen auch anderen Personen als Ärzten eingeräumt ist, wenn sie damit den explizit geäußerten Willen des Patienten umsetzen. 76 2. Mutmaßlicher Wille Problematisch ist der Behandlungsverzicht oder -abbruch folglich weiterhin in den Fällen, in denen der Patient nicht (mehr) in der Lage ist, seinen Willen zu äußern. In diesen Fällen ist der Rückgriff auf dessen mutmaßlichen bzw. hypothetischen Willen zulässig. Dieser ist unter sorgfältiger Abwägung aller Umstände zu ermitteln, wie sie sich im Zeitpunkt der Entscheidung über die Weiterbehandlung des Patienten dargestellt haben. Es ist also darauf abzustellen, welche Entscheidung der Patient getroffen hätte, wenn er die konkrete Situation bei vollem Bewusstsein und voller Einsichtsfähigkeit erlebt hätte. Frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, die religiösen Überzeugungen oder Wertvorstellungen können hierfür ebenso einen Anhaltspunkt bieten wie dessen altersbedingte Lebenserwartung. 77 Auch eine im Einklang mit § 1901a BGB a.F./ § 1827 BGB n.F. formulierte Patientenverfügung kann Klarheit über die vom Patienten gewünschten und abgelehnten Maßnahmen bringen. 78 Die zivil- und die strafrechtlichen Konsequenzen der Patientenverfügung laufen daher gleich. 79 75 Gaede, NJW 2010, 2925 (2926). 76 Der Abbruch lebensrettender Maßnahmen durch Dritte war nach hergebrachter Auffassung als Begehungsdelikt zu qualifizieren. Nur der Arzt, der eine zuvor von ihm eingeleitete Maßnahme beendet, begehe ein Unterlassungsdelikt, sei ihm doch die Möglichkeit eröffnet gewesen, die Behandlung gar nicht erst zu beginnen, Hoyer in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 53, Rn. 29; Verrel, NStZ 2010, 671 (672); Hecker, JuS 2010, 1027 (1028). 77 BGHSt 35, 246. 78 Dazu ausführlich auf S. 359, sowie Kutzer, FPR 2004, 683 (685 f.); Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Olzen/ Schneider, MedR 2010, 745. 79 BGHSt 55, 191; Gaede, NJW 2010, 2925 (2927); Hoyer in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 53, Rn. 34 f. <?page no="381"?> 381 D. Sterbehilfe als Straftat Unbestimmte oder einer spontanen Stimmung entsprungene Äußerungen wie „So möchte ich einmal nicht enden.“ oder „Ich wünsche mir einen menschenwürdigen Tod.“ sind nicht konkret genug, um auf die generelle Ablehnung von ärztlichen Maßnahmen im Angesicht des Todes schließen zu lassen. Auch objektive Kriterien, etwa ob die Weiterbehandlung gemeinhin, vom behandelnden Arzt oder nahen Verwandten des Patienten als vernünftig erachtet würde, lassen keine Rückschlüsse auf den hypothetischen Willen zu. Sie können allenfalls Anhaltspunkte bei dessen Ermittlung sein. 80 Ist der mutmaßliche Wille des Patienten nicht ermittelbar, aber auch nur dann, 81 ist nach dem Grundsatz „in dubio pro vita“ zu verfahren. Der Arzt soll im Zweifel alle möglichen lebenserhaltenden Maßnahmen treffen. Ein Behandlungsabbruch ist in diesen Fällen daher nur vertretbar, wenn der Tod unmittelbar bevorsteht und nicht zu erwarten ist, dass der Patient jemals wieder ein menschenwürdiges Leben führen kann. 82 Die ärztliche Behandlungspflicht findet also dort eine objektive Grenze, wo der Patient unumkehrbar jegliche Möglichkeit verloren hat, sich selbst wahrzunehmen oder gar selbst zu verwirklichen. 83 Wirtschaftliche Aspekte, etwa die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und dem möglichen Erfolg, müssen außer Betracht bleiben: als höchstes Rechtsgut kann und darf das Leben nicht gegen materielle Interessen aufgerechnet werden. 3. Behandlungsabbruch bei Betreuung Kann ein Volljähriger auf Grund einer Krankheit oder einer Behinderung seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen, ist gemäß § 1896 BGB a.F./ § 1814 BGB n.F. ein Betreuer zu bestellen. Dieser nimmt alle Handlungen vor, die für die Wahrnehmung der Angelegenheiten des Betreuten notwendig sind. Die Befugnisse des Betreuers erstrecken sich nur auf die Aufgabenkreise, die ihm ausdrücklich zugewiesen sind, § 1896 II BGB a.F./ § 1815 BGB n.F. Dabei ist er verpflichtet, das Wohl des Betreuten zu verfolgen und dessen Wünsche und Vorstellungen zu berücksichtigen. 84 Ist ein Betreuer zur Sorge für die Gesundheit des Betreuten bestellt, stellt sich die Frage, ob er über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen entscheiden darf. Teilweise wird vertreten, eine Entscheidung über einen Behandlungsabbruch sei der Kompetenz des Betreuers entzogen. Als höchstpersönliches Rechtsgut könne das 80 BGHSt 40, 257; ausführlich Spickhoff, NJW 2000, 2297. 81 Gaede, NJW 2010, 2925 (2926); Janda, MedR 2018, 778 (784). 82 BGHSt 35, 246; BGHSt 40, 257. 83 Eser/ Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, Vorbem. § 211, Rn. 29 mit zahlreichen Nachweisen. 84 Dazu ausführlich Schneider in MüKo, BGB, § 1896, Rn. 7 ff. sowie § 1901, Rn. 10 ff. <?page no="382"?> Leben nicht der Fremdbestimmung unterliegen. Zudem stehe die Einwilligung in das Sterbenlassen dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge diametral entgegen, beende diese doch das Leben, anstatt es zu schützen. 85 Der BGH hat dem Betreuer jedoch eine umfassende Zuständigkeit für die medizinischen Belange des Betreuten zugesprochen. Dieser könne also auch den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen veranlassen. Anderenfalls wäre diese Entscheidung auf den Arzt oder das Pflegepersonal verlagert, die insoweit weniger als der Betreuer aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten legitimiert sind. Der Vergleich zu § 1905 BGB a.F./ § 1830 BGB n.F. - Sterilisation des Betreuten - zeige zudem, dass höchstpersönliche Fragen nicht per se der Entscheidung des Betreuers entzogen seien. 86 Da der Betreuer an die Wünsche des Betreuten gebunden ist, trifft er zudem keine eigene Entscheidung über die Weiterbehandlung des Patienten, sondern setzt lediglich dessen persönliche Vorstellungen um. Aus diesem Grunde ist auch ein unmittelbarer Rückgriff auf den mutmaßlichen Patientenwillen durch Ärzte oder Pflegepersonal unzulässig. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Betreuer nicht erreichbar ist, vgl. § 1901b II BGB a.F./ § 1828 II BGB n.F. 87 Liegt eine wirksame Patientenverfügung vor, bindet diese nach § 1901a I BGB a.F./ § 1827 I BGB n.F. den Betreuer, soweit deren Inhalt auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutrifft. Fehlt es an einer solchen passgenauen Verfügung, hat der Betreuer nach § 1901a II BGB a.F./ § 1827 II BGB n.F. den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und daraufhin eine Entscheidung über die Weiterbehandlung zu treffen, hat sich dabei aber auf tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen. 88 Zudem ist für die Wirksamkeit der Behandlungsverweigerung durch den Betreuer die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich, § 1904 II BGB a.F./ § 1829 II BGB n.F. Dadurch ist sichergestellt, dass dem verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde und des Rechts des Patienten auf Leben und Achtung seiner Selbstbestimmung genügt wird. 89 Entbehrlich ist die gerichtliche Genehmigung gemäß § 1904 IV BGB a.F./ § 1829 IV BGB n.F. nur, wenn Betreuer und behandelnder Arzt Einvernehmen darüber erzielt haben, dass der Behandlungsabbruch dem Patientenwillen entspricht. 85 LG München, NJW 1999, 1788; LG Augsburg, NJW 2000, 2363; kritisch Gründel, NJW 1999, 3391. 86 BGHZ 154, 205; 163, 195; dazu Deutsch, NJW 2003, 1567, sowie Becker-Schwarze, FPR 2007, 52. 87 Olzen/ Schneider, MedR 2010, 745 (746 f.). 88 Ausführlich Höfling, NJW 2009, 2849 (2850); Diehn/ Rebhan, NJW 2010, 326 (327); Olzen/ Schneider, MedR 2010, 745 (746); Beermann, FPR 2010, 252 (254); Ludyga, FPR 2010, 266 (269); Schneider in MüKo, § 1901a BGB, Rn. 40, 46 ff. Zu den verfahrensrechtlichen Aspekten vgl. auch BGH, NJW 2011, 161 (162). 89 Dazu auch Deutsch, NJW 2003, 1567 (1567); Diehn/ Rebhan, NJW 2010, 326 (328); Ludyga, FPR 2010, 266 (268); LG Kleve, NJW 2010, 2666 (2667). Kritisch Holzhauer, FamRZ 2003, 991; Spickhoff, JZ 2003, 739. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten 382 <?page no="383"?> 383 Der BGH war bis vor kurzem noch der Auffassung, dass ein Betreuer nur in den durch das StGB, namentlich § 216 StGB und § 212 StGB gesetzten engen Grenzen straffrei agieren könne. Die Patientenverfügung sei regelmäßig so auszulegen, dass die Ablehnung einer Behandlung sich auf akute Fälle beziehe, in denen wenig Aussicht auf Heilung bestehe. Sei der Zustand des Patienten lediglich „ernst, aber nicht hoffnungslos“, könne die Entscheidung über den Behandlungsabbruch nicht straflos bleiben. 90 Folglich bildete die unmittelbare Todesnähe des Patienten auch bei der Zustimmung des Betreuers zum Behandlungsabbruch eine objektive Grenze: die Einstellung der medizinischen Behandlung war strafbar, wenn durch diese das Leben des Betreuten verlängert werden konnte. 91 Indes ordnet § 1901a III BGB a.F./ § 1827 III BGB n.F. an, dass die in § 1901a I BGB a.F./ § 1827 I BGB n.F. niedergelegten Grundsätze zur Verbindlichkeit einer Patientenverfügung unabhängig vom Stadium der Erkrankung gelten. Dem Selbstbestimmungsrecht kommt damit ein absoluter Vorrang vor den medizinischen Möglichkeiten zur Verlängerung des Lebens zu. Der Wille des Patienten ist folglich auch dann maßgeblich, wenn er sich noch nicht im Zustand unmittelbarer Todesnähe befindet, der Sterbevorgang also noch nicht eingesetzt hat. Dies folge aus dem Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 I GG ebenso wie aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG. 92 IV. Schutz vor Triage-Entscheidungen Während der Corona-Pandemie, vor allem in den sogenannten ersten Wellen im Jahr 2020 und 2021 stieß das Gesundheitswesen immer wieder an seine Kapazitätsgrenze. Es wurde darüber diskutiert, ob angesichts der Knappheit intensivmedizinischer Behandlungsplätze Triage-Entscheidungen getroffen werden müssen. Nach den Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) soll auf die Erfolgsaussichten einer Intensivtherapie als Priorisierungskriterium abgestellt werden. Bei akuter Knappheit von Intensivressourcen sollen die Patienten nachrangig behandelt werden, die sehr schlechte Aussichten haben, die aktuelle Erkrankungssituation zu überleben. 93 Tatsächlich war die Situation nie so prekär, gleichwohl bestand Anlass zur Sorge, dass Ärzte im Falle einer Triage-Ent- 90 BGH, NJW 2011, 161 (162); zustimmend Olzen/ Metzmacher, JR 2011, 318; kritisch Verrel, NStZ 2011, 276; Coeppicus, NJW 2013, 2939. 91 BGHZ 154, 205. 92 BGHZ 202, 226; zustimmend Boemke, NJW 2015, 378; Spickhoff, FamRZ 2014, 1913; kritisch zu den beweisrechtlichen Aspekten Lindner, MedR 2015, 483; Duttge, JZ 2015, 43. 93 DIVI, Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie, https: / / www.awmf.org/ uploads/ tx_szleitlinien/ 040-013l_S1_Zuteilung-in- D. Sterbehilfe als Straftat <?page no="384"?> 384 scheidungen bei Menschen mit Behinderungen pauschal eine geringere Erfolgsaussicht annehmen. 94 Eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen legte daher Verfassungsbeschwerde ein und machte geltend, dass nicht die medizinischen Fachgesellschaften, sondern der Gesetzgeber zu einer Regelung von Triage-Situationen verpflichtet sei. Das BVerfG folgte der Argumentation. Der Gesetzgeber müsse gewährleisten, dass alleiniger Maßstab einer Triage-Entscheidung die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit in der konkreten und aktuellen Situation sein dürfe; auf die langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit dürfe es nicht ankommen. Aus dem Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 III 2 GG folge ein staatlicher Schutzauftrag. Wie der Gesetzgeber den gleichberechtigten Zugang der besonders vulnerablen Gruppe der Menschen mit Behinderung zu den knappen Ressourcen im Gesundheitswesen sicherstelle, liege in seinem Ermessen. 95 Dem Gesetzgeber ist damit eine wohl nahezu unlösbare Aufgabe gestellt worden, denn wegen des aus der Menschenwürdegarantie folgenden Achtungsanspruchs darf er keine konkreten Kriterien aufstellen, mit denen per se der Wert eines Menschenlebens gegen den eines anderen abgewogen wird. 96 Denkbar sind sowohl gesetzliche Kriterien zur Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Behandlung als auch Verfahrensvorgaben - etwa ein 4-Augen-Prinzip und ausführliche Dokumentationspflichten - oder eine Regelung im Strafrecht. 97 Eine Neuregelung ist nach der Entscheidung des BVerfG zwar unverzüglich geboten, lässt aber derzeit noch auf sich warten. Ein erster Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums hatte vorgesehen, dass weder Behinderung noch Gebrechlichkeit, Alter, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Geschlecht oder sexuelle Orientierung maßgeblich für eine Triage-Entscheidung sein dürfen. Zulässig sei allein die Würdigung der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten“. Vorerkrankungen seien nur dann in die Entscheidung einzubeziehen, wenn sie „aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern“. Da der Entwurf nicht nur die ex-ante-Triage, also die Entscheidung zwischen zwei gleichzeitig eingelieferten Patienten, regeln wollte, sondern auch die ex-post-Triage, bei der eine bereits begonnene Intensivtherapie zugunsten eines anderen Patienten abgebrochen wird, sah er sich erheblicher Kritik ausgesetzt und wurde zurückgezogen. Ein neuer Entwurf liegt derzeit noch nicht vor. tensivmedizinscher-Ressourcen-im-Kontext-der-COVID-19-Pandemie-Klinisch-ethische_Empfehlungen_2021-12_1.pdf 94 „Survival of the Fittest“, Eichenhofer, jurisPR-MedizinR 1/ 2022, Anm. 1. 95 BVerfG, 16.12.2021 - 1 BvR 1541/ 20. 96 Eichenhofer, jurisPR-MedizinR 1/ 2022, Anm. 1. 97 Kranz/ Ritter, NVwZ 2022, 133 (135); Tabbara, NZS 2022, 241 (244); Huster, Verfassungsblog 2021/ 12/ 29, https: / / verfassungsblog.de/ much-ado-about-nothing/ 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="385"?> 385 E. Ärztliche Beteiligung am Suizid Unterstützt ein Arzt einen Suizidwilligen in seinem Wunsch zu sterben oder unterlässt er die Rettung eines Selbstmörders, bewegt er sich ebenfalls in einem Grenzbereich des Strafrechts. Problematisch ist die Beteiligung des Arztes vor allem in den Fällen, in denen der Suizidwillige zwar schwer krank ist, aber nicht unmittelbar vor dem Tod steht, wo also die Grenze zur Sterbehilfe (noch) nicht überschritten ist. I. Aktive Unterstützung der Selbsttötung Die deutsche Rechtsordnung kennt keinen Tatbestand, der den Selbstmord bzw. dessen Versuch unter Strafe stellt. Die Strafbarkeit wegen Totschlags nach § 212 StGB setzt die Tötung eines anderen Menschen voraus. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes, ist aber im Hinblick auf die Schutzrichtung der Tötungsdelikte allgemein anerkannt. 98 Nach § 27 StGB kommt daher eine Beihilfe zur Selbsttötung nicht in Betracht, erfordert diese doch die Beteiligung an einer rechtswidrigen Tat. 99 1. Abgrenzung zwischen Beihilfe zur Selbsttötung und-Tötung-auf-Verlangen Die Grenze zur Strafbarkeit wird jedoch überschritten, wenn der Todeswunsch nicht auf dem freien Willen des Opfers beruht oder wenn der Täter nicht lediglich bei einer Selbsttötung assistiert, sondern aktiv den Tod eines anderen herbeiführt. Handelt der Arzt dabei auf den ausdrücklichen Wunsch des Opfers hin, kommt eine Strafbarkeit nach § 216 StGB wegen Tötung auf Verlangen in Betracht. Dieses Delikt sieht im Vergleich zum Totschlag nach § 212 StGB eine Privilegierung vor. Beispiel O leidet an Multipler Sklerose. Er ist nahezu bewegungsunfähig und kann wegen einer starken Sehschwäche auch kaum Bücher lesen oder anderen Aktivitäten nachgehen. Da O keinen Sinn in seinem Leben sieht, bittet er seinen Hausarzt T, ihm ein starkes Gift zu besorgen. T kommt diesem Wunsch nach. 100 98 Schneider in MüKo, StGB, Vorbem. § 211, Rn. 30; Lackner/ Kühl, StGB, Vorbem. § 211, Rn. 9. 99 St. Rspr. vgl. RGSt 70, 313; BGHSt 2, 152; 32, 262; 32, 367; 46, 279; Eser/ Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, Vorbem. § 211, Rn. 35; Gropp, NStZ 1985, 97 (98). 100 Nach BGHSt 46, 279. E. Ärztliche Beteiligung am Suizid <?page no="386"?> 386 Zur Abgrenzung zwischen der strafbaren Tötung auf Verlangen und der straflosen Beihilfe zum Suizid hatte der BGH zunächst auf den Willen des Täters abgestellt. Unterwerfe sich dieser lediglich dem Willen des Getöteten, liege eine Beihilfe zum Suizid vor. 101 Dieses Kriterium war jedoch kaum praktikabel, ist die Unterwerfung unter den Willen des Lebensmüden doch prägend für den Tatbestand des § 216 StGB. Der Akzent verlagerte sich auf das äußere Erscheinungsbild. § 216 StGB wurde danach als erfüllt angesehen, wenn das Opfer „duldend vom Täter den Tod entgegennimmt“. 102 Inzwischen wird die Abgrenzung in Literatur und Rechtsprechung vor allem danach vorgenommen, ob sich das Geschehen als Selbst- oder Fremdverfügung darstellt: 103 Verbleibt dem Opfer nach dem letzten Tatbeitrag des anderen noch die freie Entscheidung, hat dieses also die Herrschaft über den Tatverlauf, liege eine bloße Beihilfe zum Suizid vor. Anderenfalls sei der Tatbestand des § 216 StGB erfüllt. Es kommt im Ergebnis auf eine normative Betrachtung an, wer das zum Tode führende Geschehen beherrscht. Dies kann auch der sterbende Mensch sein, etwa wenn er bei Bewusstsein ist und davon absieht, eine andere Person zur Verständigung des Rettungsdienstes aufzufordern. 104 Beispiel Entscheidet O selbst, ob er das Gift einnimmt oder nicht, ist T als Gehilfe einer Selbsttötung straflos. Verabreicht ihm T dagegen das Gift, liegt eine Tötung auf Verlangen vor. Dies gilt auch dann, wenn O aufgrund seiner Erkrankung vollständig bewegungsunfähig und daher notwendig auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, um sein Leben zu beenden. 105 2. Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen § 216 StGB setzt ein ausdrückliches und ernstliches Tötungsverlangen des Opfers voraus. Das Tötungsverlangen unterscheidet sich vom bloßen Einverständnis in die Tötungshandlung, da das Opfer aktiv auf den Täter einwirkt und diesen zur Begehung der Tat veranlasst. Das Opfer muss eindeutig, unmissverständlich und zielgerichtet äußern, dass sein Leben beendet werden soll. Gerade dieses Verlangen muss 101 BGHSt 13, 162. 102 BGHSt 19, 139. 103 BGH, NJW 2003, 2326; Eser/ Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, § 216, Rn. 11 f. sowie Schneider in MüKo, StGB, § 216, Rn. 27 ff. mit einer Übersicht zum Streitstand. 104 BGH, 28.6.2022, 6 StR 68/ 21, Rn. 16 ff. 105 BGH, NJW 2003, 2326. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="387"?> 387 den Täter zur Tatbegehung bestimmt haben. Verfolgt er mit der Tötung weitere Motive - etwa das Erlangen einer Erbschaft oder die Befreiung von der Pflicht zur Pflege des schwerkranken Opfers - schadet dies nicht, selbst wenn diese Nebenzwecke missbilligenswert sind. Das Tötungsverlangen muss nicht notwendig an eine bestimmte Person gerichtet werden. Je breiter der Personenkreis ist, der sich durch den Wunsch des Opfers angesprochen fühlen kann, umso strenger ist jedoch die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens zu prüfen. Die Ernstlichkeit setzt weiterhin voraus, dass der Entschluss des Opfers von seinem freien Willen getragen ist. Ist die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Opfers aufgrund seines Alters oder wegen seiner Erkrankung eingeschränkt, fehlt es unter Umständen an der Ernstlichkeit. Gleiches gilt, wenn der Todeswunsch durch Zwang oder Täuschung hervorgerufen wird oder einer spontanen Stimmung oder vorübergehenden Depression entspringt. In Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe 106 wird man zudem den Anwendungsbereich des § 216 StGB auf die Fälle beschränken müssen, die nicht behandlungsbezogen sind. Ist das Tötungsverlangen eines Patienten also durch den Abbruch bzw. das Unterlassen lebensrettender oder lebenserhaltender Maßnahmen umzusetzen, liegt ein strafloser Behandlungsabbruch vor. 107 Nimmt der Täter irrig an, dass das Opfer ernstlich den Tod wünsche, unterliegt er einem Irrtum nach § 16 II StGB. Seiner Vorstellung nach erfüllt sein Handeln den Tatbestand eines milderen Gesetzes: Tötung auf Verlangen statt - wie objektiv gegeben - Totschlag. Er wird in diesem Fall nach dem milderen Gesetz bestraft und kann damit vom geringeren Strafmaß des § 216 StGB profitieren. II. Hilfeleistungspflichten beim Suizid Weitaus wahrscheinlicher ist die Situation, dass ein Arzt mit einem Patienten konfrontiert wird, der eine Selbsttötung vornehmen wollte, dessen Rettung aber noch möglich ist. Der Arzt befindet sich in einem Zwiespalt zwischen seiner berufsethischen Pflicht zur Hilfeleistung und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Aus seiner - juristisch laienhaften - Sicht hat er die Wahl zwischen Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts, weil er die Rettung des Suizidenten unterlässt oder wegen eines Körperverletzungsdelikts, wenn er diesen gegen dessen Willen behandelt. 106 BGHSt 55, 191. Ausführlich zur Sterbehilfe auf S. 369. 107 Verrell, NStZ 2010, 671 (673). Hoyer in Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, § 54, Rn. 4 stellt dagegen auf die verbleibende Suizidfähigkeit des Getöteten ab. Fehle diese, sei der vom Patientenwillen gedeckte Behandlungsabbruch straflos, bestehe diese im Tatzeitpunkt fort, sei § 216 StGB erfüllt. E. Ärztliche Beteiligung am Suizid <?page no="388"?> 388 Beispiel O ist 76 Jahre alt. Sie leidet an einer schweren Verkalkung der Herzgefäße und hat wegen ihrer Arthrose ständig starke Schmerzen. Seit dem Tod ihres Mannes sieht sie keinen Sinn im Leben und beschließt, sich das Leben zu nehmen. Sie nimmt eine Überdosis Morphium und Schlaftabletten ein. Ihr Hausarzt T, der O zu einem Hausbesuch aufsuchen wollte, findet O bewusstlos auf. Sie atmet kaum noch, der Puls ist nicht zu fühlen. Bei O findet T einen Brief, in dem sie ihren Wunsch zu sterben, festgehalten hatte. T unternimmt nichts, um O zu retten. Er bleibt bei ihr, bis sie gestorben ist. Die Strafbarkeit des Arztes ist in diesen Fällen unter verschiedenen Aspekten zu prüfen. Neben der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c StGB sind die Tatbestände des Totschlags nach § 212 StGB bzw. der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB - jedoch in Gestalt eines Unterlassungsdelikts - einschlägig. 1. Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung Wegen unterlassener Hilfeleistung ist strafbar, wer in einem Unglücksfall nicht Hilfe leistet, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Unter einem Unglücksfall ist jedes plötzlich auftretende Ereignis zu verstehen, das erhebliche Gefahren für Menschen oder Sachen hervorzurufen droht. 108 In der Literatur wird der auf einem freien Willen beruhende Selbstmordversuch weit überwiegend nicht als Unglücksfall eingestuft. Dieser bedrohe nur das Leben des Suizidenten selbst. Das Selbstbestimmungsrecht gebiete es, das Nichteinschreiten hinzukommender Personen straffrei zu belassen. 109 Der freie Wille wirke auch dann fort, wenn der Suizident die Herrschaft über das Geschehen verloren hat, etwa weil ein eingenommenes Gift seine Wirkung zu entfalten beginnt. Diese Auffassung wird von der Rechtsprechung nicht geteilt. Jede plötzliche und rapide Verschlechterung des Gesundheitszustands sei als Unglücksfall zu werten, selbst wenn diese vom Opfer selbst herbeigeführt worden ist. Das Rechtsgut Leben sei nicht verfügbar, sodass der Wille zu sterben aus der Sicht desjenigen unbeachtlich sei, der zur Lebensrettung im Stande ist. 110 Von Bedeutung mag an dieser Stelle auch sein, dass weniger als 5 % der Selbstmordversuche tatsächlich auf einer freien, unbeeinflussten 108 Statt vieler BGHSt 6, 147. 109 Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, § 323c, Rn. 8; differenzierend Dölling, NJW 1986, 1011 (1013). 110 St. Rspr. seit RGSt 75, 68; BGHSt 2, 152; 6, 147; 13, 162; BGH, NJW 1983, 350. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="389"?> 389 Willensentscheidung beruhen, während die Mehrzahl durch seelische Störungen oder depressive Verstimmungen ausgelöst sein dürfte. Die Zeitspanne, in der die Entscheidung über die notwendigen und möglichen Hilfsmaßnahmen zu treffen sei, sei jedenfalls zu kurz, um solche psychiatrischen bzw. psychologischen Fragen zu klären. 111 Art und Maß der zu leistenden Hilfe sind abhängig von der Art des Unglücksfalls und wesentlich von den Fähigkeiten und Möglichkeiten des Hilfspflichtigen bestimmt. 112 Die in § 323c StGB verankerte Hilfeleistungspflicht geht für Ärzte jedoch nicht über das Maß hinaus, das von jedem anderen Menschen in der konkreten Situation erwartet würde. Als zufällig vorbeikommender Passant muss daher auch der Arzt nur Maßnahmen zur ersten Hilfe leisten. 113 Jedoch führt die Auffassung der Rechtsprechung nicht in jedem Fall zur Strafbarkeit des den Suizid nicht hindernden Arztes. Im Rahmen der Zumutbarkeit der Hilfeleistung ist nämlich zwischen der Hilfeleistungspflicht und dem Selbstbestimmungsrecht des Opfers abzuwägen. Die Hilfeleistung kann sich daher im Einzelfall als unzumutbar darstellen. Jedenfalls findet sie ihre Grenze dort, wo Hilfe objektiv sinnlos ist, weil der durch den Suizidversuch hervorgerufene Körperschaden schon so weit fortgeschritten ist, dass der Todeseintritt unausweichlich ist. 114 2. Strafbarkeit wegen Tötungsdelikten durch Unterlassen Nach Auffassung des BGH ist ein nach § 212 StGB oder § 216 StGB (jeweils i. V. m. § 13 StGB) strafbares Unterlassen gegeben, wenn Q der Suizident bewusstlos ist, Q sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet und Q der Täter die erforderliche und zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leistet, Q obwohl ihn Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten treffen. Für den Arzt kann sich die nach § 13 StGB erforderliche Garantenpflicht allenfalls aus der Übernahme einer Behandlung ergeben. 115 Gleiches gilt für den kraft öffentli- 111 BGHSt 32, 367 mit Nachweisen zu den Erkenntnissen der Suizidforschung sowie Dölling, NJW 1986, 1011 (1014). 112 RGSt 75, 68; BGHSt 2, 296. 113 Giring/ Schmidt in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 16, Rn. 63; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 370; Norouzi in Wenzel, Arzthaftungsprozess, Kap. 3, Rn. 100. 114 BGHSt 6, 147; 13, 162; 14, 213; 32, 367. 115 Giring/ Schmidt in Ratzel/ Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 16, Rn. 17; Kutzer, NStZ 1994, 110 (112). E. Ärztliche Beteiligung am Suizid <?page no="390"?> 390 chen Rechts zur Hilfe verpflichteten Arzt im Bereitschaftsdienst sowie in der Notaufnahme des Krankenhauses, wenn er um Hilfe ersucht wird. 116 Zur Abgrenzung zwischen strafbarer Tötung durch Unterlassen und strafloser Beihilfe zum Suizid stellt der BGH auf den Willen zur Beherrschung des vom Suizidenten in Gang gesetzten Geschehens ab. 117 Unternimmt der hinzugezogene Arzt nichts und zieht sich der Sterbevorgang über einen Zeitraum von mehreren Stunden hin, hat nur noch der Arzt, nicht aber der bewusstlose Patient die Tatherrschaft inne. Denn das weitere Geschehen sei dann ausschließlich vom Verhalten des Arztes abhängig. 118 Diese Rechtsprechung ist massiver Kritik aus der Literatur ausgesetzt. Die Strafandrohung in § 216 StGB beziehe sich ausschließlich auf die aktive Tötung auf Verlangen. Die Verwirklichung des Tatbestands durch Unterlassen sei schlechterdings undenkbar. Zumindest sei die nach der Entsprechungsklausel des § 13 StGB geforderte Gleichwertigkeit zwischen Tun und Unterlassen nicht gegeben, würde vom Arzt doch ein Aufdrängen unerwünschter Hilfe verlangt werden, um sich der Strafbarkeit entziehen zu können. 119 Das LG Hamburg hat im Jahr 2017 die Garantenstellung eines während des Suizides durch Einnahme von Gift anwesenden Arztes verneint. Weder habe sich der Arzt pflichtwidrig verhalten, da das ärztliche Berufsrecht die Beihilfe zum Suizid lediglich im Rahmen einer Soll-Vorschrift untersagt. Die bloße Anwesenheit des Arztes während des Sterbevorgangs sei zudem nicht als „Übernahme einer Behandlung“ zu werten. Schließlich sei er zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts der beiden sterbewilligen Frauen verpflichtet gewesen. Es könne nicht sein, dass das Selbstbestimmungsrecht frei verantwortlich handelnder Personen durch eine ärztliche Pflicht zur Verhinderung des Todeseintritts ausgehebelt werden soll. 120 Dieser Argumentation hat sich der BGH angeschlossen. Angesichts der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts könne ein Arzt nicht über das Strafrecht gezwungen werden, gegen den Willen der sterbewilligen Person zu handeln. In dem Fall kannte der Arzt die persönlichen Umstände sehr gut; entscheidend war zudem, dass die Patientinnen die todbringende Handlung selbst vorgenommen hatten und somit bis zum Todeseintritt das Geschehen in ihren Händen behielten. 121 116 BGHSt 7, 211; Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 141, Rn. 2. 117 BGHSt 13, 166. 118 BGHSt 32, 367; Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 149, Rn. 25. 119 Dazu ausführlich Dölling, NJW 1986, 1011 (1012); sowie Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB, § 216, Rn. 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur. 120 LG Hamburg, MedR 2018, 421. 121 BGHSt 64, 121. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="391"?> 391 F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht Im Rahmen seiner Tätigkeit erlangt der Arzt zahlreiche Informationen über den Patienten. Diese haben in der Regel sehr persönlichen Bezug, sei es weil sie Auskunft über Krankheiten und Behinderungen, Suchtprobleme oder das private Umfeld geben. Der Patient hat daher ein Interesse an der Geheimhaltung solcher Tatsachen. Diesem Interesse wird mit der im Berufsrecht gründenden Schweigepflicht Rechnung getragen, deren Verletzung in § 203 I Nr. 1 StGB strafbewehrt ist. Wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen ist danach strafbar, wer als Arzt oder anderer Angehöriger eines Heilberufs unbefugt ein Geheimnis offenbart, das zum persönlichen Lebensbereich des Opfers gehört. Voraussetzung für die Strafverfolgung ist ein Antrag des Opfers, § 205 StGB. 122 Die Offenbarung von Privatgeheimnissen wird also nicht von Amts wegen verfolgt. I. Anvertrauen eines Geheimnisses Das Geheimnis muss dem Täter als Arzt anvertraut oder sonst bekannt geworden sein. Dies ist der Fall, wenn er entsprechende Informationen in engem Zusammenhang mit seiner Berufsausübung erlangt hat, sei es durch ausdrückliche mündliche oder schriftliche Mitteilung oder auf indirektem Wege. Es kommt nicht darauf an, dass die Information in unmittelbarem Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung steht. Die Schweigepflicht erstreckt sich auch auf allgemeine Äußerungen des Patienten über seine Sorgen und Nöte, sogar wenn sie dem Arzt außerhalb der Sprechstunden mitgeteilt werden. 123 Hintergrund ist das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, 124 welches Gespräche auch über sensible Themen ermöglichen soll. Ein solches Vertrauensverhältnis besteht selbst in den Fällen, in denen der Kontakt zwischen Arzt und Patient unfreiwillig zustande kommt, etwa weil der Patient zu einer amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert worden ist. 125 122 Ulsenheimer in Laufs/ Kern/ Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 145, Rn. 9. 123 RGSt 13, 61. 124 Cierniak/ Niehaus in MüKo, StGB, § 203, Rn. 37. 125 Heger in Lackner/ Kühl, StGB, § 203, Rn. 16; Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, § 203, Rn. 13 ff. F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht <?page no="392"?> 392 Beispiel Als A einen Hausbesuch bei Patient P macht, hört er zufällig ein Gespräch zwischen Ps Frau F und der Tochter T. Dadurch erfährt er, dass T an einer Geschlechtskrankheit leidet. Zwar ist A diese Information nicht gezielt anvertraut worden. Sie bezieht sich auch nicht auf seinen Patienten P. Für die Geheimhaltungspflicht genügt es aber, dass gerade die Ausübung des Arztberufs dem A die Möglichkeit verschafft hat, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen. Der notwendige innere Zusammenhang ist damit gegeben. Anders wäre es, wenn A von der Krankheit der T erfahren hätte, weil er ohne Wissen des P einen Brief gelesen hätte, der in dessen Schreibtisch verwahrt war. II. Offenbaren eines Geheimnisses Ein Geheimnis wird offenbart, wenn die geheime Tatsache und die Person des Geheimnisträgers einer anderen Person zur Kenntnis gelangen. Bei Schriftstücken reicht es aus, dass einer anderen Person der Gewahrsam daran und damit die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschafft wird. 126 Der Empfänger darf vorher keine Kenntnis von dem Geheimnis gehabt haben. Bloße Vermutungen oder Gerüchte schaden jedoch nicht. 127 Die Offenbarung kann durch ausdrückliche Weitergabe geschehen, etwa wenn der Arzt einem Dritten Auskunft über einen Patienten erteilt. Der Bezug zu dem Patienten muss aber so konkret sein, dass dessen Identität ohne weiteres zu ermitteln ist. Auch wissenschaftliche Publikationen im Rahmen von Forschung und Lehre erfüllen den Tatbestand des § 203 StGB, wenn der Patient z. B. auf Fotos nicht hinreichend anonymisiert wird. Die Abtretung von Vergütungsforderungen gegen den Patienten gegen eine gewerbliche Verrechnungsstelle 128 ist in der Rechtsprechung ebenso als Offenbarung eingestuft worden wie die Übergabe der Patientenkartei an den Erwerber bei der Veräußerung der Arztpraxis. 129 Denn für die Strafbarkeit kommt es nicht darauf an, dass die Person, der das Geheimnis mitgeteilt wird, ihrerseits schweigepflichtig ist. 126 Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, § 203, Rn. 20. 127 RGSt 26, 5. 128 BGHZ 115, 123. 129 BGHZ 116, 268. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="393"?> 393 Der Tatbestand des § 203 StGB kann auch durch Unterlassen erfüllt werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arzt einen anderen nicht daran hindert, Krankenakten seiner Patienten einzusehen oder an sich zu nehmen. 130 III. Fehlende Befugnis zur Offenbarung Die Mitteilung von geheimen Tatsachen an Dritte ist jedoch nur strafbar, wenn sie unbefugt geschieht. 1. Einwilligung des Patienten Die Befugnis kann sich zum einen aus der Zustimmung des Geheimnisträgers ergeben. Denn der mit der Strafandrohung in § 203 StGB verfolgte Zweck ist nur erfüllt, wenn Informationen ohne den Willen des Patienten preisgegeben werden, schützt die Norm doch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit der Ärzteschaft. Daher ist der Arzt auch dann nicht von der Schweigepflicht befreit, wenn der Patient die betreffende Tatsache selbst an andere mitgeteilt hat. Das Einverständnis des Geheimnisträgers muss jedoch wirksam sein. Dies setzt eine natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit voraus, also das Verständnis des Patienten, dass es sich um eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache handelt und die Einsicht, welche Folge deren Preisgabe haben kann. Bei Geheimnissen, die sich auf Vermögenswerte beziehen, ist nach h. M. die volle Geschäftsfähigkeit erforderlich; der Geheimnisträger muss also das 18. Lebensjahr vollendet haben. Das Bewusstsein des Einwilligenden über Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung fehlt in jedem Fall, wenn er durch Täuschung oder Drohung zu seiner Einwilligungserklärung veranlasst worden ist. Das Einverständnis muss nicht nur vor der Weitergabe des Geheimnisses erklärt worden sein. Es muss auch noch im Zeitpunkt der Offenbarung fortbestehen. Formerfordernisse bestehen nicht. Der Patient kann sein Einverständnis daher auch konkludent erteilen, jedoch muss ein entsprechender Wille hinreichend deutlich werden. Die Vermutung des Arztes, der Patient sei mit der Weitergabe der Informationen einverstanden, genügt jedenfalls nicht. 131 130 Cierniak/ Niehaus in MüKo, StGB, § 203, Rn. 58; Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, § 203, Rn. 23. 131 BGHZ 115, 123; BGH, NJW 1992, 2348. F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht <?page no="394"?> 394 Beispiele Eine konkludente Ermächtigung zur Weitergabe von Informationen liegt vor, wenn der Patient den Arzt in einem Prozess als Zeugen benennt. Dagegen liegt eine unbefugte Weitergabe vor, wenn ohne ausdrückliches Einverständnis des Patienten eine externe Verrechnungsstelle mit dem Einzug des Arzthonorars betraut wird. Denn dieses Verfahren ist weder selbstverständlich noch üblich, so dass aus der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen nicht bereits auf die Zustimmung zur Übergabe der Patientendaten an die Abrechnungsstelle geschlossen werden kann. Die Schweigepflicht besteht auch nach dem Tod des Patienten fort. Dies gilt namentlich für Geheimnisse, die dessen persönlichen Lebensbereich, also die Privat- und Intimsphäre, aber auch die berufliche Tätigkeit des Patienten betreffen. Da es sich um höchstpersönliche Informationen handelt, sind nach ganz h. M. auch die Erben des Patienten nicht berechtigt, ihre Einwilligung in deren Weitergabe zu erteilen. Anders stellt es sich bei vermögensbezogenen Geheimnissen dar. Mit dem Tod des Patienten werden dessen Erben insoweit Geheimnisträger und sind somit selbst verfügungsbefugt. 132 2. Mutmaßliche Einwilligung des Patienten Kann das Einverständnis des Verfügungsberechtigten nicht eingeholt werden, ist der Rückgriff auf dessen mutmaßliche Einwilligung zulässig. Es ist dann zu prüfen, ob der Patient in dem konkreten Fall sein Einverständnis zur Weitergabe seiner personenbezogenen Informationen an die konkrete Person erklärt hätte. 133 Dies betrifft namentlich die Fälle, in denen der Arzt die Angehörigen informieren will, weil der Patient einen Unfall erlitten und dabei das Bewusstsein verloren hat. 3. Gesetzliche Offenbarungspflichten Im Einzelfall kann der Arzt kraft Gesetzes zur Offenbarung von Informationen verpflichtet sein, die er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hat. So folgt aus § 138 StGB eine Verpflichtung zur Anzeige von - geplanten oder ausgeführten - 132 RGSt 71, 22; BGHZ 91, 398; Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, § 203, Rn. 38. 133 BGHZ 115, 126; 122, 120; dazu Cierniak/ Niehaus in MüKo, StGB, § 203, Rn. 91. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="395"?> 395 schweren Verbrechen. Spezielle gesundheitsbezogene Anzeige-, Mitteilungs- und Auskunftspflichten folgen aus Q §§ 294 ff. SGB V für die Übermittlung von Leistungsdaten durch Vertragsärzte zum Zwecke der Abrechnung an die Krankenkassen, Q §§ 6, 8 IfSG für bestimmte ansteckende Krankheiten, Q aus den Unterbringungsgesetzen der Länder für geistige und psychische Krankheiten, die eine Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen erfordern oder Q aus den Bestattungsgesetzen der Länder für Todesumstände und Erkrankungen, die dem die Leichenschau durchführenden Arzt mitzuteilen sind. Ist ein Arzt als Zeuge in einem Prozess geladen, ist er ebenfalls zur Aussage verpflichtet - soweit ihm nicht ausdrücklich ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt ist (vgl. § 53 StPO). Auch das Erziehungsrecht der Eltern (§§ 1626, 1631 BGB) begründet eine Offenbarungspflicht des Arztes. Ist ein Kind erkrankt, haben seine Eltern das Recht, davon zu erfahren. Die Offenbarungspflicht wird jedoch durch das Selbstbestimmungsrecht des Kindes begrenzt. 134 Will sich daher eine 17jährige die „Pille“ verschreiben lassen, darf der Arzt dies den Eltern nicht mitteilen. 4. Offenbarung im Notstand nach § 34 StGB Die Offenbarung eines Geheimnisses ist über § 34 StGB gerechtfertigt, wenn dies zur Abwehr von Gefahren für rechtlich geschützte Interessen erforderlich ist. Der Arzt hat abzuwägen, ob das Geheimhaltungsinteresse des Patienten und das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Verschwiegenheit im Einzelfall höher wiegen als das die Offenbarung rechtfertigende Interesse. Uneingeschränkt zulässig ist die Weitergabe von patientenbezogenen Tatsachen, wenn dadurch ernstliche Gefahren für das Leib und Leben des Patienten aber auch anderer, diesem nahe stehender Personen abgewendet werden können. In der Rechtsprechung sind folgende Fälle anerkannt worden: Q die Warnung des Sexualpartners vor einer AIDS-Infektion des Patienten, wenn für den Arzt erkennbar ist, dass der Patient die Infektion gegenüber dem Partner verschweigen und gleichwohl ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizieren wird. 135 Q die Benachrichtigung der zuständigen Verwaltungsbehörde über schwere geistige oder körperliche Mängel eines Patienten, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen, ohne andere erheblich zu gefährden. 136 134 BVerfGE 59, 360. 135 OLG Frankfurt, NJW 2000, 875; kritisch Spickhoff, NJW 2000, 848. 136 BGH, NJW 1968, 2288. F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht <?page no="396"?> 396 Q die Benachrichtigung naher Verwandter über einen lebensbedrohlichen Zustand des Patienten, wenn die Unterrichtung ein erforderliches und angemessenes Mittel zu dessen Rettung ist, beispielsweise weil diese den Patienten zur Inanspruchnahme notwendiger Behandlungen überreden könnten. 137 Nicht richterlich entschieden ist die Frage nach der Berechtigung zum Bruch der Schweigepflicht, wenn sich dem Arzt der Verdacht auf Missbrauch oder Misshandlung eines Kindes aufdrängt. Nach h. M. in der Literatur ist der Arzt ebenfalls nach § 34 StGB gerechtfertigt, wenn er einen solchen, auf Tatsachen gründenden Verdacht den Strafverfolgungsbehörden mitteilt. 138 Kontrollfragen 1. Wodurch unterscheiden sich zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes? 2. Können Behandlungsfehler eine Strafbarkeit des Arztes begründen? 3. Patientin P gehört der Glaubensgemeinschaft der „Zeugen Jehovas“ an. Diese lehnen u. a. Bluttransfusionen kategorisch ab. Bei einem Unfall erleidet P einen hohen Blutverlust. Arzt A legt P die lebensrettende Transfusion nahe, die sie unter Berufung auf ihren Glauben verweigert. A entschließt sich, die aus seiner Sicht völlig unvernünftige Entscheidung der P zu ignorieren. P überlebt dank der Bluttransfusion. Ist A strafbar? 4. Welche Folgen hätte es, wenn A aus Unachtsamkeit eine Blutkonserve verwendet, die in Blutgruppe und Rhesusfaktor nicht mit der der P übereinstimmt, woraufhin diese verstirbt? 5. P erleidet einen Verkehrsunfall. Dabei wird ihr Bein so schwer zertrümmert, dass es amputiert werden muss. Ihr Mann erklärt, Arzt A dürfe die Amputation nicht vornehmen. Erst vor kurzem habe P bei einer Fernsehsendung geäußert, dass sie „so einmal nicht enden wolle“. Welche Entscheidung wird der Arzt treffen, wenn P nicht bei Bewusstsein ist? 6. P wird nach ordnungsgemäßer Aufklärung unter Vollnarkose an der Gallenblase operiert. Arzt A diagnostiziert dabei zufällig einen Tumor. Darf er diesen entfernen, ohne P vorher um ihr Einverständnis zu bitten? 137 BGH, NJW 1983, 350. 138 Dazu ausführlich Bender, MedR 2002, 626. 10. Kapitel: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten <?page no="397"?> 397 7. P leidet an schwerer Demenz. Für ihn ist ein Betreuer zur Sorge für die gesundheitlichen Angelegenheiten bestellt. Vor einiger Zeit hatte P in geschäftsfähigem Zustand eine Patientenverfügung verfasst, nach der er keinerlei Behandlung wünsche, wenn er einmal an Krebs erkranken sollte. Als bei P ein Tumor diagnostiziert wird, fragt der Betreuer, ob er trotz der schriftlichen Äußerungen des P die medizinisch gebotene und mögliche Behandlung veranlassen soll. 8. Grenzen Sie die verschiedenen Formen der Sterbehilfe voneinander ab. 9. Unter welchen Voraussetzungen ist die passive Sterbehilfe zulässig? 10. P hat bei einem Unfall ihre nahen Angehörigen verloren. Sie selbst ist vom Hals abwärts querschnittsgelähmt. Da sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr sieht, bittet sie bei einem Hausbesuch ihren Arzt A, die Ventile ihres Gasherds zu öffnen. A kommt der Bitte nach und verlässt die Wohnung. P stirbt. Hat sich A strafbar gemacht? 11. A wird als Notarzt zu einem Einsatz gerufen. P hatte sich von einem Hochhaus gestürzt und schwer verletzt überlebt. A fragt, ob er lebensrettende Maßnahmen ergreifen müsse, schließlich habe sich P doch offensichtlich das Leben nehmen wollen. 12. Die 15jährige P sucht ihren Arzt A wegen starker Beschwerden im Unterbauch auf. A stellt eine Eileiterschwangerschaft fest. Der Eileiter droht zu reißen, wodurch das Leben der A gefährdet ist. Er drängt sie, sich ins Krankenhaus einliefern zu lassen. P verweigert dies; ihre Eltern dürften unter keinen Umständen von der Schwangerschaft erfahren. Da sich A nicht anders zu helfen weiß, informiert er die Mutter der P, dass diese sterben werde, wenn sie nicht umgehend operiert werde. Über den Grund der Lebensgefahr bewahrt er Stillschweigen. Hat sich A strafbar gemacht? F. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht <?page no="399"?> 399 Musterklausuren Musterklausuren Fall 1 (Bürgerliches Recht) Patientin P litt seit langem an einer Schwellung der Lymphknoten. Um die Ursache der Schwellung untersuchen zu können, war die Entfernung eines Gewebestücks aus dem Lymphknoten indiziert. Für den Eingriff begab sich P in das K-Krankenhaus. Der zuständige Oberarzt O der HNO-Abteilung untersuchte die P nochmals. Das Aufklärungsgespräch wurde von ihm ordnungsgemäß durchgeführt. Am folgenden Tag teilte O den Assistenzarzt A für die Operation ein. Dieser befand sich in der Facharztausbildung und hatte eine derartige Operation noch nie durchgeführt. O erklärte ihm die richtige Vorgehensweise und ließ A ohne Aufsicht die Operation durchführen. Wegen der Urlaubszeit waren nicht genügend Ärzte auf der Station verfügbar, so dass O die Zeit für die Behandlung anderer Patienten nutzen wollte. A wusste nicht, ob er die Operation bewältigen kann. Er traute sich jedoch nicht, dem O zu widersprechen und begab sich in den Operationssaal. Bei dem Eingriff setzte A einen Schnitt falsch und durchtrennte einen Nerv. Infolge der Verletzung kann P ihren rechten Arm dauerhaft nicht mehr bewegen. Welche Ansprüche hat P gegen den A, O und K? Lösungsvorschlag A. Ansprüche der P gegen A aus § 823 I BGB P könnte gegen A einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld aus § 823 I BGB haben. Dazu müsste A rechtswidrig und schuldhaft eines der absolut geschützten Rechtsgüter der P verletzt haben. I. Rechtsgutsverletzung In Betracht kommt die Verletzung des Körpers und der Gesundheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. <?page no="400"?> 400 1. Verletzung von Körper und Gesundheit Unter einer Körperverletzung wird die Beschädigung der äußeren körperlichen Integrität, unter einer Gesundheitsbeschädigung die Störung innerer Lebensvorgänge verstanden. A hat bei der Operation einen Nerv durchtrennt, so dass P ihren Arm nicht mehr bewegen kann. Damit ist sie in ihrer Körpersubstanz verletzt und in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt worden. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass ein ärztlicher Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung nicht erfülle, da dieser keine Verletzungstendenz aufweise. Die Auseinandersetzung bezieht sich indes auf erfolgreiche oder lege artis durchgeführte Eingriffe. Da A jedoch einen Schnitt falsch gesetzt hat, hat er gerade nicht den Regeln der medizinischen Wissenschaft entsprochen. Die Operation war auch nicht erfolgreich. Zwar ist, wie geplant, Gewebe aus dem Lymphknoten entnommen worden; Ps Arm ist aber dauerhaft unbeweglich. Eine Entscheidung des Streits kann somit dahinstehen, da P nach allen vertretenen Ansichten an Körper und Gesundheit verletzt ist. 2. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts P könnte ferner in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden sein, wenn A den Eingriff gegen ihren Willen vorgenommen hat. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in § 823 I BGB zwar nicht ausdrücklich genannt. Es ist aber als „sonstiges Recht“ im Sinne dieser Norm zu qualifizieren. Damit sind - in der Zusammenschau mit den enumerierten Rechtsgütern - alle absoluten Rechte gemeint, also solche, die nicht nur von den Parteien eines Schuldverhältnisses, sondern von Jedermann zu achten sind. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 2 I, 1 I GG hergeleitet und schützt die Menschenwürde und Selbstbestimmung des Einzelnen. Es ist beispielsweise verletzt, wenn Eingriffe in die Körpersubstanz ohne oder gegen den Willen des Patienten vorgenommen werden. P hatte zwar der Operation zugestimmt. Ihre Zustimmung ist jedoch nur wirksam, wenn sie auf einer freien Willensbildung beruht, also frei von Fehlvorstellungen oder Zwang abgegeben worden ist. Die Aufklärung hat O durchgeführt, die Operation hingegen A. Grundsätzlich soll der operierende Arzt selbst das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten führen. Zur Vereinfachung der Arbeitsabläufe im klinischen Alltag ist es aber zulässig, wenn einzelne Aufgaben an andere Ärzte delegiert werden. Voraussetzung ist, dass diese über die notwendige Sachkunde verfügen und der zuständige Arzt sich der ordnungsgemäßen Aufklärung, etwa durch nochmaliges Nachfragen beim Patienten, vergewissert. Jedoch war O selbst nach dem Dienstplan für die Operation eingeteilt. Damit war auch er selbst für das Aufklärungsgespräch zuständig. Dieses hat er ordnungsgemäß durchgeführt. Die Einwilligung der P beruhte daher auf einer umfassenden Kenntnis der Sachlage. Dass der Eingriff von einem Anfänger durchgeführt werden sollte, stand Musterklausuren Musterklausuren <?page no="401"?> Musterklausuren 401 im Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht fest. Dies ist zudem auch keine aufklärungspflichtige Tatsache, da die spezifischen Gefahren der Anfängeroperation im Allgemeinen durch die Überwachung des Operateurs beherrschbar sind. Das Persönlichkeitsrecht der P ist daher nicht verletzt worden. II. Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit ist durch die Verletzung des Rechtsguts Körper und Gesundheit indiziert. Rechtfertigungsgründe für das Handeln des A sind nicht ersichtlich. Namentlich kann die Einwilligung der P die Körperverletzung nicht rechtfertigen, bezieht sich diese doch stets nur auf ärztliche Maßnahmen, die lege artis durchgeführt werden. III. Verschulden A müsste die Rechtsgutsverletzung auch verschuldet haben. Da er den Schnitt nicht absichtlich falsch gesetzt hatte, kommt allenfalls fahrlässiges Handeln in Betracht. Unter Fahrlässigkeit ist gemäß § 276 II BGB auf das Außerachtlassen der verkehrsüblichen Sorgfalt abzustellen. In der Arzthaftung ist dies daran zu messen, wie sich ein verständiger und besonnener Arzt derselben Fachrichtung verhalten hätte. Dieser Facharztstandard knüpft nicht an die formale Ernennung des behandelnden Arztes als Facharzt an. Maßgeblich ist vielmehr das Fachgebiet, dem die Behandlung zugeordnet ist. Es ist also zu prüfen, wie sich ein besonnener und gewissenhafter HNO-Arzt anstelle des A verhalten hätte. A fühlte sich mit der Operation überfordert. Er hatte noch nie einen derartigen Eingriff vorgenommen. Ein besonnener Arzt hätte in dieser Situation die unbeaufsichtigte Durchführung der Operation verweigert und nicht darauf vertraut, dass alles gut ausgehen würde. A ist daher Fahrlässigkeit in Form des Übernahmeverschuldens vorzuwerfen. IV. Ergebnis P hat daher gegen A einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld aus § 823 I BGB i. V. m. §§ 249 II, 253 BGB. B. Anspruch der P gegen A aus § 823 II BGB i. V. m. § 229 StGB Da A mit dem von ihm verursachten Behandlungsfehler zugleich den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB verwirklicht hat - auch das strafrechtliche Schrifttum wertet die fehlerhafte ärztliche Behandlung als Körperverletzung - kann P ihren Anspruch gegen A zusätzlich auf § 823 II BGB stützen. C. Anspruch der P gegen O aus § 823 I BGB P könnte gegen O einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld aus § 823 I BGB haben. Dazu müsste O die P in einem ihrer absolut geschützten Rechtsgüter verletzt haben. Musterklausuren <?page no="402"?> 402 Musterklausuren I. Rechtsgutsverletzung durch O P ist an Körper und Gesundheit verletzt worden. Dies geschah jedoch nicht durch eine Handlung des O. Den fehlerhaften Schnitt, der zur Lähmung ihres Arms führte, hat A vorgenommen. Ursprünglich war jedoch O für die Operation eingeteilt. In der Nichtbeachtung der im Dienstplan vorgesehenen Aufgabenverteilung könnte ein zum Schadenersatz verpflichtendes Unterlassen des O liegen. Dazu müsste O jedoch zum Handeln verpflichtet gewesen sein. Grundsätzlich ist die Delegation von Aufgaben an andere Ärzte zulässig. Der Delegatar hat sich jedoch der Qualifikation und der Fähigkeiten desjenigen zu vergewissern, dem er eine Aufgabe übertragen möchte. Dies schließt nicht per se die Delegation von Operationen an unerfahrene Ärzte aus. Denn diesen muss im Rahmen ihrer Ausbildung die Möglichkeit gegeben werden, Operationen und Behandlungsmethoden auch direkt am Patienten zu erlernen. Anfängeroperationen sind jedoch nur zulässig, wenn der in Ausbildung befindliche Arzt lückenlos und gewissenhaft überwacht wird. O hätte den A daher nicht allein lassen dürfen. Er hätte ihn beaufsichtigen und gegebenenfalls einschreiten müssen, um Behandlungsfehler zu vermeiden. Dass er sich auf der Station befand, reicht nicht aus, um ein unverzügliches Eingreifen sicherzustellen. Dies wäre allenfalls dann zulässig gewesen, wenn A bereits eine gewisse Routine mit dieser Art Operation entwickelt hätte und O binnen kürzester Zeit den OP hätte erreichen können. Da A die fragliche Operation jedoch noch nie zuvor durchgeführt hatte, war die Anwesenheit des O unerlässlich. Dass er dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, stellt ein pflichtwidriges Unterlassen des O dar. II. Zurechnungszusammenhang Der bei P eingetretene Schaden müsste dem O zuzurechnen sein. Zwar kann der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und dem eingetretenen Schaden durch das Hinzutreten Dritter unterbrochen werden. Es ist jedoch fraglich, ob der Behandlungsfehler des A so schwer wiegt, dass das Fehlverhalten des O dadurch völlig überlagert wird. Denn der Zurechnungszusammenhang wird bei fahrlässigem Handeln mehrerer Ärzte nur unterbrochen, wenn der den Eingriff durchführende Arzt derart gegen alle ärztlichen Regeln verstößt, dass der eingetretene Schaden wertungsmäßig allein ihm zuzuordnen ist. Dies ist hier jedoch nicht angezeigt. Zwar hat A gegen die Regeln der medizinischen Wissenschaft verstoßen, indem er einen Schnitt falsch ausgeführt hat. Damit hat er jedoch nicht die alleinige Ursache für die Lähmung der P gesetzt. Denn bei einer Anfängeroperation sind solche Fehler durchaus denkbar, weshalb sie auch nur unter Überwachung stattfinden soll. Im Schaden der P hat sich daher gleichermaßen das Fehlverhalten von A und O verwirklicht. Der Zurechnungszusammenhang ist daher gegeben. Musterklausuren <?page no="403"?> Musterklausuren 403 III. Rechtswidrigkeit und Verschulden Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Die Einwilligung der P in die Operation kann das pflichtwidrige Verhalten des O nicht legitimieren. O handelte zumindest grob fahrlässig. Er ließ die im Verkehr gebotene Sorgfalt in grobem Maße außer Acht. Denn ein gewissenhafter Arzt der gleichen Fachrichtung hätte diese Operation selbst ausgeführt, zumindest aber einen Anfänger ordnungsgemäß überwacht. IV. Ergebnis P hat daher gegen O einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld aus § 823 I BGB. D. Anspruch der P gegen O aus § 831 BGB P könnte ferner aus § 831 BGB einen Anspruch gegen O auf Schadenersatz und Schmerzensgeld haben. Dazu müsste A als Verrichtungsgehilfe des O gehandelt haben, als er die P verletzte. Verrichtungshilfe ist, wer von einem anderen eine Tätigkeit übertragen bekommt, von dem er - allgemein oder im konkreten Fall - abhängig und demgegenüber er weisungsgebunden ist. Zwar ist A als Assistenzarzt dem Oberarzt O unterstellt. Zwischen beiden besteht aber weder ein wirtschaftliches noch ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis. Die Weisungen, die O dem A erteilen kann, sind vor allem fachlicher Natur. Es steht dem O nicht zu, frei über das Ob und Wie der Tätigkeit von A zu entscheiden und den A beispielsweise zu entlassen oder über den zeitlichen Rahmen von dessen Tätigkeit zu bestimmen. A ist daher nicht Verrichtungsgehilfe des O, so dass ein Anspruch der P gegen O aus § 831 BGB nicht besteht. E. Ansprüche der P gegen K aus § 280 I BGB P könnte gegen K einen Anspruch auf Schadenersatz- und Schmerzensgeld aus §§ 280 I, 630a ff. BGB haben. Dazu müsste K die Pflichten aus einem zwischen ihm und P bestehenden Vertragverletzt haben und er müsste die Pflichtverletzung zu vertreten haben. Mit der Aufnahme der P in das K-Krankenhaus ist zwischen K und P ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag zustande gekommen. Dieser verpflichtet K, der P neben Unterkunft und Verpflegung eine ordnungsgemäße Krankenbehandlung zu gewähren. Als Träger eines Krankenhauses ist K zudem verpflichtet, alle Schäden vom Patienten abzuwenden und diesem einen möglichst gefahrlosen Aufenthalt zu ermöglichen (Verkehrssicherungspflicht). Musterklausuren <?page no="404"?> 404 Musterklausuren Das Vertretenmüssen wird nach § 280 I 2 BGB vermutet, kann hier aber auch positiv festgestellt werden. K hat nicht sichergestellt, dass eine hinreichende Zahl von Ärzten auf der Station verfügbar war. Personelle Engpässe - und seien sie wie hier wegen der Urlaubszeit nur vorübergehender Natur - müssen vom Träger eines Krankenhauses durch geeignete Maßnahmen ausgeglichen werden. Diese Pflicht hat K verletzt und damit einen Organisationsfehler begangen. Dabei handelte er zumindest grob fahrlässig, denn er hat die gebotene Sorgfalt bei der Organisation seines Krankenhausbetriebs i. S. v. § 276 II BGB außer Acht gelassen. Zugleich haftet K über § 278 BGB für das Verschulden von A und O. Diese sind Erfüllungsgehilfen des K, denn sie sind mit dessen Wissen und Willen tätig, um seine Verbindlichkeiten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag zu erfüllen, soweit sie die medizinische Behandlung der Patienten betreffen. Das Übernahmeverschulden des A wie auch die unterlassene Überwachung des A durch O sind dem K wie eigenes Verschulden zuzurechnen. K hat die Pflichtverletzung folglich zu vertreten. P kann daher aus § 280 I BGB Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen K geltend machen. F. Ansprüche der P gegen K aus § 823 I BGB Der bei P eingetretene Körperschaden ist auch dem Organisationsfehler des K zuzurechnen. Hätte K während der Ferienzeit eine ausreichende Zahl qualifizierter Ärzte in der HNO-Abteilung verfügbar gehalten, hätte O sich nicht veranlasst gesehen, auf die Überwachung des A zu verzichten, um seinen Aufgaben auf der Station nachkommen zu können. K haftet der P daher aus § 823 I BGB auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. G. Ansprüche der P gegen K aus § 831 BGB Letztlich könnte P aus § 831 BGB Ansprüche gegen K geltend machen. Dazu müssten A und O als Verrichtungsgehilfen des K agiert haben. Verrichtungsgehilfe ist, wer von demjenigen, der ihm eine Tätigkeit übertragen hat, abhängig und dessen Weisungen er unterworfen ist. Dies ist hier der Fall. Als Arbeitnehmer des K sind sowohl A als auch O in dessen organisatorische Abläufe eingebunden. K kann über die zeitliche und örtliche Verfügbarkeit von A und O im Rahmen des Arbeitsverhältnisses entscheiden und diesen bestimmte Aufgaben zuweisen. Zudem ist es ihm nicht verwehrt, A und O beispielsweise durch Kündigung gänzlich von ihrer Tätigkeit zu entbinden. Der Schaden der P müsste im Rahmen der von A und O ausgeübten Verrichtung, und nicht nur aus deren Anlass eingetreten sein. P ist infolge der fehlerhaft durchgeführten Operation am Arm gelähmt. Die Operation war Kern der von A und O wahrzunehmenden Tätigkeiten, so dass ein hinreichender Bezug zur Ausübung der Verrichtung gegeben ist. Musterklausuren <?page no="405"?> Musterklausuren 405 Gemäß § 831 I 2 BGB könnte sich K jedoch von der Haftung befreien. Dazu müsste er nachweisen, dass er A und O sorgfältig ausgewählt und während ihrer Tätigkeit ordnungsgemäß angeleitet und überwacht hat, so dass sich deren Fehlverhalten quasi als „Ausreißer“ darstellt. Gelingt ihm im Prozess dieser Entlastungsbeweis, so kann P ihren Anspruch gegen K nicht auf § 831 BGB stützen. Auf die sonstigen Haftungstatbestände hat diese Exkulpationsmöglichkeit jedoch keine Auswirkungen. Fall 2 (Öffentliches Recht) Der approbierte Apotheker A betreibt seit einigen Jahren eine Apotheke. Immer wieder fragen ihn Kunden nach dem Arzneimittel „Fettkiller 3000“, welches schnelle Erfolge bei der Gewichtsreduktion verspricht. Es handelt sich dabei um ein zugelassenes Arzneimittel, welches nur auf ärztliche Verordnung abgegeben werden darf. Auch die 20jährige O hat Interesse an dem Medikament. Sie bittet A „ein Auge zuzudrücken“, obwohl ihr Arzt die Verordnung wegen ihres normalen Körpergewichts abgelehnt hat. A wittert ein gutes Geschäft. Er bietet O an, gegen Zahlung eines „Aufschlags“ auf den Abgabepreis von der Vorlage des ärztlichen Rezepts abzusehen. Um noch mehr Gewinn aus der Angelegenheit zu schlagen, händigt er O nicht das Originalpräparat „Fettkiller 3000“, sondern eine illegale Fälschung aus. Diese hatte er sich über das Internet beschafft, um auf „spezielle Kunden“ wie O vorbereitet zu sein. Infolge der Einnahme verstirbt O. A wird wegen fahrlässiger Tötung rechtskräftig zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Als die zuständige Behörde B von dem Vorfall Kenntnis erlangt, widerruft sie die Approbation. Sie ist der Auffassung, dass A wegen der Verurteilung unwürdig zur Ausübung des Apothekerberufs ist. A ist der Meinung, dass er mit dem strafrechtlichen Urteil in ausreichendem Maß zur Verantwortung gezogen wurde. Hätte ein Widerspruch gegen den Bescheid der B in der Sache Erfolg? Lösungsvorschlag Ein Widerspruch des A hat Erfolg, wenn der Widerruf der Approbation rechtswidrig war und A dadurch in seinen Rechten verletzt wird, vgl. § 113 I VwGO. Musterklausuren <?page no="406"?> 406 Musterklausuren A. Formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids Mangels gegenteiliger Angaben ist die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides - namentlich dessen form- und fristgerechter Erlass durch die zuständige Behörde im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens - zu unterstellen. B. Materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids Der Widerruf der Approbation ist materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind und die angeordnete Rechtsfolge mit dieser übereinstimmt. I. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf der Approbation Gemäß § 6 II BApO ist die Approbation zu widerrufen, wenn nachträglich eine der in § 4 I 1 Nr. 2 BApO niedergelegten Voraussetzungen entfallen ist. Nach dieser Norm darf die Approbation nur erteilt werden, wenn der Antragsteller sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergibt. 1. Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage Die Ermächtigungsgrundlage ist rechtmäßig. Sie ist insbesondere mit Art. 12 I GG vereinbar. Zwar handelt es sich beim Widerruf der Approbation um einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung. Denn nach dem Widerruf ist die Ausübung des Apothekerberufs unzulässig. Eingriffe in die Berufsausübung sind jedoch statthaft, wenn damit besonders wichtige Gemeinschaftsgüter geschützt werden sollen. Der Apotheker ist gemäß § 1 BApO berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen; er dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und der gesamten Bevölkerung. Die Möglichkeit zum Widerruf der Approbation bei Unwürdigkeit soll diese ordnungsgemäße Gesundheitsversorgung sichern und zugleich das Ansehen und das Vertrauen in den Apothekerberuf schützen. Die Gesundheit der Bevölkerung stellt ein überragend wichtiges Allgemeingut dar. Das Monopol der Apotheker zur Abgabe von Arzneimitteln erfordert zudem ein hinreichendes Vertrauen in deren Fähigkeiten und Verhalten. Diese Aspekte rechtfertigen es, die Berufstätigkeit eines unzuverlässigen und sich unwürdig verhaltenden Apothekers zu unterbinden. Der Widerruf der Approbation ist ein geeignetes und erforderliches Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Unverhältnismäßigen Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit wird dadurch begegnet, dass nach Abschluss des Widerrufsverfahrens jederzeit die Wiedererteilung der Approbation betrieben werden kann. 2. Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage Musterklausuren <?page no="407"?> Musterklausuren 407 Trotz der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „Unzuverlässigkeit“ und „Unwürdigkeit“ verstoßen die §§ 6 II, 4 I 1 BApO nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Auslegungs- und konkretisierungsbedürftige Begriffe sind nicht per se unzulässig. Ihre Verwendung im Gesetz ist sogar notwendig und geboten, um im Approbationsverfahren den Umständen des Einzelfalls gerecht werden zu können. Zu konkrete Begrifflichkeiten würden einzelne Fälle entgegen der Intention des Gesetzgebers im Approbationsverfahren generell unberücksichtigt lassen, andere dagegen zwingend ein Erteilungshindernis statuieren, auch wenn im Einzelfall ein Abweichen angezeigt wäre. Durch den Bezug der Begriffe auf die Ausübung des Apothekerberufs können diese nicht ausufernd angewendet werden und sind mithin der Rechtsklarheit nicht abträglich. II. Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage Das Verhalten des A müsste diesen als unwürdig oder ungeeignet zur Ausübung des Apothekerberufs erscheinen lassen. Ein Apotheker ist zur Ausübung seines Berufes unwürdig, wenn er infolge seines Verhaltens nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen der Öffentlichkeit genießt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar ist. Er ist unzuverlässig, wenn die zukünftige Erfüllung der berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten in Zweifel steht. A hat nicht nur der AmVV zuwider gehandelt, die die Abgabe von Arzneimitteln ohne ärztliche Verschreibung verbietet. Er hat überdies nicht das zugelassene - also auf seine Sicherheit und Wirksamkeit geprüfte - Originalpräparat abgegeben, sondern eine illegale Fälschung. Dies geschah nicht nur zu Lasten der O. Vielmehr hatte sich A einen Vorrat der gefälschten Arznei angelegt, um diesen an weitere Interessierte abzugeben, die ebenfalls keine ärztliche Verschreibung vorweisen können. Darin liegt ein eklatanter Verstoß gegen die berufsrechtlichen Pflichten eines Apothekers. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage ist damit erfüllt. III. Rechtsfolge Die von der B-Behörde angeordnete Rechtsfolge entspricht § 6 II BApO. Denn danach „ist die Approbation zu widerrufen“, wenn sich nach deren Erteilung Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Apothekers ergeben. Der Behörde war daher kein Ermessen eingeräumt. Der Bescheid der B-Behörde ist auch verhältnismäßig. Denn das dem A zur Last fallende Fehlverhalten wiegt so schwer, dass bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung als untragbar erscheint. Es lässt über den medizinisch-fachlichen Aspekt hinaus an der charakterlichen Integrität des A zweifeln. Indem er sein wirtschaftliches Interesse über die gesundheitlichen Interessen seiner Kunden gestellt hat, kann die Öffentlichkeit nicht weiter darauf vertrauen, dass er der Gesundheitsversor- Musterklausuren <?page no="408"?> 408 Musterklausuren gung die gebotene Bedeutung zumisst. Vielmehr besteht die Gefahr, dass er sich bei der Ausübung seines Berufs weiter von Profitinteressen leiten lässt. Dass er durch sein Verhalten den Tod der O verursacht und damit eine von der Allgemeinheit besonders missbilligte Straftat begangen hat, führt zu einer tiefgreifenden Abwertung seines Ansehens. Denn das Berufsethos des Apothekers verlangt alles zu tun, was zur Heilung und Linderung von Beschwerden beitragen kann. Die fahrlässige Tötung einer Kundin durch die Abgabe illegaler Arzneimittelkopien ist damit schlechterdings unvereinbar. Die Bevölkerung erwartet, dass ein Apotheker sich nicht an illegalen Geschäften mit Arzneimitteln beteiligt. Der Widerruf der Approbation des A dient damit nicht nur der Vermeidung weiterer Gefahren für dessen Kunden, sondern auch der Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung in den Apothekerberuf. Denn dieses wäre in hohem Maße beeinträchtigt, würde man A die Fortführung seiner Apotheke gestatten. Dieser Aspekt wird von der strafrechtlichen Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nicht erfasst. C. Ergebnis Der Bescheid ist rechtmäßig. A wird daher nicht in seinen Rechten verletzt. Ein Widerspruch gegen den Widerruf der Approbation hätte mithin keinen Erfolg. Musterklausuren <?page no="409"?> 409 Fall 3 (Strafrecht) Der approbierte Arzt A ist Vorstand des Vereins „Für ein humanes Sterben e. V.“ Der Verein hat in der Vergangenheit mit zahlreichen spektakulären Aktionen für Aufsehen gesorgt, die der Forderung nach einer Legalisierung der Sterbehilfe Nachdruck verleihen sollten. Die 90jährige O ist langjährige Patientin des A und ebenfalls Mitglied des Vereins. Sie leidet an verschiedenen Alterserscheinungen, die für sich genommen nicht krankhaft sind. Nach dem Tod ihres Ehemannes sieht O in ihrem Leben keinen Sinn mehr. Sie bittet den A eindringlich um Hilfe, damit sie selbstbestimmt aus dem Leben scheiden kann. A ist sofort dazu bereit, handelt es sich doch um eine verlockende Möglichkeit, anhand des konkreten Beispiels weitere Medienpräsenz für seinen Verein zu erreichen. Er sucht die O zu Hause auf und legt ihr einen peripheren Katheter („Venüle“) in die Armvene. Durch diesen soll sich O ein Gift spritzen, dass A ihr ebenfalls zur Verfügung stellt. Als O ungefähr die Hälfte der Dosis appliziert hat, verliert sie das Bewusstsein. Da die verabreichte Menge noch nicht tödlich war, spritzt A den Rest des Gifts durch den Katheter. Nach ca. einer halben Stunde verstirbt O. Während der ganzen Zeit hatte A seine Videokamera mitlaufen lassen. O war zunächst skeptisch. Sie fügte sich aber letztlich dem Drängen des A, um den Verein „Für ein humanes Sterben e. V.“ zu unterstützen. Noch am selben Tag gibt A die Videoaufzeichnung der sterbenden O an die Medien. Hat sich A nach dem StGB strafbar gemacht? Lösungsvorschlag A. Strafbarkeit des A wegen Totschlags nach § 212 StGB A könnte gemäß § 212 StGB wegen Totschlags strafbar sein. I. Tatbestandsmäßigkeit Dazu müsste er wissentlich und willentlich einen anderen Menschen getötet haben. 1. Objektiver Tatbestand Unter einer Tötung ist jede Verkürzung der natürlichen Lebenserwartung zu verstehen. A hat O die zum Tode führende Dosis Gift durch den Katheter in die Vene gespritzt. Daraufhin ist O verstorben. Zwar hatte O zuvor bereits selbst damit Musterklausuren Musterklausuren <?page no="410"?> 410 begonnen, sich das Gift zu verabreichen. Sie hatte sich aber bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie das Bewusstsein verlor, noch keine tödliche Menge verabreicht. Damit hat A die der O verbleibende natürliche Lebenserwartung verkürzt. Eine Tötungshandlung liegt vor. Jedoch wollte die O sterben und hatte auch selbst dazu angesetzt, ihr eigenes Leben zu beenden. Die Handlung des A könnte daher auch eine Beihilfe zum Selbstmord darstellen. Diese ist straflos, denn § 212 StGB stellt nach seinem Schutzgehalt nur die Tötung eines anderen Menschen unter Strafe. Die Abgrenzung zwischen strafbarer Herbeiführung des Todes eines anderen Menschen und der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung richtet sich danach, wer die Herrschaft über das Geschehen innehat. Wird der Tod durch eine Handlung des frei und eigenverantwortlich agierenden Opfers herbeigeführt, bei der der Täter lediglich assistiert, liegt eine Beihilfe zum Selbstmord vor. Kann das Opfer nach dem letzten Tatbeitrag des Täters dagegen keine eigene Entscheidung mehr darüber fällen, ob sein Leben beendet werden soll oder nicht, stellt sich dessen Tod nicht mehr als Selbst-, sondern als Fremdverfügung dar und erfüllt damit den Tatbestand eines Tötungsdelikts. Ursprünglich hatte O frei und eigenverantwortlich entschieden, sich durch die Zuführung von Gift das Leben zu nehmen. In dem Zeitpunkt, in dem A die restliche Dosis des Gifts injizierte, hatte O jedoch bereits das Bewusstsein verloren. Ihr war es damit unmöglich, eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob die Tötung fortgesetzt werden sollte. Die Tatherrschaft lag bei A, der nicht mehr bei der Selbsttötung der O assistierte, sondern aktiv selbst deren Tod herbeiführte. Der objektive Tatbestand des § 212 StGB ist damit erfüllt. 2. Subjektiver Tatbestand A müsste vorsätzlich gehandelt, also den Tod der O wissentlich und willentlich herbeigeführt haben. A wusste, dass O sterben würde, wenn er ihr die restliche Menge des Giftes verabreichen würde. Er wollte den Tod der O auch und hatte somit Vorsatz. II. Rechtswidrigkeit Zugunsten des A greifen keine Rechtfertigungsgründe ein. Namentlich vermag das Einverständnis der O - die ursprünglich frei entschieden hatte, ihr Leben beenden zu wollen - sein Handeln nicht zu rechtfertigen. Zum einen ist nicht sicher, ob ihr Wille zu Sterben auch in dem konkreten Zeitpunkt ihres Todes noch fortbestand. Es ist zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie ihren Willen angesichts des nahen Todes doch noch geändert hätte. Zum anderen ist das Rechtsgut Leben nicht disponibel, so dass in dessen aktive Beendigung durch einen anderen nicht wirksam eingewilligt werden kann. Musterklausuren Musterklausuren <?page no="411"?> 411 III. Schuld A handelte auch schuldhaft. Es sind keine Entschuldigungsgründe ersichtlich, die zu seinen Gunsten eingreifen. IV. Ergebnis A ist nach § 212 I StGB wegen Totschlags strafbar. B. Strafbarkeit des A wegen Mordes gemäß § 211 StGB A könnte wegen Mordes nach § 211 StGB strafbar sein. I. Tatbestandsmäßigkeit Dazu müsste er über die Tötung eines anderen Menschen hinaus wissentlich und willentlich mindestens eines der tat- oder täterbezogenen Mordmerkmale des § 211 II StGB erfüllt haben. 1. Objektiver Tatbestand A hat die O, einen anderen Menschen, getötet. Dabei könnte er heimtückisch gehandelt haben. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tötung keines Angriffs versieht. Das Opfer ist wehrlos, wenn es infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande ist, zumindest aber muss seine Abwehrfähigkeit dadurch stark eingeschränkt sein. Als A der O das Gift injizierte, war diese bereits bewusstlos. Ob sie damit noch arglos sein konnte, ist fraglich. Denn dieses Mordmerkmal setzt voraus, dass das Opfer grundsätzlich in der Lage ist, Argwohn zu entwickeln. Der Schlafende nimmt - so die Ansicht der Rechtsprechung - seine Arglosigkeit „mit in den Schlaf“, so dass er grundsätzlich arglistig getötet werden kann. Anders stellt sich die Lage jedoch beim Bewusstlosen dar, der von seinem Zustand - anders als der Schlafende - plötzlich und unerwartet übermannt wird. O war daher nicht arglos. Dies muss umso mehr gelten, als sie den „Angriff“ auf ihr Rechtsgut Leben ja sogar selbst begonnen und den A dabei um Hilfe gebeten hatte. A hat die O daher nicht heimtückisch getötet, so dass kein objektives, also tatbezogenes Mordmerkmal erfüllt ist. 2. Subjektiver Tatbestand A hatte Vorsatz hinsichtlich der Tötung der O. Er könnte zudem aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Die Beweggründe eines Täters sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Diese Motivation muss sich sowohl auf die Täterpersönlichkeit als auch die Tatumstände erstrecken. Musterklausuren Musterklausuren <?page no="412"?> 412 Musterklausuren A kam der Bitte der O, ihr bei der Selbsttötung zu helfen, vor allem deshalb nach, weil er seinen Verein „Für ein humanes Sterben e. V.“ im Gespräch halten wollte. Der Tod der O sollte ihm als Werbung für sein Anliegen dienen, die Sterbehilfe zu legalisieren. Wie sehr es ihm darauf ankam, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass er die O drängte, ihr Sterben auf Video aufzeichnen zu lassen. Die Aussicht auf Medienpräsenz war damit sein überragendes Motiv für die Tat. Das Interesse an O war demgegenüber offensichtlich nachrangig. Ein solches, von Geltungsdrang geprägtes Verhalten ist nicht mit den Ansichten und Wertvorstellungen der Allgemeinheit vereinbar. Dass A sein eigenes persönliches Interesse über das Leben der O stellte, macht seine Tat daher besonders verachtenswert. Das Merkmal der niedrigen Beweggründe ist daher erfüllt. II. Rechtswidrigkeit und Schuld Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. III. Ergebnis A hat sich wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen nach § 211 StGB strafbar gemacht. C. Strafbarkeit des A wegen Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB Da O den A eindringlich darum gebeten hatte, ihr bei der Selbsttötung zu helfen, könnte A den Tatbestand der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB verwirklicht haben. I. Tatbestandsmäßigkeit Dies setzt voraus, dass er durch ein ausdrückliches und eindringliches Tötungsverlangen der O zur Begehung der Tat motiviert worden ist. 1. Objektiver Tatbestand Ein Tötungsverlangen ist ausdrücklich und eindringlich, wenn das Opfer eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass es sein Leben beenden will. O hat den A eindringlich darum gebeten, ihr beim Sterben zu helfen. Ein Tötungsverlangen liegt damit vor. A müsste gerade durch dieses Verlangen zur Tötung der O veranlasst worden sein. Dass er als Vorstand eines Vereins, der sich für die Legalisierung der Sterbehilfe einsetzt, dem Sterbewillen per se aufgeschlossen gegenüber stand, ist ohne Auswirkung. Er gilt dadurch nicht als omnimodo facturus, also als bereits zur Tat entschlossener Täter. Denn bevor O ihren Wunsch an A gerichtet hatte, hatte er noch keinen Tatentschluss. Musterklausuren <?page no="413"?> 413 2. Subjektiver Tatbestand A wusste, dass O das Tötungsverlangen an ihn gerichtet hat und wollte diesem entsprechen. Er hatte damit Vorsatz. II. Rechtswidrigkeit und Schuld A kommen keine Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zugute. III. Ergebnis Er ist daher nach § 216 StGB wegen Tötung auf Verlangen strafbar. D. Strafbarkeit des A wegen Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 I Nr. 1 StGB Indem er die Videoaufnahme der sterbenden O an die Medien gegeben hat, könnte sich A wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestandsmäßigkeit Dazu müsste er ein fremdes Geheimnis, das ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, vorsätzlich offenbart haben. 1. Objektiver Tatbestand Die Tatsache, dass O eine Patientin des A war, ist ebenso ein deren Privatsphäre berührendes Geheimnis wie ihr Todeswunsch und die bei der Injizierung des Gifts eingetretene Bewusstlosigkeit. Denn diese Tatsachen berühren die privaten Interessen und die persönliche Lebensführung der O. Die Tatsachen sind A als Arzt bekannt geworden. Er hat von ihnen nicht nur zufällig Kenntnis erlangt, sondern O hat sich gezielt an ihn gewandt und ihm ihr Anliegen geschildert, weil sie ihm als Arzt vertraut hat. Die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen hat A offenbart, indem er das Sterben der A auf Video aufgezeichnet und diese Aufzeichnung an die Medien - also an unbeteiligte Dritte - gegeben hat. A müsste unbefugt gehandelt haben. Die Befugnis zur Weitergabe des Videos könnte sich jedoch aus dem Einverständnis der O ergeben. Zwar war O zunächst im Zweifel, ob sie die Videoaufzeichnung zulassen sollte. Letztlich hat sich aber dem Drängen des A nachgegeben und der Weitergabe der Aufzeichnung zugestimmt, um dem von dem Verein „Für ein humanes Sterben e. V.“ verfolgten Zielen Nachdruck zu verleihen. Dass A dabei unzulässigen Druck und Zwang auf O ausgeübt hat, ist nicht ersichtlich. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist daher davon auszugehen, dass die Einwilligung der O auf deren frei gebildetem Willen beruhte. Der objektive Tatbestand des § 203 I Nr. 1 StGB ist daher nicht erfüllt. Musterklausuren Musterklausuren <?page no="414"?> 414 Musterklausuren II. Ergebnis A ist nicht wegen unbefugten Offenbarens von Privatgeheimnissen nach § 203 I Nr. 1 StGB strafbar. E. Konkurrenzen A ist nach §§ 212 I, 211 und 216 StGB strafbar. Fraglich ist jedoch, ob ihm die Privilegierung des § 216 StGB zugutekommen kann. Denn der von ihm begangene Mord würde durch das Tötungsverlangen zum Vergehen privilegiert. A würde also von einer Strafmilderung profitieren. Nach der Rechtsprechung ist dies jedoch nicht ausgeschlossen. Dies gilt zumindest in den Fällen, in denen der Tatentschluss des Mörders in einer handlungsleitenden Weise durch das Tötungsverlangen des Opfers verursacht worden ist. Dies ist hier der Fall. Die niedrigen Beweggründe des A beziehen sich auf die größtmögliche mediale Verwertung des Todes der O. Sie setzen das Todesverlangen der O damit geradezu voraus, spricht sich A doch mit seiner Forderung nach einem „humanen Sterben“ gerade für eine unbedingte Achtung des Tötungsverlangens von Sterbewilligen aus. A wird daher lediglich wegen Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB bestraft. Musterklausuren <?page no="415"?> 415 Literatur Abig, Constanze: Bereitschaftsdienst, ZESAR 2005, 93. Axer, Peter: Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, VerwR 35 (2002) 377. Axer, Peter: Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung: ein Beitrag zu den Voraussetzungen und Grenzen untergesetzlicher Normsetzung im Staat des Grundgesetzes, Tübingen 2000. Bahner, Beate: Vom Werbeverbot zum Werberecht der Ärzte und Zahnärzte - Der lange Weg von der Normsetzung zur Umsetzung, GesR 2012, 1. Baumann, Manfred: Auswahl von 50 bis 80 Krankheiten zur Berücksichtigung im morbiditätsorientierten RSA, ErsK 2008, 69. Bäune, Stefan/ Dahm, Franz-Josef/ Flasbarth, Roland: Vertragsärztliche Versorgung unter dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz, MedR 2012, 77. Bäune, Stefan/ Meschke, Andreas/ Rothfuß, Sven: Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, Berlin 2008. 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Literatur 426 <?page no="427"?> 427 Sachwortverzeichnis A Adäquanztheorie 334 Aktive Sterbehilfe 375 Alternative Heilmethoden 324 Amtshaftung 320 Anfängeroperation 343 Apotheke 278 - Direktvertriebsgebot 270 - Rahmenvereinbarung 278 - Randsortiment 269 - Versandhandel 269, 283 Apothekenabgabepreis 282 Apothekenerlaubnis 266 Apothekenpflicht 262 Apothekenrabatt 283 Apotheker 265 - Approbation 265 - Filialbetrieb 267 - Sicherstellungsauftrag 269 Apparategemeinschaft 106 Approbation - Apotheker 265 - Ärzte 100 - Rücknahme 102 - Ruhen 103 - Voraussetzungen 101 - Widerruf 102 - Wiedererteilung 103 Äquivalenztheorie 334 Arbeitsteilung 341 - horizontale Arbeitsteilung 341 - vertikale Arbeitsteilung 342 Armenfürsorge 31 Arzneimittel - Abgabeverbote 260 - Abgrenzung 243 - Apothekenpflicht 262 - Begriff 242 - Dezentrales Zulassungsverfahren 251 - Europäisches Zulassungsverfahren 249 - fiktive Arzneimittel 243 - Herstellungserlaubnis 247 - klinische Prüfung 252 - off label-use 276 - OTC-Ausnahmeliste 274 - Preisbildung 281 - Rabattpflicht 283 - Schnellzulassung 254 - Verordnungsfähigkeit 272, 277 - Versandhandel 269, 283 - Verschreibungspflicht 263 - Zulassung 248 Ärztekammer 108 - Aufgaben 109 - Organe 109 - Zwangsmitgliedschaft 108 Arzthaftung 361 - Beweislast 346, 349 - Grobe Behandlungsfehler 349 - Mitverschulden 355 - Schadenersatz 354 - Schmerzensgeld 354 - Substantiierungspflichten 346 - Verschuldensvermutung 347 - Voll beherrschbare Risiken 348 Arztregister 169 Assistenzarzt 343 Aufklärung 118, 136, 328, 366 - Adressat 141, 329 - Behandlungsalternativen 333 - Behandlungsaufklärung 138 - Diagnoseaufklärung 137 - Einwilligungsfähigkeit 142 - Formularaufklärung 144 - Minderjährige Patienten 142 - Risikoaufklärung 138 - Umfang 140, 329 - Verlaufsaufklärung 138 <?page no="428"?> Sachwortverzeichnis 428 - wirtschaftliche Aspekte 140 Aufklärungsfehler 328, 336, 344 - Beweislast 351 Außenseitermethoden 325, 333 aut-idem Regelung 279 B Bagatellarzneimittel 275 Beamte 43 Bedarfsplanung 175 - Krankenhauswesen 209 - Nachbesetzungsverfahren 181 - Sonderbedarfsfeststellung 180 - Überversorgung 179 - Unterversorgung 178 Bedarfsprüfung 295 Befundauswertungsfehler 323, 332 Befunderhebungsfehler 322 Begriff des Medizinrechts 25 Behandlungsfehler 322, 373 - Unterlassen einer Behandlung 374 Behandlungsfreiheit 113 Behandlungsmethode 87 - Erlaubnisvorbehalt 89 Behandlungsmethoden - Erlaubnisvorbehalt 88 Behandlungspflicht 113, 133, 184, 326 - Sterbehilfe 381 Behandlungsvertrag 125 - beschränkt Geschäftsfähige 131 - Geschäftsunfähige 129 - Kontrahierungszwang 127 - Krankenhaus 225 - Nebenpflicht 326 - Vertragsarzt 201 - Vertragsschluss 129 Beihilfe 43, 126 Beiträge 60 - Abgrenzung 60 - Bemessungsgrundlage 61 - Höhe 61 Beitragsbemessungsgrenze 61 Belastungsgrenze 95 Belegkrankenhaus 210 Bereitschaftsdienst 223 Berliner Abkommen 34 Berufsausübungsgemeinschaft 104 Berufsgerichtsbarkeit 122 - Verbot der Doppelbestrafung 123 - Zuständigkeit 122 Berufsordnung 99 Berufsrecht 97 - Heilmittelerbringer 292 - Partnerschaft zwischen Arzt und Patient 117 - Pflichten des Arztes 112 Berufungsausschuss 167 besondere Therapierichtungen 71 Betreuung 142, 381 Betriebskrankenkassen 49 Beveridge 36 Beweislast - Arzneimittelzulassung 256 Bismarck 33 Bonus-Malus-Modell 272 Brillen 304 Bundesärztekammer 110 Bundesärzteordnung 98 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 252 Bundesmantelvertrag 159 Bundesversicherungsamt 59, 65 Bundeszuschuss 62 C cessio legis 354 CE-Zertifikat 306 Chefarzt 337, 341, 343 Compliance 150 D Daseinsvorsorge 206, 225 Deklaration von Helsinki 98 Delegation 135, 342, 344 deliktische Haftung 320, 355 Deutscher Ärztetag 110 <?page no="429"?> Sachwortverzeichnis 429 Dezentrales Verfahren 249 Diagnosefehler 322 diagnosis related groups 236 Dienstleistungen 92 Dienstvertrag 126 Direktverträge 284 Disease Management Programmes 164 Doc Morris N.V. 267 Dokumentationsfehler 352 Dokumentationsmängel 330 Dokumentationspflicht 119, 144 Drogerie 269, 270 E EBM 159 einfacher Gebührensatz 149 Einheitsversicherung 35 Einsicht in die Krankenunterlagen 145 Einsichtsfähigkeit 141 Einwilligung 136, 365 - hypothetische Einwilligung 367 - mutmaßliche Einwilligung 368 - Operationserweiterung 371 - Widerruf 366 Einwilligungsfähigkeit 329, 365 Einzelförderung 215 Einzelverträge 160 - Ausschreibungspflicht 309 - Hilfsmittel 312 Einzelzulassung 169 Entgeltfortzahlung 92 Ergotherapie 292 Erlaubnisvorbehalt 89 Ermächtigung 174 Ersatzkassen 49 Ethikkommission 253 Europäisches koordinierendes Sozialrecht 84 Europarecht 28 European Medicines Agency (EMA) 249 F Facharzt 195 Facharztstandard 331, 343, 374 Fahrlässigkeit 331 Fallpauschalen 236 Familienversicherung 58 Festbeträge - Arzneimittel 285 - Hilfsmittel 312 Fortbildungspflicht 116 freier Beruf 100 frei-gemeinnützige Träger 211 Freiwillige Versicherung 58 Fremdbesitzverbot 267 Funktionsarzneimittel 242 G Garantenpflicht 378 Garantenstellung 374 Garantiehaftung 324, 347 Gebührenordnung für Ärzte 147 - Gebührensatz 149 - Geltungsbereich 148 - Regelspanne 149 Geldleistungen 92 Gemeinsamer Bundesausschuss 87, 88, 293, 305 - Legitimation 87 - Richtlinien 87 gemeinsame Selbstverwaltung 47 Gemeinschaftspraxis 104, 171 - fachgebiets 105 - Teil-Berufsausübungsgemeinschaft 105 Generika 256 Genfer Gelöbnis 98 geringfügige Beschäftigung 56 Gesamtsozialversicherungsbeitrag 61 Gesamtverträge 159 - Ausschreibungspflicht 309 Gesetzliche Krankenversicherung 42 - Leistung von Heilmitteln 293 Gesundheitsfonds 59 - Liquiditätsreserve 59 - Standardisierte Leistungsausgaben 63 - Zuweisungen 63, 66 <?page no="430"?> 430 Sachwortverzeichnis Grenzverweildauer 237 Grundfreiheiten 28 H Hartmannbund 34 Hausarzt 194 hausarztzentrierte Versorgung 160, 195 Heilauftrag 113, 362 Heilbehandlung 362 Heilberufegesetze 98 Heilmittel 292 - Heilmittelrichtlinie 293 - Höchstpreise 299 - therapeutischer Nutzen 293 - vertragliche Beziehungen 298 - Zulassung 295 Heilversuch 325, 364 Herstellerpreis 281 Herstellerrabatt 283 Herstellungserlaubnis 247 Hilfsmittel 300 - Abgrenzung zur Pflegeversicherung 313 - Berufsrecht 300 - Einzelverträge 312 - Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens 303 - Rahmenverträge 311 - Vergütung 312 - Zulassung 308 Hilfsmittelrichtlinie 305 Hilfsmittelverzeichnis 306 - Rechtsanspruch 306 - Rechtsnatur 307 Hirntod 377 horizontale Gliederung 218 hypothetische Einwilligung 367 I Indirekte Sterbehilfe 377 informed consent 328 Innungen 31 Innungskrankenkassen 49 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen 88 Integrierte Versorgung 161 - Teilnahme 164 - Vertragspartner 162 - Voraussetzungen 163 Investitionskosten 214 J Jahresarbeitentgeltgrenze 56 Jahresentgeltgrenze 61 K Kaiserliche Botschaft 32 Kassenarten 31 Kassenärztliche Vereinigung 35, 155 - Aufgaben 156 - Organisation 155 - Pflichtmitgliedschaft 157 Kausalität 334 - haftungsausfüllende 335 - haftungsbegründende Kausalität 334, 350 Knappschaften 31 Kollegialität 120 Kollektivverträge 158 Kontrahierungszwang 127, 184 - Krankenhaus 225 Koordinationsfehler 341 Körperschaft des öffentlichen Rechts 155 Körperverletzung 136, 362 Kosmetika 244 kosmetische Operationen 126 Kostenerstattung 70, 84, 89 - Höhe des Erstattungsanspruchs 82, 83 - Wahlrecht 81 Krankengeld 71, 92 Krankenhaus 205 - Arbeitszeitrecht 223 - Begriff 207 - Betriebskosten 216 - Gruppenstandard 338 - Hierarchie 339 <?page no="431"?> Sachwortverzeichnis 431 - Hierarchien 218 - Hygiene 340 - Organisation 218 - Pflegesätze 217 - Säulen 218, 339 - totaler Krankenhausaufnahmevertrag 337 - Träger 210 - Typologie 208 - Versorgungsauftrag 212 Krankenhausaufnahmebedingungen 226 Krankenhausfinanzierung 214 Krankenhausplanung 212, 213 Krankenkasse - Einzugsstelle 61 - Zusatzbeiträge 67 Krankenkassen - Behördeneigenschaft 45 - Kassenarten 49 - Organe 47 - Organisation 45 - Satzungsautonomie 46 - Selbstverwaltungsrecht 46 Krankenversicherung - Abgrenzung 42, 54 - Finanzierung 59 - hausarztzentrierte Versorgung 160 - Integrierte Versorgung 161 - Kollektivverträge 158 - Leistungskatalog 92 - Mitgliedschaft 51 - Ruhen der Leistungsansprüche 55 - Versorgung mit Hilfsmitteln 301 - Wahltarife 68 Krankheit 73, 75 - Gesundheitsbegriff der WHO 74 - Subjektiver Krankheitsbegriff 73 L Laborgemeinschaft 107 Landesverband 50 Lebensmittel 243 Leistungskatalog 92 Leistungsrecht 73 lex artis 113 Lifestyle-Arzneimittel 275 M medizinische Forschung 364 medizinischer Standard 331 Medizinisches Versorgungszentrum 171 Medizinprodukte 245 Mehrbesitzverbot 267 Mitverschulden 151, 328 Mitwirkungspflicht des Patienten 150 Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich 64 Musterberufsordnung 99 mutmaßliche Einwilligung 368, 371 Mutmaßlicher Wille 380 N Nachbesetzungsverfahren 181 Nächstenliebe 31 Nationalsozialismus 35 ne bis in idem 123 Neulandmethoden 325, 333 Niederlassung 103 non-compliance 328, 355 Normsetzungsverträge 158 Notdienst 115, 187 Notfall 332 O Offenbarungspflichten 119 Offenbarung von Privatgeheimnissen 391 Off label-use 276 Operationserweiterung 371 Organisationsfehler 337, 339 Organisationsgemeinschaft 106, 107 örtliche Berufsausübungsgemeinschaft 171 Ortskrankenkassen 49 Otto von Bismarck 33 P passive Sterbehilfe <?page no="432"?> 432 Sachwortverzeichnis - unmittelbare Todesnähe 379 Patentschutz 257 Patientenverfügung 380 Pauschalförderung 215 persönliche Leistungserbringung 135 Persönlichkeitsrecht 329 Pflegeheim 313 Pflegesätze 216 Pflichtmitgliedschaft 157 Pflichtverletzung 320 Pflichtversicherung 33, 51 Pharmakovigilanz 253 pharmazeutische Unternehmen 280 Prämie 69 Präsentationsarzneimittel 242 Präsenzgebot 169, 183 Praxisgemeinschaft 106 Praxisklinik 210 Praxisverbund 107 Preußisches Allgemeines Landrecht 31 Prinzip des sichersten Weges 324 Privatautonomie 114, 127 Private Krankenversicherung 42 psychisch Kranke 141 Q Qualitätssicherung 87, 116 Querschnittsgebiet 27 R Recht auf Gesundheit 28 Rechtsaufsicht 46 Regelspanne 149 Rehabilitationseinrichtungen 207 Reichsversicherungsordnung 34 Rettungsdienst 115, 320 Rezeptgebühr 272 Rezeptpflicht 263 Risikostrukturausgleich 64, 165 S Sachleistungsprinzip 42, 293, 301 Satzungsautonomie 46 schicksalhafte Krankheitsverläufe 322 Schmerzensgeld 361 Schulmedizin 85, 324 Schweigepflicht 118, 145, 391 - Einwilligung des Patienten 393 - minderjährige Patienten 146 - Offenbarungspflichten 394 - rechtfertigender Notstand 395 - Verletzung der Schweigepflicht 391 Selbstbestimmungsrecht 118, 328, 351, 368, 379, 388 Selbstverwaltung 46, 97 Sicherstellungsauftrag - Apotheker 269 - Kassenärztliche Vereinigung 156 - stationärer Sektor 206 Sonderbedarfsfeststellung 180 Sonderkündigungsrecht 71 Sorgfaltsmaßstab 331, 373 Sozialhilfe 43, 52, 126 Sozialversicherungswahlen 48 Spitzenverband Bund der Krankenkassen 50 Sprachtherapie 292 Sprechstunden 103 Standesorganisationen 108 Steigerungsfaktor 149 Sterbehilfe 375 Strukturierte Behandlungsprogramme 164 Suizid 385 - Tötung auf Verlangen 385 - Tötung durch Unterlassen 390 - unterlassene Hilfeleistung 388 Systemversagen 82, 89 T Tagessätze 236 Täter-Opfer-Ausgleich 361 therapeutische Sicherheitsaufklärung 326, 373 Therapiefehler 324 Therapiefreiheit 324, 332 Totaler Krankenhausaufnahmevertrag 226 <?page no="433"?> Sachwortverzeichnis 433 Tötung auf Verlangen 385 - Tatbestandsmerkmale 386 U Überforderungsklausel 95 Übernahmeverschulden 326, 374 überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft 171 Überversorgung 179 unterlassene Hilfeleistung 388 Unterversorgung 178 V Verfahren der gegenseitigen Anerkennung 249 Verfassungsrecht 29 Vergabeverfahren 309 Vergütung 147 Verkehrssicherungspflichten 339 Verschreibungspflicht 263 Versicherungsbefreiung 57 Versicherungsfreiheit 56 versicherungsfremde Leistungen 62 Versicherungspflicht für alle 52 vertikale Gliederung 218 vertragliche Haftung 355 Vertragsarzt - Anstellungsrecht 188 - Status 189 - Verordnung von Arzneimitteln 272 - Verordnung von Heilmitteln 293 - Verordnung von Hilfsmitteln 302 - Zulassungsvoraussetzungen 169 Vertragsarztsitz 182 Vertrauensgrundsatz 341, 342, 344 Verwaltungsrat 48 Vorstand 48 W Wahltarife 68, 71 Weltgesundheitsorganisation 74 Werbung 120 Wettbewerbsrecht 29 William F. Beveridge 36 Wirtschaftlichkeitsgebot 85 Z Zentralisiertes Verfahren 249 Zulassung - Altersgrenze 170 - Arzneimittel 248 - Entziehung 191 - Generika 256 - Konkurrentenklage 167 - Rechtsfolgen 181 - Ruhen 190 - Verfassungsmäßigkeit 168 - Versagungsgründe bei Arzneimitteln 255 - Vertragsärzte 169 - vertragsärztliche Versorgung 167 - Verzicht 192 Zulassungsausschuss 167 Zulassungsbeschränkungen 179 Zulassungsbezirk 167 Zünfte 31 Zu- oder Abschläge 198 Zurechnung 334, 335 - Hinzutreten Dritter 335 - Vorschäden 335 Zusatzbeiträge 67 Zuzahlung 92, 299 - Überforderungsschutz 95 Zwangsmitgliedscgaft 108 Zweigpraxis 182 <?page no="434"?> BUCHTIPP Reinhard Strametz Grundwissen Medizin für Nichtmediziner in Studium und Praxis 5., überarbeitete Au age 2021, 272 Seiten €[D] 25,90 ISBN 978-3-8252-5774-3 eISBN 978-3-8385-5774-8 Reinhard Strametz stellt medizinisches Grundwissen fundiert und leicht verständlich vor und führt kundig in Fachtermini ein. In den Mittelpunkt stellt er u.a. den Ablauf des medizinischen Behandlungsprozesses von der Anamnese bis zur Therapie sowie wichtige Methoden und Ansätze der Medizin, etwa die Evidenzbasierte Medizin und die Prävention. Auf Krankheitsbilder, wie etwa Adipositas, Diabetes mellitus, Schlaganfall und Krebs, geht er ebenso ein, wie auf Pandemien und das Coronavirus SARS-CoV-2 (Covid-19). Auch Spannungsfelder der Medizin, die sich aus der Ökonomisierung und Digitalisierung (z.B. Künstliche Intelligenz, Apps) ergeben, nden Beachtung. Die 5. Au age wurde komplett überarbeitet und in den Bereichen Diabetes, Covid-19 und Regelungen zum assistierten Suizid überarbeitet und erweitert. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="435"?> BUCHTIPP Thomas Stockhausen Medizin und Gemeinwohl Medizinwissen für Gesundheitsökonomie und -wissenschaft 1. Auflage 2022, 232 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-5811-5 eISBN 978-3-8385-5811-0 Die Medizin in all ihren Facetten verstehen! Ohne Gesundheit ist alles nichts. Menschen können medizinisch, wirtschaftlich, sozial oder gesellschaftlich auf das Thema blicken. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ethik. Thomas Stockhausen stellt anhand ausgewählter Themen der Medizin die unterschiedlichen Aspekte der Patient: innenversorgung dar und diskutiert sie mithilfe lebensnaher Beispiele - aus gesundheitlicher, unternehmerischer, organisatorischer und schließlich ethischer Sicht. Auch auf die Coronapandemie geht er ein. Das Buch richtet sich an Studierende der Gesundheitsökonomie und Gesundheitswissenschaften. Ihnen vermittelt es das notwendige medizinische Grundlagenwissen. UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="436"?> Das Medizinrecht gewann im Rahmen der Corona-Pandemie an Bedeutung. Es berührt neben dem Öffentlichen Recht auch das Zivilsowie Strafrecht. Die fünfte, überarbeitete und aktualisierte Auflage stellt die Querschnittsmaterie vor: Constanze Janda geht auf das Recht der gesetzlichen Krankenkassen, das ärztliche Berufsrecht und die Rechtsbeziehungen zwischen Ärzt: innen und Patient: innen ein. Auch das Vertragsarztrecht, die Leistungserbringung durch Krankenhäuser sowie die Versorgung mit Arzneimitteln und das Heil- und Hilfsmittelrecht stellt sie dar. Sie beleuchtet zudem das Arzthaftungsrecht und die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzt: innen. Auch die aktuelle Gesetzgebung, etwa zum Digitale-Versorgung-Gesetz, berücksichtigt sie neu in dieser Auflage. Recht | Medizin | Gesundheits- und Pflegewissenschaften Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. Mit Musterklausuren ISBN 978-3-8252-5892-4 utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel