Tourismusphilosophie
0424
2023
978-3-8385-5911-7
978-3-8252-5911-2
UTB
Julia E. Beelitz
Jonas Pfister
10.36198/9783838559117
Tourismus neu gedacht!
Die verschiedensten Disziplinen setzen sich mit dem Phänomen Tourismus auseinander. Die Philosophie war bislang nur schlaglichtartig beteiligt. Dabei existiert eine Vielzahl von tourismuswissenschaftlichen Fragen, die die Philosophie durchaus beleuchten kann. Genau auf diese gehen Julia E. Beelitz, Tourismuswissenschaftlerin, und Jonas Pfister, Philosoph, in diesem Buch im Dialog ein. Das Ergebnis ist eine interdisziplinäre Betrachtung.
Der Text ist eine Einführung für Studierende der Tourismuswissenschaft und für alle, die sich für philosophische Fragen des Tourismus interessieren.
<?page no="0"?> Julia E. Beelitz Jonas Pfister Tourismusphilosophie <?page no="1"?> utb 5911 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Julia E. Beelitz ist an der Hochschule Kempten für die Themen Nachhaltigkeit und Internationales Ma‐ nagement berufen. Ass.-Prof. Jonas Pfister lehrt am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. <?page no="3"?> Julia E. Beelitz / Jonas Pfister Tourismusphilosophie UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838559117 © UVK Verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5911 ISBN 978-3-8252-5911-2 (Print) ISBN 978-3-8385-5911-7 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5911-2 (ePub) Umschlagabbildung: © ljubaphoto · iStockphoto Icons: © slalomp · iStockphoto Autorinnenfoto Julia E. Beelitz: © Sandra Seifen Fotografie Autorenfoto Jonas Pfister: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Franz Kafka (1883-1924) <?page no="7"?> 1 11 2 27 3 55 4 81 5 109 6 137 7 161 177 179 195 199 Inhalt Neues wagen - wie alles begann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist Tourismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ästhetik und die Macht der Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darf man so reisen? Ethische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftliche und politische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftsperspektiven - was werden könnte . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="9"?> Vorwort Diese Einführung in das neue Gebiet der Tourismusphilosophie soll einige der philosophischen Fragen diskutieren, die sich im Zusammenhang mit Tourismus stellen. Es werden vielfältige Aspekte aufgegriffen, die im tou‐ rismuswissenschaftlichen Diskurs bereits thematisiert werden. Das Buch erhebt daher keinen Anspruch auf Begründung einer neuen Theorie. Es soll vielmehr dazu anregen, Fragen zu stellen und weiter zu diskutieren. Wir denken dabei insbesondere an Studierende in verschiedenen Tourismusstu‐ diengängen ebenso wie an interessierte Laien sowie Menschen auf einer touristischen Reise, die sich mit grundlegenden Fragen zum Tourismus auseinandersetzen möchten. Ein Wort zu dem eher ungewöhnlichen Format: Die Autorin und der Autor haben einen unterschiedlichen wissenschaftlichen Hintergrund, Julia ist So‐ zialwissenschaftlerin, Jonas ist Philosoph. Wir wollten die unterschiedlichen Zugangsweisen zum Thema beibehalten und ersichtlich machen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, eine Form zu wählen, bei der wir jeweils eigene Texte schreiben, in diesen uns jedoch aufeinander beziehen, also einen schriftlichen Dialog wiedergeben. Wir hoffen, dass Sie als Leserinnen und Leser die beiden Zugangsweisen erfahren und als ergänzend wahrneh‐ men - so wie wir es auch tun. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! Julia Beelitz und Jonas Pfister im März 2023 <?page no="11"?> 1 Neues wagen - wie alles begann 07.10.2021 ∙ E-Mail von Julia an Jonas Betreff: Kontaktanfrage Sehr geehrter Herr Dr. Pfister, mit großem Vergnügen habe ich unter anderem durch die Lektüre Ihrer Publikationen Zugang zum Themenbereich Philosophie gefunden. Mein Interesse mag auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich scheinen, denn schließlich bin ich Tourismuswissenschaftlerin, also Vertreterin eines Untersuchungsbereichs, bei dem die empirische Erkenntnis und der Fallstu‐ dienbezug im Vordergrund stehen: Dem Phänomen Tourismus nähert man sich v. a., um es in der Praxis zielorientiert gestalten zu können. Zentrales Interesse ist dabei die Leistungsgestaltung und -organisation. Entsprechend häufig sind Tourismuswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler - so wie bei mir der Fall - an Fachhochschulen und dort an Fakultäten anzutreffen, die v. a. aus Betriebswirtschaftlerinnen und Betriebswirtschaftlern bestehen. Trotz dieses Fokus wäre es allerdings viel zu kurz gegriffen, den Touris‐ mus rein als Wirtschaftsphänomen zu behandeln. Dafür zeigt er sich als viel zu anschlussfähig an andere wissenschaftliche Disziplinen. Entsprechend gibt es z. B. Forschende, die sich mit den Klimawirkungen von Reisen ausein‐ andersetzen (i. e. Verbindung u. a. zu Biologie, Ökologie, Geografie), solche, die tourismusinduzierte Entfremdungsphänomene in besuchten Gebieten untersuchen (i. e. Verbindung zu u. a. Soziologie, Kulturwissenschaften, Anthropologie), und jene, die sich für die rechtlichen Rahmenbedingungen des Reisens interessieren (i.-e. Verbindung u.-a. zu Jura, Politologie). Die Tourismuswissenschaft wird mithin häufig als sog. Quer‐ schnittsdisziplin verstanden, bei der eine multi-, transbzw. interdis‐ ziplinäre Auseinandersetzung mit dem Phänomen, seinen Ausprägun‐ gen, Effekten, Akteuren etc. erfolgt. <?page no="12"?> Die Verknüpfung mit der Philosophie kann in diesem Kontext allerdings bislang nur als rudimentär bewertet werden. Explizit als philosophisch etikettierte Erkenntnisse im Tourismuskontext gibt es selten (vgl. Tribe 2009, S. 3). Am ehesten vertreten ist noch die ethische Auseinandersetzung mit dem Reisen (vgl. Fennel 2017; Lovelock & Lovelock 2013; Pechlaner & Raich 2007). Breiter angelegte Diskurse, die touristische Themen z. B. auch mit Überlegungen zur Ästhetik oder Logik in Verbindung bringen, stellen dagegen Solitäre dar (vgl. Konferenz Tourism and Culture in Philosophical Perspective, Kroatien 2019). Hierin besteht jedoch aus meiner Sicht ein deutlicher Mangel, denn die „philosophische Perspektive“ hätte Potenzial, der Tourismuswissenschaft bei ihrer dringlichsten Herausforderung zu helfen - ihrem Selbstverständ‐ nis. So schön nämlich die disziplinäre Freiheit in der Untersuchung ist, so sehr behindert sie die Tourismuswissenschaft auch, wie sich darin zeigt, dass allgemein akzeptierte Definitionen fehlen und über Strukturen, Grenzen und Schwerpunktsetzungen scheinbar ebenso endlos diskutiert wird wie über die Anwendbarkeit und Angemessenheit von Methoden. Natürlich gibt es einzelne Versuche, Begriffe, Modelle und Theorien zu entwickeln. Generell kommt aber die Auseinandersetzung mit den Grundfragen zu kurz, so dass manche die Existenz einer eigenständigen Tourismus‐ wissenschaft sogar anzweifeln. Was mich nun endlich zum Grund meiner Kontaktaufnahme bringt: Ich schreibe Ihnen, da ich mir einen Austausch zu Obigem erhoffe. Ich würde Sie zu einem Dialog einladen wollen, in dem wir über diese „ersten Fragen“ gemeinsam nachdenken und damit vielleicht ein Fundament für etwas wie eine Tourismusphilosophie begründen. Den Austausch zwischen Ihnen als Philosoph und mir als Tourismuswissenschaftlerin stelle ich mir dabei überaus bereichernd vor - und vielleicht können wir unsere Gedanken ja irgendwann einmal in ein gemeinsames Buch bannen und damit der interessierten Öffentlichkeit zur eigenen Reflexion anbieten? Doch ich bin hier zu schnell: Zunächst einfach die Frage, ob Sie Interesse an einem solchen Austausch hätten? ! Und, vielleicht gleich weiter gefragt: Sehen auch Sie einen Sinn in der angedachten Auseinandersetzung? In der Hoffnung auf eine - möglichst positive - Rückmeldung mit freundlichen Grüßen Julia Beelitz 12 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="13"?> 11.10.2021 ∙ E-Mail von Jonas an Julia Betreff: AW: Kontaktanfrage Sehr geehrte Frau Prof. Beelitz, vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie freut mich, und ich gehe gerne darauf ein. Denn, wie Sie schreiben, existieren kaum philosophische Arbeiten zum Tourismus, und es gäbe sicherlich spannende Fragen zu stellen und zu diskutieren. In der Philosophie interessieren wir uns insbesondere für begriffliche Fragen, d. h. für Fragen nach den Beziehungen zwischen verschiedenen Begriffen, wie sie etwa in Definitionen zu finden sind, in denen wir den einen Begriff durch andere Begriffe definieren. Also ganz konkret könnte man fragen, was Tourismus überhaupt ist. Die Klärung kann ein Schritt in Richtung eines besseren Selbstverständnisses der Tourismuswissenschaft sein und damit genau eine der Herausforderungen aufnehmen, die sie ansprechen. Wir interessieren uns in der Philosophie auch für normative Fragen, also für Fragen danach, was sein soll, was gut und was schlecht ist, was ge‐ boten und was verboten ist. Bezogen auf den Tourismus stellen sich Fragen wie die, ob und wann Tourismus ethisch vertretbar ist, eine Frage, die sich angesichts der zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels dringlicher stellt als noch vor ein paar Jahrzehnten, als der globale Tourismus noch wenig ausgebaut war (und auch der Klimawandel noch weniger spürbar). Das führt mich gerade zu einem Aspekt, den es ebenfalls zu berücksich‐ tigen gilt: die Geschichte des Tourismus. Sie werden dazu sicherlich mehr wissen als ich, und ich würde mich sehr freuen, im Dialog mit ihnen darüber ebenso wie über alle anderen Aspekte der Tourismuswissenschaft mehr zu erfahren. Gerne steuere ich meine philosophischen Kenntnisse bei, um die grund‐ legenden Fragen erst einmal zu stellen und dann, soweit möglich, zu beant‐ worten. Nur noch eine kleine Bemerkung zu einem Punkt: Sie beklagen, dass über Grenzen und Schwerpunktsetzungen in der Tourismuswissen‐ schaft scheinbar endlos diskutiert werde. In dieser Hinsicht muss ich Sie womöglich enttäuschen: Dass man endlos diskutiert, ist aus philosophischer 1 Neues wagen - wie alles begann 13 <?page no="14"?> Perspektive nicht unbedingt schlecht, sondern kann als wesentlich für gewisse Fragen angesehen werden, eben weil sie sich nicht einfach oder vielleicht gar nie abschließend beantworten lassen. Aber versuchen wir es einmal: Stellen wir die Fragen, suchen wir nach Antworten, und schauen wir, was dabei herauskommt. Ich bin dabei! Mit freundlichen Grüßen Jonas Pfister 15.10.2021 ∙ E-Mail von Julia an Jonas Betreff: Historische Entwicklung des Tourismus Sehr geehrter Herr Pfister, über Ihre Antwort habe ich mich überaus gefreut! Vielen Dank, dass Sie sich auf diesen Austausch einlassen wollen. Da nutze ich doch gleich die Gelegenheit zu einer weiteren E-Mail an Sie! Ihre Rückmeldung hat mich schmunzeln lassen, denn natürlich (! ) bin ich enttäuscht über die Aussicht, dass auch die Einnahme der philosophischen Perspektive nicht zum Ende der „endlosen Diskussionen“ führen wird. Allerdings deute ich diese „Ent-Täuschung“ positiv, also als Wegnahme von Täuschung. Denn einer solchen bin ich ganz offenbar aufgesessen, als ich den Abschluss des tourismuswissenschaftlichen Diskurses vorschnell herbeisehnte. Schließlich verändert sich der Tourismus ständig, so wie er das in der Vergangenheit auch stets getan hat. Wenn Sie mich vor diesem Hintergrund nach der historischen Entwick‐ lung des Tourismus fragen, würde ich mich solchen Meinungen anschließen, die konstatieren, dass diese mit der Existenz des Menschen beginnt und der Tourismus mithin als „zeitloses Phänomen“ verstanden werden kann (Sölch-1995, o.-S.). Denn die Basis des Tourismus ist das Reisen, also der gezielte Ortswechsel. Und einen solchen vollzogen bereits unsere frühen Vorfahren in der Stein‐ zeit, die sich als Nomaden ständig im Aufbruch befanden. Luger hält dazu 14 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="15"?> treffend fest: „Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Geschichte der Bewegung, der Mobilität, des Herausschiebens der Horizonte.“ (Luger 2022, S. 81) Entsprechend sollten weder der Wortstamm des Begriffs Reisen - das althochdeutsche reisa steht für „Aufbruch, Zug, Fahrt“ (DWDS 2021, o. S.) - noch der Fakt verwundern, dass auch nachdem der Mensch sesshaft wurde, weiter Reiseaktivitäten zu verzeichnen waren und man gerade in den frühen Hochkulturen „touristische Spuren“ finden kann: Die Ägypter der Antike besuchten berühmte Bauwerke wie die Sphinx oder die Pyramiden von Gizeh, die Griechen reisten nach Delphi, um das Orakel zu befragen, oder nahmen an den Olympischen Spielen teil und im Römischen Reich wurde das umfangreich ausgebaute Straßennetz auch für den Personenverkehr genutzt: Man reiste, um Waren und Truppen zu allokieren, aber auch, sofern man über jene Freiheiten (Handlungsfreiheit + Zeit + Geld) verfügte, um Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und entsprechend geeignete Orte des weitläufigen Reiches z. B. für Gesundheitszwecke aufzusuchen (Gyr 2010, Abschnitt 5 f.). In der Epoche des Mittelalters nahm die Reiseaktivität dann zumindest kurzfristig drastisch ab - einerseits, da sich z. B. durch den Verfall zahlrei‐ cher Straßen und die politische Regionalisierung die Bedingungen für den Ortswechsel verschlechterten, andererseits, da der soziokulturelle Wandel die menschliche Beziehung zur Fremde veränderte: Das Anderswo wurde zunehmend mit Gefahr und Unsicherheit konnotiert (Unheimliche Fremde! Unberechenbare Natur! Unnötige Anstrengungen! ), von der man sich nach Möglichkeit fernhalten sollte (vgl. Berktold-Fackler & Krumbholz 2015, S. 13). Wer sich zu dieser Zeit „auf den Weg machte“, tat dies entsprechend noch klarer zweckgebunden, weil sich keine Alternative bot, um die eigenen Ziele zu erreichen. Der Begriff des Reisens war, wie bereits anklang, noch nicht verbreitet. Stattdessen sprach man von der Fahrt, wie beim „fahrenden Volk“ (vgl. Hlavin-Schulze 1998, S. 13). Man fuhr demnach v. a., um Handel zu betreiben (Karawanen), um Buße zu tun (Pilger), weil es die machtpoliti‐ sche Stellung erforderte (Kreuzzüge), zu Bildungs- und Forschungszwecken (Walz bzw. Touren zu Klöstern oder den ersten Universitäten) oder um neue Ressourcen zu erschließen (Entdecker- und Erobererfahrten) (vgl. Sölch-1995, o.-S. und vgl. Spode-2021, S.-16). Ab der zweiten Hälfte des 16.-Jahrhunderts setzte dann ein entschei‐ dender Wandel ein: Zunehmend gingen auch die gehobenen Gesellschafts‐ schichten auf Reisen. Die Einstellung zum Unterwegssein änderte sich damit drastisch: Glücklich war, wer über genügend Mittel (insbesondere Geld 1 Neues wagen - wie alles begann 15 <?page no="16"?> und Kontakte) verfügte, um sich in der Fremde nicht nur notwendigen Zwecken zu widmen, sondern auch Elementen der Muße hingeben zu können (d’Eramo 2018, S. 22). Entsprechend waren die neuen Reisenden erheblich komfortabler unterwegs und nutzten z. B. Kutschen oder wurden - wo diese nicht passieren konnten - in Tragsesseln transportiert. Wege zu Fuß unternahmen solche Reisende dagegen nur, wenn sie aus künstlerischen Zwecken unterwegs waren (man denke an Goethes „Italienische Reise“) bzw. bewusst die Nähe zur Natur suchten. (vgl. Luger-2022, S.-82). Die Basis des heutigen Images von Reisen als nicht nur sinnvolle, sondern v. a. auch erstrebenswerte und lustvolle Aktivität war damit gelegt, der Übergang zum Tourismus geschaffen. Besonders deutlich zeigt sich das in der sog. Grand Tour, die sich als Erscheinungsform des Reisens v.-a. im 18.-Jahrhundert durchsetzte. Hier‐ unter zu verstehen waren Bildungsreisen, auf die insbesondere die Erben (i. e. also primär die jungen Männer statt der jungen Frauen) des Adels und - mit etwas Zeitversatz - des (gehobenen/ aufgeklärten) Bürgertums gesandt wurden, um ihre Erziehung abzuschließen, bevor sie in die Fußstapfen ihrer Familie traten und der „Ernst des Lebens“ begann. Angeführt wurde dieser Trend der damaligen Zeit von den Engländern. Auf bis ins Detail geplanten, einbis dreijährigen Reisen wurden bei der Grand Tour antike Stätten und bedeutende Städte der Zeit besucht, Kurse und Weiterbildungen (z. B. Tanz, Reiten, Fechten, Sprachen) absolviert und an Empfängen, Bällen und Jagden teilgenommen. Die typischerweise von einer standesgemäßen Entourage (Mentor, Diener etc.) begleiteten Reisenden sollten sich weltmännische Umgangsformen aneignen und Netzwerke aufbauen, aber auch Zeit für Kunst und Vergnügen haben. Da das Kennenlernen von Land und Leuten im Zeitverlauf primäres Reisemotiv wurde, ist die Auffassung verbreitet, dass die Grand Tour als grundlegende Frühform dessen betrachtet werden kann, was wir heute „Tourismus“ nennen. (Gyr 2010, Abschnitt 9-13; Berktold-Fackler & Krumbholz-2015, S.-18ff.) Das Ende der Grand Tour fiel mit der Französischen Revolution und den nachfolgenden Napoleonischen Kriegen zusammen: Da die „obe‐ ren Zehntausend“ nun nicht mehr ungehindert ins Ausland reisen konnten, wandten sie sich inländischen Reisezielen zu, was die Ära der Kurorte und Seebäder eingeläutet haben soll (Berktold-Fackler & Krumbholz 2015, S. 19). Gleichzeitig etablierte sich das Phänomen der sog. Sommerfrische, bei 16 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="17"?> dem sich vermögende Familien mehrwöchig in Dependancen in ländlichen Regionen (oft in die Täler des Mittel- und Hochgebirges, aber auch an die See - heute würde man wohl sagen „in heilklimatischen Destinationen“) ihres Landes zurückzogen, um der Hitze der Städte während der Sommermonate und ihrer (z. B. hygienischen) Konsequenzen zu entgehen (vgl. Luger 2022, S. 92f.). Im Rahmen dieser temporären Übersiedlungen wurde zwar noch den wichtigsten Geschäften nachgegangen - im Vordergrund standen aber das Ruhen und entspannende Unternehmungen, z. B. Flanieren und Baden. Das Element der Erholung fand damit Einzug in den Kontext des Reisens. Die Einschränkung auf Binnenreisen war jedoch nur temporärer Natur. Ab dem 19. Jahrhundert waren es erneut die vermögenden Bevölkerungs‐ teile, zunehmend das gehobene Bürgertum, die zu touristischen Zwecken nun exotischere Ziele anstrebten - auch da dies durch politische Entwick‐ lungen (Stichwort: Kolonialisierung und Auswanderungswellen) und ihre infrastrukturellen Konsequenzen (z. B. Ausbau regelmäßiger Schiffsverbin‐ dungen) möglich wurde. In dieser Phase entwickelten sich Angebote wie Studienschifffahrten auf dem Nil (ab ca. 1860) und der Orientexpress nach Is‐ tanbul (ab 1883). Gleichzeitig entfaltete sich als zentrale Entwicklungsachse des Tourismus der Alpinismus. Angetrieben u. a. von der Zivilisationskritik Rousseaus wurden die Berge und ihre Natur allmählich statt als Bedro‐ hung als etwas Erstrebenswertes erfasst und mithin bereist. „Die Haltung gegenüber den Bergen - beginnend mit Alpenbewunderung, dann Alpen‐ erforschung und der Entwicklung des Alpinismus - war immer geprägt vom Zeitgeist und ist eng mit Naturempfinden verknüpft.“ (Stettmer 1998) Entsprechend wurde das Bergsteigen ausgehend von Großbritannien zu einem Sport: Zwischen 1854 und 1865 wurden die meisten Bergspitzen der Alpen zum ersten Mal bestiegen. Parallel hierzu entwickelte sich das Reisen jedoch auch „in die Breite“. War es dem Großteil der Bevölkerung im 18. Jahrhundert noch völlig unmöglich, auf Vergnügungsreisen zu gehen, da weder die notwendigen finanziellen Mittel noch die erforderliche Freizeit zur Verfügung standen, führte der gesellschaftliche Wandel ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu Entwicklungssch‐ üben. Zu den einflussnehmenden Faktoren zählten dabei die Verbesserung der sozial- und arbeitsrechtlichen Verhältnisse sowie die Steigerung der Realeinkommen, aber auch allgemein die Industrialisierung (Stichwort: ka‐ pitalistische Überproduktion) und zunehmende Verstädterung, die Bedürf‐ nisstrukturen veränderte („frische Luft“ wird zu einem erstrebenswerten Aspekt, wenn man in Abgasen lebt), sowie die Entwicklung der Angebots‐ 1 Neues wagen - wie alles begann 17 <?page no="18"?> 1 Nur als Randnotiz, auf die nicht weiter eingegangen werden soll: Bei den Nationalso‐ zialisten wurde Reisen, ähnlich dem Sport, als Mittel zur Ertüchtigung und Erbauung - sprich: als Instrument zur körperlichen Leistungssteigerung und zur geistigen Indoktrination - gesehen und in der „Kraft durch Freude“-Organisation entsprechend instrumentalisiert. strukturen, z. B. des Verkehrswesens (vgl. Spode 2021, S. 20ff.). Erste Angebote für breitere Bevölkerungsteile waren organisierte Tagesausflüge. Thomas Cook veranstaltete 1841 die erste „Pauschalreise“ der Geschichte: Für einen Schilling erwarb man ein Zugticket ab Leicester ins 10 Meilen entfernte Loughborough und zurück, eine einfache Tagesverpflegung und Unterhaltung durch Blasmusik. Mit solchen Tagesausflügen sollte - so das werbende Versprechen - die arbeitende Bevölkerung Gelegenheit bekom‐ men, kurzzeitig der Enge der Städte und der funktionalen Produktionsorte zu entgehen (Gyr 2010, Abschnitt 14 f. und 18). Das Angebot richtete sich allerdings noch immer eher an die besserverdienenden Vorarbeiter und Meister. Erst recht mehrtägige Reisen blieben trotz der aufkommenden Ar‐ beiterkultur, die für einen Teilhabeanspruch aller an den „Errungenschaften und Genüssen der Nationalkultur“ (Sölch 1995, o. S.) eintrat, weiter ein Privileg. Generell zu verreisen und - später dann - „Erster Klasse“ in der Bahn zu fahren oder eine Schiffspassage anzutreten bzw. in einem (Grand) Hotel zu übernachten, entwickelte sich in Folge zum probaten Mittel sozialer Distinktion. Die Blütezeit des Tourismus setzte im 20. Jahrhundert ein. Immer breitere Bevölkerungsschichten konnten am Reisen teilhaben, was sowohl politisch 1 , aber v.-a. auch ökonomisch forciert wurde. Da man erkannte, dass man mit gezielt Erholung versprechenden Angeboten einerseits Arbeit und Einkommen schaffen und andererseits Infrastrukturen optimiert auslasten kann, entwickelte sich eine spezialisierte Tourismusin‐ dustrie. Die ersten Vergnügungskreuzfahrten wurden demnach z. B. von der „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ - heute ist den meisten wohl eher die Abkürzung HAPAG geläufig - angeboten, um die in der Wintersaison unterausgelasteten Schiffe der Reederei für Trans‐ atlantikpassagen effizienter zu nutzen. Reisen wurden in Folge insgesamt kürzer, um zu den Mittelverfügbarkeiten (bezogen sowohl auf Geld als auch Zeit) der breiten Bevölkerung zu passen, und immer stärker standardisiert, was einen sukzessiven Preisverfall nach sich zog. Gleichzeitig hat sich im 18 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="19"?> Zeitverlauf eine zunehmende Orientierung an Kundenwünschen und eine Vielfalt beteiligter Akteure ergeben. Über die Jahrzehnte ist der Tourismus mithin ein Massenphänomen (2019 wurden weltweit fast 1,5 Millionen internationale touristische Ankünfte verzeichnet! ) und „zur wichtigsten Industrie dieses neuen Jahrhunderts geworden“ (d’Eramo 2018, S. 12). Gemäß Zahlen der United Nations World Tourism Organization (UNWTO) war der Tourismus 2019 die weltweit drittgrößte Exportkategorie (noch vor dem Automobil- und dem Food-Sektor), der einer von zehn Jobs weltweit zugerechnet werden konnte. Allein aufgrund dieser Bedeutsamkeit wäre es geradezu fahrlässig auf‐ zuhören, über den Tourismus zu diskutieren, um auf den Anfang meiner heutigen Nachricht an Sie zurückzukommen. Es lohnt sich zweifelsohne, das Phänomen zu betrachten und dabei seine charakteristischen Eigenschaften zu ergründen. Aus der skizzierten geschichtlichen Entwicklung kann z. B. ein interessantes Muster des Tourismus abgeleitet werden: Typisch war und ist es, dass die vermögenden Bevölkerungsteile neue touristische Erscheinungsformen, Zielgebiete und Angebote erschlie‐ ßen bzw. prägen, die dann sukzessive von der restlichen Bevölkerung imitiert bzw. übernommen werden. So wurden die erwähnten Seebäder vom Adel zurückgelassen, um zunächst Reiseziele der gehobenen Bürger, dann des Mittelstands, gefolgt vom Klein‐ bürgertum und zuletzt der Arbeiterschaft zu werden (vgl. Kolland 2006, S. 254ff.). Und so werden möglicherweise die jüngst von Superreichen durchgeführten Weltraumreisen (Richard Branson 11.07.2021; Jeff Bezos 20.07.2021) auch irgendwann einmal eine Tourismusform für jedermann werden-… Verallgemeinernd kann man wohl sagen, dass die zentralen Entwick‐ lungstendenzen des Tourismus bislang v. a. in einem kontinuierlichen Wachstum und einer zunehmenden Differenzierung bestanden. Die Breite und Tiefe des Phänomens gehen jedoch so weit, dass seine Rän‐ der verschwimmen und es immer schwieriger wird, es zu spezifizieren. Gibt es demnach wirklich einen Unterschied zwischen „Reisen“ und „Tou‐ rismus“, so wie es in den vorstehenden Ausführungen angeklungen ist? Und 1 Neues wagen - wie alles begann 19 <?page no="20"?> über welche Eigenschaften lässt sich Tourismus von anderen Phänomenen (z.-B. Alltag, Freizeit) abgrenzen? Ich bin auf Ihre Einschätzung gespannt! Mit freundlichen Grüßen Julia Beelitz 19.10.2021 ∙ E-Mail von Jonas an Julia Betreff: Überlegungen zur historischen Entwicklung Liebe Frau Beelitz, herzlichen Dank für Ihre Nachricht! Ich habe gar nicht damit gerechnet, gleich einen so ausführlichen und spannenden Überblick über die Ge‐ schichte des Tourismus zu erhalten, als ich in meiner letzten E-Mail die Frage der Entwicklung erwähnte. Besonders interessant finde ich, dass Sie als Basis des Tourismus die gezielte Ortsveränderung setzen, denn damit reicht die Geschichte des Tourismus bis in die Anfänge der Menschheit zurück und die Ortsveränderung scheint einen grundlegenden Aspekt des menschlichen Lebens auszumachen (darauf müssen wir einmal noch zurückkommen). Ebenfalls sehr interessant finde ich, dass der moderne Tourismus auf die Grand Tour zurückzuführen sei. Das war mir nicht bekannt, und wenn ich hätte schätzen müssen, hätte ich gesagt, dass der moderne Tourismus erst im 19.-Jahrhundert beginnt. Aber mit der Grand Tour sind wir in der Renaissance angelangt, im 17. Jahrhundert. Der entscheidende Unterschied scheint der zu sein, dass Reisen an sich nun einen nichtreligiösen Bildungszweck hatte. Das ist ja eigentlich eine schöne Idee als Ursprung des Tourismus: Reisen als Bildung. Sie fragen mich, ob ich damit einverstanden sei, dass man den Tourismus vom Reisen abgrenzen könne, dass also der Tourismus eine spezielle Form des Reisens sei. Ich denke, dass man diese Abgrenzung machen kann. Die Frage ist, wozu, d. h. zu welchem Zweck wir die begriffliche Unterscheidung einführen, und der Zweck kann je nach Kontext ein anderer sein. Wenn es darum geht, das Wesen des Menschen zu untersuchen, dann wird man vermutlich bei der Reiseaktivität allgemein ansetzen und nicht viel 20 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="21"?> dadurch gewinnen, dass man irgendwo in der Geschichte eine neue Form des Reisens unterscheidet. Aber wenn es darum geht, die gesellschaftliche Dimension des Reisens zu erfassen, so wird man sicherlich verschiedene Arten des Reisens unterscheiden wollen. Und auch dann, wenn wir genauer untersuchen wollen, wie und wozu Menschen heutzutage reisen - Sie haben es geschrieben: Tourismus ist zu einem enorm wichtigen weltweiten Wirt‐ schaftszweig geworden. Und auch dann, wenn wir uns dafür interessieren, wie Menschen ihre Reisen heutzutage beschreiben, was sie dabei suchen, ist es hilfreich, einen Begriff für Tourismus zu haben. Sehr interessant in Ihren geschichtlichen Ausführungen finde ich zudem, dass die Grand Tour etwas war, mit dem sich der Adel abgrenzte, und auch Ihre allgemeine Bemerkung, dass neue Arten und Ziele zunächst von den Vermögenden gesucht werden und diese mit der Zeit von der restlichen Bevölkerung mehr oder weniger übernommen werden, sofern die finanziellen Möglichkeiten dazu bestehen. Tourismus hat also auch die Funktion, den sozialen Status anzuzeigen. Das führt mich zu einer weiteren Beobachtung zum Wort Tourismus. Als die Bezeichnung „Tourist“ zum ersten Mal zu Beginn des 19. Jahrhundert im Französischen, Englischen und Deutschen verwendet wurde, war sie durchwegs positiv besetzt. Das hat sich seither verändert. Tourismus ist zu einem Mas‐ senphänomen geworden und hat auch negative Konsequenzen, so dass die Bezeichnung manches Mal auch negativ konnotiert ist. In Städten, die von besonders vielen Touristinnen und Touristen besucht werden, etwa Barcelona, Venedig und Dubrovnik, haben die ortsansässigen Menschen ein ambivalentes Verhältnis zu den Gästen: Einerseits bringen sie Geld und damit die Grundlage für Wohlstand, andererseits führt der ausgeweitete Massentourismus auch zu Belastungen für die lokale Bevölkerung, insbesondere durch die Erhöhung von Preisen für Wohnungen, Essen in Restaurants etc. So kann „Tourist“ auch einmal zum Schimpfwort werden (wie es zum Beispiel im Graffito „TOURIST GO HOME“ zum Ausdruck kommt. Das führt mich noch zu der Frage, wer eigentlich den Ausdruck „Tourist“ verwendet. Es ist einerseits eine Selbstbezeichnung. Andererseits ist es eine Fremdbezeichnung, sie wird von Gastgebern verwendet, aber natürlich auch von verschiedener Seite als betriebs- und volkswirtschaftliche Kategorie. Es gibt zudem weitere Wörter im Deutschen, die ebenfalls verwendet werden, etwa „Feriengast“ und „Urlauber“. Sie werden im Alltag weitgehend gleichbedeutend mit „Tourist“ verwendet. Doch jedes der Wörter hat andere Konnotationen, und diese sind nicht einheitlich überall gleich. Grundsätz‐ 1 Neues wagen - wie alles begann 21 <?page no="22"?> lich wollen wir mit den genannten Wörtern Menschen in einem bestimmten Zustand bezeichnen im Unterschied zu Menschen, die ebenfalls eine Reise machen, aber zu einem anderen Zweck, etwa Migranten und Flüchtlinge, die an einem anderen Ort arbeiten oder sich niederlassen wollen, und Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben. Es gibt also eine ganze Reihe von Phänomenen, von denen wir den Tourismus unterscheiden wollen. Abbildung 1: Graffiti „Tourist go home“ | Quelle: © Billie Grace Ward (Creative Commons Attribution v2.0) Da wir uns nun schon seit einiger Zeit im schriftlichen Austausch zum Ausloten des Gebietes der Tourismusphilosophie befinden, möchte ich anregen, dass wir zum „Du“ übergehen. Ich weiß zwar nicht, ob ich die Autorität habe, dieses Angebot zu machen, doch wage ich den Schritt nun erst einmal und hoffe, dass ich nicht in ein Fettnäpfchen trete. Zudem würde ich vorschlagen, dass wir unseren Austausch auch einmal mündlich weiterführen, auch um einige Punkte in der schnellen Interaktion zu entwi‐ ckeln und andere gemeinsam festzulegen. Gerne würde ich Dich dazu nach Innsbruck einladen. Der Ort scheint mir geradezu ideal für unser Projekt. Denn Innsbruck kann als eine Metropole des Tourismus angesehen werden. Der Tourismus ist hier besonders präsent, und zwar in seinen vielen Formen: in den Touristinnen und Touristen, die man zum Teil gleich erkennt, in den zahlreichen Hotels und in den Flugzeugen, die direkt über die Stadt fliegen. 22 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="23"?> Es ist zudem der Standort von Tourismusschulen, so des berühmten MCI, des Management Center Innsbruck. Ich habe nun im Internet nachgeschaut: Tirol ist eine der Regionen Europas mit der stärksten Tourismusintensität, d. h. der Anzahl Übernachtungen pro Einwohner. Und zwar waren es im Jahr 2019 51 Übernachtungen pro Einwohner. Höhere Zahlen wiesen nur die Regionen der südlichen Ägäis, der Ionischen Inseln, Südtirol, der kroa‐ tischen Adriaküste und der Balearischen Inseln auf. Es bietet sich auch als Treffpunkt an, weil zwei unterschiedliche Arten touristischer Destinationen so nahe beieinanderliegen wie kaum sonst wo: das Städtische und die Berge, oder wie das Marketing der Stadt sagt: Innsbruck ist „alpin-urban“. Wir könnten mit der Bahn auf die Nordkette fahren - das habe ich noch nie getan. Da hätten wir einen Überblick über Stadt und Berge. Was meinst Du? Hättest Du Zeit, einmal nach Innsbruck zu kommen? Liebe Grüße Jonas 20.10.2021 ∙ E-Mail von Julia an Jonas Betreff: Treffen in Innsbruck Lieber Jonas, das „Du“ nehme ich ebenso wie Deine Einladung nach Innsbruck sehr gerne an! Lass uns doch einfach in den nächsten Tagen einmal telefonieren, um die Details abzustimmen. Meine digitale Visitenkarte mit all meinen Kontaktdaten habe ich Dir an diese E-Mail angehängt. Viele Grüße Julia PS: Aus einem Buch, das ich gerade lese, entnehme ich die Aussage, dass „in der Philosophie oftmals die Fragen wichtiger als jede Antwort [sind]“ (Kö‐ nig 2013, S. 8). Das finde ich spannend, denn in der Tourismuswissenschaft wird generell nach Antworten gesucht. Lass uns daher gerne bei unserem kommenden Treffen in Innsbruck viele Fragen sammeln! 1 Neues wagen - wie alles begann 23 <?page no="24"?> 14.02.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: „Wenn eine eine Reise tut“ - Denkanstöße durch heutige Anreise Lieber Jonas, ich freue mich sehr auf den morgigen Termin mit Dir und kann es kaum erwarten, endlich in den direkten inhaltlichen Austausch mit Dir einzutreten. Bevor es nun aber morgen losgeht, muss ich Dir unbedingt von meiner Anreise heute Abend berichten! Denn diese war alles andere als gewöhnlich … Am Bahnhof angekommen hätte ich beim Einstieg ins Taxi eigentlich schon stutzig werden müssen: Der Taxifahrer konnte nämlich mit dem Namen meines Hotels, das ich ihm als Ziel nannte, nichts anfangen und wirkte verwirrt, so dass ich die Adresse selbst mit meinem Handy ermitteln musste. Dort angekommen, dann die große Überraschung: Das Hotel hat noch gar nicht eröffnet! Ich stand also vor verschlossener Tür. Ein Herr, der wohl die Baustelle, die einmal die Rezeption werden soll, beaufsichtigte, ließ mich zwar ein, musste mir aber in gebrochenem Deutsch bedauernd vermitteln, dass ich hier leider heute Nacht nicht schlafen könne. Ein Anruf bei der Hotline der Hotelkette erbrachte ebenfalls keine neue Erkenntnis, denn dort meldete sich nur der Anrufbeantworter mit einem Verweis auf die Geschäftszeiten. Also musste ich improvisieren und spontan mithilfe meines Handys eine neue Bleibe suchen, was auch von Erfolg gekrönt wurde. Ich schreibe Dir nun aus einem Hotel, das nur ca. 15 Minuten vom eigentlich gebuchten entfernt liegt, das ich in einer Onlinebuchungsmaschine gefunden, dann aber telefonisch reserviert habe und das ich auch recht problemlos finden konnte, da ich aufgrund vorheriger Besuche in Innsbruck schon ein wenig Ortskenntnis besitze-… Und schon sind wir doch eigentlich direkt im Thema, denke ich. Denn wenn man diese kleine Anekdote Revue passieren lässt, ergeben sich doch schon einige Fragen, mit denen wir uns beschäftigen könnten: Beginnen kann man zum Beispiel mit der Frage, was und wer zum Tourismus gehört. Natürlich denkt man zunächst an die Hotels, als institutionalisierte Anbieter - hier scheint des einen Leid (Verzögerungen im Bauprojekt) des anderen Freud (Überkapazitäten, die spontan doch noch vermittelt werden können) zu sein. Doch auch der Taxifahrer und die Aufsichtsperson in der Hotelbaustelle gehören zum Tourismus: Während der eine einen professionellen und entgeltlichen Service erbracht hat, hat der 24 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="25"?> andere mit seiner Auskunft kostenlos (! ) eine wertvolle Information geleistet - die man letztlich sogar als wertvoller als die Taxifahrt sehen könnte, denn Letztere wäre bei einem vollständig informierten Taxifahrer ja gar nicht nötig gewesen. Man könnte also auch die Frage stellen, welche Motive die am Tourismus beteiligten Personen bzw. Institutionen haben, wie und wann diese erreicht werden und ob diese unterschiedlich wesentlich sind. Und auch wenn ich auf mich als Touristin schaue, drängen sich Fragen auf. So zum Beispiel welche Erwartungen Reisende typischerweise haben, wenn sie unterwegs sind. Denn, ganz ehrlich, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich vor verschlossenen Türen lande. Vielmehr war ich im Vertrauen darauf angereist, dass meine bestätigte Reservierung garantiert, dass ich für die Nacht eine Unterkunft finde. Dass mich die Enttäuschung meiner Erwartungen nun nicht „aus der Bahn geworfen hat“, lässt zudem die Frage nach erforderlichen Eigenschaften und Geisteshaltungen zu, die Touristinnen und Touristen vorweisen können sollten. Dabei drängt sich mir u. a. der Bedarf nach Flexibilität auf, die mir die Situation abverlangt hat: Wäre ich statt allein und mit kleinem Gepäck mit Kindern und mehreren Koffern unterwegs, hätte ich in der beschriebenen Situation sicherlich weitaus größere Probleme gehabt. Und wäre ich es nicht gewohnt, auch auf Reisen aktiv Verantwortung zu übernehmen, und würde ich nicht (v. a. online verfügbare) Assistenzsysteme in solchen Situationen kennen, stünde ich wohl noch immer verzweifelt vor der Hotelbaustelle-… Du siehst also: Wir haben offenbar eine Menge vor! Ich freue mich auf den Austausch mit Dir! Beste Grüße Julia 14.02.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Fragen für unser Projekt Liebe Julia, vielen Dank für Deine Nachricht. Das ist ja unglaublich, was Dir passiert ist. Du hast ein Hotel gebucht, das es noch gar nicht gibt. Wie ist das möglich? Du musstest dann vor Ort eine Unterkunft suchen. Das hast Du aber auch 1 Neues wagen - wie alles begann 25 <?page no="26"?> tatsächlich sogleich getan und damit gezeigt, dass Du eine Touristin mit der richtigen Einstellung bist. Du hättest Dich ja auch einfach nur aufregen oder Dich bei der Hotelkette beschweren können. Du hast das Beste aus einer unangenehmen Situation gemacht. Touristin zu sein, bedeutet auch, wie Du schreibst, sich auf Unvorherge‐ sehenes einzustellen. Zwar vertrauen wir einerseits darauf, dass wir das, was wir buchen bzw. kaufen, auch erhalten. Auf diesem Vertrauen beruht unser Wirtschaftssystem. Andererseits gehört es zum Reisen, dass man nicht alles im Voraus planen kann. Dies gilt nicht nur für das Wetter und andere natürlich bedingten Faktoren, sondern auch, wie Dein Beispiel zeigt, für die Handlungen anderer Menschen. Eine touristische Reise wäre jedenfalls viel weniger wertvoll, wenn es dieses Moment der Unvorhersehbarkeit nicht gäbe. Damit sind wir mitten in unserem Thema: Was macht eine touristische Reise für uns so wertvoll? Gehört es zu einem erfüllten Leben, touristisch ak‐ tiv zu sein? Und noch grundlegender stellt sich die Frage: Was ist überhaupt Tourismus? Du schreibst, dass da viele weitere Menschen dazu zu zählen sind, an die wir im ersten Moment nicht denken: Taxifahrer, Reiseleiter, Hoteliers, Barkeeper etc. Doch damit stellt sich die Frage: Wo ist die Grenze? Was gehört nicht mehr zum Tourismus, wenn alles, das irgendwie damit verbunden ist, dazu gezählt wird? Damit müssen wir uns näher beschäftigen. Ebenso mit den ethischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit Tourismus stellen, insbesondere die Frage, wann Tourismus nachhaltig ist und ob es einen nachhaltigen Tourismus überhaupt gibt. Diese Fragen stellen sich nicht nur aus individueller, sondern auch aus gesellschaftlicher Perspektive. Schließlich stellt sich auch die Frage, wie Tourismus in Zukunft sein wird angesichts von Globalisierung und Digitalisierung. Da haben wir einiges zu tun! Liebe Grüße Jonas 26 1 Neues wagen - wie alles begann <?page no="27"?> 2 Was ist Tourismus? 15.02.2022 ∙ SMS Jonas an Julia Liebe Julia, das waren interessante Stunden mit Dir in Innsbruck. Wirf doch einmal einen Blick in Dein E-Mail-Postfach. Ich habe ein paar meiner Gedanken zu unserer ersten Frage in einer kleinen Abhandlung zusammen‐ gefasst. Liebe Grüße Jonas 15.02.2022 ∙ Jonas E-Mail-Anhang Betreff: Definition von „Tourismus“ Was ist Tourismus? Damit ist ein komplexes Phänomen gemeint, das ver‐ schiedene Akteure, Räume, Transportmittel, Unterkünfte und vieles weitere umfasst. Es ist somit erst einmal unklar, welcher Art von Gegenstand der Tourismus zuzuordnen ist. Ist es etwa ein Prozess, an dem Millionen von Menschen beteiligt sind und der sich über Jahre und Jahrzehnte ausdehnt? Wenn es etwas in der Art ist, so erscheint es zum einen schwierig, den Tourismus als Ganzes gedanklich zu erfassen, und zweitens erscheint es auch schwierig, eine vollständige Definition zu formulieren. Der Definitionsversuch des Begriffs Fremdenverkehr von Walter Hun‐ ziker und Kurt Krapf (1942) zeigt diese Schwierigkeiten auf. Hunziker und Krapf definieren den Begriff Fremdenverkehr als „die Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt Ortsfremder ergeben, sofern daraus keine dauernde Niederlassung entsteht und damit keine Erwerbstätigkeit verbunden ist“ (Hunziker & Krapf-1942, S.-43). <?page no="28"?> Zum einen ist die Formulierung „sich ergeben“ zu umfassend, denn damit können unzählige Beziehungen und Erscheinungen miteingeschlossen sein. Zum anderen sind diese Phänomene und Beziehungen ganz unterschiedli‐ cher Art, so dass durch ihre Zusammenfassung eine höchst heterogene Menge geschaffen wird. Abgesehen davon ist die Definition zudem zu weit, weil nicht alle irgendwie auf Reisen zurückzuführende Phänomene und Beziehungen zum Fremdenverkehr gehören. Zum Beispiel müsste man auch die zwischen zwei gemeinsam Reisenden entstehende Freundschaft, die im fremden Land geatmete Luft oder die Krankheit, mit der man sich auf der Reise ansteckte, als zum Fremdenverkehr gehörig ansehen. Auch wenn der Tourismus ein immens komplexer Prozess sein sollte, so setzt er sich doch aus unzähligen einzelnen, einfacheren Prozessen zusam‐ men, nämlich den touristischen Reisen. Und da scheint eine gedankliche Erfassung und eine angemessene Definition viel einfacher zu finden zu sein. Wir haben ein intuitives Verständnis davon, was eine einzelne Reise ist, wo sie beginnt und wo sie endet. Und wir können sie einem Akteur zuschreiben, d.-h. einer einzelnen Person oder einer Gruppe. Somit besteht die Aufgabe dann darin, das Touristische an der Reise zu erfassen. Einen entsprechenden Versuch, „Tourismus“ über die Personen zu definieren, die touristische Reisen machen, wurde bereits 1963 unternommen: Auf der United Nations Conference on International Travel and Tourism jenes Jahres einigte man sich darauf, dass ein Besucher (visitor) - im Unterschied zu einem Einwohner (resident) - einer ist, der ein anderes Land besucht, und der Tourist ein Besucher, der mindestens 24 h am Destinationsort bleibt. Diese Definition erwies sich jedoch als zu eng, da damit innerstaatliche Reisen ebenso wie Tagesausflüge u. a. ausgeschlossen wurden. Der Mangel wurde einige Jahre später behoben, als das Institute of Tourism (später Tourism Society) 1976 den Vorschlag machte, dass alle Bewegungen dazugehörten, die Menschen außerhalb der Orte vornehmen, an denen sie üblicherweise leben und arbeiten (Camilleri 2018, S. 4). Die heute gültigen Empfehlungen der Vereinten Nationen, wie in → Abbildung 2 dargestellt, definieren eine Reise (trip) als die Ortsveränderung eines Menschen von seinem üblichen Wohnort und zurück. Ein Besucher (visitor) ist einer, der eine Reise außerhalb seines üblichen Umfelds unternimmt, für weniger als ein Jahr, zu einem beliebigen Hauptzweck (geschäftlich, Freizeit oder zu anderen persönlichen Zwecken) außer demjenigen, von einer in dem besuchten Land ansässigen Einheit beschäftigt zu werden. Eine solche Reise 28 2 Was ist Tourismus? <?page no="29"?> gilt als touristisch (United Nations 2008, S. 9f.). Damit werden die Aktivitäten anderer Reisender (traveller) ausgeschlossen, die etwa mit dem Ziel unter‐ wegs sind, sich anderswo niederzulassen (Migration) oder die aufgrund spezifischer beruflicher Verpflichtungen reisen (z. B. Diplomaten, Militär). Auch das nomadische Reisen ist gemäß dieser Definition ausgeschlossen, da der ganze Raum der Aufenthaltsorte nichtsesshafter Menschen zu ihrem Wohn- und Arbeitsumfeld gehört. Abbildung 2: Tourismusdefinition nach UNWTO-Statistik Eigene Darstellung in Anlehnung an UN (2008): International Recommendations for Tourism Statistics. Online: https: / / unstats.un.org/ unsd/ publication/ Seriesm/ SeriesM_83rev1e.pdf in der UNWTO-Statistik NICHT als Tourismus erfasst in der UNWTO-Statistik als Tourismus erfasst Travellers = “someone who moves between different geographic locations, for any purpose and any duration” Visitors = “a traveller taking a trip to a main destination outside his/ her usual environment, for less than a year, for any main purpose (business, leisure or other personal purpose) other than to be employed by a resident entity in the country or place visited” overnight visitors (tourists) same-day visitors (excursionists) border/ seasonal/ other short-term workers long-term workers transit passengers no entering the economic and legal territory persons entering the country to establish there their country of residence military personnel, armed forces on manoeuvre nomads and refugees crews on public modes of transport long-term students and patients and their family joining them diplomats, consular staff Abbildung 2: Tourismusdefinition nach UNWTO-Statistik | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an UN (2008): International Recommendations for Tourism Statistics. Online: https: / / unstats.un.org/ unsd/ publication/ Seriesm/ SeriesM_83rev1e.pdf Gemäß der genannten Definition sind Reisen zu geschäftlichen Zwecken touristisch. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dies nachvollziehbar, konsumieren doch die Geschäftsreisenden dieselben Produkte (von Verkehrsbetrieben, 2 Was ist Tourismus? 29 <?page no="30"?> Hotels, Restaurants etc.) wie die anderen Reisenden. Doch ist fraglich, ob eine solche Definition noch dem alltäglichen Begriff entspricht. Denn Geschäftsreise und touristische Reise werden im Alltag unterschieden. Zwischen den beiden wird zuweilen gar ein Gegensatz wahrgenommen, etwa wenn die Frage gestellt wird: „Sind Sie zu Dienstzwecken oder als Touristin hier? “ Ebenfalls wäre es seltsam, wenn eine Geschäftsreisende sich selbst als „Touristin“ bezeichnen würde. Sie kann natürlich zugleich Ge‐ schäftsreisende und Touristin sein, zum Beispiel wenn sie am Destination‐ sort am Vormittag einen Kunden besucht und am Abend einen Stadtbummel macht, um Attraktionen des Orts anzuschauen. Aber dann tut sie eben etwas anderes, als wenn sie ihrer Arbeit nachgeht. Sie erholt sich und erkundet einen fremden Ort. Die Person würde vermutlich und korrekterweise sagen, dass sie zugleich als Geschäftsreisende und als Touristin da sei. Vermutlich muss man zwischen einem alltäglichen Begriff und einem Begriff unterscheiden, der für die Tourismuswirtschaft wichtig ist. Der wirt‐ schaftliche Begriff schließt Geschäftsreisen mit ein, der alltägliche schließt sie aus. Der alltägliche Begriff beinhaltet, dass der Zweck, in der Tradition der Grand Tour, die Bildung, genauer würde ich sagen: die Erkundung fremder Orte, sowie der Zweck der Erholung sein kann. Den alltäglichen Begriff der touristischen Reise könnte man somit wie folgt definieren: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn 1. P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt, 2. P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren, und 3. P die Reise zum Zweck der Erkundung fremder Orte oder zur Erholung vollzieht. Wissen-|-Definition Die Definition eines Begriffs ist die Angabe der Bedeutung des Begriffs. Es gibt verschiedene Arten von Definitionen. Nach klassischer Auffas‐ sung hat die Definition die Form einer logischen Äquivalenz: Ein Ding fällt unter einen bestimmten Begriff genau dann, wenn bestimmte Be‐ dingungen erfüllt sind. Die Formulierung „genau dann, wenn“ zeigt an, dass nun notwendige und hinreichende Bedingungen folgen. Notwendig 30 2 Was ist Tourismus? <?page no="31"?> ist eine Bedingung A für B, wenn es B ohne A nicht geben kann. Hinreichend ist eine Bedingung A für B, wenn A ausreicht, dass es B gibt. Zum Beispiel ist es eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung dafür, ein Mensch zu sein, dass man ein Lebewesen ist. Es ist eine hinreichende (aber nicht notwendige) Bedingung dafür, ein Mensch zu sein, wenn man das Wahlrecht in Deutschland hat. Schließt eine Definition Dinge mit ein, die nicht unter den Begriff fallen, so sagt man, sie sei zu weit. Schließt sie Dinge aus, die unter den Begriff fallen, so sagt man, sie sei zu eng. Gesucht ist eine Definition, die weder zu weit noch zu eng ist, d. h. die Bedingungen enthält, so dass nur und genau die Dinge sie erfüllen, die unter den Begriff fallen (siehe Pfister-2013). 25.02.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Tourismus als System Lieber Jonas, Du warst aber schnell! Vielen Dank für die strukturierte Zusammenstellung dieser vielen interessanten Aspekte! Durch Deine Ausführungen wird meiner Meinung nach nochmal ganz deutlich, was wir schon in Innsbruck festhielten: Tourismus - obwohl mittlerweile ein Alltagsphänomen, zu dem aufgrund seiner ökonomischen Potenz, seiner ökologischen Folgen und seiner soziokulturellen Bewandtnis wohl der Großteil der Weltbevölkerung irgendeinen (nicht notwendiger‐ weise positiven-…) Zugang besitzt - wird ganz unterschiedlich verstanden. Das Phänomen einer Kategorie zuzuordnen und damit als Gegenstand, Beziehung o.-Ä. zu klassifizieren, halte ich für nicht möglich. Gerade deshalb bezweifle ich auch, dass es zwingend notwendig ist, zwischen einem Alltagsbegriff und einem Begriff für die Tourismuswirt‐ schaft zu unterscheiden, denn weder beim „Mann auf der Straße“ noch bei Tourismusunternehmen werden zu 100 Prozent trennscharfe Grenzen angewandt. 2 Was ist Tourismus? 31 <?page no="32"?> Deutlich wird das gerade an dem von Dir bereits angeführten Beispiel der Geschäftsreisen: Einerseits sind diese von der sog. Tourismusabgabe (auch: „Bettensteuer“ oder „CityTax“) befreit, die in Deutschland in vie‐ len Großstädten als Pendant zur Kurtaxe erhoben wird. Verwaltungen differenzieren also deutlich zwischen Geschäfts- und Freizeitreisenden. Andererseits jedoch ist zu beobachten, dass in der Praxis die beiden Reise‐ formen verschwimmen: Auf mehrtägigen Kongressen ist es z. B. üblich, dass nach dem Vortragsprogramm Sightseeing bewusst in das Programm integriert wird; Destinationen werben aktiv darum, dass Geschäftsreisende ihren Aufenthalt um ein paar „private Urlaubstage“ verlängern; und hinter dem Stichwort workation verstecken sich Angebote für „digitale Nomaden“ (i. e. Menschen, die eine ortunabhängiges Arbeitsleben führen), die man zur Arbeit in einem touristischen Setting einlädt (z. B. Link-Tipp | http s: / / www.tui-blue.com/ de/ de/ work-vacation/ ). Die Grenze zwischen einem wirtschaftlichen und einem alltäglichen Begriff des Tourismus ist demnach durchlässig. Entsprechend erscheint mir eine Annäherung an das Phänomen „Touris‐ mus“ über eine Auflistung charakteristischer Kriterien, wie von Dir begon‐ nen, überaus sinnvoll. Mit den Facetten Ortsveränderung (i. e. Dein Punkt „(1)“) und Absicht zur Rückkehr an den individuellen Ursprungspunkt (2) kann ich ohne Einschränkung mitgehen, da damit einerseits das notwendige Element des Aufbruchs (vgl. Wortstamm von „Reise“) erfasst wird, aber andererseits manche Formen des „Unterwegsseins“, z. B. die Migration, ausgeschlossen werden. Was das Vorliegen eines touristischen Motivs (3) anbelangt, würde ich allerdings gerne nochmals reflektieren, denn mir erscheint ein Fokus auf die „Erkundung fremder Orte“ und „Erholung“ zu kurz zu greifen. Vielmehr ist gerade die Vielfalt der Motive charakteristisch für den Tourismus - doch lass uns das später aufgreifen. Zunächst erscheint es mir wichtig, ein weiteres Definitionskriterium zu erfassen, nämlich dass es beim Tourismus immer zu Begegnungen mit einem „Außen“ kommt. Was ich damit meine, ist, dass die von Dir erschaffene gedankliche Person P eine touristische Reise genau dann macht, wenn sie im Prozess des Unterwegsseins (vom/ wieder hin zum Ausgangspunkt) mit einer Vielzahl von anderen Personen, aber auch z. B. mit Unternehmen/ Institutionen, (natürlichen wie gebauten) Orten und deren Eigenschaften in Kontakt 32 2 Was ist Tourismus? <?page no="33"?> tritt. Gerade dieser Kontakt befriedigt oftmals das touristische Motiv. Man besucht z. B. bewusst einen Freund oder sucht aktiv im Rahmen einer Gruppen- oder Single-Reise neue Freundschaften. Oder man reist zu einem heilklimatischen Kurort, um in der „frischen Luft“ zu gesunden (Stichwort: Sommerfrische! ). Es sind aber auch rein funktionale Kontakte denkbar, die zwar nicht der Befriedigung, wohl aber der Ermöglichung des Motivs dienen (z. B. man begibt sich auf eine Zugfahrt, um zur Destination der Reise zu kommen). Ebenso sind unerwünschte Kontakte möglich, z. B. mit Krankheitserregern, gegen die man sich mit einer Impfung vor Reiseantritt schützt, damit die Erreichung des touristischen Motivs nicht gefährdet wird. Der Umfang und die Art der Kontakte (i. e. motivbezogen - funktional - unerwünscht) sind bei touristischer Aktivität mitnichten vorgegeben, sondern variieren nach Betrachtungsfall. Sie können extrem vielfältig sein. Ein komplett „kontaktloser“ Tourismus ist dagegen nicht denkbar - Tourismus verbindet stets das Individuum mit der Umwelt. Nicht umsonst wurden z. B. virtuelle Alternativen zum Reisen wie Online‐ stadtführungen zu Zeiten der coronabedingten Lockdowns zwar durchaus goutiert, aber eben nicht als touristische Aktivität bewertet - sie waren schlicht zu „kontaktarm“. Dass Tourismus durch „Kontakte mit einem Außen“ charakterisiert ist, wird übrigens auch von der in der Tourismuswissenschaft verbreiteten Auf‐ fassung getragen, die Tourismus als ein System sieht (vgl. Kaspar 1998; Bieger 2010; Steinbach 2018). Unter dem Begriff „System“ kann - verein‐ facht ausgedrückt - ein potenziell hochkomplexes, dabei jedoch relativ stabiles und geordnetes Gebilde verstanden werden, das aus mehreren Elementen besteht, die miteinander vernetzt sind, um im Zusammenspiel eine spezifische Funktion zu erfüllen (Erk 2016). Beispiele für Systeme findet man in verschiedensten Kontexten, so dass z. B. von Computer-, Transport- und Sonnensystemen die Rede ist. Gleichermaßen können aber auch z. B. Familien, Sprachen und der menschliche Körper als Systeme verstanden werden. Charakteristisch ist, dass die Funktion des Systems erst in der Interaktion seiner Teile entsteht. Ein Computerchip allein ist demnach z. B. funktionslos - als Teil eines Computersystems erfüllt er dagegen einen eindeutigen Zweck. Typisch für Systeme ist zudem, dass sie sich aus Subsystemen zusammensetzen, die ganz unterschiedlich aufgebaut sein können: Innerhalb eines Unternehmens sind z. B. die verschiedenen 2 Was ist Tourismus? 33 <?page no="34"?> Abteilungen Subsysteme, die nicht nur aus verschiedenartigen Elementen (z. B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit verschiedenen Kompetenzen und unterschiedlichen Arbeitsmitteln) aufgebaut sind, sondern auch jeweils nach einer eigenen Logik funktionieren und somit z. B. Erfolg völlig unter‐ schiedlich bewerten. Sie alle haben aber potenziell Kontakt mit der Leistung, die das Unternehmen erstellt, und tragen damit zur Gesamtfunktion des Unternehmens bei. Das System Tourismus ist vor dem Hintergrund dieses Verständnisses aus den vielfältigen Kontaktpunkten aufgebaut, denen der Tourist begegnet bzw. begegnen kann. In der v. a. wirtschaftswissenschaftlich geprägten Literatur wird in diesem Zusammenhang von einer spezifischen Angebotsstruktur gesprochen: Es werden typische Tourismusbetriebe von tourismusspezialisierten Betrieben und tourismusabhängigen Betrieben abgegrenzt (Freyer 2015, S. 154). Typi‐ sche Tourismusbetriebe sind solche Unternehmen, die Leistungen erstellen, die üblicherweise nur durch Touristinnen und Touristen genutzt werden. Dazu zählen z. B. Reisebüros und -veranstalter. Tourismusspezialisierte Betriebe sind dagegen solche Unternehmen, deren Leistungen nicht aus‐ schließlich von Touristinnen und Touristen genutzt werden, die sich aber mit Teilen ihrer Leistungserstellung auf die touristische Nachfrage spezia‐ lisiert haben. So haben z. B. Buch- und Zeitschriftenverlage oftmals eine Sparte „Reiseliteratur“ und so stellen Fahrzeugbauer zum Teil Campingmo‐ bile her. Als tourismusabhängige Betriebe sind dann solche Unternehmen zu erfassen, die sich mit ihrem Angebot zwar eigentlich an alle Nachfrager wenden, die aber z. B. aufgrund ihrer Lage oder aufgrund der Eignung ihrer Angebote für konkrete touristische Zwecke zumindest temporär vor‐ wiegend Touristinnen und Touristen als Kundschaft haben. So kann ein Restaurant oder ein Supermarkt in einem Urlaubsort ebenso zum touristi‐ schen Anbieter werden wie ein Sportartikel- oder ein Bekleidungshersteller. Die wirtschaftswissenschaftliche Annäherung erfasst mit der Angebots‐ struktur jedoch nur einen Teil des touristischen Kontaktgeflechts, denn es existieren auch solche Kontaktpunkte, die keine Betriebe sind. Zu nennen sind zum Beispiel einerseits die Bevölkerung des Zielgebiets und anderer‐ seits die für diesen Raum verantwortlichen administrativen Einheiten. Die Einwohnerinnen und Einwohner eines Zielgebiets übernehmen in diesem Kontext verschiedene wichtige Rollen: Sie sind teils selbst potenziell Gastge‐ 34 2 Was ist Tourismus? <?page no="35"?> bende, tragen aber auch schlicht durch ihre Anwesenheit zum touristischen Angebot bei, denn schließlich sind die Traditionen, die sie zelebrieren, die Natur, die sie pflegen und durch ihre Nutzung formen, und die Bauwerke, in denen sie leben, arbeiten, beten etc., alle Teil dessen, was einen Besucher im Zielgebiet interessieren könnte. Zudem sind es gerade die nicht inszenierten Begegnungen mit Einheimischen, an die sich Touristinnen und Touristen besonders intensiv erinnern und die dadurch besonderen touristischen Wert erzeugen, auch wenn das der Bevölkerung generell nicht bewusst ist: Der freundliche Herr, der dem verirrten Wanderer den Weg weist oder die unsympathische Dame, die gestresst eine Auskunft verweigert, wirken oftmals besonders eindrücklich. Die Förderung von Bedingungen, die einer allgemeinen Gastfreundschaft zuträglich sind, steht folgerichtig im Aktivi‐ tätsfokus vieler administrativer Akteure, die mit dem Tourismus befasst sind. Gerade die sog. Destinationsmanagement bzw. -marketingorganisatio‐ nen (kurz: DMO) sorgen im Idealfall dafür, dass Tourismus im Zielgebiet nicht nur als notwendiges Übel gesehen wird, das man zu ertragen hat, damit man Geld verdienen kann (Ryan 2020, S. 4ff.). Sie tragen zum touristischen Angebot bei, indem sie systematisch und strategisch die Potenziale eines Zielgebiets ausbauen und dabei alle Beteiligten „mitnehmen“. Kontakte mit Touristinnen und Touristen entstehen u. a. in den spezifisch für diese geschaffenen Infrastrukturen, z.-B. der Tourist-Information. Zum Kontaktgeflecht des Tourismus muss zudem das gezählt werden, was Letzner „Attraktoren“ nennt. Als Attraktor sei in diesem Kontext jeder materielle oder auch immaterielle Anziehungspunkt zu verste‐ hen, der eine Reise auslöst: Er verleiht einer konkreten Destination konkrete Relevanz. Attraktoren können einerseits Anlagen oder Dienstleistungen sein, die für den Tourismuszweck produziert werden (z. B. Freizeitpark bzw. Massage im Wellnesshotel), also die Leistungen der Tourismusbetriebe. Letzner nennt diese „produzierbare Attraktoren“. Andererseits können aber auch Natur- (z. B. Flora, Fauna, Klimate, Reliefformen, Naturphänomene) bzw. Kultur‐ güter (z. B. Kunstwerke, Kultstätten, Feste, Tänze, Gesänge, spezifische Gastfreundschaft eines Ortes) Attraktoren sein. Diese sind im Gegensatz zu den Erzeugnissen der Tourismusbetriebe einzigartig, denn man kann z. B. die Mona Lisa unter Einsatz von Produktionsmitteln bis zur Perfektion nachmalen, trotzdem wird sie stets eine Kopie bleiben und als solche weniger 2 Was ist Tourismus? 35 <?page no="36"?> attraktiv für Touristinnen und Touristen sein als das authentische Original. Solche nicht reproduzierbaren Attraktoren werden „tradiert“ genannt, da sie auf überlieferten Werten (Stichwort: Welterbe! ) beruhen (vgl. Letzner 2014, S.-28ff.). Abbildung 3: Tourismus als System (exemplarische Darstellung von Zusammenhängen) Eigene Darstellung Hotel 1 Hotel 2 Bevölkerung Skilift DMO Finanzierung Finanzierung Finanzierung Wettbewerb ggf. Anteilseigner ggf. Eigentümer ggf. Personal oder anderweitiger Zulieferer Natur/ Berge Alleinstellungsmerkmal Heimat Geschäftsgrundlage Abbildung 3: Tourismus als System (exemplarische Darstellung von Zusammenhängen) | Quelle: eigene Darstellung All diese Kontaktpunkte zusammengenommen kann man als Elemente des touristischen Systems erfassen. Sie stehen miteinander in Beziehung (z. B. als Konkurrenten), sind aufeinander angewiesen (z. B. beschäftigt der Beherbergungsbetrieb die Bevölkerung als Personal) oder sogar vonein‐ ander abhängig (z. B. wird die DMO von den Betrieben des Zielgebiets finanziert) und beeinflussen sich gegenseitig (z. B. kann ein Reiseführer die Nachfrage nach einem spezifischen tradierten Attraktor in einem Zielgebiet steigern, was dann wiederum dazu führen kann, dass der Reiseführer seine Empfehlungen anpasst, weil overtourism droht). Sie bilden Netzwerke ver‐ schiedener Ordnungen (vgl. Steinbach 2003, S. 163ff.), die der Versorgung, Vermarktung und Planung/ Steuerung des Kontaktgeflechts dienen bzw. in deren Zusammenspiel der Rahmen des touristischen Erlebnisses entsteht. Dabei sind die Verknüpfungen der Elemente untereinander vielfältig, kön‐ nen jedoch mit etwas Aufwand analysiert und in eine Ordnung gebracht 36 2 Was ist Tourismus? <?page no="37"?> werden, die zumindest mittelfristig unveränderlich bleibt, da die Strukturen des Zusammenwirkens der Elemente oftmals vertraglich geregelt werden. Entsprechend können Subsysteme (z. B. einzelne Destinationen) des Touris‐ mus identifiziert werden. In der → Abbildung 3 habe ich einmal versucht, das an einem Beispiel zu skizzieren. Abschließend möchte ich also Deine Liste zur Charakterisierung des Tourismus wie folgt ergänzen: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn 1. P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt, 2. P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren, 3. [P die Reise zum Zweck der Erkundung fremder Orte oder zur Erholung vollzieht,] 4. P Kontakte mit Menschen, Orten, Dingen oder anderen Manifesta‐ tionen eines „Außen“ erlebt. Wie stehst Du zu meiner Überarbeitung? Ich sende Dir herzliche Grüße Julia P.S.: Wichtig erscheint mir noch zu erwähnen, dass Tourismus ein offe‐ nes System darstellt, das in einer fortwährenden Interaktion mit seinen Umwelten steht. Entsprechend erzeugt der Tourismus potenziell Effekte sowohl im soziokulturellen Feld (z. B. Völkerverständigung, aber auch Xenophobie) als auch im ökonomischen (z. B. Arbeitsplätze und Einnahmen, aber auch Überabhängigkeiten und Ausbeutung) und im ökologischen (z. B. Naturschutz, aber auch Emissionen/ Müll und Überbauung). 2 Was ist Tourismus? 37 <?page no="38"?> 05.03.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Neuer Definitionsversuch Liebe Julia, vielen Dank für Deine spannenden Ausführungen zum Tourismus als System! Ich bin mit Dir einverstanden, dass eine touristische Reise immer Kontakte mit Menschen, Orten oder anderen Dingen beinhaltet, doch scheint mir dies nicht eigens erwähnenswert, weil man ja keine Reise unternehmen kann, ohne solche Kontakte zu erleben, sie also bereits im Begriff der Reise enthalten sind. Es könnte allerdings auch sein - und vielleicht meinst Du das -, dass das Erleben dieser Kontakte genau der Zweck der Reise darstellt. Dann wäre meine Einschränkung auf die beiden Zwecke Erholung und Bildung tatsächlich nicht berechtigt. Wenn ich einen Verwandten in einem anderen Land besuche, bin ich dann nicht auch Tourist? Ich kenne den Wohnort der zu besuchenden Person bereits, will also keinen neuen Ort erkunden. Und ich beabsichtige mit der Reise vielleicht auch gar keine Erholung, sondern tue es aus einer familiären Pflicht heraus oder um bei einem bestimmten Anlass, etwa einer Hochzeit, dabei zu sein. Wenn das stimmt, dann ist meine Definition zu eng. Nun könnte man versuchen, weitere Zwecke bzw. Motive touristischer Reisen in die Definition aufzunehmen. Doch schaffen wir es, alle möglichen Zwecke zu erfassen? Vielleicht ist es besser, die dritte und die von Dir ergänzte vierte Bedingung ganz zu streichen und nur die ersten beiden Bedingungen zu behalten: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn 1. P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt, 2. P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren. Damit haben wir eine Definition, die Touristen klar einerseits von Nomaden und andererseits von migrierenden Menschen abgrenzt, d. h. Menschen, die (freiwillig oder gezwungenermaßen) eine Reise unternehmen, um an 38 2 Was ist Tourismus? <?page no="39"?> dem Zielort einen neuen Wohnund/ oder Arbeitsort zu begründen. Mit der Definition sind nun allerdings auch Geschäftsreisen miteingeschlossen. Das ist aber vielleicht nicht weiter problematisch, wenn wir verschiedene Arten touristischer Reisen über die Zwecke bzw. Motive unterscheiden: a) Bildungstourismus: Der Zweck der touristischen Reise ist es, neue Orte zu erkunden und allgemein sich zu bilden. b) Erholungstourismus: Der Zweck der touristischen Reise ist es, sich zu erholen. c) Verwandten- und Bekanntenbesuchstourismus: Der Zweck der touristischen Reise ist es, Verwandte oder Bekannte zu besuchen. d) Geschäftstourismus: Der Zweck der touristischen Reise ist es, eine geschäftliche Beziehung zu begründen oder aufrechtzuerhalten. Diese Liste der Motive ist nicht abschließend; es können weitere hinzukom‐ men. Was wir im Alltag unter Tourismus verstehen, ist zumeist a) oder b). Liebe Grüße Jonas 07.03.2022 ∙ E-Mail Julia and Jonas Betreff: Motive des Tourismus Lieber Jonas, so verrückt es klingt: Ich bin ganz begeistert davon, dass wir uns mit der Ableitung der charakteristischen Eigenarten des Tourismus einigermaßen schwertun! Illustriert das doch ganz deutlich, dass wir uns einer sinnvollen logischen Herausforderung stellen und gut daran tun, diesen Schriftwechsel zu führen. Die erneute Überarbeitung unserer Liste der charakterisierenden Aspekte des Tourismus trage ich entsprechend gerne mit. Verstanden habe ich jetzt auch Deine Rückmeldung zum von mir vor‐ geschlagenen Aspekt der Kontakte. Da man sich einerseits zwar keinen „kontaktlosen“ Tourismus vorstellen kann, andererseits aber auch Kontakte stattfinden, die keinen Tourismus begründen (z. B. Telefonat mit der entfernt lebenden Oma, wöchentliche Einkaufstour zum Supermarkt/ Wochenmarkt, 2 Was ist Tourismus? 39 <?page no="40"?> Genuss eines Ausblicks bei der Bahnfahrt zur Arbeitsstelle), die Charakteris‐ tika unserer definierenden Liste aber alle (! ) gleichzeitig gelten müssen, taugt mein Vorschlag nicht. Trotzdem bin ich froh, dass ich die Ausführungen zum Tourismus als System in meinem letzten Brief an Dich zusammengetragen habe - ich glaube, dass wir an anderer Stelle, wenn wir weitere Fragen zum Tourismus beantworten wollen, auf dieses Konzept zurückgreifen werden. Doch lass mich nun erst einmal zu unserer Liste der Charakteristika zurückkommen. Alle Hinweise auf die Zwecke des Tourismus aus ihr zu entnehmen, ist zwar ein drastischer, wohl aber nachvollziehbarer Schritt - denn ich stimme Dir zu, dass z. B. Bemühungen um eine vollständige Definition aller konkreten Motive des Tourismus müßig sind. Wir lehnen uns damit an eine Sichtweise der Tourismuswissenschaft an, die u. a. von Hasso Spode vertreten wird, der schreibt: „[Die Reise] ist kein Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck.“ (Spode-2021, S.-17). Abbildung 4: Tourismusformen nach verschiedenen Abgrenzungskriterien Eigene Darstellung in Anlehnung an Spektrum/ Lexikon der Geographie; Online: https: / / www.spektrum.de/ lexika/ showpopup.php? lexikon_id=10&art_id=8178&nummer=181781 Abgrenzungskriterien Beispiele möglicher Tourismusformen Motivation Erholungs-, Bildungs-, Geschäfts-, Gesundheitstourismus Jahreszeit Sommer-, Wintertourismus Regionale Herkunft Binnen-, internationaler Tourismus Soziale Gruppe Familien-, Jugend-, Seniorentourismus Einkommen Sozial-, Luxustourismus Beherbergung Camping-, Resort-, Kreuzfahrttourismus Verkehrsmittel Bahn-, Flug-, Radtourismus Landschaftsform Maritimer, Alpiner Tourismus Distanz Naherholung, Ferntourismus Dauer Kurzurlaub, Langzeitaufenthalt Aktivität Tauch-, Ski, Wander-, Golftourismus Abbildung 4: Tourismusformen nach verschiedenen Abgrenzungskriterien | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Spektrum/ Lexikon der Geographie. Online: https: / / www.spe ktrum.de/ lexika/ showpopup.php? lexikon_id=10&art_id=8178&nummer=181781 Trotzdem erscheint es mir sinnvoll, in diesem Schreiben an Dich vertiefend auf die komplexen Auslöser des Tourismus einzugehen, um dadurch ein weiteres Element unserer Definition herzuleiten. Entsprechend ist festzu‐ 40 2 Was ist Tourismus? <?page no="41"?> halten, dass das Verlangen nach „Bildung“ und „Erholung“ ebenso wie der Wunsch, Verwandte, Bekannte oder Geschäftspartner zu treffen, relevante Tourismusformen begründen, wie von Dir ausgeführt. Allerdings gilt das auch für andere, vom Zweck losgelöste Differenzierungskriterien, wie in der →-Abbildung-4 dargestellt. Dass Motive des Tourismus typischerweise nicht einzeln wirken, son‐ dern parallel/ im Verbund, und sich dabei kontinuierlich weiterentwickeln, erzeugt weitere Komplexität im betrachteten Zusammenhang: Touristische Reisen werden nie nur zu einem einzigen Zweck angetreten. Ein Wanderurlauber ist z. B. unterwegs, um seiner Wunschaktivität nach‐ zugehen, könnte dabei aber auch eine gewisse Landschaftsform (alpiner Raum? ) erleben wollen und es als Ziel seines Urlaubs sehen, Zeit mit einer gewissen sozialen Gruppe (Familie? ) zu verbringen. Dem Reisenden sind seine Motive in diesem Kontext nicht notwendigerweise (alle) bewusst. Elemente wie Prestige - also der Wunsch, nach Rückkehr mit den eigenen Reiseerlebnissen angeben zu können - werden ggf. sogar aktiv verdrängt. Selten kann der Reisende die Motive zudem klar priorisieren - ja, er will „auch etwas Neues sehen“, aber ob das wichtiger ist als die Erholung oder ein anderes Motiv ist ungewiss. Vielmehr ist wohl oft ein diffuses Bedürfnis handlungsleitend, das z. B. im Ausspruch „ich bin urlaubsreif “ Ausdruck findet. Hierzu passen auch Erkenntnisse aus der sog. Reiseanalyse, die als bevölkerungsrepräsentative Untersuchung seit 1970 jährlich durchgeführt wird, um u. a. das Reiseverhalten und die touristischen Motive der deutschen Reisenden zu ermitteln: Wie in → Abbildung 5 ersichtlich, wurden im Jahr 2022 „Abstand zum Alltag“, „Spaß, Freude“, „Sonne, Wärme“ und „Entspannung“ von den meisten Befragten als die wichtigsten Gründe für einen Urlaub angegeben, wobei jede (Stichwort: Parallelität der Motive! ) Antwortoption mindestens eine Zustimmung von 65 Prozent erhielt. Die Suche nach einer körperlich wie geistig positiv erlebbaren Gegenwelt zum Alltag ist mithin das wichtigste Thema des Tourismus. Hedonistische Werte (z. B. „sich verwöhnen lassen“, „Spaß“ und „etwas für die Gesundheit tun“) haben sich über die Pandemiezeit dabei als besonders relevante Facetten entwickelt (FUR-2022, S.-13). 2 Was ist Tourismus? 41 <?page no="42"?> Abbildung 5: Urlaubsmotive gemäß Reiseanalyse 2022 Online: https: / / reiseanalyse.de/ erste-ergebnisse/ , S. 13 50% 53% 54% 55% 56% 61% 65% 65% 65% 67% Ausruhen Natur erleben Verwöhnen lassen Frei sein Zeit füreinander Frische Kraft Entspannung Sonne, Wärme Spaß, Freude Abstand zum Alltag Basis: deutschsprachige Bevölkerung, ab 14 Jahre, in Deutschland Quelle: RA 2022 Januar 2020 → Januar 2022 sich verwöhnen lassen + 8 Prozentpunkte Spaß, Freude + 8 Prozentpunkte etwas für die Gesundheit tun + 7 Prozentpunkte Entspannung + 7 Prozentpunkte gemeinsam etwas erleben + 6 Prozentpunkte Frage: Welche dieser Dinge sind für Sie persönlich besonders wichtig, wenn Sie Urlaub machen? (Liste mit 29 Urlaubsmotiven) Abbildung 5: Urlaubsmotive gemäß Reiseanalyse-2022 | Quelle: Online: https: / / reiseanal yse.de/ erste-ergebnisse/ , S.-13 Was genau allerdings unter Elementen wie „Spaß“ verstanden wird, ist unbe‐ kannt und wird wohl vom Individuum höchst unterschiedlich interpretiert. Mithin werden bei manchen selbst gesellschaftlich eigentlich inakzeptable Gründe wie Sensationsgier oder die Faszination am Elend Bedürfnisgrund‐ lage des Tourismus sein - man denke z. B. an Menschen, die bewusst zu Destinationen reisen, in denen gerade eine Naturkatastrophe stattgefunden hat (sog. dark tourism, vgl. Steinecke 2021). Ebenso ist denkbar, dass ein Geschäftsreisender, sofern er seinen Job sehr schätzt, seine Reiseaktivität ebenfalls mit „Spaß“ assoziiert. Deine Festlegung, dass „[w]as wir im Alltag unter Tourismus verstehen, [zumeist Bildung oder Erholung ist]“, gilt vor diesem Hintergrund meiner Meinung nach nur insoweit, als dass die beiden Begriffe wohl geeignete „Überschriften“ für die abstrakten Zwecke sind, die mit dem Tourismus in Verbindung gebracht werden. Die Interpretation und Bedeutung der Zwecke variieren jedoch von Person zu Person. Womit ich zum Grund dafür kommen will, dass ich mich den Zwecken des Tourismus widme: Der Individualität des Touristen muss eine besondere Bedeutung zuge‐ messen werden. 42 2 Was ist Tourismus? <?page no="43"?> Entsprechend wird in Untersuchungen zum „Tourismus als System“ allge‐ mein der Tourist als Tourismussubjekt (Kaspar 1998, S. 16) ins Zentrum gestellt. Die besondere Eigenschaft, Subjekt statt Objekt zu sein, wird ihm zugeschrieben, da er die aktive Kraft darstellt, die auf das System zugreift: Indem der Tourist auf Reise geht und mit den vielen Manifestationen des „Außen“ in Kontakt tritt, setzt er das System in einer individuellen Art und Weise in Gang. Er kann demnach als Protagonist des touristischen Geschehens erfasst werden. Das bedingt in Folge, dass es niemals zwei genau gleiche Tourismuser‐ lebnisse geben kann, denn diese sind stark abhängig vom Verhalten sowie von den Eigenschaften, Wahrnehmungen, Präferenzen und Einstellungen der Reisenden selbst. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen, lass uns annehmen, dass wir beide exakt die gleiche Reise buchen, z. B. eine Woche im All-inclu‐ sive-Resort auf Djerba mit Flug ab/ an München. Wir säßen demnach im selben Flugzeug und Transferbus und würden möglicherweise identisch ausgestattete Zimmer beziehen. Zudem würden wir uns vom selben Buffet bedienen und könnten auf dasselbe Entertainment-Programm zugreifen. Und doch wäre unser Erlebnis sicherlich nicht identisch. Das könnte daran liegen, … ● dass ich durch einen kurzen Flirt mit dem Mitarbeiter am Check-in in München im Flugzeug einen Fensterplatz ergattert habe, Du aber am Gang sitzen musstest, ● dass Du die fröhliche Art des Reiseleiters im Bus als authentisch und sympathisch empfindest, während sie mich nur nervt, weil ich Kopfschmerzen von der Luftveränderung habe, ● dass ich die Einrichtung des Zimmers wunderschön und das offerierte tunesische Essen sehr lecker finde, beides aber so gar nicht nach Deinem Geschmack ist, ● dass Du weniger kontaktscheu bist als ich und deshalb häufiger auf die Angebote des Animationsteams zugreifst. Wenn man den Aspekt der Individualität auf dieser Grundlage weiter‐ denkt, könnte man sogar so weit gehen zu sagen, dass Tourist ist, wer sich als Tourist fühlt bzw. wer als Tourist gesehen wird. 2 Was ist Tourismus? 43 <?page no="44"?> Entscheidend für die Definition des Tourismus wären dann noch nicht einmal mehr unsere beiden ersten Kriterien (1) und (2). Stattdessen stünde die individuelle Wahrnehmung, eine Zugehörigkeitseinschätzung im Vor‐ dergrund. Jemand, der einen Tagesausflug in seiner Heimat unternimmt, etwa eine Wanderung mit einem Picknick, und dabei denkt „das fühlt sich heute an wie Urlaub“ wäre demnach Tourist, weil er sein Erlebnis als touristisch erfasst bzw. als Gegenwelt zu seinem Alltag wahrnimmt. Und ebenso würde z. B. eine Weltreisende, die bewusst nach einer Beschäftigung im Ausland sucht, um mit dem verdienten Geld weiterreisen zu können (und damit vielleicht sogar länger als ein zusammenhängendes Jahr unterwegs ist …), und dabei in einer Ferienwohnung lebt, von den Vermietern ihrer Unterkunft als Touristin wahrgenommen (vgl. McCabe-2009, S.-26ff.). Mit solch einem Ansatz entfernt man sich zwar weit von gängigen Defini‐ tionen, wie jener der UNWTO, und lässt enormen Interpretationsspielraum - einen Gedanken ist das Ganze aber wert, finde ich. Schließlich geht es beim Tourismus um ein menschliches Phänomen - warum soll es da nicht auch von der menschlichen Wahrnehmung festgelegt werden? Man würde damit zumindest der Vielfalt des Tourismus gerecht - sei es in den ihm zugrunde liegenden Zielen, seinem zeitlichen bzw. räumlichem Horizont, seiner organisatorischen Form und seinen soziokulturellen Ausprägungen. Zusammenfassend könnte unsere Definition also lauten: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn 1. P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt (das Unterwegssein), 2. P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren (die planmäßige Rückkehr) und 3. P sich selbst als Tourist erlebt und/ oder von anderen als solcher wahrgenommen wird (das individuelle Erleben). Viele Grüße Julia 44 2 Was ist Tourismus? <?page no="45"?> 15.03.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Von der Vagheit der Sprache Liebe Julia, angesichts der Vielzahl an touristischen Zwecken, die Du mir aufgezeigt hattest, dachte ich zunächst, wie in meiner letzten E-Mail erläutert, wir könnten uns auf eine minimale Definition von Tourismus beschränken, die lediglich die zwei ersten Bedingungen der räumlichen Entfernung - „außerhalb der üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung“ - und die Absicht des Zurückkehrens an den Ausgangspunkt umfasst. Aber nun hast Du mir in einem Telefonat aufgezeigt, dass sogar diese Bedingungen nicht trennscharf formuliert sind: Menschen aus Memmingen, die für ein Wochenende zum Skifahren nach Oberstdorf fahren - um das Beispiel von Dir aufzunehmen -, werden als Touristen wahrgenommen, auch wenn sie womöglich in Oberstdorf arbeiten, also gar nicht ihre übliche Arbeitsumgebung verlassen. Offenbar hat der Begriff Tourismus viele unscharfe Ränder. Und das gilt für die meisten Begriffe der Alltagssprache: Sie sind und bleiben vage. Die Vagheit alltagssprachlicher Begriffe ist seit der Antike bekannt (siehe die Haufen-Paradoxien). Aber dass wir sie nicht „wegdefinieren“ können, hat als einer der ersten der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein-(1889-1951) bemerkt. Für viele Begriffe der Alltagssprache können wir nicht einmal notwen‐ dige Bedingungen angeben. Die Dinge, die mit dem Begriff gemeint werden, sind derart vielfältig, dass einige von ihnen ein bestimmtes Merkmal teilen, andere wiederum ein anderes. Wittgenstein sagt, dass zwischen den Dingen lediglich „Familienähnlichkeiten“ bestehen und veranschaulicht es am Beispiel von „Spiel“: einige sind unterhaltend, bei anderen kann man gewinnen und verlieren, aber es gibt nicht ein Merkmal, das allen gemeinsam ist. Wittgenstein schreibt: „Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort ‚Familienähnlichkeiten‘; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiede‐ nen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament etc. etc. - Und ich werde sagen: die ‚Spiele‘-bilden eine Familie.“ (Philosophischen Untersuchungen, §-67) 2 Was ist Tourismus? 45 <?page no="46"?> Der von Wittgenstein beeinflusste Philosoph Friedrich Waismann (1896- 1959) verallgemeinert den Punkt mit folgender Überlegung: Wir können uns immer Situationen ausdenken, in denen wir nicht sagen können, ob der Begriff nun darauf zutrifft oder nicht. Zum Beispiel: Ist etwas noch ein Haus, wenn es aus Mauern, einer Türe und einem Dach besteht? (Vielleicht würden wir sagen: Es ist ein fensterloses Haus.) Ist es das noch, wenn die Türe zugemauert wird? Und wenn nur die Mauern erstellt sind, aber das Dach fehlt? Wir können natürlich ein Haus als ein Gebäude definieren, in dem man wohnen kann, aber das wird das Problem nur verschieben, denn was bedeutet es, in einem Gebäude zu „wohnen“? Die Klärung von Begriffen und die Suche nach Definitionen werden damit nicht hinfällig, sondern ihr Zweck und ihr Ergebnis verändern sich. Erstens kann man sich mit Arbeitsdefinitionen zufriedengeben, d. h. Definitionen, mit denen wir arbeiten können, ohne den Anspruch zu erheben, damit alle zu untersuchenden Fälle zu erfassen. Oder wir können zu Definitionen gelangen, die für alle Fälle zutreffend sind, mit denen wir es zu tun haben. Wir müssen nicht unbedingt wissen, ob der Begriff auf jeden Fall zutrifft oder nicht, den wir uns ausdenken können. Für den Alltag reicht es vollkommen aus, ein Haus zu definieren als ein Gebäude, in dem man wohnen kann, einen Tisch als ein Möbelstück, das aus einer Platte und einer Stütze besteht, und einen Baum als eine Pflanze, die einen Stamm hat. Zweitens, wenn wir nicht zu einer Definition gelangen, so können wir nur notwendige oder nur hinreichende Bedingungen festhalten. Drittens, wenn wir nicht einmal notwendige Bedingungen formulieren können, so können wir „Familienähnlichkeiten“ beschreiben und Beziehungen zwischen den Begriffen aufzeigen. Waismann formuliert es so: „Und gerade das Aussprechen, Formulieren, Bewußtmachen dieser unausgespro‐ chenen Konventionen, die Aufdeckung dieses ganzen Gewebes vielverschlun‐ gener Fäden macht die philosophische Klärung unserer Begriffe aus.“ (Wais‐ mann-1976, S.-44). Du bringst in Deiner letzten E-Mail nun noch einen neuen Gedanken ein: die Wahrnehmung der Person, die eine touristische Reise macht. Das scheint mir ein enorm wichtiger Punkt zu sein, den wir unbedingt in unseren Überlegungen berücksichtigen müssen: Tourismus hat wesentlich mit Wahrnehmung und beabsichtigen Erlebnissen zu tun. Dein Vorschlag, die Wahrnehmung bzw. das Erleben in die Definition mitaufzunehmen, stößt allerdings mindestens auf zwei grundlegende Pro‐ bleme. Erstens, Wahrnehmungen und Erlebnisse sind subjektiv in dem 46 2 Was ist Tourismus? <?page no="47"?> Sinne, dass sie eine spezielle Qualität für das wahrnehmende Wesen hat, die sich nicht leicht oder gemäß einigen Theorien in der Philosophie des Geistes gar nicht objektiv erkennen und beschreiben lassen (siehe z. B. Nagel 1974). Damit wird es zu einer Herausforderung, den Begriff anzuwenden. Zwei‐ tens, die Definition droht den Inhalt zu verlieren. Wird nämlich der Begriff Tourist selbst in den Bedingungen der Definition in der vorgeschlagenen Art aufgenommen, also stark vereinfacht: „Der Tourist ist einer, der sich selbst als Tourist sieht“, so stellt sich die Frage, was denn nun genau mit dem zweiten Vorkommnis von „Tourist“ gemeint ist. In der Bestimmung des Begriffs (dem Definiens) kommt genau der zu definierende Begriff (das Definiendum) wieder vor. Entweder ist das zweite Vorkommnis ein neuer, ungeklärter Begriff und dann bliebe die Bestimmung des zu definierenden Begriffs völlig ungeklärt oder mit dem zweiten Vorkommnis ist der zu definierende Begriff gemeint und dann dreht man sich sozusagen im Kreis, erhält eine zirkuläre Definition, die uns ebenso wenig weiterhilft. Ich glaube, wir müssen noch einmal mit unserer Suche beginnen. Ich bin in der Zwischenzeit auf einen interessanten Artikel von Erik Cohen aus den 1970er-Jahren gestoßen: „Who is a Tourist? A Conceptual Clarification (1974). Der Artikel wird zwar relativ häufig zitiert, aber auf die Begriffsklä‐ rung wird kaum eingegangen oder sie wird irreführend dargestellt (siehe z.-B. McCabe-2004, S.-88). Cohen stellt fest, dass aufgrund der außergewöhnlichen Vervielfältigung der verschiedenen Formen des Tourismus sowie der verschiedenen Reisetä‐ tigkeiten, die eine touristische Komponente enthalten, „Tourismus“ ein sehr vager Begriff geworden ist (Cohen 1974, S. 527-528). Er bestimmt sechs Dimensionen des Tourismus: (1) Der Tourist ist nur ein temporär Reisender, der einen festen Wohnort besitzt (im Unterschied zu denen, die dauernd auf Reisen sind, wie etwa Nomaden. (2) Der Tourist ist ein freiwillig Reisender (im Unterschied zu denen, die zur Reise gezwungen werden, etwa Menschen auf der Flucht). (3) Der Tourist macht eine Tour, eine Rundreise, d. h. er beabsichtigt, an den Ausgangsort der Reise zurückzukehren (im Unterschied zu einem Migranten). (4) Der Tourist ist auf einer relativ langen Reise (im Unterschied zu jemandem, der einen Tagesausflug macht). (5) Der Tourist macht eine Reise, die er nicht oder nur selten wiederholt (im Unterschied zu einem, der ein Wochenendhaus besitzt). (6) Der Tourist verfolgt mit seiner Reise einen nichtinstrumentellen Zweck; die Reise ist nicht ein Mittel zu einem anderen Zweck, sondern Zweck an sich (im Unterschied zu einem Geschäftsreisen‐ 2 Was ist Tourismus? 47 <?page no="48"?> den, Cohen 1974, S. 531-532). Als zentralen nichtinstrumentellen Zweck des Tourismus erachtet er die „spezifische Erwartung des Neuen und der Veränderung“ (und schließt damit unter anderem den Verwandtenbesuch aus dem Tourismus aus) und gelangt so zu der folgenden Definition: „Ein ‚Tourist‘ ist ein freiwilliger, temporärer Reisender, der in der Erwartung reist, Freude aus der Erfahrung des Neuen und der Abwechslung auf einer relativ langen und nicht wiederkehrenden Rundreise zu erfahren“ (Cohen 1974, S. 533; übers. v. J.-P.). Cohen ist sich bewusst, dass die Dimensionen selbst wiederum fuzzy, also vage sind, und dass sich nicht allgemein, sondern nur im Kontext bestimmen lässt, was nun dazugehört und was nicht, und thematisiert diese Vagheit der einzelnen Dimensionen mit zahlreichen interessanten Beispielen. Etwa zur ersten Dimension: Was bedeutet „temporär“? Cohen schlägt als untere Li‐ mite 24 Stunden vor, d. h. eine Übernachtung. Zugleich lässt er als Grenzfälle Tagesausflügler zu, sofern sie eine lange Distanz überwinden und besonders dann, wenn sie eine internationale Grenze passieren. Zusammen bilden die sechs Dimensionen ein Kontinuum, d. h., wenn sie alle vollumfänglich erfüllt sind, dann kann man von einem Touristen im vollen Sinne sprechen, und wenn genügend viele zu einem gewissen Grad erfüllt sind, so kann man von einer touristischen Reise in einem minimalen Sinn sprechen, bis hin zu einer Reise ohne jegliche touristische Komponente (Cohen-1974, S.-535f.). Zu beachten ist, dass es Cohen um einen soziologischen Begriff geht. Er möchte ein spezielles soziales Phänomen erfassen. Er ist also nicht an ökonomischen oder statistischen Zwecken allein interessiert und schließt u. a. die Geschäftsreisenden aus. Besonders interessant ist meines Erachtens die Dimension des Zwecks. Cohen sagt, es sei ein nichtinstrumenteller Zweck, d. h., dass man die Reise um ihrer selbst willen unternimmt. Könnte man nicht damit allein den Tourismus definieren und die anderen Dimen‐ sionen weglassen? Eine Person unternimmt eine touristische Reise genau dann, wenn sie die Reise um ihrer selbst willen unternimmt. Mit „Reise“ ist dabei eine längere Ortsveränderung und der allfällige Aufenthalt am Zielort gemeint. Ausgeschlossen sind damit Nomaden, weil diese ja bestimmte Orte zu bestimmten Zwecken besuchen, sowie flüchtende Menschen und Migrantinnen und Migranten, weil sie ebenfalls einen Zweck verfolgen. Eingeschlossen wären allerdings Tagesausflügler und Wochenendhausbe‐ sitzer. Aber wäre damit der Urlauber eingeschlossen, der möglichst schnell an einen Ort reist, um sich da zu erholen? Wenn der Zweck der Reise nur 48 2 Was ist Tourismus? <?page no="49"?> die Erholung am Zielort ist, dann macht man die Reise nicht um ihrer selbst willen. Es scheint also keine notwendige Bedingung zu sein. Wir könnten sie aber als hinreichende Bedingung formulieren: Wenn eine Person eine Reise um ihrer selbst willen unternimmt, macht sie eine touristische Reise. Interessant ist weiter, dass Cohen als die zwei wichtigsten idealtypischen Formen den sightseer und den vacationer ausfindig macht (Cohen 1974, S. 544). Das entspricht den zwei Reisezwecken, die ich in dem ursprünglichen Definiti‐ onsvorschlag genannt habe: die Ortserkundung und die Erholung. Ich möchte auf den weiteren wichtigen Punkt zurückkommen, den Du in Deiner E-Mail ansprichst: Dass es bei einer touristischen Reise immer um Erfah‐ rungen geht. Vielleicht könnte man sogar von einem „touristischen Erlebnis“ sprechen, aber nicht in dem Sinne, dass es eine spezifische Art von Erlebnis ist, die man einheitlich charakterisieren könnte, sondern vielmehr um eine Vielfalt verschiedener Erlebnisse, insbesondere solche der sinnlichen Erfahrung neuer Umgebungen, des Kontakts mit fremden Menschen und Kulturen, der veränderten Erfahrung von Zeit und ästhetische Erfahrungen. Darauf sollten wir noch genauer zu sprechen kommen. Das touristische Erlebnis kann bei zwei Personen auf derselben Reise sehr unterschiedlich sein, wie Du am Beispiel gut veranschaulichst. Wir können die Frage, was Tourismus ist, einmal als Frage nach der Definition verstehen und einmal als Frage nach Erlebnissen, die einer Reise diejenige Qualität verleiht, die sie für uns zu der wertvollen Erfahrung macht. Wir müssen diese Innenperspektive unbedingt berücksichtigen, wenn wir uns weiteren Fragen zuwenden, etwa der, ob Tourismus Teil eines guten Lebens ist. Liebe Grüße Jonas 28.02.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Agree to disagree? Vielleicht brauchen wir ja keine Definition. Lieber Jonas, vielen Dank für Deine erleuchtende Rückmeldung! Ich kann nun nachvoll‐ ziehen, warum für unseren Zweck auch die individuelle Wahrnehmung (i. e. Tourist ist, wer sich als Tourist sieht) nicht als definierendes Element des 2 Was ist Tourismus? 49 <?page no="50"?> Tourismus taugt. Ebenso erschließt sich mir der von Dir vorgeschlagene Ansatz, bei der Beantwortung der Frage „Was ist Tourismus? “ nochmals eine ganz andere Perspektive einzunehmen. Den in diesem Kontext als Denkanstoß von Dir vorgestellten Artikel von Cohen kannte ich bereits und schätze ihn auch, obwohl ich mich nicht allen Ableitungen anschließen kann - so schließt Cohen z. B. mit seiner Dimension 6 Stammgäste aus, die immer wieder, ggf. ihr ganzes Leben lang, an denselben Ort reisen, was ich als Mangel seiner Theorie begreife. Besonders gefällt mir allerdings, dass er - wie Du ja auch nochmal herausgearbeitet hast - von einer pointierten Festlegung des Touris‐ musbegriffs Abstand nimmt und eher seine Spannweite absteckt. Das scheint mir nach unseren bisherigen Überlegungen ein sinnvolles Vorgehen zu sein. Denn wie unser Austausch zeigt, kommen auch wir offenbar zu keiner gemeinsamen, endgültigen Definition des Phänomens Tourismus, die darüber hinausgeht, es als Teilmenge des Reisens, also einer menschlichen Aktivität mit langer Tradition zu erfassen. Einen Schwerpunkt würde ich in unserer weiteren Untersuchung darauf legen wollen, was der Tourismus mit den Menschen macht, wie er sie (bis in den Alltag hinein) beeinflusst. Das kann sich auf das einzelne Individuum, soziale Gruppen, Gesellschaften oder gar die Weltgemeinschaft beziehen und vor dem Hintergrund des Systemcharakters des Tourismus Prozesse der soziokulturellen ebenso wie der ökonomischen und ökologischen Verände‐ rung meinen. Zentraler Begriff ist analog jener der „Erfahrung“, bezüglich dessen Hlavin-Schulze darauf hinweist, dass er mit dem Begriff „Reisen“, also dem Startpunkt unserer Überlegungen (→ S. 15), schon aus etymologischer Sicht in engster Beziehung steht. Entsprechend nennen wir auch heute noch jemand mit viel Erfahrung, einen der viele Kenntnisse besitzt, „bewandert“, im übertragenen Sinn also vielgereist (vgl. Hlavin-Schulze 1998, S. 14ff.). Lass uns also schauen, wohin die Reise geht-… Viele Grüße Julia 50 2 Was ist Tourismus? <?page no="51"?> 27.03.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Was wir dennoch sagen können: weite und enge Begriffe des Tourismus Liebe Julia, nur kurz möchte ich Dir schreiben, um Dein Fazit um einige Erkenntnisse zu ergänzen, die wir meines Erachtens ebenfalls erreicht haben. Zudem möchte ich auf einige Veränderungen eingehen, die das Phänomen des Tourismus in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Ich stimme Dir zu, dass wir zu keiner allgemeinen zutreffenden Definition von Tourismus gelangt sind. Der Grund dafür ist nicht der, dass es mehrere konkurrierende Definitionen gibt und wir uns nicht auf die eine richtige einigen können, sondern liegt, wie erläutert, in der Vagheit des Begriffs. Doch das bedeutet nicht, dass wir nichts Allgemeines über den Begriff sagen können. Für die Zeit in der Geschichte der Menschheit, in der sesshafte Menschen in einer Wohn- und Arbeitsumgebung leben, die sich hinreichend klar umreißen lässt, können wir die folgende, bereits genannte Arbeitsdefinition verwenden: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn 1. P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt, 2. P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren. Wenn wir nun Fälle finden, in denen die Bedingungen erfüllt sind, die aber keine touristischen Reisen sind, so können wir die Arbeitsdefinition aufgeben und die beiden notwendigen Bedingungen dazu verwenden, um touristische Reisen von den Reisen nichtsesshafter oder migrierender Men‐ schen zu unterscheiden. Nun hat sich aber in den letzten Jahrzehnten das Phänomen des Tou‐ rismus im Zuge eines globalen sozialen Wandels derart verändert, dass die beiden Bedingungen nicht einmal mehr notwendig sind. Dein Beispiel 2 Was ist Tourismus? 51 <?page no="52"?> des Menschen, der in Memmingen wohnt, in Oberstdorf arbeitet und zum Touristen wird, wenn er in Oberstdorf am Wochenende Skifahren geht, zeigt, dass man auch innerhalb der üblichen Arbeitsumgebung eine touristische Reise machen kann. Zudem können auch Menschen, die keinen bestimmten Wohnort haben, sondern an verschiedenen Orten auf der Welt arbeiten, eine touristische Reise machen - etwa diejenigen, die man nicht ganz treffend als „digitale Nomaden“ (Makimoto & Manners 1997) bezeichnet hat; Du hast sie bereits einmal erwähnt. Somit ist die erste Bedingung nicht notwendig. Und nicht einmal die zweite Bedingung ist notwendig: Menschen, die permanent auf Reisen sind, die also gar nicht beabsichtigen, an einen Anfangsort zurückzukehren, können ebenfalls touristisch unterwegs sein. Wir müssen also feststellen, dass wir für das Phänomen der touristischen Reise in der postmodernen Welt keine notwendigen Bedingungen angeben können. Das bedeutet freilich nicht, dass es das Phänomen nicht gibt: Es gibt sie zweifellos, die Menschen, die die Reisen machen, ebenso die Infrastruk‐ tur, die u. a. für den Massentourismus errichtet wurde, die Straßen und Flughäfen, die Hotels und Restaurants, die Anlagen für verschiedenste Freizeitaktivitäten und die Gebäudekomplexe für Kongresse und Messen etc. Zudem können wir feststellen, dass der Massentourismus den geografischen Raum unterteilt: Die Touristinnen und Touristen werden zu gewissen Orten hingeführt, gewisse Dinge werden ihnen gezeigt, und andere nicht, wie u. a. Zygmunt Baumann in einem Interview bemerkt (Franklin-2003, S.-207). Die Auswirkungen des Tourismus auf die Landschaft und die Gesellschaft sind enorm. Schon allein deshalb ist es sinnvoll, den Tourismus als Phänomen zu benennen, zu beschreiben und zu untersuchen. Zugleich aber lässt es sich aufgrund der Verflechtungen der Wohn-, Arbeits- und Freizeitwelt und der Folgen der Globalisierung und Digitalisierung nicht unabhängig von anderen sozialen Phänomenen untersuchen. Tourismus ist Teil der menschlichen Mobilität. Wenn wir den Tourismus als gesellschaftliches Phänomen untersuchen wollen, müssen wir ihn, so scheint mir, als Teil der menschlichen Mobilität untersuchen - ein Ansatz, der seit den 1990er-Jah‐ ren verfolgt wird (Urry 2000 und 2007; Franklin 2003; siehe Cresswell 2011). Du hast auf die Erlebnisse aufmerksam gemacht, die man sucht, wenn man eine touristische Reise unternimmt. Auch in dieser Hinsicht ist es in den letzten Jahrzehnten zu einem fundamentalen Wandel gekommen: Gewisse Erfahrungen, die wir als Touristinnen und Touristen suchen, machen wir in der heutigen Welt auch im Alltag. Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Baumann (1925-2017) hat dafür den Begriff des „Touristensyndroms“ 52 2 Was ist Tourismus? <?page no="53"?> geprägt. Er verwendet ihn als Metapher für gewisse Aspekte des alltäglichen Lebens vieler Menschen in der gegenwärtigen Welt: Sie halten sich an einem Ort nur temporär auf, sie fühlen sich zu dem Ort nicht gehörig und sind darin nicht verankert. Daraus folgt u. a., dass die Beziehungen, die sie zur Umwelt und den Menschen haben, nur lose sind, und dass sie „weiterziehen“, wenn ihnen der Ort nicht mehr das gibt, was sie gesucht haben (Franklin 2003, S. 207f.). Wenn wir uns also der Untersuchung touristischer Erfahrungen zuwenden, so müssen wir feststellen, dass viele Aspekte davon mittlerweile Teil des alltäglichen Lebens vieler Menschen geworden sind, wir also auch damit keine klare Grenze zwischen Aktivitäten touristischer und anderer Art ziehen können. Wovon sprechen wir also, wenn wir von Tourismus reden? Für einige der Fragen, mit denen wir uns weiter beschäftigen möchten, ist es sinnvoll, so denke ich, dass wir einen engeren Begriff von Tourismus verwenden. Untersuchen wir z. B. den Zusammenhang zum guten Leben oder die ästhe‐ tischen Wahrnehmungen auf Reisen, so meinen wir die Reisen, die wir um ihrer selbst willen unternehmen. Oder wenn es um die Frage geht, welche Reisen wir aus ethischer Perspektive unternehmen dürfen, dann stehen Urlaubsreisen im Vordergrund. Für andere Fragen wiederum benötigen wir einen weiteren Begriff: Wenn wir untersuchen, was nachhaltiger Tourismus sein könnte, dann müssen alle Formen menschlicher Mobilität ins Blickfeld kommen. Liebe Grüße Jonas 2 Was ist Tourismus? 53 <?page no="55"?> 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 21.04.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Reisen als Teil des guten Lebens Liebe Julia, wir kommen nun bereits zu einer weiteren philosophischen Frage: Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? Zunächst scheint es mir bedenkenswert, dass Tourismus Teil des Lebens von sehr vielen Menschen ist. Wie Du in einer früheren E-Mail erklärt hast, gibt es Tourismus, seitdem es Menschen gibt. Und nicht nur gilt das für die Menschheit, sondern auch für fast jeden Menschen. Es mag Ausnahmen geben, etwa bei Menschen, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes, ihres persönlichen Freiheitsgrades (z. B. Gefängnisinsassen, Sklaven) oder ihrer Arbeit ihren üblichen Aufenthaltsort höchstselten verlassen. Aber die meis‐ ten Menschen unternehmen in ihrem Leben mindestens eine touristische Reise, und viele von ihnen sehr viele. Denn bereits, wenn wir fürs Wochen‐ ende die übernächste Stadt besichtigen, sind wir touristisch unterwegs. Doch zählt der Tourismus auch zu dem, was ein Leben gut macht? Dies führt gleich zur grundlegenden Frage, was ein gutes Leben ist. Diese Frage wird seit der Antike von Philosophinnen und Philosophen diskutiert. Einig sind sie sich, dass das gute Leben ein von der Vernunft geleitetes Leben ist (das bedeutet freilich nicht, dass man sich immer und nur von der Vernunft leiten lässt). Damit man sich von der Vernunft leiten lassen kann, muss man diese erst bilden, also genau genommen: sich selbst bilden. Mit Bildung ist gemeint, dass man über eine Reihe kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten verfügt. Zu diesen gehören die Fähigkeiten, sich in der Welt zu orientieren, eigene Vermutungen und Überzeugungen zu prüfen und Wissen von bloßen Überzeugungen zu unterscheiden, Ereignisse in ihrem historischen Kontext zu deuten, eigene Gedanken und Emotionen präzise zu artikulieren, sich selbst zu erkennen und zu bestimmen sowie moralische <?page no="56"?> Sensibilität zu zeigen, wie Peter Bieri in seinem Aufsatz „Wie wäre es, gebildet zu sein? “ (2005) aufzeigt. Bildung ist ein umfassender Prozess, der den ganzen Menschen betrifft und nie abgeschlossen ist. Bildung in diesem Sinne gehört zu einem guten Leben. Nur der Gebildete, der Sich-Bildende, führt ein gutes Leben in einem vollkommenen Sinn. Wer eine touristische Reise unternimmt, kann damit den Zweck verfol‐ gen, sich zu bilden. Und, wenn erfolgreich, trägt die Reise somit auch zu einem guten Leben bei. Es gibt aber, wie wir gesehen haben, verschiedene touristische Zwecke. Wenn der Zweck einer Reise lediglich die Erholung ist, so macht die Reise das Leben nicht unbedingt besser. Erholung gehört nicht wesentlich zu einem guten Leben. Es ist ein Mittel zum Zweck. Wir erholen uns von den Anstrengungen der Arbeit oder des Alltags, um dann wieder etwas tun zu können, was sinnvoll ist. Erholung ist also nicht ein wesentlicher Teil des guten Lebens, und allein aus diesem Grund sind auch touristische Reisen zur Erholung nicht Teil davon (Und selbst wenn Erholung ein wesentlicher Teil des guten Lebens wäre, so wäre es die Reise nicht, denn man kann sich auch und womöglich auf effizientere Art erholen als auf einer Reise). Reisen kann dem Zweck der Bildung dienen. Aber müssen wir reisen, um uns zu bilden? Das Erkunden fremder Ort verlangt nach einem Ortswechsel. Wir können zwar Informationen über fremde Orte erlangen, ohne selbst da gewesen zu sein. Wir können zum Beispiel einer Erzählung zuhören, einen Reisebericht lesen oder eine Zeichnung, eine Fotografie oder ein Video anschauen. Wir können uns sogar auf dem Bildschirm in einem dreidimensional wirkenden Raum bewegen, um zu erfahren, wie es an dem anderen Ort aussieht. Doch all das macht die Erfahrung noch nicht zu einer ganzheitlichen Erfahrung des Ortes. Wir spüren nicht die Hitze, die Kälte oder den Wind auf der Haut, wir riechen nicht die Düfte fremder Pflanzen und von Essensgerichten, wir hören nicht die Laute in den Stimmen der Menschen um uns, die eine Sprache sprechen, die wir nicht kennen, und wir erleben nicht die sprachliche und nichtsprachliche Interaktion mit den Menschen, die hier leben. Ohne diese Sinneseindrücke ist das, was wir erleben, keine ganzheitliche Erfahrung des Ortes, der von den da lebenden Menschen und ihrer Kultur geprägt ist. Aus diesem Grund war es bis vor wenigen Jahrzehnten so, dass man sagen konnte, dass Reisen eine Art der Erkundung fremder Orte ermöglichte, die man anders nicht erfahren konnte. Man könnte auf einige Ausnahmen hinweisen, die es ermöglichen, verschiedenste Kulturen auf engstem Raum zu erfahren: Seit 56 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="57"?> dem Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es Großstädte, wie bereits sehr früh New York und London, in denen man aufgrund der Einwanderung aus verschiedensten Orten der Welt die Vielfalt menschlicher Kulturen (China Town, Little Italy) an einem einzigen Ort erleben kann, dazu also keine Reise unternehmen muss. Allerdings muss man dazu auch gleich ergänzen, dass es sich hierbei nicht um eine authentische Erfahrung der Kultur eines anderen Ortes handelt, sondern vor Ort eine neue Kultur entstanden ist, die man nun erfährt. Mit dem Aufkommen der Technologie der virtuellen Realität wird es jedoch möglich, dass wir Orte auch rein virtuell erkunden. Zumindest das, was man sehen, hören und ertasten kann, lässt sich damit nachbilden. Nur das, was man schmecken und riechen kann, lässt sich so leicht nicht nachbilden. Aber es gibt Versuche, auch dafür Technologien zu entwickeln. So wurde zum Beispiel an der EXPO 2020 in Dubai im Pavillon von Luxem‐ burg der Geruch des Mullerthals nachgebildet. Die Verbindung realer und computergenerierter Inhalte, die alle fünf Sinne der Menschen ansprechen können, wird als „erweiterte Realität“ bezeichnet (Engl. augmented reality, siehe Cipresso et al.-2011). Sind Reisen also notwendig für Bildung? Man kann sich vermutlich die oben genannten Fähigkeiten ebenso wie das für die Allgemeinbildung nötige Wissen über andere Kulturen auch anders aneignen, insbesondere durch Lektüre von Reiseberichten, Reportagen etc., das Betrachten von Fotografien und das Schauen von Filmen, aber Reisen bleibt ein hervorragendes Mittel dafür, weil sie ganzheitliche Erfahrungen fremder Orte ermöglichen. Bis hier habe ich mich auf den Ort konzentriert, der von der reisenden Person erfahren wird. Nun möchte ich den Blick noch stärker auf die reisende Person lenken. Wenn wir einen neuen Ort erkunden, dann wollen wir nicht nur mehr über diesen Ort erfahren, wir wollen uns auch selbst verändern. Wir erwarten, dass wir von einer solchen Reise gebildeter zurückkehren. Diese Erwartung ist in der Regel gerechtfertigt, und sie wird in der Regel auch erfüllt. Man müsste sich der Veränderung geradezu entgegenstellen, um sie zu verhindern. Eine Reise verändert uns in vielerlei Hinsicht. Besonders relevant ist der Erwerb von Wissen und das Sammeln von Erfahrungen, an die wir uns zum Teil noch Jahre später erinnern können. Ohne solche längerfristigen Veränderungen würden wir nicht von „Bildung“ reden. Zwischen einer Bildungsreise und einem Erholungsurlaub besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Der Unterschied lässt sich mithilfe des folgen‐ 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 57 <?page no="58"?> den Gedankenexperiments veranschaulichen: Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Reise planen - sie können sich dazu auch an ihre letzte Reise erinnern -, und versuchen Sie dann, die Frage zu beantworten: Wären Sie bereit, die Reise auch dann zu machen, wenn sie danach keine Erinnerungen daran hätten? Wer sich bilden will, müsste die Frage verneinen, wer sich nur erholen will, müsste die Frage bejahen. Da kaum jemand bereit ist, die Frage zu bejahen, kann man daraus schließen, dass kaum jemand nur zur Erholung eine Reise macht. Liebe Grüße Jonas Wissen | Gedankenexperiment Gedankenexperimente sind Werkzeuge des Philosophierens. In einem Gedankenexperiment stellt man sich eine Situation vor, die nicht tat‐ sächlich besteht, und überlegt sich, ob eine bestimmte Aussage in der Situation wahr ist, und schließt daraus, dass eine bestimmte Hypothese wahr ist (siehe Pfister 2013). Zum Beispiel ist ein berühmtes Gedanken‐ experiment das Trolley-Problem, das ursprünglich die britische Philoso‐ phin Philippa Foot eingeführt hat und dann von der US-amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson berühmt gemacht (und vielfach variiert) wurde (Thomson 1976). In einer der Versionen von Thomson ist das Szenario das Folgende: Stellen Sie sich vor, eine Straßenbahn (Engl. trolley) würde ungebremst auf fünf Menschen zurasen und drohe, zum Tod von fünf Menschen zu führen. Sie könnten eine Weiche umstellen; dann blieben die fünf zwar verschont, es würde aber zum Tod von einem anderen Menschen führen. Es gibt nur genau diese zwei Optionen: die Weiche umstellen, oder es nicht tun. Welche der beiden Optionen ist die moralisch richtige? Das Gedankenexperiment wurde im Vergleich mit anderen Situationen dafür verwendet, um für verschiedene Konklusionen zu argumentieren. 58 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="59"?> 30.04.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Bildung durch Tourismus? Lieber Jonas, vielen Dank für Deine Nachricht, die wieder einmal so viele interessante Aspekte aufgreift! Neu für mich war die in der Philosophie offenbar so klar gezogene Verbindung zwischen einem „guten Leben“ und der Bildung. Als Neuling im Thema musste ich mich damit erst einmal vertiefend beschäfti‐ gen. Den von Dir genannten Beitrag von Peter Bieri habe ich demnach gerne gelesen und dann noch selbst einige Recherchen angestellt. Dabei bin ich auf die Aussage gestoßen, dass Bildung „nicht Bücher‐ wissen [meint], sondern die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hin zu einer selbstbestimmten, weisen Lebensführung“ (Kitzler 2014, S.-19). Das gefällt mir gut, da es sich meiner Meinung nach als Basis für ein Prüfschema anbietet: Wenn man Deiner These folgt, dass ein von der Vernunft geleitetes und damit „gutes“ Leben von Bildung abhängt, und man auf dieser Basis prüfen möchte - so wie ich es in dieser Nachricht beab‐ sichtige -, ob Tourismus Bildungseffekte entfaltet, sollte man untersuchen, ob Tourismus zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt, wobei besonders Selbstbestimmtheit und Weisheit erstrebenswerte Ergebnisse sind. Das zu tun, ist allerdings weit weniger einfach als es auf den ersten Blick scheint, denke ich. Denn was genau Selbstbestimmtheit und Weisheit meinen und wie man deren Vorliegen oder gar Entstehen nachweist, sind selbst wieder Fragen, über die vertiefend und interdisziplinär nachgedacht werden könnte. Das allerdings würde den Rahmen unseres Austauschs sprengen - zumal ich ja auch noch auf die anderen von Dir aufgestellten Thesen eingehen möchte … In meinen nachfolgenden Reflexionen werde ich demnach einen vereinfachenden Ansatz wählen und zunächst den Schwerpunkt auf die Selbstbestimmtheit legen (der Aspekt der Weisheit bleibt analog erst einmal ausgeklammert). Zudem mache ich es mir insofern 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 59 <?page no="60"?> leichter, als dass ich zwei Betrachtungsperspektiven vermische: Ich suche gleichzeitig sowohl nach Indizien dafür, dass Selbstbestimmtheit im Touris‐ mus vorliegt, als auch nach Hinweisen darauf, dass die Selbstbestimmtheit durch den Tourismus explizit gefördert wird. Meine „Arbeitsthese“ ist demnach, dass Tourismus zur Bildung beiträgt, entweder, wenn er einen Rahmen für selbstbestimmte Entscheidungen schafft, oder, wenn er zum Aufbau der individuellen Kompetenz bei‐ trägt, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Dass Tourismus Ausdruck von Selbstbestimmung ist, zeigt sich vor diesem Hintergrund zunächst einmal daran, dass die Teilhabe daran freiwillig erfolgt: Fahre ich in den Urlaub, so habe ich mich dafür allein oder in Ab‐ stimmung mit anderen, z. B. meiner Familie oder Freunden, entschieden. Nur in Ausnahmen, wenn es z. B. um Geschäftsreisen geht oder wenn z. B. Kinder als Reisende betrachtet werden, ist diese Freiwilligkeit eingeschränkt. Ein „Reisezwang“ besteht aber grundsätzlich nicht. Im Tourismus kommt folglich Selbstbestimmtheit im Sinne einer Ent‐ scheidungsfreiheit zum Ausdruck (was auch bedeuten kann, dass ich mich bewusst gegen eine Partizipation entscheide und auf Reisen verzichte). Diese erstreckt sich auch darauf, dass man bei der Ausgestaltung touris‐ tischer Reisen zwischen vielfältigen Angeboten auswählen kann. Die Ent‐ wicklung des Tourismus zum Massenphänomen hat hierbei zu einer Art Demokratisierung des Reisens geführt, da es zu einer Verbreiterung (i. e. immer neue Destinationen und Reiseformen) sowie einer Vertiefung (i. e. immer neue Varianten z. B. im Bereich der Unterbringung) des Angebots gekommen ist, die immer mehr Optionen zur Auswahl erzeugen. Reisende sind demnach selbstbestimmt, da sie sich - je nach Verfügbarkeit der ermög‐ lichenden Faktoren Geld und Zeit - für diejenigen Angebote entscheiden können, die ihnen am besten gefallen. Selbst die aggressivste Werbung kann keinen Reisenden zwingen, genau in Hotel X in der Destination Y Urlaub zu machen. Relevant für die Entstehung von Selbstbestimmung durch Tourismus ist dies v. a. auch vor dem Hintergrund der zunehmenden sog. Reiseerfahrenheit: Immer größere Bevölkerungsanteile unternehmen pro Jahr mindestens eine Urlaubsreise (vgl. FUR 2021, S. 9ff.). Tourismus 60 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="61"?> könnte damit als ein stetig an Bedeutung gewinnendes Feld betrachtet werden, auf dem Menschen üben, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Zusätzlich kann Tourismus auch im Hinblick auf den politisch-recht‐ lichen Rahmen mit zunehmender Selbstbestimmung in Verbindung gebracht werden, denn die Ausweitung der sog. Freizügigkeit als internationales Menschenrecht ist ein globales Phänomen: Immer mehr Menschen weltweit erhalten immer größere Reisefreiheit, also das Recht, sich ungehindert im Heimatland, insbesondere aber über Grenzen von Nationalstaaten hinweg, bewegen zu dürfen. Beleg hierfür kann die seit 2006 jährlich durchgeführte Studie „Passport Index“ der Unternehmensberatung Henley & Partners (vgl. Link-Tipp | https: / / ww w.henleyglobal.com/ passport-index) sein. Die auf Basis von Daten des weltweiten Dachverbands der Fluggesellschaften IATA (International Air Transport Association) durchgeführte Untersuchung weist jedem Reisepass der insgesamt 199 untersuchten Länder einen Platz auf einer Rangliste zu. Hoch platziert werden hierbei die Pässe bzw. ausstellenden Länder, deren Staatsangehörige unbehelligt von einreisebezogenen Antragsprozessen z. B. für Visa vor Einreise in ein Zielland bleiben. Entsprechend dieser Logik erzielt z. B. Deutschland in der Studie im Jahr 2022 Rang 3 dadurch, dass mit einem deutschen Reisepass insgesamt 190 Länder ohne derartige Beschränkung bereist werden können. Der Irak befindet sich im selben Betrachtungsjahr dagegen auf Rang 111, da die Einreise ohne vorherigen Antragsprozess in nur 29 andere Länder möglich ist. Summiert man alle im Rahmen der Studie vergebenen Punkte für freie/ erleichterte Einreisen (vgl. Zeile „Summe free access“ in → Abbildung 6), so kann auf eine klare Tendenz hin zur Freizügigkeit geschlossen werden: Innerhalb von zehn Jah‐ ren, von 2012 bis 2022, sind über 4.100 Antragsprozesse vor internationaler Einreise weggefallen. 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 61 <?page no="62"?> Abbildung 6: Entwicklung der weltweiten Freizügigkeit 2012-2022 Eigene Darstellung auf Basis von https: / / www.henleyglobal.com/ passport-index 2012 2022 Anzahl gerankter Länder 199 199 Top 3 free access (i.e. Länder mit Pässen, bei denen vor Anreise am wenigsten Antragsprozesse für die Einreise umgesetzt werden müssen) 1. Dänemark (169 antragsfreie Einreisen) 2. Finnland, Deutschland (168) 3. Schweden, Belgien, Frankreich, Niederlande, UK (167) 1. Japan (193 antragsfreie Einreisen) 2. Singapur, Südkorea (192) 3. Deutschland, Spanien (190) Bottom 3 free access 101. Irak (30) 102. Somalia (28) 103. Afghanistan (26) 110. Syrien (30) 111. Irak (29) 112. Afghanistan (27) Summe free access 17.468 21.607 Abbildung 6: Entwicklung der weltweiten Freizügigkeit 2012-2022 | Quelle: eigene Dar‐ stellung auf Basis von https: / / www.henleyglobal.com/ passport-index Die Ausweitung des Tourismus wird im Kontext dieser Entwicklung einer‐ seits als Effekt, andererseits aber auch als Einflussfaktor diskutiert. Dabei ist man sich einig, dass Freizügigkeit eine Voraussetzung der Ausweitung speziell des internationalen Tourismus darstellt - weniger ad‐ ministrativer Aufwand bei der Ein- und Ausreise wird als Rahmenbedingung für die Steigerung des touristischen Aufkommens betrachtet. Die Position dagegen, dass der Tourismus zum Abbau administrativer Schranken selbst beiträgt, ist eher umstritten, da der Einfluss nur mittelbarer Natur ist. So wird der Branche zwar das Potenzial zugesprochen, Arbeitsplätze und Einkommen in den Destinationen zu schaffen, was Bildung und die Einforderung von Mitspracherechten befördern und somit politischen Wan‐ del, z. B. hin zu mehr Reisefreiheit, herbeiführen kann, doch eindeutig nachgewiesen oder gar empirisch belegt sind diese Effektketten nicht. In der Betrachtung von Entwicklungs- und Schwellenländern konnte z. B. analog bislang nur ein schwach signifikanter positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl an Tourismusankünften und allgemein der „politischen Stabilität“ erfasst werden (vgl. BTW 2015, S. 26f. und 114 ff.). Die Aussage, dass Tourismus zu mehr Selbstbestimmtheit führt, kann in diesem Kontext daher nicht final belegt werden. Womit ich zu Indizien kommen will, die gegen Selbstbestimmung im bzw. durch den Tourismus sprechen. 62 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="63"?> Hier erscheint es mir zum ersten wichtig zu betonen, dass die darge‐ stellte Entscheidungsfreiheit im Tourismus nicht für alle Bevölkerungs‐ teile gleichermaßen besteht: Gerade für Menschen mit Behinderung, aber auch für andere Reisende mit Ansprüchen an Barrierefreiheit (man denke z. B. an Best Ager, denen die Schrift der Speisekarte zu klein ist, oder an Reisende, die mit mehr Gepäck als durchschnittlich üblich oder z. B. mit einem Kinderwagen unterwegs sind, vgl. GIZ 2021, S. 28) sind die Optionen zur Teilhabe am Tourismus oftmals stark eingeschränkt. Dies gilt im besonderen Maße, da es nicht in allen Teilen der touristischen Leistungskette (zum besseren Verständnis dieses Konzepts vgl. → Abbil‐ dung 7) ein verlässliches Portfolio barrierefreier Angebote gibt (vgl. Neu‐ mann & Kagermeier 2017): Die Selbstbestimmtheit bleibt z. B. beschnitten, wenn ein Hotel in der Wunschdestination eines Reisenden im Rollstuhl zwar schwellenfreien Zugang zu den Zimmern gewährt, das Angebot im Buchungsprozess allerdings mangels entsprechender Kennzeichnung oder Beratung nicht gefunden werden oder die Anreise nur zu Fuß erfolgen kann. Abbildung 7: Konzept der touristischen Servicekette als Abfolge touristischer Teilleistungen ADAC 2003, 21 Die touristische Servicekette setzt sich aus folgenden Elementen zusammen: Vorbereiten, Informieren, Buchen An- und Abreise Ankommen und Orientieren Wohnen und Schlafen Essen und Trinken Freizeit und Sport Service und Assistenz Unterhaltung und Kultur Ausflug und Shopping Erinnern und Bestätigung finden Abbildung 7: Konzept der touristischen Servicekette als Abfolge touristischer Teilleistun‐ gen |-Quelle: ADAC-2003, S.-21 Zum zweiten muss ich wohl ehrlich sein und festhalten, dass Selbstbestimmtheit sicherlich nicht das erste ist, das man assoziiert, wenn man an das typische Bild von „Touristenhorden“ denkt, die sich in Hotelresorts aufhalten oder an den Must-sees der Destination aus den klimatisierten Reisebussen strömen. Solche „Urlauber“ ordnen sich vielmehr den - teils sehr rigiden - Vorgaben 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 63 <?page no="64"?> der touristischen Angebotsstrukturen unter: Sie finden sich zur definierten Abfahrtszeit am Bus ein, kleiden sich passend zum „Mottoabend“ und besichtigen genau die Elemente einer Destination, die von der örtlichen Reiseagentur bzw. vom Reiseleiter an Bord des Busses offeriert werden. Wie Groebner sagt: „Ich bin offenbar nicht sehr frei, wenn ich frei habe.“ (Groebner 2020, S. 31) Gerade bei Pauschalreisen scheint die Selbstbestimmtheit der Touristen mit der Auswahl des Reiseprodukts zu enden. Insbesondere dem Massentourismus könnte vor diesem Hintergrund vorgeworfen werden, dass er Bedingungen schafft, die wenig förderlich für die Bildung sind: Er standardisiert Erlebnisse (was v. a. aus ökonomischen Beweggründen geschieht, denn die Standardisierung erlaubt Effizienzsteigerungen, die höhere Margen bzw. geringere Reisepreise ermöglichen und mithin eine Position, um im Wettbewerb zu bestehen) und degradiert den Touristen damit vom selbstbestimmten Entscheider zur Einheit, die im Flugzeug/ Ho‐ tel/ auf einem Ausflug zu verwalten ist. Dem Reisenden kommt eine rein passive, rezipierende Rolle zu. Er soll (möglichst vor Reiseantritt! ) zahlen und dann die Profis das für ihn entwickelte Programm abspulen lassen. Wenig verwundert es da, dass „[d]as Image von Touristen […] auch heute noch das einer tumben, fremd gesteuerten Masse [ist]“ (Strasdas 2017, S. 32). Aber macht man es sich mit solch einer Aussage nicht zu einfach? Das vernichtende Urteil gegenüber touristischen Angeboten greift hier meiner Meinung nach zu kurz - was mich zur zweiten These Deiner letzten Nachricht führt. Lass mich also nachfolgend darstellen, warum ich Deine Aussage „Reisen nur zur Erholung machen das Leben nicht besser“ nicht uneingeschränkt teilen kann. Um meinen Punkt nachzuvollziehen, lohnt ein vertiefender Blick in die Charakteristik massentouristischer Produkte, speziell von Pauschalreisen. Damit gemeint sind Pakete von touristischen Teilleistungen (typischerweise aus den Bereichen Beförderung, Unterkunft, Verpflegung etc.), die von Spezialisten wie Reiseveranstaltern zusammengestellt und zu einem Ge‐ samtpreis verkauft werden. Solche Pakete sind für viele Reisende genau deshalb eine „kluge Wahl“, weil sie so bequem und sicher sind! So kann sich der Pauschaltourist darauf verlassen, dass der Organisator der Reise Sorge dafür getragen hat, dass alle Teilleistungen der Pauschale zueinander passen (z. B. die Ankunftszeit des Flugs in der Destination mit der Abfahrtszeit 64 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="65"?> des Transfers zum Hotel) und dass es für Beschwerden einen zentralen Ansprechpartner gibt (zu den weiteren organisatorischen Vorteilen vgl. von Dörnberg et al.-2013, S.-29ff.). Touristinnen und Touristen erleben vor diesem Hintergrund speziell im Rahmen einer organisierten Reise eine Auszeit: Für eine gewisse Zeit können sie die Verantwortung abgeben, da eine Vielzahl von Entscheidungen für sie statt von ihnen getroffen wird. Dies betrifft Alltagsprobleme wie die Frage, was es wann zu essen gibt, ebenso wie die Gestaltung eines zu den eigenen Reisemotiven passenden Tagesablaufs. Der Tourist selbst hat nur den grundsätzlichen Aufwand der Auswahl eines zu seinen Wünschen pas‐ senden Reiseangebots, wohingegen die restliche Planung und Organisation auf Profis übertragen wird. Hat es der Reisende in seinem Urlaub also erst einmal zum gebuchten Abfahrtsort geschafft, kann er sich zurücklehnen und das „Verwaltet-Werden“ genießen. Durch die Inanspruchnahme eines organisierten Reiseangebots ent‐ steht folglich eine charakteristische Entlastung des Individuums. Bewusst spreche ich hier von Entlastung und verwende den Begriff der „Erho‐ lung“ nicht, auch wenn jene - wie wir bereits thematisiert haben - eins der am häufigsten genannten Reisemotive ist. Denn die Wiederherstellung der (Arbeits-)Kraft, die mit „Erholung“ am häufigsten gemeint wird und auf die auch Du in Deiner Nachricht abstellst, lehnt man als zentrale Funktion des Reisens in der Tourismuswissenschaft schon lange ab. Beispielhaft sei auf die „Theorie der schiefen Ebenen“ verwiesen, mit der sich u. a. Mundt kritisch auseinandergesetzt hat. Diese basiert auf der Annahme, dass der Alltag mit seinen Belastungen im Individuum kontinuierlich Ermüdung aufbaut, von der sich der Organismus erholen muss. Urlaub wird gemäß der Theorie dann nötig, wenn die Pausen des Alltags (z. B. Nachtschlaf und Tages-/ Wochenendfreizeit) nicht genügen, um die Ermüdung vollständig abzubauen. Die Theorie geht also davon aus, dass man Urlaub machen muss, um sich dem Alltag wieder mit voller Kraft stellen zu können. Diese Annahme stößt jedoch spätestens dann an ihre Grenzen, wenn man sich vor Augen führt, dass das im Urlaub Erlebte aber sowohl physisch (man denke an Sporturlaube! ) als auch psychisch (man denke an Stress, der durch Verspätungen, Staus oder die Konfrontation mit ungewohnter Natur bzw. Kultur entsteht! ) nicht unbedingt belastungsfrei ist. Erlebnisse im Urlaub können für den einzelnen vielmehr sogar anstrengender bzw. ermüdender sein als die Alltags- 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 65 <?page no="66"?> bzw. Erwerbstätigkeit - und trotzdem werden sie vom Großteil der Touristinnen und Touristen als bereichernd empfunden (vgl. Mundt-2013, S.-121ff.). Ich wage daher die Aussage, dass es „Reisen nur zur Erholung“ gar nicht gibt - Reisen zur Entlastung dagegen existieren, wie ich hergeleitet habe. Versteht man nun Weisheit „nicht nur [als] den Besitz von Wissen, sondern auch [als] die dem Streben nach Einsicht entsprechende Lebensführung, weshalb der Weise als Ideal für die Einheit von Wissen und Leben steht“ (FPB 2022), so kommt dieser Entlastung eine besondere Bedeutsamkeit zu, wenn es um die Frage geht, ob Tourismus zur Bildung beiträgt. Denn wenn wir im Tourismus eine Pause „zulassen und aushalten, ohne in einen permanenten Vergnügungstaumel zu fliehen, dann kommen uns plötzlich Gedanken und Einsichten, die im Alltagsstress gar keine Chance hatten, in unser Bewusstsein zu treten“ (Kitzler 2014, S. 32). Die Muße, die wir im Abstand von den tagtäglichen Eindrücken und Zwängen finden, die Bewäl‐ tigung von Stress in Erscheinungsformen, mit denen wir im Alltag nicht oder wenig konfrontiert sind, und ggf. auch die Langeweile, die sich im Rhythmus massentouristischer Tage mit festen Essens-, Aktivitäts- und Ruhezeiten ergibt, kann fördern, dass wir uns selbst erkennen und reflektieren. Und so sehr es überraschen mag: Gerade den zuvor kritisierten organisierten Reisen kann dabei eine besondere Rolle zugesprochen werden, denn Pauschalen unterstützen bei der Selbsterkenntnis und -reflexion im Tourismuskontext, indem sie spezifische Erlebnisräume schaffen. Diese (tourism) environmen‐ tal bubbles ähneln dabei ihrem Charakter nach dem Herkunftsraum der Reisenden oftmals stark, was sich z. B. in der gesprochenen Sprache (i. e. Verkehrssprache oder Muttersprache der Besucher), der Gestaltung von Unterkünften und Transport (i. e. nach Komfortmaßstäben der Besucher) und dem Angebot von Speisen (i. e. nicht zu stark abweichend von dem, was die Besucher von daheim gewohnt sind) niederschlägt. Sie sind - mit anderen Worten - belastungsarm und gemäß dem Soziologen Eric Cohen nötig, da der moderne Mensch als Reisender das Erlebnis der Fremde nur auf Basis einer als stabil und bekannt wahrgenommenen eigenen Position genießen kann. Mit anderen Worten: Der Tourist braucht die Sicherheit einer für ihn berechenbaren Mikroumwelt, um die fremde Makroumwelt lustvoll und einsichtsreich erkunden zu können (vgl. Cohen-1972). 66 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="67"?> Eine der Entlastung wegen unternommene Reise kann daher sehr wohl das Leben besser machen. Was mich abschließend zu Deiner These bringt, dass man nicht zwingend reisen muss, um Bildung zu erlangen, der ich zu 100 Prozent beipflichte. Denn klar ist, dass viele andere Bildungswege existieren. Die Bedingungen des Tourismus sind allerdings besonders geeignet für das Lernen. Dies gilt speziell wegen der von Dir bereits thematisierten Ganzheitlichkeit und Eindrücklichkeit touristischer Erlebnisse - nicht ohne Grund wird daher von Befürwortern des Reisens oftmals das Bonmot „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“ bemüht. „Zünglein an der Waage“ für den Bildungserfolg ist allerdings die Ein‐ stellung der Person, die mit Neugier - nicht nur auf die Fremde, sondern v.-a. auf sich selbst - auf Reisen gehen sollte (vgl. Altmann-2012). Tourismus hat mithin dann einen Bildungseffekt, wenn er als „Sehnsucht nach dem Anderen, als die Entdeckung des in uns steckenden Fremden, als das Vertraut-Werden mit dem Fremden“ (d’Eramo-2018, S.-226) wirkt. Dieser Anspruch reflektiert eine Auffassung, die auch schon in der Epo‐ che des Humanismus vertreten wurde, und führt uns zu den frühen Formen des Tourismus zurück: Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis ca. 1800 - einer Zeit also, in der v. a. Bildungsreisende (vgl. Grand Tour und Rei‐ sen des aufgeklärten Bürgertums) touristisch aktiv waren - wurde zwischen dem „richtigen Reisen (peregrinari)“ und dem „nutzlosen Umherschweifen (vagari)“ unterschieden. Ersteres wurde dabei mit „systematische[n] und methodische[n] Reisen aus wissenschaftlichen Gründen“ (Luger 2022, S. 85) gleichgesetzt. Man ging davon aus, dass solch wertvoller Tourismus zur Erzielung konkreter Lerneffekte durchgeführt wird und nur jene Menschen auf Reisen gehen, die dafür geeignet sind. Eine solche Eignung wollte man mit dem im genannten Zeitraum verbreiteten Literaturformat der sog. Apodemiken herbeiführen: Diese frühe und spezielle Art der Reiseführer legte jeweils eine Theorie des Reisens zugrunde (i. e. Diskurs zum möglichen Schaden bzw. Nutzen), auf die in einem praktischen Teil konkrete Richtlinien und Verhaltensweisen vor, während und nach der Reise folgten. Im Nach‐ druck des Bandes „Apodemik oder die Kunst zu reisen“, dessen Original aus dem Jahr 1795 stammt, kann man demnach u. a. lesen, welche Vorkenntnisse angeeignet werden müssen, welche Anschaffungen notwendig sind und 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 67 <?page no="68"?> 2 NB: Leider ist die Untersuchung von Bildungs-/ Kultur-/ Leser-/ Studienreisen in der Tourismuswissenschaft ein stark unterrepräsentiertes Feld, so dass auf keine neueren Zahlen verwiesen werden kann. worauf bei der Ernährung zu achten ist (vgl. Posselt 2016). Reisen wurde mithin als Kulturtechnik verstanden, auf die man sich vorbereiten und einlassen muss! Über die Entwicklung des Massentourismus ist dieser explizite Wunsch nach zielgerichtetem und „korrektem“ Reisen sicherlich in den Hinter‐ grund getreten - doch gänzlich fort ist er trotzdem nicht. Indiz dafür ist u. a. die Nachfrage im Bereich der Kultur-, Studien- und Leserreisen: Gemäß der Reiseanalyse des Jahres 2000 2 bezeichneten ca. 4 Prozent aller deutschen Touristinnen und Touristen ihren Urlaub selbst als sog. „Studienreise“. Markant häufiger als in anderen Tourismussegmenten wurden dabei Bildungsinteressen als Reisemotiv ausgewiesen. Typisch ist demnach ein Interesse der Touristinnen und Touristen, sich intensiv mit dem Reiseland zu beschäftigen und dadurch „den Horizont zu erweitern“, „etwas für Kultur und Bildung zu tun“ bzw. „ganz neue Eindrücke zu gewinnen“ (vgl. Günter 2018, S. 26f.). Im Gegensatz zur Zeit der Apodemiken wird die Verantwortung für den Bildungserfolg und die entsprechende Ausgestaltung der touristischen Bedingungen allerdings beim Anbieter gesehen. Angebote z. B. von Veranstaltern wie Background Tours (CH) oder Chamäleon Reisen (D) setzen mithin auf organisierte Rundreisen in Klein‐ gruppen, die von Reiseleiterinnen und Reiseleitern begleitet werden, die mit Expertise Land und/ oder Spezialthemen vermitteln. Die Nachfrage nach Studienreisen erreichte vor der Coronapandemie ihre bisherige Rekordhöhe. So verreisten z. B. allein mit dem deutschen Marktführer Studiosus im Jahr 2019 über 100.000 Touristinnen und Touristen (vgl. https: / / www.studiosu s.com/ Presse/ Pressemitteilungen/ Steigende-Nachfrage-hohe-Kundenzufrie denheit-Studiosus-startet-mit-Optimismus-in-die-Urlaubssaison-2022). Reisen sind in der Gesamtsicht auch meiner Meinung nach zwar weder als notwendige noch als hinreichende Bedingung für ein gutes Leben zu erfassen. Sehr wohl ist der Tourismus aber ein mögliches Mittel zum Zweck der Bildung, denn Reisen können die „Spielwiese“ sein, auf der wir üben, unsere Gewohnheitsmuster zu verändern (vgl. Kitzler 2018). 68 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="69"?> Puh, das ist eine umfangreiche Nachricht geworden-… Aber ich wollte nun einmal auf all Deine Thesen eingehen-… Viele Grüße Julia 06.05.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Wahrnehmung von Raum und Zeit Liebe Julia, vielen Dank für Deine spannenden Ausführungen. Ich möchte gerne noch einen Aspekt des Themas der Veränderung auf Reisen aufgreifen, den wir bisher noch nicht explizit angesprochen haben, nämlich die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Eine Reise verändert zumindest für eine kurze Weile unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit. Wir nehmen die Zeit und die Ereignisse der nahen Vergangenheit (der letzten Tage) anders wahr. Jeder, der schon einmal eine Reise gemacht hat, weiß davon zu berichten: Sobald wir an der Destination angekommen sind, so erscheint uns die Zeit, die wir für die Reise benötigten, sei es eine Stunde, ein Tag oder eine Nacht, in die Länge gezogen, die Ereignisse, die wir noch in der gewohnten Umgebung erlebt hatten, scheinen sehr weit zurückzuliegen, seltsam entrückt. Und genau in dieser Erfahrung liegt auch einer der Reize des Reisens: Wir gewinnen Distanz zu unserem Alltag, erleben die Umgebung in der Gegenwart intensiv, nehmen sie mit allen Sinnen auf. Solange der Ort, den man erkundet, genügend Neues bietet, können wir diesen Effekt immer wieder erzielen. Das ist wohl auch ein Grund, weshalb das Reisen für einige ein Leben lang attraktiv bleibt. Bist Du mit diesen Überlegungen einverstanden? Mit lieben Grüßen Jonas 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 69 <?page no="70"?> 09.05.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Raum und Zeit im Tourismuskontext Hallo lieber Jonas! Deine Gedankengänge kann ich absolut nachvollziehen und will in dieser Nachricht an einigen Beispielen zeigen, dass sich die Tourismuswissenschaft mit der besonderen Wahrnehmung von Raum und Zeit schon lange beschäftigt. Dabei werden die beiden Dimensionen gerne als Strukturkomponenten benutzt: Wie beispielhaft in → Abbildung 8 verdeutlicht, nutzt man sie (was Dir sicherlich bekannt vorkommt, denn schließlich sind wir bei unseren Definitionsversuchen auch nicht viel anders vorgegangen, als wir festhiel‐ ten, dass Tourismus vorliegt, wenn Menschen sich z. B. außerhalb Ihres regulären Wohn- und Arbeitsumfeldes aufhalten), um festzumachen, ob es sich bei einer Aktivität um Tourismus oder um eine andere Form der temporären Mobilität handelt. Abbildung 8: Strukturierung des Tourismus entlang der Dimensionen Raum und Zeit Hall 2005, S. 94 temporal dimension years 6 month/ 12 month months weeks weekends day/ 24 hours/ overnight hours HOME local regional national international crossing national border spatial dimension shopping daytripping/ excursions domestic vacations Intra-national business travel domestic educational travel travel to second homes (weekenders) extended working holidays sojourning seasonal travel for work or by retirees to a second home study/ working abroad return migration migration international vacations international business travel international educational travel/ exchanges Abbildung 8: Strukturierung des Tourismus entlang der Dimensionen Raum und Zeit | Quelle: Hall-2005, S.-94 70 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="71"?> Spannend ist dabei meiner Meinung nach, dass Raum und Zeit immer in einer Abhängigkeit zueinanderstehen. Entsprechend ist auch das klassische Modell der geografischen Elemente des Tourismus von Leiper, wie in → Abbildung 9 dargestellt, nur auf den ersten Blick eine rein raumbezogene Skizze. Es bekommt zeitliche Relevanz, wenn man bedenkt, dass die touristischen Räume stets in einer spezifischen Reihenfolge durchlaufen werden, es also ein typisches temporales Muster des Tourismus gibt: Man startet seine Reise im Herkunftsraum (tourist generating region), reist durch den Transferraum (transit routes) hin zur Destination (tourist destination region) und nach dortigem Aufenthalt durch den Transferraum wieder zurück in den Herkunftsraum. Dieses Zeitmuster ist im sog. Stufen- oder Phasenmodellen des Tourismus festgehalten worden (vgl. Flognfeldt 2005, S. 12f.), auf das ich hier nicht weiter eingehen will. Erwähnenswert ist das Modell allerdings trotzdem, da auf seiner Basis Beobachtungen zur Wahrnehmung von Zeit und Raum in den verschiedenen Phasen einer Reise vorliegen, die sich mit Deinen Ausführungen decken. Abbildung 9: Die geografischen Elemente des Tourismus | Quelle: Leiper-1979, S.-396 Eine dieser Erkenntnisse ist, dass aktive, anregende Zeiten generell als kurz wahrgenommen werden (die Zeit „fliegt“), während passive, langweilige Zeiten sich in der menschlichen Wahrnehmung stark ausdehnen (die Zeit „kriecht“). Zeiten im Transferraum, bei denen man typischerweise in seinen Hand‐ lungsoptionen eingeschränkt ist (wobei sich die verschiedenen Verkehrs‐ mittel hier natürlich unterscheiden - man denke an die Optionen, die mir eine Bahnfahrt bieten, gegenüber den Handlungsmöglichkeiten, die ich 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 71 <?page no="72"?> habe, wenn ich ein Fahrzeug führe), wirken entsprechend oft lang, was sich auch auf die Wahrnehmung der zurückgelegten Distanzen auswirkt: Je langweiliger die Zeit im Transferraum, desto weiter kommt einem die zurückgelegte Strecke vor - ein Phänomen, an das man sich sicherlich noch aus Kindertagen gut erinnern kann (vgl. Pearce-2020). Ebenfalls bekannt ist das „relative“ Zeitempfinden in Abhängigkeit vom Fortschrittsstand des Urlaubs: Während sich in den ersten Tagen einer Reise die noch vor einem liegende freie Zeit nahezu unendlich zu erstrecken scheint, „kippt“ diese Wahrnehmung oft ungefähr dann, wenn die erste Hälfte der Zeit in der Destination verstrichen ist. Erklärt werden kann das mit dem Effekt von Routinen auf das Zeitempfin‐ den, denn Menschen erleben Zeit durch Veränderung (vgl. Herrmann 2016, S. 136): Touristische Aktivität hat anfangs stets eine hohe Erlebnisdichte, da es noch keine Routinen gibt, denn die Reisenden erfahren eine intensive Konfrontation mit unbekannten Eindrücken, wozu auch die Ausführung nicht alltäglicher Handlungen gehört. Die Ferienanlage und deren Umge‐ bung, die Reisegruppe und das ungewohnte Aktivitätsprogramm - alles ist neu und ungewohnt, was ein Gefühl der Zeitverlängerung erzeugt. Dies ist der Fall, da die vielen neuen Erfahrungen uns und unser Erinnerungsvermö‐ gen aktivieren, weshalb man ggf. auch ein Gefühl der Anstrengung verspürt (vgl. Zschocke 2021, S. 8). Im Laufe des Urlaubs stellt sich dann jedoch eine Gewöhnung ein - wir entwickeln eine Vertrautheit mit dem Neuen, die damit einhergeht, dass Erlebnisse weniger bewusst bzw. emotional verarbeitet und demnach sowohl weniger intensiv wahrgenommen als auch später weniger intensiv erinnert werden (vgl. Wittmann 2014). Es entsteht das Paradox eines „Gefühl[s] der Zeitverlängerung, auch wenn man gleichzeitig meint, der Urlaub sei viel zu schnell vergangen, weil man (bei positivem Verlauf) viel von dem Erlebten gerne irgendwie festhalten möchte“ (Mundt-2013, S.-169). Am wichtigsten im Kontext der Frage, ob Tourismus Teil eines guten Lebens ist bzw. zu diesem beiträgt, erscheint mir in Bezug auf das Ele‐ ment Zeit jedoch ein zunächst banaler Fakt, nämlich das Bewusstsein darüber, dass die touristische Zeit insgesamt endlich ist. 72 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="73"?> Nach zwei Tagen, Wochen oder Monaten (je nachdem, wie viel touristische Zeit man sich „gönnt“) endet die „freie“ Zeit, um in die Zeit des Alltags überzugehen. Man kehrt damit nicht nur in den Heimatraum zurück, sondern auch in das Muster zeitlicher Routinen, vorgegeben z. B. durch Termin- oder Stundenpläne sowie Arbeitszeiten und den festen Wechsel von Werktagen und Wochenende. Wie Studien gezeigt haben, entsteht aus dieser Endlichkeit einerseits Leid: Menschen verspüren Druck, die knappe Zeit des Urlaubs sinnvoll zu allo‐ kieren. Sie sind bei der Planung einer Reise gestresst, weil sie die „richtige“ Zeit für die touristische Aktivität auswählen wollen (z. B. Besuch einer Attraktion in der wenig frequentierten off-season), oder weil sie unsicher sind, wie viel Zeit „genug“ ist, um einen Ort hinreichend erlebt zu haben (vgl. Dickinson & Peeters 2014, S. 13). Zudem muss die Zeit für An- und Abreise sowie Transfers in einem angemessenen Verhältnis zur Aufenthaltszeit in der Destination stehen, sonst droht im Tourismus Frustration, ebenso wie beim - gerade unter der Maßgabe nur kurzer Aufenthaltszeiten - als ener‐ vierend wahrgenommenen Anstehen vor Attraktionen. (vgl. Pearce-2020) Andererseits jedoch würde ich die Endlichkeit der Zeit für touristische Erlebnisse auch als sinnstiftend wahrnehmen wollen. Dies liegt-… ● erstens am Umstand, dass sie strukturgebenden Charakter hat: Wer nur über eine beschränkte Anzahl von Urlaubstagen verfügt, kann das touristische Erlebnis bewusst als Gegenwelt wahrnehmen und als solche konzentriert für sich nutzen (als Auszeit, wie ich in meiner letzten E-Mail beschrieb), selbst wenn die Erreichung des Nutzens mit Anstrengung (i. e. Leid, wie beschrieben) verbunden ist. Personen, die im Unterschied dazu kontinuierlich reisen (z. B. Schausteller oder „moderne Nomaden“), werden aufgrund ihrer andauernden Konfrontation mit der Fremde einen ganz anderen Zugang zum Tourismus haben - parallel zu Phänomenen, die bei Menschen beobachtet werden können, die stets frei haben: Bei Erwerbslosen konnte gezeigt werden, dass wer immer nur „Freizeit“ hat, oftmals Probleme bei der Strukturierung seiner Zeit verspürt (vgl. Köller-2006). ● zweitens an der durch sie erzeugten Wertigkeit: Wer nur wenige Tage in einer Destination weilt, ist typischerweise gewillter, diese zu 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 73 <?page no="74"?> erkunden, als jemand, der lange Zeit vor Ort ist. Im Extremfall mag sogar der Eindruck entstehen, dass Einheimische weniger Attraktionen ihrer Heimat kennen als die Touristinnen und Touristen. Die knappe Zeit wirkt - insbesondere wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man sich nur einmal in seinem Leben am Ort aufhalten wird - als Anreiz zur Aktivität. Die einzelne in der Destination verbrachte Zeiteinheit steigt demnach in ihrem (Erlebnis-)Wert. Nicht umsonst übersetzt man „Urlaub“ im Englischen mit holidays - wörtlich übersetzt also die „heiligen Tage“ (vgl. Mundt 2013, S.-131ff.). ● drittens an der Freiheit, die sie erlaubt: Wer nur einen Teil seines Lebens mit Urlaub verbringt, kann in dieser Zeit auch eine Auszeit von sich selbst nehmen. Im touristischen Kontext ist es den Menschen möglich, sich für eine gewisse Zeit außerhalb alltäglicher sozialer Zwänge zu bewegen. Spontan denke ich da an Menschen, die ihren Jahresurlaub auf einem Musikfestival (z. B. Rock am Ring, Parookaville) verbringen: Sie können sich von ihren alltäglichen Rollen lösen und temporär ein Verhalten an den Tag legen, dass sie im Alltag nicht zeigen können bzw. wollen, ungewöhnliche Kleidung tragen oder nach einem Zeitmuster agieren, das von ihren Routinen abweicht. Urlaub eröffnet mithin ein Fenster für Selbstbestimmtheit, eine Periode, in der man sich austesten kann. Hierzu trägt bei, dass sie in der Fremde niemand kennt bzw. nur die kennen, die mit ihnen reisen oder die sie vor Ort kennenlernen (i. e. potenziell Gleichgesinnte). Solch ein Verhalten ist früh schon „Entfrem‐ dung“ genannt worden; Enzensberger verweist auf eine Dialektik des Tourismus: Der Reisende strebt in die Ferne, um auf das Unbekannte zu stoßen, findet dort aber v. a. sich selbst. „Während der echte Aristokrat dem Reisen um seiner selbst willen ebenso abgeneigt ist wie der Bauer, stellt der bürgerliche Parvenu als Reisender zur Schau, was ihm zu Hause versagt bleibt.“ (Enzensberger 1958) Was als Aspekt der Tourismuskritik angeführt worden ist, soll hier als Potenzial verstanden werden: „Das Reise-Ich findet in der Fremde Refugien auf Zeit und erfährt damit einen ferialen Ausstieg aus einer Welt der Zumutungen, Inanspruchnahmen und Überforderungen.“ (Luger-2022, S.-17). Man könnte nun annehmen, dass ich mit dem Vorgenannten argumentieren will, dass Tourismus notwendiger Teil eines guten Lebens ist. Das ist aber nicht der Fall. Denn die genannten Argumente für eine Sinnstiftung beruhen auf einer reinen Betrachtung der zeitlichen Komponente des Tou‐ 74 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="75"?> rismus. Der Raum dagegen, welcher - wie eingangs dargestellt - in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Tourismus immer mit betrachtet werden muss, ist unberücksichtigt geblieben. Die beschriebenen Effekte (i. e. Zeitstruktur, Zeitwert und Zeitsouveränität) könnten sich demnach auch bei Freizeitaktivitäten oder „Ferien auf Balkonien“ ergeben. Zeit zur freien Verfügung zu haben, nicht aber Tourismus, ist Voraus‐ setzung eines guten Lebens. Entsprechend ist es sinnvoll, dass Freizeit (vgl. UN 1948, Artikel 24) und Freizügigkeit (vgl. UN 948, Artikel 13.2) als eigenständige (! ) Menschen‐ rechte definiert wurden. Denn wenn auch das Recht auf Freizeit mit der Zeitkomponente des Tourismus und das Recht auf Freizügigkeit mit der Raumkomponente des Tourismus korrespondiert, so ist es ein Fehlschluss, dass diese zwingend zusammenhängend wirken müssen, wie gezeigt werden konnte (vgl. Tourism Watch 2011, S.-20ff.). Was uns doch gleich zum nächsten Aspekt bringt, denke ich: Gibt es Dei‐ ner Meinung nach eigentlich ein „Recht auf Tourismus“? Denn zumindest punktuell gibt es Anmutungen, die darauf schließen lassen könnten. Diese finden sich einerseits in der Ausgestaltung des objektiven Rechts: Der juristisch-politische Rahmen des Tourismus könnte teils so verstan‐ den werden, dass es einen Anspruch auf Teilhabe am Tourismus gibt. So verabschiedete z. B. die deutsche Bundesregierung im Mai 2021 das Pro‐ gramm „Corona-Auszeit für Familien - Familienferienzeiten erleichtern“, im Rahmen dessen Familien mit kleinem und mittleren Einkommen oder Angehörigen mit einer Behinderung Fördermittel für vergünstigte Aufent‐ halte in gemeinnützigen Unterkünften in ganz Deutschland erhalten (vgl. Link-Tipp | https: / / www.bmfsfj.de/ bmfsfj/ themen/ corona-pandemie/ coro na-auszeit-fuer-familien). Und so sind die Deutschen Jugendherbergen nicht nur von der Umsatzsteuer befreit, sondern genießen auch andere steuerliche Vorteile (z. B. sind die Kosten eines DJH-Ausweises für die Gäste als Spende von der Einkommenssteuer absetzbar) sowie Förderungen (z. B. Befreiung von der Rundfunkgebühr). Gleichzeitig könnte man andererseits auch auf Grundlage wahrgenom‐ mener Normen die Auffassung vertreten, dass die Teilhabe am Tourismus ein gesetzter Anspruch ist, denn in den Augen vieler Menschen, z. B. in Europa, Nordamerika und Asien, sind Urlaubsreisen zur Regel geworden, so dass man eine Art Gewohnheitsrecht ableiten könnte (was auch die 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 75 <?page no="76"?> Empörung erklären würde, die eintrat, als fast alle Staaten der Welt zu Zeiten der Coronapandemie die Reisefreiheit ihrer Bürger einschränkten und insbesondere Urlaubsreisen für gewisse Zeit verbaten). Ich bin gespannt, wie Du das siehst! Viele Grüße Julia 31.05.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Gibt es ein moralisches Recht auf Tourismus? Liebe Julia, herzlichen Dank für Deine Überlegungen zum Wert einer Reise aufgrund der Endlichkeit (der Reise und unseres Lebens auf Erden) und zur Zeitwahrneh‐ mung und schließlich zu einem angeblichen Recht auf Tourismus. Du fragst mich, ob ich denke, dass es ein solches Recht gebe. Für die Beantwortung möchte ich ein wenig ausholen und weitere Aussagen aus dem Globalen Ethikkodex für Tourismus der UNWTO (1999) berücksichtigen, in dem ein solches Recht behauptet wird. In Artikel 2 wird der Tourismus als „möglicher Weg zu individueller und kollektiver Erfüllung“ beschrieben. Der erste Abschnitt lautet: „Der Tourismus ist die Aktivität, die meist mit Ruhe und Entspannung, Sport sowie Kultur- und Naturerleben in Verbindung gebracht wird, und sie sollte als privilegierter Weg zu individueller und kollektiver Erfüllung geplant und praktiziert werden; mit einer hinreichend offenen Einstellung ist der Tourismus ein unersetzliches Mittel zur Selbsterziehung; er fördert die gegenseitige Toleranz und das Verständnis für legitime Unterschiede zwischen Völkern und Kulturen und ihre Vielfalt“ (UNWTO-1999, S.-6). Der Tourismus wird als „unersetzliches Mittel“ für Bildung bezeichnet. Damit kann nicht gemeint sein, dass es absolut notwendig dafür ist, sondern eben nur, dass es ein hervorragendes Mittel ist, wie ich in meinem früheren E-Mail gezeigt habe. 76 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="77"?> Im letzten Satz des zitierten Abschnitts wird behauptet, dass mit touris‐ tischen Reisen die Toleranz gefördert werde. Ob das stimmt, ist allerdings fraglich. Denn negative Einstellungen gegenüber fremden Menschen ver‐ schwinden nicht einfach dadurch, dass man in Kontakt mit fremden Men‐ schen tritt, auch wenn es dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen (siehe dazu die Anwendung sozialpsychologischer Theorien auf den Tourismus in Gursay und Çelik 2022). Auch die interkulturelle Verständigung lässt sich nicht einfach mit einer Reise verbessern, insbesondere dann nicht, wenn die Reise lediglich dem Zweck der Erholung dienen soll, denn dann möchte man sich ja gerade nicht anstrengen müssen, und interkulturelle Verständigung ist anstrengend. Wenn Tourismus notwendiger Teil eines guten Lebens wäre, dann könnte man damit auch dafür argumentieren, dass jeder Mensch ein moralisches Recht auf Tourismus hat. Die UNWTO bekräftigt ein solches Recht (UNWTO 1999, S. 2) und formuliert das Recht in Artikel 7 im ersten Absatz wie folgt: „Die Aussicht auf den unmittelbaren und persönlichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der Ressourcen des Planeten ist ein Recht, das allen Bewohnern der Welt in gleicher Weise offen steht; die zunehmend extensive Beteiligung am nationalen und internationalen Tourismus sollte als eine der bestmöglichen Formen der Nutzung der ständig zunehmenden Freizeit angesehen und es sollten ihr keine Hindernisse in den Weg gelegt werden“ (UNWTO-1999, S.-9). Die UNWTO sieht dieses Recht als Folge des Rechts auf Erholung und Freizeit, das in Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt wurde (1999, S. 10). Aber da es, wie oben bereits erwähnt, andere Formen der Erholung gibt, ist mit diesem Grund ein Recht auf Tourismus nicht hinreichend begründet. Dass der Tourismus eine der „bestmöglichen Formen der Nutzung […] der Freizeit“ sei, ist eine Annahme, die im Ethik‐ kodex nicht begründet wird und mit gutem Grund bezweifelt werden kann: Es scheint doch eine Vielzahl von Formen der Freizeitgestaltung zu geben, die nichts mit Tourismus zu tun haben und die mindestens als ebenso gute Nutzung der Freizeit gelten dürfen. Ich stimme Dir somit zu, dass man zwischen dem Recht auf Freizeit und dem Recht auf Freizügigkeit unterscheiden muss. Doch was beinhaltet das zweite? Ein Recht auf Tourismus kann nicht bedeuten, dass jeder Mensch den Anspruch auf eine Weltreise hat, denn dazu fehlen weltweit die Ressourcen. Es kann auch nicht bedeuten, dass jeder Ort auf dieser Erde von Menschen bereist werden darf, denn 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 77 <?page no="78"?> gewisse Gebiete wollen wir als Menschheit von der touristischen Nutzung gerade schützen, damit gewisse Lebensformen längerfristig erhalten bleiben. Vielleicht kann dennoch von einem Recht auf Tourismus in dem Sinne gesprochen werden, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Erkundung seiner Umwelt außerhalb des üblichen Wohnumfelds hat, dass man also keinen Menschen in ein eng begrenztes Gebiet einsperren darf. Das ist was, was man unter „Freizügigkeit“ verstehen könnte. Liebe Grüße Jonas 12.06.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Kein (! ) Recht auf Tourismus Lieber Jonas, vielen Dank für Deine Darstellungen, denen ich vollständig beipflichte und die ich nur um einen Punkt ergänzen will: Ein Gewohnheitsrecht auf Tourismus, so wie ich es zuletzt beschrieb, ist ein Trugschluss, da Tourismus noch nie eine bevölkerungsdurchdringende Praxis war: Selbst im Rekordjahr 2018 stieg z. B. die Reisebilanz der Deutschen nur auf 62-Prozent, was bedeutet, dass immerhin noch ein Drittel der Bundesbürgerinnen und -bürger gar nicht touristisch aktiv war (Stiftung für Zukunftsfragen-2019, S.-8). Gerade der internationale Tourismus ist zudem ein Luxus, am dem nur ein relativ kleiner Anteil der Weltbevölkerung Teil hat: Gemäß Schätzungen der UNWTO gehen gerade einmal 3-5 Prozent der Weltbevölkerung auf grenzüberschreitende Reisen (vgl. Tourism Watch 2011, S. 11), wobei der intraregionale Tourismus (z. B. Reisen der Europäer in Europa) 4/ 5 des Gesamtaufkommens ausmacht (vgl. BPB 2017). Auf Fernreisen gehen v. a. die ökonomischen Eliten, deren Verhalten in einer Art „Aufholjagd der Klassen“ von anderen Bevölkerungsteilen je nach Möglichkeit, die sich durch die Verfügbarkeit individueller (insbesondere verfügbares Geld und verfügbare Zeit) ebenso wie durch gesellschaftlich-po‐ litische (z. B. Frieden) und technisch-infrastrukturelle (z. B. verfüg- und 78 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? <?page no="79"?> bezahlbarer Transport) Faktoren ergibt, imitiert wird (vgl. d’Eramo 2018, S.-18). Tourismus kann in der Gesamtsicht der Betrachtungen zum „Recht auf Tourismus“ offenbar als ein erwünschter (! ) Teil eines guten Lebens erfasst werden. Ich sende Dir viele Grüße Julia 19.06.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Tourismus im weiten Sinn ist weit verbreitet Liebe Julia, ich danke Dir dafür, dass Du uns in Erinnerung rufst, dass die ausgedehnten und komfortablen Reisen in andere Länder ein Privileg der reichen Men‐ schen sind, ein Luxus, den sich nur eine Minderheit der Weltbevölkerung überhaupt leisten kann. Millionen von Menschen weltweit befinden sich auf der Flucht, sind obdachlos oder sind unterwegs mit dem Ziel, an einem anderen Ort einen neuen Lebensmittelpunkt aufzubauen. Du nennst auch einige beeindruckend niedrige Zahlen. Allerdings folgt aus diesen nicht, dass tatsächlich nur so wenige Menschen touristisch aktiv sind, sondern lediglich, dass nur so wenige in der Statistik erscheinen. Wenn wir einen weiten Begriff von Tourismus voraussetzen (siehe oben, am Ende von → Kapitel 2), dann sind der Besuch einer Freundin im Nachbarsdorf, das Schlendern über den Markt in der übernächsten Stadt oder eine Wanderung auf einen nahegelegenen Hügel touristische Reisen. Solche zeitlich und räumlich stark begrenzten Reisen unternehmen sehr viele Menschen auf der ganzen Welt, nicht nur in reichen, sondern auch in ärmeren Ländern. Sie gehören zum Leben sehr vieler Menschen. Dass sie auch zu einem guten Leben gehören - dafür haben wir beide einige Argumente geliefert. Liebe Grüße Jonas 3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens? 79 <?page no="81"?> 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 04.07.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Reisen als ästhetische Erfahrung Liebe Julia, wir müssen uns unbedingt noch mit Tourismus als ästhetischer Erfahrung auseinandersetzen! Das Reisen selbst, also die Tätigkeit der gezielten Orts‐ veränderung, hat - wie im letzten Kapitel erläutert - Einfluss auf unsere Zeitwahrnehmung. Es führt zu einer intensiveren Wahrnehmung der Um‐ welt in der Gegenwart. Aber gewisse Formen des Reisens bieten noch mehr: Sie haben das Potenzial zu einer ästhetischen Erfahrung. Was ist eine ästhetische Erfahrung? Was eine ästhetische Erfahrung genau ausmacht, ist eine philosophische Frage, die sich nicht einfach beant‐ worten lässt. Worum es geht, lässt sich jedoch leicht erklären: Wenn wir eine ästhetische Erfahrung machen, sind wir von einer Sache in gewisser Weise emotional berührt. Wir machen zum Beispiel eine ästhetische Erfahrung, wenn wir einen Sonnenuntergang als schön empfinden, wenn wir die Spannung in einem Roman spüren, oder wenn uns Inhalt und Form eines Gemäldes verstört. Die Beispiele zeigen, dass der Gegenstand ästhetischer Erfahrungen sowohl natürlich als auch künstlich erzeugt werden kann und dass er sowohl mit der Wahrnehmung des konkreten Objektes wesentlich verbunden sein kann (wie im Falle eines Gemäldes) oder auch nicht (wie im Falle von Literatur, bei der wir durch das Lesen eine Vorstellung bilden, die nichts mit den Buchstaben gemein hat). Was uns auf einer Reise berührt, ist oftmals die Landschaft. Wir empfin‐ den sie als „schön“. Das wirft gleich die Frage auf, was Schönheit ist, und auch zu dieser Frage gibt es eine lange philosophische Debatte (Sart‐ well 2022). Nach klassischer Auffassung ist ein Gegenstand schön, wenn sich die Teile zu einem wohlgeformten Ganzen fügen, gemäß Prinzipien der Proportion, der Harmonie, der Symmetrie. Darauf lässt sich jedoch <?page no="82"?> erwidern, dass wir auch Gegenstände in der Natur, die die verschiedensten Formen und Proportionen haben, als schön empfinden, etwa Blumen und Schwäne, wie Edmund Burke (1757) bemerkt. Das Schöne hat vielmehr, so würden wir sagen, mit einer Empfindung zu tun, damit, dass es in uns ein angenehmes Gefühl auslöst, dass es uns gefällt (Hume 1740). Doch nicht alles, was uns gefällt, würden wir als „schön“ bezeichnen. Und wenn wir etwas „schön“ nennen, so drücken wir damit ein Urteil aus, mit dem wir nicht nur sagen wollen, dass es uns gefällt. Nach Immanuel Kant (1790) unterscheidet sich das Schöne vom bloß Angenehmen dadurch, dass wir es ohne ein persönliches Interesse am Gegenstand betrachten; es ist, wie Kant sagt, ein „interesseloses Wohlgefallen“. In der Ästhetik der Neuzeit wird vom Schönen auch das „Erhabene“ (Engl. sublime) unterschieden. Wir können eine Landschaft, die Natur als erhaben empfinden, wie Edmund Burke (1757) und Immanuel Kant (1790) erläutern. Der betrachtete Gegenstand löst in uns nicht nur ein angeneh‐ mes Gefühl aus, sondern auch eines der Ehrfurcht, vielleicht sogar des Schreckens. Zum Beispiel wenn wir einen mächtigen Berg betrachten - die Beschreibung als „mächtig“ verweist bereits darauf, dass wir dem Gegenstand eine gewisse Macht zuschreiben. Die Spitze mag hoch über uns in den blauen Himmel ragen, sie mag beschneit sein und im Abendrot leuchten oder von Nebelschwaden umhangen sein. Es geht ein gewisser Schrecken von dem Berg aus, und zugleich verspüren wir keine Furcht vor ihm, sondern nehmen ihn aus der Distanz wahr, ohne von irgendeiner Gefahr real betroffen zu sein. Gehen wir auf eine touristische Reise, so machen wir oftmals nicht nur Erfahrungen des Schönen, sondern auch des Erhabenen. Das Erleben einer ästhetischen Erfahrung kann auch gerade der Zweck einer touristischen Reise sein. Die Reise im engeren Sinn, d.-h. die Ortsver‐ änderung bzw. der Aufenthalt und die Eindrücke im Transferraum, kann Auslöser der Erfahrung sein: eine Fahrt mit der Bahn, zum Beispiel durch die Alpen in der Schweiz, auf einem Schiff, zum Beispiel in den Fjorden Norwegens, im Automobil, zum Beispiel auf den touristischen Straßen in den USA, oder mit dem Fahrrad, zum Beispiel an der Donau entlang, oder auch - die älteste Form der Fortbewegung - zu Fuß unterwegs von Ort zu Ort. An dieser Stelle ist auf den Spaziergang hinzuweisen. Der Spaziergang ist ein Gehen, das man nicht mit dem Ziel verfolgt, an einen bestimmten Ort zu gelangen, sondern dass man um des Gehens willen unternimmt. Man kann sich natürlich ein bestimmtes Ziel vornehmen - ich gehe bis zu jenem Baum 82 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="83"?> und wieder zurück oder ich mach den Rundweg um den Teich -, aber das Entscheidende ist das Gehen. Man genießt das Herumgehen. Man kann das Spazierengehen mit Gesprächen verbinden, eine Form, die seit der Antike bekannt ist. So spricht zum Beispiel Sokrates zu seinen Schülern in den Beschreibungen bei Platon im Gehen, und wir können uns die Philosophen im Garten Epikurs als lustwandelnd vorstellen. In der Neuzeit wurden Gärten und Parks dafür angelegt, dass Adelige darin spazieren konnten, und im 18. Jahrhundert kam das Spazierengehen auch unter Bürgerlichen in Mode und ist seither in vielen Gesellschaftsschichten verbreitet. Eine spezielle Art des Spaziergängers ist der Flaneur. Der Flaneur ist einer, der ziellos durch die Straßen von Großstädten geht, der sich treiben lässt, der aufmerksam und zugleich mit einer gewissen Gleichgültigkeit seine Umgebung beobachtet und darüber reflektiert. Walter Benjamin beschreibt eine Erfahrung des Flaneurs in den Boulevards von Paris wie folgt: „Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschierte. Das Gehn gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt; immer geringer werden die Verführungen der Läden, der bistros, der lächelnden Frauen, immer unwidersteh‐ licher der Magnetismus der nächsten Straßenecke, einer fernen Masse Laubes, eines Straßennamens. Dann kommt der Hunger. Er will nichts von den hundert Möglichkeiten, ihn zu stillen, wissen. Wie ein asketisches Tier streicht er durch unbekannte Viertel, bis er in tiefster Erschöpfung auf seinem Zimmer, das ihn befremdet, kalt zu sich einläßt, zusammensinkt.“ (Benjamin-1940/ 1982) Der die ästhetische Erfahrung auslösende Gegenstand kann sich auf der Reise zeigen, er kann sich aber auch am Destinationsort befinden. Es kann ein Naturphänomen (ein Berg, ein Wasserfall, eine Düne, ein Gletscher, ein Korallenriff etc.), ein Kunstwerk (ein Gemälde, eine Statue, ein Gebäude, ein Theater, ein Tanz etc.) oder eine Verbindung von beidem (etwa ein Schloss eingebettet in eine Landschaft) sein. Oftmals ist die Erfahrung wesentlich mit einer Tätigkeit verbunden: Eine Wanderung im Gebirge, eine Skiabfahrt, ein Tauchgang entlang eines Korallenriffs, ein Segelflug, eine Droschkenfahrt durch die historische Altstadt etc. Landschaften oder allgemein Naturphänomene sind ebenso wie Kunst‐ werke oftmals der Zweck der touristischen Reise. Sie sind das, was man an dem Ort sehen will. Mit einem Wort: Sie sind eine Sehenswürdigkeit. Kunstwerke haben diese Funktion mindestens seit der Grand Tour. Waren es zu Beginn nur wenige, die sich eine Reise zu den berühmten Sehenswür‐ digkeiten leisten konnten, wurde dies mit der Zeit immer mehr zu einem 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 83 <?page no="84"?> Massenphänomen. In den letzten Jahrzehnten kann man feststellen, dass dies ebenfalls für klassische Kunstwerke gilt. Der Louvre, das meistbesuchte Museum der Welt, hatte Anfang der 1980er-Jahre jährlich 2,5 Millionen Besucherinnen und Besucher, in den 1990er-Jahren jährlich ca. 5 Millionen und mittlerweile, im Jahr-2019, fast 10-Millionen. Nun, welche Gedanken hast Du, liebe Julia, zum Zusammenhang von Tourismus und ästhetischer Erfahrung? Viele Grüße Jonas 01.08.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Betrachtungsperspektiven der Ästhetik auf den Tourismus bezogen Lieber Jonas, vielen Dank für die Anregung! Ich habe tatsächlich große Lust, mich mit dem Thema Ästhetik im Tourismuskontext zu beschäftigen, denn es drängen sich in diesem Zusammenhang doch gleich einige Themen auf. Spontan denke ich an die dem Tourismus eigene Ästhetik, die z. B. im besonderen Kleidungsstil von Reisenden zum Ausdruck kommt: So soll man den deut‐ schen Touristen im Ausland zumindest nach verbreiteter Auffassung an den weißen Tennissocken in den Sandalen erkennen-… Doch, Spaß beiseite, lass mich versuchen, meine Stellungnahme etwas klarer zu strukturieren. Im Folgenden will ich mich der Beantwortung dreier Leitfragen widmen, um zentrale Betrachtungsperspektiven der Ästhetik aus philosophischer Sicht (vgl. Paetzold-1984) abzudecken: ① Wie gestaltet sich die sinnliche Wahrnehmung im Tourismus? Grundlage jeder ästhetischen Erfahrung ist die sinnliche Wahrnehmung, also die Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesreizen (z. B. Tönen, Gerü‐ chen). Eine spezifisch „touristische Wahrnehmung“ existiert nicht, denn un‐ sere Sinnesorgane funktionieren im Urlaub nicht anders als zuhause. 84 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="85"?> Gleichzeitig können jedoch Unterschiede in der Auswertung von Sinnesein‐ drücken nicht von der Hand gewiesen werden. So kennt man das Phänomen, dass z. B. der Retsina-Wein, der auf der griechischen Ferieninsel noch so gut gemundet hat, daheim plötzlich nicht mehr schmeckt. Die Erklärung hierfür ist, dass sich die der Wahrnehmung zugrunde liegende Haltung mit der Rückkehr in die Heimat gewandelt hat (vgl. Seyfarth 2008, S. 1f.) - die Bewertung des Geschmacks fällt also anders aus, weil man nicht mehr in „Urlaubslaune“ ist. Gemäß psychologischen Studien entsteht diese „touristische Haltung“ durch das unmittelbare Erleben in der Destination, also die Verarbeitung von Sinnesreizen, für die Menschen im Urlaubskontext durch die ungewohnte Umgebung und die Vielfalt neuer Eindrücke besonders sensibilisiert sind (vgl. Mandel 2013, o. S.) bzw. nach denen sie im Tourismuskontext gezielt suchen (vgl. Zschocke 2021, S. 5). Zusammengenommen erzeugen die aufgenommenen Sinnesreize Gefühle und Stimmungen, welche wiederum die Basis für die touristische Haltung bilden (vgl. Herrmann 2016, S. 137), in welcher der griechische Wein dann eben schmeckt. Wie bereits hergeleitet (→ S. 56 f.) ist die Ganzheitlichkeit der touristi‐ schen Erfahrung dabei besonders bedeutsam: Alle Sinne werden angespro‐ chen (vgl. Osti 2019, S. 80). Im sog. Experience-Design, einer der zentra‐ len Strategien des Tourismusmarketings, steht entsprechend die planvolle Gestaltung externer Stimuli im Fokus, um die (sinnliche) Wahrnehmung touristischer Erlebnisse besonders eindrücklich ausfallen zu lassen (vgl. Agapito et al. 2022, S. 1ff.). Dies fußt auf der Auffassung, dass speziell eine multisensorische Erfahrung im Tourismus zu einem sog. place attachment führt, also einem Gefühl der Verbundenheit des Gastes mit der von ihm besuchten Destination (vgl. Correia et al. 2017, S. 166 und Dias et al. 2017, S. 181). Es ist demnach schlüssig, dass sich in der touristischen Praxis z. B. die bayerische Destination Inn-Salzach „Region der Sinne“ nennt (Link-Tipp | https: / / www.inn-salzach.com/ regiondersinne) und z. B. ein deutscher Reiseveranstalter mit nachhaltigen Angeboten „Reisen mit Sinnen“ heißt (Link-Tipp | https: / / www.reisenmitsinnen.de/ ). An anderer Stelle nimmt man allerdings deutlich von der Position Abstand, dass Tourismus „multisensorisch“ wahrgenommen wird. Ge‐ mäß dem Soziologen John Urry ist Tourismus v. a. als visuelle Praxis zu erfassen: Während Touristinnen und Touristen z. B. olfaktorischer (z. B. Gerüche fremder Speisen) oder akustischer (z. B. Muezzin, der 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 85 <?page no="86"?> die Gläubigen zum Gebet ruft) Reize schnell überdrüssig werden (vgl. d’Eramo 2018, S. 40), konsumieren sie mit andauernder Begeisterung Anbzw. Aussichten. Besonders ist im Tourismus dabei, dass die visuellen Eindrücke von Profis gestaltet werden, wobei sich diese im Zeitverlauf gewandelt und ausdiffe‐ renziert haben: Wurde „The Tourist Gaze“ (vgl. Urry 1990/ 2002/ 2011) in den Anfängen des Tourismus v. a. noch von Forschungsreisenden, Poeten und Malern geprägt, die mit ihren Werken die Fremde beschrieben und damit Bilder schufen, die Reisende „mit eigenen Augen sehen“ wollten, wird diese Rolle in der heutigen Zeit von einer ganzen Reihe vielfältiger Akteure übernommen, die parallel agieren: Anbieter von Unterkünften in der Destination sowie DMOs, Reiseveranstalter und Reisebüros, aber auch Medienschaffende für TV, Kino und Internet (man denke an die sog. „Travelblogger“) organisieren und systematisieren das „Sehenswerte“ im Tourismus. Dabei werden sie gleichermaßen von ihrer eigenen Intention (i. e. ökonomische Interessen, aber auch Ansprüchen z. B. an ein eigenes Selbstbild oder Gemeinwohlinteressen) sowie vom gesellschaftlichen Kon‐ text (z.-B. Globalisierung, Digitalisierung) angetrieben: „The act of capturing a scene, either with the eye, the brush, or camera, or through building and shaping the constituent elements is caught up in the cultural values, practices, habits, and norms of those who have shaped the scene, and the interpretation of the viewers.“ (Knudsen et al.-2015, S.-180) Als Besichtigungselemente werden demnach typischerweise solche insze‐ niert, die mit der Kultur der Gastgeberseite verknüpft sind, von denen man aber gleichzeitig auch annimmt, dass sie a) die Besucherschaft interessieren (aber nicht überfordern! ), b) möglichst konfliktfrei „beschaut“ werden kön‐ nen und c) langfristig (positive! ) Erinnerungen hervorrufen. Ein Tourist ist vor diesem Hintergrund „eine Person, die auf eine be‐ stimmte Weise schaut“ (Groebner 2020, S. 14). Gerade dem Massentourismus wird vor diesem Hintergrund nachgesagt „visuell überzeichnet“ zu sein: Um den Effizienzansprüchen (i. e. viel sehen in wenig Zeit zu kleinem Preis) dieser Tourismusart gerecht zu werden, wird ein solch starker Fokus auf die perfekt gestaltete Szenerie gelegt, dass das touristische Erlebnis nur noch einem Zerrbild der Realität entspricht. Anstatt ein umfassendes Gesamtbild zu präsentieren, wird potenziell simplifiziert (z. B. Präsentation nur des Volks der Navajo bei Darstellungen zu den Ureinwohnern der USA in einem 86 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="87"?> Museum), verfälscht (z. B. Inselrundfahrt in der Karibik, bei welcher der Bus nur an speziell für die Touristen hergerichteten Orten hält), romantisiert (z. B. Darstellung von Kuba in Katalogen durch Oldtimer und Zigarren rauchende Senioren) und mit einer gewissen Beliebigkeit gearbeitet (z. B. architektonisch genau gleiche Gestaltung von Hotelresorts in verschiedenen Destinationen). Die touristische Wahrnehmung wird dann als verarmt, da trivial und oberflächlich, bewertet (vgl. Todd-2009, S.-163ff.) Doch ist dieses (vernichtende …) Urteil angemessen? Meiner Meinung nach zumindest zum Teil nicht. Denn die sinnliche Wahrnehmung im Tourismuskontext findet nicht nur punktuell und gegenwartsbezo‐ gen, im Moment der Besichtigung einer Sehenswürdigkeit, sondern vielmehr auch in zeitlich ausgedehnten Reflexionsschleifen (zur cha‐ rakteristischen Reflexivität ästhetischer Erfahrung vgl. Paetzold 1984, S. 34ff.), konkret in Erinnerungen (aber auch bereits in der Vorberei‐ tungszeit vor der Reise) statt: Touristinnen und Touristen nehmen Eindrücke mit nach Hause, besprechen sie mit Mitreisenden sowie daheim gebliebenen Freunden, Familienmitglie‐ dern, Kolleginnen und Kollegen sowie der Nachbarschaft und setzen sie im Zeitverlauf, mit zunehmender Reiseerfahrung, immer weiter zu einem großen Bild zusammen („hier in [Destination 99] sieht es ja fast so aus wie in [Destination 2]“ - „ja, das liegt daran, dass wir uns hier auch nahe dem Äquator/ in einer muslimischen Gesellschaft/ in einem Hotel der XYZ-Kette befinden“). Die touristische Wahrnehmung dient mithin der Entwicklung eines individuellen Weltbilds, was in der Literatur auch truth making (Knudsen et al.-2015, S.-188) genannt wird. Der Tourist „sucht eine Bestätigung dessen, was er gelesen hat, eine Gegenprobe zu den Bildern, die er in den Zeitungen gesehen hat, von Abbildungen kennt. […] Der Nutzen des Reisens besteht [demgemäß] im Vergleichen (folglich Abgleichen, Korrigieren, Modifizieren) des Gesehenen mit dem, was man sich zuvor vorge‐ stellt hat“ (d’Eramo-2018, S.-43f.). Einen solchen Vorgang als oberflächlich abzustempeln, erscheint nicht geboten, da er eine - ggf. sogar sehr intensive - Verbindung zwischen dem Außen/ der erlebten Umwelt und dem Innen/ der Sinnes- und Gefühlswelt sowie dem Intellekt des Individuums herstellt. Eine Bewertung des im Einzelfall Geschauten (und sei es auch z. B. Foodporn) mag ich mir nicht 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 87 <?page no="88"?> herausnehmen, da dies an eine Kulturkritik grenzen würde, die hier nicht unser Thema ist. Bezüglich der sinnlichen Wahrnehmung soll stattdessen er‐ fasst werden, dass „Tourismus aus Städten, Industriegebieten, insbesondere aber aus Naturräumen touristisch bedeutsame Orte [macht], die sinnlich erschlossen und emotional angeeignet werden“ (Luger-2022, S.-19). Die Dominanz der visuellen Sinnesreize kann indes zudem über die Charakteristik des touristischen Produkts erklärt werden: Da Tourismus‐ leistungen v. a. Dienstleistungen und dadurch immateriell sind, kauft der Kunde ein Leistungsversprechen, das erst zu einem späteren Zeitpunkt eingelöst wird. Abbildungen z. B. in Reisekatalogen können vor diesem Hintergrund als Surrogat für eine Warenprobe verstanden werden. Zudem dienen „Ansichten“ als Indikator für die Leistungserfüllung: Wenn alles (in der Form) gezeigt wurde, was sich der Reisende vor Reiseantritt versprach, ist dieser befriedigt, da das Produktversprechen eingelöst wurde. (vgl. Herrmann-2016, S.-88f.) ② Welche Empfindungen gehen mit den Sinnesreizen im Tourismus einher? Die Mehrheit bestehender Erklärungsansätze zum Reiseverhalten basiert auf der Annahme, dass Menschen innere Motive bzw. Wünsche haben, die sie zur Teilhabe am Tourismus bewegen - Reisen soll diese Motive befriedigen (vgl. Herrmann-2016, S.-8ff. und vgl. Groebner-2020, S.-26ff.). Entsprechend kann meiner Meinung nach angenommen werden, dass die zentrale „touristische Empfindung“ im Gefühl der Freude (bzw. Zufriedenheit, die allerdings keine der sieben Grundemotionen ist, vgl. Ekman-2016) besteht, die bei der Motivbefriedigung eintritt. Dies geht Hand in Hand mit dem Konzept der „Urlaubslaune“, das - wie zur letzten Frage hergeleitet - aus den unmittelbaren Sinnesreizen im Tourismuskontexts entsteht, dabei aber auch von „der individuellen Ansprechbarkeit [des Touristen] auf entsprechende Reize und von der dargebotenen Reizstärke“ (Herrmann 2016, S. 138) abhängt. Mit anderen Worten: Die durch den Tourismus entstehende Freude ergibt sich, wenn einerseits das Individuum dem Tourismus zugänglich ist (vgl. Ausführungen zur Relevanz der Einstellung des Reisenden, → S. 67) und andererseits eine angemessene Dosierung der Reize gelingt (vgl. Darstellungen zur touristic bubble, →-S. 66). 88 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="89"?> Das angestrebte Empfindungsergebnis, welches man auch „Urlaubs‐ glück“ nennen könnte, ist damit von inneren ebenso wie von äußeren Bedingungen abhängig, die miteinander korrespondieren. Entsprechend tritt gemäß d’Eramo das Gefühl des Urlaubsglücks ein, wenn der Tourist ein Bauwerk, einen Landstrich, ein Kunstwerk o. Ä. besichtigt, welche/ r durch einen sog. Marker als sehenswert ausgezeichnet worden sind/ ist. Als Marker sind in diesem Zusammenhang alle denkbaren Infor‐ mationen zu verstehen, die darauf hinweisen, dass es sich bei einem besich‐ tigten Element um eine Sehenswürdigkeit handelt. Das können offizielle Auszeichnungen wie die Sterne im Michelin-Führer oder der UNESCO Welt‐ erbe-Status sein, aber auch - mehr oder weniger umfangreiche - öffentliche Beschreibungen, z. B. in Museumsführern, wissenschaftlichen Abhandlun‐ gen oder auch Wikivoyage-Artikeln. Zudem sind markierte Attraktionen oft selbst wieder Marker für die Destination, in der sie zu finden sind. Der Ort wird der sehenswerte Umgebungsraum der Sehenswürdigkeit. Eine Art Kette von ineinander verschachtelten Markern ist daher typisch (z. B. Mona Lisa → Louvre → Paris → Frankreich). Für die Ebene der Empfindungen ist in diesem Kontext relevant, dass die Marker soziale Konstrukte sind: Die Gesellschaft zeichnet mit ihnen aus, was der Aufmerksamkeit wert ist (d’Eramo 2018, S. 50ff.). In einem pluralistischen Miteinander sollte es dann nicht verwundern, dass dies dann auch Orte wie der städtische Untergrund (z. B. Berliner Untergrund, vgl. Link-Link-Tipp | https: / / www.berliner-u nterwelten.de/ fuehrungen/ oeffentliche-fuehrungen.html) oder Gefängnisse (vgl. Alcatraz in Kalifornien) sein können. Mithin leite ich ab, dass das Urlaubsglück sozial konstruiert ist - der Tourist verspürt Freude auch deswegen, da er etwas sieht, das ihm von anderen (! ) empfohlen wurde, und weil er nach der „Ansicht“ wiederum Empfehlungen aussprechen kann (zur sozialen Konstruktion des Reisens, vgl. Kolland-2006, S.-248). Das Urlaubsglück geht entsprechend mit Bedürfnissen des Dazugehörens, der Wertschätzung, des Austauschs und des Beitragens einher. Man kann „mitreden“ und gehört zum Kreis derer, die das Schauenswerte - individuell definiert von der Peergroup, in der man sich bewegt, oder festgelegt durch Globalempfehlungen, z. B. Bücher wie „1000 Places to see before you die“ (vgl. Schultz-2012) - geschaut haben. 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 89 <?page no="90"?> ③ Was wird im Tourismus als anziehend/ abstoßend empfunden und warum? Ganz grundsätzlich betrachtet erscheint es im Tourismus ebenso sinnlos wie in allen anderen Bereichen des menschlichen Lebens nach einem universellen Schönheitsbegriff, allseits gewünschtem Ideal oder generellen Werturteil zu suchen, denn „Schönheit [als] grundlegende Qualität alles Lebendigen“ (Paetzold 1984, S. 33) liegt nun einmal im Auge des Betrachters. Dasselbe Urlaubserlebnis kann von verschiedenen Personen ganz un‐ terschiedlich interpretiert und bewertet werden - was den einen anzieht, stößt den anderen ab. Spätestens allerdings, wenn man sich den Grad an Standardisierung im Tourismus bewusstmacht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass im Tourismus offenbar Dinge existieren müssen, die alle Reisenden gleicherma‐ ßen attraktiv finden, da sie immer wieder reproduziert werden. So verbinden z. B. Kreuzfahrtrouten eine Auswahl der stets gleichen Häfen und so ähneln sich z. B. Hotelzimmer oft bis ins kleinste Detail. Hintergrund solcher Vereinheitlichung sind gerade im industriell organisierten Massentourismus ökonomische Beweggründe. Die Standardisierungen basieren also auf Effi‐ zienzerwägungen u. a. der Logistik (nur wenige Häfen sind dazu fähig, die Kreuzfahrtschiffe einer „massentauglichen“ Größe zu angemessenen Konditionen aufzunehmen und zu versorgen) und des Einkaufs (z. B., wenn eine Reederei eine größere Anzahl von Hafentagen abnimmt, ergeben sich Skaleneffekte, d. h., es kann ein vergünstigter Durchschnittspreis verhandelt werden). Zudem werden sie zum Teil im Sinne des Qualitätsmanagements umgesetzt. In der Hotellerie dient eine Vereinheitlichung der Zimmer, gerade wenn man verschiedene Standorte einer Kette vergleicht, der Ab‐ sicherung gegen eine Enttäuschung des Kunden - er kann sich sicher sein, dass alle Zimmer einer Hotelkette denselben Standard bieten (vgl. Herrmann-2016, S.-139ff.). Gerade dieses Erwartungsmanagement erscheint mir hier relevant zu er‐ wähnen, denn dass Leistungen im Tourismus immer wieder nach denselben, erfolgsversprechenden Mustern vermarktet werden (vgl. Groebner 2022, S. 37), basiert auf der Annahme, dass touristische Angebote nicht nur vergleichbar sein sollen (vgl. Wiesner 2022, S. 43ff.), sondern auch einer gewissen Leistungscharakteristik zu entsprechen haben. 90 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="91"?> Mithin existiert zwar kein universeller Schönheitsbegriff im Touris‐ mus; man geht aber - ökonomisch motiviert - recht einhellig davon aus, dass touristische Leistungen einem allgemeingültigen Anspruch zu entsprechen haben. Vorherrschende Meinung ist diesbezüglich, dass Tourismusprodukte heute als Erlebnisse verstanden und entsprechend gestaltet werden müssen: Aufgrund gesellschaftlicher (z. B. Wandel der Arbeitsbedingungen und zunehmende Reiseerfahrenheit) sowie psychosozialer Entwicklungen (z.-B. Wandel der wahrgenommenen Arbeitsbelastung und/ oder Autonomie in Freizeit und Alltag) hat sich das wichtigste Verkaufsargument von der natürlichen Ressource in den Destinationen über den Preis und die Qualität hin zum persönlichen Erlebnismehrwert entwickelt (vgl. Weiermair 2006, S. 13ff.). Erfolg in der touristischen Vermarktung wird als abhängig davon gesehen, dass ein „Ereignis im individuellen Leben eines Menschen [ge‐ schaffen wird], das sich vom Alltag des Erlebenden so sehr unterscheidet, dass es ihm lange im Gedächtnis bleibt“ (Grötsch 2006, S. 50). Wichtig ist der langfristige Eindruck, den der Tourismus beim Individuum hinterlässt: „Der Kern der Attraktivität liegt also nicht im Erscheinen, sondern im Bedeuten.“ (Seyfarth-2008, S.-3) Bezüglich des Leitgedankens der optimalen Ausgestaltung von touristi‐ schen Erlebnissen stehen sich vor diesem Hintergrund zwei Prinzipien gegenüber: Während die einen nach Authentizität verlangen, sehen andere in der Inszenierung den richtigen Ansatz. Vertreter der Authentizität gehen davon aus, dass sowohl Reisende als auch Gastgeber es generell bevorzugen, wenn das „Andere“ im Tourismus möglichst „echt“ erlebt wird. Was genau das meint, wird unterschiedlich interpretiert. Meist wird aber entweder darauf abgestellt, dass touristische Erlebnisse Reisenden einen Blick auf das „Ursprüngliche“ ermöglichen (z. B. ein Schloss aus dem Mittelalter „im Originalzustand“ oder ein Event „so wie es schon vor 500 Jahren gefeiert wurde“) bzw. dass es durch die Reise zu einem „aufrichtigen“ Kontakt zwischen den Gästen und den Gastgebern kommt, bei dem die Touristen den Eindruck haben, zumindest temporär „dazuzugehören“ und bei dem die Gastgeber sich nicht übervorteilt oder vorgeführt fühlen (vgl. Schäfer-2015, S.-27 ff.). 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 91 <?page no="92"?> Der Anspruch auf Authentizität im Tourismus impliziert damit, dass die „Wahrheit“ eines Erlebnisses über seine wahrgenommene Güte entscheidet. Es darf angenommen werden, dass in Bezug auf Objekte Originale gegen‐ über Kopien vorgezogen und in Bezug auf Beziehungen unverfälschte gegenüber geschauspielerten Interaktionen bevorzugt werden. Reisende sollen analog einen höheren Mehrwert touristischen Erlebens verspüren, wenn sie z. B. den Eiffelturm in Paris im Original besichtigen, als wenn sie eine Nachbildung des Bauwerks im Park Mini-Europe in Brüssel besuchen (vgl. Taylor-2001, S.-8 sowie Bauer-Krösbacher-2019, S.-106). Verfechter der Inszenierung gehen dagegen von einem gänzlich anderen universellen Geschmacksurteil aus. Sie nehmen an, dass nicht das Erleben des Originalzustandes, sondern eines sozusagen Optimal(! )zustandes beson‐ ders positiv rezipiert wird (wobei selbstverständlich die Frage offenbleibt, wer dieses „Optimum“ definiert-…). Dieser Annahme liegen in Bezug auf die Perspektive der Reisenden psychologische Erkenntnisse zugrunde, nach denen Erlebnisse besonders zufriedenstellen, wenn sie den Erlebenden weder übernoch unterfordern. Wird ein solch wohldosierter Anspruch erreicht, so entsteht ein genuss‐ voller emotionaler Zustand, auch Flow genannt, der als Eintauchen in das Erlebnis (sog. Immersion) sowie als Harmonie von Körper und Geist wahrgenommen wird: Man ist hoch konzentriert und geht völlig in seinem Tun auf; der Moment erscheint - im positivsten Sinne dieser Begriffe - kurzweilig und spannend (vgl. Csikszentmihalyi 2018). Ein Erlebnis dieser Güte ist jedoch von vielfältigen Faktoren abhängig. Nicht zuletzt muss man die Erwartungen und Fähigkeiten des Erlebenden kennen und diese mit den Anforderungen, die man an ihn stellt, in Einklang bringen (vgl. Brunner-Sperdin-2006, S.-23ff.). Im Fokus der Inszenierung steht vor diesem Hintergrund die gezielte Gestaltung von Erlebnissen. Basierend auf einer Bedarfsanalyse findet diese im Tourismus u. a. darin Ausdruck, dass die Abläufe des Erlebens bewusst strukturiert werden. So könnte z. B. ein Besucherlenkungskonzept dafür sorgen, dass die einzelnen Teile einer Attraktion, z. B. die Räume einer Burg, in der „richtigen“ - meint: gewollten, da zum „Erlebniskonzept“ passenden - Reihenfolge besichtigt 92 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="93"?> werden. Zudem werden bei Inszenierungen generell Instrumente wie Licht, Ton, Farben und Kostüme eingesetzt, um Sinne und Emotionen anzuspre‐ chen und die Intensität des Erlebens zu steigern. In der Burg könnte dies z. B. durch eine dramatische Illumination der Burgmauern, multimediale Installationen oder Kostümführungen umgesetzt werden. Weiterhin typisch ist die Auswahl eines Leitthemas, um Kohärenz im Erleben zu erzeugen - alle Gestaltungselemente werden dann so ausgerichtet, dass sie zum Leitthema passen (vgl. Romeiß-Stracke-2006, S.-37ff.). Gerade Letzteres wird von den Verfechtern der Inszenierung auch in Bezug auf die Gastgeber als Vorteil erachtet. Mit der bewussten Auswahl eines Themas geht für sie die Chance einher, die Wahrnehmung des Touristen insofern zu leiten, als dass er möglichst viel zur Wertschöpfung beiträgt (z.-B., indem er bei der Burgbesichtigung auf jeden Fall durch den Souvenirshop geleitet wird), und ihn gleichzeitig gezielt von solchen Aspekten fernzuhalten, die man mit ihm nicht teilen möchte (z.-B. besonders schützenswerte Bereiche der Burg, die unter einer Besichtigung leiden würden/ konserviert werden sollen). Dem Tourismus ist es demnach eigen, einen „systematisch organisierten Blick hinter den Vorhang“ (Schäfer 2015, S. 25) anzubieten: Entsprechend der Theorie der staged authenticity (vgl. MacCannell-1973) ist er als Bühne zu verstehen, bei der es völlig legitim ist, dass auf der Frontstage, also dem Bereich der Bühne vor dem Vorhang, andere Dinge erlaubt/ verpönt, erwartet/ verboten oder eben angeboten/ unverfügbar sind als auf der Backstage, dem Bühnenbereich hinter dem Vorhang. Letzterer kann mit der Privatsphäre verglichen werden, in welcher der Mensch ganz er selbst sein und die Maske/ n, die er in der Öffentlichkeit trägt, fallen lassen kann (vgl. MacCannell 2011, S. 15ff.). Die Ausbildung einer „Dienstleistungskultur“ kann mithin als ein Schutzwall der „Kultur der Zielregion“ interpretiert werden, mit der Inszenierung zum potenziellen Instrument der Bewahrung von kulturel‐ len Elementen (z. B. Bräuche, Religion, Kunstgegenstände) wird (vgl. Luger 2022, S.-154). Wissen | 4-Kulturen-Schema Gemäß Thiem treffen im Tourismus vier Kulturen aufeinander, zwei auf Seite der Reisenden und zwei auf Seite der Bereisten. Diese seien im Folgenden knapp umrissen (vgl. Thiem-2001, S.-27f.): 1. In der Kultur der Quellregion sind alle Charakteristika enthalten, die Einwohner einer Tourismus generierenden Region typischerweise 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 93 <?page no="94"?> teilen. Um es an einem (sicherlich reichlich überzeichneten …) Beispiel zu illustrieren: Für „den Deutschen“ besteht ein ordentliches Alltagsfrühstück aus einer Scheibe „gutem“ Brot mit Belag und einer Tasse Kaffee. 2. Unter den Begriff der Ferienkultur fallen alle Eigenarten, die Ein‐ wohner einer touristischen Entsenderegion an den Tag legen, wenn sie auf Reisen sind. Um beim Beispiel zu bleiben: Im Urlaub ist es für „den Deutschen“ Standard, sich mehr Zeit für das Frühstück zu nehmen und sich etwas mehr zu gönnen. Er erwartet demnach Brötchen, eine Eierspeise und ein Glas Saft zum Kaffee. 3. Die Dienstleistungskultur fasst das zusammen, was Einheimische einer Zielregion im Tourismuskontext von sich präsentieren. In Bezug auf unser Beispiel: Im Hotel wird ein interkontinentales Frühstücksbuffet „aufgefahren“, um den Essenswünschen möglichst vieler Gäste zu entsprechen. 4. Als Kultur der Zielregion werden die Eigenschaften zusammenge‐ fasst, die für die Einheimischen einer Destination typisch sind. In Italien nehmen die Gastgeber selbst zum Frühstück z. B. generell nur einen Cappuccino, in den ein süßes Teilchen oder Kekse gedippt werden. Der „Frontstage“ des Tourismus könnte man aus diesem Schema Ebene 2 und 3 zuordnen, die „Backstage“ dagegen mit Ebene 1 und 4 assoziieren. Im Tourismus begegnen sich dann v. a. die Kulturen, die im bzw. für den Tourismuszweck adaptiert wurden (i. e. Ferien- und Dienstleistungskul‐ tur). Die „authentischen“ Kulturen der Reisenden und Bereisten (i. e. Ebene-1 und-4) treffen dagegen seltener aufeinander. Im Kontext der Frage, welcher der beiden Ansätze zur Gestaltung von Erlebnissen im Tourismus nun der richtige ist, wirkt meiner Meinung nach auf den ersten Blick die Authentizität überlegen, denn der Anspruch der „Wahrheit“ klingt erstrebenswert, rein, fast schon heilig (was den holi-days angemessen erscheint) und scheint mit dem Ideal des neugierigen Reisenden zu korrespondieren, das ich an anderer Stelle bereits aufgegriffen habe (→ S. 67). Entsprechend geht auch die zentrale Kritik an der Inszenierung oft in Richtung der Feststellung, dass Tourismus Stereotype und Klischees verfestigt, anstatt (interkulturelles) Lernen zu fördern (vgl. Garaeva 2012). 94 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="95"?> Fakt ist jedoch, dass das, was Touristinnen und Touristen auf Reisen als das „Andere“ präsentiert bekommen, selten dem Anspruch auf Authentizität zu 100-Prozent gerecht wird. Die Praxis zeigt vielmehr, dass die Inszenierung das dominante Ge‐ staltungsprinzip von Erlebnissen im Tourismus darstellt, was den logischen Schluss erlaubt, dass inszenierte Erlebnisse das sind, was im Tourismus als anziehend erfasst wird. Eins meiner Lieblingsbeispiele in diesem Kontext sind die in den Vereinigten Arabischen Emiraten angebotenen „Wüstenerlebnispakete“ (vgl. → Abbil‐ dung 10). Typische Bestandteile solcher Pauschalen sind eine Dünenfahrt im SUV, ein Kamelritt und ein Abendessen in einem Beduinencamp, bei dem neben Erfrischungen auch „traditionelle Musik und Tanz“ dargeboten werden, wobei Letzteres häufig eine Bauchtanzaufführung meint. Wer sich nun im Kulturkreis ein wenig auskennt, wird wissen, dass die VAE ein Land ohne Tradition im Bereich des orientalischen Tanzes sind - vielmehr passen die erotisch anmutenden Bewegungen nicht zur Alltagskultur der Emirate, in denen eine Vollverschleierung der Frauen üblich ist. Wahrscheinlich ist demnach, dass die Tänzerinnen in der Wüste z. B. aus Osteuropa oder Russland stammen und in Ägypten, wo der orientalische Tanz eine lange Tradition besitzt, ausgebildet wurden. Von einem „unverfälschten“ Erlebnis kann demnach nicht gesprochen werden. Ebenso inszeniert sind allerdings auch z. B. „Hüttenabende“ in den Alpen (welche die „Gemütlichkeit“ des Lebens auf Almen mit zünftigem Essen, Blasmusik und einer Rodelpartie hoffnungslos romantisieren, vgl. Kapelari 2018), Maori Culture Experiences (bei denen potenziell Tänze vorgeführt werden, die mit dem traditionellen Haka kaum mehr etwas zu tun haben) in Neuseeland oder Yoga-Retreats auf Bali (im Rahmen derer teils eine spirituelle Atmosphäre im Kontext v. a. fitnessorientierter Bewegungsformen konstruiert wird). Generell kann festgehalten werden, dass je strukturierter/ standardisierter ein Angebot ausfällt und je kürzer die Zeit des Erlebnisses bemessen ist, desto eher tritt eine Inszenierung ein (vgl. Taylor-2001, S.-15). 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 95 <?page no="96"?> Abbildung 10: Bauchtänzerin in Abu Dhabi | Quelle: eigene Aufnahme Julia Beelitz Die Dominanz der Inszenierung im Tourismus kann vor diesem Hintergrund mit verschiedenen Argumenten begründet werden: a) Inszenierungen ergeben sich quasi von selbst, denn, wie ich bereits hergeleitet habe (→ S. 89), ist Tourismus als Praxis des Schauens zu verstehen. Dabei ist in Anbetracht der Besuchten relevant, dass sie - ob gewollt oder nicht - durch den Tourismus Zuschauende bekommen. Denn in dem Moment, in dem man beobachtet wird, reflektiert man unweigerlich sein Verhalten - was jeder kennt, der jemals Zuschauer bei einer Routinetätigkeit hatte: Allerspätestens, wenn der Beobachtende Fragen stellt, warum man z. B. einen Arbeitsschritt in einer gewissen Weise ausführt, beginnt man sein Tun zu hinterfragen und/ oder zu begründen. Man versetzt sich in den anderen hinein und versucht, sich „mit dessen Augen zu sehen“, wobei es für den Menschen als „soziales Tierchen“ typisch ist, dass er wohlwollend betrachtet werden möchte. Wenig sollte es demnach verwundern, dass z. B. das Schächten, also das rituelle Schlachten von Tieren, so wie es u. a. im Judentum üblich ist, keine Praxis ist, die im Tourismus offen zur Schau gestellt wird, obwohl es z. B. in Israel durchaus Angebote im Bereich des food tourism gibt, die auf Authentizität setzen (vgl. Link-Tipp | https: / / www.deliciousisr ael.com/ ). 96 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="97"?> b) Speziell wenn Besuchte in der Rolle des Gastgebers stecken, wird dies potenziell zur Adaption des Verhaltens führen, was meiner Meinung nach einerseits ökonomisch erklärt werden kann (i. e. zufriedener Gast = Einnahmen, Empfehlungen etc.), andererseits aber auch Konsequenz soziokultureller Bedürfnisse ist, die u. a. auf Traditionen basieren: Gastfreundschaft bedeutet, sich so zu verhalten, dass der Gast sich wohl und willkommen fühlt. Die Ausbildung einer „Dienstleistungskul‐ tur“ ist mithin nicht nur ein Schutzmechanismus, sondern auch ein Bemühen um das Ausfüllen der Gastgeberrolle/ ein freiwilliges Entge‐ genkommen der „Ferienkultur“. Um ein letztes Mal das Beispiel zum 4-Kulturen-Schema zu bemühen: Ein Hotel könnte sich entscheiden, das interkontinentale Frühstücksbuffet durch Elemente des zielregion‐ typischen Frühstücks zu ergänzen (z. B. in Asien: Reis, Suppen etc.) oder sogar das Frühstücksangebot bewusst nur auf diese Elemente einzugrenzen, um sich vom Wettbewerb abzugrenzen. c) Mit zunehmender Reiseerfahrenheit wandeln sich die Erwartungen der Touristinnen und Touristen - jedem ist z. B. bewusst, dass asiatische Speisen, die mit der Gewürzintensität dargereicht würden, wie sie in den Ländern, aus denen sie stammen, typisch sind, für den Geschmack z. B. des durchschnittlichen europäischen Reisenden viel zu scharf wären. Inszenierungen im Sinne von Anpassungen werden demnach eher geschätzt als abgelehnt: Die Reisenden genießen den real fake (Luger 2022, S. 31), weil er sie verzaubert, verführt und dadurch für kurze Zeit entlastet (→ S 65). Entsprechend werden auch gänzlich stilisierte Angebote, so z. B. künstliche Erlebniswelten wie die Badewelt Tropical Island in Brandenburg (vgl. Link-Tipp | https: / / www.tropica l-islands.de) oder die Themenhotels in Las Vegas (z. B. Link-Tipp | htt ps: / / www.venetianlasvegas.com/ ) begrüßt. d) Zuletzt darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Authentizität gesell‐ schaftlich konstruiert ist und Objekten, Prozessen, Orten etc. zugewiesen wird. Ändert sich die Gesellschaft, so wandelt sich potenziell auch das Konzept der Authentizität. Was heute als Inszenierung wahrgenommen wird, kann demnach morgen schon als „die neue Authentizität“ gelten (vgl. Osti 2019, S. 75 und Bauer-Krösbacher 2019, S. 106f.). Das wiederum kann auf den Tourismus übertragen werden. Die Vorstellung, Touristin‐ nen und Touristen könnten reisen, ohne einen Wandel von z. B. Räumen und Traditionen herbeizuführen, ist praktisch widerlegt und auch in der Theorie überholt, denn „[w]er das Unberührte findet, berührt es 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 97 <?page no="98"?> notwendigerweise und nimmt ihm so genau die Eigenschaft, die der Grund der Suche war“ (Schäfer 2015, S. 21f.). Tourismus steht als offenes System (→ S. 37) im gegenseitigen Austausch mit seinen Umwelten. Gesellschaftlicher Wandel ändert daher den Tourismus, so wie auch der Tourismus die Gesellschaft ändert. Ob eine kulturelle Entwicklung Ergebnis von Inszenierung ist oder ein Element der Authentizität darstellt, kann in diesem Zusammenhang kaum unterschieden werden (vgl. Seyfarth 2008, S. 2). Entsprechend sei darauf verwiesen, dass Bauchtanz in den VAE mittlerweile durchaus populär geworden ist, wie beispielsweise die Existenz von Schulen für orientalischen Tanz (z. B. Link-Tipp | http: / / www.bellyartdubai.com/ ) sowie von Agenturen, die Tänzerinnen u.-a. für Hochzeiten vermitteln (z.-B. Link-Tipp | https: / / www.bellaentertainment.net/ belly-dancers-for-hire/ ), belegt. Puh, Jonas, das ist eine lange Nachricht an Dich geworden … Ich bin gespannt, wie Du zu meinen Ausführungen stehst! Habe ich ggf. noch ein relevantes Thema „unter den Tisch fallen lassen“? Ich freue mich auf Deine nächste Nachricht! Viele Grüße Julia 11.08.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Bilder im Tourismus, früher und heute Liebe Julia, vielen Dank für Deine spannenden Ausführungen! Zum Begriff der Au‐ thentizität, der auch in anderen Kontexten in der Philosophie eine Rolle spielt, nur zwei allgemeine Bemerkungen. Erstens: Grundsätzlich muss man gegenüber der Idee, dass etwas das „Echte“ oder das „Ursprüngliche“ sei, Zweifel hegen, denn Dinge, die von Menschen geschaffen werden, stehen immer in einer Geschichte, haben also immer irgendwelche Vorläufer oder sind aus etwas bereits Bestehendem entstanden. Zweitens: Grundsätzlich scheint die Idee etwas für sich zu haben, dass es so etwas wie eine echte (im 98 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="99"?> Unterschied zu einer simulierten oder gespielten) Erfahrung gibt und dass jemand getreu seiner eigenen Werten handelt. Ich möchte unseren Blick noch auf etwas anderes lenken, nämlich auf Bilder. Im übertragenen Sinn, d. h. als Vorstellungen, spielen Bilder im Tourismus seit den Anfängen eine wichtige Rolle, sowohl für die Reisenden als auch die touristischen Anbieter. Die Touristinnen und Touristen haben ein Bild, eine Vorstellung davon, wie der Ort ist, an den sie reisen. Und damit verbinden sie häufig auch einen Anspruch: Der Ort soll auch so sein, und wenn er nicht so ist, sind sie enttäuscht. Die Anbieter versuchen diese Vorstellung zu beeinflussen, indem sie gewisse Maßnahmen am Ort selbst treffen und durch Werbung den Ort auf eine bestimmte Weise darstellen. In einem weiteren Sinn spielen Bilder im Tourismus auch eine wichtige Rolle, nämlich als Abbildungen. Zu den Zeiten, in denen das Reisen mühsam und mit hohen Kosten verbunden waren, so dass es sich nur wenige überhaupt leisten konnten und niemals die Zeit hatten, alle Ecken der Erde zu erkunden, dienten Zeichnungen und Gemälde dazu, dass Menschen sehen konnten, wie es an diesen anderen Orten aussah. Es gab zeitweilig sogar Gemälde, die sozusagen anstelle der Menschen auf Reisen gingen. Der österreichische Landschaftsmaler Johann Michael Sattler (1786-1847), der ein später berühmt gewordenes Rundbild Salzburgs schuf, begann damit, sog. Kosmorama zu malen, Darstellungen von Orten der ganzen Welt, und sein Sohn Hubert Sattler (1817-1904) führte die Arbeit weiter und stellte die Gemälde in vielen europäischen Staaten aus. Ende des 19. Jahrhunderts kamen die Postkarten in Mode, genauer Ansichtskarten, d. h. Postkarten mit einem Bild auf der Rückseite. Das Bild war zu Beginn ein Druck, später im 20. Jahrhundert eine Fotografie, zunächst ab den 1920er-Jahren nur in Schwarz-Weiß, ab den 1970er-Jahren dann farbig. Die häufigsten Ansichtskarten waren Topografie-Karten, d. h. sie zeigten eine Stadt, eine Landschaft oder sonst eine Sehenswürdigkeit. Diese Ansichtskarten dienten nicht nur wie die Kosmorama dazu, den Ort zu zeigen, sondern immer mehr auch dazu zu informieren, dass die Person an dem Ort war. Mit der in den 1930er-Jahren entwickelten Kleinbildkamera (35 mm-Film-Kameras), die es ohne großen Aufwand ermöglichte, praktisch überall, also auch auf Reisen, Fotos zu machen, und v. a. dann mit der Verbreitung von einfach zu bedienenden und erschwinglichen Apparaten ab den 1950er-Jahren machten immer mehr Touristen selber Fotos von den Sehenswürdigkeiten, die sie besuchten. Mit dem Aufkommen von 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 99 <?page no="100"?> digitalen Kameras ab der Jahrtausendwende wurde die Speicherung und Archivierung vereinfacht und billiger. Zu einer entscheidenden Veränderung der Funktion des Fotografierens kam es mit dem Aufkommen des Selfies, der Fotografie, die man von sich selbst vor einem ausgewählten Hintergrund macht. Der Ursprung moderner Selfies wird in den Selbstfotografien in Japan, v. a. unter jungen Frauen, in den 1990er-Jahren angesetzt. Sie sind jedoch insbesondere mit der Einführung des Smartphones verbunden, weil damit das Bild auch gleich über das Internet verschickt werden kann. Bei den Selfies, die man auf Reisen macht, geht es nicht nur darum, andere zu informieren, dass man an dem bestimmten Ort ist, sondern v. a. darum, sich selbst auf eine bestimmte Art zu inszenieren. Abbildung 11: Selfie | Quelle: © vm · iStockphoto Besonders deutlich wird dies, wenn sogar Kunstwerke als Hintergrund für Selfies verwendet werden. Man muss in diesem Fall davon ausgehen, dass der Besuch von Kunstwerken nicht in erster Linie der Bildung dient, sondern der Selbstdarstellung, der Darstellung des sozialen Status, womöglich gar als Teil einer mehr oder weniger bewussten Strategie der Selbstvermarktung. Vielleicht hast Du dazu noch einiges zu sagen, liebe Julia. Liebe Grüße Jonas 100 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="101"?> 26.08.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Souvenirs und Urlaubsbilder Grüß Dich, lieber Jonas, Du hast natürlich völlig recht: Wenn wir über ästhetische Elemente im Tourismus sprechen, kommen wir an der Thematik der Bilder nicht vorbei, denn der Tourismus ist eine wahre „Bildermaschine“ (Groebner 2018)! Dabei hast Du mit Deinen Darstellungen einerseits zu (kunden-/ anbieterseitigen) Imaginationen und andererseits zu Abbildungen (und deren Bedeutung als Surrogat oder Beleg für eine Reise bzw. als Mittel der Inszenierung) meiner Meinung nach schon die wichtigsten Konzepte aufgegriffen. Ergänzend an‐ setzen möchte ich an dem von Dir zuletzt Angesprochenen: der Fotografie. In der Tourismuswissenschaft werden Fotos häufig im Zusammenhang mit den sog. Souvenirs untersucht. Als solche sind „materialisierte Erinne‐ rungen im weitesten Sinne“ (Mandel 2013, o. S.) zu verstehen. Sie werden von Touristinnen und Touristen entweder zur eigenen Verwendung - einerseits als Nachweis der persönlichen Teilhabe am touristischen Erlebnis bzw. andererseits als Element eines der Reise nachfolgenden, gewünschten Gedenkens an das Erlebnis - oder als Geschenk für andere, typischerweise nicht an der Reise beteiligte Personen eingesammelt (vgl. Wilkins 2013, S. 40 und 45). Souvenirs dienen damit der Dokumentation der Reise und schaffen eine Verbindung zwischen der (endlichen und damit wertvollen, → S. 72 ff.) Urlaubszeit und dem Alltag (vgl. Luger 2022, S. 22f. und Groebner 2020, S.-44). Die Relevanz der Mitbringsel ist darauf zurückzuführen, dass das im Tou‐ rismuskontext Geschaute nur in absoluten Ausnahmen individuell in Besitz genommen werden kann (vgl. Mandel 2013, o. S.). Gründe dafür sind u. a. die Größe bzw. Immobilität von Attraktoren (so können z. B. die Pyramiden von Gizeh nicht einfach mit nach Hause genommen werden), ihr möglicherweise nur vorübergehendes Auftreten (ein Event oder z. B. eine Aufführung der Passionsspiele Oberammergau wird niemals wieder in exakt der individuell 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 101 <?page no="102"?> erlebten Form wiederholt werden können) und ihre ggf. gegebene Immateri‐ alität (den Sonnenschein am Urlaubsstrand kann man - leider - nicht einpa‐ cken). Souvenirs können kostenlos sein (z. B. selbst gesammelte Muscheln); häufiger sind sie jedoch kommerzielle Produkte (z. B. Kühlschrankmagnete, Tassen, Schlüsselanhänger), so dass sie mit der touristischen Aktivität des Shoppings eng in Verbindung stehen (vgl. Wilkins 2013, S. 40f.). Was genau ein Ding zum Souvenir macht, ist dabei von der Einschätzung des individuellen Reisenden abhängig: „Souvenirs are collected by individuals, by tourists, while sights are ‚collected‘ by entire societies.“ (MacCannell 1973, S. 42) Entsprechend „mutieren“ manche Dinge auch erst nach der Rückkehr von der Reise zum Mitbringsel: Die Verpackung eines Bonbons, die auf Reise mangels Alternativen als Lesezeichen genutzte Restaurantquittung und der Schal, den man sich in der Destination gekauft hat, schlicht weil man fror, werden teils erst in der Retrospektive zum Souvenir, das man Freunden zeigt und als Erinnerungsstütze aufbewahrt (vgl. Collins-Kreiner 2013, S. 32f.). Die nachträgliche Auszeichnung eines Dings als Souvenir unterstützt damit meine These, dass die sinnliche Wahrnehmung im Tourismuskontext nicht punktuell, sondern in Reflexionsschleifen erfolgt (→-S. 87). Die Auswahl eines Souvenirs im Tourismus (zu einem Zeitpunkt der Reise oder nach Rückkehr) wird ebenso wie das Fotografieren als Form der Aneignung verstanden. Damit gemeint ist, dass das selbst geschossene Foto dem Reisenden dabei hilft, Erlebnisse zu internalisieren, d. h., das Geschaute nicht nur mit den eigenen Erwartungen abzugleichen, sondern auch mit der eigenen Biografie und dem gesellschaftlichen Kontext zu verknüpfen. Das Fotografieren ist damit ein Mittel der sog. Selbstvergewisserung, also eine spezifische Technik der kulturellen Reflexion: Es dient der Erschaffung bzw. dem Erhalt von Identität, Mustern, Narrativen o. Ä. (vgl. Ahrens-2012, S.-297). Luger nutzt analog den Begriff der „fotographische Inventarisierung“ (vgl. Luger 2022, S. 22). Jene erfolgt zum einen im Prozess des Fotografierens, also z. B. über die Auswahl des Motivs, des Bildausschnitts und des Formats. Derartige Entscheidungen sind hochselektiv, da mit ihnen eine eigene Wirklichkeit festgelegt wird (vgl. Kautt 2015, S. 17). Das Foto kann infolge als eine individuelle Definition des Erlebnisses verstanden werden. Das Fo‐ tografieren ist analog gleichzusetzen mit einem „persönlichen, ästhetischen und zum Teil auch schöpferischen Umgang mit den medial vermittelten 102 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="103"?> Vorstellungsbildern des Urlaubslandes und den Fundstücken der Urlaubs‐ welt“ (Mandel 2013, o. S.). Zum anderen dienen die Fotos als Basis für eine Klassifikation bzw. Ordnung des Erlebten. So erlaubt z. B. das Anlegen eines Fotoalbums nach Rückkehr von der Reise ein Archivieren der touristischen Eindrücke: Statt rein „nackte“ Daten und Fakten anzusammeln, wird in solchen Alben die erlebte Welt (in Form von Bildern und Mementos wie Eintrittskarten) bewusst arrangiert, einerseits nach den Strukturkriterien Raum und Zeit (z. B. erst die Bilder der Anreise, dann die Bilder aus der De‐ stination und dann die der Abreise, → Abbildung 9) und andererseits nach gesellschaftlich festgelegten, ästhetischen Regeln (z. B. werden absichtlich die Bilder ausgewählt, auf denen Personen „nett lächeln“, da dies „Spaß im Urlaub“ symbolisiert, vgl. Groebner-2020, S.-41). Das Wissen um die Aneignungsfunktion der Fotografie erklärt dann auch die auffälligen Redundanzen in den fotografischen Bilderwelten des Tourismus: Betrachtet man Urlaubsfotografien genauer, fällt auf, dass sich diese teils enorm ähneln. Das kann man besonders gut nachvollziehen, wenn man touristische Bilder vergleicht, die in den sozialen Medien zu finden sind. Wie → Abbildung 12 beispielhaft zeigt, sind die z. B. über die Plattform Instagram verbreiteten Fotos von Sehenswürdigkeiten, Aus- und Ansichten oftmals fast bis ins Detail deckungsgleich: In den von Dir bereits angespro‐ chenen Selfies ändert sich nur die Person im Vordergrund, während der Hintergrund nahezu identisch bleibt. Sich selbst vor dem Hintergrund des Arc de Triomphe ablichten zu lassen, ein Bild mit nach Hause zu nehmen, auf dem man den Schiefen Turm von Pisa „stützt“, oder ein Foto zu machen, auf dem man vor dem „einsamen“ Walchensee in Bayern zu sehen ist, verbindet das Individuum untrennbar mit dem Ort und weist ihm eine Bedeutung zu bzw. untermauert eine bestehende Auszeichnung (siehe hierzu auch das Konzept der Marker, → S. 89). Zum Anspruch der Klassifikation tragen die sog. Hashtags bei, mit denen u. a. der konkrete Hintergrund benannt (z. B. #arcdetriomphe, #pisatower, #walchensee), Informationen zur Verortung des Abgebildeten geliefert (z. B. #champselysées, #placecharlesdegaulle, #paris) und eine Bewertung vorgenommen werden kann (z. B. #jadore, #monparis). 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 103 <?page no="104"?> Abbildung 12: Ähnlichkeit von Urlaubsfotografien | Quelle: © golero, frantic00, Aleksan‐ darNakic · iStockphoto Die Ähnlichkeit der touristischen Bilder weist darauf hin, dass der Vergleich starkes Motiv der Fotografie ist: Touristinnen und Touristen schießen Fotos auch aus Darstellungszwecken, um sich mit und an anderen messen zu können (was eine Verbindung zur Theorie des Geltungsbzw. demonstrativen Konsums schafft, vgl. Veblen 1899). Ebenso manifestiert sich das Vergleichsmotiv in Bilderserien, die eine durch den Tourismus induzierte Entwicklung, z. B. den Bräunungsgrad der Haut bei einem Badeurlaub, dokumentieren. Und gleichsam dienen Gruppenbilder, aufgenommen mit Einheimischen, der Illustration des Unterschieds zwischen dem „Ich“ und dem „Fremden“: Auf den Bildern können auch noch im Nachhinein Abweichungen z. B. der Hautfarbe, der Kleidung oder der Statur nachempfunden werden. (vgl. Groebner 2020, S. 46f. und vgl. Habinger-2021) Zudem kann die Tätigkeit des Fotografierens auch als Methode der Distanzierung dienen: „Die Leute fangen dann an zu fotografieren, wenn das Anschauen sie überfordert und sie sich etwas nicht vorstellen wollen.“ (Groebner 2020, S. 54) Die Kamera kann, mit anderen Worten, als Schild zwischen dem Touristen und der Realität genutzt werden, um das Erlebnis abzumildern, denn die Ansicht eines Fotos ist stets weniger eindrücklich als das direkte Schauen. Im Rahmen z. B. des Besuchs eines Konzentrationslagers Fotos zu machen, ist demnach nicht notwendigerweise ein Indiz für mangelnden Anstand oder Sensationslust, sondern kann ein (wahrscheinlich unbewusst gewähltes) Mittel sein, um die Eindrücke des Schreckens in abgedämpfter Form besser verarbeiten zu können. In der Gesamtsicht muss der Fotografie im Tourismuskontext eine hohe Bedeutung zugemessen werden. Indikator für diese Relevanz ist einerseits die Bilderflut, also die Quantität von Fotos, die insbesondere seit Verbreitung der Digitalfotografie und noch 104 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="105"?> stärker seit der Entwicklung von Handys hin zu Smartphones als einfach zu bedienenden und bildtechnisch immer raffinierteren (vgl. Schärfe der Bilder durch Anzahl der Bildpunkte/ Pixel, Filter und Bildbearbeitungsoptionen) Aufnahmegeräten eingesetzt hat. Andererseits spricht auch der schiere Aufwand, den Reisende teils betreiben, um Fotos zu schießen, für das Gewicht der Bilder: So stehen die Touristinnen und Touristen, wie ich selbst bei einem Besuch in Paris beobachten konnte, teils in (langen) Schlagen an und opfern somit Teile ihrer wertvollen, da knappen Urlaubszeit (→ S. 73 f.), um ein Bild aus der „richtigen“ Perspektive aufnehmen zu können, vgl. → Abbildung 13. Und so wurden gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 zwischen Oktober 2011 und November 2017 allein in englischer Sprache fast 260 Todesfälle gemeldet, die sich bei der Aufnahme von Selfies ereignet haben (vgl. Bansal et al.-2018). Abbildung 13: Touristische Praxis: Anstehen und Warten als Preis für ikonische Fotos |-Quelle: eigene Aufnahme Julia Beelitz Entsprechend der Relevanz von Bildern im Allgemeinen und Fotos im Besonderen wird im Tourismusmarketing dem Konzept des sog. Image eine besonders hohe Bedeutung zugesprochen. Hierunter zu verstehen ist ein verdichtetes Bild aus Assoziationen und Informationen, das Kundinnen und Kunden einer Leistung entgegenbringen. 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 105 <?page no="106"?> Images entsprechen damit den Außenbildern (verstanden als Gegen‐ begriff zur Innensicht, vgl. Wiesner 2022, S. 64) von Unternehmen, Organisationen oder Destinationen. Da Images auf Einstellungen basieren, enthalten sie kognitive, affektive und konative Komponenten, d. h., Images sind mit Wissenselementen (z. B. Brüssel ist die „heimliche Hauptstadt“ Europas; dort steht das Atomium; zur Weihnachtszeit wird der Grand Place in einer aufwendigen Lichtshow inszeniert), „diffusen Sympathien, Antipathien und Vorurteile[n], die auf subjektiven Gefühlen, Wertvorstellungen und Bedürfnissen beruhen“ (Seyfarth 2008, S. 3), sowie Hand‐ lungstendenzen (z. B. Verhaltensabsichten, Kaufbereitschaft) verbunden. Images gehen damit über reine Abbildungen des Sichtbaren hinaus; sie beinhalten vielmehr auch Unsichtbares, z. B. Vorstellungen und Assoziationen, was den Bildern einen ideellen Wert verleiht. (vgl. Kautt 2015, S. 14) Das Image eines Ortes ist vor diesem Hintergrund ein gewichtiges Auswahlkriterium im touristischen Entscheidungsprozess: „Nur, wenn ein Reiseziel bekannt ist, es bestimmte Eigen‐ schaften (Natur, Infrastruktur, Verkehrsanbindung etc.) aufweist und ein dem Reisebedürfnis des Kunden entsprechendes Image hat, wird es als Urlaubsziel gewählt“ (Wiesner 2022, S. 48). Images schaffen einen Wert für den Ort, da sie Vertrauen aufbauen und gewisse Qualitäten versprechen, was gerade vor dem Hintergrund des Dienstleistungscharakters touristischer Leistungen relevant ist: Da Erlebnisse immateriell sind und bei ihrer Inanspruchnahme kein Eigentums‐ übergang erfolgt, baut der touristische Konsum auf ein Leistungsversprechen - der Tourist verlässt sich aufgrund des Images darauf, dass das Erlebnis seine Bedürfnisse befriedigen wird (vgl. Wiesner-2022, S.-44ff.). Das Image sollte demnach nicht zu weit von den Erwartungen der Reisenden abweichen und muss entsprechend von den Anbietern aktiv und strategisch gestaltet werden (vgl. Seyfarth-2008, S.-3). Es gilt ein Gesamtbild aufzubauen, zu pflegen und nach Bedarf weiterzuentwi‐ ckeln, mit dem man sich vom Wettbewerb möglichst deutlich abheben kann und das gegenüber dem Kunden gut kommunizierbar ist (vgl. Wiesner 2022, S. 65). Es gilt, mit anderen Worten, den Ort zu inszenieren, wobei Bilder als Zeichen des Images eingesetzt werden. Dass dies in der Geschichte des Reisens frühzeitig erkannt wurde, beweisen z.-B. Fotos aus dem Japan der 1860er-Jahre, die in Fotostudios arrangiert wurden, um als Souvenirs an Reisende verkauft zu werden: Dass statt der modernen Industrieanlagen und Textilfabriken, die 106 4 Ästhetik und die Macht der Bilder <?page no="107"?> eigentlich ein realistischeres Bild des Landes abgegeben hätten, das zu dieser Zeit u. a. dramatische ökonomische Veränderungen durchlief, pittoreske Szenen mit Geishas, Samurais und Handwerkern als Motive genutzt wurden (vgl. Groebner-2020, S.-50f.), kann als frühe Form des „Imagebuilding“ erfasst werden. Damals wie heute noch sind die mächtigsten „Bilder“ im Tourismusmarketing jene, die ikonisch sind und direkte Assoziationen hervorrufen: Wenn Du die exemplarisch in → Abbildung 14 erfassten Fotos betrachtest, wirst Du sicherlich gleich nachvollziehen können, was ich meine, denn Du wirst wissen, welche Destination sie repräsentieren und ggf. auch an spezifische Sinnesreize (z. B. Temperaturen, Gerüche, Geräuschkulisse) denken-… Abbildung 14: Im Kopf auf Reisen gehen: Imagerepräsentative Bilder beispielhafter Destinationen https: / / pixabay.com/ de/ Abbildung 14: Im Kopf auf Reisen gehen: imagerepräsentative Bilder beispielhafter Desti‐ nationen | Quelle: eigene Abbildung mit Bildelementen (Pixabay) Mit diesen Gedanken will ich hier enden - schließlich habe ich Dich ja quasi schon auf eine gedankliche Reise und damit fortgeschickt. Ich sende Dir viele Grüße Julia 4 Ästhetik und die Macht der Bilder 107 <?page no="109"?> 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 01.10.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Fragen der Ethik im Tourismuskontext Lieber Jonas, in einem Gespräch mit einem Kollegen ist mir heute wieder deutlich geworden, dass gerade Fragen der Ethik die philosophische Auseinander‐ setzung im Tourismus prägen (entsprechend gibt es z. B. den Globalen Ethikkodex der UNWTO (1999; siehe oben → Kapitel 3, Global Code of Ethics und entsprechend findet man Publikationen, z. B. Friedl 2002; Lovelock & Lovelock 2013; Fennel 2016). Wollen wir uns als nächstes mit ethischen Erwägungen auseinandersetzen? Viele Grüße Julia 02.10.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Auswahl ethischer Fragen Liebe Julia, das klingt nach einer guten Idee! Ethische Fragen stellen sich im Zusam‐ menhang mit Tourismus für verschiedene Akteure. Ich würde allerdings vorschlagen, dass wir uns auf Fragen beschränken, die sich Reisende stellen. Zwar haben andere Akteure wie Reisebüros, Hotels, Verkehrsunternehmen und v. a. politische Institutionen wie Parlamente und Regierungen einen grö‐ ßeren Einfluss auf den Tourismus als einzelne Reisende. Aber einerseits sind <?page no="110"?> deren Entscheidungen komplexer, weil sie weitere Faktoren berücksichtigen müssen, etwa wie viel ein Angebot kostet, wie man die Reiseinteressierten darüber informiert und welche Angebote nicht gemacht werden sollen. Darauf einzugehen, würde, so denke ich, unseren Rahmen sprengen. Zum anderen liefert die Beantwortung der Fragen, die sich den Reisenden stellen, eine Orientierung dafür, wie die Fragen beantwortet werden könnten, die sich anderen Akteuren stellen. Damit sind jene Fragen zwar nicht direkt beantwortet, aber wir können aufzeigen, welche Überlegungen man dabei berücksichtigen muss, und somit indirekt einen Teil der Antwort darauf liefern. Unsere Grundfrage wäre dann also: Darf man so reisen? Diese allgemeine Frage umfasst eine Vielzahl von Einzelfragen. Von diesen könnten wir einige auswählen und versuchen, sie zu beantworten. Was meinst Du? Liebe Grüße Jonas Wissen | Normative ethische Theorien In der Philosophie sucht man unter anderem nach grundlegenden Be‐ gründungen für ethische Urteile. Deontologische Theorien begrün‐ den moralische Urteile mit Pflichten, die unabhängig von den konkreten Folgen der Handlung gültig sind. Die wichtigste deontologische Theorie ist diejenige von Kant, dessen zentrales Prinzip der Kategorische Im‐ perativ ist. Konsequentialistische Theorien begründen moralische Urteile mit den Folgen der Handlung. Die wichtigste konsequentialisti‐ sche Theorie ist der Utilitarismus, der in seiner klassischen Form besagt, dass die guten Folgen in der Freude (pleasure) und der Abwesenheit von Schmerz bestehen und dass es darum geht, diese guten Folgen zu maximieren. Es gibt eine Vielzahl von Formen des Utilitarismus. Einige Theorien gehen davon aus, dass es kein allgemeines Prinzip gibt, mit dem man moralische Urteile begründen kann. Die sog. Tugend‐ ethik, die auf Aristoteles zurückgeht, sieht das Ziel der Ethik darin zu bestimmen, was ein tugendhafter Mensch ist, d. h. ein Mensch mit positiven Persönlichkeitsmerkmalen. Der Tugendhafte ist jener, der in der Situation aufgrund seiner Tugenden das Richtige tut. 110 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="111"?> 02.10.2022 ∙ SMS Julia an Jonas Hallo Jonas, so können wir gerne vorgehen. Ich würde bei der Beantwortung der Fragen allerdings gerne immer schwerpunktmäßig auf die Praxisper‐ spektive eingehen. Und bei Dir gehe ich davon aus, dass Du eher die theoretische Position einnehmen wirst, oder? Wollen wir es vielleicht so machen, dass jeder von uns auf die Fragen jeweils eine individuelle Antwort formuliert? Viele Grüße Julia 02.10.2022 ∙ SMS Jonas an Julia Liebe Julia, so können wir es machen. Ich lege gleich ein Onlinedokument in die Cloud und schicke Dir den Link zu. Darin ist eine Liste mit möglicher‐ weise interessanten Fragen. Dann können wir gleich gemeinsam mit der Beantwortung beginnen. Liebe Grüße Jonas 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 111 <?page no="112"?> Kollaboratives Onlinedokument von Julia und Jonas in der Cloud ① Sind Reisen in Entwicklungsländer akzeptabel? Julia Beelitz: Tourismus wird u. a. von der Deutschen Bundesregierung als Mittel der Entwicklungszusammenarbeit gesehen, da er Chancen zum Aufbau von Infrastruktur bereithält (die dann auch der Bevölkerung zugu‐ tekommen können), Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten schafft und dazu beitragen kann, dass Natur- und Kulturschätze wertgeschätzt und bewahrt werden (vgl. BMZ 2022). Reisen in Länder des globalen Südens führen jedoch nicht automatisch zu diesen positiven Effekten. Oftmals werden sie durch strukturelle Hürden eingeschränkt oder sogar umgekehrt. Ein zentrales Problem ist hierbei der sog. Leakagebzw. Sicker‐ effekt - es besteht ein ausgeprägtes Risiko dafür, dass große Anteile der Wertschöpfung nicht in der Destination verbleiben, sondern ins Ausland abfließen. Dieser Effekt entsteht besonders häufig dann, wenn die Anbieter in den Destinationen hohe Anteile ihrer Vorleistungen aus dem Ausland einkaufen. So werden beispielsweise spezifische Lebensmittel (z. B. ein spezieller Nuss-Nougat-Aufstrich oder Marken-Getränke/ Spirituosen) auf dem Weltmarkt besorgt, um die (vermeintlichen) Wünsche der Gäste zu befriedigen (die zu Umsätzen in Italien, den USA, in der Champagne etc. statt im Entwicklungsland/ in der Destination führen) bzw. es werden statt der einheimischen Bevölkerung ausländische Fachkräfte eingesetzt (die einen Großteil ihres Konsums und ihrer Sparaktivitäten im Heimatland umsetzen). Systemimmanent ist, dass der Leakage-Effekt im Tourismus typischerweise ausgeprägt auftritt, wenn multinationale Konzerne (z. B. Kettenhotels) auf den Plan treten, denn diese agieren häufiger nach internationalen Standards (z. B. im HR- oder Produktmanagement) als dass sie am Standort orientierte Differenzierungsstrategien verfolgen. (vgl. Mundt 2013, S. 447) Effekt dessen kann das Dilemma sein, dass die Entwicklungsländer zwar mit ihren eigenen Mitteln die Infrastruktur ausbauen, an den ökonomischen Effekten des durch sie ermöglichten Tourismus jedoch nur partiell partizipieren - sie sind mithin erheblich schlechter gestellt als ökonomisch stärkere Länder: Gemäß ILO liegt der Sickereffekt hier bei ca. 20 Prozent, wohingegen er in Entwick‐ 112 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="113"?> lungsländern bis zu 50 Prozent ausmachen kann. Der Abfluss ist indes umso geringer, je mehr lokale Anbieter und Produkte Teil des Tourismusprodukts sind - eine Reise in ein Entwicklungsland ist daher dann akzeptabel, wenn möglichst auf die Leistungen von großen/ multinationalen Akteuren ver‐ zichtet wird und stattdessen kleine/ nationale Unternehmen als Dienstleister gewählt werden, die dann durch Beschäftigung, Steuerzahlungen etc. das eigene Land fördern (vgl. Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik 2020, S.-20ff.). Wissen | Ethic Traveler Die Non-Profit-Organisation Ethic Traveler (vgl. Link-Tipp | www.et hictraveler.org) hält Onlineressourcen vor, die man bei der Auswahl seiner Destination heranziehen kann. Dabei werden speziell Entwick‐ lungsländer betrachtet. Im Jahr 2021 hat die Organisation z. B. die Ten Best Post-Pandemic Ethical Destinations gekürt: Untersucht wurde, wie Entwicklungsländer mit der Coronapandemie umgegangen sind. Bei der Bewertung wurde z. B. berücksichtigt, ob es in den Ländern spezielle Initiativen zur Förderung oder sogar Transformation des Tourismus gab (i. e. ob Corona als Chance zum Wandel hin zu einem nachhaltigeren Tourismus verstanden wurde). Jonas Pfister: Touristische Reisen konnten sich in der Geschichte lange Zeit nur Wohlhabende leisten, und wenn seit der Mitte des 20. Jahrhunderts Tou‐ rismus zu einem Massenphänomen geworden ist, so bedeutet das noch lange nicht, dass die Mehrheit der Menschen auf der Erde dazu Zugang hätte. Ein Teil der touristischen Reisen und mittlerweile auch des Massentourismus führt die Menschen aus wohlhabenden Ländern in sog. Entwicklungsländer. Der Wohlstandsunterschied ist auch vor dem geschichtlichen Hintergrund des Kolonialismus zu sehen. Einige der heute wohlhabenden Ländern, namentlich Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlande, Belgien, Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, die USA, Japan und einige weitere, aber indirekt auch viele kleinere Länder wie etwa die Schweiz, haben v. a. im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weite Teile der Welt als Kolonien besetzt, natürliche Ressourcen abgebaut und die dort lebenden Menschen zum Teil unter Einsatz von massiver Gewalt unterdrückt und ausgebeutet. Wer heute aus einem der genannten Länder in das Gebiet einer ehemaligen Kolonie reist, sollte sich dieser 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 113 <?page no="114"?> Geschichte der Ausbeutung bewusst sein. Einerseits hat sie noch heute Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Menschen, darauf, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen und beschreiben, wie z. B. Frantz Fanon (1952, S. 196) eindrücklich beschreibt. Andererseits gibt es auch heute noch Formen des Neokolonialismus, des kulturellen Imperialismus und weitere Arten der Unterdrückung (siehe z. B. die fünf Formen der Unterdrückung nach Iris Marion Young, 1990) Der Wohlstandsunterschied zwischen Ländern welt‐ weit ist aber nicht nur auf den Kolonialismus zurückzuführen, und einige ehemalige Kolonien wie Kanada und Australien sind heute wohlhabende Länder. Wenn Menschen aus wohlhabenden Ländern in ein Land reisen, das insgesamt so wohlhabend ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung ebenfalls in andere Länder reisen kann, so hat dies oftmals volkswirtschaftlich großen Nutzen: Die Reisenden bilden und erholen sich, und verschiedene, häufig auch lokale Akteure können daraus ein Einkommen erzielen. Wenn jedoch Menschen aus wohlhabenden Ländern in ein Entwicklungsland reisen, so ist nicht klar, ob dies effektiv zur Entwicklung des Landes beiträgt oder ob es nicht bessere und effizientere Mittel dafür gäbe. Zum Beispiel könnte man das Geld, das man für die touristische Reise ausgeben würde, dafür verwenden, ein Entwicklungsprojekt zu unterstützen. Noch allgemeiner könnte man die Frage stellen: Ist es überhaupt mora‐ lisch gerechtfertigt, Geld für eine touristische Reise auszugeben, wenn man dieses auch dazu verwenden könnte, das Leiden der ärmsten Menschen auf Erden zu verbessern und Leben zu retten? Der australische Philosoph Peter Singer hat seit den 1970er-Jahren dafür argumentiert, dass wohlhabende Menschen die moralische Pflicht haben, Geld für die ärmsten Menschen der Welt zu spenden. Sein Argument lautet: Leiden und Tod durch Mangel an Nahrung sind schlecht. Wenn es in unserer Macht steht, etwas Schlimmes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, sollten wir es aus moralischer Sicht tun. Wer das Geld, das er für teure Markenkleider, einen Restaurantbesuch - oder, in unserem Kontext, eine touristische Reise! - ausgeben würde, einer Hilfsorganisation spenden würde, der würde damit Schlimmes verhindern, ohne etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern. Also sind wir verpflichtet, das Geld, das wir für eine touristische Reise ausgeben würden, einer Hilfsorganisation zu spenden. Singer veranschaulicht das Prinzip und argumentiert dafür, indem er folgendes Gedankenexperiment entwirft („Kind-im-Teich“): Stellen Sie 114 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="115"?> sich vor, Sie würden an einem Teich vorbeigehen, in dem gerade ein Kind am Ertrinken ist, und Sie könnten das Kind leicht retten, müssten dafür aber ihre teuren Markenkleider opfern. In einem solchen Fall würden wir sagen, dass man das Kind retten sollte; und wir würden das auch sagen, wenn mehr als ein Kind im Teich am Ertrinken wäre oder wenn noch andere Menschen in der Nähe wären, die ihrer Pflicht zur Hilfe nicht nachkommen. Nun ist es aber so, dass sich wohlhabende Menschen in genau derselben Position gegenüber den ärmsten Menschen auf der Welt befinden: Sie könnten, statt teure Markenkleider zu kaufen, Geld spenden und damit Leben retten (Singer-1974; Singer-2013). Der Philosoph Peter Unger (1996) entwickelte zur Veranschaulichung Variationen des Trolley-Problems (siehe Wissensbox zu Gedankenexperimenten → S. 114 f.). Wenn Singers Argument stichhaltig ist, dann sollte auf die meisten touristischen Reisen verzichtet werden - eine Position, die von Effektiven Altruisten vertreten wird (→ Wissensbox). Es ist jedoch umstritten, ob Singers Argument stichhaltig ist. Auf die Diskussion kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Es stellt jedoch für uns alle eine Herausforderung dar. Wissen | Effektiver Altruismus Der Effektive Altruismus ist eine ethische Position und soziale Bewegung (seit den 2000er-Jahren), die den Grundsatz verfolgt, vorhandene Ressourcen, insbesondere finanzielle Mittel, möglichst effizient einzusetzen, um das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern. Der Effektive Altruismus steht in der Tradition des Utilitarismus, und so erstaunt es nicht, dass der wohl weltweit berühmteste Vertreter des Utilitarismus, Peter Singer, sich dazu bekennt (Singer 2016). Aber der Effektive Altruismus kann auch von Vertreterinnen und Vertretern verschie‐ dener, auch deontologischer Theorien akzeptiert werden (Parfit 2015; Ma‐ cAskill-2017, S.-2). Nach Derek Parfit sind zwei globale Probleme drängend: die weltweite Ungleichverteilung des Wohlstands und der Klimawandel. In Bezug auf das erste Problem sind Effektive Altruisten der Ansicht, dass Menschen in den wohlhabenden Industrieländern einen beträchtlichen Teil des Einkommens für die ärmsten Menschen der Welt spenden sollten. In Bezug auf das zweite Problem sei das wichtigste, das wir tun können und sollten, auf den Konsum von Fleisch (oder allen tierischen Produkten) zu verzichten, so Parfit. 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 115 <?page no="116"?> ② Darf ich an Orte reisen, in denen die ärmsten Menschen wohnen, z.-B. Slums oder Favelas? Jonas Pfister: Wir können dies als einen Spezialfall der vorherigen Frage ansehen. Wenn Slums, Favelas und ähnliche Orte besucht werden, so führt dies zu keiner Verbesserung der Situation der dort lebenden Menschen, sondern es sind die Reiseveranstalter, die daran verdienen. Es scheint ethisch kaum zu rechtfertigen, dass man eine solche Reise unternimmt, und nicht das Geld für die ärmsten Menschen spendet. Julia Beelitz: Auf diese Frage eine global gültige Antwort zu geben, ist nicht einfach. Denn einerseits muss berücksichtigt werden, dass touris‐ tische Aktivität in vielen Elendsvierteln weltweit zumindest zu kleinen Wohlstandsverbesserungen führt. Dies ist v. a. auf unternehmerische Initia‐ tiven der Anwohnerinnen und Anwohner zurückzuführen, die z. B. selbst als Guides tätig werden (die klassischen Reiseveranstalter bieten selten Touren durch die Slums an), Souvenirs herstellen oder Verpflegung an die Touristen verkaufen. Einkünfte hieraus kommen, zum Teil unterstützt durch Wohlfahrtsprogramme, im Idealfall der gesamten Community zugute. Zudem kann slum tourism öffentliche und internationale Aufmerksamkeit auf die Lebensbedingungen in den Elendsvierteln lenken, was potenziell den Druck auf die lokalen Regierungen erhöht, diese zu fördern statt zu ignorieren. Entsprechend zeigen Studien, dass große Anteile der in Slums lebenden Menschen eine positive Einstellung zum Tourismus haben und sich eher mehr bzw. intensiveren Kontakt mit den Reisenden wünschen (vgl. Nisbett-2017, S.-39). Andererseits jedoch muss der Besuch von Elendsvierteln trotzdem über‐ aus kritisch bewertet werden. Hintergrund dafür ist die Motivlage der Rei‐ senden, für die Armut die zentrale Attraktion der Slums darstellt: Sie wollen Armut sehen bzw. ihre Ausdrucksformen möglichst anschaulich erleben (vgl. Frenzel 2017, S. 53) - der einzelne Mensch, seine Behausung und seine weiteren Lebensumstände werden dadurch zum reinen Anschauungsobjekt. Da sich die Anwohnerinnen und Anwohner der Slums dieser Form des Voyeurismus kaum entziehen können (anders als z. B. die Anwohnerinnen und Anwohner Hollywoods, deren Promi-Häuser auch von außen begafft werden, die aber durch Zäune, Wachpersonal etc. Distanz schaffen können), ist ein slum tourism insofern inakzeptabel. ③ Darf ich an Orte reisen, die an den Folgen von übermäßigem Tourismus leiden, z.-B. nach Barcelona, Venedig oder Dubrovnik? 116 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="117"?> Wissen | Overtourism Tourismus ist lange Zeit als Wirtschaftssegment ohne „Grenzen des Wachstums“ betrachtet worden: Akteure der Privatwirtschaft, Politik und die Touristinnen und Touristen selbst kannten bei der Entwicklung und Inanspruchnahme kaum ein „Zuviel“. Trotzdem wird spätestens seit den 1980er-Jahren auch ein Diskurs geführt, bei dem der Massentouris‐ mus in der Kritik steht (vgl. Jungk 1980 und Krippendorf 1982). Unter dem Begriff overtourism der sich seit ca. 2017 durchsetzt, manifestieren sich tourismuskritische Stimmen, welche die sog. Tragfähigkeit (d. h. die maximale Belastungsgrenze eines Raums, eine Nutzung zu ertragen, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen) von Destinationen zumindest tem‐ porär, z. B. in der Hochsaison, überschritten sehen, wenn z. B. physische oder kulturelle Ressourcen ausgeschöpft sind. Indizien hierfür sind offene Konflikte zwischen Touristen und Bewohnern. Bezugspunkte der Kritik sind neben den Destinationen, die als Haltepunkte des enorm wachsenden Kreuzfahrtsegments angefahren werden (z. B. Barcelona, Venedig, Dubrovnik), auch Großstädte bzw. ihre Stadteile (z. B. Ber‐ lin/ Kreuzberg) und Naturziele (z. B. Alpenvorland). Mit overtourism ist mithin kein neuer Forschungsbereich eröffnet oder ein neues Phänomen entdeckt, sondern ein Sammelbegriff für „das Unbehagen über eine als ‚Zuviel‘ empfundene Zahl der Touristen“ (Kagermeier 2021, S. 20) geprägt worden. Jonas Pfister: Wenn wir wissen, dass die ortsansässigen Menschen unter den Folgen des Tourismus leiden, dann sollten wir dies in unseren Überle‐ gungen berücksichtigen. Auch wenn keiner von uns allein für die Probleme verantwortlich ist, so müssen wir doch bedenken, was die Folgen sind, wenn viele das Gleiche tun. Da es zudem zu den genannten drei Städten Alternativen gibt, die zwar nicht genau diese Erfahrung bieten, wie es nur sie bieten, aber doch etwas Ähnliches, scheint es die ethisch bessere Option zu sein, zu Zeiten, in denen die Hotels praktisch ausgebucht sind, eine andere Stadt zu besuchen. Julia Beelitz: Auf den Tourismus in die genannten Städte komplett zu verzichten, halte ich für keine gute Idee, denn große Teile der ansässigen Wirtschaft sind direkt oder indirekt von Einnahmen durch die Reisenden abhängig. So ist z. B. Venetien, die Region, in der Venedig liegt, mit fast 3.000 Hotels und über 300 Museen die wichtigste Tourismusregion Italiens 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 117 <?page no="118"?> und hat 2019 etwa 8 Prozent zum BIP beigetragen (vgl. WKO 2021, S. 10)! Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das plötzliche Ausbleiben von Touristinnen und Touristen in vormals massenhaft besuchten Orten eine große Herausforderung darstellt (z. B. Tunesien während und nach dem sog. Arabischen Frühling) und die Destinationen in solchen Situationen enorme Anstrengungen unternehmen, um die Touristen zurückzugewinnen (z. B. 38 Millionen Euro teure Kampagne Spaniens aus dem Jahr 2020, um das Land - trotz Pandemie - als sicheres Urlaubsziel zu präsentieren, vgl. Macher 2020). Solche Destinationen mit einer ausgeprägten Saisonalität, die regelmäßig von Touristinnen und Touristen übernutzt werden, darf man zwar besuchen, sollte sich dafür aber bewusst die weniger beliebte Reisezeit aussuchen. Davon haben dann im Idealfall beide Seiten etwas: Die Ortsansässigen, weil sie über das ganze Jahr statt nur in der Hochsaison vom Tourismus profitieren, und die Reisenden selbst, weil sie die Orte weniger gestresst erleben. Entsprechend sollten die DMOs der vom overtourism betroffenen Reiseziele einen Schwerpunkt auf die Kommunikation der Zeiten verschieden ausgeprägter Nachfrage legen, aktiv Besucherlenkung betreiben und Angebote schaffen, welche die weniger gefragte Saison attraktiver macht (z.-B. durch sog. „Schlechtwetterangebote“). ④ Darf ich in ein fernes Land einzig zur Erholung reisen, wenn ich mich auch an einem näher gelegenen Ort ebenso gut erholen könnte? Wissen | Externe Kosten (Externalitäten) Erholung versprechende Urlaubsangebote in der Ferne, z. B. in den Ferienregionen am Mittelmeer, sind oftmals günstiger erhältlich als vergleichbare Angebote im Heimatland. Hintergrund dessen sind Unter‐ schiede in den Kapazitäten (insbesondere Überkapazitäten in den fernen Angebotsregionen) sowie Preisunterschiede, z. B. durch höhere Perso‐ nalund/ oder Administrationskosten in der Heimat (vgl. Letzner 2014, S. 207f.). Man kann dann z. B. eine Woche im 5-Sterne-Hotel mit Vollpension in Tunesien für 444 € inklusive Flug als Last-Minute-Ange‐ bot erhalten, während der Aufenthalt in einem 4-Sterne-Hotel an der Nordsee mit Vollpension und Bahnanreise 1.000 € kostet. Entscheidet man nun rein nach dem Preis zwischen diesen beiden Angeboten, wird man vermutlich in die Ferne schweifen. Ausgeblendet werden hierbei jedoch die sog. externen Kosten. Hierunter zu verstehen sind 118 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="119"?> solche Kosten, die entstehen, ohne „eingepreist“ zu werden - während z. B. Ausgaben für den Einkauf von Lebensmitteln in den Reisepreis einkalkuliert werden, beachtet man die gesellschaftlichen und ökologi‐ schen Kosten nicht, z. B. der Inanspruchnahme des Flugs, der x Tonnen CO 2 erzeugt, Lärm verursacht und klimaschädliche Kondensstreifen hervorruft. Unberücksichtigt bleiben z. B. die Folgen des Klimawandels, zu dem der Flug beiträgt, und dessen Aufhalten konkrete Kosten erzeugt (vgl. Gäthke 2002). Würde man alle externen Kosten (nicht nur jene des Transports, sondern auch z. B. solche, die aus touristischen Monostruk‐ turen, Überkapazitäten, unfairen Arbeitsbedingungen etc. entstehen) in die Reisepreise integrieren, wären die exemplarisch genannten An‐ gebote preislich vergleichbarer. Julia Beelitz: Reisen in ferne Destinationen sind häufig mit hohen externen Kosten verbunden. Diese fallen speziell im Kontext des Transports an, der für die Überwindung der Distanz zwischen Heimatraum und touristischem Ziel unabdingbare Bedingung ist: 8 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen entfallen auf den Tourismus - 75 Prozent der CO 2 -Emmis‐ sionen gehen auf den Transport zurück (vgl. Lenzen et al. 2018; UNWTO & UNEP 2008). Sofern eine nahe Destination also geeignet erscheint, touris‐ tische Bedürfnisse in einer ähnlichen Form zu befriedigen wie ein weiter entferntes Ziel, sollte dieses vom Reisenden ausgewählt werden, um die negativen ökologischen Wirkungen des Tourismus so weit wie möglich einzuschränken. Für die touristischen Anbieter ergibt sich hieraus logisch ein zunehmendes Potenzial sog. Me-too-Strategien: Anstatt bei der Desti‐ nationsentwicklung zwanghaft nach ultimativen Alleinstellungsmerkmalen zu streben, erscheint es immer sinnvoller, Destinationen bewusst als (nah gelegene! ) Alternative zu Fernzielen zu etablieren. Die „Karibik Europas“ oder das „Venedig des Nordens“ zu sein kann meiner Auffassung nach ein zukünftiges Erfolgskonzept darstellen. Jonas Pfister: Plant man einen Erholungsurlaub, so sollte man sich überlegen, wo und wie man sich tatsächlich am besten erholt. Das kann für verschiedene Menschen ganz verschieden sein. Zudem sind die Anstren‐ gungen zu berücksichtigen, die sich mit einer Flugreise ergeben, auch wenn der eigentliche Flug nur wenige Stunden dauert: Anreise zum Flughafen, Check-in, Wartezeiten, Fahrt vom Flughafen zur Unterkunft, Anpassung an die klimatische Veränderung etc. Gegebenenfalls wird man sich in vielen 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 119 <?page no="120"?> 3 Bereits die sog. Grundbeschneiung eines Hektars Pistenfläche (i. e. initiale Herstellung einer Schneedecke mit 30 cm Dicke, auf die dann nach Bedarf im Laufe der Saison „nach‐ beschneit“ wird) erfordert ca. 20.000 kWh Energie (vgl. Hamberger et al. 2015, S. 28f.) - der Jahresverbrauch eines durchschnittlichen 4-Personen-Haushalts in Deutschland liegt zum Vergleich bei ca. 4.000-kWh. 4 Für eine Wintersaison wird pro Hektar Beschneiung ein Bedarf von mindestens 2.000 m³ Wasser angegeben (vgl. Hamberger et al. 2015, S. 28) - ein durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt in Deutschland verwendet pro Jahr unter 200-m³ Wasser. Fällen an einem näher gelegenen Ort besser erholen als an einem weit entfernten. Dass die entferntere Destination preislich günstiger ist, mag ein legitimer Grund sein. Man muss sich überlegen, wie viel einem die Erholung Wert ist. ⑤ Darf ich Skifahren gehen, wenn der Schnee künstlich mit Schnee‐ kanonen erzeugt werden musste? Julia Beelitz: Da sich die Bedingungen für das Entstehen und Verbleiben von Naturschnee kontinuierlich verschlechtern (u. a. durch die Erhöhung der Durchschnittstemperaturen und häufigere Extremwetterlagen), inves‐ tieren Skidestinationen weltweit massiv in ihre Infrastruktur: Es werden (wenn auch seltener als z. B. noch in der „Blütezeit“ des Skitourismus) zusätzliche Lifte gebaut, um höher gelegene Gebiete zu erschließen, und Beschneiungsanlagen errichtet, um das Pistenareal überhaupt bzw. über eine möglichst lange Saison hinweg befahrbar zu machen. Die Aufrechterhaltung des Skibetriebs und damit die Sicherstellung der Einkünfte vieler Tausender Beschäftigter im Tourismus in den Bergregionen ist im Angesicht des Klimawandels zunehmend nur noch durch diese technischen Eingriffe zu leisten (vgl. Pröbstl-Haider et al.-2021, S.-27f.). Die Kosten dieser Maßnahmen sind jedoch drastisch, insbesondere wenn man sie nicht nur in ihrer direkten, finanziellen Art berücksichtigt. De‐ stinationen müssen z. B. nicht nur mit 3,50 € bis 5 € pro Kubikmeter künstlich hergestelltem Schnee rechnen (vgl. Website eines Herstellers von Schneekanonen: Link-Tipp | https: / / www.technoalpin.com/ de/ ueber-uns/ kunstschnee-schneerzeugung), sondern auch auf die indirekten, insbeson‐ dere ökologischen Kosten eingehen. So ist neben den grundsätzlichen Her‐ ausforderungen des hohen Energie- 3 und Wasserbedarfs 4 der Herstellung von Kunstschnee, denen in manchen Destinationen u. a. mit dem Einsatz alternativer Energieträger und Wasseraufbereitungsanlagen begegnet wird, u.-a. zu berücksichtigen, dass (vgl. CIPRA-2004 und LEAD-2019): 120 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="121"?> ● die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Kunstschnee umfang‐ reiche Baumaßnahmen (i. e. Leitungen, Kabel, Befestigungen) erfordert, die u.-a. Erosion und Auswaschungen begünstigen können, ● der Wasserbedarf durch die Beschneiung v. a. in den Wintermonaten anfällt, in denen der Großteil des freien Wassers gebunden ist und Seen und Quellen Niedrigwasser haben, so dass eine Nutzung von natürlichen Wasserquellen Austrocknungen hervorrufen kann, ● Beschneiungsanlagen für Kraftwerke ungünstige Verbraucher sind, da sie in den Wintermonaten, in denen der Energieverbrauch generell hö‐ her liegt und sich die Energieproduktion und -speicherung aufwendiger gestaltet, ● Kunstschnee eine andere Struktur als Naturschnee aufweist (er ist z.-B. dichter, was einen Versiegelungseffekt des Bodens hervorrufen kann, der die Flora erstickt und zu lebensfeindlichen Bedingungen für die Fauna führt), ● Anlagen zur Herstellung von Kunstschnee zwar immer effizienter arbeiten (z. B. verdunsten immer geringere Mengen des Wassers im Produktionsprozess), die klimatischen Bedingungen und der Druck des Wettbewerbs aber einen immer intensiveren Einsatz erfordern (sog. Re‐ bound-Effekt). In der Gesamtsicht machen die genannten Kosten den Skitourismus zu einer unverhältnismäßig „teuren“ Tourismusform. In einer gesamtgesellschaftli‐ chen Betrachtung stehen die notwendigen Investitionen insbesondere von Versprechungen wie einer „Schneegarantie“ in den meisten Fällen in keinem akzeptablen Verhältnis zum erzielbaren Nutzen (weder für heutige noch für zukünftige Generationen). Das Festhalten an starren Konzepten, die Investition in Maßnahmen, die den Klimawandel eher beschleunigen als verlangsamen, sollte nicht gefördert werden. Auch der Skitourismus darf nicht too big to fail (Hamberger 2015, S.-7) sein. Trotzdem ist natürlich nachzuvollziehen, dass Touristinnen und Touris‐ ten Freude am Skifahren haben! Reisenden ist vor diesem Hintergrund zu raten, sich eher für Destinationen zu entscheiden, die einen alternativen Wintertourismus anbieten, statt jene zu unterstützen, die beim „Weiter, höher, schneller“ des Skizirkus mitmachen. In solchen Zielen gibt es dann einen Skitag, wenn Schnee liegt, und ein Alternativprogramm, wenn es einmal regnet. 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 121 <?page no="122"?> Wissen | Rebound-Effekt Vom sog. Rebound-Effekt spricht man, wenn eine Steigerung der Effi‐ zienz bei einem Produkt oder einer Dienstleistung (z. B. Energie-/ Res‐ sourcenbedarf) eine erhöhte Nachfrage bewirkt und mithin mögliche Einsparungen durch die ursprüngliche Effizienzsteigerung nicht voll ausgeschöpft werden (vgl. UBA 2016, S. 5). Ein typisches Beispiel hierfür ist der Bereich Verkehr: Mit Kauf eines spritsparenden Autos erhöht sich plötzlich die Jahreskilometerleistung - es wird mehr gefahren (im Extremfall vielleicht sogar so viel, dass man insgesamt einen höheren Gesamtverbrauch erzielt als mit dem alten Pkw), weil „man ja so sparsam unterwegs ist“. Ökonomisch kann dieses Verhalten damit erklärt wer‐ den, dass die Nutzungskosten sinken. Psychologische Faktoren spielen jedoch auch eine wichtige Rolle. So kann es z. B. sein, dass der gefühlte Prestigeverlust beim Wechsel auf einen sparsameren Wagen durch erhöhte Mobilität in anderen Bereichen kompensiert wird - man fliegt nun häufiger in den Urlaub, anstatt mit dem Wagen zu näher gelegenen Zielen zu reisen, da „man ja schließlich schon im Alltag so klimaeffizient unterwegs ist - da kann man sich die Flüge ‚gönnen‘“ (vgl. UBA 2016, S.-6-8). Jonas Pfister: Man muss eines bedenken: Die Produktion von Kunstschnee erfordert einen enormen Aufwand an Ressourcen, d. h. von Wasser und Strom. Zuweilen wird darauf hingewiesen, dass der Stromverbrauch pro Schneekanone dank technischer Entwicklung in den letzten Jahrzehnten massiv abgenommen hat oder dass man die Kunstschneeerzeugung nicht unabhängig von den anderen Elementen des Urlaubs betrachten dürfe: Wenn man die Anfahrt im PKW mitberücksichtigt, so erweist sich, dass die Kunstschneeerzeugung nur für einen kleinen Teil des gesamten Res‐ sourcenverbrauchs des Urlaubs verantwortlich ist (Oswald 2020; Prager und Pramer 2023). Das stimmt, doch ändert dies nichts daran, dass der Ressourcenverbrauch enorm ist. Nun könnte man einwenden, dass dieser Verbrauch durch die spezielle Erfahrung gerechtfertigt ist, die man beim Skifahren macht: einen Hang mit Geschwindigkeit hinunterzugleiten und zugleich die Kontrolle über die eigenen Körperbewegungen zu haben. Wünschenswert wäre es, wenn es eine echte Alternative dazu gäbe, die weniger Ressourcen verbraucht, vielleicht mit Gras-Ski oder Mountainbikes (oder etwas in der Art, das es noch zu entwickeln gibt). Das Skifahren ist 122 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="123"?> nicht nur auf Kunstschnee eine Aktivität mit hohem Ressourcenverbrauch, sondern führt, wenn es viele Menschen am selben Ort machen, zu einer Veränderung der Landschaft. Und es ist somit auch die Frage, ob wir diese Veränderung wollen. Aufgrund des Klimawandels werden die Orte, an denen man damit rechnen kann, dass Schnee liegt, immer höher liegen, so dass es sich für die Anbieter rentieren kann, immer höher liegende Orte für den Skisport zu erschließen und damit massiv zu verändern (für eine Zusammenstellung weiterer Auswirkungen des Klimawandels auf den Wintertourismus siehe Steiger et al. 2022). Ein weiteres Beispiel für eine von Menschen verursachte Veränderung der Bergewelt sind die Basislager am Mount Everest, eindrücklich dargestellt im Kurzfilm „E.B.C. 5300M“ (Kohli 2016). Die Handlung eines Einzelnen scheint unproblematisch, wenn jedoch viele, also Hunderte, Tausende, Millionen dasselbe tun, hat es massive Auswirkungen (siehe dazu auch Frage 10). ⑥ Darf ich mit dem Flugzeug fliegen, wenn ich auch mit Bahn oder Bus zum Ziel käme? Julia Beelitz: Im Jahr 2018 kam der Begriff „Flugscham“ auf - in der schwedischen Tageszeitung „Svenska Dagbladet“ wurde er verwendet, um das Gefühl der Reue zu beschreiben, das sich einstellt, wenn man ein Flugzeug nutzt, obwohl man sich der negativen Umweltfolgen bewusst ist. Diese sind tatsächlich im Vergleich zur Nutzung anderer Verkehrsmittel enorm: Fliegen ist gemäß dem Umweltbundesamt die klimaschädlichste Art sich fortzubewegen (vgl. UBA 2022). Bereits ein Flug von Berlin nach Dubai und zurück (rund 2.170 kg CO 2 -Äquivalent) hat nahezu die gleiche Klimawirkung wie sie durchschnittlich bei einem Jahr Autofahren entsteht (rund 2.470 kg CO 2 -Äquivalent). Hintergrund dessen ist die Vielzahl klima‐ schädlicher Substanzen, die bei der Verbrennung von Kerosin entstehen. Hierzu zählen CO 2 , Methan und Lachgas. Negative Umweltwirkungen entstehen zudem durch Wasserdampf, Stickoxide und Aerosole, welche durch die Flugzeugmotoren in höhere Luftschichten gebracht und dort erheblich langsamer abgebaut werden als am Boden (i. e. Effekte sind bis zu dreimal größer) und die Atmosphäre erwärmen (vgl. UBA 2019, S. 25ff.). Ebenfalls nicht zu vernachlässigen sind die Wirkungen der fluginduzierten Zubringer- und Logistikverkehre, der Flächenverbrauch durch Flughäfen sowie der Fluglärm. Vor diesem Hintergrund gilt: Bestehen auf einer Strecke umweltfreund‐ liche Alternativen zum Flug, z. B. Bus- oder Bahnverbindungen, so sollten 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 123 <?page no="124"?> diese von Reisenden in Anspruch genommen werden. Erscheint die Wahl des Flugs unvermeidbar, sollte zumindest eine Zahlung an einem CO 2 -Kom‐ pensationsanbieter vorgenommen werden, um die marktverzerrende Preis‐ gestaltung im Flugsegment (entstehend u. a. durch Subventionen für Flug‐ häfen, eine relativ geringe Luftverkehrssteuer, die mangelnde Besteuerung von Kerosin und den nur partiellen Emissionshandel) auszugleichen. Wissen | CO 2 -Kompensation CO 2 -Kompensationsanbieter setzen am Problem der externen Kosten an (vgl. Frage 3 in dieser Liste): Bei Aktivitäten mit preislich unberück‐ sichtigtem Klimaeffekt (im Tourismus z. B. Flug, Autofahrt, Kreuzfahrt, Teilnahme an einem Event) ermitteln sie so genau wie möglich den Ausstoß von CO 2 -Äquivalenten. Bei einem Flug werden z. B. das auf einer Strecke verwendete Fluggerät (denn alte Flugzeuge stoßen mehr klimaschädliche Substanzen aus als neue), die gebuchte Sitzplatzklasse (denn bei einem Flug in der Economy Class können mehr Personen pro Kubikmeter Flugzeug bewegt werden als in der Business oder First Class) und der Fakt berücksichtigt, ob es sich um einen Linien- oder einen Charterflug handelt (denn Linienverbindungen fliegen ge‐ nerell mit einer geringeren Auslastung als Charterverbindungen, die typischerweise bis auf den letzten Platz besetzt werden). Dann erfolgt eine Bepreisung des Klimaeffekts: Pro Tonne CO 2 -Äquivalent wird ein Preis festgelegt und mit dem ermittelten Ausstoß multipliziert. Der sich ergebende Aufpreis wird vom Kunden an den Anbieter gezahlt und von diesem in Klimaschutzprojekte investiert, die anderswo auf der Welt Treibhausgase einsparen. Der Logik nach wird das Konzept der CO 2 -Kompensation in dem Moment obsolet, in dem durch die Politik eine allgemeine und vollständige CO 2 -Bepreisung eingeführt wird. CO 2 -Kompensationsanbieter sind demnach Anbieter eines Brückenbzw. Übergangskonzepts. Jonas Pfister: Die Nutzung eines Flugzeugs verursacht deutlich mehr Emissionen von Stoffen, die in großen Mengen zu einer Veränderung des Klimas führen (sog. Treibhausgase), als dies im Vergleich zur Nutzung eines anderen Verkehrsmittels der Fall ist. Allerdings führt ein einzelner Flug nicht zu einer Veränderung des Klimas, und noch viel weniger tut dies der eine Sitzplatz, den ich belege, wenn ich in meinen Urlaub fliege. Weshalb sollte 124 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="125"?> der Klimawandel also in der Entscheidung für oder gegen den Flug eine Rolle spielen? Wenn man nur die Folgen der einen Handlung betrachtet, also ohne die Folgen weiterer Handlungen, dann hat die einzelne Flugreise keine Auswirkung auf den Klimawandel. Somit gibt es aus utilitaristischer Sicht zunächst keinen Grund gegen einen Flug. Auch aus deontologischer Sicht spricht zunächst nicht dagegen: Es gibt keine Pflicht, auf das Fliegen zu verzichten, und im Normalfall verletzt man damit auch nicht irgendein Recht von jemandem. Und auch eine tugendethische Theorie liefert wenig Hilfe: Unser Verständnis von dem, was einen ethisch vollkommenen Men‐ schen ausmacht, richtet sich auf Charaktereigenschaften, die im alltäglichen Umgang mit anderen eine Rolle spielen, nicht auf das individuelle Verhalten in einem derart komplexen Ereignis wie dem Klimawandel. Das Problem ist ein Beispiel für das bekannte Problem der „Tragik der Allmende“. Das theoretische Problem kann nicht auf individueller Ebene gelöst werden, sondern nur auf einer gemeinschaftlichen Ebene. In Bezug auf die Nutzung des Flugzeugs bedeutet dies, dass politische Instrumente entwickelt werden müssten, um den Flugverkehr (und allgemein die menschlichen Tätigkeiten, die zu starken Emissionen von Treibhausgasen führen) auf ein nachhaltiges Maß einzuschränken. Wissen | Tragik der Allmende Die Tragik der Allmende (Engl. tragedy of the commons) ist ein spiel‐ theoretisches Problem, das unter diesem Namen dank einem Aufsatz des US-amerikanischen Ökologen Garret Hardin im Jahre 1968 bekannt wurde. Das Problem besteht darin, dass eine natürliche Ressource, zu der mehrere individuelle Akteure unbeschränkt und ohne einen Preis dafür zu zahlen Zugang haben, von diesen zu ihren individuellen Gunsten ausgebeutet wird. Die einzelnen Handlungen der Individuen führen zusammen einen Zustand herbei, in dem die Ressource für niemanden mehr verfügbar ist, der also für alle schlecht ist. Hardin verweist auf ein Beispiel, das der britische Ökonom William Forster Lloyd bereits 1833 verwendete: Wenn mehrere Bauern ihr Vieh unbeschränkt auf der Allmende grasen lassen dürfen, so führt dies zu einer Überweidung der Allmende und damit dazu, dass der fruchtbare Boden sich nicht mehr regenerieren kann. 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 125 <?page no="126"?> 5 NB: Wobei zu berücksichtigen ist, dass die genannten Länder in der Beflaggung der Welthandelsflotte generell zum führenden Feld gehören (vgl. Marinekommando 2021, S.-108). ⑦ Darf ich eine Kreuzfahrt machen? Julia Beelitz: Das Kreuzfahrtsegment gehört zu den Bereichen der Tou‐ rismusbranche, die in den letzten Jahrzehnten die höchsten Zuwächse verzeichnen konnten. Während z. B. 2009 weltweit 17,8 Millionen Passa‐ gierinnen und Passagiere eine Kreuzfahrt unternahmen, konnte der inter‐ nationale Verband der Kreuzfahrtindustrie 2019, also nur 10 Jahre später (! ), über 30 Millionen Kreuzfahrtreisende verzeichnen (CLIA 2020, S. 12). Insbesondere eine Verbreiterung der Zielgruppe, weg rein von Senioren hin zum Massenmarkt, hat den Verkauf von Kreuzfahrtreisen gesteigert - wobei dieser Trend nicht abgeschlossen scheint: Gemäß Verbandsstatistik planen bis zu 85 Prozent der sog. Millenials (i. e. Bevölkerungskohorte, die zwischen den frühen 1980er- und den späten 1990er-Jahren geboren wurde), in Zukunft einmal eine Kreuzfahrt zu unternehmen. Der zunehmenden Nachfrage wurde in den letzten Jahren mit umfangreichen Investitionen begegnet - selbst im ersten „Post-Covid-Jahr“ 2022 laufen 16 neue Schiffe vom Stapel (CLIA 2021, S. 20). Dadurch hat sich der Wettbewerb im Seg‐ ment intensiviert, was einen Preisdruck erzeugt - Kreuzfahrtunternehmen müssen profitabel wirtschaften. Entsprechend sollte es wenig verwundern, dass Reedereien kostensparende Strategien verfolgen, die ethisch teils hoch fraglich erscheinen. So registrieren die meisten Kreuzfahrtunternehmen ihre Schiffe in Ländern wie Panama, den Bahamas und Malta, um Steuern zu sparen. 5 So werden mit (Teilen) der Crew (insbesondere Personen ohne direkten Kundenkontakt) Arbeitsverträge nach Standard deren Heimatlan‐ des geschlossen, was u. a. geringe Stundenlöhne ermöglicht; und so werden die eingesetzten Schiffe nur langsam modernisiert und z. B. mit alternativen Antrieben, dauerhaft aktivierten Abgasfilteranlagen, modernen Systemen zum Handling von Müll und Abwässern und/ oder Landstromanschlüssen ausgestattet (vgl. Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik-2018). Eine „Dämonisierung“ des Kreuzfahrtsegments im Sinne einer Darstellung als besonders „schlimme“ Form des Tourismus und mithin ein generelles Abraten von der Teilnahme an einer Kreuzreise erscheint jedoch nicht angebracht. Denn Themen wie ein zu hoher Ressourcenverbrauch, fragwürdige Arbeitsbedingun‐ gen, aus der Aktivität entstehende Klimabelastungen und overtourism sind generelle Branchenprobleme (vgl. Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik 2020, 126 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="127"?> 6 NB: Vgl. dazu die Sendereihe „Kritisch reisen“ der ARD, die Herausforderungen des Tourismus im Ausland wie auch im Inland thematisiert - Folgenübersicht: https: / / www.fernsehserien.d e/ kritisch-reisen/ episodenguide/ 0/ 28720; einzelne Folgen abrufbar über ARD Mediathek bzw. (bei älteren Folgen) YouTube. S. 41ff.), die nicht notwendigerweise bzw. alleinig durch Kreuzfahrten hervor‐ gerufen werden. 6 An diesem Beispiel sind sie jedoch besonders sicht- und messbar und haben in jüngster Zeit besonders umfangreiche (auch: mediale) Aufmerksamkeit erfahren. Positive Wirkung dessen ist das sukzessive Einsetzen von funktionierenden Regelungs- und Gesetzesmechanismen, z. B. ein Einleit‐ verbot von Abwässern in die Ostsee nach dem MARPOL-Übereinkommen (vgl. Link-Tipp | https: / / www.bsh.de/ DE/ THEMEN/ Schifffahrt/ Umwelt_und_Schiff fahrt/ MARPOL/ marpol_node.html) oder das ab 2026 geltende Gebot des Einsat‐ zes ausschließlich emissionsfreier Antriebe in den norwegischen Fjorden (vgl. Link-Tipp | https: / / whc.unesco.org/ en/ news/ 1824). Doch macht der regulatori‐ sche Rahmen allein keine Tourismusform zum „tragbaren Reisevergnügen“ - es liegt zentral auch in der Verantwortung des Einzelnen, „richtige“ Entscheidungen bei der Inanspruchnahme zu treffen. Entsprechend kann eine Kreuzfahrt z. B. durch folgende Faktoren zu einer durchaus tragbaren touristischen Konsumform werden: ● Auswahl einer Reederei, die sich für Klima- und Umweltschutz einsetzt. In Deutschland kann als Entscheidungshilfe hierbei das „Kreuzfahrtran‐ king“ des NABU herangezogen werden (vgl. NABU-2020); ● Auswahl einer Kreuzfahrtreise, die von einem möglichst nahe zum Hei‐ matort gelegenen Hafen aus startet, und Verzicht auf emissionsintensive Formen der Anreise (insbesondere Flug) oder zumindest CO 2 -Kompen‐ sation dieser (besser: auch der Kreuzfahrt, z. B. über Link-Tipp | www .myclimate.de); ● Auswahl einer Reiseroute, die Häfen anfährt, die große, gleichzeitig eintreffende Menschenmengen verkraften kann (z. B. aufgrund ihrer Einwohnerzahl/ ihres touristischen Angebots) und Infrastrukturen (z. B. Landstromanschlüsse) bietet, die den zeitgemäßen Betrieb eines Kreuz‐ fahrtschiffes unterstützen; ● Buchung eines Kabinentyps mit einem angemessenen Verhältnis von verfügbarem Raum pro Kreuzfahrtpassagier (i. e. Suiten haben eine schlechtere Klimabilanz als eine Standardkabine); ● Bevorzugung solcher Angebote, bei denen u. a. Strategien zur Reduk‐ tion der Ressourcenverschwendung (z. B. Gastronomie: Buffets vs. 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 127 <?page no="128"?> À-la-carte-Service), zur Senkung des Abfallaufkommens (z. B. Vermei‐ dung von Einwegplastik) und zur tatsächlichen Einbindung der gastge‐ benden Bevölkerungen in die Wertschöpfung (z. B. lokaler Guide statt Reiseleiter vom Schiff) verfolgt werden. Jonas Pfister: Ähnlich wie bei den Fragen 5 und 6 geht es auch hier um eine Abwägung. Auf der einen Seite steht das Interesse der Person an einer bestimmten Form des Urlaubs oder der Fortbewegung und auf der anderen Seite stehen die Auswirkungen der Aktivität auf die Umwelt, wenn sie von Millionen von Menschen unternommen wird. Im Falle von Kreuzfahrten steht auf der einen Seite das Interesse an einem komfortablen und abwechslungsreichen Urlaub. Laut einer forsa-Umfrage des internationalen Kreuzfahrtverbands CLIA Deutschland (2019) schätzen die meisten deutschen Kreuzfahrturlauber v. a. folgende Aspekte einer Kreuzfahrt: der Besuch verschiedener Reiseziele in kurzer Zeit (79-Prozent), der höhere Komfort im Vergleich zu einem Urlaub an Land (76 Prozent) und das Freizeit- und Kulturangebot an Bord (73 Prozent). Gemäß den Ergebnissen der Umfrage ist an Bord das Gastronomieangebot am wichtigsten, gefolgt von Pool und Außenbereich, Unterhaltungseinrichtungen und dem Showprogramm. Auf der anderen Seite stehen die Auswirkungen auf die Umwelt: der massive Ressourcenverbrauch und die Verschmutzung von Luft und Wasser. Für die mit Diesel betriebenen Schiffsmotoren wird in der Regel Schweröl verwendet. Bei dessen Verbrennung entstehen Schwefeldioxid, Kohlenstoffdioxid, Stickoxide, Ruß und Feinstaub. Auch ohne konkrete Zahlen kann man sich ein ungefähres Bild von dem Ausmaß an schädlichen Emissionen machen, indem man Folgendes bedenkt: Die Schiffe werden immer größer und schwerer, um die Komfortbedürfnisse der Passagierinnen und Passagiere zu befriedigen (Restaurants, Pools, Kinos etc.) (→ Abbildung 15), und diese riesige Masse muss bewegt werden. Man kann sich somit fragen, ob man die Befriedigung der Interessen nach Erholung und Unterhaltung von dem Besuch gewisser Destinationen trennen kann und ob man diese auf eine Art erreichen kann, die mit einem niedrigeren Ressourcenverbrauch und niedrigerem Ausstoß an schädlichen Emissionen verbunden sind. Oder man kann sich fragen, ob man die Kreuzfahrt mit einem modernen Segelschiff unternehmen könnte, also auf einer Segelkreuzfahrt. 128 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="129"?> 7 NB: Man könnte sogar mutmaßen, dass für Reisende aus Demokratien gerade Länder, in denen Menschenrechte missachtet werden, aufgrund ihrer eklatanten Andersheit einen besonderen touristischen Reiz ausüben … (vgl. Prof. Dr. Monika Bandi Tanner im Interview mit Widmer-2022) Abbildung 15: Kreuzfahrtschiff | Quelle: © vale_t · iStockphoto ⑧ Darf ich in Länder reisen, in denen die Menschenrechte massiv missachtet werden, z.-B. China? Jonas Pfister: Reist man in ein Land und gibt dort Geld für verschiedene Güter aus, so unterstützt man damit die Wirtschaft dieses Landes. Damit, so könnte man argumentieren, unterstützt man auch die Regierung - und unter Umständen gibt man ihr über Gebühren (z. B. für das Visum) und Steuern direkt Geld, z. B. gegenwärtig in Syrien (Sele 2023) - und wenn die Regierung an massiven Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist, so scheint es nicht vertretbar, diese zu unterstützen, und somit auch nicht vertretbar, in das Land zu reisen. Allerdings unterstützt man mit den meisten Ausgaben in erster Linie die Menschen, die einem das Gut verkaufen. Würde man nicht hinreisen, würden diese das Geld nicht bekommen (und müssten auch auf den Kontakt zu den ausländischen Touristen verzichten, der über den finanziellen Aspekt hinaus bereichernd sein kann). Es kann deshalb unter Umständen und je nach Verhalten ethisch vertretbar sein, das Land zu bereisen. Julia Beelitz: Die Liste der Länder, in denen Menschenrechtsverletzung auftreten und die gleichzeitig sicherlich faszinierende Destinationen 7 wä‐ ren, ist (bedauerlicherweise) sehr lang. Ob Unterdrückung, Zwangsarbeit, Folter oder unrechtmäßige Inhaftierung - nicht nur China, sondern auch z. B. Ägypten, Kuba, Nordkorea, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei und 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 129 <?page no="130"?> 8 NB: Eine ganz trennscharfe Unterscheidung zwischen Demokratie und Autokratie als Herrschaftsform fällt schwer. Viele Modelle arbeiten daher mit Abstufungen, so auch die Demokratiematrix der Universität Würzburg. Hier wird zwischen „hard autocracies“, „moderate autocracies“, „hybrid regimes“, „deficient democracies“ und „working democracies” unterschieden. Gemäß der letzten Erhebung nach diesem Schema werden 96 von 175 untersuchten Ländern weltweit (in denen insgesamt ¾ der Weltbevölkerung leben! ) zumindest teilweise nach autokratischen Prinzipien regiert (vgl. Lauth et al.-2019). Venezuela stehen massiv in der Kritik (vgl. Website der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, Link-Tipp | www.igfm.de). Gerade au‐ tokratisch/ in Anlehnung an Autokratien geführte Staaten 8 setzen ihre Zi‐ vilgesellschaften unter Druck, um politische Strategien umzusetzen und die Loyalität der Bevölkerung sicherzustellen (vgl. Krennerich 2019, S. 2). Tourismus in diesen Ländern ist selten partizipativ organisiert - stattdessen sind es oftmals über Systeme der Vetternwirtschaft mit der Regierung verbundene Eliten, die z. B. Hotels bauen und besitzen und vom Großteil der touristischen Wertschöpfung profitieren - man denke u. a. an die Strukturen in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder auf den Malediven, wo die Vorteile des Tourismus sich nur für einige wenige Auserwählte entfalten -, während die Gesamtgesellschaft allerdings gleichzeitig die Nachteile zu schultern hat (vgl. Mohamed-2019). Wer sich demnach für „Ferien bei Diktatoren und Autokraten [entschei‐ det,] muss sich auf Arbeit gefasst machen: Vorbereitungs- und Beziehungs‐ arbeit“ ( Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter von Fairunterwegs im Interview mit Widmer 2022). Erstes, die Vorbereitungsarbeit, meint den Aufwand, den der Tourist bei der Planung der Reise aufbringen sollte. Hierzu gehört eine „Einarbeitung“ in das zur Frage stehende Reiseland und seine politischen Strukturen. Gehört das Land zu den „harten Autokratien“, die Menschen‐ rechte drastisch einschränken und potenziell die Präsenz ausländischer Touristinnen und Touristen zu eigenen Propagandazwecken missbrauchen (z. B. Nordkorea), so sollte von den Reiseplänen grundsätzlich Abstand genommen werden. Hat man es dagegen mit einer „moderaten Autokratie“ oder einem „Hybridregime“ zu tun (z. B. China, Türkei, Thailand), so sollte man sich z. B. fragen, wie man durch gezielte Konsumentscheidungen möglichst wenig Geld in das Regime und möglichst viel Einkommen direkt in die Zivilgesellschaft einbringt. Hierfür in Frage kommen z. B. die Bu‐ chung kleiner, familiengeführter Unterkünfte statt großer Hotels/ staatlicher Angebote und die Inanspruchnahme der Leistungen von lokalen, vom 130 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="131"?> Regime unabhängigen Reiseführern. Zweites, also die Beziehungsarbeit, ist dann sogar noch anspruchsvoller. Hier geht es um den Aufbau des Kontakts mit der gastgebenden Bevölkerung - und dies nicht nur für ein „plattes“ (i. e. oberflächliches) Verkaufsgespräch, sondern für einen authentischen, tiefgründigen Austausch. Man bedenke jedoch, dass hierfür nicht nur Sprach-, sondern auch interkulturelle Kompetenzen (z. B. Wissen um Sitten und Traditionen der Gastgeber) aufgebaut werden müssen! Und man vergesse nicht, dass die Teile der Bevölkerung, denen man bei seiner Reise begegnet, nicht unbedingt vollständig aufgeklärt über die Verhältnisse in ihrem Land sind, da die Regimes potenziell bewusst nur Teil- oder sogar Falschinformationen verbreiten (vgl. Widmer 2022)! Zudem sei erinnert, dass man selbst als Reisender (wenn man sich „ab der Norm“ verhält) von den jeweils Herrschenden als Agitator wahrgenommen werden kann und mit entsprechend negativen Konsequenzen zu rechnen hat, wenn dies der Fall ist. ⑨ Darf ich in ein Land reisen, um dort sexuelle Dienste zu kaufen („Sextourismus“)? Julia Beelitz: Die Inanspruchnahme von sexuellen Diensten gegen Entgelt oder anderweitig vereinbarte Gegenleistung ist bei Einvernehmlichkeit aller Beteiligten auch im Tourismus zu akzeptieren. In dem Moment jedoch, in dem Personen unter Zwang agieren (z. B. in die Prostitution gepresst werden oder zu ungewollten Praktiken genötigt werden), in dem von Seiten der Beteiligten oder Dritten (z. B. Zuhältern) die Notlage einer Person für die genannten Zwecke ausgenutzt wird oder in dem Personen mit besonderem Schutzbedarf (insbesondere Kinder, Jugendliche oder Menschen mit Behin‐ derung) in die sexuellen Handlungen einbezogen werden, gilt es, Täter zu identifizieren und zu bestrafen sowie Opfern zu helfen. Wissen | Kindersextourismus Gerade Kinder werden durch das zunehmende Tourismusaufkommen besonderen Gefahren ausgesetzt: Einkommensunterschiede zwischen den Besuchern und den Besuchten, fehlende Regulierung und soziale Sicherungssysteme, aber auch das Internet und mobile Technologien haben eine Zunahme der sexuellen Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus begünstigt. Dabei gibt es weder „typische Opfer“ noch „typische Situationen“ - die Ausnutzung trifft jedoch besonders 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 131 <?page no="132"?> oft junge Kinder, die Minderheiten oder indigenen Gruppen angehören und/ oder in Armut leben (z. B. auch Straßenkinder). Die Organisation ECPAT (www.ecpat.de) sensibilisiert für dieses Phänomen und setzt sich seit 20-Jahren für den Kinderschutz in der Branche ein. Jonas Pfister: Die Frage, ob Prostitution moralisch erlaubt ist, sowohl sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu praktizieren (die Seite der Prostitu‐ ierten) als auch für sexuelle Handlungen zu bezahlen (die Seite des Kunden), wird kontrovers diskutiert. Handeln beide Seiten freiwillig und in ihrem eigenen Interesse, so kann man die Ansicht vertreten, dass es moralisch unbedenklich ist. Sobald jedoch jemand aufgrund ökonomischer Umstände (Armut) dazu gedrängt ist, sich zu prostituieren, ist diese Antwort weniger leicht vertretbar. Sextourismus findet sehr oft genau vor einem solchen ökonomischen Hintergrund statt: Arme Menschen sind bereit, sich zu prostituieren, weil sie hoffen, damit ihr Überleben zu sichern oder aus der Armut zu entkommen. Kunden aus wohlhabenden Ländern nutzen den ökonomischen Unterschied aus, um für vergleichsweise wenig Geld sexuelle Handlungen zu kaufen. Aus diesem Grund ist Sextourismus sehr oft aus ethischer Sicht problematisch, auch wenn er im Einzelfall ethisch vertretbar sein mag, wenn keine Ausbeutung stattfindet und die Handlungen im gegenseitigen Respekt vollzogen werden. Das Problem des Sextourismus ist jedoch gravierender, weil viele Kinder und Jugendliche davon betroffen sind - Schätzungen gehen von mehreren Millionen aus. Die UNWTO verurteilt in ihrem Globalen Ethikkodex für Tourismus „die Ausbeutung von Men‐ schen in jeder Form, v. a. die sexuelle Ausbeutung, besonders bei Kindern, widerspricht den grundlegenden Zielen des Tourismus“ (UNWTO 1999, Art-2.3). ⑩ Darf ich in die Antarktis (und ähnliche von Menschen weitgehend unberührte Orte) reisen? Julia Beelitz: Von Reisen in Orte mit extrem vulnerabler Struktur sollte aus moralischen Gründen grundsätzlich abgesehen werden. Die Erforschung sollte auf ein geringes, effektminimierendes Maß beschränkt und spezifi‐ schen, absolut notwendigen Bedarfen vorbehalten bleiben (zu denen ein rein persönliches Interesse, dessen Befriedigung keinen weiteren, gesellschaftli‐ chen Nutzen entfaltet, explizit nicht gehören darf). Diesem Anspruch wird bereits an vielen Stellen weltweit mit der Einrichtung von Schutzgebieten 132 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="133"?> (z.-B. Nationalparks, Natur-/ Meeresschutzgebiete und Reservate) begegnet. In diesen gelten typischerweise klare Regeln zur Nutzung der Ressourcen und mithin auch für die touristische Inanspruchnahme (z. B. Zugangsregeln und -limitationen), deren Einhaltung im Idealfall auch von entsprechenden Instanzen (z. B. Ranger) kontrolliert bzw. im Bedarfsfall sanktioniert wird. Auch die Antarktis fällt durch den sog. Antarktis-Vertrag aufgrund ihrer sensiblen und schützenswerten Strukturen unter besonderen Schutz: Seit 1991 regelt das Madrid-Protokoll als internationales Abkommen u. a., dass „die Antarktis als Naturreservat zu belassen [ist], das dem Frieden und der Wissenschaft gewidmet ist, und sie als solches für die künftigen Generationen zu schützen“ (UBA-2021). Jonas Pfister: Noch weitgehend von Menschen unberührte Orte wie die Antarktis stellen für die Menschheit ein Gut von einem unschätzbaren Wert dar. Touristische Reisen an solche Orte, auch wenn sie zu ehrwürdigen individuellen Bildungszwecken unternommen werden, sind ethisch nicht vertretbar. Einzig vertretbar sind Reisen zu Forschungszwecken. ⑪ Ist es okay, einen „Ballermann-Urlaub“ zu buchen? Julia Beelitz: Denkt man an den „Ballermann“, ist der Strandabschnitt an der Platja de Palma gemeint, der in den 1990er-Jahren für eine „spezielle“ Form des Massentourismus berühmt wurde: Partyurlaub am Meer, bei der Alkohol (in rauen Mengen, Stichwort: Sangria aus dem Eimer), populäre Musik (Schlager) und das Miteinander mit anderen Reisenden (typischer‐ weise aus der Heimat oder zumindest aus dem gleichen Sprachraum) weit vor dem Erlebnis lokaler Kultur- oder Bildungselemente bzw. der Inanspruchnahme hochwertiger und authentischer Leistungen des Gastge‐ werbes steht. Das beschriebene Konzept wird auf Mallorca schon seit Jahren (u. a. mit Benimmregeln und Einlasskontrollen) bekämpft, um das Reiseziel auf‐ zuwerten, und hat in anderen Destinationen (z. B. Bulgarien: Goldstrand) Nachahmer gefunden. Trotzdem steht es prototypisch für einen Tourismus, der losgelöst von nahezu allen Facetten des jeweiligen Reiseziels ist und deshalb an dieser Stelle weiter „Ballermann-Urlaub“ genannt werden soll. Der Begriff soll für eine Form des Tourismus stehen, bei der die Destinatio‐ nen zur bloßen Kulisse werden, die genau jene Ressourcen zur Verfügung stellt, die der Tourist benötigt, um seine Motive zu befriedigen. In räumlich klar abgegrenzten Gebieten verbringt der Pauschalurlauber ein bis zwei Wochen; im Extremfall in einer umzäunten Hotelanlage, in die ihn der 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 133 <?page no="134"?> Transferbus vom Flughafen gebracht hat und aus der dieser ihn auch wieder abholen wird, und isst, trinkt, schläft und amüsiert sich zum Paketpreis. Ob das Ressort dann am Mittelmeer oder am Atlantik steht, ist nur eine Frage der Wassertemperatur. Und ob man sich in der Türkei oder Griechenland befindet, nur ein Aspekt, der bei der An- und Abreise auffällt (und vielleicht beim wöchentlich stattfindenden „Kulturabend“, den die Animateure für die Gäste ausrichten - wobei natürlich auch genau das geboten wird, was die Gäste erwarten-…). Ob die Inanspruchnahme eines „Ballermann-Urlaubs“ vertretbar ist, hängt maßgeblich von der Frage ab, was für die Destination verträglicher ist: eine Konzentration oder die Dezentralisierung der Destinationsstruktur. Für beide Optionen gibt es bislang Fürsprecher, aber auch Kritiker - eine finale Antwort bzw. eine geeignete Bewertungsmethode für den Einzelfall steht noch aus. Jonas Pfister: Wenn der „Ballermann-Urlaub“ lediglich ein Erholungs‐ urlaub ist, so muss man die Frage stellen, ob man denselben Erholungseffekt mit weniger Ressourcenverbrauch erzielen kann, d. h. insbesondere, ob man nicht eine näher gelegene Destination wählen kann, die man ohne die Benützung eines Flugzeugs erreichen kann. ⑫ Ist voluntourism dafür geeignet im Urlaub Gutes zu tun? Wissen | voluntourism Unter dem Begriff voluntourism wird ein Reisetyp erfasst, bei welchem dem Prinzip nach Freiwilligenarbeit (volunteering) mit dem Tourismus zusammenkommt. Die Angebote fußen auf dem Wunsch der (häufig jungen) Reisenden, sich und ihre Arbeitskraft für einen definierten Zeitraum weltweit für den guten Zweck einsetzen. Aufenthalte dauern zwischen zwei Wochen und zwei Jahren. Organisiert und angeboten werden diese Reisen von staatlichen Institutionen (z. B. vom Europäi‐ schen Freiwilligendienst), öfter aber von kommerziellen Anbietern. Entsprechend werden v. a. solche Maßnahmen und Organisationen unterstützt, die sich um beliebte Themen kümmern, z. B. Tierschutz und die Arbeit mit Kindern, und die in attraktiven Destinationen stattfinden. Julia Beelitz: Der Wunsch danach, die Urlaubszeit sinnstiftend zu nutzen, ist sicherlich nachvollziehbar - schließlich wird allenthalben über die 134 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="135"?> Schäden diskutiert, die der Tourismus anrichten kann. Ob Freiwilligenreisen einen positiven Effekt entfalten, kann allerdings nur im Einzelfall entschie‐ den werden. Die Konfrontation mit anderen Lebenswelten und den dortigen Herausforderungen hat sicherlich Potenzial, selbstreflexive Prozesse in Gang zu setzen. Teils wird allerdings eher Schaden als Nutzen erzeugt, wenn z.-B. die Reisenden unvorbereitet und ohne Berücksichtigung ihrer persön‐ lichen Kompetenzen als Lehrkraft oder zur Kinderbetreuung eingesetzt werden, die Freiwilligen ungewollt eine unschlagbare, da kostenlose Kon‐ kurrenz zu lokalen Arbeitskräften darstellen oder „Problemlagen“ künstlich geschaffen werden (z. B. Kauf von Kindern für Waisenhäuser oder Tötung von Tieren, um deren Junge in „Auffangstationen“ zu verwerten), um attraktive Aufgaben für die Reisenden vorzuhalten. Für Laien sind seriöse Angebote nur schwer zu identifizieren und auch spezialisierte Vermittler verfolgen oftmals v. a. kommerzielle Interessen. Entsprechend ist es zu empfehlen, entweder an staatlich organisierten Programmen teilzunehmen - oder sich zu fragen, ob man für Freiwilligenarbeit wirklich verreisen muss: Hilfe beim Naturschutz oder die Unterstützung von sozialen Projekten ist auch in der Heimat möglich. Jonas Pfister: Der Wunsch, Gutes zu tun, ist grundsätzlich etwas Gutes. Nicht nur ist er ein Motiv für ethisches Verhalten, sondern er gibt dem eigenen Leben einen Sinn. Allerdings kann der Wunsch auch Hinweis für das sog. „Helfersyndrom“ sein, bei dem der Wunsch nach Gebrauchtwerden zur Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse führt, so dass man von einer krankhaften Form des Helfens oder von einem „pathologischem Altruismus“ spricht (Oakley et al. 2012). Abgesehen davon ist grundsätzlich die Frage zu stellen, ob mit einem solchen Einsatz als ungelernte Arbeitskraft die Fähig‐ keiten und Mittel effizient eingesetzt werden. Zum einen ist zu beachten, dass man als ungelernte und ungeübte Arbeitskraft in der Regel weniger effizient arbeitet als eine gelernte und geübte Arbeitskraft. Zum anderen ist zu bedenken, dass man womöglich Kenntnisse und Fähigkeiten hat, die in der spezifischen Arbeit nicht benötigt werden, die aber an einem anderen Ort gebraucht würden. Möglichst effizient zu helfen, ist der Grundsatz des Effektiven Altruismus (siehe Wissensbox → S. 115). Effektive Altruisten weisen darauf hin, dass man mehr Leben retten und umfassend verbessern kann, wenn man einen Beruf wählt und in diesem arbeitet, in dem man viel Geld verdient, und dieses Geld dann spendet, als wenn man selbst seine Arbeitskraft in einem Entwicklungsprojekt einbringt. 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen 135 <?page no="136"?> ⑬ Darf ich zu Hause bleiben? Julia Beelitz: Ja, denn es besteht weder ein Menschenrecht auf die Teilhabe am Tourismus noch eine Pflicht zur Partizipation. Zählt man Geschäftsrei‐ sen zum Tourismus, ergibt sich allerdings eine indirekte Notwendigkeit. Jonas Pfister: Der soziale Status, der mit touristischen Reisen verbunden ist, und der soziale Druck, einen hohen sozialen Status zu erreichen, führen dazu, dass ein sozialer Druck zu touristischen Reisen besteht. Aber dieser Druck ist nicht unbedingt berechtigt, und man muss ihm standhalten und auch einen Urlaub zu Hause verbringen können (wenn man in der privile‐ gierten Situation ist, in einer Wohnung zu leben, in der man sich gut erholen und weiterbilden kann). Die touristische Reise kann auch der Unterhaltung dienen, und wer zu Hause einen Internetzugang hat, dem stehen unzählige Möglichkeiten der Unterhaltung offen. Man kann sich auch überlegen, ob man überhaupt die Unterhaltung suchen möchte oder ob man sich darin üben möchte, ruhig in einem Raum zu bleiben - die Unfähigkeit dazu sieht bekanntlich der Philosoph Blaise Pascal als eine der Hauptursachen des menschlichen Unglücks. Wenn der Effektive Altruismus richtig ist, dann haben wir sogar die Pflicht, öfters zu Hause zu bleiben. Wenn man das aber sein ganzes Leben tut, wenn man also immer zu Hause bleibt, dann führt man womöglich kein gutes Leben (siehe oben → Kapitel 3). 136 5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen <?page no="137"?> 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 30.11.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Tourismus und Nachhaltigkeit Lieber Jonas, gerade habe ich mir nochmal unsere Einschätzungen zu den ethischen Fragen des Tourismus angeschaut. Ich glaube, an einer vertiefenden Unter‐ suchung des Themas Nachhaltigkeit kommen wir nicht vorbei. Dies gilt im besonderen Maße aufgrund der Eigenschaft des Tourismus als offenes System (→ S. 37) und der damit einhergehenden Interdependenz des Tourismus mit seinen Umwelten. Das Reisen ist einerseits abhängig von Ressourcen außerhalb seiner selbst: So benötigt man z. B. fossile Brennstoffe und Wasser, um touristi‐ sche Bedürfnisse (z. B. Distanzüberwindung zwischen Heimatraum und Destination) zu befriedigen. Aber auch Elemente wie Ruhe/ Ungestörtheit, eine schöne/ unverbaute Aussicht und Gastfreundschaft sind notwendige Eingaben in das Tourismussystem. Stehen diese Ressourcen nicht (mehr) zur Verfügung, kommt es zu Qualitätseinbußen; im schlimmsten Fall kön‐ nen Reisen gar nicht mehr angetreten werden. Dies ist relevant, da alle Ressourcen endlich sind, wobei sich bei einigen ihre Knappheit bereits offenbart, während andere noch als verfügbar begriffen werden (lesenswert ist in diesem Kontext das Buch „Peak Everything“ von Richard Heinberg). Insbesondere vor dem Hintergrund des kapitalistischen Wachstumspara‐ digmas (auch hierzu eine Leseempfehlung: Ulrike Herrmanns „Das Ende des Kapitalismus“) ergibt sich hieraus ein sog. Flaschenhals-Dilemma: Die Entwicklung des Tourismus muss einen zunehmenden Nachfragedruck mit einer sich kontinuierlich verringernden Ressourcenbasis vereinbaren (vgl. Pufé-2017, S.-20f.). <?page no="138"?> Nachhaltigkeit ist demnach nicht als Ziel, sondern als Entwicklungs‐ prinzip zu erfassen: Da sich die Bedingungen ständig ändern, gibt es keinen angestrebten Endzustand. Vielmehr erforderlich ist ein fort‐ währendes Bemühen um Adaption an die jeweilige Situation - ein komplexes Unterfangen, wie man sich vorstellen kann … Dies tritt umso mehr hervor, wenn man sich vor Augen führt, dass Tourismus andererseits kontinuierlich selbst auf seine Umwelten Einfluss nimmt. Reisen verbrauchen nämlich nicht nur Ressourcen, sondern führen Verän‐ derungen in verschiedenen Sphären herbei bzw. tragen zu diesen zumindest bei. Typischerweise werden sie in drei Bereiche oder „Säulen“ kategorisiert - man spricht von möglichen ökologischen, ökonomischen und soziokultu‐ rellen Wirkungen des Tourismus, wie auch in →-Abbildung-16 dargestellt. Abbildung 16: Mögliche negative Wirkungen des Tourismus eigene Darstellung nach Steinecke (2006) und BTW (2015) ökonomische Wirkungen sozio-kulturelle Wirkungen • Preissteigerungen, Gentrifizierung • Gefahr einer Monostruktur/ Überabhängigkeit vom Tourismus • Beschäftigung potenziell saisonal, niedrig qualifiziert und/ oder primär für Auswärtige • Ungleichheit Besucher/ Besuchte, z.B. bzgl. Zugang zu Infrastruktur • Sickereffekte • Kommerzialisierung (i. e. Anpassung von Tradition an Wünsche der Touristen) • Akkulturation (Auflösung von Kultur) • Anstieg von Kriminalität • Enteignungen • soz. Verwerfungen, Neidgefühle • Xenophobie • Binnenwanderung • Ressourcenverbrauch • Emissionen (CO 2 , Lärm, Licht) • Abwasser- und Abfallprobleme • Beeinträchtigung des Landschaftsbilds (Tourismus als „Landschaftsfresser“) • Eingriff in (empfindliche) Ökosysteme • Flächenzerschneidung/ versiegelung / -verlust (z.B. für Landwirtschaft) ökologische Wirkungen Beeinträchtigung des andschaftsbilds (Tourismus als „Landschaftsfresser“) Eingriff in (empfindliche) kosysteme Flächenzerschneidung/ Überabhängigkeit vom Beschäftigung potenziell saisonal, niedrig qualifiziert und/ oder primär für Ungleichheit Besucher/ Besuchte, z.B. bzgl. Zugang zu Infrastruktur • Beeinträchtigung des ersiegelung / Landwirtschaft) Tourismus Abbildung 16: Mögliche negative Wirkungen des Tourismus |-Quelle: eigene Darstellung nach Steinecke-(2006) und BTW-(2015) 138 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="139"?> Vor diesem Hintergrund kann man eine Vielzahl von Problemen mit gesell‐ schaftlicher bzw. politischer Relevanz identifizieren, die mit dem Tourismus korrespondieren. Drei Problembereiche möchte ich nachfolgend exempla‐ risch herausgreifen: ① Tourismus ist ein Gerechtigkeitsproblem. Wie ich an anderer Stelle bereits erläutert habe, nimmt am internationalen Tourismus nur ein Bruchteil der Weltbevölkerung teil (→ S. 78 f.). Dabei sind es v. a. die Einwohner der wirtschaftsstarken Industrie- und Schwel‐ lenländer, die auf Reisen gehen. Insbesondere ökonomische Gründe (i. e. die Nichtverfügbarkeit von Attraktoren im Inland sowie Preisdifferenzen, die sich u. a. durch Unterschiede bei Produktionskosten und Faktorverfüg‐ barkeiten ergeben, vgl. Letzner 2014, S. 207f.) führen dazu, dass sie Urlaub im Ausland machen, wobei Länder mit einem geringeren Wohlstand oft bevorzugte Zielgebiete sind. Da der Großteil der negativen Wirkungen des Tourismus in den Transferräumen und Destinationen anfällt, kommt es hierdurch zu einem Ungleichgewicht, das man intragenerational ungerecht nennen kann: Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass sich die „Reichen“ auf Kosten der „Armen“ touristisch vergnügen. Eine weitere Dimension der Ungerechtigkeit leitet sich zudem intergenera‐ tional durch den Ressourcenverbrauch ab: Jegliche nichtregenerativen Ressourcen, die heutige Generationen durch touristische Aktivität verbrauchen, stehen morgigen Generatio‐ nen nicht mehr zur Verfügung. Da man z. B. aktuell davon ausgeht, dass aufgrund des Klimawandels, der vom Tourismus eindeutig mitverursacht wird (vgl. Lund-Durlacher & Stras‐ das 2021), bis zum Jahr 2050 90 Prozent und bis zum Ende des Jahrhunderts sämtliche Korallenriffe weltweit verschwunden sein werden (vgl. Bollati et al. 2020), wird bei Annahme einer Generationsspanne von 31 Jahren (vgl. VDK 2017) bereits die übernächste Generation voraussichtlich keine Gelegenheit mehr haben, das Naturwunder Korallenriff zu erleben. Die von Dir in einem anderen Zusammenhang bereits angesprochene Tragöde der Allmende (→ S. 125 f.) wirkt in diesem Zusammenhang doppelt schädlich: 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 139 <?page no="140"?> Durch sie gibt es nicht nur - überspitzt formuliert - niemanden, der die Ressourcen vor dem touristischen Zugriff schützt; vielmehr ist es sogar so, dass ihre zunehmende Knappheit zu einem Teufelskreis führt: Im Angesicht der Perspektive, dass Attraktoren ggf. schon morgen nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der gewünschten Qualität verfügbar sind, wird erst recht gereist und die Ressource konsumiert, frei nach dem Motto: „Besser heute eine Koralle vom Great Barrier Reef abbrechen/ den durch den Fotosafari aufgescheuchten Geparden fotografieren/ Angkor Wat besteigen, bevor morgen schon andere da waren und für mich nichts mehr übrig ist.“ ② Tourismus ist ein Freiheitsproblem. Wie es in unserem Dialog bereits an verschiedenen Stellen anklang, wird der Tourismus oftmals mit Freiheit assoziiert. Dies hat einerseits mit den Rahmenbedingungen zu tun: Die Teilhabe am Tourismus wird durch die Verfügbarkeit von Geld und Zeit sowie durch die Freizügigkeit (vgl. Aus‐ führungen zur Reisefreiheit, → S. 61 f.) ermöglicht. Andererseits sind Reisen auch eine Zeit der Freiheit von Verpflichtungen (vgl. Entlastungeffekt des Reisens, → S. 65 ff.) und damit zur Entfaltung individueller Interessen sowie zur persönlichen Bildung. Damit bildet der Tourismus im Prinzip die beiden, miteinander ver‐ schränkten Perspektiven der Freiheit ab: Reisende befinden sich in einem Zustand, der weitgehend frei von Beschränkungen ist (i. e. „Freiheit von“/ negative Freiheit) und ihnen dadurch Freiräume und Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung des eigenen Lebens lässt (i. e. „Frei‐ heit zu“/ positive Freiheit). Der gültige Ordnungsrahmen ermöglicht Autonomie (vgl. Kiegeland-2010 und Berlin-1958). Doch damit darf die Diskussion der Freiheit im touristischen Kontext nicht enden. Sie wäre sonst viel zu einseitig gedacht. Statt nur die Freiheit der Touristinnen und Touristen zu reflektieren, muss vielmehr zumindest („zumindest“, denn auf Basis des Systemcharakters der Tourismus könnte man darüber hinaus auch z. B. die Freiheit der Fauna und/ oder Flora, der Kultur etc. diskutieren …) auch an die Menschen in den Destinationen gedacht werden, deren Möglichkeit zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse u. a. vom Tourismus beeinflusst wird. Mit nochmaliger Verbindung zum Thema Gerechtigkeit kann dann festgestellt werden: 140 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="141"?> Die Freiheit der Besucher schränkt potenziell die Freiheit der Besuchten ein. Dies wird u. a. im tourismuswissenschaftlichen Diskurs zum sog. overtou‐ rism (→ S. 117) deutlich, wie ich am Beispiel des Städtetourismus zeigen will, wo das zunehmende Volumen der Reisenden einerseits sowie die Veränderungen von deren Verhalten andererseits von den Einwohnerinnen und Einwohnern der Städte als störend wahrgenommen werden, v. a. wenn Schwellenwerte überschritten scheinen vgl. d’Eramo 2018, S. 92). Besonders fallen dabei neben der physischen Überfüllung (sog. crowding), Lärmemis‐ sionen und anderen dem Verhalten der Touristen geschuldeten Störungen (z. B. exzessiver Alkoholgenuss, Einheimische anstarren), Phänomene des tourismusverbundenen Strukturwandels (z. B. Veränderungen im Angebot von Gastronomie und Einzelhandel) ins Gewicht (vgl. Kagermeier 2021, S. 26ff. und Bauer et al. 2020, S. 96f.). Letztere sind in Bezug auf die Freiheit der Besuchten relevant, da sie potenziell ihre Fähigkeit beschränken, ihre alltäglichen Bedürfnisse zu befriedigen, denn: „Der Anwohner braucht vielleicht einen Schuster, um seine Schuhe reparieren zu lassen, aber wenn der Tourist Appetit auf einen Snack hat und die Touristen mehr Geld ausgeben als die Anwohner, wird im Ergebnis die kleine Schusterwerkstatt schließen und werden stattdessen Fast-Food-Buden aus dem Boden sprießen“ (d’Eramo 2018, S.-93). Speziell, wenn durch den Tourismus sowieso schon knappe Ressourcen der Destination stark genutzt werden, kommt es zu einer ungerechten Einschränkung der Freiheit der Einwohnerinnen und Einwohner. So ver‐ ringert z. B. das Phänomen der Vermittlung von Privatunterkünften über Plattformen wie Airbnb (vgl. Namberger et al. 2019) ebenso wie eine steigende Anzahl von Zweitwohnungen in Destinationen (vgl. BUND 2020, S. 39f.) das Angebot an bezahlbarem Wohnraum, was die Freiheit in der Wohnortwahl stark beeinflussen kann - denn die Einkünfte, die aus dem Tourismus erzielt werden, kommen eben nicht allen Einwohnerinnen und Einwohnern zugute, selbst wenn der Tourismus für viele Städte bald die einzige lokale Industrie sein mag (vgl. d’Eramo-2018, S.-92). ③ Tourismus ist ein Machtproblem. Auch wenn Reisen in der allgemeinen Wahrnehmung wohl eher als unbeschwertes Freizeitvergnügen erachtet werden, bei denen man sich „auf Augenhöhe“ begegnet - in der näheren Betrachtung weist der Tou‐ 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 141 <?page no="142"?> rismus Strukturen der Unter- und Überlegenheit auf. „Es existieren Ele‐ mente, Gruppen, Schichten oder Klassen, die Verteilungsstrukturen und Deutungsmuster bestimmen und legitime Bedürfnisse definieren können.“ (Heuwinkel 2018, S. 129) Als Machtausübende können je nach Perspektive unterschiedliche Akteure identifiziert werden. Für sie charakteristisch ist, dass sie Entscheidungen treffen bzw. die Entscheidungsfindung maßgeblich beeinflussen, unabhängig davon, ob sie dafür gesellschaftlich legitimiert sind (vgl. Hall 2009, S. 201f.). Beispielhaft sei an die Tourismusindustrie bzw. einzelne Organisationen/ Individuen hierin, die westliche Gesellschaft und die herrschenden Klassen innerhalb von Staaten gedacht. Sie nehmen z. B. Einfluss darauf, was als Kulturerbe vermarktet wird (vgl. Macleod 2009) und wirken potenziell auf die Konstruktion von Identitäten ein (vgl. Holmes 2009), bestimmen, welche Angebote von touristischen Ausgaben profitieren (vgl. Heuwinkel 2018, S. 131), und steuern, für welche Zwecke natürliche Ressourcen verwendet werden (vgl. Strang-2009). Dies sollte deutlich machen, dass im Tourismuskontext Ausdrucks‐ formen unausgeglichener Macht in allen drei Nachhaltigkeitssäulen identifizierbar sind. Problematisch ist, dass derartige Machtverhältnisse oftmals in Ungerech‐ tigkeit münden. Denn anders als ungerecht, da entmündigend, kann es wohl nicht bezeichnet werden, wenn ein Ort z. B. von Akteuren des Reisevertriebs weitgehend ohne vorherige Absprache mit den Betroffenen „in eine Schublade gesteckt“ (z. B. Vermarktung einer wasserreichen Stadt als „Venedig des Nordens“ - mach’ Dir doch mal den Spaß und recherchiere, wer diesen Titel trägt … Du wirst staunen! ) oder von Travel-Influencern im Sinne der Selbstdarstellung als ansonsten eigenschaftsloser Bildhintergrund missbraucht wird (z. B. @[hier Namen des Influencers einsetzen] #travel‐ junkie #beachbabe). In der Gesamtsicht meiner Beispiele zeigt sich, dass speziell das Thema Gerechtigkeit immer wieder in den Vordergrund tritt, wenn es um Nachhal‐ tigkeit im Tourismus geht. Gibt es dafür ggf. eine Erklärung aus der Sicht der Philosophie? Beste Grüße Julia 142 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="143"?> 07.12.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Fragen der Gerechtigkeit Liebe Julia, herzlichen Dank für Deine Darstellung von drei zentralen gesellschaftlichen Problembereichen: Gerechtigkeit, Freiheit und Macht. Der grundlegendste Begriff von diesen ist nach vielen Philosophinnen und Philosophen derje‐ nige der Gerechtigkeit. Der antike Philosoph Platon erachtet sie als die wichtigste Tugend von allen, und sein Hauptwerk Politeia (Der Staat) ist der Frage gewidmet, was Gerechtigkeit ist. Der wohl einflussreichste politische Philosoph des 20. Jahrhunderts, John Rawls, dessen Hauptwerk den Titel Eine Theorie der Gerechtigkeit (A Theory of Justice) trägt, bezeichnet sie als die erste Tugend sozialer Institutionen (Rawls 1971, S. 3): So wie wir uns in unserem Erkenntnisstreben am Ideal der Wahrheit orientieren, so lassen wir uns in der Ordnung von Gesellschaften vom Ideal der Gerechtigkeit leiten. Die von Dir angesprochenen Freiheits- und Machtprobleme können als Teil des allgemeinen Problems der Gerechtigkeit angesehen werden: Welche Freiheit muss wer haben, damit es gerecht ist? Welche Machtbeziehungen und welche Formen der Machtausübung sind legitim? Hinzunehmen könnte man weitere Begriffe: Welche Gleichheit soll bestehen, d. h., welche Rechte stehen jedem Menschen gleichermaßen zu? Welche Verteilung von Gütern ist gerecht? Welche Verpflichtung haben im Sinne der Solidarität (Brüder- und Schwesterlichkeit) diejenigen, die mehr als genug haben, gegenüber jenen, die zu wenig haben, um zu überleben oder ein würdevolles Leben zu führen? Dies sind einige der vielen grundlegenden Fragen der politischen Phi‐ losophie. Wir können selbstverständlich in unserem Rahmen nicht näher darauf eingehen, sondern können lediglich einige begriffliche Hilfsmittel und Überlegungen für die Bearbeitung der Fragen im Zusammenhang mit dem Tourismus bereitstellen. Im Alltag nehmen wir jeweils in erster Linie die uns am nächsten liegende Perspektive ein, etwa die von uns als Individuen (z. B. als Tourist, Reiseleiterin etc.), die eines Betriebs (z. B. eines Hotels) oder die einer Interessensgruppe (z.-B. der Gastgewerbetreibenden in einer 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 143 <?page no="144"?> Region). Fragen der Gerechtigkeit kommen jedoch erst dann in den Blick, wenn wir die Perspektiven (und Interessen, Rechte etc.) Verschiedener berücksichtigen. Fragen der Gerechtigkeit werden uns also typischerweise erst dann bewusst, wenn sich ein Interessenskonflikt zeigt oder wenn wir bewusst mehrere Perspektiven in unsere Überlegungen einbeziehen. Gewisse gesellschaftliche Probleme werden im Tourismus sichtbar. Viel‐ fach handelt es sich dabei aber nicht um Probleme des Tourismus. Vielmehr zeigen sie sich einfach in diesem Bereich, zuweilen auch besonders deutlich. Aus der Aussage, dass es nicht Probleme des Tourismus sind, folgt nicht, dass man sich damit im Tourismus nicht beschäftigen sollte. Wenn uns ein Problem auffällt, ist es das vermutlich wert, sich damit zu beschäftigen - und sei es auch nur, um zu erkennen, dass es gar kein Problem oder viel weniger gravierend ist, als man ursprünglich gedacht hat, oder um zu erkennen, dass es zwar ein großes Problem ist, die Lösung aber woanders gesucht werden muss. Manchmal muss man aber mit der Lösung gerade an dem Ort beginnen, an dem man es entdeckt hat. Auch weil man damit eine grö‐ ßere gesellschaftliche Veränderung anstoßen kann. Solche finden oftmals dadurch statt, dass sich zuerst etwas in einem Teilbereich verändert. Einige der Veränderungen globalen Ausmaßes nahmen ihren Ursprung in der Aktivität Einzelner - man denke im 20. Jahrhundert an die Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela, oder in jüngster Zeit etwa an Greta Thunberg. All die unzähligen kleinen Veränderungen auf lokaler Ebene, die ebenfalls ihren Ursprung in einer individuellen Initiative haben, sind damit noch gar nicht genannt. Für einige der Probleme ist der Tourismus als System oder sind einzelne Akteurinnen des Tourismus (mit-)verantwortlich, einmal in einem einfa‐ chen ursächlichen Sinn und je nach dem auch in einem moralischen Sinn. Ich denke hier in erster Linie an die Auswirkungen auf die Umwelt, also die Verschlechterung oder gar Zerstörung der Lebensbedingungen von Menschen und anderen empfindungsfähigen Wesen sowie unzähliger weiterer Arten von Lebewesen. Wir haben implizit bereits im letzten Kapitel Fragen dazu aus individueller Perspektive diskutiert. Nun wenden wir uns diesen Auswirkungen aus einer erweiterten Perspektive zu. Die negativen Auswirkungen auf die Umwelt können unmittelbar eine bestimmte Region betreffen, wie der von uns bereits mehrfach erwähnte overtourism zeigt. Die Auswirkungen können aber auch erst in einigen Jahren oder womöglich sogar erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten spürbar werden. Die von Dir genannte Zerstörung womöglich sämtlicher 144 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="145"?> Korallenriffe in den nächsten Jahrzehnten ist ein eindrückliches Beispiel. Dann stellt sich nicht nur die Frage, ob ein Verhalten, das diese Folge hat, gerecht gegenüber den Menschen ist, die gegenwärtig leben, sondern auch die Frage, ob es gerecht gegenüber den Menschen ist, die in Zukunft leben werden, also gegenüber zukünftigen Generationen. Man spricht deshalb auch von intergenerationeller Gerechtigkeit. Fragen dazu wurden be‐ reits seit der Antike diskutiert, eine erste systematische lieferte John Rawls (1971), einflussreich sind nach wie vor die Überlegungen von Derek Parfit (1984; siehe Meyer-2021). Ein wichtiger Begriff für die Beantwortung von Fragen intergenerationel‐ ler Gerechtigkeit ist der von Dir angesprochene Begriff der Nachhaltigkeit. Wir sollten uns damit beschäftigen, was damit genau gemeint ist. Was also ist Nachhaltigkeit (Engl. sustainability)? Dazu gibt der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987 mit dem Titel „Our common future“ eine Antwort. Dieser Bericht, der nach der Kommis‐ sionsvorsitzenden und ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland auch als Brundtland-Bericht bekannt ist, definiert nachhaltige Entwicklung wie folgt: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heuti‐ gen Generation befriedigt, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Begriff beinhaltet zwei Schlüsselkonzepte: ● das Konzept der ‚Bedürfnisse‘, insbesondere der grundlegenden Bedürfnisse der Armen in der Welt, denen oberste Priorität eingeräumt werden sollte; und ● die Vorstellung von den Grenzen, die der Stand der Technik und der gesell‐ schaftlichen Organisation der Fähigkeit der Umwelt auferlegt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen. Daher müssen die Ziele der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in allen Ländern - ob entwickelt oder im Aufbau begriffen, ob marktorientiert oder zentral geplant - im Sinne der Nachhaltigkeit definiert werden. Die Auslegungen werden unterschiedlich sein, müssen aber bestimmte allgemeine Merkmale aufweisen und sich aus einem Konsens über das Grundkonzept der nachhaltigen Entwicklung und über einen breiten strategischen Rahmen zu dessen Verwirkli‐ chung ergeben.“ (WCED-1987, Kapitel-2, §-1-2) 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 145 <?page no="146"?> Beziehen wir diese Bestimmungen nun auf den Tourismus, so können wir sagen: Nachhaltiger Tourismus ist einer, der sich an diesen Zielen orientiert. Das Thema ist spätestens seit Ende der 1990er-Jahre im Tourismus ange‐ kommen. Die UNWTO legt in ihrem Globalen Ethikkodex für Touris‐ mus in Artikel 3 („Tourismus als Faktor für eine nachhaltige Entwicklung2) im ersten Abschnitt Folgendes fest: „Alle am Tourismus beteiligten Anspruchsgruppen sollten die natürliche Umwelt mit dem Ziel schützen, ein gesundes, kontinuierliches und nachhaltiges Wirt‐ schaftswachstum zu erreichen, das den Bedürfnissen und Zielen gegenwärtiger und künftiger Generationen gerecht wird.“ (UNWTO-1999) Dies ist als Appell an die Anspruchsgruppen (Engl. stakeholder) gerichtet. Es gibt jedoch auch eine Kommission für Tourismus und Nachhaltigkeit (Committee on Tourism and Sustainability CTS), die den Dialog über Nach‐ haltigkeit zwischen den Ländern der UNWTO unterstützt. Dass Tourismus zuweilen nicht nachhaltig ist, haben wir bereits an Beispielen wie der Zerstörung der Korallenriffe gesehen. Tourismus kann auch auf lokaler Ebene zu Zuständen führen, die nicht nachhaltig sind. Zum Beispiel kann der Verbrauch von Trinkwasser durch die Touristinnen und Touristen auf einer kargen Insel zusätzlich zu anderen Faktoren dazu führen, dass das Grundwasser fast vollständig aufgebraucht wird oder sich qualitativ so verschlechtert, dass es nicht mehr für Trinkwasser geeignet ist (wie auf der griechischen Insel Santorin geschehen). Global gesehen ist in vielen Bereichen das Verhalten der Menschheit insgesamt nicht nachhaltig, insbesondere im Verbrauch natürlicher Ressour‐ cen (wie Erdöl, Erdgas, Holz, Sand, seltene Erden etc.) und in Bezug auf den maßgeblich durch Treibhausgase verursachten Klimawandel. Auch der Tourismus trägt dazu bei. Da Menschen Treibhausgase ausstoßen, ob sie nun zu Hause oder an einem anderen Ort sind, ist der spezifische Beitrag des Tourismus im Ausstoß durch den Transport zu sehen. Der Transport, ob für touristische Zwecke oder nicht, ist global für einen größeren Teil der Treibausgase verantwortlich, mittlerweile ca. ⅕ (Crippa et al. 2021). Wie viel davon ist auf den Tourismus zurückzuführen? Es ist ein beträchtlicher Anteil, wie Du bereits erläutert hast (→ S. 123 f.). Wichtiger als das genaue Ausmaß ist die Frage, welche Transportmittel möglichst wenig Emissionen von Treibhausgasen produzieren. Es lassen sich bekanntlich verschiedene Transportmittel unterscheiden: zu Fuß, Fahr‐ rad, PKW, Bus, Bahn, Schiff und Flugzeug. Kürzere Strecken sind aus 146 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="147"?> ökologischer Sicht besser zu Fuß oder mit dem Fahrrad statt mit PKW zurückzulegen, für längere Strecken sind PKW, Bus und Bahn den Verkehrs‐ mitteln Schiff und Flugzeug vorzuziehen. Auch wenn wir Menschen in den Industrienationen dies (nun) wissen: Werden wir auch entsprechend handeln? Das ist eine entscheidende Frage, wenn Tourismus tatsächlich nachhaltiger werden soll. Die Tragik der Allmende (→ S. 125 f.) zeigt, dass man eine nachhaltige Form des Tou‐ rismus nicht einfach dadurch erreichen kann, dass man an Individuen appelliert, sich in ihrem Ressourcenverbrauch zu beschränken, denn solange man dafür nicht bezahlen muss, ist es nachvollziehbar, dass man einen Vorteil für sich selbst aus der Situation zieht. Ein entscheidender Teil der Lösung des Problems muss nach meiner Auffassung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene stattfinden. Mögliche Instrumente sind ein monetä‐ rer Anreiz für ein bestimmtes Verhalten, eine stärkere Regulierung der Angebote (z. B., dass sie gewisse Umweltstandards erfüllen müssen) oder Verbote (z. B. ein Verbot von Kurzstreckenflügen, wie dies in Österreich die Umweltministerin Leonore Gewessler seit einigen Jahren fordert). Doch welche konkreten Instrumente sollen umgesetzt werden? Die konkrete Beantwortung dieser Frage, die letztlich eine politische Entscheidung ist, würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Auch wenn das Problem in entscheidenden Teilen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu lösen ist, können Appelle an Individuen einen Effekt haben. Sie können u. a. dazu beitragen, das Bewusstsein für bestimmte Probleme erst zu schaffen. Und erst wenn man dieses Bewusstsein hat, kann man bewusst etwas zur Lösung des Problems beitragen, sei es durch individuelles Verhalten, sei es dadurch, dass man sich dafür engagiert, dass auf institutioneller Ebene Maßnahmen ergriffen werden. Das Bewusstsein ist also Voraussetzung für politische Veränderung. Das Bewusstsein wird auch durch Bildung verändert. Dazu gehört die Erarbeitung von Wissen über Ökologie, aber auch die Förderung des kritischen Denkens (Pfister 2020). Nun, liebe Julia, ich bin gespannt, was Du darauf zu antworten hast. Insbesondere würde es mich interessieren, ob es gemäß Deiner Einschätzung nachhaltigen Tourismus geben kann. Mit lieben Grüßen Jonas 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 147 <?page no="148"?> 18.12.2022 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Verantwortung im und für den Tourismus Lieber Jonas, vielen Dank für Deine erhellenden Ausführungen zu den Perspektiven der Philosophie auf das Thema Gerechtigkeit! Speziell Dein Punkt, dass diese für den Menschen generell erst dann relevant werden, entweder wenn es Interessenkonflikte gibt oder wenn die Perspektiven verschiedener Akteure berücksichtigt werden, hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn tatsächlich besteht genau in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach eine der zentralen Herausforderungen von Nachhaltig‐ keit im Tourismuskontext - wenn man Gerechtigkeit als das zentrale Prinzip der Nachhaltigkeit erfasst, würde ich sogar so weit gehen zu konstatieren, dass es keinen nachhaltigen Tourismus gibt. Doch lass mich das erklären … Der Massentourismus heutiger Zeit beruht ei‐ nerseits darauf, dass im Zeitverlauf ein immer größerer Teil der Menschheit das Erlebnis der Fremde als wertschöpfend betrachtet, was u. a. durch die Verfügbarkeit von Informationen, aber auch durch Imitationsphänomene erklärt werden kann (vgl. dazu meine Darstellungen zur Geschichte des Tourismus, → S. 14 ff.). Andererseits kann der massenhafte Tourismus auf Effizienzsteigerungen zurückgeführt werden, wie sie beispielsweise in den Bereichen Transport (vgl. Schnelligkeit der Distanzüberwindung) und Beherbergung (vgl. Arbeitsproduktivität in einem Hotel vs. bei Pri‐ vatzimmern) zu beobachten sind. Die Effizienzsteigerungen haben den Effekt, dass zum einen die Preise touristischer Leistungen sinken, was eine erhöhte nachfrageseitige Partizipation zur Folge hat. Zum anderen steigern sie die Attraktivität dessen, touristischer Anbieter zu sein - mit dem Tourismus lässt sich dann nämlich Geld verdienen. In Folge wird der Tourismus zu einer Industrie - gemäß dem Wortstamm des Begriffs (Lat. industrius = beharrlich, tätig, regsam; vgl. DWDS 2022, o. S.) geht es darum, touristische Erlebnisse in Großproduktion gewerblich herzustellen. Da es sich bei den touristischen Leistungen vornehmlich um Dienstleistungen 148 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="149"?> handelt und sich zudem im Zeitverlauf der Wettbewerb im Tourismus zuspitzt (Stichwort: Käufermärkte …), wird die „Wunscherfüllung“, also die Befriedigung der Bedürfnisse der (potenziellen) Touristinnen und Touristen, großgeschrieben: Motive und Ansprüche werden professionell analysiert, prognostiziert und bearbeitet, da man sich bewusst ist, dass die Erfüllung von Kundenerwartungen erfolgsentscheidend ist (denn ist der Tourist un‐ zufrieden, so ist er weg und/ oder es droht schlechte Mund-zu-Mund-Propa‐ ganda). Der Fokus des Tourismus liegt mithin auf der Konsumperspektive, den Ansichten des Verbrauchers. Ihm soll möglichst alles recht gemacht werden. Entsprechend werden nicht selten (auch unpopuläre) Entscheidungen der Geschäftspolitik mit der Konsumperspektive begründet. Aus eigener Erfahrung kann ich z. B. berichten, dass in einem Hotel in der Türkei, in dem ich eine Zeit lang gearbeitet habe, keine Trinkgefäße aus Plastik im Poolbereich eingeführt wurden, obwohl sich bereits mehrere Gäste und Mitarbeitende an Scherben verletzt hatten (denn Glasbruch ist im Umfeld von spielenden Kindern im und am Schwimmbecken sowie bei eindösenden Liegestuhlokkupierern kaum zu vermeiden …), da Plastikgläser gemäß der Geschäftsleitung von der Kundschaft als Zeichen eines „Billigurlaubs“ erfasst würden. Übergeordnetes Ziel ist es, alles zu tun, um den Konsum zu steigern, so dass es auch nicht verwundern sollte, dass die Anbieter selten zur Mäßigung aufrufen, sondern eher das Gegenteil, also den zusätzlichen Verbrauch forcieren. Dabei muss ich z. B. an die vielfältigen Upgrade-Angebote denken, die typischerweise unterbreitet werden, wenn man eine Hotelübernachtung bucht, oder an den teils sehr aggressiven Verkauf von Zusatzleistungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen, der sich - natürlich in Abhängigkeit von der Reederei und ihrem Produktkonzept - u. a. in häufigen, mehrsprachigen Durchsagen bzw. der persönlichen Ansprache der Reisenden an der Rezep‐ tion/ an den Zugängen zu den Restaurants/ zum Theater/ Fitnessstudio oder an der Gangway bzw. schriftlich über Flyer auf den Kabinen äußern kann. Konsumphänomene, wie z. B. der Rebound-Effekt, sind im Kontext des Tourismus entsprechend weit verbreitet: Es finden zwar einerseits Einspa‐ 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 149 <?page no="150"?> rungen im Ressourcenverbrauch durch Effizienzmaßnahmen statt (z. B. verringern sog. Winglets, Anbauten an den Tragflächen von Flugzeugen, deren Kraftstoffverbrauch), diese werden aber andererseits durch vermehrte (z. B. Langstrecken statt Kurzstrecken fliegen) bzw. häufigere (z. B. zusätzli‐ che Wochenendtrips mit dem Flugzeug) Nutzung aufgewogen, so dass in der Gesamtsicht mögliche Einsparungen nicht voll ausgeschöpft werden (vgl. UBA 2016, S. 7). Spezifisch begünstigt wird dies durch die Allverfügbarkeit (i. e. verschiedene Buchungswege für Flüge) und den Preisverfall (z. B. Low-Cost-Carrier im Flugsegment) im Tourismus. Spitz formuliert könnte man sogar sagen, dass die Touristinnen und Touristen von der Tourismusindustrie im Zeitverlauf zum unreflektier‐ ten Konsum erzogen worden sind. Da ihnen mit „Rundum-sorglos-Paketen“ wie Pauschalreisen und Kreuz‐ fahrten zur Gewohnheit gemacht wurde, dass die Reiseveranstalter bzw. -anbieter für die Lösung von Alltagsproblemen ebenso Sorge tragen wie für die Behebung von spontanen Störungen (Stichwort: Entlastung, → S. 65 ff.), könnte man den touristischen Konsumenten eine Pay-and-forget-Mentalität zuschreiben. Wenig überraschend sehen diese sich nur zum Teil selbst in der Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus. Wie z. B. eine Studie aus dem Jahr 2013 ausweist, werden bezüglich der Reduzierung der ökologischen Belastung durch Urlaubsreisen von den Befragten maßgeblich auch der Tourismusindustrie und dem Staat Verantwortung zugewiesen (vgl. FUR-2014, S.-16f.). In der Gesamtsicht zeigt sich aus diesen Überlegungen, dass es im Touris‐ mus zwar Interessenkonflikte und abweichende Perspektiven verschiedener Akteure gibt, diese durch den Konsumfokus jedoch in den Hintergrund ge‐ drängt werden. Gerechtigkeit steht als Thema mithin nicht im touristischen Fokus - einen nachhaltigen Tourismus gibt es nicht. Aber: Bitte missversteh’ mich hier nicht! Mit all dem will ich nicht zum Ausdruck bringen, dass „Hopfen und Malz verloren“ ist! Nachhaltigkeit als Entwicklungsprinzip des Tourismus ist meiner Mei‐ nung nach nicht nur folgerichtig, sondern auch möglich und - und das sind die guten Nachrichten, auf die ich später noch vertiefend einge‐ hen will - durchaus als Differenzierungsmerkmal gut zu vermarkten. 150 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="151"?> Allerdings verlangt sie eine Veränderung im Mindset aller Beteiligten im Sinne einer bewussten Verantwortungsübernahme. Konkret muss diese auf Ebene der Politik, bei den Akteuren der Touris‐ muswirtschaft, aber auch beim Individuum stattfinden. Dabei gilt es mit konkreten Herausforderungen umzugehen. In Bezug auf die Politik ist es z. B. der Querschnittscharakter des Tourismus (→ S. 11), der es erforderlich macht, dass politische Diskussionen nicht nur in einem Politikbereich (z. B. im Kontext der Wirtschaftspolitik, dem der Tourismus am häufigsten zugeordnet wird), sondern interdisziplinär geführt werden. Speziell wenn man z. B. Grenzen oder Schwellenwerte definieren will, muss zudem die internationale Perspektive des Tourismus berücksichtigt werden, denn es gilt „Regeln [zu] gestalten, die für alle verständlich, gut und gleichermaßen gültig sind“ (Philosophie.ch 2015, S. 4). Die Weltklimakonferenzen, abgehal‐ ten seit 1979, bei denen alle Staaten der Welt „an einen Tisch kommen“, um Fragen der Nachhaltigkeit zu diskutieren, sind analog wichtiges Instrument auch im Tourismuskontext zur Festlegung, was eine „Fähigkeit zur Erhal‐ tung“ (i. e. sustain-ability) bedarf. Problematisch gestaltet es sich dagegen, wenn die Objektivität der Politik in Tourismusbelangen geschmälert wird, wenn der Staat selbst Eigentümer bzw. Anteilseigner ist, wie dies z. B. bei der Deutschen Bahn, Hotels in der Türkei oder Airlines in den Golfstaaten der Fall ist. Hier verschwimmt die Grenze der Verantwortung, hin zu jener der Tourismuswirtschaft, die im Sinne der Nachhaltigkeit darauf zu achten hat, dass Unternehmen einerseits markt-/ wettbewerbsfähige Leistungen schaffen, andererseits aber Strategien verfolgen, die bezüglich ihrer Ziele und Werte den Nachhaltigkeitscharakter aufgreifen (Stichwort: Corporate Social Responsibility, vgl. z.-B. Lund-Durlacher et al.-2017). Ob dieser Überlegungen grübelnd, sende ich Dir viele Grüße Julia 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 151 <?page no="152"?> 23.12.2022 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Eine Frage der Perspektive Liebe Julia, ich finde Deine These, dass es keinen nachhaltigen Tourismus gibt, sehr spannend. Ich denke, dass Du zu dieser Ansicht gelangst, weil Du v. a. die Perspektiven der wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteure berücksich‐ tigst. Du stellst diese für mich sehr gut nachvollziehbar dar. Wenn wir aber auf das ganze System des Tourismus schauen, dann ist ein nachhaltiger Tourismus denkbar und vielleicht sogar auch prinzipiell umsetzbar, wenn die Staaten bereit wären, gemeinsam gewisse global geltende Standards und Verbote aufzustellen und durchzusetzen. Diese These steht mit der Deinen nicht im Widerspruch. Ich würde gerne auf die Perspektive der Reisenden eingehen. Es be‐ steht, so scheint mir, zumindest bei einigen Menschen in den wohlhabenden Ländern ein Wunsch danach, touristisch möglichst nachhaltig unterwegs zu sein. Es ist auch das, was ethisch richtig ist, und insofern ist dieser Wunsch auch gut nachvollziehbar. Um ihn bewusst zu befriedigen, benötigen die Reisenden Informationen darüber, welche Reisen nachhaltig oder nachhal‐ tiger als andere sind. Diese Informationen sollten ihnen auch zur Verfügung gestellt werden, sofern dies möglich ist und der Aufwand dafür angemessen ist. Staatliche Stellen könnten die Vorgaben dafür liefern und die Anbieter sollten die Angaben ausarbeiten - ähnlich den Nährwertangaben auf Nah‐ rungsmittel. Mit dieser Maßnahme könnte man einen Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Tourismus machen. Liebe Grüße Jonas 152 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="153"?> 05.01.2023 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Wege zur Nachhaltigkeit Lieber Jonas, vielen Dank für Deine kurze Rückmeldung und Einschätzung. Du hast Recht damit, nochmals zu betonen, dass eine Orientierung am Entwick‐ lungsziel Nachhaltigkeit auch im Tourismus keineswegs abwegig ist. Die Ausführungen aus meiner letzten Nachricht könnten sonst wirklich falsch verstanden werden. Meine Ableitungen in dieser Hinsicht sind mitnichten eine Schuldzuweisung gewesen. Die Anbieter dafür zu verurteilen, dass es keinen nachhaltigen Touris‐ mus gibt, wäre falsch. Vielmehr ist es das Zusammenspiel aller Akteure im Tourismus das hierfür die Basis bildet. Besondere Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund meiner Meinung nach dem Individuum zu, so dass ich mich freue, dass Du in Deiner Nachricht auf die Perspektive der Reisenden eingegangen bist. Wenn ich über „das Individuum“ spreche, meine ich allerdings nicht „nur“ die Touristen, sondern jeden einzelnen Menschen, der z. B. als Konsument eine Reiseentschei‐ dung trifft, als Manager in einem Tourismusunternehmen arbeitet oder als Politiker über die Rahmenbedingungen des Tourismus bestimmt. Das Individuum agiert in multiplen Rollen, in denen es seine Umwelt zum einen durch direkte, persönliche Entscheidungen, zum anderen aber auch indirekt beeinflusst, denn Organisationen bestehen aus Individuen und werden von diesen gesteuert, z. B. über Wahlen, durch bürgerschaftliches Engagement oder im Rahmen beruflicher Tätigkeit. Meine Ansicht ist demnach: Wenn man das Entwicklungsprinzip Nachhaltigkeit forcieren will, so muss man am Individuum ansetzen, da sich dadurch Entscheidungen im Bereich des privaten Konsums ebenso wie Strategien und Maßnah‐ men von gesellschaftlichen und politischen Institutionen anpassen und mithin ein holistischer Wandel herbeigeführt werden kann. 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 153 <?page no="154"?> Es gilt daher, alles daran zu setzen, dass Individuen in verschiedensten Situationen und Rollen ihres Lebens die „richtige“, d. h., eine vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsziels reflektierte Entscheidung treffen. Nachhaltigkeit entsteht in diesem Kontext, wenn Individuen vom Konzept der Überlegenheit eines genügsamen, kollaborativen und schuldenfreien Konsums überzeugt sind (vgl. Balderjahn-2021,-S.-217). Derartige Überzeugungen können - wie Du auch bereits in Deiner vorletz‐ ten Nachricht skizziertest - entweder durch Anreize oder Beschränkungen gefördert werden. Man kann also nachhaltige Entscheidungen zum einen begünstigen, indem man Nachhaltigkeit mit einem Mehrwert oder geringe‐ ren Kosten verknüpft. Im Tourismuskontext könnte das heißen, Leistungen nicht nur am Prinzip Nachhaltigkeit auszurichten, sondern ihnen im Ver‐ gleich zum konventionellen Angebot auch noch einen Zusatznutzen (z. B. Effekt auf Bildung/ Gesundheit/ Selbstwertgefühl des Reisenden) zu geben oder sie günstiger anzubieten. Zum anderen kann man auf Verbote (z. B. Kreuzfahrtschiffen den Zugang zum Hafen Venedig verwehren), Wertver‐ lust (z.-B. Flugscham) oder Mehrkosten (z. B. Kompensationszahlungen für den Ausstoß von CO 2 ) setzen, um opportunistisches Verhalten einzuschrän‐ ken (vgl. Balderjahn 2021, S. 235ff.). Beide Ansätze zusammengenommen formen den Rahmen der Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Überzeu‐ gungen und damit auf das Verhalten von Individuen. Fragst Du mich in diesem Zusammenhang allerdings nach meiner Auffassung, welcher Ansatz konkret im Tourismus wirksamer ist, würde ich klar für die Anreize votieren: Im Tourismus sticht die freiwillige Entscheidung für Nachhaltigkeit eine diesbezüglich aufoktroyierte Pflicht aus. Hierfür gibt es mindestens drei Gründe: ● Erstens ist touristischer Konsum insbesondere im Freizeitkon‐ text optional. Wird etwas beschränkt, das das Individuum in seiner bisherigen Form mochte, verzichtet es im Zweifel ganz auf den Konsum. Ein Tourismusverzicht ist jedoch selten eigentliches Ziel von Beschrän‐ kungen. Vielmehr wollen diese den Charakter des Konsums und seine Konsequenzen steuern, was beim völligen Verzicht ausbleibt. Würde man z. B. den Ausbau der Infrastruktur in Skigebieten verbieten, könnte 154 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="155"?> es sein, dass die Nachfrage in den Regionen völlig zusammenbricht - etwaige Maßnahmen zur (schrittweisen) Umstrukturierung der Desti‐ nationen hin zu einem verträglichen Wintertourismus blieben in Folge ohne hinreichende Wirkung. ● Zweitens sind touristische Märkte generell Käufermärkte. Wie dargestellt (vgl. Fokus auf die Konsumperspektive, → S. 149), liegt die Marktmacht im Tourismus in den meisten Fällen beim Konsumenten. Wird eine Leistung verboten/ bewusst unattraktiv gemacht, wechselt er potenziell leicht zu einem alternativen Anbieter oder nutzt die Orientierung der Anbieter an seinen Wünschen aus, um seine Interessen durchzusetzen. Verbietet man z. B. Inlandsflüge in Deutschland, ist damit zu rechnen, dass grenznah lebende Reisende auf im Ausland liegende, nahe Abflughäfen ausweichen, um ihre Destination im Inland trotzdem mit dem Flugzeug zu erreichen. ● Drittens ist zu erfassen, dass es sich beim Tourismus um inter‐ nationale Märkte mit vielfältigen Anspruchsgruppen handelt. Nicht zuletzt aufgrund ökonomischer und kultureller Unterschiede zwischen den Ländern ist es demnach ein komplexes Unterfangen, Einschränkungen durch die Politik, z. B. einen global gültigen, ange‐ messenen Preis für den Ausstoß einer Tonne CO 2 , auszuhandeln bzw. durchzusetzen. Es muss vielmehr als wahrscheinlich erachtet werden, dass Beschränkungen, die aus politischen Verhandlungen entstehen, stets einen Teil der Bevölkerung nicht zufriedenstellen, was potenziell unabsehbare gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (man denke z. B. an die Reaktionen von AfD und „Querdenkern“ auf die Coronamaßnahmen in Deutschland). Als besondere Hürde bei der Überzeugung des Individuums für das Entwick‐ lungsprinzip sind in diesem Zusammenhang Wissenslücken zu nennen: Oftmals sind sich Konsumenten nicht darüber im Klaren, welche Kon‐ sequenzen ihr Konsum hat, weil sie zeitlich, räumlich oder rein logisch keine Verbindung zwischen ihrer Entscheidung und entstehenden Kosten für die Allgemeinheit sehen bzw. nachvollziehen können. Touristen können also ggf. nicht nachvollziehen - um ein von mir genutztes Beispiel nochmals zu bemühen - warum es ein Problem für das Morgen darstellen soll, wenn sie heute mit Motorbooten zur Besichtigung von Riffen 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 155 <?page no="156"?> aufbrechen oder eine echte Koralle als Souvenir aus dem Urlaub mitbringen. Die Bereitstellung und Vermittlung von Informationen, so wie Du sie als Maßnahme zur Förderung von Nachhaltigkeit vorgeschlagen hast, ist in diesem Sinne als Basis der Werterkenntnis elementar. Allerdings muss ich leider bezweifeln, dass Informationen ausreichen, um Individuen zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismuskontext zu führen. Dies hat mit einem Phänomen zu tun, dass im Nachhaltigkeitskontext intensiv diskutiert wird, der sog. Attitude-Behaviour Gap (ABG). Mit diesem Begriff aus der Verhaltensökonomie bezeichnet man Abweichungen zwischen der grundsätzlichen Einstellung einer Person und ihrem tatsäch‐ lichen Verhalten. Dass es zu solchen kommt, ist unbestritten und kann an einem Beispiel wahrscheinlich am besten nachvollzogen werden: Zu Silvester formulieren viele von uns sog. „gute Vorsätzen“, nehmen sich für das neue Jahr also z. B. vor, mehr Sport zu machen, Obst und Gemüse zu essen und keinen Alkohol zu trinken. Wir tun dies, weil wir informiert darüber sind (z. B. durch Ärzte, Zeitungsartikel oder Angaben auf den Lebensmit‐ teln), dass das Genannte Element einer gesünderen Lebensführung ist, zu der wir uns auch emotional hingezogen fühlen, weil wir sie uns wünschen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Nach kurzer Zeit „ertappen“ wir uns selbst, gemütlich auf der Couch liegend, mit einem Schokoriegel in der einen und einem Glas Wein in der anderen Hand. Trotz eines bereits bestehenden Bewusstseins bezüglich „besserer“ Alternativen, kommt es also zu einem Verhalten, das von diesen abweicht. Ähnliches kann man auch in Bezug auf das Reiseverhalten nachweisen. So zeigt z. B. die Reiseanalyse 2022, dass zwar einerseits der Anteil der Befragten immer weiter steigt, der sich einen umweltschonenden (47 Prozent - im Jahr 2016 lag der Wert noch bei 39 Prozent) bzw. sozialverträglichen (64 Prozent - im Jahr 2916 lag der Wert noch bei 46 Prozent) Urlaub wünscht, andererseits aber nur bei einem marginalen Anteil (5 Prozent) die Nachhaltigkeit des Angebots den entscheidenden Faktor bei der Auswahl einer Reise darstellt (FUR 2022, S.-14). Das nachhaltigkeitsbezogene Verhalten bleibt demnach auch im Tou‐ rismus weit hinter den Einstellungen zurück. Die ABG zeigt, dass auch informierte Individuen in ihrem Verhalten von ihren Überzeugungen abweichen. 156 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="157"?> Die Hintergründe der ABG sind intensiv beforscht worden. Als Auslöser für ihr Vorliegen im Tourismus können auf Basis der Ergebnisse (vgl. Balderjahn-2021, S.-218ff.) u.-a. folgende Aspekte abgeleitet werden: ● Kaufbarrieren: Tourismusangebote mit Nachhaltigkeitsanspruch wer‐ den nicht gekauft, wenn sie teurer sind als konventionelle Reisen (sog. Preisbarriere), wenn man durch die Entscheidung für ihren Kauf liebgewonnene Gewohnheiten ändern muss (sog. Gewohnheitsbarriere) oder wenn ihr Konsum weniger Bequemlichkeit verspricht (sog. Be‐ quemlichkeitsbarriere). ● Misstrauen: Entscheidungen fallen gegen nachhaltige Alternativen, weil Konsumentinnen und Konsumenten den Anbietern Unehrlichkeit z. B. im Rahmen der Kommunikation (sog. Greenwashing, vgl. Ter‐ rachoice 2010 und vgl. Horiuichi et al. 2009) unterstellen. Sie sind unsicher, was die Qualität der Leistung anbelangt, und greifen lieber auf Vertrautes zurück, um nicht ausgenutzt zu werden. ● Wirklosigkeitsvermutungen: Konsumentinnen und Konsumenten neigen generell dazu, die Möglichkeiten, durch eigenes Handeln einen Beitrag (z. B. zum Umweltschutz) zu leisten, zu unterschätzen. Es ergibt sich eine Art „Einmal-ist-keinmal-Mentalität“ (die auch zur Erklärung des Brechens der guten Vorsätze herangezogen werden könnte). Man verzichtet demnach auf „nachhaltigen Tourismus“, weil man annimmt, dass die individuelle Entscheidung in der Gesamtwirkung des Massen‐ tourismus keinen Unterschied erzeugt. Gleichsam ist festzuhalten, dass Entscheidungen im Alltag weitaus seltener auf Basis rationaler Abwägungen getroffen werden als man annehmen sollte. Das konkrete und detaillierte Reflektieren über z. B. die Inhalte von Unternehmenskommunikation und/ oder die Wirkmächtigkeit des ei‐ genen Verhaltens findet nur bedingt statt. Hintergrund dessen ist, dass es mit Anstrengungen verbunden ist: Die Suche, objektive Auswertung und subjektive Bewertung von Informationen verbrauchen Zeit und Kraft. Entsprechend verortet die Verhaltensökonomie viele Entscheidungen im Bereich des irrationalen Verhaltens: Es konnte gezeigt werden, dass Konsu‐ mentinnen und Konsumenten vereinfachende gedankliche Abkürzungen, sog. Heuristiken, verwenden, um Urteile zu fällen. Entscheidungen basie‐ ren demnach oft auf Erinnerungen: Ist mir ein Sachverhalt gedanklich besonders präsent (z. B. weil über ihn gerade in den Medien intensiv berichtet wurde), kommt er mir bekannt vor (z. B. weil er mich an eine andere 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 157 <?page no="158"?> Entscheidungssituation erinnert) oder bietet er gar einen gedanklichen Bezugspunkt (z. B. ein Stereotyp), so kann dies eine ABG hervorrufen, ohne dass eine Reflexion stattgefunden hätte (vgl. Kindermann 2020, S. 257ff. und vgl. Thaler & Sunstein-2021, S.-26ff.). „Richtige“ Entscheidungen beim Individuum zu forcieren, ist vor dem Hintergrund all des Vorgenannten als besondere Herausforderung zu erfassen. Entsprechend hast Du völlig recht, wenn Du in Deiner vorletzten Nachricht verlangst, dass konkrete Instrumente entwickelt und eingeführt werden müssen, um das Entwicklungsziel Nachhal‐ tigkeit zu unterstützen. Als solches halte ich den Ansatz des sog. „Sustainable-Marketing“ im Tourismus für besonders zielführend. Der Begriff mag dabei zunächst widersprüchlich erscheinen, denn gerade das Konzept „Marketing“ wird oft mit Maßnahmen und Strategien assoziiert, die einen zusätzlichen, potenziell übertriebenen Konsum hervorrufen sollen, während das Konzept Nachhaltigkeit im Sinne der Gerechtigkeit und Trag‐ fähigkeit einem solchen mindestens kritisch gegenübersteht, wenn ihn nicht sogar vermeiden will (vgl. Font & Cabe 2017, S. 870f.). Sustainable-Marketing soll demnach als Weiterentwicklung des Marketingansatzes bzw. Synthese dessen mit anderen, bereits bestehenden Ansätzen zur Forcierung von Nachhaltigkeit (z. B. dem Öko-Marketing und CSR) verstanden werden. Es soll erfasst werden als: „Konzept der marktorientierten Unternehmensführung, welches bei der Pla‐ nung, Realisation und Kontrolle sämtlicher Transaktionen und Beziehungen die sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedürfnisse der betrieblichen Anspruchsgruppen berücksichtigt[,] ohne die künftiger Anspruchsgruppen zu beeinträchtigen“ (Kenning-2014, S.-18). Zentral geht es also um eine grundlegende Adaption der Wertmaßstäbe, nach denen bei den Anbietern im Tourismus agiert wird: In den Fokus wird der Dreiklang aus Lebensfähigkeit, Erträglichkeit und Gleichberechtigung gestellt (vgl. Martin & Schouten 2013 und vgl. Plaschke 2020) Er soll den Zielhorizont für alle unternehmerischen Aktivitäten bilden, z. B. im Rahmen des Produkt‐ managements (vgl. Meffert & Rauch 2014), beim Pricing (vgl. Simon & von der Gathen 2014) und bei Maßnahmen im Controlling (vgl. Schaltegger 2014). Konkretisiert auf den Tourismuskontext könnte das z.-B. bedeuten, dass man als Reiseveranstalter Pauschalreisen aus dem Programm nimmt, die ethisch nicht 158 6 Gesellschaftliche und politische Fragen <?page no="159"?> vertretbar sind, bei Flugreisen eine CO 2 -Kompensation automatisch einpreist und in der Erfolgskontrolle auch berücksichtigt, wie viel positiven (z.-B. Arbeits‐ plätze/ Einkommen) wie negativen (z. B. ökologische Belastungen) Impact die eigene Unternehmenstätigkeit gehabt hat. Sustainable-Marketing ist demnach ein Ansatz der Unternehmensführung, der von den Akteuren der Tourismus‐ industrie umgesetzt werden soll. Der Politik kommt in diesem Kontext die Rolle zu, diese Umorientierung zu unterstützen, z. B. durch Fördermittel oder angepasste Formen der Unternehmensbewertung, die Bemühungen um Nach‐ haltigkeit berücksichtigen (z. B. Gemeinwohl-Bilanz - zum Gemeinwohlansatz vgl. Link-Tipp | https: / / web.ecogood.org/ de/ ). Die Gesellschaft muss dies tragen, indem sie einerseits Parteien wählt, die einen Wandel der Unternehmensführung forcieren wollen, und andererseits touristische Leistungen von solchen Anbietern konsumiert. Letzteres halte ich für wahrscheinlich, da Sustainable-Marketing zwar unter einem neuen Credo, dem Nachhaltigkeitsanspruch, agiert, dabei aber seine funktionalen Prinzipien beibehält. Entsprechend bleibt z. B. die Ana‐ lyse des Individuums in seiner Rolle als Konsument, seines Wissensstandes und der bei ihm vorliegenden Heuristiken über eine umfassende Marktfor‐ schung eine zentrale Aufgabe zur Vorbereitung von unternehmerischen Ent‐ scheidungen, um Kundenzufriedenheit zu erzeugen (vgl. Richardson 2020, S. 55ff.). Und so wird es im Sustainable-Marketing weiter als relevante Aufgabe erachtet, (potenzielle) Konsumentinnen und Konsumenten durch z. B. gezielte Kommunikation dahingehend zu überzeugen, dass die Wahl der angebotenen Leistungen sinnvoll ist (hierzu finden sich diverse interessante Positionen z. B. in Kahle & Gurel-Atay 2014). Wird Sustainable-Marketing bei touristischen Anbietern umgesetzt, bleibt die Rolle des Touristen als Subjekt des Tourismussystems (→ S. 43) unberührt und verharrt der Fokus auf der Konsumperspektive. Mit anderen Worten: Es wird beibehalten, was bislang in der Tourismusindustrie ganz offensichtlich funktioniert hat - denn sonst hätte sich der Tourismus wohl kaum von einer Pflichtbzw. Nischenaktivität zu einem Massenphänomen entwickelt, aber die Adaption der Wertmaßstäbe dieses Tuns führt zu einer Umorientierung, hin zum Entwicklungsprinzip der Nachhaltigkeit. Es muss nur jemand anfangen-… Mit diesen Gedanken will ich hier enden. Ich sende Dir beste Grüße Julia 6 Gesellschaftliche und politische Fragen 159 <?page no="161"?> 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 22.01.2023 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Tourismuszukunft: Prognosen und Resilienz Lieber Jonas, bei einem Blick in die Medien ist mir heute wieder einmal bewusstgeworden: Das Interesse an der zukünftigen Entwicklung des Tourismus ist enorm groß. Gerade die Frage nach der Erholung der Branche nach der Corona‐ pandemie, aber auch die Anpassung des Tourismus u. a. an den Klimawandel sowie an sozioökonomische Phänomene wie die fortschreitende Digitalisie‐ rung und Globalisierung bewegen Theorie wie Praxis. Aber warum ist das eigentlich so? Hintergrund der Aufmerksamkeit ist meiner Meinung nach einerseits das generelle Interesse der Menschen an der Zukunft, das auf ihren Charakter als „Raum der Möglichkeiten“ zurückgeführt werden kann: Während das Vergangene und das Gegenwärtige wirklich sind und somit als wahr oder falsch kategorisiert werden können, ist die Zukunft noch nicht festgelegt (vgl. Zimmerli 2017). Damit steckt in ihr ein Potenzial zur Veränderung, wenn nicht sogar zur Verbesserung: Wir können die Möglichkeiten von morgen mit unserer Vernunft anpeilen (d. h. uns für das Mögliche öffnen und dieses durchdenken) und etwas Neues schaffen. Darin liegt eine große Freiheit (vgl. Gabriel 2016), welche die Menschen bewegt. Andererseits kann das Zukunftsinteresse auch auf konkrete Bedingungen im bzw. Charakteristika des Tourismus zurückgeführt werden. Zu diesen gehört erstens die ökonomische Bedeutung des Segments, die sich u. a. im Beitrag des Tourismus zum globalen GDP (lag bis 2019 verhältnismäßig stabil bei ca. 4 Prozent, vgl. UNWTO 2022) niederschlägt und noch deutlicher in Bezug auf den Arbeitsmarkt zeigt: Gemäß UNWTO sind 10-Prozent aller Jobs weltweit tourismusinduziert, was sich u. a. aus der Verbundenheit des Tourismus mit anderen Branchen ergibt. So erzeugt eine Position <?page no="162"?> im Kernbereich des Tourismus ca. 1,5 Jobs in der tourismusverbundenen Wirtschaft (vgl. UNWTO 2019), z. B. in der Baubranche und bei der Le‐ bensmittelproduktion. Man interessiert sich somit für die Entwicklung des Tourismus, da er individuelle wie auch staatliche Einkünfte erzeugt, welche die Basis für den Wohlstand bilden. Hiermit verbunden ist zweitens die Auffassung, dass Tourismus als Chance für eine nachhaltige Entwicklung insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern dienen kann: Auf‐ grund der hohen Wirtschaftskraft geht man davon aus, dass ein umsichtig geplanter, also partizipativer, ökosozial sensibler und auf überdauernde, tragfähige Ergebnisse ausgerichteter Tourismus positive Beiträge u.-a. zum Wirtschaftswachstum, zur Stärkung der Infrastruktur sowie zum Schutz von Umwelt, Natur und Kultur leisten kann (vgl. GIZ 2018, S. 6ff. und vgl. BMZ 2022). Man ist somit an der Zukunft interessiert, um Strategien einer gewissen Güte auf- und umzusetzen. Dass Strategien langfristig geplant werden müssen, ist drittens Argument für das Interesse an der Zukunft: Da das Image einer Destination (→ S. 106) kurzfristig ebenso wenig in sinnhafter Weise angepasst werden kann wie die Struktur bzw. das Leistungsportfolio eines integrierten Touristikkonzerns (z. B. TUI) - denn die Bindung von Kundinnen und Kunden erfordert Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit (vgl. Wiesner 2022, S. 57ff.) -, möchte man die Zukunft kennen, um treffende strategische Entscheidungen zu treffen. Wobei dies im besonderen Maße und damit viertens gilt, da Investitionen im Tourismus teils sehr hoch und (u. a. aufgrund der Beteiligung öffentlicher Gelder) nahezu unumkehrbar sind: Projekte wie der Bau eines Flughafens oder die Bestellung eines Kreuzfahrtschiffs lohnen sich z. B. nur, wenn über einen gewissen Zeithorizont mit einer verlässlichen Nachfrage gerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll zu erwähnen, dass der Tourismus in der Vergangenheit bislang noch jede Nachfrageeinbuße hat (über-)kompensieren können, wie auch → Abbildung 17 zeigt: Egal ob Krieg (z. B. Kuwait/ Irak oder Jugoslawien in den 1990er-Jahren), Terror (z. B. 9/ 11), Wirtschaftskrisen (z. B. Immobilien-/ Finanzkrise), Naturkatastrophen (z. B. Tsunami in Südostasien 2004) oder vor Corona aufgetretene Seuchen (z. B. Maul-und-Klauen-Seuche in 2011) - das Segment hat sich von Krisen stets relativ kurzfristig erholen und an weiteres Wachstum anknüpfen können. 162 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="163"?> Die Anzahl der internationalen Touristinnen und Touristen ist kontinuier‐ lich gestiegen. Wenig sollte entsprechend verwundern, dass dieses Resili‐ enz genannte Vermögen zur Krisenbewältigung (vgl. Hall et al. 2018, S. 32ff.) auch aktuell zu beobachten ist. Der Boom z. B. der Kreuzfahrtbranche setzt nach der Coronapandemie erheblich schneller wieder ein, als Prognosen in Aussicht stellten. So meldet die Tagesschau am 17. November-2022: „Wie der Kreuzfahrt-Verband CLIA Ende September auf Basis einer Marktanalyse mitteilte, hat die Nachfrage das Niveau von 2019 wieder übertroffen. Bereits im April gab CLIA-Präsidentin Kelly Craighead die Prognose aus, dass die Passagierzahlen bis Ende 2023 über das Vorkrisen-Niveau steigen würden.“ Die UNWTO zeigte dagegen noch im September 2022 an, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine vollständige Erholung des internationalen Touris‐ mus nicht vor 2024 zu erwarten sei (vgl. UNWTO 2022). Abbildung 17: Resilienz des Tourismus im Angesicht vergangener Krisen - Anstieg der weltweiten Anzahl von internationalen Touristen https: / / ourworldindata.org/ tourism + (Bilder): https: / / www.planet-schule.de/ wissenspool/ internationalekrisen-2016/ inhalt/ hintergrund/ irak/ der-erster-und-der-zweiter-golfkrieg.html; https: / / www.dw.com/ de/ kommentar-wendepunkt-der-weltgeschichte/ a-19540832; https: / / www.handelsblatt.com/ arts_und_style/ literatur/ 10-jahre-nach-der-lehman-pleite-finanzkrise-ohneende-drei-buecher-um-die-katastrophe-und-ihre-folgen-zu-verstehen/ 23057568.html? ticket=ST-3057786- ASvUgYFIiMxuRfAnkc0m-ap6; Abbildung 17: Resilienz des Tourismus im Angesicht vergangener Krisen - Anstieg der weltweiten Anzahl von internationalen Touristinnen und Touristen | Quelle: United World Tourism Organization - World Tourism Barometer-(2019) Ist vor diesem Hintergrund die Resilienz des Tourismus als ein Argument gegen das Zukunftsinteresse zu verstehen? Wohl kaum, denn der Resilienz‐ diskurs hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: Während früher die Fähigkeit 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 163 <?page no="164"?> von Systemen im Fokus stand, sich bei eintretendem Wandel möglichst nicht (sog. absorptive Kapazität) bzw. nur soweit nötig (sog. adaptive Kapazität) zu verändern, steht heute die Fähigkeit zur Erneuerung (sog. transformative Kapazität) im Vordergrund. Systeme gelten dann als resilient, wenn sie sich dynamisch weiterent‐ wickeln. Bezogen auf den Tourismus kann das heißen, im Kernsystem des Tourismus, z. B. bei den Anbietern von Unterkunft und Mobilität, bei eintretenden Kri‐ sen beharrende Strategien zu verfolgen und gleichzeitig in Systembereichen mit Verantwortung für die strategische Ausrichtung des Gesamtsystems, z. B. den DMOs, neue Angebote zu initiieren (so könnte z. B. der krisenbe‐ dingten Verringerung von Ankünften aus Quellmarkt A mit einer stärkeren Ausrichtung an den Bedürfnissen von Quellmarkt B begegnet werden). Ein reines Verharren in bzw. Streben nach „Altbekanntem“, z. B. dem Wachstumsparadigma, ist dagegen nicht mehr das Ziel der Krisenfes‐ tigkeit des Tourismus - vielmehr steht proaktives, d. h. vorausschau‐ endes und zukunftsorientiertes Handeln im Fokus (vgl. Corradini 2019, S.-236ff.). Was sind vor diesem Hintergrund Deiner Meinung nach „Zukunftsthemen“, mit denen man sich beschäftigen sollte? Viele Grüße Julia 28.01.2023 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Globale Trends Liebe Julia, herzlichen Dank dafür, dass Du das Thema der Zukunft des Tourismus aufgenommen hast. Du zeigst meines Erachtens gut auf, erstens, weshalb 164 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="165"?> die Zukunft überhaupt für den Menschen bedeutungsvoll ist, und zweitens, weshalb sie es auch konkret für die Tourismuswirtschaft ist. Wir sind beide keine Zukunftsforscher, aber wir können uns dennoch überlegen, welche möglichen Szenarien es für den Tourismus gibt. Mich interessiert die Frage, ob es Tourismus in Zukunft überhaupt noch geben wird und in welcher Form. Wenn wir von den Zwecken ausgehen, die der Tourismus primär erfüllt, nämlich Bildung und Erholung (siehe → Kapitel 2), so erkennen wir, dass diese Zwecke grundlegende menschliche Bedürfnisse sind, und es somit sehr wahrscheinlich ist, dass es Tourismus auch in Zukunft geben wird, und sollte es ihn nicht mehr geben, so würde er durch andere Aktivitäten ersetzt. Wenn ich mir überlege, welche Entwicklungen bzw. Faktoren den Tou‐ rismus maßgeblich beeinflussen, so kommen mir die folgenden als erstes in den Sinn: ● Globalisierung: Gemeint ist damit der Prozess der weltweiten Inter‐ aktion von Menschen. In diesem allgemeinen Sinn gehört bereits die Ausbreitung der Menschheit über die verschiedenen Erdteile dazu. Meistens meint man damit aber eine viel intensivere und schnellere Art der Interaktion. Den Beginn dieser Art der Globalisierung wird oftmals in das 15. Jahrhundert gelegt, als Seefahrer aus Europa die ganze Erde umsegelten. Einen besonders starken Aufschwung erfuhr der wirtschaftliche Austausch ab den 1820er-Jahren (Rourke und Wil‐ liamson 2002). Der Prozess der Ausweitung der Globalisierung läuft einerseits neben der Entwicklung des Tourismus ab und beeinflusst diesen andererseits. Wenn die Globalisierung weiter zunimmt (und ob sie das tut, ist nicht bekannt) und so weit geht, dass man in Kontakt mit Menschen aus allen Kulturen der Welt an jedem Ort der Welt kommen kann, wenn sozusagen jeder Ort der Welt zu einem New York des 20. Jahrhunderts geworden ist (ein Beispiel, das ich bereits einmal erwähnte, siehe → S. 57), wird es dann überhaupt noch einen Bedarf nach Bildungsreisen geben? Macht es dann noch Sinn, von verschiedenen Kulturen zu reden und nicht vielmehr von einer globalen menschlichen Kultur? ● Technologische Entwicklung: Diese betrifft nicht nur die Transport‐ mittel, die das Zurücklegen immer größerer Strecke in kürzerer Zeit mit einem geringeren Ressourcenverbrauch ermöglichen, sondern auch Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet, sowie Möglichkei‐ 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 165 <?page no="166"?> ten der künstlichen Erzeugung von Räumen der Erfahrung (z. B. In‐ door-Strände) und der virtuellen Erfahrung. Wird es in Zukunft möglich sein, sich allein mithilfe von Kommunikationsmitteln und virtuell zu bilden und zu erholen, so dass eine Reise gar nicht mehr nötig ist, um die touristischen Zwecke zu erfüllen? ● Energiepreise: Mobilität benötigt Energie, und diese wird mittels natürlicher Ressourcen produziert, und diese Produktion kostet. Wie hoch werden die Kosten in Zukunft sein? Wer wird sich eine touristische Reise in Zukunft leisten können? ● Klimawandel: Der von Menschen seit der Industrialisierung verur‐ sachte Klimawandel ist vermutlich der Prozess, der die größten Ver‐ änderungen im Leben der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten herbeiführen wird. In welche Regionen wird man in Zukunft aufgrund der klimatischen Verhältnisse nicht mehr reisen können oder wollen? Wird es neue Destinationen geben? Oder wird der Einfluss derart desaströse Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, dass sich nur noch Superreiche touristische Reisen werden leisten können? Die genannten Entwicklungen haben zum Teil massive Auswirkungen auf den Tourismus, und führen womöglich zu einer Zukunft, in der es keinen Tourismus mehr gibt oder in der dieser grundlegend transformiert sein wird. Dies habe ich bereits in den genannten Fragen anzudeuten versucht. Weitere Fragen sind: ● Wie werden sich die Einkommen und Vermögen der Menschen weltweit entwickeln? Wie viele Menschen werden in Europa und den USA, in Lateinamerika, Afrika und Asien finanziell in der Lage sein, touristische Reisen zu unternehmen? ● Welchen Stellenwert wird der Tourismus in der Gesellschaft haben? Wird er nach wie vor ein Statussymbol sein? Wird er durch andere Statussymbole in den Hintergrund gedrängt, und wenn ja, welche werden das sein? ● Wie werden Superreiche sich verhalten? In der Coronapandemie ist die Anzahl der verkauften Privatjets markant gestiegen. Ist darin der Beginn eines neuen Trends zu sehen? ● Werden neue Gebiete der Erde (z. B. in den Tiefen des Meeres) oder des Universums (außerhalb der Atmosphäre durch Raumfahrt) touristisch erschlossen werden? 166 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="167"?> Wirft man einen Blick in aktuelle Reiseprospekte, so stellt man fest: Sie sehen im Wesentlichen immer noch gleich aus, wie sie seit Jahrzehnten aussehen. Der Tourismus, wie wir ihn kennen, wird also sehr wahrscheinlich noch einige Jahre weiterbestehen. Doch welche Formen wird der Tourismus danach haben? Liebe Grüße Jonas 04.02.2023 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: Einblicke in die Zukunftsforschung Lieber Jonas, das sind eine Menge spannender Fragen und Themen, die Du in Deiner E-Mail aufgreifst! Vielen Dank für die vielen Anregungen! Nun muss ich Dir allerdings erst einmal gestehen, dass ich es persönlich immer besonders schwierig finde, wenn ich z. B. von Studierenden oder Medienvertretern nach der Zukunft des Tourismus befragt werde (was gar nicht so selten passiert und mich eigentlich nicht verwundern sollte, wenn ich an die Argumente in meiner letzten E-Mail an Dich denke …). Denn was kann ich schon verlässlich über das Morgen sagen? Eine Glaskugel, die mir die Zukunft verrät, besitze ich leider nicht, wann genau die Zukunft beginnt, ist diskutabel (vgl. Gloy 2008, S. 15ff.) und klar ist, dass der Tourismus als offenes System (→ S. 37) extrem instabil ist: Da die Entwicklung des Reisens von verschiedensten Einflussfaktoren (u. a. technologische Bedingungen, Strategien einzelner Unternehmen, Verfügbarkeit von Zeit und Geld bei den Konsumentinnen und Konsu‐ menten, aber insbesondere auch politische Stabilität und die allgemeine Sicherheitslage) abhängt, die sich in vielerlei Hinsicht, spontan und in ggf. unvorhersehbarer Weise wandeln können, gehört Tourismus in der Zukunftsforschung „zu den am schwersten prognostizierbaren Be‐ standteilen des zukünftigen Lebens“ der Menschen auf Erden ( Jánszky & Abicht-2018, S.-4). 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 167 <?page no="168"?> Dies gilt, da man typischerweise eine Verbundenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft annimmt, was in ökonomisch-technischen Kon‐ texten Pfadabhängigkeit genannt wird: Man geht davon aus, dass die Ver‐ gangenheit die Gestaltungsspielräume und Begrenzungen der Gegenwart prägt, während die Gegenwart über Prozesse, Strukturen, aber auch Werte und Normen die Zukunft bedingt (vgl. Klier 2016). Mit der Vielzahl von Einflussfaktoren auf die Zukunft des Tourismus - die zudem auch noch aufeinander einwirken - geht entsprechend einher, dass es verschiedenste Versionen des zukünftigen Tourismus geben kann. Statt eine konkrete Vorhersage über „die“ Zukunft des Tourismus treffen zu wollen, erscheint es demnach vielmehr geboten, einen Überblick zum Fächer denkbarer Ent‐ wicklungsmöglichkeiten, also sozusagen zu den Zukünften des Tourismus zu erarbeiten (vgl. Rohbeck-2013, S.-61f.). Dieser Anspruch wird in der Zukunftsforschung aufgenommen (wobei diese von der - weniger wissenschaftlichen, aber insbesondere medial präsenteren - Trendforschung abzugrenzen ist, vgl. hierzu Rust 2012). Ziel ist hierbei statt der Vorhersage die Entwicklung eines Zukunftsraumes für ein konkretisiertes Anschauungsobjekt, wobei die Konkretisierung erlaubt, sowohl Ableitungen aus der Vergangenheit (i. e. Extrapolationen) und relativ konstante, richtungsweisende Phänomene (i. e. Trends) als auch - nach systematischen Überlegungen mit einiger Gewissheit zu erwartende - abrupte Veränderungen zu berücksichtigen (vgl. Zweck 2012, S. 61ff.). Typi‐ sches Vorgehen ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung eines futures tunnel, wie auch in → Abbildung 18 illustriert: Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse der Gegenwart werden plausible zukünftige Entwicklungen in sog. Szenariosträngen, kurz: Szenarien, strukturiert. In diesen wird im Idealfall sowohl eine verbale Beschreibung der denkbaren Situation sowie ihres Umfelds geliefert als auch der Entwicklungsweg modelliert, der von der Gegenwart zu dieser Situation führt. (Details zur sog. Szenariotechnik kann man z. B. bei Steinmüller 2012 nachlesen). Zur Informationsgewinnung kommen dabei verschiedene Methoden, so auch Computersimulationen, zum Einsatz. Der von Dir angesprochene Brundtland-Bericht, → S. 145, basiert z. B. auf solchen IT-basierten Szenarien. Im - mehr oder weniger breiten - Tunnel der entwickelten Zukünfte geht man dann davon aus, dass insbesondere auf kurzfristige Sicht die Szenarien, die am ehesten den Bedingungen der Gegenwart ähneln, am wahrscheinlichsten sind (sog. wild cards sind Szenarien, die man als unwahrscheinlich einschätzt). Hintergrund dessen ist, dass Dinge unserer Erfahrung und Wahrnehmung nach immer 168 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="169"?> wieder in vergleichbarer Art und Weise auftreten und - aufgrund der Pfadabhängigkeit - auch immer wieder ähnliche Effekte nach sich ziehen. Veränderungen in der Art neuer und überraschender Entwicklungen wer‐ den daher nicht ausgeschlossen, aber mit geringerer Wahrscheinlichkeit erwartet als inkrementeller, kleinschrittiger Wandel (vgl. Nebelin 2016, S. 10f.). Dies fügt sich ein in ein Verständnis der Zukunft als „jener von allen vergangenen Ereignissen nicht vollständig determinierte[r] Zeit-Raum offener Möglichkeiten, auf den wir zukommen und der auf uns zukommt, solange es Gegenwart geben wird“ (Wirtz 2016). Abbildung 18: „Futures tunnel“ der Zukunftsforschung Copenhagen Institute for Future Studies (2020): Folie 7 preferable wild oards scenarios time today probable plausible possible Abbildung 18: Futures tunnel der Zukunftsforschung | Quelle: in Anlehnung an Copenha‐ gen Institute for Future Studies (2020): Folie 7 Welche Informationen bzw. Annahmen liegen also bezüglich der Zukunft des Tourismus vor? Anzufangen lohnt in diesem Kontext sicherlich mit Studien, welche die generelle Entwicklungsrichtung des Tourismus beurteilen. Zu nennen ist hierbei neben den bereits erwähnten Einschätzungen der UNWTO, aus denen die Entwicklung der internationalen Nachfrage abgelesen werden kann (i. e. Erreichen des Nachfrageniveaus von 2019 im Jahr 2024 oder später, vgl. UNWTO 2022), der sog. Travel and Tourism Development Index-(TTDI) des Weltwirtschaftsforums (vgl. WEF 2022), der Einschätzungen zum welt‐ weiten Tourismusangebot abgibt. Der TTDI ist als eine Weiterentwicklung seines Vorgängers, dem Travel & Tourism Competitiveness Index (TTCI) zu verstehen, der seit dem Jahr 2007 alle zwei Jahre Aussagen zur Leistungs‐ stärke des jeweiligen Tourismussektors von insg. 110-140 Ländern ermit‐ telte. Auf Basis von statistischen Daten u. a. der Weltbank, von touristischen Dachverbänden (z. B. IATA und ICAO) und nationalen Agenturen sowie 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 169 <?page no="170"?> den Ergebnissen einer Umfrage unter 16.000 internationalen Expertinnen und Experten (sog. Executive Opinion Survey) wurde mit dem TTCI bis 2019 ein Index gebildet, der die touristische Wettbewerbsfähigkeit der Länder vergleichbar machte. Der TTDI erlaubt mit einer adaptierten, den Erhebungsprinzipien des TTCI jedoch treu bleibenden Methodik dagegen die Untersuchung des nationalen Vorliegens von Bedingungen für einen Tourismus, der den Ansprüchen nach Nachhaltigkeit und Resilienz gerecht wird - mit der neuen Version des Index kann mithin verglichen werden, welche der untersuchten Länder auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismuskontext weiter fortgeschritten sind als andere. Die im Jahr 2022 veröffentlichen Ergebnisse weisen diesbezüglich aus, dass sich über die Coronapandemie global betrachtet insgeamt ein zwar positiver, allerdings absolut gesehen nur marginal ausgeprägter Fortschritt eingestellt hat: „On average, TTDI scores increased by just 0.1 % between 2019 and 2021, with only 39 out of 117 economies covered by the index improving by more than 1.0 %, 51 increasing or decreasing within a 1.0 % range and 27 declining by over 1.0-%.“ (WEF-2022) Interessant erscheinen vor diesem Hintergrund Studien, die Triebkräfte der Veränderung im Tourismus identifizieren. Beispielhaft kann hier auf eine Publikation des Gottlieb Duttweiler Instituts aus dem Jahr 2006 verwiesen werden, das Einflüsse auf den Wandel im Tourismus in fünf Bereichen verortet: Neben ökonomischen, technologischen und ökologischen Triggern des Wandels, denen man die von Dir bereits erfassten Einflussfaktoren Globalisierung, Energiepreise, technologische Entwicklung und Klimawan‐ del beiordnen kann, werden Veränderungstreiber auch im sozialen und gesellschaftlichen Kontext gesehen. Die auf Basis von Expertengesprächen und zweier online surveys (einmal mit einer Stichprobe aus ca. 150 Mitarbei‐ tenden eines Reiseveranstalters, einmal mit 71 Managerinnen/ Consultants) abgeleiteten Triebkräfte der Veränderung im Tourismus werden entspre‐ chend zusammengefasst mit den Annahmen (GDI-2006, S.-17): ● „Die Gesellschaft wird, ärmer, älter und ängstlicher. ● Die Technologie wird schneller, besser, billiger. ● Reichtum und Macht verschieben sich Richtung Osten. ● Die Natur wird knapper und wertvoller, die Sonne wird gefährlicher. ● Politische Unsicherheiten nehmen zu und schränken das Reisen ein.“ Auf Basis der Beschäftigung mit diesen Triebkräften liegen eine Vielzahl von Expertenmeinungen zu Trends im Tourismus vor, wobei diese sich auf 170 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="171"?> ganz unterschiedliche Themen im Tourismuskontext beziehen. Dies will ich im Folgenden beispielhaft anhand von drei Bezügen darstellen: 1. Sinn des Tourismus: Manche Experten gehen von einer Veränderung des Sinns aus, der mit dem „Urlaub machen“ in Verbindung gesetzt wird. Strittiges Thema ist in diesem Kontext, ob die Freizeit eine Gegenwelt zur Arbeitszeit bildet oder ob beide Zeiträume als eine Art Kontinuum zu betrachten sind. Wer der Abgrenzung zuspricht, sieht im Tourismus der Zukunft v. a. ein Potenzial zur Identitätsbildung. Experten dieser Auffassung prognostizieren, dass Reisen von Individuen zukünftig umgesetzt werden, um ihre Identität aufbauen, ausleben und nachschärfen zu können, da sie dafür im Arbeitsalltag keine Gelegenheit sehen. Entsprechend wird vorher‐ gesehen, dass sich touristische Leistungen entwickeln werden, die nicht nur ein Image tragen, sondern deren Image sich durch den Konsum auch auf den Konsumenten überträgt (z. B. Sportcamp = sportlich, Studienreise = intellektuell). Vertreter der zunehmenden Verschmelzung von Arbeit und Freizeit sprechen dagegen von einem Bleisure-Trend (wobei Bleisure ein Neologismus ist, der sich aus business und leisure zusammensetzt) und prognostizieren das Entstehen hybrider Tourismusangebote (z. B. Hotels/ Kreuzfahrtschiffe mit Büroarbeitsplätzen, vgl. Jánszky & Abicht-2018; Rau‐ tenberg-2021 und White-2021). 2. Transport im Tourismus: Fasziniert von der Entwicklung des technolo‐ gisch Machbaren und informiert über die Herausforderungen u. a. der Endlichkeit fossiler Brennstoffe sowie der Belastungen durch massenhaften Verkehr sprechen manche Experten Entwicklungen im Transport von Rei‐ senden eine besondere Bedeutung zu. Thematisiert werden in diesem Kon‐ text u. a. der autonome Verkehr, Drohnen, Hochgeschwindigkeitsverkehr und alternative Antriebe (vgl. Jánszky & Abicht-2018 und Rautenberg-2021). 3. Informationen im Tourismus: Vor dem Hintergrund der Digitalisierung aller Lebensbereiche wird der zukünftige Einfluss auch auf den Tourismus reflektiert. Prognosen gehen dabei einerseits in Richtung des Nachfragers, von dem man annimmt, dass er u.-a. durch Apps flexibler und individueller reist, da er mit ihnen problemlos z. B. Sprachhürden überwinden, kurzfristige Buchungen tätigen und währungsübergreifend bezahlen kann. Andererseits sehen Experten voraus, dass sich auch touristische Anbieter wandeln wer‐ den, da sie u. a. aufgrund der fortschreitenden Datenintegration Produkte auf Basis einer erheblich reicheren Informationsbasis entwickeln und nahtlos 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 171 <?page no="172"?> über verschiedenste Vertriebskanäle verkaufen können (vgl. Rautenberg 2021 und White-2021) Weniger punktuell sind dann zuletzt touristische Szenariostudien, die ein Bild zum denkbaren „Zukunftsraum“ des Tourismus aufzeigen wollen. Dabei können einerseits Beispiele identifiziert werden, die sich durch einen Fokus auf einen spezifischen Entwicklungsfaktor konkretisieren. So gibt es z.-B. Studien, die den Einfluss der Coronapandemie in den Blick nehmen (vgl. Copenhagen Institute for Future Studies-2020). Andererseits liegen Studien vor, bei denen eine Fokus‐ sierung über einen konkreten geografischen Bezug erfolgt. Als Beispiel hierfür kann das vom Bayerischen Zentrum für Tourismus in den Jahren 2019 bis 2021 durchgeführte Projekt „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ dienen, bei dem unter Einbezug der Meinungen von Experten „aus bayerischen Destinationen, Hotellerie, Gastronomie, Tourismusverbänden, Mobilitätsdienstl‐ eistern, der Kreativwirtschaft sowie der Tourismuswissenschaft“ (BZT 2022) unter Anwendung einer spezifischen Software und strukturierenden Nutzung z. B. von Instrumenten wie einer Clusteranalyse insgesamt sieben Zukunftsbilder als „Raum der Möglichkeiten“ für den bayerischen Tourismus herausgearbeitet wurden. Die in → Abbildung 19 dargestellte Landkarte der sieben Szenarien zeigt, wie diese zueinanderstehen (i. e. einander inhaltlich ähnliche Szenarien sind dicht beieinander angeordnet) und wie sie im Diskussionsprozess bewertet wurden (vgl. BZT 2021, S.-14 und 64ff.): ● Szenario 1 und 2 sind beide sehr ähnlich zu den im bayerischen Touris‐ mus gegenwärtigen Verhältnissen. Dabei bilden sie jedoch zwei gegen‐ sätzliche Entwicklungen ab: Während „Alles im Flow“ ein präferiertes Szenario ist, fürchten die Akteure den „Schleichenden Kontrollverlust“. ● Die Szenarien 3 und 4 werden von den Akteuren gewünscht, bedürfen - im Gegensatz zu Szenario 2 - jedoch zu ihrer Erreichung konkreter Ver‐ änderungen. Dabei sind potenzielle Zielkonflikte zwischen den beiden Szenarien zu berücksichtigen: Während z. B. die „Neue Verträglichkeit“ eine Begrenzung des Wachstums fordert, baut das „Digitale Dirndl“ auf eine hohe Auslastung der Infrastruktur. ● Die Szenarien 6 und 7 sind als Risikoszenarien zu verstehen. Sie werden von den Akteuren nicht gewünscht, so dass es geboten ist, Maßnahmen (z. B. Früherkennung) zu ergreifen, damit sie nicht eintreten. Dies gilt im besonderen Maße, da der „Ausverkauf der Heimat“ von den Akteuren durchaus erwartet wird. 172 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="173"?> ● Szenario 5 spielt eine Sonderrolle im Zukunftsraum, da es einerseits als besonders abweichend zu den gegenwärtigen Verhältnissen bewertet wird und ihm andererseits sowohl Chancenals auch Gefahrenpotenzi‐ ale zugesprochen werden. Abbildung 19: Strategische Interpretation der Szenariobewertung im Projekt „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ BZT (2021): 64 - kommentiert durch J. Beelitz Zielszenario visionäres Szenario Risikoszenario Kontinuitätsszenario ➆ Tourismus am Ende ➀ schleichender Kontrollverlust ➁ alles im Flow ➄ Macht der Algorithmen ➂ Digital Dirndl ➃ neue Verträglichkeit ➅ Ausverkauf der Heimat Zielkonflikt gegenwartsfern gegenwartsnah unerwünscht erwünscht Abbildung 19: Strategische Interpretation der Szenariobewertung im Projekt „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ |-Quelle: BZT-2021, S.-64 - kommentiert durch Julia Beelitz Was sagst Du zu dieser Übersicht? Bildet sie Deiner Meinung nach ab, was im Tourismus werden könnte? Viele Grüße Julia 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 173 <?page no="174"?> 06.02.2023 ∙ E-Mail Jonas an Julia Betreff: Klimawandel Liebe Julia, das ist ja fantastisch, was Du da an Informationen zur Zukunft des Tourismus zusammengetragen hast! Aufgrund der Lektüre scheint mir die Zukunft voller neuer Möglichkeiten zu sein, voller Hoffnung und aufregender Ent‐ wicklungen. Eine solche optimistische Einstellung hat man vermutlich eher, wenn man ein Unternehmen führt: Man muss davon ausgehen, dass man damit ein Einkommen erzielen wird, ansonsten ist es unvernünftig, den Aufwand und die Investitionen auf sich zu nehmen. Betrachtet man die Lage aus Sicht der unbeteiligten Forschung, so müsste man, so scheint mir, den Klimawandel viel stärker berücksichtigen. Laut dem neuesten Bericht des Weltklimarats (IPCC 2022, S. 11) wird erwartet, dass es aufgrund des Klimawandels zu größeren regionalen Schäden in der Tourismusindustrie kommen wird - aber unser Thema war nicht der Klimawandel und dessen Auswirkungen, sondern allgemein die Zukunft des Tourismus, auch die nähere Zukunft. Liebe Grüße Jonas 07.02.2023 ∙ E-Mail Julia an Jonas Betreff: (doch noch ein) Blick in die Glaskugel Lieber Jonas, ich gebe Dir recht - die Zukunft des Tourismus wird sicherlich enorm vom Klimawandel beeinflusst werden. Zusammen mit den anderen Triebkräften der Veränderung wird es über kurz oder lang zu Anpassungen kommen; dessen bin auch ich mir ganz sicher. Mir bekannte Einschätzungen zu diesen 174 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte <?page no="175"?> Zukünften fallen teils enorm kritisch aus. Marco d’Eramo geht z. B davon aus, dass sich der Tourismus als kapitalistische Praxis selbst abschaffen wird. Er führt dies u. a. darauf zurück, dass sich unsere räumlichen Lebensstrukturen wandeln und sich unsere Arbeitsformen sukzessive verändern: Da die Zeiten sowie Räume für Arbeit und Freizeit immer stärker verschmelzen (so wie wir dies ja auch deutlich in der Zeit der Coronapandemie beobachten konnten), was auch durch den Tourismus forciert wird (vgl. Bleisure-Trend), wird die Nachfrage nach Reisen immer geringer ausfallen und irgendwann ganz ausbleiben, so seine Prognose (vgl. d’Eramo 2018, S. 279ff.). Ich selbst sehe einen solchen „Untergang“ des Tourismus allerdings nicht voraus. Meiner Meinung nach wird es - auch im Angesicht des Klimawandels und technischer Entwicklungen - weiterhin einen Tourismus geben, der sich so ähnlich gestaltet, wie wir ihn heute kennen. Entsprechend wird es weiter z. B. touristische Anbieter im Bereich Beherbergung, Transport und Unterhaltung geben. Aufgrund des zunehmenden Drucks zur Integration externer Kosten sowie erhaltungssichernder Investitionen in die touristi‐ schen Ressourcen (z. B. Naturschutzmaßnahmen, angemessene Bezahlung der Arbeitskräfte, bauliche Veränderungen, neues Transportgerät) werden allerdings die Preise für diesen „klassischen“ Tourismus immer weiter steigen, was den Umfang touristischer Aktivität einschränken wird. Es wird demnach in Zukunft vermutlich weniger oft bzw. nicht mehr von allen gereist. Wir haben, so bin ich sicher, schon jetzt einen peak tourism erreicht - Volumenzuwächse können sich nicht ewig fortsetzen. Ein Ende des Tourismus bedeutet all das aber insofern nicht, als dass die Menschen weiter touristische Angebote im weitesten Sinne in Anspruch nehmen werden. Ich erwarte eine Zunahme der Reiseaktivitäten in der Nahdistanz und insbesondere Tagesauflüge zu Erlebnisorten - natürlich-authentischen ebenso wie künstlich erschaffenen-inszenierten Charakters - werden an Bedeutung gewinnen. Das wird den Tourismus vor neue Herausforderungen stellen (z.-B. overtourism vor der eigenen Haustür, Mehrbedarfe im öffentli‐ chen Verkehrsnetz, Erfordernis modernen Managements von Attraktionen, Aktivitäten und Destinationen), aber nicht sein komplettes Verschwinden einläuten. Denn wie die Geschichte gezeigt hat: Reisen hat es schon immer gegeben - nur das Touristische an ihnen hat sich gewandelt. Mit diesem Ausblick viele Grüße Julia 7 Zukunftsperspektiven - was werden könnte 175 <?page no="177"?> Nachwort Dieses Buch wurde vom Gedanken getragen, Neuland zu betreten. Die Verknüpfung der Metaperspektive der Philosophie mit dem Anwendungsfall Tourismus fanden wir beide von Anfang an spannend, aber auch herausfor‐ dernd. So mussten wir uns z. B. erst einmal in die Unterschiedlichkeit unserer Herangehens- und Schreibweisen eingewöhnen. Das ungewöhnliche For‐ mat des Bandes haben wir auch aufgrund dieser Unterschiede bewusst gewählt - im Dialogstil wird hoffentlich deutlich, dass man über das Gleiche motiviert einen Austausch führen kann, nicht aber unbedingt immer den gleichen Standpunkt teilen muss. Gerade für die sehr praxisorientierte und dadurch an eindeutigen „Lösungen“ interessierte Tourismuswissenschaft erfassen wir das als wichtige Erkenntnis. Wir hoffen, dass wir zum Nach‐ denken über das Alltagsphänomen Tourismus angeregt haben und hoffen, die Lust geweckt zu haben, selbst „erste Fragen“ zu stellen. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle allen, die unser Buch durch Kom‐ mentare im Arbeitsprozess und/ oder Korrekturlesen bereichert haben - die Rückmeldung haben uns zum Vertiefen unserer Argumentationen angeregt. Jonas möchte namentlich Geri Pfister, Regine Pfister-Lamprecht, Heinz Walter und Yves Bossart danken. Weiterer Dank gilt auch dem UVK Verlag, speziell Herrn Rainer Berger, der sich von Anfang an offen für unsere außergewöhnlichen Vorschläge zeigte. Julia Beelitz und Jonas Pfister im März 2023 P.S.: Falls Sie sich, liebe Leserin und lieber Leser, fragen, ob die „Geschichte“ dieses Bandes, also unser Zusammentreffen, der Entschluss zum gemeinsa‐ men Projekt und die Erarbeitung in Form einer Korrespondenz „echt“ sind: Ja, wir haben tatsächlich „auf gut Glück“ miteinander den Kontakt gesucht und uns in die - wechselseitige - Arbeit gestürzt; und sind beide froh, dass wir den Mut zur fachübergreifenden Zusammenarbeit gefunden haben. Fühlen Sie sich gerne eingeladen, zur eigenen Reflexion und zum Austausch auch mit uns. <?page no="179"?> Literatur ADAC (2003): Planungshilfe barrierefreier Tourismus für Alle. https: / / hdb-sn.de/ wp -content/ uploads/ 2016/ 09/ planungshilfe_barrierefreier_tourismus_komplett.pdf. Agapito, D., Ribeiro, M.-A. & Woosnam, K.-M. (2002): Handbook on the Tourist Experience: Design, Marketing and Management. Cheltenham: Edward Elgar Publishing Ltd. Ahrens, J. (2012): Wie aus Wildnis Gesellschaft wird. Wiesbaden: VS. Altmann, A. (2012): Hammerharte Abrechnung mit Massentourismus. In: Welt, 24.09.2012. https: / / www.welt.de/ reise/ article109420666/ Hammerharte-Abrechnu ng-mit-Massentourismus.html. Balderjahn, I. (2021): Nachhaltiges Management und Kundenverhalten. 2.-Auflage. München: UVK. Bansal, A., Garg, C., Pakhare, A. & Gupta, S. (2018): Selfies: A boon or bane? In: Journal of Family Medicine and Primary Care, Vol 7, No. 4, S.-828-831. Bauer, A., Gardini, M. & Skock, A. 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Ästhetik-81 Attitude-Behaviour Gap (ABG)-156 Attraktor-35, 101, 139f. augmented reality-57 Authentizität-91f., 94-98 Bahn-123 Ballermann-Urlaub-133 begriffliche Fragen-13 Begriffsklärung-46 Bekanntenbesuchstourismus-39 Bilder-99 Bildung-20, 55, 59 Bildungstourismus-39 Bleisure-171, 175 Brundtland-Bericht-145 Bus-123 China-129 CO2-124 Cook, Thomas-18 Coronapandemie-68, 75f., 113, 155, 161, 163, 166, 170, 172, 175 crowding-141 dark tourism-42 deontologische Theorie-110 Destination-35, 60, 85ff., 89, 91, 106, 112f., 117-120, 133f., 137, 139ff., 155, 162 Destinationsmanagementorganisation (DMO)-35 Destinationsmarketingorganisation (DMO)-35 digitale Nomaden-32, 52 Digitalisierung-52 DMO-35f., 86, 118, 164 effektiver Altruismus-115, 135 Empfindung-88 Energiepreise-166 Entlastung-65ff., 140 Entwicklungsländer-112 Erhabene-82 Erholungstourismus-39 Erlebnis-36, 41, 43f., 46, 49, 64, 66f., 72f., 86, 91f., 106, 133, 148 Erlebnis, Wahrheit-92 Erlebnisgestaltung-92, 94 Erlebniskonzept-92 Erlebnismehrwert-91 Erlebnisraum-66 Erlebniswelten, künstliche-97 <?page no="196"?> Ethic Traveler-113 Ethikkodex-76, 109, 132, 146 ethische Fragen-109 ethische Theorie-110 Experience-Design-85 Externalitäten-118 externe Kosten-118 Favela-116 Flaneur-83 Flugscham-123, 154 Flugzeug-123 Foodporn-87 food tourism-96 Fotografie-56f., 99-104 Fragen-13 Freiheit-74 Freiheitsproblem-140 Freizügigkeit-61f., 75, 77, 140 Fremdenverkehr-27 Gedankenexperiment-58 Gerechtigkeit-143 Gerechtigkeit, intergenerationelle-145 Gerechtigkeitsproblem-139 Geschäftsreise-30 Geschäftstourismus-39 Globaler Ethikkodex für Tourismus-76, 132, 146 Globalisierung-52, 165 Grand Tour-16, 20f., 30, 83 gutes Leben-55 Herkunftsraum-66, 71 Heuristiken-157, 159 Image-105f., 162, 171 Imagebuilding-107 Industrie-18f., 88, 106, 142, 148, 150 Industrie, Kreuzfahrten-126 Industrie, lokale-141 Industrieländer-115, 139 Inszenierung-91-98, 101 Kaufbarrieren-157 Kindersextourismus-131 Klimawandel-120, 161, 166, 170, 174f. Kolonialisierung-17 Kolonialismus-113f. Kompensation-154 Kompensation (CO2)-124, 127, 159 konsequentialistische Theorie-110 Kontaktpunkte-34 Kosmorama-99 Kreuzfahrt-126 Kulturen-93 Leakage-Effekt-112 Machtproblem-141 Marker-89, 103 Massenphänomen-21 Massentourismus-64 Menschenrechte-75, 129 Michelin-Führer-89 Migration-29 Millenials-126 Misstrauen-157 Mittelalter-15 Mobilität-52 moderne Nomaden-73 moralisches Recht auf Tourismus-77 Nachhaltigkeit-137f., 142, 145f., 148, 150f., 153f., 156, 158f., 170 Neokolonialismus-114 196 Register <?page no="197"?> Nomade-14, 32, 38, 47f., 52 nomadische Reise-29 normative ethische Theorien-110 normative Fragen-13 overtourism-36, 117f., 126, 141, 144, 175 Passport Index-61 Pauschalreise-18 Pauschalreisen-150 Peak-137 peak tourism-175 Perspektive-152 Philosophie-13 Philosophie, politische-143 place attachment-85 Politik-151 politische Philosophie-143 Postkarte-99 Rebound-Effekt-121f., 149 Renaissance-20 Resilienz-163, 170 Ressourcen-137 Römischen Reich-15 Schneekanone-120 Schönheit-81 Sehenswürdigkeit-83 Selbstbestimmtheit-59f., 62ff., 74 Selfie-100 Sextourismus-131 Sickereffekt-112 Skifahren-120 Slum-116 slum tourism-116 Sommerfrische-16, 33 Souvenir-101f., 106, 116 Spaziergang-82 staged authenticity-93 stakeholder-146 Standardisierung-64, 90 Steinzeit-14 strukturgebender Charakter-73 Sustainable-Marketing-158f. Szenarien-165, 168, 172 technologische Entwicklung-165 Toleranz-77 Tourismus-27 Tourismus, Definition-27 Tourismus, sechs Dimensionen-47 Tourismus, Wahrnehmung-84 Tourismusgeschichte-13 Tourismusgeschichte, 18.-Jahrhundert-16 Tourismusgeschichte, 19.-Jahrhundert-17 Tourismusgeschichte, 20.-Jahrhundert-18 Tourismusgeschichte, Ägypten-15 Tourismusgeschichte, Französische Revolution und napoleonischen Kriegen-16 Tourismusgeschichte, Renaissance-20 Tourismusgeschichte, Römischen Reich-15 Tourismusgeschichte, Steinzeit-14 Tourismusgeschichte, Steinzeit Tourismusgeschichte, Mittelalter-15 Tourismusgeschichte, zweiten Hälfte des 16.-Jahrhunderts-15 Tourismusinformation-171 Tourismussubjekt-43 Tourismussubsysteme-37 Tourismussystem-33f., 37f., 40, 43, 50, Register 197 <?page no="198"?> 98, 137, 140, 144, 152, 159, 164, 167 Tourismuswirtschaft-151 tourismuswissenschaft-14 Tourismuswissenschaft-9, 11ff., 23, 33, 40, 65, 70, 177 Touristensyndroms-52 Tourist Gaze-86 touristische Märkte-155 touristische Reisen-28 touristischer Konsum-154 Transferraum-71f., 82 Transport-146, 171 Trolley-Problem-115 truth making-87 Tugendethik-110 Umwelt-98, 144 unberührte Orte-132 UNESCO Welterbe-89 United Nations World Tourism Organization (UNWTO)-19 UNWTO-19, 44, 77f., 109, 132, 146, 161 Urlaubsglück-89 Vagheit-45 Vernunft-55 Verwandtenbesuchstourismus-39 voluntourism-134 Vorstellung-99 Wahrnehmung-84f. Wahrnehmung von Raum und Zeit-69 Weltklimarat, Bericht-174 Wertigkeit-73 Wirklosigkeitsvermutung-157 Zukunftsforschung-167ff. Zweck-38, 56 198 Register <?page no="199"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Graffiti „Tourist go home“ | Quelle: © Billie Grace Ward (Creative Commons Attribution v2.0) . . . . . . . 22 Abbildung 2: Tourismusdefinition nach UNWTO-Statistik | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an UN (2008): International Recommendations for Tourism Statistics. Online: https: / / unstats.un.org/ unsd/ public ation/ Seriesm/ SeriesM_83rev1e.pdf . . . . . . . . . . . . . . 29 Abbildung 3: Tourismus als System (exemplarische Darstellung von Zusammenhängen) | Quelle: eigene Darstellung 36 Abbildung 4: Tourismusformen nach verschiedenen Abgrenzungskriterien | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Spektrum/ Lexikon der Geographie. Online: https: / / www.spektrum.de/ lexika/ showpopup .php? lexikon_id=10&art_id=8178&nummer=181781 40 Abbildung 5: Urlaubsmotive gemäß Reiseanalyse-2022 | Quelle: Online: https: / / reiseanalyse.de/ erste-ergebnisse/ , S.-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Abbildung 6: Entwicklung der weltweiten Freizügigkeit 2012-2022 | Quelle: eigene Darstellung auf Basis von https: / / ww w.henleyglobal.com/ passport-index . . . . . . . . . . . . . . 62 Abbildung 7: Konzept der touristischen Servicekette als Abfolge touristischer Teilleistungen | Quelle: ADAC 2003, S. 21 63 Abbildung 8: Strukturierung des Tourismus entlang der Dimensionen Raum und Zeit | Quelle: Hall 2005, S. 94 70 Abbildung 9: Die geografischen Elemente des Tourismus | Quelle: Leiper-1979, S.-396 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Abbildung 10: Bauchtänzerin in Abu Dhabi | Quelle: eigene Aufnahme Julia Beelitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abbildung 11: Selfie | Quelle: © vm · iStockphoto . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Abbildung 12: Ähnlichkeit von Urlaubsfotografien | Quelle: © golero, frantic00, AleksandarNakic · iStockphoto . . . 104 Abbildung 13: Touristische Praxis: Anstehen und Warten als Preis für ikonische Fotos |-Quelle: eigene Aufnahme Julia Beelitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 <?page no="200"?> Abbildung 14: Im Kopf auf Reisen gehen: imagerepräsentative Bilder beispielhafter Destinationen | Quelle: eigene Abbildung mit Bildelementen (Pixabay) . . . . . . . . . . . 107 Abbildung 15: Kreuzfahrtschiff | Quelle: © vale_t · iStockphoto . . . . 129 Abbildung 16: Mögliche negative Wirkungen des Tourismus | Quelle: eigene Darstellung nach Steinecke (2006) und BTW-(2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Abbildung 17: Resilienz des Tourismus im Angesicht vergangener Krisen - Anstieg der weltweiten Anzahl von internationalen Touristinnen und Touristen | Quelle: United World Tourism Organization - World Tourism Barometer-(2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Abbildung 18: Futures tunnel der Zukunftsforschung | Quelle: in Anlehnung an Copenhagen Institute for Future Studies (2020): Folie 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abbildung 19: Strategische Interpretation der Szenariobewertung im Projekt „Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“ | Quelle: BZT 2021, S. 64 - kommentiert durch Julia Beelitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 200 Abbildungsverzeichnis <?page no="201"?> ISBN 978-3-8252-5911-2 Tourismus neu gedacht! Die verschiedensten Disziplinen setzen sich mit dem Phänomen Tourismus auseinander. Die Philosophie war bisher nur schlaglichtartig beteiligt. Dabei existieren viele tourismuswissenschaftliche Fragen, die die Philosophie durchaus beleuchten kann. Genau auf diese Fragen gehen Julia E. Beelitz (Tourismuswissenschaftlerin) und Jonas Pfister (Philosoph) in diesem Buch im Dialog ein. Das Ergebnis ist eine interdisziplinäre Betrachtung zu individuellen, ethischen, ästhetischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen. Das Buch richtet sich an Studierende der Tourismuswissenschaften und der Philosophie. Es ist zudem für alle, die sich für philosophische und ethische Fragen des Tourismus interessieren, eine spannende Lektüre. Tourismus | Philosophie Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel im Dialogstil