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Wissenschaftliches Schreiben in den MINT-Fächern

Der Schreibratgeber für alle Texte im Studium

0814
2023
978-3-8385-5951-3
978-3-8252-5951-8
UTB 
Sarah Herfurth
Eva Kaufholz-Soldat
10.36198/9783838559513

Der Schreibratgeber für die MINT-Fächer führt Expert:innenwissen aus dem Bereich der Schreibdidaktik und den einzelnen Fachdisziplinen fruchtbar zusammen. Unabhängig von Studien- und Nebenfach oder Schwerpunktsetzung der Aufgabenstellung in Hinblick auf Wiedergabe und Anwendung von Gelerntem oder der Darstellung eigener Forschung finden Studierende der MINT-Fächer stets genau die passende Hilfestellung bei der Abfassung sämtlicher Textsorten. Im ersten Teil "Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens" finden sich zunächst für Studierende aller MINT-Fächer relevante Kapitel zu allen Phasen des Schreibprozesses, von vorbereitenden Maßnahmen über die Literaturarbeit bis zur abschließenden Überarbeitung. Im zweiten Teil "Anforderungen an spezielle Textsorten" werden bestmöglich fachspezifische Gegebenheiten berücksichtigt. Es werden so viele Disziplinen und ihre idiosynkratrischen Vorstellungen von adäquaten Textformen wie möglich aufgenommen. Damit wird auch der zunehmenden Transdisziplinarität der MINT-Studiengänge Rechnung getragen.

<?page no="0"?> Herfurth | Kaufholz-Soldat Sarah Herfurth Eva Kaufholz-Soldat (Hrsg.) Wissenschaftliches Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="1"?> utb 5951 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="3"?> Sarah Herfurth / Eva Kaufholz-Soldat (Hrsg.) Wissenschaftliches Schreiben in den MINT-Fächern Der Schreibratgeber für alle Texte im Studium expert verlag · Tübingen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838559513 © expert verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro‐ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.expertverlag.de eMail: info@verlag.expert CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5951 ISBN 978-3-8252-5951-8 (Print) ISBN 978-3-8385-5951-3 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5951-8 (ePub) Umschlagabbildung: © iStock.com/ TwilightShow Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 7 17 1.1 18 1.1.1 18 1.1.2 22 1.1.3 37 1.2 50 1.2.1 50 1.2.2 67 1.2.3 77 1.2.4 88 1.2.5 101 1.3 115 1.3.1 115 1.3.2 125 1.3.3 141 1.3.4 154 1.3.5 167 1.3.6 182 1.4 195 1.4.1 195 1.4.2 208 1.4.3 225 1.5 234 1.5.1 234 Inhalt Gute wissenschaftliche Praxis, schöner Schreibstil, bestmögliche Noten und die Antworten auf alle ihre Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sektion 1: Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Schreibprojekt planen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitplanung einer Abschlussarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden für effektives Zeitmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digital Notieren und digital Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeit mit Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturrecherche und Datenbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lesen und Literatur gezielt auswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverwaltungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitieren und Integration von Zitaten in den eigenen Text . . . . . . . . . . Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planen, Springen, Drauflosschreiben: Schreibstrategien im Studium . Struktur und Gliederung von MINT-Texten: Die IMRaD-Struktur und ihre Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rohtexten im Schreibprozess - warum und wie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feedback: Roadmap zum guten Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überarbeiten - mehr als Korrigieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kollaboratives Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache in Wissenschaft: Sprachliche Anforderungen wissenschaftlicher Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Writing Well in English . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Writing Clear and Concise Sentences in English . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern . . . . . . . . . . . Laborbuch-Schreiben: analog und digital -Laborbuch führen im Studium und akademischen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 1.5.2 250 1.5.3 264 1.5.4 272 1.5.5 286 1.6 296 1.6.1 296 1.6.2 314 1.6.3 329 1.6.4 344 355 2.1 357 2.1.1 357 2.1.2 365 2.1.3 370 2.1.4 375 2.2 380 2.2.1 380 2.2.2 392 2.2.3 400 2.2.4 409 2.3 420 2.3.1 420 2.3.2 433 2.3.3 446 2.3.4 456 2.3.5 471 2.3.6 487 497 502 Argumentation in wissenschaftlichen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen und Visualisierung von Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematik im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Algorithmen und Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Poster in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftliche Präsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Abschlussarbeit zur Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Exposé: Warum (und wie) Sie es unbedingt schreiben sollten . . . Sektion 2: Ausgewählte TextSORTEN der MINT-Fächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Protokolle von Laborversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in der Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in der Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in der Meteorologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkursionsprotokolle in den Biowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkursionsprotokolle in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretation und Analyse topographischer Karten . . . . . . . . . . . . . . Hausarbeiten in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematische Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experimentelle Forschungsarbeit in der Verfahrenstechnik . . . . . . . . . Wissenschaftliche Ausarbeitungen und Abschlussarbeiten im Maschinenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschlussarbeiten in Technik und Informatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reviews als Abschlussarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doktorarbeit in der Medizin - ein besonderer Fall . . . . . . . . . . . . . . . . Autor: innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 1 Ein Sammelband ist eine Sammlung von Texten in einem Buch. Es gibt mindestens eine: n Herausgeber: in. Einzelne Texte stammen von unterschiedlichen Autor: innen, die jeweils angegeben sind. Gute wissenschaftliche Praxis, schöner Schreibstil, bestmögliche Noten und die Antworten auf alle ihre Fragen Das Wichtigste vorab Unabhängig davon, was wir Ihnen hier und in allen anderen Kapiteln des Buches empfehlen, gilt die folgende Regel: Die Person, die Sie bewertet, hat immer Recht! Es ist irrelevant, ob Ihr: e Betreuerin etwas empfiehlt, von dem wir hier explizit abraten, oder etwas von Ihnen fordert, was Ihnen falsch, sinnlos oder unschön erscheint. Schlussendlich entscheiden die Korrektor: innen, welche Note Sie bekommen und es hat sich daher noch nie als sinnvoll erwiesen, sich über Ihre Wünsche hinwegzu‐ setzen. Folgen Sie unseren Ratschlägen daher nur, wenn Sie nicht im Widerspruch zu dem stehen, was Ihre Korrektor: innen sagen. Beachten Sie dabei jedoch, dass Betreuer: innen und Korrektor: innen nicht zwangsläufig dieselben Personen sind - in vielen Arbeitsgruppen ist es üblich, dass die Betreuung von Postdocs oder sogar Doktorand: innen übernommen wird, die abschließende Korrektur und Bewertung aber von Professor: innen. Ausschlaggebend sind die Wünsche der notengebenden Person, versuchen Sie sie so früh wie möglich in Erfahrung zu bringen! Wieso heißt dieses Kapitel nicht „Einleitung“? Unserer Erfahrung nach werden Einleitungen in Ratgebern nur in den seltensten Fällen gelesen. Die Informationen im Folgenden sind aber wichtig, nicht nur, um dieses Buch richtig benutzen zu können, sondern auch, damit Sie so gute wissenschaftliche Arbeiten wie möglich schreiben können. Also: Bitte durchlesen! Irgendwie sieht dieses Buch gar nicht aus wie ein Schreibratgeber, sondern wie ein Sammelband 1 - warum? Die meisten Schreibratgeber richten sich vor allem an Studierende der Sozial- und Geisteswissenschaften, deren Arbeiten sich stark von denen unterscheiden, die in den MINT-Fächern geschrieben werden. Andere Schreibratgeber zielen auf einzelne MINT-Fächer, wobei oft wichtige Erkenntnisse aus der geisteswissenschaftlichen Schreibdidaktik nicht berücksichtigt werden, die wir aber übergreifend für alle Fä‐ cher für wichtig halten. In diesem Buch bringen wir das Expert: innenwissen aus beiden Bereichen zusammen, in dem jedes Kapitel von einer Fachperson für den jeweiligen Aspekt verfasst wurde. Daher finden sich unter den Autor: innen einerseits <?page no="8"?> Geisteswissenschaftler: innen, die zu den führenden Expert: innen im Bereich der Schreibprozessforschung (dazu gleich mehr) gehören und die ihre Ergebnisse spezifisch auf die Anforderungen in den MINT-Disziplinen angepasst haben. Die Kapitel zu den einzelnen Textsorten wiederum stammen immer von Personen, die das jeweilige Fach studiert haben oder gerade studieren und schon lange an Schreibzentren arbeiten, wo sie neben Studierenden auch die Professor: innen aus den einzelnen Disziplinen beraten. Muss ich alle Kapitel in diesem Buch lesen? Die kurze Antwort ist: Nein. Die längere und präzisere Antwort lautet: Welche Kapitel Sie lesen sollten, hängt maßgeblich davon ab, welche Art von schriftlicher Arbeit Sie schreiben. Diese Kapitel sollten Sie unbedingt lesen Unabhängig von der speziellen Textsorte gibt es einige Kapitel, die Sie unbedingt lesen sollten. Dazu gehören Aspekte, die in diesem Buch in Kapiteln vorgestellt werden, die sich mit dem sogenannten Schreibprozess beschäftigen, also allen Phasen, die notwendig sind, damit ein fertiger Text entsteht - von der ersten Planung, Recherche und dem Schreiben der Rohfassung bis hin zur finalen Überarbeitung. Diese Aspekte werden in den Kapiteln 1.1.1 bis 1.3.5 und 1.6.4 des Buches vorgestellt. Einige Kapitel sollten Sie unbedingt lesen, weil es darin um Aspekte der sogenannten guten wissenschaftlichen Praxis geht. Dieser Begriff ist ein wenig irreführend, weil er möglicherweise den Eindruck erweckt, dass es um etwas geht, das schlicht mehr oder weniger gut gemacht werden kann. Aus diesem Grund wird in offiziellen Texten meist eher von wissenschaftlichem Fehlverhalten gesprochen, das als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstanden wird. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass es sich keineswegs um Aspekte handelt, die man nur für eine 1,0 beachtet und dass ihre Missachtung bestenfalls ein Kavaliersdelikt sei, das höchstens negativen Einfluss auf die Note hat. Wissenschaftliches Fehlverhalten ist ein schweres Vergehen und zieht in der Regel schwerwiegende Konsequenzen nach sich, die von einem Nichtbestehen der Arbeit bis hin zur Exmatrikulation reichen können. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob wissenschaftliches Fehlverhalten aus Absicht oder aus Nachlässigkeit passiert ist. Denn der Nachweis, dass Sie gar nicht bewusst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen, sondern nur schlampig waren, ist in vielen Fällen nur sehr schwierig zu erbringen. Eine der maßgeblichen Definitionen für wissenschaftliches Fehlverhalten ist die Empfehlung des Plenums der deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Ihr zufolge gilt beispielsweise die Verletzung geistigen Eigentums als wissenschaftliches Fehlverhalten [1]. Oft wird hierfür die Bezeichnung „Plagiat“ verwendet, die im Deutschen allerdings keinen rechtsverbindlichen Begriff darstellt. Teddi Fishmann hat eine Begriffsbestimmung vorgelegt, nach der ein Plagiat vorliegt, wenn 8 Gute wissenschaftliche Praxis <?page no="9"?> jemand (1) Worte, Ideen oder Arbeitsergebnisse verwendet, (2) die einer anderen identifizier‐ baren Person oder Quelle zugeordnet werden können, (3) ohne auf die Quelle zu verweisen, aus der die entsprechenden Elemente übernommen wurden, (4) und das in einer Situation, in der die legitime Erwartung eigenständiger Autorschaft besteht, (5) und zwar mit dem Ziel einen Vorteil, Ansehen oder Gewinn zu erhalten, der nicht monetär sein muss. (Übersetzung von Rotzal und Schuh 2019) Oder kurz: Wenn Sie Inhalte aus anderen Quellen in Ihrer Arbeit verwenden, ohne die Urheber: innen (korrekt) anzugeben. Damit dies nicht passiert, finden Sie alles, was Sie über Zitate wissen müssen, in Kapitel 1.2.5. Ebenfalls als wissenschaftliches Fehlverhalten wird das Verfälschen von Daten gewertet, beispielsweise durch ein bewusst selektives Vorstellen nur der Messwerte, die die eigenen Annahmen bestätigen und das Geheimhalten derer, die dazu mögli‐ cherweise im Widerspruch stehen oder durch Manipulation von Darstellungen oder Abbildungen. Worauf Sie daher bei der Auswertung von Daten und ihrer Darstellung achten sollten, steht in Kapitel 1.5.3. Dem Verfälschen, genau wie dem Erfinden, Unterschlagen oder Vernichten von Daten soll auch das Führen eines Laborbuchs entgegenwirken, das aus diesem Grund oftmals von Arbeitsgruppen oder Fachberei‐ chen vorgeschrieben wird. Das Vorgehen dabei sowie die Vor- und Nachteile eines elektronischen Laborbuchs im Vergleich zu einem klassischen „Papier-Laborbuch“ werden in Kapitel 1.5.1 diskutiert. Diese Kapitel sollten Sie bei Bedarf, dann aber unbedingt lesen Im zweiten Teil dieses Ratgebers finden sich Kapitel zu speziellen Textsorten der MINT-Fächer, von denen Sie natürlich nur die lesen sollten, die sich auf den Text beziehen, den Sie gerade verfassen wollen. Wichtig für viele Arbeiten sind auch Kapitel, bei denen es spezifisch um eine visuelle Vorstellung der Ergebnisse geht, also Poster und Präsentationen, die in den Kapiteln 1.6.1 und 1.6.2 diskutiert werden. In Kapitel 1.6.3 finden Sie auch Informationen, falls Sie Ihre Abschlussarbeit publizieren wollen. Sollten Sie gemeinsam mit anderen Autor: innen an einem Projekt schreiben, finden Sie hilfreiche Hinweise in Kapitel 1.3.6. Zusätzlich gibt es Kapitel, in denen es um Anforderungen an Texte geht, die in vielen MINT-Fächern relevant sind, beispielsweise Formeln, Algorithmen und Abbildungen im Text, siehe dazu Abschnitt 1.5. Ich muss eine Textsorte schreiben, zu der es hier gar kein Kapitel gibt - was mache ich nun? In diesem Ratgeber sind die wesentlichen Textsorten aufgeführt, so dass jede: r Le‐ sende: r ein Kapitel finden kann, das dicht genug an der Textsorte ist, die sie: er gerade schreiben soll, um von dort Tipps auf die eigene Situation zu übertragen. Sicherlich gibt es manchmal Unterschiede, beispielsweise zwischen einem Protokoll in der Biologie und einem in der Biochemie. Diese sind jedoch kaum größer als die Gute wissenschaftliche Praxis 9 <?page no="10"?> Unterschiede zwischen den Anforderungen, die in ein und demselben Fachbereich an unterschiedlichen Universitäten oder sogar innerhalb einzelner Arbeitsgruppen gestellt werden. Wir sind überzeugt, dass die einzelnen Kapitel eine so gute Grundlage bieten, dass Sie sie problemlos als Ausgangspunkt für wirklich alle Texte im Studium nutzen können und ggf. nur leicht modifizieren müssen. In einigen Fällen kann es auch hilfreich sein, einzelne Kapitel gemeinsam für eine bestimmte Textsorte zu nutzen. Dies gilt insbesondere für die eine Textform, die auf den ersten Blick gar nicht vorzukommen scheint: die Abschluss-, also Bachelor- oder Masterarbeit. Das liegt daran, dass jede Abschlussarbeit je nach genauem Thema ganz speziellen Anforderungen genügen muss. Sollten Sie eine Textsorte vermissen, finden Sie hier eine Auflistung der Kapitel, die wir Ihnen immer ans Herz legen: ● Lesen Sie auf jeden Fall alle Kapitel zum Schreibprozess (1.1.1 bis 1.3.5 und 1.6.4) und zur guten wissenschaftlichen Praxis (1.2.5, 1.5.3, evtl. 1.5.1.). ● Das gleiche gilt für die Kapitel, die Aufbau (1.1.1, 1.1.2, 1.3.2), Sprache (1.4) und Argumentation (1.5.2) behandeln. ● Suchen Sie sich ansonsten zusammen, was Sie noch benötigen, weil es in Ihrem Text vorkommen wird, also bspw. die Kapitel zu Abbildungen (1.5.3), Mathematik (1.5.4) oder Algorithmen im Fließtext (1.5.5), aber auch zu spezielleren kleineren Textsorten aus Ihrem Fach wie Protokolle (Abschnitt 2.1 oder 2.2), in denen wichtige Aspekte beschrieben werden. Warum gibt es ein Kapitel zu Doktorarbeiten in der Medizin und nicht eines zu Dissertationen in den anderen Fächern? Anders als in allen anderen Fächern, besteht in der Medizin die Möglichkeit, die Doktorarbeit bereits während des Studiums zu schreiben. Dann erfolgt die Anerken‐ nung zeitgleich mit dem Studienabschluss. So müssen sich die Studierenden in diesem Fach mit der Frage auseinandersetzen, ob sie möglicherweise parallel zum Studium promovieren. Genau das thematisiert Kapitel 2.3.6. Da wir uns mit diesem Buch spezifisch an die Studienphase richten, ist es sinnvoll dieses Kapitel mitaufzunehmen. Sollten Sie diesen Ratgeber lesen, weil Sie eine Dissertation in einer anderen Disziplin schreiben (wollen), finden Sie hier aber auch wichtige Informationen, die für Sie relevant sind. Wann sollte ich welches Kapitel lesen? Viele Kapitel enthalten Hinweise von der ersten Themenfindung bis hin zur Abgabe, daher bietet es sich an, sie so früh wie möglich zu lesen, idealerweise, bevor Sie tatsächlich mit einem Schreibprojekt anfangen. Ein Schreibprojekt kann Ihre Abschlussarbeit sein, eine Studienarbeit, aber auch ein Protokoll zu einem Praktikums‐ versuch. Es ist hilfreich, wenn Sie beispielsweise das Kapitel zu einer speziellen Protokollsorte bereits lesen, bevor Ihr Praktikum beginnt. So wissen Sie bereits auf welche Aspekte Sie 10 Gute wissenschaftliche Praxis <?page no="11"?> beim Protokollschreiben besonders achten sollten. Außerdem finden Sie ggf. Hinweise dazu, wie Sie sich einzelne Punkte im Verlauf des Praktikums am sinnvollsten notieren. Bevor Sie die Abschlussarbeit beginnen oder sich ein Thema suchen, sind die Kapitel relevant, die sich mit dem Schreibprozess beschäftigen, aber auch diejenigen, in denen es um einzelne Textsorten geht. Das bedeutet aber nicht, dass es einen Zeitpunkt gibt, an dem es zu spät wäre, eines der Kapitel zu lesen. Auch wenn Sie nur noch wenig Zeit bis zur Abgabe der Abschlussarbeit haben, werden Sie in den Kapiteln immer noch wichtige Hinweise finden, die Sie schnell und effektiv umsetzen können. Warum finde ich in zwei Kapiteln ähnliche oder gleiche Inhalte? Dopplungen in unterschiedlichen Kapiteln erklären sich daraus, dass sich die Empfeh‐ lungen auf mehrere Themen anwenden lassen und wir gewährleisten möchten, dass Sie die Kapitel unabhängig voneinander lesen können. Wenn Sie bestimmte Tipps mehrmals finden, ist das natürlich auch ein Zeichen dafür, dass es sich um etwas handelt, dass besonders relevant ist bzw. wirklich gut funktioniert. Warum finde ich in zwei Kapiteln unterschiedliche Tipps? Gegensätzliche Tipps aus unterschiedlichen Kapiteln lassen sich damit erklären, dass die Autor: innen unterschiedliche fachliche Hintergründe haben und sich die Kapitel ggf. auch auf unterschiedliche Fachbereiche beziehen. Anders gesagt: Was für ein kurzes Protokoll in der Chemie gilt, muss für eine lange Ausarbeitung in den Geowissenschaften noch lange nicht gelten. Sie behaupten im Buch, dass eine gute wissenschaftliche Arbeit Literaturangaben braucht - hier gibt es aber einige Kapitel, in denen gar keine Literatur zitiert wird? Viele der Texte betreten Neuland - es gibt schlicht keine (zitierenswerte) Literatur zu bestimmten Textsorten. Oft handelt es sich auch um Erfahrungswerte von Personen, die seit vielen Jahren studentische Texte korrigieren und/ oder bei der Erstellung beratend tätig sind. Oder die Autor: innen geben Ihre Erfahrungen im Bereich Wissenschafts‐ kommunikation und Publikation weiter. Wie schreibe ich eine Arbeit, für die ich eine gute Note bekomme? Ein Geheimrezept für eine 1,0 gibt es nicht - zu viele unberechenbare Faktoren wie die persönlichen Vorlieben der Korrektor: innen spielen eine Rolle. Aber unserer Erfahrung nach (und wir haben in unseren Berufen schon sehr, sehr viele Abschlussarbeiten über die Entstehung hinweg begleitet und deren abschließende Bewertung gesehen) müssen folgende Dinge für eine gute oder sogar sehr gute Note zusammenkommen: Am wichtigsten ist natürlich das wissenschaftliche Ergebnis, dass erzielt wird und dies Gute wissenschaftliche Praxis 11 <?page no="12"?> liegt ganz allein in Ihrer Verantwortung. Aber ein gutes Resultat reicht alleine für die bestmögliche Note nicht aus. Sie müssen es auch angemessen präsentieren. Ihre Korrektor: innen werden gewisse Erwartungen an Ihre Arbeit haben und der wahrscheinlich beste Tipp, den wir Ihnen geben können, ist so ausführlich und so oft wie möglich mit ihnen nicht nur darüber zu sprechen, was Sie inhaltlich bearbeiten, sondern auch, in welcher Form Sie es aufschreiben sollen. Sollte dies nicht möglich sein oder Sie nur vage oder partielle Antworten bekommen, empfehlen wir Ihnen sich an die Hinweise aus dem Kapitel zu halten, das sich spezifisch mit der Textsorte auseinandersetzt, die Sie schreiben und außerdem diesem Schema zu folgen. ● Der Aufbau einer Arbeit in den MINT-Fächern sollte im Wesentlichen dem sogenannten IMRaD-Schema folgen, das in Kapitel 1.3.2 vorgestellt wird. Wenn Sie sich daran halten, haben Sie auf jeden Fall eine gute Grundstruktur. ● Die einzelnen Teile der IMRaD-Struktur erfüllen spezifische Aufgaben, damit Sie Ihr Ergebnis bestmöglich präsentieren und zwar in argumentativer Form. Denn in einer wissenschaftlichen Arbeit versuchen Sie strenggenommen die wissenschaftliche Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass Ihr Ergebnis richtig ist. Genaueres hierzu finden Sie in Kapitel 1.5.2. ● Als Studierende: r der MINT-Fächer werden Sie von den ersten Vorlesungswochen an darin trainiert, möglichst exakt zu arbeiten. Nutzen Sie diese Fähigkeit und versuchen Sie, sie auf die von Ihnen verwendete Sprache zu übertragen und möglichst präzise und sachlich zu formulieren. Hinweise hierzu finden Sie in Abschnitt 1.4. Da jede: r Dozent: in eigene Kriterien an schriftliche Ausarbeitungen anlegt, ist es si‐ cherlich nur bedingt repräsentativ, aber für den Fall, dass Sie sich anschauen wollen, worauf wir achten, finden Sie in den Onlinematerialien eines der Bewertungsraster, das wir bei der Benotung von universitären Texten zugrunde legen. Warum wird nicht erklärt, mit welchem Programm ich meine Arbeit schreiben sollte und wie man es benutzt? Die Frage, in welchem Programm eine Arbeit geschrieben werden sollte, lässt sich nicht pauschal beantworten. In vielen Fächern ist es üblich, ein Schreibprogramm wie Word von Microsoft oder Writer von Open Office zu verwenden. In anderen Disziplinen, insbesondere der Mathematik, Informatik oder Physik gilt es als guter Stil, LaTeX zu benutzen; in einigen Fällen wird dies auch von Betreuer: innen oder sogar in der Prüfungsordnung vorgeschrieben. In beiden Fällen hätte eine umfassende Einführung in die Nutzung der Programme unter Abdeckung aller möglichen Eventualitäten den Rahmen dieses Buches gesprengt. In aller Regel werden aber an Universitäten heute Kurse angeboten, in denen Sie den erweiterten Umgang mit diesen oder auch anderen Programmen erlernen können, die Sie möglicherweise benötigen, beispielsweise Excel oder Origin zur Datenauswertung. 12 Gute wissenschaftliche Praxis <?page no="13"?> s.narr.digit al/ v46l0 s.narr.digit al/ ughp8 s.narr.digit al/ 3u6qm s.narr.digit al/ kgfe8 Falls dies nicht der Fall ist, finden Sie im Internet zahllose Videoanleitungen. Zusätzlich können wir folgende Online-Angebote empfehlen: ● Auf der Seite von Prof. Dr. Wolf-Fritz Riekert, der an der Hochschule der Medien in Stuttgart unterrichtet, findet sich ein ausgezeichnetes und sehr ausführliches (100 Seiten! ) Template für Abschlussarbeiten in Word, das nicht nur kostenlos heruntergeladen werden kann, sondern in dem auch erklärt wird, wie die Forma‐ tierungen selbstständig erstellt, verändert oder erweitert werden können und wel‐ che Alternativen es gibt. ● Eine der ältesten und immer noch besten Anleitungen zum Lernen von LaTeX ist der Not so short guide to LaTeX 2 ε von Tobias Oetiker, Hubert Partl, Irene Hyna und Elisabeth Schlegl, der unter der GNU General Public License veröffentlich wurde, weshalb Sie ihn auch in zahlreichen Übersetzungen in andere Sprachen im Internet finden. ● Hilfreich ist auch das in mehreren Sprachen verfügbare LaTeX-Wikibook, in dem Sie Artikel zu einzelnen LaTeX-Themen und natürlich auch eine Anleitung für die ersten Schritte mit dem Textsatzprogramm finden. ● overleaf wurde ursprünglich entwickelt, um kollaborative Arbeiten an LaTeX-Do‐ kumenten zu ermöglichen. Mittlerweile finden sich dort auch zahlreiche Templates für Publikationen in bestimmten Journals oder Konferenzbeiträge, aber auch für studentische Arbeiten an verschiedenen Universitäten. Arbeiten, die Sie hier schreiben, werden automatisch regelmäßig in sehr kurzen Abständen gespeichert und bieten den Vorteil, dass Sie von jedem internetfähigen Gerät darauf zugreifen können (es empfiehlt sich trotzdem, eine eigene, auch offline zugängliche Kopie auf dem eigenen Gerät oder einem Datenträger zu speichern). Die für die meisten Zwecke vollkommen ausreichende Basisversion ist kostenlos nutzbar. Hinweise zu den Verweisen im Rand Warnungen Mit diesem Icon weisen wir auf Warnungen hin, die von den Autor: innen ausgespro‐ chen werden. In der Regel handelt es sich um Aspekte, die der Erfahrung nach von Studierenden (und oft auch von fortgeschritteneren Forscher: innen) missachtet oder falsch umgesetzt werden. Tipps Hier finden Sie Hinweise, deren Umsetzung beim Schreiben von guten Texten beson‐ ders hilfreich und oft sehr einfach umsetzbar sind. Hinweise zu den Verweisen im Rand 13 <?page no="14"?> Zusatzmaterialien Zu den einzelnen Kapiteln stehen Zusatzmaterialien wie Checklisten, Zeitpläne oder zustätzliche Informationen in der eLibrary des Verlages zum Download bereit. Jedes Zusatzmaterial ist im Buch durch die grüne Hervorhebung des relevanten Begriffs sowie mit einem eindeutigen Hinweis am Seitenrand und einer Zusatzmaterialien-ID gekennzeichnet. Im eBook genügt ein Klick auf die ID, um auf die Zusatzmaterialien zugreifen zu können. Käufer: innen des gedruckten Buchs erhalten mit ihrem Gutscheincode auf der zweiten Umschlagseite kostenfreien Zugriff auf das eBook und die Zusatzmaterialien zum Buch. Hilfreiche Internetseiten Es gibt einige Kapitel im Buch, an denen wir auf hilfreiche Seiten im Internet verweisen. Diese sind durch das Computersymbol am Rand gekennzeichnet. Über darunter befindlichen QR-Code können Sie im eBook direkt darauf zugreifen; Käufer: innen des gedruckten Buchs können den angegebenen Kurzlink verwenden. Checklisten Diese Checklisten können Sie verwenden um zu überprüfen, ob Sie alle im jeweiligen Kapitel angesprochenen Punkte in Ihrem Schreibprojekt berücksichtig haben. Übungen Das Schreiben wissenschaftlicher Texe ist ein Prozess, der erlernt und regelmäßig geübt werden muss (wobei es ein bisschen wie Fahrradfahren ist: Sobald man die Basics gelernt hat, läuft es eigentlich ganz flott, auch wenn man zwischendrin eine Pause macht). Mit diesem Icon sind daher Übungen gekennzeichnet, mit denen Sie bestimmte Fähigkeiten erwerben, vertiefen oder gegebenenfalls „entstauben“ können - nehmen Sie sich sein Papier, einen Stift und los geht’s! Verweise auf andere Kapitel im Buch Beim Schreiben von wissenschaftlichen Texten greifen viele Inhalte ineinander und es ist nicht möglich, einen Aspekt zu bearbeiten, ohne andere zu berücksichtigen. Um etwa ein gutes Protokoll zu schreiben, reicht das Textsortenwissen allein nicht aus, Sie müssen beispielsweise ebenfalls wissen, wie Sie Literatur recherchieren, zitieren, wie ein Text nach dem IMRaD-Schema gestaltet, ansprechend geschriebend und überarbeitet wird. Daher verweisen wir innerhalb von Kapiteln durch eine blaue Hervorhebung des relevanten Begriffs und mithilfe der jeweiligen Nummern am Rand auf andere Kapitel, in denen Sie Informationen zu diesen oder anderen Aspekten finden. 14 Gute wissenschaftliche Praxis <?page no="15"?> Ich habe noch eine weitere Frage, die nicht beantwortet wurde! Die Antwort ist: 42. Literatur [1] Zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in den Hochschulen. Empfehlung des 185. Plenums vom 6. Juli 1998, Verfügbar unter: https: / / www.hrk.de/ positionen/ beschluss/ detail/ zum-umgang-mit-wissenschaftlichem-fehlverhalten-in-den-hochschulen/ [2] R O T Z A L , T. / S C H U H , D. (2019): Grundbgeriffe ‚Akademische Integrität (Toolbox AkIn). Verfügbar unter: https: / / www.akin.uni-mainz.de/ files/ 2020/ 03/ B2_Grundbegriffe_2019.pdf Hinweise zu den Verweisen im Rand 15 <?page no="17"?> Sektion 1: Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens <?page no="18"?> 1.1 Ein Schreibprojekt planen 1.1.1 Zeitplanung einer Abschlussarbeit Sarah Herfurth Gut geplant ist halb geschrieben - so oder so ähnlich lautet eine bekannte Spruchweis‐ heit. Der Zeitplan - egal in welcher Form Sie ihn umsetzen - bietet Ihnen immer eine Übersicht über die verbleibende Zeit bis zur Abgabe und auch über die vorhandenen Aufgaben. Oft wird eine wissenschaftliche Arbeit in Phasen eingeteilt. Bornschein (2018) unterscheidet acht Phasen, die sie zwischen den Studierenden und Betreuer: innen aufteilt: ● Auftaktveranstaltung, ● Grobstrukturierung und Gliederung, ● Vereinbarung, ● Schreibproben, ● Erstes Feedback, ● Ausarbeitung, ● Korrektur im Wechsel mit Ausarbeitung. Ich konzentriere mich in diesem Kapitel auf die Aufgaben der Studierenden, am Beispiel einer 12-wöchigen Bachelorarbeit. Daher möchte ich die oben aufgezählten Phasen weiter zusammenfassen zu: ● Planen der Arbeit und Einarbeitung (ins Forschungsfeld) ● Recherchieren und forschen ● Schreiben ● Überprüfen und abgeben 1. Planen und sich einarbeiten Zeitfenster: 2 Wochen, planen Sie lieber großzügig! Die erste Phase können Sie gut auch vor dem Beginn der eigentlichen Abschlussarbeit bzw. nach Möglichkeit vor der Anmeldung beim Prüfungsamt angehen. Was passiert in dieser Zeit? Sie ist das Fundament Ihrer Arbeit: <?page no="19"?> 2 Ich gehe hierbei davon aus, dass Themen ausgeschrieben werden, die Sie an schwarzen Brettern oder auf Instituts- und Arbeitsgruppenwebsites einsehen können. Sollte dies in Ihrem Fachgebiet nicht der Fall sein, wenden Sie sich bzgl. der Themenfindung an potentielle Betreuungspersonen aus Ihrem Fachbereich. Typische Ratgeber zum wissenschaftlichen Schreiben in den Geisteswissenschaften bieten hier mannigfaltige Tipps zur Themenfindung und Eingrenzung. Kap.-1.6.4 Kap.-1.2.1 ● Sie finden Ihr Thema 2 , ● haben ein erstes Gespräch mit der Betreuungsperson bzgl. nützlicher oder inter‐ essanter Literatur für den Einstieg ● und arbeiten sich ein. ● Sie sollten eine Forschungsfrage formulieren ● und einen ersten Gliederungsentwurf aufsetzen. ● Diese Vorarbeiten könnten Sie direkt in einem Exposé, manchmal auch Projekts‐ kizze genannt, zusammenfassen und Ihrer Betreuungsperson vorlegen. 2. Recherchieren und forschen Zeitfenster: 5-8 Wochen ● Aufbauend auf Phase 1 generieren Sie nun die wissenschaftlichen Informationen, indem Sie ● eine detaillierte und strukturierte Literaturrecherche durchführen, ● Methoden und Materialien festlegen ● und mit Ihrer Forschung beginnen - Experiment, Untersuchung, Simulation oder Berechnung. ● Sie sammeln Daten und Messwerte, ● analysieren diese ● und werten sie aus. Je nachdem in welchem Bereich Sie forschen, kann diese Phase länger dauern (8 Wochen) oder schneller beendet sein (5 Wochen). Sie liefert jedoch die Essenz Ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Daher sollten Sie gerade bei Experimenten Puffer, das heißt zusätzliche Zeit, einplanen, damit nicht-wachsende Pflanzen, nicht-reagierende Chemikalien oder ein durch Verunreinigungen, wechselnde Außenbedingungen oder schlecht verarbeitetes Probenmaterial unbefriedigender Versuch den Erfolg Ihrer Arbeit nicht in Frage stellt und Ihnen möglicherweise sogar Zeit bleibt für eine erneute Versuchsreihe. 3. Schreiben Zeitfenster: 5-11 Wochen, parallel! Oft wird diese Phase in Ratgebern, aber auch auf „schlauen Seiten“ im Internet, zeitlich nach den beiden anderen angesiedelt. Ich plädiere jedoch dafür immer zu schreiben (! ) und die Phasen nicht als zeitliche Abfolge anzusehen, sondern als parallel zu bearbeitende Arbeitspakete. Erschrecken Sie nicht! Ich verlange nicht, 1.1 Ein Schreibprojekt planen 19 <?page no="20"?> Kap.-1.3.2 Kap.-1.3.4 dass Sie acht Stunden im Labor stehen und danach noch acht Stunden lang Text verfassen. Ich meine damit, dass Sie, während ein Experiment oder eine Simulation läuft und Sie nichts zu tun haben, beginnen Literatur zusammenzufassen oder die Theorie o. ä. zu notieren. Das kontinuierliche Schreiben, egal ob an der Dokumentation von Experimenten / Simulationen, an Stichpunkten zu einem Thema oder an einem Unterkapitel, ist von Vorteil, da Sie so immer „am Ball“ und im Schreibfluss bleiben und nicht nach mehreren Wochen wieder zurück in den Text und ins Schreiben finden müssen. Vor dem Schreiben einzelner Kapitel steht natürlich die Erstellung einer Gliede‐ rung. Am einfachsten ist es mit dem Verschriftlichen des Kapitels Material und Me‐ thoden / Grundlagen / Theorie zu beginnen - je nach thematischem Schwerpunkt wählen Sie bitte den passenden Arbeitstitel. Warum? Diese Inhalte müssen Sie ohnehin vor oder zu Beginn Ihrer Forschung recherchieren und können Sie dann direkt zu Pa‐ pier bringen, denn sie verändern sich nicht mehr. Dieses Kapitel eignet sich auch zur frühzeitigen Abgabe bei Ihrer Betreuungsperson. So können Sie, bevor Sie viel Text produziert haben, eine Rückmeldung zu Ihrem Schreibstil usw. erhalten. Alle diese Unterteilungen der Phase Schreiben können Sie in Abb. 1.1.1 nachvoll‐ ziehen. Ich habe hier noch eine Woche Puffer eingefügt. Wo genau der Puffer, also unverplante Zeit, in Ihrem Zeitplan auftaucht, ist nicht von Bedeutung, wichtig ist, dass Sie ihn haben! Diese unverplante Zeit ermöglicht es Ihnen auf unvorhergesehene Verzögerungen reagieren zu können. 4. Überprüfen und abgeben Zeitfenster: 2-3 Wochen Nun haben Sie das meiste schon geschafft. Vergessen Sie jedoch nicht Ihren Text selbst Korrektur zu lesen und von Freund: innen, Kommiliton: innen und/ oder Verwandten Korrektur lesen zu lassen. Auch das Layout muss den Anforderungen genügen und einheitlich sein. Je nachdem wie viele Seiten Ihre Arbeit hat und wie viele Personen Korrektur lesen sollen, müssen Sie unterschiedlich viel Zeit einplanen, vor allem auch für das Einarbeiten oder Umsetzen der Anmerkungen. 20 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="21"?> Monat 1 Monat 2 Monat 3 Woche -2 -1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Planen und sich einarbeiten Thema finden Erste Literaturrecherche & einlesen Forschungsfrage festlegen Erste Gliederung erstellen Zeitplan aufsetzen Exposé/ Projektskizze schreiben und vorlegen Recherchieren und forschen Detaillierte & strukturierte Literaturrecherche Methoden und Materialien festlegen Eigene Forschung Daten sammeln Daten analysieren Daten auswerten Schreiben Theorie/ Grundlagen/ Material und Methoden aufschreiben Quellen/ Belege zuordnen Gliederung verfeinern (Unterkapitel einfügen) Forschung fortlaufend dokumentieren aus der Dokumentation erste Unterkapitel erstellen Abbildungen und Tabellen erstellen und beschreiben Abbildungen und Tabellen den Unterkapiteln zuordnen Ergebnisse formulieren Diskussion verfassen Einleitung schreiben Fazit schreiben Absprache mit Betreuungsperson Puffer Überprüfen und abgeben Korrekturlesen und lesen lassen Korrekturen einarbeiten (Plagiatsprüfung durchführen) Layout prüfen und anpassen Drucken und binden lassen Abgeben Überprüfen & abgeben Zeitplan einer Bachelorarbeit (12 Wochen) Planen & orientieren Recherchieren & forschen Schreiben Abb. 1.1.1: Beispiel eines Zeitplans für eine Bachelorarbeit, die 12 Wochen dauert. Literatur B O R N S C H E I N , Beate (2018): Übung ‚Schreibphase strukturieren - 30 Schritte bis zur fertigen Abschlussarbeit in der Physik‘. In: G R AẞM A N N , Regina (2018): Die Schreibübung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Göttingen: Cuvillier Verlag. DIN Deutsches Institut für Normung e.-V. (Hrsg., 2009): DIN 69901-1: Projektmanagement-- -Projektmanagementsysteme---Teil 1: Grundlagen. Berlin: Beuth Verlag. G R AẞM A N N , Regina (2018): Die Schreibübung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Göttingen: Cuvillier Verlag. H I R S C H -W E B E R , Andreas / S C H E R E R , Stefan (2016): Wissenschaftliches Schreiben und Abschluss‐ arbeit in Natur- und Ingenieurwissenschaften. Grundlagen---Praxisbeispiele---Übungen. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer (UTB, 4450). Eine weiterführende Lektüre explizit zum Schreiben: Wymann, Christian (2021): Der Schreibzeitplan. Zeitmanagement für Schreibende. Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich (UTB 4308). 1.1 Ein Schreibprojekt planen 21 <?page no="22"?> 3 Im Sinne von: Die vorhandene Zeit so planen, dass mehr übrig bleibt für Nacharbeiten von Lehveranstaltungen, Rechnen von Übungsaufgaben, Hausarbeit, aber auch ganz einfach all das, was Sie gerne in Ihrer Freizeit machen. 1.1.2 Methoden für effektives Zeitmanagement Sarah Herfurth „Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit des Tages sinnvoll zu ordnen, ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Unter Zeitmanagement verstehen wir die Kunst, unsere eigene Zeit gut zu nutzen. Warum finden Sie dieses Kapitel in einem Schreibratgeber? Die Abschlussarbeit ist oft die erste Aufgabe im Studium, die Sie als Studierende tatsächlich weitestgehend selbstständig und eigenverantwortlich bearbeiten und strukturieren. Dieses Kapitel soll Sie dabei unterstützen und Ihnen Hilfestellungen und Methoden an die Hand geben, die Ihnen die zeitliche Strukturierung Ihrer Abschlussarbeit erleichtern. Zeitmanagement ist Ihnen dabei sowohl für Ihre Forschung als auch für die Doku‐ mentation bzw. das Schreiben selbst von Nutzen. Es gibt dazu viele Methoden, aus denen ich für diesen Beitrag einige ausgewählt habe. Meine Kriterien sind hier: Einfach‐ heit in der Anwendung und ein möglichst großer Nutzen für Sie, Ihre Abschlussarbeit, aber auch die Zeit danach. Denn die Methoden des Zeitmanagements können und sollen Sie selbstverständlich auch über Ihre Abschlussarbeit und Ihr Studium hinaus anwenden. Das Wort Zeitmanagement ist irreführend, denn es impliziert, dass wir Zeit tatsäch‐ lich managen - im Sinne von leiten oder führen - können. Zeit lässt sich jedoch nicht managen, sie vergeht für uns alle gleich schnell. Jede: r hat 24 Stunden pro Tag zur Verfügung. Beeinflussen oder managen können wir lediglich unseren Umgang mit der Zeit und unsere Arbeitsweise. Ich verstehe das Wort Zeitmanagement daher im Folgenden als Zusammensetzung aus Zeitplanung und Projektmanagement - Sie werden bald verstehen warum. Möglicherweise stellen Sie sich jetzt folgende Fragen: Schön und gut. Und was bringt mir jetzt Zeitmanagement? Es bietet Methoden, Tricks und Tipps, mit denen ich meinen Tag strukturieren kann, Stress reduziere und mich entlaste. Wie nutze ich meine Zeit besser und effektiver? Wie schaffe ich es, mich weniger ablenken zu lassen? Und wie kann ich mehr Zeit gewinnen  3 , die ich in mein Wohlergehen investieren kann? 22 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="23"?> 4 Die Autorin hält seit 2016 Seminare im Wissenschaftlichen Schreiben am Karlsruher Institut für Technologie mit Schwerpunkt im Bereich der MINT-Fächer, seit 2020 in der Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dar‐ überhinaus bietet sie seit 2020 gemeinsam mit Dr. Christian Hoffstadt von der Karlsruher Coaching Community ein Coachingformat für Doktorand: innen an - den sogenannten Dissertation Sprint. In diese Methodenauswahl fließen also die Rückmeldungen mehrerer dutzend Seminargruppen ein. Abschn. 2.1 Methoden des Zeitmanagements oder Zeitsparen während der Abschlussarbeit Wenn Sie im Internet nach Zeitmanagementmethoden suchen, werden Sie etliche Vorschläge, Tipps und Tricks finden. Denn wie schon das einleitende Zitat von Goethe nahelegt, ist es durchaus nicht trivial, den eigenen Tag bzw. die eigene Zeit zu planen. Dieses Kapitel möchte ich nutzen, um Ihnen die Top Ten aus meinen Hochschulseminaren 4 vorzustellen, die sich ohne spezielle Programme und langes Einarbeiten umsetzen lassen. Beachten Sie: Jede: r ist ein Individuum. Daher wird nicht jede Methode für jede: n von Ihnen gleich gut funktionieren. Ich lade Sie ein, in einige Methoden reinzuschnuppern und daraus die auszuwählen, die für Sie am besten passen. 1. Die SMART-Methode Für frühe Schreibanlässe im Studium wie zum Beispiel Versuchsprotokolle sieht Ihre Zeitplanung vermutlich recht übersichtlich aus: Üblicherweise ist die Abgabe des Pro‐ tokolls eine Woche oder zwei Wochen nach Versuchsende gefordert; bei umfangrei‐ cheren Versuchen und Protokollen auch vier bis sechs Wochen nach Ende der Veran‐ staltung. Oft werden die Versuche zu zweit durchgeführt, sodass Sie sich mit Ihrer Kommilitonin oder Ihrem Kommilitonen absprechen können, wer welche Passage schreibt oder welchen Inhalt aufbereitet. Sie überlegen sich also WAS Sie bis WANN zu erledigen haben. Bei Planungen dieser Art können Sie auf die SMART-Methode zurückgreifen. Diese Methode zur Zielsetzung und Zielerreichung, wurde 1981 von George T. Doran für die Anwendung im Projektmanagement bzw. zur eindeutigen Definition von Zielvereinbarungen formuliert. SMART ist ein Akronym und steht dabei für 1.1 Ein Schreibprojekt planen 23 <?page no="24"?> 5 „Ein Arbeitspaket ist eine in sich geschlossene Aufgabenstellung, die bis zu einem festgelegten Zeitpunkt mit definiertem Ergebnis und Aufwand vollbracht werden kann[.]“ Deutsches Institut für Normung e. V. (Hrsg., 2009): DIN 69901-5: 2009-01. In: DIN-Taschenbuch 472. Berlin: Beuth-Verlag, , S.-151. Tab. 1.1.1: SMART-Methode. S M A R T specific measurable assignable reasonable time-related spezifisch messbar aktivierend realistisch terminiert Sie formulieren Ihre Ziele so ein‐ deutig und spe‐ zifisch wie mög‐ lich. Um Fortschritte feststellen zu können, müssen Ihre Ziele über‐ prüfbar sein. Stellen Sie sich Ihr Ziel bildhaft vor, um sich zu motivieren. (Im Original: Spezifizieren Sie wer etwas tut.) Die Aufgabe muss innerhalb der Zeit und mit Ihren Mitteln machbar sein. Sie planen die Ziele zeitlich bindend: Was ist bis wann zu erle‐ digen? Wie sieht das jetzt konkret aus? Hier ein Beispiel: Mein Ziel: Ich schreibe ein Protokoll. Das habe ich zu wenig präzise formuliert, keine messbaren Größen bestimmt und vergessen zeitlich bindend zu planen. Besser: Ich werde in den kommenden drei Tagen das Protokoll zum XY-Versuch verfassen. An Tag 1 erstelle ich eine Gliederung und tippe unsere handschriftlichen Aufschriebe ab. An Tag 2 erstelle ich die Messdaten-Diagramme und binde sie in den Text ein. Am dritten Tag schreibe ich den Ergebnisteil, Überleitungen und überprüfe meinen Text. Am vierten Tag liest Cuno, mit dem ich gemeinsam den Versuch durch‐ geführt habe, meinen Text Korrektur, sodass ich am fünften Tag seine Anmerkungen einarbeiten kann. So können wir fristgerecht am siebten Tag abgeben. Mit diesem Beispiel können wir direkt weiterarbeiten. Hier erkennen Sie schon erste Ansätze von Zeitplanung oder auch Projektmanagement: Sie teilen die anstehenden Aufgaben in kleine Schritte, sogenannte Arbeitspakete 5 , auf. Diesen weisen Sie Verant‐ wortliche und Fristen zu. Der Begriff Projektmanagement taucht hier nicht zufällig auf, denn Ihre Abschluss‐ arbeit kann durchaus als Projekt eingestuft werden. Laut DIN 69901 definiert sich ein Projekt darüber, dass es „ein zeitlich begrenztes Vorhaben [ist,] mit dem Ziel, ein einmaliges Produkt […] oder ein einmaliges Ergebnis zu schaffen“. Die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit charakterisieren das Projekt. Neben der Zielvorgabe werden als Bedingungen unter anderem auch zeitliche, finanzielle, personelle Begren‐ zungen, sowie die Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben genannt. 24 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="25"?> Mit diesem Projekt, Ihrer Abschlussarbeit, erwartet Sie nun zum ersten Mal im Studium eine Aufgabe, die Sie eigenverantwortlich über einen längeren Zeitraum hinweg bearbeiten - üblicherweise drei Monate für die Bachelorarbeit und sechs Monate für die Masterarbeit. Außerdem gibt es mehrere Arbeitsschritte oder -pakete, die teilweise unabhängig voneinander durchgeführt werden können. Es lohnt sich also vorab Zeit in die Planung zu investieren und sich Gedanken über alle anfallenden Aufgaben bzw. Arbeitspakete, deren Länge und Abhängigkeiten zu machen. 2. Masterplan Als ersten Schritt empfehle ich Ihnen einen großen Wandkalender (digitale Analo‐ gien sind selbstverständlich genauso nützlich) zu besorgen, der genau den Zeitraum Ihrer Abschlussarbeit abbildet. In diesem Kalender entwickeln Sie Ihren Masterplan: Markieren Sie zunächst den relevanten Zeitraum, bspw. 01. Mai bis 23. Juli für zwölf Wochen Bachelorarbeit. Tragen Sie nun alle fixen Termine ein, die Sie schon kennen: Von Terminen bei Ärztin oder Arzt über Geburtstage und ähnliche Feste, an denen Sie auf jeden Fall teilnehmen wollen/ werden, bis zu regelmäßigen Veranstaltungen, wie Training im Sportverein oder Treffen Ihrer Arbeitsgruppe an der Hochschule. Vergessen Sie, gerade bei längeren Zeiträumen wie der Masterarbeit oder Dissertation, auch Urlaub und Zeit für Erholung nicht. Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen. In dieser Übersicht können Sie bereits eine grobe Struktur für die Bearbeitung Ihrer Abschlussarbeit anlegen. Hier vermerken Sie alle Arbeitsphasen und Meilensteine. Dazu müssen Sie nur noch wissen welche Arbeitsphasen und Meilensteine überhaupt auf Sie warten. Meilensteine entstammen dem Projektmanagement und bezeichnen wichtige Zwi‐ schenziele. Mit ihnen lässt sich der Gesamtzeitraum in kleinere Abschnitte gliedern (erleichtert die Planung) und die Zielerreichung besser verfolgen (erleichtert die Kontrolle). Meilensteine der Abschlussarbeit können sein: erste Gliederung erstellt, Literaturreche beendet, Abgabetermin usw. 3.To-Do-Liste I Um herauszufinden welche Arbeitsphasen und -pakete Sie erwarten, legen Sie am besten eine Aufgabensammlung im Stile einer To-Do-Liste an: Sammeln Sie alles, was Ihnen zu Ihrer Abschlussarbeit an Aufgaben einfällt - zunächst noch ungeordnet und unstrukturiert. In einem weiteren Schritt sortieren Sie die gesammelten Aufgaben in Gruppen, unterteilen Sie in abgeschlossene Arbeitspakete und machen sich Gedanken über Abhängigkeiten. Die übergeordneten Einheiten, wie beispielsweise Literaturrecherche, Gliederung usw., können Sie nun schon auf den markierten Zeitraum im Wandkalender verteilen und mit Meilensteinen, in Form wichtiger Zwischenziele, versehen. Sie stellen jedoch fest, dass die Planung noch sehr ungenau ist. Im weiteren Verlauf werden die Aufgaben 1.1 Ein Schreibprojekt planen 25 <?page no="26"?> 6 Im Kapitel 1.1.1 stelle ich Ihnen einen Zeitplan für eine 12-wöchige Bachelorarbeit vor. immer präziser definiert und die Zeiträume immer kleiner, sodass Sie die Möglichkeit haben Ihren Fortschritt abzulesen. Um in die Zeitplanung praktisch einzusteigen, möchte ich Sie bitten, sich an dieser Stelle Gedanken über die möglichen Arbeitsschritte zu machen, die Sie während Ihrer Abschlussarbeit erwarten. Starten Sie mit allgemeinen Themen wie Literaturrecherche, Einarbeiten in die Thematik (Ergänzen Sie hier bitte Ih‐ ren Themenbereich), Gliederung entwickeln, Einweisung im Labor / Software(li‐ zenzen) besorgen, Rohtext des Theorie-/ Material- und Methodenkapitels, …, Korrekturlesen (lassen), Änderungen einarbeiten, drucken & binden, abgeben, Abschlussvortrag. Tragen Sie diese Arbeitspakete in Ihren Zeitplan ein und ordnen Sie Ihnen eine geschätzte Dauer zu. Das geht mit Papier und Stift, aber auch digital. Wählen Sie die Version, die Ihnen eher zusagt. Als Nächstes präzisieren oder unterteilen Sie die allgemeinen Arbeitspakete: Was steckt alles hinter dem Begriff Literaturrecherche? Die Literaturliste der Betreuungsperson abarbeiten - lesen, Notizen machen, systematisch ablegen. Oder selbst(ständig) Literatur zum Thema finden, lesen, Notizen machen, syste‐ matisch ablegen. So gehen Sie nun für alle zuvor notierten Arbeitspakete vor. So bekommen Sie einen genaueren Überblick über die Dinge, die Sie während der Abschlussarbeit zu erledigen haben und wie lange Sie welcher Arbeitsschritt beschäftigt. Beachten Sie: Möglicherweise gibt es Abhängigkeiten! Bevor ich im Labor mes‐ sen darf, brauche ich eine Sicherheitsunterweisung. Ich kann XY erst beginnen, wenn AB abgeschlossen ist. Oder wenn ich RST bearbeitet habe, kann ich ein weiteres (Unter-)Kapitel schreiben. Diese Abhängigkeiten kennzeichnen Sie in Ihrem Zeitplan 6 . Beachten Sie: Der Zeitplan, den Sie vor Beginn Ihrer Abschlussarbeit erstellen, wird ziemlich sicher nicht der sein, den Sie am Ende der Abschlussarbeit befolgt haben. Ihr Zeitplan ist veränderbar und das ist gut so! Wenn Sie Arbeiten über eine längere Zeit planen, gibt es immer Verschiebungen und Unvorhergesehenes. Außerdem gibt es bei Abschlussarbeiten einiges, das Sie schwer im Voraus einschätzen können, bspw. wie lange Sie brauchen, um einen Beweis zu finden, wie lange Ihre Pflanzen brauchen, um zu wachsen, wie lange es dauert bis Materialien oder Bauteile geliefert werden (können). Dies wird Ihren Zeitplan verändern. Das ist nicht schlimm oder schlecht. Es ist ganz normal. Wichtig ist für Sie zu wissen, welche Arbeitsschritte es insgesamt gibt und wie diese sich gegenseitig beeinflussen. Mit der visuellen Darstellung im Zeitplan haben Sie das alles im Blick und können so einfacher auf Änderungen reagieren. 26 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="27"?> 7 Ein Gantt-Diagramm, benannt nach seinem Erfinder Henry Gantt (1861-1919), ist eine Art Balkendi‐ agramm, das einen Projektzeitplan veranschaulicht. Moderne Gantt-Diagramme zeigen nicht nur den Zeitplan, sondern auch Beziehungen bzw. Abhängigkeiten zwischen den eingetragenen Aufgaben und zusätzlich den aktuellen Zeitplanstatus bzw. Tag. 8 Lothar Seiwert (1989) erwähnt dies als Grundregel der Zeitplanung, jedoch ohne eine originäre Quelle anzugeben. Ich beziehe mich hier also auf seine Aussage und mein Erfahrungswissen. 4. Wochen- und Tagesplan Von dieser groben Struktur aus arbeiten Sie sich vor zum Wochenund/ oder Tagesplan. Der Wochenplan (Tagesplan) beinhaltet die Aufgaben, die Sie in der jeweiligen Woche (am jeweiligen Tag) erledigen möchten/ müssen. Geplant wird jeweils freitags für die kommende Woche bzw. am Vortag für den folgenden Tag. Es eignen sich verschiedene Darstellungen, um einen visuellen Überblick über die bevorstehenden Aufgaben und Zusammenhänge in einem Zeitplan zu bekommen: Sie können mit einem Tabellenprogramm einen einfachen Monats-, Wochen- oder auch Tagesplan erstellen. Auch die Darstellung im selben oder einem speziell dafür konzipierten Programm in einem Gantt-Diagramm 7 ist möglich. Eine schriftlich ausformulierte Version des Zeitplans hilft Ihnen dabei sich über die genauen Anforderungen der einzelnen Arbeitsschritte klar zu werden. 5. 60: 40-Methode Für alle diese Zeitplanversionen rate ich Ihnen: Planen Sie großzügig und planen Sie Pufferzeiten ein! ! Hierzu kann ich die 60: 40-Methode 8 empfehlen. Diese Methode ist nach den Anteilen benannt, in die eine verfügbare Zeitspanne aufgeteilt wird. Planen Sie Ihren Arbeitstag von acht Stunden, bedeutet dies: 60 % der Zeit, also vier Stunden und 48 Minuten, dürfen Sie mit Arbeitspaketen verplanen. Die verbleibenden 40 %, oder drei Stunden und zwölf Minuten, werden nicht verplant. Sie dienen als Puffer für überraschende neue Aufgaben oder auch für eingeplante Aufgaben, die mehr Zeit in Anspruch nehmen als gedacht. Ein Beispiel für einen Zeitplan inklusive Gantt-Diagramm zur Erstellung einer Bachelorarbeit finden Sie am Ende des Kapitels. 6. ALPEN-Technik Diese strukturiert den Umgang mit To-Do-Listen. Außerdem fließt die 60: 40-Methode hier mit ein und sie eignet sich zur Tagesplanung. In der folgenden Tabelle ist ausgeführt, wofür die einzelnen Buchstaben im Akronym ALPEN stehen und wie die Technik angewendet wird. 1.1 Ein Schreibprojekt planen 27 <?page no="28"?> 9 Vgl. https: / / www.presidency.ucsb.edu/ documents/ address-the-second-assembly-the-world-council -churches-evanston-illinois, abgerufen am 01.06.2022. Tab. 1.1.2: Die ALPEN-Technik. Aufgaben und Termine notieren Notieren Sie Ihre To Dos - neue Aufgaben, Unerledigtes vom Vortag, Termine und Pausen! Länge abschätzen Notieren Sie zu jeder Aufgabe und jedem Termin die von Ihnen geschätzte Dauer. Planen Sie lieber großzügig. Pufferzeiten einplanen Eine der Grundregeln des Zeitmanagements besagt, dass Sie nie mehr als 60-Prozent Ihrer Zeit verplanen sollen. Planen Sie deshalb ausreichend Zeit für Unvorhergese‐ henes ein. Tipp: Starten Sie mit 50-Prozent Pufferzeit und werten Sie später (siehe Nachkontrolle) aus, wie gut Ihre Schät‐ zungen waren. Entscheidungen treffen Aus der riesigen Anzahl an Dingen, die Sie evtl. tun könnten, müssen Sie die Dinge herausfiltern, die beson‐ ders wichtig und dringlich sind. Setzen Sie Prioritäten! Nachkontrolle Am Ende des Arbeitstages kontrollieren Sie, was Sie er‐ ledigt haben, wie gut Ihre zeitlichen Schätzungen waren und inwiefern Sie das zukünftig anpassen müssen. Sind die Pufferzeiten ausreichend oder sogar zu viel? Gibt es Aufgaben, die Sie sogar streichen können? 7. Eisenhower-Matrix oder ABC-Methode Sie kennen vielleicht das Dilemma, dass mehr Aufgaben als Zeit vorhanden sind? In der ALPEN-Technik wurden Sie damit konfrontiert, dass Sie Entscheidungen treffen bzw. Prioritäten setzen sollen. Die beiden hier vereinten Methoden helfen Ihnen dabei. Die Eisenhower-Matrix arbeitet mit einem Koordinatenkreuz und vier Quadranten, so werden Aufgaben in vier Kategorien eingeteilt. Die ABC-Methode verwendet nur drei Kategorien. Wählen Sie die Methode aus, die für Sie passender erscheint. Eisenhower-Matrix: Diese unterscheidet wichtige und unwichtige, von dringenden und nicht dringenden Aufgaben. Namensgeber der Methode ist Dwight D. Eisenhower, der 34. US-Präsiden‐ ten (1953-1961). In einer Rede am 19. August 1954 vor dem World Council of Churches zitierte er einen namentlich nicht genannten, früheren College Präsidenten wie folgt: I have two kinds of problems, the urgent and the important. The urgent are not important, and the important are never urgent. 9 28 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="29"?> Ziel der Eisenhower-Matrix ist es Ihre Aufgaben effektiver bearbeiten zu können. Die Priorisierung der Aufgaben ist wie folgt: ● wichtig und dringend, ● wichtig, aber nicht dringend, ● dringend, aber nicht wichtig, ● nicht wichtig und nicht dringend. Abb. 1.1.2: Skizze der Eisenhower-Matrix, ohne den Quadranten links unten (Verwerfen) gilt diese Darstellung auch für die ABC-Methode. Beachten Sie hierzu: ● Wichtige Aufgaben haben einen unmittelbaren Bezug zu definierten Zielen. ● Dringende Aufgaben dulden keinen Aufschub. Diese erledigen Sie sofort. ● Wichtige und dringende Aufgaben erledigen Sie selbst und schnellstmöglich. ● Dringende, aber nicht wichtige Aufgaben sollten Sie - falls möglich - delegieren oder automatisieren. Ist dies nicht möglich, sollten sie nach den dringenden und wichtigen und noch vor den wichtigen und nicht dringenden Aufgaben erledigt werden. ● Wichtige aber nicht dringende Aufgaben planen und terminieren Sie. Die Aufgaben selbst sind niedriger priorisiert als die wichtigen und dringenden, so dass sie erst danach angegangen werden. ● Nicht wichtige und nicht dringende Aufgaben sollten Sie nicht bearbeiten. Je nach Kontext können sie archiviert oder ganz gelöscht werden. ABC-Methode: Diese Methode teilt Aufgaben mit den Buchstaben A, B und C in drei Kategorien auf: Aufgaben der Kategorie A sind dringend und wichtig, dadurch nicht delegierbar. Diese sollten Sie sofort erledigen. Ihre Anzahl deckt 65 % aller Aufgaben ab und beansprucht dabei 15 % Ihrer Zeit. B-Aufgaben sind nicht dringend, aber (durchschnittlich) wichtig. Legen Sie einen Zeitpunkt für ihre Erledigung fest und delegieren Sie diese, wenn 1.1 Ein Schreibprojekt planen 29 <?page no="30"?> möglich oder erledigen Sie sie selbst. Sie machen 20 % der Menge an Aufgaben aus und nehmen 20 % Ihrer Zeit in Anspruch. Aufgaben der Kategorie C sind dringend, aber wenig wichtig. Von der Menge aller Aufgaben machen sie 15 % aus und nehmen 65 % Ihrer Zeit ein. Das spricht dafür sie zu delegieren oder hintenanzustellen. Verglichen mit der Eisenhower-Matrix lässt die ABC-Methode die Aufgaben außer Acht, die weder dringend noch wichtig sind und daher verworfen werden (sollten). 7. Eat … … that frog Auch Eat that frog hilft Ihnen Prioritäten in der Bearbeitung Ihrer Aufgaben zu setzen. Beginnen Sie Ihren Arbeitstag mit der vermeintlich schwersten oder schlimmsten Aufgabe, dem Frosch. „Essen“ Sie diesen zuerst, also gleich morgens, wenn Sie sich an den Schreibtisch setzen. Danach werden Sie sich gut fühlen und der Motivationsschub trägt Sie durch die nächsten Aufgaben, außerdem haben Sie „das Schlimmste“ schon hinter sich. Umsetzung: Im Tagesplan für den nächsten Tag notieren Sie sich diese eine schwierige Aufgabe - zum Beispiel „Unterkapitel über die Laser-Raman-Spektroskopie schreiben“ - mit der Sie starten wollen. (Und danach noch ein paar kleinere Aufgaben.) Und das tun Sie dann auch. …those flies Das ist eine Abwandlung bzw. das Gegenteil zu Eat that frog. Hier erledigen Sie zu Beginn des Arbeitstages zunächst die Kleinigkeiten, die Ihnen sonst womöglich die ganze Zeit im Kopf herumschwirren und Sie von den größeren Aufgaben ablenken. Jedoch ist es wichtig für die Kleinigkeiten oder „Fliegen“ eine recht knappe Zeitspanne festzulegen und nach Ende dieser Zeitspanne auch konsequent zu einer anderen Aufgabe, einem Frosch vielleicht, überzugehen. Umsetzung: Jeden Morgen nehmen Sie sich für 30 Minuten zuerst die E-Mails vor oder Aufgaben, die von Ihrer Chefin oder Ihrem Chef auf Ihren Tisch geflattert sind … oder um ins Schreiben der Abschlussarbeit zu kommen, beginnen Sie mit dem Korrekturlesen des letzten Abschnitts/ Kapitels, bevor Sie mit dem Schreiben des nächsten weitermachen. Ob Sie „Eat that frog“ oder „Eat those flies“ bevorzugen, kann je nach Anforderun‐ gen/ Aufgaben variieren oder auch je nach Ihren persönlichen Präferenzen. Probieren Sie aus, was für Sie am besten funktioniert. 8. Ideen abladen - Braindumping Für die tägliche (Schreib-)Arbeit am hilfreichsten finde ich einen Braindum‐ ping-Block (digitale Entsprechung: ein Dokument). „To dump“ heißt auf Deutsch „abladen“. Hier geht es also um das Abladen von Ideen und Gedanken. Diese übertragen 30 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="31"?> Sie auf ein Medium wie bspw. den Block. Auf diesem Block halten Sie alles, aber auch wirklich ALLES fest, das Ihnen während der Arbeit bzw. während des Schreibens in den Kopf kommt: Einkaufsliste, Termin bei der Zahnärztin machen, Küche putzen, Bücher in der Bibliothek suchen, Paket muss dringend zur Post, Schrank ausmisten, Oma anrufen … alle diese Gedanken, die plötzlich und unvermittelt durchs Gehirn zischen und vermeintliche sofortige Erledigung bzw. Beschäftigung mit ihnen einfordern. Der Transfer der Gedanken aus dem Kopf auf ein Blatt Papier oder in ein digitales Dokument, führt zu einer mentalen Entlastung und gleichzeitig zu einer übersichtli‐ chen und nachvollziehbaren Dokumentation. Aus den gesammelten Gedanken können Sie später eine To-Do-Liste erstellen und Termine in den Kalender übernehmen. 9. To-Do-Liste II Damit sind wir schon bei der nächsten Methode: Die allseits bekannte To-Do-Liste. Ich habe sie oben schon auf dem Weg zur Zeitplanung angesprochen, hier hat sie nun eine andere Funktion: Im Zuge Ihrer Abschlussarbeit gibt es unzählige kleinere und größere Aufgaben zu erledigen, außerdem diverse Termine und Fristen, bspw. Putzdienst in der WG, Buch‐ rückgaben in der Bibliothek, Besprechungen der Arbeitsgruppe oder auch Termine mit Ihrer Betreuungsperson. Es ist anstrengend, sich all das zu merken und immer den Überblick zu behalten. Ein hervorragendes und denkbar einfaches Hilfsmittel ist hier die klassische To-Do-Liste. Was ist der Vorteil einer To-Do-Liste? Entlastung des Arbeitsgedächtnisses (siehe Braindumping): Was ich aufschreibe, muss ich mir nicht merken. Und so kann ich mich besser auf meine Aufgaben/ das Schreiben konzentrieren. ● Geringer Aufwand: Stift und Zettel bzw. Smartphone o.ä. - und schon geht‘s los. ● Überblick: Aufgeschrieben sehe ich alles auf einen Blick. ● Motivierend: Aufgaben von der Liste zu streichen, ist enorm befriedigend. ● Verbindlichkeit: Von einem gedanklichen Aufgabenplan weichen Sie viel schneller und müheloser ab als von einem schriftlich fixierten. ● Bildet ein Gespür für Zeit: Nutzen Sie To-Do-Listen regelmäßig und Sie lernen, wie viele Aufgaben Sie an einem Tag erledigen können, wie lange die einzelnen Aufgaben dauern und wie viel Puffer nötig ist. ● Nachkontrolle möglich: Erstellen Sie Ihre To-Do-Listen in einem Heft oder auf einem dafür reservierten Block, können Sie nachvollziehen, wie viel Sie seit dem Tag X oder in der Zeitspanne Y geleistet haben. Dieses sich bewusst machen der eigenen Leistung ist besonders nützlich, wenn Sie sich gerade in einem Motivationstief befinden. 1.1 Ein Schreibprojekt planen 31 <?page no="32"?> Kap. 1.1.3 ● Papier oder Rechner? Analog oder digital? Das ist Geschmackssache. Die digitale Variante bietet den Vorteil der Übersichtlichkeit, der einfachen Ergänzung und Veränderung. Ist sie jedoch immer verfügbar, wenn Sie sie brauchen? Tipps für eine gelungene To-Do-Liste: ● Konkrete Arbeitsaufträge: Verwenden Sie die SMART-Methode, um aus der Auf‐ gabe „Literaturrecherche“ kleine, gut zu bewältigende Portionen zu machen. Aus „Heute widme ich mich der Literaturrecherche.“ machen Sie besser: „Bis 10: 30 Uhr lese ich Artikel XY von Birta Meier und mache mir Notizen zu den angewendeten Methoden, die ich für Kapitel 2 meiner Abschlussarbeit brauche.“ So ist die Aufgabe klar und eindeutig definiert und Sie können die Erledigung überprüfen. Diese Erfolgserlebnisse spornen an. ● Sich nicht überfordern: Notieren Sie nicht zu viel auf Ihrer Tagesliste. Eine Liste, die am Abend noch zahlreiche unerledigte Punkte enthält, demotiviert. ● Zeitfenster verdoppeln: Auch Personen, die sich gut in der Materie auskennen und im Schreiben geübt sind, planen für viele Aufgaben weniger Zeit ein, als tatsächlich nötig ist. Planen Sie also für Ihre Aufgaben jeweils wesentlich mehr Zeit ein, als Sie denken. Mit einer Verdoppelung der veranschlagten Zeit sind Sie zunächst auf der sicheren Seite. ● Prioritäten setzen: Nicht alles, was Sie erledigen müssen, ist gleichermaßen wich‐ tig! Priorisieren Sie deshalb Ihre Aufgaben. Fragen Sie sich dazu: „Welche Aufgabe bringt mich meinem Ziel näher? Welcher Arbeitsschritt ist unbedingt nötig, damit ich die Arbeit pünktlich und in vernünftigem Zustand abgeben kann? Was könnte zur Not liegen bleiben? Welche Aufgaben müssen vor einen bestimmten Termin bearbeitet werden? “ ● Wichtig! ! Sicherungskopie: Machen Sie regelmäßig, vielleicht jeden Abend, eine Sicherungskopie Ihres Textes, Ihrer Tabellen und Abbildungen auf einem externen Speichermedium. Denn Nichts ist ärgerlicher als Arbeit doppelt zu machen. ● Pausen und Freizeit: Planen Sie regelmäßig kleine Pausen ein. Sie können dazu das aus der Schule bekannte Schema 45 Minuten - 5 Minuten - 45 Minuten - 15 Mi‐ nuten verwenden oder auch individuell auf Sie und Ihre Aufgaben zugeschnittene Arbeits- und Pausenzeiten wählen. Mehr dazu auch unter 10. Pomodoro-Technik. Zusätzlich sollten Sie pro Woche ein bis zwei arbeitsfreie Tage einplanen. Diese Pausen- und Freizeitplanung hilft Ihnen Ihre Motivation auf einem gleichblei‐ benden Level zu halten und Ihre Energiereserven aufzufüllen. Gleichzeitig hilft zeitlicher Abstand beim Schreiben dabei Lücken in der Argumentation, aber auch Rechtschreib- und Grammatikfehler zu entdecken. ● Unerledigte Aufgaben übertragen: Am Ende des Tages kopieren Sie Übriggeblie‐ benes auf die Liste für den kommenden Tag. Bei einem Wochenplan erfolgt dieser Schritt entsprechend am Freitagabend für die folgende Woche. 32 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="33"?> 10 Laut Lally et al. (2009), werden Gewohnheiten erst nach einer Dauer von 18 bis 254 Tagen, im Durchschnitt sind das also 66 Tage, übernommen. Dies ist abhängig von der zu etablierenden Gewohnheit, der betreffenden Person und den Umständen. Lally, P., van Jaarsveld, C.H.M., Potts, H.W.W. and Wardle, J. (2010), How are habits formed: Modelling habit formation in the real world. Eur. J. Soc. Psychol., 40: 998-1009. https: / / doi.org/ 10.1002/ ejsp.674 11 Im Internet finden Sie eine Vielzahl von Pomodoro-Timern, bei denen die Zeitfenster von 5, 15 und 25 Minuten bereits voreingestellt sind. s.narr.digit al/ 85y8e s.narr.digit al/ 1odmo s.narr.digit al/ 3e6jk Eisen‐ hower/ ABC ● Selbstdisziplin: Selbst eine perfekte To-Do-Liste ist nutzlos, wenn Sie sich nicht daranhalten. Für den Anfang brauchen Sie also eine gute Portion Selbstdisziplin 10 , doch mit der wiederholten Anwendung wird die To-Do-Liste in Ihren Arbeitstag integriert. 10. Pomodoro-Technik Mit der Pomodoro-Technik stelle ich Ihnen die in meinen Seminaren beliebteste Zeitmanagement-Methode vor. Diese Technik hat Francesco Cirillo in den späten 1980ern zum Lernen auf Prüfungen an der Universität entwickelt. Cirillo benutzte einen Küchenwecker in Tomatenform (Tomate auf Italienisch „pomodoro“), um die Zeit zu stoppen - daher der Name Pomodoro-Technik. Bei Cirillos Ansatz wechseln sich Arbeits- und Pausenphasen ab. Sie teilen dabei Aufgaben in Zeiteinheiten von 25 Minuten (= ein Pomodoro) ein. Nach jedem ‚Pomo‐ doro‘ folgen 5 Minuten Pausen, die Ihre Konzentration stärken. Zudem ist die Arbeit in kurzen Zeitspannen produktiver und motivierender. Nach vier ‚Pomodori‘ folgt eine längere Pause von 15-20 Minuten. Die Zeit wird mit Hilfe eines Weckers (einer Uhr, einer App 11 ) gemessen. Ein großer Pluspunkt der Pomodoro-Technik ist, dass die Arbeitseinheiten so kurz sind und Sie Ihren inneren Schweinehund daher mühelos überzeugen können, diese wenigen Minuten auch für unliebsame Aufgaben zu opfern. Wie funktionirt das Ganze? Legen Sie zunächst anstehende Aufgaben fest und ord‐ nen Sie diese nach Wichtigkeit. Notieren Sie, wie viel Zeit jede Aufgabe ungefähr be‐ anspruchen wird. Dann legen sie fest, wie viele ‚Pomodori‘, also 25-Minuten-Einheiten, Sie an dieser Aufgabe arbeiten möchten. 1.1 Ein Schreibprojekt planen 33 <?page no="34"?> 12 Das Konzept „Flow“ wurde 1975 von dem Psychologen Mihály Csíkszentmihályi benannt. Eine Person, die etwas tut, befindet sich dabei in einem Zustand der völligen Konzentration auf diese Sache und sie nimmt ihre Umwelt nicht (mehr) wahr, ihr Zeitgefühl geht verloren. Flow kann im Sport, beim Musizieren, aber auch beim Schreiben oder Malen und Zeichnen auftreten. Die Original-Technik hat sechs einfache Schritte: Anleitung zur Pomodoro-Technik: 1. Nehmen Sie sich die erste Aufgabe (Pomodoro) vor. 2. Stellen Sie den Wecker auf 25 Minuten. 3. Arbeiten Sie 25 Minuten lang konzentriert an dieser einen Aufgabe. 4. Der Wecker klingelt. Beenden Sie Ihre Arbeit und machen Sie 5 Minuten Pause. 5. Wiederholen Sie Schritt 1 bis 4 bis Sie den vierten Pomodoro beendet haben. 6. Machen Sie nach dem vierten Pomodoro eine längere Pause von 15-20 Minuten. Wiederholen Sie Schritt 1 bis 6. Wichtig: Die Pausen der Pomodoro-Technik sind als Pausen für Ihr Gehirn angelegt. Ich empfehle in dieser Zeit auch Pause vom Bildschirm oder Schreibtisch zu machen. Stehen Sie auf, räumen Sie auf, kochen Sie sich einen Tee oder Kaffee, essen Sie etwas, laufen Sie ein Mal ums Haus o. ä. Durch die häufigen Pausen, können Sie sich körperlich und mental erholen und damit immer wieder neu auf die verbleibenden Aufgaben des Tages fokussieren. Um während eines Pomodoro konzentriert zu bleiben, ist es wichtig, Ablenkungen zu reduzieren. Schalten Sie Ihr Telefon in den Flugmodus und deaktivieren Sie Chat- oder E-Mail-Benachrichtigungen und so weiter. Allerdings kann es auch Ablenkungen geben, auf die Sie keinen Einfluss haben, z. B. wenn jemand Sie etwas fragt. Das können Sie kaum vermeiden. Cirillo hat jedoch einen Vier-Stufen-Ansatz für den Umgang mit Unterbrechungen entwickelt: 1. Informieren Sie andere Personen darüber, dass Sie derzeit beschäftigt sind. 2. Legen Sie eine Zeit fest, um das Problem (der anderen Person) zu besprechen. 3. Planen Sie den Termin sofort ein. 4. Rufen Sie zurück, wenn der Pomodoro beendet ist. So können Sie konzentriert arbeiten und im Flow 12 bleiben. 34 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="35"?> 13 Das soll bedeuten, dass es wichtiger ist die übergeordnete Aufgabe, Ihre Abschlussarbeit, zu beenden als jedes noch so kleine Detail perfekt auszuführen - wie bspw. die optimale Zeitplanungsmethode zu finden. 11. Just do it! ! Viele Methoden sind Typ- oder Geschmackssache, sie können auch je nach Art der Aufgaben oder Tagesform mal besser und mal weniger gut passen oder funktionie‐ ren. Egal welche Methode Ihnen gefällt oder nicht gefällt, was Ihre vermeintlichen Baustellen bei der Zeitplanung und beim Projektmanagement sind, meine dringliche Empfehlung lautet: Fangen Sie an! Das passt in etwa zur Methode Eat that frog, wobei ich mich nicht darauf versteifen würde immer den größten Frosch zuerst zu erledigen. Mir geht es darum, dass Sie etwas machen - von den vielfältigen Arbeitspaketen Ihrer Abschlussarbeit. Denn nur so kommen Sie voran. Wenn Sie jetzt noch im Zeitraum vor der Abschlussarbeit sind, nehmen Sie sich gerne die Zeit und probieren Sie alles Mögliche aus, bis Sie das gefunden haben, was für Sie am besten funktioniert. Wenn Sie mitten in der Abschlussarbeit sind oder diese vielleicht gerade beginnen, würde ich raten die Methoden hier in einer kurzen Zeitspanne zu testen und diejenigen auszuwählen, die für Sie am besten funktionieren. Verwenden Sie nicht unnötig viel Zeit darauf noch diese und jene Methode auszuprobieren, stecken Sie diese Zeit lieber direkt in Ihre Abschlussarbeit. Es wird immer irgendwo noch irgendeine Methode geben, die noch irgendetwas verbessern oder vereinfachen könnte. In der Zeit, die Sie für die Recherche und das Lesen und Verstehen verwenden, könnten Sie vermutlich schon zwei Kapitel Ihrer Abschlussarbeit geschrieben haben. Just do it! Done is better than perfect! 13 Methodenübersicht ● SMART-Methode zur Zielsetzung und Zielerreichung ● Masterplan - grobe Wochenplanung ● To-Do-Liste I - Aufgaben sammeln ● Wochenund/ oder Tagesplan ● 60-40-Methode - Puffer einplanen ● ALPEN-Technik - detaillierte Tagesplanung ● Eisenhower-Matrix / ABC-Methode - Entscheidungen treffen ● Eat that frog / Eat those flies - Was mache ich zuerst? ● Braindumping - den Kopf frei kriegen ● To-Do-Liste II - aus dem Kopf auf ’s Papier ● Pomodoro-Technik - kleine Zeiteinheiten gegen den inneren Schweinehund ● Just do it! ! 1.1 Ein Schreibprojekt planen 35 <?page no="36"?> Literatur C I R I L L O , Francesco: „The Pomodoro Technique.“ https: / / www.pomodorotechnique.com (Zugriff am 10.06.2022). DIN Deutsches Institut für Normung e.-V. (Hrsg., 2009): DIN 69901-1: Projektmanagement-- -Projektmanagementsysteme---Teil 1: Grundlagen. Berlin: Beuth Verlag. H I R S C H -W E B E R , Andreas / S C H E R E R , Stefan (2016): Wissenschaftliches Schreiben und Abschlussar‐ beit in Natur- und Ingenieurwissenschaften. Grundlagen - Praxisbeispiele - Übungen. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer (UTB, 4450). D O R A N , G. T. (1981): -There’s a S.M.A.R.T. way to write management’s goals and objectives. In: -Management Review, 70.-Jg., Nr.-11, S.-35-36. Bitte beachten Sie, dass es zum Thema Zeitmanagement unzählige Bücher gibt, die auf 50 bis knapp 300 Seiten Techniken und Methoden beschreiben. In diesem Beitrag von wenigen Seiten kann ich Ihnen also nur einen kurzen Einblick bieten. Wenn Sie tiefer in die Zeitplanung und das Selbstmanagement eintauchen möchten, empfehle ich Ihnen einen Blick in die folgenden Werke: B R A N D T , Eva (2017): Zeitmanagement im Takt der Persönlichkeit. Welche Zeitpersönlichkeit sind Sie? Und wie ticken die anderen? Weinheim: Beltz. F O L Z , Kristina (2020): Zeitmanagement bei der Abschlussarbeit. Perfektes Timing für die Bachelor- und Masterthesis. Wiesbaden: Springer Gabler. R E I C H E L , Tim (2020): 24/ 7-Zeitmanagement. Aachen: Studienscheiss Verlag. Eine weiterführende Lektüre explizit zum Schreiben: W Y M A N N , Christian (2021): Der Schreibzeitplan. Zeitmanagement für Schreibende. Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich (UTB 4308). 36 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="37"?> Kap.-1.2.2 Kap. 2.1.1 1.1.3 Digital Notieren und digital Schreiben David Lohner Notizen sind die eigentliche Wissensarbeit Während Ihres Studiums sind Sie „Wissenschaftler: in auf Probe“, selbst wenn Sie keine akademische Karriere anstreben. Wissenschaftler: innen haben die Aufgabe, durch die clevere Kombination von bestehendem Wissen und neuen Daten neues Wissen zu generieren. Als Wissenschaftler: in in der Ausbildung verfassen Sie in der Regel keine Publikationen, sondern vor allem schriftliche Prüfungsleistungen wie Protokolle oder Abschlussarbeiten. Hier gilt, genau wie im Falle von Fachartikeln, dass der Weg bis zur Publikation dabei häufig wenig betrachtet wird, sowohl von den Autor: innen selbst als auch von allen, die wissenschaftliche Texte begutachten. Dieser Beitrag nimmt diesen Weg in den Blick und richtet sich an Sie als Studierende. Denn es sind Ihre Notizen, die auf dem Weg zu einem fertigen Text entstehen, denen wir deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Letztlich ist es die Summe aller niedergeschriebenen (noch so kleinen) Gedanken - also unserer Notizen - die am Ende unser Gesamtwerk ausmacht. Es spielt zunächst keine Rolle, ob es sich dabei um Mit‐ schriebe einer Vorlesung handelt; die Stichpunkte, die Sie während der Arbeit in Ihrer Lerngruppe notiert haben oder es um ausführliche Zusammenfassungen und Protokolle geht. Was die meisten Angebote, die aktuell an Hochschulen das wissenschaftliche Schreiben thematisieren gemeinsam haben: Sie blenden - so weit ich es beurteilen kann - zwei grundlegende Perspektiven häufig vollkommen aus: Einerseits, dass jede noch so kleine Notiz Teil eines wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist; andererseits den spezifisch digitalen Zugang zum Thema „Notizen anfertigen“ bzw. Schreiben. Ich nehme in diesem Beitrag insbesondere die Perspektive auf den digitalen Zugang ein und zeige, wie essenziell es ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie Sie Notizen während eines Studiums (oder bereits davor und danach) systematisch digital anfertigen um daraus Material für Ihr eigenes Lernen oder Haus- und Abschlussarbeiten zu erstellen. Wie erstelle ich meine Notizen? Die erste Frage, die Sie sich stellen sollten, ist folgende: Sollte ich meine Notizen digital am Computer tippen oder handschriftlich anfertigen? Beide Formen des Notierens haben ihren Charme, Vorteile und Nachteile. Denn egal, wie Sie Ihre Notizen anferti‐ gen: Das Ziel sollte sein, das aufgeschriebene Wissen besser behalten zu können. Im Folgenden beleuchte ich zunächst beide Möglichkeiten. 1.1 Ein Schreibprojekt planen 37 <?page no="38"?> Handschrift und Computerschrift Gibt es wissenschaftliche Belege dazu, welche Form des Notierens zu einem besseren Lernen führen: Handschrift oder Computerschrift? Mueller und Oppenheimer (2014) haben die Studie „The Pen is mightier than the Keyboard“ veröffentlicht, in der sie festgestellt haben wollen, dass es dem Lernen zuträglicher sei, Notizen handschriftlich anzufertigen. Leider stecken in dieser Studie zahlreiche (methodische) Unklarheiten, die ihre plakative Aussage zunichte machen. Beispielsweise wurde den Probanden in dieser Experimentalstudie eine Methode zur Mitschrift vorgegeben - ungeachtet eigener Präferenzen oder Kompetenzen im Umgang mit den jeweiligen Medien. In einer Replik auf diese Studie haben Urry et al. (2021) aufgezeigt, dass sich der Effekt nicht bestätigen lässt. Auch Aufenanger und Bastian (2020) haben die Unschärfen von Mueller und Oppenheimer aufgegriffen und kommen zu dem Schluss, dass keine der beiden Methoden einen signifikanten Vorteil gegnüber der anderen bietet. Bis die Wissenschaft weitere Erkenntnisse liefert, bleibt die Entscheidung also Ihnen überlassen. Vor- und Nachteile digitaler Notizen Auch wenn die Wissenschaft keine eindeutigen Handlungsempfehlungen aussprechen kann, sollte man sich einige Vor- und Nachteile beider Formen von Notizen verge‐ genwärtigen. Man muss an dieser Stelle aber zwei Dinge unterscheiden: Einerseits den Prozess des Notierens an sich, und andererseits die fertige Notiz, die an einem definierten Ort (physisch oder digital) abgelegt wurde. Ich möchte zunächst den Prozess des Notierens betrachten: Um etwas zu notieren, benötige ich ein Werkzeug. Bei handschriftlichen Notizen ist das ein Stift und ein Papier, oft in Form eines kleinen Notizbuchs. Das digitale Pendant dazu ist ein (mobiles) Endgerät, sei es das Smartphone, ein Tablet-PC, Notebook oder Desktop-Computer mit entsprechender Software. Die Frage ist nun, welches der Werkzeuge Sie eher griffbereit haben. Für eine neue Notiz müssen Sie Ihren Gedanken niederschreiben. Je nach Art des Gedankens, spielen hier die unterschiedlichen Medien ihre jeweiligen Stärken aus: Auf Papier können Sie meist unkompliziert und schnell grafische Elemente hinzufügen, Skizzen anfertigen oder durch eine tabellarische Anordnung verschiedener Begriffe Kontext herstellen. Im digitalen Format sind derartige Formatierungen aufwendiger. Dafür haben Sie die Möglichkeit (je nach Software), die Diktierfunktion zu nutzen, multimediale Notizen anzufertigen, indem Sie Bilder anhängen oder Hyperlinks zu anderen Inhalten (z.-B. im Internet) einfügen. Die großen Vorteile eines digitalen Notizsystems kommen erst zum Tragen, wenn Sie bereits einen Fundus an Notizen haben, die Sie weiterverwenden wollen. Digitale No‐ tizsysteme sind in der Regel mit einer Volltextsuche ausgestattet. Das bedeutet, dass Sie Ihre Inhalte schnell durchsuchen können, egal ob Sie zehn oder zehntausend Notizen durchsuchen wollen. Auf Papier steigt der Aufwand bei einer Suche proportional zur 38 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="39"?> 14 Empfehlungen oder Nennung von Software findet in den Fußnoten statt. Auf diese Weise - so hoffe ich - bleibt der eigentliche Text einige Zeit aktuell, während sich die Softwarelandschaft schnell verändern kann. Anzahl der Notizen. Weiter können Sie Ihre digitalen Notizen - insbesondere sehr umfangreiche Sammlungen - zwischen verschiedenen Endgeräten synchronisieren. So können Sie ein mobiles Endgerät zum schnellen Erfassen von Gedanken nutzen, unabhängig von Zeit und Ort, während Sie an ihrem Arbeits- oder Studienplatz die inhaltliche Arbeit mit Ihren Notizen auf einem größeren Computer leisten. Dank ver‐ schiedener Cloudanwendungen bedarf es meist lediglich einer initialen Konfiguration und Sie können von überall auf der Welt auf Ihre Notizen zugreifen. Papier hingegen müssen Sie entweder immer bei sich tragen oder kopieren. Das stellt bei zunehmender Größe Ihrer Notizsammlung (in meinen Augen) keine ernst zu nehmende Option dar. Einer der größten Vorteile digitaler Notizen ist aber deren Editierbarkeit: Wenn sich Ihr Wissen weiterentwickelt, können Sie im Nachhinein Ihre Notizen beliebig umfangreich anpassen, erweitern und ergänzen oder kommentieren. Warum sollten Sie Ihre Notizen digital anfertigen: ● Digitale Notizen können über alle Ihre Endgeräte synchronisiert werden. Es spielt keine Rolle, wo Sie gerade sind, um Ihre Gedanken zu notieren oder bestehende Notizen zu sichten. ● Digitale Notizen sind schnell durchsuchbar, unabhängig von deren Gesamt‐ zahl. ● Digitale Notizen sind auch im Nachhinein leicht zu editieren und können mit multimedialen Inhalten und Hyperlinks ergänzt werden. Notieren für die Zukunft In diesem Ratgeber möchte ich mich auf die Darstellung eines Konzepts fokussieren und nur am Rande auf spezifische Software eingehen, da das Angebot an Notiz-Soft‐ ware sich sehr schnelllebig entwickelt: Funktionsumfang und Preismodell werden bisweilen über Nacht verändert und letztlich müssen Sie selbst entscheiden, mit welcher Software 14 Sie am liebsten arbeiten. Eine umfangreiche Aufstellung von möglichen digitalen Schreibräumen finden sich bei Kruse und Rapp (2021), wobei die Autoren auf das Schreiben von umfangreichen Texten blicken, nicht auf (kurze) Notizen. Wenn Sie Notizen für wissenschaftliche Arbeiten aufschreiben, sollten Sie sich stets bewusst machen, dass Sie diese Notizen an Ihr „Zukunfts-Ich“ adressieren. Denn nur, wenn Sie später erkennen, warum oder wozu Sie sich diesen Gedanken notiert haben, erfüllt die Notiz ihren Zweck. Das bedeutet, dass Sie Notizen immer so formulieren sollten, dass das Geschriebene auch in der Zukunft für Sie noch Sinn ergibt. Die 1.1 Ein Schreibprojekt planen 39 <?page no="40"?> 15 Siehe Der Zettelkasten Niklas Luhmanns. In: Niklas Luhmann-Archiv. Verfügbar unter: https: / / nikl as-luhmann-archiv.de/ nachlass/ zettelkasten (letzter Abruf: 23.08.2022). meisten Stichpunktlisten, die während einer Lehrveranstaltung von studentischer Hand entstehen genügen diesem Anspruch vermutlich nicht (anekdotische Evidenz beim Durchsehen der Notizen aus meinem eigenen Studium). Aber müssen wirklich alle Ihre Notizen dieses Ziel verfolgen? Nein! Sönke Ah‐ rens (2017) beschreibt in seinem Buch „Das Zettelkastenprinzip“ drei Arten von Notizen, die auf den Luhmann’schen Zettelkasten 15 zurückgehen: ● Flüchtige Notizen - hierunter fallen alle kurzen Aufschriebe oder Hervorhebun‐ gen (mit Textmarker). Diese stellen lediglich eine Gedächtnisstütze dar, um einen Gedanken später wieder aufzugreifen. Sie sollten Ihre flüchtigen Notizen zeitnah erneut durchsehen und sie entweder verwerfen (also löschen) oder in die nächste Stufe überführen: ● Dauerhafte Notizen - gehen aus den flüchtigen hervor und sind so formuliert, dass sie dauerhaft Bestand haben. Idealerweise stehen hier (im wissenschaftlichen Kontext) auch Quellenangaben oder Bezugspunkte, worauf sich ein Gedanke (oder Fakt) bezieht. Diese dauerhaften Notizen müssen für sich selbst stehen können und sollten auch ohne weiteren Kontext Sinn ergeben. ● Projektbezogene Notizen - das sind die Notizen, die sich auf ein spezielles Pro‐ jekt beziehen und ausschließlich für dieses Projekt relevant sind. Nach Abschluss des Projekts können diese Notizen archiviert oder gar gelöscht werden. Wenn Sie Notizen mit dem Ziel verfassen, Ihr Gedächtnis „auszulagern“ und umfangrei‐ ches Lernmaterial für anstehende Prüfungen oder ausreichend Material für eine Haus- oder Abschlussarbeit zu sammeln, sollten Sie sich darauf konzentrieren, konsequent flüchtige Notizen anzufertigen und daraus genauso konsequent dauerhafte Notizen zu formulieren. Das ist die eigentliche Wissensarbeit, von der ich in der Einleitung sprach. Dieses Nacharbeiten von Notizen aus Lehrveranstaltungen ist bisweilen mühsam, zahlt sich langfristig aber definitiv aus, denn aus diesen dauerhaften Notizen vollständige Texte zu formulieren ist Ihre nächste Aufgabe, wenn Sie eine Haus- oder Abschlussar‐ beit verfassen. Ein Modell für ein mögliches Vorgehen hierfür finden Sie bei Tobias Schmohl-(2020). Was ich in diesem Beitrag leisten will, ist Ihnen einige Ansätze für dieses Notieren für die Zukunft zu erläutern, für die es digital-technische Umsetzungen gibt. Von diesen Ansätzen möchte ich drei unterschiedliche beschreiben und jeweils kurz darlegen, welche Vor- und Nachteile daraus erwachsen. Genuin Aufschreiben Der erste Ansatz ist der vermutlich am weitesten verbreitete: Sie können sich Ihre Gedanken (oder Fakten) einfach aufschreiben. Viele Student: innen nutzen dazu die 40 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="41"?> 16 z. B. Hypothes.is (https: / / hypothes.is) oder Memex (https: / / getmemex.com). 17 Auch das kann mit Hypothes.is bewerkstelligt werden. Der E-Book Reader von Amazon, Kindle, bietet ebenfalls die Möglichkeit, „beliebte Markierungen” anderer Nutzer: innen anzuzeigen. 18 z. B. der Lesezeichen-Manager Diigo (https: / / www.diigo.com). im Betriebssystem enthaltenen Standard-Tools: Entweder gibt es eine sehr schlanke App, um Notizen festzuhalten oder es wird ein ausgewachsenes Textverarbeitungs‐ programm genutzt. Während Notiz-Apps meistens die einzelnen Notizen in einer Datenbank speichern, die zunächst ausschließlich über diese Notiz-App verfügbar ist, müssen Sie für Ihre Notizen, die Sie mit einem Textverarbeitungsprogramm schreiben selbst einen (oder mehrere) Speicherorte definieren. Hierbei ist es in jedem Fall hilfreich, sich bei der Gestaltung der Ordnerstruktur und Benennung der Dateien an einem professionellen Forschungsdatenmanagement zu orientieren. Auch die Notizen selbst sollten sauber organisiert sein, sodass Sie für gleiche inhaltliche Strukturen dieselben Vorlagen nutzen, z. B. eine für Mitschriebe in Lehrveranstaltungen, eine für Notizen zu gelesener Literatur etc. Sie können bestimmte Elemente (etwa Namen von Autor: innen, Jahreszahlen-o.-Ä.) gleichfarbig hervorheben. Annotieren Der zweite Ansatz für Notizen ist unter Student: innen ebenfalls weitverbreitet: Sie können Ihr Lernmaterial wie Skripte, Übungsblätter und Handouts von Referaten oder komplette Foliensätzen von ganzen Vorlesungsreihen als PDF-Datei annotieren, also mit Notizen ergänzen. Je nach Format, in dem das Material zur Verfügung gestellt wird, können Sie Notizen unterschiedlich anfügen. Die meisten PDF-Leseprogramme bieten Funktionen, Anno‐ tationen hinzuzufügen: Sie können Text mit Markern farblich hervorheben, neuen Text auf freiem Platz schreiben, je nach Eingabegerät auch mit (einem digitalen) Stift Skizzen ergänzen, Elemente einkreisen oder mit der Kommentarfunktion textbasierte Notizen an bestimmten Stellen anheften. Einige Apps auf (Tablet-)Computern mit Stif‐ teingabe können Ihre Handschrift auch mittels Optical Character Recognition (OCR) in maschinenlesbaren Text verwandeln, sodass Ihre Handschrift von der jeweiligen Suchfunktion erkannt wird. Die Qualität dieser Funktion ist aber stark von Ihrer Handschrift abhängig. Wie beim ersten Ansatz gilt: Sämtliche Dateien sollten systematisch strukturiert abgespeichert sein, damit Sie Ihre Notizen bzw. Annotationen mit einer gezielten Suche wiederfinden können. Für Inhalte im Internet, die Sie annotieren wollen, gibt es Dienste 16 , die Ihnen nach Anmeldung eine zweite Ebene auf Webseiten einblenden. So können Sie Texte im Netz (z. B. elektronische Volltexte einschlägiger Fachjournale) direkt online markieren und Notizen dazu festhalten. Wahlweise können Sie diese Notizen auch für andere Nutzer: innen dieser Dienste veröffentlichen 17 , sodass ein Austausch über die Inhalte möglich wird. Andere Dienste 18 erlauben es Ihnen, Lesezeichen des Browsers mit No‐ 1.1 Ein Schreibprojekt planen 41 <?page no="42"?> 19 z. B. Evernote (https: / / evernote.com) oder Microsoft OneNote (https: / / onenote.com). 20 z. B. das sehr flexibel einsetzbare Tool Notion, mit dem sich Notizen auch schnell als Webseite bereitstellen lassen (https: / / www.notion.so). Kap.-1.2.4 tizen zu versehen. Diese Art der Annotation kann allerdings an Grenzen stoßen, sobald Inhalte im sogenannten „Deep Web“, also hinter Anmeldemasken (wie im Learning Management System der Hochschule) oder anderen Schranken (etwa Bezahlschranken von Online-Zeitschriften) liegen. Hier empfiehlt es sich - sofern rechtlich zulässig - eine lokale Kopie abzulegen und in einem dafür geeigneten Tool wie zum Beispiel in einer (Literatur-)Datenbank zu speichern. Hybride Systeme Eine solche Datenbank stellt den dritten Ansatz dar, Notizen zu erstellen. Er vereint im Grunde die ersten beiden Ansätze. In Datenbanken können Sie bestehende Inhalte (etwa PDF-Dateien) und Attribute (etwa eigene Notizen) gemeinsam festhalten und mit weiteren Metadaten versehen. So gesehen stellen sie ein ideales Notizsystem dar - allerdings nur auf den ersten Blick. Unter „Datenbank“ verstehe ich im Kontext dieses Beitrags nicht ein Datenbanksystem, wie man es für einen Webserver betreiben muss, sondern eine Applikation, die unterschiedliche Einträge wie PDF-Dateien, Web-Clips oder textbasierte Notizen verwaltet. Man kann alle Einträge nach bestimmten Katego‐ rien ordnen und sortieren oder durchsuchen. Viele Programme oder Apps 19 verwenden eine proprietäre Datenbank, sodass be‐ stimmte Funktionen nur innerhalb dieser Applikationen nutzbar sind. Wollen Sie irgendwann mit Ihren Notizen in ein anderes System umziehen, müssen Sie alle Daten exportieren und dabei in andere (Datei-)Formate konvertieren. Oft gehen dabei wichtige Metadaten oder Funktionen verloren. Hinzu kommt, dass solche (meist kommerziellen) Softwareprodukte teilweise nur auf einer Auswahl an Endgeräten bzw. Betriebssystemen funktionieren und gerade bei mobilen Apps kaum gesichert ist, dass die Software viele Jahre verfügbar ist und aktualisiert wird. Andere Werkzeuge 20 werden mit zunehmender Anzahl an Einträgen (im vierstelligen Bereich) langsam und träge. Die oben bereits erwähnten Programme zur Literatur‐ verwaltung sind in erster Linie darauf optimiert, in Textverarbeitungsprogrammen das wissenschaftliche Zitieren leichter zu machen. Empfehlung Für eine nachhaltige und lang nutzbare Struktur Ihrer Notizen empfehle ich Ihnen, auf offene Standards aufzubauen und zunächst unabhängig von Betriebssystemen oder gar Hardware zu planen. Dabei ist es unerheblich, ob die Software selbst quelloffen, also Open Source ist oder nicht, ob sie gratis verfügbar oder kommerziell vertrieben wird. Wichtig ist einzig, dass das Format Ihrer Notizen und die damit möglichen Bearbeitungen auch mit anderer Software möglich sind - und das im Idealfall auch noch in einigen (oder sogar vielen) Jahren. 42 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="43"?> 21 Beispielsweise lassen sich Word-Dokumente zwar in vielen Programmen öffnen, aber werden unter Umständen nicht korrekt dargestellt. Apples .pages-Format lässt sich nur mit eben dieser Software öffnen und Online-Dokumente aus GoogleDocs verlieren ihren Reiz vollkommen, wenn man sie außerhalb der Webumgebung speichern und weiterbearbeiten möchte. 22 Siehe https: / / daringfireball.net/ projects/ markdown/ 23 Mehr Details zur Syntax unter https: / / www.markdownguide.org/ basic-syntax/ 24 Es gibt zahlreiche Markdown-Editoren, auch online unter z.-B. https: / / demo.hedgedoc.org 25 z. B. im Markdown Guide unter https: / / www.markdownguide.org Je nach Wahl der Software oder des Anbieters können Sie Dateien nur mit der Software eines Herstellers öffnen 21 oder Ihre Notizen liegen nur noch in der Cloud. Dann sind Sie auf eine dauerhafte Internetanbindung angewiesen, um Zugriff auf Ihre Notizen zu haben. Letztlich bleibt für eine garantierte Nachnutzung Ihrer Notizen das einfachste aller Formate: Plain Text. Reine .txt-Dateien sind die einfachste - und dank Software auch die genialste aller Optionen: Sie sind enorm klein, brauchen also kaum Speicher‐ platz. Dadurch sind sie auch in großer Zahl schnell zwischen Geräten synchronisiert oder übertragen. Jedes Betriebssystem hat zahlreiche Applikationen, mit denen sich Text-Dateien öffnen, anzeigen und bearbeiten lassen. Plain Text bedeutet dabei nicht, dass Sie zur Strukturierung Ihres Textes auf sämtliche Formatierungen wie fett oder kursiv verzichten müssen - Sie müssen es lediglich anders umsetzen. Hier kommt eine vereinfachte Auszeichnungssprache ins Spiel, die mit LaTeX vergleichbar ist, aber sich doch in vielen (eigentlich: fast allen) Punkten davon unterscheidet: Markdown. Exkurs: Die Auszeichnungssprache Markdown Markdown wurde ursprünglich für das Verfassen von Texten für das Web, also für Internetseiten konzipiert. 22 Das Ziel war, (strukturierte) Texte auch ohne Konvertierung leicht lesbar zu machen. Mit einer übersichtlichen Syntax werden verschiedene Bereiche des Textes ausgezeichnet, sodass entsprechende Software diesen Code interpretieren und so eine saubere Textformatierung dar‐ stellen kann. Einige Beispiele für Auszeichnungen: # Überschrift erster Ordnung, ## Überschrift zweiter Ordnung, **fett**. Es ist sogar möglich Code-Blöcke mit Markdown zu kennzeichnen. Je nach Software wird die verwendete Syntax 23 nach entsprechenden Standards eingefärbt, sodass die Beispiele übersichtlich bleiben. Entsprechende Editoren 24 können zwischen der Ansicht mit Syntax und Vor‐ schaumodus hin- und herschalten oder sie sogar parallel nebeneinander anzei‐ gen. Ausführliche Dokumentationen, was Markdown ist, was es kann und wie man es verwendet, finden sich im Internet 25 . Abbildung 1.1.3 zeigt, wie sich Editiermodus (links) und Vorschau-Modus (rechts) unterscheiden: 1.1 Ein Schreibprojekt planen 43 <?page no="44"?> Abb. 1.1.3: Screenshot aus einem Markdown-Editor. Links: Markdown-Syntax. Rechts: Vorschau-Modus. Da Markdown auf reinem Text basiert, lassen sich (programmiertechnisch) viele Dinge damit anstellen, es gibt je nach verwendetem Editor Module, mit denen man Formeln, Schaubilder und sogar Musiknoten schreiben kann. Ähnlich wie in LaTeX „programmieren“ Sie so Ihren Text und seine Formatierung. Doch anders als bei LaTeX bleiben die Notizen durch die einfach gehaltene Syntax sehr übersichtlich und lesbar - ein klarer Vorteil für kurze Notizen. Ordnung in digitalen Notizen Eine der - wenn nicht die - wichtigste Frage für ein zukunftssicheres Notizsystem ist die nach der Organisation der Notizen. Unterschiedliche Programme bieten dafür verschiedene Möglichkeiten, die jeweils unterschiedlich mächtig sind. Ich möchte Ihnen drei Konzepte vorstellen: Ordner und Notiz-„Bücher“ Das einfachste Abbild eines Stapels mit Notizbüchern und Schmierzetteln aus Papier ist ein (oder mehrere) Ordner auf dem Computer. So verwalten die meisten von uns ihre Dateien auf dem Computer. Das Prinzip ist einfach: So wie wir auf dem Schreibtisch mehrere Stapel mit zusammengehörigem Material bilden oder alle Blätter zu einem Thema in einem Ordner abheften, so können wir auch auf unseren Speichermedien alles, was zusammengehört in einem Ordner speichern. Das Problem mit dieser Methode ist, dass jede Notiz in nur einem Ordner verweilen kann. Was aber geschieht mit Notizen, die für verschiedene Themen des Studiums (z. B. unterschiedliche Lehr‐ 44 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="45"?> 26 z. B. in (meinem persönlichen Favoriten) Obsidian (https: / / www.obsidian.md) oder Roam Research (https: / / www.roamresearch.com) 27 Siehe https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Hyperlink#Wikis veranstaltungen) Relevanz haben? Duplikate anzulegen ist kaum der richtige Weg, da die Inhalte dann an zwei Stellen gepflegt werden müssen. Ordner ergeben dann Sinn, wenn die Organisation erfordert, dass z. B. am Ende eines Projekts alle Notizen (oder Dateien) gesammelt an Dritte übergeben werden müssen oder während eines Projekts mit anderen Nutzer: innen geteilt werden. Genau genommen ist das aber eine rein technische Restriktion, die lediglich leichter in der Handhabung ist als andere Wege: Denn könnten unsere Computer alle zusammenge‐ hörigen Daten automatisch nach definierten Kriterien zusammenstellen, hätten wir ebenfalls einen schnellen Überblick und könnten andere Ordnungssysteme für die tägliche Arbeit wählen: zum Beispiel eine sinnvolle Verschlagwortung. #Tags Unsere Computer können zusammengehörige Daten automatisch nach definierten Kri‐ terien zusammenstellen. Alles, was dazu benötigt wird, sind die oben bereits genannten Metadaten, in denen sich häufig auch Schlagworte, engl. tags, verbergen. Aus den Sozialen Medien sind #Tags bekannt, um zusammengehörige Inhalte darzustellen. Ein Notizsystem, das auf so einer Verschlagwortung aufbaut, hat einen enormen Vorteil gegenüber einem Ordner-basierten: Notizen können gleichzeitig mehreren Themen‐ bereichen zugeordnet werden. Sie erhalten einfach mehrere Tags. Auf diese Weise können Mitschriebe aus Seminaren und Vorlesungen, die z. B. für eine Abschlussarbeit relevant sind mit einem entsprechenden Schlagwort versehen werden und tauchen bei der Suche nach ebendiesem Schlagwort automatisch auf - egal, in welchem Ordner im Dateisystem die Notiz jeweils abgespeichert ist. Je nach Software gibt es für Tags separate (Metadaten-)Felder, in die sie eingetragen werden müssen oder sie können direkt im Fließtext untergebracht werden. Solche Inline-Tags haben den Vorteil, dass Sie sie direkt beim Notieren implementieren können. Bei Inline-Tags sollten Sie Vorsicht walten lassen und nach Möglichkeit stets die Grundform und keine grammatisch veränderte Form eines Begriffs verwenden (z. B. immer „Buch“ statt „Bücher“ oder „(eines) Buchs“). [[Backlinks]] Wer noch einen Schritt weiter gehen will und Notizen nicht nur themenbezogen ablegen möchte, sondern auch noch deren Relationen untereinander nutzbar machen möchte, kann mit Verweisen arbeiten. In einigen Programmen lassen sich solche Verweise als Hyperlinks auf andere Notizen erstellen. In anderen Programmen 26 kann der jeweilige Dateiname der bestehenden Notiz, die man verlinken möchte in doppelte eckige Klammern gestellt werden. Diese Art von Verlinkung ist z. B. in zahlreichen Wikis (wie z. B. der Wikipedia) üblich und wird daher als Wikilink bezeichnet 27 . Manche 1.1 Ein Schreibprojekt planen 45 <?page no="46"?> 28 Ebenfalls Obsidian und Roam Research (beispielhaft). Software erlaubt es, aus solchen Links Listen zu generieren, aus denen hervorgeht, welche anderen Notizen auf die gerade aktive verweisen. Solche Backlinks ermöglichen es, beim Notieren festzustellen, in welchen anderen Kontexten die jeweilige Notiz Relevanz hat. Backlinks spielen ihre Stärke in zwei Fällen voll aus: ● Wenn sie in einem bereits umfangreichen Notizsystem verwendet werden, in dem einzelne Notizen oft aufgerufen und aktualisiert bzw. ergänzt werden. ● Wenn Sie beim Notieren leere Links anlegen, d. h. Links erzeugen, zu denen die eigentliche Notiz noch gar nicht existiert. Leere Links können wie #Tags verwendet werden, jedoch mit dem „Bonus”, dass man aus jedem Link wiederum eine neue Notiz erzeugen kann. In diesem Fall lassen sich so Themen identifizieren, die im eigenen Notizsystem häufig vorkommen, aber vielleicht noch keine ausführliche Bearbeitung erfahren haben. Widmen Sie sich dann einer solchen leeren Notiz, wird über die Backlinks schnell sichtbar, in welchen anderen Notizen auf dieses Thema referenziert wird. Einige Programme 28 erlauben es, aus diesen Verweisen auch grafische Übersichten zu erstellen, mit denen Sie Ihre gesammelten Notizen visualisieren können. So wird sichtbar, wie viele Querverweise es zwischen einzelnen Notizen gibt, es lassen sich Hierarchien und Bezüge erkennen, die bei einem analogen Notizsystem nur mit sehr viel Aufwand erkennbar sind (vgl. Niklas Luhmanns Zettelkasten). Ein sogenannter Graph View (siehe Abbildung 1.1.4) bietet tiefe Einblicke in die Vernetzung bestehenden Wissens mit neuen Notizen: 46 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="47"?> Abb. 1.1.4: Graph View aus Obsidian.md: Jeder Knotenpunkt ist eine Notiz, Verbindungslinien zeigen an, welche Notizen miteinander verlinkt sind. Einige Cluster sind erkennbar. Zwischenfazit Die drei genannten Ordnungskonzepte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Denn Backlinks und Tags funktionieren auch in Kombination und selbstverständlich auch über Ordnerstrukturen hinweg. Der Schlüssel zu einem nütz‐ lichen Notizsystem ist eine individuelle Auswahl an Methoden und Werkzeugen, mit denen Sie selbst am besten arbeiten können. Wenn Sie dabei auf simple und offene Dateiformate wie Markdown-Dateien setzen, sind Sie in der Organisation Ihrer Notizen maximal flexibel. Sollte ein System nicht Ihren (sich mit der Zeit verändernden) Bedürfnissen entsprechen, können Sie es leicht anpassen oder in ein anderes Format überführen. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen raten: Machen Sie sich zunächst keine zu großen Gedanken um eine saubere Sortierung, sondern reflektieren Sie regelmäßig über Ihr System. Erst mit einer wachsenden Notizensammlung ergeben sich Wege, wie Sie Ihr eigenes Denken mit diesen Hilfsmitteln abbilden. Wenn Sie zuerst nach einem idealen, ausgeklügelten System suchen, pressen Sie Ihre Gedanken in ein Korsett, das vielleicht zu eng ist. Gestatten Sie Ihrer Notizsammlung, gemeinsam mit Ihrem eigenen Wissen zu wachsen! 1.1 Ein Schreibprojekt planen 47 <?page no="48"?> Wie sollten Sie Ihre Notizen digital organisieren: ● Verwenden Sie offene Dateiformate wie Markdown um Ihre Notizen langfristig und unabhängig von bestimmter Hard- oder Software nutzbar zu machen. ● Speichern Sie Ihre Notizen nicht nur in Ordnern ab, sondern gruppieren Sie sie mit Schlagworten und verknüpfen Sie Notizen mit Verweisen untereinander. ● So wie Ihr eigener Horizont sich stetig erweitert, muss auch Ihre Notizsamm‐ lung organisch mit Ihrem Wissen wachsen können. Legen Sie Ihr System entsprechend flexibel an. Die im Folgenden besprochenen Vorteile des digitalen Schreibens gelten gleichermaßen für populärwissenschaftliche Texte, die der Wissenschaftskommunikation oder Ihrer Profilierung in einer Fachcommunity dienen, wie auch für streng wissenschaft‐ liche (Qualifikations-)Arbeiten. Ein Plädoyer für das Digitale Nicht nur auf dem physischen Schreibtisch, sondern auch auf dem digitalen Desktop sollte Ordnung herrschen. Allerdings ist es im Digitalen möglich, diese Ordnung deut‐ lich schneller und flexibler herzustellen. Gerade bei Ihren Notizen, die den Kern von Wissensarbeit, also dem Kerngeschäft von (angehenden) Wissenschaftler: innen dar‐ stellen, lohnt sich eine systematische Herangehensweise. Mit offenen Formaten stellen Sie sicher, dass Sie auch in Zukunft Zugriff auf Ihre Notizen haben. Es gibt ausreichend viele Werkzeuge, die Sie hierfür nutzen können, Sie müssen „nur“ das richtige für sich selbst finden - abhängig von Ihrem individuellen systematischen Vorgehen. Wenn Sie aus Ihren dauerhaften Notizen Texte formulieren, lassen Sie sich von digitalen Assis‐ tenzsystemen unterstützen. Sollten Sie das Ziel verfolgen, Ihr eigenes digitales No‐ tieren und Schreiben zu verbessern, stellen Sie sich nicht die Frage, ob Sie (digitale) Technologie einsetzen. Die viel wichtigere Frage ist, wie Sie (welche digitale) Techno‐ logie einsetzen. Literatur A H R E N S , S. (2017): Das Zettelkasten-Prinzip: erfolgreich wissenschaftlich Schreiben und Studieren mit effektiven Notizen. Norderstedt: Books on Demand. K R U S E , O. / R A P P , C. (2021): Digital Writing Spaces. Eine Verortung digitaler Schreibtechnologien in räumlichen und geografischen Metaphern. In: Writing Spaces Wissenschaftliches Schreiben zwischen und in den Disziplinen, S.-69-90. M U E L L E R , P. A., O P P E N H E I M E R , D. M. (2014): The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking. Psychol Sci 25, 1159-1168. https: / / doi.org/ 10.1177/ 09567 97614524581 S C H M O H L , T. (2020): Multimodale Wissensorganisation. In: Schrift---Bild---Ton: Beiträge zum multimodalen Schreiben in Bildung und professioneller Kommunikation, S.-107-123. 48 1.1 Ein Schreibprojekt planen <?page no="49"?> A U F E N A N G E R , S., B A S T IA N , J. (2020): Handschriftliche versus digitale Mitschriften in akademischen Vorlesungen. https: / / doi.org/ 10.3217/ ZFHE-15-01/ 06 U R R Y , H.-L. et. al. (2021): Don’t Ditch the Laptop Just Yet: A Direct Replication of Mueller and Oppenheimer’s (2014) Study 1 Plus Mini Meta-Analyses Across Similar Studies. Psychol Sci 32, 326-339. https: / / doi.org/ 10.1177/ 0956797620965541 1.1 Ein Schreibprojekt planen 49 <?page no="50"?> Kap.-1.2.2 Kap.-1.3.3 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 1.2.1 Literaturrecherche und Datenbanken Louise Rumpf Das Thema für die Abschlussarbeit steht - und ist völlig neu für Sie. Oder: Sie haben schon eine grobe Gliederung und viele Ideen für Ihren Text, aber auch die leise Sorge, den aktuellen Forschungsstand noch nicht vollständig zu überblicken. Oder: Kurz vor Abschluss des Schreibprozesses kommt Panik auf, weil Sie fürchten, etwas vergessen zu haben. Ist eventuell seit Ihrer letzten Recherche ein neuer, für Ihre Arbeit relevanter Text erschienen? Dieses Kapitel handelt davon, wie und wo Sie sinnvoll Literatur suchen. Dabei geht es zum einen um Zeitplanung und Recherchestrategien und zum anderen um die unterschiedlichen Quellen, die Sie für die Suche nach wissenschaftlicher Literatur verwenden können, wie Fachdatenbanken, Bibliothekskataloge und Preprintserver. Literaturrecherche und wissenschaftliches Schreiben Literaturrecherche ist im Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens an verschiedenen Stellen notwendig: Zum einen müssen Sie sich in Ihr Thema einarbeiten, um kompetent darüber schreiben zu können. Schon bei der Begründung der eigenen Themenwahl und -abgrenzung gilt es, auf vorhandene Forschungsergebnisse Bezug zu nehmen: Sie müssen die eigene Arbeit in den aktuellen Forschungsstand einordnen, die Ver‐ wendung Ihrer Methoden begründen und schließlich Ihre Ergebnisse in die aktuelle Forschungsdebatte einordnen. Eine gut angelegte Literaturrecherche hilft, aus der unüberschaubaren Zahl der Publikationen diejenigen herauszufinden, die für Ihre Arbeit relevant sind. In der Regel wird nach einer anfänglichen Literaturrecherche- und Lesephase eine Phase des Schreibens stehen. Gerade bei Schreibprojekten, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, müssen Sie aber auch sichergehen, dass Sie keine relevanten Forschungsergeb‐ nisse ignorieren, die während Ihrer eigenen Arbeit am Text veröffentlicht wurden. Es er‐ gibt deshalb Sinn, auch zwischen (längeren) Schreibzeiträumen sowie gegen Ende der Aus‐ einandersetzung mit dem Thema Recherchephasen einzuplanen. Dafür sollten Sie genügend Zeit vorsehen, denn es ist nicht trivial, eine gute Suchanfrage zusammenzustel‐ len und die passenden Quellen für die Literaturrecherche zu finden. Bei der Literaturrecherche sollten Sie systematisch vorgehen, um den Überblick zu behalten und Zeit zu sparen. Die Gefahr, sich in irrelevanten Details zu verfransen, ist ansonsten wegen der Vielzahl der Texte zu groß. Setzen Sie sich deswegen ein klares Ende für Ihre Recherchephasen und versuchen Sie, während der eigentlichen Schreib‐ phasen auf „Nebenbei-Recherchen“ zu verzichten. <?page no="51"?> Kap.-1.2.4 Um den Überblick über die Rechercheergebnisse zu behalten - und, um später schön und einheitlich formatierte Literaturangaben in den eigenen Text einzufügen - ist ein Literaturverwaltungsprogramm sinnvoll. Solche Programme, die teilweise auch andere Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens unterstützen, gibt es für alle Vorlie‐ ben und Betriebssysteme. Überblick verschaffen Bei seltsamen Pickeln im Gesicht sollten Sie besser nicht googeln und den Rest des Abends mit der Vermutung, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, in Panik verbringen. Ähnliches gilt, wenn Sie sich in ein Forschungsthema einarbeiten und anfangen, dazu Literatur zu recherchieren: Eine Suche „ins Blaue” mit Suchbegriffen, die Ihnen spontan einfallen, ist kontraproduktiv. Denn zu diesem Zeitpunkt fehlt Ihnen noch der Überblick, um die gefundenen Informationen sinnvoll zu bewerten. Wie bei den Pickeln im Gesicht ist es also beim Einstieg in ein neues Forschungsfeld hilfreich, zunächst Orientierung zu suchen und sich das Thema von Expert: innen erklären zu lassen - im Falle einer wissenschaftlichen Recherche meistens schriftlich. Dabei kommt es besonders auf die Wahl der richtigen Quellen an: Um sich einen Überblick über Batterietechnik zu verschaffen, hilft es wenig, auf einem Preprintserver die aktuellen Erkenntnisse zu neu entwickelten Kathodenmaterialien zu lesen, wenn Sie noch gar nicht wissen, wie Sie diesen Aspekt einordnen können. Gut für einen ersten Überblick geeignet sind alle Texte, die sich an ein Fachpublikum wenden, aber einführenden Charakter haben -beispielsweise Lehrbücher und Hand‐ bücher (meist erkennbar am Begriff Handbook, Companion oder Introduction im Titel). Mit einem gut geschriebenen Lehrbuch ist der Einstieg in ein neues Thema einfacher als mit einer Google-Suche - auch, wenn Sie nicht mehr die primäre Zielgruppe für Lehrbücher sind und für Ihre Publikation viel spezifischere Quellen auswerten müssen. Suche in Bibliothekskatalogen Wie finden Sie einführende Literatur? Grundsätzlich sind für die Suche nach Büchern Bibliothekskataloge gut geeignet. In diesen finden Sie vor allem selbständige Werke, also Bücher und komplette Zeitschriften, und zwar sowohl in gedruckter als auch in elektronischer Form. Einzelne Zeitschriftenartikel sind in Bibliothekskatalogen nor‐ malerweise nicht erfasst; Buchkapitel und Sammelbandbeiträge können Sie eventuell dort finden, falls die Inhaltsverzeichnisse der Bücher eingescannt wurden. Bibliotheks‐ kataloge haben den Vorteil, dass Sie gleich wissen, ob das Buch vor Ort verfügbar ist und ob Sie es anhand der Signatur auf dem Buchrücken selbst aus dem Regal holen, zur Abholung bestellen oder - im Fall von E-Books - gleich online lesen können. Oft sind in Bibliothekskatalogen nicht alle Autor: innen und Herausgeber: innen erfasst. Wenn Sie bereits wissen, wonach Sie suchen, verwenden Sie am besten nicht die komplette Literaturangabe, sondern nur den Nachnamen der ersten Person und Stichworte aus dem Titel für die Suche: 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 51 <?page no="52"?> Statt Cavalcanti, Welchy Leite/ Brune, Kai/ Noeske, Michael/ Tserpes, Konstantinos/ Ostachowicz, Wiesław M./ Schlag, Mareike (Hrsg.) 2021: Adhesive bonding of aircraft composite structures: non-destructive testing and quality assurance concepts. Cham: Springer. eignet sich für die Suche besser Cavalcanti adhesive bonding aircraft structures Wenn es in Ihrem Fachgebiet einen besonders relevanten Verlag gibt, kann es sich loh‐ nen, direkt in dessen E-Book-Plattform zu suchen. Während in Bibliothekskatalogen meist meist nur der bibliografische Eintrag (die Literaturangabe), Klappentext und In‐ haltsverzeichnis für die Suche indexiert werden, können Sie auf den Verlagsplattformen die Volltexte der E-Books durchsuchen. Thematische Suche In vielen Bibliotheken sind die Bücher systematisch aufgestellt, also anhand einer Klassifikation thematisch im Regal sortiert. Sie können dann an der Signatur nicht nur erkennen, wo in der Bibliothek ein Buch zu finden ist, sondern auch, wovon es handelt. Die Klassifikation können Sie einerseits nutzen, um Bücher zu einem bestimmten Thema zu finden, und zum anderen als Ausgangspunkt verwenden, um weitere Texte zum selben Thema zu identifizieren. Auch Bücher, die in einem Magazin, also einem nicht frei zugänglichen Bibliotheksbereich stehen, können anhand der Klassifikation gesucht werden, ebenso wie (zumindest in vielen Bibliotheken) E-Books. Abb. 1.2.1: Ausschnitt aus dem Bereich „Technik“ der Regensburger Verbundklassifikation, einer in Bibliotheken verbreiteten Klassifikation. 52 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="53"?> s.narr.digit al/ v3r4u Kap.-1.2.2 Kap.-1.2.4 Neben der Klassifikation dienen in Bibliothekskatalogen Schlagwörter zur Beschrei‐ bung von Büchern. Diese werden von Bibliothekar: innen vergeben, sind unabhängig von der Sprache des Buchinhaltes und können helfen, den Inhalt eines Werks einzu‐ schätzen. Die thematische Suche anhand einer Klassifikation oder anhand von Schlagwör‐ tern ist auch in vielen Datenbanken möglich. Je nach Fachgebiet gibt es unterschied‐ liche Klassifikationen wie z. B. die Mathematics Subject Classification, PhySH oder die subject classes bei arxiv.org. Abb. 1.2.2: Schlagwörter und Klassifikationen in einem Bibliothekskatalog. Schneeballsystem Eine andere Möglichkeit, auf Vorarbeiten Anderer zurückzugreifen, sind Literaturtipps von Kolleg: innen, Betreuer: innen und anderen fachlichen Bezugspersonen. Fragen Sie explizit nach Grundlagentexten und nutzen Sie diese Literaturangaben als Ausgangs‐ punkt für eine Suche nach dem Schneeballsystem. Dabei identifizieren Sie beim Lesen die Literaturangaben im Text, die zu besonders wichtigen Aspekten oder als grundlegend benannt werden. Im nächsten Schritt lesen Sie dann diese Quellen, in denen Sie wiederum zentrale Literaturangaben identifizieren etc. Wichtig ist, dass das Schneeballsystem in dieser Form nur zeitlich rückwärts funk‐ tioniert. Es ist deshalb nur sinnvoll, wenn Ihr Ausgangstext (halbwegs) aktuell ist; sonst birgt es die Gefahr, dass Sie zwar interessante, aber längst abgeschlossene wis‐ senschaftliche Debatten nachverfolgen oder veraltete Daten als Grundlage verwenden. Setzen Sie sich daher einen festen zeitlichen Rahmen für die „Schneeballsuche”, um sich nicht in den Quellenangaben zu verlieren. Und: Notieren Sie sich die Texte, die Sie schon gelesen haben, und die, die Sie noch lesen möchten, am besten in einem Literaturverwaltungsprogramm. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 53 <?page no="54"?> s.narr.digit al/ rurhw s.narr.digit al/ u7gta s.narr.digit al/ abxc3 s.narr.digit al/ oxt3p Vertiefte Literaturrecherche Haben Sie einen Überblick über Ihr Thema gewonnen, gilt es im nächsten Schritt, die relevante aktuelle Literatur dazu zu finden und dabei Vollständigkeit anzustreben. Im vorigen Abschnitt habe ich erwähnt, dass das Schneeballsystem in seiner „klassischen” Form Sie stets zu älterer Forschungsliteratur führt. Um nachzuvollziehen, welche Diskussionen auf Grundlage der als zentral identifizierten Texte geführt wurden und wie der aktuelle Forschungsstand zu einem Thema ist, zu dem Sie sich Grundlagen erarbeitet haben, benötigen Sie andere Ansätze. Aktuelle Forschungsliteratur finden Sie in der Regel in Literaturdatenbanken. Diese umfassen Zeitschriftenartikel und Konferenzveröffentlichungen, manchmal auch Beiträge aus Sammelbänden. Es gibt fachspezifische Datenbanken (wie beispiels‐ weise CAB Abstracts für die Biologie oder INSPEC für die Physik und Ingenieurs‐ wissenschaften) und fachübergreifende Datenbanken wie das Web of Science. Ob eine Literaturangabe in eine Datenbank aufgenommen wird, ist meist unabhängig davon, in welchem Verlag die jeweilige Zeitschrift oder das Buch erschienen ist. Datenbanken sind in der Regel nicht frei zugänglich, sondern lizenzpflichtig. Das bedeutet, dass Sie für die Recherche in der Datenbank (und nicht nur für das Lesen der dort gefundenen Texte) Zugangsdaten benötigen und dass die Inhalte der Datenbank mit einer normalen Google-Suche nicht auffindbar sind. Meistens läuft die Anmeldung automatisch über die Universitätsbibliothek und per VPN-Verbindung oder Shibboleth. Auswahl der Datenbank(en) Mit der Recherche in zwei bis drei passenden Datenbanken erzielen Sie in der Regel sehr gute Suchresultate. Weil es aber viele Datenbanken gibt und ihre Inhalte sich teilweise überschneiden, ist eine gute Auswahl wichtig. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: ● Nutzen Sie das Datenbank-Informationssystem DBIS und stellen Sie dort unter „Bibliotheksauswahl“ Ihre Bibliothek ein. Hier finden Sie eine nach Fachgebieten sortierte Datenbankübersicht mit kurzen Beschreibungen und Zugangshinweisen. In Ihrer Institution besonders relevante „Top-Datenbanken“ sind in der Liste her‐ vorgehoben. ● Fragen Sie die Fachreferent: innen Ihrer Universitätsbibliothek. Sie sind die‐ jenigen, die neue Literatur für die Bibliothek kaufen und haben einen guten Überblick über die Publikationslandschaft, die verschiedenen Datenbanken und ihre Schwerpunkte. ● Datenbanken haben in der Regel eine Quellenliste, in der Sie nachschauen kön‐ nen, welche Veröffentlichungen ausgewertet werden. Dies ist vor allem wichtig, um sicherzugehen, dass Sie wichtige Zeitschriften Ihres Fachgebietes bei der Suche nicht vergessen. 54 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="55"?> 29 Engl.: paywall s.narr.digit al/ ft4wr s.narr.digit al/ ycq5k s.narr.digit al/ 0aa17 Datenbanktypen Bei Volltextdatenbanken können Sie (meist nicht alle, aber einen Großteil der) Texte gleich herunterladen. In bibliografischen Datenbanken hingegen sind nur Literaturangaben zu finden. (Das bedeutet nicht, dass Sie keinen Zugriff auf die Texte hätten - nur eben nicht über diesen Weg. Mehr dazu weiter unten im Abschnitt „Von der Literaturrecherche zum Text“). Sowohl Volltextdatenbanken als auch bibliografische Datenbanken können Sie verwenden, um eine vollständige Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zu erlangen (siehe Abschnitt „Systematische Suche in Datenbanken“). Zitationsdatenbanken dienen dazu, wissenschaftliche Debatten nachzuvollziehen und besonders relevante Texte zu identifizieren (siehe Abschnitt „Debatten nachvollziehen“). Dort wird abgebildet, in welchen Publikationen welche anderen Texte zitiert werden. Wissenschaftliche Suchmaschinen sind Suchmaschinen, die nicht das gesamte Internet, sondern nur bestimmte Ausschnitte daraus durchsuchen. Sie sind frei zu‐ gänglich und sinnvoll als Ergänzung zur Recherche in Fachdatenbanken. Die wich‐ tigsten fachübergreifenden wissenschaftlichen Suchmaschinen sind BASE und Goo‐ gle Scholar (siehe Abschnitt „Debatten nachvollziehen”). In BASE sind viele Inhalte aus Hochschul-Publikationsservern (beispielsweise Dissertationen, Arbeitspapiere etc.) und Open-Access-Zeitschriften erfasst. Fachspezifische Suchmaschinen, die oft auch Inhalte von Bibliothekskatalogen (also vor allem Bücher) enthalten, bieten die Fachinformationsdienste für die Wissenschaft (FIDs). Eine Übersicht über alle FIDs bietet das Wiki der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Preprint-Server wie arxiv.org und biorxiv.org verbreiten nach dem Prinzip des Open Access (= freier Zugang zu wissenschaftlicher Literatur) Publikationen, die noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben, bei denen also ein übliches Verfahren zur Qualitätssicherung fehlt. Dies sollten Sie bei der Auswertung der Inhalte berücksichtigen. Die großen Preprint-Datenbanken nehmen alle Texte auf, die gewisse formale Kri‐ terien erfüllen. Für hochaktuelle Forschungsergebnissen sind Preprint-Datenbanken ein guter Anlaufpunkt, für Grundlagentexte hingegen nicht. Von der Literaturangabe zum Text Viele wissenschaftliche Texte sind online frei zugänglich (Open Access). Einige Verlage halten noch an den „klassischen” Zeitschriftenabonnements fest, d. h. diese Texte kön‐ nen Sie nur lesen, wenn die Bibliothek Ihrer Hochschule oder des Instituts die jeweilige Zeitschrift abonniert hat und Sie sich über VPN oder Shibboleth als Angehörige: r der Institution authentifizieren. Daher sollten Sie sich auch bei der Suche in frei zugänglichen Datenbanken stets über Ihre Institution einloggen: Der Weg von der Literaturangabe zum Text wird dann kürzer, weil Sie auf der Verlagsseite auf den Artikel zugreifen können, anstatt vor der Bezahlschranke 29 zu landen. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 55 <?page no="56"?> s.narr.digit al/ qywns Oft funktioniert der Weg aus Datenbanken zum Volltext ganz einfach über den Digital Object Identifier (DOI). Dieser wird in den bibliografischen Daten mit angegeben und verweist direkt auf die Verlagsseite. Beispiel: DOI dieses Buches: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838559513 Wenn der Klick auf den DOI nicht direkt zum Ziel führt, können Sie ihn für die Suche verwenden. Das Browser-AddOn von Unpaywall hilft bei der Suche nach frei zu‐ gänglichen Versionen. Wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden, kann dieses anhand der DOIs die Texte automatisch herunterladen und sämtliche Einträge für das Litera‐ turverzeichnis generieren. Auch urheberrechtlich zweifelhafte Angebote wie SciHub verwenden den DOI. In solchen „Schattenbibliotheken“ werden wissenschaftliche Texte online frei zugänglich gemacht, die hinter einer Bezahlschranke stehen. Der Anbieter der Datenbank, in der Sie eine Literaturangabe finden, ist meist nicht der Verlag, in dem die dazugehörige Publikation erschienen ist. Wenn die Datenbank den Volltext nicht enthält, kann es gut sein, dass Ihre Institution (Universität, For‐ schungsinstitut …) die Zeitschrift beim Verlag abonniert hat und Sie so Zugriff darauf haben. Auch der umgekehrte Weg ist möglich: Ihre Bibliothek hat kein Abonnement für die Zeitschrift abgeschlossen, aber über eine Volltextdatenbank ist der Text verfügbar. Dann führt Sie der DOI auf der Verlagsseite vor die Bezahlschranke. Deshalb haben viele Bibliotheken einen Linkresolver wie etwa SFX in ihre Daten‐ bankangebote integriert. In Datenbanken ohne „direkten“ Volltextzugriff wird Ihnen dann hinter den Treffern ein kleiner Button angezeigt: Abb. 1.2.3: Literaturangabe mit SFX-Link im Web of Science. Bei Klick wird geprüft, ob Ihre Institution auf anderem Wege Zugriff auf das PDF-Dokument bietet oder ob die Zeitschrift eventuell gedruckt in der Bibliothek vor 56 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="57"?> s.narr.digit al/ x8yx2 Ort vorhanden ist. Möglicherweise bietet Ihre Einrichtung einen Campuslieferdienst für Scans von Zeitschriftenartikeln, die nur gedruckt vorhanden sind. Abb. 1.2.4: Literaturangabe für denselben Text bei Google Scholar. Damit Google Scholar SFX-Links anzeigt, müssen Sie in den Einstellungen unter „Bibliothekslinks“ Ihre Einrichtung auswäh‐ len. Gibt es die Zeitschrift oder das Buch nicht vor Ort und hat Ihre Bibliothek keine Lizenz für die Online-Version erworben, können Sie eine Fernleihe aus einer anderen Bi‐ bliothek in Auftrag geben. Diese kann etwas Geld (meistens: 1,50€) kosten, dauert ei‐ nige Tage und aus urheberrechtlichen Gründen darf Ihre Bibliothek Ihnen den Text nur ausgedruckt aushändigen. Die Fernleihe ist eine sehr gute Option, wenn Sie ander‐ weitig nicht an den Text gelangen - und sie ist deutlich günstiger als ein Kauf des Artikel-PDFs beim Verlag. Eine Fernleihbestellung können Sie entweder über SFX oder aus Ihrem Bibliothekskatalog (OPAC) heraus aufgeben. Sie brauchen für die Fernleihe ein Nutzer: innenkonto bei Ihrer Bibliothek. Wenn es schneller gehen muss, gibt es auch teurere Dokumentlieferdienste wie Subito. Schließlich werden Artikel oft zusätzlich zur Verlagsveröffentlichung auf Hoch‐ schul-Publikationsservern gespeichert („Zweitveröffentlichung”) oder es gibt frü‐ here Versionen auf einem Preprintserver wie arXiv.org. Bei der Suche nach diesen kann - sofern ein DOI vorhanden ist - Unpaywall helfen. Auch bei Google Scholar werden andere Versionen von Texten mit angezeigt. Bitte achten Sie darauf, immer die Version zu zitieren, die Sie tatsächlich verwendet haben. Systematische Suche in Datenbanken Es ist sinnvoll, Zeit in die Auswahl guter Suchbegriffe zu investieren, denn das erspart später viel Zeit beim Sichten der Trefferliste und hilft, irrelevante Texte von vornherein auszuschließen. Um hierbei systematisch vorzugehen, empfiehlt sich folgende Technik: Thema in Begriffe zerlegen Nehmen wir an, Ihr Thema lautet „Auswirkungen von Pfahlinstallationen auf die Meerestiere in der Deutschen Bucht”. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 57 <?page no="58"?> Versuchen Sie zunächst, Ihr Thema in Einzelaspekte aufzuteilen und die Aspekte klar voneinander abzutrennen. Das mag unintuitiv sein, weil Sie ja gerade in Ihrer Arbeit die Beziehungen zwischen den Aspekten herstellen möchten, hilft aber enorm bei der Suche. Insgesamt sollten Sie zwei bis vier zentrale Begriffe identifizieren. Notieren Sie diese in Spalten: - Aspekt Aspekt Aspekt Aspekt Begriff Auswirkungen Pfahlinstallatio‐ nen Meerestiere Deutsche Bucht Schlecht für die Suche geeignet und deswegen in der Tabelle durchgestrichen sind: ● Begriffe, die Beziehungen herstellen oder Veränderungen beschreiben, wie Einfluss, Veränderung, Rolle, Auswirkung und Beziehung. Solche Begriffe verhindern die klare Trennung der Aspekte voneinander, die für die systematische Suche notwendig ist. ● Zeitlich einschränkende Begriffe wie etwa 21. Jahrhundert, 2010-2020 oder Mittelalter. Während Epochenbegriffe in den Geisteswissenschaften sinnvoll für die Suche sein können, ist dies in den MINT-Fächern selten der Fall. Meist reicht es aus, die Suchergebnisse nachträglich zu filtern, z.-B. nach dem Erscheinungsjahr. ● (Wissenschaftliche) Allgemeinbegriffe und Artikel wie Untersuchung, Studie, klein, der oder eine. Da es nicht zwingend erforderlich ist, dass sie in den relevanten Texten auftauchen, lassen Sie sie bei der Suche weg. ● Geografisch einschränkende Begriffe wie OECD-Länder, Südamerika, Nildelta oder Belgien. Die Verwendung solcher Begriffe bei der Suche schließt Texte aus, die einen anderen (oder keinen) geografischen Fokus haben, aber theoretische Relevanz für das eigene Thema haben könnten. Nur wenn die geografische Einschränkung für das Thema sehr relevant ist, ergibt es Sinn, solche Begriffe mit aufzunehmen. Ein Thema in Aspekte zu zerlegen und gute Suchbegriffe zu finden ist nicht trivial und außerdem für viele Studierende eine neue Vorgehensweise. Verzweifeln Sie bitte nicht, wenn Sie für diesen Schritt deutlich länger brauchen als ursprünglich gedacht. Begriffe erweitern und für die Suche vorbereiten Um sicherzugehen, dass Sie keine relevanten Texte übersehen, sollten Sie nun den Suchraum mit Synonymen, Ober- und Unterbegriffen sowie verwandten Begrif‐ fen erweitern. Hierfür kann es sinnvoll sein, mit Anderen über das Thema zu sprechen. In vielen Datenbanken hilft bei der Suche nach sinnvollen Suchbegriffen ein Thesaurus, also eine „systematisch geordnete Sammlung von Begriffen […], die durch Beziehungen miteinander verbunden sind“ (Scheiner 2013: 26). Teilweise bekommen Sie bereits bei der Eingabe von Suchbegriffen passende Begriffe aus dem Thesaurus 58 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="59"?> vorgeschlagen, teilweise müssen Sie den Thesaurus in der Datenbank separat öffnen. Er findet sich in der Regel unter dem Namen Thesaurus oder Subject Terms. Tab. 1.2.1: Erweiterte Suchbegriffe. - Aspekt 1 Aspekt 2 Begriff Pfahlinstallation Meerestier Synonyme, Oberbegriffe, Un‐ terbegriffe, verwandte Be‐ griffe Pfahlgründung Rammen Rammverfahren Rammenergie Rammbär Vibrieren Vibration Einbringverfahren Empfehlungen des Arbeits‐ kreises für Pfähle EAP Eurocode 7 EC 7 Schalldruck Schallpegel Hintergrundlärm Windpark Windenergieanlage Ölplattform piling deep foundation pile driver … Meeressäuger Schweinswal Phocoena phocoena Robbe Fisch Hering Clupea harengus Scholle Pleuronectes platessa Kliesche Limanda limanda Schwimmblase Meeresbiologie marine mammal harbour porpoise … Übersetzen Sie die Suchbegriffe ins Englische (und ggf. in andere Sprachen, die Sie be‐ herrschen). Auch in Datenbanken mit englischsprachiger Suchoberfläche können deutsch‐ sprachige Artikel enthalten sein, aber alle weiteren Suchhilfen (Thesaurus, Schlagworte etc.) werden dort auf Englisch sein - und eventuell werden Umlaute dort nicht erkannt. Bereiten Sie nun Ihre Begriffe für die Suche vor: ● Setzen Sie feststehende Begriffe, die aus mehreren Wörtern bestehen, in Anfüh‐ rungszeichen. So suchen Sie ausschließlich nach dieser Phrase und vermeiden Texte in Ihrer Trefferliste, in denen die einzelnen Teile des Begriffs an unterschied‐ licher Stelle auftauchen. Groß- und Kleinschreibung sind für die Suche irrelevant, auch bei der Phrasensuche. ● Finden Sie heraus, wie mathematische Symbole in der Datenbank dargestellt werden - am besten mit einer Suche nach einem ähnlichen, Ihnen bekannten Text. Oft ist es möglich, mit TeX-Code zu suchen, es gibt aber auch Datenbanken, in denen Sie ℝ² mit „R 2“ oder „R hoch 2“ finden. (Teichert 2013: 12). ● Ersetzen Sie Endungen und variante Schreibmöglichkeiten durch Trunkierungs‐ zeichen. Diese Zeichen ersetzen einen oder mehrere Buchstaben. Leider sind 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 59 <?page no="60"?> die Trunkierungszeichen und -möglichkeiten von Datenbank zu Datenbank unter‐ schiedlich (Wenn keine Trunkierung möglich ist, behalten Sie die Begriffsvarianten für die Suche bei). Am häufigsten verwendet werden: Wichtige Trunkierungszeichen * für einen oder mehrere Buchstaben am Wortende. Mit dimethyl* finden Sie Dimethyether, Dimetyhlamid, Dimethyltryptamin etc. In einigen Datenbanken können Sie das Sternchen auch am Wortanfang verwenden und finden so mit *lyse Analyse, Paralyse, Katalyse etc. ? für genau einen Buchstaben irgendwo im Wort. Dieses Trunkierungszeichen wird vor allem für Begriffe benötigt, die im britischen und amerikanischen Englisch unterschiedlich geschrieben werden. So können Sie mit organi? ation gleichzeitig nach organization und organisation suchen. In einigen Datenbanken wird ? so verwendet wie bei $ beschrieben. $ für keinen oder genau einen Buchstaben irgendwo im Wort. Auch dieses Zei‐ chen ist vor allem für Begriffe wichtig, deren Schreibweise im britischen und amerikanischen Englisch voneinander abweicht, etwa colo$r für color und colour. Bei arXiv.org können Sie das Dollarzeichen stattdessen für die Suche nach TeX-Ausdrücken verwenden, die Sie mit $…$ umschließen. Tab. 1.2.2: Für die Suche vorbereitete Begriffe. - Aspekt 1 Aspekt 2 Begriffe Pfahl* Ramm* Vibr* Einbringverfahren „Empfehlungen des Arbeitskreises für Pfähle” EAP „Eurocode 7” „EC 7” Schall* Hintergrundlärm Windpark Windenergieanlage Ölplattform piling „deep foundation” pile* Meerestier* Meeressäuge* Schweinswal* „Phocoena phocoena” Robbe Fisch* Hering „Clupea harengus” Scholle „Pleuronectes platessa” Kliesche „Limanda limanda” Schwimmblase Meeresbiologie „marine mammal” harbo$r porpoise … 60 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="61"?> Begriffe kombinieren und suchen Standardmäßig werden Suchbegriffe in Datenbanken mit dem Booleschen Operator UND (AND, +) verknüpft, d. h. eine Suche nach Pfahlgründung Schweinswal führt zu einer Liste von Dokumenten, in denen sowohl Pfahlgründung als auch Schweinswal auftaucht. Alternativ können Sie Begriffe mit ODER (OR) verknüpfen: Hier wird die Treffermenge auf alle Dokumente erweitert, in denen mindestens einer der gesuchten Begriffe auftaucht. Mit NICHT (NOT, -; genau genommen ist „und nicht” gemeint) schließen Sie bestimmte Begriffe aus der Treffermenge aus. Auch hier gilt: Die genauen Bezeichnungen sind datenbankabhängig - und Sie soll‐ ten darauf achten, dass keine Suchbegriffe als Boolesche Operatoren fehlinterpretiert werden. Deshalb sollten Sie Phrasen wie To be or not to be für die Suche in Anführungszeichen setzen. Je nach Datenbank kann es noch weitere Operatoren geben, mit denen Sie die Suchbegriffe eingrenzen können, z. B. NEAR für Begriffe, die im Text nicht weit auseinander liegen. Abb. 1.2.5: Boolesche Operatoren UND, ODER und NICHT. Kombinierten Sie nun alle Begriffspaare, die Sie aus den verschiedenen Spalten zusammen‐ stellen können, jeweils mit UND (z. B. Pfahl* UND Meerestier*; Pfahl* und Meeressäuger; Pfahl* und Schweinswal …) ergäben sich mit jedem zusätzlichen Suchbegriff (und erst recht mit jeder neuen Spalte voller Suchbegriffe) neue Kombinationen und somit viele neue Möglichkeiten, den Überblick zu verlieren. Daher ist es ratsam, andersherum vorzugehen und die Anzahl der Suchschritte folgendermaßen zu verringern: Systematische Suche in drei Schritten ● Zunächst kombinieren Sie alle Begriffe aus einer Spalte mit ODER: Pfahl* ODER Ramm* ODER Vibr* ODER Einbringverfahren ODER „Empfehlun‐ gen des Arbeitskreises für Pfähle” ODER …. Diese Suche führt zu einer Treffermenge, in der alle Dokumente mindestens einen der in der linken Spalte genannten Begriffe enthalten. Darunter sind vermutlich viele Treffer, die für das eigene Thema irrelevant sind, weil der zweite Aspekt nicht mit abgedeckt ist. ● Diesen Schritt wiederholen Sie für alle weiteren Spalten: Meerestier* ODER Meeressäuge* ODER Schweinswal* ODER „Phocoena phocoena” ODER … 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 61 <?page no="62"?> ● Anschließend verknüpfen Sie die Ergebnisse der bisherigen Suchen mit UND, um die Schnittmenge aus den verschiedenen Trefferlisten zu bilden. Somit erhalten Sie nur Treffer, in denen mindestens einer der Begriffe aus jeder Spalte enthalten ist. Verwenden Sie für diese Schritte in der Datenbank am besten die erweiterte Suche, in der Sie Optionen für die Kombination der Suchbegriffe einstellen können. In der Regel bieten Datenbanken eine search history, in der Sie Ihre bisherigen Suchen anschauen, erneut durchführen oder mit anderen Suchen kombinieren können. Damit können Sie schrittweise vorgehen, wie hier noch einmal an einem anderen Beispiel zu sehen ist: Abb. 1.2.6: Kombination von Suchschritten im Web of Science, rechts die Anzahl der Treffer. Alternativ können Sie die drei Schritte in der einfachen Suche zu einem Schritt zusammenfassen, indem Sie Klammern einsetzen: (bike OR bicycle) AND („urban planning“ OR „traffic planning“) führt zum selben Ergebnis. Gerade, wenn Sie noch nicht viel Übung mit komplexeren Suchen haben, ist ein schrittweises Vorgehen besser, weil Fehler sich so leichter finden lassen. Treffermenge filtern Mit dieser Vorgehensweise gehen Sie sicher, dass Sie keine relevanten Texte aus der jeweiligen Datenbank übersehen. Dennoch können in der Trefferliste Texte enthalten sein, die aufgrund formaler Kriterien irrelevant sind oder die Sie nicht verwenden möchten. Diese lassen sich am besten nachträglich über Filter aus der Ergebnisliste entfernen. So ist es in vielen Datenbanken möglich, die Trefferlisten nach Artikeln mit Peer Review zu filtern, bestimmte Dokumenttypen auszuschließen oder nur Texte bestimmter Erscheinungsjahre anzuzeigen. 62 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="63"?> Kap. 2.3.5 Suche anpassen Oft stellt sich erst beim Lesen der Texte heraus, dass Sie bei der Recherche einen wichtigen Suchbegriff übersehen haben. Manchmal ist die Treffermenge viel zu groß oder zu klein - oder die Treffer sind inhaltlich unpassend, weil die gefundenen Dokumente aus anderen Fachbereichen stammen. In solchen Fällen ist es sinnvoll, die Suche anzupassen (Franke et al. 2014: 56-59). Zu große Treffermengen lassen sich durch Filter einschränken, bei zu kleinen Treffermengen können zusätzliche Suchbe‐ griffe oder Trunkierungen helfen. Eventuell sind auch Fehler bei der Verknüpfung der Suchbegriffe aufgetreten. Ist die Treffermenge trotz sorgfältiger Auswahl der Suchbegriffe inhaltlich unpassend, müssen Sie möglicherweise eine andere Datenbank verwenden - fragen Sie im Zweifelsfall in Ihrer Bibliothek nach. Reviews Bei einer Review werden keine eigenen Daten erhoben, sondern veröffentlichte Stu‐ dien zusammengefasst und (erneut) ausgewertet. Um eine gute Literaturgrundlage zu erhalten, ist es wichtig, alle relevanten Studien zu erfassen. Deshalb ist für Reviews die oben beschriebene Strategie „Vertiefte Literaturrecherche” sinnvoll. Dabei ist die Aus‐ wahl der Quellen, die Sie auswerten möchten, besonders wichtig. Für die meisten Da‐ tenbanken gibt es Quellenlisten, in denen aufgelistet ist, welche Zeitschriften (und sonstigen Publikationen) aus welchen Erscheinungsjahren in der Datenbank vorhan‐ den sind. Bei Google Scholar und bei Preprintservern fehlen diese Informationen. Eventuell lohnt auch ein Gespräch mit der Fachreferentin oder dem Fachreferenten der Universitätsbibliothek, da diese die Datenbanken und deren Unterschiede in der fachlichen Abdeckung gut kennen. Da viele Zeitschriften in mehreren Datenbanken ausgewertet werden, werden Sie bei einer solchen Suche fast zwangsläufig Überschneidungen in den Trefferlisten haben. Um hier den Überblick zu behalten, mit größeren Ergebnismengen umgehen zu können und die Suchergebnisse nachvollziehbar zu machen, empfiehlt sich der Einsatz eines Literaturverwaltungsprogrammes. Weil es bei Reviews besonders darauf ankommt, die eigenen Ergebnisse nachvoll‐ ziehbar zu machen, dokumentieren Sie Ihre Suchschritte: ● Auswahl der Quellen und Gründe dafür, ● Suchbegriffe und deren Verknüpfung, ● Anzahl der Treffer in den verschiedenen Quellen und Ausmaß der Überschneidun‐ gen. Achten Sie bitte darauf, ob Ihre Suchkriterien sich überhaupt in der jeweiligen Datenbank abbilden lassen. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 63 <?page no="64"?> Debatten nachvollziehen und besonders relevante Texte erkennen Mit einer systematischen Literaturrecherche können Sie gut feststellen, welche Pu‐ blikationen es zu einem bestimmten Thema gibt. Um einzuordnen, welche davon besonders relevant sind, brauchen Sie manchmal noch weiteren Kontext. Dafür kann eine Zitationsdatenbank hilfreich sein. Das „Schneeballsystem”, also das Verfolgen von Literaturangaben, die in einem Text genannt werden, funktioniert hier auch andersherum: Mit Hilfe von Zitations‐ datenbanken können Sie nachvollziehen, welche Publikationen eine bestimmte andere Publikation zitieren und sich somit zeitlich vorwärtsbewegen. Auch in vielen Volltextdatenbanken werden nach und nach Zitationsinformationen ergänzt. Eine bekannte frei zugängliche Zitationsdatenbank ist das bereits erwähnte Google Scholar, das neben Zeitschriften diverse Hochschul-Publikationsserver, Preprintser‐ ver und andere Quellen auswertet. Neben der Anzahl der zitierenden Publikationen werden weitere Versionen der Texte und (mehr oder weniger) ähnliche Publikationen angezeigt. Die ebenfalls frei zugängliche Zitationsdatenbank CiteSeerX ist in der Informatik etabliert. Lizenzpflichtig und in ihren Funktionen deutlich umfangreicher sind das Web of Science und Scopus, die auch Auswertungen von Zitationsnetzwerken ermöglichen. Diese Datenbanken werden oft für bibliometrische Analysen oder als Hilfestellung für die Wahl einer gut gerankten Zeitschrift für das eigene Manuskript herangezogen. So können Sie mit Zitationsdatenbanken beispielsweise nachvollziehen, ● welche aktuellen Publikationen eine Veröffentlichung zitieren, auf die Sie sich auch beziehen, ● ob ein älterer Text tatsächlich ein „Klassiker” ist und in aktuellen Publikationen noch zitiert wird, ● ob es „Zitationsnetzwerke” zwischen verschiedenen Forscher: innengruppen gibt, ● von wem und wo Ihre eigenen Publikationen zitiert werden. Die Angaben zur Zitationshäufigkeit können helfen, einzuschätzen, ob ein Text stark rezipiert wurde oder nicht. Da auch in Zitationsdatenbanken nicht alle Querverweise erfasst sind, es z. B. bei häufigen Autor: innennamen oder Namensgleichheiten Un‐ schärfen gibt und weil bei Google Scholar zudem die Datengrundlage nicht öffentlich ist, sind die absoluten Zitationszahlen mit Vorsicht zu betrachten. Auf dem Laufenden bleiben Bei wissenschaftlichen Publikationen oder Abschlussarbeiten vergeht zwischen der ersten Literatursuche und dem fertigen Text viel Zeit und Sie müssen sichergehen, dass Sie keine in der Zwischenzeit neu erschienenen relevanten Texte übersehen. Um die Suche nicht ständig wiederholen zu müssen, können Sie in den meisten Datenbanken Alerts für neue Texte einrichten. Wird dann ein neuer Text in die Datenbank 64 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="65"?> s.narr.digit al/ 1v2i3 eingetragen, auf den die gespeicherten Suchkriterien zutreffen, werden Sie automatisch benachrichtigt. Ein Suchalert kann beispielsweise für folgende Aspekte hilfreich sein: ● eine komplexe, auf Vollständigkeit ausgelegte Suchanfrage, die Sie nicht noch einmal neu zusammenbauen möchten, ● Publikationen, die einen für Sie zentralen Text zitieren, ● Publikationen, die Ihre eigenen Veröffentlichungen zitieren. Ohne persönliche Anmeldung ist ein Alert über RSS-/ Atom-Feeds möglich, beispiels‐ weise bei der wissenschaftlichen Suchmaschine BASE oder bei den Datenbanken des Anbieters EBSCO. Sie können dafür Ihr Mailprogramm oder einen browserbasierten RSS-Reader wie Feedly verwenden und werden dann über neue Suchergebnisse be‐ nachrichtigt, ohne persönliche Daten an die Datenbankanbieter: innen weiterzugeben. Alternativ können Sie bei vielen Anbieter: innen (beispielsweise Web of Science und Google Scholar) E-Mail-Alerts einstellen; dafür müssen Sie dort allerdings einen persönlichen Account anlegen. Bietet eine Datenbank keine Möglichkeit, Alerts einzurichten, gibt es zumindest noch die Möglichkeit, die Suchabfrage zu speichern - entweder (nach persönlicher Anmeldung) in der Datenbank oder an anderer Stelle. Dann ist zwar gegen Ende des Schreibprozesses noch eine „Habe ich auch nichts vergessen? ”-Literaturrecherche notwendig, aber Sie müssen zumindest Ihre komplexe Suchanfrage nicht noch einmal neu zusammenbauen. In diesem Fall ergibt es Sinn, sich zu notieren, wann Sie die Suche zuletzt durchgeführt haben. Bei einer erneuten Recherche in der Datenbank können Sie dann die Trefferliste nach den Texten filtern, die seitdem neu hinzugekommen sind. Abb. 1.2.7: Suchgeschichte in der Datenbank MEDLINE: Per Klick auf das orange RSS-Symbol können Sie einen Alert für die Suche einrichten. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 65 <?page no="66"?> s.narr.digit al/ vwzq7 Zusammenfassung Literaturrecherche ist ein essenzieller Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. In diesem Kapitel wurde vorgestellt, wo sie im Prozess des Schreibens verortet werden kann und welche Strategien es für die Literaturrecherche gibt. Abhängig davon, welches Ziel Sie mit der Literaturrecherche verfolgen - sich eine erste Übersicht ver‐ schaffen, einen vollständigen Überblick über die relevante Literatur erlangen, Debatten nachvollziehen und besonders relevante Texte erkennen oder während des Schreibens über Neuerscheinungen informiert werden - gibt es unterschiedliche Orte, an denen Sie sinnvoll nach Literatur suchen können. Je nach Fachbereich gibt es verschiedene Datenbanken, die sich in ihren Suchmöglichkeiten im Detail unterscheiden und die in diesem kurzen Format nicht einzeln vorgestellt werden können. Die grundsätzlichen Suchstrategien sind dabei aber für alle Fächer gleich. Es ist völlig legitim, sich bei der Literaturrecherche Unterstützung zu suchen. Gerade in Fachbereichen, in denen Sie erst spät beginnen, eigene schriftliche Arbeiten zu verfassen, besteht wenig Gelegenheit, Literaturrecherchen zu üben. Nicht nur die Identifikation der passenden Quellen, sondern auch das Finden guter Suchbegriffe erfordert Übung - und es ist normal, die eigene Suche nachträglich zu verändern. Fragen Sie in Ihrer Bibliothek nach, wenn Sie mit Ihrer Recherche nicht zum Ziel kommen - Ihr: e Bibliothekar: in wird Ihnen gerne weiterhelfen. Zum Weiterlesen Universitäts- und Landesbibliothek Münster: LOTSE — Wegweiser zur Literatursuche und zum wissenschaftlichen Arbeiten. Literatur F R A N K E , Fabian / K E M P E , Hannah / K L E I N , Annette et al. (2014): Schlüsselkompetenzen: Literatur recherchieren in Bibliotheken und Internet. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stutt‐ gart/ Weimar: J.B. Metzler, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-476-01248-7 S C H E I N E R , Annette (2013): Erfolgreich recherchieren - Biowissenschaften. Berlin: De Gruyter Saur, https: / / doi.org/ 10.1515/ 9783110298994 T E I C H E R T , Astrid (2013): Erfolgreich recherchieren-- -Mathematik. Berlin: De Gruyter Saur, https: / / doi.org/ 10.1515/ 9783110298970 W E I N L , Kerstin (2013): Erfolgreich recherchieren - Informatik. Berlin: De Gruyter Saur, https: / / d oi.org/ 10.1515/ 9783110298956 66 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="67"?> 1.2.2 Lesen und Literatur gezielt auswerten Eva Kaufholz-Soldat, Nora Hoffmann Wissenschaftliche Texte lesen Die ersten Studiensemester in den MINT-Fächern dienen dazu, die Studierenden mit den gängigen Methoden ihrer Disziplin vertraut zu machen und gleichzeitig ausreichende Kenntnisse für die Lektüre von Fachpublikationen aufzubauen. Hierfür ist es in der Regel ausreichend, Skripte und Lehrbuchtexte zu lesen, die dieses Grundlagenwissen einfach zugänglich und fokussiert vermitteln. Daher werden viele Studierende mit Beginn der Bachelorarbeit zum ersten Mal mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen konfrontiert. Diese Veröffentlichungen enthalten über den Vorle‐ sungstoff hinausgehende Grundlagen, die für die Bearbeitung des Themas notwendig sind. Anders als Skripte oder Lehrbücher sind wissenschaftliche Veröffentlichungen nicht darauf ausgelegt, das generelle Verständnis zu einem Thema studierendengerecht aufzubereiten. Vielmehr ist ihre Zielgruppe ein Fachkollegium, das mit spezifischen Neuerungen, Ergänzungen oder Modifikationen auf einem eng umgrenzten Gebiet vertraut gemacht werden soll. Dass die Lektüre wissenschaftlicher Publikationen gerade am Anfang überfordernd wirkt, hat also seinen Grund: Die Erläuterung beispielsweise von Methoden fällt knapper aus und das zum Verständnis notwendige Wissen ist umfangreicher. Auch die Sprache ist voraussetzungsreicher, sowohl bei deutschsprachigen Texten als auch bei Publikationen auf Englisch, mit denen viele Studierende hier erstmalig konfrontiert sind. Aus diesem Grund ist es vollkommen normal, wenn Sie für die Lektüre eines wissenschaftlichen Artikels deutlich mehr Lektürezeit einplanen müssen als für einen Roman oder sonstige Texte, denen Sie im Alltag und im bisherigen Studium begegnet sind: Es kann durchaus notwendig sein, dass Sie sich eine oder gar mehrere Wochen mit einem Text auseinandersetzen müssen, um ihn zu begreifen. Keinesfalls sollten Sie versuchen, auf Kosten des Verständnisses schneller und damit weniger gründlich zu lesen. Verstehen Sie Ihre Arbeit als ein Gebäude, das ensteht: Ein lückenhaftes oder wackeliges Fundament, das Sie durch das Einlesen in die Grundlagen legen, muss zwangsweise zum (zumindest teilweisen) Einsturz führen. Merke: Nicht schneller lesen, sondern gründlicher! Lineares Lesen, also einmaliges Lesen von vorne nach hinten wie bei einem Roman, ist für wissenschaftliche Texte daher nicht angemessen. Um Inhalte und Argumentati‐ onsgänge nachzuvollziehen und zu hinterfragen, müssen Sie sich aktiv und wiederholt in mehreren Lektürephasen mit dem Text auseinandersetzen. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 67 <?page no="68"?> 30 Das überfliegende Lesen von Texten können wir nur als Hilfsmittel zur Auswahl derjenigen Publikationen empfehlen, die Sie nach der Recherche wirklich lesen wollen. s.narr.digit al/ 6kqmr In Schreibratgebern, die sich vor allem an Geisteswissenschaftler: innen wenden, werden Sie eine Vielzahl Methoden für verschiedene Leseanlässe finden, die aus unserer Sicht allerdings Redundanzen aufweisen und oftmals für Studierende der MINT-Fächer nicht geeignet sind. Die im Folgenden vorgestellte Technik ist daher aus den von uns für sinnvoll befundenen Schritten zusammengesetzt. Auch wenn wir sie beispielhaft für einen Fachartikel vorstellen, kann Sie ebenfalls problemlos auf einzelne Kapitel oder sogar ganze Lehr- oder Fachbücher angewendet werden. Sie funktioniert auch, wenn Sie sich nur ausgewählte Textstellen anschauen, weil Sie nur bestimmte Aspekte verstehen wollen, wie etwa die in einem Artikel vorgestellte Methode oder einen einzelnen Beweis. 30 Zentral ist dabei die Aufteilung in die vier in Abb. 1.2.8 dar‐ gestellten Phasen der Lesevorbereitung mit Zielsetzung, des orientierenden Lesens, des absatzweise vertiefenden Lesens und der Lesenachbereitung zur Ergebnissicherung. Phasen des Lesens Abb. 1.2.8: Phasen des Lesens fachwissenschaftlicher Publikationen. 1. Lesevorbereitung und eigene Zielsetzung Bevor Sie mit der eigentlichen Lektüre eines wissenschaftlichen Textes beginnen, sollten Sie sich in Erinnerung rufen, warum Sie diesen Text ausgewählt haben und wie er sich auf die Fragestellung Ihrer Arbeit bezieht. Geht es darum, sich Grundlagenwissen oder eine bestimmte Methode anzueigenen oder Details wie ein Ergebnis nachzuvollziehen? Entscheiden Sie anschließend, wo Sie die Antwort auf diese Frage(n) finden können und ob Sie den Text daher komplett lesen oder sich auf einzelne Abschnitte konzentrieren möchten. Bedenken Sie aber, dass Sie beispielsweise Ergebnisse nur dann sinnvoll einordnen können, wenn Sie die zugrundeliegende(n) Methode(n) verstanden haben. 68 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="69"?> 31 Achtung: Einige Fachpublikationen, darunter Nature, stellen mittlerweile den Grundlagen-/ Metho‐ denteil ans Ende des Artikels. Kap.-1.6.3 Kap.-1.6.3 Kap.-1.3.2 Damit Sie die Fokussierung auf die Beantwortung Ihrer Fragen beim Lesen bewusst beibehalten können, notieren Sie sich Ihre Erwartungen an den Text. So können Sie Ihre Aufmerksamkeit bewusst steuern und erhöhen zudem Ihre Lesemotivation, da Sie ein klares Ziel vor Augen haben. Außerdem wird Ihnen bei diesem Vorgehen schnell deutlich, wenn ein Text Ihnen nichts zu Ihrer eigentlichen Fragestellung liefern kann, sondern seine Lektüre nur Zeit kostet. 2. Orientierendes Lesen: Erfassung von Zielsetzung und Textstruktur Um einen Text vollkommen zu verstehen, müssen Sie ständig zwischen zwei Perspek‐ tiven wechseln: Einerseits müssen Sie jeden einzelnen Satz inhaltlich nachvollziehen. Andererseits aber müssen Sie stets den Gesamtblick darauf behalten, welche Frage‐ stellung beantwortet werden soll, beispielsweise indem Sie hinterfragen, wozu jeder einzelne Schritt der Argumentation in Hinblick auf die generelle Fragestellung dient. Für beide Perspektiven ist es sinnvoll, sich zuerst mit der Struktur des Textes vertraut zu machen. Halten Sie sich beim ersten Lesen also nicht mit Details auf, sondern versuchen Sie erstmal, einen groben Überblick über den Text zu bekommen. Die Zielsetzung finden Sie meist bereits im Titel. Dieser hat in den MINT-Fächern in der Regel die Form „Entwicklung eines Versuchsaufbaus / Bauteils / Algorithmus“, „Untersuchung der Eigenschaften einer/ eines oder mehrerer Substanzen / Organis‐ men / Materialien / Lebewesen / theoretischer Objekte mit einer bestimmten Methode unter gegebenen Randbedingungen“ oder schlicht „Neue Entwicklungen in einem be‐ stimmten Bereich“. Anschließend versuchen Sie genauer herauszufinden, wie die Zielsetzung im vor‐ liegenden Text erreicht werden soll, indem Sie die Argumentationsstruktur heraus‐ arbeiten: Welche Aspekte sind für die abschließende Beantwortung notwendig, welche werden für Zwischenergebnisse oder -schritte benötigt, wie greift schlussendlich alles ineinander? Dabei können Sie sich an der IMRaD-Struktur orientieren, die die Grundlage der meisten Fachpublikationen in den MINT-Fächern bildet. 31 a) Als ersten Schritt können Sie den Abstract lesen. Seien Sie jedoch nicht irritiert, wenn Sie hierbei große Verständnisprobleme haben - es handelt sich um einen sehr komprimierten Text, der sich an Fachkolleg: innen mit entsprechendem Expert: innen‐ wissen richtet. b) Alle relevanten Aspekte sollten Sie auch im abschließenden Diskussionsteil fin‐ den, den Sie sich als Nächstes anschauen sollten. Ignorieren Sie zunächst die dort vorgestellten Anknüpfungspunkte und konzentrieren Sie sich auf die knappe Zusammenfassung der in der Arbeit erzielten Ergebnisse und deren Beurteilung. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 69 <?page no="70"?> c) Mit diesem Wissen können Sie nun die Einleitung lesen, in der erläutert wird, wie die einzelnen Teilschritte der Arbeit zum gewünschten Ergebnis führen. d) Überfliegen Sie jetzt den Grundlagen-/ Methoden- und Resultateteil, aber beißen Sie sich nicht in Details fest, sondern arbeiten Sie nur die groben Linien heraus. Falls vorhanden, achten Sie besonders auf Abbildungen, Tabellen und Graphiken, die wichtige Informationen auf kompaktem Raum vermitteln. Es kann helfen, diese Struktur in Form einer Mindmap zu verschriftlichen. 3. Vertiefendes Lesen: Absatzweise Inhalt erfassen und hinterfragen Nachdem Sie sich mit der Zielsetzung und Struktur des Artikels vertraut gemacht ha‐ ben, können Sie sich an die mühevolle Aufgabe machen, den Inhalt zu verstehen. Dazu lesen Sie den Text beginnend mit dem Grundlagen-/ Methodenteil abschnittsweise. Hier greift das Credo gründlich zu lesen besonders deutlich. Da sich der Text an ein Fachpublikum richtet, ist davon auszugehen, dass Sie über unbekannte Begriffe oder Methoden stolpern. Lesen Sie keinesfalls darüber hinweg, denn die jeweiligen Definition könnte Eigenschaften enthalten, die für das Verständnis des Textes essenziell sind. Machen Sie sich daher mithilfe weiterer Fachliteratur unbedingt damit vertraut und legen Sie idealerweise ein Glossar an. Es kann dabei hilfreich sein, nicht nur die formelle Definition des Begriffs zu notieren, sondern zusätzlich eine eigene Formulierung und/ oder ein Beispiel (vgl. Tab 1.2.3). Tab. 1.2.3: Beispiel Glossar. Fachtermi‐ nus Kurzdefinition(en) ent‐ sprechend Fachliteratur Eigene Formulie‐ rung Beispiel Teilmenge A⊆B⇔∀xϵA: xϵB. -Achtung, manche Autor: in‐ nen definieren Teilmenge als A⊂B⇔∀xϵA: xϵB. Sind A und B Men‐ gen, heißt A Teil‐ menge von B genau dann, wenn jedes Element aus A in B enthalten ist. Primzahlen sind eine Teilmenge der natür‐ lichen Zahlen -{2,4,7} ist eine Teilmenge von {2,3,4,5,6,7,8,9} Klamm Ein in das Festgestein einge‐ schnittenes schmales Tal mit geringem Breiten-Tiefenver‐ hältnis, das durch intensive Tiefenerosion in Bereichen mit großem Gefälle des Fluss‐ laufes entstanden ist (ZEPP 2017: 163). Enges Tal, das durch Tiefenerosion entstanden ist und durch senkrechte Steilwände und Überhänge geprägt ist. Breitachklamm bei Oberstdorf Auf diese Weise können Sie nicht nur schnell nachschauen, falls Sie sich Details ins Gedächtnis rufen wollen, Sie können den Text ggf. später auch direkt in Ihre eigene Arbeit integrieren. Achten Sie zudem darauf, ob bestimmte Wörter, die auch in der 70 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="71"?> 32 Dieses Vorgehen entsprich dem Schritt „Reflect“ der sogenannten PQ4R-Methode zum Lesen wissenschaftlicher Texte (Thomas & Robinson 1972). Die Buchstaben des Akronyms ensprechen dabei den durchzuführenden Schritten: Preview (Überfliegen), Questions (Fragen stellen), Read (Lesen), Reflect (Reflektieren), Recite (Wiedergeben), Review (Rückblick). Alltagssprache vorkommen, im Text möglicherweise im Sinne einer Fachdefinition verwendet werden (bspw. der Begriff „Zustand“ in der Quantenmechanik). Beschäftigen Sie sich so lange durch kritisches Hinterfragen mit einem Absatz, bis Sie ihn verstanden haben. 32 Fragen Sie sich dazu, warum bestimmte Dinge getan werden oder Voraussetzungen notwendig sind, die möglicherweise nur beiläufig genannt werden (bspw. „Die Temperatur darf 20K nicht überschreiten“, „Wir verwen‐ den Werkstoff 90MnCrV8“, „Sei g eine injektive Funktion“, „Die Durchführung des Zweiproben-t-Tests …“). Was passiert, wenn man sie weglässt oder modifiziert? Welche Beispiele kennen Sie für eingeführte Begrifflichkeiten und Definitionen? Inwieweit knüpfen die Inhalte des Absatzes an Ihr Vorwissen an? Glauben Sie den Autor: innen nicht, wenn der Abschnitt Rechnungen enthält, sondern überprüfen Sie sie vollständig, indem Sie sich mit jedem Schritt vertraut machen und überlegen, ob möglicherweise nicht abgedruckte Zwischenschritte notwendig sind (Lehn 2016). Sie verfahren ganz ähnlich, wenn es sich bei dem Absatz um einen Beweis oder einen Algorithmus handelt. Versuchen Sie sich zunächst wieder mit der Grundstruktur vertraut zu machen. Setzen Sie triviale Beispiele ein. Überlegen Sie, wozu die einzelnen Voraussetzungen dienen, indem Sie ausprobieren, was passiert, wenn sie nicht erfüllt sind. Lesen Sie den Beweis oder Algorithmus schrittweise und erklären Sie ihn sich (nicht zwangsläufig im Kopf, gerne auch murmelnd oder laut) unter Rückgriff auf das Vorangegangene oder auf das, was Sie bereits wissen (Lehn 2016). Achten Sie dabei darauf, dass Sie nicht nur paraphrasieren, sondern durch die Erläuterung einen Mehrwert schaffen, der über den Text im jeweiligen Schritt hinausgeht: Sollten Beweisschritte fehlen (in Lehrbüchern gerne mit dem zynisch wirkenden Satz „Der Beweis bleibt Ihnen überlassen“ oder „trivialerweise“ gekennzeichnet) oder Zwischenschritte stark zusammengefasst werden, füllen Sie diese Lücken. Es ist 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 71 <?page no="72"?> sinnvoll, die Erklärungen zwischen einzelnen Schritten schriftlich festzuhalten, damit Sie jederzeit darauf zurückgreifen können. Um zu überprüfen, ob Sie einen Absatz wirklich verstanden haben, legen Sie den Text beiseite (oder schließen Sie bei einer Onlineversion das Fenster) und versuchen Sie, ihn in eigenen Worten wiederzugeben. Dabei müssen Sie keinesfalls alle Details aufzählen. Versuchen Sie aber, die zentralen Inhalte zu nennen und sich dabei soweit wie möglich von den im Text verwendeten Formulierungen zu lösen. Je besser Sie den Absatz zusammenfassen können, umso besser haben Sie ihn verstanden! Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir bislang noch nicht mit dem Standardwerkzeug beim Lesen akademischer Texte gearbeitet haben, dem Textmarker oder der Textmar‐ kerfunktion, wenn Sie mit einer digitalen Version des Textes arbeiten. Das ist Absicht! Denn erst, wenn Sie einen Absatz verstanden haben, können Sie zentrale Inhalte von weniger wichtigen trennen und so sinnvoll, weil sparsam und gezielt, die wichtigsten Aussagen markieren. Nutzen Sie hierfür Ihr eigenes System, z. B. Einrahmen oder Anstreichen mit verschiedenfarbigen Textmarkern für unterschiedliche Bedeutungen. Achten Sie dabei darauf, möglichst wenige Schlagwörter pro Absatz zu markieren. Wenn Ihnen das Reduzieren der Markierungen schwerfällt, probieren Sie folgende Variante, um sich schrittweise zentralen Inhalten anzunähern: Schwärzen/ Zensieren Sie in einer Textkopie alle Informationen, die Ihnen nicht zentral scheinen, bis nur noch die Kerninhalte übrigbleiben. Sicherlich wird es einige Absätze geben, die Sie sehr schnell lesen können, aber es ist auch ganz normal, sehr lange für bestimmte Absätze zu benötigen. Kommen Sie an einer problematischen Stelle gar nicht voran, ist es legitim, diesen Absatz zunächst einmal zu überspringen und darauf zu hoffen, dass die folgenden Informationen vielleicht für mehr Klarheit sorgen. Manchmal hilft es auch, den Text erstmal zur Seite zu legen und zu recherchieren, ob möglicherweise eine Information in einer der Begrifflichkeiten enthalten ist, die Ihnen unbekannt und für das Verständnis essenziell ist. Sie können auch mit Kommiliton: innen oder in sehr schwierigen Fällen mit Ihrer Betreuungsperson sprechen. In beiden Fällen sollten Sie aber deutlich machen, dass Sie sich zuvor um ein Verständnis bemüht haben, indem Sie Ihre Fragen so konkret wie möglich formulieren (bspw. „Mir ist klar, warum die Autor: innen sich für diese Methode entschieden haben, aber mir erschließt sich nicht, warum diese Randbedingung wichtig ist.“) Anschließend treten Sie einen Schritt zurück und überlegen, wie sich dieser Ab‐ schnitt auf die Fragestellung des gesamten Textes bezieht. Welche Funktion erfüllt er in der Gesamtargumentation: Soll mit den Inhalten eine Aussage belegt, angezweifelt oder plausibilisiert werden? Werden Vorgehensweisen erläutert? Werden Behauptungen aufgestellt? Notieren Sie diese Funktion zusammen mit einem Stichwort zum Inhalt und einer Kurzzusammenfassung der zentralen Aussage. Machen Sie sich auch einen Vermerk, wenn Sie Inhalte noch nicht vollständig verstanden oder Zweifel daran haben, dass der Absatz wirklich die von den Autor: innen vorgesehene Funktion erfüllt (bspw. 72 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="73"?> 33 Oder als Fachausdruck: Exzerpieren. wenn Sie der Auffassung sind, dass der Absatz als Beleg verstanden wird, Sie aber Einwände haben). So verfahren Sie mit dem gesamten Text. 4. Nachbereitung: Auswertung im Hinblick auf die eigene Zielsetzung Nachdem Sie sich so durch den ganzen Text (oder den Textabschnitt, den Sie lesen wollen) gearbeitet haben, gilt es, den Bezug zu den eingangs von Ihnen formulierten Fragen herzustellen. Rufen Sie sich diese daher noch einmal in Erinnerung. Gehen Sie anschließend Ihre Markierungen und Randnotizen durch und hinterfragen Sie, ob und wie Ihre Fragen beantwortet wurden, welche Unklarheiten geblieben oder neu aufgekommen sind oder welche Anregungen Sie erhalten haben, sei es zur Lektüre weiterer Publikationen oder zur Modifikationen Ihrer Vorgehensweise. Ein großer Fehler, der an dieser Stelle gerne passiert, ist, dass Sie die Beantwortung der Frage nicht schriftlich festhalten: Machen Sie diesen Fehler nicht! Sie werden überrascht sein, wie viele Details sonst schon wieder in Vergessenheit geraten sind, wenn Sie den nächsten Text durchgearbeitet haben. Auf welche Art und Weise Sie dabei vorgehen, hängt einerseits von Ihren Vorlieben, andererseits von den Fragen ab, die Sie an den Text gestellt haben. Im Folgenden stellen wir Ihnen drei alternative Möglichkeiten vor. Die erste ist die Erstellung eines sogenannten Textnetzwerks (vgl. Stary/ Kretsch‐ mer 1994, 43-45, 121-126; Brun/ Hirsch Hadorn 2009, 92-98), das auf den ersten Blick an eine Mindmap erinnert. Zusätzlich nehmen Sie aber die Beziehung zwischen einzelnen Aspekten auf, indem Sie für die Verbindung beschriftete Pfeile verwenden (bspw. „--------Bed------>“ für Bedingung, „--------Bsp----->“ für Beispiel, „--------Grund----->“ oder „--------Folge----->“). Indem Sie auf diese Weise Textstrukturen aktiv nachvoll‐ ziehen und verarbeiten, erhalten Sie ein vertieftes Textverständnis und prägen sich Textinhalte gut ein. Außerdem liefert Ihre Visualisierung Ihnen später auf einen Blick alle aus Ihrer Sicht wichtigen Informationen zu einem Text. Diese Technik bietet sich vor allem an, wenn es Ihnen auf die Zusammenhänge innerhalb eines Textes ankommt. Die zweite Methode, die sich schon mehrere hundert Jahre bewährt hat, ist das Zusammenfassen in eigenen Worten 33 . Der Nutzen eines solchen Texts besteht darin, dass Sie nicht mehr den gesamten Forschungstext bzw. Ihre Markierungen darin durchgehen müssen, wenn Sie eine Information daraus suchen. Stattdessen können Sie zeitsparend Ihre Zusammenfassung durchsehen. Wenn Sie für Ihre Abschlussarbeit zu einem Thema mehrere Forschungstexte lesen, können Sie sich ansonsten im Nachhinein bestenfalls noch vage erinnern, welche Aussage in welchem Text stand und müssen gleich mehrere Texte durchsuchen. Außerdem hat diese Vorgehensweise den hilfreichen Effekt, dass Sie Textinhalte aktiv verarbeiten und sie dadurch besser im Gedächtnis behalten. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 73 <?page no="74"?> s.narr.digit al/ 6kqmr Für eine solche Zusammenfassung halten Sie die wesentlichen Informationen des Textes, die Ihre eingangs gestellten Fragen beantworten (und natürlich auch alles andere, was Sie beim Lesen für interessant befunden haben) tabellarisch fest, um später beim Verfassen des eigenen Textes schnell und gezielt darauf zugreifen zu können (vgl. Tab. 1.2.4). Achten Sie dabei darauf, die Informationen möglichst als Paraphrasen, d. h. als inhaltliche Zusammenfassungen in eigenen Worten aufzuschreiben, um sie aktiv zu verarbeiten. Tab. 1.2.4: Tabelle zum Exzerpieren. Bibliographische Angabe (Titel, Verfasser, Jahr, bei Büchern ggf. Auflage, bei Artikeln Zeitschrift, Nummer und Seitenzahlen) Standort ggf. Schlagwort, Zuord‐ nung zu eigenem Thema / Fragestel‐ lung / Kapitel Seitenzahl / Absatz Paraphrase Kommentar … … … … … … ggf. Zusammenfassung pro Seite / Gesamtzusammenfassung zum Text Am aufwendigsten ist sicherlich als dritte Möglichkeit das Verfassen eines knappen, zusammenhängenden Antworttextes zu Ihren an den Text gestellten Fragen. Dazu schreiben Sie unter Rückgriff auf Ihre Erwartungen an die gelesene Publikation einen kurzen Text in eigenen Worten. Der Vorteil dabei ist, dass beim Aufschreiben in Form eines kohärenten Textes möglicherweise Verständnisprobleme offensichtlich werden, die Ihnen nicht auffallen, wenn Sie nur Ausschnitte innerhalb eines Exzerpts notieren, denn nur was Sie verstanden haben, können Sie in klare Worte fassen. Die Methode bietet sich auch an, wenn Sie sicher sind, dass Sie sich in Ihrer Arbeit später auf den Text beziehen wollen. Dann können Sie den entstandenen Text direkt für Ihre Rohfassung verwenden. Vogelperspektive Wenn Sie möchten, können Sie für die hier vorgeschlagene Lesenmethode vorbe‐ reitete Blätter benutzen, auf denen Sie strukturiert die hier beschriebenen und zusätzliche Schritte notieren. Bei der sogenannten Vogelperspektiven-Methode unterteilen Sie das Blatt in folgende Bestandteile: ● Eine Spalte links für eigene Überlegungen. Hier notieren Sie: - Ihre Erwartungen an den Text, - Ihre Erkenntnisse nach dem Lesen, - Verständnisschwierigkeiten und ggf. kritische Anmerkungen. ● In der mittleren Spalte notieren Sie inhaltliche Punkte: - Vollständige bibliographische Angaben, - Generelles Thema, Fragestellung und argumentatives Ziel des Textes, 74 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="75"?> Kap.-1.3.3 - Konsequenzen, die sich aus den Forschungsergebnissen ergeben, - Methode, mit der die Ergebnisse erzielt werden. ● In der rechten Spalte verorten Sie den Text im Kontext der Fachliteratur: - Wie beziehen sich die Inhalte auf Behauptungen in anderer Literatur? - Welche Literatur wird zur Untermauerung der Behauptungen verwen‐ det? - Von welcher Literatur wird sich abgegrenzt? - Welche Literatur wird als lückenhaft/ verbesserungswürdig genannt? Integration der Lektüreergebnisse in den eigenen Text Am Ende Ihrer Lektürearbeit liegen im Ideallfall Ihre Leseergebnisse komprimiert vor Ihnen, entweder in grafischer Form als Textnetzwerke bzw. Vogelperspektive-Blätter oder in schriftlicher Form als tabellarische Zusammenfassungen oder Antworttexte. Im ersten Moment scheint es deshalb eine zeitsparende und gute Idee zu sein, einzelne Teile aus Ihren Zusammenfassungen in Ihr Textdokument zu kopieren, um daraus durch ein paar Überleitungen einen eigenen Text zusammenzusetzen. Wir möchen Ihnen aber raten, sich beim Schreiben zunächst von Ihren Aufzeichnungen zu lösen, denn Ihr Ziel ist kein Text-Patchwork aus fremden Aussagen, sondern ein zusammenhängender Text mit rotem Faden, in dem Sie Ihre eigene Position darlegen. Um einen möglichst eigenständigen Text zu verfassen, greifen Sie beim Schreiben lieber zunächst nur auf Ihr Gedächtnis zurück, anstatt beständig auf Ihre Dokumente mit Leseergebnissen zu schauen. Durch Ihre intensive Lektüre und aktive Verarbeitung haben Sie sich zentrale Ergebnisse gemerkt und in Ihrem Kopf gut vernetzt, sodass Sie am besten zunächst durch Rohtexten Ihre eigenen Gedanken festhalten, die sich durch die Lektüre entwickelt und verändert haben. Der Blick auf Ihre Zusammenfassungen würde Sie in dieser Phase eher blockieren und davon abhalten, eigene Gedankengänge zu Ende zu führen. Selbstverständlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie alle Details memoriert haben, beispielsweis bei komplexen Definitonen, Beweis- oder Versuchsdurchführungen. Notieren Sie hier den Kerngedanken (bspw. Definition „abs‐ trakter Simplizialkomplex“), gerne auch indem Sie beispielsweise in eckigen Klammern darauf hinweisen, was Sie später ergänzen wollen bspw. „Der Engelmann-Versuch dient zur Bestimmung der fotosynthetisch wirksamen Wellenlängen des Lichts. [In Quelle X nachschauen, welche Bakteriensorte mit welchem farbigen Licht bestrahlt wird]“ oder „Bei piezoelektrischen Keramiken ist die Auslenkung nicht exakt proportional zur angelegten Spannung [Quelle raussuchen]“. Sobald Sie auf diese Weise einen gedanklich zusammenhängenden Text erzeugt haben, können Sie im zweiten Schritt - unter Rückgriff auf Ihre Zusammenfassungen - die bei der Lektüre erarbeiteten Ergebnisse einfügen. Dadurch treten Sie quasi in einen Dialog 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 75 <?page no="76"?> mit anderen Wissenschaftler: innen, den Wissenschaftsdiskurs, und machen deutlich, wie sich Ihre eigenen Ergebnisse zu den bisherigen verhalten. Wenn Sie die Inhalte anderer Autor: innen wiedergeben, ist es üblich, nur Beweise oder Definitionen weitestgehend im Wortlaut zu zitieren, wobei ggf. die Notation an die eigene angepasst wird. Häufiger sind verkürzende Wiedergaben in eigenen Worten, bei denen nur feststehende Fachausdrücke beibehalten werden müssen. Je technischer die Inhalte sind, desto schwieriger wird es im Übrigen, diese in eigenen Worten exakt und knapp wiederzugeben. Glücklicherweise gilt hier das Gleiche wie beim Lesen wissenschaftlicher Texte: Am Anfang fällt es zwar schwer, aber mit ein bisschen Übung haben Sie den Dreh schnell raus, versprochen! Literatur B R U N , Georg / H I R S C H H A D O R N , Gertrude (2009): Textanalyse in den Wissenschaften. Inhalte und Argumente analysieren und verstehen. Zürich: vdf. C H R I S T M A N N , Ursula / G R O E B E N , Norbert (1999): „Psychologie des Lesens“. In: Franzmann, Bodo et al. (Hg.): Handbuch Lesen. München: Saur, S.-145-223. H O D D S , Mark / A L C O C K , Lara/ I N G L I S , Matthew (2014): „Self-explanation training improves proof comprehension”. In: Journal for Research in Mathematics Education 45(1), S.-62-101. 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Neben online verfügbarer wissenschaftlicher Literatur, d. h. von Wissenschaftler: innen für Wissenschaftler: innen in wissenschaftlichen Verlagen publizierte Literatur, gibt es eine ständig wachsende Zahl verschiedenster Ressourcen, derer sich die Studierenden zunehmend bedienen. Solche Ressourcen können (nicht in einem Verlag publizierte) Nachschlagewerke, Statistiken, Tutorials, Websites von Nichtregierungsorganisatio‐ nen und politischen Institutionen bis hin zu Nachrichtenartikeln, Blogs, Videos oder Beiträgen in sozialen Medien sein - eine wahrhaft riesige bis unüberschaubare Menge an Material, das für die Wissenschaft nutzbar gemacht werden kann. Um diese Internetquellen, also alle Onlineressourcen, die keine digitale Fachzeit‐ schriftenartikel oder von Verlagen publizierte wissenschaftliche E-Books sind, geht es in diesem Beitrag. Die Bedeutung dieser Quellen in der wissenschaftlichen Praxis und im Alltag von Studierenden belegen zahlreiche Studien. Zwar sollten sie niemals die Basis eines wissenschaftlichen Textes bilden, doch sind sie oftmals eine sinnvolle Ergänzung. Somit ist es höchst wahrscheinlich, dass auch Sie das Internet häufig für Ihr Studium nutzen werden oder das bereits tun. Ihnen wird dabei eine rasant wachsende Informationsmenge entgegentreten, die anderen Regeln gehorcht als denen der Wissenschaftlichkeit, des Expert: innentums und Peer-Reviews, denen wissenschaftliche Artikel und Bücher folgen. Jede: r mit genügend technischem Wissen kann professionell aussehende Websites erstellen und auf unzählige Weisen Behauptungen in das Internet setzen, ohne dass diese von einer externen Stelle geprüft werden. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam J. Metzger bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt, dass jede Person im Internet Autor: in sein kann, ohne fachliche Autorität zu besitzen (Metzger 2007: 2078). In einem digitalen Raum, der größtenteils ohne solche Filter funktioniert, liegt es an den Internetnutzer: innen selbst, die Glaubwürdigkeit gefundener Quellen einzuschätzen, was nicht selten misslingt. Wie fatal blindes Vertrauen in das Internet sein kann, demonstrieren zahlreiche Verschwörungstheorien, die über das Internet ihre Anhänger: innenschaft gewinnen. Genährt durch soziale Medien, aber auch durch fragwürdige Websites und sogar Medienunternehmen, verbreiten sich irreführende Ansichten wie die, dass Impfstoffe gegen COVID-19 Nano-Chips zur Überwachung der Bevölkerung beinhalten würden (Thomaser 14.05.2020), dass die Erde eine Scheibe sei (Stöcker 13.08.2017) oder dass Regierungen mittels „chemtrails“ das Wetter kontrollieren (Diekmann 13.01.2015). Weniger fatal, doch nicht weniger aufschlussreich ist die Tatsache, dass selbst Journa‐ 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 77 <?page no="78"?> list: innen bisweilen nicht ganz so offensichtlichen Falschinformationen aufsitzen, wie der Fall des CSU-Politikers und ehemaligen Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg ver‐ deutlicht, der eines Tages auf Wikipedia einen zusätzlichen Vornamen angedichtet be‐ kam, welcher sich anschließend in mehreren Zeitungen fand (Bartsch u. a. 15.02.2009). Professionelle wie Laien können durch ihr übergroßes Vertrauen in das Internet schnell in die fake-news-Falle tappen oder auf ungenügender Recherche beruhenden Behauptungen aufsitzen. Damit Sie diese Fehler durch die kritische Beurteilung von Internetquellen vermeiden können, werden in diesem Beitrag zunächst Erkenntnisse der Bildungsforschung über problematische Aspekte der Internetverwendung Studie‐ render vorgestellt, um Ihnen anschließend Schritt für Schritt darzulegen, wie Sie diese Probleme durch eine kritische Beurteilung recherchierter Quellen vermeiden. Forschungsergebnisse zum digitalen Rechercheverhalten Studierender Mit der wachsenden Bedeutung des Internets in den letzten dreißig Jahren wuchs auch das Interesse von Bildungswissenschaftler: innen dafür, wie Studierende dieses als Ressource verwenden. Je nachdem, welche Zielgruppe untersucht wird, ob Studie‐ rende der Geisteswissenschaften oder Naturwissenschaften, Studienanfänger: innen oder Fortgeschrittene, ergeben Forschungen unterschiedliche Bilder, wie gut oder weniger gut Studierende die Arbeit mit dem Internet beherrschen. Zumindest sind sich Bildungswissenschafler: innen einig, dass Verbesserungsbedarf besteht und der Segen des Internets zugleich sein größter Fluch ist: Es ist leicht zugänglich, Suchmaschinen zeigen uns die vermeintlich „besten“ Ergebnisse im Bruchteil einer Sekunde und aus einer aufwändigen Recherche über die Bibliotheksseite wird eine Suche von wenigen Minuten (Hong und Jo 2017: 174; Leeder und Shah 2016: 460). Aufgrund dieser Annehmlichkeiten und einem Bedürfnis nach Zeitersparnis bleibt eine genaue Prüfung und kritische Beurteilung der gefundenen Quellen oftmals auf der Strecke (Leeder und Shah: 2016: 459). Eine wesentliche Ursache dieser ausbleibenden Beurteilung ist die Unkenntnis objektiver Kriterien, mit denen die Glaubwürdigkeit von Quellen eingeschätzt werden kann. Die Bildungswissenschaftlerinnen Jung Eun Hong und Injeong Jo etwa ermittelten in einer Studie, dass Studierende ihre Funde häufig anhand von Oberfläch‐ lichkeiten beurteilen (Hong und Jo 2017: 182). In einem Experiment sollten Studierende mehrere Quellen nach ihrer Nützlichkeit für ein Schreibprojekt sortieren und Kriterien auswählen, die sie bei dieser Sortierung angewendet hatten. Als die häufigsten Gründe, eine Quelle als nützlich zu bewerten, wurden der Umfang einer Quelle (je länger, desto besser, dachten die Studierenden), ihre leichte Verständlichkeit und das durch die Quelle geweckte Interesse genannt, während Ausschlusskriterien Kürze, schwere Verständlichkeit und erzeugte Langeweile waren - allesamt höher gewichtet als das Kriterium der Glaubwürdigkeit (Hong und Jo 2017: 178-179). Parallel dazu belegen andere Studien, dass die Position der Quelle in der Suchmaschine (die nichts über die Qualität der Quelle aussagt), Modernität und Interaktivität des Websitedesigns (als überschätztes Anzeichen für Professionalität) und das optische Appeal der Seite oft den 78 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="79"?> Kap.-1.2.1 Ausschlag dafür geben, sie auch zu verwenden (Leeder und Shah 2016: 460; Green, Silva und Walker 2018: 26). Statt sich also zu fragen, was Glaubwürdigkeit bei einer Quelle überhaupt bedeutet und danach systematisch zu suchen, vertrauen viele Studierende ihren Instinkten und glauben, mit wenigen Blicken erkennen zu können, ob sie einer Quelle vertrauen können oder nicht. Das ermöglicht vielen Seiten natürlich, allein durch ihr Design das Vertrauen von leichtgläubigen Internetnutzer: innen zu gewinnen. Auch dann, wenn Studierende bewusst Glaubwürdigkeitskriterien anwenden, ge‐ schieht dies häufig falsch oder nur ungenügend. Unabhängig voneinander kamen Stu‐ dien zu dem Ergebnis, dass viele Studierende nur ein Glaubwürdigkeitskriterium an‐ wenden, um Internetquellen zu beurteilen, obwohl gerade das Zusammenspiel verschiedener Kriterien zu einem ausgewogenen und präzisen Urteil führt (Metzger 2007: 2080; Hong und Jo 2017: 180). Ein Ausschlusskriterium, das man auf den ersten Blick erkennt (wie das Logo einer Organisation, die die Theorie einer flachen Erde vertritt) reicht selbstverständlich aus, um eine Quelle nicht zu verwenden, jedoch ergibt sich erst mit fortschreitender Erfahrung und Wissen über das recherchierte Thema die Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle zügig einzuordnen. Während Bil‐ dungswissenschaftler: innen darüber diskutieren, was genau der beste Weg ist, um Stu‐ dierenden den Umgang mit Internetquellen beizubringen, sind sich alle darin einig, dass es darum geht, Studierenden Bewertungsstrategien zur Hand zu geben. Der wohl häufigste Fehler ist unsystematisches Vorgehen, bei dem Zeitersparnis und der geringste Aufwand als Gründe für die Auswahl einer Quelle angewendet werden. Der erste Schritt ist also, die Bereitschaft zu entwickeln, mehr Zeit zu investieren, um das kritische Denken bei der Recherche nicht zu vernachlässigen und Quellen sorg‐ fältig auszuwählen. Alle weiteren Schritte sollten sich nach einer Methode richten, um Internetquellen bewusst und nicht nach dem Bauchgefühl auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu analysieren. Im nächsten Kapitel erfahren Sie, welche Schritte Sie bei einer sol‐ chen Analyse anwenden können Die vier Dimensionen der Glaubwürdigkeit An dieser Stelle gilt es, zunächst den Begriff „Glaubwürdigkeit“ näher zu beleuchten. Glaubwürdigkeit ist ein Aspekt, den Quellen selbst besitzen und theoretisch von uns unabhängig sein sollte. Glaubwürdigkeit kommt vor unserem Vertrauen (Green, Silva und Walker 2018: 25). Beim Fund einer interessant und nützlich aussehenden Internetseite sollten wir uns trotz des vielleicht vielversprechenden und hübschen Äußeren erst einmal mit unserem Vertrauen zurücknehmen und prüfen, weshalb diese Quelle es überhaupt Wert ist, mit unserem Vertrauen beschenkt zu werden. Diese Frage kann man auf vier verschiedenen Ebenen oder Dimensionen betrachten, auf der eine Quelle ihre Glaubwürdigkeit behaupten muss: erstens die Autor: innenschaft und Autorität der Quelle, zweitens ihr kommunikativer Kontext und ihr Ziel, drittens ihre Argumentationsführung und Objektivität und viertens ihre formale Gestaltung. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 79 <?page no="80"?> Im Folgenden erhalten Sie Informationen, weshalb diese Dimensionen der Glaub‐ würdigkeit bedeutsam sind und wie Sie eine Quelle entlang dieser Dimensionen untersuchen können. Zur leichteren Bearbeitung finden Sie am Ende des Artikels eine Checkliste, mit der Sie bei der Beurteilung vorgehen können, um sich pro- und contra-Argumente für die Verwendung einer Quelle zu notieren. 1. Dimension: Autor: innenschaft und Autorität Die Qualität einer Quelle steht und fällt mit der Person, die sie verfasst. Lohnt es sich, einen Artikel über die Erdkrümmung zu lesen, der von einem Mann geschrieben wurde, der die Theorie einer scheibenförmigen Erde vertritt oder einen Beitrag über die angeblichen Gefahren des Impfens, der von einer Schauspielerin stammt? Ein Grundsatz, der in wissenschaftlichen Zeitschriften eingehalten wird, aber im Internet nicht gilt, ist, dass die Autor: innen Fachwissen und Expertise in Bezug auf die Themen besitzen müssen, um über sie zu publizieren. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Quelle sollten Sie also zuerst hinterfragen, ob die Person, die die Urheber: in der Quelle ist, auch über fachliche Expertise verfügt. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: 1. der Autor: innenname ist nicht angegeben oder 2. der oder die Autor: in ist namentlich genannt. Unter 1. fällt beispielsweise Wikipedia - dort finden sich zwar User: innennamen, aber selten Klarnamen, mit denen man recherchieren könnte, was diese Person nun überhaupt qualifiziert, diesen Artikel zu schreiben. Während Wikipedia also ein guter Start für einen Einblick in ein Thema ist, zumal viele Einträge auf wissenschaftliche Literatur verweisen, ist die Seite aufgrund der Anonymität der Verfasser: innen und der Möglichkeit, Artikel zu verfälschen, im Rahmen eines wissenschaftlichen Textes nicht zitierfähig. Auch bei anderen Seiten, bei denen kein Autor: innenname angegeben ist, ist Vorsicht geboten, da wir die Expertise der Autor: in so nicht einschätzen können. Lediglich, wenn hinter der Quelle eine wissenschaftliche und angesehene Organisation steht, die Fachwissen zum Themengebiet der Quelle vereint, wäre das ein Grund, ihr an dieser Stelle Glauben zu schenken. Falls sich ein Autor: innenname findet, sollten Sie die von professionellen Fakten‐ checker: innen angewendete Methode des lateral reading anwenden (Breakstone u. a. 2018: 28). Dabei geht es darum, auf anderen Seiten nach Informationen über diese Per‐ son zu suchen, denn nicht immer kann ich der Selbstdarstellung einer Person auf einer Website vertrauen. Nun gilt es, die „Passgenauigkeit“ zwischen dem Thema, das die Quelle umreißt, und der Ausbildung der Urheberin oder des Urhebers zu über‐ prüfen. An welchen Universitäten hat die Person studiert, falls überhaupt? Welche Fächer hat sie studiert und in welchem ihren Abschluss gemacht? Und inwiefern be‐ fähigt sie das, mit Fachwissen über dieses Thema zu schreiben? Autorität ergibt sich nicht einfach aus einem hohen Bildungsgrad - so sollte man auch die Aussagen eines praktizierenden Hals-Nasen-und-Ohrenarztes erst einmal kritisch betrachten, wenn dieser die von Virolog: innen hervorgehobene Gefahr von COVID-19 anzweifelt (Bi‐ anka Hoffmann 06.05.2020), da sein Fachwissen sich auf ein anderes Gebiet erstreckt. 80 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="81"?> Dieser an sich simple und schnell ausgeführte Schritt ist zugleich der wichtigste. Mithilfe einer Recherche über einschlägige Suchmaschinen ergibt sich so ein erster Eindruck davon, ob es sich lohnt, die Quelle überhaupt im Detail anzuschauen. Wenn Sie diesen Schritt bei jedem Fund durchführen, haben Sie übrigens schon der Mehrheit der Studierenden etwas voraus, da die meisten gerade dies nicht überprüfen (Metzger 2007: 2080). 2. Dimension: Kontext und Ziel der Quelle Nur weil die: der Autor: in Fachwissen besitzt, heißt das nicht, dass die Quelle nun auch unkritisch verwendet werden sollte. Als Dokument steht sie in einem größeren kommunikativen Kontext. Konkret: Sie ist Teil einer Website und setzt eigene Ziele. Und diese Ziele können auch bei einer Autor: innenschaft durch Wissenschaftler: innen mit Fachwissen vom Anspruch der Wissenschaft abweichen, objektive, nachprüfbare und methodisch gefestigte Aussagen über die Welt zu tätigen. Informationen über die Website selbst einzuholen, ist deshalb so wichtig, weil das uns generell verrät, welchen Anspruch sie an die Inhalte erhebt, die auf ihr publiziert werden und welchen Zweck sie verfolgt. Im Allgemeinen sind die Ziele der Inhalte und die Zwecke einer Website verzahnt und nicht losgelöst voneinander zu verstehen. Wenn man sich also den Kontext der Website und der hinter ihr stehenden Personen, Gruppierung oder Institution erarbeitet, gewinnt man bedeutsame Erkenntnisse, die einem beim Verstehen der Quelle selbst helfen. Mit Informationen über das Ziel und den Kontext der Quelle im Schlepptau können Sie besser beurteilen, welchen Anspruch die Autor: in sich selbst setzt. Sind der Zweck der Seite und das Ziel der Quelle augenscheinlich nicht auf die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs gerichtet, könnte es problematisch sein, diese Quelle für den eigenen wissenschaftlichen Text zu verwenden, selbst wenn hier ein: e Wissenschaftler: in spricht. Um die Zwecke einer Website zu ermitteln, lohnt sich ein schneller Blick auf die Betreiber: innen der Website, die teilweise unter Reitern wie „Über uns“/ “about us“ oder im Impressum zu finden sind. Hier gewinnen Sie einen ersten Eindruck davon, wer sich hinter dieser Seite verbirgt und eventuell, was diese Seite als ihren Zweck darstellt. Handelt es sich um eine Nachrichtenseite, um ein Unternehmen, eine wissenschaftliche Organisation, einen Think Tank, ist es eine privat betriebene Seite oder etwas anderes? Sind finanzielle, politische oder wissenschaftliche Interessen im Spiel? Solche Fragen sollten Sie sich stellen und versuchen, sie so genau wie möglich zu beantworten, da die Antworten darauf wesentlich zur Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Quelle beitragen. Nutzen Sie dabei auch unbedingt das lateral reading, da manche pro‐ fessionell und wissenschaftlich aussehende Seiten verborgene politische oder sonstige Interessen vertreten können, die durch eine einfache Suchmaschinen-Recherche zutage treten (Caulfield 19.12.2016). Das lateral reading und eventuelle Verweise der Seite auf andere Websites und/ oder Organisationen können Ihnen auch einen Eindruck davon geben, mit welchen anderen Gruppierungen diese Seite verbunden ist. Wenn Sie dabei feststellen, dass zum Beispiel eine Ölfirma hinter der vermeintlich neutralen Website 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 81 <?page no="82"?> steckt, welche Studien über die angeblich verschwindend geringen Umweltfolgen der Ölförderung in der Arktis präsentiert, ist das ein guter Grund, die Objektivität dieser Seite anzuzweifeln. Neben dem allgemeinen Zweck der Seite geht es ebenfalls darum, das Ziel der Quelle selbst zu ermitteln. Da dieses Ziel oft nicht genau erklärt wird, muss man dieses meist durch Umwege ableiten und nun dazu übergehen, die Quelle genauer anzuschauen. Ein Hinweis kann das Genre der Quelle sein - ist es ein kurzes Video, eine lange Dokumentation, eine Kolumne, ein Nachrichtenartikel, ein Blogpost oder etwas anderes? Je nachdem, wie Inhalte präsentiert werden, lässt sich davon ableiten, ob das Ziel eine genaue Information über ein Thema, das Vertreten einer Meinung, eine Lernhilfe o.-ä. ist. Das ist eng mit der Frage verbunden, an welches Publikum sich die Quelle richtet - Wissenschaftler: innen, die sich bereits in einem Thema auskennen, Studierende, Laien, Menschen mit einer bestimmten politischen Einstellung etc.? Je nachdem, welches Publikum beabsichtigt wird, werden Inhalte an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst. Erstens sollten Sie sich an das erinnern, was Sie bei der Analyse der Website herausgefunden haben, denn auch Websites haben ein intendiertes Publikum. Zweitens kann das beabsichtigte Publikum an der verwendeten Sprache erkannt werden: Ist sie zum Beispiel einfach gehalten und beinhaltet kaum Fachterminologie, wird es sich wahrscheinlich nicht um eine Quelle handeln, die von Wissenschaftler: innen gelesen werden soll und daher komplexe Sachverhalte herunterbrechen muss, damit sie leichter zu verstehen sind. Weitere Informationen über das Ziel der Quelle lassen sich daraus gewinnen, welches Wissen die Quelle bereits voraussetzt bzw. welche Meinungen für selbstverständlich und nicht weiter erklärenswert gehalten werden. Wenn Sie bei diesem Schritt angelangt sind, stehen Sie schon an der Schwelle zur inhaltlichen Analyse, was uns zum nächsten Punkt führt. 3. Dimension: Argumentation und Objektivität Nach der Einordnung der Quelle in ihren Kontext kommt es darauf an, sich näher mit ihrem Inhalt auseinanderzusetzen und zu überprüfen, ob dieser an sich glaubwürdig ist. Als Maßstab der Glaubwürdigkeit lassen sich hier die Kriterien der Objektivität, der Nachprüfbarkeit und der argumentativen Validität anwenden. Widmen wir uns zuerst dem Kriterium der Objektivität. Unter Objektivität versteht man den Anspruch, etwas unvoreingenommen zu analysieren oder zu beurteilen. Das zeigt sich bereits bei der Sprache. Relativ leicht lassen sich ein subjektiv-wertender oder ein objektiv-sachlicher Stil unterscheiden. Finden sich viele Werturteile, zum Beispiel in der Form wertender Adjektive („schlimm“, „ruinös“, „verlogen“ etc.) oder reißerische Überschriften, die die Emotionen des Publikums wecken sollen, ist das ein klares Zeichen dafür, dass es der Quelle nicht um unvoreingenommene Information über ein Thema geht. Doch auch wenn ein Text sachlich geschrieben ist, kann er trotzdem von der für wissenschaftliche Ansprüche absolut notwendigen Objektivität abweichen. Da Unvoreingenommenheit die Bereitschaft impliziert, auf Gegenargumente einzuge‐ 82 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="83"?> Kap.-1.5.2 hen, ist eine Argumentation zumindest einseitig, wenn gegenteilige Behauptungen ignoriert oder nur sehr schemenhaft dargestellt werden. Fällt Ihnen an der Sprache oder in der Argumentationsführung ein Abweichen von der wissenschaftlich gebotenen Objektivität auf, lohnt sich ein Vergleich mit Ihren Funden des lateral readings - nicht selten ergeben sich hier weitere Hinweise darauf, wie die Einstellungen der Seitenbetreibenden und der Autor: innen mit dem Inhalt der Quelle in Verbindung stehen. Eine Analyse, welche pro- und contra-Argumente von der Quelle angeführt werden, ist besonders bei kontroversen Themen gefragt und nicht immer notwendig - falls es sich bei der Quelle etwa um die Erklärung eines mathematischen Beweises oder eines biochemischen Vorgangs handelt, ist das Miteinbeziehen von Gegenargumenten in der Regel überflüssig, weshalb ihr Fehlen die Quelle nicht subjektiv-wertend macht. An dieser Stelle merken Sie, dass Wissen über das Internet und seine verschiedenen Arten von Websites sowie Ihr thematisches Vorwissen gefragt sind, um die Glaubwürdigkeit von Inhalten besser einschätzen zu können. Die Nachprüfbarkeit einer Quelle wiederum lässt sich mit weniger Zeitaufwand testen. Nachprüfbarkeit heißt, dass eine Quelle es anderen ermöglicht, die Herkunft ihrer Belege nachzurecherchieren. Eine Quelle, in der einfach nur Behauptungen auf‐ stellt werden, ohne dass diese untermauert werden, ist unwissenschaftlich. Darum gilt es, bei ihrem Fund darauf zu achten, ob dieser selbst Quellen angibt. Das können Ver‐ weise auf wissenschaftliche Literatur am Ende der Quelle oder Hyperlinks auf andere Seiten sein. Doch Vorsicht: Laut einer Studie von Green, Silva und Walker geben sich die meisten Studierenden damit zufrieden, dass Internetquellen überhaupt auf andere Quellen verweisen und brechen die Analyse der Nachprüfbarkeit an dieser Stelle ab (Green, Silva und Walker 2018: 37). Aber dass Quellen angegeben sind, heißt noch lange nicht, dass erstens diese Quellen ihrerseits wissenschaftliche oder zumindest glaub‐ würdige Quellen sind, zweitens die Quellen im Text richtig dargestellt werden oder drittens die Quellen die Argumentation Ihres Fundes wirklich unterstützen. Falls Ihre Quelle Hyperlinks angibt, sollten Sie sich die Zeit nehmen und zumindest die Seiten überfliegen, auf die Sie verlinkt werden. Falls Ihre Quelle Literatur angibt, schauen Sie sich die Titel an, um zu überprüfen, ob sich die Quellen seriös anhören. Bei der Analyse der Passgenauigkeit zwischen den Quellen und Belegen und der Argumentationsführung des Textes sind wir schon bei der Validität angekommen. Validität im Sinne der Logik meint die Gültigkeit der Argumentation/ Erkenntnisse. Ohne eine logisch plausible Verbindung von Behauptungen und Begründungen ist die gesamte Argumentation anzuzweifeln. Sehen Sie sich daher genau an, ob der Beleg tatsächlich die Aussage Ihrer Quelle unterstützt - vielleicht wird nur ein Bruch‐ stück aus ihr entnommen, während andere wichtige Aussagen ohne Beleg bleiben. Falls Ihre Quelle nicht auf wissenschaftliche Literatur verweist, können Sie die Validität auch anders überprüfen: nämlich, indem Sie Behauptungen und Begründungen gegenüber‐ stellen. Geht ihre Quelle hierbei methodisch vor (z. B. in Form einer selbst erhobenen Umfrage, einer selbst getätigten Forschungsleistung oder mit anderen Methoden der 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 83 <?page no="84"?> Wissenschaft)? Folgen die Behauptungen der Quelle logisch aufeinander und passen die Begründungen wirklich zu den Behauptungen oder gibt es hier logische Brüche? Wenn Sie diese Schritte erledigt haben, haben Sie einen sehr genauen Einblick in die Aussagen der Quelle und ihr Verhältnis zu wissenschaftlichen Ansprüchen gewonnen. Für diese aufwändigen, sich auf den Inhalt einer Quelle beziehenden Schritte benötigen Sie im Verhältnis zum ersten und zum letzten Schritt mehr Zeit, vor allem, wenn Sie sich erst neu in ein Thema einarbeiten müssen. Mit fortschreitendem Wissen über Ihr Thema werden Sie jedoch feststellen, dass Sie weniger und weniger Zeit benötigen, um die Argumentation Ihrer Quellen zu beurteilen. Generell gilt, dass Sie Ihre Quelle je genauer analysieren sollten, desto unsicherer Sie in den ersten beiden Schritten der Quellenbeurteilung darüber geworden sind, ob die Quelle glaubwürdig ist. Falls sich in den ersten beiden Schritten ergeben hat, dass die Quelle von Wissenschaftler: innen für Wissenschaftler: innen zum Beispiel auf der Seite eines Forschungsinstituts veröf‐ fentlicht wurde, lohnen sich die in diesem Unterkapitel angegebenen Schritte zwar trotzdem, um den Inhalt der Quelle genau nachvollziehen zu können, dienen aber nicht mehr hauptsächlich dazu, die Glaubwürdigkeit der Quelle einzuschätzen. 4. Dimension: Form der Quelle: Als letztes, da von vielen Studierenden überschätztes Kriterium ist die optische Gestaltung der Website zu nennen. Während eine ansprechende, funktionale und professionell aussehende Oberfläche allein nicht ausreicht, um von ihrer Glaubwür‐ digkeit überzeugt zu sein, ist ein deutlich unprofessionelles Äußeres ein Beweggrund, diese anzuzweifeln. Blinkende Grafiken, häufige Rechtschreibfehler, Unübersicht‐ lichkeit, aggressive Pop-Ups - all diese Dinge wirken wenig vertrauenswürdig und lassen die Frage aufkommen, ob es sich bei der Quelle wirklich um eine seriöse Seite handelt oder ob hier jemand einfach nur unsere Klicks (oder unser Geld) sammeln möchte bzw. Amateur: innen am Werk sind, die weder über technisches Know-how oder Fachwissen besitzen. Allerdings ist die Form einer Quelle nur sekundär in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit aussagekräftig - es gibt eine Vielzahl unglaub‐ würdiger Quellen mit hübschem Äußeren und ebenso Unmengen wissenschaftlicher Seiten (inklusive vieler Websites von Universitäten), welche ein eher merkwürdiges Design besitzen. Daher sollten Sie diese Dimension zuletzt analysieren und nicht überschätzen. Nach der Beurteilung - Internetquellen und der Schreibprozess Eingangs wurde erwähnt, dass nur durch das Verwenden mehrerer Kriterien ein ausgewogenes Urteil über die Glaubwürdigkeit einer Quelle zustande kommt. Die größten Fehler, die Sie begehen können, sind also, Ihren Quellen ohne Prüfung zu vertrauen oder bei dieser Prüfung nur ein Kriterium anzuwenden. Um Zeit und Konzentration zu sparen, lohnt es sich, vor allem die Quellen zu analysieren, in Bezug auf deren Glaubwürdigkeit Sie sich nach einem Schnelldurchlauf durch alle Kriterien 84 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="85"?> Kap.-1.3.3 Kap.-1.5.2 unsicher sind - falls Ihnen beispielsweise Seiten von Ihren Betreuenden empfohlen wurden, welche wissenschaftlich belastbar und als Quellen im Rahmen wissenschaft‐ licher Schreibprojekte oder in Präsentationen referenzierbar sind, wäre die genaue Beurteilung dieser Quelle nach dem oben erläuterten Verfahren überflüssig, wenn auch sicherlich hilfreich, um Merkmale für die Glaubwürdigkeit einer Quelle identifizieren zu können. Des Weiteren ist eine genaue Analyse einer Quelle unnütz, falls sich schnell ein Ausschlusskriterium hervortut, wie etwa das Logo einer unseriösen Organisation oder fehlendes Fachwissen der Autor: innen. Jenseits dieser klaren Fälle, die Sie im Laufe des Studiums und durch Austausch mit Ihren Betreuenden und Kommiliton: innen schneller zu erkennen lernen, gibt es eine viel größere Zahl von Quellen, die sich nicht auf einen Blick bewerten lassen. Abschließend stellt sich noch eine Frage: Was geschieht nach der Beurteilung einer Quelle auf diese Weise? Wie einige Beiträge von Bildungswissenschaftler: innen hervorheben, kann auch eine genaue Prüfung der Glaubwürdigkeit mit einer Checkliste scheitern, wenn die Quelle isoliert betrachtet wird (Metzger 2007: 2083; Breakstone u. a. 2018: 28-29; Caul‐ field 19.12.2016). Nur durch ein Netz an Informationen und eine Vielzahl anderer Quel‐ len - darunter zuallererst wissenschaftliche über einen Verlag publizierte Texte - kön‐ nen professionell präsentierte, scheinbar nachprüfbare und logisch untermauerte Falschaussagen entlarvt werden. Im Schreibprozess sollten Internetquellen zusätzlich zu einer ausreichenden Basis wissenschaftlicher Literatur hinzugezogen werden, sie stellen keinen Ersatz dar. Sobald Sie vielversprechende Quellen gefunden und für glaubwürdig befunden haben, können und sollten Sie planen, welche Rolle diese Quel‐ len in Ihrem Text und besonders Ihrer Argumentation spielen können. Checkliste zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Internetquellen Autor: innenschaft und Autorität 1. Autor: in überprüfen durch lateral reading: □ Namentlich genannt? (falls nicht: zu Punkt 2 springen) □ Wer ist die Person? Besitzt sie Fachwissen über das Thema? Kontextprüfung: Website, Ziel und Publikum 2. Website überprüfen (beginnend mit lateral reading) □ Um was für eine Website handelt es sich genau? Welchem Zweck dient sie? □ Wer betreibt die Seite? □ Gibt es eine Verbindung zwischen den Interessen der Betreibenden und dem Thema der Quelle? 3. Quelle überprüfen □ Welches Genre liegt hier vor? (Video, Blogpost, Nachrichtenartikel, …) □ An welche Personen richtet sich die Quelle? 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 85 <?page no="86"?> □ Welches Ziel verfolgt die Quelle? (sachliche Information, Vertreten einer Meinung, Werbung, …) Argumentation und Objektivität 4. Objektivität □ Ist die Sprache der Quelle sachlich oder emotional-wertend? □ Ist die Argumentation objektiv und unvoreingenommen? 5. Nachprüfbarkeit □ Werden Quellen angegeben (Links + Literaturverzeichnis prüfen)? Wenn ja, welche? 6. Validität □ Unterstützten die Belege und Quellen die Behauptungen der Seite tat‐ sächlich? □ Gibt es logische Brüche? Form der Quelle 7. Ist die Quelle professionell gestaltet? □ Technische Funktionalität □ Optik □ Sprachliche Korrektheit Literatur B R E A K S T O N E , Joel / M C G R E W , Sarah / O R T E G A , Teresa / S M I T H , Mark / W I N E B U R G , Sam (2018): „Why We Need a New Approach to Teaching Digital Literacy”. In: The Phi Delta Kappan 99 (6): 27-32. G R E E N , Jessica / S I L V A , Elise / W A L K E R , Cole (2018): „Source Evaluation Behaviours of First-Year University Students. In: Journal of Information Literacy 12 (2), S.-24-43. Verfügbar unter: htt ps: / / dx.doi.org/ 10.11645/ 12.2.2512. H O N G , Jung Eun / J O , Injeong (2017): „Undergraduate Students’ Use of Online Information in World Geography: Source Types and Selection Criteria”. In: Review of International Geographical Education Online 7 (2), 171-189. Verfügbar unter https: / / dx.doi.org/ 10.1016/ j.ac alib.2016.04.001. L E E D E R , Chris / S H A H , Chirag (2016): „Practicing Critical Evaluation of Online Sources Improves Student Search Behaviour” In: The Journal of Academic Librarianship 42, 459-468. M E T Z G E R , Miriam J. (2007). „Making Sense of Credibility on the Web: Models for Evaluating Online Information and Recommendations for Future Research”. In: Journal of the American Society for Information Science and Technology, 58 (13), S.-2078-2090. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.1002/ asi.20672. 86 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="87"?> Internetquellen B A R T S C H , Matthias / B R A U C K , Markus / H ÜL S E N , Isabell / M ÜL L E R , Martin U. (2009): „Wilhelm und der Grubenhund“. In: Der Spiegel 8/ 2009, 15.02. [online]. Verfügbar unter: https: / / www .spiegel.de/ politik/ wilhelm-und-der-grubenhund-a-8c1d4d6d-0002-0001-0000-000064197225 (Zugriff am 27.06.2021). C A U L F I E L D , Mike (2016): „Yes, Digital Literacy. But Which One? ” Verfügbar unter: https: / / hapgo od.us/ 2016/ 12/ 19/ yes-digital-literacy-but-which-one/ (Zugriff am 27.06.2021). D I E K M A N N , Florian (2015): „Streifen am Himmel - sehr verdächtig“. In: Der Spiegel online, 13.01. Verfügbar unter: https: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ verschwoerungstheorien-chemtrails-od er-seltsame-zeichen-am-himmel-a-1011664.html (Zugriff am 27.06.2021). H O F F M A N N , Bianka (2020): „Bodo Schiffmann: Der Arzt, dem die Corona-Rebellen vertrauen“. 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Warum finden Sie in einem Schreibratgeber ein Kapitel zu diesem Thema? Weil Programme wie Zotero, Citavi, Endnote und JabRef Ihnen nervige Arbeit abnehmen und das Schreiben erleichtern. Egal, ob Sie Linux oder Windows verwenden oder auf Ihren Mac schwören; ob Sie Ihre Texte mit LaTeX, Word oder LibreOffice schreiben und ob Sie lieber Open-Source-Software oder kommerzielle Programme verwenden: Es gibt für Sie ein passendes Literaturverwaltungsprogramm. In diesem Kapitel möchte ich Ihnen keinen Marktüberblick liefern, denn das haben Andere wesentlich besser und aus‐ führlicher gemacht, als es in diesem Rahmen möglich wäre: Sowohl die Universitäts‐ bibliothek der TU München als auch die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden vergleichen regelmäßig Literaturverwaltungsprogramme und bieten aktuelle Übersichten, welches Programm welche Anforderungen besonders gut erfüllt. Hier möchte ich Ihnen stattdessen vermitteln, was Literaturverwaltungsprogramme grund‐ sätzlich tun, wie sie Ihnen beim Schreiben helfen können - und warum es definitiv keine gute Idee ist, auf ein Literaturverwaltungsprogramm zu verzichten. Zunächst einmal hilft ein solches Programm Ihnen, den Überblick über gelesene und noch zu lesende Publikationen zu behalten. Schon während der Recherche‐ phase sorgt es dafür, dass Sie relevante Texte nicht wieder aus den Augen verlieren. Auch hilft es Ihnen, früher einmal gelesene bzw. bearbeitete Texte schnell wiederzu‐ finden, wenn Sie diese in einem anderen Kontext erneut benötigen. Im Laufe einer wissenschaftlichen Karriere (und oft auch schon im Rahmen eines einzelnen Schreib‐ projektes) sammeln sich schnell so viele Texte, dass Sie ohne Literaturverwaltungs‐ programm unweigerlich die Übersicht verlieren. Beim Schreiben dient ein Literaturverwaltungsprogramm dazu, den Überblick über die zitierten Publikationen zu behalten. Es erstellt automatisch ein einheitlich und professionell formatiertes Literaturverzeichnis, in dem nur die tatsächlich verwendeten Quellen genannt werden. Mit wenigen Klicks können Sie das Aussehen Ihres Literaturverzeichnisses ändern - etwa, wenn ein Manuskript bei einer Zeitschrift abgelehnt wurde und Sie es nun bei einer anderen Zeitschrift mit anderen Zitiervor‐ gaben einreichen möchten. Schließlich unterstützen Literaturverwaltungsprogramme - wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße - den Schreibprozess selbst. So können Sie beispielsweise Literaturangaben nach der Gliederung Ihrer Arbeit sortieren, Querverweise zwischen den Literaturangaben ergänzen und Aufgaben zu den eingetragenen Texten erstellen. Teilweise haben Sie die Möglichkeit, Zitate und eigene Gedanken zu den Texten zu notieren, die Sie später in Ihren eigenen Text übernehmen können. Diese Aspekte werde ich im Folgenden ausführen. Abschließend gehe ich noch kurz auf die Zusam‐ 88 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="89"?> Kap.-1.2.1 menarbeit mit anderen Wissenschaftler: innen ein, denn wenn Sie gemeinsam an einem Text arbeiten, stellen sich für den Einsatz eines Literaturverwaltungsprogramm noch einmal neue Fragen. Sollten Sie ein Literaturverwaltungsprogramm nur für sich allein benötigen, können Sie diesen Abschnitt getrost überspringen. Literatur(angaben) sammeln Das Literaturverzeichnis eines interessanten Artikels, ein Ordner mit PDF-Dateien von einer Kollegin, Textempfehlungen aus einer Lehrveranstaltung oder die ersten Rechercheergebnisse für das Thema Ihrer Doktorarbeit: Schnell sammeln sich viele Literaturangaben an, die Sie später vielleicht noch brauchen. Dafür können Sie sie in einem Literaturverwaltungsprogramm speichern - auf verschiedenen Wegen, die ich im Folgenden vorstellen werde. Im Detail unterscheiden sie sich natürlich zwischen den verschiedenen Programmen. Wenn Sie über Ihr Institut oder über Ihre Bibliothek Zugriff auf Artikel haben, die hinter einer Bezahlschranke liegen oder Sie lizenzpflichtige Datenbanken nut‐ zen, ergibt es Sinn, sich auch für die Arbeit mit dem Literaturverwaltungsprogramm dort einzuloggen. Sonst können Sie nicht auf die Texte (und die Literaturangaben aus den Datenbanken) zugreifen. Möglicherweise bietet Ihre Einrichtung auch eine Ein‐ stellungsdatei oder Konfigurationshinweise für bestimmte Literaturverwaltungs‐ programme oder eigens angepasste Zitationsstile (dazu weiter unten mehr). Literaturangaben aufnehmen Der erste Schritt ist, die Literaturangaben in Ihr Literaturverwaltungsprogramm aufzunehmen. Dort werden sie auf verschiedene Felder (Autor: in, Erscheinungsjahr, Titel …) aufgeteilt gespeichert. An dieser Stelle müssen Sie sich noch keine Gedanken darum machen, wie die Literaturangaben später in Ihrem eigenen Text aussehen sollen. Hier geht es erst einmal darum, bibliografische Angaben (= Literaturangaben) und die dazugehörigen Dateien in strukturierter Form zu erfassen. Wichtig ist aber: Informa‐ tionen, die Sie nicht ins Literaturverwaltungsprogramm aufnehmen, können später auch nicht in Ihr Literaturverzeichnis übernommen werden. Tragen Sie daher bitte erst einmal möglichst alle Informationen ein. Das Literaturverwaltungsprogramm kann sie dann später für das Literaturverzeichnis ignorieren (z. B. den Verlag) oder kürzen (wie die Vornamen der Autor: innen). Der einfachste Weg für einzelne Literaturangaben ist der Import anhand einer ID wie dem Digital Object Identifier (DOI), der International Standard Book Number (ISBN), der arXiv ID oder PubMed-ID. Dieser funktioniert meist per Klick über ein Browser-AddOn, das mit der Literaturverwaltung gemeinsam installiert wird und solche Standardnummern erkennt. Manchmal werden dabei Angaben übernommen, die in Ihrer eigenen Datenquelle (z. B. Amazon-Website, Literaturliste …) nicht vorhanden sind. Das rührt daher, dass das Literaturverwaltungsprogramm für seine Suche voreingestellte Quellen, wie einen 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 89 <?page no="90"?> Kap.-1.2.1 Kap. 2.3.5 Bibliothekskatalog oder eine Literaturdatenbank, nutzt. Wird dort eine Publikation mit der entsprechenden ID gefunden, werden die Metadaten dazu aus dieser Quelle übernommen. Sollten Sie feststellen, dass automatisch übernommene Quellenangaben eine schlechte Qualität haben oder dass viele Literaturangaben nicht gefunden werden, sollten Sie die Such-Voreinstellungen im Literaturverwaltungsprogramm wechseln. In einigen Programmen ist der Import ganzer Listen anhand von IDs möglich. Das ist praktisch, wenn Sie beispielsweise das komplette Literaturverzeichnis eines Textes in Ihr Literaturverwaltungsprogramm aufnehmen möchten. Wer viel mit Zeitschriftenartikeln arbeitet, wird häufig Literaturangaben aus Datenbanken importieren müssen: Die meisten Literaturdatenbanken bieten die Möglichkeit, Treffer(listen) in ein Literaturverwaltungsprogramm zu exportieren. Die entsprechende Funktion heißt in den Datenbanken meist „Exportieren“ (und nicht „Zitieren“ - damit bekommen Sie eine fertig formatierte Literaturangabe in einem vorgegebenen Zitationsstil angezeigt). Eventuell müssen Sie die zu exportierenden Treffer in der Datenbank zuerst in einer Merkliste bzw. einem Suchordner speichern. Wählen Sie das passende Exportformat - meist RIS oder BibTeX - und öffnen Sie die Datei mit dem Literaturverwaltungsprogramm. Bei dieser Variante werden die Literaturangaben aus der jeweiligen Datenbank übernommen, unabhängig davon, ob Sie in Ihrem Literaturverwaltungsprogramm ir‐ gendwelche Festlegungen für die Recherche getroffen haben. Oft werden Abstracts und Schlagwörter mit importiert. Wenn Sie eine Review schreiben, ist der Import der Li‐ teraturangaben aus Datenbanken die beste Möglichkeit, den Überblick über die ver‐ schiedenen Datenquellen zu behalten und Dubletten (doppelte Einträge) systematisch zu markieren. Die Literaturrecherche aus dem Literaturverwaltungsprogramm heraus ist nicht in allen Programmen möglich. Sie ist komfortabel, weil Sie für die Recherche die Oberfläche nicht wechseln müssen, und sie ist für die Suche in Bibliothekskatalogen gut geeignet, etwa um eine unvollständige Literaturangabe schnell zu ergänzen. Für Datenbanken ist der oben genannte Import besser geeignet, denn die Such- und Filter‐ möglichkeiten in den Datenbanken sind denen in Literaturverwaltungsprogrammen überlegen (z. B. Verwendung einer Klassifikation, Erweiterung der Suchbegriffe, Filtern nach Artikeln mit Peer Review). Sehr praktisch ist der Import der bibliografischen Angaben aus PDF-Doku‐ menten: Wenn Sie eine Datei mit dem Literaturverwaltungsprogramm verknüpfen, kann dieses entweder aus den Metadaten des Dokumentes (also den in den Dokumen‐ teigenschaften vorhandenen Infos zu Autor: in, Dokumenttitel etc.) oder aus im Text selbst vorhandenen IDs (z.-B. DOI) eine Literaturangabe generieren. Dies ist hilfreich, wenn Sie schon eine Weile ohne Literaturverwaltungsprogramm gearbeitet haben und Ihre bisher verwendeten Texte schnell importieren möchten. In einigen Programmen können Sie einen Ordner festlegen, dessen neu hinzukommende Dateien automatisch mit ihren bibliografischen Angaben in der Literaturverwaltung ergänzt werden. 90 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="91"?> Kap.-1.2.1 Nur in seltenen Fällen - etwa wenn Sie mit historischen Dokumenten arbeiten - werden Sie eine Literaturangabe manuell ins Literaturverwaltungsprogramm aufnehmen müssen. Literaturangaben und Texte verknüpfen Ein Literaturverwaltungsprogramm soll Ihnen helfen, den Überblick zu wahren. Dazu ist es hilfreich, dass Sie die gesammelten Literaturangaben gleich mit den dazugehöri‐ gen Texten verknüpfen können. Am besten machen Sie dies direkt beim Eintragen neuer Literaturangaben: Viele Programme laden beim Import der Literaturangabe den Text gleich automatisch mit herunter; auch beim Import von PDF-Dateien von Ihrem Computer wird die Verknüpfung automatisch angelegt. Sind Literaturangabe und Datei schon auf Ihrem Computer vorhanden, können Sie den Hinweis auf den Dateispeicherort in der Literaturverwaltung ergänzen. Einige Programme bieten zudem die Möglichkeit, physische Standorte (z. B. das eigene Bücherregal) einzutragen und automatisch nach der Signatur eines Buchs in Ihrer Bibliothek zu suchen. Falls Sie eine neue Literaturangabe manuell hinzufügen, können Sie viele Literatur‐ verwaltungsprogramme nachträglich nach dem Text suchen lassen. Dafür sollten Sie sich über Ihre Institution anmelden, weil Sie nur so auf lizenzpflichtige Texte zu‐ greifen können. Die meisten Programme benennen die Dateien beim Import gleich sinnvoll um (Rumpf_2023_Literaturverwaltung.pdf statt 1973547z.pdf). Wissensmanagement Um die aufgenommenen Texte schnell wiederzufinden, können Sie in den meisten Literaturverwaltungsprogrammen die Texte der verknüpften PDF-Dateien lesen und durchsuchen. Zudem können Sie Schlagwörter zur Beschreibung der gelesenen Texte selbst vergeben bzw. in einigen Programmen auch aus Bibliothekskatalogen übernehmen. Mithilfe von Ordnern, Kategorien oder Gruppen können Sie in vielen Literaturverwaltungsprogrammen die Literaturangaben sortieren. Einige Literaturverwaltungsprogramme unterstützen Sie beim Konzipieren und Schreiben Ihres Textes, indem Sie dort (Bild-)Zitate, Zusammenfassungen und Kommentare zu den Publikationen erfassen und diese später mit den dazugehörigen Literaturangaben in Ihren eigenen Text einfügen können. Das ist vor allem praktisch, wenn Sie zu den vielen Personen mit „Angst vor dem leeren Blatt“ gehören: Es kostet oft große Überwindung, einen eigenen Text zu begin‐ nen. Beim Lesen wichtige Zitate zu sammeln und eigene Gedanken dazu zu notieren, fällt oft leichter (und geht gut in kürzeren Abschnitten). Zwingen Sie sich dazu, zu jedem dieser Wissenselemente eine sinnvolle Kernaussage aufzuschreiben, denn auch das führt automatisch dazu, dass Sie sich mit dem Gelesenen auseinandersetzen. Je nach Programm können Sie auch Querverweise zwischen den Literaturangaben ergänzen und Aufgaben zu den eingetragenen Texten erstellen - und sich so in der 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 91 <?page no="92"?> 34 Beispielautorin 2021, S. 14. Die Fußnoten können auf jeder Seite oder aber gesammelt am Ende des Textes stehen („Endnoten“). Kap.-1.3.2 Arbeit mit Zitaten Schritt für Schritt von den gelesenen Texten lösen: Während Sie zunächst noch von den Literaturangaben ausgehen - zu jedem gelesenen Text schrei‐ ben Sie auf, was Ihnen wichtig erscheint -, lösen Sie sich im nächsten Schritt davon und sortieren diese Informationen so, wie sie am besten in Ihren Text passen. In Citavi können Sie beispielsweise mithilfe von Kategorien Ihre Gliederung erstellen (oder diese aus einem Mindmapping-Programm übernehmen). Abb. 1.2.9: Zitatsammlung in Citavi mit Kategorien und Zwischenüberschriften. Anschließend können Sie das Ganze in Ihre Textverarbeitung exportieren. Dabei erstellt Citavi aus den Kategorien Überschriften mit den entsprechenden Formatvor‐ lagen, fügt in den jeweiligen Kapiteln die zugeordneten Zitate, Gedanken etc. ein und erstellt automatisch ein Literaturverzeichnis mit den bislang zitierten Quellen. Literaturangaben in den Text einfügen: Zitiermethoden und Zitationsstile Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Literaturangabe in einen Text einzufügen: mit Laufnummern [1], mit aus Autorenname und Erscheinungsjahr zusammengesetzten Kurzbelegen [Mey05], mit Fußnoten 34 oder mit Klammern im Fließtext (Beispielautor 92 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="93"?> Kap.-1.2.5 2020, S. 12). Die Klammern-im-Text-Zitierweise ist auch als „Harvard-Zitierweise“ bekannt. In den meisten Wissenschaftsdisziplinen gibt es eine Zitiermethode, die sich durchgesetzt hat - in den meisten MINT-Fächern ist dies die Zitierweise mit Laufnummern. Wenn Sie Literaturangaben aus einem Literaturverwaltungsprogramm in Ihre Textverarbeitung einfügen, sollten Sie sich am besten vorher überlegen, welche Zitiermethode Sie verwenden möchten. Innerhalb der jeweiligen Zitiermethode gibt es immer noch sehr viele verschiedene Möglichkeiten, die Literaturangaben zu formatieren. Dafür wählen Sie im Literatur‐ verwaltungsprogramm einen Zitationsstil aus, der festlegt wie die einzelnen Elemente der Literaturangabe formatiert werden: Wird der Autor: innenvorname abgekürzt oder ausgeschrieben? Welches Trennzeichen steht zwischen den Namen? Wird bei vielen Personen mit et al. abgekürzt oder werden alle genannt? Wird der Zeitschriftentitel fett oder kursiv gedruckt? Wird er abgekürzt, was in vielen MINT-Fächern üblich ist, oder ausgeschrieben? Es ergibt Sinn, einen Zitationsstil zu verwenden, der zur Sprache des Textes passt - so steht in den Literaturangaben p. für pages oder S. für die Seitenzahlen und Sammelbände haben je nach Sprache eine: n Herausgeber: in Hrsg. oder eine: n Editor Ed.. Oft wird der Zitationsstil von der jeweiligen Zeitschrift oder Ihrem: r Dozent: in vorgegeben. Theoretisch ist es auch möglich, einen Zitationsstil selbst zu erstellen, aber das ist mit sehr viel Arbeit verbunden, die sich in Anbetracht vieler Tausend schon vorhandener Zitationsstile nur in Ausnahmefällen lohnt. Dokumenttypen Neben dem Zitationsstil gibt es noch eine weitere Komponente, die steuert, wie Ihre Literaturangabe aussieht: den Dokumenttyp. Bestimmte Angaben, die Sie dafür beispielsweise bei Zeitschriftenartikeln benötigen, werden bei Büchern nicht gebraucht und andersherum. Bei einem Zeitschriftenartikel gehört beispielsweise die Information, in welcher Zeitschrift er erschienen ist, zur Literaturangabe. Ebenso werden üblicherweise Jahr‐ gang, Heft und Seitenzahl genannt. Preprints, die noch nicht in einer Zeitschrift erschienen sind, zitieren Sie unter Angabe des Preprint-Servers, auf dem sie liegen. Bei Büchern unterscheidet man zwischen Monografien, die komplett von einer Person bzw. Autor: innengruppe gemeinsam geschrieben wurden und Sammelbän‐ den, in denen verschiedene Beiträge zusammengefasst sind, die von unterschiedlichen Autor: innen geschrieben wurden. Der Sammelband selbst hat dann keine Autor: innen, sondern Herausgeber: innen. Bei Working Papers wird neben den Autor: innen und dem Titel auch noch die Reihe („Arbeitspapiere des Instituts für XY“) genannt. Wieder andere Dokumente, etwa Normen und technische Berichte, haben keine Personen als Herausgeber: innen, sondern Institutionen - und so unterscheiden sich die Informationen, die für das Literaturverzeichnis gebraucht werden, zwischen den Dokumenttypen. Für ein schön formatiertes Literaturverzeichnis ist es deshalb wichtig, 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 93 <?page no="94"?> im Literaturverwaltungsprogramm den passenden Dokumenttyp auszuwählen. Falls Sie sich vertan haben, können Sie ihn auch nachträglich noch ändern. Beispiele für verschiedene Dokumenttypen in unterschiedlichen Zitationsstilen Zeitschriftenartikel [1] H. Zhang, S. Wang, T.-H. Chen, Y. Zou, and A. E. Hassan, “An Empirical Study of Obsolete Answers on Stack Overflow,” IIEEE Trans. Software Eng., vol. 47, no. 4, pp. 850-862, 2021, doi: 10.1109/ TSE.2019.2906315. Zitationsstil: IEEE Software Zhang, H., S. Wang, T.-H. Chen, Y. Zou, and A. E. Hassan, 2021: An Empirical Study of Obsolete Answers on Stack Overflow. IIEEE Trans. Software Eng., 47, 850-862, https: / / doi.org/ 10.1109/ TSE.2019.2906315. Zitationsstil: Advance in Atmospheric Science Zhang, H., Wang, S., Chen, T.-H., Zou, Y., Hassan, A. E. (2021): An Empirical Study of Obsolete Answers on Stack Overflow. IEEE Transactions on Software Engineering, 47, 4, 850-862. Zitationsstil: Straßenverkehrstechnik [ZHA 21] Z HAN G H., W AN G S., C H E N T.-H., Z O U Y., H A S S AN A. E., “An Empirical Study of Obsolete Answers on Stack Overflow”, IEEE Transactions on Software Engineering, vol. 47 no. 4, 2021, p.-850-862. Zitationsstil: ISTE Buch (Monografie) [2] F. Padberg, A. Büchter, Elementare Zahlentheorie, 4th ed., Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, 2018. Zitationsstil: Advances in Mathematics [2] F. Padberg, A. Büchter, Elementare Zahlentheorie, 4. Aufl., Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, 2018. Zitationsstil: Angewandte Chemie (deutsch) Padberg, Friedhelm / Büchter, Andreas (2018): Elementare Zahlentheorie. Ber‐ lin / Heidelberg: Springer Spektrum. Zitationsstil: sub\urban Der passende Dokumenttyp ist unabhängig davon, ob es sich um ein gedrucktes Werk oder um eine Online-Publikation handelt: Eine Zeitschriften-Literaturangabe muss als solche erkennbar sein, egal, ob Sie den Text auf Papier oder als PDF gelesen haben. Versuchen Sie bei Online-Publikationen, den inhaltlich passenden Dokumenttyp zu finden und tragen Sie die URL ins Literaturverwaltungsprogramm ein. Über den 94 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="95"?> Zitationsstil können Sie steuern, ob und wie sie im Literaturverzeichnis angezeigt werden. Bei Sammelbänden und anderen Dokumenttypen mit mehreren Beiträgen gilt es eine Besonderheit zu beachten: Einige Literaturverwaltungsprogramme teilen solche Literaturangaben in zwei hierarchisch geordnete Einträge auf, so dass Sie bei meh‐ reren Beiträgen aus demselben Werk die für alle gleichen Angaben nur einmal eingeben müssen. Haben die einzelnen Beiträge eigene DOIs, funktioniert der automatische Import über diese am besten, weil dann gleich die Informationen zum übergeordneten Werk mit importiert werden. Abb. 1.2.10: Beiträge in einem Sammelwerk (Citavi). Wie viele Dokumenttypen zur Auswahl angeboten werden, unterscheidet sich zwi‐ schen den Literaturverwaltungsprogrammen. Als Entscheidungskriterium für ein Programm ist dies nur dann relevant, wenn Sie mit ungewöhnlichen Dokumenttypen arbeiten, denn die gängigsten wissenschaftlichen Dokumenttypen sind in allen Litera‐ turverwaltungsprogrammen enthalten. Literaturverwaltung und Textverarbeitung Egal, ob Sie Ihre Arbeiten mit LaTeX, mit Word, mit LibreOffice oder mit einem anderen Programm schreiben: Wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwen‐ den, arbeitet dieses mit dem Textsatz- oder -verarbeitungsprogramm zusammen und erfüllt dort zwei Funktionen: Erstens fügt es Literaturangaben im Text (bzw. als Fußnote) in der voreingestellten Formatierung ein. Zweitens generiert es aus den Referenzen im Text ein Literaturverzeichnis. So können Sie sichergehen, dass im Literaturverzeichnis nur die Publikationen aufgezählt werden, die Sie in Ihrem Text tat‐ 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 95 <?page no="96"?> sächlich erwähnt haben. Gerade bei längeren wissenschaftlichen Arbeiten besteht ohne Literaturverwaltungsprogramm nämlich die Gefahr, den Überblick über die Zitationen zu verlieren und entweder im Text zitierte Literaturangaben im Literaturverzeichnis zu vergessen oder aber im Literaturverzeichnis Publikationen zu nennen, die Sie im Text nicht erwähnt haben. Zusammenarbeit mit Office-Programmen Je nach Programm ist die technische Integration in die Textverarbeitung unterschied‐ lich - und nicht alle Literaturverwaltungsprogramme sind mit allen Office-Suiten kompatibel. Das Grundprinzip ist aber in allen Fällen gleich: Mit dem Literaturverwal‐ tungsprogramm installieren Sie ein Plugin für Ihre Textverarbeitung und dort werden in einem kleinen Bildschirmbereich die gesammelten Literaturangaben angezeigt. Sie wählen einen Zitationsstil aus, und per Doppelklick können Sie die fertig formatierten Literaturangaben in Ihr Textdokument übernehmen. Daraus wird automatisch ein Literaturverzeichnis erstellt, das den Vorlagen des gewählten Zitationsstils entspricht. Fügen Sie weitere Literaturangaben hinzu, werden sie an der passenden Stelle im Literaturverzeichnis ergänzt. Die Zitationen und das Literaturverzeichnis werden in der Textverarbeitung in Feldern hinterlegt, die üblicherweise grau hinterlegt sind. Informationen, die in solchen Feldern stehen, bezieht das Textverarbeitungsprogramm aus der Literatur‐ verwaltung und sie werden automatisch aktualisiert, wenn in der Quelle (dem Literaturverwaltungsprogramm) etwas verändert wird. Tipp: Nach dem gleichen Prinzip funktionieren übrigens Inhaltsverzeichnisse, die automatisch aus Überschriften erstellt werden. Falls Sie sich noch nicht mit Formatvorlagen auseinandergesetzt haben, sollten Sie das vor einer längeren wissenschaftlichen Arbeit dringend tun, denn sie sparen Ihnen ähnlich wie Literaturverwaltungsprogramme viel Zeit. Deshalb sollten Sie auf keinen Fall in einer einmal eingefügten Literaturangabe irgendetwas manuell ändern oder ergänzen: Bei der nächsten automatischen Aktua‐ lisierung wird Ihre Änderung sonst wieder rückgängig gemacht. Falls sich in in eine Literaturangabe ein Fehler eingeschlichen hat, korrigieren Sie diesen bitte im Literaturverwaltungsprogramm. Auch Seitenzahlen sollten Sie bitte nicht manuell in die Felder hineinschreiben, sondern so ergänzen, wie das jeweilige Literaturverwaltungsprogramm es vorsieht - nur dann werden die Seitenzahlen dauerhaft gespeichert. Auch abweichende Forma‐ tierungen, die manchmal notwendig sind, sollten Sie über das Literaturverwaltungs‐ programm einfügen. 96 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="97"?> s.narr.digit al/ lfejk s.narr.digit al/ ns016 Abb. 1.2.11: Formatierungsoptionen für eine Literaturangabe. Und vergessen Sie bitte nicht: Der Zitationsstil steuert, wie die Seitenzahlen aussehen! Wenn Sie beispielsweise möchten, dass Seitenzahlen in Ihrem Text mit pp. 14-17 angegeben werden, wählen Sie einen englischsprachigen Zitationsstil aus, der pp. vor der Zahl ergänzt und schreiben Sie die Buchstaben keinesfalls selbst in die Literaturangabe hinein. Zusammenarbeit mit LaTeX Wenn Sie Ihren Text mit LaTeX verfassen, brauchen Sie dort ein Literaturverwal‐ tungspaket, um Literaturverweise und ein Literaturverzeichnis einzufügen zu kön‐ nen, und zwar unabhängig davon, ob Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwen‐ den. Das anwender: innenfreundlichste Paket ist BibLaTeX in Kombination mit dem Bibliografie-Prozessor biber; alternativ gibt es auch noch BibTeX und natbib. Eine sehr 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 97 <?page no="98"?> s.narr.digit al/ kaf4s verständliche Einführung in die Literaturverwaltung mit LaTeX und eine ausführliche Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile von BibTeX/ natbib und biber/ BibLaTex bietet die Universitätsbibliothek der TU München. Auch, wenn Sie Ihre Texte mit LaTeX schreiben, ist der Einsatz eines Literatur‐ verwaltungsprogramms sinnvoll - vor allem, um den Überblick zu bewahren. Das Zusammenspiel zwischen den Programmen ist aber in zweierlei Hinsicht anders als bei Word & Co.: Erstens werden die Literaturangaben in TeX-Dokumenten nicht bereits während des Schreibens, sondern erst bei der abschließen Formatierung fertiggestellt. Beim Schrei‐ ben können Sie mit dem Kommando \cite Verweise, sogenannte BibTeX-Keys, einfügen. Literaturverwaltungsprogramme fügen bei Doppelklick auf die jeweilige Literaturangabe das \cite ein und generieren die BibTeX-Keys automatisch. Alle verwendeten Literaturangaben werden mit ihrem BibTeX-Key in einer separaten *.bib-Datei gespeichert; das Literaturverzeichnis wird erst bei der Formatierung aus den BibTeX-Keys generiert. Für die Aktualisierung der BibTeX-Keys gibt es unterschiedliche Ansätze je nach Kombination aus Literaturverwaltungsprogramm und TeX-Editor. Lassen Sie sich bitte von der Terminologie nicht verwirren: Sowohl BibLaTeX als auch BibTeX verwenden *.bib-Dateien; deren Inhalte unterscheiden sich aber etwas. Beispiel für eine Literaturangabe im BibLaTeX- und im BibTeX-Format. Der BibTeX-Key ist hier JimenezPena.2021 Im Dokument: \cite{JimenezPena.2021} In der *.bib-Datei: BibLaTeX @article{JimenezPena.2021, author = {Jim{\'e}nez-Pe{\~n}a, Carlos and Lavatelli, Alberto and Balcaen, Ruben and Zappa, Emanuele and Debruyne, Dimitri}, year = {2021}, title = {A Novel Contactless Bolt Preload Monitoring Method Using Digital Image Correlation}, volume = {40}, issn = {0195-9298}, journaltitle = {Journal of Nondestructive Evaluation}, shortjournal = {J Nondestruct Eval}, doi = {10.1007/ s10921-021-00784-8}, number = {2}, abstract = {} } 98 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="99"?> Kap. 1.3.6 BibTeX @article{JimenezPena.2021, author = {Jim{\'e}nez-Pe{\~n}a, Carlos and Lavatelli, Alberto and Balcaen, Ruben and Zappa, Emanuele and Debruyne, Dimitri}, year = {2021}, title = {A Novel Contactless Bolt Preload Monitoring Method Using Digital Image Correlation}, volume = {40}, number = {2}, issn = {0195-9298}, journal = {Journal of Nondestructive Evaluation}, doi = {10.1007/ s10921-021-00784-8} } Zweitens bestimmt hier - anders als bei Office-Programmen - nicht das Literaturver‐ waltungsprogramm, sondern BibLaTeX bzw. natbib den Zitationsstil und damit das genaue Aussehen der Literaturangaben. Die Angaben zum Dokumenttyp werden aus dem Literaturverwaltungsprogramm in die *.bib-Datei übernommen. Gemeinsames Arbeiten Oft arbeiten Wissenschaftler: innen nicht alleine an einem Thema, sondern mit Kol‐ leg: innen zusammen. So, wie es Sinn ergibt, sich über die eigene Arbeit auszutau‐ schen, ergibt es auch Sinn, Vorarbeiten und Literaturrecherchen miteinander zu teilen. Auch dabei können Literaturverwaltungsprogramme helfen. Allerdings unterscheiden sich hier die Möglichkeiten der verschiedenen Programme stark voneinander. Wenn Sie viel mit Anderen zusammenarbeiten, können die Möglichkeiten zum gemeinsamen Arbeiten daher entscheidend für die Wahl der passenden Software sein: Arbeiten Sie vor allem mit Personen zusammen, die die gleichen Rahmenbedingungen (Textverar‐ beitung, Betriebssystem, Softwarelizenzen) haben wie Sie? Haben Sie ein gemeinsames Netzlaufwerk oder möchten Sie komplett webbasiert arbeiten? Schreiben mehrere Per‐ sonen gleichzeitig oder arbeiten Sie asynchron? Steht das Schreiben bei der Wahl des Literaturverwaltungsprogramms im Vordergrund oder geht es Ihnen vor allem um den Aufbau einer Literaturdatenbank? Möchten Sie nur Literaturangaben und die dazuge‐ hörigen Texte mit Ihren Kolleg: innen teilen oder auch Ihre Anmerkungen zu den Tex‐ ten? Möchten Sie in der Literaturverwaltung Aufgaben anlegen können? Brauchen Sie unterschiedliche Rechte für die Beteiligten? Wie wichtig ist Ihnen eine Ansprechperson vor Ort für die Literaturverwaltung? Überlegen Sie genau, welche Anforderungen für Sie wichtig sind, und entscheiden Sie anhand der aktuellen Software-Vergleiche, wel‐ ches Programm für Ihre Zwecke am besten geeignet ist. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 99 <?page no="100"?> Fazit Wissenschaftliches Schreiben ist kein einheitliches Unterfangen: Je nach fachlichen Gepflogenheiten, persönlicher Arbeitsweise und institutionellen Rahmenbedingungen kann ein Text auf sehr unterschiedliche Weise zustande kommen. Zudem sammeln sich im Laufe eines Studiums und einer wissenschaftlichen Karriere viele gelesene Publikationen, über die den Überblick zu behalten nicht leicht ist. In jedem Fall ist es aber wichtig, dass Sie korrekt zitieren und Ihre Literaturverzeichnisse professionell formatieren. Zu beiden Zwecken empfiehlt sich der Einsatz eines Literaturverwaltungsprogram‐ mes - und hier gibt es für alle Vorlieben und Konstellationen eine passende Lösung. Zu Beginn werden Sie sicherlich etwas Zeit benötigen, um Ihr Literaturverwaltungs‐ programm kennenzulernen, aber in der Folge wird es Ihnen viel Zeit und nervige Kleinarbeit ersparen. Je früher Sie beginnen, ein Literaturverwaltungsprogramm zu verwenden, desto mehr Arbeit wird es Ihnen abnehmen (Aber: Keine Sorge, wenn Sie schon sehr lange wissenschaftlich tätig sind und zum ersten Mal von diesem Thema hören: Sie sind nicht der: die Einzige! ). Viele Institutionen bieten Einführungskurse für Literaturverwaltungsprogramme und haben Ansprechpersonen zu diesen Themen, meist in der Bibliothek - nutzen Sie diese Angebote! Hilfreiche Übersichten / Zum Weiterlesen A D A M , Michaele / A R N D T , Anna / F A B E R , Christine et al. (2021): Literaturverwaltungsprogramme im Überblick. 6. Auflage, Stand: Oktober 2021. Dresden: SLUB Dresden. Verfügbar unter: https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: bsz: 14-qucosa2-762961. T E C H N I S C H E U N I V E R S I TÄT M ÜN C H E N , U N I V E R S I TÄT S B I B L I O T H E K (Hrsg., 2022): Literaturverwaltungs‐ programme im Vergleich - 9. Aktualisierung, Stand: August 2022. Verfügbar unter: https: / / me diatum.ub.tum.de/ 1316333. T E C H N I S C H E U N I V E R S I TÄT M ÜN C H E N , U N I V E R S I TÄT S B I B L I O T H E K (Hrsg., 2018): Literaturverwaltung für LaTeX-Neulinge. Verfügbar unter: https: / / mediatum.ub.tum.de/ 1315979. 100 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="101"?> Kap. 2.3.5 1.2.5 Zitieren und Integration von Zitaten in den eigenen Text Martina Michalikova Wissenschaftliche Forschung passiert nicht im Vakuum; vielmehr bauen wir auf vorherigen Ideen, Methoden, Ergebnissen und Schlussfolgerungen auf. Wenn wir dann über unsere Forschung berichten, müssen wir dieses fremde Gedankengut klar kennzeichnen - durch Zitate mit Quellenangaben. Zum einen passiert dies, um Plagiate zu verhindern, so dass wir die Ideen anderer nicht als unsere ausgeben und zum anderen, um unseren Leser: innen die verwendeten Quellen aufzuzeigen, so dass diese bei Interesse oder zur Überprüfung näher angeschaut werden können. Somit gehört das richtige Zitieren zu den Grundbausteinen guter wissenschaftli‐ cher Praxis. Durch Zitate platzieren Sie Ihre Forschung in einen relevanten Kontext vorheriger Arbeiten und definieren klar Ihren Beitrag zum Wissensstand. Darüber hinaus unterstützen Sie mit Zitaten Ihre Argumente und verleihen ihnen mehr Auto‐ rität und Überzeugungskraft. (Penders, 2018) Und nicht zuletzt dienen Zitate auch der eigenen Absicherung, falls aus der Originalquelle unwissend falsche Behauptungen übernommen werden (z.-B. weil die Originaldaten gefälscht wurden). Richtig zitieren: Grundlagen Urheberrecht und Plagiat Das Recht, aus veröffentlichten (und somit urheberrechtlich geschützten) Werken zu zitieren, und die Pflicht, die Quelle dabei stets eindeutig anzugeben, ist nicht nur die ethische Norm guter wissenschaftlicher Praxis. Es ist auch im Urheberrechtsgesetz verankert (§ 51 Zitate und § 63 Quellenangabe) und somit rechtlich verpflichtend. Wird die Zitierpflicht mit ordentlicher Quellenangabe verletzt, so wird von einem Plagiat gesprochen. Im Rahmen der universitären Studien- und Prüfungsordnungen gilt ein Plagiat(sversuch) üblicherweise als Täuschung(sversuch) mit entsprechenden, oftmals schwerwiegenden Folgen wie der Exmatrikulation oder der Aberkennung von Titel(n). Zitierfähige und zitierwürdige Quellen Um die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von wissenschaftlichen Arbeiten zu ge‐ währleisten, gelten alle Werke, die eindeutig identifizierbar und dauerhaft öffentlich zugänglich und damit dauerhaft überprüfbar sind, als zitierfähige Quellen. Diese Kriterien erfüllen offensichtlich Publikationen wie Bücher und Artikel in Fachjourna‐ len, die bei kommerziellen Verlagen erscheinen. Darunter fallen auch Dissertationen, die heute üblicherweise online von Forschungsinstitutionen veröffentlicht und mit ei‐ nem DOI - digital object identifier - versehen werden und damit eindeutig identifi‐ zierbar sind. Möchten Sie eine „graue” Literaturquelle zitieren, die (noch) nicht (dauerhaft) öffentlich zugänglich ist, etwa einen Forschungsbericht, eine Masterarbeit oder persönliche Kommunikation, gilt es, die Quelle möglichst genau zu beschreiben, 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 101 <?page no="102"?> 35 In einigen Fächern gibt es hier bei studentischen Arbeiten Ausnahmen, bspw. kann es in der Mathematik ab und an erlaubt sein, aus Lehrbüchern zu zitieren. Sprechen Sie dies aber auf jeden Fall im Vorfeld mit Ihren Korrektor: innen ab! Kap.-1.2.3 Kap. 2.3.5 bzw. falls möglich im Anhang einzufügen und somit die Zitierfähigkeit zu gewährleis‐ ten. Neben der Zitierfähigkeit sollten Sie auch auf die Zitierwürdigkeit einer Quelle achten. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur für Onlinequellen: Generell werden Quellen als zitierwürdig anerkannt, wenn sie den wissenschaftlichen Qualitätskriterien genügen: Ist die Quelle objektiv und methodologisch korrekt? Wurde bspw. die Quelle von in dem Fachbereich renommierten Autor: innen verfasst und von renommierten Herausgeber: innen publiziert? Problematisch sind zum Beispiel Fachartikel publiziert von sog. Predatory Journals, Fachjournalen, welche die eigenen Interessen und Pro‐ fite über die Interessen der Wissenschaft und daher keinen Wert auf Publikationsqua‐ lität legen (Grundniewicz et al., 2019). Primär-, Sekundär- und Tertiärquellen In wissenschaftlichen Texten in den MINT-Fächern werden vor allem Primärquel‐ len zitiert. Darunter versteht man Originalquellen, wie zum Beispiel Forschungsarti‐ kel, in denen neue Erkenntnisse berichtet werden. Sekundärquellen, zum Beispiel Review-Artikel, beschreiben, fassen zusammen, analysieren oder interpretieren Pri‐ märquellen, wodurch ebenfalls neue Erkenntnisse generiert werden. Dagegen werden in Tertiärquellen verschiedene Primär- und Sekundärquellen zusammengefasst, ohne dass neue Erkenntnisse gewonnen werden. Beispiele von Tertiärquellen sind Lehrbücher, Nachschlagewerke oder Wikipedia. Zitieren Sie nach Möglichkeit Primärquellen. Preprints, also Manuskripte, die beispielsweise in Online-Repositorien wie ArXiv veröffentlicht wurden, aber den Peer-Review Prozess durchlaufen haben, können auch zitiert werden, müssen aller‐ dings entsprechend gekennzeichnet werden (siehe Tab. 1.2.7 und Abschnitt „Quellen‐ angabe“). Sekundärquellen wie Review-Artikel werden bzgl. der neuen Erkenntnisse zitiert, die sie enthalten. Des Weiteren sind Sekundärquellen oft geeignet, um allgemeine Aussagen zum Stand eines Forschungsfeldes zu unterstützen oder um sie Leser: innen als gute Einstiegs- und Übersichtsquellen zu empfehlen. Tertiärquellen sind zum Zitieren in wissenschaftlichen Texten nicht geeignet. 35 Umgang mit Allgemeinwissen In wissenschaftlichen Arbeiten muss darauf geachtet werden, alle verwendeten Quellen transparent aufzuzeigen und Ideen Anderer durch Zitate zu kennzeichnen. Aber was ist mit Ideen, die keiner konkreten Person oder Publikation zugeschrieben werden können oder mit Grundlagenwissen, welches allen bekannt ist? Dieses Allge‐ 102 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="103"?> meinwissen braucht keine Quellenangaben - und dazu zählen auch fachspezifische Erkenntnisse, die in einer Fachdisziplin unumstritten und allgemein bekannt sind. Obwohl die Grenzen des Allgemeinwissens nicht immer klar ersichtlich sind, können Sie grundsätzlich eine Aussage ohne Quellenangabe verwenden, falls diese in vielen Quellen ohne Zitat erwähnt wird. Beispielsweise gehört die Aussage „Genetische Information wird in der DNA kodiert.” zum Allgemeinwissen. Hierzu gibt es zwar eine konkrete Quelle, auf die diese Erkenntnis zurückgeführt werden kann, nämlich Avery et al. (1944), aber falls Sie diese Quelle nicht verwendet haben - Sie also auch über keine konkreten Details aus dieser Studie berichten - können Sie das Zitat getrost weglassen. Andererseits würde es Sinn machen, die Quelle zu zitieren, wenn Sie zum Beispiel hervorheben möchten, dass es seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt ist, dass genetische Information in der DNA kodiert wird. Zitat und Quellenangabe Ein korrektes Zitat besteht aus drei Elementen: ● Das Zitat: Eine wörtlich oder inhaltlich (sinngemäß) übernommene Textstelle. ● Der Quellenverweis: Kurzbeleg eines Zitats im Text, der direkt nach dem Zitat eingeführt wird und eindeutig auf eine Quelle im Literaturverzeichnis verweist. ● Die Referenz: Literaturangabe; Angabe der zitierten Quelle im Literaturverzeich‐ nis. Im Folgenden werden diese Elemente näher erläutert. Zitate Zitieren bedeutet, Inhalte einer Textquelle wörtlich oder inhaltlich wiederzugeben. Aber auch weitere Formate, etwa Abbildungen, können zitiert werden. In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Formen der Zitate beschrieben: direkte und indirekte Zitate, Sekundärzitate und Zitate von Abbildungen. Direktes Zitat Als direktes Zitat wird eine wörtlich übernommene Textstelle bezeichnet. Der Umgang damit unterscheidet sich dabei erheblich. In theoretischen Disziplinen ist es durchaus üblich, dass Definitionen oder aber auch Beweise mehr oder weniger wort‐ wörtlich übernommen werden (denn eine Änderung ist, zumindest bei Definitionen, in der Regel nicht sinnhaft möglich). Diese Spezialform des direkten Zitats wird auch nicht in Anführungszeichen gesetzt. Die Quelle ist dabei aber immer zwingend anzugeben. Bezüglich der Zitation von anderen Textstellen gelten aber die gleichen Regeln, die in den anderen MINT-Fächern generell gelten. Dies bedeutet zuallererst, mit direkten Zitaten sparsam umzugehen. Es werden eher kürzere Textabschnitte (einzelne Sätze oder Satzteile) direkt zitiert und zwar dann, wenn es auf den genauen Wortlaut 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 103 <?page no="104"?> 36 Anm. d. Verf. = Anmerkung der Verfasserin/ des Verfassers 37 Herv. d. Verf. = Hervorhebung der Verfasserin/ des Verfassers 38 sic = sīc erat scriptum, „so stand es geschrieben” ankommt, etwa bei spezifischen Definitionen von Fachbegriffen oder bei besonders treffenden Aussagen, die Ihren Punkt unterstützen. Ein direktes Zitat muss durch Anführungszeichen gekennzeichnet und buchstaben- und zeichengenau übernommen werden, inklusive Hervorhebungen und etwaiger Fehler. Unmittelbar nach den Anführungszeichen kommt dann der Quellenverweis (Kurzbeleg). Wird ein ganzer Satz zitiert, kommt das Satzschlusszeichen (Punkt) erst nach dem Kurzbeleg: Jeder aus einem fremden Werk übernommene Inhalt, bei dem es sich auch um einen bloßen Gedanken handeln kann, und jede wörtlich übernommene Textstelle sind in der eigenen Arbeit unbedingt zu kennzeichnen (Träger, 2018, S.-4). Änderungen an direkten Zitaten sind möglich, wenn der ursprüngliche Sinn der Aussage nicht verfälscht wird und die Änderungen klar kennzeichnet werden (Tab. 1.2.5). Tab. 1.2.5: Kennzeichnung von Änderungen an direkten Zitaten. Hierbei werden auch runde statt eckigen Klammern verwendet. Funktion Kennzeichnung Beispiel Auslassen eines Wortes oder ei‐ ner Textpassage …oder […] „Jeder aus einem fremden Werk übernommene Inhalt […] und jede wörtlich übernommene Text‐ stelle sind in der eigenen Arbeit unbedingt zu kennzeichnen” (Träger, 2018, S.-4). Ergänzung zum besseren Ver‐ ständnis des Zi‐ tats [ergänzender Text] oder [ergänzender Text - Anm. d. Verf.] 36 „Jeder aus einem fremden Werk übernommene Inhalt […] und jede wörtlich übernommene Text‐ stelle sind in der eigenen [Forschungs-]Arbeit un‐ bedingt zu kennzeichnen” (Träger, 2018, S.-4). Hervorhebung durch kursive oder fett ge‐ druckte Schrift [Herv. d. Verf.] 37 di‐ rekt nach der Hervor‐ hebung oder am Ende des Zitats zusammen mit dem Quellenver‐ weis „Jeder aus einem fremden Werk übernommene Inhalt […] und jede wörtlich übernommene Text‐ stelle sind in der eigenen Arbeit unbedingt zu kennzeichnen” (Träger, 2018, S.-4, Herv. d. Verf). Markierung ei‐ nes Fehlers oder einer unüblichen Schreibweise im Originaltext [sic! ] oder [sic] 38 oder [! ] „[…] jede wörtlich übernommene Textstelle sind [sic! ] in der eigenen Arbeit unbedingt zu kenn‐ zeichnen” (Träger, 2018, S.-4). Während kürzere direkte Zitate in den Fließtext eingebettet werden, sollen längere direkte Zitate ab 40 Wörtern (oder 4-5 Zeilen) als Blockzitate optisch vom restlichen 104 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="105"?> Text abgesetzt werden. Dies erfolgt durch beidseitiges Einrücken und Abstand vor und nach dem Zitat. Zusätzlich kann eine kleinere Schriftgröße und einfacher Zeilen‐ abstand benutzt werden. Je nach Vorgabe werden die Anführungszeichen weggelassen. Der Kurzbeleg kommt erst nach dem Satzschlusszeichen. Zum Beispiel: Jede in der Arbeit verwendete Quelle muss angegeben werden und so beschrieben sein, dass sich ein interessierter Leser die Originalquelle oder ein inhaltsgleiches Exemplar zur Prüfung beschaffen kann. […] Jeder aus einem fremden Werk übernommene Inhalt, bei dem es sich auch um einen bloßen Gedanken handeln kann, und jede wörtlich übernommene Textstelle sind in der eigenen Arbeit unbedingt zu kennzeichnen. (Träger, 2018, S.-4) Indirektes Zitat Beim indirekten Zitat wird eine Textstelle inhaltlich (sinngemäß) übernommen und mit eigenen Worten ausgedrückt. Dabei werden die Fachbegriffe und Variablennamen ggf. an diejenigen, die Sie in Ihrem Text verwenden, angepasst. Spricht beispielsweise ein graphentheoretischer Text von „Knoten“, wohingegen Sie die ebenfalls gängige Bezeichnung „Ecken“ verwenden, sollten Sie auch im Folgenden nur Ihren Begriff verwenden, damit Lesenden nicht suggeriert wird, es handele sich um unterschiedliche Objekte. Dies stellt die gängige Zitierart in den MINT-Fächern dar, da sich dadurch die Inhalte fremder Quellen/ Texte gut zusammenfassen und auf das Relevante fokussieren lassen. Bei indirekten Zitaten werden keine Anführungszeichen benutzt, also muss darauf geachtet werden, dass die Abgrenzung des Zitats klar ersichtlich wird. Wenn das Zitat einen Satz oder ein Satzteil bildet, ist die Abgrenzung meistens eindeutig durch den inhaltlichen Zusammenhalt sowie den Kurzbeleg gegeben, der direkt nach dem Zitat folgt. Aufpassen sollten Sie allerdings, wenn sich ein Zitat über mehrere Sätze erstreckt. Auch hier wird das Ende durch den Kurzbeleg gekennzeichnet. Darüber hinaus empfiehlt es sich, den Anfang des Zitats durch das Nennen der Autor: innen oder der Quelle zu markieren. Zum Beispiel: Träger erinnert uns daran, dass alle Quellen, die wir für unsere wissenschaftliche Arbeit benutzt haben, im Literaturverzeichnis eindeutig angegeben werden müssen. Selbst einzelne Gedanken, die wir anderen Werken entnommen haben, müssen klar als Zitate markiert werden. (Träger, 2018, S.-4) Zitieren Sie längere Passagen aus derselben Quelle, können Sie dies zu Beginn des Zitats explizit angeben, zum Beispiel: „Die folgenden Absätze sind entnommen aus X, sofern nicht anders angegeben/ gekennzeichnet.“ oder bei mathematischen Herleitungen: „Die folgende mathematische Herleitung ist von X übernommen / lehnt sich an X an.“ Sekundärzitat / Rezitat Wenn ein Sachverhalt nicht aus der Originalquelle übernommen wird, sprechen wir von einem Sekundärzitat, bzw. Rezitat. In diesem Fall muss im Kurzbeleg 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 105 <?page no="106"?> 39 Als Veröffentlichungen gelten üblicherweise Doktorarbeiten, nicht aber Bachelor- und Masterarbei‐ ten, Seminararbeiten oder im Rahmen des Studiums angefertigte Versuchsprotokolle oder andere Texte. direkt nach dem Zitat sowohl die Sekundärquelle, die gelesen wurde, als auch die Originalquelle, die nicht gelesen wurde, vermerkt werden: [Zitat] ([Originalquelle], zitiert nach [Sekundärquelle]). Ins Literaturverzeichnis aufgenommen wird nur die Sekundärquelle. Sekundärzitate sind allerdings problematisch, da es hier leicht zu Verfälschungen oder Falschdarstellungen von Originalaussagen kommen kann, da das Originalzitat nicht überprüft wird. Deswegen sollen Sekundärzitate nur in dem Ausnahmefall verwendet werden, wenn Sie trotz intensiver Bemühungen nicht auf die Originalquelle zugreifen können. Zitieren von Abbildungen und Urheberrecht Beim Zitieren von Abbildungen werden veröffentlichte Abbildungen direkt oder modifiziert übernommen, oder aber selbst nachgebildet. In allen Fällen muss die Quelle am Ende der Abbildungsbeschriftung als Kurzbeleg eingefügt und im Literatur‐ verzeichnis eingetragen werden. Haben Sie die Abbildung aus der Originalquelle 1: 1 übernommen, so fügen Sie der Abbildungsbeschriftung „Quelle: [Kurzbeleg]” hinzu. Bei nachgebildeten oder modifizierten Abbildungen kennzeichnen Sie das Zitat als „Quelle: In Anlehnung an [Kurzbeleg]”. Laut dem deutschen Urheberrecht (§ 51 des Urheberrechtsgesetzes) dürfen Ab‐ bildungen ohne Abdruckgenehmigung zitiert werden, selbst wenn sie durch ein Urheberrecht oder ein anderes Schutzrecht geschützt sind. Dies gilt allerdings nicht zwangsläufig für im Ausland publizierte Abbildungen, etwa solche in wissenschaft‐ lichen Fachjournalen. Deshalb muss beim Veröffentlichen 39 von wissenschaftlichen Arbeiten, die im Ausland lizenzierte Abbildungen enthalten, eine Abdruckgeneh‐ migung von den Lizenzinhaber: innen eingeholt werden, falls die Abbildungen direkt oder modifiziert übernommen wurden. Bei nachgebildeten Abbildungen wird keine Abdruckgenehmigung benötigt. Die Abdruckgenehmigung kann über die Webseite der ursprünglichen Publikation angefragt werden, unter „Request Permissions”, „Rights & Permission”, „Permissions and Reprints” o. Ä. Für die Doktorarbeit kann die Abdruckgenehmigung meistens kostenlos erworben werden. In der Abdruckgenehmigung wird dann definiert, welche Information und welche genauen Formulierungen dem Kurzbeleg hinzugefügt werden müssen. Viele Abbildungen in Wikipedia und in Open-Access-Publikationen sind unter Creative-Commons-Lizenzen autorisiert („Creative Commons”, o. D.). Hier brauchen Sie keine Abdruckgenehmigung, aber wenn die konkrete Lizenz (die bei der Publikation bzw. Abbildung immer angegeben ist) eine „Namensnennung” (engl. “Attribution”) enthält, müssen Sie in Ihren Arbeiten eine detaillierte Information beim Kurzbeleg an‐ 106 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="107"?> Kap.-1.2.4 gegeben. Diese Angabe enthält typischerweise den Namen der Urheber: innen, ggfs. den Titel der Abbildung, den Link zur Originalabbildung, einen Rechte- und Lizenzvermerk und den Haftungsausschluss (letztere Angaben können durch Verlinkung der Lizenz angegeben werden). Eine solche Angabe könnte beispielsweise so aussehen: „Quelle: Abbildung von NickGorton-commonswiki, https: / / en.wikipedia.org/ wiki/ File: Neuron 1.jpg unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 (https: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 3.0/ deed.de)”. Quellenangabe Jedes Zitat muss durch die entsprechende Quellenangabe belegt werden. Wie oben be‐ schrieben, besteht die Quellenangabe aus zwei Teilen: Der Kurzbeleg (Quellenverweis) kommt direkt nach dem Zitat und dient der eindeutigen Zuordnung des Zitats zur Quelle, die im Literaturverzeichnis ausführlich angegeben wird. Es gibt verschiedene Arten und Weisen, sog. Zitierstile, wie der Kurzbeleg und die Quelle im Literaturverzeichnis angegeben werden. Der Zitierstil definiert bis ins kleinste Detail die Form der Literaturangaben und muss auch genau so befolgt werden. Fachjournale und Verlage haben ihre eigenen Zitierstile und Zitiervorgaben. Bei akademischen (Abschluss-)Arbeiten dürfen Sie oft den Zitierstil selbst wählen. Einmal ausgewählt, müssen allerdings alle Quellenangaben konsistent in diesem einen Stil erfolgen. Wegen dieser geforderten Genauigkeit und Konsistenz bei der Quellenangabe emp‐ fiehlt es sich, die Quellen nicht manuell, über ein Literaturverwaltungsprogramm wie zum Beispiel Citavi oder Zotero oder bei der Verwendung von LaTeX die Quellen mithilfe von Bibtex bzw. BibLaTeX einzubinden. Auf diese Weise werden die dort ein‐ getragenen Quellen automatisch sowohl in der Form korrekt zitiert als auch im Lite‐ raturverzeichnis dargestellt. Alle genannten Programme erlauben es, einen vorgege‐ benen Zitierstil auszuwählen oder aber einen eigenen Zitierstil zu definieren. Kurzbeleg und Zitierstile Die Zitierstile lassen sich grundsätzlich nach der Form des Kurzbelegs in Name-Jahr-Zitierstile und in numerische Zitierstile unterscheiden (Tab. 1.2.6). Bei den Name-Jahr-Zitierstilen besteht der Kurzbeleg, wie der Name verrät, aus den Namen der Autor: innen und dem Publikationsjahr. Die zugehörigen Angaben im Literaturverzeichnis sind alphabetisch sortiert. Bei direkten Zitaten aus Büchern wird im Kurzbeleg auch die Seitenzahl angegeben. Ab drei Autor: innen wird nur der/ die Erstautor: in angegeben, gefolgt von „et al.”, was lateinisch ist und „und andere” bedeutet. Falls die Autor: innen unbekannt sind (zum Beispiel bei Webseiten/ Internet‐ quellen), wird stattdessen der Titel in Anführungszeichen benutzt. Falls das Jahr unbekannt ist, wird „o. D.” (ohne Datum) geschrieben (Beispiele siehe Tab. 1.2.6). Zu den Name-Jahr-Zitierstilen gehört zum Beispiel der APA-Stil der Amerikanischen 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 107 <?page no="108"?> 40 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buchs gilt die 7. Ausgabe des APA Manuals (APA, 2020). Psychologischen Assoziation (APA), der im Publikationsmanual der APA definiert wird. 40 Ein weiterer gängiger Autor-Jahr-Zitierstil ist der Harvard-Stil. Im Gegensatz zum APA-Stil handelt es sich hier um keinen einheitlichen Stil. Vielmehr definieren Verlage und Universitäten oft ihre eigenen Harvard-Stile, die sich voneinander aber meistens nur durch Kleinigkeiten wie die konkrete Zeichensetzung im Literaturverzeichnis unterscheiden. Die Quellenangaben in diesem Buch folgen auch dem Harvard-Stil. Zu den numerischen Zitierstilen gehört zum Beispiel der Vancouver-Stil. Hier erfolgt der Kurzbeleg in Form einer Zahl. Die Zahlen werden entsprechend der Reihenfolge vergeben, in der die Zitate in der Arbeit auftauchen: Die zuerst zitierte Quelle bekommt die Zahl 1, die nächste die 2, und so weiter. Das Literaturverzeichnis ist dann nach diesen Zahlen sortiert. Ähnlich dem Harvard-Stil gibt es auch beim Vancouver-Stil verschiedene Varianten, die sich durch Kleinigkeiten unterscheiden, zum Beispiel das Format des Kurzbelegs (siehe Tab. 1.2.6). Unabhängig vom Zitierstil kann der Kurzbeleg entweder narrativ oder paren‐ thetisch angegeben werden. Bei der narrativen Angabe werden die Namen der Autor: innen im Fließtext erwähnt, gefolgt von der Angabe des Publikationsjahres in Klammern (bei Name-Jahr-Zitierstilen) oder einer Nummer (bei den numerischen Zitierstilen) zum Beispiel: „Träger (2018) definiert…” bzw. „Träger (1) definiert …”. Bei der parenthetischen Angabe wird der Kurzbeleg direkt nach dem Zitat in Klammern gesetzt bzw. bei numerischen Zitierstilen ohne die Namen der Autor: innen angegeben, zum Beispiel: „… definiert wurde (Träger, 2018).” bzw. „… definiert wurde (1).” Bezieht sich der Kurzbeleg auf die Aussage eines Satzes oder Satzteils, so wird der Kurzbeleg noch vor dem Satzschlusszeichen angegeben. Bezieht sich die Quellenan‐ gabe auf mehrere Sätze, kommt der Kurzbeleg nach dem Satzschlusszeichen. Wird eine Aussage durch mehrere Quellen unterstützt, wird überwiegend die paren‐ thetische Angabe genutzt. Bei Name-Jahr-Zitierstilen werden die einzelnen Kurzbelege in den Klammern üblicherweise alphabetisch sortiert. Bei mehreren Publikationen der‐ selben Autor: innen werden diese chronologisch von neuesten zu ältesten angegeben, und bei mehreren Publikationen von gleichen Autor: innen im selben Jahr werden dem Jahr Kleinbuchstaben a-z hinzugefügt (Beispiel siehe Tab. 1.2.6). Beim numerischen Zitierstil werden bei mehreren Quellen die Zahlen von kleinster bis größter angegeben, wobei Folgen von fortlaufenden Zahlen mittels Bindestrich abgekürzt werden (Beispiel siehe Tab. 1.2.6). 108 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="109"?> Tab. 1.2.6: Beispiele von Kurzbelegen in unterschiedlichen Zitierstilen. - Name-Jahr-Zitierstil numerischer Zitierstil - Harvard - Elsevier („El‐ sevier’s Standard Refe‐ rence Styles”, o. D.) APA (APA, 2020; APA, 2019a) Vancouver Narrativ Penders (2018) Mertens and Baethge (2011) Maxwell et al. (2008) Träger (2018, S.-4) „Elsevier’s Standard Refe‐ rence Styles” (o. D.) Penders (2018) Mertens and Baethge (2011) Maxwell et al. (2008) Träger (2018, S.-4) „Elsevier’s Standard Reference Styles” (o. D.) Penders (1) , Penders [1], Penders 1 etc. Mertens and Baethge (1) etc. Maxwell et al. (1) „Elsevier’s Standard Reference Styles” (1) Parenthe‐ tisch (Penders, 2018) (Mertens and Baethge, 2011) (Maxwell et al., 2008) (Träger, 2018, S.-4) („Elsevier’s Standard Refe‐ rence Styles”, o. D.) (Penders, 2018) (Mertens & Baethge, 2011) (Maxwell et al., 2008) (Träger, 2018, S.-4) („Elsevier’s Standard Reference Styles”, o. D.) (1), [1], ggfs. in der Hochstellung 1 oder [1] oder (1) Parenthe‐ tisch: meh‐ rere Quellen für eine Aus‐ sage (APA, 2020, 2019a, 2019b; Maxwell et al., 2008; Mer‐ tens and Baethge, 2011) (APA, 2020, 2019a, 2019b; Maxwell et al., 2008; Mertens & Ba‐ ethge, 2011) (1-3, 7, 8) oder in der Hochstellung 1-3, 7, 8 etc. Quellenangabe im Literaturverzeichnis Die Quellenangabe im Literaturverzeichnis dient der eindeutigen Identifizierung einer Quelle. Das genaue Format der Quellenangabe ist in den verschiedenen Zitierstilen unterschiedlich (Tab. 1.2.7), es werden jedoch typischerweise dieselben Informationen angegeben: Autor: innen: Die Nachnamen der Autor: innen werden vollständig genannt, die Vornamen werden üblicherweise als Initialen abgekürzt. Bei Gruppen (Konsortien) von Autor: innen wird die Gruppenbezeichnung verwendet, zum Beispiel „American Psychological Association”. Bei einer großen Anzahl von Autor: innen werden in den meisten Zitierstilen nicht alle Autor: innen angegeben. Für den APA-Stil gilt: ab 21 Autor: innen werden die ersten 19 und der/ die letzte Autor: in angegeben, dazwischen kommt eine Ellipse („…”). In den Harvard- und Vancouver-Stilen von Elsevier werden die ersten sechs Autor: innen angegeben, gefolgt von „et al.”. Publikationsdatum: Typischerweise wird nur das Jahr der Publikation angegeben. Es ist aber meistens möglich, auch den Monat (abgekürzt auf die ersten drei Buchstaben) und Tag der Veröffentlichung anzugeben (zum Beispiel „2018 Jan 15”), was vor allem bei Onlinejournalen üblich ist. Bei Publikationen im Druck wird „im Druck” statt Jahr 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 109 <?page no="110"?> Kap.-1.2.3 geschrieben. Bei Büchern wird das Jahr der Auflage angegeben, die Sie verwendet haben. Titel: Buchtitel werden oft kursiv geschrieben. Artikeltitel werden in einigen Har‐ vard-Stilen in Anführungszeichen gesetzt. Je nach Stil können englischsprachige Titel großgeschrieben werden (typischerweise alle Wörter außer Hilfswörter von drei oder wenigen Buchstaben). Journalname: Bei Fachartikeln wird der Journalname je nach Stil ausgeschrieben oder abgekürzt. Es werden Abkürzungen von Web of Science (n. D.) genutzt. Journal-Ausgabe und -Nummer: Diese Angaben dienen der präzisen Verortung von in Fachjournalen veröffentlichten Artikeln. Seitenzahl: Artikel in Fachjournalen werden durch fortlaufende Seitenzahl genau verortet. Je nach Zitierstil wird die Seitenzahl weggelassen, nur die erste oder aber die erste und letzte Seitenzahl angegeben. Die letzte Seitenzahl wird teilweise abgekürzt (zum Beispiel im Vancouver Stil von Elsevier), zum Beispiel wird „123-8” statt „123- 128” oder „119-25” statt „119-125” geschrieben. Artikelnummer: Diese sind äquivalent zu Seitenzahl in elektronischen Journalen. Die Artikelnummer fängt typischerweise mit dem Buchstaben „e” an, zum Beispiel: e1006036. DOI: Der digital object identifier (DOI) ist eine Zahl, die jeder online veröffentlichten Quelle zugeordnet werden kann und diese Quelle eindeutig identifiziert. Crossref, eine der Organisationen, die DOIs vergibt, empfiehlt seit 2017 das DOI als URL anzugeben: https: / / doi.org/ xxxx, wobei „xxxx” für die eigentliche DOI-Nummer steht (Pentz, 2016). Der Empfehlungen von Crossref folgt APA sowie die meisten (wenn nicht alle) Institutionen und Verlage. Auflage: Bei Buchpublikationen wird die Auflage typischerweise erst ab der 2. Auflage angegeben. Verlag und Ort der Publikation: Diese Angaben gelten für Buchpublikationen. Der Ort der Publikation wird in einigen Stilen (zum Beispiel APA) weggelassen. Bei Preprints wird statt dem Journal das Repositorium angegeben. Oft wird auch die Angabe „Preprint” hinzugefügt (siehe Tab. 1.2.7). Bei Internetquellen werden die Autor: innen und das Jahr der Publikation (falls be‐ kannt), der Titel, die URL sowie das Zugriffsdatum angegeben (siehe Tab. 1.2.7). 110 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="111"?> Tab. 1.2.7: Vorlagen und Beispiele von Angaben im Literaturverzeichnis in drei unterschiedlichen Zitierstilen: Harvard (Elsevier), APA und Vancouver (Elsevier). - Harvard - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) APA (APA, 2020; APA, 2019b) Vancouver - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) Fachartikel Vorlage Nachname, Vornameinitiale, Jahr. Ar‐ tikeltitel. Journalname abgekürzt mit Punkten, Ausgabe(Nummer), p.Seiten‐ zahl. doi für elektronische Journale Nachname, Vornameinitiale. ( Jahr). Artikeltitel großgeschrie‐ ben. Journalname kursiv, Aus‐ gabe(Nummer), erste-letzte Sei‐ tenzahl oder Artikelzahl. doi für elektronische Journale Nachname Vornameinitiale. Artikel‐ titel. Journalname abgekürzt ohne Punkte. Jahr; Ausgabe(Nummer): Sei‐ tenzahl. doi für elektronische Journale Fachartikel Beispiel 1: 1 Autor Penders, B., 2018. Ten simple rules for responsible referencing. PLoS Comput. Biol., 14(4), p.e1006036. https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pcbi.1006036 Penders, B. (2018). Ten Simple Rules for Responsible Referen‐ cing. PLoS Compututational Bio‐ logy, 14(4), Artikel e1006036. htt ps: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pcbi. 1006036 Penders B. Ten simple rules for respon‐ sible referencing. PLoS Comput Biol. 2018; 14(4): e1006036. https: / / doi.org/ 10. 1371/ journal.pcbi.1006036 Fachartikel (Beispiel 2: 2 Autoren) Mertens, S. and Baethge, C., 2011. The virtues of correct citation: careful refe‐ rencing is important but is often neg‐ lected/ even in peer reviewed articles. Dtsch. Arztebl. Int., 108(33), p.-550. Mertens, S., & Baethge, C. (2011). The Virtues of Correct Citation: Careful Referencing Is Impor‐ tant but Is Often Neglected/ Even in Peer Reviewed Articles. Deut‐ sches Ärzteblatt International, 108(33), 550-552. Mertens S, Baethge C. The virtues of correct citation: careful referencing is important but is often neglected/ even in peer reviewed articles. Dtsch Arztebl Int. 2011; 108(33): 550. Fachartikel Beispiel 3: mehrere Au‐ toren Maxwell, A., Curtis, G.J. and Vardanega, L., 2008. Does culture influence under‐ standing and perceived seriousness of plagiarism? Int. J. Educ. Integr., 4(2). p.-25 Maxwell, A., Curtis, G. J., & Vardanega, L. (2008). Does Cul‐ ture Influence Understanding and Perceived Seriousness of Pla‐ giarism? International Journal for Educational Integrity, 4(2), 25-40. Maxwell A, Curtis GJ, Vardanega L. Does culture influence understanding and perceived seriousness of plagia‐ rism? Int J Educ Integr. 2008 Dec; 4(2), 25. 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 111 <?page no="112"?> Harvard - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) APA (APA, 2020; APA, 2019b) Vancouver - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) Buch Vorlage Nachname, Vornameinitiale., Jahr. Buchtitel. Auflage, Verlag, Ort der Pu‐ blikation. Nachname, Vornameinitiale. ( Jahr). Buchtitel kursiv (Auflage). Verlag. Nachname Vornameinitiale. Buchtitel. Ort der Publikation: Verlag; Jahr. Buch Beispiel 1: Au‐ tor: innen Träger, T., 2018. Zitieren 2.0: elektro‐ nische Quellen und Projektmaterialien richtig zitieren. Vahlen, München. Träger, T. (2018). Zitieren 2.0: elek‐ tronische Quellen und Projektma‐ terialien richtig zitieren. Vahlen. Träger T. Zitieren 2.0: elektronische Quellen und Projektmaterialien richtig zitieren. München: Vahlen; 2018. Buch Beispiel 2: Orga‐ nisation als Autor: in‐ nen American Psychological Association, 2020. Publication Manual of the Ame‐ rican Psychological Association. 7. Auf‐ lage, Autor, Washington DC. American Psychological Associa‐ tion. (2020). Publication Manual of the American Psychological Asso‐ ciation (7. Auf.). Autor. American Psychological Association. Publication Manual of the American Psychological Association, (2020). 7. Auflage. Washington DC: Autor; 2020. Buch Beispiel 3: Kapitel aus einem Sammelband Hucho, F., 2015. Zur Zitierweise in den Naturwissenschaften. In: Lahusen, C. and Markschies, C. (Hrsg.), Zitat, Para‐ phrase, Plagiat: Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Campus Verlag, Frankfurt am Main. Hucho, F., 2015. Zur Zitierweise in den Naturwissenschaften. In Lahusen, C., & Markschies, C. (Hrsg.). (2015). Zitat, Paraphrase, Plagiat: Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Campus Verlag. Hucho, F., 2015. Zur Zitierweise in den Naturwissenschaften. In: Lahusen C, Markschies C, Herausgeber. Zitat, Para‐ phrase, Plagiat: Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Frank‐ furt am Main: Campus Verlag; 2015. Preprint Vorlage Nachname, Vornameinitiale., Jahr. Arti‐ keltitel. Name des Repositoriums. doi* Nachname, Vornameinitiale. ( Jahr). Artikeltitel kursiv. Name des Repositoriums. doi Nachname Vornameinitiale. Artikelti‐ tel. Name des Repositoriums. Jahr. doi* Preprint Beispiel Bhatt, B., 2020. A multi-perspective ana‐ lysis of retractions in life sciences. bio‐ Rxiv. https: / / doi.org/ 10.1101/ 2020.04.29. 063016 Bhatt, B. (2020). A Multi-Perspec‐ tive Analysis of Retractions in Life Sciences. bioRxiv. https: / / doi.org/ 10.1101/ 2020.04.29.063016 Bhatt B.. A multi-perspective analysis of retractions in life sciences. bioRxiv. 2020. https: / / doi.org/ 10.1101/ 2020.04.29 .063016 Webseite Vorlage Autor: innen falls bekannt, Jahr falls be‐ kannt sonst “o. D.” nach dem Titel. Titel. <URL> (Zugriff am Datum). Autor: innen kursiv falls bekannt. Titel kursiv. ( Jahr falls bekannt, sonst “o. D.”). Abgerufen von: <URL> Autor: innen falls bekannt. Titel, <URL>; Jahr falls bekannt sonst “o. D.” (Zugriff am Datum). 112 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="113"?> Harvard - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) APA (APA, 2020; APA, 2019b) Vancouver - Elsevier („Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les”, o. D.) Webseite Beispiel Elsevier’s Standard Reference Styles, o. D.. <https: / / booksite.elsevier.com/ 978 0081019375/ content/ Elsevier%20Standa rd%20Reference%20Styles.pdf> (Zugriff am 15.08.2021). Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les. (o. D.). Abgerufen von: <https: / / booksite.elsevier.com/ 97 80081019375/ content/ Elsevier%2 0Standard%20Reference%20Style s.pdf> Elsevier’s Standard Reference Sty‐ les, <https: / / booksite.elsevier.com/ 978 0081019375/ content/ Elsevier%20Standa rd%20Reference%20Styles.pdf>; o. D. (Zugriff am 15.08.2021). 1.2 Arbeit mit Fachliteratur 113 <?page no="114"?> Literatur A M E R I C A N P S Y C H O L O G I C A L A S S O C IA T I O N (2019a): In-text citations. <https: / / apastyle.apa.org/ style -grammar-guidelines/ citations> (Zugriff am 15.08.2021). A M E R I C A N P S Y C H O L O G I C A L A S S O C IA T I O N (2019b): References. <https: / / apastyle.apa.org/ style-gram mar-guidelines/ references> (Zugriff am 15.08.2021). A M E R I C A N P S Y C H O L O G I C A L A S S O C IA T I O N (2020): Publication Manual of the American Psychological Association (7. Auflage). A V E R Y , O.T., M A C L E O D , C.M. and M C C A R T Y , M. (1944): Studies on the chemical nature of the substance inducing transformation of pneumococcal types induction of transformation by a desoxyribonucleic acid fraction isolated from pneumococcus type III. Journal of experimental medicine, 79(2), pp.137-158. C R E A T I V E C O M M O N S (o. D.): <https: / / creativecommons.org/ > (Zugriff am 15.08.2021). G R U D N I E W I C Z , A., M O H E R , D., C O B E Y , K.D. et al. (2019): Predatory journals: no definition, no defence. Nature, 576, 210. E L S E V I E R ’ S S T A N D A R D R E F E R E N C E S T Y L E S (o. D.): <https: / / booksite.elsevier.com/ 9780081019375/ co ntent/ Elsevier%20Standard%20Reference%20Styles.pdf> (Zugriff am 15.08.2021). P E N D E R S , B. (2018): Ten simple rules for responsible referencing. PLoS Comput Biol, 14(4), p.e1006036. P E N T Z , E. (2016): New crossref DOI display guidelines are on the way. <https: / / www.crossref.org/ blog/ new-crossref-doi-display-guidelines-are-on-the-way/ > (Zugriff am 15.08.2021). T R ÄG E R , T. (2018): Zitieren 2.0: elektronische Quellen und Projektmaterialien richtig zitieren. Vahlen. W E B O F S C I E N C E (o. D.): Journal title abbreviations. <https: / / images.webofknowledge.com/ image s/ help/ WOS/ A_abrvjt.html> (Zugriff am 15.08.2021) 114 1.2 Arbeit mit Fachliteratur <?page no="115"?> 41 Um genau zu sein: George R.R. Martin ist der Autor des Fantasy-Zyklus A Song of Ice and Fire (1996-2011), auf dem die TV-Serie Game of Thrones (2011-2019) basiert. 1.3 Schreiben 1.3.1 Planen, Springen, Drauflosschreiben: Schreibstrategien im Studium Nadja Sennewald Manche Menschen gehen beim Schreiben so systematisch vor als würden sie einen Versuch durchführen oder einem Rechenweg folgen. Vielen anderen Schreibenden kommt dieses schrittweise Vorgehen nahezu unmöglich vor, obwohl sie die Hinweise zum Schreiben im Studium sehr wohl kennen: Erst planen, dann schreiben, dann über‐ arbeiten. Trotzdem können sie diese Reihenfolge nicht in ihr eigenes Schreibhandeln integrieren und haben das Gefühl, beim Schreiben etwas falsch zu machen. Ob es die eine, richtige Vorgehensweise beim Schreiben wirklich gibt, darauf hat die Schreibforschung eine eindeutige Antwort: Nein. Denn erstens gehen wir alle beim Schreiben individuell unterschiedlich vor und zweitens gibt es eine ganze Bandbreite an Strategien, um zu einem guten Text zu kommen. Mit welchen Vorgehensweisen er verfasst wurde, sieht man dem fertigen Text also nicht mehr an. Die Schreibforschung spricht dabei von „Schreibstrategien“ oder „Schreibertypen“ (Sennewald, 2014, 170). Damit sind individuell typische Vorgehensweisen bei der Textproduktion gemeint (Ortner, 2000, 124-125; Bräuer, 2014, 262-263). Diese Vorgehensweisen sind allerdings kein unabänderliches Schicksal, sondern Strategien, die der einen mehr und dem anderen weniger liegen. Schreibstrategien zu nutzen bedeutet, zu wissen, welche Teilhandlungen wir durchführen müssen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, zum Beispiel ein Laborprotokoll anzufertigen. Es handelt sich um sogenannte kognitive Strategien, die gelernt und geübt werden können (MacArthur, 2012, 379). Tatsächlich stellte sich bereits in den ersten Studien zum Schreibprozess heraus, dass es zwei völlig gegensätzliche Herangehensweisen beim Schreiben gibt: Während die einen am liebsten Drauflosschreiben, ohne irgendetwas zu planen, planen die anderen minutiös, bevor sie mit dem Text auch nur beginnen (Flower und Hayes, 1981, 374). Die Drauflosschreiber: innen und die Planer: innen sind die bekanntesten Schreibtypen. George R. R. Martin, der Autor von Game of Thrones  41 , bezeichnet sie als „architects“ und „gardeners“ (Martin, 2018). Während die Architekt: innen eine umfangreiche und sehr detaillierte Planungsphase benötigen, um dann, in einem zweiten Schritt, in die Ausführung gehen zu können und dabei dem Bauplan des Textes genau zu folgen, wissen die Gärtner: innen zwar so ungefähr, welche Ideen sie säen wollen, sie verstehen die Textproduktion aber als organischen Prozess. Sie sind gespannt, wie sich die Ideen beim Schreiben entwickeln - manche gehen wieder ein, andere gedeihen überraschend gut. <?page no="116"?> 42 Die bislang umfangreichste Studie zu Schreibstrategien führte Hanspeter Ortner, ein österreichischer Linguist und Schreibforscher, durch. Er untersuchte die Selbstaussagen bekannter Schriftsteller: in‐ nen und Philosophen zu ihren Schreibprozessen und leitete daraus 10 verschiedene Schreibstrategien ab. Kap.-1.3.2 Je nach Studie werden zwei (Flower und Hayes, 1981) bis zehn Schreibstrategien (Ortner, 2000) identifiziert. 42 Da die Unterschiede zwischen diesen Strategien zum Teil minimal sind und sich außerdem einige nicht für das Verfassen eines strukturierten Textes eignen, wie er im Studium verlangt wird, werden im Folgenden sechs an Ortner (2000) orientierte Strategien mit ihren Vor- und Nachteilen vorgestellt: Das Planen, das Im-Kopf-Ausarbeiten, das Drauflosschreiben, das Mehrversionenschreiben, das redaktionelle Überarbeiten und das Textteilschreiben. 1. Strategie: Planen Beim planenden Schreiben wird zuerst die Struktur des Textes entworfen, zum Beispiel in Form einer Gliederung, ausführlicher Notizen, einer Klebezettelsammlung oder auch als grafische Darstellung auf einem Whiteboard. In der Planungsphase werden die Ideen sowohl entwickelt als auch strukturiert. Erst wenn dieser Schritt abgeschlossen ist, folgt eine zweite Phase, in der der Text eng am Plan orientiert ausformuliert wird. Die erste Phase - das Planen - wird häufig als wesentlich interessanter empfunden als die zweite Phase - das Ausformulieren. Ich halte eine lange Planungsphase für unerlässlich und muss mir zunächst in Gedanken klar darüber werden, was zu Papier gebracht werden soll und was nicht. Idealerweise steht als Ergebnis schließlich eine Skelettstruktur, die es dann auszuformulieren gilt, so ein Student zu seinem Vorgehen (Sennewald 2021, 156). Vorteile: ● Planendes Schreiben führt schneller zu einem strukturierten Text. ● Der Text ist meist in sich logisch. Nachteile: ● Wichtige neue Informationen und Erkenntnisse, die nach der Planungsphase auftauchen, werden möglicherweise nicht in den Text integriert, weil sie nicht in die vorher festgelegte Struktur des Textes passen. ● Wenn das Ausformulieren nur noch ein Aufschreiben des bereits vorher Durch‐ dachten ist, kann sich leicht Langeweile einstellen, was wiederum zu Demotivation und Aufschubverhalten beim Schreiben führen kann. Tipps und Tricks: Naturwissenschaftliche Textsorten haben meistens eine vorgegebene Struktur, an der Sie sich orientieren können - die Gliederung steht also mehr oder weniger fest. 116 1.3 Schreiben <?page no="117"?> 43 Pomodoro-Methode: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Pomodoro-Technik Kap.-1.1.1 Kap.-1.1.2, Methode 10 ● Eine Methode, die den Planungsprozess beschleunigen kann, ist die Mindmap. ● Vermissen Sie den roten Faden im eigenen Text, kann es sinnvoll sein, auch mittendrin eine Planungsphase einzulegen, um den Text neu zu strukturieren. ● Wenn die Motivation fehlt, um den Text auszuformulieren, kann eine Zeitma‐ nagement-Methode hilfreich sein, z.-B. die Pomodoro-Methode 43 . 2. Strategie: Im-Kopf-Ausarbeiten Die Strategie des Im-Kopf-Ausarbeitens ähnelt dem Planen. Allerdings wird hier ohne Hilfsmittel ausschließlich im Kopf geplant - mindestens der ungefähre Inhalt und Aufbau des Textes entstehen im Kopf, häufig werden auch schon Sätze oder ganze Absätze vorformuliert. Solche Schreibende denken erst sehr lange nach und spielen verschiedene Varianten gedanklich durch, bevor sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen. Das Denken und das Aufschreiben erleben sie als zwei voneinander klar getrennte Phasen. Eine Im-Kopf-Ausarbeiterin schildert ihr Vorgehen wie folgt: Mir ist deutlich geworden, dass ich sehr zielorientiert schreibe und ich den fertigen Text in seinem Grundgerüst und teilweise auch in einzelnen Formulierungen im Kopf habe. Dadurch fällt es mir schwer, spontane Ideen, die eigentlich gut in meinen Text passen, einzubringen, und meine Texte verlieren dadurch häufig etwas an kreativen Formulierungen. (Sennewald, 2018, 207) Vorteile: ● Da der Text im Kopf bereits weit fortgeschritten ist, kann er zügig niedergeschrie‐ ben werden. ● Die Struktur des Textes ist häufig schon stimmig und muss nicht oder nur wenig überarbeitet werden. Nachteile: ● Schreibende, die am liebsten im Kopf ausarbeiten, benötigen lange Phasen des Nachdenkens, das heißt, sie geraten häufig in Zeitnot. ● Der Schritt vom Nachdenken ins Schreiben fällt schwer, vor allem, wenn das Thema gefühlt noch nicht zu Ende gedacht ist. ● Das Schreiben wird zum reinen Aufschreiben des vorher Gedachten und kann sich wie langweilige Fleißarbeit anfühlen. ● Neue Ideen, die sich während des Aufschreibens einstellen, werden selten in den Text integriert, da sie nicht in das feststehende Konzept passen. ● Ist der Text umfangreicher, funktioniert es nicht, den ganzen Text im Kopf auszuarbeiten und es kommt zu kognitiven Überlastungserscheinungen oder Schreibblockaden. Das Gefühl, völlig den Überblick verloren zu haben oder auf 1.3 Schreiben 117 <?page no="118"?> Kap.-1.1.2 einmal nicht mehr sinnvoll denken zu können, kann sich bei dieser Strategie leicht einstellen. Eine weitere Studentin schildert sehr anschaulich die Herausforderungen des Im-Kopf-Ausarbeitens - und ihre Lösung dafür: Ich sammelte und sammelte immer mehr Material im Kopf, bis ich das Gefühl hatte, völlig den Überblick verloren zu haben. Zudem entwickelte ich die typische Angst vor dem leeren Blatt, da ich lange Zeit überhaupt nichts niederschrieb und somit das Gefühl hatte, auch nichts geschafft zu haben und niemals fertig werden zu können. Nachdem mir diese Problematik bewusst wurde, konnte ich endlich etwas dagegen unternehmen. Ich begann, das große Konzept in kleinere Einheiten zu unterteilen und etappenweise kleine Textbausteine zu schreiben, die ich im Kopf überschauen konnte. (Sennewald, 2021, 218) Tipps und Tricks: ● Gutes Zeitmanagement ist für Im-Kopf-Ausarbeiter: innen wichtig, um rechtzeitig mit dem (Auf-)Schreiben zu beginnen. ● Wenn die Motivation fehlt, um den Text auszuformulieren, kann, wie beim pla‐ nenden Schreiben, eine Zeitmanagement-Methode wie die Pomodoro-Technik hilfreich sein. ● Umfangreiche Texte sollten unbedingt in überschaubare Abschnitte aufgeteilt werden, die dann nach und nach im Kopf ausformuliert und aufgeschrieben werden können - zu viel Text auf einmal im Kopf ausarbeiten zu wollen, führt sicher zu Schreibblockaden. 3. Strategie: Drauflosschreiben Bei dieser Strategie wird ohne vorherige Planung spontan und in einem Zug alles aufgeschrieben, was den Schreibenden zum Thema in den Sinn kommt. Beim Drauflos‐ schreiben stellen sich die besten Ideen während des Schreibens ein. Diese Schreibenden nutzen das Schreiben als Denkwerkzeug und haben, solange es läuft, Spaß daran. Das Drauflosschreiben dient einer ersten Reflexion und Ideensammlung. Appetit kommt beim Essen und Ideen kommen beim Denken … WÄHREND des Schreibens! , so kommentiert eine Studentin das Drauflosschreiben. (Sennewald, 2018, 204) Vorteile: ● Beim Schreiben kann sich ein Flow-Gefühl einstellen. ● Im Flow zu schreiben ist angenehm und motivierend. ● Es entsteht in kurzer Zeit eine Menge Text. ● Im Text stecken jede Menge neuer Ideen. ● Das Drauflosschreiben fördert die Reflektion über ein Thema aus verschiedenen Perspektiven. Nachteile: 118 1.3 Schreiben <?page no="119"?> Kap.-1.3.3 Kap. 1.3.2 Kap.-1.3.5 Kap.-1.3.3 Kap.-1.5.2 ● Der Schreibfluss gerät ins Stocken, sobald sich keine neuen Ideen mehr einstellen. ● Der Text ist häufig assoziativ geschrieben und daher sehr unstrukturiert. ● Der Text ist häufig noch nicht an bestimmten Textnormen orientiert oder an eine Leserschaft gerichtet und muss daher stark überarbeitet werden. ● Der Sprachstil ist vielleicht zu stark am mündlichen Sprechen orientiert. ● Die Ideen oder Argumentationen im Text sind noch nicht sortiert, sie passen vielleicht nicht zueinander oder widersprechen sich sogar. Tipps und Tricks: ● Das Flow-Schreiben kann wunderbar als Ideenmaschine genutzt werden - zum Beispiel in einem ersten ausführlichen Brainstorming zu einem Thema oder auch zwischendrin, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie keine Ideen mehr haben. ● Um dabei nicht in einen Leerlauf zu geraten, können Sie gezielt die Methode Freewriting einsetzen. ● Um die Struktur nicht aus dem Blick zu verlieren, können Sie sich am IM‐RAD- Schema orientieren, der Textstruktur, nach der die meisten naturwissen‐ schaftlichen Texte aufgebaut sind oder zwischendrin eine Mindmap zum Text zeichnen. ● Drauflosschreiber: innen sollte bewusst sein, dass ihr Text noch nicht fertig ist, sondern dass er meistens eine nachträgliche Strukturierung und eine intensive Überarbeitung benötigt. Dabei muss manchmal ein zu flapsiger Sprachstil in eine neutralere Sprache übertragen werden. 4. Strategie: Mehrversionenschreiben Auch beim Mehrversionenschreiben wird, von einer zentralen Idee ausgehend, erst einmal drauflos geschrieben, das Schreiben wird dabei als interessanter Prozess der Ideenentwicklung erlebt. Die erste Fassung des Textes ist vermutlich noch recht roh, vielleicht widersprüchlich und hat noch keinen roten Faden. Diese Rohfassung wird allerdings weggelegt, denn das Überarbeiten empfinden Mehrversionenschreibende als langweilig oder sogar als Verschlechterung des Textes. Lieber setzen sie neu an: Der gesamte Text wird mit der gleichen Ausgangsidee noch einmal von vorne geschrieben. Und noch einmal. Drei, vier, fünf Versionen sind keine Seltenheit. Dabei kommt im Idealfall die Argumentation immer mehr auf den Punkt, jeder neue Text wird präziser, kohärenter und strukturierter als der vorhergehende. Dazu eine Studentin, die das Mehrversionenschreiben für sich entdeckt: Die Herangehensweise, dass man den Text immer wieder neu schreibt, finde ich sehr gut für den Fall, wenn man seine Gedanken erst einmal strukturieren möchte. Außerdem ist mir schon häufig aufgefallen, dass ich, wenn ich in meinem Text Veränderungen vornehme, das Ergebnis im Endeffekt nur schlechter wird. […] Ich denke, dass mir diese Herangehensweise auch deshalb so gut gefallen hat, weil ich sowieso ein Schreiber bin, bei dem sich die Ideen während des Schreibens entwickeln. (Sennewald, 2021, 155) 1.3 Schreiben 119 <?page no="120"?> Kap.-1.4.1 Kap.-1.3.4 Vorteile: ● Der Schreibprozess wird als positiv und produktiv erlebt. ● Mehrversionenschreibende verfassen häufig sehr viel Text in erstaunlich kurzer Zeit. ● Der Text wird immer nur als vorläufige Version begriffen, d. h. es gibt keinen Perfektionismus mit Blick auf den Text. ● Die frühen Versionen dürfen skizzenhaft und gedanklich experimentell ausfallen. ● Da die Texte nicht perfekt sein müssen, können keine Schreibhemmungen oder -blockaden durch übertrieben hohe Ansprüche an den Text entstehen. ● Da Textpassagen oder ganze Texte immer wieder neu geschrieben werden, ist häufig keine abschließende Überarbeitungsphase notwendig. Nachteile: ● Nur ein kleiner Teil des Geschriebenen wird verwendet. ● Bei längeren Texten kann es sehr mühsam und zeitaufwendig sein, immer wieder von vorne anfangen zu müssen. ● Manche Mehrversionenschreibende setzen Satz für Satz immer wieder neu an und verlieren dabei den Faden. ● Die gründliche inhaltliche und sprachliche Überarbeitung und Korrektur der ausgewählten Textversion kommen häufig zu kurz. Dieser letzte Arbeitsschritt fällt den Mehrversionenschreibenden am schwersten. Tipps und Tricks: ● Bei längeren Texten empfiehlt es sich, nicht immer wieder ganz von vorne anzu‐ setzen, sondern den Text in überschaubare Abschnitte oder Kapitel aufzuteilen, die dann mehrfach geschrieben werden können. ● Keine Lust auf Überarbeitung? Dann empfiehlt es sich, eine: n Kommilitonen: in (oder auch mehrere) um ausführliches schriftliches Feedback zu bitten. So erhal‐ ten Sie gute Überarbeitungstipps, die Sie zu weiteren Überlegungen und Überar‐ beitungen anregen. 5. Strategie: Redaktionelles Überarbeiten Auch die Schreibenden, die das redaktionelle Überarbeiten bevorzugen, legen sofort los und kommen schnell zu einer ersten Rohfassung, in der es allerdings noch viele Lücken und Sprünge gibt. Diese Rohfassung wird nicht beiseitegelegt, sondern immer wieder überarbeitet. Das Überarbeiten nimmt wesentlich mehr Zeit in Anspruch als das Schreiben der Rohfassung. Es werden Textstellen neu geschrieben, andere werden gestrichen oder umgestellt, neue Überleitungen oder Argumentationen werden integriert. Redaktionelle Überarbeiter: innen suchen immer wieder nach Unklarheiten, Doppelungen, Sprüngen, unpräzise formulierten oder sachlich ungenauen Passagen. Der gleiche Text wird immer 120 1.3 Schreiben <?page no="121"?> wieder überarbeitet, jede Fassung ist ausgereifter als die vorhergehende. Würde man die erste mit der letzten Fassung vergleichen, wären sie sehr unterschiedlich. Eine redaktionelle Überarbeiterin, die in der Schule Probleme wegen ihrer ‚unordent‐ lich‘ aussehenden handgeschriebenen Texte hatte, stellt fest: Die Erkenntnis, welcher Schreibtyp ich bin, half mir weiter, denn ich merkte, dass es gar nicht schlimm ist, immer wieder Stellen zu streichen, Neues einzufügen und zu korrigieren. (Sennewald, 2018, 205) Vorteile: ● Die erste Fassung kann schnell und motiviert heruntergeschrieben werden. ● Da sie so häufig überarbeitet werden, haben die Texte meistens eine stimmige Struktur und sind sprachlich gut durchgearbeitet. Nachteile: ● Wenn nach Lust und Laune überarbeitet wird, kann die Arbeit an schwierigen oder noch nicht funktionierenden Stellen im Text immer wieder aufgeschoben werden. ● Die intensiven Überarbeitungsprozesse können als sehr anstrengend empfunden werden. ● Die Arbeit am Text nimmt potenziell kein Ende, weil der Überarbeitungsprozess unendlich fortgesetzt werden kann und der Text nie als fertig betrachtet wird. Tipps und Tricks: ● Redaktionelle Überarbeiter: innen brauchen unbedingt Deadlines - sonst finden Sie nie ein Ende. ● Liegen diese Deadlines in der fernen Zukunft, sollten Sie sich Zwischendeadlines setzen und den Text zum Feedback aus der Hand geben. ● Feedback kann helfen, die Überarbeitungsbedürftigkeit des Textes wieder aus einer realistischen Perspektive zu betrachten. 6. Strategie: Textteil-Schreiben Textteil-Schreibende fangen mit dem an, was sie gerade am meisten interessiert, egal, ob das der Schluss, der Anfang oder ob es eine Stelle irgendwo mittendrin ist. Sie schreiben in sich abgeschlossene Textteile linear durch und stellen so nach und nach einzelne Portionen des Textes fertig, die aber noch nicht miteinander verbunden sind. Von noch nicht durchdachten oder schwierigen Aspekten lassen sie sich nicht aufhalten, sie überspringen sie einfach und machen weiter hinten oder auch weiter vorne weiter. Die Textentstehung kann daher ganz unterschiedliche Formen annehmen: Möglicherweise gibt es als erstes ein Fazit - und der Text wird dann auf dieses Fazit hin verfasst. Oder es existieren viele einzelne Textteile, die noch ausgewählt, geordnet und in einen Zusammenhang gebracht werden müssen. 1.3 Schreiben 121 <?page no="122"?> Ein Student schildert das Textteilschreiben wie folgt: Ich schreibe jedoch nicht stringent von vorne nach hinten, sondern schreibe sehr fragmen‐ tiert. Ich setze also jeweils den Teil des Textes um, der mir aktuell gut von der Hand geht. Die Überleitungen und Brücken erarbeite ich im Nachhinein, wenn alle Fragmente zusammengesetzt werden. (Sennewald, 2018, 220) Vorteile: ● Textteilschreiber: innen können früh mit dem Schreiben beginnen, da sie keinen detailliert ausgearbeiteten Plan benötigen. ● Die Textteile werden zügig geschrieben, häufig entsteht viel Text. ● Die Textteile können wie in einem Baukastensystem zu einem Gesamttext zusam‐ mengesetzt werden. Nachteile: ● Möglicherweise sind die Textteile aus so unterschiedlichen Perspektiven und mit einem so unterschiedlichen Wissensstand geschrieben, dass sie sich nicht sinnvoll zusammensetzen lassen. Werden sie trotzdem zusammengesetzt, kann dies zu lo‐ gischen Brüchen und sowohl inhaltlichen als auch strukturellen Unstimmigkeiten führen. ● Beim Textteilschreiben kann es zu vielen inhaltlichen Wiederholungen kommen, die beim Zusammensetzen des Textes gefunden und gestrichen werden müssen. ● Falls sich nur einige der vielen Textteile miteinander verbinden lassen, müssen Sie sich von großen Teilen des geschriebenen Textes wieder verabschieden. Tipps und Tricks: ● In der Phase des Zusammensetzens kommt es auf eine stimmige Auswahl an. Daher gilt es kritisch zu überprüfen: Was passt wirklich logisch zusammen? ● Damit die Textteile zueinander passen, müssen häufig noch überleitende oder verbindende Passagen geschrieben werden. ● Der Gesamttext muss sehr genau nach der logischen Reihenfolge der Informatio‐ nen und nach Doppelungen durchgegangen werden. Mix it! - So machen es die Profis Schreibstrategien mögen zwar zunächst mit individuellen Präferenzen beim Schreiben zusammenhängen, der gezielte Einsatz von verschiedenen Schreibstrategien zu ver‐ schiedenen Anlässen ist jedoch das, was professionelles Schreiben ausmacht. Schritt 1: Um die Schreibstrategien so einzusetzen wie Profis, sollten Sie in einem ersten Schritt darüber reflektieren, wie Sie beim Schreiben eigentlich vorgehen. Planen Sie eher oder schreiben Sie gleich drauflos? Schreiben Sie den Text in mehreren Versionen oder lieber Textteile in beliebiger Reihenfolge? Freuen Sie sich auf das Überarbeiten und Feilen am 122 1.3 Schreiben <?page no="123"?> Kap.-1.3.3 Kap. 1.3.3 Kap. 1.2.2 Kap. 1.3.4 Kap.-1.3.2 Kap.-1.1.2 Kap.-1.5.1 Text? Wie sind Sie in der Schule vorgegangen, wie gehen Sie jetzt im Studium vor? Was machen Sie typischerweise zuerst, was dann? Mischen Sie verschiedene Strategien? Gehen Sie, je nach Textsorte und Schreibanlass, unterschiedlich vor? Schritt 2: In einem zweiten Schritt gilt es zu überlegen, in welcher Phase des Schreibens Sie häufig vor welchen Herausforderungen stehen. Läuft das Planen gut, aber das Aufschreiben kostet Sie richtig viel Überwindung? Oder entsteht eine Menge Text, hat aber dann irgendwie keinen roten Faden? Verlieren Sie leicht den Überblick oder finden Sie kein Ende? Diese schwierigen Momente im Prozess der Textproduktion hängen sehr häufig mit der gewählten Schreibstrategie zusammen. Schritt 3: Schwierige Phasen im Schreibprozess können Sie häufig überwinden, indem Sie die Schreibstrategie wechseln. Um das Ausprobieren ungewohnter Schreibstrategien einfacher zu machen, können Sie folgende Methoden nutzen: ● Wenn es Ihnen schwerfällt, eine Textstruktur oder Gliederung zu entwickeln, könnten Sie zum Beispiel die Mindmap ausprobieren. ● Wenn es darum geht, eine inhaltlich logische Argumentation und einen roten Fa‐ den zu entwickeln, ist die Concept Map hilfreich. ● Wenn Ihnen die Ideen ausgehen, bringt ein Freewriting das Denken wieder in Schwung. ● ● ● Das Clustering kann bei der Erkenntnis helfen, wie viel (oder wenig) Sie schon zu einem Thema wissen. Die Pomodoro-Technik hilft Ihnen dabei, sich an den Schreibtisch zu setzen und motiviert Sie. Feedback setzt Zwischendeadlines, ermöglicht Ihnen, eine neue Perspektive auf den Text einzunehmen, und beschleunigt Überarbeitungsprozesse. Schritt 4: Tatsächlich eignen sich einzelne Schreibstrategien für unterschiedliche Textsorten und Schreibanlässe unterschiedlich gut. Ob Sie sofort drauflosschreiben können, hängt nicht nur davon ab, ob Sie diese Strategie besonders gerne nutzen, sondern auch, wie viel Vorwissen Sie zum Thema haben. Wissen Sie noch nichts, wird der Text vermutlich sehr kurz werden - und Sie kommen nicht weiter mit Ihrem Schreibprojekt. Planende Strategien und Methoden können Sie daher gut nutzen, um Recherchiertes und Zwischenergebnisse immer wieder festzuhalten - und zwar, ohne dass vor Beginn eine ausgetüftelte Gliederung vorliegen muss. Auch das Textteilschreiben eignet sich, um schrittweise vorzugehen und sich ein Thema nach und nach zu erarbeiten. Steht die Struktur - etwa das IMRAD-Schema - von Vorneherein fest, müssen Sie vielleicht gar nicht so viel Planungsarbeit leisten, sondern es geht eher darum, die Hilfstexte (etwa die Notizen im Laborbuch) verständlich und ausführlich genug zu gestalten, sodass Sie auch noch in ein paar Wochen oder Monaten inhaltlich gut nach‐ 1.3 Schreiben 123 <?page no="124"?> Kap.-1.3.3 s.narr.digit al/ 3bd7h s.narr.digit al/ tkju0 s.narr.digit al/ lbnfz vollziehen können, was Sie notiert haben. Von Ihren Notizen ausgehend könnten Sie dann ein Freewriting erstellen, um auf neue Ideen für den Diskussions- oder Fazitteil zu kommen. Wie eingangs erwähnt, sollten die eigenen Vorlieben beim Schreiben nicht als unabänderliches Schicksal betrachtet werden. Es geht vielmehr darum, ein Bewusstsein für die Stärken und Schwächen der eigenen Vorgehensweise zu entwickeln - und Methoden auszuprobieren, die das eigene Repertoire beim Schreiben erweitern können. Andere Strategien und neue Methoden sollten in unterschiedlichen Schreibphasen und mehrfach ausprobiert werden, um zu entscheiden, wann und ob sie den eigenen Schreibprozess unterstützen. Genau das macht professionelle Schreibkompetenz aus: Darüber zu reflektieren, an welchem Punkt man gerade steckt, zu erkennen, warum man mit der aktuellen Vorgehensweise nicht weiterkommt und zu überlegen, welche Strategie oder Methode man anwenden könnte, um den Schreibprozess wieder in Gang zu bekommen. Hilfreiches im Netz: Erklärfilm „Was sind Schreibstrategien? “ Martin, G.R.R. (2018): George RR Martin on the Two Types of Writers. Schreibtypentest auf der Seite des Schreibzentrums der Goethe-Universi‐ tät-Frankfurt Literatur B R ÄU E R , G. (2014): Grundprinzipien der Schreibberatung: Eine pragmatische Sicht auf die Schreibprozesstheorie“, in: D R E Y F Ü R S T , S. / S E N N E W A L D , N. (Hrsg.) Schreiben: Grundlagentexte zur Theorie, Didaktik und Beratung. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich (UTB), S. 257- 282. F L O W E R , L. / H A Y E S , J.R. (1981): „A Cognitive Process Theory of Writing“, College Composition and Communication, 32(4), S.-365-387. M A C A R T H U R , C.A. (2012): „Strategies Instruction“, in: H A R R I S , K.R. et al. (Hrsg.) APA Educational Psychology Handbook. Washington, DC: American Psychological Association, S.-379-401. O R T N E R , H. (2000): Schreiben und Denken. Tübingen: M. Niemeyer. S E N N E W A L D , N. (2014): „Schreibstrategien: Ein Überblick“, in D R E Y F Ü R S T , S. and Sennewald, N. (Hrsg.) Schreiben: Grundlagentexte zur Theorie, Didaktik und Beratung. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich (UTB), S.-169-190. S E N N E W A L D , N. (2018): Reflexion in Kommunikation: Eine empirische Untersuchung von Ein‐ flussfaktoren auf Schreibprozesse. Habilitationsschrift. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Fachbereich Neuere Philologien. Frankfurt am Main. S E N N E W A L D , N. (2021): Schreiben, Reflektieren, Kommunizieren: Studie zur subjektiven Wahr‐ nehmung von Schreibprozessen bei Studierenden. Bielefeld: wbv Media. Available at: DOI: 10.3278/ 6004771w (Zugriff am 24.06. 2021) 124 1.3 Schreiben <?page no="125"?> 44 Ich danke Annika Schichtel, Lina Eicke-Kanani, Jonas Schweitzer und Theresa Beerbaum für ihre Anregungen. Annika Schichtel, Lina Eicke-Kanani und Jonas Schweitzer haben als Peer-Tutor: innen am Schreibzentrum am Riedlberg der Goethe Universität Frankfurt am Main gearbeitet. Theresa Beerbaum ist Mitarbeiterin am Schreibzentrum der TU Dresden. Kap.-1.5.2 1.3.2 Struktur und Gliederung von MINT-Texten: Die IMRaD-Struktur und ihre Varianten Kerstin Minnich, mit Anregungen von Annika Schichtel, Lina Eicke-Kanani, Jonas Schweitzer und Theresa Beerbaum 44 Die Gliederung ist beim Schreiben ein wichtiges Hilfsmittel; unter anderem wenn Sie MINT- Texte planen oder den Inhalt eines Kapitels auf einen roten Faden hin überprüfen möchten. Hilfreiche Methoden und Tipps zur Entwicklung einer Gliederung stellen wir Ihnen im zweiten Teil dieses Kapitels vor. Zunächst geht es jedoch um Strukturelemente, die in MINT-Texten das Grundgerüst einer Gliederung bilden. 1. Strukturelemente von MINT-Texten Die IMRaD-Struktur in MINT-Texten Der Aufbau der meisten MINT-Texte ist durch die IMRaD-Struktur vorgegeben. Der Begriff „IMRaD“ ist abgeleitet von der englischen Bezeichnung der Unterkapitel Intro‐ duction (Einleitung), Methods (Methoden), Results (Ergebnisse) and Discussion (Dis‐ kussion). Diese Unterkapitel bilden nicht nur das Grundgerüst einer Gliederung, sie übernehmen auch verschiedene Funktionen bei der Argumentation in MINT-Texten. IMRaD-Sanduhrmodell Die IMRaD-Struktur lässt sich mit der Form einer Sanduhr vergleichen. Wie in Abb. 1.3.1 dargestellt, symbolisieren die Ober- und Unterseite der Sanduhr die Einleitung und die Diskussion, die sich strukturell spiegeln. Während die Einleitung thematisch breit mit der Beschreibung des Forschungsbereichs startet und mit einer spezifischen Forschungs‐ frage bzw. These endet, beginnt die Diskussion mit einer spezifischen Antwort auf die Forschungsfrage bzw. einer Beurteilung der These. Zum Ende hin öffnet sich die Diskussion wieder dem gesamten Forschungsbereich, indem z.-B. die Bedeutung der Ergebnisse für das Forschungsfeld beschrieben wird. Im Mittelteil der Sanduhr befindet sich die Beschreibung der Forschung und deren Ergebnisse, der Methoden- und Ergebnisteil. Je nachdem, ob die Arbeit empirisch oder theoretisch ausgerichtet ist, wird im Mittelteil neben dem Ergebnisteil das Unterkapitel „Methoden“ oder „Theoretische Grundlagen“ aufgeführt. Gelegentlich werden auch in empirischen Arbeiten sowohl „Theoretische Grundlagen“ als auch „Methoden“ beschrieben, vgl. manche Fachbereiche der Ingenieurswissenschaften oder der Informatik (siehe auch Infobox). 1.3 Schreiben 125 <?page no="126"?> Abb. 1.3.1: Die IMRaD-Struktur als Sanduhrmodell. IMRaD steht für die englische Bezeichnung der Unterkapitel Introduction (Einleitung), Methods (Metho‐ den), Results (Ergebnisse) and Discussion (Diskussion). Einleitung und Diskussion sind symbolisiert durch die Ober-und Unterseite einer Sanduhr und spiegelbildlich zueinander strukturiert. Im Mittelteil der Sanduhr befinden sich die Kapitel Methoden und/ oder Theoretische Grundlagen sowie der Ergeb‐ nisteil. Der Beitrag der Unterkapitel zum roten Faden (= rote Pfeile) einer Arbeit ist auf der rechten Seite aufgelistet. Warum IMRaD? Eine strikte Unterteilung nach IMRaD erleichtert es den Leser: innen, die meist kom‐ plexen Sachverhalte in MINT-Texten nachzuvollziehen. Wenn Einleitung, Methoden, 126 1.3 Schreiben <?page no="127"?> Kap.-1.2.5 Ergebnisse und Diskussion zuverlässig an gewohnten Stellen im Text zu finden sind, können wir uns beim Lesen eines Papers schnell im Text orientieren und gut auf den Inhalt konzentrieren. Der erste Schritt zu einem lesefreundlichen Text ist also die IMRaD-Struktur zu beachten. Innerhalb der Unterkapitel gibt es noch weitere Strukturelemente, die für den Lesefluss wichtig sind. Viele kennen vermutlich die Situation, dass nach dem Lesen eines Papers das vage Gefühl zurückbleibt, dass der Text „irgendwie“ schlecht ge‐ schrieben ist. Ursache dafür können, neben stilistischen und inhaltlichen Schwächen, fehlende Strukturelemente sein. Diese werden häufig teils unbewusst oder intuitiv von Leser: innen erwartetet und im Folgenden als „versteckte Strukturelemente“ bezeichnet (siehe auch Abb. 1.3.2). Versteckte Strukturelemente in der Einleitung Die versteckten Strukturelemente der Einleitung wurden bereits von John Swales anschaulich beschrieben (vgl. Swales 1990). Er benennt drei Strukturelemente durch die Leser: innen Schritt für Schritt zur Forschungsfrage bzw. These hingeführt werden (siehe auch Abb. 1.3.2 E1-E3): 1. Etablierung eines Forschungsbereichs. 2. Etablierung einer Forschungsnische innerhalb des Forschungsbereiches. 3. Besetzung der Forschungsnische mit einer Forschungsfrage oder These. Die drei Punkte werden im Folgenden näher erläutert. Etablierung eines Forschungsbereichs Zu Beginn einer Arbeit wird der Forschungsbereich vorgestellt, in dem die Studie an‐ gesiedelt ist. In diesem Zusammenhang wird üblicherweise die Relevanz des For‐ schungsbereichs hervorgehoben, d. h. die Frage beantwortet, warum es wichtig ist, Studien in dem vorgestellten Forschungsbereich zu betreiben (z. B. Bedeutung für In‐ dustrie, Gesellschaft, Gesundheit etc.). Im Anschluss daran folgen Hintergrundinfor‐ mationen, die die Leser: innen auf den Wissensstand bringen, der nötig ist, um die Studie zu verstehen. Dabei ist es in den meisten Fachbereichen üblich, nur diejenigen Infor‐ mationen mit Zitaten zu belegen, die über „Lehrbuchwissen“ hinausgehen. Aufzeigen einer Forschungsnische Im nächsten Schritt wird eine Forschungsnische in der Fachliteratur aufgezeigt. Das kann ein Angriff auf bereits veröffentlichte Forschungsergebnisse sein, falls diese in der Arbeit widerlegt werden. Alternativ wird häufig eine Forschungsnische durch sorgfältig ausgewählte Publikationen etabliert, die an den Grenzen des bekannten Wissens angesiedelt sind. Die Bedeutung der verwendeten Literatur hat Joshua Schimel durch den Vergleich einer Einleitung mit einer Literatur Review sehr treffend klar gemacht (Schimel 2012, 56): 1.3 Schreiben 127 <?page no="128"?> Kap. 2.3.5 Kap.-1.5.3 Der Unterschied zwischen Literatur Review und Einleitung ist, dass eine Literatur Review eine solide Wand bildet - die Wissen beschreibt - während eine Einleitung sich auf das Loch in der Wand fokussiert - und Ignoranz beschreibt. Sie erzählen unterschiedliche Geschichten und treiben die Geschichte auf verschiedene Weise voran. Sie benutzen auch vorhandene Literatur verschiedenartig, eine Einleitung konzentriert sich auf Publikationen welche die Ränder und nicht den Kern des Wissens beschreiben. Es geht in der Einleitung also nicht hauptsächlich darum, das gesamte Wissen eines Forschungsbereichs zu beschreiben. Sobald Sie Ihre Leser: innen mit allen nötigen Hintergrundinformationen versorgt haben, können Sie dazu übergehen, gezielt Publi‐ kationen zu zitieren, die eine Forschungsnische deutlich machen. Besetzung der Forschungsnische mit einer Forschungsfrage oder These Im letzten Abschnitt der Einleitung wird die Forschungsnische durch eine Forschungs‐ frage oder eine These besetzt. In Abschlussarbeiten geschieht dies üblicherweise in dem Unterpunkt „Ziel der Arbeit“. Wenn Sie Ihre Forschungsfrage oder These formulieren, ist es wichtig, dass Sie dem: der Leser: in klar vor Augen führen durch welche neuen Aspekte Ihre Studie sich von bisherigen Studien unterscheidet. Danach wird ein Überblick über die wichtigsten Methoden oder das Studiendesign gegeben. Je nach Fachbereich ist es zudem üblich, die Schlüsselergebnisse Ihrer Arbeit am Ende der Einleitung kurz zusammenzufassen (siehe auch Infobox). Abbildungen in der Einleitung In der Einleitung können Sie in manchen Fachbereichen Abbildungen einsetzen, um das Geschriebene visuell zu unterstützen. Insbesondere eignen sich Übersichtsgrafiken, die beim Verständnis komplexer Sachverhalte und deren Zusammenhänge helfen. Bitte beachten Sie jedoch, dass Abbildungen in der Einleitung nicht in allen Fachbereichen üblich sind und z. B. in der Physik und Mathematik Ihre Leser: innen sehr irritieren würden (siehe auch Infobox). Versteckte Strukturelemente im Methodenteil Verschiedene Strukturierungsweisen Der Methodenteil kann auf sehr unterschiedliche Weise strukturiert werden, je nachdem, ob es sich um ein Paper oder eine Abschlussarbeit handelt bzw. je nach Fachbereich und den Leser: innen, an die der Text gerichtet ist. So wird z. B. in theoretischen Arbeiten in der Regel das Unterkapitel „Theoretische Grundlagen“ aufgeführt. Aber auch hier gibt es immer eine zugehörige Methodik (wie Simulationen, Algorithmen oder statistische Prinzipien), die je nach Disziplin entweder in das Unterkapitel „Theoretische Grundlagen“ integriert, als eigene Unterkapitel aufgeführt oder in einem Unterkapitel „Methoden“ zusammengefasst werden. Je nach Fachbereich können also zusätzlich zu dem Unterkapitel „Methoden“ weitere Unterkapitel, wie z. B. „Materialien“, „Statistische Auswertung“ oder „Theoretischer Hintergrund“ in der 128 1.3 Schreiben <?page no="129"?> Kap.-1.5.4 Gliederung enthalten sein. Um zu entscheiden, welche Art der Gliederung in Ihrem Fall sinnvoll ist, prüfen Sie am besten die Vorgaben Ihres Fachbereichs, diskutieren Sie mit Ihrem: r Betreuer: in oder orientieren Sie sich an bereits abgegebenen Arbeiten aus Ihrer Arbeitsgruppe, die mit Ihrer vergleichbar sind (siehe auch Infobox). Methodenbeschreibung Womöglich stellen Sie sich die Frage, wie ausführlich Sie theoretische Grundlagen und/ oder Methoden beschreiben sollen. Um diese Frage zu beantworten ist es hilfreich sich Bachelor- oder Masterstudierende als Leser: innen vorzustellen, deren Arbeit auf Ihrer Arbeit aufbaut. Wenn Neulinge in der Arbeitsgruppe Ihre Arbeit verstehen sollen, wie ausführlich müssen dann z. B. in theoretischen Arbeiten die Grundlagen beschrieben werden? Und falls Sie eine empirische Arbeit schreiben, wie sehr müssen Sie bei den Methoden ins Detail gehen, damit diese von Ihren Nachfolger: innen reproduziert werden können? Methoden in empirischen Arbeiten In empirischen Arbeiten gleicht der Methodenteil häufig einer Kochrezeptsammlung, wobei Materialien und Methoden in zwei gesonderten Unterkapiteln behandelt wer‐ den, wenn beispielsweise alle Materialien detailliert aufgelistet werden müssen. Sie können dann nach Materialien (Bechergläser, Pipetten, Schottflaschen), Geräten (elek‐ tronische Kontaktthermometer, Thermomixer, Zentrifuge), Chemikalien oder, z. B. im Bereich Informatik, nach Hardwarespezifikationen kategorisieren. Die Kategorien lassen sich am besten in Tabellen auflisten, wobei alle Materialien samt Hersteller, Firmenname und Firmensitz angegeben werden müssen. Bei komplexeren verfah‐ renstechnischen Anlagen ist es außerdem üblich, zu allen Anlagenteilen (Apparate, Armaturen usw.) neben den Herstellerinformationen den zulässigen Bereich der Betriebsparameter (Druck, Temperatur) anzugeben. In manchen Arbeiten können Ma‐ terialien und Herstellerangaben bei der Methodenbeschreibung - meist in Klammern - in den Fließtext integriert werden. Datenauswertung und Fehlerbetrachtung Im Methodenteil werden nicht nur Analyseverfahren und deren Durchführung be‐ schrieben. Leser: innen, die Ihre Studie reproduzieren möchten, müssen auch wissen, wie die Daten ausgewertet wurden. Angaben zu mathematischen Modellen, (numme‐ rierten) Formeln, Rechenwegen und statistischen Methoden sind daher erforderlich. Je nach Fachbereich ist es an dieser Stelle üblich, etwaige Fehler der Analysemethoden zu betrachten. Fehlerbetrachtung bedeutet, dass Sie sowohl die Fehlerrechnungsme‐ thode erläutern als auch weitere Fehlerpotenziale nennen, die beispielsweise aus der Durchführung resultieren. 1.3 Schreiben 129 <?page no="130"?> Zusammengefasst sollten folgende Elemente im Methodenteil behandelt werden, um eine Reproduktion der Arbeit zu ermöglichen (siehe auch Abb.-1.3.2): Materialien benennen und/ oder Methoden beschreiben und/ oder theoretische Grundlagen beschreiben und/ oder Hintergrund der verwendeten Methoden/ Theorien vorstellen und/ oder Datenauswertung und Statistik beschreiben. Versteckte Strukturelemente im Ergebnisteil Für den Lesefluss ist es von Vorteil, wenn der Ergebnisteil in drei Abschnitte gegliedert ist (siehe auch Abb.-1.3.2, ET1-ET3): 1. Forschungsfrage/ These/ Studiendesign rekapitulieren. 2. Ergebnisse präsentieren. 3. Schlüsselergebnisse zusammenfassen. Diese drei Punkte werden im Folgenden näher erläutert. Forschungsfrage/ These/ Studiendesign rekapitulieren Damit sich Leser: innen gut im Text orientieren können, speziell solche, die hauptsäch‐ lich an den Ergebnissen interessiert sind und Einleitung und Methodenteil möglicher‐ weise nur kurz überfliegen, sollte zu Beginn des Ergebnisteils eine kurze Einführung stehen. Darin können Sie Ihren Leser: innen die Forschungsfrage bzw. These noch einmal ins Gedächtnis rufen, zusammen mit dem Studiendesign oder einer kurzen Zusammenfassung der verwendeten Methoden. Ergebnisse präsentieren Wie und in welcher Reihenfolge die Daten und Ergebnisse präsentiert werden, hängt von der Argumentationsstrategie der Arbeit ab. Je nach Art der Arbeit, Konventionen im Fachbereich oder Lesergewohnheiten kann es z. B. sinnvoll sein, Ergebnisse aus Vorversuchen oder theoretische Arbeiten, auf denen Ihre Forschung aufbaut, an den Anfang zu stellen und mit dem Hauptversuch bzw. zentralen Resultat zu enden. Oder aber Sie beginnen mit dem wichtigsten Ergebnis, gefolgt von Ergebnissen aus Experimenten, die Details klären. Im Falle von theoretischen Arbeiten werden eigene Ergebnisse durch Ergebnisse aus Publikationen argumentativ gestützt. Die eingangs erwähnte Forderung, dass Inhalte einer MINT-Arbeit streng in Un‐ terkapitel unterteilt werden sollten (vgl. Abschnitt „Warum IMRaD? “) trifft für den Ergebnisteil nur bedingt zu. Zwar sollte in erster Linie nur eine Beschreibung der Daten 130 1.3 Schreiben <?page no="131"?> erfolgen, je nach Studie kann es aber nötig sein, Methoden oder Auswertungsweisen kurz zu rekapitulieren. Ebenso sind Schlussfolgerungen und Interpretationen von Ergebnissen (die eigentlich in die Diskussion gehören) zulässig, um Leser: innen einen roten Faden an die Hand zu geben und zu zeigen, wie die Ergebnisse Schritt für Schritt zum Erreichen des Forschungsziels beitragen, z. B. „Das Ergebnis von Experiment A deutet auf Sachverhalt XY hin. Um XY weiter zu verifizieren wurde im nächsten Schritt Experiment B durchgeführt.“. Die Frage, ab wann die Erwähnung von Methoden oder die Interpretation von Ergebnissen im Ergebnisteil überhandnimmt, lässt sich mit Blick auf die Zielgruppe beantworten, die durch den Text angesprochen werden soll. Können Ihre Leser: innen die Experimente bzw. Beweise und deren Reihenfolge im Ergebnisteil nachvollziehen, ohne zurück in den Methodenteil blättern zu müssen bzw. ohne zu rätseln, warum auf Experiment/ Beweis A Experiment/ Beweis B folgt? Umgekehrt sollten Sie auch bedenken: Welche Informationen könnten Leser: innen irritieren, weil sie als redundant oder überflüssig empfunden werden, z. B. ausführliche Beschreibungen von Routine‐ methoden? Schlüsselergebnisse zusammenfassen Zum Abschluss des Ergebnisteils ist es in den meisten Fachbereichen üblich, die wichtigsten Befunde, die zum Forschungsziel beitragen, kurz zusammenzufassen. In einzelnen Fachbereichen, z. B. der Informatik, erfolgt diese Zusammenfassung der Schlüsselergebnisse meist erst in der Diskussion (siehe auch Infobox). Versteckte Strukturelemente in der Diskussion Wie schon die Einleitung und der Ergebnisteil, lässt sich auch die Diskussion in drei Strukturelemente untergliedern (siehe Abb.-1.3.2, D1-D3): 1. Forschungsfrage beantworten/ auf These Bezug nehmen. 2. Ergebnisse im Kontext der Fachliteratur einbetten. 3. Fazit. Diese werden im Folgenden näher erläutert. Forschungsfrage beantworten/ auf die These Bezug nehmen Zu Beginn der Diskussion steht die Antwort auf die Forschungsfrage bzw. die Beur‐ teilung der These im Vordergrund. Somit ist es für den Lesefluss hilfreich, wenn Sie zunächst einen Bezug zur Einleitung herstellen und die Forschungsfrage bzw. These kurz rekapitulieren. Indem Sie im Anschluss daran Ihre Schlüsselergebnisse und die wichtigsten Schlussfolgerungen daraus zusammengefasst präsentieren, können Sie Ihren Leser: innen unmittelbar vor Augen führen, inwiefern Sie mit Ihrer Arbeit die Forschungsfrage beantwortet bzw. Ihre These belegt haben. 1.3 Schreiben 131 <?page no="132"?> Abb. 1.3.2: Strukturelemente der Unterkapitel. Die Unterkapitel beinhalten Strukturelemente, die den Lesefluss erleichtern und, je nach Fachbereich, von der Leser: innenschaft vorausgesetzt werden. E1-E3: Strukturelemente der Einleitung; M: Struktur‐ element des Methodenteils; ET1-ET3: Strukturelemente des Ergebnisteils; D1-D3: Strukturelemente der Diskussion. 132 1.3 Schreiben <?page no="133"?> Ergebnisse im Kontext der Fachliteratur einbetten Der Mittelteil einer Diskussion dient der Erklärung, Bewertung und Interpretation der Ergebnisse im Kontext der Fachliteratur und ist daher sehr flexibel im Aufbau. Häufig wird von „groß“ nach „klein“ argumentiert, das heißt die auffälligsten und wichtigsten Resultate werden zuerst besprochen, danach wird auf komplexere und womöglich subtilere Ergebnisse eingegangen. Weiterhin erwarten Ihre Leser: innen, dass Sie in der Diskussion Gründe für unerwartete Ergebnisse liefern und Limitationen in Ihrer Arbeit, z. B. bei Versuchsund/ oder Auswertungsmethoden, offen ansprechen. Dies wird Ihnen bei der Beurteilung Ihrer Arbeit nicht negativ ausgelegt werden - im Gegenteil: Durch einen offenen Umgang mit Fehlern oder Schwachstellen, z. B. im Studiendesign oder in Schlussfolgerungen aus Ihren Ergebnissen, stellen Sie unter Beweis, dass Sie die gute wissenschaftliche Praxis beherrschen. Fazit Die Diskussion endet üblicherweise mit einem Fazit. Hier wird die Bedeutung der Ergebnisse für den eingangs etablierten Forschungsbereich aufgezeigt, z. B. indem neue oder abgeänderte Modelle oder Theorien vorgestellt und/ oder Vorschläge für künftige Studien gemacht werden. Durch diese thematische Öffnung zum Forschungsbereich wird zum Ende der Diskussion wieder Bezug auf den Beginn der Einleitung genommen. Strukturelemente des Abstracts Der Abstract ist das Aushängeschild eines wissenschaftlichen Textes, denn Leser: innen entscheiden sich häufig aufgrund des Abstracts für oder gegen das Weiterlesen. Daher sollten Sie im Abstract Ihre Arbeit klar und prägnant präsentieren. Ein erster Schritt in diese Richtung ist eine sinnvolle Gliederung. Strukturell besteht der Abstract, verglichen mit dem Sanduhrmodell, ausschließlich aus einer Ober- und einer Unterseite: der Einleitung und der Diskussion. Denn Infor‐ mationen zu Methoden und Ergebnissen sind im Abstract aus versteckten Strukturele‐ menten der Einleitung und Diskussion abgeleitet (vgl. Abb. 1.3.2). Das heißt, indem Sie entsprechende Schlüsselstellen aus der Einleitung und der Diskussion paraphrasieren, können Sie im Abstract Ihre Methoden und Ergebnisse kurz und prägnant vorstellen (z. B. findet sich eine Zusammenfassung der verwendeten Methoden meist im letzten Abschnitt der Einleitung einer Abschlussarbeit. Ergebnisse werden üblicherweise zu Beginn der Diskussion zusammengefasst. Auch hinsichtlich Einleitung und Diskussion können Sie für den Abstract Schlüsselstellen aus dem Fließtext heranziehen und diese zusammenfassen oder paraphrasieren. Die Schlüsselstellen sind zusammen mit den Strukturelementen des Abstracts in Tabelle 1.3.1 aufgeführt. 1.3 Schreiben 133 <?page no="134"?> Tab. 1.3.1: Strukturelemente des Abstracts und deren Pendants im Fließtext. Strukturelemente Abstract Schlüsselstellen im Fließtext Forschungsbereich etablieren Einleitung: erster Absatz Forschungsnische etablieren Einleitung: Mittelteil Forschungsnische besetzen, inkl. Forschungs‐ frage/ These und Methoden/ Studiendesign Einleitung: letztes Unterkapitel (Abschlussar‐ beiten)/ letzter Absatz (Paper) Forschungsfrage beantworten: Schlüsseler‐ gebnisse und Schlussfolgerungen Diskussion: erstes Unterkapitel (Abschlussar‐ beiten)/ erster Absatz (Paper) Fazit Diskussion: letztes Unterkapitel (Abschluss‐ arbeiten)/ letzter Absatz (Paper) Meist gibt es Vorgaben oder Guidelines zur Struktur des Abstracts, z. B. zu Zwischen‐ überschriften, Länge etc., die Sie unbedingt beachtet sollten (siehe auch Infobox). Statt eines Abstracts wird in Abschlussarbeiten auch häufig ein Kapitel „Zusammenfassung“ gefordert, und manchmal zusätzlich eine englische Version der Zusammenfassung. Strukturell sind solche Zusammenfassungen mit dem Abstract vergleichbar. Infobox Bei der Gliederung von MINT-Texten Vorgaben und Guidelines beachten! Nicht alle Strukturkonventionen aller MINT-Fachrichtungen und aller Textsor‐ ten können in diesem Kapitel beschrieben werden. Das gilt auch für formale Unterkapitel wie z. B. das Abbildungsverzeichnis oder das Literaturverzeichnis. Daher sollten Sie Vorgaben und Guidelines zur Struktur Ihrer Arbeiten genau studieren und beachten. In einigen Arbeitsgruppen werden Studierenden für Ab‐ schlussarbeiten Templates zur Verfügung gestellt, benutzen Sie diese zwingend! Je nach Fachrichtung oder Art der Abschlussarbeit kann es nötig sein, den Stand der Forschung nicht in der Einleitung, sondern in einem Unterkapitel „Theore‐ tische Grundlagen“ zusammenzufassen, die Diskussion in den Ergebnisteil zu integrieren oder das Fazit als eigenes Kapitel aus der Diskussion auszugliedern. Auch die hier vorgestellten versteckten Strukturelemente können variieren. Um Strukturelementen auf die Spur zu kommen, die für Ihre Arbeit relevant sind, sollten Sie Texte derjenigen Textsorte, in der Sie schreiben, gezielt analysieren, z. B. Bachelor-/ Masterarbeiten oder Dissertationen der Fakultät. Achten Sie darauf, welche versteckten Strukturelemente aus Abbildung 2 und 3 in den jeweiligen Unterkapiteln und den Abstracts verwendet werden, wie z. B. zur Forschungsfrage hingeleitet wird oder ob beispielsweise Schlüsselergebnisse bereits in der Einleitung zusammengefasst werden. 134 1.3 Schreiben <?page no="135"?> Kap.-1.3.1 Kap.-1.3.3 Kap.-1.5.2 Im Zweifelsfall raten wir dazu, die hier genannten Strukturelemente an die geforderten bzw. vorgefundenen Strukturkonventionen anzupassen, da diese den Erwartungen der Leser: innen Ihres Fachbereiches entsprechen. 2. Eine Gliederung entwickeln Grundsätzlich gilt, dass bei der Entwicklung einer Gliederung alles „erlaubt“ ist, was Ihnen hilft voran zu kommen. Während manche Autor: innen sehr schnell erste Stichpunkte zusammentragen und lange an der Gliederung feilen, ehe das erste Wort geschrieben wird, entwickeln andere die Gliederung Hand in Hand mit dem Fließtext. In diesem Sinne gibt es keine einzig „wahre“ Herangehensweise an eine Gliederung. Die folgenden Tipps und Methoden sind daher als Empfehlungen zu verstehen, die Sie je nach Vorliebe ausprobieren und in Ihre eigene Schreibroutine integrieren oder auch ignorieren können. Wo beginnen? Beginnen Sie Ihre Gliederung am besten mit der Forschungsfrage und dem Ergebnisteil. Schreibmethoden und Tipps dazu werden in den folgenden Unterkapiteln vorgestellt. Forschungsfrage/ These Die Forschungsfrage bzw. die These bilden den Ausgangspunkt des roten Fadens von MINT-Texten und prägen somit die Struktur aller Unterkapitel. In manchen Fachbereichen steht eine präzise Fragestellung möglicherweise schon zu Beginn der Forschungsphase fest, z. B. wenn in Abschlussarbeiten der Ingenieurswissenschaften oder der Informatik eine konkrete Problemlösung oder die Optimierung einer Methode beschrieben wird. Für alle Abschlussarbeiten, deren Forschungsphase jedoch mit einer vorläufigen Arbeitshypothese startet, die sich im Laufe der Forschung möglicherweise wandelt, empfehlen wir die Forschungsfrage bzw. die These zu präzisieren, bevor die Gliederung eines MINT-Textes angegangen wird. Der Einfluss der Forschungsfrage auf den logischen Aufbau von MINT-Texten, im speziellen von Einleitung, Ergebnisteil und Diskussion wird im folgenden Beispiel deutlich, in dem eine präzise Forschungsfrage einer vagen Forschungsfrage gegen‐ übergestellt wird: Präzise Forschungsfrage: (1) Welchen Einfluss hat Protein X auf die Aktivierung von B-Zellen in Kniekehlenlymphknoten? Vage Forschungsfrage: (2) Welche Rolle hat Protein X in Lymphknoten? Einfluss der Forschungsfrage auf die Einleitung Bei Forschungsfrage (1) sind einige konkrete Ansätze denkbar, wie in der Einleitung eine präzise Forschungsnische beschrieben werden könnte. Eventuell wurde der Einfluss der Proteine X 1 , X 2 und X 3 auf die Aktivierung von B-Zellen bislang erst 1.3 Schreiben 135 <?page no="136"?> 45 Weiterführende Literatur zur Präzisierung der Forschungsfrage: W A Y N E C. Booth et al. (18. Oktober 2016): „The Craft of Research”, 4. Edition. University of Chicago Press. . Kap.-1.3.4 lückenhaft untersucht und für X gesamt ist dies bisher noch nicht gelungen. Oder der Aktivierungsmechanismus wurde erst kürzlich in der Literatur beschrieben aber nur in Zellkulturen und noch nicht speziell in Kniekehlenlymphknoten. Vielleicht konnte in der Arbeit aber auch eine vorherige Studie, die eine Deaktivierung von B-Zellen durch Protein X gezeigt hatte, widerlegt werden, so dass die Forschungsnische durch einen Angriff auf die Deaktivierungs-Studie etabliert werden kann. Im Fall (2) dagegen handelt es sich im Grunde um keine Forschungsfrage, da keine spezifische Forschungsnische fokussiert wird. In unserem Beispiel „Was ist die Rolle von Protein X in Lymphknoten? “ können theoretisch alle Veröffentlichungen zu „Protein X“ und „Lymphknoten“ als Hintergrundinformationen für die Einleitung herangezogen werden, so dass es schwierig ist, Literatur einzugrenzen, Informationen aus der Literatur zu priorisieren und eine klar definierte Forschungsnische zu beschreiben. Manchmal verbergen sich hinter einer vagen Forschungsfrage auch mehrere Forschungsnischen, die Autor: innen in einer einzigen Forschungsfrage unterbringen möchten. Achten Sie daher darauf, dass Sie verschiedene (Unter-) Forschungsfragen einer Arbeit klar definieren, die sich gegebenenfalls in der Gliederung von Einleitung, Ergebnisteil und Diskussion in separaten Teilen mit jeweils einem roten Faden widerspiegeln. Einfluss der Forschungsfrage auf Ergebnisteil und Diskussion Eine präzise Forschungsfrage ermöglicht nicht nur die präzise Beschreibung der Forschungsnische, sondern auch die Formulierung einer präzisen Antwort auf die For‐ schungsfrage. Dies wiederum erleichtert im Ergebnisteil die Entwicklung einer klaren Argumentationslinie, die Schritt für Schritt zur Beantwortung der Forschungsfrage führt. Im Gegensatz dazu stehen bei einer vagen Forschungsfrage die Ergebnisse oftmals gleichberechtigt nebeneinander, so dass es viele mögliche Alternativen gibt die Ergeb‐ nisse anzuordnen, die aber alle willkürlich erscheinen. Eine präzise Antwort auf eine präzise Forschungsfrage erleichtert darüber hinaus die Strukturierung der Diskussion. Zusammenfassend kann eine unpräzise Forschungsfrage durch ihren Einfluss auf die Struktur von Einleitung, Ergebnisteil und Diskussion, den gesamten Schreibprozess ins Stocken bringen. Um dies zu vermeiden sollten Sie zu Beginn Ihrer Gliederung Ihre Forschungsfrage präzisieren. Dazu eignet sich eine abgewandelte Form des Kreuzver‐ hörs nach Gabriele Ruhmann (vgl. Ruhmann), bei der die Forschungsfrage hinterfragt wird (siehe Methodenkasten Kreuzverhör). Darüber hinaus ist es hilfreich, wenn Sie sich zur Formulierung der Forschungsfrage Feedback (siehe Methodenkasten Feed‐ back) einholen und z. B. mit Kolleg: innen, Kommiliton: innen und dem: der Betreuer: in darüber diskutieren. Ausgangspunkt für diese Diskussionen können dabei die Fragen aus der Methode Kreuzverhör sein 45 . 136 1.3 Schreiben <?page no="137"?> Methodenkasten Kreuzverhör Für eine sinnvolle Gliederung Ihrer Arbeit benötigen Sie eine präzise Forschungsfrage bzw. These. Um Ihre Forschungsfrage zu präzisieren, können Sie die Kreuzverhörme‐ thode verwenden. Dazu nehmen Sie sich am besten 15-20 Minuten Zeit und versuchen folgende Fragen möglichst klar und in ganzen Sätzen zu beantworten: 1. Ich arbeite/ forsche an … 2. …um herauszufinden … wer/ was … wann … wo … welche/ r/ s … warum … wie … ob … 3. … um zu verstehen … wie … warum … ob … 4. An welchem Thema arbeiten Sie? 5. Was sind die wichtigsten Methoden/ Theorien, die Sie dabei verwenden? 6. Was ist/ sind das/ die Ziel/ e Ihrer Arbeit? 7. Welche Fragen beantwortet Ihre Studie? 8. In welchem Bereich Ihres Faches ist die Studie genau angesiedelt? 9. Wer wird Ihre Ergebnisse nützlich finden? 10. Welche Aspekte Ihres Forschungsansatzes und/ oder Studiendesigns sind neu auf Ihrem Forschungsgebiet? 11. Definieren Sie Ihre Forschungsfrage bzw. These in einem langen Satz mit so vielen Wörtern wie nötig und so detailliert wie möglich. 12. Ist Ihre Forschungsfrage sehr komplex oder sehr vage? Falls ja, wäre es sinn‐ voll die Forschungsfrage bzw. These in mehrere präzise Forschungsfragen bzw. Thesen oder z. B. in eine Hauptforschungsfrage und mehrere Unterforschungs‐ fragen zu unterteilen? Falls dem so ist, definieren Sie all diese Forschungsfragen bzw. Thesen separat, jeweils in einem langen Satz mit so vielen Wörtern wie nötig und so detailliert wie möglich. Versuchen Sie nach Beantwortung aller Fragen Ihre Forschungsfrage(n) bzw. These(n) möglichst präzise und prägnant niederzuschreiben. Eventuell fallen Ihnen dazu mehrere Alternativen ein. Notieren Sie auch diese. Holen Sie sich im letzten Schritt Feedback zu Ihrer(n) Forschungsfrage(n) bzw. These(n) ein, z. B. bei Kolleg: innen, Kommiliton: innen und/ oder dem: der Betreuer: in. Falls Sie Schwierigkeiten hatten, die obigen Fragen zu beantworten, können Sie diese ebenfalls mit Kolleg: innen, Kommiliton: innen und/ oder dem: der Betreuer: in diskutieren. 1.3 Schreiben 137 <?page no="138"?> Ergebnisteil Ist die Forschungsfrage klar und präzise formuliert, können Sie im nächsten Schritt Ihren Ergebnisteil strukturieren. Dabei beginnen Sie am besten mit einer Bestands‐ aufnahme aller Ergebnisse und überlegen, welche davon zur Beantwortung der For‐ schungsfrage beitragen. Um dies zu prüfen, bietet es sich an, die Ergebnisse jeweils in einem Satz zusammenzufassen und zu visualisieren. Ausführliche Tipps dazu finden Sie im Methodenkasten Strukturierung von Ergebnissen. Wie schon im Fall der Forschungsfrage ist es bei der Strukturierung der Ergebnisse unbedingt empfehlenswert sich Feedback einzuholen, z. B. in Form von Vorträgen vor dem engen Kreis der Kolleg: innen (siehe Methodenkasten Feedback). Während der Strukturierung des Ergebnisteils kann es nötig sein, sich von Ergeb‐ nissen zu trennen, die nichts zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragen. Dies ist nicht immer einfach, vor allem, wenn Sie viel Zeit und Energie in die entsprechenden Experimente oder Beweise investiert haben. Bedenken Sie allerdings, dass solche Inhalte die innere Logik und den roten Faden Ihres Ergebnisteils stören. Damit riskieren Sie, dass der Text von Leser: innen als schwer lesbar abgetan oder im schlimmsten Fall Ihre Studie missverstanden wird. Sortieren Sie also unpassende Ergebnisse aus. Wenn Sie während der Strukturierung des Ergebnisteils nicht recht vorankommen und das Gefühl haben, dass der roter Faden „unrund“ verläuft, kann das ein Hinweis darauf sein, dass Sie Ihre Forschungsfrage bzw. These nicht ausreichend präzisiert haben oder die Forschungsfrage bei genauerem Hinsehen aus zwei oder mehreren Forschungsfragen besteht. In diesem Fall können Sie die Kreuzverhör-Methode an‐ wenden und/ oder die Forschungsfrage bzw. These mit geeigneten Gesprächspartnern diskutieren (siehe Methodenkasten Kreuzverhör, Methodenkasten Feedback). Methodenkasten Strukturieren von Ergebnissen Strukturieren Sie Ihre Ergebnisse, indem Sie diese zunächst visualisieren (z. B. als Diagramm, Graph, Foto, Skizze etc.). Danach fassen Sie die Hauptaussage eines jeden Ergebnisses in einem Satz zusammen. So können Sie Ergebnisse identifi‐ zieren, die thematisch zusammengehören und jeweils zu einem Schlüsselergebnis beitragen. Diese Ergebnisse können Sie in Abbildungen zusammenfassen. Nachdem Sie Ihre Abbildungen zusammengestellt haben, fassen Sie als Nächstes jede Abbildung in einem Schlüsselergebnissatz zusammen. Ist dies schwierig oder nicht möglich, dann kann das ein Hinweis darauf sein, dass die Ergebnisse einer Abbildung zu verschiedenen Schlüsselergebnissen beitragen und daher in zwei oder mehrere Abbildungen aufgeteilt werden sollten. Manchmal fällt es auch schwer Schlüsselergebnissätze zu bilden, weil sich Ergebnisse in eine Abbildung eingeschlichen haben, die nicht zur Beantwortung der Forschungsfrage beitra‐ gen. Nehmen Sie solche Ergebnisse aus Ihrer Arbeit heraus. Wenn es Ihnen gelungen ist, Ihre Ergebnisse in Abbildungen zusammenzufassen, können Sie Ihre Abbildungen im nächsten Schritt in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Spätestens danach sollten Sie Feedback zu der Gliederung Ihres Er‐ 138 1.3 Schreiben <?page no="139"?> Kap.-1.3.4 Kap.-1.3.1 gebnisteils einholen, z. B. in Form eines Vortrags. Häufig erhalten Sie von Feedbackgeber: innen Ihres Fachbereichs wertvolle Tipps, wie Sie die Struktur Ihres Ergebnisteils weiter optimieren können (siehe Methodenkasten Feedback). Methodenkasten Feedback Wie beim Schreiben von Texten ist es auch beim Erstellen einer Gliederung hilf‐ reich sich Feedback einzuholen. Und zwar gleich zu Beginn sowohl zur For‐ schungsfrage als auch zum Aufbau des Ergebnisteils. Denn wenn Sie erst spät in der Schreibphase Feedback zur Struktur Ihres Textes erhalten, kann es Ihnen passieren, dass Sie umstrukturieren müssen, nachdem Sie bereits jede Menge Zeit und Energie in das Manuskript gesteckt haben. Gute Verbesserungsvorschläge für eine Gliederung erhalten Studierende oftmals während eines Vortrags vor Kolleg: innen oder der Arbeitsgruppe. Möglicherweise sind Sie während Ihrer Bachelor- oder Masterarbeit bereits in Arbeitsgruppenseminare o. ä. integriert. Doch auch falls dies in Ihrem Fachbereich nicht üblich ist, möchten wir Sie dazu ermutigen einen Vortrag (z.-B. vor Freund: innen mit Fachkenntnissen oder dem engen Kollegen: innenkreis) in Betracht zu ziehen, denn meist erweist sich das Publikum als eine wertvolle Feedbackquelle. Ob im Vortrag oder im Einzelge‐ spräch, in jedem Fall stellt die Visualisierung von Ergebnissen (siehe Methoden‐ kasten Strukturierung von Ergebnissen), eine gute Diskussionsgrundlage dar. Weitere Informationen zum Thema Feedback finden Sie im Kapitel Feedback. Wie beginnen? Tipp 1: Gliederung aus einem Cluster entwickeln Das Prinzip der Visualisierung bietet sich nicht nur für den Ergebnisteil an (Metho‐ denkasten Strukturierung von Ergebnissen), sondern auch für die Unterkapitel Einlei‐ tung und Diskussion. Deren Inhalt und Struktur spiegelt sich in der Regel nicht in Abbildungen wider, daher kann eine Visualisierung von Kurzzusammenfassungen von z. B. Argumenten, Literaturzitaten oder Schlussfolgerungen mittels der Cluster- und der Mind-Map-Methode ein erster Schritt sein, um sich einen Überblick zu verschaf‐ fen. Tipp 2: Gliederung aus dem Text heraus entwickeln Viele Autor: innen erstellen eine Gliederung bevor sie mit dem Schreiben einer Roh‐ fassung beginnen. Diese Reihenfolge ist allerdings, anders als vielfach in der Schule gelehrt, kein Muss. So kann, je nach individueller Schreibstrategie, die Gliederung auch aus einer Rohfassung des Textes zu entwickelt werden. Wenn Sie feststellen, dass Sie mit einer „klassischen“ Gliederung oder auch der Clustermethode nicht recht vor‐ ankommen, sondern lieber sofort mit einem Fließtext beginnen, können Sie Ihre Glie‐ 1.3 Schreiben 139 <?page no="140"?> Kap.-1.3.5 Kap.-1.3.5 derung mit Hilfe der Reverse Outlining/ Rück-Strukturierungsmethode entwi‐ ckeln, die in Kapitel 1.3.5 ausführlich erklärt wird. Die Gliederung ist nicht in Stein gemeißelt Zum Abschluss dieses Kapitels möchten wir noch einmal hervorheben, dass eine Glie‐ derung nicht auf Anhieb perfekt sein muss. Im Gegenteil, sie wird sich üblicherweise von einer ersten Rohfassung aus entwickeln und in mehreren Überarbeitungs- und Feedbackschritten allmählich verfeinert, so wie die grobe Skizze einer Landkarte, die nach und nach schärfere Züge annimmt. Dieser Prozess ist in den meisten Fällen nicht abgeschlossen, wenn mit dem Schreiben begonnen wird. Zwar können wir uns beim Schreiben an der Gliederung orientieren. Doch vergleichbar mit einer Wanderung an‐ hand der oben erwähnten Skizze einer Landkarte, tun sich oftmals erst während des Schreibens neue Wege oder Abkürzungen auf, oder Irrwege werden erst offensichtlich, wenn wir sie schreibend betreten. Auch nach der Schreibphase kann an der Gliederung weiter gefeilt werden. So kann während der Überarbeitung, z. B. mittels der Rück-Strukturierungsmethode, der rote Faden des Textes geprüft und die Struktur weiter optimiert werden. Die Gliederung entwickelt sich somit über den gesamten Schreibprozess hinweg. Literatur B O O T H , Wayne C. / C O L O M B , Gregory G. / W I L L IA M S , Joseph M. et al (2016): The craft of research. Chicago & London. R U H M A N N , Gabriele (Stand: 11.12.2021): Präzisierung der Fragestellung. https: / / homepage.ruhr-un i-bochum.de/ Wolfgang.Boettcher/ dokumente/ schreibzentrum-fragen-studierende-themenei ngrenzung.pdf / Bochum. S C H I M E L , Joshua (2012): Writing Science: How to Write Papers That Get Cited and Proposals That Get Funded. New York. S W A L E S , John M. (1990): Genre Analysis; English in academic and research settings. Cambridge. Weiterführende Literatur G L A S M A N -D E A L , Hilary (2021): Science Research Writing for native and non-native speakers of English. London. K A T Z , Michael Jay (2009): From Research to Manuscript A Guide to Scientific Writing. Cleveland. S W A L E S , John M. / F E A K , Christine B. (2012): Academic Writing for Graduate Students. Michigan. 140 1.3 Schreiben <?page no="141"?> Kap.-1.1.1 Kap.-1.5.2 1.3.3 Rohtexten im Schreibprozess - warum und wie Nora Hoffmann Schreibprozess Um Rohtexten zu verstehen, lohnt sich zum Einstieg ein Blick auf den gesamten Schreibprozess. Wissenschaftliches Schreiben läuft für gewöhnlich nicht so ab, dass Sie einen inhaltlich quasi schon fertigen Text, der in Ihrem Kopf gereift ist, einmalig in fertiger Textform zu Papier bringen. Vielmehr entstehen viele Gedanken erst beim Niederschreiben. Sie entwickeln sich dabei weiter, weil sie durch das Verschriftlichen präzisiert, in lineare, geordnete Form gebracht und für Lesende eindeutig nachvoll‐ ziehbar gemacht werden müssen. Zudem kann es im Verlauf des Forschungs- und Schreibprozesses vorkommen, dass Sie durch die Lektüre weiterer Forschung oder durch unerwartete Ergebnisse bei der Durchführung Ihrer praktischen Studien Ihre bisherige Denkrichtung und die Argumentationslinie Ihres Textes ändern müssen. Abb. 1.3.3: Modell des wissenschaftlichen Schreibprozesses (fachspezifisch und individuell variabel). Ein Text entsteht daher nicht in einem Rutsch, sondern in mehreren Schritten des Pla‐ nens, Schreibens, Überprüfens und Überarbeitens. Damit er sich am Ende als einheit‐ lich, zusammenhängend und mit einer klaren Argumentationslinie lesen lässt, muss er während des Schreibens immer wieder verändert und weiter geformt werden. Daher ist im Idealfall der gesamte Schreibprozess von Aktivitäten des Rohtextens flankiert. 1.3 Schreiben 141 <?page no="142"?> Kap.-1.1.1 Kap.-1.2.2 Kap.-1.5.1 In der Phase der Rohfassung werden diese dann zur Haupttätigkeit. (Vgl. zum Absatz Flower/ Hayes 1981; Girgensohn/ Sennewald 2012; Hjortshoj 2001, 54-56) Ein Forschungs- und Schreibprozess beginnt damit, dass Sie sich für die Planung und Einarbeitung in ein Thema Zeit nehmen. Selbst, wenn Sie sich ein vorgegebenes Thema aussuchen, liegt häufig die Aufgabe der Themeneingrenzung und Formu‐ lierung einer klaren Fragestellung/ These bei Ihnen. Ohne ein präzise eingegrenz‐ tes Ziel sollten Sie nicht zum nächsten Arbeitsschritt weiter gehen, denn dadurch ver‐ lieren Sie sich später in unnötigen Abschweifungen und Arbeitsschleifen, die viel Zeit und Nerven kosten. Es lohnt sich also, in dieser Anfangsphase Zeit in die Fokussierung zu investieren. Lesen Sie sich grob in Ihr Forschungsgebiet ein, um einen Eindruck davon zu erhalten, welche Erkenntnisse bereits gesichert sind, welche noch nachge‐ prüft werden könnten, welche Fragen noch komplett oder in Teilen offen sind und welche Herangehensweisen und Methoden andere verwendet haben. In dieser Einstiegsphase dient Rohtexten dazu, Ideen zu generieren, zu sortieren und zu bewerten, wenn Ihr Kopf vor eigenen Gedanken und Erkenntnisse aus der Lektüre überquillt - oder auch einmal leer zu sein scheint. Die nächste Phase im Schreibprozess besteht darin, zum eigenen Thema vorhandene Forschung gezielt zu recherchieren und speziell auf Ihre Fragestellung hin auszu‐ werten. So können Sie Ihr Projekt im Forschungskontext verorten und sich darauf beziehen. Forschung steht immer im Bezug zu bereits publizierten Ergebnissen anderer, die Sie bestätigen, weiterentwickeln, hinterfragen oder widerlegen. Wie intensiv Sie recherchieren sollten, hängt davon ab, welche Art von Arbeit Sie schreiben. Bei theore‐ tischen Arbeiten etwa liegt hier ein Schwerpunkt Ihrer gesamten Forschungsleistung, während bei empirischen Arbeiten nur wenig weiterführende Recherche notwendig sein kann. In der Lesephase ist Rohtexten wichtig, damit Sie sich später an Gelesenes erinnern und wissen, an welcher Stelle in der Literatur Sie Aussagen wieder finden können. Üblich sind Exzerpte, d. h. das systematische Herausschreiben zentraler Inhalte aus einem Forschungstext, um diese später mit korrekten Quellenangaben in Ihrem Text einfügen zu können. Zudem können Sie weitere Formen des Rohtextens nutzen, um Ihre Leseeindrücke sowie weiterführende Gedanken zu sichern, die sich bei der Lektüre einstellen. Zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Schreibprozesses in MINT-Fächern ist die Studie/ Analyse/ Simulation/ das Experiment etc., d. h. Ihr eigentlicher For‐ schungsprozess, mit dem Sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen wollen. Auch hier läuft Rohtexten nebenher, wenn Sie konkrete Abläufe, Beobachtungen, Messungen, Gedanken etc. in einem Laborbuch oder einer Mitschrift/ Dokumentation/ Notizheft zum späteren Nachlesen festhalten. Ohne solche direkten Notizen vergessen Sie viele Details, die Sie für den endgültigen Text brauchen werden, bis zur späteren Niederschrift und müssen im schlimmsten Fall Teile Ihrer Forschung wiederholen. Zu‐ dem kann es Ihnen deutlich schwerer fallen, sich später zum Schreiben durchzuringen, wenn Sie bis dato praktisch kein Wort zu Papier gebracht haben. 142 1.3 Schreiben <?page no="143"?> Kap.-1.3.5 Kap.-1.3.1 Das Rohtexten als eigene Phase, die sich an den Forschungsprozess anschließt, besteht schließlich darin, alle angesammelten Ergebnisse, Methoden, Argumente und Ideen zur Sicherung und Klärung niederzuschreiben. Es als niedrigschwelligen Text zu betrachten, der zunächst nur für Sie gedacht ist, kann Sie sehr entlasten, denn eines der größten Hemmnisse beim Schreiben ist der eigene Perfektionismus. Erlauben Sie sich das Rohtexten mit dem Wissen, dass Sie den Text in der anschließenden Phase, dem Überarbeiten, in eine perfekte Form bringen werden. Dann können Sie sich beim Rohtexten darauf konzentrieren, Inhalte für sich zu klären, sodass schnell Text entsteht. Dadurch haben Sie motivierende Erfolgserlebnisse, wenn Sie sehen, wie Ihre Arbeit wächst und sich langsam Gedanken ordnen. Versuchen Sie dagegen, direkt alle Inhalte korrekt und gut formuliert niederzuschreiben, stellen sich eher Blockadegefühle beim Schreiben ein, sodass Sie kaum Text zu Papier bringen. Im Anschluss an das Rohtexten müssen Sie ausreichend Zeit für eine gründliche Überarbeitung einplanen. Diese braucht Ihr Text immer, auch dann, wenn Sie ihn bereits sehr sorgfältig verfasst haben. Kein Text ist bei der ersten Niederschrift gut genug für die Abgabe, egal, ob er rasch heruntergeschrieben wurde oder zeitintensiv und mühsam mit höchsten Ansprüchen erstellt wurde. Texte entstehen grundsätzlich schrittweise, da sich während des Verfassens Erkenntnisse ändern, Gedanken/ Argu‐ mentationen angefangen und nicht zu Ende geführt werden, anderen dagegen zu stark nachgegangen wird, obwohl sie nicht im engeren Sinn zum Thema gehören etc. Erst, wenn Ihr Text komplett steht, können Sie sich ein Bild davon machen, was Sie tat‐ sächlich aussagen können und wie der rote Faden durch Ihren Text verlaufen kann. Dann gilt es, diesen Weg durch Ihren Text deutlich zu machen, damit Lesende ihn nachvollziehen können, und Ihren Text auch sprachlich und formal in Form zu bringen. Selbst beim Überarbeiten ist Rohtexten noch nützlich. Zum einen lassen sich damit Reaktionen auf den eigenen Text als Anhaltspunkt für die Überarbeitung festhalten. Zum anderen können Sie weiterführende Gedanken, die beim Überarbeiten des aktuel‐ len Textes als Abschweifungen gestrichen werden müssen, als Anregung für ein neues Forschungsprojekt festhalten. Im aktuellen Text können Sie diese im Schlusskapitel beim Ausblick auf künftige Forschungsdesiderate einbringen. All diese Arbeitsschritte sind grundsätzlich Teil jedes Schreibprozesses, lau‐ fen jedoch nicht immer linear oder auf die gleiche Weise ab. Je nach Fach, zu verfas‐ sender Textsorte, individueller Arbeitsweise und Schreibtyp werden Sie in unter‐ schiedlicher Reihenfolge, Ausprägung und Frequenz durchlaufen, was die Pfeile in Abb. 1.3.3 links verdeutlichen sollen: Bei jedem einzelnen Arbeitsschritt kann es passieren, dass Sie einen oder auch mehrere Schritte zurück gehen bis springen müssen, da sich Änderungen ergeben haben, die eine Umplanung erfordern. Beispielsweise stellen Sie bei der fokussierten Recherche für eine theoretische Arbeit fest, dass die eigene These bereits von anderen überzeugend widerlegt wurde, oder ein Argument, das Sie für neu gehalten hatten, schon ausführlich in der Forschung diskutiert wurde. Dann müssen Sie in die Planungsphase zurück gehen, um Ihre These anzupassen. Oder Sie merken beim Schreiben der Rohfassung, dass Ihnen Ergebnisse aus der Durchfüh‐ 1.3 Schreiben 143 <?page no="144"?> Kap.-1.3.1 rung eines Experiments fehlen oder fragwürdig scheinen, sodass Sie diesen Teil des Experiments wiederholen müssen (wenn möglich). Während der Überarbeitung kann es Ihnen etwa passieren, dass Ihnen in Ihrer Argumentation fehlende oder nicht mehr passende Belege aus der Forschung auffallen, sodass Sie zur Recherche zurückspringen müssen. Es ist insofern normal und sinnvoll, die dargestellten Phasen des Schreibproz‐ esses nicht exakt in dieser Reihenfolge und strikt voneinander getrennt zu durchlaufen. So kann das Schreiben der Rohfassung vom Überarbeiten individuell unterschiedlich stark getrennt werden: Manche schreiben erst sehr lange Rohtexte, die sie später aus‐ giebig überarbeiten. Bei anderen funktioniert es besser, wenn sie immer wieder einen kleinen Textteil schreiben und diesen dann überarbeiten, sodass sie häufig zwischen Rohtexten und Überarbeiten hin und her pendeln, bis der Text fertig gestellt ist. Es gilt also, für Sie selbst den passenden Weg durch den Schreibprozess zu finden. Dabei können die vorgegebenen Phasen Orientierung bieten, welche Tätigkeiten vorkommen sollten, und stellen einen grundsätzlich funktionierenden Ablauf dar. Diesen brauchen Sie jedoch nicht als feste Vorgabe zu verstehen, sondern können ihn individuell anpassen. Allgemeine Tipps Gestalten Sie sich das Rohtexten so niedrigschwellig und motivierend wie möglich und in der aktuellen Arbeitsphase individuell passend. Es gibt nicht den einen richtigen Weg und die eine richtige Methode, sondern verschiedene Alternativen, die Sie ausprobieren können, um herauszufinden, womit Sie am besten zurechtkommen. Je nachdem, wie konkret Ihre Ideen zum anstehenden Textabschnitt schon ausgereift sind, brauchen Sie mehr oder weniger vorbereitende Methoden bzw. nachbereitende Überarbeitungsphasen. Je nachdem, welcher Schreibtyp Sie sind - ob Sie etwa lieber zunächst eine umfassende Planung aufstellen, der Sie dann folgen, oder es vorziehen, erst loszuschreiben und später Struktur in Ihren Text zu bringen - sind unterschiedliche Methoden besser oder schlechter für Sie geeignet. Schließlich hängt die Nutzbarkeit einiger Methoden von Ihren individuellen Vorlieben ab, ob Sie etwa gerne mit gra‐ fischen Vorstrukturierungen arbeiten oder diese Sie eher im Schreibfluss hemmen. Jenseits solcher Methoden, die in den nächsten Kapiteln vorgestellt werden, helfen Ihnen vielleicht folgende praktische Hinweise: ● Sie können einen Text in mehreren Anläufen schreiben, d. h. es komplett von vorne probieren, wenn Ihnen die erste Version nicht gefällt. Ihre Gedanken werden durch die vorangehende Niederschrift bereits geordneter sein und auch gut gelungene Formulierungen sind Ihnen noch im Gedächtnis [Näheres zu dieser Methode, dem Mehrversionenschreiben, siehe Kapitel Schreibstrategien]. ● Um Schreibunlust zu überwinden, können Sie zwischen den Textteilen, auf die Sie gerade Lust haben, hin und her springen. Voraussetzung dafür ist, dass Sie später gründlich überarbeiten, um nachträglich für Ihre Lesenden einen nachvollziehba‐ 144 1.3 Schreiben <?page no="145"?> Kap.-1.3.1 Kap. 2.1.1 ren Textzusammenhang herzustellen [Näheres zu dieser Methode, dem Textteile‐ schreiben, siehe Kapitel Schreibstrategien]. ● Um in den Schreibfluss zu kommen, können Sie von vorhandenen Grafiken und Tabellen ausgehen und diese beschreiben. ● Zum Einstieg ins Schreiben bietet es sich zudem bei vielen MINT-Texten an, paralell zum Einarbeiten ins Thema zunächst den Material- und Methodenteil (= Grundlagen‐ teil) zu verfassen, bevor Sie den Ergebnisteil angehen. Wenn es Ihnen nicht gelingt, Sachverhalte so weit wie möglich in eigenen Worten wiederzugeben, kann dies darauf hindeuten, dass Sie den Inhalt noch nicht vollkommen durchdrungen haben. ● Grundsätzlich ist der Austausch mit anderen über das eigene Schreibvorhaben hilfreich: über Fragen, die Sie beantworten möchten; über Schwierigkeiten, die Ihnen beim Forschen und Schreiben begegnen; über zentrale Erkenntnisse, die sich bei Ihnen einstellen und die in Ihrem Text deutlich werden sollen. Praktischerweise wird in MINT-Bereichen Forschung teilweise im Team durchgeführt, und auch Texte wie Protokolle entstehen häufig gemeinsam. So haben Sie direkt eine: n Gesprächs- und Schreibpartner: in zum Austausch und zur Arbeitsteilung, die ebenfalls entlastend sein kann. Vielleicht liegt einer: m von Ihnen das Rohtexten besser, der: dem anderen das prüfende Lesen und Überarbeiten? Diese Zusammen‐ arbeit ist allerdings nur bei Sammelnoten möglich, nicht bei Abschlussarbeiten. Wenn Sie eine weitere Perspektive suchen, schauen Sie, ob es an Ihrer Hochschule eine (studentische) Schreibberatung gibt. Dort finden Sie ebenfalls Personen, die Ihnen im Gespräch beim Entwickeln von Gedanken und Textstruktur zur Seite stehen und Feedback auf Textideen oder geschriebenen Text geben. Methoden zum Ideengenerieren Manchmal fällt es Ihnen schwer einschätzen, was Sie schon zu einem Thema wissen, was Sie daran interessieren könnte, und was Sie in Ihrem Text dazu darstellen wollen? Ihnen fällt nicht viel zu Ihrem Thema ein? Dann probieren Sie die folgenden Methoden zum Ideengenerieren aus. Nutzen: ● Vorwissen bewusst machen ● Generieren möglichst vieler Ideen zu einem Grobthema ● Freisetzen neuer Ideen und Perspektiven durch Unterbinden von Bewertung und Zensur ● leichterer Einstieg ins Schreiben ● Lösen von Stockungen im Schreibprozess Akrostichon Nutzen Sie die Buchstaben wahlweise eines Schlagworts, Themas oder des gesamten Alphabets als Anfangsbuchstaben für neue Wörter. Die Methode mag wie reine 1.3 Schreiben 145 <?page no="146"?> Spielerei wirken, ist aber mehr als das, denn der Zwang, sich rasch ein Wort zu einem Buchstaben einfallen zu lassen, führt oft zu spannenden Ideen. Vorgehensweise: ● Notieren Sie alle Buchstaben Ihres Grobthemas oder, wenn Sie mehr Begriffe brauchen, des gesamten Alphabets senkrecht auf ein Blatt Papier. ● Ergänzen Sie rasch zu Ihrem Thema passende Begriffe, indem Sie die Buchstaben als Anfangsbuchstaben nutzen. ● Lesen Sie anschließend alle Wörter durch und werten Sie für sich aus: Welche Begriffe gehören eng zusammen, welche verweisen auf ganz unterschiedliche Kon‐ texte? Welche beschreiben ein stark eingegrenztes Gebiet, welche erfordern eine umfangreichere Auseinandersetzung? Welchen möchten Sie näher nachgehen, welchen nicht? In welcher Reihenfolge und auf welche Art und Weise möchten Sie sich damit befassen? Für diese anschließende Sortier- und Strukturierungsarbeit bieten sich z.-B. eine Mind- oder Concept-Map an. Beispiel: Tab. 1.3.2: Zwei Beispiele für Akrosticha. Variante 1 Variante 2 Absolute Bolzano Cauchy Delta Epsilon Funktionenfolge Gleichmäßige Harmonische Reihe Intervall Jacobi-Verfahren Konvergenz Limes Maß Näherungsweise Offen Punktweise Q… ……Zerlegen DDT Reproduktion Ommatidum Sophophora Oogenese Polyandrie Hunt-Morgan Insulin-Like Peptide Larve Augenfarbe Cluster Beim Cluster entstehen durch spontan geschriebene Wörter neue Impulse, um Ge‐ dankenketten weiterzuspinnen und so Ideen zu entwickeln. Freewriting Beim Freewriting schreiben Sie schnell und ohne Ansprüche auf inhaltliche oder sprachliche Korrektheit drauflos, um Ideen aus dem Kopf zu Papier zu bringen und dabei weiter zu entwickeln (vgl. Elbow 1998). Es ist eine einfache und fast immer passende Standardmethode zum Rohtexten. Manche kostet es anfangs etwas Überwin‐ dung, Umgewöhnung und Übung, da es gegenläufig zu verbreiteten Vorstellungen und Gewohnheiten des akademischen Schreibens funktioniert. Wenn sie sich aber einmal 146 1.3 Schreiben <?page no="147"?> s.narr.digit al/ 2yzuu darauf eingelassen haben, entdecken viele in diesem spontanen, motivierenden und befreienden Herunterschreiben ihre neue Lieblingsmethode. Vorgehensweise: ● Schreiben Sie fünf bis zehn Minuten lang spontan alles auf, was Ihnen zu Ihrem Thema bzw. dem aktuellen Textabschnitt/ der aktuellen Problemstellung einfällt. Bewerten Sie dabei nicht, ob etwas relevant, nutzbar oder sinnvoll ist. Formulieren Sie nicht nur Stichwörter, sondern ganze Sätze, um Ihre Gedanken komplett fest‐ zuhalten. Diese müssen aber nicht sprachlich korrekt sein. Wenn Sie mehrere Sprachen beherrschen, können Sie zwischen diesen wechseln. Unterbrechen Sie das Schreiben nicht, sondern lassen Sie Ihre Schreibhand ständig in Bewegung. Am besten funktioniert Freewriting mit Papier und Stift, aber Sie können es auch am Computer probieren. Dort haben Sie den Vorteil, dass Sie die Schriftfarbe auf weiß setzen oder den Bildschirm ausschalten können, um der Versuchung zu widerste‐ hen, Ihren Text beim Schreiben zu lesen. Außerdem gibt es spezielle Online-Pro‐ gramme zum Freewriting. Dort kann man sich die gewünschte Zeit und Wortan‐ zahl sowie die Option einstellen, dass der Text beim Tippen nicht lesbar ist. Wenn Sie Freewritings nicht zur thematischen Auseinandersetzung, sondern als Routine zum Einstieg ins Schreiben nutzen möchten, besteht auch die Möglichkeit, sich durch die Anzeige von Bildern oder Kurztexten Schreibimpulse geben zu lassen. ● Lesen, korrigieren und kontrollieren Sie Ihr Geschriebenes nicht, sondern folgen Sie nur immer weiter Ihren Gedanken und lassen alles zu. Abschweifungen sind erlaubt, denn der Text ist ausschließlich für Sie bestimmt. Überflüssiges können Sie später wieder streichen, gute Ideen dagegen weiterverwenden. ● Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, wiederholen Sie die letzten Worte, schreiben Sie „was fällt mir noch ein“ oder machen Kringel, bis Ihnen ein neuer Gedanke kommt. Wichtig ist, dass Sie Ihre Schreibhand immer in Bewegung lassen. ● Wenn die vorgegebene Zeit um ist, schreiben Sie den angefangenen Gedanken zu Ende. ● Lesen Sie erst jetzt das Geschriebene, markieren Sie Zentrales und kommentieren Sie es gegebenenfalls. Entweder ziehen Sie nun brauchbare einzelne Ansätze aus Ihrem Freewriting heraus und beginnen damit einen neuen Text, oder sie nutzen diesen Text direkt weiter, indem Sie ihn sorgfältig überarbeiten und weiterentwickeln. Varianten: ● Wenn Sie nur ins Schreiben kommen und eine Schreibhemmung überwinden wollen, d. h. nicht etwas konkretes Thematisches klären möchten: Schreiben Sie komplett frei ohne festes Thema und schauen Sie, was Ihnen in den Sinn kommt. ● Wenn Ihre Gedanken wiederholt um etwas kreisen, was Sie nicht recht inhaltlich fassen und auf den Punkt bringen können: Formulieren Sie Ihr Anliegen als Überschrift in Form eines Satzes oder einer Frage und schreiben Sie dazu. Lesen Sie 1.3 Schreiben 147 <?page no="148"?> Ihren Text anschließend durch und markieren Sie dabei zentrale Aspekte. Fassen Sie dann Ihren Text in einem Kernsatz oder einem kurzen Fazit zusammen. Sollte auch dieses Fazit Sie noch nicht zufrieden stellen, starten Sie davon ausgehend ein weiteres Freewriting. ● Wenn Sie sehr viele Ideen entwickeln bzw. loswerden oder verbinden möchten: Verfassen Sie drei Freewritings zur gleichen Überschrift. Lesen Sie Ihre Texte erst nach Abschluss des letzten Freewritings durch und markieren zentrale Aspekte. Halten Sie das Ergebnis aus allen drei Freewritings in einem Kernsatz fest. Beispiel: Hunt Morgan hat herausgefunden, dass bei Drosophila die Augefarbe vom Geschlecht abhängt. Ne, also sie hängt nicht davon ab, sie ist aber mit dem Geschlecht gekoppelt, weil ein Allel für weiße Augen auf dem X-Chromosom liegt. Das heißt doch, dass die Männchen immer das Allel für rote Augen auf dem Y-Chromosom haben müssen, oder? Nachlesen! Jedenfalls wenn man ein Männchen mit dem weiße-Augen-Allel mit einem Weibchen mit roten Augen kreuzt haben alle Töchter und Söhne rote Augen, wenn man ein Weibchen mit weißen Augen nimmt, habe alle Töchter rote Augen und alle Söhne weiße Augen. Methoden zum Strukturieren Wenn Ihnen der Kopf vor Gedanken schwirrt, die Sie ordnen möchten, bieten sich Visualisierungen zum Strukturieren und Ordnen an. Diese eignen sich zudem gut als Anschluss an ideengenerierende Methoden, um die Vielfalt an Ideen wieder einzudämmen und Gedanken zueinander in Bezug zu setzen. Visualisierungen helfen Ihnen dabei, Ihren zu schreibenden Text grafisch vorzustrukturieren und so einen Schritt in Richtung linearer Text zu gehen. Nutzen: ● grafische Übersicht ● Themeneingrenzung ● Vorbereiten der Gliederung Mindmap In einer Mindmap ordnen Sie Ihr Themengebiet hierarchisch von einem im Zentrum stehenden Begriff aus in Über- und Unterkategorien an. Die entstandene Mindmap zeigt immer nur eine Momentaufnahme, wie Sie Ihr Thema aktuell sehen. Concept-Map Im Vergleich zur Mindmap ist eine Concept-Map systematischer, komplexer und an‐ spruchsvoller. Sie verdeutlicht mit beschrifteten Verbindungspfeilen die logischen Be‐ 148 1.3 Schreiben <?page no="149"?> s.narr.digit al/ hz80g Kap.-1.1.2 ziehungen zwischen Begriffen, sodass Sie Ihre Gedanken damit bereits gründlich ord‐ nen und in eine lineare Reihenfolge bringen (vgl. Novak/ Cañas 2008). Dadurch liefert Ihnen eine Concept-Map schon die fertige Struktur für Ihren Text, der Sie beim Ver‐ schriftlichen nur noch zu folgen brauchen. Ein hilfreiches Online-Programm zur Entwicklung von Concept-Maps ist CMap-Tools. Vorgehensweise: ● Sammeln Sie zum anstehenden Text(abschnitt) alle zentralen Begriffe (z. B. mit einem Akrostichon, Cluster oder durch Auswertung eines Freewritings). ● Sortieren Sie die Begriffe (etwa nach den Kategorien wichtig - weniger wichtig; abstrakt - konkret) und verteilen Sie sie. ● Verbinden Sie die Begriffe und beschriften die Pfeile mit Verben, die die Beziehung zwischen ihnen verdeutlichen, bis Sie alle Begriffe logisch zusammenhängend eingeordnet haben. ● Überprüfen Sie Ihre Concept-Map, ob sie von links nach rechts gelesen der Logik folgen können und die Verbindungspfeile präzise beschriftet sind. ● Nutzen Sie die Concept-Map als Vorlage zur Textstrukturierung. Ein Beispiel finden Sie unter dem im Rand angegebenen Link. Methoden für den Schreibfluss Es kann viele Gründe geben, warum Sie zwar keine Schwierigkeiten haben, mit dem Schreiben anzufangen, währenddessen aber ins Stocken geraten und den Schreibfluss verlieren. Schauen Sie doch einmal, ob die beiden folgenden Methoden für Sie in Frage kommen. Notizheft/ akademisches Journal In einem kleinen Notizheft, das Sie während eines umfangreicheren Schreibprojekts immer bei sich tragen, können Sie jederzeit Überlegungen festhalten (vgl. Scheuermann 2011, 88 f.; Wolfsberger 2010, 74 f.). Es bildet die Grundlage für einige weitere Methoden zum Rohtexten und ist ein guter Ort, um entstandene Texte zu sammeln, damit keine Gedanken verloren gehen. Praktisch ist eine Papierversion, da viele schneller hand‐ schriftlich notieren können. Eine digitale Variante dagegen hat den Vorteil, dass Sie später bei Bedarf Text einfacher daraus übernehmen können. Nutzen: ● Sicherung von Ideen, Erkenntnissen, Fragen ● Abbau von Schreibblockaden und Steigerung der Schreibmotivation durch konti‐ nuierliches Schreiben ● Auseinandersetzung mit (ggf. hemmenden) schreibbegleitenden Gedanken und Emotionen, v. a. für umfangreichere Arbeiten wie Abschlussarbeiten und Disser‐ tationen 1.3 Schreiben 149 <?page no="150"?> Vorgehensweise: ● Besorgen Sie sich ein handliches Notizheft, das Sie immer bei sich tragen, damit spontan/ unterwegs auftauchende Gedanken zu Ihrer Arbeit nicht verloren gehen. Machen Sie sich Notizen, wann immer sich Ideen einstellen. ● Verfassen Sie täglich zu einer festen Zeit (z. B. vor Beginn oder nach Abschluss der Arbeit an Ihrem Text) ca. 10 Min. ein Freewriting zu allem, was Ihnen zu Ihrer Arbeit gerade durch den Kopf geht (z. B. aktuelle Schwierigkeiten; über die momentane Arbeitsphase hinaus gehende Ideen, die Sie evtl. später nutzen könnten; ggf. auch Freude oder Ärger über den aktuellen Verlauf Ihrer Arbeit). ● Werten Sie Ihre Notizen regelmäßig aus und übertragen Sie nutzbare Anregungen in Ihren Text. Partitur Die Partitur-Methode ermöglicht Ihnen, guten Gewissens weiter zu schreiben und im Gedankenfluss zu bleiben, auch wenn Ihnen einzelne Inhalte/ Belege/ Ausführungen noch fehlen. Dafür codieren Sie sich die Textstellen, an denen später noch etwas über‐ arbeitet werden muss, mit Platzhaltern (vgl. Scheuermann (2011), 104 f.). Andernfalls würden Sie beispielsweise an einer Passage, an der Sie ein Messergebnis/ Zitat o. ä. nur ungenau aus der Erinnerung wiedergeben können, das Schreiben unterbrechen, um eine exakte Angabe zu ergänzen, und hätten im Anschluss Schwierigkeiten, Ihren Gedankengang wieder aufzunehmen und weiterzuführen. Nutzen: ● Flüssiges Schreiben und Verbleiben im Gedankengang, statt durch fehlende Inhalte aus dem Schreibfluss zu geraten ● Verschieben der Details und der gewissenhaften Überarbeitung auf einen späteren Schritt Vorgehensweise: ● Wenn Sie beim Schreiben ins Stocken kommen oder versucht sind, es zu unter‐ brechen, um fehlende Informationen zu beschaffen, machen Sie sich eine gut kenntliche Notiz im Text, was genau später an dieser Stelle ergänzt werden muss. Gehen Sie in diesem Moment darüber hinweg und schreiben den Text einfach weiter. ● Wenn Sie die Methode das erste Mal in einem kürzeren Text ausprobieren, kann es genügen, zum Einstieg alle Ihre Anmerkungen etwa fett oder in einer anderen Farbe zu setzen. Wenn Sie schon etwas mehr Erfahrung damit haben, aus welchen Gründen Sie beim Schreiben häufiger ins Stocken kommen, können Sie sich für diese Anlässe ein eigenes Markierungssystem überlegen, um später schneller zu überarbeitenden Passagen zu finden. Beispielsweise kann „fff “ für eine unpassende oder fehlende Formulierung stehen; „qqq“ für eine fehlende Quelle; „? ? ? “ für einen 150 1.3 Schreiben <?page no="151"?> unklaren, widersprüchlichen oder fehlenden Inhalt, zu dem Sie Informationen in der Forschung nachlesen wollen. ● Suchen Sie später im Text nach Ihren Sonderzeichen und löschen Sie diese, wenn Sie die Überarbeitungen vorgenommen haben. Beispiel: Die Vorliebe, ihre Eier auf Zitrusfrüchten abzulegen, schützt die Larven der Drosophila melanogaster vor parasitären Wespen, da der von den Früchten abgegebene Geruch diese abschreckt. qqq Der Energie- und der Impulserhaltungssatz lassen sich aus dem Noether-Theo‐ rem ableiten. ? ? ? WIE? ? ? Hilfsmittel bei verbreiteten Schwierigkeiten Auch wenn durch Rohtexten die Hemmschwelle für den Einstieg ins Schreiben gesenkt wird, kann es vorkommen, dass Ihr Schreibfluss stockt oder Sie sich nicht zum Schrei‐ ben überwinden können (vgl. Rose 1984: 3). Das ist kein Grund zur Beunruhigung: Oft liegen solche Schwierigkeiten nicht an mangelnder Schreibfähigkeit, sondern an zu starren, unangemessenen und/ oder widersprüchlichen Annahmen oder Strategien (vgl. Rose 1984: 4 ff.). Diese Probleme lassen sich meist beheben, wenn Sie Ihr bisher übliches Verhalten im Schreibprozess ändern und neue Methoden und Strategien ausprobieren. Prinzipiell hilft es, darauf zu achten, dass Ihr Schreibprozess immer weiterläuft. Wenn Sie mit einer Vorgehensweise nicht mehr weiterkommen, probieren Sie eine andere aus. Im Folgenden finden Sie ein paar typische Schwierigkeiten und mögliche Gegenmaßnahmen aufgelistet: 1. Fehlender Fokus: Sie fühlen sich inhaltlich unsicher, da Sie zwar ein ungefähres Thema haben, aber keine konkrete, klar eingegrenzte Fragestellung. So wissen Sie nicht, in welche Richtung Ihr Text gehen soll. Sie haben kein Gesamtkonzept vor Augen und können sich zwischen all den Ansätzen, die Sie bedenken wollen, nicht entscheiden. Sie haben entweder zu früh mit dem Schreiben angefangen, bevor Sie sich ausreichend in die Forschung eingearbeitet haben, oder haben Ihren Fokus während des Schreibens stark verändert. - Gehen Sie Schritte im Schreibprozess zurück: - Suchen Sie das Gespräch mit Ihrer: m Betreuer: in. - Gehen Sie erneut auf Literaturrecherche. - Modifizieren Sie Ihre Fragestellung/ Hypothese/ Struktur und präzisie‐ ren Sie Ihre Zielsetzung. 2. Einschüchterung durch Forschung: Sie haben sehr viel Forschung gelesen. Dabei haben Sie manche Texte nicht ganz verstanden oder schon wieder teilweise vergessen. Nun können Sie sich kaum vom Gelesenen lösen und sind verunsichert, welcher der verschiedenen Positionen Sie sich anschließen wollen. Es fällt Ihnen 1.3 Schreiben 151 <?page no="152"?> schwer, bei dieser Fülle von Ansätzen eigene Ideen und eine eigene, neue These zu entwickeln. - Schreiben Sie früh, schnell, regelmäßig und niedrigschwellig mit Freewriting und Notizheft. Halten Sie insbesondere während der Lektürephase zentrale Inhalte schriftlich fest. - Verfassen Sie kreative/ fiktive Texte zu Ihrem Schreibprojekt, wie a) eine wohlwollende Rezension zu Ihrem Text, um sich dessen Stärken vor Augen zu führen; b) einen Dialog mit einer: m fiktiven Kritiker: in, um mögliche Schwachpunkte Ihres Textes zu thematisieren und damit umzugehen (formulieren Sie hierfür mögliche Angriffe und verteidigen Sie Ihren Text dagegen); c) einen kurzen Text zu Ihrem Vorhaben, für den Sie sich Fachlaien als Zielgruppe vorstellen (so müssen Sie Ihre Ideen in klare Worte fassen und der Versuchung widerstehen, sich in Details zu verlieren). 3. Perfektionismus: Sie haben sehr hohe Ansprüche an sich selbst und wollen direkt einen inhaltlich, strukturell und stilistisch perfekten Text verfassen. Deshalb begin‐ nen Sie erst spät mit dem Schreiben und kommen in keinen rechten Schreibfluss. Sie sind mit Ihrem Text bzw. einzelnen Formulierungen unzufrieden und bleiben lange am wiederholten Lesen und Überarbeiten einzelner Textpassagen hängen. Dabei verlieren Sie den Blick auf den Gesamttext und geraten beim Schreiben ins Stocken. - Auch hier hilft es, regelmäßig mit Freewriting, Notizheft, kreativen Texten sowie Partitur und Visualisierungen zu arbeiten. - Erklären Sie einem (fiktivem) Gegenüber das Thema Ihres Textes/ des aktu‐ ellen Abschnitts und nehmen Sie sich dabei per Audioaufnahme auf oder nutzen Sie die Diktierfunktion am PC. Sie werden staunen, wie gut Sie mündlich das Meiste in eine flüssige, gut verständliche Sprache fassen können, die für die Schriftform nur leicht überarbeitet werden muss. - Wechseln Sie Schreibort, -zeit und -gerät, um aus den üblichen Gedanken und Vorgehensweisen herauszukommen - Planen und begrenzen Sie Ihre Zeit. Achten Sie insbesondere darauf, ausrei‐ chend Pausen anzusetzen. - Suchen Sie Austausch und Feedback mit Betreuenden, Kommiliton: innen oder Schreibberatenden. 4. Isolation beim Schreiben: Sie tun sich schwer damit, einen Text zu schreiben, wenn dieser nicht zeitnah von anderen Personen gelesen wird, sodass Sie für jemanden schreiben können. Auch einen Text alleine zu schreiben, liegt Ihnen nicht, wogegen das Schreiben in einer Gruppe Sie motiviert. - Holen Sie sich frühzeitig Feedback. - Suchen Sie sich eine Schreibgruppe zum regelmäßigen gemeinsamen Schrei‐ ben, Austauschen und für Feedback. 152 1.3 Schreiben <?page no="153"?> - Stellen Sie sich eine: n konkrete: n Leser: in vor und richten Sie Ihren Text in Gedanken an diese Person. Viel Spaß beim Rohtexten und beim Ausprobieren der Methoden! Lassen Sie sich darauf ein - es lohnt sich : -) Literatur: E L B O W , Peter (1998): Writing without Teachers. New York / Oxford. F L O W E R , Linda S. / H A Y E S , John R. (1981): A Cognitive Process Theory of Writing. College Composition and Communication, 32/ 4, S.-365-387. G I R G E N S O H N , Katrin / S E N N E W A L D , Nadja (2012): Schreiben lehren, Schreiben lernen. Darmstadt. H J O R T S H O J , Keith (2001): The Transition to College Writing. Boston. K E S E L I N G , Gisbert (2004): Die Einsamkeit des Schreibers. Wie Schreibblockaden entstehen und erfolgreich bearbeitet werden können. Wiesbaden. K E S E L I N G , Gisbert (2013): „Schreibblockaden überwinden.“ In: Frank, Norbert/ Stary, Joachim (Hrsg.): Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Eine praktische Anleitung. 17., überarbeitete Auflage. Paderborn, S.-191-216. N O V A K , Joseph D. / C AÑA S , Alberto J. (2008): The Theory Underlying Concept Maps and How to Construct and Use Them. Technical Report IHMC CmapTools 2006-01 Rev 01-2008, Florida Institute for Human and Machine Cognition. https: / / cmap.ihmc.us/ Publications/ ResearchPa pers/ TheoryUnderlyingConceptMaps.pdf (Zugriff am 02.07.2021). R O S E , Mike (1984): Writer's Block. The cognitive dimension. Carbondale, Edwardsville. S C H E U E R M A N N , Ulrike (2011): Die Schreibfitness-Mappe. 60 Checklisten, Beispiele und Übungen für alle, die beruflich schreiben. Wien. W O L F S B E R G E R , Judith (2010): Frei geschrieben. Mut, Freiheit und Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten. 3. Aufl. Wien u.a. 1.3 Schreiben 153 <?page no="154"?> 46 Mit „Rückmeldung“ bezeichne ich die einzelnen, ganz konkreten Anregungen, Kommentare oder Fragen, die im Rahmen eines Feedbacks gegeben werden. 1.3.4 Feedback: Roadmap zum guten Text Anika Limburg Zur Bedeutung von Feedback Feedback stellt uns eine Leser: innenperspektive zur Verfügung, die ganz unterschied‐ liche Texteigenschaften beleuchten kann - etwa ob ein Text fachlich anspruchsvoll, verständlich, präzise und überzeugend ist, ob wir Vorwissen und Bedürfnisse von Leser: innen berücksichtigen oder ein roter Faden erkennbar ist. Wirksames Feedback bietet daher viel mehr als nur Korrekturempfehlungen: Es nimmt die Fragestellung, die fachliche Leistung, den Text und seine Qualitäten in den Blick (Hattie/ Timperley 2007) und führt so nach der Überarbeitung zu besseren Texten (s. z. B. Graham/ Harris/ Hebert 2015 oder Parr/ Timperley 2010) und besseren Noten. Es hilft uns zudem dabei, ● beim Schreiben größere Sicherheit zu gewinnen, ● Wissenslücken früh zu entdecken, ● Fehler zu finden, ● motivierter, zielgerichteter und damit effizienter zu überarbeiten, ● Wissen zu vertiefen, ● durchdachter zu schreiben (vgl. Hattie/ Clarke 2019, 3) und ● unsere Schreibkompetenz zu entwickeln (MacArthur 2007). Worauf Sie achten sollten, um Feedback effizient einzusetzen und dadurch bessere Texte zu schreiben, zeige ich Ihnen in diesem Teil des Buches. Gütekriterien von Feedback Sicher haben Sie auch schon erlebt, dass nicht jedes Feedback hilfreich ist. Ganz im Gegenteil kann Feedback auch stark verunsichern und sogar dazu führen, dass Texte durch die Überarbeitung schlechter werden (s. zu negativen Auswirkungen Kluger/ DeNisi 1996). Die Forschung zeigt, dass wirksames Feedback ● konkret ist, insofern jede einzelne Rückmeldung 46 einem Textmerkmal, einer Passage oder Formulierung zugeordnet ist (Cho/ MacArthur 2010). Rückmeldung auf den gesamten Text oder textübergreifende Aspekte wie Struktur, roter Faden etc. können mithilfe von exemplarischen Textstellen veranschaulicht werden. ● kriteriengeleitet ist (Parr/ Timperley 2010). Falls Sie die Beurteilungskriterien Ihrer Prüfer: innen kennen, sollten sie dem Feedback zugrunde gelegt werden. ● schlüssig begründet (Parr/ Timperley 2010) wird, damit Beurteilungen nachvollzo‐ gen werden können. 154 1.3 Schreiben <?page no="155"?> ● auch Stärken eines Textes aufzeigt (Crooks 2001); dadurch lernen Sie nicht nur sukzessive, auf welche Schreibfähigkeiten Sie sich verlassen können, gewinnen Zuversicht und Sicherheit, sondern haben auch Modelle, falls Ihnen Vergleichbares an anderer Stelle weniger gut glückt. ● im Schreibprozess gegeben wird, so dass ausreichend Zeit für die Überarbeitung besteht (Clarke 2001) und das Feedback die Fragen berücksichtigt, die in der jeweiligen Schreibphase wichtig sind (Barbeiro 2010). ● auf die Überarbeitung ausgerichtet ist, indem es Verbesserungsvorschläge aufzeigt (Crooks 2001, Parr/ Timperley 2010), sowohl für Formulierungen etc. als auch für Vorgehensweisen beim Überarbeiten. ● sog. Higher Order Concerns fokussiert, das sind Texteigenschaften, die vor allem die wichtigsten fachlich-inhaltlichen Aspekte betreffen wie die Qualität von Fra‐ gestellung, Methode, Berücksichtigung und Verarbeitung von Forschungsliteratur, Argumentation etc. (Van Steendam et al. 2010). Feedback vorbereiten: Entscheiden, was hilft Um Feedback zu erhalten, dass diesen Gütekriterien entspricht, müssen Sie einige Entscheidungen treffen, die mithilfe der folgenden Unterkapitel erleichtert werden sollen. Von wem Weil jedes Feedback Ihnen lediglich die Perspektive einer Person zur Verfügung stellt, gilt es stets, gut zu bedenken, wen man um welches Feedback bittet. Und es ist daher oft hilfreich, gleich mehrere Personen um Feedback zu bitten. Dass die Rückmeldungen sich unterscheiden und vielleicht auch widersprechen, mag zwar verunsichern und irritieren, hilft uns Schreibenden aber oft dabei, eine durchdachte Lösung zu finden, die wir gut vertreten können. Betreuende, Prüfer: innen oder Lehrende: Sie sind die besten Ansprechpartner für die fachliche Qualität und die Frage, inwiefern die eigene Arbeit ihren Beurteilungskrite‐ rien entspricht. Bei einer Abschlussarbeit oder einer Dissertation erhalten Sie wahr‐ scheinlich ohnehin mehrfach Feedback auf Ihr Vorgehen und Zwischenergebnisse. Dennoch ist es oft sinnvoll, die Betreuenden auch schon früh im Prozess gezielt um solches Feedback zu bitten, das sie normalerweise nicht geben, z. B.: „Was müsste ich be‐ rücksichtigen, um hier auf Einser-Niveau zu kommen? “ oder „Kann ich bestehen, wenn ich so weitermache? “ Hier wird gleichzeitig deutlich, dass Feedback von Betreuenden, Prüfer: innen oder Lehrenden für Sie eher einem Überarbeitungsauftrag gleichkommt - es nicht zu berücksichtigen, kann für Sie mit Noteneinbußen einhergehen. Falls Ihr: e Betreuer: in Ihnen vor der offiziellen Abgabe Feedback auf Ihre gesamte Arbeit gibt, ist das natürlich eine großartige Chance für eine gute Note. Es empfiehlt sich aber, dieses Angebot nicht als Korrekturservice zu begreifen, sondern einen sorgfältig überarbeiteten und korrigierten Text abzugeben. Denn viele Betreuer: innen 1.3 Schreiben 155 <?page no="156"?> ärgern sich, wenn sie den Eindruck gewinnen, Sie hätten sich keine Mühe gegeben, und überlegen, das bei der Benotung miteinzubeziehen. Falls Sie Einfluss auf den Zeitpunkt dieses Feedbacks haben, empfehle ich Ihnen, ausreichend Zeit für die anschließende Überarbeitung einzuplanen. Und: So wertvoll das Feedback von Betreuer: innen, Prü‐ fer: innen und Lehrenden auch ist, kann es Sie auch vor Probleme stellen, beispielsweise wenn Ihnen kurz vor der Abgabe weitreichende Überarbeitungen vorgeschlagen werden, Sie Rückmeldungen nicht verstehen oder Beurteilungen nicht teilen. Kommiliton: innen: Kommiliton: innen mit geringer Schreiberfahrung im Studium können nicht unbedingt verlässlich über Textqualität und den fachlichen Anspruch einer Arbeit urteilen, weil sie ja selbst das wissenschaftliche Schreiben noch lernen (Steinhoff 2007; Pohl 2007). Bitten Sie Ihre Kommiliton: innen also ruhig darum, nur Rückmeldungen zu geben, bei denen sie sich sicher sind bzw. zu vermerken, wenn sie es sich nicht sind. Drei Szenarien sind in dieser Feedback-Konstellation besonders sinnvoll: 1) Ein Ge‐ spräch darüber, inwiefern Ihr Text den vermuteten Anforderungen entspricht, schärft oft das Verständnis des Schreibauftrags, hilft daher, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und sich mit durchdachten Fragen an die Betreuungsperson zu wenden. 2) Da Kommiliton: innen in derselben Situation sind wie Sie, setzen sie sich mit ähnlichen Fragen, Schwierigkeiten und Unsicherheiten auseinander. Daher kann es sehr hilfreich sein, von ihnen zu hören, wo sie etwas anders machen würden, was sie an Ihrem Text verwundert, was aus ihrer Sicht sehr gut umgesetzt ist etc. 3) Schriftliches Feedback von mehreren Kommiliton: innen gleichzeitig zu erhalten, hilft enorm, um den eigenen Text mit größerer Sicherheit zu überarbeiten: Was mehreren Leser: innen problematisch erscheint, gibt Ihnen für Ihre Überarbeitung größere Orientierung. Jede: r versierte Bekannte ist natürlich eine große Hilfe, wenn es um Korrekturvor‐ schläge geht, ob es die Eltern oder die ehemaligen Lehrer: innen sind. Wenn Sie niemanden kennen, den Sie hier für gut halten, können Sie auch ein professionelles Korrektorat nutzen - da auf dem Markt aber auch viele Lai: innen ihre Dienste anbieten, lohnt es sich, ein wenig zu recherchieren. Fachfremde müssen Ihren Text natürlich nicht verstehen. Dennoch kann es sehr hilfreich sein, wenn sie Feedback darauf geben, was sie verstehen und was nicht. Gerade ihr ‚fremder‘ Blick ist oft sehr wertvoll, weil sie nicht davon ausgehen, alles verstehen zu können. Überlegen Sie bei diesem Feedback gut, ob sich fachkundige Leser: innen dieselben Fragen stellen würden, und entscheiden Sie daraufhin, wie Sie das Feedback bei Ihrer Überarbeitung berücksichtigen. Schreibberater: innen: An vielen Hochschulen gibt es Schreibzentren, Schreibwerk‐ stätten oder Schreiblabore. Wer dort arbeitet, kennt sich oft nicht nur sehr gut mit Texten aus, sondern hat auch gelernt, wie man hilfreiches Feedback gibt und Schreibende bei der Überarbeitung unterstützt. Schauen Sie doch gleich mal, ob es an Ihrer Hochschule so ein Angebot gibt. 156 1.3 Schreiben <?page no="157"?> Mündlich oder schriftlich Sowohl mündliches als auch schriftliches Feedback kann hilfreich sein. Damit Sie sich besser für eine der beiden Formen entscheiden können, finden Sie im folgenden Abschnitt eine knappe Darstellung, wofür sie sich jeweils eignen und was dabei berücksichtigt werden kann: Mündliches Feedback …eignet sich besonders, wenn ● Sie in einer frühen Schreibphase konzeptionelle Aspekte in den Blick nehmen, ● Sie Feedback auf kurze Textpassagen oder konkrete Texteigenschaften benötigen, ● Sie ausreichend Zeit für das Gespräch haben, ● Sie interessiert, was der/ die Leser: in verstanden hat. … gelingt besser, wenn ● Sie während des Feedbackgesprächs Notizen oder direkt im Anschluss ein Gedächt‐ nisprotokoll anfertigen, ● Sie sich nicht rechtfertigen, aber viel nachfragen; seien Sie freundlich hartnäckig, ● Sie Verbesserungsvorschläge gemeinsam konkret ausarbeiten. Tipps und Methoden ● Manchmal hilft es, nur zuzuhören: „Erzähl mal, was du verstanden hast! “ oder „Nachdem du den ersten Abschnitt gelesen hast: Was glaubst du, worum es gehen wird? “ Besonders gut eignet sich diese Methode, wenn sich zwei oder mehr Personen über ihren Text unterhalten. ● Fokussieren Sie das Gespräch: „Was ist aus deiner Sicht die größte Stärke meines Konzepts/ Texts? Was ist aus deiner Sicht die größte Baustelle? “ ● Nutzen Sie die Erfahrungen des Gegenübers: „Wie würdest du weiterma‐ chen? “ Schriftliches Feedback …eignet sich besonders, wenn ● ein Entwurf schon recht gut ausgearbeitet oder der Text nahezu fertig ist, ● Sie sich umfangreiches Feedback, z.-B. auf den gesamten Text wünschen, ● Ihr Gegenüber sich in Ihrem Fach auskennt oder einen guten Blick für Sprache hat, ● Sie in Ruhe über die Rückmeldungen nachdenken möchten oder ● sich in einem Feedbackgespräch schnell angegriffen fühlen (was vielen so geht). 1.3 Schreiben 157 <?page no="158"?> … gelingt besser, wenn ● Sie Feedback von mehreren Personen zur gleichen Zeit erhalten, was sinnvoll sein kann, weil Sie dann die unterschiedlichen Rückmeldungen vergleichen und dadurch besonders gut ihre eigene Meinung entwickeln können, ● Sie ausreichend Zeit für die Überarbeitung haben, ● Sie das Feedback gut anleiten (s.-u.). Tipps und Methoden ● Für Feedback in Word eignen sich folgende Funktionen: - „Änderungen nachverfolgen“ für Vorschläge zu Korrekturen, Satzum‐ stellungen, Ergänzungen oder Streichungen. Sie können diese Ände‐ rungen mit einem Klick annehmen oder ablehnen. Solche Änderungen sollten aber stets auch kommentiert werden. - „Kommentar einfügen“ für alle Fragen, Beurteilungen und Begründun‐ gen oder für Ideen, die sich nicht leicht umsetzen lassen. - Sie können Kommentare und Änderungen nach Belieben aus- und einblenden mit → Überprüfen → Nachverfolgung → Markup: alle / keine. ● Ein Ampelsystem hilft, die Beurteilung der Lesenden schnell zu erfassen: „Bitte markiere den gesamten Text farbig: grün, was du gut gelungen findest, gelb, was du nicht optimal findest, rot, wo du dringenden Überarbeitungs‐ bedarf siehst. Bitte begründe deine Farbwahl jeweils.“ Abb. 1.3.4: Textfeedback mit Ampelsystem und Kommentarfunktion. 158 1.3 Schreiben <?page no="159"?> ● Wer in LaTeX schreibt, gibt am besten ein PDF aus der Hand, damit Rück‐ meldungen und Anregungen in Kommentaren formuliert werden können. Abb. 1.3.5: Textkommentierung in einem PDF-Reader. Lob oder Kritik Viele Menschen glauben, Feedback müsse kritisch sein, damit es hilft, und man müsse jede Kritik dann auch noch dankbar annehmen. Beides stimmt nicht. Unwirksam ist Feedback beispielsweise, wenn Sie sich dadurch gekränkt fühlen (vgl. Kluger/ DeNisi 1996) oder das Gefühl haben, Kritik nicht umsetzen zu können (Bandura 1997). Aus‐ schließlich kritische Rückmeldungen lassen Sie zudem im Unklaren über die Qualität nicht kommentierter Textstellen, was auch bei geübten Schreiber: innen Unsicherheit hervorrufen kann. Daher empfehle ich Ihnen, stets um die Beschreibung von Stärken und Schwächen zu bitten oder genau zu prüfen, was Ihnen in einer konkreten Situation hilft: Sind Sie selbst stark verunsichert und haben nur sehr wenig Zeit für die Überarbeitung, ist es sicherlich nicht die Fundamentalkritik; sind Sie von der Qualität Ihres Textes überzeugt und haben ausreichend Zeit für weitere Überarbeitungen, ist Kritik wertvoll. Insbesondere wenn Sie im Studium noch wenig geschrieben haben, hilft es sehr, wenn Ihre Leser: innen für Textmerkmale, deren Umsetzung sie kritisieren, auch Positivbeispiele in Ihrem Text aufzeigen („In diesem Absatz verstehe ich nicht, auf welche Forschungsliteratur du dich beziehst. Schau mal im dritten Absatz: Hier ist es ganz klar, weil du …“). Feedback ist keine Verpackungskunst. Erbitten Sie daher beispielsweise nicht, zuerst die Stärken, dann die Schwächen Ihrer Texte zu benennen - die Rückmeldung verliert dann an Glaubwürdigkeit. 1.3 Schreiben 159 <?page no="160"?> 47 Die folgenden Darstellungen beschreiben typische Schreibprozesse versierterer Schreibender; wenn Sie anders vorgehen, lassen Sie sich von der hier vorgeschlagenen Reihenfolge bitte nicht verunsi‐ chern, sondern prüfen Sie, was Sie daraus für Ihre Vorgehensweise adaptieren können. Kap.-1.3.3 Kap.-1.3.2 Wann und worauf Feedback bei größeren Schreibprojekten Je größer das Schreibprojekt, desto früher und häufiger sollten Sie um Feedback bitten. Im Folgenden beschreibe ich daher für verschiedene Schreibphasen 47 , wie Sie Feedback bei Schreibprojekten wie umfangreichen Protokollen oder Projektarbeiten, Abschlussarbeiten oder Dissertationen (seien sie kumulativ oder monographisch) optimal nutzen, um am Ende einen möglichst guten Text einzureichen: In der Planungs- und Konzeptionsphase stehen naturgemäß fachliche und konzeptio‐ nelle Fragen im Vordergrund, die Sie wahrscheinlich ohnehin mit Ihrer Betreuerin oder Ihrem Betreuer klären. Es hilft, auch in dieser frühen Phase schon eine Vorstellung vom Text zu entwickeln, den Sie schreiben werden - und dazu auch Notizen anzufertigen: Wie werden die Kapitel aufgebaut sein, was gehört an welche Stelle, wie begründen Sie Ihre Methode, mit welchen Ergebnissen rechnen Sie und warum? Über Gedanken zu solchen Fragen können Sie sich gut im Gespräch mit anderen Feedback holen - sei es mit dem oder der Betreuer: in oder mit Kommiliton: innen (s. o.). Ziel von Feedback in dieser frühen Phase ist, die inhaltliche Konzeption und den Zuschnitt der Arbeit zu schärfen, Problemstellen zu identifizieren und einen guten Überblick darüber zu gewinnen, an welchen Stellen Sie sich schon sicher, an welchen noch unsicher fühlen. Oft ergeben sich aus Feedback in dieser frühen Phase ganz wesentliche Änderungen: eine andere Methode zu nutzen, die Fragestellung umzuformulieren, zentrale Aspekte des Themas nachzurecherchieren etc. Hier geht es beim Feedback also um alles, was die grobe Weichenstellung Ihres Schreibprojekts betrifft. Sobald erste Textentwürfe stehen, kann die Konzeption geschärft werden und so‐ genannte Higher Order Concerns wie diese geraten in den Blick: ● Passen Forschungsliteratur, Methode, Fragestellung und Ergebnisse zueinander? ● Ist die Forschungsliteratur einschlägig und wird sie eigenständig systematisiert und kritisch beurteilt? ● Sind alle Inhalte fachlich korrekt und angemessen anspruchsvoll? ● Trägt jede Information zum grundständigen Verständnis oder zur Beantwortung der Fragestellung bei? ● Ist die Reihenfolge von Informationen nachvollziehbar? ● Sind alle Wertungen/ Urteile begründet und ist jede Aussage belegt? ● Erfüllen die einzelnen Kapitel ihre jeweilige Funktion bzw. sind die Aufgaben bearbeitet, die in dem jeweiligen Kapitel üblicherweise erwartet werden? Feedback auf solche Fragen zielt darauf, dass das Schreibprojekt fachlich-inhaltlich gelingt, also die Konzeption zu prüfen. Auch in dieser Phase kann Feedback daher noch konzeptionelle Anschlussaufgaben sichtbar machen. 160 1.3 Schreiben <?page no="161"?> Kap.-1.5.3 Kap.-1.4.1 Kap.-1.2.4 Wenn Ihr Schreibprojekt zunehmend Kontur annimmt, Sie sich hinsichtlich Ihrer fachlich-inhaltlichen Konzeption sicherer sind und bereits (erste) Ergebnisse vorliegen, gewinnt die sprachliche Qualität an Bedeutung, also Fragen der Präzision und Ver‐ ständlichkeit: ● Sollten Textstellen präzisiert oder um Beispiele und Abbildungen ergänzt wer‐ den? ● Sind Tabellen, Abbildungen etc. gut in den Text integriert? ● Erschließt sich die Relevanz jeder Information und nehmen weniger wichtige Aspekte entsprechend wenig Raum ein? ● Sind Absätze sinnvoll strukturiert? Gibt es ggf. für besonders kurze oder lange Absätze gute Gründe, die sich den Lesenden leicht erschließen? ● Werden zentrale Begriffe definiert und wird durchgängig Fachsprache verwendet? ● Ist immer eindeutig, auf welches sprachliche Element sich Wörter wie z. B. hier, dabei, damit, dadurch, so, somit, dies(es), jenes, er, sie, es etc. beziehen? ● Findet sich keine Umgangssprache? ● Sind die Sätze von der Länge her überschaubar und so strukturiert, dass die Leser: innen gut folgen können? ● Ist alles so präzise und einfach wie möglich formuliert? Hier zielen Feedback und Überarbeitung also auf einen gut lesbaren, präzisen und unmissverständlichen Text. Kurz vor der Abgabe - also erst, wenn inhaltlich, strukturell und sprachlich aus Ihrer Sicht alles passt - können Sie Ihr Schreibprojekt zum Korrekturlesen geben. Dabei geht es nicht mehr um Feedback im engeren Sinne, also auf Inhalt, Sprache und Stil, sondern um richtig/ falsch-Einschätzungen in Bezug auf sogenannte Later Order Concerns wie diese: ● Ist der Text grammatikalisch korrekt? ● Sind Rechtschreibung und Zeichensetzung korrekt? Finden sich keine überflüssi‐ gen oder fehlenden Leerzeichen? ● Ist die Formatierung einheitlich, z. B. in Hinsicht auf Schriftart und Schriftgröße, Arten der Hervorhebung etc.? ● Stimmen Inhaltsverzeichnis und Text überein? ● Sind alle Abbildungen gut lesbar und benannt? ● Falls Sie ohne Literaturverwaltungstool arbeiten: Sind alle verwendeten For‐ schungstexte im Literaturverzeichnis genannt und keine, die nicht genutzt wur‐ den? Entsprechen alle Quellenangaben den Vorgaben? Am Ende der Überarbeitung, die auf diesem Feedback basiert, steht im Idealfall der fehlerfreie Text, der formalen Vorgaben entspricht. 1.3 Schreiben 161 <?page no="162"?> Kap.-1.3.5 Feedback bei kleinen Schreibprojekten (und/ oder bei wenig Zeit zur Überarbeitung) Im Studien- und Forschungsalltag kommt es oft anders als geplant: Was an praktischer Arbeit eigentlich sinnvoll wäre, stellt sich als zu teuer heraus, Messungen können nicht durchgeführt werden, Ergebnisse fallen anders aus als erwartet etc. Dann fehlt oft die Zeit, um mehrfach Feedback einzuholen und alle wichtigen Überarbeitungsebenen im Blick zu haben. Bei kleinen Schreibaufgaben im Studienalltag sind oft nicht einmal Schreibphasen unterscheidbar und wegen der kurzen Bearbeitungszeit erübrigt sich umfangreiches Feedback von selbst. Daher kommt es hier besonders darauf an, Feedback durchdacht und zielgerichtet zu nutzen. Unter diesen Bedingungen ist Feedback sinnvoll, wenn es Überarbeitungen anregt, die den größten Einfluss auf die Textqualität haben. Wenn Sie im Studium schon viel geschrieben haben, können Sie solche Überarbeitungsebenen möglicherweise selbst identifizieren. Falls Ihnen dafür noch die Schreiberfahrung fehlt, hier ein paar Anregungen: Notfalltipps bei wenig Zeit für Feedback und Überarbeitung ● Bitten Sie um stark fokussiertes, mündliches Feedback (z. B. „Bitte überflieg mal den Text und sag mir vor allem, an welchen Stellen du beim Lesen stolperst …“). ● Bitten Sie ausschließlich um Feedback, das direkt umsetzbar ist (z. B. „Bitte gib mir zu jeder Rückmeldung konkrete Anregungen, die ich direkt umsetzen kann.“) ● Fragen Sie Ihre Feedback-Geber: in, was aus seiner bzw. ihrer Sicht besonders dringlich überarbeitet werden sollte. ● Fragen Sie die Prüfer: innen nach den wichtigsten Beurteilungskriterien (z. B.: „Was ist das Wichtigste, um eine 1 zu bekommen / zu bestehen …“; „Was sollte ich unbedingt vermeiden, wenn ich eine sehr gute Note möchte? “) und erbitten Sie dazu Feedback von jemand anderem. ● Fokussieren Sie bei kurzen Texten die Aufgabenstellung: Bitten Sie um Feedback dazu, ob es Ihnen gelungen ist, gut auf den Punkt zu kommen. ● Bei längeren Texten ist oft der rote Faden, die Einbettung der Forschungsliteratur und die Nachvollziehbarkeit Ihrer Argumentation wichtig, beispielsweise in der Darstellung der Ergebnisse oder im Diskussionskapitel. Vieles davon spiegelt sich in einer sinnvollen Strukturierung Ihrer Absätze wider, die daher oft großen Ein‐ fluss auf die Textqualität haben. Bitten Sie also gezielt um Feedback darauf. ● Bei großem Zeitdruck kann es auch sinnvoll sein, lediglich um Korrekturvor‐ schläge und Formatierungsanregungen zu bitten, damit Sie zumindest mit dem ersten Eindruck punkten können. Feedbackbitten konkret formulieren Feedback zu geben kann aufwändig sein. Insbesondere längere Texte zu lesen und zu kommentieren braucht viel Zeit. Um Menschen für ein Feedback zu gewinnen, hilft es daher, ● schon mit einigem Vorlauf einen Zeitraum fürs Kommentieren zu vereinbaren, 162 1.3 Schreiben <?page no="163"?> ● ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen, ● den Umfang eines Textes zu begrenzen, indem Sie Textauszüge wählen, bei denen Ihnen ein Feedback besonders hilft, und vor allem ● anzubieten, im Gegenzug ebenfalls für Feedbackanfragen zu Verfügung zu stehen. Wie Sie Feedback auf der Grundlage der in den vergangenen Unterkapiteln darge‐ stellten Inhalte so anfragen können, dass es möglichst den Gütekriterien entspricht, illustriert dieses Beispiel: Beispiel: Schriftliches Text-Feedback anfragen Lieber Marius, danke, dass Du mir Feedback auf meine Masterarbeit gibst! Damit ich deine Rückmeldungen gut nutzen kann, wäre es super, wenn du auf Folgendes achtest: ● Inhaltlich bin ich schon ziemlich zufrieden mit dem Text. Hier würde mich nur noch interessieren, ob du über irgendetwas heftig stolperst, es also nicht verstehst oder total unwichtig oder sogar falsch findest. ● Auf der sprachlichen Ebene habe ich oft das Gefühl, dass ich mich noch prä‐ ziser und knapper ausdrücken könnte. Hier bin ich dir für jeden konkreten Vorschlag zur Überarbeitung dankbar. ● Die größten Sorgen habe ich bei der Diskussion. Wird hier deutlich, wie sich meine Ergebnisse zum Forschungsstand verhalten? Hast du Ideen, wie ich hier auch meine Eigenleistung besser hervorheben kann? Leuchtet dir alles ein, was ich hier schreibe? ● Ach: Und natürlich freue ich mich über jeden Fehler, den du findest! Ich habe nur noch wenige Tage bis zur Abgabe und brauche dein Feedback daher bis spätestens Montag. Es wäre super, wenn du in Word die Funktion „Änderungen nachverfolgen“ nutzt, um Vorschläge auzuformulieren und Fehler zu markieren. Zusätzlich wäre es gut, wenn du die Kommentar-Funktion nutzt - dann kann ich deine Anmerkungen genau da finden, wo ich sie auch brauche. Damit ich verstehe, worüber du stolperst, erklär bitte immer, warum du etwas problematisch findest. Vielen Dank - du hast etwas gut bei mir! Feedback fürs Überarbeiten nutzen Weil Sie mündliches Feedback hoffentlich gut hinterfragt und im Gespräch Ideen für seine Umsetzung entwickelt haben, beziehen sich einige der folgenden Anregungen eher auf schriftliches Feedback. 1.3 Schreiben 163 <?page no="164"?> Voraussetzungen vergegenwärtigen Bevor Sie sich mit Feedback auf Ihren Text auseinandersetzen, hilft es oft, sich bewusst zu machen, was es ist: Rückmeldungen einer konkreten Leserin oder eines konkreten Lesers; mit anderen Worten: Aus einem Feedback lassen sich keine verbindlichen Rückschlüsse über die Qualität Ihrer Arbeit ziehen. Manches Feedback sagt mehr über die Lesenden aus als über den Text. Dennoch kann sogar inhaltlich falsches Feedback hilfreich sein, wenn Sie dadurch Ihren Text noch einmal hinterfragen und kritisch prüfen. Nutzen Sie also jede Rückmeldung (sei sie hilfreich oder unqualifiziert) als Anlass zur Reflexion. Überfliegen Verschaffen Sie sich einen ersten Eindruck von den einzelnen Rückmeldungen, indem Sie sie vollständig lesen. Es ist völlig normal und in Ordnung, wenn Sie sich dabei über einzelne Aspekte ärgern oder erst einmal verunsichert sind; sei es, weil Sie Rückmeldungen für falsch erachten, sei es, weil die Rückmeldungen nicht den Kriterien für gutes Feedback (s. oben) entsprechen oder weil Sie sich beschämt oder bloßgestellt fühlen. Beim Überfliegen gewinnen Sie einen Gesamteindruck von der Qualität und vom Umfang des Feedbacks. Je emotionaler Sie reagieren, desto sinnvoller ist es, jetzt erst einmal eine Pause zu machen und die Rückmeldungen sacken zu lassen. Filtern und priorisieren Bei schriftlichem Feedback auf längere Texte - möglicherweise noch von mehreren Lerser: innen zur selben Zeit - kommen oft viele einzelne Kommentare und Anregun‐ gen zusammen. Insbesondere bei Zeitdruck hilft es, die Anregungen zu priorisieren: Was trägt am meisten, was am wenigsten zu einer signifikanten Qualitätsverbesserung bei? Welchen Rückmeldungen wollen Sie folgen, welchen auch bewusst nicht? Welche Rückmeldungen verstehen Sie nicht, so dass Sie nachfragen müssen? Was erscheint Ihnen leicht umsetzbar, auch wenn es nur wenig zur Textqualität beiträgt, was aufwändiger? Welche Rückmeldungen bringen Sie auf neue Ideen? Tipp: Nutzen Sie zur Vorbereitung Ihrer Überarbeitung ein Ampelsystem: Mar‐ kieren Sie ohne langes Nachdenken alle Rückmeldungen rot, die Sie unbedingt umsetzen möchten, gelb, was Sie möglichst berücksichtigen wollen und grün, was Sie nicht berücksichtigen möchten. Arbeiten Sie dann zunächst die rot mar‐ kierten Rückmeldungen ab. Muster suchen Weil wir beim Überarbeiten nicht gleichzeitig auf alles achten können, ist es hilf‐ reich, die einzelnen Rückmeldungen zu systematisieren und gleichartige Dinge in jeweils einem Überarbeitungsgang zu behandeln: Wenn Sie beispielsweise häufiger 164 1.3 Schreiben <?page no="165"?> Rückmeldungen zum Aufbau von Absätzen erhalten, ist es sinnvoller, diese direkt nacheinander zu bearbeiten, und nicht alle Rückmeldungen chronologisch. Seien Sie dabei aufmerksam dafür, ob es sich lohnen könnte, weitere Absätze auf dasselbe Phänomen hin zu prüfen; schließlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich bestimmte Auffälligkeiten durch Ihren gesamten Text ziehen, obwohl sie den Lesenden nicht aufgefallen sind. Im Bereich der Later Order Concerns gilt dies ganz besonders: Wer beispielsweise eine Kommaregel nicht kennt, wird sie durchgängig nicht beachten. Einarbeiten: Ausprobieren, umschreiben, laut lesen Wenn Feedback den eingangs genannten Qualitätskriterien entspricht, fällt die Über‐ arbeitung oft relativ leicht. Dennoch ist es ganz normal, wenn Sie zwischendurch keine Idee haben, wie Sie eine Rückmeldung für Ihre Überarbeitung nutzen können. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, Textpassagen in ein neues Dokument zu kopieren, um beherzt zu überarbeiten, und vielleicht sogar einige Versionen auszutesten - aus‐ probieren hilft auf dem Weg zum guten Text und ist sehr wichtig für die Entwicklung von Schreibkompetenz (Brooke/ Carr 2015, 62-64). Falls Sie dann unsicher sind, welche Version besser ist, hilft es oft, sie laut vorzulesen. Überarbeitung ‚absegnen‘ lassen Es kann passieren, dass Sie trotz Ausprobieren, Nachdenken und laut Lesen unsicher sind, ob ihr Text durch die Überarbeitung besser geworden ist. Nehmen Sie doch in diesen Fall einfach die Chance wahr, bei der Person nachzufragen, die Ihnen das Feedback gegeben hat. Vielleicht entwickelt sie auf dieser Grundlage sogar neue Anregungen, wie Sie Ihren Text noch besser machen können. Aus Feedback lernen Am Ende Ihres Studiums sollen Sie gelernt haben, so zu schreiben, wie es in Ihrem Fach üblich ist. Dabei ist Feedback unverzichtbar! Der fremde Blick auf Ihre Texte hilft, den eigenen Blick zu schärfen. Nutzen Sie daher jedes Feedback, um sich zu vergegenwärtigen, was Sie aus Ihrer eigenen Perspektive beim Schreiben schon ganz gut können und worauf Sie zukünftig mehr Augenmerk legen wollen. Scheuen Sie nicht davor zurück, sich dazu Notizen zu machen. Auf diese Weise werden zukünftige Schreib- und Überarbeitungsprozesse zielgerichteter, effizienter und freudvoller. 1.3 Schreiben 165 <?page no="166"?> Literatur B A N D U R A , A. (1997): Self-efficacy: The exercise of control. Macmillan. B A R B E I R O , L. F. (2010): What happens when I write? Pupils’ writing about writing, in: Reading and Writing, 24(7), 813-834. B R O O K E , C. / C A R R , A. (2015): Failure Can Be an Important Part of Writing Development. In: A D L E R -K A S S N E R , Linda / W A R D L E , Elizabeth (Hrsg.): Naming What We Know: Threshold Concepts of Writing Studies. Logan: Utah State University Press, 62-64. C H O , K. / M A C A R T H U R , C. A. (2010). Student revision with peer and expert reviewing, in: Learning and Instruction, 20 (4), 328-338. C L A R K E , S. (2001): Unlocking formative assessment. London: Hodder and Stoughton. C R O O K S , T. (2001): The validity of formative assessments, British Educational Research Association Annual Conference. University of Leeds, 13-15. G R A H A M , S. / H A R R I S , K. / H E B E R T , M. (2015): Formative Assessment and Writing: A Meta-Ana‐ lysis, in: The Elementary School Journal, 115(4), 1-12. H A T T I E , J. / C L A R K E , S. (2019): Visible Learning, Feedback. Routledge. H A T T I E , J. / T I M P E R L E Y , H. S. (2007): The power of feedback, in: Review of Educational Research, 66(2), 99-136. K L U G E R , A. N. / D E N I S I , A. (1996): The effects of feedback interventions on performance: A historical review, a meta-analysis, and a preliminary feedback intervention theory. in: Psychological Bulletin 119(2), 254-284. M A C A R T H U R , C.A. (2007). Best practice in teaching evaluation and revision. In: G R A H AM , S. / M A C A R T H U R , C. / F I T Z G E R A L D , J. (Hrsg.): Best practice in writing instruction, New York: Guilford, 141-162. P A R R , J. M. & T I M P E R L E Y , H. S. (2010): Feedback to writing, assessment for teaching and learning and student progress, in: Assessing Writing, 15(2), 68-85. P O H L , T. (2007): Studien zur Ontogenese wissenschaftlichen Schreibens. Tübingen: De Gruyter. S T E I N H O F F , T. (2007): Wissenschaftliche Textkompetenz. Sprachgebrauch und Schreibentwicklung in wissenschaftlichen Texten von Studenten und Experten. Tübingen: De Gruyter. V A N S T E E N D A M , E. / R I J L AA R S D A M , G. / S E R C U , L. / V A N D E N B E R G , H. (2001): The effect of instruction type and dyadic or individual emulation on the quality of higher-order peer feedback in EFL, in: Learning and Instruction, 20(4), 316-327. 166 1.3 Schreiben <?page no="167"?> 1.3.5 Überarbeiten - mehr als Korrigieren Nora Hoffmann „In rewriting, I find the line of argument.“ (Sommers 1981, 384) Die Bedeutung des Überarbeitens Viele Studierende verstehen unter Überarbeiten lediglich Lektorat und Fehlerkorrek‐ tur: Sie korrigieren rasch Tipp-, Grammatik- und formale Fehler und gestalten den Stil ansprechender, indem sie einzelne Wörter streichen oder durch andere ersetzen, um Wortwiederholungen zu vermeiden. Dabei gehen sie davon aus, dass ihr Text nach der Niederschrift inhaltlich fertig sei und nur noch Feinheiten an der Textoberfläche auszumerzen blieben. Abb. 1.3.6: Modell des Überarbeitens. Dabei kann und sollte Überarbeiten viel globaler genutzt werden, um Gedanken inhaltlich weiterzuentwickeln und so den Text qualitativ deutlich zu verbessern. Die ersten Ideen, mit denen Sie zu Beginn des Schreibprozesses gestartet sind, haben sich durch die Verschriftlichung verändert und sind greif- und handhabbarer geworden. Überarbeiten besteht deshalb darin, Grundidee und -struktur eines Textes zu hinter‐ fragen, den eigenen Gedankengang zu klären und für Lesende einen nachvollziehbaren Weg durch den Text herzustellen. Man kann es sich so vorstellen, als würde aus einem unscheinbaren Rohdiamanten, dem Rohtext, der zunächst der: dem Schreibenden zur 1.3 Schreiben 167 <?page no="168"?> Kap.-1.3.3 Kap.-1.3.4 Entwicklung eigener Gedanken dient, beim Überarbeiten schrittweise in mehreren, immer detaillierter werdenden Durchgängen durch Brechen, Sägen, Schleifen, Feilen und Polieren ein für Betrachtende erkennbarer Diamant mit klaren Konturen, die Endversion für Lesende (vgl. Abb. 1.3.6; vgl. zum Absatz Sommers 1980). In Schule, Studium und Alltag wird selten vermittelt, dass Texte nicht in einem Rutsch entstehen, sondern immer wieder um- und neugeschrieben werden müssen, wie im Kapitel zu Rohtexten und Schreibprozess ausführlich erläutert wird. Das Überar‐ beiten ist gerade für komplexe akademische Texte absolut unabdingbar. Niemand schreibt auf Anhieb den perfekten Text, und auch erfahrene Schreibende investieren grundsätzlich viel Zeit ins Überarbeiten. In der Schreibforschung gilt die Überarbeitung deshalb als komplexer, zielgerichteter Prozess des Problem-Lösens, der darin be‐ steht, den eigenen Text kritisch zu bewerten, Alternativen abzuwägen, Überarbei‐ tungsstrategien auszuwählen, neue Ideen zu entwickeln und den Text so zu verändern, dass er mit der Aussageabsicht der: s Schreibenden übereinstimmt und diese Lesenden deutlich wird (vgl. Hayes et al. 1987; Hayes 1996; MacArthur 2011). Damit Sie auf diese Weise Überarbeiten können, sollten Sie folgende Hinweise beachten (vgl. MacArthur 2011, 470-476): 1. Lassen Sie sich auf das im vorangehenden Text beschriebene umfassende Verständnis des Überarbeitens ein, wenn Sie tatsächlich einen besseren Text erhalten wollen. Diese Bereitschaft beinhaltet, dass Sie nicht an jedem Detail Ihres Textes hängen dürfen, auch wenn Sie ihn mit Mühe geschrieben haben, sondern sich der eigenen Kritik stellen und bereits geschriebene Textteile loslassen müssen. Dass Ihnen das nicht leichtfällt und schmerzhaft bis demotivierend sein kann, ist vorstellbar. Dennoch besteht der einzige Weg zu einem richtig guten Text darin, sich inhaltliche Schwachstellen ehrlich einzugestehen und sie zu beheben. 2. Planen Sie etwa ein Drittel Ihrer Zeit für eine gründliche Überarbeitungsphase ein. Diese Zeit benötigen Sie, wenn Sie mit der nötigen Distanz und Ruhe inhalt‐ liche Veränderungen vornehmen wollen und dabei ggf. ergänzende Informationen recherchieren, Textteile neu schreiben oder die Textstruktur modifizieren müssen. 3. Schwachstellen im eigenen Text zu erkennen ist deutlich schwieriger als der kri‐ tische Blick auf fremde Texte. Suchen Sie sich deshalb am besten mehrere Feed‐ backgebende, um Leseeindrücke zu Ihrem Text und Überarbeitungshinweise zu erhalten. Geben Sie selbst ebenfalls anderen Textfeedback, denn damit schärfen Sie Ihre Fähigkeit zur Beurteilung auch eigener Texte und proftieren so fürs eigene Überarbeiten (vgl. Lundstrom/ Baker 2009). Falls Sie Ihren Text an eine Fachzeit‐ schrift schicken, erhalten Sie auch von dort ein Feedback mit Hinweisen zur Über‐ arbeitung - selbst renommierte Forschende gelangen erst dadurch zu ihren guten Texten. 4. Um den eigenen Text kritisch bewerten zu können, ist es hilfreich, die von außen an Ihren Text gestellten Ansprüche zu kennen. Allgemeine Hinweise darauf kann Ihnen der Blick in die Kapitel des zweiten Teils dieses Ratgebers zu verschie‐ 168 1.3 Schreiben <?page no="169"?> Kap.-1.3.1 denen im MINT-Bereich üblichen Texten bieten. Zudem lohnt es sich für schrift‐ liche Arbeiten an Hochschulen, Leitfäden des Fachbereichs, Fachs oder Betreuen‐ den zu lesen und sich mit deren Richtlinien und Bewertungskriterien auseinander zu setzen. Sollten Sie nicht fündig werden, ist es legitim, Betreuende danach zu fragen. Wenn Sie für eine Fachzeitschrift oder Reihe schreiben, erhalten Sie normalerweise von dort Hinweise auf deren Anforderungen. 5. Für einen möglichst objektiven Blick auf den eigenen Text sollten Sie sich so viel Abstand dazu verschaffen, wie Sie können. Dafür können Sie Ihren Text - vor der Überarbeitung eine Zeitlang ruhen lassen, mindestens über Nacht, besser noch einen oder mehrere Tage, - an einem anderen Arbeitsort als Ihrem gewöhnlichen Schreibort lesen, - durch Umformatieren ändern, sodass er für Sie fremd aussieht (andere Textausrichtung wie z. B. rechtsbündig oder zentriert; andere Schriftart und -größe). Bei weniger umfangreichen Texten kann zudem ein Ausdruck hilfreich sein. 6. Gehen Sie beim Überarbeiten schrittweise vom Großen zum Kleinen vor, d. h. widmen Sie sich zuerst Fragestellung und Struktur und gehen Sie Sprache und Formalia danach separat an. Da es beim Überarbeiten der Struktur passieren kann, dass Sie Textteile löschen, um- oder neuschreiben müssen, wäre es verlorere Zeit und ärgerlich, schon vorher Mühe auf Sprache und Form zu verwenden. 7. Nutzen Sie gezielt Methoden zum Überarbeiten, um Ihren Text effizient und effektiv bis hin zur Endversion zu entwickeln. Im nächsten Kapitel finden Sie einige davon dargestellt. Methoden zum Überarbeiten Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick durch Methoden zum Überarbeiten. Diese sind nach allgemeinen Bewertungskriterien für wissenschaftliche Texte (vgl. Hoffmann/ Tilmans 2021) angeordnet und gehen von der übergeordneten Ebene der Fragestellung und Gesamtstruktur über Feinstruktur, Leser: innenlenkung und Quellennutzung bis hin zu Sprache und Form. Bitte bedenken Sie, dass Sie beim Überarbeiten zudem fachspezifische Anforderungen beachten müssen, die in diesem allgemeinen Überblickskapitel nicht aufgenommen werden können. Da jeder Text unterschiedliche Schwierigkeiten mit sich bringt und jede/ r Schrei‐ bende eine andere Art hat, den Schreibprozess zu gestalten, werden nicht alle Metho‐ den immer gleich gut funktionieren. Wählen und probieren Sie aus, was Ihnen für Ihren aktuellen Überarbeitungsschritt passend erscheint und fühlen Sie sich frei, Methoden für sich zu modifizieren. Die meisten davon sind zeit- und arbeitsauf‐ wändig, sodass sie beim ersten Durchlesen abschreckend wirken können. Sie lohnen diesen Aufwand aber. Oft kann es auch genügen, wenn Sie eine Methode gewissenhaft an einem kleinen Textteil durchführen, um ein Gespür dafür zu bekommen, worauf es beim Überarbeiten des aktuellen Aspekts ankommt. Anschließend können Sie mit ge‐ 1.3 Schreiben 169 <?page no="170"?> Kap.-1.5.2 schärftem Blick und trainierten Überarbeitungsansätzen zu einer freieren Vorgehens‐ weise übergehen. 1. Ist Ihr gesamter Text auf ein klares Ziel hin ausgerichtet? 1.1 Was ist mit der Ausrichtung auf ein klares Ziel gemeint? Vielfach geben Betreuende in MINT-Fächern bewusst breite Fragestellungen vor, um Raum für Eventualitäten zu lassen (z. B. wächst eine Pflanze nicht wie geplant, Unter‐ suchungsmaterial kann nicht (rechtzeitig) geliefert werden u.ä.). Diese weit gefassten Vorgaben müssen Sie zunächst eingrenzen und konkretisieren, um Ihren Forschungs‐ prozess mit einer klaren Zielsetzung beginnen zu können. Eine solche Zielsetzung än‐ dert sich im Verlauf Ihres Arbeitsprozesses allerdings im Normalfall durch neue, beim Forschen und Schreiben hinzu gekommene Erkenntnisse, Widersprüche oder weiter‐ führende Ansätze. Daher kommt es sehr häufig vor, dass die am Ende tatsächlich be‐ arbeitete Zielsetzung von der zu Beginn angestrebten abweicht. Deshalb besteht der erste und wichtigste Schritt des Überarbeitens darin, dass Sie die Kernaussage oder zentrale Botschaft, die sich entwickelt hat, zunächst einmal selbst erkennen. In wis‐ senschaftlichen Texten sind solche Botschaften in der Regel Antworten auf eine For‐ schungsfrage, die Begründung einer These oder die Darstellung eines komplexen Phä‐ nomens. Haben Sie diese Zielsetzung für sich klar definiert, können Sie den gesamten Text darauf ausrichten und einen roten Faden hindurch ziehen. Konkret bedeutet das etwa, Textstellen zu löschen, die nicht zur Beantwortung der Fragestellung beitra‐ gen, Ausführungen zu ergänzen, nach denen die Fragestellung verlangt, oder Passagen umzustellen, wenn sie zwar zur Beantwortung der Fragestellung beitragen, aber an einer unpassenden Stelle im Argumentationsgang platziert sind. 1.2 Warum ist die Ausrichtung auf ein klares Ziel wichtig? In der Endversion wird Ihr Text für Ihre Lesenden viel besser nachvollziehbar, wenn Sie Ihnen direkt zu Beginn Ihre Botschaft präzise vorstellen. Dann wissen Lesende, warum Sie Ihren Text überhaupt lesen sollen und was sie darin erwartet. Damit Lesende Ihre Botschaft zudem annehmen können, müssen sie Ihrem Argumen‐ tationsgang und der Logik Ihres Textes gut folgen können und sich im Text orientiert fühlen. Enthält Ihr Text hingegen Abschweifungen, Dopplungen oder Lücken, machen Sie Ihre Position angreifbar und verlieren im schlimmsten Fall Ihre Lesenden. 1.3 Wie überarbeite ich die Ausrichtung auf ein klares Ziel? Variante a: Prüfen Sie Ihre Fragestellung durch das Lesen von Einleitung und Ergebniskapitel. Beantworten Sie dazu ehrlich folgende Fragen. Mit ehrlich ist gemeint: Prüfen Sie, was tatsächlich schwarz auf weiß in Ihrem Text steht und was Lesende Ihrem Text entnehmen können, die nicht in Ihr Forschungsprojekt eingebunden waren. 170 1.3 Schreiben <?page no="171"?> Kap.-1.3.3 Abb. 1.3.7: Flussdiagramm zum Überarbeiten der Fragestellung. Variante b: Prüfen Sie Ihre Fragestellung durch das Lesen Ihres gesamten Textes. Beantworten Sie dazu folgende Fragen: 1. Was hat mich beim Lesen selbst überrascht (das kann z. B. eine neue Erkenntnis sein, auf die Sie ursprünglich gar nicht hinaus wollten, die Ihnen aber nun sehr wichtig erscheint; oder es könnten Widersprüche in Ihrem Text sein, die Ihnen vorher nicht aufgefallen waren)? 2. Was sollten Lesende unbedingt aus meinem Text mitnehmen? 3. Gibt es eine Textstelle, die ich besonders wichtig fand? 4. Worüber möchte ich gerne noch mehr wissen? Schreiben Sie sich im Anschluss einen Satz zum Fokus Ihrer Arbeit auf. Variante c: Prüfen Sie Ihren roten Faden durch Visualisierung mit einer Con‐ cept-Map (vgl. Novak/ Cañas 2008). Im Kapitel zu Rohtexten wird die Methode bereits zur Planung und Vorstrukturierung von Texten vorgestellt und durch ein Beispiel il‐ lustriert. Zum Überarbeiten kann sie auch nachträglich genutzt werden, um zu prüfen, ob im Text alle nötigen logischen Strukturen vorhanden und ausreichend klar darge‐ stellt sind. Gehen Sie dazu wie folgt vor: 1. Lesen Sie ein Kapitel und markieren Sie darin zentrale Begiffe. 2. Schreiben Sie diese Begriffe heraus und sortieren sie (etwa nach den Kategorien wichtig - weniger wichtig; abstrakt - konkret) und verteilen Sie sie. 3. Verbinden Sie die Begriffe und beschriften Sie die Pfeile mit Verben, um die Beziehung zwischen ihnen zu verdeutlichen. Versuchen Sie, auf diese Weise ein grafisches Abbild der logischen Zusammenhänge Ihres Textes zu erstellen. Sollten Sie merken, dass dies nicht mit allen Begriffen möglich ist, passen Sie Ihren Text entsprechend an. 4. Wenn Ihnen eine folgerichtige grafische Darstellung gelungen ist, gleichen Sie diese mit Ihrem Text ab: Stellen Sie die Zusammenhänge in Ihrem Text in derselben 1.3 Schreiben 171 <?page no="172"?> Reihenfolge dar wie in Ihrer Concept-Map? Werden in Ihrem Text die logischen Zusammenhänge ebenso explizit und deutlich wie bei den beschrifteten Pfeilen der Concept-Map? Ist dies nicht der Fall, strukturieren Sie Ihren Text um und fügen Erläuterungen zur Leser: innenlenkung ein. 2. Enthalten Ihre Absätze jeweils einen Gedankengang? 2.1 Was ist mit einem Gedankengang pro Absatz gemeint? Texte werden inhaltlich und grafisch in einzelne Sinnabschnitte gegliedert, damit Lesende ihrer Struktur folgen können. Auf der Ebene des Gesamttextes sind diese Abschnitte Kapitel; auf der Ebene der Kapitel bilden einzelne Absätze solche Einheiten. Die Funktion eines Absatzes besteht darin, als Beitrag zur Gesamtargumentation eines Kapitels einen in sich geschlossenen Gedankengang mit exakt einer zentralen Aussage zu präsentieren. Dieselbe Aussage sollte sich in anderen Absätzen, insbesondere den direkt davor und danach anschließenden, nicht übereinstimmend wiederfinden. Ansonsten fragen sich Lesende, ob sie etwas übersehen haben oder worauf der Text hinauswill. Andere Absätze können Ähnliches aussagen, sollten dabei aber ein weiteres Detail oder eine andere Perspektive hinzufügen, damit die Gesamtargumentation des Kapitels sich mit jedem Absatz weiterentwickelt. Ein Absatz sollte jedoch nicht mehr als einen zentralen Gedankengang enthalten, da dieser sonst von Lesenden ggf. nicht erfasst wird. Wenn Sie Ihren Lesenden erleichtern wollen, diese Hauptaussagen Ihrer Absätze zu finden, können Sie etwa folgenden Aufbau nutzen: Beginnen Sie mit dieser Aussage und führen sie im Rest des Absatzes genauer aus. Liefern Sie etwa konkrete Details dazu, Definitionen, Beispiele, Belege aus der Literatur oder eigener Forschung (Daten, Fakten, Messergebnisse etc.), Gegenpositionen und deren Entkräftung oder weiterführende Gedanken. Abschließend können Sie Ihren Lesenden den Übergang zur nächsten Aussage im folgenden Absatz durch eine Überleitung erleichtern. In anderen Fällen wollen Sie Ihre Lesenden vielleicht erst zu Ihrer Aussage hinfüh‐ ren und benötigen dafür zunächst einige Ausführungen, sodass Ihr Absatz erst als Schlussfolgerung mit Ihrer Aussage schließt. Möglich ist schließlich auch, dass Ihr Absatz erst zur Kernaussage führt und diese anschließend weiter ausarbeitet. Da Absätze eine zentrale Aussage sowie deren Ausführung enthalten, gilt in Bezug auf die Länge die Faustregel, dass ein einziger Satz meist zu kurz ist, eine halbe Seite dagegen eher die Obergrenze darstellt. In inhaltlich begründeten Fällen kann es davon aber Abweichungen geben. 2.2 Warum ist es wichtig, einen Gedankengang pro Absatz auszuführen? Lesende brauchen Orientierung und eine Struktur in Ihrem Text. Um Ihrer Gesamt‐ argumentation folgen zu können, müssen Lesende Ihre einzelnen Aussagen 172 1.3 Schreiben <?page no="173"?> s.narr.digit al/ t2eu4 erkennen und aufeinander beziehen können. Zu viele auf einmal sowie ungeord‐ net oder wiederholt präsentierte Informationen dagegen überfordern Ihre Lesenden. 2.3 Wie überarbeite ich meine Absatzstruktur? Prüfen Sie Ihre Absatzstruktur mit der Methode Reverse Outlining (vgl. The Writing Center of-the University of Wisconsin-Madison o. J). 1. Nummerieren Sie-alle Absätze eines Kapitels. 2. Formulieren Sie in einem separaten Dokument zu jedem Absatz einen zusammen‐ fassenden Satz mit der zentralen Aussage. Wenn Ihnen das schwer fällt, bauen Sie als Zwischenschritt ein, sich zunächst drei wichtige Begriffe im Absatz zu markieren, um so zur Hauptaussage zu finden. Nummerieren Sie die Sätze, um die spätere Zuordnung zu den Absätzen sicher zu stellen. 3. Lesen Sie die zusammenfassenden Sätze direkt nacheinander und prüfen Sie dabei: - Können Sie einen roten Faden, eine durchgängige Idee/ Argumentation er‐ kennen? Wenn nicht, ergänzen Sie Überleitungen, ändern Sie die Absatz-Rei‐ henfolge, löschen Sie Unpassendes oder ergänzen Sie zusätzliche Absätze. - Setzen manche Absätze etwas voraus, das erst in späteren Absätzen erklärt wird? Ändern Sie die Absatz-Reihenfolge. - Haben manche Zusammenfassungen eine sehr ähnliche bis gleiche Aussage? Führen Sie die Absätze in einen zusammen und kürzen Sie Wiederholungen. - Enthält die Zusammenfassung mehr als eine zentrale Aussage? Teilen Sie den Absatz in mehrere Absätze auf, um jeder Aussage genug Raum und Relevanz zu geben. 4. Wiederholen Sie die Schritte für alle Kapitel. 3. Enthält Ihr Text zielführende Mittel der Lesendenlenkung? - 3.1 Was ist zielführender Lesendenlenkung gemeint? Lesendenlenkung bedeutet, dass Sie Ihren Lesenden Ihre Textstruktur und Ihren Argumentationsgang explizit machen. Lesenden helfen orientierende Informa‐ tionen zum Textaufbau, also darüber, wie Ihr Text weiter gehen wird, damit sie sich darauf einstellen können, sowie Rückverweise und Zusammenfassungen, damit Sie sich bereits Gelesenes wieder ins Gedächtnis rufen. Signalwörter und -phrasen verdeutlichen Ihren Lesenden, welche Funktion im Text bestimmte Teile einnehmen (z. B. „Dieser Text verfolgt die These/ Fragestellung …“; „Laut aktuellem Forschungsstand …“; „Folgendes Beispiel illustriert …“; „Hierfür spricht das Argument, dass …“; „… lässt sich durch xy belegen …“). Zudem brauchen Ihre Lesenden Wörter der logischen Verknüpfung, die zeigen, wie Ihre Sätze zusammenhängen. Das können sein: Kon‐ junktionen (z. B. weil, ebenso, darüber hinaus, jedoch, einerseits - andererseits), Ersatzformen für Wörter (z. B. Pronomen, Synonyme, Ober- und Unterbegriffe) oder Ersatzformen für Satzteile (z.-B. dadurch, damit, dabei, hieraus, hierbei, wodurch). 1.3 Schreiben 173 <?page no="174"?> All diese Mittel sollten immer mit dem Ziel vor Augen eingesetzt werden, Ihren speziellen Leser: innen so viel Orientierung wie nötig zu bieten. Zu häufige, wiederholte oder offensichtliche Hinweise dagegen können den Lesefluss auch stören. Richten Sie sich an ein Fachpublikum, das mit dem Aufbau Ihrer Textsorte und Ihrem Fachgebiet vertraut ist, werden Sie etwa weniger und andere Mittel der Lesendenlen‐ kung benötigen als in einem Text für Lai: innen. 3.2 Warum ist zielführende Lesendenlenkung wichtig? Auch wenn Sie Ihren Lesenden bereits durch eine klare Struktur dabei helfen, Ihren zu folgen, erleichtern ihnen weitere Mittel der Lesendenlenkung die Lektüre zusätzlich. So können Ihre Lesenden sich auf Ihre Inhalte konzentrieren, statt überlegen zu müssen, warum sie gerade diese Information an dieser Stelle erhalten. 3.3 Wie überarbeite ich die Lesendenlenkung? 1. Stellen Sie sich Ihre Leser: innen und das Ziel Ihres Textes genau vor. 2. Lesen Sie Ihren Text schnell durch und markieren Sie alle Passagen, die Informa‐ tionen zum Textaufbau geben, mit verschiedenen Farben/ Symbolen: Vorankün‐ digungen, Rückverweise, Zusammenfassungen. - Wenn Sie (insbesondere zu Kapitelbeginn und -ende) keine Markierungen vornehmen konnten und den Eindruck haben, Informationen zum Textauf‐ bau würden Ihren Leser: innen helfen, ergänzen Sie diese. - Wenn Sie sehr viel und zudem häufig die gleiche Art von Lesendenlenkungen markiert haben, prüfen Sie, ob diese für Ihre Leser: innen tatsächlich alle nötig und zielführend sind. 3. Lesen Sie Ihren Text erneut schnell durch und markieren Sie alle Signalwörter und -phrasen. - Wenn Sie keine Markierungen vornehmen konnten und den Eindruck haben, mehr Signalwörter würden Ihren Leser: innen helfen, ergänzen Sie diese. 4. Lesen Sie Ihren Text ein letztes Mal schnell durch und markieren Sie nun alle Wörter der logischen Verknüpfung. Markieren Sie mit Pfeilen im Text, worauf diese sich beziehen. - Ersetzen Sie Verknüpfungswörter, für die Sie keinen eindeutigen Bezug herstellen konnten (z. B. wenn „daher“ ohne vorhergehende Begründung auftritt oder „dieses“ sich auf mehrere Begriffe beziehen könnte). - Ergänzen Sie logische Verknüpfungen, wenn Sie bei mehr als drei Sätzen in Folge keine Markierungen vornehmen konnten. (Diese Faustregel kann wie alle Faustregeln auch einmal ignoriert werden, wenn der Text inhaltlich für Ihre Leser: innen so schlüssig aufgebaut ist, dass keine weiteren Mittel der Lesendenlenkung nötig sind.) 174 1.3 Schreiben <?page no="175"?> Textbeispiel ohne Verknüpfungswörter: unverbundene, teils widersprüchlich wirkende Informationen: Laut einer universitätsweiten Erhebung nutzen 15 % der befragten Studierenden die Mensa nicht wegen zu hoher Kosten. „Die Semesterbeiträge sind so hoch, da kann ich mir keine zusätzlichen Mensakosten leisten“ lautet eine Angabe. Studienergebnissen zufolge kann schwache Teilhabe am Universitätsleben geringere Leistungen und eine höhere Studienabbruchsrate zur Folge haben. Es ist fragwürdig, ob eine kostenfreie Mensa an einer gewinnorientierten Einrichtung wie der Universität umsetzbar ist. Textüberarbeitung mit logischen Verknüpfungen: Dieser Abschnitt befasst sich damit, inwiefern Mensakosten zu sozialer Unge‐ rechtigkeit beitragen. Laut einer universitätsweiten Erhebung 1 nutzen 15 % der befragten Studierenden die Mensa nicht wegen zu hoher Kosten. „Die Semesterbei‐ träge sind so hoch, da kann ich mir keine zusätzlichen Mensakosten leisten“ lautet eine Angabe. Somit wird ein erheblicher Anteil der Studierenden von der Teilhabe am Universitätsleben abgehalten. Studienergebnissen 2 zufolge kann dies geringere Leistungen und eine höhere Studienabbruchsrate zur Folge haben. Mensakosten sind damit eine Ursache ungleicher Erfolgschancen. Allerdings ist fraglich, ob eine kostenfreie Mensa an einer gewinnorientierten Einrichtung wie der Uni‐ versität umsetzbar ist. Im Folgenden werden deshalb Modelle diskutiert, die verschiedene Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. 4. Bindet Ihr Text Forschungsliteratur zielführend ein? - 4.1 Was ist mit zielführender Einbindung von Forschungsliteratur gemeint? Ein Hauptmerkmal wissenschaftlicher Texte ist ihr Bezug auf andere For‐ schung. Sie setzen sich mit deren Positionen auseinander und führen eine Art schriftlichen Dialog mit anderen Forschenden, Forschungsschulen und -traditionen. Ziel eines wissenschaftlichen Textes ist meist, etwas Neues oder Zusätzliches zur Forschung beizutragen und diese dadurch voran zu bringen. Sie müssen also deutlich machen und begründen, was Ihre eigene Position ist, was andere Forschende bereits dazu herausgefunden haben und wie Ihre Erkenntnisse und die anderer zueinander stehen. Wissenschaftliche Texte sind also keine bloßen Ansammlungen von Zitaten und Zusammenfassungen, die belegen sollen, was Sie gelesen haben. Stattdessen dient Forschung anderer grundsätzlich dazu, Ihre eigenen Aussagen zu stützen und ist diesen nachgeordnet. Damit Ihre Lesenden verstehen, welche Funktion Ihre Bezüge auf Fachliteratur in Ihrer eigenen Argumentation erfüllen, benötigen sie explizite Erläuterungen. 1.3 Schreiben 175 <?page no="176"?> 4.2 Warum ist zielführende Einbindung von Forschungsliteratur wichtig? Wenn Sie klar zwischen eigenen Aussagen und aus der Forschung übernommenen trennen, erleichtern Sie Lesenden das Nachvollziehen Ihrer Argumentation. Tun Sie es dagegen nicht, kann Ihnen im schlimmsten Fall versehentlich ein Plagiat unterlaufen - mit allen rechtlichen Folgen. 4.3 Wie überarbeite ich die Einbindung von Forschungsliteratur? 1. Lesen Sie Ihren Text schnell durch und markieren Sie alle Passagen, in denen Sie sich auf Forschung beziehen. In MINT-Texten erfolgen solche Bezüge üblicher‐ weise indirekt durch Paraphrasen, Zusammenfassungen oder Verweise. Theore‐ tisch möglich, in MINT-Texten jedoch selten, sind zudem direkte Bezüge durch wörtliche Zitate. 2. Prüfen Sie bei indirekten Forschungsbezügen, ob deutlich wird, ab welcher Textstelle Sie nicht mehr Ihre eigene Position darstellen, sondern eine aus der Forschung. Ergänzen Sie ggf. explizite Hinweise, um wessen Position es sich handelt. 3. Falls Sie wörtliche Zitate nutzen, prüfen Sie, ob Sie zwingend den Originalwortlaut wiedergeben müssen. Beziehen Sie sich z. B. später auf eine bestimmte Formulie‐ rung daraus? Würden Lesende Ihren Text auch verstehen, wenn Sie stattdessen paraphrasieren würden? 4. Prüfen Sie bei allen Forschungsbezügen, welchen Zweck sie erfüllen und ob dieser für Lesende ersichtlich ist. Wie hängen die wiedergegebenen Positionen mit Ihrer eigenen zusammen? Nutzen Sie sie als theoretische oder methodische Grundlage; als Beleg oder Beispiel für eine Behauptung; um sich davon abzugrenzen - oder wollen Sie nur damit beeindrucken, dass Sie viel gelesen haben? 5. Streichen Sie Verweise, die nichts zu Ihrer eigenen Argumentation beitragen. In allen anderen Fällen ergänzen Sie ggf. leser: innenlenkende Erklärungen, die den jeweiligen Zweck verdeutlichen. Fügen Sie insbesondere bei wörtlichen Zitaten eine Erklärung oder einen Kommentar hinzu, zu welchem Zweck Sie diese an einer bestimmten Textstelle einfügen und wie Sie sie verstehen. Auch wenn Ihnen die Zitate selbsterklärend scheinen, könnten Ihre Lesenden Sie anders als Sie interpretieren. (Vgl. zu den Empfehlungen Frank/ Haake/ Lahm 2007, 66 f; Märtin 2003, 99-101; Bizup 2008). Textbeispiel, bei dem unklar ist, wessen Position vorgestellt wird: Laut Rink 2018 tragen Angebote des Unisports zu erhöhter Teilhabe Studierender am Universitätsleben bei. Gerade Studienanfänger*innen in Fächern mit hohen Studienzahlen finden durch Sportangebote leichter Anschluss an Kommiliton*innen. 176 1.3 Schreiben <?page no="177"?> Kap.-1.4.1 Textüberarbeitung: Laut Rink 2018 tragen Angebote des Unisports zu erhöhter Teilhabe Studierender am Universitätsleben bei. In Übereinstimmung damit kommt die vorliegende Arbeit zu dem Ergebnis, dass gerade Studienanfänger*innen in Fächern mit hohen Studi‐ enzahlen durch Sportangebote leichter Anschluss an Kommiliton*innen finden. Textbeispiel ohne Aussage zur Position des/ r Autors/ in oder zur Funktion der Verweise in der eigenen Argumentation: Laut Rink 2018 tragen Angebote des Unisports zu erhöhter Teilhabe Studierender am Universitätsleben bei. Kayser 2020 stellt eine ausgrenzende Wirkung speziell bei Studierenden fest, die aufgrund von Laborterminen nur unregelmäßig an Sportkursen teilnehmen konnten. Textüberarbeitung: Laut Rink 2018 tragen Angebote des Unisports zu erhöhter Teilhabe Studierender am Universitätsleben bei. Im Widerspruch dazu stellt Kayser 2020 eine ausgrenzende Wirkung speziell bei Studierenden fest, die aufgrund von Laborterminen nur unregelmäßig an Sportkursen teilnehmen konnten. Im Kontext der vorliegenden Studie sollen beide Positionen gegeneinander abgewägt werden, indem … 5. Entsprechen Sprache und Stil den wissenschaftlichen Konventionen? 5.1 Was ist wissenschaftssprachlichen Konventionen gemeint? Einen wissenschaftlichen Text erkennen Sie sofort, und zwar nicht allein an Inhalt und Aufbau, sondern vor allem an Sprache und Stil. Die Forschung hat für diese typische Sprache den Begriff „alltägliche Wissenschaftssprache“ (Ehlich 1999) geprägt. Sie zeichnet sich aus durch sprachliche Strukturen und Wendungen, die Forschende über Fachgrenzen hinweg in ihrem wissenschaftlichen Alltag häufig verwenden. Das sind etwa einschlägige Internationalismen (z. B. Phänomen, Perspektive, Kontext, Dimen‐ sion); bestimmte Satzeinleitungen (z. B. zudem; hingegen; dies wiederum); Elemente der Alltagssprache, die auf eine bestimmte Weise kombiniert werden (z. B. eine Er‐ kenntnis setzt sich durch; eine Vorreiterrolle einnehmen; einen Befund liefern; auf einer Erkenntnis beruhen; einer Analyse unterziehen) und bis zu 30 % fachspezifischer Wort‐ schatz (vgl. Ehlich 1995). In vielen MINT-Fächern arbeiten Sie während des Studiums vor allem mit Skripten und Lehrbuchtexten, während Sie Fachliteratur erst gegen Studienende lesen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Sie sich am Stil dieser Texte orientieren. Diese richten sich jedoch nicht an ein Fachpublikum und sind entsprechend nicht in wissenschaftlicher Sprache verfasst. Stattdessen dienen sie der Wissensvermittlung an Studierende und bedienen sich deshalb einer einfacheren Sprache, die näher an der Alltagssprache als an der alltäglichen Wissenschaftssprache liegt. Bitte richten Sie sich daher also nicht am aus dem Studium bekannten Stil von Skripten und Lehrbuchtexten aus, sondern lesen 1.3 Schreiben 177 <?page no="178"?> Sie gezielt und bewusst echte Forschungsbeiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriften, um ein Gespür für den wissenschaftlichen Schreibstil zu entwickeln. Wissenschaftlicher Stil gilt als „trocken“ - er ist sachlich, objektiv und möglichst präzise. Dieser Eindruck entsteht durch das Vermeiden emotionaler Wertungen (z. B. erstaunlicherweise, bewundernswert, spannend), von Füllwörtern (z. B. ja, auch, gar, nämlich) oder Heckenausdrücken (= relativierende Wörter, z. B. eigentlich, strenggenommen, schon auch). Außerdem tragen die berüchtigten Nominalisierungen, Passivierungen und das Vermeiden von „ich“ zur sachlich-objektiven Wirkung bei, da sie die Handlungen in den Vordergrund rücken, die Personen der Handelnden dagegen verschweigen. Ziel dieser Sprache und dieses Stils ist nicht, Lesende abzuschrecken, wie man bei manchen wissenschaftlichen Texten glauben könnte. Im Gegenteil geht es darum, sich auf den Inhalt zu konzentrieren und Lesenden die eigenen Aussagen möglichst präzise, verständlich und überzeugend zu vermitteln. Einen guten wissenschaftlichen Stil erreichen Sie also nicht durch möglichst lange und komplex verschachtelte Sätze oder unnötig hochtrabend klingende Formulierungen, Nominalisierungen und Fremd- und Fachwörter. Guter wissenschaftlicher Stil ist klar und leicht lesbar. Dafür sollte Ihr Text auch die grundlegenden Normen der Grammatik, Recht‐ schreibung und Zeichensetzung erfüllen, denn sonst stolpern Ihre Lesenden und verstehen im schlimmsten Fall Aussagen falsch. 5.2 Warum sind wissenschaftssprachliche Konventionen wichtig? Wissenschaftliche Sprache und Stil ebenso wie Fachtermini erlauben Schreibenden, Inhalte möglichst exakt und knapp zu formulieren. Lesende erhalten dadurch von allem Überflüssigen frei gelegte Informationen. 5.3 Wie überarbeite ich wissenschaftssprachliche Konventionen? 1. Stil: Lesen Sie sich Ihren umformatierten und ausgedruckten Text laut vor. Nehmen Sie dabei Markierungen vor, wann immer Sie beim Lesen ins Stocken geraten, weil Sie dem Inhalt nicht folgen können. Notieren Sie auch, wenn Sie mitten im Satz Luft holen müssen - dann ist dieser zu lang. Noch besser funktioniert es, wenn Sie sich beim Vorlesen aufnehmen und sich die Aufnahme anschließend anhören, zunächst ohne auf den Text zu schauen. Wenn Sie beim Hören Unstimmigkeiten bemerken, nehmen Sie Ihren Text zur Hand und markieren diese Passagen. Überarbeiten Sie die markierten Stellen anschließend. 2. Sprache: - Wenden Sie die Rechtschreibprüfung Ihres Textverarbeitungspro‐ gramms auf Ihren Text an. Prüfen Sie, ob die vorgeschlagenen Korrekturen stimmen und setzen Sie sie ggf. um. 178 1.3 Schreiben <?page no="179"?> - Lesen Sie Ihren umformatierten und ausgedruckten Text ausschließlich auf Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung (d. h. so weit möglich ohne auf Inhaltliches zu achten) und nehmen Sie Markierungen vor. Probie‐ ren Sie dabei einmal, den Text satzweise von hinten nach vorne zu lesen, um Inhaltliches möglichst auszublenden. 6. Entsprechen Formalia und Form den wissenschaftlichen Konventionen? 6.1 Was ist Formalia gemeint? Es sind all die Dinge, auf die die meisten Studierenden kurz vor der Abgabe noch achten, wenn ihre Zeit es zulässt, und die dazu führen, dass ihr Text einen positiven ersten Eindruck macht: Das Einhalten fachspezifischer Vorgaben zum Zitieren und Bibliographieren, die korrekte und vollständige Gestaltung von Titelblatt, Anhang und Ähnlichem, die Textformatierung entsprechend den Vorgaben. Das Beachten dieser Aspekte ist zwar keine besondere intellektuelle Leistung, bedarf aber großer Sorgfalt und Genauigkeit. 6.2 Warum sind Formalia wichtig? Ohne eine korrekte Bibliographie können Ihre Lesenden von Ihnen verwendete Literatur unter Umständen nicht finden, wenn etwa Angaben fehlen oder fälschlich ein Artikel aus einem Sammelband aussieht wie ein Zeitschriftenbeitrag. Alles Weitere dient dazu, den Text für Ihre Lesenden so leicht lesbar wie möglich zu gestalten, damit sie nicht durch ungewohnte Formatierungen stolpern (z. B. rechtsbündiger Flattersatz), durch zu kleine Schrift in einer schwer lesbaren Schriftart oder durch fehlende Abstände zwischen den Zeilen. Wenn Lesende damit kämpfen müssen, werden Sie vom Inhalt Ihres Textes abgelenkt und werden ihn mit negativer Voreingenommenheit bewerten. 6.3 Wie überarbeite ich Formalia? Mit Akribie, einem guten Textverarbeitungsprogramm und folgender Checkliste: Checkliste: Alles da? □ Seitenzahlen □ Unterschriften von Abbildungen □ Tabellenüberschriften □ Deckblatt □ Inhaltsverzeichnis □ Literaturverzeichnis 1.3 Schreiben 179 <?page no="180"?> □ Eigenständigkeitserklärung □ weitere fachspezifische Dokumente □ ergänzende Unterlagen im Anhang/ auf Datenträger/ als Download (große Datensätze; Testläufe; ausführliche Berechnungen; vollständige Algorithmen) Alles schön und korrekt? (Manche dieser Anforderungen können je nach Fach variieren - informieren Sie sich in Ihrem Fach.) □ Abbildungen klar verständlich, komplett beschriftet und fortlaufend kapitel‐ weise nummeriert □ Schriftart einheitlich □ Zeilenabstand einheitlich □ keine doppelten Leerzeichen □ Worttrennungen korrekt □ Formeln korrekt übernommen □ alle Variablen definiert und kursiv gesetzt □ alle verwendete Literatur im Verzeichnis angegeben □ Quellenangaben im Text den Vorgaben entsprechend □ Literaturangaben im Verzeichnis den Vorgaben entsprechend und komplett (z.-B. Seitenangaben bei Artikeln, Abrufdatum bei Internetquellen) Literatur: E H L I C H , Konrad (1995): „Die Lehre der deutschen Wissenschaftssprache. Sprachliche Strukturen, didaktische Desiderate“. In: K R E T Z E N B A C H E R , Heinz L. / W E I N R I C H , Harald (Hrsg.): Linguistik der Wissenschaftssprache. Berlin, New York, S.-325-351. E H L I C H , Konrad (1999): Alltägliche Wissenschaftssprache. InfoDaF 26/ 1, S.-3-24. F R A N K , Andrea / H AA K E , Stefanie / L A H M , Swantje (2007): Schlüsselkompetenzen: Schreiben in Studium und Beruf. Stuttgart. H O F F M A N N , Nora / T I L M A N S , Anna (2021): Das Textkompetenzentwicklungsraster (TeKoER) zur Messung der Qualität akademischer Texte. In: H E I N E , Carmen / K N O R R , Dagmar (Hrsg.): Schreibwissenschaft methodisch. Berlin u.a., S.-185-212. L U N D S T R O M , Kristi / B A K E R , Wendy (2009): To give is better than to receive: The benefits of peer review to the reviewer's own writing. Journal of Second Language Writing 18/ 1, S.-30-43. S O M M E R S , Nanvy (1981): Revision Strategies of Student Writers and Experienced Adult Writers. College Composition and Communication 31/ 4, S.-378-388. T H E W R I T I N G C E N T E R O F T H E U N I V E R S I T Y O F W I S C O N S I N -M A D I S O N (o.-J.): The Writer’s Handbook. https: / / writing.wisc.edu/ handbook/ process/ reverseoutlines/ (Zugriff am 08.11.2021). H A Y E S , John Richard et al. (1987): Cognitive processes in revision. In: R O S E N B E R G , S. (Hrsg.): Reading, Writing, and language processes. Cambridge, S.-176-240. W A L L A C E , David et al. (1996): Better Revision in Eight Minutes? Prompting First-Year College Writers to Revise Globally. Journal of Educational Psychology 88/ 4, S.-682-688. 180 1.3 Schreiben <?page no="181"?> M A C A R T H U R , Charles A. (2011): Evaluation and Revision. In: Wise Berninger, Virginia (Hg.): Past, Present, and Future Contributions of Cognitive Writing Research to Cognitive Psychology. Hoboken, S.-461-483. M Ä R T I N , Doris (2003): Erfolgreich texten! München, S.-99-101. N O V A K , Joseph D. / C AÑA S , Alberto J. (2008): The Theory Underlying Concept Maps and How to Construct and Use Them. Technical Report IHMC CmapTools 2006-01 Rev 01-2008, Florida Institute for Human and Machine Cognition. https: / / cmap.ihmc.us/ Publications/ ResearchPa pers/ TheoryUnderlyingConceptMaps.pdf (Zugriff am 08.11.2021). 1.3 Schreiben 181 <?page no="182"?> 48 In der experimentellen Teilchenphysik ist es im Rahmen der guten wissenschaftlichen Praxis üblich, alle Autor: innen namentlich aufzuführen. Der Vorteil besteht darin, dass die Publikationen nicht immer nur der höchstrangigen Person (Reihenfolge: Professor: in, Post Doc, …) oder der Person zugeordnet werden, die im Alphabet zuerst kommt, wie es bei dem hier verwendeten Harvard-Stil bzw. allgemein den Autor-Jahr-Zitationsweisen der Fall ist. Die komplette Auflistung der 2.932 Autor: innen würde hier aber etwa vier Seiten in Anspruch nehmen, sodass wir zu Gunsten der Lesbarkeit darauf verzichten. 1.3.6 Kollaboratives Schreiben Katrin Girgensohn Wer ans Schreiben denkt, denkt vermutlich nicht als erstes an Gemeinschaft, an Gruppen oder an ein Miteinander. Schreiben - das scheint etwas Individuelles zu sein. Etwas, das im stillen Kämmerlein stattfindet. Oder, beim akademischen Schreiben, im sprichwörtlich gewordenen Elfenbeinturm. Der Elfenbeinturm steht als Metapher für das Denken und Schreiben in Abgeschiedenheit, so weit weg von der Welt, dass die gesellschaftlichen Folgen dessen, was da im Turm erarbeitet wird, ganz aus dem Blick geraten. Machen Sie einmal eine Google-Bildersuche nach dem Stichwort „Schreiben“ - die Anzahl der Bilder, die mehr als eine schreibende Person auf dem Bild zeigen, ist marginal. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus - gerade in den MINT-Fächern. Denn hier sind Texte, die von vielen Menschen gemeinsam publiziert werden, eher die Regel als die Ausnahme. Ein beeindruckendes Beispiel für Texte mit mehreren Autor: innen sind Publikationen der ATLAS-Kollaboration (vgl. z. B. Aad et al., 2012 48 ). Diese Forschungs‐ gruppe am Kernforschungszentrum CERN hat Texte publiziert, die von bis zu über 5.000 Autor: innen gemeinsam geschrieben wurden und es damit sogar ins Guiness Buch der Rekorde geschafft haben. Die Komplexität des Forschungsgegenstandes, nämlich die theoretisch angenommene Existenz des Masseteilchens namens Higgs-Boson empirisch nachzuweisen, hat es nötig gemacht, dass so viele Wissenschaftler: innen ihre Expertise zusammenbringen. Mit Erfolg! 2013 erhielten François Englert und Peter Higgs den Nobelpreis für Physik, da der Nachweis der Existenz des Higgs-Bosons gelungen war. Das kollaborativ erarbeitete Wissen musste aber auch kollaborativ aufgeschrieben werden. Der Forschungsprozess und das Schreiben sind nämlich beim kollaborativen Arbeiten ebenso untrennbar miteinander verbunden wie bei jeder Forschungsarbeit. Wie das in dieser großen Gruppe funktioniert, haben Gerd Graßhoff, Adrian Wüthrich, Basil Marti und Maya Schäfer (2012) untersucht. Sie betonen unter anderem, dass sowohl „Regeln zum Verfassen und Diskutieren von Gemeinschaftspublikationen“ als auch generell zur Publikation von Ergebnissen bestehen (ebd., S. 23-24). Unter diese Regel fallen bei der ATLAS-Kollaboration sowohl Grundwerte (wie z. B. die demokratische Verfassung der Forschungsgruppe oder Vertrauen in die Mitglieder) als auch die Nutzung ausgeklügelter (vor allem digitaler) Kommunikationssysteme und festgelegte Prozessschritte bei Publikationen. Daran zeigt sich, dass „Schreiben“ bei 182 1.3 Schreiben <?page no="183"?> 49 Im Folgenden werden vermehrt Bezeichnungen verwendet, die der ATLAS-Kollaboration entsprin‐ gen und dort englische Namen tragen. Wir werden die Originalbegriffe jeweils in Fußnoten ergänzen, im Text jedoch auf deutsche Entsprechungen zurückgreifen. Bezeichnung bei ATLAS: Working-Group. kollaborativer Autorschaft erweitert gedacht werden muss. Schreiben ist hier nicht mehr nur der Akt des Verschriftlichens von Gedanken bzw. Autor: innen sind nicht mehr nur diejenigen, die den Schreibakt ausführen. Um dieses erweiterte Verständnis von Schreiben soll es im vorliegenden Kapitel gehen. Und zwar ganz pragmatisch: Was ist für Sie wichtig, wenn Sie kollaborativ Texte verfassen? Dafür werde ich zunächst zusammenfassen, wie die Schreibprozesse der ATLAS-Kollaboration verlaufen sind, um einen Einblick in einen realen kollaborativen Schreibprozess zu geben und daran erstens zu zeigen, dass dabei stark strukturierte Abläufe mit klaren Regeln nötig sind. Zweitens wird daran deutlich, dass verschiedene Rollen in Schreibprozessen als Autor: innenschaft gelten, nicht nur die Rolle derer, die den Text verschriftlichen. Diese Strukturen, Regeln und Rollen werde ich anschließend im Hinblick auf Ihre potenziellen kollaborativen Texte genauer ausführen. Die Entstehung einer Publikation in der ATLAS-Kollaboration Die hier folgende Zusammenfassung basiert auf Maya Schefers Untersuchung zur kol‐ laborativen Wissensgenerierung im Großforschungsprojekt ATLAS am CERN (2012). Schefer geht davon aus, dass am Schreibprozess dieser großen Gruppe gezeigt werden kann, wie Wissen entsteht - Schreiben und die Generierung von Wissen sind also eng miteinander verbunden, auch beim kollaborativen Schreiben. Silvie Molitor-Lübbert nennt dieses Wissen generierende Schreiben die „epistemisch-heuristische Funktion des Schreibens“ und kennzeichnet diese Funktion als „Arbeitsweise erfahrener Schrei‐ bender, im schriftlichen Festhalten ihrer Gedanken ihr Wissen schrittweise zu entwi‐ ckeln.“ (Molitor-Lübbert, 2002, S. 33) Grundsätzlich kann also schon einmal festgehalten werden, dass auch von einer Gruppe von Schreibenden das Schreiben zum Entwickeln von Wissen genutzt werden kann. Doch damit das bei einer Gruppe von Autor: innen funktioniert, sind Spielregeln nötig. Diese sind, wie Schefers Untersuchung zeigt, ausgefeilt und komplex. Grundsätzlich teilt sich der Schreibprozess in zwei Phasen, nämlich eine Phase innerhalb einer Arbeitsgruppe 49 , die mit der Durchführung der Untersuchung eng verwoben ist, und eine Phase, die ATLAS-weit verläuft. Wie die folgende Aufstellung der einzelnen Schritte zeigt, werden auf dem Weg zum veröffentlichten Paper viele interne Paper geschrieben und vor allem immer wieder besprochen und kommentiert. 1.3 Schreiben 183 <?page no="184"?> 50 Das Analysis-Reviewer-Team erfüllt eine interne Qualitätssicherungsaufgabe. Es besteht aus nominierten Spezialistinnen und Spezialisten der Kollaboration, die sich die Auswertungen (=Analysen) der einzelnen Gruppen der Kollaboration anschauen (überprüfen = review). Es darf keine Analyse, keine Abbildung, keine Tabelle zu Ergebnissen des ATLAS-Experiments veröffentlicht werden, ohne dass sich vorher dieses Team die aufbereiteten Daten angeschaut und diese freigegeben hat. Die Nominierung wechselt, wichtig ist, dass keine Person für ein Review nominiert wird, die vorher an der Analyse beteiligt war (4-Augen-Prinzip). 51 bei ATLAS: INT-Notes Phase 1: Arbeitsgruppeninterner Prozess: 1. Publikationsschritt: Bildung des Analysis-Reviewer-Teams 50 Dieses Team wird aus zwei bis drei Personen zusammengesetzt. Die Auswahl soll dabei erfahrene, ältere und jüngere Personen beinhalten und die Mehrheit soll nicht direkt in die Forschungen der Arbeitsgruppe involviert sein. Diese Reviewer: innen sollen die Untersuchung von außen begleiten, indem sie kritisches Feedback geben. Außerdem, so Schefer, „spielen sie auch beim Schreiben des Entwurfpapiers eine Rolle, indem sie sicherstellen, dass es kohärent und auch für Außenstehende verständlich ist“. (ebd., S.-125) 2. Publikationsschritt: Untersuchung und Erstellen einer Dokumentation der Ergebnisse unter Begleitung des Analysis-Reviewer-Teams Während der Untersuchung muss die Arbeitsgruppe ihre Zwischenschritte und -er‐ gebnisse regelmäßig dem Analysis-Reviewer-Team vorstellen und diese mit ihm dis‐ kutieren. Die Gruppe formuliert dafür bestimmte Aufzeichnungen 51 , bei denen es sich um „detaillierte oder ergänzende Informationen zu Untersuchungen“ (Graßhoff / Wü‐ therich, 2012, S. 77) handelt. Im geschilderten Fall dauerte die Untersuchung zwei Monate und es gab tägliche Treffen mit dem Analysis-Reviewer-Team. Diese Treffen werden dokumentiert (mit Folien zu den Präsentationen, Links zu den aufgezeichneten Treffen usw.). Es gibt auch detaillierte Anweisungen zum Speichern der Aufzeichnungen. So werden alle Notizen auf einen gemeinsamen Arbeitsplatz geladen (Sharepoint). Auf‐ zeichnungen zu Wissen bzw. Zwischenergebnissen, die sich vermutlich nicht mehr ändern, werden auf das ATLAS-interne Wiki geladen und sind damit auch anderen Arbeitsgruppen zugänglich (einige Teile dieses Wikis sind sogar öffentlich zugänglich). Dieses kontinuierliche Hochladen von Informationen auf den Sharepoint in verschie‐ denen Kategorien ist wichtig, um die Informationen leicht auffindbar zu machen. Damit soll verhindert werden, Überlegungen oder Arbeitsschritte zu wiederholen, die andere schon durchdacht und gemacht haben. Es gibt zudem diverse weitere Treffen mit anderen Arbeitsgruppen, die gewährleisten sollen, dass die Qualität gesichert ist und die verschiedenen Regularien eingehalten werden. Ein weiteres Forum (wahlweise als Mailingliste) dient zur Ankündigung der Treffen und weiterer wichtiger Nachrichten. 184 1.3 Schreiben <?page no="185"?> 52 bei ATLAS: Editorial Board 53 bei ATLAS: Working-Group-Convenor 54 bei ATLAS: Physics Coordinator 55 bei ATLAS: Spokesperson Zwischenschritt: Festlegen, welche Aufzeichnungen geschrieben werden müs‐ sen und Schreiben dieser Aufzeichnungen Es wird eine Tabelle erstellt, welche Aufzeichnungen mit detaillierten oder ergänzen‐ den Informationen geschrieben werden müssen. Dabei werden sowohl die Autor: innen vorgeschlagen als auch (andere) Kontaktpersonen genannt, die dafür verantwortlich sind, dass die Inhalte mit den anderen Autor: innen abgestimmt werden. Zwischenschritt: Schreiben der Aufzeichnungen Die Aufzeichnungen werden verfasst (viele um die zehn Seiten lang). Zwischenschritt: Vorstellung und Diskussion der Aufzeichnungen In zwei ganztägigen Treffen wird jede Aufzeichnung präsentiert und von allen an der Gruppe beteiligten Forschenden besprochen. Parallel dazu werden die Aufzeichnungen aber auch schon überarbeitet, da auch weiterhin häufig Treffen mit dem Analysis-Re‐ viewer-Team stattfinden. Zwischenschritt: Erstentwurf des Papers Der Erstentwurf des Papers wird von Editor: innen (Editors) geschrieben. „Die Editors sind diejenigen ATLAS-Mitglieder, welche den Text des Artikels formulieren. Sie erscheinen aber nicht als Autoren des Artikels - als Autor: innenschaft wird die AT‐ LAS-Kollaboration aufgeführt - und werden im fertigen Artikel auch nicht anderweitig speziell hervorgehoben“. (Schefer 2012, S.-132-133) Maya Schefer betont, wie viele Prozesse während ihrer Untersuchung gleichzeitig abliefen. So wurde einerseits „auf Hochtouren geforscht" (ebd. S. 133) und zugleich die Qualität der Forschung durch die täglichen Treffen und die Dokumentation gesichert, es wurde parallel aber auch an der Publikation geschrieben und überarbeitet. 3. Publikationsschritt: Bildung des Redaktionsausschusses 52 Der Redaktionsausschuss wird gebildet, sobald sich eine Publikation der Veröffentli‐ chung nähert. Die Zusammensetzung wird bestimmt durch die oder den Arbeitsgrup‐ peninitiator: in 53 , die oder den Physik-Koordinator: in 54 und die oder den Sprecher: in 55 . Der Redaktionsausschuss ist für jeden Artikel ein anderer und bleibt zusammen bis der Artikel von einer Zeitschrift akzeptiert oder abgelehnt wird. Der Ausschuss begleitet die Abschlussphase der Untersuchung und stellt sicher, dass alle Regeln der Qualitätssicherung befolgt werden und die stilistische Qualität des entstehenden Textes in Ordnung ist. Er wählt außerdem in Absprache mit anderen Komitees die Zeitschrift aus, in der publiziert werden soll. Einige Personen des Ausschusses nehmen fortan an allen Treffen der Arbeitsgruppe teil und geben Feedback zum Artikelentwurf. 1.3 Schreiben 185 <?page no="186"?> 56 bei ATLAS: COM-Notes 57 bei ATLAS: Auxiliary Plots 4. Publikationsschritt: Herausgabe der ersten Dokumentation Es wird eine umfassende erste Dokumentation der Ergebnisse erstellt. Die verschiede‐ nen Aufzeichnungen wurden intern veröffentlicht, wobei sie als vorläufige Ergebnisse 56 gekennzeichnet wurden/ werden. Zwischenschritt: Präsentation der Untersuchung in einem Treffen der Arbeits‐ gruppe und Genehmigung durch diese Ziel dieses Treffens ist es, die Untersuchung insgesamt genehmigen zu lassen (oder Auflagen zur Genehmigung zu erteilen). Dazu wurde bei dem von Schefer untersuchten Prozess im Treffen zunächst noch einmal der gesamte Ablauf des Forschungs- und Publikationsprozesses erläutert. Es wurde dann eine der Aufzeichnungen präsentiert, gefolgt von einer Übersicht über die gesamte Untersuchung. Anschließend wurde diskutiert, ob die Untersuchung genehmigt werden könne, obwohl noch einige Fragen offen waren. Die Genehmigung wurde mit Auflagen erteilt und damit ging das Paper in die ATLAS-weite Phase über. Phase 2: ATLAS-weiter Qualitätssicherungsprozess Diese Phase wird durchgehend vom Editorial-Board begleitet. 5. Publikationsschritt: Bereitstellung des 1.0 Entwurfs des Artikels auf dem Cern Document Server (CDS) Der vom Redaktionsausschuss auf Grundlage der diskutierten Aufzeichnungen er‐ stellte erste Entwurf wird eine Woche vor dem ATLAS-weiten Treffen allen Forschen‐ den zur Verfügung gestellt. Dabei wird wie in einem Steckbrief zusammengefasst, welcher Phase der Entwurf zuzuordnen ist, wer Ansprechpartner: in ist und bis wann der Artikelentwurf auf welche Weise kommentiert werden soll. Zwischenschritt: Ankündigung des Artikels via Mailingliste Der Artikel wird via Mailingliste allen angekündigt, ebenso das Treffen, das es dazu geben wird. In der E-Mail finden sich auch Links zu allen Aufzeichnungen und Entwürfen, so dass alle Kollaborateur: innen Zugriff auf alle Materialien haben. Zwischenschritt: Für die Publikation nicht relevante Punkte 57 Es wird festgehalten, welche Punkte aus den Aufzeichnungen für die Publikation nicht relevant sind und damit nicht in den Artikel einfließen. Diese Punkte können z. B. für Konferenzpräsentationen genutzt werden. Die Aufzeichnungen selbst dürfen jedoch nicht außerhalb von ATLAS publiziert werden, deshalb werden diese Punkte in einem Extradokument gesammelt und müssen ebenfalls von der gesamten ATLAS-Kollabo‐ ration genehmigt werden. 186 1.3 Schreiben <?page no="187"?> 6. Publikationsschritt: Erste einwöchige Kommentierungsphase In der ersten einwöchigen Kommentierungsphase (von normalerweise dreien) wird der Entwurf kommentiert, wobei die Kommentare namentlich gekennzeichnet sind. Die Kommentare werden generell wohlwollend und höflich formuliert. Schefer zitiert beispielhaft einen solchen Kommentar: Dear Analysers, the Mainz group has discussed the paper draft on the MinBias study of the 900GeV collisons in ATLAS. We congratulate to the solid results and to the immense amount of work that went into this draft. Nevertheless, we have a number of comments and a few questions. (ebd., S.-143) Zum Teil sind die Kommentare auch schon Bündelungen von Diskussionen, die andere Arbeitsgruppen zu dem Entwurf geführt haben, wie im zitierten Beispiel. Besonderes Augenmerk wird auf Unklarheiten gelegt, auf Lücken in Argumentationen und Be‐ gründungen und vor allem auf Fehler. Es wird insbesondere geprüft, ob „entweder weitere Ausführungen oder Einschränkungen in der Aussage des Artikels verlangt werden“ (ebd., S.-148). Der Redaktionsausschuss muss auf jeden einzelnen Kommentar antworten. Auch dazu zitiert Schefer ein Beispiel: „-line 169: here is stated that the ‘auxiliary trigger’ is 100 % efficient with respect to offline. How was this 100 % obtained? ” “We have removed this statement. The trigger is extremely efficient w.r.t. the offline section but not 100 % [sic! ]. […]” (ebd., S. 144). Wenn der Redaktionsausschuss Kommentare nicht berücksichtigt, muss er dies begründen. 7. Publikationsschritt: Präsentation des Entwurfs 1.0 und der Untersuchung Der erste Entwurf wird vor allen Autor: innen präsentiert. Im Fall von Schefers Untersuchung wurde die Präsentation am CERN abgehalten, doch wer nicht vor Ort war, konnte per Telefon oder Webcast teilnehmen und sich an der Diskussion über die Frage- und Antwort-Mailingliste beteiligen. Auch die für den Artikel nicht verwendeten, für weitere Publikationen freigegebenen Punkte wurden diskutiert. Abschließend ging der Redaktionsausschuss auf die Kommentare der vorangegan‐ genen Woche ein, lobte deren Wert und Konstruktivität. 8. Publikationsschritt: Bereitstellung des Entwurfs 2.0 des Artikels auf CDS Der von den Redakteur: innen/ Editor: innen auf der Basis der Kommentare modifizierte Entwurf wird vom Redaktionsausschuss genehmigt und auf dem CDS zur Verfügung gestellt, wobei das Prozedere und die Erläuterungen ähnlich sind wie bei der Bereit‐ stellung des Entwurfs 1.0. Wichtig ist, dass die Version 1.0 weiterhin zugänglich bleibt, so dass alle bei Bedarf auch die alte Version anschauen können. 1.3 Schreiben 187 <?page no="188"?> 58 bei ATLAS: Open Discussion Meeting 59 bei ATLAS: Open Reading Zwischenschritt: Ankündigung des Entwurfs und dessen Diskussion via Mai‐ lingliste Wieder wird die Kommentierungsphase allen angekündigt, ebenso der Termin des Treffens nach Abschluss der Kommentierungsphase. Zwischenschritt: 2. Kommentierungsphase Es folgt erneut eine Kommentierungsphase. Die Länge der Phase variiert je nach Arti‐ kellänge und beträgt häufig etwa zwei Wochen. In Schefers Untersuchung dauerte sie nur sechs Tage, wobei die Kommentare jeweils insbesondere im Hinblick auf das eigene Spezialwissen der Kommentator: innen erfolgen konnten, d. h., diese kommentierten z.-T. gezielt nur jene Stellen, zu denen sie viel beitragen können. 9. Publikationsschritt: Präsentation des Entwurfs 2.0 in einer offenen Diskussionsrunde Die offene Diskussionsrunde 58 läuft ähnlich ab wie die erste Präsentation, ebenfalls mit Zuschaltung per Webcast, Telefon und Mailingliste. Es werden die Kommentare zum Entwurf 2.0 und die daraufhin geplanten Modifikationen vorgestellt. 10. Publikationsschritt: Bereitstellung des Entwurfs 3.0 auf CDS Sofern keine signifikanten Einwände gemacht wurden, entsteht aus Entwurf 2.0 nun der Entwurf 3.0, der wieder auf dem Dokumentenserver publiziert wird. Zwischenschritt: Ankündigung des Entwurfs 3.0 und dessen Diskussion via Mailingliste Dieser Zwischenschritt läuft ab wie bei Entwurf 1.0 und 2.0. Zwischenschritt: 3. Kommentierungsphase Diese Phase läuft ab wie die ersten beiden Kommentierungsphasen. Hauptsächlich kommen in diesem Stadium nun Kommentare zu den Formulierungen, aber es sind auch noch inhaltliche Zweifel möglich. Die Vorgabe für diese Kommentierungsrunde ist, dass alle den Artikel so genau prüfen, dass sie mit ihrem Namen und damit ihrer wissenschaftlichen Reputation voll dahinter stehen können. 11. Publikationsschritt: Ankündigung und Durchführung der offenen Lesung 59 Bei einem letzten Treffen wird das Paper abschließend geprüft. In der Fallstudie wird dazu wieder per E-Mail eingeladen und auch nochmal die letzten erfolgten Schritte zusammengefasst. Das Treffen dauert einen ganzen Nachmittag. Letzte formale und inhaltliche Fragen werden geklärt. 188 1.3 Schreiben <?page no="189"?> 12. Publikationsschritt: Finaler Entwurf Für den letzten Entwurf werden die Modifikationen aus der offenen Lesung eingear‐ beitet und die finale Version wird dann durch den Redaktionsausschuss genehmigt. Letzter Publikationsschritt: Einreichung bei Zeitschrift und im internen Open Access System Im letzten Schritt wird der Artikel eingereicht und auch im internen Open Access System hinterlegt. Die ATLAS-Kollaboration wird per E-Mail darüber informiert und allen wird gedankt, die Wichtigkeit des Papers für das Gesamtprojekt wird hervorgehoben. Es folgt noch der Peer-Review-Prozess mit der Zeitschrift, der im untersuchten Fall allerdings sehr kurz war. Nach nur sieben Tagen wurde die Publikation genehmigt, die Peer Reviewer zeigten sich sehr beeindruckt. Schefer sieht darin einen Beweis für die Effizienz des Gesamtprozesses. Sie betont, dass dieser Gesamtprozess zwar sehr stark strukturiert wurde, aber trotzdem flexibel genug für Abweichungen ist. Ein Beispiel für eine solche Abweichung ist die Einführung der sogenannten Auxiliarity Plots (s. o.) für Ergebnisse, die nicht in den Artikel eingeflossen sind. Kollaborative Schreib- und Publikationsprozesse Nicht jeder kollaborative Schreibprozess wird so ablaufen wie in diesem Fall. Und natürlich sind auch selten derart viele Autor: innen beteiligt. Schindler und Wolfe (2014, S. 161-162) führen vier unterschiedliche Herangehensweisen an gemeinsam geschriebene Texte an, die im Arbeitsprozess auch wechselweise gewählt werden können: Gemeinsam schreiben: simultanes oder asynchrones Schreiben am gleichen Doku‐ ment (persönlich oder online); Parallel schreiben: paralleles Schreiben an unterschiedlichen Dokumentteilen; Zentralisiert schreiben: eine Person/ ein Gremium ist hauptverantwortlich, die anderen offerieren Kritik, die eingearbeitet wird von der Person/ dem Gremium; Sequentiell schreiben: das Dokument wird weitergereicht und nach und nach weiter erstellt. Doch auch Schindler und Wolfe (2014) fassen, basierend auf Forschungsergebnissen zu kollaborativen Schreibprozessen, zusammen, dass genau die Punkte wichtig sind, die sich auch am Beispiel der ATLAS-Kollaboration zeigen: Eine klare Aufteilung von Arbeitspaketen und Verantwortlichkeiten, das Erstellen von zusätzlichen Texten wie Planungsdokumenten und Zwischentexten sowie Qualitätskontrolle und Peer-Re‐ view-Verfahren. Sie stellen außerdem fest, dass gute mündliche Kommunikation die schriftliche ergänzen muss, wobei es wichtig ist, explizit zu überlegen, wie mit Konflikten umgegangen wird. Denn Konflikte, so Schindler und Wolfe, können sehr produktive Bestandteile von kollaborativen Schreibprozessen sein (ebd., S.-165). 1.3 Schreiben 189 <?page no="190"?> Alle sind Autor: innen, auch wenn nicht alle schreiben: Aufteilung von Arbeit und Verantwortlichkeiten Wenn Sie kollaborativ Texte schreiben, sollten Sie sich von Anfang an bewusstmachen, dass weit mehr Arbeit anfällt als das Formulieren. Autor: innenschaft umfasst auch das Organisieren des Gesamtprozesses, das Kommentieren von Textteilen, das Moderieren von Arbeitstreffen etc. Wenn Sie nicht an Vorgaben von außen oder unausgesprochene Machtstrukturen an der Hochschule gebunden sind, lohnt es sich sehr, im ersten Schritt zu klären, wer im Team welche besonderen Talente hat und einbringen möchte: Wem fällt Formulieren leicht? Wer kann gut organisieren? Wer moderiert gut? Es lohnt sich außerdem, zu klären, welche unterschiedlichen Interessen mit dem Text verbunden sind. Wenn einigen im Team der Text sehr wichtig ist und andere ihn eher als Pflichtübung betrachten, können Sie sich viel Frust ersparen, indem Sie das aussprechen und bei der Aufgabenverteilung berücksichtigen. Helfen können dabei die folgenden Leitfragen, die alle aus dem Team zunächst für sich beantworten und dann gemeinsam besprechen können: Selbsteinschätzung für das aktuelle kollaborative Schreibprojekt 1. Was ist mir an diesem Artikel inhaltlich besonders wichtig? 2. Welche Ziele verfolge ich mit diesem Artikel? 3. Wo sehe ich meine Stärken in Bezug auf den Gesamtprozess der Erstellung des Artikels? 4. Was kann ich nicht so gut und würde es lieber abgeben? (z. B. Planen oder Feinschliff oder …) 5. Was könnte ich nicht mit tragen? (z. B. beim Stil oder auch bei der Aufgabenver‐ teilung) 6. Was habe ich für Befürchtungen? 7. Welche Zeitfenster kann ich (realistisch! ) einplanen? (angelehnt an Wolfe, 2010, S.-30). Auf der Basis dieses Austausches sollten sie eine: n Projektmanager: in bestimmen. Diese Person hat folgende Verantwortlichkeiten (vgl. Wolfe 2010, S.-13-26): Aufgaben der/ des Projektmanager: in für Schreibprojekte in Teams ● Dafür sorgen, dass der Projektplan eingehalten wird, indem Deadlines und Ver‐ antwortungen angesagt und erinnert werden (der Projektplan hält fest, wer für was und bis wann verantwortlich ist). ● Verlässlichkeit schaffen, indem Aufgaben und Aktionen in Protokollen der Pro‐ jekttreffen festgehalten werden (Protokollieren kann delegiert werden! ) und indem die entsprechenden Dokumente für alle zugänglich gemacht werden. ● Unklarheiten und Uneinigkeiten beseitigen durch Verweise auf die in den Proto‐ kollen festgehaltenen Entschlüsse. 190 1.3 Schreiben <?page no="191"?> ● Projekttreffen vorbereiten durch Tagesordnungen. ● E-Mails zur Erinnerung an Deadlines verschicken. ● Bei Änderungen den Projektplan aktualisieren und die Aktualisierung allen zu‐ gänglich machen. ● Arbeitsorganisations-Texte verfassen, z. B. Projektplan, Rollenverteilungen im Team, Fortschrittsberichte (oder das Schreiben dieser Texte delegieren). Zum Ausgleich für diese umfangreichen Aufgaben könnten Sie zum Beispiel überlegen, ob der/ die Projektmanager: in nicht am Formulieren der Rohfassungen beteiligt ist oder in andere Teilschritte weniger involviert wird. Es gibt durchaus noch mehr Rollen und Verantwortlichkeiten, die im Team festgelegt werden können, vom Protokollieren der Arbeitstreffen über Recherche von weiteren Quellen oder Quellenüberprüfung oder die Erstellung von Grafiken bis hin zu Modera‐ tion oder Konfliktbearbeitung. Sie können auch darüber nachdenken, „Stilbeauftragte“ festzulegen, da Formulierungsfragen am Ende oft einfach Geschmackssache sind. Denn Konflikte über stilistische Fragen sind unproduktiv und schwer lösbar, während in‐ haltliche Auseinandersetzungen zum Text zu einer deutlich höheren Qualität beitragen können (vgl. Schindler und Wolfe 2014, S.-165). Davon abgesehen sollte aber klar sein, dass alle im Team dafür verantwortlich sind, sich an den gemeinsam festgelegten Arbeitsplan zu halten und dass alle, wie bei der ATLAS-Kollaboration, mit ihrem Namen für die Qualität des Textes bürgen - aus den Kommentierungsphasen sollte sich daher niemand heraushalten. Der Projektplan Der Schreibprozess sollte vorab in einem Projektplan geplant werden, damit alle wissen, bis wann von wem welche Arbeitsschritte zu erledigen sind und damit Termine, wie beispielsweise wichtige Besprechungen, vorausschauend freigehalten werden können. Der Projektplan identifiziert also die Hauptaufgaben und verteilt sie auf die Teammitglieder entsprechend ihrer Motivation und Expertise. Er sollte immer mehrere Schleifen der Präsentation, Kommentierung und Überarbeitung von Textfassungen enthalten, wie bei der ATLAS-Kollaboration. Die Arbeitsbelastung sollte gleichmäßig bzw. den Zielen und Stärken entsprechend verteilt werden. Vergessen Sie nicht, nach dem Abschluss des Schreibprojektes einen Termin einzu‐ planen, bei dem Sie die Zusammenarbeit im Hinblick auf künftige Projekte kritisch reflektieren, aber auch das Erreichen Ihres Ziels feiern - das geht im Alltag sonst nämlich meistens unter. Folgende Spalten sollte ein tabellarischer Projektplan enthalten: Spalte-1: -Deadline (bis wann muss dieser Arbeitsschritt fertig sein) Spalte-2: -Was (genaue Beschreibung der Teilaufgabe) Spalte-3: -Wer (welche Personen sind an der Teilaufgabe beteiligt) Spalte-4: -Wie (wie erfolgt der Teilschritt, z.-B. durch asynchrones Schreiben am gleichen Dokument oder mittels Kommentarfunktion …) 1.3 Schreiben 191 <?page no="192"?> Kap.-1.3.1 Kap.-1.3.3 Spalte-5: -Status (z.-B. erledigt) Der Projektplan wird für alle zugänglich aufbewahrt und durch die/ den Projektmana‐ ger: in aktuell gehalten. Die Arbeit mit Rohfassungen Die Arbeit mit Rohfassungen ist für kollaborative Schreibprojekte sehr wichtig. Un‐ abhängig davon, was für ein Schreibtyp Sie sind, müssen Sie sich darauf einlassen, dass viel Text entsteht, der unfertig ist und nicht in die Endfassung eingeht. Rohfas‐ sungen sind in kollaborativen Schreibprojekten ein wichtiges Arbeitswerkzeug, an das kein Herzblut verschwendet werden sollte. Sie sind da, um etwas zu haben, mit dem alle gemeinsam arbeiten können und müssen nicht gut sein. Sie können Text nur dis‐ kutieren, wenn er schriftlich vorliegt, das ist etwas völlig anderes als die mündliche Diskussion Ihrer Ideen und Ergebnisse. Planen Sie also von vorneherein mehrere Fassungen ein und halten Sie sich an die im Planungsdokument festgehaltenen Schritte. Sie sollten die Fassungen auch wirklich als einzelne Fassungen behandeln und immer wieder neue Dokumente anlegen, damit die älteren Versionen erhalten bleiben. Überlegen Sie sich dafür ein Ablagesystem, damit stets klar ist, welches das aktuelle Dokument ist und wo die alten Fassungen zu finden sind. Auch das ist eine Aufgabe für den/ die Projektmanager: in. Kommentare und Diskussionen In Anlehnung an die ATLAS-Kollaboration schlage ich vor, dass Sie für das Kommentie‐ ren und Diskutieren eine Mischung aus schriftlicher und mündlicher Kommunikation einplanen. Auf jede Schreibphase folgt eine Phase schriftlicher Kommentierungen durch alle Teammitglieder innerhalb einer festgelegten Zeit. Dafür bietet sich die Arbeit mit Online-Dokumenten an (die meisten Hochschulen bieten mittlerweile Etherpads und ähnliche Lösungen als Alternative zu googledocs an). Grundsätzlich sollten Kommentare wertschätzend formuliert werden. Kritik funk‐ tioniert sehr gut in Frageform, wie das Zitat aus Schefers Untersuchung zeigt. Kom‐ mentare sollten namentlich gekennzeichnet sein, damit Rückfragen dazu adressiert werden können. Es ist außerdem wichtig, einen Fokus für die Kommentarrunden zu vereinbaren. Da Rohfassungen explizit roh sind, lohnt es sich nicht, in der ersten Runde bereits stilistische Anmerkungen zu machen oder auf Fehlersuche zu gehen. In der Anfangsphase wird es vielmehr darum gehen, festzustellen, ob die Richtung stimmt und wesentliche Inhalte erfasst werden. Auch in dieser Hinsicht dient die ATLAS-Kol‐ laboration als gutes Beispiel: Als in der ersten Runde deutlich wurde, dass nicht alle Inhalte, die einzelnen Autor: innen wichtig waren, in der geplanten Publikation unter‐ gebracht werden konnten, wurde beschlossen, diese auszulagern und für Konferenz‐ beiträge freizugeben. Wenn Sie einen Redaktionsausschuss bestimmen, kann dieser auf Basis der Kom‐ mentare den Rohtext überarbeiten bzw. Änderungen begründet ablehnen. Zur Präsen‐ 192 1.3 Schreiben <?page no="193"?> 60 siehe z. B. https: / / openjournal.uni-oldenburg.de/ index.php/ forsch/ index und https: / / uncw.edu/ hon ors/ info/ student-life/ journals-that-publish-undergraduate-student-research.html [29.06.21] tation und Diskussion dieser Schritte bietet sich die mündliche Kommunikation in einem Treffen an. Alternativ können diese Arbeit natürlich auch die Verfasser: innen der einzelnen Textteile übernehmen. Denken Sie daran, auch Ihre mündliche Kommunikation gezielt schriftlich festzu‐ halten. Verfassen Sie immer Protokolle von Arbeitstreffen, in denen Sie wichtige Ergebnisse und Beschlüsse dokumentieren, und legen Sie diese für alle zugänglich ab. Sollten Sie in Ihren Treffen feststellen, dass Sie inhaltliche Meinungsverschieden‐ heiten haben, dann seien Sie nicht genervt, sondern gratulieren Sie sich! Das Ausdis‐ kutieren dieser Ansichten trägt zur Qualität Ihres Textes bei, auch wenn es mühselig sein kann. Aber achten Sie auch in der mündlichen Diskussion darauf, wertschätzend zu formulieren. Um die mündlichen Diskussionen möglichst produktiv zu führen, sollte sich eine Person bereit erklären, die Moderationsrolle zu übernehmen. Sie achtet darauf, dass alle zu Wort kommen und dass ergebnisorientiert und zeiteffizient gearbeitet wird. Abschließende Gedanken Möglicherweise erscheint Ihnen - oder Ihren Co-Autor: innen, denen Sie mit diesen Vorschlägen kommen - das geschilderte Vorgehen in kollaborativen Schreibprozessen aufwändig. Sie werden aber feststellen, dass der vermeintliche Mehraufwand Ihnen Frust erspart und zu besseren Texten führt. Diese Verfahren sind sogar so effektiv, dass sie in sogenannten „Booksprints“ eingesetzt werden, in denen es darauf ankommt, Publikationen in sehr kurzen Zeiträumen, beispielsweise einer Woche, fertigzustellen (vgl. Henry / Voigt, 2018). Außerdem können Sie nebenbei noch wichtige Organisati‐ ons- und Kommunikationskompetenzen entwickeln, die Sie in jedem Beruf brauchen werden. Vielleicht werden Sie diese Vorschläge aber auch für eine schöne Utopie halten, weil Ihre Realität anders aussieht. Wenn Sie zum Beispiel als studentische Hilfskraft arbeiten, dann kann es sein, dass Sie viele Arbeitsschritte von Publikationen über‐ nehmen müssen, ohne als Autor: in genannt zu werden oder dass Sie nicht in der Position sind, Vorschläge für produktivere Arbeitsprozesse zu machen. Dann kann ich Ihnen nur raten: Suchen Sie sich ein eigenes Schreibprojekt! Schließen Sie sich mit Kommiliton: innen zusammen und probieren Sie es einfach. Journale für studentische Forschung gibt es durchaus 60 , und auch Blogs oder Studierendenzeitschriften könnten für eigene Schreibprojekte Publikationsorte bieten. Übrigens: Die Schreibtipps in diesem Kapitel gelten auch für Gruppenhausarbeiten. 1.3 Schreiben 193 <?page no="194"?> Literatur: Aad, G. et al. (2012): Observation of a new particle in the search for the Standard Model Higgs boson with the ATLAS detector at the LHC“, in: Physics Letters B, Vol.-716, No.-1, S.-1-29 [Online]. DOI: -10.1016/ j.physletb.2012.08.020. G R AẞH O F F , G / W ÜT H E R I C H , A (Hrsg., 2012): MetaATLAS---Studien zur Generierung, Validierung und Kommunikation von Wissen in einer modernen Forschungskollaboration, Bern: Bern Studies in the History and Philosophy of Science. H E N R Y , G. / V O I G T , A. (2018): Von Null auf Publikation: Booksprint für Studierende, Europa Universität Viadrina [Online]. Verfügbar unter https: / / www.europa-uni.de/ de/ struktur/ zll/ B ilder-_-PDFs/ PDFs/ Viadrina-Booksprint.pdf (Abgerufen am 17. November 2021). M O L I T O R -L ÜB B E R T , S. (2002): „Schreiben und Denken. Kognitive Grundlagen des Schreibens“, in: P E R R I N , D. / Böttcher, I. / K R U S E , O. / W R O B E L , A. (Hrsg.) Schreiben. Von intuitiven zu professionellen Schreibstrategien, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S.-33-46. S C H E F E R , M. (2012) „Der Wissenbegriff am Limit? Kollaborative Wissensgenerierung im Gross‐ forschungsprojekt ATLAS am CERN“, in: G R AẞH O F F , G. / Wütherich, A. (Hrsg.), MetaATLAS - -Studien zur Generierung, Validierung und Kommunikation von Wissen in einer modernen Forschungskollaboration, Bern: Bern Studies in the History and Philosophy of Science, S. 83- 212. S C H I N D L E R , K. / W O L F E , J. (2014): „Beyond single authors: Organizational text production as collaborative writing“, in: J A K O B S , E.-M. / P E R R I N , D. (Hrsg.), Handbook of Writing and Text Production, Berlin/ Boston: De Gruyter, S.-159-173. W O L F E , J. (2010): Team writing: a guide to working in groups, Boston: Bedford/ St. Martin's. 194 1.3 Schreiben <?page no="195"?> 1.4 Sprache 1.4.1 Sprache in Wissenschaft: Sprachliche Anforderungen wissenschaftlicher Texte Dagmar Knorr und Anna Tilmans Einführung Ich wähle ein technisches Studienfach. Dann habe ich endlich nichts mehr mit Sprache zu tun. Anonymer Student Kommt Ihnen diese Aussage bekannt vor? Und jetzt also doch wieder dieses leidige Thema Sprache, obwohl in Ihren Fächern die Vermittlung von Fachwissen im Vorder‐ grund steht. Sie eignen sich Wissen an, damit Sie Anlagen und Maschinen konstruieren, Algorithmen entwickeln, Berechnungen durchführen können und vieles mehr. Sie stellen Ihr Fachwissen unter Beweis, wenn Ihre Konstruktionen funktionieren und die Berechnungen korrekt sind. Doch dies ist nur der erste Schritt. Im Beruf, aber auch bereits im Studium müssen Sie in einem zweiten Schritt Ihre Anlagen und Ma‐ schinen beschreiben, Ihre Entscheidungen für die Wahl von Materialien, Funktionen, Rechenwegen und vielem mehr begründen. Und hierfür benötigen Sie Sprache. Sprache wird genutzt, um zu beschreiben oder zu begründen. Beschreiben und Begründen sind dementsprechend zwei kommunikative Funktionen von Sprache, die auch in Zukunft für Sie wichtig sein werden, weil die Fähigkeit, gut kommunizieren zu können, ein Faktor beruflichen Erfolgs ist. Wer sein Anliegen präzise beschreiben und vor dem Hintergrund des jeweiligen IST-Standes argumentativ hervorheben kann, ist im Vorteil. Die dafür benötigten Fähigkeiten sollen Sie im Rahmen Ihres Studiums erwerben. Dafür werden Sie - je nach Fach - unter anderem Protokolle, Berichte, Beweise und schließlich die Abschlussarbeit produzieren. Mit dem Schreiben von Texten sind vielfältige Anforderungen sprachlicher Art verbunden. In diesem Beitrag möchten wir Ihnen diese Anforderungen vor Augen führen. Denn wir sind überzeugt: Wer die Anforderungen einer Aufgabe wahrnimmt und versteht, ist in der Lage, bewusst mit ihnen umzugehen. Dies ist der erste Baustein, um angemessen und erfolgreich zu kommunizieren. Und wie bei allen handwerklichen Tätigkeiten ist auch der Umgang mit Wissenschaftssprache etwas, das geübt und erlernt werden muss. Jede: r muss hierbei ihren: seinen eigenen Weg finden. Sie bekommen in diesem Beitrag deshalb keine Lösungen oder Regeln präsentiert. Stattdessen möchten wir Ihnen Werkzeuge an die Hand geben, damit Sie verschiedene Aspekte der Wissenschaftssprache erkennen und gezielt für Ihr eigenes Schreiben nutzen und einsetzen können. Grundlage für unsere Ausführungen sind Texte aus dem <?page no="196"?> MINT-Bereich. Hierzu gehören Artikel aus Fachzeitschriften ebenso wie gelungene studentische Texte. Deutsch oder Englisch? - Das ist (k)eine Frage. Zu Beginn ein Dilemma: Die Sprache der Wissenschaft ist inzwischen vielfach Englisch. Für eine wissenschaftliche Karriere bedeutet das, dass auf Englisch publiziert werden muss. Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind daher überwiegend englischsprachig. Anders stellt sich die Situation bei technischen Dokumentationen dar. Anlagen, Geräte, Verfahren, die im deutschsprachigen Markt eingesetzt werden, bedürfen deutschspra‐ chiger Dokumentationen und Anleitungen. Sie bewegen sich daher während Ihres Studiums häufig in zwei Welten: einer Eng‐ lisch geprägten wissenschaftlichen Welt und einer Deutsch geprägten Fachkommuni‐ kation. Die Einflüsse der beiden sprachlichen Systeme zeigen sich auf verschiedenen Ebenen von Texten: Am deutlichsten wird der jeweilige Einfluss in der Verwendung von Fachbegriffen. Aber auch die Art und Weise, wie eine Begründung sprachlich umgesetzt werden kann, wie also argumentiert wird, bis hin zur gesamten Struktur eines Textes - auf all diesen Ebenen finden sich Einflüsse der jeweiligen Sprache. Ihre Aufgabe besteht dabei darin, für sich einen Weg zu finden, mit dieser sprachlichen Herausforderung umzugehen. Prüfen Sie sich selbst … In welcher Sprache sind die Quellen verfasst, auf die Sie in Recherchen zu einem Thema zugreifen? Deutsch- oder englischsprachig? Fallen Ihnen zu einem bestimmten Thema Ihres Faches eher deutsche oder englische Fachbegriffe ein? Fachbegriffe Wir möchten Ihnen am Beispiel von Fachbegriffen das Zusammenspiel von Deutsch und Englisch demonstrieren. Denn Fachbegriffe sind notwendiger Bestandteil eines fachspezifischen Sprachgebrauchs. Dafür greifen wir auf ein sprachliches Bild zurück: Das Ringen um Wörter. Haben Sie schon einmal beim Schreiben eines deutschspra‐ chigen Textes um Wörter gerungen? Für diesen Sachverhalt kann es unter anderem folgende Gründe geben: 1. Sie kennen die zur Beschreibung notwendigen Begriffe nicht. 2. Ihnen fallen die Fachbegriffe nur auf Englisch ein - Sie schreiben aber einen deutschsprachigen Text. 3. Ihnen ist das, was Sie ausdrücken oder beschreiben möchten, selbst noch nicht ganz klar. 196 1.4 Sprache <?page no="197"?> Das Ringen um Wörter kann also mehrere Ursachen haben: fehlendes fachliches Wissen, in der Zielsprache des Textes unzureichendes Wissen über Fachbegriffe oder es ist ein Konglomerat aus inhaltlichen, textuellen und sprachlichen Schwierigkeiten im Umgang mit den verschiedenen Anforderungen, die das Schreiben stellt. Aufgrund dieses Umstands ist es notwendig, dass Sie im Laufe Ihres Studiums lernen, die Herausforderung möglichst genau zu identifizieren, vor der Sie gerade stehen. Im ersten Fall handelt es sich um ein fachsprachliches Problem: Eventuell fehlt Ihnen schlichtweg ein Wort, zum Beispiel um ein Detail an einer Apparatur für den Versuchsaufbau zu beschreiben. Präzise im Ausdruck und in der Benennung zu sein, ist unumgänglich. Tipp: Nutzen Sie Fachtexte und von den Dozierenden ausgegebene Handrei‐ chungen, um sich Fachterminologie anzueignen. Der zweite Fall ist etwas komplexer. Denn eventuell gibt es den Fachbegriff auf Deutsch gar nicht. In solchen Fällen bedarf es einer Abwägung: Ist der Fachbegriff für eine präzise Aussage notwendig oder kann der Gegenstand auch ohne ihn beschrieben werden? In Fachartikeln sind verschiedene Formen des Umgangs mit dieser Anforderung zu finden. Wenn der englischsprachige Begriff üblich ist, aber eine deutsche Übersetzung existiert, dann können beide Begriffe eingeführt werden. Gerade bei komplexen Fachbegriffen wird dann eine Abkürzung eingeführt und im weiteren Text verwendet, so dass sich das Problem ,Deutsch oder Englisch‘ nicht mehr stellt. Danach folgt die Rolle der menschzentrierten Organisationsentwicklung (oder auch „User Experience Organisationsentwicklung“, kurz „UX OE“). Quelle: (Dasbeck und Engel 2021: 161) Darüber hinaus können englische Fachbegriffe übernommen oder nur teilweise „ein‐ gedeutscht“ (also als komplexe Nominalphrasen mit englisch- und deutschsprachigen Bestandteilen) in den deutschsprachigen Text integriert werden: Das in den 1980er-Jahren entwickelte Cleanroom-Software-Engineering […] findet aufgrund von Kosten- und Zeitrestriktionen kaum noch Anwendung. […] Aber erst durch die Weiter‐ entwicklung von Process-Mining-Algorithmen und -Werkzeugen wurde die Möglichkeit der Analyse von Prozessen zur Softwareerstellung einfacher und vielseitiger. Quelle: Alpers et al. (2021: 178 und 180; Hervorhebungen DK/ AT) Fachbegriffe sind jedoch nur ein Baustein fachlicher Texte. Im Folgenden besprechen wir weitere wichtige Aspekte der Wissenschaftssprache. 1.4 Sprache 197 <?page no="198"?> Kap.-1.2.2 Wissenschaftlich = möglichst unverständlich? - Über den Nominalstil und seine Folgen Fachbegriffe treten in fachlichen Texten nicht nur gehäuft auf, sondern auch in Kombination mit vielen anderen Nomen oder Nominalgruppen. Vollverben finden sich dagegen weniger. Dieses Phänomen wird Nominalstil genannt. Hier ein Beispiel: Aktordynamiken lassen sich als Beschränkung der in Abhängigkeit des Stellbefehls im nächsten Zeitschritt erreichbaren Beiträge der Aktoren zu den verallgemeinerten Stellgrößen beschreiben. Quelle: Bächle (2020: 19) In diesem Satz wird der Fachbegriff „Aktordynamiken“ erläutert. Der Nominalstil er‐ laubt, die Information verdichtet darzustellen und gleichzeitig äußerst präzise zu sein. Dies hat Auswirkungen auf das Textverstehen. Denn hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lesetempo. Wer wenig über Aktordynamiken weiß, wird mit dem Verstehen des Satzes Schwierigkeiten haben. Schwierigkeiten im Verständnis füh‐ ren automatisch zu einer Reduktion des Lesetempos - oder zum Über-Lesen des Punktes. Dass wir hier das Lesen thematisieren, hat folgenden Hintergrund: Häufig denken wir beim Schreiben nur daran, wie wir etwas aufschreiben können. Dabei ist es hilfreich, auch die Lesenden in den Blick zu nehmen. Hier können Sie sich auch selbst als Maßstab verwenden, indem Sie Ihre Lesegewohnheiten reflektieren. Prüfen Sie sich selbst… Wie gehen Sie mit „schwierigen“ Fachtexten um? Wie viel Zeit nehmen Sie sich für das Verstehen? Wo beginnen Sie, Dinge zu über-lesen? Was „nervt“ Sie an Texten? Sie werden merken: Durch die Auseinandersetzung mit Ihrem Leseverhalten wird sich auch Ihr Schreiben verändern. Denn Sie können das Lesen nutzen, um sich sprachliche Muster anzueignen, die Sie beim Schreiben verwenden können. Allerdings genügt es nicht, einen Fachbegriff an den anderen zu reihen. Auch das, was „zwischen den Fachtermini“ (Ehlich 1999: 8) steht, bedarf Aufmerksamkeit. In Falle des Beispiels ersetzen wir die Fachbegriffe durch Platzhalter „x“ und „y“. Es bleibt dann ein komplexes Verb stehen: x Aktordynamiken lassen sich als y Beschränkung der in Abhängigkeit des Stellbefehls im nächsten Zeitschritt erreichbaren Beiträge der Aktoren zu den verallgemeinerten Stellgrößen beschreiben. Quelle: Bächle (2020: 19) 198 1.4 Sprache <?page no="199"?> Kap.-1.3.4 Sektion 2 Kap.-1.5.2 Das Muster „x lassen sich als y beschreiben“ gehört zu solchen sprachlichen Mustern, die in der Wissenschaftssprache häufig verwendet werden, wenn Begriffe eingeführt werden. Die Weiterentwicklung von Terminologie und Begriffen gehört zum wissen‐ schaftlichen Erkenntnisprozess. Dementsprechend relevant sind diese Muster in der Wissenschaftssprache (vgl. „begriffsbildende Textproduktionen“ bei Steinhoff 2007, 17-18). Der Nominalstil dient also der kurzen, präzisen Darstellung von Wissen. Allerdings ist die Verwendung des Nominalstils nicht trivial. Die Aneinanderreihung von Nomen kann dazu führen, dass der Inhalt unverständlich wird. Die Kunst ist es daher, so zu schreiben, dass Sie Ihre Lesenden mitnehmen und gleichzeitig im Stil und für das Genre angemessen bleiben. Dies bedarf Übung - und Rückmeldungen von Lesenden. Le‐ sende können im Vorfeld der Abgabe Kommiliton: innen oder Freunde sein. Schluss‐ endlich entscheiden aber erst die Bewertenden darüber, ob Stil und Genre-Merkmale angemessen sind. Der nächste Abschnitt widmet sich daher den Anforderungen, die Texten inhärent sind. Sprache und Schreiben als Denken im Fach Texte, die im Studium geschrieben werden, haben nicht allein die Funktion des Leistungsnachweises. Sie sollen auch lernen, wie in Ihrer Disziplin gedacht, gearbeitet und geschrieben wird. Sie lernen die fachlichen Konventionen kennen und anwen‐ den. Diese variieren von Fach zu Fach, weshalb es Ihre Aufgabe ist, die speziellen Anforderungen Ihres Faches für sich zu identifizieren. Denn wer die zu erfüllenden Anforderungen bzw. Konventionen kennt, kann sie bearbeiten. Konventionen finden sich in der Art, wie zitiert wird, wie ein Text aufgebaut ist oder auch in spezifischem Sprachgebrauch. Konventionen stellen Anforderungen auf verschiedenen Ebenen des Textes. Die Makroebene ist die des gesamten Textes. Zu fragen ist: Welche Funktion soll der Text erfüllen, den Sie schreiben? Ein Protokoll hat eine andere Funktion als ein ma‐ thematischer Beweis oder eine Ausarbeitung eines theoretischen Konzepts. Auf der Mesoebene, also der Ebene der Kapitel, ist die Reihenfolge der Abschnitte zu berück‐ sichtigen. Und auf der Mikroebene, also der Ebene der Sätze, gibt es wissenschafts‐ sprachlich, aber auch fachsprachlich geprägte Muster. (Vgl. hierzu Unterkapitel der Sektion 2 zu einzelnen Fächern und bspw. Protokollen) Um die Vielfalt sprachlicher Möglichkeiten zu kategorisieren und damit besser greif‐ bar zu machen, ist es notwendig zu abstrahieren: Anstelle vieler einzelner Vorkommen wird die Funktion betrachtet, mit der Sprache verwendet wird. Solche Funktionen sind: darstellen, beschreiben, erklären usw. Das Darstellen von Wissen geht dabei häufig mit dem Belegen einher - nämlich immer dann, wenn Sie Wissen von anderen darstellen bzw. auf dieses zurückgreifen. Häufig genügt ein Verweis auf die Quelle, aber es kann auch mit diesen Angaben argumentiert werden. 1.4 Sprache 199 <?page no="200"?> Kap.-1.5.4 Neben der klassischen linearen Softwareerstellung, bei der die Prozesse stark strukturiert sind, gibt es bereits viele Fallstudien, die Process Mining auch bei einem agilen Vorgehen einsetzen [10, 11, 14-16]. Eine Übersicht zu Forschungsartikeln zum Thema Process Mining in agilen Softwareprojekten gibt [18]. Quelle: (Alpers et al. 2021: 181) Der Autor zeigt, dass er sich in dem Feld auskennt, indem er Hinweise auf Einzelstudien und einen Überblicksartikel gibt. Diese Art zu Formulieren findet sich in den Textteilen, in denen der Forschungsstand dargelegt wird. Ob dabei - wie in dem Beispiel - die Quelle als Nummer oder mit Autor-Jahr angegeben wird, hängt von fachlichen Kon‐ ventionen ab. Der Zweck ist aber derselbe: die Herkunft des Wissens nachvollziehbar darzulegen. Prüfen Sie sich selbst… In welcher Form belegen Sie Ihre Rückgriffe auf Fachwissen? Wie markieren Sie dies sprachlich? In Protokollen wird beschrieben, aber auch argumentiert. Das Beschreiben erfordert stets ein präzises Benennen, also die Verwendung von Fachterminologie. In Versuchs‐ beschreibungen ist zudem der Aspekt der Reihenfolge zu beachten. Und ein mathematischer Beweis hat nicht nur eine festgelegte Struktur (beginnend mit einer Behauptung und dann der eigentlichen Beweisführung), sondern die einzel‐ nen Bestandteile gehen auch mit einem spezifischen Sprachgebrauch einher. Es sei S(G,h)=Sc(G,h) eine Shimuravarietät Quelle: Rapoport und Zink (1982: 21) Eine besondere Bedeutung kommen in der Argumentation Formeln und Berechnun‐ gen zu. Diese werden häufig argumentativ eingebunden und mit Quellen belegt. In Abbildung 1.4.1 werden Formeln verwendet, um Grundlagenwissen für die nachfol‐ gende Versuchsbeschreibung darzustellen: 200 1.4 Sprache <?page no="201"?> Abb. 1.4.1: Beispiel aus einem Praktikumsprotokoll, MA-Verfahrenstechnik, Quelle: Praktikum‐ sprotokoll MA-Verfahrenstechnik Die schriftliche Ausarbeitung und sprachliche Darstellung des Berechnungsweges sind fachspezifische Anforderungen und gleichzeitig der Nachweis darüber, dass Sie die zugrundeliegenden fachlichen Inhalte verstanden haben. Denn die Wahl der angemessenen Formel oder das Aufstellen der Behauptung bilden den Grundstein für die Beurteilung des Gesamttextes. Aufbauend auf diesen wird dann die korrekte Durchführung der Berechnung oder die Ausführung des Beweises beurteilt. Und auch wenn Sie meinen, Ihr Fach sei ausschließlich auf Objektivität ausgelegt, möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf einen herausfordernden Punkt lenken: die Autor: innenschaft. Wie viel Eigenes steckt in einem Text? Der Umgang mit Formeln und den damit verbundenen Berechnungen ist vermeintlich einfach, da die Korrektheit der Berechnung eindeutig geprüft werden kann. Doch welche Formel Sie als Grundlage für Ihre Berechnung wählen, ist Ihre Entscheidung. Dasselbe gilt für die Faktoren oder Komponenten, die Sie in die Bewältigung der Aufgabenstellung einfließen lassen. Hier treffen Sie Entscheidungen. Ob und inwieweit diese in Ihren Texten sichtbar gemacht werden müssen, ist vielfach abhängig von den Anforderungen der Betreuenden. Wenn Sie jedoch Ihr Studium auch als Vorbereitung für eine spätere berufliche Tätigkeit verstehen, ist es sinnvoll zu üben, wie Entschei‐ dungen sichtbar gemacht und argumentativ eingebunden werden können. Hierfür ein Beispiel. Es handelt sich um einen mathematischen Beweis: 1.4 Sprache 201 <?page no="202"?> Abb. 1.4.2: Beispiel aus dem Text von Rapoport und Zink (1982: 26-27); Zahlen-Annotationen durch die Autorinnen Der Beweis beginnt mit der üblichen sprachlichen Einführung der Behauptung „Es sei“ ①. Es folgt eine Setzung durch die Autoren, die sie sprachlich mit „Wir setzen“ markieren ②. Sie begründen ihre Ableitung aus der Setzung mit einem mathematischen Satz. Sprachlich führen sie diese Begründung mit „Wir erinnern“ ein ③. In ④ machen die Autoren auf ein Problem aufmerksam, das sie aufgrund ihres fachlichen Wissens identifiziert haben. Die Formulierung mit „Leider…“ ist ein didaktischer Schachzug, um das weitere Vorgehen ⑤ zu motivieren. Die Beweisführung ist aus sprachlicher Hinsicht also nicht einfach eine Berechnung, sondern ein Wechsel aus Setzung, Entscheidung und Begründung, bei der die Autor‐ schaft offensiv durch das Personalpronomen „wir“ dargestellt wird. Dies ist nicht immer der Fall. Häufiger wird das Ich bzw. Wir aus den Texten gestrichen. Der Text wird de-agentiviert, d. h. die sprachliche Form wird eliminiert, die auf den oder die Autor: in hinweist. Dennoch ist die Autorin, der Autor oder das Autor: innenteam weiterhin präsent - nur ist die sprachliche Form anders. Kruse (2012: 16) unterscheidet zwischen direkten und indirekten Formen der Selbst‐ referenz und stellt diese für das Deutsche und Englische gegenüber (siehe Tabelle 1.4.1). 202 1.4 Sprache <?page no="203"?> Tab. 1.4.1: Sprachliche Mittel der direkten und indirekten Selbstreferenz (Kruse 2012: 16). Status Sprachliches Merkmal Beispiel Deutsch Beispiel Englisch Direkt Personal- und Possessiv‐ pronomen ich, mein, mir, mich, wir, unser, uns m.-E., u.-E. I, me, my, mine, we, us, our Indirekt Selbstbenennung in der dritten Person der Verfasser, die Autorin the author Ersatzbezeichnungen eigene Forschung frühere Arbeiten nach subjekti‐ ver Einschätzung Der vorliegende Artikel Unser Labor hat … unter‐ sucht previous research own research Selbstzitate (im Autor Jahr Zitiersystem) wie Autor ( Jahr) zeigte as Author (year) has shown Deagentivierung wie das Kapitel zeigt aus der Analyse ergibt sich Das Ergebnis unterstreicht as the chapter shows from the analysis results the result stresses Indefinitpronomen „man“ man kann vermuten Be‐ hält man im Auge dass one can assume If one keeps in mind Indefinitpronomen „es“ es lässt sich zeigen es ergibt sich it can be shown it results in Passivkonstruktionen mit Modalverb (können, müssen, sollen, dürfen) soll verdeutlicht werden kann unterschieden wer‐ den sollte geklärt werden … should be solved can be seen must be decided on Folgendes Beispiel zeigt, wie mit indirekter Selbstreferenz argumentiert werden kann: Nach aktuellem Stand gibt es weder im Holzbau in DIN EN 1995-1-1 und DIN EN 1995-2 [14], [6] noch im Betonbau in DIN EN 1992-1-1 und DIN EN 1992-2 [15], [21] detaillierte Regelun‐ gen zur Bemessung eines Holz-Beton-Verbundtragwerks. Allerdings können Schnittgrößen und Durchbiegungen, unabhängig von Bemessungskonzepten einer Norm, beispielsweise mit Hilfe eines Stabwerkmodells ermittelt werden (vgl. Kap. 2.1.4). Quelle: Kudla (2017: 10) Der Absatz beginnt mit der Phrase „Nach aktuellem Stand“. Hier zeigt die Autorin ihr Wissen über den fachlichen Diskurs. Sie belegt ihr Wissen durch die Angabe von entsprechenden DIN-Normen. Gleichzeitig markiert sie durch die Phrase „gibt es weder … noch“ die Forschungslücke, in der sie ihre Arbeit platzieren möchte. Der nächste Satz beginnt mit „Allerdings“. „Allerdings“ drückt eine Einschränkung aus. Hier wird „allerdings“ verwendet, um auf eine Lücke in vorhandenen DIN hinzuweisen, die im 1.4 Sprache 203 <?page no="204"?> Verlaufe der Arbeit geschlossen werden soll. Mit dem Verweis auf das entsprechende Kapitel markiert sie für die Lesenden den Ort, an dem sie ihren Vorschlag zur Überwindung der Lücke konkretisieren will. Das Beispiel zeigt eine mögliche Form der Umsetzung eines geforderten Musters in wissenschaftlichen Arbeiten, wie es inzwischen vielfältig untersucht worden ist. Das Konzept der Handlungsschritte geht auf Swales (1990) zurück: 1. Aufzeigen des aktuellen Standes 2. Markieren der Lücke 3. Aufzeigen der Lösungsstrategie/ des Herangehens Die Darstellung des aktuellen Standes (der Forschung bzw. der Technik) ist in (fast) jedem technischen Text in der einen oder anderen Form enthalten. Er ist der Anker‐ punkt für die Fragestellung, die Versuchsbeschreibung, den zu führenden Beweis etc. wissenschaftlich zu arbeiten, bedeutet nämlich immer, sich mit vorhandenem Wissen auseinanderzusetzen - und ggf. weiterzuentwickeln. Dies spiegelt sich in der Textorganisation wider. Prüfen Sie sich selbst… Nehmen Sie sich einen Fachtext mit Literaturangaben. Prüfen Sie die Quellen. Welche Funktionen haben sie? Textorganisation - Lesenden Orientierung bieten Wissenschaftliche Texte werden häufig nicht von vorne nach hinten gelesen, sondern gezielt im Hinblick auf eine bestimmte Frage. Dementsprechend wichtig ist es, den Text so zu gestalten, dass es Lesenden einfach und schnell möglich ist, sich zu orientieren. Ein Mittel hierfür ist die Verwendung von Überschriften. Überschriften können dabei einer klaren, textorganisatorischen Benennung folgen, wie Einleitung oder Fazit. Sie können aber auch stärker den Inhalt des Textabschnitts widerspiegeln. Beispiele sind: „Process Mining zur kontinuierlichen Verbesserung des Vorgehensmodells“ (Alpers et al. 2021, 184) oder „Mechanismen in der übergangsmetallkomplexkatalysierten elektrochemischen CO2-Reduktion“ (Kinzel et al. 2021, 11736). Dabei folgen wissen‐ schaftliche und akademische Texte in der Regel folgender Struktur: Die: der Lesende wird - im ersten Schritt - in das Thema oder den Gegenstand des Textes eingeleitet, d. h. der Gegenstand wird beschrieben, die Forschungsfrage explizit benannt und der Gegenstand in einen größeren Kontext eingeordnet, bzw. die Relevanz des Themas wird verdeutlicht. Wissenschaft baut stets auf vorhandenem Wissen auf. Die Anknüp‐ fungspunkte zu den theoretischen Grundlagen oder dem „State of the Art“ müssen daher - im zweiten Schritt - dargelegt werden. Dadurch wird der Ausgangspunkt, die Basis, für das nachfolgende Neue gegeben. Im dritten Schritt wird das Neue, also die eigene Fragestellung, das eigene Thema, beschrieben, dargestellt und ggf. analysiert. 204 1.4 Sprache <?page no="205"?> Kap. 1.3.2 Kap.-1.5.3 Kap.-1.3.4 In einem vierten und letzten Schritt wird das Neue oder die genutzte Methode kritisch bewertet und/ oder in den Gesamtforschungskontext eingeordnet. Die beschriebenen vier Schritte sind dabei nicht mit vier einzelnen Kapiteln in einem Text gleichzusetzen, denn je nach Textart - Artikel, Protokoll oder Dissertation - kann die Kapitelanzahl variieren. Prüfen Sie sich selbst… Nehmen Sie sich einen Artikel/ Beitrag aus Ihrem Fach zur Hand. Schauen Sie sich die Kapitel an und überlegen Sie, welcher der vier Schritte in den jeweiligen Kapiteln realisiert wird. Welche Funktion haben die jeweiligen Abschnitte? Im Text selbst bieten der: dem Lesenden Auszeichnungen (fett, kursiv, Ä ND E R UN G E N D E R Z E ICH E N G RÖẞE ) eine Orientierung. Derartigen Hervorhebungen im Text sollten sparsam und gezielt eingesetzt werden, da sie die Aufmerksamkeit von Lesenden auf diese „an‐ ders“ gesetzten Begriffe bzw. Passagen ziehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine konsistente Verwendung der Auszeichnungsmerkmale. Neben Überschriften und formalen Auszeichnungsmerkmalen sind Tabellen und Grafiken auffällige Elemente. Sie werden häufig als Erstes noch vor dem eigentlichen Einstieg in den Text betrachtet. Daher sind ein gezielter Einsatz von Tabellen und Grafiken und eine klare grafische Darstellung wichtig für einen wissenschaftlichen Text. Fazit - Sprache ist Verpackung für Inhalte Das Wertvollste, das Sie besitzen, sind Ihre Ideen und Gedanken. Diese bedürfen einer sprachlichen Verpackung. Diese Verpackung fällt - je nach Zweck - unterschiedlich aufwendig aus: Darstellen ist der Grundbaustein. Ohne diesen geht es nicht. Alles, was Sie mitteilen möchten, müssen Sie zunächst darstellen. Wollen Sie jemanden überzeugen, müssen Sie argumentieren. Wissenschaftliche Argumentation ist ein Dreischritt aus darstellen, abwägen, begründen. Welche sprachlichen Mittel in diesem Dreischritt verwendet werden, ist unter‐ schiedlich straff reglementiert und organisiert. Die Muster und Regularien zu erkennen und sie sich anzueignen, bedarf einer bewussten Auseinandersetzung mit Sprache. Feedback, dass Sie auf Ihre Texte im Studium erhalten (und dass Sie auch einfordern dürfen), trägt dazu bei, Ihnen diese Aneignung zu ermöglichen, ohne einfach zu imi‐ tieren. Schlussendlich bedarf es - wie bei jeder anderen praktischen Tätigkeit auch - der Übung. Denn wissenschaftliches Schreiben ist erlernbar. 1.4 Sprache 205 <?page no="206"?> Empfehlungen: Fachbegriffe dienen der präzisen Beschreibung. Auch wenn es dann ggf. zu Wortwiederholungen kommt, nutzen Sie den treffenden Fachbegriff. Wenn Sie spontan dabei an „Wortwiederholung! “ aus Ihrem Deutschunterricht denken und auf eine sprachliche Variation ausweichen wollen, versuchen Sie, dieses Gefühl zu unterdrücken. Sprachliche Variation widerspricht der Exaktheit der Wissenschaft. Die Prinzipien Verständlichkeit und Klarheit gelten auch in wissenschaft‐ lichen Texten. Ein wissenschaftlicher Text ist nicht automatisch gut, wenn er kompliziert geschrieben ist. Im Gegenteil: Wenn Sie es schaffen, komplexe Sachverhalte verständlich, d. h. für die Lesenden nachvollziehbar zu beschreiben, ist das ein Qualitätsmerkmal. Nutzen Sie das Prinzip Reihenfolge für die Textorganisation: Was muss zuerst da sein, damit Lesende alles Weitere verstehen? Wörter wie „davor“, „nachdem“ usw. sind Indikatoren für eine Abfolge. Literatur A L P E R S , Sascha / K A R L E , Thomas / S C H R E I B E R , Clemens / S C HÖN T H A L E R , Frank / O B E R W E I S , An‐ dreas (2021): „Process Mining bei hybriden Vorgehensmodellen zur Umsetzung von Unter‐ nehmenssoftware“. In: Informatik Spektrum 44, S.-178-189. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.1007/ s00287-021-01359-7. B ÄC H L E , Thomas (2020): Hierarchische modellprädiktive Betriebsstrategie für Elektrofahrzeuge mit redundanten Antriebssträngen. Ulm: Universität Ulm. D A S B E C K , Janine / E N G E L , Sandra (2021): „User Experience Design und Organisationsentwick‐ lung. Wie Innovationen entstehen und warum methodisches Vorgehen so wichtig ist“. In: Informatik Spektrum 44 (3), S.-161-169. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.1007/ s00287-021 -01357-9. E H L I C H , Konrad (1999): „Alltägliche Wissenschaftssprache“. In: Info DaF 26 (1), 3-24. K I N Z E L , Niklas W. / W E R L É , Christophe / L E I T N E R , Walter (2021): „Übergangsmetallkomplexe als Katalysatoren für die elektrische Umwandlung von CO2 - eine metallorganische Perspek‐ tive“. In: Angewandte Chemie 60 (133), Sp. 11628-11686. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.1 002/ ange.202006988. K R U S E , Otto (2012): „Wissenschaftliches Schreiben mehrsprachig unterrichten: Was ist möglich, was ist nötig? “ In: ÖDaF-Mitteilungen 28 (2), S.-9-25. K U D L A , Katrin (2017): Kerven als Verbindungsmittel für Holz-Beton-Verbundstraßenbrücken. Stutt‐ gart: Universität Stuttgart. DOI: http: / / dx.doi.org/ 10.18419/ opus-9432 R A P O P O R T , Michael / Z I N K , Th. (1982): „Über die lokale Zetafunktion von Shimuravarietiiten. Monodromiefiitration und verschwindende Zyklen in ungleicher Charakteristik“. In: Inven‐ tiones mathematicae 58, S.-21-101. DOI: https: / / doi.org/ 10.1007/ BF01394268. 206 1.4 Sprache <?page no="207"?> S T E I N H O F F , Torsten (2007): „Zum ich-Gebrauch in Wissenschaftstexten“. In: ZGL - Zeitschrift für Germanistische Linguistik 35 (2), S.-1-26. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.1515/ ZGL.2007. 002. S WA L E S , John M. (1990): Genre Analysis - English in Academic and Research Settings (Cambridge Applied Linguistics). Cambridge: Cambridge University Press. 1.4 Sprache 207 <?page no="208"?> 1.4.2 Writing Well in English Carly Crane If you have turned to this chapter, you might be looking for an answer to the question, How can I improve my English scientific writing? While what follows is no magic pill, if you follow my advice, you will write more effectively in English. Here you will find concrete, evidence-based guidance to help you write better, drawn from decades of research on how foreign language writers learn to write in academic contexts. I have organized the chapter around two key insights from this research: Foreign language writers write better texts when they ● employ an effective, dynamic composing process and ● grow their understanding of the kinds of texts they want to write and their knowledge of reader expectations (Hirvela et al. 2016; Cumming 2001; Roca de Larios et al. 2016; Hyland 2003). The first section of the chapter provides straightforward tips for improving the composition process of complex academic texts in a foreign language. I’ll address key aspects of foreign language composition, like finding the “right” words, using online resources, and how and when to draw on your native language in the writing process. The second section will model significant conventions of English scientific texts - like reader-orientation and paragraph structure. At the end of this section, I’ll also discuss how you might learn more about the specific conventions of your own discipline, and why it will make you a better writer to do so. Improving your composition process Tip: In the early stages of the writing process, prioritize idea generation and structure development over finding the right words. Writing is fundamentally problem-solving. When we write in a foreign language, at least some of our attention that could be solving high-level problems (like argu‐ mentation or macrostructure) is necessarily diverted to linguistic problems (like using sophisticated syntax) (Schoonen et al. 2009; Manchón et al. 2009). The more inexperienced we are in that language, the harder it is for us to devote the necessary attentional resources to the high-level problems of our texts (Manchón et al. 2009). This trend eases as our fluency improves, but in the meantime, as you are building this fluency, you can still improve your academic writing by consciously attending to your writing process. 208 1.4 Sprache <?page no="209"?> Kap.-1.3.3 In concrete terms, this means ● devoting ample time to pre-writing activities like brainstorming (either in writing or in conversation with peers or faculty) and outlining; ● keeping your focus on the “big picture” - Do I have a clear and actionable research question? Does the structure I have outlined make sense? etc. - rather than trying to express yourself perfectly while planning your project. There will be time later to sort out the words. Tip: Use your native language strategically. Too often foreign language writers are framed as coming to the writing process only with a deficit. While it is certainly true that writing in a foreign language is challenging, the skills you already possess in your native language are rich resources that you ought to take advantage of when writing in English. How can you do this? By relying on your native language to help you control the writing process. When we write, we shuttle between two key roles: Controller and Writer (Manchón et al. 2009, p. 114-5). The Writer formulates ideas and generates language to express them. The Controller monitors and plans, directing the writing process. Research on foreign language writing processes has shown that successful writers tend to split their language resources between these two roles, using primarily their foreign language as the Writer and primarily their native language as Controller (Manchón et al. 2009). In your own writing process, this might mean ● relying on your existing English-language skill to generate text, ● but shifting to your native language to brainstorm ideas, develop an approach to the task, plan your draft, monitor the writing process, and revise your draft. Tip: Find the right words the right way. Once you have sorted out the “big picture” and it is time to focus on sentences and language in the drafting stage, go about the process effectively. Here are some straightforward tips for finding the right words: ● Use monolingual English dictionaries to check if the words you have looked up actually mean in English what you think they mean and rely only on English-lang‐ uage dictionaries when looking for synonyms. German-English dictionaries will give you words that mean roughly the same in English as they do in German, but that does not mean it is the right word for every context. 1.4 Sprache 209 <?page no="210"?> 61 "rule, n.1". OED Online. September 2021. Oxford University Press. https: / / www.oed.com/ view/ Entry/ 168717? rskey=hIacbt&; result=1 (accessed October 31, 2021); "convention, n.". OED Online. September 2021. Oxford University Press. https: / / www.oed.com/ view/ Entry/ 40714? redirectedFrom=conventio n (accessed October 31, 2021). s.narr.digit al/ wfsht s.narr.digit al/ nbwqe ● Take advantage of optimized online search engines like Advanced Google search or Ludwig.guru to look for words or phrases in authentic and reliable English contexts. Advanced Google search enables the search of exact phrasing, allowing you to check quickly if a phrase or preposition is correct. Ludwig.guru is a search engine designed for writers for whom English is a foreign language; it has many useful features (all explained on the website’s homepage), but ultimately it only searches reliable sources - like newspapers or academic journals or university websites - and it always offers contextualized results. ● Consult the University of Manchester’s Academic Phrasebank by John Mor‐ ley. The Academic Phrasebank provides examples of common phrasing used in academic texts, organized by the standard sections of research articles and expe‐ rimental reports. Academic English is a foreign language even for native English speakers. When writers are new to the specialized and highly conventional style of Academic English, it can help to have examples to consult. Because the examples provided are general and largely devoid of content, borrowing them is not plagi‐ arism. The next time you find yourself asking How should I phrase this? - consult the Phrasebank. Tip: Abandon perfection and strive for clarity. The drive for perfection only ever gets us writer’s block. Clearly communicating your ideas, on the other hand, is an achievable goal that is not likely to drive you to emotional ruin. It is also the shared goal of all scientists. Make it yours, too. Improving your knowledge of English scientific writing conventions and reader expectations I’m going to let you in on a secret: There are no rules in scientific writing, only conventions. By this I mean scientific writers compose according to the ways in which things are typically done (conventions), rather than according to a set of immovable and authoritative regulations (rules). 61 A convention - like the IMRaD structure in a research report or journal article, for example - will sometimes feel like a rule, and people like your professors and fellow students may discuss them as if they were rules, but there is a difference, and understanding and acting on that difference is crucial to writing well.- To better explain the concept of conventions, I’ll offer up the example of the German sauna. It is conventional that one goes naked to a German sauna. If you decide to wear 210 1.4 Sprache <?page no="211"?> 62 Throughout your studies, you’ll be asked to write many kinds of texts, each with their own requirements for content and structure. The introduction structure I present here is suitable for texts like the research report or research paper wherein you present original insights (the results of an experiment or theoretical work) and connect it to existing studies on the same topic. clothes in the sauna, you would probably get weird looks, you might be told to take your clothes off by German sauna-goers, and you might even make people angry. This is because you have violated others’ expectations for socially acceptable behavior in that setting. And this is the key thing about conventions: They are social phenomena, which means they are bound to a specific social context, and they are governed by others’ expectations. Social conventions arise from a shared understanding about how one ought to behave or go about doing something in a certain social setting - an under‐ standing informed by the given community’s values or principles - and they are kept in force through social mechanisms (like shaming or exclusion) and institutions (like academic journals or spas). This means that conventions are not fixed; as expectations and values change, so do conventions. It does not mean that conventions are not real and that you will not experience real consequences for violating them. They do and you will: Violate the conventions of the sauna and get kicked out; violate the conven‐ tions of academic writing and professors may fail your papers, journals may refuse to publish you. We abide conventions because we want to be accepted by a given community, whether it is a community of spa-goers or a community of biologists. But it is not merely (or only) social acceptance that writers are after - fluent, expert use of a community’s writing conventions all but ensures that your ideas will be understood, and it will increase the likelihood that your ideas will be found persuasive and thus accepted as “good science.” The conventions I address in the following sections will help you to write in a way that readers of scientific English will expect. They serve two key values of English scientific writing, which are dearly held regardless of discipline: clarity and reader-orientation. Why are these qualities so widely valued? Consider the broader purpose of writing in the sciences: Scientific writing exists so that researchers can communicate their research and experimental findings with others and thus contribute to the development of scientific knowledge. Papers need to inform, not impress. They need to be highly readable, which means, of course, that they need to be written with the reader in mind. Introductions: Orienting your reader People often talk about introductions in relation to its function to the rest of the paper - i.e., to introduce the paper’s topic. But a more effective way of thinking about introductions is in rhetorical terms; in other words, it helps to consider the role that the introduction plays for readers. Readers approach the introductions of research papers, research reports, and journal articles 62 with four questions they want answered: 1.4 Sprache 211 <?page no="212"?> ● How does this paper connect to existing research and knowledge? ● What new insights does this paper provide and why do these insights matter? ● How will this paper sustain and defend these insights? As these questions reveal, readers use introductions to orient themselves; they look to introductions to find out not only where the paper is going (and whether it is worth their precious time to keep reading), but also how it relates to what they already know about a topic. In orienting readers, writers must make this relationship as clear as possible. So, how do you write a good introduction to a research report? Start with what the reader needs: Address the above questions in basically that order and you have got yourself an effective, reader-oriented introduction. In figuring out how you will write an introduction, it helps to look at how others have done so effectively. John Swales, a linguist who studies academic writing, found that scientists address readers’ orienting questions by structuring introductions around three key rhetorical moves (1990). I have aligned these moves with the reader queries they respond to in the table below: Reader’s question Rhetorical move Move in detail How does this paper connect to existing research? - Establish a research territory, or the situation Establish the relevance of the topic Review previous research Why does this paper’s re‐ search matter? - Establish a research niche, or the problem Elaborate a problem or ques‐ tion that requires a response What are the paper’s key in‐ sights and how will they be sustained? Occupy research niche, or present your response Outline the purpose of pa‐ per’s research Announce key findings Preview the paper’s structure In the first move, establishing a research territory, writers set the stage for their research; they hook a reader’s interest by advertising the general topic’s importance, provide important context and establish a clear connection between their paper and the ongoing conversation among scientists on the topic. Steps for establishing a research territory Sample language Establish relevance of topic “Recently there has been a spate of interest in …” “Knowledge of X has great importance for …” Review previous research “Several studies have suggested that … (Smith, 2003; Jones, 2009).” “Reading to children early and often seems to have a positive long-term correlation with grades in English courses (Johnson, 2002; Miller, 2009).” 212 1.4 Sprache <?page no="213"?> The second move, establishing a research niche, narrows the paper’s focus and provides a motivation for the writer’s research. Here, the writer argues that there is a problem, tension, question, mystery in the scientific literature that needs to be resolved, answered, solved with additional research. This is a key move that should not be over‐ looked because it indicates to readers why your research matters to other scientists, and thus, why it should be read. As a student writer, you might be thinking this move is not relevant to you - after all, your writing is only for one person (your professor, lecturer, or tutor), and it is unlikely it will be widely read and affect the scientific literature. However, it is nevertheless worthwhile to establish a research niche in stu‐ dent papers because it demonstrates in-depth and sophisticated knowledge of the to‐ pic’s literature. Not to mention that motivating your writing makes it more interesting to readers. There are four essential ways to establish a research niche and motivate your research: Motivating problems Sample language Counterclaim or refute exis‐ ting research “While Jones and Riley believe X method to be accurate, a close examination demonstrates their method to be flawed.” Indicate a gap in existing re‐ search “While existing studies have clearly established X, they have not addressed Y.” “Z is frequently overlooked in recent studies of A.” “The nature of B is still unknown/ inadequately understood.” Raise questions about or prob‐ lematize existing research “While Jones and Morgan have established X, these findings raise a number of questions, including …” “While many researchers consider X to be resolved, previously published studies on the effect of X are not consistent.” Continue a tradition, or extend existing research “Earlier studies seemed to suggest X. To verify this finding, more work is urgently needed.” The final move, occupying the research niche, articulates a clear response to the problem or question raised in the previous move. This is where you state your research objectives and/ or research question(s) as well as indicate how the paper will be structured so as to pursue these objectives/ questions. You might also state your key findings here. Steps for occupying a research niche Sample language Announce purpose and/ or re‐ search question “In this article I argue …” “The present research clarifies/ resolves/ responds to …” “This paper describes three separate studies conducted between March 2008 and January 2009.” Announce key findings “The results of the/ our study suggest …” Preview paper’s structure “This article is structured as follows …” 1.4 Sprache 213 <?page no="214"?> Kap. 1.3.2 You can find further sample language for each of these moves (as well as other rhetorical moves typical of research reports) at the open access online resource Academic Phrasebank, created by Joseph Morley at the University of Manchester. Tip: Research Question vs. Motivating Problem In general terms, we can think of motivating problems or questions posed when establishing a research niche as broader than research questions (Fragestellun‐ gen); motivating problems concern the bulk of the literature you have consulted, while a research question is specific to your paper and the particulars of your research. If you raise a question about the previous literature to establish a niche, this question is likely too broad to serve as a research question that can guide your own scientific inquiry. Paragraphs: Using effective patterns to communicate clearly Writers can vastly improve the clarity and reader-responsiveness of their writing by paying more attention to their paragraphs. Paragraphs are the most significant unit of composition for readers, especially in academic texts. This is because paragraphs present and elaborate a complete idea or thought. As readers progress through a text, they rely on paragraph breaks to tell them where one idea ends and another begins, taking the end of a paragraph as a cue to recap what they have read so far and anticipate what is yet to come. Paragraphs thus indicate relationships among ideas and, when written effectively, create logic, order, and cohesion in texts. Given the complexity and density of scientific content, this makes paragraphs a powerful structural tool for guiding readers through a text and ensuring that they take away precisely what you intended. As well as elaborating a single, complete idea, effective paragraphs should serve a clear purpose to a paper’s argument; that purpose will determine each paragraph’s internal struc‐ ture as well as its logical position in the paper. When writing a research report, these pur‐ poses align with the canonical IMRaD structure and may include the following: Section Purpose Introduction Review existing research on your paper’s topic Establish the need or motivation for your research Indicate what your research accomplishes Methods Describe your experimental protocols Summarize significant theories or research informing choice of methods Results Describe your results Discussion Explain what your results mean Conclusion Summarize key findings Raise questions for further research 214 1.4 Sprache <?page no="215"?> During the revision process, if you find a paragraph is serving a purpose other than the one its section heading prescribes, move it to where it fits. Alternatively, if a paragraph contains information that seems broadly relevant to a section but does not further the paper’s central argument or purpose, consider cutting it altogether. To recap, paragraphs are important and meaningful to readers. Effective paragraphs are unified, in that they elaborate a single point and serve a single purpose to the text as a whole. But (and this is what the following section discusses in detail) effective paragraphs are also internally well-structured. Structuring Paragraphs If the purpose of a paragraph is to convey a single point to readers, then an ideal structure would be one in which this point is prominently placed. This leaves two ideal placements for the “point”: the top of the paragraph - “point-first paragraphs” - or the end of the paragraph - “point-last paragraphs” (Williams 1990). When readers read, they look to the beginnings of paragraphs (as well as the beginnings of sentences and sections and whole papers) for priming or framing information, or information that will help them make sense of the details to follow (Gopan and Swan 1990; Yellowlees and Grant 2018). Hence, the renowned efficacy of introductions and titles. Similarly, readers look to the ends of paragraphs (and, again, the ends of sentences and sections and whole papers) for resolution, or for information that might help them make sense of or synthesize what they have just read (Gopan and Swan 1990; Yellowlees and Grant 2018). Hence, the renowned efficacy of conclusions. Both point-first paragraphs and point-last paragraphs take advantage of these reading habits, although to different effect. Point-first paragraphs The most common paragraph structure - and the structure you should employ in 70-80% of your writing - is the Topic Sentence-Development structure (Schimel 2012). These paragraphs open with a topic sentence (or a series of topic sentences) that announces their central point, which the following sentences then develop and support in more detail. If a paper were written entirely in Topic Sentence-Development paragraphs, readers could skim the paper quickly and, reading only topic sentences, still take away the essence of the paper. In the following examples, the topic sentences are bolded. Example 1 We conclude that the increase of the diurnal temperature range [DTR] over the United States during the three-day grounding period of 11-14 September 2001 cannot be attributed to the absence of contrails. While missing contrails may have affected the DTR, their impact is probably too small to 1.4 Sprache 215 <?page no="216"?> 63 G.P. Yang Hong, P. Minnis, Y. X. Hu, and G. North, “Do Contrails Significantly Reduce Daily Temperature Range? ” Geophysical Research Letters 35 (2008): L23815. Quoted in Schimel 2012, p. 106. 64 G.W. Hitt, R.G.T. Zegers, S. M. Austin, D. Bazin, A. Grade, D. Galaviz, C. J. Guess, M. Horoi, M. E. Howard, W.D.M. Rae, Y. Shimbara, E.E. Smith, and C. Tur, “Gamow-Teller Transitions to Cu Measured with the Zn(t,He) Reaction,” (2009). Quoted in Schimel 2012, p.-105. detect with statistical significance. The variations in high cloud cover, including contrails and contrail-induced cirrus clouds, contribute weakly to the changes in the diurnal temperature range, which is governed primarily by lower altitude clouds, winds, and humidity. 63 In the above example, the topic sentence states a conclusion. The following sentences develop this position by justifying it and dismissing possible alternatives. Example 2 Neither calculation reproduces the experimental strength distribution. The distribution for GXPF1A is closer to the data, but it pushes strength up too high in excitation energy. An even more dramatic increase occurs for the calculation with KB3G, although the strength integrated up to 7.5 MeV reproduces the experimental value quite well. The summed B(GT) strength up to Ex = 7.5 MeV (a total of 48 states) for the KB3G interaction is SB(GT)KB3G = 2.02 (with a further 10 % of that value located at energies up to 10.3 MeV) compared to the experimental value of 1.95 ± 0.14 up to that of excitation energy. The summed strength up to Ex = 7.5 MeV with the GXPF1A interaction is SB(GT) GXPF1A = 2.65. A further 8 % of that value is located at higher excitation energies, fragmented over many weak states. 64 In this example, the topic sentence summarizes a result of the author’s research, which the subsequent sentences develop with further details. As this example shows, the Topic Sentence-Development paragraph structure is well suited to exposition and descrip‐ tion, making it an effective choice for the methods and results sections of scientific papers. Point-last paragraphs There are times when the central point you want to make is too complex, controversial, or unfamiliar to open a paragraph with. In these cases, you may want to build up to the paragraph’s point, elaborating various details before ending the paragraph with a satisfying resolution for the reader. These are point-last paragraphs, and there are two basic kinds: Topic Sentence-Development-Resolution (Schimel 2012) and Issue-Development-Resolution (Greene 2013). Like the Topic Sentence-Development structure, Topic Sentence-Development-Re‐ solution paragraphs open with a clear statement, usually an argument, that frames 216 1.4 Sprache <?page no="217"?> 65 T.L. Holbrook, M.R. Galarneau, J.L. Dye, K. Quinn, and A.L. Dougherty, “Morphine Use after Combat Injury in Iraq and Post-Traumatic Stress Disorder,” New England Journal of Medicine 362 (2010): 110-17. Quoted in Schimel 2012, p.-107-8. the information to follow. Rather than merely justifying or elaborating this statement, however, these paragraphs evolve or complicate this opening claim in their develop‐ ment. The concluding sentence(s) then resolves this development or complication in a satisfying synthesis of the paragraph’s main point. These paragraphs open and end strong, but they place their emphasis at the conclusion - hence, “point-last.” In the following example, the topic sentence is bolded, and the resolution is bolded and italicized. Example 3 Although much of the research in the field of pharmacotherapy for the secondary prevention of PTSD after trauma is speculative, there is theore‐ tical evidence that early use of anti-anxiety agents can be effective. Pitman and Delahanty argued that pharmacotherapeutic interventions for the prevention of PTSD will be most effective if medication regimens are implemented after exposure to traumatic events. Morgan and colleagues and other investigators have hypothesized that opiates may interfere with or prevent memory consolidation through a beta-adrenergic mechanism. This theory also lends support to the idea that morphine and other opiates may prove effective in the secondary prevention of PTSD after trauma. 65 This paragraph opens with a broad argument about the theoretical efficacy of anti-an‐ xiety agents for treating PTSD in a topic sentence, which it then supports and narrows with a discussion of the literature (development). The final sentence is a resolution in that it presents an evolved and refined version of the opening claim and synthesizes key information from the discussion. Issue-Development-Resolution paragraphs likewise end strong on their main point, but their opening sentences merely frame an issue, rather than presenting an argument. This issue primes the reader for what comes next, but it does not present its main argumentative point. In the following examples, the issue is bolded, and the resolution is bolded and italicized. Example 4 We initially hypothesized that TRIM 5α functioned as a cofactor necessary for capsid uncoating. However, subsequent findings argued against this hypothesis. First, knocking down human TRIM 5α showed no effects on HIV-1 replication in human cells. Second, rodent cells, which do not express TRIM 5α , 1.4 Sprache 217 <?page no="218"?> 66 Stremllau, M. “Why Old-World Monkeys are Resistant to HIV-1.” Science 318 (2007): 1565-1566. Quoted in Greene, p.-68. 67 Stremllau, M. “Why Old-World Monkeys are Resistant to HIV-1.” Science 318 (2007): 1565-1566. Quoted in Greene, p.-69. supported HIV-I infection if engineered to express an appropriate receptor. Finally, human TRIM 5α does not associate with the HIV-1 capsid in biochemical assays. Thus, TRIM 5α appeared to have evolved primarily as an inhibitory factor aimed at thwarting viral replication, rather than a host factor co-opted by HIV-1 to promote infection. 66 This paragraph opens with a hypothesis, but then immediately dismisses it (issue). As a result, the reader has information that helps her make sense of the paragraph’s subsequent details (she knows that the hypothesis was dismissed, and is expecting to find out why), but she does not yet know its main point (what hypothesis the findings did confirm). The final sentence summarizes the authors’ conclusions in a satisfying resolution. Example 5 Does TRIM 5α have the ability to block infection by other retroviruses? We found that TRIM 5α from various Old World monkey species conferred potent resistance to HIV-1, but not SIV. New World monkey TRIM 5α proteins, in contrast, blocked SIV but not HIV-1 infection. Human TRIM 5α inhabited N-MLV and EIAV replication. Thus, the variation among TRIM 5 orthologs accounts for the observed patterns of post-entry blocks to retroviral replication among primate species. 67 In this example, the authors open with a question-as-issue. This effectively frames the reader’s expectations for the rest of the paragraph (an answer to the question), which are fulfilled in the paragraph’s development - but it does not answer it in the opening, and thus it does not resolve. The resolution comes when the authors explain what the details presented in the paragraph mean in the final sentence. Point-last paragraphs are not as common as point-first paragraphs because of their relative complexity, but they are effective when used in the right places. Because this paragraph structure opens with the familiar and ends on a resolution, it is a useful pattern to deploy in the introduction to your paper (or in introductions to individual sections), your conclusion (or in conclusions to individual sections), or at key tran‐ sition points in your paper between sections or parts of your argument (Schimel 2012). 218 1.4 Sprache <?page no="219"?> Signposting: Guiding your reader You can also greatly ease readers’ comprehension of and progress through your text by signposting, or explicitly indicating to readers a text’s structure and how ideas or sections within a text relate to one another. There are three main types of signposting: headings, metacommentary, and linking words and phrases. It is easy enough to understand how headings and sub-headings guide a reader through a text. Consider how the headings for this chapter allow you to quickly skim its content and jump to the sections you find most relevant. Academic readers pretty much only read this way because of the sheer volume of reading that they need to accomplish day-to-day. When writing your own texts, carefully consider your title and possible sub-headings in addition to the standard “Introduction,” “Methods,” “Results,” and so on. Metacommentary happens when writers reference or comment on what they are doing as the writer of the text (i.e., when they write about writing, hence the “meta” in metacommentary), or when they explicitly direct or address readers. While you do not want to overuse it, metacommentary can help you emphasize a key point or frame an idea. Consider how the following examples set up the reader to understand the information that follows the commentary in a specific way: ● We argue / contend / conclude / surmise / accept … ● These data may indicate … ● To clarify, this means that … ● In short… / in sum … ● It is critical to point out that … Metacommentary can also be used to indicate structure in the body of the text or to refer or connect to other ideas in the text. For example: ● This paper is structured as follows. First … second … third … finally, … ● As previously discussed / mentioned / noted, … ● … We will return to this point in more detail in X section. ● At this point, we can return to [question] raised in the introduction … Finally, linking words and phrases are key to writing cohesive texts because they signal to readers how concepts or ideas within and between sentences are related. Below is a (by no means all-inclusive) table of linking words and phrases, and the kinds of relationships they indicate. 1.4 Sprache 219 <?page no="220"?> To make an ad‐ dition also and besides not only…, but also … furthermore in addition in fact indeed moreover so too To elaborate actually by extension in short beyond that is in other words what is more essentially to put it bluntly to put it succinctly ultimately To provide an example for example as an illustration consider for instance specifically in the case of to take a case in point in particular To indicate cause and effect accordingly as a result (of) consequently hence it follows, then since so then therefore thus due to because (of) To make a com‐ parison along the same lines in the same way compared to likewise similarly as well as just as To contrast ideas although but by/ in contrast conversely despite still rather (than) even though however nevertheless nonetheless on the contrary instead of on the other hand regardless whereas while yet - To concede or qualify a point admittedly granted naturally even though at the very least to the extent that I concede that of course although insofar as in spite of supposing that although it is true that to be sure despite seemingly provided that To conclude as a result consequently hence in conclusion to summarize in short in sum, then it follows, then so finally therefore thus to sum up ultimately 220 1.4 Sprache <?page no="221"?> Tip: Once students learn about metacommentary and how to employ it, they often overuse it. Overusing metacommentary leads to frustratingly stilted texts and saps the potential of these phrases to meaningfully guide the reader; once a reader reads one too many “In this section, I will …”, they simply ignore them. Signposts indicating structure are helpful near the end of the introduction to create a “road map” for readers or at the beginning of a new section that needs a transition or a stronger connection to previous sections; it is certainly not necessary to signpost every paragraph, or to include metacommentary in every sentence. Read like a writer: Joining your discourse community The form that a given scientific text takes - its genre, or the package of conventions determining a text’s structure, argumentative approach, tone, citational practices, and linguistic features - represents the cumulative solutions of a community of scientific writers, or discipline, solving the shared problem of how to communicate clearly with one another. (Genres of the natural sciences that students typically writer might include lab reports, research reports, summary, abstract, case study, empirical research design report etc.; professional scientists might write presentations for conferences, journal articles, monographs etc.) In other words, different genres serve different communicative purposes or goals shared by a community of writers or a discipline. Because sets of writing conventions (genres) serve the shared communicative purposes of a given community, they can vary widely from one academic discipline to the next. Disciplines constitute their own social context within the broader social context of English academic writing. In his book Disciplinary Discourses (2004), linguist Ken Hyland describes disciplines as “academic tribes,” each with its own norms, specialized vocabulary, bodies of knowledge, sets of conventions, and modes of inquiry (8). All of this shapes how academics within disciplines communicate with one another - they engage a kind of insider language, full of short-cuts, specialized words, obscure references, and rhetorical strategies tailored to the discipline. Because this insider language, or discourse, is a defining feature of academic disciplines, we refer to them as discourse communities. Learning to write well requires assimilation to your own discourse community, or “tribe,” and its language and genre conventions. This chapter has given you a place to start by introducing you to trans-disciplinary conventions of English academic writing, but if you want to write like members of a particular discourse community (and thus belong to it), you will need to take an active role in learning how this discourse community communicates. How do you do this? By analyzing the genres and their attendant rhetorical and linguistic features of your own discipline. Below you will find a guide to conducting your own genre analysis. I recommend selecting published texts to analyze (from prominent journals or publishers - do not analyze texts of questionable origin or suspect journals), or student 1.4 Sprache 221 <?page no="222"?> texts published in graduate student journals or from peers that you know to be of exemplary quality (papers that received a 1,0, for example). Purpose Which genre does the text belong to? What purpose(s) does this genre fulfill for writers and readers? What is the purpose of the text and where is it stated? Audience Who is the text written for? How is this indicated? What is the audience expected to know or believe? Does the author directly address their audience? Structure: Introduction Can you identify the typical rhetorical moves in the introduction? Does it follow the standard pattern, or does it diverge from it? Did the author include any additional elements or diverge from the standard pattern in a way you found effective? Structure: Body How is the text organized, and how is that structure indicated to readers? If the text is a research report or journal article, does the author follow the IMRaD structure? How does the writer supplement or diverge from this structure? Paragraphing Does the text follow the one idea/ one paragraph convention? If it does not, why do you think that is? How does the author indicate each paragraph’s purpose to the reader? Where are point-first paragraphs found? Where are point-last paragraphs found? Do you notice any other paragraph patterns? Where are they used and why do you think they are used here? Argumentation and Evidence What kind of evidence is the text presenting? How are data and evidence presented? How are key terms established? Where are they defined? How are claims and assertions stated? How are they qualified? Does the author address the limitations of their research? How? Authorial voice How does the author express certainty/ uncertainty in their conclusions? Does the author use the first person (e.g., “I” or “we”)? If they do, where do they use it? How does the author guide the reader through the text? Does the author employ metadiscourse? 222 1.4 Sprache <?page no="223"?> How formal or informal is the tone? If there are instances of informality, where do they occur? Does the author use idiomatic expressions? Citation How are sources cited (e.g., footnotes or parenthetical citations)? Do you recognize a specific citation style (e.g., MLA, APA, etc.)? Does the author include explanatory footnotes? What kinds of citation does the author employ (e.g., direct quotation, in-text references, or parenthetical citation) and when do they use each kind? How does the author introduce a source when they are using it to establish background? How does the author introduce a source when they are using it to support their conclusions and arguments? How does the author introduce a source when they are using it to explain a theory or method? What kinds of sources does the author cite? Language characteristics When does the author use active voice? When does the author use passive voice? How long do sentences tend to be? How frequently are discipline-specific words used? Where (if at all) does the author employ a vocabulary suitable for a more general audience? What verb tenses are used, and where are they used? Bibliography C UMMIN G , Alister (2001): „Learning to Write in a Second Language: Two Decades of Research.” In: International Journal of English Studies (Vol. 1, No. 2), pp. 1-23.- D O U G LA S , Yellowlees / G R ANT , Maria (2018): „Writing for Your Reader’s Brain.” In: The Biomedical Writer: What You Need to Succeed in Academic Medicine. Cambridge, pp. 4-24. G O P AN , George / S WAN , Judith (1990): „The Science of Scientific Writing.” In: Ame‐ rican Scientist (Vol. 78), pp. 550-558. G R E E N E , Anne E. (2013): Writing Science in Plain English. Chicago / London. H I R V E LA , Alan / H Y LAND , Ken / M ANCHÓN , Rosa (2016): „Dimensions in L2 writing the‐ ory and research: Learning to write and writing to learn.” In: Manchón, Rosa / Matsuda, Paul Kei (Eds.): Handbook of Second and Foreign Language Writing. Berlin / Boston, pp. 45-64.- H Y LAND , Ken (2004): Disciplinary Discourses: Social Interactions in Academic Writing. Ann Arbor. H Y LAND , Ken (2003): Second Language Writing. Cambridge / New York.- 1.4 Sprache 223 <?page no="224"?> R O CA D E L A R IO S , Julio / N IC O LÁS -C O N E S A , Florentina, C O Y L E , Yvette (2016): „Focus on writers: Processes and strategies.” In: Manchón, Rosa / Matsuda, Paul Kei (Eds.): Handbook of Second and Foreign Language Writing. Berlin / Boston, pp. 267-286.- M ANCHÓN , Rosa / R O CA D E L A R IO S , Julio / M U R P HY , Liz (2009): “The Temporal Di‐ mension and Problem-solving Nature of Foreign Language Composing Processes: Implications for Theory.” In: Manchón, Rosa (Ed.): Writing in Foreign Language Contexts: Learning, Teaching, and Research. Bristol / Buffalo / Toronto, pp. 102-129.- S CHIM E L , Joshua (2012): Writing Science: How to write papers that get cited and proposals that get funded. Oxford / New York. S CHO O N E N , Rob / S N E LLIN G S , Patrick / S T E V E N S ON , Marie / VAN G E LD E R E N , Amos (2009): „Towards a Blueprint of the Foreign Language Writer: The Linguistic and Cognitive Demands of Foreign Language Writing.” In: Manchón, Rosa (Ed.): Writing in Foreign Language Contexts: Learning, Teaching, and Research. Bristol / Buffalo / Toronto, pp. 77-101.- S WA L E S , John (2013): „Create a Research Space (CARS) Model of Research Introductions.” In: Wardle, Elizabeth / Downs, Doug (Eds.): Writing about writing. A college reader. (2 nd ed.). Boston / New York, pp. 12-16. W ILLIAM S , Joseph (1990): Style: Toward Clarity and Grace. Chicago / London. 224 1.4 Sprache <?page no="225"?> 1.4.3 Writing Clear and Concise Sentences in English Lena Krian Choice is at the heart of clear writing, because to meet the needs of the readers, we have to choose between this word and a more exact one, between this order of words and some other that better helps a reader get from the beginning of a sentence to its end without feeling, as one of my teachers said of my writing forty years ago, that she was slogging through a field of wet mud. Joseph M. Williams (2017, 4) As readers of academic texts, we have surely all had this experience of struggling through a piece of academic writing as described in the teacher’s comment above. Sometimes, it can feel as if a text wants to hold you back from making it through it. However, even if the topic of a text is highly complex, there are strategies you can use and choices you can make that will help you produce a more readable text. This chapter will look closely at these seemingly small choices that end up largely improving your reader’s journey through your text. First, I will invite you to think about your reader and adapt your writing to their knowledge about your topic. Second, I will list a few stylistic features that will help you convince your reader and prevent critique. The third section deals with word choices and structural choices in sentences. Lastly, I will offer a few strategies to revise your choices and create a clearer and more concise text. 1 st Decision: Who Is Your Reader? Tip#1 Check Your Register Even if you have never even heard of registers, I promise you, you use them every day. When we speak, we use different registers depending on who we are talking to. You might use a different vocabulary, or even a different sentence structure when you talk to your best friend as opposed to your professor. The same goes for writing: A twitter post will read differently than an article for a scientific journal. When you write academically, be sure to check the register, meaning whether the word you would like to use is typically used in a formal or in more informal settings. In her book on clear scientific writing Anne E. Greene (2013, 7-10) differentiates between four registers: the informal register, the popular register, the conventional register, and the abstract register. To determine whether a word or a whole text belongs to a certain register on this scale from informal to abstract, you will have to consider whether the language is simple and clear, whether words are emotionally charged or more neutral, and 1.4 Sprache 225 <?page no="226"?> whether the author uses a lot of technical terms from their discipline. On the more informal side of the scale, authors will use a more active voice, while authors of abstract texts will use more passive verbs. As a defender of clear scientific writing, Greene (2013, 10) recommends writing in the popular or conventional registers, as both are reader-friendly and generally easier to understand. However, most scientific writers operate in the abstract register. To make this decision consider your audience: ● Who will be reading your text? ● What are their expectations of the text and the language? ● What do they know about your subject? ● What do they know about your discipline? ● Which information will be new to them? If you write a paper for a class, it might not always be possible to have an open conversation with your professor about what register they would like you to use. So, consider writing for a group of peers from your discipline. Think about what they already know and what new knowledge you can contribute. If you are writing for a group of readers - for instance when you are publishing an article in a journal - consider to what degree this group is familiar with the subject of your text (see also Greene 2013, 6-10, Schimel 2012, 40-47, Williams 2017, 3-13). Tip#2: Use the Terms Your Reader Knows A part of the decision about the register is considering whether it makes sense to include technical terms or whether you prefer to rely on simpler terms that are understood by a larger audience. This larger audience may be less familiar with the subject of your text or they may have a different understanding of certain terms because there are multiple definitions of the same term. When you introduce new terminology, stick to it! This may mean that you have to repeat the same word over and over again. Sometimes, it may seem like you are being redundant, but your reader will thank you for being coherent and not having to go back and check whether you are introducing a new concept or whether you are merely using a synonym (see also Schimel 2012, 146-51 on jargon). 2 nd Decision: How Do You Convince Your Reader? Even though scientific writing is meant to be neutral and objective, writers use a variety of stylistic features to convince other academics of their findings and to guard themselves against critique. Here are a few stylistic devices that can help you persuade your reader: Tip#3: Use Hedges and Boosters Wisely Hedges express a degree of uncertainty and imply possible alternatives to the author’s claims (Mautner 2019, 148). Adverbs such as “possibly,” “relatively,” and “perhaps” and verbs like “may” and “might” are examples for hedges. Boosters express more confi‐ 226 1.4 Sprache <?page no="227"?> dence and are used to convince the reader of the author’s position. To boost your position, you can use adverbs such as “undoubtedly,” “certainly,” “indeed,” or verbs like “know,” “suggest,” or “propose.” Balance hedges and boosters carefully since you do not want to sound too uncertain about your claims, but you also do not want to make strong claims that can be negated easily. Especially non-Native speakers tend to overuse adverbs, so consider wisely whether you need to incorporate them. Hedges and boosters tend to be used in the discussion section of a scientific paper because they help you offer an interpretation of your findings (see also Mautner 2019, 146-154 on stylistic features). Tip#4: Use ‘I’ and ‘We’ Strategically There are many opinions about using “I” or “we” in academic texts. Most contemporary writers suggest that it is okay to use first person pronouns, especially if it helps you avoid the passive voice (see below), but there are certainly academics out there who do not agree with this point of view. In their opinion the use of first-person pronouns goes against the idea that scientific writing should be objective and neutral. However, Ken Hyland and Kevin Jiang (in Skern 2019, 44) have shown that first person pronouns have increased in scientific publications in recent years. Therefore, Tim Skern (2019, 44) concludes, “[i]f the writer feels that the clarity of the sentence benefits from ‘I’ or ‘we’, then their use is justified.” There are, indeed, benefits to using “I” or “we”: The first person can highlight your findings and make your text easier to read. Look, for instance at this example from a student essay by Hannah Alpert and Louise Edwards (p.-1): The relationship between the equivalent widths of the Na D and Mg b lines specifically revealed evidence of different star forming histories throughout each BCG [brightest cluster galaxy]. In particular, we determined that there were more recent star formation episodes in the center of many of the BCGs with older stellar populations in the outer regions of the galaxies. The next step of the process is to determine numerical ages and metallicities for the regions of the BCGs, and from these results it will be possible to determine how these most massive galaxies formed. Alpert and Edwards strategically use “we” in this second sentence to emphasize the most important result of their research. The sentence is clear because the subject (we) and the verb (determined) are close together and the authors’ action of interpreting their findings is at the center of the sentence. If you want to use “we” in your text, make sure that the pronoun actually refers to the co-authors of the text. Sometimes other people are involved in the research, for instance when someone merely collects the data but is not actively involved in the writing process. These contributors should not be included in the authorial “we”(Schimel 2012, 136) (see also Schimel 2012, 135-136 on perspective, Mautner 2019, 151-54 on the use of I and we). 1.4 Sprache 227 <?page no="228"?> Tip#5: Use the Passive Voice with Intention While the use of the first-person pronoun is controversial, the question about whether to use the passive voice may be just as widely disputed. Arguably, the passive voice indicates objectivity because it creates distance between the author and their work. For German language speakers, the passive voice may feel natural because the passive voice is ubiquitous in German academic writing. Many writing experts, however, share the opinion that in English the passive voice makes texts harder to read as it hides the subject of the sentence and results in complicated syntax. But in some instances, it may be helpful to choose the passive voice. This has to do with the word order of passive constructions: They foreground the grammatical object of a sentence. When you want to emphasize the object of an action, rather than the subject of an action, then the passive voice is the better choice. (Compare the passive construction, “The data were analyzed according to X procedure,” to the active construction, “We analyzed the data using X procedure.”) In Methods sections it is common to use the passive voice because these sections detail experimental procedure; the focus here should be on experimental materials (objects) and what has been done to them, rather than on the scientists (subjects). In addition, the passive voice is the better stylistic choice for Methods sections because it allows for more variety: If you chose to use the first person in this section, many sentences would start with “I” or “we” and would read like a list. Sometimes, it can also be useful to work with the passive voice because you may, indeed, need to “hide the act[ing person]” as Schimel (2012, 136) puts it. This may be the case if the person acting is not important or you do not know who is acting (see also Greene 2013, 22-28, Schimel 2021, 134-37, Williams, 68-86). 3 rd Decision: Which Word Choices Create a Readable Text? Tip#6: Use Good Dictionaries An ostensibly obvious decision in writing is, of course, the choice of words. Since English has incorporated many loan words into its vocabulary and there are simply a lot of words from which you can choose, this decision-making process can be quite difficult. On a pragmatic level, it is imperative - especially for non-Native speakers - to use a good dictionary and thesaurus. Be sure to use a monolingual English dictionary in addition to the thesaurus to make sure that the word you find in the thesaurus is describing what you want to say. Sometimes, it may seem like words are synonymous but rarely do two words mean exactly the same thing. Be sure to use the thesaurus very carefully! Even though a thesaurus is great for finding words that were not on your radar, these words do not necessarily make your text comprehensible for your reader. Tip#7: Use Short Words It can be tempting to use a lot of long, abstract, and ornate terms to sound intelligent and complex. But, this type of language can make a text obscure and it can almost have the effect of hiding the ideas behind the construct of language. Therefore, most 228 1.4 Sprache <?page no="229"?> complex words can be replaced by simpler and shorter words. This does not mean that you need to use solely simple terms, but make sure to ask yourself if a word will give your writing more precision, clarity, and variety or if a simpler word suffices. Words that seem more elaborate are typically loan words from Latin and French, whereas words with Anglo-Saxon roots tend to be shorter and sound more casual (Greene 2013, 30, Schimel 2012, 151). To find out about a word’s origin you can consult a good monolingual dictionary (see also Greene 2013, 30-32, Schimel 2012, 151-153). Long words Short words implement put adhere stick utilize use ascertain find initiate start investigations work suvsequent next (Greene 2013: 30) Tip#8: Avoid Forms of “to be” and “have” In addition to using common verbs, make sure to choose verbs that describe the sub‐ ject’s action well. As Greene (2013, 17) argues, “to be” and “have” are particularly “weak verbs.” So, unless you need a form of “to be” or “have” for certain grammatical tenses or you use “be” as part of a definition, try and find strong verbs that describe the subject’s action to replace them. Tip#9: Use Clear References Often, unclear writing results from using pronouns without a clear reference. This oversight happens even to the most experienced writers. Most commonly “this” and “it” are used without a clear link to a previous idea and the reader is left to infer connections between concepts and sentences. Obviously, it would be better to avoid handing this riddle off to the reader. Readers might make false assumptions, or they may get frustrated with the text and give up on it altogether. An easy way to prevent this problem is to follow every “this” with a noun and replace “it” with a noun. Consider the following example from a student essay by Dakota E. McCoy (p.-15): The time delay level to which the octopuses advance, and their overall percentage of delay trials selected, will be compared to Testing 1 to see if the presence of toys improves their ability to delay gratification. Since two control octopuses will not undergo this phase of training, but will instead repeat Training 1, the progress in delay of gratification abilities 1.4 Sprache 229 <?page no="230"?> can be compared to the natural progress of an octopus not exposed to the potential coping mechanism of toys. Had McCoy not chosen to add “phase of training” to the pronoun “this” in the first part of the second sentence, readers would probably stumble over this pronoun use. When there is no direct connection between the pronoun and its reference, readers must go back and re-read the first sentence in order to infer the meaning of an isolated “this.” By adding the reference to the pronouns McCoy guides the reader through the text. Tip#10: Replace Prepositional Phrases When You Can The smallest words can make a text seem clunky and wordy and impenetrable for your reader. This is true for prepositions (e.g., of, to, for, with, …), which are often used to connect objects with a modifier and can make it hard for the reader to navigate a text (Schimel 2012, 153). Schimel (2012, 153) suggests that you turn these types of propositional phrases into compounds. For instance, the prepositional phrase “parts of a plant” can be reworded as “plant parts.” However, if this strategy leaves you with highly complex compounds, it is better to keep the prepositional phrase or to reword the sentence altogether. Schimel (2012, 153) suggests that a text with compounds of two and sometimes three is usually accessible, however, compounds that consist of more than three nouns tend to be difficult to understand. Greene (2013, 35) notes, long compounds “are difficult for readers because they don’t know which word in the string is important.” Thus, if your reader will know the concept behind the compound, feel free to use it. But if the compound is probably unfamiliar to your reader and it is too long, revise it and focus on the parts of the compound that are most important in your revision (Greene 2013, 35). 4 th Decision: Which Sentence Choices Create a Readable Text? Tip#11: Position Subject and Verb Closely Together The structure of a sentence is, of course, essential for the reader’s understanding of your text. Because readers try and find a connection between the subject and the verb, you can create more clarity for your reader if you position subject and verb as closely together as possible (Greene 2013, 19). Consider the long gap between the subject (Part of our evidence) and the verb (was obtained) in the following example from Greene’s writing guide (2013, 19): “Part of our evidence establishing that the p65 product was derived from uncleaved FAT1 and not from the further proteolytic processing of the cleaved FAT1 heterodimer was obtained by the use of the furin-defective LoVo cells.” Surely, you were trying to find the connection between the subject and the verb, which might have made it difficult to get through the sentence. Now, look at Greene’s (2013, 20) revised version of the sentence: “We established that the p65 product was not derived from the further proteolytic processing of cleaved FAT1 heterodimer. Instead, by using furin-defective LoVo cells, we discovered that p65 was derived from uncleaved FAT1.” Greene separates the sentence into two sentences 230 1.4 Sprache <?page no="231"?> and in both sentences she introduces the subject “we” and immediately follows them with verbs (“established” and “discovered”). This revision makes the results, namely the “derivations of p65,” much clearer (Greene 2013, 20). Tip#12: Put New Information at the End of a Sentence Readers often skim over the beginning of a sentence to figure out what the topic is and look for new information towards the end of the sentence. Therefore, write your sentence according to this habit and put information that you have introduced before in the beginning of the sentence, while putting new information and concepts you would like to emphasize at the end of the sentence. This way, you guide your reader through the information in your text. In the following example from a student paper, Emma Heal leads her reader through her paragraph by placing old information in the beginning and new information at the end of her sentences (p.-4): While we will touch upon the genetic foundation for amyloid-β formation - specifically the role of the amyloid precursor protein (APP) gene - we will focus primarily on physiological trade-offs. Two types of trade-offs are particularly important to our discussion of Alzhei‐ mer’s: antagonistic pleiotropies and costs of defense. An antagonistic pleiotropy - first identified by George Williams in 1957 - describes a phenomenon where one gene controls multiple traits that affect fitness oppositely at different stages in life. Pleiotropies often manifest as fitness benefits early in life that are associated with costs later in life because the young within a population are more likely to reproduce than the elderly, thus selection - which acts to maximize reproductive fitness - is strongest upon traits that appear in early life. Heal has already introduced amyloid-β earlier in the paper so she positions it in the beginning of the first sentence as a piece of old information. The sentence ends with “trade-offs” - a new idea that immediately gains emphasis through its position at the end of the sentence. Now that the reader is familiar with the idea of trade-offs, Heal can place it in the beginning of the next sentence and introduce a new term, “antagonistic pleiotropies,” at the end of the sentence. After mentioning antagonistic pleiotropies once, the term has again become familiar to the reader and she can put it in the beginning of the next two sentences (see also Greene 2013, 52-59, Schimel 2021, 112, Williams, 97-117). Tip#13: Vary the Sentence Length There is no clear answer to the question of how long English sentences should be. Ideally, sentences vary in length as a string of short sentences will sound choppy, and numerous long and complex sentences can overburden your reader. If you want to emphasize a sentence, for instance the topic sentence of your paragraph, shorten it (Mautner 2019, 115). Look at how Heal (p. 4) uses a short sentence at the start of a paragraph to highlight the sentence’s function as the topic sentence: “Alzheimer’s may also be considered an exaggerated cost of defense. In evolutionary biology, researchers agree that evolution tolerates large fitness costs if they are associated with large 1.4 Sprache 231 <?page no="232"?> Kap.-1.3.5 Kap.-1.4.2 benefits, especially if a system is crucial to survival or reproduction. A growing body of research on inflammation and Alzheimer’s suggests that the disease may be a cost of the innate immune system.” Tip#14: Reconsider Your Decisions Clear writing, especially in the sciences, is condensed. After writing your first draft, make sure you “shake off the dead leaves,” as Roy Peter Clark (in Schimel 2012, 160) suggests. This process of decluttering will mostly involve deleting words, rewriting phrases, and substituting words. To check the style of your writing, I recommend reading your paper aloud and marking the sections where you stumbled over your own words. Most likely, these are sections that could be revised for clarity; perhaps a sentence is too long, the verb might be too far away from the subject, or your word choices are too complex. Moreover, a lot of decluttering can be done by focusing on the subject and the verb of the sentence, as well as on prepositional phrases. You can do so by going through each sentence individually and circling each preposition, putting a box around each verb, and underlining the subject of the sentence. Now, consider the following questions for your revision: ● Is there a way to reword the prepositional phrase around the preposition you circled (perhaps, by turning the phrase into a compound)? ● Can you put subject and verb closer together? ● Is there a form of “to be” or “have” that could be replaced with a stronger verb? ● Is the verb in the passive voice? Is there a good reason for that choice or would the sentence be clearer if you used the active voice? ● Where did you position the subject of the sentence? Does the position correspond to the position of old and new information in a sentence? These questions should give you ample opportunity to revise and rewrite your text (see also Lanham 2007, 1-8). However, the tips in this chapter are just a first point of de‐ parture and they are by no means complete. For more information on the revision process, a good starting point is chapter 1.3.5 in this book. Moreover, to structure your English text carefully, consult chapter 1.4.2. For more information on English writing in the Sciences check out the references in the bibliography. Bibliography G R A F F , G. / B I R K E N S T E I N , C. (2018): "They say, I say": The Moves That Matter in Academic Writing. New York. G L A S M A N -D E A L , Hilary (2010): Science Research Writing: A Guide for Non-Native Speakers of English. London. G R E E N E , Anne E. (2013): Writing science in plain English. Chicago. L A N H A M , Richard A. (2007): Revising Prose. New York. M A U T N E R , Gerline (2019): Wissenschaftliches Englisch: Stilsicher schreiben in Studium und Wis‐ senschaft. München. 232 1.4 Sprache <?page no="233"?> S C H I M E L , Joschua (2012): Writing science: How to Write Papers that Get Cited and Proposals that Get Funded. Oxford. S K E R N , Tim (2019): Writing Scientific English: A Workbook. Wien. S T R U N K , William / White, E. B. (2009): The Elements of Style. New York. W I L L IA M S , Joseph (2017): -Style: Lessons in Clarity and Grace. Boston. Z I N S S E R , W. (1994): -On writing Well: An Informal Guide to Writing Nonfiction.- New York. Student Examples H E A L , Emma: Antimicrobial Amyloid-β: The Antagonistic Pleiotropy between Innate Immunity and Alzheimer’s Disease. Yale University, viewed 10 September 2021, Verfügbar unter: https: / / yal econnect.yale.edu/ get_file? pid=3d19fccc5237ea2855e68ffafd576236ccef24ea1024b8c2b856df1 adc73fcdd&gt; A L P E R T , Hannah / E D W A R D S , Louise: Determining the Ages, Metallicities, and Star Formation Rates of Brightest Cluster. Yale University, viewed 10 September 2021, Verfügbar unter: https: / / yalec onnect.yale.edu/ get_file? pid=723822eb1e795ee59d84473aac31392387f4beca3e5234171494596 0caa1242 M C C O Y , Dakota E.: Do Octopuses Think Like Vertebrates? A New Comparative Test. Yale University, viewed 10 September 2021, Verfügbar unter: https: / / yaleconnect.yale.edu/ get_file? eid=4c8ec dbe3f6c8c3ce377e8b81f6e339f 1.4 Sprache 233 <?page no="234"?> 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 1.5.1 Laborbuch-Schreiben: analog und digital Laborbuch führen im Studium und akademischen Umfeld Bianca Bertulat und Lars Dietzel Was ist ein Laborbuch und wozu eigentlich ein Laborbuch schreiben? Ein Laborbuch (auch Laborjournal oder Labbook genannt) dokumentiert nachvoll‐ ziehbar alle Schritte eines wissenschaftlichen Projekts bzw. Experimentes, inklusive Planung, Durchführung, Resultate und abgeleiteter Schlüsse. Auf diese Weise werden erzielte Ergebnisse nicht nur festgehalten, sondern auch reproduzierbar gemacht. Die dazu notwendige Genauigkeit, Sorgfalt und Redlichkeit sind Kernelemente guter wissenschaftlicher Praxis, die u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kodifiziert wurden (DFG, 2019). Diese Regeln und Standards gelten sowohl für analoge Daten auf Papier, als auch für digitales Datenmaterial (z. B. Messdaten, Bilder, Meta‐ daten). Neben den Leitlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis gibt es auch einen gesetz‐ lichen Rahmen, der Forschende zur Dokumentation Ihrer (Labor-)Arbeit verpflichtet. Dazu gehören die „Good Laboratory Practice“-Regeln (GLP) der OECD, internationale Industriestandards und Normen (z. B. ISO- und DIN-Normen) sowie in Deutschland das Chemikalien- und Gentechnikgesetz und weitere Verordnungen mit Gesetzescha‐ rakter. Ein Laborbuch ist also deutlich mehr als eine Sammlung von Notizen. Es handelt sich um ein rechtsgültiges Dokument, mit dem im Zweifels- oder Streitfall Patent‐ ansprüche oder die Richtigkeit publizierter Daten in Artikeln oder Abschlussarbeiten belegt werden. Außerdem ermöglicht ein gut geführtes Laborbuch, dass Experimente bzw. Teilprojekte auch im Urlaubs-, Krankheits- oder Todesfall von Forschenden abgeschlossen bzw. an andere Kolleg: innen übergeben werden können. Auf diese Weise trägt das Laborbuch einen wichtigen Teil zur Qualitätssicherung und Transparenz von Forschung bei. Daher gelten für die Laborbuchführung bestimmte Standards - auf Papier und für das digitale Format -, die je nach Arbeitsumfeld unterschiedlich streng befolgt werden müssen. Relativ streng und reglementiert werden Laborbücher in der Industrie- und Auf‐ tragsforschung geführt. In diesem Umfeld ist es üblich, am Ende eines Experimentes oder Arbeitstages die Vollständigkeit bzw. Richtigkeit des Laborbucheintrages mit der eigenen Unterschrift zu bestätigen und von Zeug: innen und/ oder Vorgesetzten gegenzeichnen zu lassen. Zusätzlich kann das Laborbuch außerhalb der Arbeitszeiten unter Verschluss sein. Im akademischen Forschungsumfeld (z. B. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen) gelten oft weniger strenge, allerdings ebenso verbindliche <?page no="235"?> Regeln. Beispielsweise ist es in universitären Arbeitsgruppen unüblich, das Labor‐ buch täglich abzuzeichnen, doch i. d. R. darf das Laborbuch das Labor nicht ohne Einverständnis der Laborleitung verlassen und sollte den (tages-)aktuellen Arbeitstand widerspiegeln. Je nach Arbeitsgruppe kann das stichprobenhaft oder regelmäßig von Betreuer: innen bzw. Projekt-/ Laborleitung kontrolliert werden. Sowohl im Industrieals auch im akademischen Umfeld hat das Nicht-Einhalten von Regeln der Laborbuchführung Konsequenzen, die je nach Verstoß von Laborverbot (z. B. das Laborbuch ist nicht aktuell, die Aufzeichnung von Tagen und Wochen fehlen) bis hin zu fristloser Kündigung und Strafverfolgung reichen können (z. B. bei Fälschung von Einträgen, Herausreißen von Seiten, Vertuschung und Unterschlagung). In den folgenden Abschnitten beschreiben wir inhaltliche (was muss notiert werden) und formale Aspekte (wie und womit genau) der Laborbuchführung und bemühen uns, sowohl die klassisch-analoge (Stift und Papier) sowie die digitale Laborbuchfüh‐ rung (Electronic Laboratory Notebook, ELN) umfänglich abzuhandeln. Diese recht überschaubare Aufgabe wurde für uns zur echten Herausforderung, denn Laborbuch‐ führung, Projekt- und Forschungsdatenmanagement sind extrem stark verzahnt und entwickeln sich ständig weiter. Zudem lässt sich die Organisation von Experimenten, Daten und Proben im „wirklichen“ Labor kaum von der Laborbuchführung trennen. Wenn Sie also den folgenden Text lesen, bitte mit folgenden Einschränkungen: 1. Wir konzentieren uns auf Laborbücher im akademischen Umfeld (Hochschu‐ len und außeruniversitätre Forschungseinrichtungen). 2. Wir beschäftigen uns nur mit der unmittelbaren Laborbuchführung, nicht mit Labor- oder Projektorganisation. 3. Regeln und Standards können sich ändern. Ungeachtet dieser Einschränkungen sind wir überzeugt, dass der Grundgedanke der Laborbuchführung weiterhin Bestand haben wird. Daher beginnen wir zunächst mit den grundlegenden Dingen (was muss ich notieren) und arbeiten uns dann zu den Merkmalen von analoger und digitaler Laborbuchführung vor. Merke: Egal in welchem Arbeitsumfeld ein Laborbuch geführt wird, es gilt derselbe Grundgedanke und Anspruch: Ein gut geführtes Laborbuch muss es jeder fachkundigen Person ermöglichen, ein Experiment nachzuvollziehen (sowohl theoretisch als auch praktisch). Die im Laborbuch dokumentierten Ergebnisse und Schlussfolgerungen (u. a. Rechnungen) müssen anhand der dokumentierten Einträge unter den gleichen Bedingungen reproduzierbar sein. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 235 <?page no="236"?> Was muss in einem Laborbuch notiert werden? Diese Frage ist leicht und schwer zugleich. Die einfachste Antwort wäre: Alle Infor‐ mationen, die Nachvollziehbarkeit und Reproduktion der Ergebnisse nach Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis gewährleisten. Doch was so einfach klingt ist tatsächlich kompliziert, denn wieviele Informationen in welchem Detailgrad zur Nachvollziehbarkeit und Reproduktion von Ergebnissen nötig sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Ein Beispiel: Ich inkubiere eine Probe bei 37 °C - auf dem ersten Blick scheint diese Angabe ausreichend, um den Versuch nachzuvollziehen. Es macht jedoch einen großen Unterscheid, ob ich bei 37 °C in einem Brutschrank, in einem Wasserbad, in einem Heizblock oder in der Hosentasche inkubiere. Diese Information kann für die Reproduzierbarkeit meiner Ergebnisse entscheidend sein. Undokumentiert kann dieses Wissen verloren gehen (z. B. wenn ich Urlaub mache und nicht erreichbar bin). Dann könnte mein: e Projektnachfolger: in evtl. vor unerwarteten Schwierigkeiten stehen, wenn plötzlich mit dem Wärmeschrank andere Ergebnisse auftreten, als bei meinem Experiment mit undokumentierten Wasserbadeinsatz. Das Beispiel zeigt, dass die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis (Nachvollziehbarkeit, Redlichkeit, Reproduzierbarkeit) einen guten Laborbucheintrag schnell sehr umfänglich werden lassen, wobei der Detailgrad mit der Erfahrung der Forschenden korreliert. Außerdem wird deutlich, dass Sie beim Verfassen Ihres Laborbucheintrags nicht Ihr eigenes Vorwissen voraussetzen dürfen. Merke: Sie schreiben das Laborbuch nicht für sich, sondern für eine Person, die Ihre Arbeit - evtl. erst in Jahren - nachvollziehen will, Sie aber nicht mehr direkt fragen kann. Daher schließt „Nachvollziehbarkeit“ auch Ihre Beweggründe, den Versuchsaufbau, Messungen, Proben - kurz: alle Materialien und Geräte(einstel‐ lungen) im Labor ein, die Sie benutzen. Notieren Sie im Zweifelsfall also lieber mehr Informationen, damit Ihre Aufzeichnungen tatsächlich zu reproduzierbaren Resultaten führen. Beim Laborbuchschreiben gibt es einige essenzielle Minimal-Informationen, die wir in der Liste „Minimal-Informationen eines Laborbucheintrags“ zusammenfassen und in Abb. 1.5.1 und 1.5.2 exemplarisch für ein analoges Laborbuch zeigen. 236 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="237"?> A A C D E E F B G G B B Abb. 1.5.1: Beispiel für die Einteilung einer Laborbuchdoppelseite. (A) Seitenzahl, (B) Aktuelles Datum des Eintrages (wenigstens einmal pro Seite), (C) Projektname, bzw. aussagekräftige Überschrift. (D) Kurze Beschreibung des Versuchs, inklusive Arbeitshypothese und Kontext, evtl. auch formulierte Erwartung. (E) Genaue stichpunktartige Dokumentation der Versuchsdurchführung, inkl. Angaben zu verwendeten Geräteeinstellungen, Reagenzien, Chemikalien usw. (F) Dokumentation der Versuchsbe‐ obachtung bzw. Versuchsauswertung. (G) Platz für Querverweise, Notizen und Korrekturen. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 237 <?page no="238"?> AIM of Experiment: obseration of human chromosomes with fluorescent microscopy. (see course manual Cell Biology, p.10) STRATEGY: Human cervix carcinoma cells (HeLA) are arrested in M-Phase using Colcemid. Chromosomes are subsequently prepared and DAPI stained for fluorescentce mic roscopy. Spreading HeLA cells & DAPI staining A) Metaphases C) DAPI & microscopy B) Spreading Practical training in Cell Biology: Experiment 3 - PREPARATION of METAPHASE CHROMOSOMES Workfow A1) cuture HeLa under standard conditions in DMEM+ 10% FCS, p100 dish and treat 10 ml culture with 100 µl Colcemid (stock at 4°C, 10 µg/ ml, Roche) over night. --> performed by labtechnician yesterday A2) TRYPSIN-TREATMENT of HELA cell cultures: 1) collect colcemid medium and keep it 2) wash 1x with PBS/ EDTA, 10 ml, very gently (! ), discard PBS 3) appyl 500 µl trypsin stock solution, incubate at RTfor 2-4 min, controll cell deattachment by microscopy, gently enhance deattachement by tapping 4) Stop trysin reaction by adding collcected colcemid medium 5) HARVEST CELLS: transfer cell suspention into 15 ml tube and 300 xg, RT, 5 min. 6) discard supernatant, add 5 ml 75 mM KC (DROPWISE ! ! ) while vortexing 7) incubate 30-40 min, RT (w/ o shaking), 300 xg, Rt, 5 min, discard supernatant but leave about 1 ml fluid above cell pellet. 8) FIXING [supernatent is toxic organic waste! ] in ice-cold Methanol: Acetic Acid (3: 1), put sample on ice and add dropwise fixative up to 5 ml, fill up to 20 ml, incubate on ice for 10 min 9) 300 xg, at RT, 10 min , gently remove supernatant (organic waste! ), and resuspend pellet in 10 ml ice-cold fixaive 10) repeat 3 times and store ON at -20°C --> PROBE LABEL: 09.Dec08-HeLa-01-MetAc, cell bio exp 3 --> Location: freezer 01, RackL, Box CContinue tomorrow with step (B) Spreading Name & Signature: Supervisor Name & Signature: A) Preparation of metaphases (start protovoll at step A2) RESULT / OBSERVATION (A): Colcemid induced cell cycle arrest should result in a Hela cell culture, enriched in mitotic cells. After creating a cell suspention by trypsin treatment, cell membranes are compromised by KCl and fixative treatment. Fixing cells in ice-cold methanol: acidic acid followed by centrifugation results in a compact and sticky pellet, that slowly resuspends by pitpetting up and down. Probes stored at -20°C over night in methanol. Experiment continued tomorrow with step (C) spreading. centrifugation ON: over night RT: room temp. p100 dish, 10 ml A1) incubate HeLa ON with colcemid TRYPSIN- TREATMENT 30 min,RT +KCL, dops, vortex! ! +fixative, dropwise ! ! 30 min, on ice! ! A2) ON, -20°C p 10 Abb. 1.5.2: Laborbuchseite aus einem zellbiologischen Anfängerpraktikum. Der Eintrag enthält die Minimalinformationen, so dass eine fachkundige Person das Experiment wiederholen könnte. Profis würden evtl. Details ergänzen oder stringenter notieren. Das Beispiel zeigt, dass Laborbuchqualität stark mit Erfahrung und Routine korreliert. 238 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="239"?> 68 Wenn Sie in einem internationalen Labor arbeiten, ist es hilfreich den Monat in Buchstaben zu schreiben (z. B.: 1. Feb 2021 statt 01/ 02/ 21), so lässt sich das Datum unabhängig von nationalen Gepflogenheiten eindeutig interpretieren. Denn im englisch-sprachigen Umfeld könnte 01/ 02/ 21 auch als 2. Januar 21 gelesen werden. Obwohl der Stil und das Layout von analogen und digitalen Laborbüchern an einigen Stellen abweichen können, sind die Minimal-Informationen eines guten Eintrags gleich. Sie sind in der folgenden Liste beschrieben und wir weisen Unterschiede bzw. Besonderheiten für „analoge“ (klassische Papier-Laborbücher) und „digitale“ (ELN) Einträge aus. Minimal-Informationen eines Laborbucheintrags enthalten immer: ● das aktuelle Datum - Analog: wenigstens einmal pro Seite. Werden nachträglich Notizen ergänzt, dann sind auch diese Notizen mit dem tagesaktuellen Datum 68 zu versehen (z.-B. Nachtrag / 1. Feb. 2021 / …). - Digital: I. d. R. wird jeder Eintrag automatisch mit einem Zeitstempel versehen. ● eine kurze Projektbeschreibung mit Namen der: des Projektleitenden - Analog: beim Ersteintrag des Projekts: in Kopfzeile und als Textabschnitt mit Überschrift (vgl. Abb. 1.5.1, Abb. 1.5.2); bei Folgeeinträgen erfolgt ein Querverweis mit Seitenzahl des Ersteintrags. - Digital: variabel - Jedoch gibt es immer einen Titel und einen Textbereich. ● Zu jedem (Teil-)Versuch eine aussagekräftige Überschrift, gefolgt von einer kurzen Beschreibung des Versuchshintergundes, inkl. Kontext, Arbeitshypothese und Versuchsdesign (z. B. Probenanzahl und welche Kontrollen werden mitgeführt). Bei Routine-Versuchen (z. B. eine Antikörperfärbung von fixierten Zellen) kann auf ein publiziertes oder Standard-Versuchsprotokoll verwiesen werden. Alternativ kann der experimentelle Ablauf einmal ausführlich beschrieben und bei Wiederholung als Querverweis genutzt werden. - Analog: Jede Art von Querverweisen im Laborbuch verweist auf eine Seitenzahl. Falls auf die Seitenzahl eines anderen Laborbuchs verwiesen wird, ist dessen Nummer bzw. Autor: in mit anzugeben. Wird auf digitale Medien verwiesen (z. B. Datenbank für Protokolle, Versuchs-Datei), sind eindeutige Datei- und ggf. Pfadnamen anzugeben (d. h. alles angeben, was zum Auffinden der Informationen des Querverweises nötig ist). - Digital: Je nach Software können Daten bereits automatisch mit Texteinträ‐ gen verknüpft werden oder die Verknüpfung erfolgt über Links (ggf. können im digitalen Text weitere Querverweise integriert werden). Es kann eine Liste von Standardprotokollen (z.-B. diverse PCR-Protokolle) definiert werden. ● Eine stichpunktartige Dokumentation des Versuchsaufbaus bzw. Versuchsdurch‐ führung (ggf. unterstützt von Flussdiagrammen, Skizzen und Fotos). Dabei können 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 239 <?page no="240"?> Symbole und Abkürzungen genutzt werden, die an geeigneter Stelle mit einer Legende zu erklären sind. - Analog: Legenden können direkt am Seitenrand angelegt werden. Es besteht auch die Option, für häufig verwendete Symbole und Abkürzungen eine zentrale Legende auf der Einbandinnenseite bzw. der ersten oder letzten Laborbuchseite anzulegen. Diese Legende sollte auch ins Inhaltsverzeichnis aufgenommen werden. Wird der Versuchsaufbau mit Fotos oder Ausdrucken von Fotos dokumentiert, können diese datiert und an passender Stelle in das Laborbuch geklebt werden. Dort erhalten sie eine Überschrift bzw. eine Abbildungsnummer, auf die im entsprechenden Laborbucheintrag verwiesen wird. - Digital: Je nach Software können individuelle Icons oder Tags verwendet werden. Die Zuordnung von Fotos oder Skizzen zu einem Eintrag erfolgt automatisch per Link oder Tag, wobei der Bild-Dateiname ebenfalls das Datum und einen Querverweis zum Versuch enthalten sollte. ● Die genaue Zusammensetzung der verwendeten Reagenzien, Lösungen, Puffer, Gemische (bzw. ein Literaturverweis wie z. B. Lösung nach Harlow & Lane) und/ oder eine Bestell- und Lot-Nummer sowie Herstellernamen. - Analog: Werden immer wieder dieselben Rezepte/ Reagenzien genutzt, ge‐ nügt es die Informationen beim ersten Eintrag ausführlich anzugeben. Dan‐ nach kann immer wieder auf diesen Eintrag verwiesen werden. Alternativ kann ein „Rezeptverzeichnis“ erstellt werden, auf das verwiesen wird. - Digital: ELN können Schnittstellen zu sogenannten Laboratory-Inven‐ tory-Management-Systemen (LIMS) enthalten, in denen bereits Material-, Rezept- und Proberegister hinterlegt sind. In diesem Fall lässt sich per Link leicht eine Verknüpfung zum aktuellen Experiment herstellen. ● Grundlegende Informationen zu Geräten und deren Einstellungen (z. B. Zeiss Axiovert A1, Objektiv: 10x A-Pan/ 0,25 Ph1, Kamera: Cannon EOS 2000D), ggf. auch zur verwendeten Software (z.-B. ImageJ, 1.53a, Java 1.8.0_172(64-bit)). - Analog: vgl. oben Rezepte und Methoden; beim ersten Eintrag dokumen‐ tieren, dannach kann immer wieder auf diesen Eintrag verwiesen werden. Existiert bereits eine Publikation, die auf denselben Geräten/ Methoden/ Ein‐ stellungen beruht und diese im Material und Methodenteil hinreichend beschreibt, genügt ein entsprechender Literaturverweis. - Digital: s. o.; Über LIMS -Schnittstellen können Geräte- und Herstelleran‐ gaben ebenso wie Geräteeinstellungen und Metadaten leicht mit Laborbu‐ cheinträgen, Versuchsergebnissen und Auswertungen verknüpft werden. ● Eine stichpunktartige Beschreibung von Beobachtungen und Ergebnissen sowie eine Verknüfung zu den unbearbeiteten Daten (Original-/ Rohdaten). - Analog: Während die stichpunktartige Beschreibung i. d. R. leicht fällt, erfordert die Verknüfung bzw. der Verweis auf digitale Rohdaten eine kon‐ sequente Organisation der digitalen Daten, d. h. eine eindeutige Trennung 240 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="241"?> von unbearbeiteten und bearbeiteten Daten (z. B. gefilterte und kontrastvers‐ tärkte Bilddaten). Wenn z. B. die Datei mit Namen und Datum eindeutig benannt ist, kann im Laborbuch auf sie und den Speicherort verwiesen wer‐ den. Zusätzlich können Ausdrucke von Ergebnissen (z. B. Bilder, Tabellen, Graphiken) den Laborbucheintrag ergänzen. - Digital: wie analog. ● Eine Auswertung der Rohdaten aus der hervorgeht, wie die Daten bearbeitet wurden (z. B. Rechenwege, statistische Methoden, Filterregeln), ggf. mit Verweis auf verwendete Softwareprogramme und Auswertungsmethoden (z. B. Skripte, Makros, Algorithmen). - Analog: Die zunehmende Digitalisierung von Forschungsdaten kann eine analoge Dokumentation schwierig machen. Je nach Komplexität der Abläufe in der Datenverarbeitung empfiehlt es sich, mit Screenshots, Ausdrucken und Ablaufschemata zu arbeiten, um Bearbeitungsschritte im Laborbuch abzubilden. Auch hier ist eine konsequente Organisation der digitalen und realen Forschungsdaten essenziell und geht mit der Laborbuchführung Hand in Hand. - Digital: wie analog - hier sind ELN durch die mögliche direkte Vernetzung mit Laborgeräten und LIMS im Vorteil gegenüber analogen Laborbüchern, denn Metadaten (z. B. verwendete Objektive, Filter und Belichtungszeiten) können bei Bedarf direkt ausgelesen werden. Ebenso lassen sich Makros auf Skripte leicht per Link integrieren. ● Ein kritisches, zusammenfassendes Fazit zum Versuch und ggf. Einordnung der Ergebnisse in Bezug zum Projekt (Kein Unterschied zwischen analogem und digita‐ lem Laborbuch). ● Einen Verweis auf die physischen Proben (d. h. deren Bezeichnung und Lagerort im Labor) bzw. auf die entsprechenden digitalen Daten (d. h. Dateiname, Format, Speicherort). Hierfür ist eine systematische und konsequente Organisation der „realen“ Forschungsdaten essenziell! - Analog: Ein beispielhafter Querverweis zu Methanol-fixierten Zellen könnte so aussehen: 2018feb9-HeLa-MetOH-1; Box 1, FachB1, -80°C Frezer#2, R118 (wobei auch die Probe mit „2018feb9-HeLa-MetOH-1“ und die Box mit „1“ gekennzeichnet sein sollte). - Digital: siehe analog. Selbst bei gut vernetzter Laborinfrastruktur mit LIMS Schnittstellen sollten auch im ELN mit Verweisen auf „reale“ Orte im Labor gearbeitet werden. Diese Liste zeigt, wie eng die Verzahnung von Laborbuchschreiben und Forschungsda‐ tenmanagement ist und dass der grundlegende Gedanke von Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit weit über das Laborbuch hinaus geht. Sie verdeutlicht auch, dass der Detailgrad der Informationen beliebig verfeinert werden kann. Doch keine Panik! 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 241 <?page no="242"?> I. d. R. erhalten Anfänger: innen ausreichend Hilfestellung beim Laborbuchschreiben und auch Profis fragen bei Unsicherheiten Kolleg: innen um Rat. Was ist denn besser: ein analoges oder ein digitales Laborbuch? Noch in den 2010er Jahren war es üblich, dass Laborbücher fast ausschließlich analog und handschriftlich geführt wurden. Doch zunehmend werden im Laboralltag digitale Daten produziert (z. B.: Bilddaten mit Metadaten, Makros, Auswertungs-Skripte), die sich nicht mehr so leicht in analoge Laborbücher integrieren lassen. So entwickelten sich im Kontext der guten wissenschaftlichen Praxis und aus dem Wunsch nach einer einfacheren Verzahnung von digitalen Daten und effizienten Datenmanagement die ersten elektronischen Laborbücher. Im digitalisierten und vernetzten Laboralltag haben ELN gegenüber analogen Laborbüchern deutliche Vorteile. Allerdings liegt die Entscheidung, ob ein ELN geführt wird, bei der Projektleitung bzw. der Drittmittelge‐ berorganisation und kann von vielen Faktoren abhängig sein. Was sind also die Stärken und Schwächen eines ELN und die des analogen Papier-Laborbuchs? Vorteile des ELN gegenüber dem analogen Laborbuch: ● Viele Standardinformationen wie z. B. Datum und Autor: in werden im ELN automatisch erfasst. ● Gegenüber handschriftlichen Einträgen sind ELN-Einträge immer gut lesbar. ● Tags, Links und Textsuche erleichtern das Suchen und Finden von Einträgen und Informationen deutlich. ● Daten könnten teilweise direkt im ELN ausgewertet und fertige Abbildungen für Abschlussarbeiten oder Publikationen übernommen werden. ● Ein ELN kann unmittelbar und zentral, z. B. auf einem Server, gesichert werden. Daher sind die Forschungsdaten auch dann gesichert, wenn Endgeräte oder gar der Arbeitsplatz durch einen Unfall zerstört werden, während ein analoges Laborbuch evtl. für immer vernichtet wäre. ● In einem gut organisierten und vernetzten Labor können ELN in die digitale Infrastruktur integriert werden und direkt mit Materiallisten, Gerätedaten und Probenregister zusammen genutzt werden. Das kann Laborarbeit und -manage‐ ment durch Standard-operating-Procedures (SOPs) und Datenbanken effizienter gestalten. ● Im ELN können Einträge, die gerade nicht wichtig sind, ausgeblendet werden - dies erhöht die Übersichtlichkeit. Auch können Ergänzungen zu bereits doku‐ mentierten Experimenten (mit neuem Zeitstempel) gemacht werden und ordnen sich so besser in den Experimentverlauf ein. - Im Laborbuch blättern gehört der Vergangenheit an. ● ELNs vereinfachen das kooperative Arbeiten. Beispielsweise können SOPs mit einem ELN erstellt und hinterlegt werden, auf die alle Labormitglieder zugreifen. Dadurch wird die experimentellen Arbeiten und die Projektübergabe vereinfacht und standardisiert. Zudem besteht die Möglichkeit eigene „Versuchs-Templates“ zu 242 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="243"?> erstellen, mit deren Hilfe Routineschritte schnell und effizient abgearbeitet werden können. Vorteile eines analogen Laborbuchs gegenüber dem ELN: ● Im Gegensatz zum ELN funktioniert ein analoges Papier-Laborbuch immer und unabhängig von Strom, Softwareupdates und Hardware. Das macht es unabhängig von technischem Fortschritt (während ein ELN evtl. nach den nächsten Betriebs‐ system-Updates oder mit der neusten Hardware nicht mehr funktioniert). ● Ein analoges Laborbuch erfordert vielleicht mehr Zeit, jedoch korreliert das i. d. R. mit mehr Sorgfalt und größerem Bewusstsein für die Dokumentation „realer“ Daten außerhalb des Laborbuchs. ● Analoge Laborbücher sind im Vergleich zu ELN relativ preisgünstig und brauchen außer einem Stift keine weiteren Gerätschaften (z.-B. Hardware). Fazit: Ob analog oder digital hängt vom Budget und Umfeld ab. Idealerweise können Sie mit beiden arbeiten. Formale Anforderungen an Laborbücher Wie bereits erwähnt, sind Laborbücher rechtswirksame Dokumente, die Nachvollzieh‐ barkeit und Richtigkeit von Ergebnissen und Schlussfolgerungen belegen sollen. Aus diesem Grund gelten sowohl für das Material und Format als auch für die Art und Weise der Einträge bestimmte Maßstäbe, die gleichermaßen wichtig sind. Viele dieser Punkte hängen mit dem Anspruch der Nachvollziehbarkeit und Redlichkeit zusammen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Leserlichkeit handschriftlicher Einträge. Anforderungen an das Material Im Idealfall sollte das Papier von Laborbüchern der Norm DIN ISO 9706 entspre‐ chen, die vom Normausschuss Bibliothek- und Dokumentationswesen entwickelt wurde. Papiersorten, die dieser Norm entsprechen gelten als mechanisch und optisch alterungsbeständig. Papiere, die nicht der DIN ISO 9706 entsprechen, können mit der Zeit vergilben, nachdunkeln oder brüchig werden. Dadurch kann auf Dauer die Integrität der Einträge zerstört werden (d. h. die Lesbar- und Nachvollziehbarkeit). Ähnliches gilt für Papier, das nachträglich in ein Laborbuch eingeklebt wird (z. B. Farbausdrucke, Fotos, Tabellenausdruck usw.). In diesem Kontext ist wichtig zu wissen, dass viele Recyclingpapiere nicht die DIN ISO 9706 erfüllen und daher nicht für Dokumentationszwecke genutzt werden sollten. Ähnliches gilt für Stifte, mit denen das Laborbuch geführt wird. Auch sie sollten nach ISO 12757-2 dokumentenecht sein und die folgenden Anforderungen erfüllen: ● Lichtecht: Die Schrift darf durch Lichteinfluss nicht verblassen. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 243 <?page no="244"?> ● Permanent: Die Schrift darf weder durch Wasser noch durch Lösungsmittel kom‐ plett unleserlich verlaufen oder ausradierbar sein. ● Wischbeständig: Die Schrift muss schnell trocknen. Demnach sind Tintenfüller für Laborbucheinträge genauso ungeeignet wie Blei-, Bunt- oder Filzstifte, denn diese Stifte neigen zum Verlaufen bzw. Verwischen und können gelöscht werden. Im Zweifelsfall lässt sich im Labor mit einem kräftigen Spritzer Wasser und Alkohol schnell testen, ob sich ein Stift für das Laborbuch eignet (denn genau das kann im Laboralltag passieren). Verschwimmt die Schrift komplett, eignet sich der Stift nicht; verschwimmt die Tinte etwas, aber die Schriftlinie bleibt weiterhin deutlich lesbar (auch bei Einträgen auf der Rückseite), dann spricht das für einen dokumentenechten Stift, sagt aber noch nichts über die Alterungsbeständigkeit aus. Tipps zum Material: Beispiele für Laborbücher finden Sie bei folgenden Anbietern: ● LOGIX Books GLP Laboratory Notebook ● SIGEL CO111 Notizbuch ● LEUCHTURM1917 336404 Notizbuch Master Classic Beispiele für dokumentenechte Stifte finden Sie bei folgenden Anbietern: ● SCHNEIDER Kugelgschreiber K15 ● SCHNEIDER Silber Memo XB ● BIC Cristal Original Anforderungen an das Format eines analogen Laborbuches In der Regel ist ein analoges Laborbuch ein festgebundenes Notizbuch mit numme‐ rierten Seiten. Ein Collegeblock oder ein Schnellhefter mit losen Blättern eigenen sich nicht als Laborbuch, denn hier besteht immer die Gefahr, dass sich Einzelseiten beim Blättern lösen und verloren gehen. Folglich besteht immer das Risiko, mit losen Seiten essenzielle Informationen zu verlieren, ohne die der Versuch bzw. das Ergebnis nicht mehr reproduzierbar ist. Darüber hinaus ist ein Ordner mit losen Einzelseiten weniger beweisstark als ein festgebundenes Laborbuch, denn Einzelseiten sind leicht auszutauschen oder zu entfernen. Genau das sind Beispiele für unzulässige Manipulationen, die mit guter wissen‐ schaftlicher Praxis und dem Gebot der Redlichkeit unvereinbar sind und bereits den Tatbestand der Dokumentenfälschung und Unterschlagung berühren können. Dieser Anfangsverdacht bzw. die grundlegende Skepsis gegenüber der Integrität Ihrer Einträge lässt sich mit einem chronologisch geführten, stets datierten, festgebundenen Laborbuch mit nummerierten Seiten vermeiden. Anfangs schrecken viele Laboran‐ fänger: innen davor zurück, sofort alles in das „endgültige“ Laborbuch zu notieren, 244 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="245"?> 69 In der Regel gehört das Laborbuch dem Labor bzw. der: dem Arbeitgeber: in. Im akademischen Umfeld ist das die Person, mit deren Mitteln das Projekt, für das das Laborbuch geführt wird, umgesetzt wird. Hier ist das Laborbuch gleichzeitig ein Beweis für die zweckbestimmte Verwendung von Forschungsmitteln. 70 Im Falle von individuellen Laborpraktika, bei denen Sie an Projekten mitarbeiten, sollten Sie unbedingt vorab klären, ob und wie Sie Ihr privates Laborbuch führen dürfen. Insbesondere wenn Sie Laborpraktika in Unternehmen oder Instituten außerhalb der Universität durchführen. doch nur so lässt sich das Laborbuch-Schreiben wirklich lernen und entwickeln. Die Dokumentation auf Zetteln und Blöcken im Labor mit anschließender Reinschrift ins Laborbuch ist sinnfreie Mehrarbeit und verführt zum wissenschaftlichen Fehlverhal‐ ten. Merke: Üben und lernen Sie von Beginn an das Arbeiten und Dokumentieren in einem „richtigen“ Laborbuch. Zettel und lose Blätter, um Zwischenschritte zu notieren, sind TABU! Nur so bleiben Sie den Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis tatsächlich treu. Leider gibt es keine pauschalen Angaben zum Format eines Laborbuchs (d. h. zu Seitenzahl, Größe, Art des Einbands usw.). In der Regel bestimmt das Arbeitsumfeld darüber, wie das Laborbuch genau aussehen muss. So wird beispielsweise in vielen Unternehmen ein standardisiertes Firmenlaborbuch gestellt, in dessen Führung die Mitarbeiter: innen geschult werden. Im akademischen Umfeld kann die Gruppenleitung ein Laborbuch stellen oder Mitarbeiter: innen bzw. Studierende werden angehalten sich selbst ein Laborbuch anzuschaffen. In diesem Fall sollte unbedingt geklärt werden, auf welche Materialan‐ forderung wert gelegt wird (z. B. genügt evtl. ein Laborheft oder muss es ein Laborbuch sein? ) und wem das Laborbuch gehört 69 . Wenn Sie im Studium erste Erfahrung mit dem Führen eines Laborbuches sammeln wollen, lohnt es sich, in ein Laborbuch zu investieren, das den Regeln der Good Manu‐ facturing Pratice (GMP) enspricht. Dieses Laborbuch können Sie für alle praktischen Laborkurse im Studium nutzen. Dieses private Laborbuch gehört Ihnen 70 . Der Vorteil eines GMP-konformen Laborbuchs ist, dass es schon mit nummerierten Seiten, einem Inhaltsverzeichnis sowie Kopf- und Fußzeilen ausgestattet ist, die in einem normalen DIN A4- oder DIN A5-Heft evtl. noch ergänzt werden müssen (vgl. Abb. 1.5.1, 1.5.2). Grundsätzliche Anforderungen an ein Laborbuch: ● Festgebundenes Notizbuch (DIN A4 oder DIN A5). ● Karierte, punktierte oder blanko Seiten OHNE Perforation. ● ISO 9706-konformes Papier (archivierbar). 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 245 <?page no="246"?> ● Nummerierte Seiten. ● Eingezeichneter Rand oder Ränder. ● Optional: vorgedruckte Kopf- und Fußzeilen. Formale Anforderungen an ein elektronisches Laborbuch und wichtige Gedanken im Vorfeld In vielen Projekten gibt es genaue Vorgaben, wie und wo Forschungsdaten (dazu zählen die Laborbucheinträge) zu speichern sind. Obwohl ein ELN einige Vorteile gegenüber dem klassisch analogen Papierlaborbuch hat, muss mit der Projektleitung oder dem Mittelgeber im Vorfeld grundsätzlich abgeklärt werden, ob ein elektroni‐ sches Laborbuch geführt werden darf. Allerdings gibt es auch Fachgebiete, v. a. im Pharma-Medizin-Bereich, wo das Führen elektronischer Laborbücher mittlerweile Pflicht ist. Bitte bedenken Sie, dass das ELN ein Endgerät braucht, dass die Bedingungen in Ihrem Labor überstehen muss (z. B. feuchte / kalte / heiße / staubige Umgebung, chemische Dämpfe, Vibrationen usw.) und i. d. R. eine gute Serververbindung nötig ist. Die Übertragung der Ergebnisse ins ELN kann sich je nach Laborsituation als recht schwierig gestalten, wenn z. B. mit Schutzausrüstung wie Handschuhen gearbeitet wird (denn natürlich wird nicht mit den Handschuhen, die gerade eben noch toxische Substanzen hantiert haben, munter getippt! ). Auch kann die Dokumentation von Ergebnissen manchmal mehr Zeit erfordern als das Aufschreiben mit der Hand. - Dies sollte im Experimentplan mit bedacht werden. Das ELN spielt seine Vorteile v. a. vor und nach dem praktischen Teil des Experimentes aus, also in der Experimentplanung und Auswertung. Hier empfiehlt es sich verschie‐ dene Endgeräte auszuprobieren (Tablets, Smartphones, Laptops). - Im Idealfall sollten alle Endgeräte mit dem ELN funktionieren. Wir möchten Sie für einen weiteren Punkt sensibilisieren: Das ELN speichert die Ergebnisse sekundengenau ab, wodurch Vorgesetzte allerhand Kontrollmöglichkeiten, z. B. Arbeitszeit und Leistung erhalten. Es sollte daher genau abgesprochen werden, welche Daten Vorgesetzte bekommen sollen und dürfen. Hierzu berät der Personalrat bzw. die: der Datenschutzbeauftragte. Sind diese wichtigen Punkte geklärt, lohnt es sich das Laborbuch digital zu führen. Im digitalen Laborbuch gelten selbstverständlich die gleichen Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis (DFG, 2019). Diese Regeln werden technisch wie folgt umgesetzt: ● Die persönliche Zuordnung von Eintrag und Autor: in erfolgt durch einen perso‐ nalisierten Account mit Login und Passwort. ● Die chronologische Reihenfolge der Ergebnisse wird durch einen unveränderbaren Zeitstempel mit den Daten abgespeichert. 246 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="247"?> Kap. 2.3.5 s.narr.digit al/ m65uu ● Die Originalität der Daten wird gesichert, indem einmal gemachte Eintragungen nicht mehr gelöscht werden können. Allerdings können jederzeit Bemerkungen ergänzt und Daten ausgewertet werden (s. o. „Vorteile des ELN“). Nutzer: innen dürfen also niemals Administrationsrechte für das ELN erhalten! Ebenso wie beim analogen Gegenstück müssen die Original-/ Rohdaten, d. h. die realen Proben, Objektträger, unbearbeiteten Messdaten etc., des elektronischen Laborbuches für einen bestimmten Zeitraum archiviert (meist 10 Jahre oder länger) und bei Bedarf zugänglich gemacht werden. Hier ist die Arbeitsgruppenbzw. die Laborleitung in der Verantwortung, die adäquate Aufbewahrung sicherzustellen. Auch hierzu entwickelten sich in den letzten Jahren Standards, die mit den Anforderungen des Projektmanagements verzahnt sind. Ebenso verlangen auch Drittmittelgeber bei der Antragsstellung häufiger nach Konzepten für das Forschungsdatenmanagement. Hier bietet das ELN einen großen Vorteil, da oft Verbindungen zu Datenrepositorien existieren oder leicht zu implementieren sind. Nutzer: innen sollten darauf achten, dass die „FAIR“-Prinzipien (steht für: Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) im Da‐ tenmanagement eingehalten werden. Sind die Daten einmal im Repositorium hinter‐ legt, beschleunigt dies den Begutachtungsprozess sowie die Publikation der For‐ schungsartikel. Zudem stehen die Daten Dritten zum Verfassen von Reviews und Metaanalysen zur Verfügung. Welche Arten von ELN gibt es? Auf dem schnell expandierenden und dynamischen Markt tummeln sich jede Menge Anbieter: innen und freie Software-Initiativen. Die Qualität reicht vom Studieren‐ den-Projekt bis hin zum professionellen ELN für Pharma-Firmen. Hier ein passendes Format zu finden, gestaltet sich häufig schwierig. Orientierung bieten regelmäßig er‐ scheinende Reviews, Vergleiche und Tests, z. B. auf einschlägigen Labor-Websites wie LabsExplorer (2019a, 2019b) oder in wissenschaftlichen Fachjournalen (Kwok, 2018). Grundsätzlich zu unterscheiden sind kostenfreie von frei installierbaren Open-Source-Tools, wie eLabFTW.net. Der Vorteil ist, dass das Programm lokal oder auf einem eigenen Server installiert und frei nach den eigenen Erfordernissen konfi‐ guriert werden kann. Allerdings werden hier Kenntnisse in der IT-Administration ver‐ langt, die über die durchschnittlichen Benutzer: innen hinausgehen. Funktioniert die Installation einmal ist die Nutzung in den meisten Fällen mit kommerziellen Produkten vergleichbar. Kommerzielle Anwendungen bieten meist „ready to use“-Lösungen und teilweise auch Komplettlösungen für naturwissenschaftliche Forschungsbereiche an. Die wich‐ tigsten Firmen in diesem Feld haben plattformunabhänige, browsergestützte und kostenfreie Versionen in Ihrem Portfolio. Darunter beispielsweise: ● Labfolder.com: Team beschränkt auf max. drei Mitglieder, ● Labarchives.com: beschränkter Speicherplatz, ● SciNote.net: beschränkt auf eine: n Nutzer: in und 10 GB Daten. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 247 <?page no="248"?> s.narr.digit al/ 296ke Von den genannten Beispielen erfüllt und unterstützt Labfolder alle notwendigen Ei‐ genschaften und bietet in der frei verfügbaren Version die reichhaltigsten Möglichkei‐ ten. Sein browserbasiertes ELN ist ISO 90019 zertifiziert und bietet neben Zeitstempel, Nutzerkennung und Datenversionierung auch Anbindung an LIMS-Systeme, externe Datenspeicher und Messgeräte. Vorteilhaft ist auch die Option Standardprotokolle zu erstellen und im Team zu teilen. Die Datenauswertung kann mittels integrierter Tabellenkalkulation erfolgen. Zusätzlich sind sowohl Datenimporte als auch -exporte möglich. Allerdings muss das Speichern von Nutzer: innen lokal vorgenommen werden, d. h. Exporte sind erst nach Speicherung auf dem Server möglich. Wichtig zu beachten ist, dass eine Serveranbindung zwingend erforderlich ist. Das gilt übrigens für die meisten ELNs. Eine Ausnahme bildet hier eLabFTW, bei dem auch lokale Instanzen auf einem Endgerät installiert werden können. Gibt es nicht etwas Unkomplizierteres? Alternativen gibt es natürlich. Bei kleinen, überschaubaren Projekten, wie z. B. Praktika, die nicht der Laborbuchpflicht unterliegen, können Sie die Handhabung eines elektronischen Laborbuches mit Bordmitteln Ihres Laptops oder Tablets üben. Notizen-Programme haben sich über die Jahre zu mächtigen Tagebuch- und Kalen‐ der-Tools mit eigener Datenbank entwickelt. Fall es möglich ist, sollten auch hier Daten immer mit Zeitstempel und digitaler Unterschrift erstellt werden. Beispiele für führende Programme und Hersteller sind: ● „Notes“ (iOS; MacOS), ● „OneNote“ (Microsoft, Cross-Plattform, ein Beispiel beschrieb Guerrero et al., 2019) ● „Google Keep“ (iOS, Android). Wer auf handschriftliche Aufzeichnungen nicht verzichten mag und trotzdem eine di‐ gitale Version seines Laborbuches speichern will, findet sog. Hybride-Angebote. Diese unterteilen sich in „Smartpens“, die neben der Schrift auf Papier das Geschriebene gleichzeitig digitalisieren und an eine App schicken (z. B. der Smartpen von Moleskine). Die zweite Möglichkeit sind Notebooks aus Papier, die einfach zu scannen und mit einer App verbunden sind. Beispielsweise bietet Evernote solche Notebooks in Kooperation mit Moleskine an. Noch einen Tipp zum Schluss: Wer im Team arbeitet und eine Versionsverwaltung des Projektes braucht, ist bei Github.com gut aufgehoben. Auch wenn sich dort hauptsächlich IT-Development-Projekte finden, gibt es die Möglichkeit, jede Art von Daten und Texten dort mit Zeitstempel und Benutzer: in zu speichern, was den Grund‐ anforderungen eines ELN genügt. Welches ELN soll ich denn nun nehmen? Diese Frage können Sie sich als Wissenschaftler: in leider nur selbst beantworten. Stellen Sie eine Liste mit Eigenschaften auf, die das ELN unbedingt erfüllen muss und 248 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="249"?> eine Liste mit „nice to have-features“! Scheuen Sie sich nicht verschiedene Produkte auszuprobieren! - Die investierte Zeit wird sich auszahlen. Und vor allem besprechen Sie sich mit Kolleg: innen! - Denn vor allem in der Teamarbeit liegen die Vorteile des ELN gegenüber der Papierversion. Fragen Sie in den zentralen Einheiten Ihrer Hochschule (z. B. Rechenzentrum, Bibliothek) nach Lizenzen oder Übernahme der Kosten - häufig wird der Einsatz „FAIR“- und ISO-konformer ELN unterstützt. Quick Guide: elektronisches Laborbuch ● Halten Sie sich an die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis! ● Beachten Sie für Ihr Fach gültige Standards (z. B. ISO 9001 oder FDA-Stan‐ dards im Pharmabereich)! ● Stellen Sie einen Anforderungskatalog an das ELN auf! ● Sprechen Sie sich mit Kolleg: innen und der Projektleitung ab! ● Seien Sie auch bei der Nutzung der ELNs experimentierfreudig! ● Gehen Sie kritisch mit der neuen Technologie um! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und Spaß beim Experimentieren, Dokumentieren und Publizieren! Literatur DFG (2019): Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Kodex, DOI 10.5281/ ze‐ nodo.3923602. G U E R R E R O , Santiago / L ÓP E Z -C O R T É S , Andrés / G A R C Í A -C ÁR D E N A S , Jennyfer et al. (2019): A quick guide for using Microsoft OneNote as an electronic laboratory notebook. PLoS Computational Biology 15: e1006918. K W O K , Roberta (2018): How to pick an electronic laboratory notebook. Nature 560: S.-269-270. L A B S E X P L O R E R (2019a): list-eln-summary. URL: https: / / labsexplorer.s3-eu-west-1.amazonaws.co m/ content/ files/ list-eln-summary_40e11eff-1584348490.pdf. L A B S E X P L O R E R (2019b): Review of the best electronic laboratory notebooks. URL: https: / / www.lab sexplorer.com/ c/ 2019-review-of-the-best-electronic-laboratory-notebooks_197. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 249 <?page no="250"?> Kap.-1.3.2 1.5.2 Argumentation in wissenschaftlichen Texten Alexander Kaib Wissenschaftliche Texte sind im Kern Argumentationen. Je weiter Sie im Studium fortschreiten und je länger Ihre schriftlichen Arbeiten werden, desto wichtiger wird dieser Aspekt des wissenschaftlichen Schreibens. Spätestens in Ihrer Abschlussarbeit müssen Sie angemessene rhetorische Mittel nutzen, um Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen überzeugend zu präsentieren. Aber auch schon zu Studienbeginn kann es nützlich sein, sich mit den grundlegenden Konzepten wissenschaftlicher Argumentation zu beschäftigen, um das fachliche Grundwissen aus einer kritischen Perspektive bewerten zu können und so besser zu verstehen. In diesem Kapitel möchten wir zunächst klären, was es überhaupt heißt, in empiri‐ schen und formalen Wissenschaften zu argumentieren. Dafür setzen wir uns mit einer weit verbreiteten Fehlvorstellung auseinander und präsentieren eine alternative Sicht‐ weise. Anschließend stellen wir die rhetorischen Bestandteile wissenschaftlicher Texte vor und zeigen, dass der typische Aufbau solcher Texte - die IMRaD-Struktur - sich an diesen Bestandteilen orientiert. Den argumentativen Sinn hinter dem Aufbau wis‐ senschaftlicher Texte zu verstehen wird Ihnen vor allem beim Schreiben der Ab‐ schlussarbeit helfen, kann aber auch beim Lesen fremder Texte hilfreich sein. In diesem Kapitel erfahren Sie: ● welche Rolle das Argumentieren in wissenschaftlichen Texten spielt, ● welchen argumentativen Zweck die typische Struktur von Protokollen, Seminar- und Abschlussarbeiten erfüllt, ● welche Fragen Sie in solchen Texten beantworten müssen und wie Sie das überzeugend tun können, ● was ein gutes wissenschaftliches Argument ausmacht. Warum überhaupt argumentieren? Zunächst sollte ein Missverständnis aus dem Weg geräumt werden: Manche Menschen glauben, dass Argumentation dort beginnt, wo Tatsachen aufhören; dass Überzeu‐ gungsarbeit nur dann geleistet werden muss, wenn keine harten Fakten vorhanden sind. Wer von dieser Vorstellung ausgeht, wird die Rede von „naturwissenschaftlicher Argumentation“ geradezu grotesk finden. Schließlich verlassen wir uns darauf, dass Forscher: innen uns objektives Wissen liefern, das unverfälscht durch persönliche Interessen oder dogmatische Annahmen die Welt widerspiegelt, wie sie ist. Wer rhetorische Tricks einsetzt, um die eigene Forschung besser darzustellen als sie ist, trägt im schlimmsten Fall dazu bei, dass eine Gesellschaft ihr Vertrauen in die Wissen‐ schaft verliert. Argumentation ist gemäß dieser Vorstellung eine potentielle Gefahr für wissenschaftliche Tätigkeiten, die es beim Schreiben von Forschungsarbeiten zu vermeiden gilt. 250 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="251"?> Eine entgegengesetzte Vorstellung - diejenige, die wir hier verteidigen möchten - ist, dass Wissenschaft durch Argumentation erst ermöglicht wird. Forschung ohne Argumentation wäre sinnlos. Diese Vorstellung basiert auf folgender Definition: Eine Argumentation ist eine Menge an Sätzen, mit denen eine Position begründet werden soll (Andrews 2009: 50). Im einfachsten Fall ist eine Argumentation also ein Satz, der einen weiteren Satz begründet: Abb. 1: XXXX utb-M-Format, Satzspiegelbreite 11 cm Grund Aussage weil Abb. 1.5.3: Die fundamentalen Bestandteile einer Argumentation. In anderen Worten geht es beim Argumentieren darum, Gründe für Überzeugungen offenzulegen und mit anderen Menschen zu teilen. So können diese selbst ein Urteil über neue Ideen fällen, indem sie prüfen, ob die angeführten Gründe richtig sind und tatsächlich für diese Ideen sprechen. Mit wissenschaftlichen Texten soll genau das erreicht werden: Autor: innen liefern ihren Leser: innen Gründe dafür, Forschungser‐ gebnisse und Schlussfolgerungen anzunehmen. Mit diesem Verständnis wissenschaftlicher Texte wird klar, warum Forschung ohne Argumentation sinnlos wäre. Es stimmt zwar, dass Sie beim Forschen das Ziel ver‐ folgen, sich wahren Aussagen über die Welt anzunähern. Aber solche Aussagen wären nicht viel wert, wenn nur Sie daran glauben würden - schließlich soll durch Forschung das Wissen aller erweitert werden. Darum reicht es nie aus, nur die Ergebnisse von Forschung festzuhalten. Um Wissen mit anderen zu teilen, müssen Sie begründen, (1) für wen Ihre Forschung relevant ist, (2) warum Ihre Ergebnisse akzeptiert werden sollten und (3) welche Bedeutung Ihre Ergebnisse besitzen. In den nächsten Abschnitten erfahren Sie, was solche Begründungen ausmacht. Wissenschaftliche Texte beantworten Fragen Wissenschaftliche Texte sehen auf den ersten Blick nicht wie die alltäglichen Argu‐ mentationen aus, die man aus Diskussionen mit Freund: innen, Streitereien im Internet oder politischen Debatten kennt. Aber in einer Hinsicht gleichen sie sich doch: Der Austausch von Gründen, egal ob wissenschaftlich oder nicht, besitzt immer einen Gesprächscharakter. Sie können sich das wissenschaftliche Schreiben wie eine Diskussion mit den Leser: innen vorstellen, die gegenüber Ihrer Forschung gewisse Fragen mitbringen. Ihre Aufgabe ist es, diese Fragen zu antizipieren und überzeugend zu beantworten. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 251 <?page no="252"?> Kap.-1.3.2 Kap.-1.2.1 Die meisten Journal-Artikel, Konferenzvorträge und Forschungsberichte sind so aufgebaut, dass die allgemeinen Fragen der Leser: innen in einer bestimmten Reihen‐ folge beantwortet werden. Das gilt auch für die Texte, die Sie im Studium schreiben: Für den Aufbau von Protokollen, Seminar- und Abschlussarbeiten erhalten Sie oft strikte Vorgaben, die Ihnen dabei helfen sollen, auf bestimmte Fragen zu antworten. Hier ist eine Übersicht über die Fragen, die durch die typische IMRaD-Struktur be‐ antwortet werden: Textteil Zu beantwortende Frage Abstract/ Einleitung Warum sollte diese Arbeit gelesen werden? Methoden/ Grundlagen Wie wurden Forschungsergebnisse gewonnen? Ergebnisse Welche relevanten Ergebnisse wurden gewonnen? Diskussion Welche Bedeutung besitzen diese Ergebnisse? In den nächsten Abschnitten erfahren Sie, wie Sie diese Fragen in Ihrer Arbeit überzeugend beantworten können. Relevanz begründen Die allererste Frage, die sich Forscher: innen beim Lesen stellen, ist: „Warum sollte ich ausgerechnet diesen Text lesen? “ und daran anschließend: „Wie gründlich muss ich diesen Text lesen? “. Im Studium werden Sie sich spätestens bei der Literaturreche für Ihre Abschlussarbeit ähnliche Fragen stellen. Und Sie werden frustriert sein, wenn ein Text diese Fragen nicht im Abstract oder spätestens in der Einleitung beantwortet. Es ist fast schon unhöflich, diese Antworten nicht zu liefern, da Lesende so erst am Ende des ganzen Artikels erfahren, ob sich die Lektüre lohnt. Wenn sich dann herausstellt, dass der Text eigentlich uninteressant für die eigene Forschung war, haben Sie potentiell mehrere Stunden Zeit verschwendet. Sie müssen also schon zu Beginn eines Textes seine Relevanz begründen, damit die Leser: innen ein Urteil darüber fällen können, ob und wie gründlich sie den Text lesen. Fast alle wissenschaftlichen Texte folgen beim Begründen ihrer Relevanz demselben argumentativen Muster (Swales 2014). Es beinhaltet drei feste Bestandteile, die sich ihrerseits in mehr oder weniger feste Bestandteile aufgliedern lassen: 252 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="253"?> utb-M-Format, Satzspiegelbreite 11 cm • Relevanz begründen • Hintergrundinfo rmationen präsentieren Forschungsbereich etablieren • Bestehende Forschung angreifen und/ oder • Forschungslücke aufzeigen • Angrenzende Forschung aufzeigen • Fragen aufwerfen Forschungsnische etablieren • Forschungsziel benennen • These aufstellen und/ oder • Forschungsfrage aufwerfen • Schlüsselergebnisse nennen • Methoden/ Studiendesign vorstellen Nische besetzen Abb. 1.5.4: Die rhetorischen Bestandteile einer Einleitung. Als Erstes etablieren Autor: innen den Forschungsbereich, in dem ihre eigene Arbeit eingebettet ist. Sie können sich das wie eine mittelalterliche europäische Landkarte vorstellen: Manche Positionen bestehen seit Jahrhunderten, während andere heiß umstritten sind. Einige zentrale Standorte sind allseits begehrt, jeder will ein Stück abhaben; über abseitige Landstriche streiten sich nur ein paar wenige Spezialist: innen. Langlebige Allianzen zwischen Positionen bestehen genauso wie erbitterte Feindschaf‐ ten. Einen Forschungsbereich zu etablieren bedeutet, diese Landkarte in eigenen Worten nachzuzeichnen und damit unter Beweis zu stellen, dass Sie die Forschungslage erfasst haben und mit der eigenen Arbeit daran anknüpfen können. Je nachdem, wie das Territorium beschrieben wird - wer zitiert wird, welche Positionen als peripher oder zentral dargestellt werden - kann der eigene Text subtil an ein bestimmtes Zielpublikum gerichtet werden. Zum Beispiel sollten Sie bei der Abschlussarbeit das Territorium in etwa so beschreiben, wie Ihre Betreuer: innen es sehen. Damit zeigen Sie, dass Sie den aktuellen Forschungsstand ähnlich verstanden haben. Formulierungshilfen zur Etablierung des Forschungsbereichs Welche Redewendungen genutzt werden, um ein Territorium abzustecken, hängt von Ihrem Fach ab, aber oft finden sich Formulierungen wie: „Seit Xs wegweisender Arbeit zu Y herrscht Einigkeit darüber, dass …“ „Thema T wurde bereits ausführlich von X, Y und Z erforscht …“ „Seit das Konzept C von X etabliert wurde ( Jahr), konnte in weiterführenden Arbeiten gezeigt werden, dass …“ 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 253 <?page no="254"?> „Nur wenige Studien haben sich in der Vergangenheit mit T beschäftigt; erste Experimente von X ( Jahr) zeigen jedoch …“ „Die Experimente von X ( Jahr) legen die Vermutung nahe, dass …. Diese Hypothese wurde in der Vergangenheit von anderen Autor: innen angenommen/ abgelehnt (Y, Jahr).“ Nachdem das großräumige Gebiet fixiert ist, können Sie im nächsten Schritt dazu übergehen, eine Forschungsnische zu etablieren - ein Stück des Territoriums für sich zu markieren. Ein sehr direkter Weg ist ein Angriff auf eine bestehende Position. Dieses rhetorische Mittel haben wir zu Beginn des Kapitels eingesetzt: Dort haben wir zuerst eine falsche Sichtweise auf wissenschaftliche Argumentation dargestellt (Argumentation als manipulierende, bodenlose Überredungskunst) und das Kapitel als Verbesserung davon positioniert. Ein so direkter Angriff ist in wissenschaftlichen Texten unüblich, aber Abgrenzungen und bescheidene Einwände findet man in Jour‐ nal-Artikeln des Öfteren. Im Studium kommt dieser Weg allerdings selten in Frage, da Sie mit Ihrer Forschung wahrscheinlich nicht bereits publiziertes Wissen angreifen wollen. Viel häufiger werden Sie eine Nische etablieren, indem Sie eine Forschungslücke aufzeigen. Eine Lücke muss dabei gar nicht groß sein; es reicht, auf der Landkarte, in der sich die Größen des Felds um ganze Länder streiten, ein winziges Dorf zu finden, das bisher unbeachtet blieb. Auch ein kleiner Landstrich kann von Bedeutung sein, wenn er an größere, bereits besetzte Gebiete angrenzt. Solche kleinen Eroberungen sind das, wovon alltägliche Forschung lebt: Es ist extrem selten, dass ein ganzes Gebiet neu entdeckt wird, viel häufiger werden Wissensgrenzen innerhalb eines Territoriums Stück für Stück erweitert. So tragen einzelne Teilerfolge zu einem größeren Ganzen bei. Beispielsweise ist es unwahrscheinlich, dass mit einer Bachelorarbeit in der Mikrobiologie ein neuer Bakterienstamm entdeckt wird, aber sie kann durchaus dazu beitragen, bekannte Stämme, ihre funktionalen Proteine oder deren Untereinheiten weiter zu charakterisieren. Auch wenn derartige Erkenntnisse nicht unbedingt eine Publikation nach sich ziehen, so ist es doch eine wertvolle Arbeit für das betreffende Labor. Hier sind einige Strategien, die Sie nutzen können, um Lücken aufzuzeigen und für die Relevanz Ihrer Arbeit zu argumentieren: ● Sie untersuchen ein bekanntes Phänomen mit einer Methode, die einen neuen Zugang zum Phänomen verspricht, - z. B.: Sie modellieren einen bereits bekannten chemischen Prozess mit einer neuen algorhitmischen Technik. ● Ihre Forschung liefert neue Daten, die zur Prüfung einer bekannten Theorie genutzt werden können, - z. B.: Sie prüfen die Vorhersagen eines theoretischen Modells durch neue Experimente. 254 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="255"?> ● Ihre Forschung trägt zur Beantwortung einer Frage bei, die von bereits publizierter Forschung aufgeworfen wurde, - z. B.: Sie untersuchen elektrische Eigenschaften von Nervenzellen. ● Sie behandeln ein bekanntes Problem mit einer neuen Technologie, - z. B.: Sie erforschen, inwieweit CO 2 -Emissionen durch Fassadenbegrünung reduziert werden können. ● Ihre Forschung deckt neue Fragen/ Probleme/ Aufgaben auf, die mit bekannten Forschungsmitteln behandelt werden können. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass in dieser Liste häufig das Begriffspaar bekannt/ neu auftritt. Das ist kein Zufall, denn Nischen werden immer an der Schnittstelle zwischen Bekanntem und Unbekanntem etablieren. Es reicht nicht, neue Forschungsergebnisse einfach in den Raum zu werfen. Um wirklich als wissenschaftliche Erkenntnis zu zählen, muss Forschung eine Antwort auf bereits Gesagtes darstellen. Im dritten und letzten Schritt der Relevanzbegründung erklären Sie diese Antwort und besetzen so die etablierte Forschungsnische. Je nachdem, wie Sie Ihre Nische etabliert haben, sollten Sie dafür unterschiedliche Strategien einsetzen. Wenn Sie bei‐ spielsweise eine Forschungslücke aufgezeigt haben, müssen Sie beschreiben, inwiefern Ihr Text bzw. Ihre Studie dazu beitragen wird, sie zu füllen. Wenn Sie eine Frage aufgeworfen haben, sollten Sie andeuten, wie Sie bei der Beantwortung vorgehen werden. Es ist von Fach zu Fach unterschiedlich, ob dabei auch schon das Ergebnis Ihrer Arbeit vorweggenommen wird; darüber informieren Sie sich am besten bei Ihrer Betreuungsperson oder in Musterarbeiten. In jedem Fall benennen Sie in diesem letzten Schritt das übergreifende Ziel Ihrer Arbeit. Sie versprechen an dieser Stelle, dass Ihr Text für ein bestimmtes Publikum lesenswert ist. Wer ein ähnliches Verständnis von der Forschungslandschaft hat und an ihr interessiert ist, wird bereits aufmerksam geworden sein, wenn Sie erfolgreich eine Nische etablieren konnten. Wenn Sie jetzt auch noch plausibel machen können, dass Sie im Verlauf des Textes etwas Interessantes darüber sagen, haben Sie Ihr Zielpublikum endgültig an der Angel. Unterschätzen Sie die rhetorische Bedeutung dieses Schritts nicht, auch wenn sich Ihr Text nur an Betreuende richtet! Durch die Zielsetzung erwecken Sie bestimmte Erwartungen bei Leser: innen, die sie für den Rest des Textes im Hinterkopf behalten werden. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, wird das einen negativen Eindruck hinterlassen. Vergessen Sie also nicht, dass Sie als Autor: in die Kontrolle darüber besitzen: Indem Sie in Abstract und Einleitung nur das ankündigen, was Sie auch wirklich liefern können, stellen Sie sicher, dass Leser: innen weder überrascht noch enttäuscht werden. Ergebnisvalidität begründen Wenn Abstract und Einleitung einer wissenschaftlichen Arbeit ein Versprechen an Leser: innen sind, dann ist alles danach die Einlösung davon. Nach Ihrer Einleitung 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 255 <?page no="256"?> 71 Nicht zu verwechseln mit der mathematischen Beweisform der vollständigen Induktion, die zwar auch von einem Einzelfall ausgehend, aber eben nicht auf Wahrscheinlichkeiten (sondern auf math. Sicherheiten) schließend vorgeht. Tatsächlich ist die vollständige Induktion also ein deduktives Schlussverfahren. denken sich die Leser: innen hoffentlich: Ok, hier scheint jemand eine interessante Idee für neue Forschung in meinem Feld zu haben. Aber mal schauen, ob dabei auch etwas Sinnvolles herauskam. Ihre Leser: innen fragen sich also, was die konkreten Ergebnisse Ihrer Forschung sind und wie diese zustande gekommen sind. Aus diesem Grund folgen nach der Einleitung oft ein Methodenbzw. Grundlagen- und ein Ergebnisteil, die jeweils die Frage nach dem Ursprung und der Beschaffenheit der Ergebnisse beantworten. An dieser Stelle bestehen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen einige Unterschiede: Während es für die Beantwortung der Relevanzfrage in Abstract und Einleitung ein fachübergreifendes Vorgehen gibt, läuft die Argumentation im Hauptteil sehr unterschiedlich ab (Maswana et al. 2015; Anthony / Bowen 2013). Erstaunlich ist das nicht, denn ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal akademi‐ scher Disziplinen sind die verschiedenen Vorgehensweisen bei der Wissensproduktion. Das argumentative Ziel wissenschaftlicher Texte ist zwar allgemein das gleiche - Lesende sollen durch objektive Gründe von Ergebnissen überzeugt werden - aber wie dieses Ziel erreicht wird, kommt sehr stark auf das jeweilige Fach an. In der Mathematik, formalen Informatik und theoretischen Physik werden Aussagen deduktiv begründet, d. h. durch zwingende Beweisführung. Empirische Wissenschaften wie angewandte Physik, Biologie und Chemie hingegen argumentieren induktiv  71 , d. h. von Einzelfallbeobachtungen ausgehend und auf Wahrscheinlichkeiten schließend. Die einzige allgemeine Regel, die Sie unabhängig von Ihrem Fach beachten sollten, ist folgende: Fragen Sie sich, welches technische Wissen Sie vermitteln müssen, damit Leser: innen Ihre Ergebnisse verstehen und reproduzieren können. Grundwissen aus Einführungsvorlesungen können Sie in der Regel voraussetzen, aber alle anderen Konzepte sollten Sie an dieser Stelle erläutern - selbst, wenn diese für Ihre Betreuenden selbstverständlich sind. In empirischen Wissenschaften müssen Sie außerdem zeigen, dass Ihre Daten zuver‐ lässig gewonnen wurden und unter gleichen Bedingungen reproduzierbar sind. Dafür werden meist in einem eigenen Methodenteil der Aufbau und Ablauf durchgeführter Experimente geschildert und möglicherweise begründet, warum ausgerechnet dieses Vorgehen gewählt wurde. Sie beantworten Lesenden also die Frage: Warum können mit der beschriebenen Methode Daten gewonnen werden, die zum Forschungsziel führen? Oft werden Sie dabei Experimente erläutern, die bereits in ähnlicher Form für ähn‐ liche Zwecke durchgeführt wurden und als vertrauenswürdig gelten. Wenn Sie davon ausgehen können, dass Leser: innen auch mit dieser Experimentform vertraut sind, müssen Sie Ihr Vorgehen deshalb nicht explizit rechtfertigen. Gerade in Abschlussar‐ beiten kann es aber auch vorkommen, dass Sie eine neue oder unkonventionelle Methode verwenden. In diesem Fall reicht eine reine Beschreibung des Vorgehens 256 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="257"?> nicht aus und Sie müssen zusätzlich begründen, warum Sie sich für diese Methode entschieden haben. Durch Literaturbezüge können Sie dabei zeigen, welche Methoden früher verwendet wurden und auf welchen (theoretischen) Arbeiten Ihre eigene Herangehensweise aufbaut. Im Studium demonstrieren Sie so ein Verständnis davon, wie in Ihrem Fach Wissen produziert wird. Aber auch in beruflichen Kontexten kann es vorkommen, dass Sie Ihre Herangehensweisen an ein Problem verteidigen müssen - dann werden Sie froh sein, dass Sie dies bereits in schriftlichen Arbeiten gelernt haben. Neben dem Ursprung Ihrer Daten interessiert die Leser: innen natürlich auch, was mit diesen Daten gemacht wurde. Manchmal wird deshalb bereits im Methodenteil erklärt, welcher analytische Rahmen zur Auswertung der Daten verwendet wurde. Oft bleibt dieser Schritt allerdings implizit, vor allem wenn es sich um allgemein bekannte Verfahren handelt, die aus dem Ergebnis- oder Diskussionsteil ersichtlich werden. Ganz anders sieht es in theoretischen Arbeiten in der Mathematik, Physik und Informatik aus: Da es hier keine Experimente oder empirischen Daten zu erläutern gibt, müssen Sie die Leser: innen auf eine andere Art und Weise von der Richtigkeit Ihrer Forschungsergebnisse überzeugen. Die grundlegende deduktive Methodik solcher Fächer, also die logische Ableitung von Theoremen in axiomatischen Systemen, ist innerhalb der Forschungsgemeinschaften so allgegenwärtig, dass eine explizite Begründung ihrer Anwendung nicht notwendig ist. Stattdessen werden in ersten Kapiteln oft Grundlagen in Form von Hintergrundwissen, Definitionen und Lemmata vorgestellt, auf denen die eigene Beweisführung aufbaut. Fehlen dabei Theoreme, die in späteren Schlussfolgerungen vorkommen, oder gibt es gar Fehler in ihrer Darstellung, kann das Ergebnis nicht als gerechtfertigt gelten. Achten Sie deshalb beim Schreiben solcher Arbeiten unbedingt darauf, Grundlagen vollständig und exakt wiederzugeben, auch wenn es sich dabei „nur“ um Zusammenfassungen handelt. Nachdem Sie durch die Beschreibung Ihres Vorgehens bzw. Ihrer Grundlagen be‐ gründet haben, warum Ihre Ergebnisse vertrauenswürdig sind, müssen diese natürlich noch vorgestellt werden. In dem dafür vorgesehenen Ergebnisteil gilt es eine Auswahl der wichtigsten Ergebnisse zu treffen und diese in einer nachvollziehbaren Reihenfolge zu präsentieren. Wenn Sie eine empirische Studie durchgeführt haben, müssen Sie entscheiden, welches Ihrer Experimente zuerst vorgestellt werden sollte und wie die daraus gewonnen Daten kompakt dargestellt werden können. Auch dafür können Sie sich an der Frage orientieren, die sich Leser: innen hier stellen: Welche Ergebnisse tragen zur Beantwortung der Forschungsfrage bei? bzw. Mit welchen Ergebnissen lassen sich aufgestellte Hypothesen prüfen? Bedenken Sie beim Beantworten dieser Frage, dass es nicht selbstverständlich ist, wie einzelne Ergebnisse zum Forschungsziel führen. Eine reine Auflistung gewonnener Daten ist daher keine besonders überzeugende Darstellungsform. Leser: innen wollen nicht selbst darüber rätseln, wie Ergebnisse mit der Forschungsfrage zusammenhän‐ gen, sondern erwarten, dass Ihr Text diesen Zusammenhang herstellt. So sollten Sie beispielsweise in empirischen Studien Ihre Ergebnisse nicht isoliert betrachten, son‐ dern immer im Zusammenhang mit Ergebnissen aus Kontrollgruppen beschreiben, in‐ 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 257 <?page no="258"?> Kap.-1.5.3 dem Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorheben. So verstehen Leser: innen direkt, welche Bedeutung die einzelnen Ergebnisse besitzen. (Vgl. Sie hierzu auch das Kapitel zur Visualisierung von Daten.) Auch die Reihenfolge präsentierter Ergebnisse sollte sich an den Bedürfnissen der Leser: innen orientieren. Wenn Sie dem Ziel Ihrer Forschung Experiment für Experi‐ ment bzw. Beweis für Beweis nähergekommen sind und das zuletzt durchgeführte Experiment die entscheidenden Daten lieferte, kann es unter Umständen sinnvoll sein, die Ergebnisse nicht in chronologischer Reihenfolge zu präsentieren, sondern das letzte Ergebnis an den Anfang zu stellen. So können sich Lesende sofort ein Bild von dem Ausgang Ihrer Forschung machen und weitere Ergebnisse darunter einordnen. Andererseits kann es sein, dass sich das finale Ergebnis nur verstehen lässt, wenn die vorhergehenden Resultate bekannt sind. Sie müssen also abwägen, ob und wie viel nebensächliche Daten erklärt werden müssen, bevor das zentrale Ergebnis vorgestellt werden kann. Bedeutung der Ergebnisse begründen Die letzte und vielleicht wichtigste Frage, die sich Lesende Ihrer Forschungsarbeit stellen, lautet: Was bedeuten diese Ergebnisse? (für die Leser: innen und die Forschungs‐ gemeinschaft). Zur Beantwortung müssen Sie Ihre Ergebnisse erklären und Lesende so von ihrem Stellenwert überzeugen. Auch hier gibt es wieder unterschiedliche Argu‐ mentationsstrategien, die sich je nach Fach unterscheiden können. In der Informatik ist es zum Beispiel sehr geläufig, eine Arbeit als Anlass für weitere Forschung darzustellen und so ihre Wichtigkeit zu betonen, während es in naturwissenschaftlichen Fächern zusätzlich üblich ist, einzelne Ergebnisse hervorzuheben und vor allem unerwartete Resultate genauer zu erklären (Maswana 2015; Peacock 2002). Gemeinsam ist allen Fächern jedoch, dass der Beitrag zur Wissensproduktion erklärt werden muss. Bei einer Untersuchung von 252 Journal-Artikeln stellte Peacock (2002) fest, dass 90 % der Artikel im Diskussionsteil eine explizite Aussage dazu trafen, inwiefern durch die vorgestellte Forschung neues Wissen geschaffen wurde. Eine solche Aussage sollten Sie auch treffen und begründen, indem Sie Forschungser‐ gebnisse im Lichte von Fachkonzepten erklären. Denn statistische Daten, Resultate eines Experiments und entwickelte Technologien sprechen nicht für sich. Stattdessen müssen sie im Kontext eines Fachdiskurses mit bestimmten Rechtfertigungsprinzipien interpretiert werden. Um zu verstehen, was ein Rechtfertigungsprinzip ist, stellen Sie sich folgende Situation vor: Als kleines Kind stehen Sie auf einem Turm und lassen Gegenstände herunterfallen. Sie tun das nicht mit bösem Willen, sondern aus einem inneren Forschungsdrang heraus: Sie wollen wissen, was passiert, wenn man unterschiedlich schwere Gegenstände fallen lässt. Zuerst werfen Sie einen Stein herab. Kaum haben Sie ihn losgelassen, landet er auf dem Boden. Danach lassen Sie ein Blatt Papier fallen: Es flattert ein bisschen im Wind herum und berührt erst nach einiger Zeit die Erde. Aus 258 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="259"?> diesen zwei Beobachtungen schließen Sie auf die plausible Annahme, dass Gegenstände unterschiedlich schnell fallen, wenn sie unterschiedlich viel wiegen. Aus dem Physikunterricht wissen Sie, dass diese Annahme falsch ist. Vielleicht wissen Sie auch, dass Sie lange Zeit als wahr angenommen wurde, weil unsere Alltagserfahrung sie scheinbar bestätigt. Erst durch physikalische Konzepte wie Luft‐ widerstand und experimentelle Konstrukte, die Messungen im Vakuum ermöglichen, konnte die Annahme falsifiziert und unsere Alltagsbeobachtung erklärt werden. Diese Geschichte soll verdeutlichen, dass die bloße Beobachtung von Tatsachen nicht ausreicht, um plausible Aussagen zu bilden. Im Gegenteil sind unsere Beobachtungen manchmal irreführend und wir benötigen wissenschaftliche Theorien, um scheinbare Widersprüche aufzulösen. Genauer gesagt benötigen wir Wissen darüber, welche Arten von Beobachtungen bzw. Daten geeignet sind, um andere Aussagen zu begründen. Dieses Wissen erhalten wir in Form von Rechtfertigungsprinzipien (Toulmin 2003: 90 f.). Wissenschaftliche Disziplinen zeichnen sich genau durch dieses Wissen aus. Eine Physikerin muss sich mit physikalischen Rechtfertigungsprinzipien auskennen, ein Biologe braucht biologische Rechtfertigungsprinzipien usw. Aus argumentationstheo‐ retischer Sicht besteht das Hauptziel Ihres Studiums darin, Sie mit diesen Prinzipien vertraut zu machen. Achten Sie deshalb schon in Einführungsveranstaltungen darauf, wie allgemeine Aussagen in Ihrem Fach begründet werden! Mit welchen Modellen werden bestimmte Probleme dargestellt? Welche Experimentformen eignen sich, um bestimmte Hypothesen zu überprüfen? Und warum ist das jeweils der Fall? Stellen Sie Ihren Dozierenden diese Fragen, falls sich aus den Vorlesungsinhalten keine Antworten ergeben! Hier ist ein weiteres Beispiel: Stellen Sie sich Aliens vor, die daran interessiert sind, wie sich der Gesundheitszustand von Menschen auf ihr soziales Verhalten auswirkt. Nach ausführlichen Studien stellen die Aliens fest, dass verhältnismäßig viele Menschen mit Lungenkrebs Zigaretten rauchen. Sie schließen darauf, dass eine Lungenkrebserkrankung bei Menschen dazu führen kann, Tabak zu sich zu nehmen. „Lungenkrebs kann Rauchen verursachen“ ist ihre abschließende Feststellung. Auch in diesem Beispiel führen robuste Daten zu einer falschen Annahme. Wieder besteht der Fehler in einem falschen Rechtfertigungsprinzip, nämlich der Gleichset‐ zung von Korrelation und Verursachung. Die Lektion, die aus diesem Beispiel folgt, gilt für alle Disziplinen, in denen experimentelle Daten eine Rolle spielen: Der Prozess der Erhebung von Forschungsdaten kann noch so gut sein - wenn man nicht weiß, welche Aussagen die gewonnenen Daten begründen und welche nicht, ist man der Wahrheit kein Stück näher. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 259 <?page no="260"?> Übung: Finden Sie ein Rechtfertigungsprinzip Ihres Fachs 1. Wählen Sie eine Aussage aus, die in Ihrem Fach als Wissen gilt, z. B.: „Hunde sind Säugetiere.“ 2. Überlegen Sie sich, wie diese Aussage in Ihrem Fach begründet werden kann, z. B.: „Hunde besitzen die drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel.“ 3. Überlegen Sie sich schließlich, warum die ursprüngliche Aussage auf diese Weise begründet werden kann (= Rechtfertigungsprinzip), z. B.: „Die drei Gehörknöchelchen sind ein exklusives Merkmal von Säugetieren.“ Wenn Sie auf diese Weise ein Rechtfertigungsprinzip identifiziert haben, wissen Sie nicht nur, warum die ursprüngliche Aussage wahr ist, sondern können auch ähnliche Aussagen verifizieren oder falsifizieren. In unserem Beispiel: „Um zu prü‐ fen, ob X ein Säugetier ist, untersuchen wir, ob es die drei Gehörknöchelchen besitzt.“ Außerdem können Konflikte zwischen Rechtfertigungsprinzipien zu interessanten wissenschaftlichen Fragen führen: Wenn wir ein Tier entdecken würden, dass die drei Gehörknöchelchen besitzt, aber seine Jungtiere nicht über Milchdrüsen ernährt, müssten einige grundlegenden Annahmen der Zoologie infrage gestellt werden. Beim Schreiben der letzten Kapitel Ihrer Arbeit setzen Sie also Rechtfertigungsprin‐ zipien ein, um abschließende Aussagen über die Bedeutung Ihrer Ergebnisse zu treffen. Damit klar wird, aus welchen (Teil-)Ergebnissen Sie Schlüsse ziehen, sollten die Ergebnisse davor noch einmal zusammengefasst werden. Vielleicht kommt Ihnen das wie eine unnötige Wiederholung vor - die Ergebnisse haben Sie ja direkt davor beschrieben - aber tatsächlich erscheint eine solche (kurze! ) Wiederholung in fast allen professionellen wissenschaftlichen Artikeln. Ähnlich geläufig ist ein Bezug zu bereits publizierter Forschung: Eine geschickte Strategie zur Stärkung Ihres Arguments besteht darin, Ihre Ergebnisse mit denen anderer Wissenschaflter: innen in Bezug zu setzen. Dadurch verleihen Sie Ihrer Arbeit Autorität und erfüllen das in der Einleitung getätigte Versprechen, die Forschungsland‐ schaft zu verändern. Hier sind einige Möglichkeiten, das zu tun (nach Peacock 2002): ● Benennen Sie ähnliche Ergebnisse anderer Wissenschaftler: innen, um zu zeigen, dass Ihre Forschung bestehende Thesen bestätigt. ● Benennen Sie abweichende Ergebnisse anderer Wissenschaftler: innen, um zu zeigen, dass Ihre Forschung bestehende Thesen infrage stellt. ● Erklären Sie mit Bezug auf bereits publizierte Forschung, welche Erwartungen Sie vor Durchführung der Forschung hatten und erklären Sie anschließend, inwieweit die tatsächlichen Ergebnisse diese Erwartungen (nicht) erfüllt haben. ● Legen Sie die Grenzen Ihrer Forschung offen, also z. B. methodische Schwierig‐ keiten, mehrdeutige Ergebnisse oder unzureichend begründete Vermutungen. 260 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="261"?> Zusammenfassend sollten Sie die Frage nach der Bedeutung von Ergebnissen also beantworten, indem Sie: 1. relevante Ergebnisse noch einmal kurz hervorheben, 2. diese mit bereits publizierter Forschung in Bezug setzen, 3. Ergebnisse mit fachlichen Rechtfertigungsprinzipien interpretieren. Durch diese argumentativen Schritte begründen Sie die theoretischen Konsequen‐ zen Ihrer Forschung. Je nach Fach und Thema sollten Sie außerdem die praktischen Konsequenzen erläutern, indem Sie konkrete Forschungs- oder Handlungsempfeh‐ lungen formulieren. Gerade, wenn Ihre Forschung weitere Fragen aufwirft oder bestehende Fragen nicht abschließend beantwortet, ist es üblich, weitere Forschung zu empfehlen oder sogar für sich selbst zu beanspruchen. In anwendungsbezoge‐ nen Fächern können Handlungsempfehlungen auch an Institutionen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft gerichtet werden, zum Beispiel an politische oder wirtschaftliche Organisationen, die die Ergebnisse bei Entscheidungsfindungen be‐ rücksichtigen sollten. Argumentation und IMRaD Mittlerweile sollte klar geworden sein, warum wissenschaftliche Arbeiten in der Regel der Kapitelstruktur von Einleitung, Grundlagen/ Methoden, Ergebnisse und Diskussion folgen: Mit dieser Einteilung werden die Fragen potentieller Leser: innen systematisch beantwortet. Tabelle 1.5.1 zeigt den engen Zusammenhang zwischen diesen Fragen, den IMRaD-Kapiteln und den darin enthaltenen rhetorischen Bestandteilen. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 261 <?page no="262"?> Tab. 1.5.1: IMRaD rhetorisch betrachtet. Teil Frage Typische rhetorische Bestandteile I Warum sollte diese Arbeit gelesen werden? Forschungsbereich etablieren Forschungsnische etablieren Forschungsnische besetzen M Wie wurden Forschungs‐ ergebnisse gewonnen? Materialien benennen Methoden beschreiben Theoretische Grundlagen beschreiben Hintergrund der Methode/ Theorie vorstellen Ggf. Datenauswertung beschreiben R Welche relevanten Ergeb‐ nisse wurden gewonnen? Forschungsziel rekapitulieren Ergebnisse präsentieren Schlüsselergebnisse zusammenfassen D Welche Bedeutung besit‐ zen diese Ergebnisse? Ergebnisse mit Forschungsziel in Bezug bringen Ergebnisse erklären, bewerten, interpretieren Limitationen aufzeigen Bedeutung der Arbeit für Forschungsfeld aufzeigen Im Studium sollten Sie sich also generell an die IMRaD-Struktur halten, vor allem, wenn dies explizit vorgegeben wird. Seien Sie sich aber bewusst, dass es sich dabei letztendlich um eine Stütze handelt, die die Erwartungen von Leser: innen widerspiegelt und so dabei hilft, diese zu erfüllen. Entscheidend für eine gute Struktur ist deshalb nicht, ob ein Text die vier üblichen Kapitel einfach nur besitzt, sondern ob in den jeweiligen Kapiteln auch die zugehörigen Fragen beantwortet werden. Wissenschaftliche Texte sind Argumentationen (und das ist gut so) Im vorhergehenden Abschnitt haben wir gezeigt, dass die Präsentation von For‐ schungsergebnissen nicht das einzige Ziel einer wissenschaftlichen Arbeit ist. Min‐ destens genauso wichtig ist die argumentative Darlegung der Bedeutung, die diese Ergebnisse besitzen. Für das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten im Studium bedeu‐ tet das, dass Sie in Abstract und Einleitung die Relevanz Ihrer Arbeit begründen und Leser: innen im Diskussionsteil erklären müssen, welche theoretischen und praktischen Konsequenzen aus Ihren Ergebnissen folgen. Außerdem müssen Sie schildern, wie Daten zustande gekommen sind, um von der Validität Ihrer Forschung 262 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="263"?> zu überzeugen. Wissenschaftliche Texte sind also durch und durch argumenta‐ tiv. Dass das eine gute Sache ist - dass wissenschaftliche Texte argumentativ sein sollen - dafür haben wir im ersten Abschnitt plädiert. Wissen zu schaffen bedeutet auch, es anderen Personen zugänglich zu machen, und deshalb die Gründe für getroffene Aussagen offenzulegen. Nur so ist es möglich, unsere Wissensgrenzen stückweise zu erweitern. Argumentation spielt aber nicht nur innerhalb einzelner Forschungsgemeinschaften eine wichtige Rolle. Die wissenschaftliche Methode ist eine der besten Möglichkeiten, um unsere Mitbürger: innen von objektiven Tatsachen zu überzeugen. Argumentative Begründungen können dafür sorgen, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Mei‐ nungen über grundlegende Fakten einig werden und handelnd auf sie reagieren. Dieses vermittelnde Ziel von Wissenschaft kann nur dann erreicht werden, wenn Forscher: innen überzeugend erklären können, warum Ergebnisse valide sind und weshalb sie auch für Personen außerhalb der Wissenschaft Relevanz besitzen. Um auch skeptische Leser: innen zu überzeugen, reicht es nicht, Forschungsprozesse zu beschreiben; es gilt auch zu begründen, warum diese Prozesse zu verlässlichen Ergeb‐ nissen führen. Dafür müssen Sie die Rechtfertigungsprinzipien Ihres Fachs kennen und verteidigen können. Als Wissenschaftler: in sind Sie also nicht nur Entdecker: in, sondern auch Verteidi‐ ger: in der Wahrheit. Es liegt in Ihrer Verantwortung, andere Personen von der Validität Ihrer Forschung zu überzeugen und sie gegen potentielle Einwände zu verteidigen. Das Schreiben argumentativer Texte zu erlernen gehört deshalb zu den wichtigsten Zielen Ihres Studiums. Literatur A N D R E W S , Richard (2009): Argumentation in higher education. Improving practice through theory and research. New York. A N T H O N Y , Laurence / B O W E N , Mark (2013): „The language of mathematics: A corpus-based analysis of research article writing in a neglected field“. In: Asian ESP Journal (Vol. 9), S. 5-25. M A S WA N A , Sayako et al. (2015): „Move analysis across five engineering fields: What they share and what they do not“. In: Ampersand (Vol. 2), S. 1-11. Verfügbar unter: https: / / doi.org/ 10.10 16/ j.amper.2014.12.002 P E A C O C K , Matthew (2002): „Communicative moves in the discussion section of research articles“. In: System (Vol. 30), S.-1-11. S WA L E S , Richard (2013): „Create a Research Space (CARS) Model of Research Introductions“. In: Wardle, Elizabeth / Downs, Doug (Hrsg.): Writing about writing. A college reader. (2 nd ed.). Boston / New York, S.-12-16. T O U L M I N , Stephen E. (2003): The Uses of Argument. Updated Edition. Cambridge / New York. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 263 <?page no="264"?> Kap.-1.2.5 1.5.3 Abbildungen und Visualisierung von Daten Martina Michalikova und Sarah Herfurth In vielen MINT-Fächern werden Forschungsergebnisse typischerweise in Form von Abbildungen dargestellt. Denn Abbildungen ermöglichen es, Muster in Daten zu erken‐ nen und bestimmte Eigenschaften von Daten hervorzuheben. Abbildungen sind also hervorragend geeignet, um die Botschaft der Forschungsergebnisse zu kommunizieren. Bei der Visualisierung von Daten und Erstellung von Abbildungen ist allerdings größte Sorgfalt geboten, damit die gewünschte Botschaft auch wirklich übermittelt wird und die Leser: innen nicht verwirrt, oder sogar irregeführt werden. Grundlagen: Abbildungen in wissenschaftlichen Arbeiten Jede Abbildung in einer wissenschaftlichen Arbeit muss aussagekräftig beschriftet und mit einer fortlaufenden Nummer versehen werden (Beispiel siehe Abb. 1.5.4). In Ar‐ beiten, die in Kapitel gegliedert werden, werden die Abbildungen typischerweise in‐ nerhalb eines Kapitels fortlaufend nummeriert (zum Beispiel: Abbildung 3.1 ist die erste Abbildung im Kapitel 3). Im Gegensatz zu Tabellen wird die Abbildungsbeschrif‐ tung grundsätzlich unterhalb der Abbildung platziert. Die Beschriftung, beginnend mit einer kurzen und präzisen Überschrift, soll den Inhalt der Abbildung möglichst genau beschreiben, so dass die Leser: innen die dargestellten Inhalte verstehen können, ohne in den Haupttext schauen zu müssen. Zur besseren Verständlichkeit enthalten Abbil‐ dungen oft auch eine Legende, die die unterschiedlichen grafischen Elemente (Zeichen, Linien, etc.) übersichtlich erklärt. Besteht die Abbildung aus mehreren Unterabbildun‐ gen, so werden diese mit fortlaufenden Buchstaben in Klein- oder Großschrift markiert. Wurde die Abbildung aus einer Quelle übernommen, so muss dies am Ende der Be‐ schriftung entsprechend gekennzeichnet sein. Abbildungen werden üblicherweise direkt unter den Absatz platziert, in dem sie zum ersten Mal erwähnt werden. Dabei wird jede Abbildung unabhängig ihrer Größe als eigenständiger Absatz formatiert. Das heißt, es steht kein Text neben einer Abbildung. Reicht der Platz bis zum Ende der Seite nicht für die Abbildung samt der Beschriftung, kann die Abbildung auf die nächste Seite gesetzt werden. Abbildungen, die ergänzende Informationen enthalten und nicht zwingend notwendig sind, um den Haupttext zu verstehen, werden am besten im Anhang platziert, damit der Lesefluss nicht gestört wird. Auf jede Abbildung, ob im Haupttext oder Anhang platziert, muss im Text verwiesen werden. Hierbei wird die Nummer der Abbildung angeben. Wenn die Abbildung in einem anderen Kapitel oder Abschnitt der Arbeit dargestellt ist, kann zur besseren Orientierung zusätzlich auch die Seitenzahl oder das entsprechende Kapitel bzw. der Abschnitt erwähnt werden, zum Beispiel: „siehe Abbildung 3, S.-12”. 264 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="265"?> Abb. 1.5.4: Photosyntheserate und Lichtabsorption eines Buchenblattes. Die Photosyntheserate gemessen an der Sauerstoffproduktion (durchgezogene Linie) und die Lichtab‐ sorption (gestrichelte Linien) von Beta-Carotin (orange), Chlorophyll a (dunkelgrün) und Chlorophyll b (hellgrün) sind dargestellt als Funktion der Wellenlänge des eingestrahlten Lichts. Quelle: „Lichtabsorption eines Buchenblattes” von Lanzi, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Lic htabsorbtion_eines_buchenblattes.svg, gemeinfrei. In akademischen Abschlussarbeiten, aber oft auch in Protokollen und anderen kürzeren Arbeiten, wird ein Abbildungsverzeichnis verlangt. Dieses steht typischerweise zu Beginn der Arbeit und enthält die Auflistung aller Abbildungen, wobei deren Nummer, Überschrift sowie die Seitenzahl angegeben wird. Design von Abbildungen Bei Abbildungen handelt es sich nicht um eine neutrale Präsentation von Daten; vielmehr werden die Daten durch die gewählte Art der grafischen Darstellung einer Interpretation unterzogen. Sie als Autor: in bestimmen, welche Aspekte der Daten hervorgehoben und welche überhaupt dargestellt werden. Deswegen gilt, dass die beabsichtigte Botschaft die Darstellungsform bestimmt. Sie müssen also zunächst diese Botschaft für die geplante Abbildung festlegen, und dann eine passende Form der grafischen Darstellung auswählen. Zum Beispiel: Für die Botschaft „Gruppe 1 und 2 unterscheiden sich quantitativ“ eignet sich der Boxplot (Abb. 1.5.5). Die Botschaft 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 265 <?page no="266"?> „Gruppe 1 und 2 unterlaufen unterschiedliche Entwicklung über Zeit“ lässt sich gut mit einem Liniendiagramm (Abb. 1.5.6) visualisieren. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Design-Prinzipien für wissenschaftli‐ che Abbildungen vorgestellt. Fassen Sie Daten zusammen, um Komplexität zu reduzieren und somit die Botschaft klarer zu kommunizieren. Wenn Ihre Botschaft ganze Gruppen betrifft (zum Beispiel „Mit Zugabe von X wachsen die Pflanzen schneller als ohne Zugabe von X”) ist es besser statt Einzelwerten statistische Größen darzustellen. Zur zusammenfassenden Darstellung wird oft der Boxplot, auf Deutsch auch Kastengrafik genannt, verwendet (Abb. 1.5.5). Im Boxplot werden mehrere statistischen Kennwerte dargestellt (Median, oberes und unteres Quartil, der Maximal- und Minimalwert sowie ggfs. die Ausreißer), so dass die unterliegende Verteilung der Daten ersichtlich wird. Allerdings empfiehlt es sich in jedem Fall, zunächst die einzelnen Datenpunkte anzuschauen um wichtige Trends zu erkennen, die in der zusammenfassenden Darstellung möglicherweise nicht sichtbar wären und als Folge eine andere Darstellungsart benötigen (Matejka & Fitzmaurice, 2017). Achten Sie darauf, die Abbildungen nicht zu überfüllen. Wenn die dargestellten Daten zu sehr überlappen, werden einzelne Datenbereiche überdeckt und insgesamt fällt es schwer, sich in der Abbildung zu orientieren. Hier empfiehlt es sich, die dargestellten Datensätze in Unterabbildungen aufzuteilen (Beispiel siehe Abb. 1.5.6; McInerny & Krzywinski, 2015; Rougier et al., 2014; Wong 2010b). Abb. 1.5.5: Der Boxplot eignet sich zur zusammenfassenden Darstellung von quantitativen Daten. Im Boxplot definiert das untere und obere Quartil die Grenzen der Box. Der Median wird mit einem Strich in der Box dargestellt. Die untere und obere Antenne („Whisker“) haben allerdings keine einheitliche Definition. Sie repräsentieren die maximalen und minimalen Datenwerte, wobei die Ausreißer mit einbezogen oder ausgeschlossen werden können. Wenn die Ausreißer ausgeschlossen werden, dann werden die Antennen oft auf maximal das 1,5-fache des Interquartilsabstandes beschränkt. Der Interquartilsabstand wird als Differenz des oberen und unteren Quartils berechnet. Die Antenne endet hierbei bei dem größten bzw. kleinsten Wert, der noch innerhalb des 1,5-faches des Interquartilsab‐ standes fällt. Alle anderen Werte sollen zur Vollständigkeit als Ausreißer einzeln dargestellt werden. Quelle: „Elements of a boxplot“ von RobSeb, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Elements_of_a_ boxplot.svg, unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 (https: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 3.0/ ) 266 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="267"?> Abb. 1.5.6: Überfüllen Sie Ihre Abbildungen nicht. Links: Sieben Datensätze werden zum qualitativen Vergleich übereinander aufgezeichnet. Durch die Überlappung ist es schwer, die einzelne Datensätze zu unterscheiden. Die Beschriftung der horizontalen Achse überlappt, und auch die Markierungen an der vertikalen Achse sind recht dicht und scheinbar willkürlich gewählt. Des Weiteren verdeckt die Legende einen Teil der dargestellten Daten. Rechts: Der qualitative Vergleich der Datensätze ist viel einfacher, wenn die Datensätze einzeln hervorgehoben dargestellt werden, mit den anderen Datensätzen im Hintergrund zum Vergleich. Die Achsenmarkierungen wurden reduziert (die vertikalen Striche markieren jeweils den [-1, +1] Bereich), auf die Farbe konnte komplett verzichtet werden. Quelle: Rougier et al. (2014), https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pcbi.1003833.g007, gemeinfrei unter der Lizenz CC0 (https: / / creativecommons.org/ share-your-work/ public-domain/ cc0/ ) 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 267 <?page no="268"?> Bei Abbildungen mit numerischen Daten muss darauf geachtet werden, dass die dargestellten Zahlenwerte (je nach beabsichtigter Botschaft mehr oder weniger genau) abgelesen werden können. Beschriftete Achsen eines Koordinatensystems erlauben ein relativ genaues Ablesen der Zahlenwerte, besonders wenn sie durch ein Rastergitter ergänzt werden. Wenn die genauen Zahlenwerte nicht im Vordergrund stehen, reicht oft eine Maßstabsleiste zur ungefähren Abschätzung der Datenwerte, wodurch die Abbildung weniger überfüllt wirken kann (Beispiele siehe Abb. 1.5.7). Werden die numerischen Werte mit einer Farbskala (z. B. in einer Heatmap) dargestellt, so muss der entsprechende Farbbalken zur Entschlüsselung in die Abbildung integriert werden (siehe Abschnitt „Farbe effektiv nutzen”). Abb. 1.5.7: Angabe des Maßstabs in Abbildungen. Eine Maßstabsleiste eignet sich zur Angabe der Größenordnung (A, D). Wenn es um konkrete Zahlen‐ werte geht, sind Koordinatensysteme mit Achsen günstiger (C). Eine Kombination von Maßstabsleiste und Achsen ist ebenso möglich (B). Der Vergleich von mehreren Grafen wird erleichtert, wenn derselbe Maßstab verwendet wird (B, D) und wenn die Achsen ausgerichtet sind (B). Quelle: Michalikova et al., (2017), https: / / doi.org/ 10.1371/ journal.pcbi.1005237.g001, unter der Lizenz CC BY 4.0 (https: / / creativecommons.org/ licenses/ by/ 4.0/ ) 268 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="269"?> Bei der Wahl eines geeigneten Diagrammtypen empfiehlt es sich zu berücksichtigen, dass einige visuelle Schätzungen präziser ausgeführt werden können als andere. Konkret ergaben die wegweisenden Arbeiten von Cleveland und McGill (1984, 1985) die folgende Reihenfolge, geordnet von einfachsten/ präzisesten bis zu schwersten/ un‐ präzisesten visuellen Schätzungen (Übersicht und Beispiele siehe Wong, 2010a): 1. Position auf einer gemeinsamen Achse 2. Position an identischen aber nicht ausgerichteten Achsen 3. Länge 4. Winkel 5. Fläche 6. Volumen, Farbsättigung, Farbhelligkeit 7. Farbton Daraus folgt, dass die Darstellung von Daten auf einer gemeinsamen Achse, wie etwa in Balken-, Säulen-, Punkte- und Liniendiagrammen, besonders leicht bzw. präzise interpretiert werden kann. Auch ein Vergleich von mehreren nicht ausgerichteten Diagrammen mit gleicher Achsenskalierung (Punkt 2) ist relativ einfach auszuführen. Kreisdiagramme dagegen beruhen auf Schätzungen, die nicht so präzise ausfallen (Winkel, Fläche), so dass sie besser durch Balken- oder Säulendiagramme ersetzt werden sollen. Am ungünstigsten schneidet die Repräsentation von quantitativen Daten mittels Farbe ab (siehe auch den nächsten Abschnitt „Farbe effektiv nutzen”). Farbe effektiv nutzen Farbe ist eine beliebte Möglichkeit, einzelne Kategorien, Datensätze oder -punkte in Abbildungen zu unterscheiden. Allerdings sollte mit Farbe vorsichtig umgegangen werden, da es hier schnell zu ungewünschten Effekten kommt: Weil die Farbwahrneh‐ mung relativ und abhängig von Hintergrundfarbe und benachbarten farbigen Objekten ist, weil die visuellen Schätzungen von Farbunterschieden vergleichsweise unpräzise ausfallen und nicht zuletzt weil etwa 4,5 % der Gesamtbevölkerung Farbfehlsichtigkei‐ ten aufweisen. Deswegen gilt als Grundregel: Wenn möglich auf Farbe verzichten. Statt Farbe kann mit Graustufen oder unterschiedlichen Zeichen- und Linienarten gearbeitet werden (Abb. 1.5.6). Zum Hervorheben eines bestimmten Aspektes kann eine Farbe effektvoll genutzt werden, während der Rest der Abbildung in Graustufen gehalten wird. Wenn Farbe als zusätzliche Dimension zur Datendarstellung eingesetzt wird, sollte die Farbpalette sorgfältig gewählt werden. Wegen den verschiedenen Formen von Farbfehlsichtigkeiten sind Kombinationen von Rot, Grün, Orange und Braun ebenso wie Blau und Lila ungünstig. Stattdessen wird Blau in Kombination mit Orange oder Rot empfohlen. Allerdings ist selbst Rot mit Grün möglich, wenn zusätzlich die Farbhelligkeit variiert wird. Letzteres ist auch günstig, falls die Abbildung in Schwarz-Weiß ausgedruckt wird. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 269 <?page no="270"?> Ein weit verbreiteter Diagrammtyp, der auf Farbe beruht, ist die Heatmap. Hier wird eine Messgröße farbig als Funktion von zwei Parametern dargestellt. Dabei kann grundsätzlich aus drei Typen von Farbskala gewählt werden: 1. Sequenzielle Farbskalen beruhen auf einer graduellen Änderung von Helligkeit und/ oder Sättigung einer Farbe, bzw. enthalten Übergänge zwischen 2-3 Farben. 2. Divergierende Farbskalen entstehen als Verbindung von zwei sequenziellen Farb‐ skalen, wobei die Helligkeit und Sättigung von der Mitte zu den Rändern steigt. 3. Qualitative Farbskalen beinhalten mehrere Farbtöne ohne eine graduelle Ände‐ rung von Helligkeit und Sättigung. Für die Repräsentation von quantitativen Daten sind sequenzielle Farbskalen am besten geeignet. Abweichungen von einem bedeutenden Wert lassen sich mit Hilfe von divergierenden Farbskalen veranschaulichen. Qualitative Farbskalen (z. B. die beliebte Regenbogen-Farbskala) sind allerdings problematisch, wenn es um die Darstellung von quantitativen Daten geht (Borland & Russel, 2007). Diese Farbskalen bestehen aus Bändern von verschiedenen Farbtönen, so dass die Unterschiede innerhalb eines Farbbandes deutlich kleiner wahrgenommen werden als die Unterschiede zwischen den einzelnen Farbbändern, wodurch der Vergleich so dargestellter Datenpunkte verzerrt wird. Des Weiteren sind die einzelnen Farbbänder oft unterschiedlich breit, was zu einer weiteren Missinterpretation der Daten beitragen kann. Software zur Erstellung und Bearbeitung von Abbildungen Abbildungen für Ihre wissenschaftlichen Arbeiten können Sie mit Hilfe von verschie‐ denen Software-Programmen erstellen und weiter bearbeiten. Im Folgenden werden einige der gängigen Programme vorgestellt, die kostenlos genutzt werden können. OpenOffice Calc ist eine Open-Source-Variante, die vergleichbare Funktionen wie Microsoft Excel besitzt. Der Schwerpunkt dieses Programmes liegt auf Tabellenkalkula‐ tionen, die berechneten Daten lassen sich aber auch in verschiedenen Diagrammtypen darstellen. OpenOffice Calc ist ein gutes Einstiegsprogramm mit einfacher Bedienung. R ist eine Programmiersoftware für statistische Berechnungen und grafische Dar‐ stellungen. Im Vergleich zu OpenOffice Calc sind die rechnerischen sowie grafischen Möglichkeiten von R viel breiter. Ein weiterer Vorteil sind die grafischen Darstellun‐ gen, die bereits mit den Standard-Einstellungen professionell — übersichtlich und ansprechend — aussehen. Die Nachteile ergeben sich aus der Notwendigkeit, R als Programmiersprache zu lernen, um es anwenden zu können. Matplotlib ist eine Bibliothek für grafische Darstellungen der Programmiersprache Python. Diese bietet immense grafische Möglichkeiten und eignet sich für diejenigen, die Python zur Datengewinnung oder -analyse verwenden (möchten). Inkscape ist ein professionelles Programm zur Erstellung und Bearbeitung von Vek‐ torgrafiken, ähnlich dem kostenpflichtigen Programm Adobe Illustrator. Hier lassen sich zum Beispiel komplexe Abbildungen zusammenstellen, mit anderen Programmen 270 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="271"?> erstellte Abbildungen ästhetischer aufarbeiten oder Abbildungen aus PDF-Dokumen‐ ten extrahieren und weiter bearbeiten. GIMP (GNU Image Manipulation Program) ist ein pixelbasiertes Grafikprogramm und, ähnlich wie sein kostenpflichtiges Pendant Adobe Photoshop zur Bildbearbeitung geeignet, zum Beispiel zum Retuschieren oder Zusammenstellen von Fotografien. Literatur: B O R L A N D , D. / T A Y L O R II, R.M. (2007): Rainbow color map (still) considered harmful. IEEE Computer Architecture Letters, 27(02), pp. 14-17. 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In der Informatik ist es dahingegen sehr wahrscheinlich, dass Sie mit mehrwertigen Logiken wie der Fuzzylogik in Kontakt kommen, weil es beispielsweise bei der Verarbeitung von verbal vorliegenden Daten notwendig sein kann, nicht nur wahr (ja) und falsch (nein), sondern auch mit sogenannten Heckenausdrücken versehene Aussagen wie „eher ja“ oder „tendenziell nein“ zu erfassen und in einen mathematischen Ausdruck überführen zu können. 1.5.4 Mathematik im Text Eva Kaufholz-Soldat 72 [W]hen we multiply two number together (which is a way of combining the two numbers) we expect the result to be a number. However little we know about arithmetic, we should be surprised if the answer was a bunch of parsley. W. W. Sawyer: Prelude to Mathematics Was Sie unbedingt tun müssen I: Definieren Mathematik kann in den unterschiedlichsten Arbeiten im Studium vorkommen, von Protokollen oder ingenieurtechnischen Arbeiten, in denen statistische oder numerische Berechnungen durchgeführt werden, bis hin zu theoretischen Arbeiten aller Fächer‐ gruppen, in denen die Mathematik den Kern des Inhalts ausmacht. Dabei kann die Mathematik in unterschiedlichen Formen auftreten. Das, was fächerübergreifend wohl am häufigsten in studentischen Arbeiten auftritt, bezeichnet man als mathematische Aussagen. Beispiele für Aussagen sind „Ich lese gerade dieses Kapitel“, „1 + 1 = 2“ oder Sätze, Lemmata oder Theoreme wie „Die Winkelsumme in jedem ebenen Dreieck beträgt 180“. Aussagen können Sie daran erkennen, dass sie einen Wahrheitsgehalt besitzen, also entweder wahr oder falsch sind. 73 Die Aussage, mit der wir uns erstmal näher beschäftigen werden, beruht auf dem Term Um den Wahrheitsgehalt von auf solchen Termen beruhenden Aussagen zu überprüfen, oder auch von Berechnungen, wie sie beispielsweise beim Lösen von Integralen oder Differentialgleichungen oder der Durchführung von statistischen Auswertungen auftreten können, wird in der Regel entweder gezeigt, dass das, was hinter dem Gleich‐ heitszeichen steht, aus dem, was am Anfang steht, durch zulässige Umformungen erhalten werden kann, dann ist die Aussage wahr, oder dass dies nicht gilt und die 272 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="273"?> 74 Mir ist bewusst, dass das Wort „trivial“ in der Mathematik mehrere Bedeutungen hat (unter anderem „ich habe keine Lust, die ganzen Rechenschritte durchzuführen und deswegen schreibe ich einfach mal „Die triviale Rechnung ist dem Leser überlassen.“ und hoffe, dass ich nicht übersehen habe, dass man an der ein oder anderen Stelle doch etwas länger nachdenken muss.“). Hier heißt es wirklich nur „So einfach, dass wirklich nicht mal ein: e Schüler: in denken würde, dass es kompliziert ist“. 75 Strenggenommen müssen Sie genauso für die Begriffe „ich“ und „Kapitel“ verfahren. Aussage falsch ist. Dabei ist es in schriftlichen Arbeiten an der Universität nicht üblich, die vorgenommene Umformung hinter einem senkrechten Strich anzugeben. Handelt es sich um eine triviale 74 Umformung können Sie davon ausgehen, dass die: der Leser: in erkennt, was passiert ist. Beispiel: Auch wenn Sie die Umformungen in der endgültigen Fassung nicht notieren, müssen Sie sie vorher durchgeführt haben. Und um sicherzustellen, dass sie zulässig sind, müssen Sie Gebrauch von der Art von Mathematik machen, die dazu dient, den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu überprüfen, ohne selbst einen zu besitzen. Wenn wir uns beispielsweise die Aussage „Ich lese dieses Kapitel“ anschauen, hängt das Urteil darüber, ob sie wahr ist oder nicht, maßgeblich davon ab, was Sie unter den einzelnen Begriffen verstehen. Es kann sein, dass für Sie persönlich zumindest in diesem Kontext „ein Kapitel lesen“ genau das gleiche ist, wie „ein Kapitel durcharbeiten“ oder „ein Kapitel überfliegen“. Es kann aber auch sein, dass Sie zwischen diesen Formulierungen unterscheiden und Sie „lesen“ verwenden, um eine spezifische Form der Auseinander‐ setzung zu bezeichnen. Um dieser Aussage einen Wahrheitswert zuordnen zu können, benötigten Sie also eine Definition für „lesen“. 75 Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Definition für diesen Begriff sehr sub‐ jektiv ausfallen kann. Um daraus entstehende Probleme zu vermeiden, also möglichst 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 273 <?page no="274"?> 76 Ein Beispiel für ein mögliches Axiom der Geometrie ist „Je zwei voneinander verschiedene Punkte P und Q bestimmen stets eine Gerade g“. objektiv zu sein, verwendet die Mathematik eine spezifische, in weiten Teilen streng formale Sprache. Dies bedeutet, dass viele Begriffe und Symbole eine allgemein aner‐ kannte, feststehende Bedeutung besitzen, darunter das in unserem Beispiel verwendete =, das bedeutet, dass beide Seiten des Ausdrucks gleich sind oder das +, mit dem gemeinhin die Addition zweier Elemente notiert wird, die auf je einer Seite des Symbols stehen. Auch wenn Sie bereit sind, dieser stillschweigend getroffenen Übereinkunft zu folgen, reichen Umformungen allein nicht aus, um über den Wahrheitsgehalt zu entscheiden. In unserem Fall ist der Wahrheitsgehalt der Aussage nämlich davon abhängig, woher die Variablen a und b stammen, oder genauer gesagt, ob die Aussage überhaupt einen Sinn ergibt. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass in manchen Kontexten eine Angabe des Definitionsbereichs unüblich ist, beispielsweise in empiri‐ schen Arbeiten wie Protokollen in den Lebenswissenschaften, in denen ausschließlich mit reellen Zahlen gerechnet wird. Für eine tatsächlich korrekte Darstellung, wie sie insbesondere in jeder Form von mathematischer Arbeit von Übungsaufgaben bis hin zu Fachpublikationen gefordert ist, ist eine solche Angabe aber unabdingbar und das aus gutem Grund. Denn in unserem Beispiel muss aus der Definition hervorgehen, dass die Summe von a und b nicht Null ergibt, da sonst der Bruch nicht definiert wäre (vom anschließenden Kürzen ganz zu schweigen). Eine saubere Formulierung wäre daher: Beispiel: Diese Definition hat noch einen weiteren wichtigen Grund, denn für die Umformungen ist hier stillschweigend von einer Spezialform der Definition Gebrauch gemacht worden, den sogenannten Axiomen. Diese elementarsten Grundbausteine der Mathe‐ matik werden als korrekt vorausgesetzt und bilden die Basis aller weiteren Definitionen und Aussagen. 76 Genau wie Definitionen sind die zugrundegelegten Axiome entschei‐ 274 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="275"?> 77 Sei g eine beliebige Gerade und P ein Punkt außerhalb von g. Dann gibt es in der von P und g bestimmten Ebene höchstens eine Gerade h, die durch P verläuft und g nicht schneidet. (Dass es sich um genau eine Gerade handelt, lässt sich aus den anderen Axiomen ableiten.) 78 Hinweise zum Aufschreiben von Definitionen, aber auch Lemmata und Beweisen finden Sie in Kapitel 2.3.1. dend für die Sinnhaftigkeit oder den Wahrheitsgehalt von Aussagen. Im Falle der Aussage „Die Winkelsumme in jedem Dreieck beträgt 180°“ hängt der Wahrheitsgehalt beispielsweise maßgeblich vom zugrundeliegenden axiomatischen System ab. In der euklidischen Geometrie gilt sie aufgrund der Äquivalenz zum dort vorausgesetzten Parallelenaxiom 77 ; in hyperbolischen bzw. elliptischen Geometrien, also Geometrien, in denen das Parallelenaxiom nicht gilt, sind die Winkelsummen in Dreiecken aber im Allgemeinen kleiner bzw. größer als 180°. In unserem Fall hängt der Nachweis des Wahrheitsgehalts maßgeblich von der Zulässigkeit der vorgenommenen Umformung ab. Auch wenn die Summe von a und b ungleich Null ist, muss die Operation des Teilens an sich als zulässig gesichert werden. Erfreulicherweise ist ℝ ein Körper, weshalb aufgrund der Körperaxiome gilt, dass a + b ein Element ergibt, das wieder in ℝ liegt. Aufgrund der Körperaxiome besitzt dieses Element auch ein Inverses, so dass die Umformung zulässig ist. Allgemeiner formuliert ist eine Aussage dann (und nur dann! ) wahr, wenn sie aus den Axiomen und Definitionen vollständig durch zugelassene deduktive Schlüsse abgeleitet werden kann. Dieser Vorgang wird als beweisen oder Führen eines Beweises bezeichnet. (Schichl und Steinbauer 2009, S. 22ff.) Und die richtigen Definitionen tragen maßgeblich dazu bei, die Zulässigkeit der einzelnen Schritte und damit die Aussagekraft des Beweises zu sichern. Auch wenn wir uns hier nur Variablen angeschaut haben, müssen Sie aus den gleichen Gründen alles definieren, was Sie in Ihrer Arbeit verwenden, also Begriffe, Abkürzungen, Operationen oder Vorschriften, die nicht als elementares Wissen vor‐ ausgesetzt werden können. Als Faustregel fällt unter dieses elementare Wissen alles, was in regulären Vorlesungen in den ersten Semestern eingeführt wird, weshalb Sie beispielsweise Begriffe wie Funktion, Skalarpodukt oder auch Bijektivität nicht definieren müssen. 78 Führen Sie aber eine Abkürzung als Namen für ein bestimmtes Objekt wie eine Funktion ein, so müssen Sie innerhalb der Definition auch erwähnen, um welches Objekt es sich handelt. Eine Ausnahme wird hier oft bei Elementen einer Menge gemacht (es wird also nicht explizit erwähnt, dass es sich um ein Element handelt). Denken Sie daran, dass Sie bei mehreren Elementen aus einer Menge jedes Element einzeln oder alle Elemente mit Hilfe eines Index definieren: 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 275 <?page no="276"?> 79 Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass das Subjekt aus mehreren Elementen besteht. Dies ist in der Alltagssprache auch so, beispielsweise im Falle von „Laura, Karim und Gene sind heute zu spät gekommen“. Kap.-1.4.1, 1.4.2 und 1.4.3 Beispiel: Bei einer solch formellen Disziplin wie der Mathematik mag es überraschen, dass wir mit der Definition von allem, was Sie verwenden, bereits fast alles besprochen haben, was Sie bei der Notation mathematischer Aussagen beachten müssen. Es gibt nämlich nur noch einen weiteren Aspekt, dessen Missachtung zwangsläufig zu Fehlern führt. Dieser ist dabei noch nicht einmal mathematischer Natur: Es handelt sich um Regeln der Sprache, in der Sie schreiben. Was Sie unbedingt tun müssen II: Grammatik und Zeichensetzung Offensichtlich kann ein Text, auch in der Mathematik, in einer beliebigen Sprache ver‐ fasst werden. An deutschen Universitäten werden zwar nach wie vor die meisten Texte auf Deutsch verfasst, aber gerade in den MINT-Fächern wird eine zunehmende Zahl von studentischen Arbeiten in Englisch geschrieben. Hinweise zu diesen beiden Wis‐ senschaftssprachen finden Sie in den Kapiteln 1.4.1, 1.4.2 und 1.4.3. Hier soll es aber um sprach-unabhängige Regeln gehen, die zwingend beachtet werden müssen und deren Missachtung zu den häufigeren Fehlern in studentischen Arbeiten gehört. Häufig wird übersehen, dass mathematische Formeln und Gleichungen den gleichen Regeln unterliegen wie Sätze der klassischen Sprache. Das bedeutet insbesondere, dass sie ein Prädikat und ein Subjekt benötigen, die im Falle der Mathematik allerdings auch in symbolischer Form auftreten können. So ist beispielsweise der Ausdruck 3 + 7 in der Formel 3 + 7 = 10 das Subjekt 79 . Das Prädikat ist in dem Gleichheitszeichen versteckt, wie Sie sofort erkennen, wenn Sie sich die Aussage laut vorlesen: Es handelt sich um das „ist“ aus dem ausformulierten „ist gleich“. Auch in den Aussagen x ≤ y oder c ∈ ℂ ist das „ist“ enthalten. Es handelt sich also um ganze Sätze, die Sie, sofern sie in isolierter Form 276 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="277"?> auftreten, mit einem Punkt beenden müssen. Ausdrücke wie y − 7x enthalten kein Prädikat und müssen daher durch Text, beispielsweise durch ein vorangestelltes „Damit ist das Ergebnis“ vervollständigt werden. (Lee 2021) Dabei müssen die Regeln der Grammatik beachtet werden. Eine gute Methode, um zu überprüfen, ob Sätze mit eingefügten mathematischen Ausdrücken grammatikalisch korrekt sind, ist es, sich den Satz laut vorzulesen. Dabei dürfen die mathematischen Inhalte nicht übersprungen werden, sondern müssen mitgelesen werden, wie Sie gerne am folgenden Beispiel ausprobieren können: Beispiel: Achten Sie auch auf die korrekte Zeichensetzung, insbesondere darauf, ob nach der eingefügten Formel ein Komma, ein Punkt oder aber kein Satzzeichen stehen muss: 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 277 <?page no="278"?> An dieser Stelle haben wir tatsächlich alle obligaten Anforderungen besprochen und können uns nun daher dem zuwenden, was in diesen Text vorangestellten Zitat bereits angedeutet wird. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass dort keineswegs steht, dass es nicht sein kann, dass die Addition zweier Zahlen einen Bund Petersilie ergibt. Denn wenn Sie möchten, können Sie natürlich eine Regel definieren, nach der genau dies gilt. Unabhängig davon, ob eine solche Definition sinnvoll wäre, würde sie andere aber in höchstem Maße irritieren. Dies hängt mit dem im Zitat genannten „expect“ zusammen, also gewissen Erwartungshaltungen, die Lesende an mathematische Texte stellen. Selbst wenn mit den Zahlen bestimmte Umstände wie nährstoffreicher Boden oder regelmäßige Bewässerung codiert würden, deren Addition einen bestimmten Wert ergibt, mit dem Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Zucht von Kräutern getroffen werden können, würden wir erwarten, dass am Ende der Rechnung keine Suppeneinlage, sondern ein Zahlenwert steht, der mit einer Skala, auf der die Erfolgswahrscheinlichkeit gemessen wird, abgeglichen werden kann. Anders gesagt: Während einige Symbole eine meist unmissverständliche Bedeutung besitzen und deren Gebrauch daher einheitlich ist, wimmeln mathematische Texte auch 278 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="279"?> 80 Etwas drastischer formuliert: Die Missachtung von Konventionen führt gerne zu genervten Korrek‐ tor: innen, was sich erfahrungsgemäß nicht besonders gut auf Noten auswirkt. 81 Das „Gegenstück“ zu diesem Pfeil ist derjenige, bei dem aus der rechten Seite die linke folgt und der durch das Symbol „⇐“ dargestellt wird. Generell gilt dieser Pfeil als unelegant, weshalb er nur in Ausnahmefällen Verwendung findet, da durch ein einfaches Umstellen der nach rechts zeigende Implikationspfeil verwendet werden kann. von Konventionen, die nicht selten vom Kontext abhängen, in dem sie verwendet wer‐ den. Auch wenn es daher formal gesehen nicht falsch ist, sich über die Empfehlungen im Folgenden hinwegzusetzen, würde ich davon abraten. Gerade weil die genannten Konventionen weit verbreitet sind, sollten Sie Erwartungen der Lesenden erfüllen, um Quellen für mögliches erschwertes Verständnis oder sogar Missverständnisse so weit wie möglich zu vermeiden und generell für eine bestmögliche Lesbarkeit zu sorgen. 80 Was Sie machen sollten, weil es von Lesenden erwartet wird Auch wenn es nicht notwendig ist, triviale Umformungen anzugeben, bestehen die meisten Berechnungen und andere Beweise aus mehr als einem Schritt. Um die Lesbarkeit zu vereinfachen empfiehlt es sich, ab spätestens drei Schritten jedem eine eigene Zeile zu schenken. Dabei ist es unabdingbar, dass Sie erklären, wie die einzelnen Schritte zusammenhängen. Eine Möglichkeit sind die Folgepfeile, die zwischen zwei mathematischen Aussagen stehen und verdeutlichen, welcher Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Der Pfeil ⇒ ist ein Implikationspfeil und wird verwendet, wenn die rechte Aussage aus der linken folgt. Ist x beispielsweise eine natürliche Zahl, gilt die Aussage „x ist durch 4 teilbar ⇒ x ist gerade“, denn eine durch 4 teilbare Zahl ist auch durch 2 teilbar und somit definitionsgemäß gerade. 81 Folgt die rechte Seite aus der linken und umgekehrt, wird der Äquivalenzpfeil ⇔ verwendet, was in unserem Beispiel aber nicht korrekt wäre, da nicht jede gerade Zahl durch 4 teilbar ist. Offensichtlich gilt aber die Aussage „x ist durch 2 teilbar ⇔ x ist gerade“. Während Berechnungen, deren einzelne Schritte mit Gleichheitszeichen verbunden sind, auch in theoretischen Arbeiten unter Umständen gestattet sind, beispielsweise, wenn Sie eine Fourier-Transformierte herleiten, besteht die Konvention, die sogennan‐ ten Folgepfeile ausschließlich in Übungsaufgaben, bei Tafelanschrieben in Vorlesungen und Vorträgen oder auch Skripten und nicht in Abschlussarbeiten (mit Ausnahme natürlich der Logik) zu verwenden. (Kümmerer 2016, S.-107f.) Albrecht Beutelspacher schlägt als sprachliche Alternativen für den Implikationspfeil unter anderem vor: „das bedeutet; insbesondere; dies hat als Konsequenz; ein Spezialfall hiervon ist; daraus erhalten wir; man kann folgern; es zeigt sich, dass; somit“ oder „dies impliziert“ vor. (Beutelspacher 2009, S.-33) Wenn Sie diese Begriffe genauer betrachten, erkennen Sie, dass nicht alle äquivalent sind. Entgegen dem, was gerade Anfänger: innen in der Mathematik häufig annehmen, sind nämlich mithilfe von Sprache oft präzisere Formulierungen möglich als mit Formelsprache allein. Betrachten wir beispielsweise den Ausdruck x = 3 · y, so kann dies beispielsweise bedeuten (Dür 2014): 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 279 <?page no="280"?> ● Nach Voraussetzung gilt x = 3 · y. ● Durch Rechnung ergibt sich x = 3 · y. ● Wir definieren x (oder y) ∈ ℕ durch x = 3 · y. ● Angenommen, es sei x = 3 · y. Dann wäre aber [irgendein Widerspruch] der Fall, somit muss x ≠ 3 · y gelten. ● Für x = 3·y folgt [eine Folgerung]. Für x ≠ 3·y folgt aber [eine andere Folgerung]. Die Verwendung von Worten ist somit keineswegs ein Zeichen dafür, dass Sie nicht mit der symbolischen Sprache der Mathematik vertraut sind, sondern in der Mehrzahl der Fälle ein Bemühen um größtmögliche Präzision und Verständlichkeit. Aus diesem Grund sollten Sie auch bei Übungsaufgaben und in empirischen Texten den Zusam‐ menhang zwischen einzelnen Schritten in Worten erklären, sofern es sich nicht um triviale Umformungen handelt. Dabei kann es sinnvoll sein, komplexe Formeln abzusetzen, beispielsweise, weil man ihre Bedeutung betonen möchte. Dies empfiehlt sich auch bei allen Formeln, in denen Bestandteile bei der Integration in den Text so verkleinert werden, dass sie nur noch schwer lesbar sind, beispielsweise große mathematische Ausdrücke wie Matrizen oder komplexere Brüche, oder aber große Symbole wie Mengenoperationen, Integral- oder Summenzeichen: Beispiel: Zur Verbesserung der Lesbarkeit ist es ebenfalls sinnvoll, Sätze nie mit mathematischen Ausdrücken zu beginnen. Diese Regel muss insbesondere befolgt werden, wenn der vorherige Satz mit einem mathematischen Objekt endet, da Sie der besseren Lesbarkeit halber immer vermeiden sollten, dass zwei mathematische Objekte aufeinander folgen. Dies kann meist durch ein Umstellen des Textes erreicht werden; oft aber auch, indem einfach ergänzt wird, um was für ein Objekt es sich handelt: 280 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="281"?> Beispiel: Vermieden werden sollte auch das Vermischen von Wörtern und Symbolen wie im folgenden Beispiel: Beispiel: Ähnlich wie Folgepfeile gehört es im Übrigen zu den Konventionen, Quantoren und Junktoren in Abschlussarbeiten nicht innerhalb des Fließtextes zu verwenden, sondern durch Formulierungen zu ersetzen: Beispiel: In der Mathematik unterliegen die meisten Begriffe strengen Definitionen. In eini‐ gen seltenen Fällen kann es aber vorkommen, dass mehrere Begriffe für dasselbe Objekt verwendet werden, beispielsweise „Abbildung“ und „Funktion“. Anders als bei Deutschaufsätzen in der Schule gilt es in mathematischen Texten in Bezug auf Fach‐ ausdrücke aber nicht als guter Stil, Wortwiederholungen zu vermeiden. Im Gegenteil sollten sie immer die gleiche Bezeichnung verwenden, um den Lesenden nicht zu suggerieren, es handele sich um unterschiedliche Objekte: 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 281 <?page no="282"?> 82 Oder den momentanen Stromwert, falls Sie Elektrotechniker: in sind. Beispiel: Versuchen Sie auch nicht, Wortwiederholungen durch die Verwendung von Relativ- (der, die, das) oder Demonstrativpronomen (diese, dieser, dieses) zu vermeiden, wenn unklar ist, worauf sich das Pronomen bezieht: Beispiel: Bezüglich der mathematischen Notation, also der Bennenung von Variablen und diversen mathematischen Objekten, steht es Ihnen theoretisch frei, beliebige Buchsta‐ ben oder sogar Zeichen in Ihren mathematischen Texten zu verwenden. In vielen Fällen assoziieren die Lesenden aber mit bestimmten Variablennamen bestimmte Variablentypen: Die Buchstaben n und m stehen z. B. häufig für eine natürliche Zahl, f und g für Abbildungen und i je nach Kontext für einen Index oder die imaginäre Einheit. 82 Um die Lesbarkeit zu erleichtern, empfiehlt es sich, diesen Konventionen zu folgen; dies gilt auch für die Wahl verwandter Bezeichnungen für Elemente aus einer Menge und der Menge selbst. Beachten Sie, dass es durchaus mehrere gängige Konventionen geben kann. Beispielsweise ist es im deutschsprachigen Raum durchaus üblich, die Kantenmenge eines Graphen mit K (statt mit dem für das englische edges stehende E) und die Eckenmenge mit E (statt V für vertices ) zu bezeichnen. Entscheiden Sie sich in diesem Fall im Zweifel für die von Ihrer: Ihrem Betreuer: in bevorzugte Version oder, falls Sie diese nicht ermitteln können, für die in der von Ihnen benutzten Literatur am häufigsten verwendete und behalten Sie diese im Rahmen Ihrer gesamten Arbeit bei. Dies bedeutet auch, dass Sie die Notation in Definitionen und Beweisen, die Sie aus der Literatur übernehmen, gegebenfalls anpassen müssen. 282 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="283"?> Beispiel: Lesende Ihrer Arbeit werden davon ausgehen, dass eine Notation, die innerhalb des Beweises einer speziellen Aussage verwendet wird, nur dort Gültigkeit hat. Sollten Sie eine bestimmte Notation im Verlauf der Arbeit immer wieder benötigen, empfiehlt es sich, sie bereits im Methodenteil einzuführen. Überlegen Sie sich auch, ob es wirklich notwendig und sinnvoll ist, eine eigene Notation für bestimmte Ausdrücke einzuführen, d. h. überprüfen Sie, ob es wirklich zu einer Vereinfachung sowohl bei der Verschriftlichung als auch beim Lesen des Textes führt. Generell gilt, dass die Einführung einer Notation erst sinnvoll ist, wenn Sie sie mindestens dreimal benötigen oder sie eine zentrale Rolle in Ihrer Argumentation einnimmt (Tao 2021): Beispiel: Wenn Sie keine handschriftlichen Texte verfassen, wie es bei Übungsaufgaben oder manchmal auch Protokollen üblich ist, sollten Sie zusätzlich einige Regeln der Typo‐ graphie beachten. Achten Sie zum einen darauf, dass innerhalb von Sinneinheiten wie einzelnen Gleichungsschritten, aber auch Formulierungen wie „x ∈ ℝ“ kein Zeilenumbruch erfolgt, damit zusammengehörende Textbestandteile auch sofort als solche wahrgenommen werden können. Um zu verhindern, dass Variablen und Namen von mathematischen Objekten, die nur aus einzelnen Buchstaben bestehen, überlesen werden, werden sie kursiv gesetzt, wodurch ihr Sonderstatus hervorgehoben wird: 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 283 <?page no="284"?> 83 Sie werden also recte geschrieben. Aber diesen Begriff musste ich auch erst nachschlagen. Beispiel: Dies gilt auch für Ausdrücke, die aus mehreren Buchstaben bestehen, wenn jeder davon für ein einzelnes Objekt steht, beispielsweise f(x) oder x i . Besteht der Name einer ein‐ zelnen Funktion oder eines einzelnen Operators hingegen aus mehreren Buchstaben, werden sie nicht kursiv 83 geschrieben. Dies ist eine direkte Folge aus der Konvention, Variablen kursiv zu schreiben, da die Schreibweise cosx sonst möglicherweise als c·o·s·x interpretiert werden könnte: Beispiel: Abschließend sei darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die genannten Konventio‐ nen die wichtigste Regel beim Verfassen schriftlicher Arbeiten an der Universität greift: Die Person, die Sie bewertet, hat immer Recht. Auch wenn Sie bestimmte, möglicherweise sinnvollere, Schreibweisen bevorzugen, sollten Sie Ihre Arbeiten auch in formeller Hinsicht an die Vorlieben der Bewertenden anpassen. Daher ist es sinnvoll, auch diese Aspekte im Vorfeld einer universitären Arbeit abzuklären, weshalb die abschließende Checkliste nicht nur als Mittel zur eigenen Überprüfung des Texts geeignet ist, sondern auch genutzt werden kann, um mit den Betreuenden im Vorfeld zu besprechen, was wie erwünscht ist. 284 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="285"?> Checkliste: □ Alle verwendeten Variablen sind definiert. □ Alle verwendeten Begriffe sind definiert. □ Alle verwendeten Abkürzungen sind definiert. □ Alle verwendeten Operationen sind definiert. □ Alle verwendeten Vorschriften sind definiert. □ Korrekte Grammatik in Sätzen, die mathematische Ausdrücke enthalten. □ Korrekte Zeichensetzung nach mathematischen Ausdrücken, die in Sätze integriert sind. □ Jeder Gleichungsschritt in einer eigenen Zeile. □ Zusammenhang zwischen einzelnen Gleichungsschritten durch Text bzw. durch die richtigen Folgepfeile verdeutlicht. □ Kein Zeilenumbruch innerhalb von Formeln. □ Wichtige bzw. komplizierte Formeln im Text abgesetzt. □ Sätze beginnen nicht mit mathematischen Ausdrücken. □ Zwei mathematische Objekte folgen niemals direkt aufeinander. □ Wörter und Symbole werden im Text nicht vermischt. □ Bezeichnungen werden einheitlich verwendet. □ Keine Einführung von unnötigen Notationen. □ Weder Quantoren noch Junktoren im Fließtext. □ Variablen und Bezeichnungen, die nur aus einzelnen Buchstaben bestehen, auch im Fließtext, kursiv geschrieben. □ Namen von Funktionen und Operatoren, die aus mehreren Buchstaben beste‐ hen, nicht kursiv geschrieben. 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Zobel 2014. 1.5.5 Algorithmen und Programme Ronja Düffel Das Wort Algorithmus verbinden die meisten Menschen mit Informatik und Com‐ putern und verstehen darunter explizite Rechenanweisungen oder ein Computerpro‐ gramm. Dabei ist der Algorithmusbegriff viel weiter gefasst und bezeichnet jegliche Arten von detaillierten Arbeitsanweisungen, die ein Problem oder eine Aufgabe lösen. In diesem Kapitel beschränken wir uns auf Algorithmen im engeren Sinne, wobei sich einige der Tipps und Darstellungsformen (z. B. Flussdiagramme) durchaus auch für die Darstellung von Arbeitsabläufen eignen. Präsentation von Algorithmen Um zu entscheiden, wie ein Algorithmus präsentiert werden soll, muss klar sein, warum der Algorithmus überhaupt aufgeschrieben wird. Es gibt viele unterschiedliche Gründe, warum ein Algorithmus aufschreibenswert ist. Der häufigste Grund ist, dass der Algorithmus ein Ergebnis auf eine neue oder bessere Art und Weise berechnet. Wobei besser heißen kann, dass der Algorithmus das Ergebnis mit asymptotisch weniger Ressourcen berechnet, also weniger Zeit und/ oder Speicherplatz benötigt oder, dass die Berechnung im schlechtesten Fall 84 schneller ist, oder im durchschnittlichen Fall 85 , dass der Algorithmus die Approximationsschranke für ein Problem verbessert. Wichtig ist, dass deutlich wird, worin genau die Verbesse‐ rung besteht. Natürlich muss solch eine Behauptung auch formal bewiesen und wenn möglich, durch Tests experimentell bestätigt werden. 86 Zur Präsentation eines Algorithmus gehören also in der Regel folgende Inhalte: ● die einzelnen Schritte, die den Algorithmus ausmachen, ● Eingabe und Ausgabe, ● Anwendungsbereich und eventuelle Einschränkungen, ● für einen Korrektheitsbeweis notwendige Eigenschaften, wie Vorbedingungen (preconditions), Nachbedingungen (postconditions) und Invarianten, ● ein formaler Korrektheitsbeweis und eine Komplexitätsanalyse zu Zeit und Spei‐ cherplatz, ● Tests zur Unterstützung der theoretischen Ergebnisse. Es gibt durchaus Situationen, in denen nicht alle Schritte sinnvoll sind. Wenn ein Algorithmus z. B. angegeben wird, um zu zeigen, dass eine Sprache entscheidbar ist, ist ein formaler Korrektheitsbeweis essentiell, eine Komplexitätsanalyse aber nicht. 286 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="287"?> Wenn einzelne Inhalte ausgelassen werden, sollten die Gründe dafür deutlich gemacht werden. Darstellung von Algorithmen Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten Algorithmen in Textdokumenten darzustellen und die Art und Weise der Darstellung sollte zum gewünschten Zweck der Präsentation des Algorithmus passen. Natürliche Sprache ist am leichtesten verständlich, allerdings häufig nicht präzise genug, um sicher unmissverständliche Anweisungen zu geben. Ferner erfordert es viel Transferleistung von dem: der Leser: in, um den beschriebenen Algorithmus zu implementieren. Programmcode dagegen ist unmissverständlich und strukturiert, hat allerdings den Nachteil, dass selbst, wenn der: die Leser: in mit der Programmiersprache vertraut ist, die Idee und das grundsätzliche Vorgehen des Algorithmus aus dem Programmcode selbstständig herausgelesen werden muss. Listenform Die nahe liegendste Darstellung ist die Listenform, in der die einzelnen Schritte des Algorithmus in natürlicher Sprache beschrieben werden. Schleifen werden mit „Gehe zu X“-Anweisungen dargestellt. Durch zusätzliche Einrückung kann die Struktur klar herausgestellt werden. Da es keinerlei Beschränkungen bzgl. der Textlänge gibt, kann jeder Schritt ausführlich beschrieben und der Algorithmus erläutert werden, während er präsentiert wird. Die meisten aufschreibenswerten Algorithmen sind jedoch ausreichend kompliziert, dass schnell ein langatmiger, unübersichtlicher und schwer verständlicher Text entsteht. Ferner besteht das Problem der Mehrdeutigkeit, da natürliche Sprache meist nicht präzise genug ist, um eindeutige und unmissverständ‐ liche Anweisungen zu formulieren. Abb. 1.5.8 zeigt das Sieb des Eratosthenes, einen Algorithmus zur Bestimmung aller Primzahlen bis zu einer gegebenen Zahl n, in Listenform. Da es sich um einen relativ einfachen Algorithmus handelt, der keine größere Erläuterung benötigt, und Schleifenanweisungen durch Einrückung verdeutlicht wurden, ist die Struktur des Algorithmus noch relativ gut zu erkennen. Allerdings gehen auch hier schon die Anweisungen zwischen den Anmerkungen etwas verloren und eine Implementierung erfordert sehr viel Transferleistung. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 287 <?page no="288"?> Das Sieb des Eratosthenes findet alle Primzahlen bis zu einer angegebenen Zahl n und gibt diese aus. 1. Erstelle eine Liste aller ganzen Zahlen von 2 bis n. Anmerkung: 2 ist die kleinste Primzahl, somit startet der Algorithmus bei der Zahl 2. 2. Solange es noch eine unmarkierte und ungestrichene Zahl gibt: (a) Finde die kleinste nicht markierte oder gestrichene Zahl i und markiere sie. Anmerkung: Hierbei handelt es sich um die n¨achste Primzahl. (b) Streiche jede weitere i-te Zahl und gehe zu 2. Anmerkung: Alle Vielfachen der gefunden Primzahl i k¨onnen offensichtlich keine Primzahlen sein, da i ein Teiler ist. 3. Gib alle markierten Zahlen aus. Abb. 1.5.8: Beispiel für Algorithmusdarstellung in Listenform. Stilisierte Prosa Stilisierte Prosa ist eine strukturierte Darstellung in natürlicher Sprache. Dabei werden die einzelnen Schritte eines Algorithmus durchnummeriert und in natürlicher Sprache beschrieben. Anweisungen, Erklärungen und Anmerkungen können gemischt werden. Schleifen sollten nicht in mehrere Schritte aufgeteilt werden, sondern als Unterpunkte, am besten mit Einrückung angegeben werden. Diese Darstellungsform bietet die meiste Freiheit, da Erläuterungen und Anmerkungen leicht hinzugefügt werden können. Sie ist am einfachsten lesbar und erfordert wenig Transferleistung zum Verständnis des Algorithmus. Allerdings birgt die Verwendung natürlicher Sprache und Freiheit in der Darstellung auch die Gefahr, dass die Struktur des Algorithmus in den Erläuterungen verloren geht und Anweisungen nicht eindeutig sind. Abb. 1.5.9 zeigt die Darstellung eines Algorithmus in stilisierter Prosa. Ein- und Ausgabe, Grundidee der Implementierung, sowie die verwendete Datenstruktur, sind in der Präambel angegeben. Dort, wo formale Notation klarer, kompakter und leichter verständlich ist als natürliche Sprache, wurde diese verwendet. Die Funktion eratosthenes (n) sucht alle Primzahlen bis zu einer angegebenen Zahl n und gibt diese aus. Daf¨ ur wird ein Feld prim der L¨ange n verwendet. Handelt es sich beim Index i eines Feldeintrags um eine Primzahl, soll der Eintrag True sein, andernfalls soll der Eintrag False sein. 1. Initialisiere die Datenstruktur prim mit dem Wert True f¨ ur alle Feldeintr¨age 2. Setze alle Eintr¨age, deren Index keine Primzahl ist, auf False (a) prim[0] ← False , prim[1] ← False (b) Solange das Ende des Arrays nicht erreicht ist: (i) Finde den n¨achsten Index i mit Eintrag True (ii) setze jeden i-ten Eintrag auf False 3. Gib alle Indizes, deren Feldeintr¨age den Wert True haben, aus. Abb. 1.5.9: Beispiel für Algorithmusdarstellung in stilisierter Prosa. 288 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="289"?> Pseudocode Pseudocode ist eine Möglichkeit einen Algorithmus mit der notwendigen Präzision darzustellen und trotzdem die Vorteile natürlicher Sprache zu nutzen. Es gibt keine allgemeingültigen Regeln für Pseudocode, wichtig ist, dass der Stil innerhalb eines Schriftstücks einheitlich ist. Pseudocode ist Programmiersprachen-unabhängig, aber häufig an eine imperative Programmiersprache angelehnt. Die Zeilen sind meist nummeriert, um im Text Bezug auf Teile des Algorithmus nehmen zu können. Damit die Struktur des Algorithmus deutlich wird, sollte systematische Einrückung genutzt werden. Viele Autor: innen verwenden zusätzlich einen end-Ausdruck zum Abschluss mehrzeiliger Schleifen oder bedingter Anweisungsblöcke (Smed und Hakonen 2006, Kleinberg und Tardos 2006, Pomberger und Dobler 2008, Erciyes 2013). Cormen u. a. 2001 ist ein Paradebeispiel dafür, dass eine konsequente Einrückung zusammen mit der Hervorhebung der Schlüsselwörter wie for, while, if ausreicht, um die Struktur des Algorithmus klar und deutlich darzustellen. Ein Beispiel für die Darstellung eines Algorithmus in Pseudocode zeigt Abbil‐ dung 1.5.10. In der deutlich formaleren Präambel sind Ein- und Ausgabe, sowie verwendete Datenstruktur angegeben. Die Verwendung des Pfeils (←) als Zuweisungs‐ operator hat den Vorteil, dass das Gleichheitszeichen (=) für Vergleiche genutzt werden kann und Verwechslung mit dem Vergleichsoperator vieler Programmiersprachen (==) verhindert wird. Obwohl Pseudocode natürliche Sprache erlaubt, erfordert der für die Eindeutigkeit notwendige Formalismus von dem: der Leser: in eine gewisse Vertrautheit mit bzw. Einarbeitung in die verwendete Notation. Die kompakte Darstellung lässt wenig Platz für Kommentare und Erläuterungen und die zugrunde liegende Idee sowie das Vorgehen sollten vorher im Text erläutert werden. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 289 <?page no="290"?> Die eratosthenes -Funktion sucht alle Primzahlen kleiner einer Zahl n und gibt diese aus. Eingabe: n: Zahl, bis zu der Primzahlen gesucht und ausgegeben werden. Ausgabe: Eine Folge aller Primzahlen ≤ n Variablen: prim[ ]: Liste Boolescher Werten eratosthenes (n) 1 / / Initialisiere eine Liste der L¨ange n mit boolschem Wert True 2 prim ← [ ] 3 for i in (0 . . n) 4 prim[i] ← True 5 setze Werte f¨ ur 0 und 1 auf False 6 / / setze alle Eintr¨age, deren Index keine Primzahl ist, auf False 7 for i in (2 . . n) 8 if prim[i] / / i ist eine Primzahl 9 / / Markiere alle Vielfachen von i als nicht prim 10 j ← 2i 11 while j ≤ n 12 prim[j] ← False 13 j ← j + i 14 / / gib alle Primzahlen ≤ n aus. 15 for i in (0 . . n) 16 if prim[i] / / i ist eine Primzahl 17 print(i) Abb. 1.5.10: Beispiel für Algorithmusdarstellung in Pseudocode. Flussdiagramme Flussdiagramme oder auch Programmablaufpläne werden seit den 1960-er Jahren verwendet, um Algorithmen graphisch darzustellen (Pomberger und Dobler 2008). In der DIN 66001 festgelegte Symbole repräsentieren Ein- und Ausgaben, Anweisungen und Verzweigungen. Linien und Pfeile verbinden zum nächstfolgenden Element. Flussdiagramme sollen einen schnellen Überblick über die Struktur des Algorithmus ermöglichen, allerdings ist ihre Erstellung und Änderung ohne geeignete Software sehr aufwendig. Zobel 2004 rät in seinem Buch von der Verwendung von Flussdiagrammen zur Darstellung von Algorithmen ab, da sie aufwendig zu erstellen und zu verän‐ dern sind, schlechten Programmierstil unterstützen (goto-Statements), kaum Platz für Kommentare und Erläuterungen bieten und ungeeignet sind, um kompliziertere Algorithmen klar darzustellen. Abb. 1.5.11 zeigt das Sieb des Eratosthenes als Flussdiagramm. Es wurde ein, von der DIN leicht abweichender Symbolvorrat verwendet, um die Darstellung kompakter und übersichtlicher zu machen. Das ist in der Praxis nicht unüblich (Pomberger und Dobler 2008). 290 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="291"?> Start n i ← 0 . . . n prim[i] ← True prim[0] ← False, prim[1] ← False, i ← 2 . . . n prim[i] j ← 2i j ≤ n prim[j] ← False, j ← j + i i ← 0 . . . n prim[i] i Stop 0 ≤ i ≤ n 2 ≤ i ≤ n yes yes 0 ≤ i ≤ n yes no no no Abb. 1.5.11: Beispiel für Algorithmusdarstellung als Flussdiagramm. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 291 <?page no="292"?> Tab. 1.5.2: Übersichtstabelle der Darstellungsformen für Algorithmen. Darstellung Vorteile Nachteile Listenform • leicht verständlich • Freiheit in der Formulierung • Erläuterungen und Kommen‐ tare leicht hinzuzufügen. • große Zielgruppe • Text wird schnell unübersicht‐ lich und langatmig • Anweisungen und Struktur zwischen Erläuterungen und Kommentaren verborgen • Gefahr der Mehrdeutigkeit Stilisierte Prosa • leicht verständlich • Freiheit in der Formulierung • Erläuterungen und Kommen‐ tare leicht hinzuzufügen • Programmiersprachenunab‐ hängig • unübersichtlich • Ablaufstruktur schwer erkenn‐ bar • Gefahr der Mehrdeutigkeit Pseudocode • übersichtliche Darstellung • Struktur klar erkennbar • flexibel und ausreichend präzise • Programmiersprachenunab‐ hängig • Umsetzung in Programmier‐ sprache relativ einfach • setzt Kenntnisse der Sprache voraus • kaum Platz für Erläuterungen und Kommentare • guten Pseudocode zu schreiben, braucht Erfahrung Flussdiagramm • Kontrollfluss leicht erkennbar • übersichtliche Darstellung von Kontrollstrukturen • verschafft einen schnellen Überblick • Darstellung komplexer Daten‐ objekte schwierig • kaum Platz für Anmerkungen und Kommentare • Erstellung und Änderung sehr aufwendig Das beste Vorgehen, eine schwierige und komplexe Sache zu erklären ist, sie in Teile zu zerlegen und dann die einzelnen Teile zu erklären (Knuth, Larrabee und Roberts 1989). Sie sollten bei der Präsentation eines hinreichend komplexen Algorithmus zunächst einen Überblick über die einzelnen Schritte geben. Diese sollten auf einer höheren Abstraktionsebene sein, als die eigentliche Implementierung. Hierfür bietet sich ein Überblick in natürlicher Sprache z. B. in Listenform oder stilisierter Prosa an. Mit einem Flussdiagramm lässt sich gut darstellen, wie Teile zusammenarbeiten. Anschließend sollten dann die einzelnen Teile detaillierter erklärt werden. Am besten zunächst anhand einer Beschreibung in natürlicher Sprache z. B. in Listenform oder stilisierter Prosa und anschließend formaler in Pseudocode. Die sprachliche Beschreibung erleichtert dem: der Leser: in den Zugang. Mit der folgenden formaleren Darstellung in Pseudocode wird Missverständnissen und Fehlinterpretationen der evtl. nicht so eindeutigen umgangssprachlichen Beschreibung vorgebeugt. Graphiken sind sehr hilfreich, Operationen auf Datenstrukturen zu erläutern, wie z.-B. Baumrotationen. 292 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="293"?> Kap.-1.5.4 Kap.-1.5.4 3 Formalismus und Notation Informatische Texte sind immer auch mathematische Texte (Knuth, Larrabee und Ro‐ berts 1989), daher sollten alle Empfehlungen im Abschnitt Mathematik im Fließtext des Kapitels Mathematische Texte beachtet werden. Oberstes Ziel ist, dass der Text nicht unnötig schwierig zu lesen ist, denn mathematische Texte zu lesen, ist immer harte Arbeit. Wenn die Mathematik schlecht dargestellt/ präsentiert ist, dann wird das Lesen unnötig unangenehm und schwierig (Zobel 2014). Hier einige Empfehlungen, deren Beachtung zwar kein exzellentes Schriftstück garantiert, deren konsequente Missachtung aber Lesbarkeit und Verständnis erschwert und auch die Benotung Ihrer Arbeit garantiert verschlechtert. 1. Mathematische Ausdrücke sollten durch Zwischentext getrennt sein und nicht unmittelbar aufeinander folgen, da sie sich schlecht lesen, schlecht sprechen und vielleicht auch schwerer verstehen lassen (Rechenberg 2002). Beispiel - schlecht: Für jedes x i , 1 ≤ i ≤ n, x i ist positiv. - besser: Jedes x i , mit 1 ≤ i ≤ n, ist positiv. 2. Ein mathematischer Ausdruck sollte nicht am Satzanfang stehen. Meist lässt sich das beheben, indem man den Typ des Ausdrucks gleich mit angibt. Das erleichtert dem: der Leser: in auch das Verständnis, da die Information nicht aus dem Zusammenhang oder dem Gedächnis eingefügt werden muss. Beispiel - schlecht: G = (V, E ) ist bipartit. - besser: Der Graph G = (V, E ) ist bipartit. Das gilt auch für Methoden und Funktionen in Programmen oder Pseudocode. Statt „ E R A S T OTHE N E S (n) berechnet …“ sollte „Die Funktion E R A S T OTH E N E S (n) berech‐ net …“ verwendet werden. 3. Die Bedeutung der verwendeten Symbole sollte unmissverständlich und nicht un‐ nötig kompliziert zu erlernen sein. Daher sollten Sie sich an die gängige Konven‐ tion halten, wenn es eine gibt, und Symbole und Variablen einführen, bevor Sie sie im Text verwenden (vergl. Mathematik im Fließtext). Außerdem sollten Sym‐ bole für den: die Leser: in innerlich sprechbar sein. Das erleichtert den Zugang und hilft beim Verständnis. Ist die Sprechbarkeit nicht offensichtlich, sollte ein Aus‐ druck angeboten werden. 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 293 <?page no="294"?> Beispiel - schlecht: Die Aussage -A ist genau dann wahr, wenn A falsch ist. - besser: Die Aussage -A (sprich: „nicht A“) ist genau dann wahr, wenn A falsch ist. 4. Wie bei den Algorithmen auch gilt, dass wichtige Aussagen oder Konzepte besser verstanden werden, wenn sie zweimal formuliert werden: einmal umgangssprach‐ licher und einmal formaler (Knuth, Larrabee und Roberts 1989, Rechenberg 2002). Beispiel Das Lemma von Bézout besagt, dass sich der größte gemeinsame Teiler zweier ganzer Zahlen a und b als Linearkombination von a und b mit ganzzahligen Koeffizienten darstellen lässt. Es gibt also für alle Zahlen a,b ∈ ℤ Koeffizienten s,t ∈ ℤ, so dass gilt: ggT(a, b) = s ⋅ a + t ⋅ b. 5. Grundsätzlich gilt, dass mathematische Notation der Notation in einer Program‐ miersprache vorzuziehen ist. ● Schreiben Sie · statt x oder * um Multiplikation auszudrücken, oder lassen Sie das Multiplikationssymbol ganz weg, wie in der Mathematik üblich. ● Vermeiden Sie Programmiersprachen-spezifische Ausdrücke. Für Leser: innen, die z. B. die Programmiersprache C nicht beherrschen, haben die Ausdrücke ==, a = b = 0, a++ und for(i=0; i<n; i++) im besten Fall keine, im schlechtesten eine falsche Bedeutung. ● Variablennamen mit mehr als einem Buchstaben, die beim Programmieren durchaus guter Stil sind, können bei der Darstellung von Algorithmen problematisch sein. So besteht die Gefahr, dass der Variablenname „pa“ von dem: der Leser: in als p · a interpretiert wird. ● Eine Ausnahme kann die Darstellung von Feldern sein, wie prim[i] in den Beispielen des Sieb des Erastothenes (Abbildungen 1.5.8-1.5.11), da der Index hier der Primzahl entspricht. Handelt es sich aber um andere Objekte x, ist die Notation x i der Notation x[i] vorzuziehen (Zobel 2014). Darstellung von Programmen Im Zusammenhang mit einer informatischen Abschlussarbeit entsteht häufig Pro‐ grammcode oder gar Software, die natürlich Teil der Arbeit ist und dementsprechend mit eingereicht (Datenträger) oder anderweitig (z. B. ein Software-Repository) zugäng‐ lich gemacht werden muss. Am besten richten Sie sich nach den Vorgaben des: der Betreuenden. 294 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern <?page no="295"?> In der Arbeit selbst sollten nur Aspekte des Programmcodes oder der Software erläutert werden, die für Verständnis und Nachvollziehbarkeit Ihres Vorgehens, der Ergebnisse und der Analyse wichtig sind. Alles andere, wie z. B. eine ausführliche Programmdokumentation und Benutzungshandbuch gehören in den Anhang. Sie lenken den: die Leser: in vom eigentlichen Thema der Arbeit ab. Wenn der Programmcode ein wichtiger Aspekt der Arbeit ist, dann sollte in der Arbeit selbst eine Anforderungsanalyse und eine Beschreibung der Implementierung enthalten sein. Falls der Programmcode lediglich entstanden ist, um zu untersuchende Daten auszuwerten oder zu sammeln, und somit nur ein Werkzeug ist, um die eigentli‐ che(n) Fragestellung(en) zu untersuchen, dann kann die Dokumentation entsprechend kürzer ausfallen und, wenn überhaupt, im Anhang stehen. Geht es in der Arbeit also z. B. darum, eine App oder Software für eine bestimmte Aufgabe oder Fragestellung zu entwickeln, dann sind Teile der Programmdokumentation und des Benutzungshand‐ buchs wesentliche Aspekte der Arbeit. Sind aber lediglich Hilfsprogramme entstanden, um Daten zu konvertieren und weiterverarbeiten oder auswerten zu können, dann dient die Erwähnung der Hilfsprogramme im Anhang lediglich der Vollständigkeit. Natürlich sollten auch diese Hilfsprogramme mit eingereicht werden (s. o.). Das ermöglicht es anderen, Ihre Ergebnisse reproduzieren zu können und ist eine wichtige Grundlage wissenschaftlichen Austauschs (Collberg und Proebsting 2016). Literatur C O L L B E R G , Christian / P R O E B S T I N G , Todd A. (Feb. 2016): “Repeatability in Computer Systems Research”. In: Commun. ACM 59.3, S.-62-69. DOI: https: / / doi.org/ 10.1145/ 2812803 C O R M E N , Thomas H. u.-a. (2001): Introduction To Algorithms. 2nd ed. Boston: MIT Press und McGraw-Hill Publishing Company. E R C I Y E S , Kayhan (2013): Distributed Graph Algorithms for Computer Networks. London: Springer. K L E I N B E R G , Jon / T A R D O S , Eva (2006): Algorithm Design. Boston: Pearson Education. K N U T H , Donald E. / L A R R A B E E , Tracy / R O B E R T S , Paul M. (1989): Mathematical writing. Bd.-14. Washington, DC: Mathematical Association of America. P O M B E R G E R , Gustav / D O B L E R , Heinz (2008): Algorithmen und Datenstrukturen. Eine systematische Einführung in die Programmierung. München: Pearson Studium. R E C H E N B E R G , Peter (2002): Technisches Schreiben. München: Hanser. S M E D , Jouni / H A K O N E N , Harri (2006): Algorithms and Networking for Computer Games. London: John Wiley. Z O B E L , Justin (2004): Writing for Computer Science. London: Springer 1.5 Spezielle Anforderungen ans Schreiben in den MINT-Fächern 295 <?page no="296"?> 87 Die Konferenz wird in diesem Beitrag stellvertetend für alle Veranstaltungen verwendet, bei denen Sie ein Poster präsentieren könnten: Tagung, Symposium, Doktorand: innenkolleg, Seminar der Arbeitsgruppe oder im eigenen Institut usw. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 1.6.1 Poster in der Wissenschaft Sarah Herfurth Sie haben sich auf einer Konferenz 87 beworben und leider nur - oder auch zum Glück - einen Posterbeitrag bekommen? Jetzt fragen Sie sich, wie Sie ein gutes Poster erstellen: Was muss ich beachten? Wie bekomme ich alle meine Forschungsergebnisse auf ein Poster? Um die letzte Frage direkt zu beantworten: Gar nicht. Die Aufgabe eines wissen‐ schaftlichen Posters ist es nicht all das zu zeigen, was Sie in den letzten Wochen, Monaten oder auch Jahren über Ihr Thema gelernt haben. Ganz im Gegenteil. Ein wissenschaftliches Poster soll kurz und prägnant Ihre Forschung bzw. die wichtigsten Ergebnisse darstellen. Poster werden oft als weniger prestigeträchtig angesehen als Präsentationen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass eine Postersession Zeit zum direkten Austausch mit Fachkolleg: innen bietet, die im eng getakteten Vortragsprogramm einer Konferenz nicht zur Verfügung steht. Zudem sind Poster und Präsentationen miteinander ver‐ wandt - und zwar deutlich näher als zum Beispiel mit einem typischen Fachartikel (Paper). Wie so oft, gibt es auch zum fertigen Poster viele Wege. Dieses Kapitel zeigt Ihnen einen möglichen Weg der Gestaltung auf: Teil 1 gibt eine Übersicht über die Randbedingungen, auf die Sie zum Teil keinen Einfluss haben. Sind diese Vorgaben geklärt, können Sie Ihr Poster gemäß Teil 2 inhaltlich gestalten. Da ein Poster „physisch existent ist“, ist der Druck ein wichtiger Aspekt und bedarf einiger Zuneigung, siehe hierzu Teil 3. In Teil 4 finden Sie Anregungen zur Präsentation Ihres Posters, denn Ihr Poster(-vortrag) setzt sich immer aus dem „Plakat“ und Ihnen als Erzähler: in zusammen. Alle Aspekte der Posterpräsentation, inklusive Tipps und Tricks, sind in Teil 5 zusammengefasst. Darauf folgt noch das abschließende Fazit in Teil 6. Shortcut zu guten Postern: Die Gestaltung von wissenschaftlichen Postern nach Alean-Kirkpatrick (2002) gliedert sich in drei Ebenen: Look at me - Read me - Ask me. <?page no="297"?> Kap.-1.3.2 Look at me Gestalten Sie Ihr Poster ansprechend, sodass das sich das Publikum eingeladen und angesprochen fühlt und mehr über Ihre Forschung erfahren möchte. Der erste Eindruck zählt und das sind nur wenige Sekunden. Zwei Kriterien sind hier entscheidend: Zum einen ist der Titel wichtig, der groß, klar und verständlich formuliert sein sollte. Sie können Ihren Titel als Frage oder Aussage formulieren. Wichtig ist, dass der Titel kurz und knapp ist. Zum anderen zählt der visuelle Gesamteindruck Ihres Posters. Eine klare Struktur ist unerlässlich; daher bietet es sich an, die Gesamtfläche in Felder entspre‐ chend des IMRaD-Schemas zu gliedern (mehr dazu in Teil 1 unter „Gestaltungsele‐ mente“ und Teil 3 unter „Inhaltlicher Aufbau“). Auch die Farbwahl beeinflusst den Gesamteindruck (mehr dazu in Teil 1 unter „Farben und Farbwahl“). Read me Das Publikum soll möglichst viel auf einen Blick oder in kurzer Zeit erfassen können. So ergibt es sich von selbst, dass Sie viele Abbildungen o. ä. verwenden und wenig Fließtext (siehe dazu Teil 3 unter „Aufmerksamkeit - How to catch fish“). Obwohl das Poster eine Größe von DIN A0 oder DIN A1 besitzt, ist der Platz für Text also sehr beschränkt (siehe dazu Teil 1 „Schriftarten und Schriftgrößen“ und Teil 2, Abb. 1.6.1). Ihr Text muss daher sorgfältig durchdacht sein. Achten Sie bei den von Ihnen gewählten Abbildungen darauf, dass sie selbsterklä‐ rend sind. Bilder sind in einer kurzen Legende zu beschreiben, diese Beschreibung wiederholt sich nicht im Fließtext (siehe dazu „Teil 2: Konzept und Struktur entwickeln“ und folgende). Ask me Gestalten Sie Ihr Poster so, dass es das Publikum anregt, mit Ihnen in Kontakt zu treten. Einige Tipps und Tricks können dabei helfen, dies zu erreichen. Sie können Ihr Poster so aufbauen, dass Sie einen Spannungsbogen erzeugen. Dies schaffen Sie, indem Sie Ihre Einleitung so konzipieren, dass das Ergebnis überraschend wirkt. Auch ein Vergleich mit konträren Ergebnissen aus anderen Veröffentlichungen kann helfen eine Diskussion anzuregen. Faustregeln Im Folgenden werden immer wieder Faustregeln genannt. Diese sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern in langjähriger Praxis entstanden. Gleichwohl sind Faustregeln natürlich keine Gesetze und es gibt Situationen, in denen es gut ist, sich bewusst von ihnen zu lösen. Die Faustregel dafür: Wenn Sie einen guten Grund haben, machen Sie es ruhig anders - aber nur dann! 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 297 <?page no="298"?> 88 Im restlichen Kapitel verstehe ich unter Vorlagen jeweils die Vorlagen Ihrer Hochschule/ Institution. 89 Viele Hochschulen und Institutionen haben eigene Druckereien, in denen Sie Ihr Poster für die Konferenz ausdrucken können. Entsprechend sind Sie mit den Formaten an das Angebot der hauseigenen Druckerei gebunden. Teil 1: Randbedingungen und Gestaltung der Dokumentvorlage In diesem ersten Abschnitt sammle ich die Randbedingungen, die Ihnen von verschie‐ denen Seiten vorgegeben sind. Zunächst sollten Sie sich auf der Konferenz-Website bzw. in den Konferenzunterlagen und im Intranet Ihrer Hochschule auf die Suche begeben: Das Format und ob ein Poster im Hoch- oder Querformat aufzubauen ist, gibt in der Regel die Konferenz oder Arbeitsgruppe vor. Wenn es von Ihrer Hochschule oder Institution Vorlagen 88 für Poster gibt, werden höchstwahrscheinlich die folgenden Freiheitsgrade festgelegt: Schriftart(en), Schriftgrößen für unterschiedliche Textsorten, Farbpalette(n), Ausrichtung, möglicherweise auch wo, wie groß und auf welchem Papier Sie Ihr Poster ausdrucken 89 . Auch ein Gespräch mit Kolleg: innen, Ihrer Betreu‐ ungsperson oder Komilliton: innen kann Sie hier weiterbringen. Sollten Sie jeweils keine Vorgaben zu den erwähnten Randbedingungen bekommen haben, orientieren Sie sich an den hier gegebenen Empfehlungen. Fachkultur Jede wissenschaftliche Disziplin hat ihre eigene Fachkultur. Diese - meist ungeschrie‐ benen - Regeln definieren, was für ein bestimmtes Fachgebiet üblich ist. Hierzu gehören auch die Erwartungen und Anforderungen an ein Poster. Es ist praktisch unmöglich, diese Regeln aufzulisten, aber in den meisten Fällen erstellen Sie ein Poster nicht im „luftleeren“ Raum: Sie haben Betreuungspersonen oder Peers aus der eigenen Disziplin, die Feedback oder Gestaltungshinweise geben können. Auf diese Weise wird auch die Fachkultur transportiert. Formatvorlagen Sie haben die Vorgaben der Konferenz über Größe und Format gefunden. Das leere „Papier“ in diesen Maßen und passender Ausrichtung ist Ihre Ausgangsposition, Ihre grüne Wiese. Wie bereits erwähnt, gibt es an Hochschulen oft Vorlagen, die die groben Rand‐ bedingungen enthalten, allerdings meist nur für Powerpoint und LaTeX. In den Vorlagen werden Schriftarten und -größen für die unterschiedlichen Textbausteine wie Überschrift, Autor: innen, Fließtext usw. festgelegt und meist auch ein Farbschema der jeweiligen Institution mitgeliefert. Dies nennt man Corporate Design. Beachten Sie: Meist weichen deutsche und englische Fassung voneinander ab, wählen Sie also die für Ihr Poster passende. Wenn Sie diese gefunden und geöffnet haben, kann es losgehen. Aber womit? 298 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="299"?> 90 Es gibt verschiedene Programme, die üblicherweise verwendet werden bzw. die sich mehr oder weniger gut eignen. Ich möchte hier keine Empfehlung geben, da Sie oft genug schon durch die Vorlagen an gewisse Programme gebunden sind. Tipp: Für die Arbeit mit einem Computerprogramm 90 ist es sinnvoll, die Größe und Ausrichtung des „Papiers“ vor Beginn der Gestaltung einzustellen. Maße und Ausrichtung Typische Maße für Konferenzposter sind DIN A0 und DIN A1 (bzw. die recht ähnlichen ANSI-Formate E und D). Ab DIN A2 abwärts sind die Größen lediglich für den später empfohlenen Probedruck aufgeführt. Zur manuellen Seitenanpassung entnehmen Sie die Maße bitte Tabelle 1.6.1. Tab. 1.6.1: Eine Übersicht über gängige Postergrößen in DIN- und ANSI-Formaten und Millimetern. Format Maße in mm (Hochformat) DIN A0 841 x 1189 ANSI E 864 x 1118 DIN A1 594 x 841 ANSI D 559 x 864 A2 420 x 594 ANSI C 432 x 559 A3 297 x 420 ANSI B 279 x 432 A4 210 x 297 Sollten Sie seitens der Konferenz keine Vorgaben bezüglich der Ausrichtung haben, wählen Sie ein hochformatiges Layout. Ein Poster, das links und rechts über die Pinnwand hinausragt, sieht eher lieblos aus. Schriftarten und -größen Die Schriftgröße ist offensichtlich entscheidend: Ein Plakat im Format DIN A0 hat eine Fläche von 1 m² (841 x 1189 mm). Das klingt zwar viel, jedoch muss Ihr Text im Abstand von einigen Schritten noch gut lesbar sein. Die Schrift darf also nicht zu klein werden. Dies gilt übrigens nicht nur für den Fließtext, sondern auch für Abbildungsbeschriftungen. Oft werden nicht fachliche Elemente (wie Quellenangaben, Fußnoten, Danksagung …) in sehr kleiner Schrift eingefügt. Das sollte jedoch eine Notlösung sein - gönnen Sie sich lieber genügend Platz. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 299 <?page no="300"?> 91 DIN A4 ist hier für den Probedruck (siehe Teil 4: Drucken) aufgelistet; Poster in diesem kleinen Format sind unüblich. Gehen wir Schritt für Schritt durch das Poster: Der Titel muss aus größerer Entfernung - ein bis drei Meter - und im Vorbeigehen gut lesbar sein! Falls Schriftgröße und -art nicht vorgegeben sind, wählen Sie 80-100 pt und eine serifenlose Schrift wie bspw. Arial, Calibri u. ä. Für weitere Überschriften wählen Sie ebenfalls eine serifenlose Schrift und 38 bzw. 50 pt (siehe Tabelle 1.6.2) - je nach Postergröße (DIN A0 oder A1). Im Fließtext greifen Sie auf eine Schrift mit Serifen zurück, bspw. Times New Roman, und 20-25 pt. Eine ungefähre Orientierung bezüglich der Schriftgröße auf verschiedenen Text‐ ebenen und unterschiedlich großen Postern bietet folgende Tabelle, in der auch die Verwendung von Serifen aufgeführt ist: Tab. 1.6.2: Zusammenhang der Schriftgrößen mit dem Posterformat und die Nutzung von Serifen auf unterschiedlichen Textebenen. DIN-Format Titel in pt Untertitel in pt Fließtext in pt Serifen ? nein nein ja A0 100 50 25 A1 80 38 20 A2 50 25 15 A3 30 15 10 A4 91 14 12 8 In puncto Schrift ist außerdem zu beachten: Verwenden Sie insgesamt möglichst wenig verschiedene Hervorhebungen (typografisch korrekt: Auszeichnungen) wie fett, kursiv und unterstrichen auf Ihrem Poster. Farben und Farbwahl Farben übernehmen eine Reihe von Funktionen: ● Sie dienen der Ästhetik und Gestaltung. ● Sie vermitteln Informationen (rot = falsch vs. grün = richtig). ● Sie stellen sachliche Verbindungen her. ● Sie heben Inhalte hervor. Zu beachten: Barrierearmut. Ein Poster ist per Definition ein visuelles Medium und damit nicht vollständig inklusiv. Dennoch ist es hilfreich zu wissen, dass bei ca. 9 % 300 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="301"?> 92 https: / / www.deutscheoptiker.de/ ratgeber/ rot-gruen-blindheit/ (Zugriff am 27.12.2021) Kap.-1.5.3 Kap.-1.3.4 aller Männer und ca. 0,8 % aller Frauen eine Rot-Grün-Sehschwäche vorliegt 92 . Um dies zu berücksichtigen, ist es sinnvoll sich stärker an Kontrasten zu orientieren als an unterschiedlichen Farben. Das gilt nicht nur für die Gestaltungsfarben, sondern auch für graphische Darstellungen wie bspw. Linien in einem Diagramm. Hier gebe ich Ihnen einige konkrete Empfehlungen für ein eher klassisches, aber souveränes Poster: ● Ein Poster mit hellem Hintergrund ist angenehmer zu lesen. ● Wählen Sie eine dunkle, nicht zu kräftige Primärfarbe (Corporate Design). ● Wählen Sie eine damit gut kontrastierende, nicht zu grelle Sekundärfarbe. ● Verwenden Sie zur Abgrenzung eher Kontraste als Farben. ● Unterstützen Sie farbige richtig/ falsch-Darstellungen durch Symbole (+/ -). ● Holen Sie sich Feedback zur Farbwahl. Das sind natürlich Faustregeln. Wenn Sie einen guten Grund haben, dagegen zu verstoßen, nur zu. Aber bedenken Sie, dass zu viele Farben eher ablenken oder verwirren als einen guten Eindruck zu machen. Gestaltungselemente Dies sind grafische Elemente, die keine inhaltliche Funktion haben, sondern dabei helfen, das Poster zu strukturieren, den Blick zu steuern oder die Betrachtung zu moderieren. Dies können Linien, Pfeile, Piktogramme, Textboxen oder Rahmen sein. Textboxen werden standardmäßig in Formatvorlagen verwendet, um die Anordnung verschiedener Elemente wie Titel, Namen der Autor: innen, Logos und Fließtext festzulegen und das Poster in Spalten oder Abschnitte einzuteilen. Solche Elemente sollten nicht vom Inhalt ablenken. Bei Elementen, die nur Aufmerksamkeit erregen sollen, ist Vorsicht geboten: Mit reinen Hinguckern begibt man sich schnell auf dünnes Eis, was die Seriosität des eigenen Auftritts angeht. Ausnahmen können gute Analogien oder visuelle Entspre‐ chungen sein - gleiche Formen, Farben etc. Wo wir schon bei Ausnahmen sind: Wenn der gleiche Sachverhalt aus drei Per‐ spektiven - z. B. ökonomisch, ökologisch, soziologisch - betrachtet wird, kann es sinnvoll sein, auch drei zentrale Grafiken zu verwenden. Daraus könnte sich auch ein dreigeteiltes Layout ergeben, das sich auf entsprechende gestalterische Hilfsmittel, wie Farben und Symbole, stützt. Anordnung der Elemente/ Textboxen Für die Anordnung der verschiedenen Elemente - Titel, Untertitel, Autor: innen, Logo(s), Inhalt, Quellen - auf Ihrem Poster starten Sie von oben mit einem Titelbereich. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 301 <?page no="302"?> 93 Informierem Sie sich, welche Vorgaben Sie haben. Mal wird ein Logo verwendet, mal der Satz „gefördert im Rahmen …“. 94 Eine Abweichung hierzu stellen Algorithmen dar, die nicht grafisch aufbereitet werden (können). Wählen Sie hier … Dieser sollte großzügig gestaltet sein und sich deutlich vom eigentlichen Inhalt absetzen. Der Titelbereich beinhaltet: Titel, Untertitel, Autor: innen und deren Institutszu‐ gehörigkeit - ähnlich wie bei einem Fachartikel - und auch hier mit mindestens einer Kontakt-E-Mailadresse. Die Reihenfolge der Autor: innen folgt den üblichen Konventionen. Logo: Falls es keine Vorlagen oder Vorgaben gibt, platzieren Sie das Logo Ihrer Universität, des Lehrstuhls und den institutionellen Rahmen des Posters (das Seminar, Projekt etc.) prominent im oberen Bereich des Posters. Meist wird dafür die linke oder rechte obere Ecke verwendet. Die andere obere Ecke kann dann eventuell mit dem Logo der Konferenz oder des Forschungsprojekts versehen werden. Erfolgt Ihre Forschung im Rahmen eines Drittmittelprojektes muss eventuell auch das Logo der fördernden Instititution 93 (bspw. Ministerium) aufs Poster. Informieren Sie sich auch hier im Voraus nach den (vertraglich) vereinbarten Konventionen zur Kenntlichmachung der Förderung. Eine Möglichkeit bei vielen Logos ist es, diese sozusagen als Fußleiste im unteren Bereich zu sammeln. Unterhalb des Titels haben Sie nun alle Freiheit, Ihre Inhalte anzuordnen. Die wesentlichen Richtlinien sind wie immer Klarheit, Lesbarkeit und Verständlichkeit. Im Konkreten bedeutet das: ● Beachten Sie die Leserichtung von links oben nach rechts unten. ● Spalten und Zeilen sind eindeutig erkennbar, z.-B. durch Trennstriche. ● Führen Sie den Blick gegebenenfalls durch grafische Elemente. ● Geben Sie Elementen/ Textboxen genügend Abstand zu anderen Elementen, nach innen und außen - „Platz zum Atmen“. Nach Möglichkeit sollte Ihr Poster eine primäre Abbildung haben 94 , die zentral ange‐ ordnet ist und hinreichend Platz bekommt (ca. 10  % der Fläche). Weitere Abbildungen, wie Fotos von einem Versuchsstand, werden am besten gruppiert und zu einem Element oder einer Box zusammengefasst. Diese sollten jeweils deutlich kleiner sein als die zentrale Abbildung. Eine Tabelle auf einem Poster ist in Ordnung, so lange sie sauber formatiert und nicht zu überladen ist. Die Faustregel lautet hier: Maximal vier Spalten und fünf Zeilen. Selbstverständlich muss die Tabelle auf einem Poster auch einen Mehrwert bieten, z. B. eine systematische Übersicht, die nicht noch einmal im Text wiederholt wird und beim Betrachten eindeutige Zusatzinformationen liefert. Beachten Sie, dass hier auch Ihre Zielgruppe eine Rolle spielt: Haben Sie ein breites Spektrum an Zuschauer: innen zu erwarten, halten sie sich an qualitative 302 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="303"?> Kap.-1.5.3 Aussagen und Abbildungen. Erwarten Sie jedoch hauptsächlich oder ausschließlich Zuschauer: innen aus dem gleichen Fachgebiet oder aus einer gemeinsamen, vielleicht internationalen Forschungsgruppe, sind auch Tabellen und konkrete Werte „erlaubt“, da dieses spezialisierte Publikum genau daran Interesse haben wird. Originalbeispiele zum Aufbau von Postern in Hoch- und Querformat finden Sie bspw. bei Rowe (2017) in Kapitel 6. Lassen Sie sich inspirieren. Teil 2: Konzept und Struktur entwickeln Nachdem Sie Ihre Vorlage formatiert haben, beginnen Sie jetzt das leere Papier zu strukturieren. Sie entwickeln ein Konzept für Ihr Poster. Dieses richtet sich nach den Erkenntnissen, die Sie Ihrer Zielgruppe präsentieren wollen. Den Weg dorthin zeigen Ihnen die folgenden Abschnitte. Was sind Poster eigentlich? Poster sind vor allem eines: knapp. Eine kurze Beispielrechnung: Es gibt auf der ABC-Konferenz 100 Poster in einer Session. Diese dauert 2 Stunden. Interessierte hätten also pro Poster in diesem riesigen Saal 1 Minute und 12 Sekunden zur Verfügung, falls sie sich alle Poster ansehen möchten. Was sagt Ihnen das? Sie müssen sich kurz fassen! Und: Legen Sie Wert auf Ihre Abbildungen! Machen Sie die aussagekräftigsten und dabei reduziertesten Abbildungen, die Sie je gemacht haben, damit schnell klar wird, worum es Ihnen geht. Verwenden Sie „take-home-messages“, also einfache Aussagen oder Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit, die leicht zu verstehen und zu merken sind. Ein Poster muss also knapp und präzise sein, da der Platz und die Präsentationsbzw. Betrachtungszeit streng begrenzt sind. Grafiken haben einen hohen Stellenwert, müssen aber so gestaltet sein, dass das Wesentliche auf einen Blick zu erfassen ist. Weder im Text noch in den Abbildungen ist Raum für lange Ausführungen. Der Inhalt der Bilder, Grafiken, Tabellen, Schemata etc. soll daher nicht redundant sein zu Aussagen im Fließtext; Dopplungen sind zu vermeiden. Außer der Größe und dem Format werden für Poster oft keine weiteren Vorgaben gemacht. Der begrenzte Platz und der Anspruch „für sich allein zu stehen“ sind jedoch sehr strenge Randbedingungen, die nicht unbedingt leicht zu erfüllen sind. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 303 <?page no="304"?> 95 Je nach Themenschwerpunkt Ihrer Arbeit bzw. der Konferenz kann sich allein daraus ein sehr diver‐ ses Publikum ergeben. In der Geothermieforschung bspw. tummeln sich Geolog: innen, Hydrolog: in‐ nen, (Geo-)Chemiker: innen, (Geo-)Physiker: innen, Maschinenbauer: innen, Verfahrenstechniker: in‐ nen, Energietechniker: innen und meist finden sich auf Konferenzen auch Kraftwerksbetreiber: innen, Firmen usw. An diesem Beispiel können Sie vielleicht nachvollziehen, dass sich das Vorwissen der Anwesenden deutlich unterscheidet und Ihr Poster entsprechend andere Inhalte braucht als in einem Seminar Ihrer eigenen Arbeitsgruppe. Aufgabe und Ziel eines Posters Es gibt verschiedene Anlässe, zu denen Poster gestaltet werden. Nicht alle sind rein wissenschaftlicher Natur. Ich habe Ihnen hier einige unterschiedliche Motivationen zusammengetragen, die hinter einem Poster stecken können. Poster werden genutzt zur/ zum ● Verschönerung von Wänden in Institutsfluren und Experimentierhallen (dies oft als Nachnutzung, quasi Wiederverwendung, wenn Poster für andere Zwecke entstanden sind), ● Werbung für bestimmte Forschungsprojekte, ● Werbung für Abschlussarbeiten, ● Demonstration und Erklärung einer experimentellen Anlage, die sonst hinter Isolierung etc. nicht erkennbar ist, ● Darstellung von Anlagen, die geplant sind oder sich im Bau befinden, ● Präsentation der Forschung gegenüber fördernden Instanzen, ● Dokumentation des Fortschritts der Arbeit innerhalb eines Forschungsprojekts o.-ä., ● Leistungsnachweis in Seminaren o.-ä., ● Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse auf Konferenzen. Machen Sie sich bewusst zu welchem Zweck Sie Ihr Poster gestalten. Dieser hat nämlich direkte Auswirkungen auf den Inhalt. Ich gehe hier vom letztgenannten Fall aus: Sie präsentieren Ihre Forschung auf einer Konferenz. Das Ziel eines solchen Posters ist es, andere Wissenschaftler: innen auf Ihr Thema aufmerksam zu machen, so dass sie den Austausch mit Ihnen suchen. Darum sind Poster durchaus mit Werbeplakaten vergleichbar - und dies beinhaltet vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Ein Poster soll Aufmerksamkeit erzeugen, es muss aber gleichzeitig wissenschaftliche Substanz haben. Wer ist meine Zielgruppe? Die genannten verschiedenen Anlässe, Zwecke und Motivationen, die zur Entstehung eines Posters führen, bringen uns direkt zur nächsten notwendigen Überlegung: Für wen gestalte ich das Poster überhaupt? Wen möchte ich mit meinem Poster erreichen? Wie ist mein Publikum zusammengesetzt? Werden das Poster eher andere Studierende anschauen, eine bunt gemischte Wissenschaftscommunity 95 oder meine eigene Arbeitsgruppe? 304 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="305"?> Jedes Publikum braucht andere Informationen, um zum Beispiel einen Einstieg in Ihr Thema zu finden. Überlegen Sie sich also gut, wo Sie anfangen (müssen) und welche Details Sie auf dem Poster mitliefern (wollen/ müssen). Diese Überlegungen beeinflussen alle weiteren Aspekte wie Ihr Konzept, den Aufbau des Posters, den Inhalt, Abbildungen und schlussendlich Ihre Poster-Präsentation. Konzept und Aussage Zuallererst gilt es den Kern Ihrer Forschung zu identifizieren - oder die zentrale Botschaft für das aktuelle Poster. Diesen Kern präsentieren Sie. Im Mittelpunkt steht die Frage: „Welche Ergebnisse/ Erkenntnisse meiner wissenschaftlichen Arbeit möchte ich präsentieren? “ Und dafür erstellen Sie zuerst ein Konzept. Dieses sollte enthalten: ● Was ist der zentrale inhaltliche Aspekt des Posters? (ein Punkt) ● Welche inhaltlichen Teilaspekte will ich noch behandeln? (ca. drei Unterpunkte) ● Welche Abbildung(en) zeige ich? (eine zentrale Abbildung, max. drei bis vier zusätzliche Abbildungen) Die Angaben in Klammern verstehen Sie bitte auch hier als Faustregeln. Sie sollen unterstreichen, dass es nötig ist, sich zu beschränken. ● Die Präsentation erfolgt so anschaulich wie möglich, d. h. Sie verwenden viele Abbildungen und/ oder Diagramme und möglichst wenig Fließtext. ● Alles, was keinen offensichtlichen Mehrwert bietet, gehört nicht auf Ihr Poster! ● Vermeiden Sie außerdem Redundanzen: Ein Sachverhalt muss nicht in einem Diagramm, im Text und in einer Tabelle präsentiert werden. Wählen Sie die verständlichste Form und wiederholen Sie sich nicht. ● Ob die zentrale Abbildung eine Illustration, ein Schema, ein Flussdiagramm, ein Foto oder ein Plot ist, spielt keine Rolle. Es sollte aber eine Abbildungsform gewählt werden, die - zumindest von Ihrer Zielgruppe - auch ohne lange Erläuterung interpretiert werden kann. ● Gestalten und schreiben Sie so einfach und verständlich wie möglich! Vom Konzept zur Grobstruktur Stift und Papier: Tatsächlich ist es eine gute Idee, zunächst eine Skizze auf Papier anzufertigen und dem Poster so eine ungefähre Form zu geben. Auf Postern werden häufig einzelne Felder oder Boxen verwendet, die entweder Texte oder Bilder enthalten. Dieses Boxen-Konzept ist allerdings kein Muss - Sie kön‐ nen durchaus kreativ werden. Wichtiger als Traditionen sind Klarheit und Einfachheit, durch die sich Interessierte schnell zurechtfinden. Beachten Sie bei der groben Strukturierung, dass die übliche Leserichtung - zumin‐ dest im westlichen Kulturkreis - von links oben nach rechts unten ist. Eine Anordnung in Zeilen oder Spalten ist zwar üblich, aber auch hier gibt es keine festen Regeln. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 305 <?page no="306"?> Zum Beispiel ist es möglich, dass eine zentrale Abbildung oder ein Schema in der Mitte steht und sich die einzelnen Elemente auf diese Abbildung beziehen. Dies kann entweder durch ihre Anordnung oder durch Pfeile und Linien verdeutlicht werden. Wichtig bei der allgemeinen Gestaltung des Posters ist, dass Sie nicht versuchen möglichst jeden Quadratzentimeter Posterfläche ausnutzen, sondern bedenken, dass die Gestaltung und Aufteilung der Elemente die Aufmerksamkeit der Betrachter: innen lenken. Eine Faustformel lautet hier: Die Posterfläche wird genutzt für ca. 50 % Abbildungen, Fotos und andere visuelle Elemente, ca. 30 % Text - je weniger, desto besser - und ca. 20 % freien Platz. Wie sich dieser freie Platz auf den Eindruck des Posters auswirkt, zeigt Ihnen Abb. 1.6.1. Abb. 1.6.1: Die Wirkung von Leerraum auf einem wissenschaftlichen Poster. Die linke Skizze zeigt ein sehr volles Poster mit wenig „Luft zum Atmen“, die rechte Skizze berücksichtigt die obigen Hinweise und sieht dadurch aufgeräumt und ansprechend aus. Teil 3: Konkrete Inhalte Hier finden Sie alle Aspekte der Postergestaltung, die Sie völlig frei bzw. einzig abhängig von Ihrem Thema und der zentralen Aussage, die Sie transportieren möchten, wählen können. Der Inhalt alleine bestimmt die Gestaltung. 306 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="307"?> 96 Übersetzung der Autorin aus dem Französischen, A. de Saint-Exupéry, Terre des Hommes, S.-41 Kap. 1.3.2 Aufmerksamkeit - How to catch fish Poster-Sessions sind meist darauf ausgerichtet, dass möglichst viele Wissenschaft‐ ler: innen Ihre Forschung gleichzeitig präsentieren können (siehe Beispielrechnung im Kasten oben). Bedenken Sie also, dass Sie bei einer größeren Konferenz ein Poster unter dutzenden oder sogar hunderten präsentieren. Alean-Kirkpatrick (2002) spricht von drei Filtern, die Ihr Publikum verwendet, um aus der Masse an präsentierten Informationen, die interessanten Poster herauszukristallisieren: „Look at me! Read me! Ask me! “ (ebd.) (im Detail in „Shortcut zu guten Postern“ am Anfang des Kapitels). Damit meint sie zunächst den ersten Eindruck, den Sie mit Ihrem Poster machen - Sie müssen Interesse wecken! Ihr Poster muss also die Aufmerksamkeit der Poster-Session-Besucher: innen auf sich ziehen. Aufmerksamkeit erregen Sie am besten sowohl mit dem Titel, der meist auch in einem Konferenzbooklet oder ähnlichem abgedruckt wird, als auch mit dem Layout. Darauf folgt der Informationstransfer - das Poster muss leicht zu lesen und zu verstehen sein. Hier bieten sich vor allem Abbildungen und Ablaufdiagramme an. Weniger (Text) ist mehr! Zuletzt soll das Publikum zu einem Gespräch bzw. zum Nachfragen eingeladen werden, damit Sie in den Austausch mit Fachkolleg: innen treten können. Überlegen Sie sich: Was sollen die Besucher: innen der Postersession in jedem Fall mitnehmen? Diese Take-Home-Message ist der zentrale inhaltliche Aspekt und dieser gibt die Struktur des Posters vor. Alle anderen Elemente des Posters ordnen sich diesem unter. Wenn der Inhalt auf das Nötigste reduziert und klar in Ihrem Kopf ist, können Sie mit der Umsetzung beginnen. Halten Sie sich hier an Antoine de Saint-Exupéry, der schrieb: Es scheint, dass Perfektion nicht dann erreicht ist, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn es nichts mehr wegzulassen gibt. 96 Inhaltlicher Aufbau Das Formulieren von Texten für ein Poster unterliegt den bereits genannten Randbe‐ dingungen: Der Text soll so lang wie nötig und so kurz wie möglich sein. Der Aufbau folgt auch bei Postern grundsätzlich dem IMRaD-Schema für wissenschaftliche Texte: ● Titel - Wie lautet das Thema? (zusammen mit Autor: innen) ● Einleitung/ Motivation - Warum ist das interessant? Was genau will ich wissen/ un‐ tersuchen? ● Methodik - Wie finde ich das heraus? Wie wird das Problem gelöst? ● Ergebnisse - Was habe ich herausgefunden? ● Diskussion - Was folgt daraus? Was kann ich mit dem Wissen anfangen? ● evtl. Ausblick - Welche Aspekte werden als nächstes untersucht? 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 307 <?page no="308"?> 97 Ich schreibe hier ganz bewusst Fazit nicht Zusammenfassung und Ausblick. Ein Poster ist im besten Falle bereits sehr kodensiert, sodass eine erneute Zusammenfassung entfallen kann. ● Fazit 97 ● Formalia - Quellenangaben, Danksagungen Je nach Strukturierung der Formatvorlage des Posters (siehe nächster Punkt) kann es sein, dass die Inhalte nicht zwingend in dieser (Lese-)Reihenfolge angeordnet sind. Dann sollten die einzelnen Teile aber klar identifizierbar und unterscheidbar sein, zum Beispiel durch deutliche Überschriften. Abstracts sind auf Postern nicht üblich, da ein Poster bereits eine stark kompri‐ mierte Präsentationsform ist. Wichtig ist allerdings ein guter Titel. Insbesondere bei naturwissenschaftlichen Inhalten, die sehr spezifisch sind, werden Titel oft sehr lang und komplex, weil sie zum Beispiel die Methode und den Forschungsgegenstand enthalten. Ein dreizeiliger Titel ist jedoch ermüdend, nicht anziehend. Unter dem Aspekt der Aufmerksamkeit, kann ein zweigeteilter Titel hilfreich sein: Ein Haupttitel, der kurz und plakativ ist und ein Untertitel, der den Inhalt wissenschaftlich präzise beschreibt. Wie kommt jetzt meine Forschung aufs Papier? Ihr Poster ist allgemein betrachtet genauso aufgebaut wie Ihre Abschlussarbeit: Tab. 1.6.3: IMRaD-Schema für ein wissenschaftliches Poster. - Einleitung - I Warum Motivation Hintergrund/ Situation - Was Gegenstand Problem - Wie Methode(n) Lösung M Wozu Ergebnis(se) - Ra - Diskussion/ Schluss‐ folgerung Bewertung D Was genau kommt aber aufs Poster? Legen Sie für jeden vorgestellten inhaltlichen Abschnitt (siehe Tab. 1.6.3) eine Textbox an (siehe Abb. 1.6.2 und 1.6.3): ● Ich empfehle mit einer Motivation oder der Relevanz des vorgestellten Themas einzuleiten. In der Kürze liegt die Würze! Formulieren Sie so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig. Ein bis drei Sätze genügen. ● Nach der Motivation schließt sich die Forschungsfrage (Gegenstand, Problem) an: Warum haben Sie erforscht, was Sie hier vorstellen? ● Stellen Sie Ihre Methode(n) vor, gerne grafisch aufbereitet - vielleicht in einem Prozessdiagramm. Auch hier gilt: weniger (Text) ist mehr! 308 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="309"?> ● Ihre Ergebnisse! ! Diese sind Ihre zentrale Aussage! Versuchen Sie sich jedoch auch hier kurz zu halten und wählen Sie DIE EINE aussagekräftige Abbildung aus. Was ist das zentrale Ergebnis Ihrer Forschung? Wichtig ist hier eine Einordnung in den Forschungskontext: Welchen Mehrwert haben Ihre Ergebnisse für Ihre Zielgruppe (das Seminar, die Arbeitsgruppe, die Disziplin …). Beachten Sie: Je größer die Konferenz ist, desto eher sollten Sie auf konkrete Zahlen verzichten. Die Wenigsten werden sich daran nach einigen dutzend Postern noch erinnern. Eine aussagekräftige Grafik bzw. der dargestellte Zusammenhang bleiben eher in Erinnerung. ● Falls Sie noch nicht abgeschlossene Forschung vorstellen und entsprechend keine oder keine abschließenden Ergebnisse präsentieren können, nennen Sie diesen Themenblock „Nächste Schritte“. Dort erklären Sie, was Sie in nächster Zeit wie zu untersuchen gedenken und wohin es führen soll. ● Abschließend folgt auch auf einem Poster ein kurzes (! ! ) Fazit. Wie bei der Moti‐ vation empfehle ich Ihnen sich auf einen bis maximal drei Sätze zu beschränken. ● Nicht vergessen: Auch auf einem Poster müssen Quellen korrekt angegeben werden! Hierfür eignet sich eine kleine Schriftgröße und die Platzierung am unteren Ende des Posters. Abb. 1.6.2: Darstellung des IMRaD-Schemas auf Postern im Hochformat. Hier ist eine zwei‐ spaltige Anordnung gewählt. Eine einspaltige Variante wäre ebenso möglich. Betrachten Sie die gewählte Anordnung als Orientierung, nicht als Gesetz. Holen Sie sich hier eine erste Idee für Ihr Poster und passen Sie die Textboxen gerne an Ihre individuelle Forschung an. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 309 <?page no="310"?> 98 Exkurs: Vektorgrafiken bestehen nicht aus einzelnen Pixeln sondern aus geometrischen Formen (Linien, Punkten, Kurven, Flächen oder Schriftzeichen). Eine Vektorgrafikdatei enthält nur das Regelwerk zur Erstellung der Formen und der Computer (bzw. der Drucker) setzt diese Regeln um. Die tatsächliche Ausgabegröße spielt daher keine Rolle. Fotos bestehen hingegen aus einer Matrix einzelner Bildpunkte, die keinen erkennbaren Bezug zueinander haben: Zu jeder Koordinate eines Fotos muss ein Farbwert gespeichert werden. Damit ist die Informationsmenge begrenzt und ein Foto kann nicht beliebig vergrößert werden, denn irgendwann sieht das Bild „pixelig“ aus. Abb. 1.6.3: Darstellung des IMRaD-Schemas auf Postern im Querformat. Eine dreispaltige Aufteilung - wie hier gezeigt - ist weit verbreitet, jedoch sind auch hier Varianten möglich. Wenn Sie bspw. eine Abbildung haben, auf die sich alle Inhalte beziehen, setzen Sie die Abbildung in die Mitte und die erklärenden Texte nach IMRaD im Uhrzeigersinn außen herum. Zu bedenken ist außerdem: Ein Poster steht im Gegensatz zu einem wissenschaftlichen Zeitschriftenbeitrag nicht für sich alleine. Sie stehen daneben. Sie präsentieren Ihr Poster. Sie können mit den Interessierten ins Gespräch kommen und über Fachinhalte diskutieren oder Anregungen anderer Forscher: innen mitnehmen. Was Sie sagen, wäh‐ rend Sie Ihr Poster vorstellen, ist also ebenso wichtig, wie die Informationen auf Ihrem Poster. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass Ihr Poster nicht 100-% der verfügbaren Informationen enthalten muss. (Die Präsentation des Posters folgt in Teil 4.) Abbildungen Aufgrund der Größe, die Abbildungen auf einem ausgedruckten Poster haben, müssen die Abbildungen bzw. Dateien bestimmten Kriterien genügen: Alle Abbildungen, die keine Fotos sind - also Diagramme, Schemata etc. - sollten als Vektorgrafiken 98 erstellt und eingefügt werden. Denn so können sie beliebig vergrößert werden, ohne an 310 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="311"?> Kap.-1.3.4 Qualität einzubüßen. Fotos sollten eine Druckauflösung von 300 dpi haben. Fotos und Abbildungen sollten mit darauf ausgelegten Programmen aufbereitet und dann in das Poster eingefügt werden. Abbildungen für Präsentationen, Zeitschriftenartikel und Poster unter‐ scheiden sich! Allein die vorgerechnete Dauer der Betrachtung eines Posters zu Anfang des Kapitels macht deutlich, dass Abbildungen in einem Zeitschriftenartikel deutlich komplexer sein dürfen, da die Betrachtenden sich alle Zeit der Welt nehmen können, um Ihnen gedanklich zu folgen. Zudem gibt es dort begleitenden Text. Bei einem Poster ist nicht viel Zeit zur Erfassung und die Betrachtenden können es nicht so genau und aus der Nähe studieren. Die hier verwendeten Abbildungen sollten also nur Trends, Entwicklungen oder qualitative Informationen enthalten. Eine Einzelwertbetrachtung ist nicht möglich und wäre auch fehl am Platze. Ausblick: Virtuelle Poster Eine neuere Form sind so genannte virtuelle Poster, die online erstellt und bei Konferenzen auf großen Bildschirmen präsentiert werden. Dadurch wird die Format- und Größenent‐ scheidung teilweise vorweggenommen. Es gibt hier insgesamt weniger Gestaltungsspiel‐ raum und damit weniger Gelegenheiten, aus der Masse herauszustechen. Wenn Sie dazu Informationen suchen, verweise ich auf Masters et al. (2015). Dieser ausführliche Artikel explizit zum Thema „e posters“ beleuchtet alle relevanten Punkte von der Software über die Verwendung von Videos und Animationen bis zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von virtuellen und gedruckten Postern. Teil 4: Drucken Wenn Sie Ihr Poster fertig gestaltet haben und mit dem Inhalt zufrieden sind, geht es ans Drucken. Bevor Sie sich aufs große Format stürzen, empfehle ich Ihnen einen Probedruck, vielleicht sogar zwei oder drei. 1. Drucken Sie Ihr gesamtes Poster schwarz-weiß in DIN A4 aus und schauen Sie, ob alles so wirkt, wie Sie es digital vorgesehen haben. Suchen Sie nach (Tipp-)Fehlern und verbessern Sie diese. Geben Sie das Poster einer unbeteiligten Person zum Lesen und bitten Sie um Feedback. 2. Drucken Sie einen Ausschnitt Ihres Posters in Originalgröße auf ein A4-Blatt und befestigen Sie es an der Wand. So können Sie auch einige Schritte zurückgehen und ein Gefühl dafür bekommen, wie groß oder lesbar die Schrift ist. Dies gilt auch für die Überprüfung der Qualität von Bildmaterial, vor allem wenn es für das Poster vergrößert wurde. 3. Wenn Ihnen ein größeres Format zur Verfügung steht (zum Beispiel: Drucker im Institut), drucken Sie Ihr Poster auf DIN A3, um eine letzte Kontrolle durchzuführen. Was gibt es noch zu bedenken? Bei der Wahl des Papiers gibt es viele Möglichkeiten. Poster sollten nicht zu dünn sein, 160 g/ m³ sind ein guter Startwert. Oft limitieren 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 311 <?page no="312"?> jedoch die Möglichkeiten der Hochschuldruckerei oder die hohen Kosten für dickes Papier Ihre Entscheidung. Beschichtete Poster sind robuster und eignen sich vor allem dann, wenn das Ergebnis lange haltbar sein soll und zum Beispiel mehrfach gezeigt werden soll. Ob die Oberfläche glänzend oder matt sein soll, ist Geschmackssache und bestenfalls von der Art der grafischen Darstellung abhängig. Fotos können in Hochglanz besser aussehen während schematische Darstellungen meist in matt besser wirken. Die meisten Druckereien bzw. Copyshops haben Muster, die Sie sich anschauen können. Vielleicht hängen auch Poster Ihrer Arbeitsgruppe im Flur, Aufenthaltsraum etc. - lassen Sie sich inspirieren! Teil 5: Die Posterpräsentation Überlegen Sie sich vorher was Sie zu Ihrem Poster sagen wollen. Je nach Konferenz wird jedes Poster kurz vor allen Besucher: innen präsentiert oder etliche dutzend bis hundert Poster stehen in einem riesigen Konferenzraum und die Konferenzteilnehm‐ enden können zu einer gewissen Zeit die Poster-Session besuchen. Auf jeden Fall sollten Sie vorbereitet sein und wissen, was Sie zu Ihrem Poster zu sagen haben. Die Posterpräsentation ist hierbei einem Konferenzvortrag ähnlich: ● Ich heiße … ● Ich forsche an der … Universität/ Hochschule … ● … im Bereich … ● Einleitung - Methoden - Untersuchung - Ergebnisse - Fazit ● Zu jedem „Kapitel“ sollten Sie je nach verfügbarer Zeit ein bis zwei Sätze vorbe‐ reitet haben. Wichtig ist, dass Sie Ihre Abbildung(en) vorstellen und die Relevanz der Ergebnisse deutlich hervorheben. ● In der Regel sind Poster-Präsentationen zeitlich sehr begrenzt. Rechnen Sie mit ca. 3 Minuten. Tricks und Tipps für die Posterpräsentation: ● Old school: Sie können Ihre Visitenkarten ans Poster pinnen, zum Mitnehmen für Personen, die sich für Ihre Forschung interessieren. ● Sie können einen QR-Code erstellen, der Ihre Kontaktdaten und den Titel Ihres Posters enthält. Diesen platzieren Sie in einer unteren Ecke Ihres Posters. Dieser Tipp ist auch für virtuelle Poster-Sessions nutzbar. ● Sie können Ihr Poster zusätzlich in kleinem Format - DIN A4 - ausdrucken und diese Flyer als Poster-to-go neben Ihrem Poster ans Poster-Board hängen. Ein Post-It mit der Notiz „Bitte bedienen Sie sich! “ animiert die Vorbeilaufenden sich ein Exemplar mitzunehmen. ● Sie können ein Foto von sich (wie bei einer Bewerbung) in das Poster integrieren (in einer oberen Ecke, sofern es das Posterdesign etc. erlaubt). Das erhöht den Wiedererken‐ nungswert. Poster hängen zum Teil auch vor oder nach der Poster-Session noch im Raum 312 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="313"?> und viele Teilnehmer: innen schauen sich diese in Ruhe an. Wenn ein Bild von Ihnen dabei ist, erleichtert es Interessierten die spätere Kontaktaufnahme auf der Konferenz. ● Gehen Sie aktiv auf Ihr Publikum zu. Viele Besucher: innen laufen einfach durch die Posterreihen und warten auf Inspiration. Wenn Sie die Person(en) freundlich ansprechen, ist das Eis bereits gebrochen. ● Falls Sie im Vorfeld ein (kurzes) Paper (zu Ihrem Poster) bei der Konferenz eingereicht haben, ist es sinnvoll während der Poster-Session ein ausgedrucktes Exemplar (oder auf einem portablen Endgerät eine digitale Variante) dabei zu haben. Falls Fragen zu Ihrem Paper aufkommen, können Sie die betreffenden Stellen finden und den Zusammenhang zu den Inhalten auf dem Poster direkt herstellen. Teil 6: Fazit ● Nutzen Sie Vorlagen und halten Sie sich an Vorgaben. ● Wenn Sie Ihr wissenschaftliches Poster planen, dann gehen Sie vom Informations‐ gehalt eines Abstracts aus - und nicht vom Umfang eines Fachartikels. ● Nutzen Sie alle Möglichkeiten sich kurz zu fassen: Verwenden Sie Abbildungen, Listen, Flussdiagramme, Schemata und Tabellen. ● Testen Sie, ob Sie Ihr wissenschaftliches Poster in zwei bis drei Minuten lesen können. Denn mehr Geduld werden die wenigsten Konferenzbesucher: innen aufbringen. ● Halten Sie ein Poster-to-go im Postkartenformat, einen QR-Code oder ähnliches für Interessierte bereit. ● Üben Sie die Posterpräsentation. ● Holen Sie sich Feedback! Literatur: A L E A N -K I R K P A T R I C K , Pamela (2002): https: / / ueberfachliche-kompetenzen.ethz.ch/ dopraedi/ pdfs/ Powerful%20Posters_Kirkpatrick.pdf [abgerufen am 27.12.2021]. M A S T E R S , K. / G I B B S , T. / S A N D A R S , J. (2015): How to Make an Effective e Poster. MedEdPublish Year, issue: 1. https: / / dx.doi.org/ 10.15694/ mep.2015.004.0001 R O W E , Nicholas (2017): Academic & Scientific Poster Presentation---A Modern Comprehensive Guide, Springer International Publishing. Zum Weiterlesen: D O M E S , Gregor / C H R I S T E , Ralph (2020): Wissenschaftliche Poster gestalten und präsentieren, Springer, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-662-61496-9 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 313 <?page no="314"?> 99 Begriffserklärung: In diesem Kapitel steht Präsentation stellvetretend für die klassische Powerpoint- oder Folienpräsentation und bezieht sich auf die Gestaltung der Folien. Mit Vortrag wird jeweils der gesprochene Teil der Präsentation adressiert. 100 Vor der Verbreitung von Laptops und Projektoren waren transparente Overheadfolien der Standard und der Begriff der „Folie“ hat sich gehalten. Der Englische Begriff „slide“ wird auch gelegentlich im Deutschen verwendet, zumindest in der englisch-beeinflussten wissenschaftlichen Alltagssprache. Kap.-1.5.3 1.6.2 Wissenschaftliche Präsentationen Bertram Bühner Wissenschaft hat keinen Nutzen, wenn sie nicht publiziert oder anderweitig kommuni‐ ziert wird. Neben wissenschaftlichen Fachartikeln und Büchern sind wissenschaftliche Präsentationen 99 das wichtigste Medium, um Wissen und neue Erkenntnisse zu vermit‐ teln. Jede wissenschaftliche Präsentation kann somit auch als eine Art der Publikation betrachtet werden. Die Vielfalt wissenschaftlicher Präsentationen reicht vom Seminarvortrag bis zur zweistündigen Fachvorlesung. Präsentationen sind aber auch außerhalb des Wissen‐ schaftsbetriebs eine ganz wesentliche Kommunikationsform: Gut präsentieren zu können ist für den wissenschaftlichen und beruflichen Erfolg gleichermaßen von Bedeutung. Im Folgenden werden Präsentationsfolien als Textsorte betrachtet und damit stehen de‐ ren Inhalt und Gestaltung im Vordergrund. Das Vortragen wird dennoch thematisiert, denn Folien und Vortrag gehören untrennbar zusammen: Im Mittelpunkt eines guten naturwissenschaftlichen Vortrags steht das gesprochene Wort - die Folien dienen lediglich der visuellen Unterstützung. Ein Wort zu Faustregeln Im Folgenden werden verschiedene Faustregeln genannt, die eine erste Antwort auf die Frage „Wie mache ich das? “ geben sollen. Es gibt sicherlich Situationen, in denen es gut und sinnvoll ist, sich bewusst von ihnen zu lösen: Wenn Sie einen guten Grund haben, machen Sie es ruhig anders - aber nur dann! Zur Form von Präsentationen Im Allgemeinen werden mit diesem Begriff die typischen „Folienpräsentationen 100 “ bezeichnet. Hierfür haben sich gewisse Standards herausgebildet, aber es gibt oft auch deutliche fachkulturelle Unterschiede. Im MINT-Bereich stehen Grafiken und Diagramme im Vordergrund, während in vielen Geisteswissenschaften teils umfang‐ reicher Text verwendet wird. Für jeden sogenannten „Standard“ finden sich allerdings auch zahlreiche Abweichungen in jeder Disziplin - und natürlich von Person zu Person. Nicht jede erfolgreiche Präsentation muss eine strenge Folienpräsentation sein. Vorträge auch können anhand einer einzigen Abbildung, an der Tafel, oder völlig 314 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="315"?> 101 Lightning Talks und Pecha-Kucha sind zwei Präsentationsformate, bei denen es sehr auf Knappheit ankommt und für die strenge Regeln gelten. Kap.-1.1.2 frei gehalten werden. Um die Vielfalt etwas einzugrenzen, wird diesem Kapitel ein Szenario zugrundegelegt, das in den MINT-Fächern sehr typisch und weit verbreitet ist und sowohl im Studium als auch in der wissenschaftlichen Arbeitswelt immer wieder vorkommt: Als Grundlage dient ein naturwissenschaftlicher Seminarvortrag mit Folienpräsentation und einer Länge von ca. 30 Minuten. Dieses Szenario ist repräsentativ und gut skalierbar, für längere oder kürzere Präsen‐ tationen gelten im Wesentlichen die gleichen Empfehlungen - es gibt eben nur mehr oder weniger Raum für Inhalt. Konzept Eine Präsentation ist bewusste Kommunikation und beginnt mit der inhaltlichen Planung. Führen Sie sich dazu die Randbedingungen klar vor Augen: ● Wie lange soll/ muss/ darf die Präsentation werden? ● Wie gut kenne ich mich mit dem Thema der Präsentation aus? ● Wie viel Zeit habe ich zur Vorbereitung? ● Wie ist mein Publikum zusammengesetzt? ● Wird eine besondere Präsentationsform verlangt? Die Ziellänge der Präsentation hat direkten Einfluss auf deren Aufbau und die inhalt‐ liche Fülle und gibt auch die Anzahl der Folien vor. Die eigene Vertrautheit mit dem Thema wirkt sich auf die Vorbereitung aus: Ein Seminarvortrag über (fremde) Literatur benötigt mehr Recherchezeit als ein Bericht über die eigene Abschlussarbeit - dafür müssen bei letzterem mehr Grafiken selbst erstellt werden. Die zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit beeinflusst die Priorisierung der ein‐ zelnen Schritte und die Zeitplanung der Arbeit. Je besser eine Präsentation an die Zielgruppe angepasst ist, desto erfolgreicher wird sie sein. Dies beeinflusst, wie weit ins Thema eingeführt und für welches fachliche Niveau der Inhalt aufbereitet werden muss. Wenn das Präsentationsformat vom Standard der Folienpräsentation abweicht (z. B. bei Lightning Talks oder einem Pecha Kucha-Vortrag 101 ), können manche Parameter vorgegeben sein. Das heißt aber nicht, dass die Vorbereitung weniger Sorgfalt erfordert. Auch, wenn Zeit hier zunächst nur als eine Variable auftaucht: Zeit ist Luxus. Wie Sie Ihre inhaltliche Vorbereitung organisieren und wieviel Zeit Sie in die Recherche stecken müssen, ist sehr vom Thema abhängig. Achten Sie aber darauf, dass Sie sich nicht nur streng auf das eigentliche Thema vorbereiten, sondern nehmen 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 315 <?page no="316"?> Sie auch Wissen links und rechts des zentralen Inhalts mit, um Ihr Thema in den umgebenden Kontext einordnen zu können. Storytelling & Dramaturgie Im Mittelpunkt einer jeden Publikation und somit auch einer jeden Präsentation steht die Frage „Was will ich erzählen? “. Damit die Kernbotschaft bei Ihrem Publikum ankommt, ist ein Aufbau gefragt, dem das Publikum leicht und mit Interesse folgen kann. Worum geht es hier eigentlich? Beginnen Sie damit, den Inhalt Ihrer Präsentation klar zu umreißen und sich auf das Wesentliche zu fokussieren: ● Beschreiben Sie Ihre Präsentation in drei (möglichst knappen) Sätzen: a. Wie lautet das Kernthema? b. Welche Grundlagen werden zum Verständnis benötigt? c. Was ergibt sich daraus / was kann damit gemacht werden? ● Definieren oder identifizieren Sie für jede dieser drei Fragen eine Abbildung, an der sich eine Antwort besonders gut zeigen lässt. ● Legen Sie eine Liste an, in der Sie alles sammeln, was sich bei der Vorbereitung ergibt und einen Einfluss auf das Thema Ihrer Präsentation hat. ● Markieren Sie auf Ihrer Liste insbesondere Fragen, die sich für Sie selbst bei der Beschäftigung mit Ihrem Thema ergeben haben und machen Sie diese als Frage kenntlich (Fragezeichen! ). Dieses Grundgerüst legt den Fahrplan für die Ausarbeitung der Präsentation fest. Falls Ihre Präsentation mehrere zentrale und hinreichend voneinander unabhängige Themen hat (oder aus inhaltlichen Gründen haben muss), bietet es sich an, für jedes Thema entsprechend zu verfahren - aber achten Sie darauf, die Präsentation nicht mit Inhalt zu überfrachten. Die Liste mit den gesammelten Ideen und Fragen hilft Ihnen bei der weiteren Ausarbeitung. Vieles davon wird nicht auf den Folien zu sehen sein, sondern in Ihren Vortrag einfließen. Die Fragen sind besonders hilfreich, denn was Sie sich bereits gefragt haben, wird sich vermutlich auch Ihr Publikum fragen. Je mehr dieser möglichen Fragen Sie parat haben (und beantworten können), desto besser können Sie einschätzen, ob der Inhalt Ihrer Präsentation vollständig und verständlich ist, oder welche Aspekte vielleicht für die nachfolgende Diskussion relevant werden könnten. Drama, Baby! So gut Ihr Inhalt auch sein mag - Ihr Publikum soll sich nicht langweilen, sondern der Präsentation gerne folgen und Interesse für Ihr Thema entwickeln. Dieses Interesse zu 316 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="317"?> Kap. 1.3.2 wecken und zu lenken, ist Aufgabe der Dramaturgie Ihrer Präsentation und definiert den Spannungsbogen, den Sie aufbauen müssen, damit das Publikum bei der Sache bleibt. Es versteht sich von selbst, dass Ihre eigene Begeisterung und Ihr Interesse am Thema Voraussetzungen dafür sind, dass die Präsentation auch bei Ihrem Publikum zündet. Selbst, wenn Sie bei der Themenwahl nicht Ihr Wunschthema abbekommen haben: Geben Sie alles, um sich für den Inhalt zu begeistern! Sonst können Sie diesen nicht besonders gut präsentieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Spannungsbogen innerhalb einer Präsenta‐ tion aufzubauen. Hier dürfen Sie ruhig kreativ werden. Bedenken Sie, welches Publikum Sie vor sich haben: Auf einer Konferenzsession vor Fachpublikum haben Sie keine Zeit zu verlieren und können schnell zum Punkt kommen. Bei einer Präsentation im Institutskolloquium müssen Sie eher Interesse wecken und fachfremde Personen in das Thema einführen. Struktur & Aufbau Während die Dramaturgie die emotionale Seite des Publikums anspricht, richtet sich die Struktur an die intellektuelle bzw. sachliche Seite. Beide Aspekte wirken zusammen und charakterisieren den Ablauf der Präsentation. Wie in anderen Publikationsformen ist es sinnvoll, die Struktur an das IMRaD-Schema anzulehnen. Präsentationen haben aber gegenüber einem Artikel den Vorteil, dass das gesprochene Wort das Publikum stärker lenkt und durch ein Thema hindurchführt - und diesen Vorteil können Sie nutzen. Gehen Sie den Aufbau mit einem festen Plan an und legen Sie sich eine vorläufige Liste aller Folien an, die Sie für die Präsentation einplanen. Der erste Eindruck Die erste Folie einer Präsentation ist offensichtlich die Titelfolie, die den Präsentations‐ titel, Ihren Namen und ggf. die Institution zeigt, der Sie angehören. Das kann Ihre Universität sein, aber auch ein Forschungsprogramm oder die Lehrveranstaltung, in der Sie die Präsentation halten. Die Titelfolie ist auch ein passender Ort für Logos. Sie können hier auch ein Bild als Blickfang unterbringen. Achten Sie aber darauf, dass Ihre Titelfolie schlank bleibt und nicht überfrachtet wird. Ein guter, prägnanter Titel zusammen mit Ihrem Namen und dezent platzierten Logos kann ein starker Auftritt sein. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 317 <?page no="318"?> Beim Präsentationstitel prallen oft Geschmack, (vermeintliche) Tradition und der wissenschaftliche Wunsch nach Vollständigkeit aufeinander. Rhetorische Fragen oder zweiteilige Titel sind sehr beliebt, aber auch sehr klassisch. Versuchen Sie lieber, einen kurzen und prägnanten Titel zu wählen. In Reih und Glied Am Anfang des Inhaltsteils steht i. d. R. eine Folie mit einer Gliederung oder Inhalts‐ übersicht. Eine solche „Exposition“ wird oftmals erwartet, sollte aber nicht als reine Pflichtfolie missverstanden werden, die abgehakt werden muss: Die Gliederung ist ein wichtiges strukturelles und dramaturgisches Werkzeug. Sie ist kein exaktes Inhalts‐ verzeichnis, sondern sie hilft den Zuhörenden dabei, die wesentlichen Punkte der Präsentation zu erfassen und diese im weiteren Verlauf einordnen zu können. So machen Sie die Struktur Ihrer Präsentation transparent. Halten Sie die Gliederung knapp und nachvollziehbar, denn das Publikum hört alles zum ersten Mal und kann nicht zurückblättern. Als Faustregel sollte Ihre Gliederung nicht mehr als sechs Punkte umfassen, lieber noch weniger. Sie können sich immer am IMRaD-Schema orientieren - aber wählen Sie prägnante Überschriften, die sich auf den konkreten Inhalt der einzelnen Schritte beziehen (und nicht einfach „Einführung“, „Methoden“ usw. heißen). Lassen Sie eine Übersichtsfolie nicht unkommentiert stehen, sondern führen Sie Ihr Publikum hindurch ohne einfach nur die Stichpunkte vorzulesen. Bilden Sie ganze Sätze, in denen die einzelnen Punkte einfließen. Was tue ich hier eigentlich? Auf Ihrer Liste sollte auch die Frage nach dem „Warum? “ stehen. Dies ist die Motivation für Ihre Forschung oder für Ihre Beschäftigung mit dem Thema. Oft lässt sich die Motivation in Form einer Frage darstellen, oder aber mit einem Bild, das die zugrun‐ deliegende Situation oder das Problem illustriert. Sie können die Motivation auch vor der Gliederung einfügen: Damit wecken Sie die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörenden und können sie dann mit der Gliederung wieder zurück auf den Boden der Wissenschaft holen. Achten Sie aber darauf, keine Effekthascherei zu betreiben, das kann leicht unseriös wirken. …das Häuschen wird bald fertig sein Die Ausarbeitung des eigentlichen Inhalts orientiert sich nun an den (drei) Stich‐ punkten, die Sie bei der Konzeption aufgelistet haben: Etablieren Sie die benötigten Grundlagen und arbeiten Sie immer gezielt auf Ihre Kernbotschaft hin. Alles, was diese 318 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="319"?> Kap.-1.2.5 nicht voranbringt, wird gestrichen oder es fließt bestenfalls in Ihren Vortrag ein. Sollte sich herausstellen, dass ein Aspekt weitere Erläuterungen braucht, ergänzen Sie diese anhand Ihrer Stichwort- und Fragensammlung. Achten Sie beim Aufbau Ihrer Präsentation auf größtmögliche Transparenz und lassen Sie Ihr Publikum wissen, was Sie gerade vorhaben und in welchem Teil Sie gerade sind. Hierzu können Sie gestalterische Hilfsmittel nutzen: Untertitel, Foliennummern, Symbole oder Farben. Sie können z. B. auch immer wieder auf eine zentrale Abbildung zurückkommen und die einzelnen Teile des Inhalts auf das Gesamtthema zurückspie‐ geln. Den Endspurt Ihrer Präsentation sollte eine Zusammenfassung bilden, in welcher die wichtigsten Punkte und Erkenntnisse nochmals aufgelistet und in Erinnerung gerufen werden. Falls es inhaltlich Sinn ergibt, kann sich zusätzlich ein Ausblick anschließen. Der Landeanflug Am offiziellen Ende der Präsentation müssen Sie Ihre Quellen offenlegen. Ob Sie mit einer „Danke-fürs-Zuhören-Folie“ abschließen, ist Geschmackssache - eigentlich ist das aber fast schon Verschwendung einer Folie. Nutzen Sie lieber die Gelegenheit, einen Schlusspunkt zu setzen, der in Erinnerung bleibt und enden Sie mit einem guten Foto oder der Zusammenfassung. Bei einer Konferenz kann das selbstständige Einladen zu Fragen am Ende seltsam wirken. Warten Sie lieber auf die Abmoderation und überlassen Sie die Einladung zur Diskussion der Sitzungsleitung. Ziellänge Neben der inhaltlichen Planung stellt sich die Frage nach dem Timing: Wie viele Folien können in der vorgesehenen Zeit untergebracht werden? Eine bewährte Faustregel lautet: 2 Minuten pro Folie. Für eine 30-minütige Präsentation können Sie also mit maximal 15 Folien rechnen. Titel und Abschlussfolien werden nicht mitgezählt, aber Sie sollten die Zahl der Folien eher nach unten abrunden. Es ist im Zweifel besser, schneller fertig zu sein, als zu überziehen. In eng getakteten Konferenzsessions ist überziehen oft gar nicht möglich, da die Sitzungsleitung sehr streng auf die Zeit achtet. Diese 2-Minuten-Regel ist natürlich nicht exakt, sondern gibt einen Durchschnittswert an. Wie Ihr persönlicher Wert für die Länge einer Durchschnittsfolie ist, werden Sie mit wachsender Erfahrung selbst entdecken. Es gibt aber einen sehr einfachen und hilfreichen Weg, um herauszufinden, wie lange Ihre Präsentation tatsächlich ist, nämlich: Üben. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 319 <?page no="320"?> 102 Alternative Präsentationsprogramme (wie z. B. Prezi) sind ein Spezialfall und werden hier nicht weiter behandelt. Sie kommen im wissenschaftlichen Bereich selten zum Einsatz und werden oft kritisch gesehen, da sie stark auf Visualisierungen und Animationen beruhen und den Ruf haben, zu sehr effektgetrieben zu sein. Kürzen ohne Reue Wenn Sie bei der Vorbereitung Ihres Themas sorgfältig waren, werden Sie beim Zusammenstellen Ihrer Präsentation vermutlich kürzen müssen, weil Sie die vielen Informationen gar nicht in der geplanten Zeit unterbringen können. Das merken Sie spätestens während des Übens. Kürzen ist meist schmerzhaft, vor allem, wenn Sie bereits ausgearbeitete Folien aus der Präsentation nehmen müssen - oder Dinge, die Ihnen besonders wichtig sind, aber den Inhalt nicht voranbringen. Manchmal ist es sinnvoll, diese Folien nicht zu löschen, sondern ganz ans Ende der Präsentation hinter die Schlussfolie zu verschieben. Sie können diese sogenannten Backup-Folien dann aufrufen, wenn in der anschließenden Diskussion die Sprache auf das Thema kommt. Gestaltung Nachdem Sie Ihren Inhalt eingegrenzt und die Folienreihenfolge grob festgelegt haben, können Sie damit beginnen, Ihre Folien zu gestalten. Je sorgfältiger Sie vorbereitet sind, desto einfacher wird Ihnen dieser Teil fallen. Die Gestaltung gliedert sich in verschiedene Schritte und es empfiehlt sich, die Reihenfolge zu beachten: ● Auswahl der Software ● Festlegung des Layouts mittels Vorlagen (Templates/ Masterfolien) - Auswahl des Formats - Auswahl der Schriften (Typographie) - Auswahl der Farben bzw. Festlegung eines Farbschemas ● Vorbereitung der Grafiken - Zuschneiden und Anpassen von Fotos - Vorbereiten von Diagrammen und Schemata ● Umsetzung des Inhalts auf den Folien ● Üben des Vortrags und Anpassen der Folien In der Tat führt der letzte Schritt wieder an den Anfang - und diese Schleife werden Sie für eine gute Präsentation mehrmals durchlaufen. Und mit jedem Mal wird das Ergebnis besser. Software Für die Gestaltung von Folien bieten sich zwei Arten von Software an: Präsentations‐ programme (Powerpoint, Impress, Keynote) und das Textsatzsystem LaTeX. 102 320 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="321"?> 103 Es gibt auch Programme, mit denen PDF-Dokumente ähnlich komfortabel präsentiert werden können wie mit einem typischen Präsentationsprogramm. Sie sind vor allem in Linux-Umgebungen verbreitet. Präsentationsprogramme spielen Präsentationen i. d. R. direkt ab. Mit LaTeX erstellte Folien werden hingegen als (statische) PDF-Datei exportiert 103 . Die klassischen Präsentationsprogramme sind in den meisten Fällen einfach zu bedienen und führen auch recht schnell zu einem Ergebnis. Allerdings ist der Funk‐ tionsumfang nicht so sehr auf wissenschaftliche Inhalte ausgelegt und die vielen Möglichkeiten, sich gestalterisch (z. B. mit Animationen) zu verkünsteln, bergen ihre eigenen Gefahren: Ein guter naturwissenschaftlicher Vortrag soll schließlich ein Feuerwerk der Wissenschaftlichkeit und Erkenntnis sein - und kein Feuerwerk der Animationen. LaTeX ist mit einer aufwändigeren Einarbeitung verbunden, aber für den MINT-Be‐ reich gilt die grundsätzliche Empfehlung, sich damit auseinanderzusetzen! Wer bereits Erfahrungen damit hat, sollte auch LaTeX für die Gestaltung von Präsentationsfolien in Betracht ziehen: Es gibt eine große Zahl guter Präsentationsvorlagen, die auch Werk‐ zeuge zur Gliederung beinhalten und sehr durchdachte und ansprechende Layouts ermöglichen. Wenn Sie viele Formeln verwenden, sollten Sie sich ohnehin mit LaTeX beschäftigen - mit Powerpoint gesetzte Formeln erreichen bei weitem nicht die typographische Qualität, die LaTeX hergibt. Templates! Bevor Sie sich wild ins Layout stürzen, sollten Sie unbedingt herausfinden, ob Ihre Institution Vorlagen für Präsentationen zur Verfügung stellt: Alle Universitäten und Forschungseinrichtungen verfügen über ein so genanntes Corporate Design mit Gestal‐ tungsrichtlinien, Farben, Schriften, Logos etc. Eine solche Vorlage kann Ihnen einiges an Arbeit abnehmen, sie kann Sie aber auch in der Gestaltung einengen. Fragen Sie im Zweifel nach, ob Sie die Vorlage für Ihre Präsentation nutzen müssen. Davon unabhängig sollten sich mit dem Vorlagensystem Ihres Präsentationspro‐ gramms vertraut machen: Alle gängigen Präsentationsprogramme bieten die Mög‐ lichkeit, Ihre Folien auf Vorlagen, sogenannten Templates aufzubauen. Sobald Sie sich für eine Designänderung - z. B. die Schriftgröße des Folientitels - entscheiden, müssen Sie diese nicht in jeder Folie von Hand ändern, sondern nur einmal im so genannten Folienmaster. Dies sorgt für ein konsistentes Layout. Nehmen Sie sich die Zeit, um verschiedene Vorlagen anzulegen (z. B. Titelfolie, Text, Text + Bild, Bild) und wenden Sie diese auf die einzelnen Folien an. Auf diese Weise können Sie z. B. ein wiederkehrendes Logo unterbringen, das auf jeder Folie erscheint, aber auch ein Datum oder Seitenzahlen. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 321 <?page no="322"?> Wenn Sie mit Powerpoint arbeiten, dann deaktivieren Sie die automatische Grö‐ ßenanpassung von Textfeldern im Folienmaster. In einem konsistenten Layout sollten die Schriftgrößen der Inhalte auf jeder Folie gleich sein. Layout Die erste Layout-Entscheidung betrifft das Format Ihrer Präsentationsfolien, nämlich das Seitenverhältnis. Mit der Verbreitung von FullHD als Bildschirmformat ist 16: 9 ein Standard für das Folienformat geworden. Informieren Sie sich im Zweifel vorab über die technischen Möglichkeiten am Ort Ihrer Präsentation; bei Tagungen werden die Formatempfehlun‐ gen auch oft vorab mitgeteilt. Für das Layout gibt es eine Reihe von Empfehlungen und Faustregeln, die sich im MINT-Bereich etabliert haben: ● Nutzen Sie vor allem Bilder, Diagramme und Grafiken. ● Vermeiden Sie lange Texte und ausformulierte Sätze. ● Verwenden Sie Listen mit knappen Kernaussagen. ● Verwenden Sie maximal acht (einzeilige) Stichpunkte pro Folie, eher weniger. ● Bleiben Sie prägnant (= Bringen Sie Dinge auf den Punkt). ● Bleiben Sie präzise (= Vermeiden Sie schwammige Aussagen). ● Bearbeiten Sie Grafiken so, dass sie klar und leicht verständlich sind. ● Bleiben Sie konsistent (= keine grundlose Abweichung in der Gestaltung). Warum ist Konsistenz wichtig? Ein visuell einheitliches Layout dient der Orientie‐ rung des Publikums. Wenn jede Folie anders gestaltet ist, muss sich das Publikum auf jeder Folie neu zurechtfinden, das lenkt vom Inhalt ab. Außerdem sieht eine einheitliche Gestaltung ansprechender aus. Ein konsistentes Layout zeigt, dass Sie diszipliniert arbeiten können. Tipps für Pros Im wissenschaftlichen Betrieb wird oft betont, dass es auf den Inhalt ankommt und weniger auf die Form. Dem ist kaum zu widersprechen, aber hochwertiger Inhalt hat auch einen Anspruch darauf, gut präsentiert zu werden. Wenn Sie einen guten Eindruck machen wollen, sollten Sie auch Details in den Blick nehmen, damit sich Ihr Publikum ernst genommen und in guten Händen fühlt. Sorgfältiges Korrekturlesen (am besten durch Andere! ) versteht sich von selbst: Schreibfehler sind peinlich und wirken sich ggf. auf die Bewertung des Inhalts aus. Achten Sie auch auf korrekte Interpunktion: Wenn bspw. ein Stichpunkt ein vollständiger Satz ist, folgt ein Punkt am Ende. 322 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="323"?> 104 Serifen sind die kleinen Häkchen und Füßchen, mit denen Buchstaben in manchen Schriften ausgestattet sind. Sie sind für gedruckten Fließtext gut geeignet und gelten als leichter lesbar. Auf Projektoren mit begrenzter Auflösung kann die Darstellung der Serifen jedoch unscharf oder verwaschen aussehen. Bleiben Sie außerdem konsistent in allen Details, egal ob bei der Großschreibung von Stichpunkten oder Positionierung von Bildunterschriften. Alles, was Ihrem Publikum hilft, sich zu orientieren und Irritationen vermeidet, macht Ihre Folien besser. Auch Details wie eine korrekte Formelschreibweise entlang der entsprechenden Normen (ISO 80000-1) lassen Ihre Folien glänzen. Die „Powerpoint-Dämonen“ Manchmal kommt es vor, dass Präsentationsfolien just im Moment des Vortrags merkwürdig aussehen, dass Animationen zerschossen sind oder komische Zeichen auf der Folie zu sehen sind. Das Problem tritt meist dann auf, wenn die Präsentation nicht auf dem gleichen Computer abgespielt wird, auf dem sie erstellt wurde. Schon eine andere Programmversion kann unerwünschtes Verhalten verursachen. Außerdem kann es vorkommen, dass Schriftarten auf dem Präsentationsrechner fehlen und unpassende Ersatzschriften angezeigt werden. Typisch sind auch Videos, die plötzlich nicht mehr abspielen, oder amoklaufende Animationen. Der beste Weg, diese Überraschungen zu vermeiden ist natürlich, den eigenen Laptop zu benutzen und vorher die Verbindung mit dem Projektor zu testen. Das klappt auf Konferenzen i. d. R. nicht, da die Technik fest vor Ort installiert ist und Sie dort entweder Ihren USB-Stick mitbringen oder die Präsentation zu einem festgelegten Zeitpunkt vor Ihrer Präsentation auf einen Konferenzserver hochladen oder per Mail übermitteln müssen. Verwenden Sie daher grundsätzlich Standardschriftarten, die auf jedem System vorkommen. Verzichten Sie im Zweifel auf Videos oder ausgefeilte Animationen. Als zusätzliche Sicherheit sollten Sie Ihre Präsentation auch immer als PDF exportieren, selbst, wenn dann z. B. Animationen nicht möglich sind. Typographie Im Gegensatz zu gedruckten Texten (Poster, Abschlussarbeit) ist die Schrift auf einem Projektor selten richtig „scharf “. Verwenden Sie deshalb serifenfreie 104 Schriften mit klaren und nicht zu dünnen Formen und ohne Schnörkel. Die Schriftgröße sollte ein Mindestmaß nicht unterschreiten, um die Lesbarkeit auch aus der Distanz sicherzustellen. Als Faustregel haben sich 24 Pt Schriftgröße be‐ währt. Daraus ergibt sich übrigens die maximal-acht-Stichpunkte-Faustregel beinahe automatisch. Auch außerhalb des MINT-Bereichs sind Sie gut beraten, sich an den knappen, kondensierten Stil der Naturwissenschaften zu halten - damit können in der Regel 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 323 <?page no="324"?> Kap.-1.2.5 alle Zuhörenden etwas anfangen und Sie erhalten eher Lob für Ihre prägnante Foliengestaltung als Beschwerden über zu wenig Fließtext. Ausnahmen von der 24-Pt-Faustregel dürfen Sie aus guten Gründen machen. Beispiele sind Seitenzahlen, Ihr Name in der Fußzeile oder Quellenangaben und Links. Ansonsten sollten Sie jedoch nicht in die Falle tappen, „unwichtige“ Dinge einfach in kleiner Schrift zu setzen. Unwichtige Dinge gehören nämlich erst gar nicht auf Ihre Folie! Achten Sie beim Gestalten Ihres Text-Layouts auf großzügige Zeilenabstände und gönnen Sie sowohl Text als auch Bildern genügend Platz zum „Atmen“. Hier kommt Ihnen die Reduzierung Ihres Inhalts auch gut zupass, denn wenn Sie alles auf den Punkt gebracht haben, brauchen Sie auf den Folien nicht so viele Worte zu machen. Benutzen Sie die vielen Worte lieber beim Sprechen! Quellenangaben Es gibt leider keine eindeutige Regel, wie mit Quellenangaben in Folien umgegangen werden soll. Über das Ob besteht hingegen kein Zweifel, denn wie in allen wissen‐ schaftlichen Publikationsformen ist das korrekte Zitieren bzw. Angeben von Quellen auch in Präsentationsfolien unerlässlich. Allerdings können Quellenangaben in jeder Zeile oder an jeder Darstellung auch stören - das ist ein Dilemma. Es gibt mehrere Lösungen hierfür, die von Zweck und Publikum abhängen. In jedem Fall sind Sie jedoch verpflichtet, eine saubere Bibliographie bzw. Referenzliste zu führen, in der alle Verweise und Quellen gesammelt werden - das zumindest ist unumstritten. Zu den Quellenangaben gehören unbedingt auch Bildnachweise, denn die Ver‐ wendung von Bildern (Fotos, Illustrationen) in Präsentationen unterliegt dem Urheberrecht. Achten Sie insbesondere bei der Auswahl von Bildern aus dem Internet darauf, welche Urheber: innen zu nennen sind oder suchen Sie explizit nach lizenzfreien Bildern, z. B. auf Wikimedia Commons. Abbildungen aus wissen‐ schaftlichen Veröffentlichungen werden wie Zitate behandelt. Wie bringen Sie aber nun die Quellen zielgenau an Ihr Publikum? Lückenlos Auf der sicheren Seite sind Sie mit vollständigen Quellenangaben an allen relevanten Stellen, ggf. auch mit kleinerer Schriftgröße. Ein bewährter Weg ist das Nennen von Autor: in und Veröffentlichungsjahr, z. B. in Klammern (Einstein, 1905) wie beim Harvard oder APA-Stil. Diese Belegsysteme können sowohl für inhaltliche Aussagen als auch für Abbildungen, Graphen und Diagramme verwendet werden. Das ist relativ unaufdringlich und bei Vorträgen vor Fachpublikum sind die wichtigen Namen 324 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="325"?> und Veröffentlichungen innerhalb der jeweiligen Disziplin oft allen bekannt und aussagekräftig. Es ist auch möglich, vollständige Quellenangaben in der Fußzeile einer jeden Folie unterzubringen. Das funktioniert allerdings nur mit eher kleiner Schrift und lässt die Folien „voll“ aussehen. Tauschen Sie sich mit Komiliton: innen oder Betreuer: innen über den Zitierstil aus - so können Sie fachkulturelle Gepflogenheiten am leichtesten kennlernen. Es ist außer‐ dem üblich, die vollständige Bibliographie (= alle Quellenangaben und Bildnachweise) gesammelt am Ende auf einer Folie zu präsentieren. Sie können den Wert Ihrer Quellensammlung steigern, indem Sie ausgewählte Quellen gezielt adressieren und z. B. zur Lektüre empfehlen. Das können Sie auch jederzeit während der Präsentation tun - gönnen Sie den zitierten Autor: innen ruhig ihren Auftritt. Neben der Fachkultur gibt es auch anlassbezogene Unterschiede im Umgang mit Quellen. Ein Seminarvortrag, in dem Fachliteratur aufgearbeitet und präsentiert wird, benötigt mehr Quellenangaben als ein Konferenzbeitrag, bei dem die eigene Forschung dargestellt wird. Im Seminarvortrag ist es auch leichter, sich die Zeit für die Quellen zu nehmen oder wahrscheinlicher, dass die Folien mit allen geteilt werden, während im Konferenzvortrag jede Minute kostbar ist und die Folien meist nicht weitergegeben werden. Farben Farben übernehmen eine Reihe von Funktionen: ● Sie dienen der Ästhetik und der Gestaltung. ● Sie vermitteln Informationen (z. B. rot = falsch vs. grün = richtig). ● Sie stellen sachliche Verbindungen her. ● Sie heben Inhalte hervor. Es gibt eine Reihe von Empfehlungen für die Wahl der richtigen Farben in Präsenta‐ tionen, die auch wissenschaftlich untersucht wurden. Für Präsentationen gilt: weniger ist mehr, denn eine bunte Bildershow mit vielen unterschiedlichen Farbakzenten wird Ihr Publikum eher irritieren, als für inhaltliche Klarheit sorgen. Als grundlegendes Farbschema empfiehlt sich ein heller Hintergrund und eine kon‐ trastreiche, möglichst dunkle Farbe für Text, sowie eine Akzentfarbe zur Hervorhebung 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 325 <?page no="326"?> 105 Dieses Zwei-Farben-Konzept wird auch in Designsprachen für die Gestaltung von Benutzeroberflä‐ chen wie z.-B. Material Design (Google) verwendet. Kap.-1.3.4 von Besonderheiten 105 . Die Akzentfarbe sollte nicht zu hell sein, da ihre Wirkung stark von der Farbwiedergabe des Projektors abhängig ist. Die Variante „heller Text auf dunklem Hintergrund“ mag schick aussehen, ist aber nicht geeignet: Das menschliche Auge braucht Licht, um überhaupt etwas sehen zu können. Bei einem hellen Hintergrund fällt viel Licht ins Auge. Ein dunkler Hintergrund hingegen strahlt kein Licht ab und es steht weniger Licht für die Unterscheidung von Kontrasten zur Verfügung. Beachten Sie bei der Farbauswahl auch die Idee der Barrierearmut: Viele Menschen haben eine eingeschränkte Sehfähigkeit in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Z. B. liegt bei 5-10-% der Bevölkerung eine Farbfehlsichtigkeit vor. Damit wird auch klar, dass die Sache mit rot = falsch und grün = richtig gar nicht so einfach ist - besser ist es, diese Darstellungen zusätzlich mit Symbolen zu unterstützen (z.  B. + / -). Linien sollten auch durch ihre Darstellung unterscheidbar sein (z. B. gestrichelt, gepunktet …). Wenn Sie einem Corporate Design folgen, kann auch eine Farbpalette vorgegeben sein, an die Sie sich halten können. Ansonsten ist es immer eine gute Idee, andere um ihre Meinung zu fragen. Grafiken In Präsentationen kommen verschiedene Arten von Grafiken zum Einsatz: ● Fotos oder Bilder (z. -B. zur Illustration oder Gestaltung) ● schematische Darstellungen (z. B. Abläufe / Zusammenhänge) ● Diagramme und Graphen (Repräsentation von Daten) Für jeden dieser Grafiktypen gelten unterschiedliche Anforderungen in Bezug auf die benötigte Qualität der Bilddatei und das Grafikformat. Fotos sind aus farbigen Punkten zusammengesetzt („Pixelgrafik“) und sollten eine möglichst hohe Auflösung haben damit das Bild scharf dargestellt wird. Kompressions‐ techniken wie JPEG verringern die Dateigröße, verändern allerdings das Bild und reduzieren die Informationsmenge. Das ist für Fotos nicht problematisch und JPEG/ JPG ist daher das empfohlene Format. In schematischen Darstellungen und Graphen („Plots“) dominieren hingegen präzise Formen wie Linien, Kurven und Zeichen, die auf einem einfarbigen Hintergrund angeordnet sind. Diese Bilddaten werden am besten als Vektorgrafik gespeichert, wobei die Auflösung keine Rolle spielt, weil die einzelnen Formen mathematisch beschrieben sind und beliebig skaliert werden können. Allerdings können die typischen Präsentati‐ 326 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="327"?> 106 … Vom etwas obskuren Format Windows-Metafile (.wmf) abgesehen. onsprogramme, vor allem Powerpoint, nicht gut mit Vektorgrafiken umgehen 106 . Daher müssen Plots und Schemata meist doch als Pixelgrafiken gespeichert und eingefügt werden. Auch hier sollte die Auflösung hoch sein, damit Linien und Zeichen scharf abgegrenzt dargestellt werden. Hierfür ist besonders das Dateiformat PNG geeignet, da es die Bilder beim Komprimieren nicht verändert und die Qualität erhalten bleibt. LaTeX kann sowohl Vektordateien als auch Pixelgrafiken problemlos verarbeiten und optimal darstellen. Neben dem technischen Format gilt es, bei Grafiken noch weitere Aspekte zu bedenken, wie die Komplexität und die Informationsdichte, die Platzierung auf der Folie und Formalitäten wie Achsenbeschriftungen. Komplexe Grafiken (z.  B. Schemata mit vielen Details) können das Publikum stark fordern und müssen sorgfältig erklärt werden. Wissenschaftliche Daten müssen selbstverständlich immer sauber und eindeutig in einer ausreichend großen und gut lesbaren Schrift beschriftet sein. Generell kann alles, was Ihr Publikum nicht gut erkennen oder einordnen kann, zu Verwirrung führen. Achten Sie daher in allen Darstellungen auf Prägnanz und Transparenz und schärfen Sie Ihren Blick fürs Detail. Vergessen Sie auch nicht die Quellenangaben zu Ihren Darstellungen. Hier noch ein paar schnelle Tipps für den Umgang mit Grafiken auf Folien: ● Gönnen Sie Ihren Grafiken Platz, damit sie nicht auf die Folie gequetscht wirken. ● Setzen Sie Grafiken in eine großzügige Box, wenn Sie mit farbigem Hintergrund arbeiten, die eingefügte Grafik aber einen weißen Hintergrund hat. ● Wenn Sie zwei Grafiken nebeneinander zeigen, sollten sie gleich groß sein. ● Bearbeiten Sie Grafiken vor dem Einfügen in einem geeigneten Programm. ● Verwenden Sie eine einheitliche Formatierung bei selbst erstellten Plots. ● Setzen Sie Bilder mit vielen Details auf eine extra Folie, um möglichst viel Platz zu nutzen, oder verwenden Sie vergrößerte Ausschnitte. ● Geben Sie Darstellungen möglichst den Vorrang vor Text. Performance Nachdem die Folien finalisiert sind, können Sie sich auf das tatsächliche Vortragen konzentrieren. Hier kommen Vorbereitung und Gestaltung zusammenkommen und ergeben ein vollständiges Bild Ihres Inhalts. Da sich dieses Buch auf das Schreiben von Texten fokussiert, kann das eigentliche Vortragen nur sehr knapp gestreift werden, aber der wichtigste Hinweis besteht darin, den Vortrag sorgfältig zu üben - ohne ihn auswendig zu lernen. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 327 <?page no="328"?> Übung macht es meisterlich Es mag banal klingen, aber: Üben Sie Ihren Vortrag! Eine gut geplante Sammlung von Folien bringt Ihnen nichts, wenn Sie kein Gespür für die Länge, für die Formulierungen und die Argumentation haben und wenn Sie den roten Faden nicht in- und auswendig kennen. Da helfen auch keine Karteikarten oder ausformulierte Texte (vor allem Letzteres sollten Sie vermeiden - es engt Sie im Zweifel ein). Halten Sie dazu Ihre Präsentation vor anderen Personen, halten Sie sie vor dem Spiegel oder vor der Wand. Gehen Sie auch die Folien vor dem Bildschirm durch und sprechen Sie den Text mit. So finden Sie heraus, wie die Dramaturgie funktioniert. Sie können so auch verschiedene Formulierungen ausprobieren und Sätze zurechtschleifen - aber vermeiden Sie es, Teile auswendig zu lernen, denn dann ist die Gefahr gegeben, dass Ihre Präsentation hölzern wirkt. Noch besser ist ein Probevortrag am gleichen Ort, an dem auch der eigentliche Vortrag stattfindet - das ist allerdings nicht immer möglich. Zu einem gelungenen Vortrag gehören viele weitere Aspekte, z.  B. der Einsatz der Stimme, die Körpersprache und das Entwickeln Ihrer persönlichen Ausstrahlung. All diese Aspekte sind jedoch von der guten Vorbereitung Ihres Inhalts, Ihrer Dramaturgie und der Gestaltung Ihrer Folien abhängig. Präsentationen in der Praxis Nicht alle Betreuungspersonen räumen gestalterischen Aspekten eine besonders hohe Priorität ein - und zweifellos steht der wissenschaftliche Inhalt im Vordergrund und der muss präzise sein. Das führt manchmal dazu, dass Ihre guten Vorsätze mit der Realität kollidieren, weil Ihnen gesagt wird, dass dieser und jener Inhalt unbedingt im Detail vorkommen muss und Ihre Gestaltungsideen nicht wertgeschätzt werden. Allerdings trägt jede gut gestaltete und sorgfältig geplante Präsentation dazu bei, dass sich die Standards weiterentwickeln und die Kommunikation in der Wissenschaft erleichtert wird. Wenn Sie Ihre Entscheidungen gut begründen können, dann sollten Sie auch den Mut aufbringen, sie umzusetzen. Vom Allerweltsstandard abweichende Präsentationen werden gelobt, wenn sie gut durchdacht, ansprechend gestaltet und sorgfältig auf das Wesentliche reduziert wurden - auch, wenn sie einen Plot oder eine Herleitung weniger enthalten. Sie sehen, dass das Erstellen von Präsentationen keine ganz triviale Aufgabe ist und ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Nutzen Sie aber jede Gelegenheit, diese Fähigkeiten zu trainieren, denn sie werden Ihnen an vielen Stellen in der Wissenschaft und im Beruf gute Dienste leisten. 328 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="329"?> Kap.-1.3.6 1.6.3 Von der Abschlussarbeit zur Publikation Beate Bornschein, Simon Niemes Kurzübersicht über den Prozess und Beteiligte Sie haben gerade Ihre Abschlussarbeit abgeschlossen und möchten Ihre Ergebnisse in Form eines Papers in einem wissenschaftlichen Journal publizieren? Und Sie haben noch keine bzw. wenig Erfahrung in der Erstellung einer wissenschaftlichen Publikation? Dann sind Sie genau die Adressatin bzw. der Adressat dieses Beitrags. Wir geben Ihnen einen Überblick über den Schreibprozess einer wissenschaftlichen Publikation von der Idee über die Erstellung bis zur Veröffentlichung und erläutern Ihnen die Rollen der verschiedenen beteiligten Personen. Gleichzeitig sensibilisieren wir Sie für wichtige Themen, wie z. B. den Wert der Kommunikation im gesamten Prozess, die Bedeutung der Kernbotschaft und die Einhaltung der Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. Um die wichtigsten Aufgaben und Entscheidungen auf dem Weg von Ihrer Idee bis zur Veröffentlichung übersichtlich darstellen zu können, haben wir den gesamten Prozess in folgende fünf Schritte unterteilt: 1. Kick-off-Phase 2. Strukturierungsphase 3. Ausarbeitungsphase 4. Begutachtungsphase 5. Revisionsphase Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass dieser Prozess die wissenschaftliche Publikation Ihrer Ergebnisse beschreibt und nicht eine allgemeine Veröffentlichung Ihrer gesamten Abschlussarbeit. Auch wenn wir uns im Folgenden exemplarisch eine Arbeit aus der Experimentalphysik anschauen werden, deren zentrale Ergebnisse veröffentlicht werden sollen, sind die wesentlichen Schritte dabei auf alle MINT-Fächer übertragbar. In der Experimentalphysik sind größere Schreibteams (fünf und mehr Personen) nicht unüblich. Unser Prozess basiert daher auf der Vorstellung, dass mehr als ein bis zwei Au‐ tor: innen zusammen eine wissenschaftliche Publikation erstellen wollen. Wir sind uns je‐ doch sicher, dass Sie auch etwas für sich aus diesem Buchbeitrag mitnehmen können, wenn Sie ganz für sich alleine publizieren wollen. Eine Übersicht aller beteiligten Personen und deren Aufgaben in den ersten drei Phasen ist in Abbildung 1.6.4 dargestellt. Die generelle Idee, einen Wissensstand zu veröffentlichen, kann von Ihnen als Initiator: in kommen, aber auch von Ihren Betreuer: innen und Kolleg: in‐ nen ausgehen. Das Finden des Autor: innenteams und die Punkte, die Sie dabei beachten müssen, beschreiben wir in den jeweiligen Abschnitten. Wir sind überzeugt davon, dass unser strukturierter Weg, den wir hier vorstellen, Ihnen helfen wird und die Qualität Ihrer Veröffentlichung steigern kann, auch wenn Ihre Abläufe im Detail etwas anders aussehen können. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 329 <?page no="330"?> MANUSKRIPT Initiator: in Alle Autor: innen Fachzeitschrift Begutachter: innen Korrespondierende: r Autor: in Einzelne Autor: innen verteilen Aufgaben bestimmen aus eigenen Team erstellen Text, Tabellen und Abbildungen organisiert Team/ Co-Autor: innen • erarbeiten Botschaft, Inhalt und Struktur • überprüfen und geben frei reicht Manuskript nach Freigabe ein Abb. 1.6.4: Übersicht aller Beteiligten und deren Aufgaben in der Kick-off-, Strukturie‐ rungs- und Arbeitsphase. Da die Begutachter: innen erst nach Einreichen Ihres Manuskripts beim Verlag aktiv werden, sind diese hier nur der Vollständigkeit halber dargestellt. Die fünf Phasen von der Idee zur Veröffentlichung 1. Die Kick-off-Phase Die wichtigste Frage, die Sie zu Beginn beantworten müssen, lautet: „Was genau möchte ich publizieren? “ Es ist unwahrscheinlich, dass Sie Ihre gesamte Abschlussarbeit in einer einzigen Publikation der Fachgemeinschaft vorstellen können (und müssen). Sie brauchen daher eine klare Definition Ihrer Kernbotschaft: „Welche Erkenntnisse wollen Sie in welchem Zusammenhang veröffentlichen? ” Diese Botschaft sollte sich auch im Titel widerspiegeln, d. h. dieser sollte aussagekräftig sein. Generelle Beispiele für aussagekräftige Titel sind: ● Results of Measurement XY of specific material. ● Design and Construction of a novel detector type for application XY. ● Simulation of background rate and effect on the experiment sensitivity. Hier einige konkrete Beispiele aus unserem Umfeld: ● Reachable accuracy and precision for tritium measurements by calorimetry at TLK. ● Investigation of turbo-molecular pumps in strong magnetic fields. ● Structual stability of solid deuterium films. ● Investigation of durability of optical coatings in high purified tritium gas. 330 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="331"?> ● Design of a spectroscopy experiment for all hydrogen isotopologues in the gaseous, liquid, and solid phase. ● Geant4 Monte Carlo simulations for sensitivity investigations of an experimental facility for the measurement of tritium surface contaminations by BIXS. ● Calibration strategy and status of tritium purity monitoring for KATRIN. Sehr wahrscheinlich wird Ihr Titel dem Titel Ihrer Abschlussarbeit ähnlich sein, andernfalls sollten Sie sich jedoch frühzeitig auf eine Kernbotschaft und dem dazuge‐ hörigen Titel der Publikation festlegen. Hierzu müssen Sie aus dem Inhalt Ihrer Abschlussarbeit kritisch selektieren, welche Erkenntnisse und Informationen den voran beschriebenen Kriterien einer wissenschaftlichen Publikation gerecht werden. Oftmals müssen dafür einzelne Inhalte weggelassen werden. Es ist jedoch auch möglich, dass Sie zu viele neue Erkenntnisse für eine einzelne Veröffentlichung zusammengetragen haben. Um diesem Umstand gerecht zu werden, kann es unter Umständen sinnvoll sein, dass Sie direkt mit mehreren Veröffentlichungen planen. In diesem Fall können Sie sich eine Veröffentlichungsstra‐ tegie überlegen: „Wie können Sie Ihre Arbeit sinnvoll und aufeinander aufbauend der Fachgemeinschaft zugänglich machen? ” Nehmen wir ein Beispiel: Sie haben im Rahmen Ihrer Abschlussarbeit einen neuen Teststand / ein neues Experiment aufgebaut und damit erste Messungen durchgeführt, deren Resultate eine breitere Relevanz als Ihr spezielles (Abschluss-)Thema haben. Diese Themen lassen sich in zwei aussagekräftigen Veröffentlichungen aufteilen: (i) eine allgemeine Beschreibung Ihres Teststands, in dem womöglich auch andere Experimente durchgeführt werden können, und (ii) eine Vorstellung Ihrer konkreten Messergebnisse für Ihr spezielles Gebiet. Unabdingbar ist jedoch, dass jede einzelne Veröffentlichung ausreichend neuen Inhalt und neue Beiträge zu einem Fachgebiet vorstellt, um eine Veröffentlichung zu rechtfertigen. Eine Salami-Taktik, bei der wissenschaftliche Arbeiten nur häppchenweise vorgestellt werden, muss vermieden werden. Ebenso gilt für Publikationen der DFG-Leitsatz: „Qualität über Quantität” (Kleiner 2010). Bei der Sichtung und Einschätzung Ihres Materials wird Ihr: e Betreuer: in Ihnen sicherlich helfen. Sobald Sie eine klare Botschaft identifiziert haben, folgt im nächsten Schritt die Auswahl möglicher Autor: innen. Zur Frage, wer als Autor: in gelistet werden sollte, gibt es klare Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis der unterschiedlichen Verei‐ nigungen, einschließlich der DFG (siehe Infobox DFG-Regeln zur Autor: innenschaft). Einen Grundsatz zur Autor: innenschaft müssen Sie aufgrund der wissenschaftlichen Redlichkeit unbedingt beachten: Autor: innen wissenschaftlicher Veröffentlichungen tragen die Verantwortung für deren Inhalt stets gemeinsam, es sei denn, es wird explizit anders ausgewiesen (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2019)! 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 331 <?page no="332"?> Kick-off-Meeting Haben Sie alle potentielle Autorinnen und Autoren identifiziert, sollten Sie diese über Ihr Vorhaben informieren und zu einem Kick-Off-Meeting einladen. In diesem Rahmen stellen Sie Ihren Vorschlag für Botschaft und Material der geplanten Veröffentlichung vor. Zusätzlich gilt es während des Kick-Off-Meetings folgende wichtigen Fragen im Team anzusprechen und im besten Fall auch direkt zu klären: ● Ist jede gelistete Person mit der Autor: innenschaft einverstanden, und sollen noch weitere Personen dem Team hinzugefügt werden? ● Ist jede: r Autor: in mit der Kernbotschaft und dem allgemeinen Inhalt der Veröf‐ fentlichung einverstanden? ● Was sind die konkreten wissenschaftlichen Beiträge einzelner Personen? ● In welcher Reihenfolge werden die Beteiligten in der Autor: innenliste genannt? ● Wer kommuniziert mit dem Verlag als korrespondierende: r Autor: in (Correspon‐ ding Author)? ● Was sind die konkreten Arbeitsaufträge der jeweiligen Autor: innen? ● In welcher Zeitschrift soll veröffentlicht werden? Die ersten beiden Fragen erklären sich allein aus der guten wissenschaftlichen Praxis und der gemeinsamen Verantwortlichkeit aller Autor: innen für das Manuskript. Die dritte Frage hilft Ihnen und dem Team, die Beiträge der einzelnen Personen zu würdigen und deren Autor: innenschaft zu rechtfertigen. Zusätzlich ist es in manchen Zeitschrif‐ ten üblich, die tatsächlichen Beiträge der einzelnen Personen konkret aufzuführen. Dies ist gerade für wissenschaftliche Nachwuchskräfte innerhalb größerer Gruppen und Kollaborationen eine Chance, ihre Beiträge darzustellen und an Sichtbarkeit zu gewinnen. Auf diese Weise sollen Verantwortlichkeiten und Beiträge gewürdigt werden und Ehrenautor: innenschaften vermieden werden (Nature 2007). In welcher Form und Detailstufe einzelne Beiträge gekennzeichnet werden, ist von Disziplin und Verlag unterschiedlich. Möglich sind generelle Beiträge, unter anderem: Verfassen des Manuskripts, wissenschaftliche Auswertung und Diskussion des Themas, ursprüngli‐ che Idee und Konzept der Untersuchung, oder konkrete Nennungen, wie z.-B.: ● Messungen mit Mikroskop XY, Präparation einer Probe, ● gegebenenfalls einzelne Teilaspekte der wissenschaftlichen Arbeiten für das Ma‐ nuskript, wenn mehrere Untersuchungen beschrieben werden. Für die Reihenfolge der Namen in der Autor: innenliste des späteren Manuskripts gibt es in der Praxis zu viele Möglichkeiten, Gepflogenheiten und Konventionen, um Ihnen hier eine abschließende Empfehlung zu geben. Es unterscheiden sich nicht nur einzelne MINT-Disziplinen, sondern teilweise auch einzelne Fachgebiete innerhalb einer Diszi‐ plin: Es gibt rein alphabetische Listen, Nennungen geordnet nach Umfang der Beiträge oder auch geordnet nach einer institutseigenen Hierarchie (Tscharntke u. a. 2007). Die Reihenfolge kann auch vom Verlag der Zeitschrift vorgeben werden. Wichtig ist an dieser Stelle Ihres Projekts, dass Sie im gesamten Team diese Entscheidung frühzeitig 332 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="333"?> und verbindlich treffen, um spätere Missverständnisse und unschöne Diskussionen zu vermeiden. DFG-Regeln zur Autor: innenschaft Gemäß der Leitlinien der DFG zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis ist jeder Autor: in, „wer einen genuinen, nachvollziehbaren Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2019). Dies schließt alle Personen ein, die bei: ● der Entwicklung und Konzeption des Forschungsvorhabens, ● der Erarbeitung, Erhebung, Beschaffung, Bereitstellung der Daten, der Soft‐ ware, der Quellen, der Analyse/ Auswertung oder Interpretation der Daten, Quelle und am Verfassen des Manuskripts mitgewirkt haben. Wer nur eine Leitungs- oder Vorgesetztenfunktion ausgeführt hat, begründet damit nicht automatisch eine Autor: innenschaft. Wenn Personen Beiträge zur wissenschaftlichen Arbeit geleistet haben, deren Umfang keine Autor: innenschaft rechtfertigt, so können diese Leistungen in der Danksagung (Acknowledgement) oder in Fußnoten gewürdigt werden. Im ersten Treffen sollten Sie auch die Frage klären, wer die Aufgaben des Corresponding Authors übernimmt. Zur Besetzung gibt es unterschiedliche Strategien, die allesamt Vor- und Nachteile haben. Sie als junge: r Wissenschaftler: in können diese Aufgabe übernehmen, um Erfahrung und Sichtbarkeit in der wissenschaftlichen Fachgemein‐ schaft zu sammeln. Ebenso kann ein: e Autor: in höherer Seniorität und Bekanntheits‐ grad die Kommunikation mit dem Verlag übernehmen, was unter Umständen die Erfolgschancen Ihres Manuskripts auf Annahme in einem renommierten Verlag erhöht. In beiden Fällen ist es wichtig, die Besetzung dieser Rolle frühzeitig festzulegen, um Streitigkeiten zu entgehen. Am Ende des Kick-Off-Meetings sollten alle weiteren Arbeitspakete und Zuständig‐ keiten vereinbart sein, um Ihr Manuskript voranzubringen. Hier gilt es zu klären: „Müs‐ sen noch weitere Messungen, Experimente oder Analysen durchgeführt werden? “, „Müssen in dem Fall weitere Personen kontaktiert und dem Team hinzugefügt wer‐ den? “, und nicht zuletzt „Gibt es organisatorische oder vertragliche Vorgaben, welche für die geplante Veröffentlichung relevant sind? ”. Dies können z. B. institutsinterne Meldungen von Veröffentlichungsvorhaben sein, welche zur Meldung an Bibliotheken und Förderprogrammen weitergereicht werden, und Freigaben von beteiligten Unter‐ nehmen und Organisationen sein, die Ihre Arbeit gefördert oder in Auftrag gegeben haben. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 333 <?page no="334"?> Kap. 2.3.5 Verlagsauswahl Sind all diese grundsätzlichen Fragen geklärt, müssen Sie als nächstes die richtige Zeitschrift für Ihr Publikationsvorhaben auswählen. Das geschieht entweder noch im Kick-Off-Meeting oder in einem der nachfolgenden Treffen, auf jeden Fall aber mög‐ lichst frühzeitig. Für die Auswahl der Zeitschrift müssen Sie, abhängig von Ihrer Kern‐ botschaft, sorgfältig Ihren Adressat: innenkreis identifizieren: Richtet sich Ihr Manu‐ skript (i) an ein breiteres wissenschaftliches Publikum, (ii) handelt es sich um eine interdisziplinare Arbeit, oder (iii) bezieht sich Ihre Arbeit auf eine sehr spezielle Fra‐ gestellung? Diese Fragen sollen Ihnen helfen, die Auswahl potentieller Zeitschriften anhand Ihrer Zielgruppe und Beitragsarten (z. B. Fachartikel oder Review-Artikel) einzugrenzen. Neben den klassischen Zeitschriften gibt es gegebenenfalls auch die Möglichkeit, Ihre Ergebnisse auf einer Konferenz zu präsentieren und den anschlie‐ ßenden Proceedings zu veröffentlichen. Allgemein gilt, dass in unterschiedlichen Dis‐ ziplinen Artikeln und Proceedings eine unterschiedliche Bedeutung zugemessen wird. In der Physik wird ein Zeitschriftenbeitrag aufgrund der üblicherweise ausführlicheren Begutachtung oftmals mehr geschätzt als ein Konferenzbeitrag. Wir empfehlen Ihnen, eine Übersicht der typischen Zeitschriften zu erstellen, welche Sie in Ihrer Abschlussarbeit zitiert haben. So bekommen Sie einen ersten Überblick, in welchen Zeitschriften der wissenschaftliche Austausch in Ihrem Fachgebiet stattfindet. Im nächsten Schritt können Sie anhand der Selbstauskünfte dieser Zeitschriften prüfen, ob Ihr Thema in den jeweiligen Adressat: innenkreis fällt. In der Regel hat jede Zeitschrift eine Note to Authors oder eine Scope of Journal-Beschreibung, die Ihnen als potentielle: r Autor: in helfen soll, die richtige Zeitschrift für Ihr Manuskript zu finden. Und damit auch Ihre Chancen erhöht, erfolgreich zu publizieren! Neben der passenden Leserschaft und der Selbstauskünfte der Zeitschriften können Sie auch verschiedene Zeitschriftenbewertungen (Journal Ranking) vergleichen, um das Renommee der ausgewählten Zeitschriften abschätzen zu können. Auch hier existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Metriken, Methoden und Faktoren, die in diesem Ratgeber mit ihren Vor- und Nachteilen nicht diskutiert werden können. Gemein haben alle diese Verfahren, eine Übersicht über die wissenschaftliche und methodische Qualität der veröffentlichen Inhalte und deren Impact Factor (IF) zu erstellen. Dieser Faktor ist, vereinfacht gesagt, ein Maß dafür, wie häufig ein Artikel in anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen innerhalb der letzten zwei Jahre durchschnittlich zitiert wurde. Neben der generellen Anzahl an Zitationen ziehen manche Ranking-Angaben weitere Eigenschaften, wie z. B. Zitations-Halbwertszeit und längere Zeiträume als zwei Jahre, in ihre Bewertung mit ein. Alle Rankings teilen jedoch das Problem, keine absolute und objektive Einschätzung der Qualität einer Zeitschrift zu sein. In der Regel ist es jedoch so, dass eine Veröffentlichung in einer Zeitschrift mit hohem Ranking Ihren wissenschaftlichen Ruf und Ihre Reputation steigert. Selbstverständlich ist die qualitative Hürde, die Ihr Manuskript zur Annahme in eine solcher Zeitschrift erreichen muss, entsprechend höher. 334 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="335"?> Ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste, Qualitätskriterium ist die Art und der Umfang des Begutachtungsprozesses (Review) der einzelnen Zeitschriften. Der in diesem Band vorgestellte Schreibprozess bezieht sich auf eine Veröffentlichung mit einem Peer Review-Prozess, da dieser das umfangreichste Begutachtungsverfahren mit dem höchsten wissenschaftlichen Stellenwert ist. Es liegt an Ihnen und Ihrem Team, eine gesunde Abschätzung aus Renommee der Zeitschrift und Erreichen der richtigen Leserschaft zu treffen. Der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist eventuell wenig geholfen, wenn Sie Ihr Manuskript in einer angesehenen Zeitschrift veröffentlichen, der primäre Austausch auf Ihrem Fachgebiet womöglich aber in kleineren Zeitschriften mit geringerem IF stattfindet. Ein zusätzliches Merkmal, welches Sie in Ihrer Auswahl nicht außer Acht lassen sollten, sind mögliche Publikationskosten. Diese sind in der Regel abhängig vom Ranking des Journals, des eingesetzten Begutachtungsverfahrens und ob Sie nach den Prinzipien des Open-Access-Publishing (OA) veröffentlichen wollen. In der Regel sind Veröffentlichungen in Zeitschriften, die sich über Abonnements finanzieren, für Sie als Autor: innen kostenlos, während für Open-Access-Veröffentlichungen die Publikationskosten von den Autor: innen übernommen werden müssen. Vergessen Sie beim Vergleich der Publikationskosten nicht Ihren gesunden Menschenverstand! Es existieren sogenannte Predatory Journals: Zeitschriften, welche sich primär auf das Kassieren der Publikationsgebühren konzentrieren, ohne einer wissenschaftlichen Agenda zu folgen (Deinzer und Herb 2020). Hier hilft Ihnen erneut eine Übersicht, welche Zeitschriften typischerweise auf Ihrem Fachgebiet gelesen werden, damit Ihr Manuskript die richtige Leser: innenschaft erreicht. Neben den Kosten lohnt sich ein Vergleich, wie lange typischerweise der Review- und Bearbeitungsprozess der einzelnen Zeitschriften dauert. In der Regel gibt es hierzu Erfahrungswerte in Ihrem Autor: innenteam und in den Angaben der jeweiligen Zeit‐ schrift. Der Review-Prozess kann zwischen wenigen Wochen und mehreren Monaten andauern, abhängig von Umfang und Qualität Ihres Manuskripts sowie dem Verlauf der Begutachtung (siehe Infobox Typischer Verlauf einer Veröffentlichung). Abhängig vom geplanten Umfang Ihres Manuskripts sollten Sie prüfen, ob es Einschränkungen und Vorgaben bezüglich der Seitenzahl und der Abbildungen gibt. Einige Zeitschriften bieten, insbesondere für elektronische Veröffentlichungen, die Möglichkeit, zusätzliches Material (Supplemental Material) als Ergänzung zu Ihrem Manuskript parallel zu veröffentlichen. Das können z. B. sein: umfangreiche Tabellen, vollständige Datensätze, numerische Datenpunkte zu Abbildungen, Quellcode zur Software, … kurz: Alles, was die Verwertbarkeit Ihrer Veröffentlichung für die wissen‐ schaftliche Fachgemeinschaft erhöhen kann. Haben Sie alle Informationen sowie das Für und Wider der einzelnen Verlage gesammelt, müssen Sie Ihre Auswahl im gesamten Autor: innenkreis diskutieren. In der Regel bleiben nach der ersten Recherche nur ein paar wenige Zeitschriftenkandidaten übrig, unter denen Sie im Team entscheiden müssen. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 335 <?page no="336"?> Kap.-1.3.2 Kap.-1.5.3 Strukturierungsphase Sobald die endgültige Entscheidung, wo Sie veröffentlichen wollen, getroffen ist, beginnt die Strukturierungsphase. Das Ziel dieser Phase ist es, ein umfangreiches Mengengerüst und eine belastbare Textstruktur zu erstellen. Hierzu erstellen ein: e oder mehrere Autor: innen eine Gliederung bis in die zweite Ebene, immer mit Fokus auf die vereinbarte Kernbotschaft des Manuskripts. Wir empfehlen, in dieser Gliederung die einzelnen Abschnitte stichpunktartig zu skizzieren, um (i) den tatsächlichen stofflichen Inhalt zu konsolidieren und (ii) die inhalt‐ liche Struktur zunächst vom ausformulierten Text zu trennen. Parallel zur Textskizze soll‐ ten in dieser Phase Skizzen für geplante Abbildungen und Tabellen erstellt werden. Auch hier empfehlen wir zunächst rudimentäre Skizzen zu erzeugen, um sicher zu stellen, dass alle Darstellungen effizient die Kernbotschaft Ihrer Arbeit vermitteln. Der graphische Fein‐ schliff erfolgt im Lauf der Ausarbeitungsphase. Berücksichtigen Sie in ihrer Auswahl mögli‐ cher Abbildungen, dass Sie für fremde oder bereits veröffentlichte Abbildungen, auch wenn diese gegebenenfalls von Ihnen selbst erstellt wurden, mögliche Copyright-Regelungen re‐ spektieren müssen. Die Text- und Abbildungsskizzen sollten in mehreren Iterationen mit dem gesamten Autor: innenteam abgestimmt werden, um sicher zu stellen, dass alle vereinbarten Inhalte aus dem Kick-Off Meeting in das Manuskript aufgenommen wurden und alle Beteiligten mit dem Aufbau des Dokuments einverstanden sind. Falls es vorgesehen ist, das Manuskript zusammen mit Supplemental Material zu veröffentlichen, kann das dafür vorgesehene Material in ähnlicher Weise zusammengetragen werden. Neben diesem Grundgerüst Ihres Manuskripts sollten Sie in dieser Phase die Verteilung folgender Aufgaben klären: ● Wer ist für das Schreiben/ Ausformulieren einzelner Abschnitte verantwortlich? ● Wer ist für die Erstkorrektur eines Abschnitts verantwortlich? ● Wer erstellt die finalen Versionen einzelner Tabellen und Grafiken? ● Wer koordiniert die Teamarbeit und achtet auf Zeitpläne? ● Wie wird innerhalb des Teams kommuniziert? Es ist nicht zwingend notwendig, dass die Person, die als Corresponding Author agiert, auch die Koordination der nun folgenden Ausarbeitungsphase übernimmt. Unserer Erfahrung nach funktioniert dieser Prozess am schnellsten, wenn der: die Initiator: in diese Aufgabe übernimmt. Neben der Verantwortlichkeit sollten Sie an dieser Stelle auch das Wie der Koordi‐ nation klären. Hier gibt es im Allgemeinen zwei Ansätze: das (i) kollaborative und das (ii) kooperative Schreiben. Je nach Größe und Erfahrung des Teams haben sich beide Ansätze bewährt. Im kollaborativen Schreiben wird vom gesamten Autor: innenteam an einem einzigen Dokument im Team gearbeitet. So haben alle Beteiligten einen Überblick über den aktuellen Stand und Fortschritt des Manuskripts. Zusatzlich können alle Passagen von allen Beteiligten kommentiert und korrigiert werden. Für die technische Umsetzung gibt es eine Vielzahl an kommerziellen und freien Lösungen mit unterschiedlichem Funktionsumfang. Dazu müssen Sie sich im Team auf eine Plattform 336 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="337"?> Kap.-1.3.6 Abschn. 1.4 Kap.-1.2.5 einigen. Hierbei gilt eines zu beachten: Selbst, wenn der Inhalt zum späteren Zeitpunkt öffentlich zugänglich ist, so gelten gegebenenfalls Datenschutzvorgaben einzelner Institute/ Firmen, welche die Auswahl einer Plattform einschränken. Unserer Erfahrung nach ist das kollaborative Schreiben ein effizientes Vorgehen für kleine Teams von zwei bis drei Autor: innen, wird jedoch für größere Teams schnell unübersichtlich. Für größere Teams bietet sich ein kooperativer Schreibprozess an, bei dem die Abschnitte von einzelnen Autor: innen oder kleinen Schreibgruppen ausgearbeitet werden, und ein Teammitglied alle Beiträge und Revisionen verwaltet. Auch gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Umsetzung, z. B. ein geteiltes Netzwerklaufwerk mit allen Dateien oder der Austausch per E-Mail. 2. Ausarbeitungsphase Egal wie Sie sich im Team organisieren, nun müssen Sie Text produzieren! Nachdem in der Strukturierungsphase die Gliederung und alle Inhalte vereinbart wurden, können nun die einzelnen Passagen ausgearbeitet werden. Hierzu werden die Stichwörter aus der Gliederung in einen vollständigen Text umgesetzt. Jede: r Autor: in sollte dabei die grundlegende Kernbotschaft der Veröffentlichung im Hinterkopf haben, um präzise und zielgerichtet formulieren zu können. Da sich die Sprachstile der verschiedenen Fachbereiche unterscheiden, empfehlen wir Ihnen, sich an anderen Veröffentlichungen Ihres geplanten Verlags zu orientieren. Viele Techniken, Tipps und Hinweise zum Thema Wissenschaftliches Schreiben finden Sie in den anderen Beiträgen dieses Sam‐ melbandes und unter anderem in Referenz (Hirsch-Weber und Scherer 2016). Neben dem Sprachstil sollten Sie allgemeine Formalien für Text, Tabellen und Abbildungen beachten. Zusätzliche Vorgaben, z.-B. die Kennzeichnung von Zitaten oder Gestal‐ tung von Abbildungsunterschriften, finden Sie in der Regel in der Note to Authors Ihrer ausgewählten Zeitschrift. Oftmals gibt es vollständige Dokumentvorlagen, die Sie zur Erstellung Ihres Manuskripts nutzen können. Ein wichtiger Unterschied zu Ihrer Abschlussarbeit ist die Zielgruppe. Während Abschlussarbeiten in der Regel für eine Person geschrieben werden, die allgemeine Kenntnisse aus dem Studium, jedoch keine weiterführenden Spezialkenntnisse hat, richtet sich eine Veröffentlichung an die Expert: innen der jeweiligen Fachbereiche. Sie können davon ausgehen, dass Ihr Adressatenkreis mit dem aktuellen Stand der Forschung auf dem Gebiet vertraut ist, und Sie daher keine allgemeinen Einführungen geben müssen. Sie sollten sich darauf fokussieren, Ihre Arbeit, die daraus gewonnenen neuen Erkenntnisse und deren Bedeutung verständlich darzustellen. Neben dem Hauptteil Ihres Manuskripts müssen in dieser Phase weitere Textteile erstellt werden, unter anderem ● Abstract, ● Acknowledgments, ● Declaration of Conflict, ● Anschreiben (Covering Letter). 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 337 <?page no="338"?> Auch hier finden Sie die jeweiligen Informationen und Anforderungen in der Note to Authors. Oftmals haben Förderprogramme, z. B. OA-Förderprogramme der DFG, eigene Vorgaben, wie sie in den Acknowledgments aufgeführt werden wollen. Im Covering Letter, in welchem Sie die Bedeutung und Publikationswürdigkeit Ihrer Erkenntnisse betonen können, ist es je nach Zeitschrift üblich, Angaben und Vorschläge für Begutachter: innen aufzunehmen. 3. Begutachtungsphase Bevor Ihr nun vollständiges Manuskript veröffentlicht werden kann, muss Ihr Beitrag zwei Begutachtungen durchlaufen: die interne Begutachtung und die externe Begut‐ achtung (Review). In der internen Begutachtung kann es, je nach Umfang des Manuskripts und des Autor: innenteams, ebenfalls zwei Phasen geben. Im ersten Schritt prüfen und korrigieren einzelne Autor: innen einzelne Abschnitte, wie am Anfang des Projekts vereinbart. Im zweiten Schritt wird das korrigierte Manuskript an alle Autor: innen verteilt. Wie bereits erwähnt, müssen in diesem Schritt alle Beteiligten dem Manuskript zustimmen, und sie tragen gemeinsam die Verantwortung für den Inhalt. Sind alle Kommentare aus dieser Runde umgesetzt, haben alle Autor: innen ihr (schriftliches) Einverständnis zum Manuskript gegeben und gegebenenfalls notwendige Erlaubnisse eingeholt, haben Sie es fast geschafft. Die als Corresponding Author ernannte Person kann das Manuskript zusammen mit dem an den Verlag gerichteten Anschreiben bei der Zeitschrift einreichen. Zusätzlich müssen hierbei in der Regel die Kontaktdaten aller Autor: innen dem Verlag genannt werden. An dieser Stelle soll erwähnt sein, dass das zeitgleiche Einreichen eines Manuskripts bei mehreren Zeitschriften nicht der guten wissenschaftlichen Praxis entspricht und bei Bekanntwerden in den meisten Fällen zu einer direkten Ablehnung führt. Je nach gewählter Zeitschrift und deren Review-Prozess beginnt nun die externe Begutachtung Ihres Manuskripts. Üblicherweise erhält der Corresponding Author eine Eingangsbestätigung und Informationen über das weitere Vorgehen. Je nach Verlag muss an dieser oder späterer Stelle ein Copyright Transfer unterschrieben werden, welcher der Zeitschrift die Nutzungsrechte Ihres Manuskripts erlaubt. Hierbei sind gegebenenfalls Vorgaben Ihres Instituts bzw. Ihrer Institution zu beachten, welche die Vergabe und Übertragung von Nutzungsrechten regeln. Manche Institutionen haben z. B. eine eigene Rechtsabteiltung, welche das Copyright mit dem Verlag abklärt und diesem eventuell nur ein Nutzungsrecht Ihres Materials einräumt. Je nach Bereich und Fachgebiet ist es üblich, dass Sie Ihr Manuskript parallel als Preprint auf einem Dokumenten-Server veröffentlichen. In der (Astro-)Teilchenphysik wird hier z. B. oft der arXiv-Server genutzt. Hier sollten Sie unbedingt mit dem Verlag abklären, ob dieses Vorgehen akzeptiert wird oder den Verlagsbedingungen widerspricht. Ein Vorteil dieser parallelen Veröffentlichung ist der meist freie Zugang 338 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="339"?> zu Ihrem Manuskript, damit die wissenschaftliche Gemeinschaft Ihr Manuskript vorab lesen und kommentieren kann. Bei einer Zeitschrift mit Peer Review-Verfahren prüft das Editorenteam zunächst, ob Ihr Thema die allgemeine Zielgruppe der Zeitschrift anspricht. Aus diesem Grund lohnt es sich, bei der Auswahl der Zeitschrift deren Scope of Journal sorgfältig zu beachten. Ist diese Hürde geschafft, wird Ihr Manuskript an ausgewählte, in der Regel anonyme, Fachkolleg: innen zur Begutachtung vorgelegt. Dieser Prozess kann sich mehrere Monate hinziehen (siehe Infobox Möglicher Zeitverlauf einer Veröffentlichung). 4. Revisionsphase Basierend auf den Kommentaren und Einschätzungen aus dem Peer Review bewertet der: die Editor: in Ihr Manuskript mit folgenden Möglichkeiten: ● Accepted, ● Minor Revision, ● Major Revision, ● Rejected. Wird Ihr Manuskript mit Accepted bewertet: Herzlichen Glückwunsch, Ihr Manuskript ist zur unveränderten Veröffentlichung akzeptiert! Je nach Fachgebiet und Zeitschrift ist dies für die wenigsten eingereichten Manuskripte der Fall. Typisch sind neben einer Ablehnung (Rejected) die Bewertungen mit Minor Revision und Major Revision. In letzteren Fällen fällt Ihr Manuskript nach Einschätzungen des: der Editor: in grund‐ sätzlich in die Zielgruppe des Verlags und die Begutachtung attestiert Ihrer Arbeit kein vollständiges Versagen (Rejected). Für eine Veröffentlichung bedarf es jedoch kleinerer (Minor) oder größerer (Major) Änderungen und somit der Überarbeitung Ihres Manuskripts. Hierfür sendet der: die Editor: in eine Stellungnahme zum Ausgang des Review-Verfahrens zusammen mit den Kommentaren der einzelnen Begutachter: innen an den Corresponding Author. Die Aufgabe des Corresponding Authors ist es nun, diese Kommentare dem ge‐ samten Autor: innenteam mitzuteilen. Daraufhin wird das Manuskript erneut von einzelnen Teammitgliedern überarbeitet. Es kann auch passieren, dass Sie noch weitere (Forschungs-)Arbeiten, z. B. zusätzliche Messungen und Simulationen durchführen müssen, um offene Punkte, die im Review-Prozess angesprochen werden, zu klären. Je nach Umfang können Sie die Revisionsphase unterschiedlich strukturieren. Bei kleinen Änderungen reicht es womöglich, dass nur eine Person aus dem Team die Anmerkungen aus der Begutachtung bearbeitet. Bei größeren Änderungen können eventuell die alten Zuständigkeiten aus der Ausarbeitungsphase übernommen werden, oder es müssen neue Teams gebildet werden. Im Falle von Anmerkungen, die eine Erweiterung des ursprünglichen Inhalts fordern, müssen Sie gegebenenfalls auch das Autor: innenteam erweitern. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 339 <?page no="340"?> Möglicher Zeitverlauf einer Veröffentlichung Um Ihnen ein Gefühl für den Zeitaufwand des hier beschriebenen Prozesses zu geben, ist hier ein beispielhafter Verlauf der einzelnen Prozessphasen skizziert. Die genannten Zeiten sind realistisch für einen Fachartikel mit mehreren Seiten Umfang. 0. Woche - Auftakttreffen 1. Woche - Erstellen von Skizzen, Tabellen, Bildern und Formeln 2. Woche - Anfertigung der Gliederung/ Stoffsammlung in Stichworten 4. Woche - Ausformulieren aller Texte 5. Woche - Interne Korrektur 6. Woche - Einreichen des Manuskripts 13. Woche - Erhalt des Review-Prozess-Ergebnisses 14. Woche - Einarbeiten der Korrekturen 14. Woche - Einreichen des überarbeiteten Manuskripts 16. Woche - Veröffentlichung als Onlinebeitrag der Zeitschrift 20. Woche - Veröffentlichung in der Druckausgabe der Zeitschrift Der tatsächliche Zeitverlauf ist stark abhängig vom Umfang der Veröffentlichung und der gewählten Zeitschrift und kann sich, je nach Ausgang des Begutachtungs‐ prozesses und des Erscheinungszyklus der Zeitschrift, verlängern. In jedem dieser Fälle sollten Sie die Anmerkungen Ihrer Begutachter: innen schriftlich kommentieren. Alle Anmerkungen sind wertvolle Verbesserungsvorschläge für Ihr Manuskript, es bleibt jedoch Ihr Manuskript. Sie sind daher nicht verpflichtet, sämtliche Kommentare und Vorschläge aus der Begutachtung vollständig umzusetzen, wenn Sie überzeugt sind, dass Ihr ursprünglicher Entwurf korrekt ist. Solche Entscheidungen sollten Sie allerdings gut begründen und nachvollziehbar dokumentieren. Beachten Sie hierbei, dass manche Zeitschriften die Anmerkungen der Review: innen und Ihre Antworten in den Supplemental Materials veröffentlichen. Es empfiehlt sich daher, alle Kommentare sorgfältig zu formulieren. Haben Sie und Ihr Team Ihr Manuskript überarbeitet, die Anmerkungen der Gut‐ achter: innen kommentiert und ein Antwortschreiben an den: die Editor: in formuliert, müssen erneut alle Personen der Autor: innenliste dem Entwurf zustimmen, analog zum Vorgehen bei der ersten Abgabe an den Verlag. Liegt Ihr überarbeitetes, freigegebenes Manuskript und Ihre Stellungnahme zu den Kommentaren aus der Begutachtung vor, hängt das weitere Vorgehen in der Regel vom Umfang der Änderungen ab. Im Fall einer Minor Revision, in denen nur kleine Umbauarbeiten an Ihrem Manuskript durchgeführt wurden, entscheidet meist der: die Editor: in selbst, ob die nun vorliegende Fassung veröffentlich wird. Bei umfassenderen 340 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="341"?> Änderungen kommt es womöglich zu einem zweiten Peer-Review-Verfahren, eventuell mit einer reduzierten Anzahl an Begutachter: innen. In diesem Fall wiederholt sich das Vorgehen aus der ersten Runde der Revisionsphase, und der gesamte Veröffent‐ lichungsprozess verlängert sich. Alle Arbeitsschritte und beteiligte Personen aus den letzten beiden Phasen sind in Abbildung 1.6.4 zusammengefasst. Wir sind überzeugt, wenn Sie gute wissenschaftli‐ che Resultate haben, dem hier beschriebenen Vorgehen gefolgt sind und die Inhalte aus den anderen Beiträgen dieses Ratgebers berücksichtigt haben, hat Ihr Manuskript große Chancen, veröffentlicht zu werden. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg! Nach Erreichen dieses Meilensteins ist Ihr Projekt Veröffentlichung allerdings noch nicht abgeschlossen. Nach der Veröffentlichung Nach erfolgreicher Annahme Ihres Manuskripts beim Verlag ist es die Aufgabe des Corresponding Authors, alle Beteiligte über die Veröffentlichung zu informieren. Neben den offensichtlichen Personen aus der Autor: innenliste können dies weitere Stellen sein, wie z. B. Institutsleitung, zuständige Bibliothek, Förderprogramm Ihrer Forschung und OA-Veröffentlichung, sowie beteiligte Firmen. Im Fall einer Online-Veröffentli‐ chung gibt es unterschiedliche Publikationsdatenbanken und Dokumentenserver, auf denen alle Personen ihre Autorenschaft beanspruchen können (claim Authorship). Hierfür bekommt der Corresponding Author in der Regel ein Passwort und einen Link zugeschickt, die beide an die Autor: innenliste verteilt werden. Es entspricht der guten wissenschaftlichen Praxis, dass die als Corresponding Author angegebene Person weiterhin der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Ansprechpart‐ ner: in zur Verfügung steht. Daher sollte dafür gesorgt werden, dass die angegebene Kontaktadresse langfristig erreichbar ist und Änderungen dem Verlag mitgeteilt werden. Ebenso müssen alle Originaldaten, welche Sie in Ihren Analysen und in Ihrem Manuskript verwendet haben, dokumentiert und archiviert werden. Dazu zahlen unter anderem Laborbücher, Programmcode, Referenzen sowie Rohdaten von Messgeräten. Gemäß den Leitlinien der DFG sollen diese Forschungsdaten für mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2019). Abhängig vom Umfang Ihrer Daten und Größe Ihres Instituts gibt es neben der Speicherung in der eigenen Einrichtung auch fachübergreifende, überregionale Forschungsdatenbanken (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2015). 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 341 <?page no="342"?> Kap. 1.3.6 MANUSKRIPT Initiator: in Alle Autor: innen Fachzeitschrift Begutachter: innen Korrespondierende: r Autor: in Einzelne Autor: innen verteilen Aufgaben kommunizieren kommunizieren begutachten und kommentieren kommuniziert Begutachtung setzen Kommentare aus Begutachtung um überprüfen und geben erneut frei veröffentlicht Beitrag Abb. 1.6.5: Zusammenfassung der beteiligten Personen und Aktionen der Begutachtungs- und Revisionsphase. Je nach Umfang, Qualität und Begutachtung Ihres Manuskripts wird dieser Prozess an verschiedenen Stellen mehrfach durchlaufen. Schlussbemerkung Das hier vorgestellte Verfahren gibt Ihnen eine Übersicht über die typischen Prozess‐ schritte und Abläufe einer wissenschaftlichen Veröffentlichung im Bereich Physik. Generell sind alle angesprochenen Punkte auf Publikationen anderer Disziplinen über‐ tragbar. Selbstverständlich gibt es, auch innerhalb der Physik, weitere Herangehens‐ weisen, die mit anderen Ansätzen an das Schreiben herangehen. Wir wissen aus jah‐ relanger Erfahrung, dass unser Prozess mit einer sorgfältigen Trennung von Strukturierungs- und Ausarbeitungsphase funktioniert und für junge Wissenschaft‐ ler: innen geeignet ist. Dies gilt unabhängig von gewählter Zeitschrift und Sprache. Bei umfangreicheren Veröffentlichungen in großen Teams und Kollaborationen wird der Prozess und die Kommunikation komplexer, durchläuft aber im Allgemeinen die gleichen Phasen (Czapla, Loesch und Segerer 2021). Wir wünschen Ihnen bei diesem Prozess viel Erfolg und vor allen Dingen Spaß auf dem Weg zu Ihrer Veröffentlichung! 342 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="343"?> Literatur C Z A P L A , Cornelia / L O E S C H , Christina und S E G E R E R , Christian, (Hrsg., 2021): Fachschreibdidaktik MINT. Beltz. D E I N Z E R , Gernot / H E R B , Ulrich (2020): „Scheinverlage in der wissenschaftlichen Kommunika‐ tion. Verbreitung von Predatory Publishing und Lösungsansätze”. In: Zeitschrift für Biblio‐ thekswesen und Bibliographie 67.1, S.-25-37. doi: 10.3196/ 186429502067147. D E U T S C H E F O R S C H U N G S G E M E I N S C H A F T (2019). Guidelines for Safeguarding Good Research Practice. Code of Conduct. doi: doi.org/ 10.5281/ zenodo.3923602. D E U T S C H E F O R S C H U N G S G E M E I N S C H A F T (2015). Leitlinien zum Umgang mit Forschungsdaten. url: ww w.dfg.de/ download/ pdf/ foerderung/ grundlagen_dfg_foerderung/ forschungsdaten/ leitlinien _forschungsdaten.pdf https: / / www.dfg.de/ download/ pdf/ foerderung/ grundlagen_dfg_foer‐ derung/ forschungsdaten/ leitlinien_forschungsdaten.pdf (besucht am 10.03.2023). H I R S C H -W E B E R , Andreas / S C H E R E R , Stefan (2016): Wissenschaftliches Schreiben und Abschluss‐ arbeit in Natur- und Ingenieurwissenschaften: Grundlagen - Praxisbeispiele - Übungen: 42 Abbildungen, 13 Tabellen. Unter Mitarb. von Beate Bornschein u. a. UTB-Schlüsselkompeten‐ zen, Natur- und Ingenieurwissenschaften 4450. OCLC: 910322711. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer. K L E I N E R , Matthias (2010): „Qualität statt Quantität”. In: forschung 35.1, S.-2-3. doi: 10.1002/ fors. 201090015. N A T U R E (2007): „Who is accountable? ” In: Nature 450.7166, S.-1-1. doi: 10.1038/ 450001a. T S C H A R N T K E , Teja u. a. (2007): „Author Sequence and Credit for Contributions in Multiauthored Publications”. In: PLoS Biology 5.1, e18. doi: 10.1371/ journal.pbio.0050018. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 343 <?page no="344"?> 1.6.4 Das Exposé: Warum (und wie) Sie es unbedingt schreiben sollten Sandra Laskowski In der Wissenschaft beschreibt ein Exposé den ersten schriftlichen Entwurf oder die Skizzierung einer Forschungsidee. Vor allem in den Sozialwissenschaften ist es üblich, vor dem Schreiben einer Arbeit eines zu erstellen. In den MINT-Fächern wird es auch immer häufiger gefordert. In meinen fächerübergreifenden Veranstaltungen höre ich regelmäßig die Aussage: „Ein Exposé brauche ich nicht, das schreibe ich nicht! “ Ich halte dagegen und sage deutlich zu allen Studierenden und angehenden Dokto‐ rand: innen: Tun Sie sich selbst den Gefallen und schreiben Sie es trotzdem! Die Anfertigung eines Exposés ist für Doktorand: innen ein Standard und fast unumgänglich. Denn an den meisten Universitäten ist es für den Antrag auf Annahme als Doktorand: in beziehungsweise im Rahmen der Betreuungsvereinbarung Pflicht. Auch für die Aufnahme in ein Graduiertenprogramm oder für die Bewerbung um ein Promotionsstipendium kann ein Exposé gefordert werden. Schreiben Sie Ihre Bachelor-, Master- oder eine Seminararbeit, ist ein Exposé in der Regel (noch) nicht verpflichtend. Studierende und Doktorand: innen, die kein Exposé einreichen brauchen, freuen sich darüber. Denn die Erstellung eines Exposés wird oftmals als zu zeitaufwendig und lästig empfunden. „Das liest ja eh niemand“ oder „Ich habe keine Lust“ sind schnell gefundene Ausreden, um sich davor zu drücken. Dabei sollten Sie das Exposé als Orientierungshilfe und nicht als lästiges Übel betrachten. Es dient Ihnen als Leitlinie und Arbeitsplan für Ihr kleineres oder größeres wissenschaftliches Forschungsvorhaben und ermöglicht Ihnen einen reflektierten Start. Im Nachfolgenden gebe ich Ihnen zuerst ein paar sehr gute Gründe für die Erstellung eines Exposés und zeige Ihnen auf, welche Vorüberlegungen Sie beachten sollten. Dann folgt eine Übersicht über den Aufbau und Inhalt, den Sie je nach Art Ihrer wissenschaftlichen Arbeit anpassen können. Warum überhaupt ein Exposé? Ein Exposé hilft Ihnen, Ihr Thema beziehungsweise die Fragestellung für Ihre wissen‐ schaftliche Arbeit einer Prüfung zu unterziehen. Sie kommen zudem in die erste schriftliche Ausformulierung. Dabei merken Sie ganz schnell, ob Ihre bisherigen Überlegungen stimmig sind oder nicht, wo es in der Argumentation Schwächen (oder auch Widersprüche) gibt und wo Sie eventuell nachjustieren müssen. Dabei ist das Exposé als eine Momentaufnahme und keinesfalls als „in Stein gemeißelt“ zu betrachten. Denn wissenschaftliches Arbeiten ist ein Prozess. Machen Sie sich 344 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="345"?> Kap.-1.1.1 Kap.-1.2.1, 1.2.2 gedanklich frei davon, bereits alles zu Beginn Ihrer Arbeit wissen zu wollen und zu können. Zum Forschen gehört auch der ungewisse Ausgang von Experimenten und Beweisführungen sowie unbrauchbare Ergebnisse und die eigene Wissenserweiterung. Berücksichtigen Sie dies bei der Erstellung Ihres Exposés. Das Exposé hilft Ihnen in erster Linie, sich zu strukturieren, Ihre Gedanken zu ordnen und Ihre Überlegungen zusammenhängend zu formulieren sowie den zeitlichen Auf‐ wand Ihrer Arbeitsschritte einzuschätzen. Und das unabhängig davon, welche Art von wissenschaftlicher Arbeit Sie schreiben. Sie können das Exposé gerade bei längeren wissenschaftlichen Arbeiten auch überarbeiten und aktuell halten, damit es Sie zu Ihrer persönlichen Orientierung durch Ihre Arbeit begleitet. Viele Ausführungen im Exposé sind so grundlegend, dass Sie diese in die Einleitung Ihrer Arbeit übernehmen können (vgl. Stock 2009, 133). Bevor Sie mit dem Schreiben Ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit beginnen, wird Ihre Betreuungsperson möglicherweise eine Übersicht, ein Konzept oder einen schriftlichen Arbeitsplan von Ihnen lesen wollen, den sie Ihnen zur Bearbeitung und Prüfungsanmeldung freigibt. So zeigen Sie Ihrer Betreuungsperson auf, welche Pro‐ blemstellung Sie im Rahmen Ihrer Arbeit behandeln, wie Sie dabei methodisch vorge‐ hen möchten und welche themenspezifische Literatur Sie bereits gesichtet haben (vgl. Berger-Grabner 2016, 62). Das Exposé ermöglicht Ihrer Betreuungsperson, Ihre Überlegungen als kompakte Zusammenfassung zu lesen, sie besser nachvollziehen und auf dieser Grundlage mit Ihnen diskutieren zu können. So bekommen Sie direkt zu Beginn eine Rückmeldung, ob Sie auf einem guten Weg sind oder ob sich (Denk-)Fehler eingeschlichen haben. Für eine Doktorarbeit, die sich über mehrere Jahre erstreckt, kommt dem Exposé noch einmal eine besondere Bedeutung zu, denn es ist die Grundlage für den gesamten Prozess. Doktorand: innen sollten die Sinnhaftigkeit der geplanten Forschung ganz konkret herausarbeiten und den Ablauf des gesamten Forschungsprozesses im Vor‐ feld festlegen. Außerdem können Sie auf unerwartete Hürden sowie gegebenenfalls auftretende Probleme im Forschungsprozess eingehen und durch Lösungsvorschläge beweisen, dass Sie konstruktiv damit umgehen können (vgl. Wergen 2019, 78). Inhalt Mit Ihrem Exposé sollten Sie sich und den Leser: innen mindestens die folgenden Fragen beantworten: ● Was ist Ihre exakte Fragestellung? ● Was ist der aktuelle Forschungsstand zu Ihrem Thema? ● Welche Forschungsmethoden werden Sie anwenden? ● Welche Quellen und gegebenenfalls welches weitere Material werden Sie verwen‐ den? 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 345 <?page no="346"?> ● Bei Doktorarbeiten außerdem: Warum ist Ihre Arbeit für die Forschung relevant? Welchen wissenschaftlichen Mehrwert liefern Sie für Ihren Fachbereich? Wie sieht Ihre zeitliche Planung aus? Der inhaltliche rote Faden durch ein Exposé ist wie folgt: Am Anfang steht immer die Benennung Ihres Themas beziehungsweise Ihrer Fragestellung. Diese ist nicht losgelöst zu betrachten, sondern in den bisherigen Forschungsstand einzubinden. Daraus ergibt sich ein Problem oder eine Forschungslücke, auf die Sie gestoßen sind und die Sie mit Ihrer Arbeit schließen wollen. Dazu definieren Sie das Ziel Ihrer Arbeit, sprich, was Sie herausfinden wollen und begründen die Relevanz. Dann erklären Sie, wie Sie in Ihrer Arbeit vorgehen und begründen die Wahl Ihrer Methode(n). Bedenken Sie auch, dass Sie mit Ihrer Vorgehensweise auf Hindernisse und Grenzen stoßen können. Sind diese Ihnen bereits bekannt, sollten Sie sie im Vorfeld benennen. Abschließend erstellen Sie einen Zeitplan für Ihr Vorhaben. Je nach Anforderung fügen Sie gegebenenfalls einen Finanzplan hinzu. Überlegungen vor dem Schreibstart Ziele und Absicht Bevor Sie mit dem Verfassen Ihres Exposés starten, gehen Sie für sich die nachfolgenden Fragen durch. So bekommen Sie mehr Klarheit für sich selbst und stürzen sich nicht kopflos in die Erstellung. Holen Sie sich zu Beginn einmal ganz deutlich das Ziel und den damit verbundenen Mehrwert Ihres Exposés vor Augen. Fragen Sie sich: ● Was beabsichtigen Sie konkret mit Ihrem Exposé? ● Zu welchem Zweck schreiben Sie es? ● Erstellen Sie es für Ihren persönlichen Überblick? ● Wollen oder müssen Sie es jemand anderem vorlegen? ● Welche Bedeutung hat das Exposé für Sie? Machen Sie sich klar, ob das Exposé lediglich eine Formalität ist, die zu den Unterlagen gehört oder ob Sie damit jemand überzeugen müssen Ihre Arbeit anzunehmen oder Ihnen ein Stipendium oder eine Doktorandenstelle zu geben. Wenn Sie ein konkretes, positives Ziel mit Ihrem Exposé verbinden - zum Beispiel eine gute Abschlussnote, die Annahme als Doktorand: in oder die Zusage für ein Stipendium, gehen Sie gleich viel motivierter an die Bearbeitung. Persönliches Erkenntnisinteresse Reflektieren Sie für sich, warum Sie Ihr gewähltes Thema bearbeiten möchten. ● Was interessiert Sie an dem Thema? ● Warum möchten Sie darüber forschen? 346 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="347"?> ● Haben Sie bereits über das Thema geschrieben/ geforscht und können auf Ihren vorherigen Erkenntnissen/ Ergebnissen aufbauen? ● Welche weiteren thematischen Anknüpfungspunkte gibt es zu Ihrem Studium (zum Beispiel ein Praktikum)? ● Gibt es auch private Verknüpfungspunkte zu Ihrem Thema (zum Beispiel eine ehrenamtliche Tätigkeit)? Wenn Sie sich dieser Punkte bewusst sind, wird Sie das zusätzlich motivieren und bei einer Doktorarbeit über „Durststrecken“ hinweghelfen. Sie können Ihr persönliches Erkenntnisinteresse auch in Ihr Exposé einarbeiten, manchmal wird es sogar gefordert. Adressat: innen Mit Ihrem Exposé können Sie verschiedene Adressat: innen ansprechen. Dies beein‐ flusst den Aufbau und die Länge Ihres Exposés, Ihren zeitlichen Aufwand und die Einarbeitung in Ihr Thema. Machen Sie sich also klar, für wen Sie das Exposé schreiben und wer es lesen wird. Schreiben Sie das Exposé ausschließlich für sich, dann wird es vermutlich inhaltlich kürzer ausfallen. Sie können Ihre Ausführungen auch nach Belieben handschriftlich verfassen oder sich Plakate erstellen. Müssen Sie das Exposé auch Ihrer Betreuungsperson zur Genehmigung Ihres The‐ mas oder Promotionsantrags vorlegen - bei Letztgenanntem liest sehr wahrscheinlich auch noch der Promotionsausschuss mit - übertragen Sie es in ein Schreibprogramm und verfassen Sie es detaillierter. ● Ist das Exposé in einen Bewerbungsprozess eingebunden und wird von verschie‐ denen Gutachter: innen bewertet, halten Sie sich unbedingt an die Vorgaben, die Sie zu der Erstellung bekommen. Dies wird zum Beispiel bei Forschungsstipendien und -anträgen sowie Graduiertenkollegs der Fall sein. Die Vorgaben finden Sie in der Regel auf den entsprechenden Bewerbungsseiten. ● Sollen Sie Ihr Exposé bei unterschiedlichen Adressat: innen einreichen, passen Sie es entsprechend an die jeweiligen Anforderungen an. Das heißt unter Umständen, dass Sie mehrere Exposés verfassen. Betrachten Sie Ihr Exposé immer als eine Visitenkarte zum Zweck der Außendarstel‐ lung, mit der Sie bei den Adressat: innen einen guten Eindruck hinterlassen (vgl. Wolf & Wenzelburger 2010, 109). Umfang und Gestaltung Ein Exposé umfasst in der Regel ca. 5-20 Seiten. Die Herausforderung liegt darin, Ihr Vorhaben kurz und knapp auf den Punkt zu bringen. Eine verbindliche Vorgabe zum Umfang eines Exposés gibt es nicht. So kann die Seitenzahl je nach Handreichung und Adressat: innen variieren. Die Deutsche 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 347 <?page no="348"?> Kap.-1.2.1 Kap.-1.3.2 Kap.-1.3.5 Kap.-1.2.5 Forschungsgemeinschaft (DFG) empfiehlt zum Beispiel, für ein Forschungsstipendium nicht mehr als 20 Seiten zu verfassen (vgl. DFG 2021, 14). Wenn Sie das Exposé für sich schreiben oder „als kurzen Überblick Ihres Forschungsvor‐ habens zur Annahme als Doktorand[: in] bei Ihrem Betreuer [oder Ihrer Betreuerin], bei Fachbereich oder Fakultät oder bei einem strukturierten Promotionsprogramm verwenden, reichen häufig fünf bis acht knackig formulierte Seiten. Verzetteln Sie sich nicht: Wer es auf acht oder zehn Seiten nicht geschafft hat, deutlich zu machen was er [oder sie] will, wird es vermutlich auch auf den folgenden zwanzig nicht schaffen! “ (Hell 2020, 113) Literatur Bevor Sie die Erstellung des Exposés in Angriff nehmen, sollten Sie eine ausführliche Literaturrecherche durchgeführt haben, denn Sie argumentieren im Exposé bereits mit der vorhandenen Quellenlage. Für ein Exposé ist es nämlich nicht ausreichend, lediglich Ihre Gedanken zu Ihrer Arbeit niederzuschreiben. Eine Literaturrecherche haben Sie vielleicht bereits im Rahmen Ihrer Themenfin‐ dung abgeschlossen, sodass Sie auf erste Quellen zurückgreifen können. Tragen Sie daher Ihre bisher recherchierte Literatur zusammen: ● Welche Quellen können Sie für das Exposé verwenden? ● Benötigen Sie noch weitere Quellen? ● Gibt es von Ihrer Betreuungsperson oder in den Prüfungsregularien Vorgaben zu der Literatur im Exposé? Starten Sie gegebenenfalls eine zweite Recherche und erweitern Sie Ihre Quellenlage. Und sonst noch? Vergewissern Sie sich, in welcher Sprache Sie Ihr Exposé verfassen sollen. In der Regel wird dies auf Deutsch oder Englisch sein, andere Fachsprachen sind die Ausnahme. Halten Sie sich unbedingt an die Vorgaben, wenn Sie eine Vorlage bekommen haben. Das gilt insbesondere für die Beantragung von Forschungsstipendien. Falls Sie keine Vorlage haben, formatieren Sie sich Ihre eigene. Für die Gliederungspunkte können Sie sich an den Abschnitt „Aufbau“ halten (s.-u.) oder an das IMRaD-Schema. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für die Erstellung. Vor allem, wenn es sich um eine umfangreiche Arbeit wie die Doktorarbeit handelt. Auch wenn Sie das Exposé im Kopf bereits fertig haben, wird die kompakte schriftliche Ausformulierung ein Prozess mit mehreren Überarbeitungen sein. Wenn Sie nicht wissen, womit Sie anfangen sollen, erstellen Sie sich ein Titelblatt und das bisherige Literaturverzeichnis. Das ist ein guter Start, um in das „Jetzt geht es los“-Gefühl zu kommen. 348 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="349"?> ● Hat Sie jetzt die Motivation gepackt, schreiben Sie frei drauflos oder erstellen sich den ersten groben zeitlichen Ablauf. Sie werden sehen, am Ende des Tages sind Sie Ihrem Exposé einen großen Schritt nähergekommen. Der Aufbau Das Exposé lässt sich grob in folgende Abschnitte gliedern, wobei die einzelnen Gliederungspunkte des Textteils nicht in der hier genannten Reihenfolge erfolgen müssen beziehungsweise auch zusammengefasst werden können: ● Titelblatt ● Inhaltsverzeichnis ● Textteil - Einleitung und Problemstellung - Stand der Forschung - Zielsetzung und Forschungsfrage - Erkenntnisinteresse - Hypothesen - Methodisches Vorgehen - Gliederungsentwurf ● Literaturverzeichnis ● Zeitlicher Ablaufplan Titelblatt Das Titelblatt sollte mindestens Ihren (vorläufigen) Arbeitstitel, Ihren Namen, das Fachgebiet, den oder die Betreuer: innen und ein Datum nennen. Ergänzen können Sie es um die Nennung der Hochschule, Ihrer Matrikelnummer, Ihrer Kontaktdaten sowie eventuell der Vorschriften, die Sie zu der Exposé-Erstellung bekommen haben. Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist optional, gibt den Leser: innen jedoch einen besseren Über‐ blick über die Struktur Ihres Exposés. Die Empfehlung ist daher, ein Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Dabei ist das Inhaltsverzeichnis wie bei jeder wissenschaftlichen Arbeit aufgebaut. Einleitung und Problemstellung Starten Sie Ihr Exposé mit einer kurzen Einleitung, indem Sie in zwei, drei Sätzen an Ihr Thema heranführen und auf das Problem hinweisen, auf das Sie gestoßen sind. Stellen Sie das Problem vor, beschreiben Sie es, geben Sie erste Quellen an und weisen auf die Notwendigkeit einer Lösung hin. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 349 <?page no="350"?> Schreiben Sie eine Doktorarbeit, erwartet Ihr Fachbereich von Ihnen mit der Pro‐ blembearbeitung einen wissenschaftlichen Mehrwert und im besten Fall eine Lösung für das Problem beziehungsweise die Schließung einer Forschungslücke. Stand der Forschung Mit der Darstellung des Forschungsstands beweisen Sie, dass Sie Ihr Thema in den Kon‐ text der wissenschaftlichen Diskussion einordnen können. Wergen (2019) empfiehlt, sich zuerst disziplinär zu verorten, um dann über die Basis für den Forschungsstand zu entscheiden. Überlegen Sie also, in welcher Disziplin, in welcher Teildisziplin und in welchem Fachgebiet dieser Teildisziplin Sie Ihre Arbeit schreiben. Folgende Beispiele liefert Wergen für die Verortung: ● Sozialwissenschaften - Soziologie - Arbeitssoziologie - Technisierung der Arbeit ● Geisteswissenschaften - Geschichte - Wissenschaftsgeschichte - Geschichte der Naturwissenschaften - am Beispiel einer Naturwissenschaft ● Ingenieurswissenschaften - Informatik - Praktische Informatik - Softwaretechnik (Wergen 2019: 109). Auf der Grundlage Ihrer Verortung nehmen Sie anschließend sowohl die aktuellen als auch grundlegenden Forschungsprojekte und Studien Ihres Fachgebiets sowie deren Ergebnisse und Forschungslücken in den Blick. Dabei müssen Sie den Forschungsstand nicht allumfassend, sondern konkret auf Ihr Thema und Ihre Forschungsfrage bezogen analysieren. Erarbeiten Sie sich also die bestehenden Theorien und Modelle aus Ihrem Fachbe‐ reich und machen Sie sich mit den Definitionen und Fachausdrücken vertraut(er) beziehungsweise wenden Sie diese an. Zielsetzung und Forschungsfrage Erwähnen Sie Ihr Ziel oder die Ziele, das/ die Sie mit Ihrer wissenschaftlichen Arbeit erreichen wollen. Die von Ihnen formulierte Forschungsfrage und eventuelle Unterfra‐ gen sind das A und O Ihrer Arbeit. Ihre Fragen müssen Sie klar und präzise formulieren, sonst werden Sie sich bei der Bearbeitung verzetteln. Mit ungenauen und zu weit gefassten Forschungsfragen erweitern Sie das Forschungsfeld und bearbeiten „ein Fass ohne Boden“. Ein Beispiel: Die Forschungsfrage „Welchen Nutzen hat ein Sportler von der Ein‐ nahme von Vitaminpräparaten“ ist unkonkret, weil der Gegenstand der Forschung zu weit gefasst ist. Was meinen Sie mit Nutzen? Gesundheitlichen oder leistungssteigern‐ den Nutzen? Wie definieren Sie Sportler? Meinen Sie Hobby- oder Berufssportler? Eine bestimmte Sportart? Männer und/ oder Frauen? Welche Vitaminpräparate sollen wie eingenommen werden? Wie häufig und über welchen Zeitraum? Mit Ihrer Bearbeitung kämen Sie nicht von der Stelle beziehungsweise hätten Sie kaum eine Möglichkeit zu überprüfen und festzulegen, dass Sie sich dem Ende der Bearbeitung nähern. 350 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="351"?> Fragen Sie sich, unter welchen Gesichtspunkten Sie Ihre Frage eingrenzen können. Denkbar sind unter anderem zeitliche (von … bis, im 18. Jahrhundert, seit 2004) und/ oder räumliche (in Deutschland, in Berlin, in Brasilien) Eingrenzungen, die Benennung von Personengruppen (Studierende, Männer, Frauen) oder Institutionen wie Kindergärten, Krankenhäuser oder Finanzämter. Ihre konkrete Forschungsfrage ergibt sich idealerweise aus Ihrer Problemstellung und dem Forschungsstand. Formulieren Sie für sich eine glasklare Hauptfrage (oder auch Leitfrage), auf die Sie im Rahmen Ihrer Arbeit eine Antwort bekommen und mit der Sie neue Erkenntnisse erlangen/ eine Forschungslücke schließen wollen. Persönliches Erkenntnisinteresse Ihr persönliches Erkenntnisinteresse können Sie optional angeben. Hier zeigen Sie auf, welche Themen Sie in einem wissenschaftlichen und gegebenenfalls privaten Kontext interessieren. Es gibt den Leser: innen einen Einblick in Ihre bisherigen wissenschaft‐ lichen Schwerpunkte, Ihren Werdegang und macht Sie als Person „greifbarer“. Eine Beschreibung Ihres Erkenntnisinteresses kann auch explizit gefordert werden und wichtig sein, wenn Sie sich zum Beispiel auf ein Stipendium oder Promotionsprogramm bewerben, da die Gutachter: innen so einen besseren Eindruck von Ihnen bekommen. Hypothesen Je nach Forschungsansatz und Fachdisziplin werden Sie für Ihre Arbeit Hypothe‐ sen entwickeln. Hypothesen sind allgemeine Aussagen über Zusammenhänge zwi‐ schen mindestens zwei Variablen, die es zu überprüfen gilt. Sie „können sowohl als ‚Wenn-Dann-Aussagen‘ (z. B. ‚Wenn man Gase erhitzt, dann dehnen sie sich aus‘), als auch als ‚Je-Desto-Aussagen‘ (z. B. ‚Je häufiger Personen interagieren, desto sympathischer sind sie sich‘) formuliert werden“ (Schnell, Hill & Esser 2013, 49). Methodisches Vorgehen Ihr methodisches Vorgehen wird je nach Fachbereich eher quantitativ oder qualitativ ausgerichtet sein. Oft gibt es auch eine Kombination aus beiden, die sogenannten Mixed Methods, wobei quantitative und qualitative Forschungsmethoden verknüpft werden. Unter wissenschaftlichen Methoden sind in der empirischen Sozialforschung Ver‐ fahren und Techniken zusammengefasst, mit denen Daten erhoben und analysiert werden. Weisen die Methoden eine hohe Standardisierung auf, werden sie quantitative Methoden genannt, die traditionell in den Naturwissenschaften eingesetzt werden. Bei einer niedrigen Standardisierung heißen sie qualitative Methoden, die in der Tradition der Geisteswissenschaften stehen. „Wissenschaftliche Datenerhebungsmethoden […] sind beispielweise psychologi‐ sche Testverfahren wie der Intelligenztest, physiologische Messungen wie die EKG-Messung oder Interviewtechniken wie das Leitfaden-Interview. Wissenschaftli‐ 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 351 <?page no="352"?> Kap.-1.3.2 Kap.-1.5.3 Kap.-1.2.5 Kap.-1.1.1 che Datenanalysemethoden sind z. B. die qualitative Inhaltsanalyse oder die statistische Varianzanalyse“ (Döring & Bortz 2016, 9). Da jeder Fachbereich eine eigene Forschungskultur hat, ist es unerlässlich, dass Sie die gängigen Datenerhebungs- und Analysemethoden Ihres Fachbereichs kennen oder bereits mit ihnen vertraut sind. Skizzieren Sie die von Ihnen gewählte(n) Methode(n), mit der (denen) Sie Ihre Forschungsfrage beantworten möchten. Anschließend begründen Sie Ihre Methoden‐ wahl in Bezug auf Ihr Forschungsproblem und Ihre Fragestellung ausführlich. So kann nachvollzogen werden, warum Sie in der Arbeit was wozu machen und wie Sie an Ihre Ergebnisse kommen wollen. („Ich möchte die Methode anwenden“ ist keine ausreichende Begründung.) Bedenken Sie für Ihre zeitliche Planung, dass qualitative Methoden in der Regel mit einem höheren Zeitaufwand verbunden sind als quantitative. Egal, wie Sie sich entscheiden - planen Sie in jedem Fall ausreichend Zeit für Ihre Datenerhebung und -auswertung ein. Gliederungsentwurf Entwerfen Sie eine erste grobe Gliederung Ihrer Arbeit und legen Sie die wichtigsten Haupt- und Unterkapitel fest. Die Gliederung ist nicht als endgültig anzusehen, Sie werden sie im Laufe der Zeit fortlaufend anpassen. Aber Sie lassen so bereits den roten Faden Ihrer Arbeit erkennen und stellen die Weichen für die Argumentation Ihrer bis‐ herigen Überlegungen (vgl. Gunzen, Häuser & Haas 2015, 76). Literaturverzeichnis Die zur Stützung Ihrer Argumentation zitierten Quellen gehören in das Literatur‐ verzeichnis. Der Umfang des Literaturverzeichnisses sollte 10-15 Quellen betragen. Aus dem Literaturverzeichnis wird für Ihre Betreuungsperson ersichtlich, ob und inwiefern Sie bereits einen guten Überblick über Ihr Forschungsfeld haben. Auch lässt sich daraus ablesen, ob Sie mit der relevanten Literatur vertraut sind und wie tief Sie bereits in Ihr Thema eingetaucht sind. Wählen Sie daher Ihre Quellen nicht aus, um „irgendetwas“ in das Literaturverzeichnis einzutragen, sondern zeigen Sie, dass Sie mit Quellen arbeiten können. Zeitplan Mit dem zeitlichen Ablaufplan geben Sie an, welche Schritte der Arbeit Sie zu welcher Zeit umsetzen wollen. Während Sie für Bachelor- und Masterarbeiten einen Bearbei‐ tungszeitraum von drei bis sechs Monaten abdecken, erstreckt sich der Zeitplan für Doktorarbeiten über mindestens drei Jahre. Stock empfiehlt, sich nach der Einreichung der Arbeit zum Vergnügen die erste Fassung Ihres Exposés anzuschauen. Die (Eigen-)Dynamik, die Ihre Arbeit im Laufe der Erstellung entwickelt hat, wird Sie positiv überraschen (vgl. Stock 2009, 135). 352 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren <?page no="353"?> Literatur B E R G E R -G R A B N E R , Doris (2016): Wissenschaftliches Arbeiten in den Wirtschafts- und Sozialwissen‐ schaften. Hilfreiche Tipps und praktische Beispiele. 3. Auflage, Wiesbaden. D E U T S C H E F O R S C H U N G S G E M E I N S C H A F T (DFG) (2021): Merkblatt Forschungsstipendien. DFG-Vor‐ druck 1.04 - 04/ 21, Bonn. https: / / www.dfg.de/ foerderung/ programme/ einzelfoerderung/ forschungsstipendien/ formulare _merkblaetter/ index.jsp [abgerufen am 04.12.2021] D ÖR I N G , Nicola / B O R T Z , Jürgen (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. 5. Auflage, Berlin / Heidelberg. F R A N C K , Norbert (2019): Das Promotionshandbuch. Die Doktorarbeit erfolgreich schreiben, vertei‐ digen und präsentieren. Paderborn. G U N Z E N HÄU S E R , Erika / H AA S , Erika (2015): Promovieren mit Plan. Ihr individueller Weg: von der Themensuche zum Doktortitel. 3. Auflage, Opladen / Toronto. H E L L , Silke (2020): Soll ich promovieren? Voraussetzungen, Chancen, Strategien. München. K E L L E , Udo (2014): „Mixed Methods“. In: Bauer, Blasius et al. (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden, S.-153 - 166. S C H N E L L , Rainer, H I L L , Paul & E S S E R , Elke (2013): Methoden der empirischen Sozialforschung. Auflage, München. S T O C K , Steffen et al. (Hrsg., 2009): Erfolgreich promovieren. Ein Ratgeber von Promovierten für Promovierende. 2. Auflage, Berlin / Heidelberg. W E R G E N , Jutta (2019): Promotionsplanung und Exposee. Die ersten Schritte auf dem Weg zur Dissertation. 3. Auflage, Opladen / Toronto. W O L F , Frieder / W E N Z E L B U R G E R , Georg (2010): Promotionsratgeber Politikwissenschaft. Wiesba‐ den. 1.6 Wissenschaftliche Arbeit präsentieren & publizieren 353 <?page no="355"?> Sektion 2: Ausgewählte TextSORTEN der MINT-Fächer <?page no="357"?> Kap. 2.2.1 Sektion 1 Kap.-1.3.2 2.1 Protokolle von Laborversuchen 2.1.1 Protokolle in der Biologie Kerstin Minnich, Sabine Vettorazzi Dieses Kapitel bietet einen Überblick zu Inhalt-, Struktur- und Stilkonventionen von Protokollen, die während des Biologiestudiums im Rahmen von Versuchspraktika verfasst werden müssen. Informationen zu Exkursionsprotokollen finden Sie im Kapitel Exkursionsproto‐ kolle Biologie. Ausführliche Praktikumsberichte zu mehrwöchigen Forschungspro‐ jekten werden teilweise ebenfalls als Protokolle bezeichnet. Da solche Praktikumsbe‐ richte allerdings eher mit einer Abschlussarbeit vergleichbar ist, empfehlen wir für entsprechende Schreibtipps die Sektion 1 des Schreibratgebers. ACHTUNG Die hier vorgestellten Grundlagen zum Aufbau und Inhalt von Protokollen in der Biologie können je nach Fachrichtung (z. B. Zoologie, Botanik, Genetik, Biochemie etc.), und Dozent: in variieren. Informieren Sie sich daher vor dem Schreiben unbedingt über Vorgaben zu Ihrem Versuchsprotokoll. Vorgaben können unterschiedliche Aspekte des Protokolls betreffen, wie z. B. den Aufbau des Unterkapitels Material und Methoden, die Verwendung von Fachliteratur, die Dokumentation und Aufbereitung von Rohdaten, oder Formalitäten wie Schriftgröße, Zeilenabstand und Länge des Textes. 1. Struktur und Inhalte eines Protokolls Wie die meisten naturwissenschaftlichen Abschlussarbeiten und Veröffentlichungen, beinhaltet ein Protokoll aus der Biologie die Unterkapitel Einleitung, Material und Methoden, Ergebnisse und Diskussion. Abgeleitet von den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnung dieser Unterkapitel (Introduction, Methods, Results and Dis‐ cussion) wird dieser Aufbau auch als IMRaD-Struktur bezeichnet. Im folgenden Abschnitt werden die einzelnen IMRaD-Unterkapitel eines Protokolls kurz vorgestellt. Ausführliche Informationen zur IMRaD-Struktur finden sie im Kapi‐ tel Gliederung. Einleitung Die Einleitung eines Protokolls beginnt üblicherweise mit der Vorstellung des Prakti‐ kumsthemas. Hierbei sollten Sie nicht nur das Thema selbst, sondern auch dessen <?page no="358"?> Kap.-1.2.5 Relevanz beschreiben. Warum ist das Thema wichtig und für wen? Handelt es sich beispielsweise um eine Versuchsmethode, die im Forschungsalltag häufig verwendet wird und wichtiger Bestandteil vieler Forschungsprojekte in Ihrem Fachgebiet ist? Im Anschluss daran folgen Hintergrundinformationen zum Praktikumsthema. Am Ende der Einleitung wird das Versuchsziel und eine oder mehrere konkrete Fragestel‐ lung(en) bzw. These(n) vorgestellt, die durch den/ die Versuch(e) beantwortet bzw. beurteilt werden soll(en). Meist werden im letzten Abschnitt der Einleitung die verwendeten Methoden und der Versuchsablauf kurz zusammengefasst. SCHREIBTIPP: Einleitung Beim Schreiben der Einleitung sollten Sie die Hintergrundinformationen zu dem Praktikumsthema nicht wortwörtlich (oder nur leicht umformuliert) aus dem Praktikumsskript übernehmen, sondern den Text selbst verfassen. Dazu ist es hilfreich, wenn Sie sich bei der Einführungsbesprechung Notizen machen. Falls für die Einleitung Fachliteratur herangezogen werden soll: Fassen Sie die wich‐ tigsten Informationen ebenfalls in eigenen Worten zusammen und vergessen Sie nicht, Ihre Quellen entsprechend zu zitieren (weiterführende Informationen dazu im Kapitel Zitieren). Material und Methoden Gewöhnlich werden in Abschlussarbeiten Materialien und Methoden in jeweils sepa‐ raten Unterkapiteln behandelt. Dagegen kann in einem Protokoll die Beschreibung von Material und Methoden, je nach Versuchspraktikum und/ oder Vorgaben des: der Dozent: in stark variieren. So dürfen Sie bei einigen Dozent: innen dieses Unterkapitel im Protokoll komplett auslassen, wenn alle relevanten Informationen im Skript ent‐ halten sind. In anderen Fällen genügt es Methoden zu beschreiben, die während der Versuchsdurchführung vom Skript abgewichen sind. In manchen Fällen wird eine kurze Einleitung oder Einführung gefordert, in der z. B. das Prinzip der Methode beschrieben wird. SCHREIBTIPP: Material und Methoden Falls in den Vorgaben zu Ihrem Protokoll eine Erläuterung des Methodenprinzips gefordert wird, können Sie in der Regel die Einführungsbesprechung des Prak‐ tikums zur Klärung offener Fragen nutzen und diese Informationen im Protokoll verarbeiten. Je besser Sie das Prinzip der Methoden beschreiben und damit selbst nachvollziehen können, desto leichter können Sie in der Diskussion Erklä‐ rungsansätze liefern, falls der Praktikumsversuch unvorhergesehene Ergebnisse hervorbringt. 358 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="359"?> Ergebnisse Im Ergebnisteil werden die Ergebnisse in Abbildungen und/ oder Tabellen präsentiert und im Fließtext erläutert. Zum Schreiben dieses Unterkapitels ist es hilfreich, wenn Sie bereits während des Versuchs Ihre Beobachtungen notieren und auf dieser Grund‐ lage den Text ausfomulieren. Dabei sollten Sie Ihre Ergebnisse möglichst präzise beschreiben, also beispielsweise Mengenangaben verwenden, Proben möglichst exakt benennen und Positivbzw. Negativkontrollen direkt mit der Probe ins Verhältnis setzen. Hier ein Beispiel für Fließtexte, die sich auf das Beispielergebnis in Abbildung 2.1.1 B beziehen: Unpräziser Fließtext: Im Vergleich zu Probe 2 war der GR in Probe 1 vorhanden. Auch EEA1 war in Probe 1 enthalten, jedoch konnte HDAC1 nur in Probe 2 detektiert werden. Präziser Fließtext: Aus dem Western Blot geht hervor, dass unter Kontroll-Bedingungen das Glukokor‐ tikoid Rezeptor (GR) Protein im Zytoplasmaextrakt enthalten war, während es im Nukleus nicht detektiert werden konnte. Das zytoplasmatische Protein Early Endosome Antigen 1 (EEA1), welches eine Kontrolle für ein sauber aufgearbeitetes Zytoplasma ist, konnte nur im Zytoplasma der kontrollbehandelten Zellen detektiert werden. Das nukleäre Histone deacetlyase 1 (HDAC1) Protein, welches eine Kontrolle für einen sauber aufgearbeiteten Zellkern ist, konnte nur im Zellkern nachgewiesen werden. Das zu untersuchende Protein, der Gluckokortikoid Rezeptor (GR) zeigt nach Kontrollbehandlung eine Bande im Zytoplasma und nicht im Zellkern (siehe Abbildung 1). Wie aus dem Beispiel für einen präzisen Fließtext hervorgeht, ist es in erster Linie wichtig, dass Sie alle Beobachtungen, die aus der Abbildung abgeleitet werden können, unmissverständlich beschreiben. Wort- und Satzaufbauwiederholungen sind daher zu‐ lässig, wenn sie der Präzision dienen (z. B. im obigen präzisen Fließtext Wiederholung von „…konnte (nicht)…detektiert/ nachgewiesen werden.“). Zusätzlich zu dem Fließtext befinden sich Tabellen und Abbildungen im Ergebnisteil. Diese werden unabhängig voneinander fortlaufend nummeriert, so dass z. B. sowohl eine Abbildung 1 als auch eine Tabelle 1 im Protokoll enthalten sein kann. Tabellen erhalten eine Tabellenüberschrift während Abbildungen mit einer Abbildungsunter‐ schrift versehen werden. Abbildungen müssen selbsterklärend sein, d.-h. die Leser: in‐ nen sollten mittels Abbildung und Abbildungsunterschrift das Ergebnis ohne Kenntnis des Fließtextes erfassen können (Beispiel: siehe Abb. 2.1.1). 2.1 Protokolle von Laborversuchen 359 <?page no="360"?> Abb. 2.1.1: Beispiele von Abbildungen eines Western Blots in einem Protokoll. A (links): Beispiel für eine unpräzise Abbildungsbeschriftung. Abbildung A ist für Leser: innen nur mittels einer ausführlichen Abbildungsunterschrift nachvollziehbar. B (rechts): Beispiel für eine selbsterklärende Abbildungsbeschriftung. Die Beschriftung der Abbildung B ist so gestaltet, dass alle wesentlichen Aussagen des Ergebnisses bereits aus der Abbildung hervorgehen und die Abbildungsunterschrift entsprechend lesefreundlich reduziert werden kann. Eine Abbildungsunterschrift enthält alle Informationen, die zum Verständnis der gezeigten Ergebnisse nötig sind, z. B. eine kurze Nennung der Methode, eine kurze Be‐ schreibung von etwaigen Abweichungen von der Standardmethode, ggf. eine Legende, und/ oder die Beschreibung der Proben und der Kontrollen. Das Ergebnis selbst, z. B. das Verhältnis der Probe zu Positiv- und Negativkontrollen, wird im Fließtext detailliert beschrieben. Unpräzise Abbildungsunterschrift für Abb. 2.1.1 B: In der Kontrolle war der Glukokorticoid-Rezeptor nur im Zytoplasmaextrakt ent‐ halten. Präzise Abbildungunterschrift für Abb. 2.1.1 B: Western Blot von nukleären und zytoplasmatische Zellextrakten der Zelllinie XY, die für 1 h mit PBS als Kontrollreagenz behandelt und anschließend analysiert wurde. Das Early Endosome Antigen 1 Protein (EEA1) (170 kDa), das Glukokortikoid Rezeptor Protein (94 kDa) und das nukleäre Histone deacetlyase 1 Protein (HDAC1) (62-kDa) wurden mittels spezifischer Antikörper der Firma XX detektiert. 360 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="361"?> Kap.-1.5.3 Im Titel einer Abbildungsunterschrift kann das Ergebnis kurz in einem Satz zusam‐ mengefasst werden. In unserem Beispiel könnte der Titel der Abbilungsunterschrift lauten: Nachweis des Glukokortikoid-Rezeptors im Zytoplasmaextrakt der Zelllinie XY unter Kontrollbedingungen. Achten Sie im Ergebnisteil außerdem darauf, im Text auf alle Abbildungen und Tabellen Bezug zu nehmen. Weitere Informationen zu Abbildungen finden Sie in Kapitel Ab‐ bildungen und Visualisierung von Daten. Die Interpretation und Wertung der Ergebnisse geschieht in der Diskussion und sollte im Ergebnisteil höchstens insofern erfolgen, als es für das Verständnis im weiteren Verlauf des Haupttextes wichtig ist, z.-B.: Ergebnis ABC aus Versuch 1 deutet auf XYZ hin. Um XYZ zu verifizieren wurde im Anschluss Versuch 2 durchgeführt. Um Bewertungen oder Interpretationen im Ergebnisteil zu vermeiden, können Sie nach folgenden Ausdrücken und deren Synonymen Ausschau halten und entspre‐ chende Textstellen gegebenenfalls in die Diskussion überführen: überraschenderweise, erstaunlicherweise, unerwartet, wie erwartet Darüber hinaus kann es je nach Versuchsart und Vorgaben des: der Dozent: in nötig sein, Rohdaten z. B. in Tabellenform in den Ergebnisteil mit aufzunehmen oder die Datenanalyse zu erläutern bzw. Rechenwege darzustellen. SCHREIBTIPP: Ergebnisse Achten Sie bei der Beschreibung der Ergebnisse darauf, folgende Worte und Ausdrücke zu vermeiden, die häufig mit unpräzisen Angaben einhergehen: mehr, weniger, große/ kleine Unterschiede, ein bisschen, sehr, wenig, viel, relativ, stark. Verwenden Sie wo immer möglich Angaben wie Prozent, Volumen, Gewicht und Konzentration mit den entsprechenden Einheiten. Diskussion Zu Beginn der Diskussion werden die wichtigsten Ergebnisse üblicherweise kurz zusammengefasst und auf das Ziel des Versuchs und damit auf die Einleitung Bezug genommen: Wurde die Fragestellung durch die Ergebnisse beantwortet? Hier beginnt bereits die Interpretation der Ergebnisse: Statt einfach nur zu berichten, dass die Frage (nicht) beantwortet wurde, sollten Sie Begründungen liefern, z. B. unter Verwendung folgender Formulierung: 2.1 Protokolle von Laborversuchen 361 <?page no="362"?> Ziel des Versuches war die Frage, ob / wie / was … zu beantworten. Das Ergebnis von Versuch xyz bestätigt … / bestätigt nicht …, weil … Im weiteren Verlauf der Diskussion werden die Ergebnisse im Detail interpretiert und bewertet. Je nach Vorgaben sollten Sie dabei Fachliteratur heranziehen und Ihre Ergebnisse in Bezug dazu setzen. Diskutieren Sie bei unerwarteten Ergebnissen mögliche Ursachen und Erklärungsansätze. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass Protokolle nicht danach bewertet werden, ob die Ergebnisse den Erwartungen entsprechen. Vielmehr ist es gerade bei der Interpretation unerwarteter Ergebnisse wichtig, eigenständiges Denken unter Beweis zu stellen. SCHREIBTIPP: Diskussion Sprechen Sie mögliche Erklärungsansätze für unerwartete Ergebnisse im Prak‐ tikum an. Dozent: innen sind in der Abschlussbesprechung in der Regel offen für Diskussionen. Machen Sie sich während des Gesprächs Notizen und/ oder ziehen Sie Literatur hinzu, um im Protokoll Theorien für die Ursache von unerwarteten Ergebnissen aufzustellen und Lösungsvorschläge zu beschreiben. 2. Protokolle schreiben Wo beginnen? Da am Ende des Praktikums die Auswertung der Daten erfolgt, fällt es in der Regel leicht, die Schreibphase mit dem Verfassen der Unterkapitel Ergebnisse und Material und Methoden zu beginnen. Dieses Vorgehen hat zudem den Vorteil, dass Sie den Praktikumsverlauf Revue passieren lassen können. Dabei können Sie unter Umständen Erkenntnisse gewinnen, die für die Einleitung und/ oder die Diskussion hilfreich sind, z. B. wann und wie Sie im Versuchsverlauf von Methoden im Skript abgewichen sind und wie dies Ihre Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Wie beginnen? Kein Protokoll muss auf Anhieb perfekt sein, im Gegenteil: Ein Weg, sich den wissen‐ schaftlichen Schreibstil anzueignen, ist es, den Schreibstil paradoxerweise zunächst zu ignorieren. Achten Sie in der ersten Rohfassung Ihres Textes lediglich auf den Inhalt. Dabei kann es hilfreich sein den Text gedanklich an eine: n Kommilitonen: in zu richten. Überarbeitung Die Rohfassung Ihres Protokolls können Sie mit Hilfe folgender Fragen auf Struktur und Inhalt hin überarbeiten: 362 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="363"?> Kap.-1.3.5 Kap.-1.4.1 ● Inhalt Fehlen Informationen oder gibt es Informationen, die überflüssig oder redundant sind? ● Struktur Sind die Inhalte den entsprechenden Unterkapiteln korrekt zugeordnet? (vgl. oben: 1. Struktur und Inhalte eines Protokolls)? Oder befinden sich z. B. Hintergrundin‐ formationen im Ergebnisteil statt in der Einleitung? Bauen die Informationen in den einzelnen Unterkapiteln logisch aufeinander auf ? Nach Prüfung von Struktur und Inhalt können Sie sich dem wissenschaftlichen Stil zuwenden. Dieser ist von einer sachlichen, präzisen und prägnanten Ausdrucks‐ weise geprägt. Achten Sie daher, am besten in mehreren Überarbeitungsrunden, jeweils gesondert auf folgende Punkte: ● Präzision Nennen Sie Ihre Reagenzien, Proben und Gerätschaften beim Namen, liefern Sie präzise Angaben zu Mengen und Konzentrationen unter Verwendung der jeweiligen Einheiten und beschreiben Sie Ihre Beobachtungen detailliert (vgl. Beispiel oben im Unterkapitel „Ergebnisse“). Beachten Sie die Nomenklatur von Genen und Proteinen, die ja nach Spezies verschieden sein kann. ● Prägnanz Entfernen Sie Füllwörter, die Ihre Sprache aufweichen, wie z.-B. sozusagen, eigentlich, auch, gewissermaßen, regelrecht, überhaupt. Vermeiden Sie den Nominalstil und verwenden Sie stattdessen Verben, z.-B.: eine Analyse durchführen, eine Beobachtung machen stattdessen: analysieren, beobachten ● Sachlichkeit Vermeiden Sie Umgangssprache, z.-B.: Bei der Messung ist alles glatt gelaufen. stattdessen: Die Messung ist ordnungsgemäß verlaufen. Im letzten Schritt können Sie das Protokoll auf Rechtschreibung und Grammatik hin überarbeiten. Vor der Abgabe sollten Sie prüfen, ob alle Vorgaben und Formalitäten eingehalten wurden. Weitere Informationen zur effektiven Überarbeitung von Texten und zum wissen‐ schaftlichen Schreibstil finden Sie in den Kapiteln Überarbeitung und Wissen‐ schaftssprache. 2.1 Protokolle von Laborversuchen 363 <?page no="364"?> Kap.-1.4.2 und 1.4.3 Kap.-1.3.4 Deutsch oder Englisch? In manchen Fachbereichen haben Sie nach einem Praktikum die Wahl, das Protokoll entweder auf Englisch oder auf Deutsch zu verfassen. Wir möchten Sie dazu ermutigen, die englische Variante zu wählen: Mit der Wissenschaftssprache Englisch müssen Sie sich früher oder später ohnehin vertraut machen. Betrachten Sie daher das Schrei‐ ben von englischsprachigen Protokollen als erste Übungsschritte - zumal auch von Dozent: innenseite in der Regel kein perfekter englischer Stil von Ihnen erwartet wer‐ den wird. Feedback Wenn Sie die Überarbeitung beendet haben oder auch für den Fall, dass Sie beim Schreiben oder der Überarbeitung ins Stocken geraten, lohnt es sich Feedback von Ihren Praktikumskolleg: innen einzuholen. In vielen Fällen werden Versuchspraktika und die Erstellung der dazugehörigen Protokolle ohnehin in Partner: innen- oder Gruppenarbeit durchgeführt, so dass Sie sich das Schreiben des Protokolls aufteilen und nach gegenseitigem Feedback die einzelnen Textteile zu einem inhaltlich-strukturell und stilistisch einheitlichen Text zusammenführen können. Achten Sie darauf, dass Sie sich beim Feedbackgeben rein sachlich auf den Text beziehen. Feedbackgeber: innen können sich außerdem an den Punkten orientieren, die im Unterkapitel „Überarbeitung“ gennant sind, um zu prüfen, ob alle Anforderungen an Inhalt, Struktur und Stil im Text erfüllt sind. Weitere Informationen zum Thema Feedback finden Sie in Kapitel Feedback. 364 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="365"?> Kap.-1.5.1 2.1.2 Protokolle in der Chemie Christian Buchsbaum und Eva Kaufholz-Soldat Wie in allen empirischen Wissenschaften dienen Protokolle in der Chemie dem Nachweis, die (ordnungsgemäße) Durchführung des Versuchs zu belegen. Durch das Protokoll wird nachvollziehbar, wie Resultate erzielt wurden und weshalb es gegebenenfalls zu Unstimmigkeiten und/ oder Fehlern gekommen ist. Zusätzlich stellen Protokolle häufig eine Bewertungsgrundlage dar. Grundlage für die Erstellung eines Protokolls sind dabei in der Chemie üblicherweise die Aufzeich‐ nungen in einem sogenannten Laborbuch. Diese spezielle Textsorte wird in Kapitel 1.5.1 ausführlich besprochen, so dass hier nur kurz die wichtigsten Punkte genannt werden sollen, bevor wir uns den Protokollen widmen. Laborbuch Das Laborbuch, häufig auch als Laborjournal bezeichnet, enthält Eintragungen, die in allen Stadien der Versuchsdurchführung entstehen und dient so später als Gedächtnisstütze für die Erstellung des Protokolls. Während also das Protokoll den durchgeführten Versuch reproduzierbar macht, ermöglicht das Laborbuch zusätzlich die Genese des Versuchs, also alle Begleitumstände nachzuvollziehen. Dies hat zwei Konsequenzen. Zum einen müssen Sie garantieren, dass keinerlei Informationen unterschlagen werden. Daher ist es notwendig, dass es sich bei Ihrem Laborbuch um ein festgebundenes Buch mit durchnummerierten Seiten handelt, aus dem keine Seiten entfernt werden dürfen. Fehlerhafte Eintragungen, die nicht berücksichtigt werden sollen, werden durchgestrichen. Sie ermöglichen gegebe‐ nenfalls das Nachvollziehen des eigenen Gedankenganges. Es sei hier sicherheitshalber ausdrücklich erwähnt, dass Korrekturflüssigkeiten oder dergleichen tabu sind, ebenso wie die Verwendung von nicht-dokumenten-echten Stiften wie Bleistiften. Das Einkleben von Diagrammen, Fotos von Versuchsaufbauten oder Spektren ist selbstverständlich erlaubt. Alle Überlegungen, Rechnungen, Messwerte, Beobachtungen etc. werden im Laborjournal handschriftlich mit Datum vermerkt. Sämtliche Begleitumstände nachvollziehbar zu machen bedeutet zum anderen, dass das Labor, in dem der Versuch gerade durchgeführt wird, keineswegs der ideale Ort ist, um mit dem Führen eines Laborbuchs zu beginnen. Stattdessen sollten sich die ersten Eintragungen mit der Vorbereitung des Versuchs beschäftigen, also beispielsweise relevante Auszüge aus der Literatur, Überlegungen zum Zweck bzw. im universitären Umfeld Lernziel des Versuchs und möglicherweise auch unklare Punkte enthalten, die Sie mit den Praktikumsverantwort‐ lichen im Vorfeld klären wollen. So schaffen Sie eine Grundlage, um das theoretisch zu erwartende Ergebnis im Nachgang mit dem von Ihnen erzielten abzugleichen. Aus dem gleichen Grund sollten Sie im Laborbuch die Reaktionsgleichungen, auch wenn sie in der Versuchsanleitung nicht explizit gefordert werden, ausformulieren. Um bei Abweichungen des erzielten Resultats vom theoretisch zu erwartenden, also Ursachen für mögliche Widersprüche und/ oder Fehler, zu bestimmen, sollten Sie so bald 2.1 Protokolle von Laborversuchen 365 <?page no="366"?> 107 Nicht selten lässt sich dadurch der Wissensstand des: der Protokollant: in einschätzen, beispielsweise anhand von Aussagen wie Mangan(II)sulfat gab es nicht, daher nahmen wir MnSO 4 . Kap.-1.3.2 wie möglich nach der Durchführung des Versuchs alle relevanten Informationen und Ergebnisse im Laborbuch so vollständig wie nötig und so knapp wie möglich notieren. Der: die Experimentator: in muss dabei selbst lernen einzuschätzen, welche Informationen relevant genug sind, um im Laborjournal vermerkt zu werden. Zum Beispiel ist es selten notwendig, die Außentemperatur und Luftfeuchtigkeit festzuhalten, es sei denn, der Versuch findet im Freien unter Einhaltung eines bestimmten Luftfeuchtigkeitsbereichs statt. Falls Sie sich unsicher sind, notieren Sie am Anfang lieber zu viel als zu wenig! Offensichtlich enthält ein gut geführtes Laborbuch mehr Informationen als schluss‐ endlich für das Protokoll benötigt werden, Sie müssen also destillieren! Versuchsprotokoll Nach Abschluss der Versuchsdurchführung wird aus der Versuchsanleitung und den Eintragungen aus dem Laborjournal das Protokoll angefertigt. Unabhängig davon, ob es sich um ein Protokoll mit wenigen Seiten handelt, einen um‐ fangreichen Praktikumsbericht oder das Protokoll einen Bestandteil der Abschlussarbeit darstellt, sollte die Darstellung dem sogennanten IMRaD-Schema folgen, das aus Einlei‐ tung, Methoden und Grundlagen, Resultaten und Schlussteil besteht. In der Regel wird bei einfachen Versuchsprotokollen auf die Einleitung verzichtet, nicht jedoch bei ausführliche‐ ren Berichten oder Abschlussarbeiten, auf die wir im Anschluss kurz eingehen. Sollten Sie keine Einleitung schreiben müssen, sollen Sie die Versuchsbezeichnung im Methoden- und Grundlagenteil nennen. Diese kann meistens aus der Versuchsanleitung übernommen werden, ebenso wie die verwendeten Materialien, auf die Sie neben den theoretischen Grundlagen und dem Versuchsaufbau in diesem Teil eingehen sollten. Je nach Umfang bietet es sich an, hierfür eigene Unterkapitel anzulegen. Dies gilt auch für die Versuchsdurchführung, die Sie auch weitestgehend in der Versuchsanleitung beschrieben finden sollten, wobei sie je nach Studienfortschritt detalliert („Verwenden Sie ein 250-mL-Becherglas, zwei Reagenzgläser und eine Porzellanschale.“) oder allgemein („In einer Gasentwicklungsapparatur wird Chlorgas erzeugt.“) gehalten sein kann. Abweichungen von der vorgegebenen Durchführung müssen in jedem Fall kenntlich gemacht werden. 107 Der Resultateteil wird in zwei Unterkapitel aufgeteilt, die keinesfalls miteinander vermischt werden dürfen. Zum einen stellen Sie die Beobachtung der Versuchsergeb‐ nisse vor. Dies können Auswaagen, Einwaagen oder Messungen des Luftdrucks sowie alle sinnlichen Wahrnehmungen sein. Denken Sie daran, dass Ihre Augen nicht die einzigen relevanten Sinnesorgane sind, denn auch ein Geruch oder ein lauter Knall sind eine Beobachtung, die genannt werden sollte! Seien Sie bei Ihrer Beschreibung so objektiv wie möglich und nennen Sie wirklich nur, was zu beobachten war: „Es entstand ein Gas.“ ist eine Beobachtung, „Es entstand Knallgas.“ hingegen eine Inter‐ pretation, die nachgewiesen werden muss. Eine solche Aussage, nebst der zugehörigen Begründung („Bei dem entstandenen Gas handelt es sich um Wasserstoff. Es wurde 366 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="367"?> mittels Knallgasprobe nachgewiesen.“) sollte erst in der sich daran anschließenden Auswertung stehen, in der Sie die Ergebnisse interpretieren, Beobachtungen erklären und eben mögliche Nachweise für Reaktionsprodukte aufführen. Erinnerung: Beobachtung und Auswertung dürfen keinesfalls vermischt werden! Abschließend folgt der Schlussteil, in dem die interpretierten Ergebnisse zunächst noch einmal kurz zusammengefasst und anschließend in den übergeordneten Kontext eingeordnet und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Diese Trennung zwischen Auswertung und Diskussion kann in Kurzprotokollen verschwimmen, wobei sich eine Trennung auch deshalb anbietet, weil hier eine Diskussion möglicher Fehlerquellen erfolgen sollte. Die Anweisung hierzu versteckt sich in der Versuchsanleitung häufig hinter einem geforderten Vergleich von Mess- und Literaturwert, der von Studierenden gerne knapp mit der Feststellung, der Wert sei größer oder kleiner als der erwartete, beantwortet wird. Doch dies ist nicht ausreichend. Vielmehr wird erwartet, dass Sie Hypothesen darüber aufstellen, warum Sie eine Abweichung festgestellt haben: Ist die Quelle für den Literaturwert zuverlässig? Liegt ein Messfehler vor? Wurde der Versuch ordnungsgemäß durchgeführt oder gab es beispielsweise aufgrund von fehlenden Utensilien oder Materialien Abweichungen? Praktikumsbericht/ Abschlussarbeit Die bisher dargestellte Protokollstruktur lässt sich auf umfangreichere Protokolle und Abschlussarbeiten übertragen. Hier wird jedoch nicht auf die Einleitung verzichtet, die nicht nur einen Überblick über die gesamte Arbeit einschließlich der erzielten Ergebnisse bieten soll. Vielmehr muss die Motivation hinter der Arbeit aufgezeigt werden: Wieso wurden die Versuche durchgeführt? Welche Lücke in der Forschungs‐ literatur soll geschlossen, welche Hypothese überprüft werden? Welche Methode wird verwendet und wieso eignet sie sich, um genau dieser Frage nachzugehen? Auch der Schlussteil fällt in Praktikumsberichten und Abschlussarbeiten länger aus. Neben der Zusammenfassung und Diskussion möglicher Fehlerquellen wird die Nennung von möglichen Anknüpfungspunkten für weiterführende Arbeiten erwartet. Viele Studierende zögern an dieser Stelle und befürchten, dass sich das Aufzählen von all dem, was noch möglich gewesen wäre, negativ auf ihre Note auswirkt. Aber sofern es sich nicht um wirklich innerhalb der gegebenen Zeit und Möglichkeiten einfach umsetzbare Aspekte handelt, ist meistens das Gegenteil der Fall: Das Aufzeigen von weiterführender Forschung ist in der Regel ein Zeichen dafür, dass Sie sich nicht nur intensiv mit Ihrem Thema auseinandergesetzt haben, sondern auch ein Gespür dafür besitzen, was innerhalb gegebener Rahmenbedingungen realisierbar ist. Und dies wird von Korrektor: innen positiv gewertet! 2.1 Protokolle von Laborversuchen 367 <?page no="368"?> Kap.-1.4.1 Eine kleine Faustregel besagt: Wenn man nur Einleitung und Zusammenfassung liest und trotzdem alles über die Arbeit weiß, handelt es sich um eine gute Einleitung und Zusammenfassung. Der Haken daran ist, dass beide Abschnitte einen Umfang von jeweils zwei Seiten nicht überschreiten sollen. Schreibtipps Achten Sie beim Verfassen der Protokolle auf eine angemessene Sprache. In fast allen Arbeitsgruppen wird der klassische, das heißt unpersönliche Stil bevorzugt, in dem die Verwendung von man und ich / wir verpönt ist. Eben so wird ungern gesehen, wenn Sie Labor-Jargon verwenden: Nicht: Die Suspension wurde aufgekocht. Sondern: Die Suspension wurde zum Sieden erhitzt. Wie in allen MINT-Fächern gilt, dass ein Chemieprotokoll idealerweise so kurz, klar und präzise wie möglich formuliert werden sollte. Dies bedeutet zu allererst, dass Sie überlegen sollten, welche Informationen wirklich notwendig sind, damit die Lesenden Ihre Versuchs‐ durchführung nachvollziehen können und welche Sie ruhigen Gewissens unterschlagen dürfen: Zu detailliert: „Das an zwei Stellen abgebrochene und mit konzentrierter Salz‐ säure behandelte Magnesiastäbchen, an welchem überraschenderweise die Probe haftete, wurde mit gebührendem Abstand in die Flamme eines Teclu-Brenners (Bunsen-Brenner waren vergriffen) gehalten, welche sich sogleich orange - genauer: rot-stichig gelb - färbte.“ Besser: „Das Magnesiastäbchen mit der Analysensubstanz wurde in die Flamme gehalten. Die Flamme färbte sich gelb.“ Überprüfen Sie immer, ob Ihre Aussagen möglicherweise missverständlich sind: Nicht: Das Becherglas wurde auf einem Drahtnetz stehend erhitzt. Sondern: Das auf einem Drahtnetz stehende Becherglas wurde erhitzt. 368 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="369"?> 108 In chemischen Laboratorien ist der Konsum geistiger Getränke aus Sicherheitsgründen nicht gestattet. 109 Onlinversionen von Fachbüchern oder Journals können selbstverständlich benutzt werden. Kap.-1.2.5 Kap.-1.2.3 Kap.-1.3.4 Kap.-1.3.5 Missverständnisse entstehen auch, wenn Ihre Bezüge unklar sind. Im Falle der Sätze „Der Niederschlag bildete sich im Abzug des Assistenten. Er war blau.“ ist bestenfalls implizit klar, dass Sie sich wahrscheinlich auf den Niederschlag beziehen und nicht auf den Abzug oder gar den Assistenten 108 . Achten Sie auch darauf, dass die Verben und Objekte sinnvoll zusammenpassen: Nicht: Mit Hilfe eines Bunsenbrenners lässt sich ein Glühen erkennen. Sondern: Mit Hilfe eines Bunsenbrenners konnte der Draht zum Glühen ge‐ bracht werden. Wichtig ist auch, dass Sie das richtige Tempus verwenden: Ereignisse, Handlungen, Beobachtungen etc. sind abgeschlossen, weshalb Sie das Präteritum („Es knallte.“ - und danach war Ruhe) oder das ebenfalls akzeptierte Perfekt („Es hat geknallt.“) verwenden sollten. Verben, die sich auf Eigenschaften, Beziehungen, Folgerungen etc. beziehen, stehen im Präsens („Bei Natrium handelt es sich um ein weiches Metall.“ - das ist es auch heute noch). Auch wenn es in der Versuchsanleitung nicht explizit erwähnt wird, werden Quellenangaben zu allem erwartet, was Sie aus der Literatur übernehmen, da es sich sonst um ein Plagiat handelt. Verwenden Sie dazu vorzugsweise Fachpublikationen wie in wissenschaftlichen Verlagen erschienene Bücher oder Fachzeitschriften, da sich Onlinequellen wie Wikipedia zwar eignen, um sich in ein Thema einzulesen, für eine wissenschaftliche Zitation aber nicht geeignet sind. 109 Der Zitierstil wird sehr unterschiedlich gehandhabt. In der Chemie wird gerne der Stil des Journal of the American Chemical Society (Labor-Jargon: „JACS“) verwendet, in der Festkörperchemie hingegen sehr gerne der Stil der Zeitschrift für Kristallographie (Labor-Jargon: „ZKrist“). Im Zweifel sollten die Gepflogenheiten der jeweiligen Arbeitsgruppe beachtet werden. Bedenken Sie auch, dass ein gutes Protokoll nach der Verschriftlichung noch einmal gegengelesen und bei Bedarf korrigiert werden sollte. In Bezug auf inhaltliche Fragen ist es sinnvoll, eine: n Kommiliton: in über den Text schauen zu lassen; es bietet sich gerade bei Praktika an, sogenannte Feedback-Tandems zu bilden, bei denen Protokolle wechselseitig gefeedbackt werden. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Überarbeitungs‐ techniken, die Sie selbstständig anwenden können. Denken Sie immer daran, dass das beste Ergebnis schlecht(er) bewertet wird, wenn es nicht angemessen präsentiert wird! 2.1 Protokolle von Laborversuchen 369 <?page no="370"?> 2.1.3 Protokolle in der Meteorologie Katharina Maurer Der folgende Beitrag enthält Hinweise zur Vorbereitung auf Praktikumsversuche, Tipps bei der Durchführung und eine Orientierung bei der Ausarbeitung und Gestal‐ tung des Auswerteprotokolls. Bitte beachten Sie, dass dieser Leitfaden in Zusammenarbeit mit Dozierenden und Praktikumsbetreuer: innen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entstanden ist und persönliche Erfahrungen und Vorlieben enthält. Jede Fakultät oder gar jede: r Dozent: in hat eigene Vorstellungen, was zum Beispiel die Formatierung betrifft. Im meteorologischen Anfängerpraktikum am KIT werden die folgenden zehn Versuche durchgeführt (Stand 2022): 1. Temperatur 2. Feuchte 3. Bodenwärmestrom 4. Wolken 5. Niederschlag 6. Aerosole 7. Strahlung 8. Druck 9. Wind 10. Pilotballon Die Versuche finden sowohl in den Praktikumsräumen des KIT als auch im Freien auf dem Gelände des KIT oder im Schlosspark statt. In den Praktikumsräumen sind die größeren Messgeräte, wie der Windkanal (Versuch 9), die Sandkiste für die Messung des Bodenwärmestroms (Versuch 3) oder das Gasthermometer (Versuch 1) fest installiert. Kleinere Messgeräte werden an jedem Versuchstag von den Versuchsteilnehmer: innen aufgebaut. Die Vorbereitung eines Versuchs Meist wird Ihnen eine Mappe für die Vorbereitung des Versuchs zur Verfügung gestellt. Darin enthalten ist eine Einleitung, die den Versuch in einen thematischen Kontext ein‐ ordnet, gefolgt von einer ausführlichen Erläuterung der theoretischen Grundlagen. In einer anschaulichen Versuchsbeschreibung, oft mit Abbildungen, werden im Anschluss die Versuchsziele, der Aufbau der Messgeräte und die Durchführung der einzelnen Messungen im Detail beschrieben. Hier wird auf etwaige Anforderungen hingewiesen, auf die Sie beim Messaufbau oder der Durchführung achten müssen. Am Ende der 370 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="371"?> Vorbereitung finden Sie häufig Fragen zum Selbsttest. Diese müssen nicht schriftlich bearbeitet werden, helfen aber dabei, zu kontrollieren, ob Sie den Versuch grundsätzlich verstanden haben. In der Vorbereitungsphase empfiehlt es sich, die Versuchsdurchführung genau durchzuarbeiten und bereits eine Vorlage für das Messprotokoll zu erstellen. Dies erleichtert die saubere und übersichtliche Darstellung der Messergebnisse während des Versuchs. Hier ist zu beachten, dass ausreichend Platz für Kommentare zu Umge‐ bungsbedingungen und Beobachtungen während der Messung vorhanden ist. Die Durchführung des Versuchs Zu Beginn des Versuchs überprüft der: die Praktikumsbetreuer: in meist, ob die Studie‐ renden sich im Vorfeld mit dem Versuch beschäftigt haben und ob sie die Grundlagen verstanden haben. Hier zahlt es sich aus, sich in der Vorbereitung mit den Testfragen auseinandergesetzt zu haben. Diese Abfrage zu Beginn soll keineswegs verunsichern, sondern gewährleisten, dass alle Aspekte des Versuchs verstanden wurden. Dies ist essentiell vor allem bei der Auswertung im Anschluss an die Messungen. Etwaige Verständnisfragen sollten jetzt gestellt werden. Sind alle Fragen geklärt und, wenn notwendig, alle Sicherheitshinweise erläutert worden, können Sie mit der Durchführung des Versuchs beginnen. Der Aufbau und die Durchführung sollen selbständig erfolgen. Der: die Betreuer: in gibt aber, wenn notwendig, Hilfestellung. Vor jedem Versuch müssen Gerätenummern oder Hersteller notiert werden, um die Vergleichbarkeit der Daten mit anderen Ver‐ suchsreihen zu gewährleisten. Führen Sie die Messungen nach Anweisung konzentriert durch, notieren Sie die Messergebnisse sorgfältig und vermerken Sie Besonderheiten (z. B. das Öffnen der Tür zum Praktikumsraum bei der Feuchte- oder Temperaturmes‐ sung; das Berühren eines Temperaturfühlers mit der Hand; …). Meist genügt ein Messprotokoll auch dann, wenn der Versuch in einer Gruppe durchgeführt wird und jeder Teilnehmer sein eigenes Auswerteprotokoll abgibt. Konzentrieren Sie sich deshalb auf ein Exemplar. Je sauberer Sie das Messprotokoll führen, desto leichter wird Ihnen später das Erstellen der Auswertung fallen. Das Praktikumsprotokoll Die folgenden Vorschläge stellen eine Hilfe zur Formatierung und Gestaltung der Protokolle im meteorologischen Praktikum am Karlsruher Institut für Technologie dar. Bitte klären Sie vorab mit Ihrer Betreuerin oder Ihrem Betreuer, ob an Ihrer Universität/ Fakultät andere Regeln gelten. Inhalt Ein vollständiges Praktikumsprotokoll enthält eine Auswertung und ein Messproto‐ koll. Es beginnt mit einem Deckblatt, das die Versuchsbezeichnung, das Datum der 2.1 Protokolle von Laborversuchen 371 <?page no="372"?> Kap.-1.3.2 Kap.-1.5.3 Durchführung und den Namen der Erstellerin oder des Erstellers und ihrer/ seiner Gruppenmitglieder enthält. Als nächstes folgt ein Inhaltsverzeichnis, um die Gliederung der Auswertung darzu‐ stellen. Darauf folgt eine Beschreibung der Versuchsdurchführung einschließlich der Versuchsziele und des Aufbaus. Notwendige Rechnungen sollen in nachvollziehbaren Schritten angegeben werden. Diese Beschreibung ähnelt in der Art der Versuchsbe‐ schreibung aus der Vorbereitungsmappe, ist aber weniger ausführlich. Eine Grund‐ regel beim Verfassen eines Protokolls ist, dass Sie davon ausgehen können, dass die Leser: innen Vorkenntnisse im Bereich der Praktikumsthemen haben. Nun beginnt die eigentliche Auswertung der erhobenen Daten. Dazu gehört zunächst die Darstellung der Messwerte in einer Tabelle. Je nach Umfang der erhobenen Daten, bietet es sich an, die gesamte Tabelle in den Anhang zu verschieben und nur eine Übersichtsgrafik im Hauptteil anzubieten. Anhand dieser Übersichtsgrafik, die die wichtigsten Aussagen anschaulich zeigt, beschreiben Sie die Messergebnisse. Nach der ausführlichen Beschreibung der Ergebnisse folgt eine qualitative Fehlerbetrachtung, die die Basis für eine korrekte Interpretation darstellt. Im Anhang des Protokolls muss neben dem Messprotokoll eine unterschriebene Eigenständigkeitserklärung eingefügt sein, mit der Sie bestätigen, dass Sie sich an die Vorgaben zu guter wissenschaftlicher Praxis halten. Es empfiehlt sich, das Original Messprotokoll oder eine Kopie davon zu verwenden und auf eine abgetippte Version zu verzichten, da man bei der Übertragung der Messwerte sehr leicht Fehler machen kann und darunter die Nachvollziehbarkeit leidet. Format Das Praktikumsprotokoll sollte in Blocksatz verfasst werden und Seitenzahlen enthal‐ ten. Die Schriftart ist dabei frei wählbar, die Lesbarkeit sollte aber nicht beeinträchtigt sein. Nutzen Sie Abbildungen oder Tabellen im Text, so ist auf aussagekräftige Abbil‐ dungsunter- und Tabellenüberschriften zu achten, die jeweils mit einem Satzzeichen beendet werden. Achten Sie auch auf die korrekte Beschriftung der Achsen in Ihren Abbildungen. Die Achsen benennen die dargestellte Größe und die Einheit der Größe. Beispiel: x-Achse: Windgeschwindigkeit in m s -1 Y-Achse: Höhe über Grund in m Abb. 1: Betrag des Windvektors in Abhängigkeit von der Höhe über Grund. Verwenden Sie nur Abbildungen und Tabellen, auf die Sie im Text auch eingehen und auf die Sie verweisen. Je nachdem, in welcher Sprache Sie das Protokoll verfassen, verwenden Sie als Dezimaltrennzeichen ein Komma (Deutsch) oder einen Punkt (Eng‐ 372 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="373"?> Kap.-1.2.5 Kap.-1.4.1 lisch). Bitte beachten Sie außerdem bei der Angabe von Zahlenwerten, dass zwischen Zahlenwert und Einheit und zwischen den einzelnen Einheiten ein Leerzeichen steht. Einheiten werden aufrecht geschrieben. Beispiel: Der Schlitten wird mit einer Geschwindigkeit von v = 4,5 m s -1 bewegt. Wichtig ist, dass sämtliche Quellen vollständig und korrekt angegeben werden. Sprache Auch wenn der Fokus bei einem naturwissenschaftlichen Praktikum in erster Linie auf den Erkenntnissen liegt, die man aus den Messwerten ableiten kann, so ist es doch unerlässlich, dass Sie sich bei der Ausformulierung und der Rechtschreibung Mühe geben. Formulieren Sie Ihre Beobachtungen oder Thesen präzise und vermeiden Sie abschwächende Füllwörter. Beispiel: Der Anstieg der Temperatur verläuft einigermaßen gleichmäßig während des gesamten Versuchs. Der gemessene Feuchtewert schwankt meist zwischen X und Y. Beschreiben Sie die Versuchsdurchführung, Ihre Beobachtungen und Ihre Auswertung in sachlichem und neutralem Stil. Phrasen wie ● … es ist klar, dass…, ● … während des Versuchs herrschte schlechtes Wetter… ● … sind zu vermeiden. Damit das Protokoll nicht unnötig umfangreich wird, sollten Sie versuchen, die Informationsdichte zu maximieren. Langwierige Herleitungen von Gleichungen, die bereits in der Vorbereitungsmappe ausführlich dargestellt wurden, müssen nicht wiederholt werden. Machen Sie sich immer klar, dass Sie davon ausgehen können, dass der Wissensstand der Leser: innen ungefähr dem Ihren entspricht. Legen Sie Wert auf physikalische Fachsprache, um die Zusammenhänge klar darzustellen und versuchen Sie, Ihre Beobachtungen nicht aus der „Ich“-Perspektive zu beschreiben. 2.1 Protokolle von Laborversuchen 373 <?page no="374"?> Ein Tipp am Ende: „Das Praktikum im Studium ist dafür da, die naturwissenschaftliche Diskussion und Logik zu lernen. Niemand erwartet, dass Sie das von Anfang an können.“ (Ein Praktikumsleiter des IMK) 374 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="375"?> 110 Ich danke Annika Schichtel, Lina Eicke-Kanani und Jonas Schweitzer für den ersten Entwurf, aus dem dieses Kapitel entstand. Sie alle haben als Peer-Tutor: innen am Schreibzentrum am Riedberg der Goethe Universität Frankfurt am Main gearbeitet. 111 Es werden natürlich auch Übungsaufgaben gerechnet, die auf die mathematischen oder theoretischen Teile der Abschlussarbeit vorbereiten. Diese sind jedoch vorstrukturiert und es werden keine Ausführungen in Textform verlangt. 112 Diese Anforderung gilt möglicherweise nicht für alle Hochschulen und Praktika. Die Erfahrungen der Autorin gelten für das Karlsruher Institut für Technologie. 2.1.4 Protokolle in der Physik Sarah Herfurth 110 Obwohl Protokolle im Fachbereich Physik häufig die einzige Übung 111 wissenschaftli‐ chen Schreibens vor der Abschlussarbeit sind, werden die Studierenden dabei lediglich fachlich begleitet. Eine Unterstützung hinsichtlich des korrekten Ausdrucks und Stils, der Struktur oder andere Aspekte des wissenschaftlichen Schreibens fehlt meist. Aus diesem Grund bietet das folgende Kapitel einen Überblick über die Bestandteile eines Protokolls, über die relevanten, zu beschreibenden Informationen und über Anforderungen an die Logik des Textes. Wir stützen uns auf Erfahrungsberichte der Studierenden aus dem Fachbereich Physik bzw. auf eigene Erfahrungen, erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständig‐ keit. Jede Hochschule wird Versuchspraktika wahrscheinlich anders anlegen und die Anforderungen entsprechend unterschiedlich stellen. Zu beachten ist zudem: Jede: r Versuchs-/ Praktikumsbetreuende hat eigene Anforderungen und Vorstellungen von einem gelungenen Protokoll, die am besten vor dem Schreiben thematisiert werden. Warum Protokolle? Physikstudierende führen im Rahmen des Studiums Standardversuche durch. Diese sind sowohl bezüglich der Durchführung als auch bezüglich der Ergebnisse hinlänglich bekannt und somit bewertbar. Denn einerseits handelt es sich hierbei um Prüfungs‐ leistungen, andererseits ermöglichen diese Standardversuche es den Studierenden in einem engen Zeitrahmen (von 30 Minuten bis zu einem Nachmittag) ein reproduzier‐ bares Ergebnis zu erzeugen. Die Studierenden bekommen so einen ersten Einblick in das wissenschaftliche Arbeiten: Sie müssen sich die Theorie erarbeiten und gegebenenfalls die für den Versuch relevanten Aspekte, sowie die Versuchsdurchführung bereits vor dem Prakti‐ kumstermin schriftlich festhalten 112 . Des Weiteren lernen sie hier eine reproduzierbare Versuchsdurchfürung und Messdatenaufnahme zu verschriftlichen, die Ergebnisse unter Berücksichtung der gegebenen Rand- und Anfangsbedingungen auszuwerten und schließlich Erkenntnisse basierend auf den Ergebnissen abzuleiten. Die Standardversuche wurden schon von vielen Generationen von Studierenden durchgeführt. Das heißt, es gibt bei korrekter Durchführung keine Überraschungen 2.1 Protokolle von Laborversuchen 375 <?page no="376"?> 113 Studierende tendieren oft dazu, nicht oder nicht ausreichend zu begründen, was genau und warum sie es machen. Wir sehen einen Grund dafür in der mangelnden Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und in die damit einhergehenden Gepflogenheiten der Nachvollziehbarkeit und der lückenlosen, logischen Beweisführung. 114 Nach Kruse 2017 Kap.-1.5.2 hinsichtlich der Ergebnisse und der daraus abzuleitenden Erkenntnisse. Nichtsdesto‐ trotz ist auch bei Standardversuchen fachliche und sprachliche Präzision gefragt, denn in der Wissenschaft sind folgende Aspekte immer relevant: ● korrekt verwendete Methodik ● korrekt beschriebener Stand der Wissenschaft/ Technik ● die Glaubwürdigkeit des Geschriebenen - durch textimmanente Logik (und Quel‐ len) 113 Welche Funktion hat ein Protokoll? Ein fertiges Protokoll funktioniert gewissermaßen wie eine Argumentation. Damit wir das nachvollziehen können, schauen wir uns zunächst einige rhetorische Elemente des Argumentierens 114 an: Eine sprachliche Verknüpfung von Aussagen mit den folgenden inhaltlichen Baustei‐ nen wird Argument genannt: ● These Im wissenschaftlichen Kontext ist dies eine strittige oder zu beweisende Behaup‐ tung. ● Argument begründet die Plausibilität der These. ● Beleg stützt das Argument und belegt durch Quellen seine Gültigkeit. ● Schlussfolgerung fasst die Bedeutung der Argumentation zusammen und zeigt auf welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen. Wie funktioniert das nun in einem Protokoll? Die zugrundeliegende Eingangsthese - die Behauptung oder Fragestellung - for‐ mulieren Sie ausführlich in der Einleitung (vgl. den folgenden Abschnitt). Andere Teile des Protokolls beziehen sich auf diese Eingangsthese oder fassen sie zusammen. Zudem enthält die Einleitung den aktuellen Forschungsstand - also Fakten, die Sie außerhalb der eigenen experimentellen Arbeit, d. h. in der Literatur, finden. Die Methodik enthält ebenfalls Fakten, da Sie hier die Vorgehensweise innerhalb des Protokolls und möglicherweise auch in anderen Arbeiten beschreiben. Darüber hinaus beantworten Sie in der Methodik die Frage, warum Sie so wie beschrieben vorgehen. Eigene Belege, im Sinne von Messwerten, zeigen Sie schließlich im Ergebnisteil (vgl. 376 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="377"?> 115 Details zur IMRaD-Struktur im Allgemeinen und den einzelnen Kapiteln darin erhalten Sie im Kapitel Gliederung. Weitere Ausführungen zur IMRaD-Struktur in Protokollen des Fachbereichs Physik finden Sie in den Online-Materialien. 116 Dies bezieht sich auf die Goethe-Universität in Frankfurt. Kap.-1.3.2 Kap.-1.4.1 folgender Abschnitt), der somit hauptsächlich der Faktengrundlage des Protokolls dient. Die Struktur eines Protokolls Ein Protokoll im Fachbereich Physik wird nach der IMRaD-Struktur geschrieben. IMRaD ist ein englisches Akronym für Introduction, Methods, Results and Discussion. Zu Deutsch heißt das: Einleitung, Methoden, Ergebnisse und Diskussion. Oft werden in dem Methodenteil der IMRaD-Struktur auch benötigte Materialien, fachliche Grund‐ lagen oder ein Theorieteil abgehandelt bzw. der Methodenteil wird gleichwertig durch Grundlagen oder Theorie ersetzt, wo diese besser zum Thema passen. Sich dieser Gliederungsstruktur zu bedienen hat sich bewährt, da sie - mit der Erweiterung des Methodenteils - alle relevanten Kapitel enthält. Sie erfüllen mit dieser Struktur die Erwartungen Ihrer Leser: innen und das kann für die Bewertung nicht von Nachteil sein. 115 In manchen Fakultäten bzw. von manchen Betreuenden wird ein Aufbau analog zur IMRaD-Struktur explizit erwartet. 116 Formulierungshilfen Sowohl beim Schreiben von Protokollen im Fachbereich Physik, als auch beim Schrei‐ ben von wissenschaftlichen Texten, ist es wichtig, gewisse Dinge bei der Formulie‐ rung zu beachten. Vermeiden Sie Umgangssprache und formulieren sie kurze und prä‐ gnante Sätze. Außerdem müssen Sie alle wissenschaftlichen Aussagen belegen, sofern sie nicht Ihr eigenes Gedankengut sind. Hierbei sei erwähnt, dass in den meisten Fällen Grundlagen, die bspw. in den Vorlesungen der ersten Studiensemester behandelt werden, vorausgesetzt werden können und Sie diese somit nicht belegen müssen. Dazu gehören beispielsweise bekannte Formeln - Mittelwert und Median - oder die Aussage, dass die Formel „E = mc²“ gilt. Vermeiden Sie es, Ihre eigene Meinung zu äußern; sie ist in einem wissenschaftlichen Text fehl am Platz, wählen Sie stattdessen neutrale Formulierungen. Unter Meinungsäußerung verstehen wir hier alle Sätze mit „ich“, „wir“ und „man“ in der Art von: „Ich habe beobachtet …“, „Wir haben herausgefunden …“, „Man überprüft den xx mit dem yy, um …“. Dieser Hinweis gilt für alle Kapitel eines Protokolls und ebenso für weitere wissenschaftliche Arbeiten. Beispiele für neutrale Formulierungen sind: „Die Ergebnisse zeigen …/ der Versuch zeigt …“, „Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass …“, „Der xx wird mit dem yy überprüft, um …“. Im Material- und Methodenteil beachten Sie die Faustregel: ein Satz, eine Aussage. Schreiben Sie keine Endlossätze, mit etlichen Einschüben oder beispielweise auch Ne‐ bensätzen, ergänzt um unnötige Füllwörter, denn so verlieren Ihre Leser: innen den 2.1 Protokolle von Laborversuchen 377 <?page no="378"?> 117 Dieser Satz verdeutlicht die enthaltene Aussage hoffentlich. 118 Verglichen mit dem Literaturwert, zeigen die Messungen eine Abweichung von 1 %. -> Dieser Satz würde wissenschaftlich beschreiben, dass Ihre Messergebnisse gut sind. Gut alleine genügt nicht, da je nach Beurteilungsrahmen gut etwas ganz anderes bedeuten kann. 119 Gut ist eine relative Einschätzung, ebenso wie kalt, warm, groß oder klein. Kalt ist für mich, wenn ich im Winter trotz Skijacke friere. Dann hat es vielleicht -5 °C. Kalt in wissenschaftlichen Kontexten kann aber auch gut und gerne -200-°C bedeuten. Doch wie sollen Sie das dem Ausdruck kalt alleine entnehmen? Gar nicht. Deshalb gehört in eine präzise wissenschaftliche Angabe ein Zahlenwert mit Einheit und ggf. noch der Angabe der Genauigkeit: -200 ± 5 °C. Kap.-1.2.5 roten Faden und können Ihrem Text nicht gut folgen. 117 Außerdem stellen Sie hier die wissenschaftliche Leistung Anderer dar, vergessen Sie also die Belege nicht! Um auch im Ergebnisteil adäquat zu formulieren, ist es wichtig, keine Bewertung der Ergebnisse im Sinne von „Die Messungen waren gut.“ oder „Es hat sich nichts verändert.“ vorzunehmen. Bei solchen Formulierungen fehlt der Vergleichswert, zum Beispiel aus der Literatur 118 und die Frage, was „gut“ genau bedeuten soll, bleibt unbe‐ antwortet 119 . Beschreiben Sie Ihre Ergebnisse neutral. Wählen Sie Formulierungen, die näher auf Ihre Ergebnisse eingehen und sie beschreiben. Ein bloßer Verweis auf eine Tabelle genügt hier nicht. Im letzten Abschnitt eines Protokolls, dem Diskussionsteil, ist es wichtig, dass Sie Ihre Messergebnisse diskutieren, das heißt Sie formulieren, welche Erkenntnisse Sie aus den Ergebnissen ableiten können. Am Ende fassen Sie die gezogene(n) Schlussfol‐ gerung(en) kurz zusammen. Um für die einzelnen Abschnitte eines Protokolls - gegliedert nach der IMRaD- Struktur - leichter passende Formulierungen zu finden bzw. unpassende zu erkennen, sind in der folgenden Tabelle 2.1.1 einige Textbeispiele aufgelistet. Tab. 2.1.1: Eine tabellarische Zusammenstellung der zu verwendenden (Mitte) und zu vermeidenden (rechts) Formulierungen in den unterschiedlichen Teilen eines Protokolls (links). Die zu vermeidenden Formulierungen entsprechen dabei Originalzitaten aus Protokollen Studierender. - Vermeiden Sie … Verwenden Sie … Einleitung Ich gehe von der Vermutung aus, dass … Der Versuch basiert auf dem Prinzip von … Ich mache / Wir machen … … ist Gegenstand des Versuchs. Man wird sehen, dass … passiert. Durch diesen Versuch wird gezeigt, dass … Wie wir alle wissen … Ziel des Experiments ist … Material und Metho‐ den Zuerst tut / macht man … Der Versuch wurde mit folgenden Materialien durchgeführt … Wir verwenden die Geräte … Die verwendeten Chemikalien/ Ge‐ räte sind in Tabelle X aufgeführt. 378 2.1 Protokolle von Laborversuchen <?page no="379"?> Kap.-1.2.1 Kap.-1.3.3 Kap.-1.3.5 Kap.-1.3.4 Ergebnisse Unsere Messungen waren gut. Anhand der Statistik / des Schau‐ bilds / der Tabelle / der Skizze wird deutlich, dass … Man sieht … Die Ergebnisse zeigen, dass … Es hat sich nichts verändert. Es ist zu sehen, dass … Hier sind die Ergebnisse: Tabelle X Bei Untersuchungen zu … konnte ge‐ zeigt werden, dass … Diskussion - Die genannten Ergebnisse zeigen Par‐ allelen zu … Wir haben definitiv bewiesen, dass … Daraus lässt sich schließen, dass … Also kann man sagen, dass … Daraus ergibt sich, dass … Der Versuch war genauso gut und genau, wie Versuch X. Verglichen mit den Ergebnissen aus Versuch X zeigt sich, dass … Wir sehen keinen großen Unter‐ schied zum Literaturwert. Verglichen mit dem Literaturwert zeigt sich folgende Abweichung … **Das Negativbeispiel ist ein fehlen‐ der Abschlussatz. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass … - Abschließend ist zu sagen, dass … SOS-Box 1. Womit fange ich nur an? Wir empfehlen mit dem Kapitel Material und Me‐ thoden zu beginnen. Diese Inhalte entstammen Ihrer Literaturrecherche und sind Grundlage für den Versuch. Diese Inhalte stehen außerdem fest und verändern sich nicht durch den Versuch bzw. die Ergebnisse. 2. Schreibschwierigkeiten: Wenn es mit dem Text nicht so flüssig klappt, er‐ lauben Sie sich, eine fehlerhafte erste Version zu schreiben. Alles, was veröffentlicht wird, wurde viele Male überarbeitet, bevor es unmissverständ‐ lich war und ansprechend aussah. Auch dieses Buchkapitel wurde seit dem ersten Entwurf mehrfach überarbeitet und hat sich sehr verändert. 3. Textüberarbeitung: Es fällt Ihnen schwer, Ihren eigenen Text zu überarbeiten? Dennoch sehen Sie die Notwendigkeit zu kürzen oder neu zu strukturieren? Bit‐ ten Sie Kommiliton: innen um Feedback oder ob sie Korrektur lesen würden. Literatur: K R U S E , Otto (2017): Kritisches Denken und Argumentieren. Eine Einführung für Studierende, Konstanz: Huter & Roth. 2.1 Protokolle von Laborversuchen 379 <?page no="380"?> Kap.-1.2.5 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 2.2.1 Exkursionsprotokolle in den Biowissenschaften Julia Sommer Die Vorbereitung Exkursionen sind ein Highlight des Biologiestudiums! Sie geben Ihnen als Studierende die Möglichkeit, ganz unkompliziert und praxisnah Artenkenntnis vor Ihrer Haustüre oder an einem exotischen Exkursionsort sammeln. Dazu sind eine Lupe oder ein Buch (bzw. heute das Handy) zwar hilfreich, aber es werden keine weiteren Hilfsmittel benötigt, im Gegensatz zum Saalpraktikum oder Forschungslabor. Ich persönlich habe in meinem Studium die Exkursionsprotokolle gerne geschrieben, da sie einen großen persönlichen Gestaltungsspielraum bieten, in dem man die eigenen Interessen oder Neigungen einbringen kann. Natürlich gibt es dennoch auch harte Kriterien, die immer erfüllt sein müssen, um ein Protokoll erfolgreich einzureichen. Informieren Sie sich im Vorfeld genau, das erspart Ihnen sowohl unnötige Arbeit wie ggf. auch Korrekturschleifen. Wenn Sie die Auswahl zwischen verschiedenen optionalen Exkursionen haben, empfehle ich Ihnen, hier schon Ihren persönlichen Neigungen nachzugehen und nicht die mit dem vermeintlich geringsten Arbeits- oder Zeitaufwand zu wählen, sondern das Thema oder den Ort, der Sie am meisten interessiert. Dann wird Ihnen das Protokollschreiben mehr Spaß machen, leichter von der Hand gehen und am Ende ein besseres Ergebnis liefern (dies können Sie übrigens auf alle Tätigkeiten übertragen und insbesondere bei der Studien- und Berufswahl sollten Sie sich immer von Ihrem persönlichen Spaß-Faktor leiten lassen. Nur wenn Ihnen etwas Freude macht, werden Sie auch gut darin sein). Wenn Sie sich für eine Exkursion angemeldet haben, sollten Sie vorab so viele Informationen wie möglich sammeln. Das ist auch für Ihre Mitschrift wichtig (siehe unten). Meist gibt es von der Exkursionsleitung Hinweise auf wichtige Literatur, bspw. zu dem Exkursionsgebiet. Je nachdem, ob es eine botanische oder zoologische Exkursion ist, oder ob bspw. Rotalgen oder Pilze das Thema sind, wird eine bestimmte Systematik empfohlen. Diese wird meist auch in der Vorlesung oder dem Praktikum verwendet und ist die Grundlage für Ihre Bestimmungsübungen - machen Sie sich daher gut damit vertraut. Auch für das Protokoll gibt es oft genaue Anweisungen, eine Checkliste oder ein Beispielprotokoll. Sie können auch bei Ihren Fachschaften nachfragen, oft sind dort Protokolle hinterlegt - hier ist jedoch Vorsicht geboten: nicht zwangsläufig sind diese Protokolle besonders gut, außerdem dürfen Sie nicht einfach abschreiben, denn damit würden Sie ein Plagiat anfertigen. <?page no="381"?> Dieses Kapitel soll Ihnen einen Leitfaden für ein gelungenes Protokoll liefern; wir werden uns entlang der üblichen Gliederung den einzelnen Textteilen ausführlich widmen. Die Exkursion Vor dem Schreiben kommt jedoch die Exkursion selbst, und auch für diese sollten Sie sich ausrüsten. Meist bekommen Sie vorab Informationen, was mitzubringen ist. Die folgende Auflistung kann Ihnen Orientierung bieten: ● wetterfeste Kleidung (Regen- oder Sonnenschutz, warme Kleidung, Zwiebel‐ prinzip) ● festes Schuhwerk (! ) ● kleiner Wanderrucksack (möglichst wasserdicht) ● ggf. Sonnencreme oder Mückenmittel (bei Allergiker: innen auch entspre‐ chende Notfallmedikamente) ● Bestimmungsbücher (bzw. -apps) ● Schreibutensilien (fester Block und Bleistift) ● Lupe oder Fernglas ● Taschenmesser (Spaten, Schaufel wenn gefordert) ● ggf. Pflanzenbeutel, Schraubgläser o.ä. zum Sammeln ● Digitalkamera oder Smartphone mit Kamera ● Wasserflasche, ggf. Verpflegung Am Treffpunkt wird Ihnen die Exkursionsleitung eine Einführung zum Thema und zum Exkursionsgebiet geben und auf die Anforderungen des Protokolls hinweisen. Es ist wichtig, dass Sie sich alles notieren. Dazu haben Sie das Schreibmaterial dabei. Häufig tippen die Teilnehmer: innen meiner Exkursionen auch auf einem Tablet oder Smartphone - das ist auch in Ordnung, aufgrund von Regen, starker Sonneneinstrah‐ lung etc. häufig aber eine schlechte Alternative zu Stift und Papier. Ein Bleistift schreibt auch auf durchnässtem Papier, weshalb ich Ihnen dieses Material dringend empfehlen möchte. Sie brauchen eine Kladde oder ein Klemmbrett, das Ihnen beim Schreiben im Stehen als Unterlage dient. Neben den Informationen zum Exkursionsgebiet bzw. Habitat müssen Sie auch die aktuellen Daten in das Protokoll aufnehmen: Datum und Uhrzeit bzw. Dauer der Exkursion sowie Wetterlage (diese kann ggf. während der Exkursion variieren). Insbesondere für zoologische Betrachtungen spielen das Wetter und die Temperatur eine wichtige Rolle. Nach der thematischen Einführung werden Ihnen dann auf der Exkursionsstrecke diverse Pflanzen, Pilze, Tiere (o.ä.) vorgestellt oder Sie werden aufgefordert, die Objekte selbst zu bestimmen (dazu die Bestimmungsbücher). Erstellen Sie unterwegs von 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 381 <?page no="382"?> Kap. 2.1.1 den gefundenen Arten eine vollständige Liste - diese wird später systematisch sortiert ein wichtiger Teil des Protokolls. Die Leitung wird Ihnen wahrscheinlich die wissenschaftlichen Artnamen sowie die Trivialnamen sagen; ich empfehle Ihnen, bei‐ des zu notieren. Wenn Ihnen der wissenschaftliche Name nicht genau buchstabiert wird, finden Sie ihn ggf. nicht wieder - anhand des Trivialnamens können Sie den korrekten Artnamen aber fast immer ausfindig machen. Notieren Sie sich, was Ihnen die Leitung über die jeweiligen Arten, das Habitat etc. erzählt und machen Sie wann immer möglich Fotos, die Sie dann in das Protokoll einfügen können. Wichtig sind dabei der Fundort und die Umgebung, die Sie möglichst mit auf dem Foto festhalten. Es empfiehlt sich auch, in Ihren Notizen die Reihenfolge der Fotos mit Artnamen zu notieren, damit Sie die Fotos später korrekt zuordnen können. Das Protokoll Möglichst zeitnah nach der Exkursion sollten Sie mit der Anfertigung des Protokolls beginnen, da Sie sich jetzt noch am besten an alles erinnern können (mit Sicherheit werden beim Durchsehen Ihrer Aufzeichnungen Fragen aufkommen). Es ist daher empfehlenswert, Kontaktdaten mit den anderen Exkursionsteilnehmer: innen auszu‐ tauschen und sich ggf. in einer Gruppe zu organisieren, in der die gesammelten Informationen ausgetauscht und Fragen geklärt werden können. Sie haben bereits das Wichtigste geklärt, nämlich: ● Wann ist die Deadline zur Abgabe? ● Wo und in welcher Form muss das Protokoll abgegeben werden? ● Welche Anforderungen gibt es an das Format (Umfang, Schriftart etc.)? ● Aufbau und Inhalt des Protokolls. Die Einleitung Wie in anderen Protokollen auch beginnen Sie mit einer thematischen Einleitung. Dabei gehen Sie auf das Exkursionsgebiet und -thema ein. Verwenden Sie Ihre Mit‐ schrift sowie weitere Informationen, die Sie auch dem Internet entnehmen können. Wikipedia gibt meist eine gute erste Übersicht, ich empfehle aber - wo immer möglich - die zitierten Quellen zu überprüfen und direkt mit diesen zu arbeiten. Manche Leh‐ rende akzeptieren auch Wikipedia nicht als Informationsquelle - die dort aufgeführten Quellenangaben können Ihnen trotzdem weiterhelfen. Wenn Sie die Informationen Ihrer Exkursionsleitung wiedergeben, schreiben Sie als Zitation „mündl. Mitteilung Dr. XX“. Diese und alle anderen Quellen zitieren Sie jeweils am Satz- oder Absatzende, in dem die Informationen verwendet wurden. Grundsätzlich gilt: Alle (! ) Quellenangaben müssen im Text gekennzeichnet sein. 382 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="383"?> Übliche Regeln für das Zitieren von Literatur (vgl. Piepenbring M., 2012) Die am meisten verwendete und hier empfohlene Variante ist das Zitieren von Quellen im Text. Dabei werden nur die Autor: innen und das Jahr der Publikation genannt. Dies könnte zum Beispiel so aussehen: „Bromus erectus ist ein typisches Gras einbis zweischüriger Wiesen (Briemle & Ellenberg 1994).“ Oder: „Wie Ellenberg (1996) zeigte, ist Bromus erectus ein typisches Gras einbis zweischüriger Wiesen.“ Bei mehr als 2 Autor: innen wird meist nur die: der erste Autor: in genannt und die weiteren mit et al. (et alii = und andere) abgekürzt. Bspw.: „Die im folgenden Kapitel gemachten Angaben zu Arum maculatum L. sind sämtlich Schubert et al. (1991) entnommen.“ Alle Angaben müssen eindeutig sein. Wenn mehrere Werke derselben Autor: in‐ nen aus demselben Jahr zitiert werden, müssen diese durch Zusätze gekennzeich‐ net werden (bspw.: „Grime 1994a, Grime 1994b“). Die ausführliche Quellenangabe kommt dann in das Literaturverzeichnis (siehe dort). Genaue Angaben zu Datum, Uhrzeit, Wetter und Standort bzw. Verlauf der Ex‐ kursion gehören immer in die Einleitung. Sie können anhand von Google Maps die genauen Standort-Koordinaten ermitteln und im Protokoll angeben. Alternativ können Sie auch einen Kartenausschnitt kopieren, das Exkursionsgebiet markieren und dies als Abbildung einfügen (Quellenangabe nicht vergessen! ). Die Leser: innen des Protokolls sollten in der Lage sein, die Exkursion anhand der angegebenen Daten nachzuverfolgen. Das Thema der Exkursion sollten Sie für den Laien verständlich erklären, bspw. was eine Hartholzaue ist oder den Frühlingswald- oder Trockenrasen-Aspekt. Dabei darf der Umfang der Einleitung bis zu zwei Seiten betragen - berücksichtigen Sie aber unbedingt immer die Anweisungen Ihrer Exkursionsleitung! (Da diese u. U. viele Protokolle Korrektur lesen muss, wünscht sie ggf. ein kürzeres Format.) Schön ist auch ein Übersichtsfoto vom Gebiet, Wald- oder Wegstück im Einleitungs‐ teil. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 383 <?page no="384"?> Die Einleitung sollte umfassen: ● allgemeine Angaben zum Standort und Lebensraum (ca. 1-2 Seiten) ● genaues Ziel der Exkursion ● Datum der Exkursion, Uhrzeit und Wetterverhältnisse! ● geografische und naturräumliche Lage ● Klima, Geologie, Boden ● Landschaftsgeschichte ● Lebensräume und deren Besonderheiten Wenn im Laufe der Exkursion verschiedene Standorte genauer untersucht wurden, soll‐ ten Sie Ihr Protokoll entsprechend gliedern. Nach einer allgemeinen Einleitung können Sie die einzelnen Standorte in einem eigenen Abschnitt genauer beschreiben und die dort gefundenen Arten auflisten. Wenn es einen botanischen und einen zoologischen Exkursionsteil gab, sollten Sie Ihr Protokoll (nach der allgemeinen Einleitung) ebenfalls in einen botanischen und einen zoologischen (mykologischen/ gewässerkundlichen …) Teil untergliedern. Hinweise zu Sprache und Ausdruck Formulieren Sie Ihre Sätze möglichst neutral und wissenschaftlich, vermeiden Sie Emotionen (wie „spannend“, „langweilig“, „spaßig“ etc.) oder persönliche Eindrücke. Diese sind zwar unterhaltsam, gehören aber nicht in ein wissenschaftliches Protokoll. Hinweise wie: „wir waren bis auf die Knochen durchnässt“ oder „leider fanden wir keine Frühblüher mehr“ sollten Sie vermeiden und alternativ schreiben: „Es hat drei Stunden lang stark geregnet“ oder „dieses Jahr war es bereits sehr früh warm und sonnig, so dass sich die meisten Frühblüher zum Zeitpunkt der Exkursion bereits zurückgezogen hatten“. Lassen Sie sich auch nicht dazu verleiten, Pflanzen oder Tieren menschliche Eigenschaften zuzusprechen. Anthropomorphismen sind in unserer Umgangssprache üblich, sollten in wissenschaftlichen Texten aber vermieden werden. Gerade bei Tierbeobachtungen wird gerne geschrieben, dass Tiere „scheu“ sind, „Reißaus genommen“ haben oder „neugierig“ näher gekommen sind. Besser ist, Sie bewerten das beobachtete Verhalten nicht, sondern beschreiben einfach, dass sich das Tier entfernt hat, näher gekommen ist usw. Achten Sie auf Ihre Rechtschreibung, Grammatik und die Formatierung bzw. das Layout Ihres Protokolls. Das Gesamterscheinungsbild und die sprachliche Qualität werden ebenfalls in die Bewertung einfließen und es wirkt unprofessionell, wenn sich in Ihrem Text viele Fehler befinden. Verwenden Sie unbedingt auch Seitenzahlen und gliedern Sie den Text in thematische Absätze. Das erleichtert das Lesen und Korrigieren. Die wissenschaftlichen Artnamen, bestehen aus Gattung plus Artepitheton müssen immer kursiv geschrieben werden. Bspw. Bromus sterilis L. muss im Text, in 384 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="385"?> der Bildunterschrift und in der Artenliste etc. kursiv sein. Teil des Namens ist auch das Kürzel der Autor: innen (also desjenigen, der die Art bestimmt und ihr einen Namen gegeben hat), hier L. für Linnaeus oder Carl von Linné. Dieser wird nicht kursiv gesetzt, meist aber in Kapitälchen geschrieben (bspw.: Bromus erectus H UD S .). Häufig wird auf die Angabe der Autor: innen in Texten verzichtet - achten Sie hier auf Ihre Vorgaben. Die Artportraits Artportraits sind nicht in allen Exkursionsprotokollen gefordert - beachten Sie bitte wie immer die Angaben Ihrer Exkursionsleitung. In einem Artportrait sollte neben Ihren eigenen Beobachtungen (Standort, Pflan‐ zengesellschaft o. ä.) und den Hinweisen der Exkursionsleitung auch Wissenswertes aus Literaturquellen (Pflanzenbücher, Tierführer etc.) aufgeführt werden. Bei Pflanzen können es das Verbreitungsgebiet, Inhaltsstoffe, ggf. Verwendungshinweise aus der Pflanzenheilkunde oder Volkstümliches sein. Für zoologische Betrachtungen eignen sich auch bestimmte Verhaltensweisen, die ggf. auch während der Exkursion beobach‐ tet werden konnten (Brut- oder Jagdverhalten bspw.) oder Ernährungsweisen. Denken Sie daran, dass Sie Ihre Quellen belegen und verwenden Sie für die Portraits idealer‐ weise eigene Fotos. Wenn Sie auf Bildmaterial aus anderen Quellen zurückgreifen, achten Sie darauf, dass dies zur Verwendung frei gegeben ist und geben Sie auch hier den Ursprung an. Die Abbildungen in Ihrem Protokoll sollten durchnummeriert werden und jede Abbildung erhält eine Unterschrift, in der die Bildquelle angegeben wird. Wenn es sich um eine Abbildung aus dem Internet handelt, können Sie - wie im Beispiel unten - nur den Autor/ die Autorin angeben und die URL in das Abbildungsverzeichnis aufnehmen. Auf die Abbildungen sollte im Text verwiesen werden. Abb. 2.2.1: Blüte von Malus domestica (eigenes Bild, April 2021). 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 385 <?page no="386"?> Die Artenliste In der Artenliste werden alle gesichteten und vorgestellten Arten aufgeführt. Diese sollte bspw. für Pflanzen und Tiere (oder Pilze, Algen etc.) immer getrennt angefertigt werden. Am einfachsten und übersichtlichsten ist die Darstellung in einer Tabelle. Diese muss mindestens den wissenschaftlichen Artnamen enthalten sowie die systematischen Kategorien. In der Botanik mindestens folgende Taxa: ● Unterklasse ● Ordnung ● Familie In der Zoologie mindestens: ● Klasse ● Ordnung ● Familie ● Gattung Die Liste sollte systematisch geordnet werden (bspw. Liliidae vor Rosidae) und inner‐ halb der gleichen systematischen Kategorie alphabetisch (nach dem wiss. Artnamen). Hier verwenden Sie bitte immer die vorgegebene Systematik, bspw. aus einem Skript oder dem empfohlenen Lehrbuch oder Bestimmungsbuch. Für das Verfassen der Artenliste sind Ihre Aufzeichnungen essentiell und Sie haben hoffentlich alle Arten notiert, die angesprochen wurden. Hier ist es sinnvoll, sich mit den anderen Exkursionsteilnehmer: innen auszutauschen und die Pflanzenlisten zu vergleichen. Recherchieren Sie die korrekten wissenschaftlichen Namen und möglichst auch den deutschen Namen und nehmen Sie beides in die Tabelle auf. Es ist für die Sortierung der Liste wichtig, mit welcher Systematik Sie arbeiten. Bspw. werden in der Wikipedia, in der man mittlerweile nahezu allen Arten finden kann, oft andere syste‐ matische Einordnungen als in den üblichen Bestimmungsbüchern vorgenommen. Es ist hilfreich und legitim, Wikipedia zu nutzen, um notierte Artnamen und eigene Bilder zu kontrollieren - schlagen Sie anschließend aber immer in Ihren Lehrbüchern/ Skripten etc. nach. 386 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="387"?> Kap.-1.2.5 Kap.-1.2.3 Beispiel für Artenlisten Tab. 2.2.1: Auf der Exkursion am Trockenborn am 2.5.2012 beobachtete Pflanzen. Alle Arten bis auf die beiden Arten der Pinaceae (Coniferopsida) gehören zur Klasse der Magnoliopsida. Unterklasse Ordnung Familie Art deutscher Name Liliidae Poales Cyperaceae Carex pilulifera Pillensegge Rosidae Asterales Asteraceae Arnica montana Arnika, Wohl‐ verleih … - - - - Tab. 2.2.2: Auf der Exkursion am Trockenborn am 2.5.2012 beobachtete Tiere. Stamm Unterstamm Klasse Ordnung Familie Art deutscher Name Arthro‐ poda Chelice‐ rata Arach‐ nida Araneae Pisauridae Pisaura mi‐ rabilis Raubspinne Arthro‐ poda Mandibu‐ lata Insecta Caelifera Acrididae (nicht be‐ stimmt) Feldheu‐ schrecke (Larve) … - - - - - - Die Quellenangaben Wichtig sind vollständige und korrekte Angaben zur Literatur sowie auch zu den Bild‐ quellen, mit denen Sie gearbeitet haben. Als weiterführende Leseempfehlung zur kor‐ rekten Zitation sei sowohl Kapitel 1.2.5 in diesem Buch als auch der Leitfaden der TU Berlin (Kassel, S. et al. 2006) empfohlen. Es ist anzunehmen, dass Sie sich zumindest teilweise von Internetquellen bedient haben. Hier müssen Sie außer der genauen URL auch das Nutzungsdatum angeben. Wenn Sie alles an einem Tag recherchiert haben, können Sie Ihre Quellenangabe mit einem entsprechenden Vermerk versehen („Alle Quellen genutzt am XX.“). Es ist ggf. gefordert aber in jedem Fall empfehlenswert, auch zu Büchern zu greifen. Pflanzen- und Tierlexika liefern Ihnen eine Fülle an Informationen, die Sie für die Artportraits oder auch für die Einleitung nutzen können. Ein heißer Tipp ist Ihre Universtitätsbibliothek, auf deren umfangreichen Buch‐ bestand Sie größtenteils auch von zuhause aus zugreifen können. Ältere Werke sind zwar meist nur als Printausgabe vorhanden, aber gerade Neuauflagen und Lehrwerke sind mittlerweile auch online verfügbar. Zum guten wissenschaftlichen Arbeiten ge‐ hört es, sich mit Fachliteratur auseinderzusetzen und diese für das jeweilige Thema auszuwählen. Nutzen Sie diese Möglichkeit zum Üben! Auch in Bezug auf das Exkur‐ 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 387 <?page no="388"?> Kap.-1.2.1 Kap.-1.2.5 sionsgebiet oder die betrachteten ökologischen Aspekte können Sie dort viele Infor‐ mationen ausfindig machen, die Sie nicht über die Suchfunktion Ihres Browsers finden. Sollten Sie nicht sicher sein, wie Sie Literatur in Ihrer Bibliothek finden können, nutzen Sie die Einführungsangebote zur Literaturrecherche, die es an allen Universitäten/ Bibliotheken gibt. Literaturverzeichnis Ihr Literaturverzeichnis muss alle verwendeten Informationsquellen enthalten. Geben Sie auch Lehrbücher oder verwendete Skripte an, sofern Sie diese für die Protokol‐ lerstellung genutzt haben. Die Sortierung in Ihrer Liste erfolgt zunächst nach den Nachnamen der Autoren, wenn Sie mehrere Werke der gleichen Autoren verwendet haben, sortieren Sie diese nach dem Publikationsjahr (siehe auch oben). Für Zeitschriften, Buchartikel und online-Quellen gelten unterschiedliche Zitati‐ onsarten. Von Ihren Lehrenden haben Sie idealerweise Hinweise dazu erhalten, wie die Zitationsweise aussehen soll. Ein Zeitschriften-Artikel muss mit den Namen der Autor: innen, Erscheinungsjahr und Titel des Artikels sowie dem Namen der Zeitschrift, Heftnummer und Seitenzahlen zitiert werden. Bei der Zitation aus einem Buch müssen zusätzlich Editionsnummer, ggf. Herausge‐ ber: innen sowie Verlag und Sitz genannt werden. Zitat eines Zeitschriften-Artikels: (vgl. Piepenbring M., 2012) Briemle, G. / Ellenberg, H. (1994): Zur Mahdverträglichkeit von Grünlandpflan‐ zen. Möglichkeiten der praktischen Anwendung von Zeigerwerten. Natur und Landschaft, 69, 139-147. Zitat eines Buches: Ellenberg, H. (1996): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen. Ulmer, Stuttgart. Ebenso zitieren können und sollten Sie Ihr Vorlesungsskript, wenn Sie es genutzt haben. Bspw.: Bursa-Pastoris, C. (2021): Vorlesungsskript Botanik I, Universität Uppsala Quellen aus dem Internet Da Internet-Quellen einer anderen Logik und Zitierweise folgen, empfiehlt es sich, sie in einem eigenen Verzeichnis anzugeben. Beachten Sie bitte, dass Sie immer die genaue URL nennen. Es reicht nicht, bspw. ‚Wikipedia.de‘ zu schreiben, sondern es muss die entsprechende Unterseite angegeben werden. Das Nutzungsdatum macht es 388 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="389"?> Kap.-1.5.3 Kap.-1.3.5 Kap.-1.3.4 nachvollziehbar, welche frühere Version einer Webseite Sie genutzt haben, die ggf. für spätere Leser: innen nicht mehr zur Verfügung steht. Hier zwei Beispiele: Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie: https: / / www.hlnug.de/ themen/ naturschutz/ tiere-und-pflanzen/ invasive-arten (genutzt am 12.07.2021). URL1: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gänseblümmchen (genutzt am 12.07.2021) Im ersten Fall zitieren Sie im Text „Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie“ im zweiten Fall nur „URL1“. Abbildungsverzeichnis Ebenso wie ihre Informationsquellen müssen Sie auch die Quellen für evtl. verwendete Abbildungen angeben. Wenn Sie eigene Fotos verwenden, geben Sie das so an („eigene Aufnahme“), am besten mit dem Erstellungsdatum. Die Abbildungen müssen durch‐ nummeriert sein und die Abbildungsunterschrift sollte nur den Titel oder die Beschrei‐ bung enthalten. Die Quellenangaben gehören dann in das Abbildungsverzeichnis. Wenn Sie auf Internetquellen zurückgreifen, müssen Sie auch hier das Nutzungsdatum angeben. Vor allem müssen Sie aber beachten, dass das Material gemeinfrei ist, also zur privaten Weiternutzung freigegeben wurde. Daher ist es immer sicherer, wenn Sie ei‐ gene Bilder verwenden. Abbildung 1: Knollen-Platterbse, Lathyrus tuberosus L. (eigene Aufnahme vom 12.07.2021)) Abbildung 2: Gänseblümchen von Alexmenk - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=14946271 (genutzt am 12.07.2021) Endredaktion Wenn Sie das komplette Protokoll verfasst haben, ist es wichtig, dass Sie sich Zeit nehmen und alles noch einmal aufmerksam durchlesen. Fertigen Sie daher Ihr Pro‐ tokoll mit entsprechendem Zeitpuffer an, so dass Sie vor dem Abgabetermin noch Zeit für Korrekturschleifen haben. Bitten Sie ggf. auch ihre Freunde oder Familie um Korrektur und Feedback, da Sie als Verfasserin oder Verfasser selbst schnell „betriebs‐ blind“ für ihren Text werden. Nutzen Sie unbedingt die Autokorrektur-Funktion, wenn Sie mit word schreiben. Es macht bei der Exkursionsleitung keinen guten Eindruck, wenn der Text vor Rechtschreib- oder Tippfehlern strotzt, die Formatierung wechselt 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 389 <?page no="390"?> oder Bilder und Textkästen verrutscht sind. Es kostet auch Ihre Lehrkräfte viel Zeit, das Protokoll zu lesen, zu korrigieren und zu bewerten. Sie zeigen Ihre Wertschätzung, indem Sie ein aufmerksam verfasstes Protokoll abliefern. Wenn Sie die Tipps und Hilfestellungen dieses Ratgebers genutzt haben, sind Sie absolut auf der sicheren Seite für ein ordentliches Protokoll mit einer guten Bewertung! Als Hilfestellung kann Ihnen am Ende die folgende Checkliste dienen. Checkliste: Protokoll zur Exkursion: _____________________________________________ Das Protokoll umfasst: □ Ihren Namen □ Ihre E-Mail-Adresse □ Kurskürzel □ einen Titel □ Datum der Exkursion □ Namen der Exkursionsleitung □ Einleitung □ Artporträts □ Artenliste der Pflanzen (inkl. systematischer Stellung) □ Artenliste der Tiere (inkl. systematischer Stellung) □ Literaturverzeichnis Die Einleitung enthält: □ Vorstellung des Exkursionsareals (Koordinaten, Höhenangabe, Klima, Geolo‐ gie, Boden, Landschaftsgeschichte, Lebensräume) □ Wetter zum Zeitpunkt der Exkursion □ Erklärung übergreifender ökologischer Zusammenhänge □ Erklärung des Hauptthemas der Exkursion Die Artbeschreibungen enthalten: □ Wissenschaftliche Artnamen - immer kursiv geschrieben, s. u., □ eine systematische Einordnung der Arten (mindestens die Familie), □ Informationen über Ernährung, Fortpflanzung, Habitat, Verbreitung und cha‐ rakteristische Merkmale (mit Quellenangaben), □ eigene Erfahrungen oder Erinnerungen, die Sie mit dieser Art und/ oder der Exkursion verbinden. □ Sie haben den Text bewusst logisch und einheitlich strukturiert. Auch die Art‐ beschreibungen folgen derselben Struktur, sodass sie z. B. bei jeder Pflanzenart zunächst Details zur Pflanze, dann zur Ökologie erwähnen. 390 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="391"?> □ Unter jedem Bild findet sich eine kurze, erklärende Beschriftung inkl. Quellen‐ angabe (URL oder Urheber: in bzw. „eigene Aufnahme“). □ Die Artenliste umfasst alle Arten, die Ihnen auf der Exkursion gezeigt wurden. □ Die systematische Einordnung der Pflanzenarten in der Artenliste richtet sich nach dem Skript der Vorlesung oder anderer vorgeschriebener Literatur. □ Nur die Namen der Gattungen und Arten (Gattung + Epitheton) sind kursiv formatiert. Dies gilt nicht für die Abkürzung ‚sp.‘ und alle anderen systemati‐ schen Angaben. □ Die Rechtschreibung wurde maschinell und durch konzentriertes Durchle‐ sen überprüft. Der Schreibstil ist wissenschaftlich mit einfachem, korrektem Deutsch. Überprüfen Sie auch die Setzung von Kommata und fehlende sowie doppelte Leerzeichen. Im Text zitieren Sie korrekt: □ Jede Information, die aus einer externen Quelle übernommen wurde, erhält eine Quellenangabe. Wörtliche Zitate sind unüblich. □ Sie nennen die Autor: innen (nur die Nachnamen) und das Jahr der Publikation. Bei mehr als zwei Autor: innen nennen Sie den Erstautor mit dem Zusatz et al. und das Jahr der Publikation. □ Am Ende eines Satzes steht die gesamte Quellenangabe in Klammern. Bauen Sie die Quelle in den Satz ein, setzen Sie nur das Jahr der Publikation in Klammern. □ Internetquellen werden im Text als URL mit fortlaufender Nummerierung zitiert (URL-1, URL 2 etc.). □ Das Literaturverzeichnis umfasst mindestens zwei gedruckte Publikationen (Bücher oder Artikel in Zeitschriften, nicht nur Internetquellen). □ Das Literaturverzeichnis ist alphabetisch geordnet und einheitlich formatiert. (Nachname d. Autors, Vorname, Jahreszahl, Titel, Angabe d. Zeitschrift etc.) Bei Internetquellen wird die gesamte Adresse und das Abrufdatum genannt. □ Achten Sie auf eine einheitliche Formatierung sowie auf durchnummerierte und zusammengeheftete Protokollseiten. Literatur K A S S E L , Susanne / T H I E L E , Martina / B ÖC K , Margit (2006): Zitieren in wissenschaftlichen Arbeiten. https: / / www.daf.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg75/ PDF/ Zitieren.pdf (abgerufen am 14.07.2021). P I E P E N B R I N G , Meike (2012): Beispielprotokoll für Exkursionen im Modul ‚Diversität der Organismen und Lebensräume‘. Goethe-Universität Frankfurt. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 391 <?page no="392"?> Kap.-1.3.2 2.2.2 Exkursionsprotokolle in den Geowissenschaften Cecily Ogunjobi Exkursionsprotokolle - Warum die Tage im Gelände dokumentieren? Dieses Kapitel gibt eine Anleitung für das Schreiben eines Exkursionsprotokolls bezie‐ hungsweise eines Exkursionsberichtes in den Geowissenschaften. Im Folgenden werde ich den Begriff ”Exkursionsprotokolle” verwenden; für ”Exkursionsberichte” gelten allerdings die gleichen Kriterien. Im Studium der Geowissenschaften sind Exkursionen und Geländeübungen meistens ein fester und besonders spannender Bestandteil. Weniger beliebt ist die Ausarbeitung zu einem Exkursionsprotokoll. Dennoch ist diese ebenso wichtig und führt zu einer Verfestigung und einem Zuwachs des Wissens über das Exkursionsgebiet. Dass das Schreiben des Protokolls, genau wie die Geländeübung selbst, nicht nur anspruchsvoll ist, sondern auch Spaß macht, soll Ihnen dieses Kapitel verdeutlichen. Denn je mehr Sie über die Theorie und Formalia von Exkursionsprotokollen wissen, desto leichter wird Ihnen das Schreiben fallen. Außerdem werden Sie merken, dass das Nachbereiten der Exkursion ein erhöhtes Verständnis für die erlebten Tage im Gelände schafft und Sie auch für sich selbst ein Nachschlagewerk schaffen (Voigt und Pross, o. J.). Neben der Dokumentation der Exkursion ist eines der Hauptziele das Vertiefen und Aufarbeiten der Lerninhalte. Aber auch das Beschreiben von fachspezifischen Prozessen und das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten wird geübt. Das Doku‐ mentieren einer Exkursion kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, die richtig sind, solange die Ziele des Exkursionsprotokolls erreicht und die, in diesem Kapitel beschriebenen Aspekte, befolgt werden. Für das Verfassen eines gelungenen Exkursionsprotokolls und einen erleichterten Schreibprozess sind bereits die Vorbereitungen entscheidend. Aus diesem Grund wird dieses Kapitel mit nützlichen Hinweisen zu der Zeit vor dem Gelände beginnen. An‐ schließend wird ein typischer Exkursionstag beschrieben, wobei Sie zusätzlich Tipps für das Mitschreiben im Gelände erhalten. Dazu steht als Online-Material eine Vor‐ lage für einen Feldbucheintrag zur Verfügung. Der Aufbau eines Exkursionsproto‐ kolls macht den Hauptteil des Kapitels aus und soll Ihnen helfen Ihre Ausarbeitung strukturiert anzugehen und aufzubauen. Da ein Protokoll nicht nur aus Text, sondern auch aus Abbildungen besteht, ist diesen Elementen und den bezüglichen Fachkon‐ ventionen ein eigener Abschnitt gewidmet, bevor Sie praktische Formulierungshilfen an die Hand bekommen. Dabei orientieren wir uns an einer typischen geologischen oder paläontologischen Geländeübung. Während der Aufbau einer mineralogischen Geländeübung diesem ähnelt, haben geophysikalische Exkursionen oft einen metho‐ dischen Schwerpunkt, bei dem es sinnvoller sein kann die IMRaD-Struktur anzu‐ wenden. 392 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="393"?> Kap. 2.2.1 Vorbereitung auf die Exkursion Ein gelungenes Exkursionsprotokoll beginnt bereits vor dem Eintreffen im Gelände. Oft bleibt nur wenig Zeit vor Ort, um die komplexe Geologie zu erfassen und so will die Zeit im Feld möglichst voll ausgeschöpft werden. Mit einer guten Vorbereitung auf die Exkursion legen Sie die ersten Grundsteine für Ihr ausgearbeitetes Protokoll. Machen Sie es sich leicht und lesen Sie sich in das Exkursionsgebiet und -thema ein. Vor einer Reise würden Sie vielleicht das Gleiche tun und nach den besten Geheimtipps des Ortes suchen. Zur Vorbereitung dazu stehen Ihnen Bücher, Fachartikel und andere wissenschaftliche Arbeiten zur regionalen Geologie zur Verfügung. Auch der Exkursionsführer, den sie eventuell schon im Voraus von der Exkursionsleitung ausgehändigt bekommen haben, bietet einen guten Überblick. Oft wird ein Seminar oder eine Vorlesung zu dem Thema gehalten, an der es sich lohnt teilzunehmen. Sich die geologische Karte genauer anzusehen, verschafft ebenfalls ein besseres Verständnis für das Exkursionsgebiet. Halten Sie sich dabei nicht mit Details auf. Sie müssen noch kein: e Expert: in für das Thema der Exkursion werden, viel wichtiger ist, einen groben Überblick zu erlangen, um sich im Gelände und später im Protokoll auf die wirklich interessanten Dinge konzentrieren zu können. Denn die sehen Sie womöglich nur einmal. Ein typischer Tag im Gelände Im Gelände angekommen ist kein Tag wie der andere und doch gibt es eine feste inhaltliche Struktur, die für das Schreiben des Exkursionsprotokolls hilfreich ist. Im Folgenden beschreibe ich einen beispielhaften Tagesablauf. Abhängig von dem Aufbau der Geländeübung und auch innerhalb einer Exkursion kann dieser jedoch variieren. Der Tag beginnt häufig mit einer kurzen Erläuterung von der Exkursionsleitung, in der die Lernziele dargestellt werden. Mit dieser sogenannten „Morgenansprache” (Zimmermann / Janschitz 2013) wird Ihnen das Einordnen der Exkursionsstandorte und das Mitschreiben erleichtert. Am Abend kann anhand der Notizen überprüft werden, ob die Lernziele erreicht wurden. Eventuelle Lücken können direkt im Austausch mit Kommiliton: innen beseitigt werden, sodass nicht erst beim Schreiben des Protokolls Wissensdefizite auffallen. An den Haltepunkten wird zunächst ein geologischer Überblick erlangt. Mit Hilfe der geologischen Karte, Zeittafeln und einem aufmerksamen Umschauen wird dieser erarbeitet und im Feldbuch notiert (eine Vorlage für Mitschriften im Gelände finden Sie am Ende des Kapitels). Außerdem werden die Rahmendaten festgehalten, ohne die sich die Exkursion nicht nachvollziehen lässt. Dazu gehören der Exkursionstag, das Datum, die Koordinaten und der Ort. In der näheren Standortbeschreibung ist dessen Name und die Nummer des Aufschlusses zu nennen. Des Weiteren sind eine kurze Wegbeschreibung, sowie Informationen über die Erreichbarkeit sinnvoll. Auch Beob‐ achtungen zur Vegetation können eine Rolle spielen, wenn diese beispielsweise In‐ dikatoren für den geologischen Untergrund sind. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 393 <?page no="394"?> Für die Aufschlussbeschreibung werden anhand unterschiedlicher Methoden Da‐ ten erhoben, mit denen die groß- und kleinskaligen Strukturen analysiert werden. Die wichtigste Methode dabei ist das Beobachten mit bloßem Auge und das Untersuchen des anstehenden Gesteins mit der Lupe. Zuerst wird die Größe des Aufschlusses abge‐ schätzt. Anschließend können Sie Beobachtungen über den Zustand des Aufschlusses notieren. Wichtige Merkmale sind außerdem die Stratigraphie und die geologischen Struk‐ turen im Aufschluss. Hierbei können bereits Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten oder Lithologien festgestellt werden. Um die Beobachtungen besser veran‐ schaulichen zu können, ist es sinnvoll, eine Aufschlussskizze anzufertigen. Diese wird vorläufig in das Feldbuch gezeichnet und kann später zu einem wichtigen Bestandteil des Exkursionsprotokolls werden. Auch ein Foto von jedem Aufschluss zu machen ist eine gute Angewohnheit, die die Auswertung der Geländearbeit ver‐ einfacht. Dabei ist darauf zu achten, dass ein Maßstab, sowie bei Zeichnungen die Himmelsrichtung, vorhanden ist. Zum Analysieren der kleinskaligen Strukturen kommen die Lupe und, sofern erlaubt, der Hammer zum Einsatz. Hier werden anhand von Gesteinsbeschreibungen die Lithologien bestimmt. Eine weitere Methode zur Datenerhebung sind Messungen mit fachspezifischen Geräten. Bei einer geologischen Exkursion kann dies beispiels‐ weise ein geologischer Kompass oder eine App mit den gegebenen Funktionen sein. Damit können das Streichen, sowie Einfallsrichtung und -winkel der verschiedenen Schichten gemessen und im Feldbuch notiert werden. Nach Beobachtung und Beschreibung folgen im Gelände, und später im Exkursi‐ onsprotokoll, die Interpretation und die Hypothesen zur Bildung der Gesteine im Auf‐ schluss. Die Exkursionsteilnehmenden erarbeiten diese gemeinsam mit der Leitung. Um die Entstehung des Standortes in den erdgeschichtlichen und regionalgeologischen Kontext zu bringen, werden die Bildungsprozesse noch einmal in der „Bergpredigt” zusammengefasst. Am Ende eines Exkursionstages können bereits die ersten Messdaten ausgewertet werden. Es ist außerdem empfehlenswert, die aufgenommenen Fotos zu sortieren, da besonders bei mehrtägigen Exkursionen schnell der Überblick verloren geht und die Gefahr besteht, im Protokoll den Standorten die falschen Bilder zu zuordnen. Aufbau eines Exkursionsprotokolls: Titelblatt und Verzeichnisse Die erste Seite des Protokolls bildet das Titelblatt, auf dem der Exkursionstitel und -zeitraum, sowie die Exkursionsleitung vermerkt sind. Wenn es sich bei Exkursions‐ protokollen um einen studienbezogenen Leistungsnachweis handelt, sind außerdem Matrikelnummer und eventuell Ihre E-Mailadresse anzugeben. Auch Informationen wie der Studiengang, das Institut, der Fachbereich und eventuell das Logo Ihrer Universität oder ein Foto von der Exkursion finden auf dem Titelblatt ihren Platz. Anschließend folgt das Inhalts-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis. 394 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="395"?> Einleitung in das Exkursionsprotokoll Die Einleitung enthält allgemeine Informationen zur Exkursion und gibt einen Über‐ blick über die Geologie des Exkursionsgebiets. Auch wenn sie der erste Textteil des Protokolls ist, ist es sinnvoll diese erst zum Schluss zu schreiben, damit Sie wissen, auf was genau Sie in der Einleitung eingehen müssen. Trotzdem kann es zur Orientierung hilfreich sein, sich schon zu Beginn des Schreibens Stichpunkte zu den folgenden Aspekten der Einleitung zu machen. Sie können die Einleitung mit relevanten Rahmendaten, wie zum Beispiel Exkur‐ sionszeitpunkt und -leitung beginnen oder mit einer geographischen Einordnung direkt fachlich einsteigen. Dabei bietet es sich an, die Exkursionsroute oder das Exkur‐ sionsgebiet darzustellen. Dies kann mit einer Markierung auf einer (geologischen) Karte unterstützt werden. Ein weiteres Merkmal des Exkursionsgebiets und damit Bestandteil der Einleitung, ist die Topographie, also zum Beispiel ob die Exkursion in eine Flach- oder Berglandschaft führte. Zur Verdeutlichung der Relevanz wird das Exkursionsthema in den geowissenschaft‐ lichen Kontext eingeordnet. Das bedeutet, dass Informationen über das geologische Setting, sowie die vorhandenen geologischen Großeinheiten gegeben werden. Auch ist es sinnvoll mit einer kurzen und allgemeinen Beschreibung der Entstehungsgeschichte einzuleiten, damit die Leser: innen die Standorte einfacher in Zusammenhang bringen können. Des Weiteren werden in der Einleitung die Ziele der Geländeübung dargestellt und abschließend das Vorgehen und Ziel des Protokolls offengelegt. Hauptteil - Den Aufschluss lesen und verstehen Im Hauptteil werden die Exkursionsstandorte beschrieben und interpretiert. Umfas‐ send gesagt, wird hier anhand von groß- und kleinskaligen Merkmalen erklärt und analysiert, wie es zur Bildung der Lithologien und der Geologie gekommen ist. Je strukturierter Sie im Gelände mitgeschrieben haben, desto einfacher wird Ihnen die Ausarbeitung dieses Teils fallen. Zunächst wird der Standort beschrieben, indem dessen Name und Lokalität genannt werden. Eventuell können Sie auch eine kurze Wegbeschreibung ergänzen. Hier bietet es sich an, Informationen über die Erreichbar‐ keit, den allgemeinen Zustand und die Vegetation zugeben. Die Aufschlussbeschreibungen sind das Herzstück des Protokolls (Wolkersdorfer, 2017). Sie folgen dem Prinzip „Vom Großen zum Kleinen und von alt zu jung.” (Voigt und Pross, o. J.). Demnach werden zunächst die Stratigraphie und die strukturellen Merkmale beschrieben, bevor zu den Detailbeobachtungen übergegangen wird. Die unterschiedlichen Schichten oder andere geologische, petrographische oder mineral‐ ogische Merkmale werden chronologisch geordnet, nach ihrem Bildungszeitraum ab‐ gearbeitet. Ein Beispiel: Hier anstehend ist eine Ton-Sandstein-Wechselfolge, die mit ei‐ nem Einfallswinkel von 45° nach Süd-Ost verkippt ist. Auch wenn im Gelände möglicherweise Merkmale am auffälligsten sind, die durch sekundäre Prozesse her‐ 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 395 <?page no="396"?> Kap.-1.5.3 Kap.-1.2.1 Kap.-1.3.2 Kap.-1.5.3 vorgerufen wurden, in dem Beispiel die Verkippung, wird zunächst auf die primären Strukturen, die Ton-Sandstein-Wechselfolgen eingegangen. Hierbei bietet sich ein Be‐ zug auf ein Aufschlussfoto oder eine -skizze an, die Sie in Ihren Text einfügen können. Näher ins Detail geht die Petrographie und damit die Bestimmung der anstehenden Lithologien (McCann 2019). Hierbei können Sie sich an den Punkten einer Gesteins‐ beschreibung orientieren und ein Foto des Gesteins einfügen. Auch der Fossilinhalt, wenn vorhanden, und der Mineralbestand sind an dieser Stelle zu nennen. Wenn Messungen im Gelände vorgenommen wurden, beschreiben Sie hier die erhobenen Messdaten und führen sie in einer Tabelle auf. Zu jedem Aufschluss bzw. Standort folgt nach der Beschreibung die Interpretation der Beobachtung und eine Einordnung der Entstehungsgeschichte der Lithologien in den geologischen Kontext. Achten Sie darauf Beschreibung und Interpretation strikt voneinander zu trennen. Das ist nicht immer einfach, wenn die Interpretation bei‐ spielsweise sehr nahe liegt oder die Beschreibung nochmal unmittelbar in Zusammen‐ hang mit der Entstehung wiederholt werden will. Bei der Trennung ist jedoch beson‐ dere Sorgfalt gefragt, um saubere wissenschaftliche Arbeit zu garantieren. Eine Interpretation ist immer nur „The best guess” und basierend auf der Genauigkeit der Beobachtungen, wobei die Geländemethoden limitiert sind. Wenn in Ihrem Text eine gute Trennung ersichtlich ist, kann die Interpretation anhand der Beobachtungen nachvollzogen werden. Ein Tipp, um dies zu erreichen ist, das Einordnen der Notizen in die unterschiedlichen Textbereiche. Wenn Sie sich beim Ausformulieren immer nur an die jeweiligen Stichpunkte halten, wird Ihnen das Trennen von Beschreibung und Interpretation leichter fallen. Für letztere erfolgt die meiste Recherche im Schreib‐ prozess eines Exkursionsprotokolls. Mithilfe von Fachliteratur und Informationen aus der Bergpredigt werden die Beobachtungen und Messungen interpretiert und die Ent‐ stehungsbedingungen rekonstruiert. Dabei wird beispielsweise das Ablagerungsmilieu von Sedimenten, die Kristallisationstiefe von Magmatiten oder die metamorphe Fazies von Metamorphiten aus den Beobachtungen hergeleitet. Auch die Prozesse hinter se‐ kundären Veränderungen, wie Deformation oder Alteration werden hier erläutert. Ab‐ schließend wird das heutige geologische Setting, in dem sich der Aufschluss befindet, bestimmt. Dabei ist zu nennen, ob er beispielsweise Teil einer Klamm oder einer Berg‐ gruppe ist, ob es sich dabei um ein Flussbett oder einen Ophiolithkomplex handelt. Zu welcher Formation der Aufschluss gehört, ist ebenfalls eine wichtige Kategorisierung. Wurden Messungen vorgenommen, werden die Ergebnisse im Interpretationsteil diskutiert. Sie können sich dabei an dem Diskussionsteil der IMRaD-Struktur orien‐ tieren. Je nach der geologischen Beschaffenheit des Aufschlusses bieten sich unterschied‐ liche Arten von Abbildungen zur Unterstützung der Interpretation an. Eine paläoge‐ ographische Karte kann nützlich sein, wenn die Entstehung auf eine sedimentäre Fazies zurück geht oder (Paläo-)Plattengrenzen verbildlicht werden sollen. Auch Modellgra‐ phiken oder Schemata, die die Bildung der anstehenden Gesteine und Strukturen des Aufschlusses erklären, sind oft sinnvoll. Auf weitere Details zu Abbildungen in Exkur‐ 396 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="397"?> Kap.-1.2.5 sionsprotokollen wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels eingegangen. Bezüglich des Zitierens gilt, dass alles, was im Gelände nicht durch Beobachtungen hergeleitet wer‐ den konnte und mit Fachliteratur erarbeitet wurde, mit dieser belegt werden muss. Fazit eines Exkursionsprotokolls Das Fazit ist nicht immer fester und obligatorischer Teil eines Exkursionsprotokolls. Wird dieses weggelassen, können die folgenden inhaltlichen Aspekte teilweise bereits in der Einleitung behandelt werden. Im Fazit werden die Standorte in einen gemeinsamen regionalgeowissenschaftlichen Kontext und Zusammenhang gebracht. Dabei kann auch verdeutlicht werden, inwie‐ fern diese Exkursion zu einem Wissenszuwachs geführt hat. Des Weiteren wird die Relevanz des Exkursionsgebiets verdeutlicht, aber auch die Grenzen aufgezeigt, an die diese Exkursion und die angewendeten analytischen Methoden stoßen. Darauf Bezug nehmend kann auch ein Ausblick auf mögliche weitere Forschungsfragen gegeben werden. Abbildungen in Exkursionsprotokollen Abbildungen lockern den Text auf und unterstützen die Lesenden beim Verständnis der Inhalte. Für sie selbst bieten die Zeichnungen, Bilder und Graphiken eine Orientie‐ rung während des Schreibprozesses. In Exkursionsprotokollen gibt es fachspezifische formale Regeln, die beim Anfertigen von Zeichnungen zu beachten sind. Sie sind meistens gut damit beraten, Ihren Aufschlussbeschreibungen eine Aufschluss- oder Profilskizze beizufügen (Wolkersdorfer, 2017). Diese haben immer einen Höhen- und Längenmaßstab, eine Legende und die Himmelsrichtungen angegeben (Wolkersdorfer, 2017). Eine ordentliche und gut gelungene Zeichnung nimmt oft viel Zeit in Anspruch. Das sollte Sie jedoch nicht abschrecken, für sich zum Verständnis, eine schnelle Skizze anzufertigen. Wenn Sie Fotos im Gelände machen, achten Sie darauf, immer einen Maßstab mit abzubilden. Pflanzen sind kein ausreichender Maßstab. Stattdessen eignet sich ein Hammer, eine Lupe, ein Stift, eine Münze oder ähnliches. Auch die Himmelsrichtung wird im Foto oder in der Bildunterschrift vermerkt, wenn Sie großskalige Strukturen darstellen. Formulierungshilfen Im Folgenden werden einige Formulierungshilfen vorgestellt, die einen Einblick in die geowissenschaftliche Sprache von Exkursionsprotokollen geben sollen. Gerne können Sie diese für Ihre nächste Ausarbeitung nach Ihren Ansprüchen abändern. Einleitung: ● Die fünftägige Geländeübung unter der Leitung von … erfolgte nach … ● Das Exkursionsgebiet erstreckt sich von … nach … und deckt damit geologische Einheitenab, die einem Bildungszeitraum von … Jahren entsprechen. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 397 <?page no="398"?> ● In diesem Protokoll wird … beschrieben und mithilfe von … analysiert. ● Zum Verständnis der Geologie des Exkursionsgebiets … werden die besuchten und im Gelände beschriebenen und analysierten Standorte in diesem Protokoll dokumentiert. Standortinterpretation ● Angesichts dieser Beobachtungen / Ergebnisse / … liegt die Schlussfolgerung nahe, dass … ● Das Material lagerte sich zu der Zeit des … ab. / Das Material wurde sedimentiert. ● Die kretazischen Gesteine sind der …-Formation zuzuordnen und durch … Prozesse entstanden. Standortbeschreibung ● Der Aufschluss / die Schicht weist eine Mächtigkeit von … m auf. ● Das hier anstehende Gestein … / Die hier aufgeschlossenen Gesteine … ● Das Gestein hat einen hohen Karbonatgehalt und ist fossil führend. ● Das Gefüge ist (grob-)kristallin, mit einer mittleren Korngröße von ca. 15 mm, was typisch für einen Granit ist. ● An dem Standort wurden von den Exkursionsteilnehmenden Messungen zu … vorgenommen. Fazit ● Aus den besuchten Standorten wird … deutlich. ● Anhand der analysierten Aufschlüsse lässt sich die regionale Entstehungsge‐ schichte nachvollziehen, da … ● Das Exkursionsgebiet erfasst eine Schlüsselstelle für die Rekonstruktion der Bildungsgeschichte des Gebirges. ● Nichtsdestotrotz stoßen die angewendeten Methoden an ihre Grenzen. Für ge‐ nauere Forschungsfragen, zum Beispiel … werden …-Methoden benötigt. ● Die Exkursion hat für weitere Feldforschung im Bereich … angeregt. Einige abschließende Worte Die beschriebenen Aspekte stellen eine gute Grundlage dar, anhand der Sie ein gelungenes Exkursionsprotokoll verfassen können. Dennoch ist es unerlässlich, auf die Vorgaben und Hinweise Ihrer Dozierenden zu achten, da es zu einem guten Exkursionsprotokoll nicht nur einen richtigen Weg gibt. Wichtig aus der textbezoge‐ nen Perspektive ist, dass die Geländeübung nachvollziehbar dokumentiert wird und Beobachtungen und Interpretationen formal korrekt wiedergegeben werden. Wenn Sie die Hinweise in diesem Kapitel beachten, sollte dies jedoch kein Problem sein. Wenn Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich an Ihre: n Dozent: in, schauen Sie auf der Webseite Ihres Instituts nach und fragen Sie die Fachschaft nach möglichen Hinweisen. 398 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="399"?> 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches Und vergessen Sie nicht: Je mehr Sie sich im Vorfeld mit der Theorie beschäftigen, desto genauer können Sie sich beim Schreiben auf den Inhalt konzentrieren und mit der Ausarbeitung Ihr Wissen vertiefen. So ist der Schreibprozess auch ein freudiger Rückblick auf die Exkursion. Vorlage für Mitschriften im Gelände Als Online-Material finden Sie eine Vorlage für Mitschriften im Gelände. Diese dient als grobe Orientierung für die Strukturierung Ihres Feldbuchs und lässt sich be‐ liebig ergänzen. 399 <?page no="400"?> 2.2.3 Interpretation und Analyse topographischer Karten Jessica Algenstaedt und Veronika Zängerle Warum sollten Karten überhaupt interpretiert und analysiert werden? Das Ziel einer Karteninterpretation ist es, die Landschaftsgenese einer (meist) un‐ bekannten Landschaft lediglich aus einer topographischen Karte abzuleiten. Dabei sollen Strukturen sowie landschaftsformende und -bildende Prozesse erkannt und erklärt werden. Dies führt zum Ausbau des geographischen Grundverständnisses, sowohl hinsichtlich der landeskundlichen Kenntnisse als auch der Fähigkeiten zum Erfassen genetisch-funktioneller Zusammenhänge, Wirkungsgefüge und Beziehungen im Raum. Außerdem kann die Karteninterpretation als Vorbereitung für Geländearbei‐ ten dienen und den Zeitaufwand einer Geländebegehung durch daraus gewonnene Vorkenntnisse reduzieren. Dies kann besonders hilfreich bei Orten sein, die nur schwer oder bedingt erreichbar und zugänglich sind (Hüttermann, 2001, S.-24). Die Abfolge der Karteninterpretation Zunächst wird die zu interpretierende Karte eingeordnet, um einen allgemeinen Überblick über die Rahmenbedingungen und erste relevante Informationen der natur‐ räumlichen Zugehörigkeit zu erhalten. Dazu werden der Maßstab, die Gradnetz- und Koordinatenangaben, die angrenzenden Kartenblätter, die politische und naturräum‐ liche Zugehörigkeit, der Herausgeber der Karte und das Erscheinungsjahr betrachtet. Daran schließt sich im nächsten Arbeitsschritt das eigentliche Kartenlesen an: Hier findet das Eindenken in die Karte statt, es werden Großeinheiten identifiziert und sich ein Überblick über die dominanten Geofaktoren verschafft (Hüttermann, 2001, S.-15-17). Die eigentliche Analyse und Interpretation des Kartenblattes beginnt mit der Element‐ analyse. In dieser werden einzelne Geofaktoren analysiert, sodass eine systematische Durchmusterung der Karte unter geographischen Gesichtspunkten stattfinden kann. Außerdem erfolgt eine ausführliche Beschreibung der Einzelelemente und deren Verbreitung und Häufigkeiten. In der darauffolgenden Komplexanalyse werden Be‐ ziehungen zwischen den zuvor identifizierten Einzelelementen untereinander sowie deren Beziehungen zu anderen Formenkomplexen gesucht. Ziel ist es, räumliche Einheiten und deren Ursachen zu erkennen. Zuletzt werden die Ergebnisse der Einzel- und Komplexanalyse in der Synthese zusammengefügt und das Zusammenwirken der Komplexe zu räumlichen Systemen beschrieben (Hüttermann, 2001, S. 15-17; Kohl‐ stock, 2018, S.-212). Die Veranschaulichung der räumlichen Systeme und Geofaktoren findet in Form einer Interpretationsskizze statt, die ebenso Bestandteil der Synthese ist und durch eine ausführliche Legende ergänzt werden muss. 400 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="401"?> Das Kartenlesen Beim Lesen der Karte soll sich der: die Interpret: in mit der Karte vertraut machen, Großeinheiten identifizieren und einen Überblick über die Geofaktoren verschaffen. Dafür ist es hilfreich, wenn mit Hilfe der Legende und dem Kartenblatt selbst zunächst die in der Karte abgebildeten Signaturen identifiziert werden. Neben Punktsignatu‐ ren, wie z. B. trigonometrischen Punkten, können auch linienhafte Signaturen wie Verkehrswege, Fließgewässer, Höhenlinien/ Isohypsen und flächenhafte Signaturen wie Landnutzung- und Landbedeckung, Siedlungsflächen, Bebauungsflächen oder Wasserflächen vorkommen. Auch Einzelsymbole wie Krankenhäuser, Kirchen, Aus‐ sichtspunkte oder Denkmäler, die Beschriftung von z. B. Gewässern, Höhenzügen, Straßen und Siedlungsflächen oder Koordinatenangaben können dabei unterstützend genutzt werden (Hüttermann, 2001, S.-32-34). Anhand der unterschiedlichen Signaturen werden Informationen zu den verschiedenen Geofaktoren gegeben. Bei diesen Geofaktoren ist es möglich, zwischen direkt in der Karte dargestellten und indirekt dargestellten Geofaktoren zu unterscheiden. Direkt dargestellte Parameter sind das Relief, die Hydrologie, die Vegetation, der anthropo‐ gene Einfluss (Siedlungsstrukturen und Verkehrsnetze) sowie die Landnutzung. Aus den direkten Geofaktoren lassen sich wiederum Aussagen über die indirekten Faktoren wie das Klima, die geologische Beschaffenheit und die Bodenverhältnisse usw. ableiten. Deshalb sollte der Fokus schon während des Kartenlesens auf diese gelenkt werden (Hüttermann, 2001, S.-39) Das Verfassen der Karteninterpretation Analog zu anderen wissenschaftlichen Ausarbeitungen folgt auch der Aufbau einer Karteninterpretation einer festen Struktur. Sie besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: der Einleitung, dem Hauptteil und der Synthese. Dabei untergliedert sich der Hauptteil in die Elementanalyse und die Komplexanalyse. Karteninterpretation: Die Einleitung In der Einleitung erfolgt zunächst eine umfassende Einordnung der Karte, ähnlich zum ersten Arbeitsschritt des Kartenlesens. Es werden der Name des Kartenblattes, der Maßstab, der Autor bzw. Herausgeber der Karte und das Erscheinungsjahr der Karte aufgeführt. Des Weiteren erfolgt die Gradnetz- und Koordinatenangabe, es werden die angrenzenden Kartenblätter (gleicher Maßstab! ) sowie die politische und naturräumliche Zugehörigkeit benannt (Hüttermann, 2001, S. 27-28). Bis auf die naturräumliche Zugehörigkeit des Kartenblattes können die dafür notwendigen Informationen alle direkt aus der Karte entnommen werden. Besonders bei der Zuweisung der naturräumlichen Einheiten sollten der: die Student: innen jedoch die institutsspezifischen Vorgaben beachten, da diese ggf. variieren können. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 401 <?page no="402"?> Die zweite Hälfte der Einleitung, die nicht länger als eine halbe Seite sein sollte, umfasst eine kurze Beschreibung der (direkten) Geofaktoren des Kartenblattes. Häufig empfiehlt es sich diesen Teil der Einleitung am Ende der Karteninterpretation zu formulieren, da nach dem Abschluss der Einzel- und Komplexanalyse, die für das Kartenblatt bzw. den Naturraum relevanten Informationen und Geofaktoren einfacher zu identifizieren sind. Elementanalyse Der Hauptteil der Karteninterpretation wird durch die Elementanalyse eingeleitet. Hierbei findet eine systematische Durchmusterung der Karte unter geographischen Gesichtspunkten statt und die Geofaktoren und Einzelelemente sowie deren Verbrei‐ tung und Häufigkeit werden ausführlich beschrieben. Grobe Skizzen können hilfreich sein, um die jeweiligen Elemente klar voneinander abzugrenzen und verstehen zu können. In der Elementanalyse findet noch keine Interpretation der Informationen statt (Hüttermann, 2001, S. 43). Dementsprechend werden bei der Beschreibung nur die direkten Geofaktoren und Einzelelemente des Kartenblattes berücksichtigt. Dazu zählen die folgenden fünf Aspekte: 1. Die Reliefverhältnisse Zur Charakterisierung des Kartenblattes bietet es sich an zunächst die maximalen Hö‐ henunterschiede, in Form der niedrigsten Stelle und der höchsten Erhebung innerhalb des Ausschnittes, vorzustellen. Daran anschließend sollte der Verlauf der Isohypsen beschrieben werden, da aus deren Anordnungen Rückschlüsse auf die Reliefenergie und Hangneigung gezogen werden können. Dafür ist es jedoch notwendig die Äqui‐ distanz der Isohypsen zu kennen. Diese kann in den meisten Fällen der Kartenlegende entnommen werden. So kann aus der Anordnung der Isohypsen geschlussfolgert werden, ob ein steiles oder flaches Relief vorliegt, ob die Anstiege gleichmäßig oder die Hänge asymmetrisch geformt sind und ob Hohlformen (Mulden und Täler) oder Vollformen (Berge oder Gebirgszüge) und Geländestufen vorliegen. Es ist nicht ausreichend, lediglich das Vorkommen der Formen zu beschreiben. Anhand der Isohypsen sollte eine spezifische Charakterisierung erfolgen, sodass ersichtlich wird, ob es sich um Berge oder Kämme, Kuppen, Kegel oder Plateaus handelt. Des Weiteren sollte erwähnt werden, ob es sich um einzelne Formen handelt oder diese in gereihter und verbundener Anordnung im Kartenblatt orientiert sind. Analog zu den Vollformen können auch die Hohlformen und Talformen anhand des Querschnittes, welcher aus dem Isohypsenverlauf abgeleitet werden kann, näher typisiert werden. Abhängig von der Fließgeschwindigkeit, der Wassermenge, dem Gesteinsuntergrund und der mitgeführten Sedimentmenge bilden sich unterschied‐ liche Täler aus. Dabei kann neben Mulden-, auch in Kerb-, Sohlen-, Trog- und 402 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="403"?> Kastentäler differenziert werden. Häufig können im Längsverlauf eines Fließgewässers auch unterschiedliche Talformen identifiziert werden, woraus Rückschlüsse auf die Morphogenese der Landschaft gezogen werden können. Eine ausführliche Erläuterung zur Unterscheidung dieser verschiedenen Formen anhand des Isohypsenverlaufes liefert Hüttermann (2001, S.-50). Da jede Landschaft durch einen individuellen Formenschatz gekennzeichnet ist, der je nach Landschaftsgenese unterschiedlich groß ausfällt, stellt die Reliefbeschreibung einen bedeutenden Teil der Elementanalyse dar. Werden Formenbeschreibungen aus‐ gelassen oder nur einzelne Formen beschrieben, kann die spätere Interpretationen und Synthese lückenhaft sein, wodurch kein schlüssiges Bild der neogenen Landschafts‐ entwicklung geliefert werden würde. Beispiel zur Beschreibung der Reliefverhältnisse: Geprägt ist das Relief überwiegend durch Abschnitte, die durch sehr engständige Scharung der Isohypsen und deutlich sichtbare Schummerung charakterisiert werden. Diese werden durch tieferliegende, flächenhaft wirkende Strukturen und Täler zerschnitten und unterbrochen, in denen die Isohypsenscharung weitständiger ist sowie lediglich Höhen zwischen 60,0 m ü. NN und 150,0 m ü. NN erreicht werden. 2. Die Hydrologie Neben der Gewässerart (stehendes oder Fließgewässer), der Gewässerentstehung (natürlicher oder anthropogener Ursprung) kann auch die Form und Orientierung dieser näher beschrieben werden. So können Fließgewässer stark mäandrieren und durch weitreichende Auen gekennzeichnet sein, wenn sie nur gering anthropogen beeinträchtigt sind. Nimmt die anthropogene Überprägung der Landschaft jedoch zu, können häufig geradlinige Flussläufe oder Kanäle beobachtet werden. Hinzu kommen die Gewässernetzdichte, die Gewässernetzstruktur (dendritisch, radial etc.) sowie die Entwässerungsrichtungen (konsequent, obsequent oder insequent), welche relevante Informationen über die geologische Beschaffenheit des Untergrundes oder die klimatischen Verhältnisse des Untersuchungsgebietes liefern können. Dabei sollte in diesem Unterkapitel der Elementanalyse wieder auf eine rein deskriptive Formulierung geachtet werden. Weitere punktuelle Signaturen hoher Relevanz sind Quellen und Wasserbehälter (Hüttermann, 2001, S.-81-89). Beispiel zur Beschreibung der hydrologischen Verhältnisse: Charakteristisch für die Region ist eine große Anzahl an Quellen, die auf den Hochlagen entsprin‐ gen und hangabwärts (konsequent) entwässern. Daraus ergibt sich ein eng verästeltes, dichtes Gewässernetz mit oberirdischem Abfluss, das zusätzlich durch anthropogene Beeinflussung ausgebaut wurde. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 403 <?page no="404"?> 3. Die Vegetation und Landnutzung In den meisten Kartenblättern kann zwischen forstwirtschaftlichen und landwirt‐ schaftlichen Nutzflächen differenziert werden. So können neben Nadel-, Laub- und Mischwäldern auch Grünlandflächen, Streuobstwiesen, Ackerflächen und Sonderkul‐ turen vorkommen, welche anhand spezifischer Signaturen eindeutig identifizierbar sind. Die (Un-)Regelmäßigkeit von Baumpflanzungen und die Häufigkeit von Büschen sowie Flächen ohne Signaturen sollte ebenso beschrieben werden. Relevant sind diese Informationen für die spätere Komplexanalyse und Synthese, da sie Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit, die Ertragsfähigkeit und die (Grund-)Was‐ serversorgung ermöglichen. So kann eine landwirtschaftliche Nutzung in einem Auenbereich beispielsweise unrentabel sein, da das Grundwasser sehr hoch anstehend ist, sodass diese Fläche als Grünlandstandort genutzt wird, obwohl die Gründigkeit und Nährstoffversorgung der Böden theoretisch eine andere Nutzung zuließen (Hütt‐ ermann, 2001, S.-80). 4. Siedlungsflächen und Infrastruktur Entscheidend bei den Siedlungsflächen ist, ob diese nach einem bestimmten Muster angeordnet sind und z. B. abhängig von Wasservorkommen oder anderen Geofaktoren wie dem Relief sind. Ist der Raum eher als städtisch oder ländlich zu beschreiben, gibt es flächenhafte, zusammenhängende Siedlungsflächen oder eher Einzelvorkommen, ist die Siedlungsdichte hoch? Auch in diesem Kapitel kann die Interpretation der Be‐ schriftung (Orts- und Flurnamen) wieder hilfreiche Aufschlüsse geben und sollte nicht vernachlässigt werden. Infrastrukturelle Parameter sind meistens anhand linienhafter Signaturen sichtbar gemacht. Straßen unterschiedlicher Art können häufig anhand der Strichstärke unterschieden werden. Hinzu kommen Signaturen des Eisenbahnnetzes und der Schifffahrt (Schienen und Kanäle), deren räumliche Verteilung in diesem Unterkapitel ebenso erwähnt werden sollten. 5. Die Großeinheiten Aus den Beschreibungen dieser Parameter sollte abschließend ersichtlich werden, in welche Großeinheiten das Kartenblatt unterteilt werden kann. Die Einheiten sollten durch eine Kombination aus römischen Ziffern und Buchstaben so nummeriert werden, dass ein Zusammenhang zwischen der Genese und der Ausprägung der Teilgebiete erkennbar wird. Forstwirtschaftlich genutzte Höhenzüge, die sich jedoch hinsichtlich des Reliefs unterscheiden, können zum Beispiel als Ia und Ib benannt werden. Aus dieser Nomenklatur wird ersichtlich, dass sie in einigen Parametern Ähnlichkeiten aufweisen, jedoch auch unterschiedlich sind. Die nächste erkennbare zusammenhängende Einheit würde dann eine Bezeichnung als II zugewiesen bekommen. Liegen nun zum Beispiel noch weitere Formen der Landnutzung vor, kann die Nummerierung beliebig fortgeführt werden. Dabei muss 404 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="405"?> die Nomenklatur jedoch nicht zwingend oder ausschließlich anhand der Landnutzung erfolgen, sondern vielmehr anhand des Zusammenwirkens der zuvor beschriebenen Geofaktoren. In den folgenden Kapiteln sollte fortan immer ein Bezug zu den Be‐ zeichnungen der Großeinheiten hergestellt werden, um die Nachvollziehbarkeit der Interpretationen zu gewährleisten. Komplexanalyse Im Zuge der Komplexanalyse werden zunächst Beziehungen der Einzelelemente untereinander gesucht sowie Hypothesen aufgestellt, worum es sich bei diesen Formen handeln könnte und durch welche Landschaftsprozesse diese entstanden sein könnten (Hüttermann, 2001, S. 43-44). Außerdem sollte erläutert werden, ob Raumeinheiten und Regelhaftigkeiten der Formen erkannt werden können. Dabei muss nun jedoch zwischen direkten Faktoren unterschieden werden, die aus der Karte „herausgelesen“ werden können und den indirekten Parametern, darunter die beiden im Folgenden genannten: 1. Klima Klimatische Bedingungen des Untersuchungsgebietes können aus dem Kartenblatt nur indirekt abgeleitet werden, können für die Interpretation jedoch entscheidend sein. Aus der Dichte des Gewässernetzes, aus vorhandenen Be- und Entwässerungsanlagen, aus der Existenz oder Abwesenheit von Schnee und Gletschern, der Lage und Exposition von Bergen und Gebirgen können Rückschlüsse auf die Niederschlagsverhältnisse gezogen werden. Auch der Anbau von Sonderkulturen wie Hopfen oder Wein sowie die Höhenlage selbst erlauben eine Interpretation und Einstufung der vorherrschenden Temperaturverhältnisse. Über Signaturen wie Windmühlen, Windenergieanlagen, Hecken, Zäune und Waldschutzstreifen können die Windverhältnisse des Gebietes abgeleitet werden (Hüttermann, 2001, S.-97-98). 2. Geologische Beschaffenheit und Bodenverhältnisse Auch der Gesteinsuntergrund lässt sich nur indirekt über die Beschreibung des Formenschatzes oder über die Landnutzung herleiten. Böden, die aus Sandsteinen her‐ vorgehen, sind besonders sauer und aufgrund ihrer hohen Wasserdurchlässigkeit sehr trocken, sodass diese überwiegend forstwirtschaftlich (Nadelwald) genutzt werden. Ton- und Sandgruben sowie Ziegeleien sind typische Begleitsignaturen. Ziegeleien können auf eine hohe Anwesenheit von Ton im Untergrund hinweisen, dessen Ur‐ sprung aus anderen stratigraphischen Einheiten resultiert, weshalb diese Hypothesen immer mit Vorsicht aufgestellt und optimalerweise anhand mehrerer Signaturen belegt werden sollten. Liegen steile Geländeformen wie Felswände und Klippen vor, sind zeitgleich gravi‐ tative Massenbewegungen in Form von Block- oder Felsstürzen kartiert und erstreckt sich das Gewässernetz überwiegend unterirdisch (Vielzahl an Trockentälern und 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 405 <?page no="406"?> Bachschwinden) und liegen Dolinen (nahezu kreisrunde Eintiefungen) vor, handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um eine Karstlandschaft und einen kalkigen Untergrund. Zementwerke (Mergel, Ton + Kalk) und Schotterwerke können weitere Hinweise darauf liefern. Ist die Siedlungsdichte in einem Raumabschnitt hoch, werden die Böden intensiv genutzt und sind zudem Hohlwege kartiert, so zeichnet sich der Untergrund vermutlich durch einen hohen Lössanteil aus. Auszug aus einer Komplexanalyse: Durch die Errichtung eines weitreichenden und eng verästelten Kanalsystems soll flächendeckend eine gute Wasserversorgung der Region gewährleistet werden. Die natürlichen Flussläufe verlau‐ fen vermutlich entlang von Störungs- oder Bruchzonen, in Richtung des Talgefälles sowie in Runsen, weshalb das Wasser nicht gleichmäßig in den Talbereichen verfügbar wäre. Da aber besonders in diesen Tälern in großem Ausmaß landwirtschaftliche Nutzung vorliegt, soll dieses Defizit durch Wassergräben und Wasserbehälter ausgeglichen werden. Lediglich in Bereichen in direkter Nähe zum mäandrierenden Flussläufen (IIb) sind Auenbereiche zu verorten, weshalb diese ausschließlich als Weide- und Wiesenfläche dienen und für die Viehhaltung genutzt werden, da ein Anbau an Nutzpflanzen aufgrund der Staunässe und Gefahr der Überflutung wenig sinnvoll erscheint. Synthese Die abschließende Synthese stellt das Zusammenwirken der Komplexe zu räumlichen Systemen dar. Dabei werden die aus dem Kartenblatt gewonnenen Informationen zusammengesetzt, mit Hilfe einer Interpretationsskizze, die aus den Geofaktoren resultiert, veranschaulicht und alle Ergebnisse in Form der dazugehörigen Legende gebündelt. Die Abbildung 2.2.2 zeigt ein Beispiel einer Interpretationsskizze sowie aller dabei zu berücksichtigenden Elemente. In diesem Kapitel darf und sollte zusätzliche Literatur genutzt werden, um die Hypo‐ thesen der Komplexanalyse zu bestärken. Es sollen dabei die jeweiligen Charakteristika der einzelnen Großeinheiten der Reihe nach beschrieben und erläutert werden, welche landschaftsformenden Prozesse ursächlich für die Landschaftsgenese sind und wie die einzelnen Großeinheiten räumlich in Verbindung stehen. Nur wenn die Beschrei‐ bungen der Einzel- und Komplexanalyse beziehungsweise der einzelnen Geofaktoren ausführlich erfolgte, kann die Synthese nachvollziehbar formuliert werden und Zu‐ sammenhänge im Wirkungsgefüge erkannt werden. 406 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="407"?> 120 Die Zitationsweise entspricht aufgrund institutsspezifischer Vorgaben des Institutes für Physische Geographie der Goethe-Universität Frankfurt (IPG) nicht dem Harvard-Zitationsstil. Auszugsweises Beispiel einer Synthese: Die im Kartenblatt dargestellte Region um Hameln kann aufgrund der naturräumlichen Gliederung Deutschlands nach LIEDTKE (1994: 1)  120 der Deutschen Mittelgebirgsschwelle zugeordnet werden. Diese ist durch ein vielgegliedertes Relief charakterisiert, das neben Bergkämmen und Bergkuppen und Muldentälern besonders durch den Verlauf der Weser geprägt ist. Die starke tektonische Beanspruchung und Überprägung, die aus verschiedenen Gebirgsbildungsphasen resultiert, sorgt für eine Vierteilung der Landschaft. So entstanden im östlichen Bereich im Zuge der Bruchschollentektonik Höhenzüge, die Schichtkämme ausgebildet haben sowie einen länglichen, leistenförmigen Verlauf aufweisen (Ia). Nach B E T Z E R et al können diese als Eggen bezeichnet werden (2003: 14). Da die Streichrichtung dieser Höhenzüge von Nordwest nach Südost verläuft, kann hier von herzynischem Streichen gesprochen werden (G E Y E R 2001). Die flachen Täler und Hänge (IIa) sind in den Kaltzeiten des Quartärs vermutlich von Löss bedeckt und von Moränenablagerungen sowie Sedimenten, die in den Flüssen transportiert wurden, überlagert worden. Aufgrund der hohen Fruchtbarkeit des Löss eignen sich diese Standorte bevorzugt für die landwirtschaftliche Nutzung und können mit entsprechender Bewässerung maximale Erträge erzielen. Es ist somit davon auszugehen, dass sowohl die Bodenbedingungen als auch die flache Struktur der Tiefebenen Ackerbau begünstigen und diese daher auch in großem Stil genutzt werden. Abb. 2.2.2: Interpretationsskizze der L3922 Hameln (eigene Darstellung, Datengrundlage: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt 1963). 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 407 <?page no="408"?> Vermeidbare Fehlerquellen, Tipps und Tricks ● Konkrete Bezeichnung und objektive Nennung der Himmelsrichtungen und nicht subjektive Bezeichnungen wie „oben, unten, rechts, links“ verwenden! ● Auf eine ausführliche Beschreibung der Geofaktoren und Einzelelemente in der Elementanalyse achten, da die späteren Kapitel sonst lückenhaft werden und Gedankengänge nicht nachvollziehbar sind! ● Dafür den Fokus besonders auf die Knitterung von Isohypsen, Isohypsenscharung und Bereiche mit höherer und niedrigerer Reliefenergie legen! ● Auf eine klare Trennung (! ) von Beschreibung und Interpretations-Kapiteln ach‐ ten! ● Grobskizzen für jeden Geofaktor anfertigen, da diese helfen können das gesamte Wirkungsgefüge einfacher überblicken und beschreiben zu können! Hilfreiche Literatur zu Beschreibungs- und Unterscheidungsmöglichkeiten der Ge‐ ofaktoren und einzelner Landschaftselemente: ● Schulz, G. (1995): Lexikon zur Bestimmung der Geländeformen in Karten, 3. Auflage, Berlin: Institut für Geographie der Technischen Universität Berlin. ● Wilhelmy, H. (2002): Geomorphologie in Stichworten: II Exogene Morphodynamik: Abtragung - Verwitterung - Tal- und Flächenbildung, 6. Auflage, Stuttgart: Gebrü‐ der Borntraeger. ● Wilhelmy, H. (2007): Geomorphologie in Stichworten: III Exogene Morphodynamik: Karstmorphologie - Glazialer Formenschatz - Küstenformen, 6. Auflage, Stuttgart: Gebrüder Borntraeger. ● Wilhelmy, H. (2013): Geomorphologie in Stichworten: I. Theorie - Methoden - Endogene Prozesse und Formen, 7. Auflage, Stuttgart: Gebrüder Borntraeger. Literatur H ÜT T E R MA N N , A. (2001): Karteninterpretation in Stichworten: Teil 1 Geographische Interpretation topographischer Karten, 4. Auflage, Berlin, Stuttgart: Gebrüder Borntraeger. K O H L S T O C K , P. (2018): Kartographie: Eine Einführung, 4. Auflage, Paderborn: Ferdinand Schön‐ ingh. 408 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="409"?> Kap.-1.3.2 2.2.4 Hausarbeiten in den Geowissenschaften Jessica Algenstaedt und Veronika Zängerle Das regelmäßige Verfassen von Hausarbeiten ist ein wichtiger Bestandteil des Geogra‐ phiestudiums, stellt Student: innen jedoch regelmäßig vor Herausforderungen. Daher soll das folgende Kapitel einen Leitfaden für den Schreibprozess von Hausarbeiten in der (Physischen) Geographie liefern, mögliche Herausforderungen beleuchten und Hilfestellungen für diese bieten. Da es sich um einen Leitfaden handelt, kann es in der Praxis zu institutsspezifischen Abweichungen kommen und es sollten immer die Vorgaben des: der Betreuers: in berücksichtigt werden. Aufbau einer Hausarbeit Hausarbeiten in den Geowissenschaften können unterschiedlicher Natur sein: Einer‐ seits kann es sich um rein literaturbasierte Hausarbeiten handeln, andererseits können Hausarbeiten über im Rahmen von Exkursionen gewonnene beziehungsweise bereit‐ gestellte Daten verfasst werden. Die Grundstruktur der Hausarbeit ist jedoch immer identisch, sodass die erste Seite einer Hausarbeit durch das Deckblatt dargestellt wird, auf welches auf der nächsten Seite ein Inhaltsverzeichnis folgt. Bei umfangreicheren Ausarbeitungen schließt sich daran ein optionales Abbildungs- und Tabellenverzeich‐ nis sowie ein Abkürzungs- und Symbolverzeichnis an. Erst nach diesen Verzeichnissen folgt der eigentliche Textteil, welcher sich immer in Einleitung, Hauptteil und Schluss gliedert. Abschließend wird ein Literatur- und Quellenverzeichnis eingebaut. Des Weiteren kann ein Anhang bei größeren Datenmengen oder großformatigen Abbil‐ dungen sinnvoll sein. Erst die unterschriebene (! ) Eigenständigkeitserklärung auf der letzten Seite schließt die Hausarbeit ab. Checkliste: □ Deckblatt □ Inhaltsverzeichnis □ Abbildungsund/ oder Tabellenverzeichnis (optional) □ Abkürzungs- und Symbolverzeichnis (optional) □ Einleitung □ Hauptteil □ Schluss □ Literaturverzeichnis □ Anhang □ Eigenständigkeitserklärung 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 409 <?page no="410"?> Das Deckblatt Das Deckblatt dient dazu, eine Hausarbeit eindeutig zu- und einordnen zu können und in die Thematik der Ausarbeitung einzuführen. Entsprechend müssen auf diesem Titelblatt vollständige Angaben zum Institut und der Institution, der Modulbezeich‐ nung, des (Veranstaltungs-)Titels, der Veranstaltungsleitung (mit vollständigen und korrekten akademischen Titeln), zu Name und Vorname des: der Verfasser: in, zur Matrikelnummer sowie zum Abgabeort und -datum gemacht werden. Optional können Gruppennummern erforderlich sein. Abb. 2.2.3 liefert ein Beispiel für ein korrekt erstelltes Deckblatt. Abb. 2.2.3: Beispielhaftes Deckblatt einer Hausarbeit in der Physischen Geographie. 410 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="411"?> Das Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis (Abb. 2.2.4) erhält die Überschrift „Inhalt“. Es beinhaltet eine vollständige Auflistung und Nummerierung aller Kapitel, die nach dem Inhaltsver‐ zeichnis im Hauptteil der Ausarbeitung aufgeführt werden. Dabei sind die numerischen Paginierungsvorgaben und korrekte Seitenangaben zu beachten. Außerdem sollten möglichst aussagekräftige Bezeichnungen der Kapitel und Unterkapitel gewählt wer‐ den. Neben diesen Aspekten sollten zwingend verschiedene Hierarchieebenen genutzt werden, da diese eine Gliederung der meist komplexen Thematik ermöglichen. Dabei ist darauf zu achten, dass es pro Kapitel mindestens zwei Unterkapitel geben muss und es keine eigenständigen Unterkapitel geben kann. Die meisten Textverarbeitungs‐ programme bieten bereits hilfreiche Tools, die die korrekte Erstellung des Inhaltsver‐ zeichnisses in Bezug auf Formatierung und Hierarchien deutlich vereinfachen können. Abb. 2.2.4: Inhaltsverzeichnis mit optionalen Kapiteln. Das Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Das Aufführen eines Abbildungsund/ oder Tabellenverzeichnisses ist optional (Kind‐ ler, Weber & Kühne et al., 2019, S. 29). Bei kürzeren Hausarbeiten mit wenigen Abbildungen und/ oder Tabellen kann häufig darauf verzichtet werden, bei längeren Hausarbeiten sollten diese beiden Verzeichnisse für eine bessere Übersicht jedoch eingefügt werden. In einer Hausarbeit wird bei den graphischen Darstellungen zwi‐ schen Abbildung und Tabellen unterschieden. Diese werden daher in zwei getrenn‐ 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 411 <?page no="412"?> ten Verzeichnissen aufgeführt, welche je nach Länge der Verzeichnisse jedoch auf einer gemeinsamen Seite erscheinen dürfen. Die Nummerierung der Abbildungen und Tabellen erfolgt jeweils beginnend bei „1“ in der Reihenfolge, in der diese im Text vorkommen. Analog zum Inhaltsverzeichnis müssen auch hier die korrekten Seitenzahlen angegeben werden. In Abb. 2.2.5 ist ein Beispiel eines Abbildungs- und Tabellenverzeichnisses zu sehen. Abb. 2.2.5: Abbildungs- und Tabellenverzeichnis einer Bachelorthesis. Abkürzungsund/ oder Symbolverzeichnis Wie beim Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ist auch die Aufführung eines Ab‐ kürzungsund/ oder Symbolverzeichnisses optional (Kindler, Weber & Kühne et al., 2019, S. 29). Es empfiehlt sich immer dann ein Abkürzungs- und Symbolverzeichnis einzuführen, wenn viele unbekannte Abkürzungen und/ oder Symbole verwendet 412 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="413"?> wurde, z. B. bei Fachbegriffen. Für gängige Abkürzungen wie „m“ für Meter und „mNN“ oder „m ü. NN“ für Meter über Normalnull ist es nicht zwingend notwendig ein Abkürzungsund/ oder Symbolverzeichnis zu erstellen. Zusätzlich sollten die verwendeten Abkürzungen und Symbole bei ihrer ersten Verwendung im Text kurz erläutert werden, da die Verzeichnisse lediglich eine Unterstützung für den: die Leser: in in Form einer Zusammenfassung darstellen. Ein Beispiel für ein Abkürzungs- und Symbolverzeichnis liefert Abb.-2.2.6. Abb. 2.2.6: Beispiel eines Abkürzungsverzeichnisses. Die Einleitung Die Einleitung (Abb. 2.2.7) dient der ersten Einführung der: des Lesers: in in die Hausarbeit. Dementsprechend soll die Einleitung genutzt werden, um einen kurzen Überblick über die Rahmenbedingungen und die Inhalte der Hausarbeit zu geben 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 413 <?page no="414"?> und das Interesse des: der Lesers: in zu wecken. Insgesamt sollte die Einleitung jedoch maximal 15-% des Gesamtumfanges der Hausarbeit ausmachen. Inhaltlich findet in der Einleitung eine kurze Einordung der Veranstaltung in das Curriculum und/ oder in eine fachspezifische/ öffentliche Diskussion statt. Zudem werden kurz allgemeine Angaben zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. Da geographische Fragestellungen in der Regel einen räumlichen Bezug haben, muss in der Einleitung zusätzlich kurz (! ) in das Untersuchungsgebiet eingeführt werden, sodass dieses Gebiet eindeutig abgegrenzt wird. Zuletzt werden in der Einleitung Angaben zur zentralen Fragestellung sowie den Zielen der Arbeit gemacht. Falls nötig kann ergänzend der Aufbau und die Gliederung der Ausarbeitung vorgestellt werden. Bei umfangreichen Abschlussarbeiten beinhaltet die Einleitung im weiteren Sinne zusätzlich noch die Präsentation des aktuellen Forschungsstandes in Bezug zur Fragestellung. Abb. 2.2.7: Ausformulierte Einleitung einer Studienarbeit. Der Hauptteil Auf die Einleitung folgt der Hauptteil, welcher mit rund 75 % des Gesamtumfanges den Großteil der Hausarbeit darstellt. Dabei ist zu beachten, dass themenbezogene Überschriften für die Kapitel und Unterkapitel gewählt werden und die sehr allgemeine Bezeichnung „Hauptteil“ nicht benutzt wird. Dieser Teil untergliedert sich immer in 414 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="415"?> Kap.-1.2.5 mehrere Unterkapitel und innerhalb dieser wiederum in weitere Absätze. Auch dabei gilt wieder, dass die Absätze in den Unterkapiteln grundsätzlich mehr als einen Satz umfassen müssen und keine eigenständigen Sätze als Absatz zulässig sind. Inhaltlich findet im Hauptteil eine Präzisierung und Ausarbeitung des Themas bezie‐ hungsweise der Fragestellung statt. Zunächst sollten je nach Bedarf grundlegende Begrifflichkeiten und Definitionen erläutert werden. Ergänzend zur Einleitung erfolgt im Hauptteil eine ausführliche Einordnung des Untersuchungsgebietes bezüglich der naturräumlichen Zugehörigkeit. Darüber hinaus sollte ein allgemeiner Überblick über die Geofaktoren (Relief, Vegetation, Hydrologie, Klima, usw.) gegeben werden. Daran schließt sich eine Beschreibung der genutzten Methoden an, die so ausführlich formuliert werden muss, dass auch Außenstehende die Vorgehensweise nachvollziehen und die Ergebnisse mit dieser Methodik ggf. auch in weiteren Studien reproduziert werden können. Der Hauptteil dient ebenso der Darstellung und Beschreibung der Ergebnisse (Daten, Beobachtungen). Dabei liegt der Fokus jedoch auf einer rein deskriptiven Ergebnis‐ darstellung und es darf noch keine Interpretation oder Bewertung der Ergebnisse stattfinden. Die Interpretation erfolgt erst im nächsten Schritt. Zuletzt findet die Dis‐ kussion der Ergebnisse unter Verwendung von Literatur und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Meinungen und Positionen statt. In der Diskussion werden die eigenen Ergebnisse kritisch hinterfragt, evaluiert und nach möglichen Ursachen für Abweichungen gesucht. Wichtig ist, dass in sämtlichen Unterkapiteln des Hauptteils der Bezug zur Fragestellung ersichtlich bleibt und die Zielsetzung der Ausarbeitung im Fokus bleibt. Je nach Fragestellung kann es zu Abweichungen dieser Struktur kommen. Der Schluss Analog zum Hauptteil sollte auch das abschließende Kapitel der Hausarbeit niemals die Bezeichnung „Schluss“ erhalten. Mögliche Bezeichnungen, die stattdessen verwendet werden können, wären „Fazit“ oder „Zusammenfassung“. Dieser Abschnitt sollte maximal 10-% der Hausarbeit umfassen. Das Fazit beinhaltet eine Zusammenfassung und Wiedergabe der wichtigsten Ergeb‐ nisse und Erkenntnisse und stellt einen abschließenden Bezug zur Fragestellung dar. Gegebenenfalls kann im Schluss eine abschließende kritische Bewertung und Einstu‐ fung der Ergebnisse stattfinden. Zudem bietet er die Gelegenheit ungelöste Fragen und Forschungslücken aufzuzeigen und einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen oder Projekte zu geben. Dabei sollten allerdings keine (! ) neuen Aspekte angesprochen werden. Das Literaturverzeichnis Im Literaturverzeichnis werden alle im Text direkt oder indirekt zitierten Quellen (Lehrbücher, Artikel, Internetquellen, Karten, usw.), sowie die Quellen von Abbildung 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 415 <?page no="416"?> 121 Wir sind davon ausgegangen, dass es klar ist, dass Hausarbeiten im Hochformat abgegeben werden. Allerdings haben wir in den Schreibberatungen mehr Arbeiten im Querformat gesehen, als wir jemals für möglich gehalten hätten, weshalb wir es sicherheitshalber erwähnen. und Tabellen (sofern es sich nicht um eigene Abbildungen und Tabellen handelt) auf‐ geführt. Die Auslistung der Quellen folgt abhängig vom jeweiligen Zitierstil festen Regeln. Der Anhang Der Anhang bietet Platz für umfangreiche Daten, häufig in Form von Rohdaten, welche die Datengrundlage der in der Hausarbeit präsentierten Ergebnisse bildeten. Dazu können Abbildungen und Tabellen, aber auch verwendete Interviewbögen zählen. Inhalte, die direkt im Text angesprochen werden, werden üblicherweise nicht im Anhang dargestellt. Die Eigenständigkeitserklärung In der Eigenständigkeitserklärung versichern Sie, dass Sie die vorliegende schriftliche Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegeben Quellen und Hilfsmittel verwendet haben, Sie die Stellen, die anderen Werken im Wortlaut oder im Sinn nach entnommen wurden durch Quellenangaben im Text deutlich gemacht haben und die Arbeit oder Auszüge aus der Arbeit in keinem anderen Studiengang als Studien- oder Prüfungsleistung verwendet haben. Diese Erklärung sollte unter Angabe von Ort und Datum unterschrieben werden. Falls mehrere Autoren: innen an der Hausarbeit beteiligt sind, müssen alle Unterschriften vorliegen. Bei Fehlen der Unterschrift ist die Eigenständigkeitserklärung ungültig und die Hausarbeit gilt automatisch als nicht bestanden. Die konkreten Bestimmungen in Ihrem Studiengang dazu finden Sie in Ihrer Prüfungsordnung. Formalia Neben den Vorgaben zum Aufbau einer Hausarbeit, gibt es noch einige grundlegende Formalia die beachtet werden sollten. Diese betreffen vor allem die Formatierung, die Gestaltung und das Einbinden von Abbildungen und Tabellen in die Textbausteine. Formatierung und Gestaltung Schriftliche Hausarbeiten werden prinzipiell auf DIN-A4 im Hochformat 121 verfasst und einseitig gedruckt. Bei Layout, Schriftart, Schriftgröße und Zeilenabstand sollten Sie auf ein leserfreundliches, übersichtliches und klar strukturiertes Gesamtbild achten. Häufig werden für Hausarbeiten direkte Vorgaben gemacht, an die Sie sich unbedingt halten sollten. Falls es keine institutsspezifischen Vorgaben gibt, können Sie sich an den folgenden Empfehlungen orientieren: 416 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="417"?> Kap.-1.3.3 Kap.-1.5.3 ● Seitenrand: - links: 2,5 cm - rechts: 2-cm - oben: 2-cm - unten: 2-cm ● Textausrichtung: Blocksatz ● Zeilenabstand: 1,5-zeilig ● Schriftart/ -größe: Times New Roman (12 pt), Arial (11 pt) Außerdem sollten zwischen den Wörtern einigermaßen gleichmäßige Abstände beste‐ hen. Dies kann zum einen durch eine manuelle Silbentrennung nach Fertigstellung des Textes geschehen, zum anderen durch die Verwendung einer automatischen Silbentrennung der gängigen Textverarbeitungsprogramme. Bei Verwendung der automatischen Silbentrennung sollte nachträglich eine Kontrolle und Überarbeitung stattfinden, da möglicherweise nicht immer alle Wörter korrekt getrennt werden können (Baade et al., 2021, S.-125). Des Weiteren sollte Sie darauf achten, dass ihre Seiten nummeriert und ihre Kapitel eine durchlaufende Nummerierung aufweisen. Ihr Text sollte grammatikalisch und orthographisch einwandfrei sein. Um dies zu gewährleisten, sollten die fertiggestellten Texte nach dem Vieraugenprinzip immer noch mindestens ein weiteres Mal Korrektur gelesen werden. Es ist darauf zu achten, dass die Sätze kurz, verständlich, präzise und aufeinander aufbauend formuliert sind und keine Schachtelsätze über mehrere Zeilen beinhaltet sind. Des Weiteren sollte in wissenschaftlichen Ausarbeitungen auf Formulierungen in der „Ich“-Form verzichtet werden, keine Umgangssprache ver‐ wendet und eine gendergerechte Ansprache bedacht werden. Abbildungen und Tabellen Abbildungen und Tabellen dienen immer dazu, das geschriebene Wort visuell zu un‐ terstützen und zu veranschaulichen. Entsprechend sollte auf ein angemessenes Ver‐ hältnis zwischen Text und Bild geachtet werden: ca. eine Abbildung je drei Seiten Text. Dabei muss auf eine passende Größe der Abbildungen geachtet werden, sodass diese gut lesbar sind. Im Text muss immer ein Bezug zur jeweiligen Abbildung oder Tabelle hergestellt werden. Dafür gibt es zum einen die Möglichkeit im laufenden Text auf die Abbildung oder Tabelle hinzuweisen („Abbildung 1 zeigt…“), zum anderen an einer passenden Position eine Klammer zu setzen (Tab. 1). Es wird empfohlen, im laufenden Text „Abbildung“ und „Tabelle“ auszuschreiben und in der Klammer durch „Abb.“ und „Tab.“ abzukürzen. Daraus folgt, dass keine Abbildung oder Tabelle in der schriftlichen Ausarbeitung unkommentiert bleiben darf (Baade et al., 2021, S.-139-140). 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 417 <?page no="418"?> Beim Einbinden von Abbildungen und Tabellen sollte darauf geachtet werden, dass diese nach Möglichkeit mit den Seitenrändern bündig abschließen und keinesfalls vom Text umlaufen werden. Abbildungen erhalten immer Abbildungsunterschrif‐ ten, Tabellen hingegen erhalten Tabellenüberschriften. Die Abbildungsunterschrift beziehungsweise die Tabellenüberschrift besteht immer aus der Nummerierung der Abbildung/ Tabelle, dem Titel, welcher den Inhalt kurz zusammenfasst und der Quellen. Bei eigenen Abbildungen/ Tabellen kann auf die Quellenangabe verzichtet werden oder der Zusatz „eigene Darstellung“ verwendet werden. Sollte es sich bei der Abbildung/ Ta‐ belle um eine eigene Gestaltung handeln, die auf fremden Daten beruht, ist neben der Datenquelle auch der Hinweis auf eine Veränderung der Daten anzugeben („eigene Darstellung auf Datengrundlage von A U T O R Jahr: Seite“ oder „verändert nach A U T O R Jahr: Seite“) (siehe Abbildung 2.2.8). Eine Besonderheit in der Kategorie der Abbildungen stellt in geographischen Ausar‐ beitungen die Karte dar. Karten werden dabei wie Abbildungen behandelt, müssen jedoch ein paar zusätzliche Angaben beinhalten. So besitzt eine Karte immer (! ) eine Legende und eine Maßstabsangabe, wobei zu beachten ist, dass der Maßstab einer Karte variabel ist. Aus diesem Grund sollte der Kartenmaßstab nach Möglichkeit mit Hilfe einer graphischen Maßstabsleiste abgebildet werden, sodass er beim Vergrößern oder Verkleinern der Karte weiterhin korrekt ist. Sollte die Karte nicht genordet sein, ist zusätzlich ein Nordpfeil einzufügen. 418 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches <?page no="419"?> Abb. 2.2.8: Beispiel einer Kartendarstellung mit kurzer Legende und graphischer Maß‐ stabsleiste. Literatur B AA D E , J. / G E R T E L , H. / S C H L O T T M A N N , A. (2021): Wissenschaftlich arbeiten: ein Leitfaden für Studierende der Geographie, 4. Aufl., Bern: UTB. K I N D L E R , H. / W E B E R , F. / K ÜH N E , O. / H A D L E R , G. (2019): Wissenschaftlich Arbeiten in der Geogra‐ phie und Raumwissenschaften: Ein Überblick, Wiesbaden, Wiesbaden: Springer Fachmedien. 2.2 Exkursionen, Geländeübungen und ähnliches 419 <?page no="420"?> 122 Man kann ja nie wissen, ob es nicht doch irgendwann zu gebrauchen ist! 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten 2.3.1 Mathematische Arbeiten Eva Kaufholz-Soldat The soundest fact may fail or prevail in the style of its telling … Ursula K. Le Guin: The Left Hand of Darkness (1969) In der Literatur werden die MINT-Fächer und insbesondere die Mathematik gerne als nicht oder wenig schreib-intensive Fächer bezeichnet. Hinter solchen Aussagen steht wahrscheinlich ein Verständnis, das wissenschaftliches Schreiben mit Texten wie Hausarbeiten oder Essays gleichsetzt, also Textsorten, die primär in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen geschrieben werden. Aber diese Annahme ist falsch. Zu dieser Erkenntnis sind Sie wahrscheinlich auch spätestens gekommen, als Sie auf die Berge von Papier (oder Dateien) geschaut haben, die sich über den Verlauf des ersten Semesters oder auch nur der ersten Wochen des Studiums angesammelt haben. Dabei handelt es sich um Vorlesungsmitschriften, aber auch Schmierzettel, die bei der Nachbearbeitung entstanden sind und natürlich Übungsaufgaben, von denen in der Regel mehrere pro Woche in jeder Veranstaltung bearbeitet werden müssen. Wenn Sie ähnlich veranlagt sind wie ich, finden Sie Monate später auch noch Zettel mit bei der Bearbeitung entstandenen und später verworfenen Ansätzen oder ersten Lösungsskizzen. Alles in allem wird auch im Mathematikstudium viel und häufig geschrieben. 122 Hinter all diesen Texten, die Sie mehr oder weniger zwangsläufig verfassen müssen, stehen dabei zwei Motivationen. Zum einen sollen Sie „echte“ Mathematik lernen, in der im Gegensatz zur Schulmathematik das Rechnen nur eine untergeordnete Rolle spielt und heuristische und anschauliche Erklärungen nicht ausreichen. Mathematik, wie Sie sie an der Universität lernen, ist vielmehr streng argumentativ aufgebaut, was vereinfacht bedeutet, dass jede Aussage aus bereits vorhandenen Axiomen, Definitionen und Beweisen hergeleitet werden muss. Dabei werden Ihnen zeitgleich mit diesem Wissen auch die wichtigsten Regeln und Konventionen beim Aufschreiben von Mathematik beigebracht. Es ist einer Geschichtsvorlesung durchaus denkbar, dass ein: e Dozent: in nur vereinzelt Jahreszahlen an die Tafel schreibt. Das Erlernen von Mathematik hat aber eine stark visuelle Komponente - nur die wenigsten können sich wahrscheinlich vorstellen, einer ganzen Algebra-Vorlesung mit geschlossenen Augen zu folgen. Selbst in Fortgeschrittenen-Veranstaltungen oder auf Fachtagungen ist es <?page no="421"?> Kap.-1.5.4 Kap.-1.3.2 daher üblich, zumindest die wichtigsten Definitionen und Beweisschritte an die Tafel zu schreiben oder auf Folien zu zeigen. Auf diese Weise können Sie bereits in den Anfängervorlesungen regelmäßig den notwendigen Formalismus und die richtige Notation sehen. Beides lernen Sie auch selbst unter Anleitung, da diese Aspekte in Übungsaufgaben genauso sehr geübt und korrigiert werden wie der Inhalt. Zusätzlich gibt es an vielen Hochschulen mittlerweile eine „Mathewerkstatt“ (manchmal unter anderem Namen wie „Mathelabor“ o. ä.), wo Sie Ihre Übungsaufgaben bearbeiten und speziell ausgebildete Tutor: innen um Hilfe bitten können, wenn Sie steckenbleiben oder Fragen haben. Das Lernen, wie Fachwissen richtig aufgeschrieben wird, spielt also im Mathematikstudium eine zentrale Rolle. Dabei stehen aber vor allem einzelne Textbausteine wie Beweise im Mittelpunkt. Anders sieht es mit längeren schriftlichen Arbeiten aus, um die es in diesem Kapitel geht. Dabei kann es sich um Seminarausarbeitungen, Praktikumsberichte oder Abschlussarbeiten handeln, nicht nur in der Mathematik selbst, sondern möglicher‐ weise auch in anderen Fächern, wenn Sie Ihr Thema unter einer stark mathematischen Perspektive untersuchen, beispielsweise in der theoretischen Informatik oder Physik. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Sie mit einer solchen Arbeit das erste Mal konfron‐ tiert werden, wenn Sie anfangen, die Bachelorarbeit zu schreiben. Sie sind in einem solchen Fall natürlich nicht ganz unvorbereitet, weil Sie bis zu diesem Zeitpunkt eben regelmäßig geübt haben, wie beispielsweise Beweise oder Definitionen aufgeschrieben werden, weshalb ich auf diesen Punkt auch nicht näher eingehen werde. Was Sie bislang in Skripten und Lehrbüchern zwar gesehen, aber vermutlich noch nie selbst ausprobiert haben, ist hingegen das Überführen von mehreren Aussagen zu einem übergeordneten Thema in einen kohärenten und stringenten Text. Dabei sind zwei Aspekte zu beachten. Zum einen braucht eine mathematische Arbeit natürlich eine formale, logische Struktur. Damit ist nicht nur der Aufbau der gesamten Arbeit gemeint. Dieser folgt auch in der Mathematik dem in den MINT-Fächern übli‐ chen IMRaD-Schema, das aus vier Bestandteilen besteht: Die Einleitung, die einen kurzen Überblick über die gesamte Arbeit gibt, und die abschließende Zusammenfas‐ sung, in der die Kernaussagen noch einmal zusammenfasst, ggf. kritisch diskutiert und mögliche Anknüpfungspunkte genannt werden, bilden eine Art Rahmen. Eine eigene Struktur benötigen die beiden Abschnitte, die sozusagen in der Mitte stehen: Einerseits das Kapitel, in dem Sie Ihre Ergebnisse vorstellen, und diesem vorangestellt der nicht selten umfangreichste Abschnitt der Arbeit, in dem Sie alle theoretischen Grundlagen und möglicherweise Methoden einführen, die Sie für das Erreichen dieser Ergebnisse benötigen. Möglicherweise ist Ihnen nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Aufgrund des Wahrheitsanspruchs, den die Mathematik vielleicht wie keine andere Wissenschaft für sich einnimmt, könnte man naiverweise davon ausgehen, dass die Reihenfolge, in der korrekte Aussagen aufgezählt werden, belanglos oder nebensächlich ist. Aber eine mathematische Arbeit ist vergleichbar mit dem Plädoyer einer: eines Anwältin: An‐ walts. Zwar handelt es sich bei dem diesem Kapitel vorangestellten Zitat um einen 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten 421 <?page no="422"?> Kap.-1.3.1 Kap.-1.3.5 Auszug aus einem Roman, aber auch bei mathematischen Arbeiten gilt, dass es keinesfalls ausreichend ist, dass alles, was Sie vorbringen, korrekt ist, solange Sie Ihr Publikum nicht davon überzeugen können. Gehen Sie davon aus, dass Ihr: e Korrektor: in genau so wenig Lust darauf hat wie ein: e Richter: in, sich die logische Abfolge Ihrer Inhalte selbst zu erschließen und überlegen Sie daher gut, in welcher Reihenfolge Sie Ihre Argumente vorbringen, um Ihnen das bestmögliche Gewicht zu verleihen. Vielleicht haben Sie sich durch das Lesen von Lehrbüchern, Skripten oder sogar Fachartikeln zur Annahme verleiten lassen, dass es, gerade weil eine Aussage in einem mathematischen Text allein auf dem, was auf Grundlagenwissen oder vorher Gesagtem aufbauen sollte, eine harmonische oder sogar intrinische Reihenfolge gibt, aus der die Aneinanderreihung der Aussagen zwangsläufig folgt. Aber dieser Eindruck ist das Ergebnis harter Arbeit. Spätestens wenn Sie die erste umfassende Ausarbeitung schreiben, werden Sie feststellen, dass die Anordnung nicht vollkommen trivial ist und verschiedene Grundstrukturen des Textes möglich sind (Steenrod 1973, S. 3). Selbst wenn all diese Fassungen auf Basis der gleichen Ergebnisse entstehen, sind sie insbesondere aus Sicht von Lesenden qualitativ unterschiedlich, was sich auch in der Bewertung niederschlagen wird. Schwerpunkt dieses Kapitels ist es Ihnen dabei zu helfen, genau eine solche Struktur für Ihre Arbeit zu finden, also Möglichkeiten vorzustellen, wie Sie eine sinnvolle Anordnung der verwendeten und und erreichten Definitionen, Sätze, Lemmata und Korollare mit den zugehörigen Beweisen finden können. Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem verbindenden Text, mit dem Sie noch stärker als mit Hilfe der Struktur für Lesefluss sorgen können und in dem Leser: innen durch Motivationen, Analogien oder Beispiele eine Einordnung der Ergebnisse in die eigenen Kenntnisse erleichtert wird (Steenrod 1973, S.-1). Selbstverständlich gibt es verschiedene Schreibtypen, d. h. einige Studierende kommen besser damit zurecht, erstmal alles zu einem Thema zusammenzutragen und zu lesen, wohingegen es anderen leichter fällt, zunächst eine Struktur des Textes aus‐ zuarbeiten und diese dann sukkzessive zu füllen. Daher sind die Vorschläge im Fol‐ genden wirklich nur als Vorschläge zu verstehen und keinesfalls als eine strikte An‐ leitung, der Sie sklavisch folgen müssen - wenn Sie auf anderen Wegen besser zum Ziel kommen, nehmen Sie diese. Falls Sie Ihren eigenen Schreibstil noch nicht gefunden haben, kann es aber sinnvoll sein, die skizzierte Vorgehensweise einmal ausprobieren. Auf jeden Fall vermeiden Sie auf diese Weise ein Problem, das erfahrungsgemäß gerade in den MINT-Fächern häufig auftritt. Viele Studierende setzen einen zu großen Schwer‐ punkt auf die Erarbeitung der Ergebnisse und beginnen erst kurz vor Abgabe mit dem Aufschreiben, wodurch viel zu wenig Zeit für die Überarbeitung bleibt. Daher wird sie meist auf ein kurzes Korrigieren von Rechtschreibung und Grammatik beschränkt, auch weil eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Struktur oder den Inhalten gar nicht mehr erfolgen kann. Bei der hier vorgestellten Methode sind hingegen das Erarbeiten der Inhalte, fortwährendes Überprüfen, ob der Aufbau sinnig ist und alle wesentlichen und keine überflüssigen Inhalte enthalten sind, sowie erste Feedback‐ 422 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten <?page no="423"?> 123 Natürlich können Sie auch ein Notizbuch oder eine Mappe verwenden, in der Sie Zettel sammeln oder einheften, wenn dies eher Ihren Vorlieben entspricht. Kap.-1.1.1 Kap.-1.2.1 Kap.-1.2.2 schleifen keine wirklich separaten Arbeitschritte, sondern greifen immer wieder in‐ einander, so dass diese Aspekte automatisch ausreichend berücksichtigt werden. 1. Schritt: Rausfinden und verstehen, worum es in der Arbeit gehen wird Unabhängig davon, ob Ihnen das Thema für Ihre Arbeit von Dozierenden, in einigen Fällen auch von einer externen Firma oder Forschungseinrichtung, vorgeschlagen wurde oder ob Sie sich selbst auf die Suche nach einer geeigneten Fragestellung ma‐ chen, steht am Anfang einer schriftlichen Arbeit immer das Recherchieren und Ein‐ lesen in die Thematik. Und bereits hier sollten Sie mit dem Schreiben beginnen. Denn Schreiben dient nicht nur dazu, Ergebnisse abschließend zu präsentieren, d. h. insbesondere eine fertige, ggf. gedruckte Arbeit abzugeben, sondern auch als wichtiges Werkzeug, um das eigene Verständnis zu überprüfen. Aus diesem Grund empfehle ich, sobald Sie die ersten Schritte unternehmen, eine spezielle Datei anzulegen 123 in der Sie alles aufschreiben, sobald Sie es verstanden haben. Dabei kann es sich um wichtige Definitionen handeln, oder aber um Beweise aus der Sekundärliteratur, die nicht zwangsläufig in der Endfassung präsentiert werden müssen, die aber für die Vorbereitung relevant sind. Achten Sie an dieser Stelle nicht sonderlich auf die Reihenfolge Ihrer Einträge, aber machen Sie sich gerne Anmerkungen wie „Diese Definition muss unbedingt vor Satz A“ stehen. Die Einzeleinträge selbst sollten Sie aber so ausführlich wie möglich aufschreiben. Notieren Sie sich also beispielsweise (Gegen-)Beispiele, Anwendungen oder auch, wozu einzelne Schritte in Beweisen dienen und ergänzen Sie die, die die Autor: innen ausgelassen haben (gerne mit der zynischen Bemerkung versehen, dies sei trivialer‐ weise den Lesenden überlassen). Fragen Sie sich, wozu bestimmte Forderungen dienen und was passiert, wenn Sie diese weglassen oder varrieren (Lehn 2016). Wichtig ist auch, dass Sie versuchen so präzise wie möglich zu formulieren. Fällt dies schwer, liegt es nicht selten an einem mangelnden Verständnis des zugrundeliegenden Stoffes. Solange Sie noch dabei sind, sich die Inhalte zu erarbeiten, können Sie natürlich auch notieren, was Ihnen unklar ist und zwar so präzise wie möglich („ich komme bis hier hin, aber dann weiß ich nicht, warum der nächste Schritt gilt“). Interessanterweise hilft nämlich schon das Formulieren von möglichst spezifischen Fragestellungen häufig dabei, weiterzukommen und dies ist insbesondere der Fall, wenn Sie beispielsweise Kommiliton: innen oder Ihre Betreuer: innen um Rat fragen - um so konkreter Sie fragen, um so konkreter sind die Antworten, die Sie bekommen. Ähnlich verfahren Sie, sobald Sie damit beginnen, Ihr(e) Ergebniss(e) auszuarbeiten. Ich empfehle erneut eine eigene Datei anzulegen, in der Sie alle Ihre Erkenntnisse, aber auch Fragen und Unklarheiten notieren. Diese beiden Dateien bilden später die Basis des Grundlagen- und Ergebnisteils Ihrer Arbeit und sobald Sie ausreichend vorangeschritten sind, können Sie zum nächsten Schritt übergehen. 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten 423 <?page no="424"?> 124 Falls nicht, sollten Sie so bald wie möglich versuchen, mit Ihrer Betreuungsperson über konkrete Inhalte zu sprechen, spätestens dann, wenn Sie erste Zwischenergebnisse haben, auch um die weitere Ausrichtung der Arbeit abzusprechen. 125 Es ist und wird, egal wie sehr ich mich auch anstrengen sollte, wahrscheinlich leider das einzige Mal bleiben, dass ich in meiner Arbeit unabhängig zu einem vergleichbaren Ergebnis komme wie Tao. „Ausreichend vorangeschritten“ ist natürlich eine recht schwammige Formulierung, aber sie ist mit Bedacht gewählt. Natürlich ist es in der Mathematik oftmals unmöglich zu sagen, wie lange es dauert, ein Ergebnis zu finden, beispielsweise einen Beweis für einen neuen Sachverhalt. Als Abschlussarbeitsthemen werden in der Regel aber Themen vergeben, bei denen sich die: der Dozent: in sicher ist, dass ausreichende Ergebnisse in der vorgegebenen Bearbeitungszeit erzielt werden können. Im Idealfall haben Sie im Vorfeld sogar gemeinsam besprochen, welche Ergebnisse möglich und welche davon zwingend erforderlich sind und was passiert, wenn Sie an einem Punkt einfach nicht weiterkommen. 124 Insofern ist es bei Abschlussarbeiten tatsächlich möglich, eine Vorstellung davon zu haben, wie weit Sie bereits vorangeschritten sind. Sobald Sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, wie Ihr Ergebnis aussehen wird und dass die Ihnen verbleibende Zeit reicht, um es zu erreichen, können Sie daher mit den nächsten Schritten weitermachen und sie im Wechsel mit der abschließenden Erarbeitung ausführen. Tipp: Gerade wenn Sie anfangen wollen zu arbeiten, schleicht sich gerne eine Arbeits- und Schreibblockade ein - der Computer wird angeschaltet, aber auch wenn es eigentlich viel zu tun gibt, machen Sie alles, nur nicht loslegen. Und ehe Sie sich versehen, ist schon eine Stunde oder mehr vergangen, ohne dass Sie auch nur einen Schritt weitergekommen sind. Ich habe festgestellt, dass ich viel schneller ins Arbeiten komme, wenn ich mir am Ende eines Arbeitstags ganz konkrete Anweisungen für den nächsten direkt in die Datei schreibe, wobei ich darauf achte, dass diese definitiv umsetzbar sind (also nicht „Schritt 3 endlich verstehen“, sondern „rausfinden, ob ich mit Ansatz X bei Schritt 3 weiterkomme, sonst Dozent: in fragen“). 2. Schritt: Den groben Aufbau der Arbeit erstellen Die nächsten Schritte ähneln sehr stark denen, die Terrence Tao für das Schreiben wissenschaftlicher Artikel empfiehlt. 125 Er spricht an dieser Stelle von „rapid proto‐ typing“ (Tao 2021), womit das schnelle Erstellen des groben Aufbaus der Arbeit gemeint ist. Ignorieren Sie weiterhin die Einleitung und den Schluss und notieren Sie nur, was Sie im Grundlagen- und Ergebnisteil nennen wollen. Natürlich können Sie dafür in alles schauen, was Sie bislang aufgeschrieben haben, aber es reicht, sich auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren („Beweis von Satz A - ich brauche den Jordanschen Kurvensatz“, „Definition absolute Konvergenz“, …). Schwerpunkt ist nun, 424 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten <?page no="425"?> 126 Strenggenommen bezieht sich Halmos auf das Verfassen von Lehrbüchern und Monographien, aber seine Ideen scheinen hier sehr gut übertragbar. Kap. 1.3.3 Kap.-1.3.5 eine sinnvolle Aufteilung und Anordnung zu finden: Was gehört in welchen Teil und in welcher Reihenfolge wollen Sie es vorstellen? Sie können dies natürlich am Computer mithilfe der altbewährten Copy-Paste-Tech‐ nik machen, aber einige Schreibende empfinden es als hilfreich, an dieser Stelle mit Zettel und Papier zu arbeiten, oder aber mit Post-Its, die man auch an der Wand anbringen und leicht an andere Stellen kleben kann. Auf jeden Fall sollten Sie am Ende sicherstellen, dass Sie eine leicht lesbare Struktur gefunden haben, in der in keinem Schritt Wissen vorausgesetzt wird, das erst an späterer Stelle erklärt wird. Um dies zu überprüfen, kann es hilfreich sein, die Struktur eine: n Kommiliton: in, die: der zumindest eine rudimentäre Ahnung der Inhalte hat, darauf schauen zu lassen und zu fragen, ob die Anordnung auch dann verständlich ist, wenn man sich nicht wochen- oder monatelang mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Tatsächlich sollten Sie an dieser Stelle aber noch nicht all zu viel Zeit darauf ver‐ wenden, den Aufbau zu perfektionieren. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass Sie die jetzt ausgearbeitete Struktur mehrfach anpassen müssen. Denn Schreiben ist kein linearer Prozess. Zu jedem Zeitpunkt können Sie bemerken, dass Sie einige As‐ pekte noch nicht vollständig durchdrungen haben, und müssen zwangsläufig zurück zu einer der vorherigen Arbeitsphasen - zum Lesen oder der Recherche von Fachlite‐ ratur oder dem selbstständigen Erarbeiten von mathematischen Zusammenhängen - gehen. Das gleiche gilt, wenn Ihnen beim Aufschreiben auffällt, dass noch eine Lücke in Ihrer Argumentation vorhanden ist, was aber auch bedeuten kann, dass Sie sie an anderer Stelle in Ihrer Arbeit füllen müssen; möglicherweise reicht es, eine zusätzliche Definition im Grundlagenteil zu ergänzen, in anderen Fällen müssen Sie den Aufbau verändern. Grundsätzlich gilt, dass Sie wahrscheinlich Schwächen in bereits geschrie‐ benen Textteilen erkennen, sobald Sie einen neuen beginnen. Sie arbeiten also idea‐ lerweise in Spiralen, indem Sie jeden zunächst aufgeschriebenen Sinnabschnitt zur Überprüfung nutzen, ob die Inhalte der anderen bereits verfassten Textstellen verbes‐ sert oder ergänzt werden müssen. Das heißt auch, dass es wenig Sinn macht, viel Zeit darauf zu verwenden, ein perfektes Kapitel, einen perfekten Abschnitt oder nur einen perfekten Satz im ersten Anlauf zu schreiben (und soweit ich weiß, ist dies auch noch nie jemandem gelungen) (Halmos 1973, S. 25 126 ). Versuchen Sie also jetzt und im Fol‐ genden erst einmal Ihre Ideen möglichst zügig zu Papier zu bringen, denn nur was Sie geschrieben haben, können Sie überarbeiten. 3. Schritt: Die Struktur mit Inhalt füllen Tao beginnt danach mit dem Aufschreiben des Hauptresultats in groben Zügen, um davon ausgehend alle anderen Teile des Textes wie Definitionen, Lemmata oder verwendete Aussagen zu präzisieren. (Tao 2021) Auch wenn Ihr Resultat noch nicht vollständig ausgearbeitet ist (weil eine Abschlussarbeit einfach unter anderen Zeitvor‐ 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten 425 <?page no="426"?> 127 An diesen divergierenden Meinungen konnte auch die in der DIN Norm 5473 getroffene Festlegung, wonach die Null zu den natürlichen Zahlen gehört, nichts ändern. gaben entsteht als ein Fachartikel), ist dieses Vorgehen sinnvoll, da Sie auf diese Weise Ihre Arbeit ideal auf die Kernaussage zuschneiden, auch indem Sie überprüfen, ob wirklich alles enthalten ist, was benötigt wird, oder ob Sie möglicherweise Punkte streichen können, die eigentlich vorgesehen waren. Basierend auf den Dateien, die in Schritt 1 entstanden sind, schreiben Sie also zunächst Ihre Resultate so weit wie möglich auf. Anschließend folgt, was man in Analogie zur Prototype-Methapher vielleicht als Reverse Engeneering bezeichnen könnte: Ausgehend vom Ergebnis beginnen Sie damit, alles, was an Beweisen, Definitionen etc. benötigt wurde, um dorthin zu gelangen, in umgekehrter Reihenfolge aufzuschreiben, bis Sie bei den Grundlagen angekommen sind, die Sie nicht erläutern, sondern als bekannt voraussetzen wollen. Dabei sollten Sie sich nicht an den Kenntnissen der Lehrperson orientieren, die diese Arbeit lesen und bewerten wird! Auch wenn Ihre Arbeit neue Forschungsergeb‐ nisse enthält (was in der Mathematik bei Abschlussarbeiten keinesfalls zwangsläufig gefordert ist), ist sie in erster Linie kein Fachartikel, sondern eine Prüfungsleistung. Und überprüft werden soll nicht nur, ob Sie neue Ergebnisse erzielen können, sondern min‐ destens im gleichen Maße deutlich basalere Dinge, die in richtigen Publikationen oft stillschweigend vorausgesetzt werden: Ob Sie sich in ein neues Themengebiet einlesen können und verstanden haben, was in Ihrer Arbeit steht und ob Sie in der Lage sind, dies angemessen und korrekt in Text und Formeln niederzuschreiben. Daher sollten Sie sich in dem, was Sie in Ihrer Arbeit als bekannt voraussetzen, an den Kenntnissen orientieren, die in einem an Ihrer Universität üblichen Bachelorstudium erworben werden. Während Sie also nicht erklären müssen, wie man zwei Matrizen miteinander multipliziert, sollten Sie beispielsweise das Kronecker- oder Hadamardprodukt explizit einführen, auch wenn Sie davon ausgehen, dass ihr: e Korrektor: in die entsprechenden Definitionen kennt. Im Zweifelsfall erklären und definieren Sie lieber zu viel als zu wenig, auch deshalb, weil nicht alle Notationen oder Definitionen eindeutig verwendet werden. Beispielsweise unterscheiden einige Autor: innen nicht zwischen A ⊂ B und A ⊆ B. Bei der Definition eines metrischen Raumes (X, d) ist d immer eine Metrik auf einer Menge X, die bei einigen Autor: innen die leere Menge sein darf, bei anderen nicht. Auch die Auffassungen darüber, ob die Null zu den natürlichen Zahlen gehört, gehen auseinander. 127 426 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten <?page no="427"?> 128 Der auch mir bis zum Verfassen dieses Kapitels unbekannte Fachausdruck für „nicht kursiv“. s.narr.digit al/ ughp8 Konvention: Beim Aufschreiben von Strukturelementen wie Definitionen, Lemmata, Sätzen oder auch Bemerkungen gibt es einige Konventionen: ● Sie leiten ein Strukturelement ein, indem Sie zuerst sagen, um welchen Typ es sich handelt. Der Typ ist in der Regel fettgedruckt: Satz 1.1 In der euklidischen Geometrie beträgt die Summe der Innenwinkel in jedem Dreieck 180°. ● Falls es eine spezifische Bezeichnung wie „Hauptsatz der Zahlentheorie“ gibt, was beispielsweise bei Definitionen meist der Fall ist, folgt dieser Name recte 128 in Klammern: Definition 1.2 (Nichteuklidische Geometrie) Beträgt die Summe der Innen‐ winkel eines Dreiecks in einer Geometrie im Allgemeinen mehr oder weniger als 180°, so wird diese als nichteuklidische Geometrie bezeichnet. ● Bezüglich dessen, ob man den Text in Strukturelementen kursiv setzt, gibt es keinen Konsens. Einige Autor: innen verwenden für alle Strukturelemente nur kursiven Text, andere nur für Sätze, Lemmata und Beweise, wiederum andere heben nur einzelne Begriffe hervor oder benutzen nur Normalschrift (vgl. die Beispiele in diesem Kasten). Wenn Sie seitens Ihrer Betreuungsper‐ son keine Vorgaben haben, empfehle ich die zweite Variante, da so der wichtige Text optisch noch stärker vom Fließtext abgesetzt wird. ● Bei der Nummerierung der Strukturelemente gibt die erste Ziffer das Kapitel an, die zweite Ziffer als wievieltes Element es genannt wurde, wobei kapi‐ telweise gezählt, d. h., in jedem Kapitel wieder bei eins zu zählen angefangen wird: 1.3 bzw. 2.3 stehen daher für das dritte Strukturelement im ersten bzw. zweiten Kapitel. ● Es ist üblich, nicht jeden Typ von Strukturelement einzeln zu zählen, so dass Satz 1.1 auf Definition 1.1 folgen würde, sondern fortlaufend zu zählen: Satz 1.1 In der euklidischen Geometrie beträgt die Summe der Innenwinkel in jedem Dreieck 180°. Definition 1.2. (Nichteuklidische Geometrie) Beträgt die Summe der Innen‐ winkel eines Dreiecks in einer Geometrie im Allgemeinen mehr oder weniger als 180°, so wird diese als nichteuklidische Geometrie bezeichnet. Achtung! Da die einzelnen Strukturelemente in LaTeX unterschiedliche Umge‐ bungen besitzen, müssen Sie dort die fortlaufende Zählung erzwingen, in dem Sie einige Befehle in der Präambel ergänzen. Eine Anleitung dazu finden Sie beispielsweise im Not so short guide to LaTeX 2 ε von Tobias Oetiker, Hubert Partl, Irene Hyna und Elisabeth Schlegl. 2.3 Abschlussarbeiten in MINT-Fächern - Besonderheiten 427 <?page no="428"?> 129 Dies bedeutet nicht, dass es genau eine Definition eines Begriffs gibt, es gibt durchaus äquivalente Definitionen. Beispielsweise können Sie einen Baum in der Graphentheorie als einen Graph definieren, in dem es zwischen je zwei Knoten genau einen Pfad gibt oder als zusammenhängenden kreislosen Graph. 130 Ich kann ihnen versprechen, dass niemand von Ihnen fordern wird, dass Sie beispielsweise den Beweis, dass die endlichen einfachen Gruppen klassifizierbar sind, in Ihre Arbeit integrieren, auch wenn Sie diese Tatsache verwenden. Garantiert. Dass bei einer Abschlussarbeit auch Verständnis anderer Texte abgeprüft wird, hat noch eine weitere Implikation: Sie werden zwangsläufig auch Resultate anderer Mathe‐ matiker: innen vorstellen. Viele Studierende sind dabei verunsichert, Definitionen und Beweise mehr oder weniger wortwörtlich aus der Literatur zu übernehmen, weil sie Angst davor haben zu plagiieren. Tatsächlich machen Umformulierungen bei Defini‐ tionen in den seltensten Fällen Sinn, da es sich gerade um genau die Zusammenstellung von Eigenschaften handelt, die ein mathematisches Objekt eindeutig bestimmen. Sie können also nichts weglassen oder hinzufügen, ohne den Sinn zu verfälschen. Da zudem der überwiegende Teil der Sprache gerade hier so fachspezifisch ist, dass sie sich nicht durch äquivalente Formulierungen ersetzen lässt, ist es vollkommen üblich, Definitionen mehr oder weniger wortgetreu wiederzugeben. 129 Ein wenig mehr Möglichkeit zum Zeigen von Eigenleistung besteht bei der Zitation von Beweisen. Machen Sie aber nicht den Fehler, Beweise noch knapper vorzustel‐ len als in den Originalpublikationen, um damit vermeintlich Eindruck zu schinden. Erfahrungsgemäß sind Beweise in Fachpublikationen und in einigen Fällen auch in Lehrbüchern eher zu kurz als zu lang und sobald sie Schritte, Einschränkungen oder manchmal auch auf den ersten Blick unscheinbare Aussagen auslassen, wird der Beweis fehlerhaft und bricht in sich zusammen. Versuchen Sie im Gegenteil Ihr Verständnis dadurch zu zeigen, indem Sie in der Literatur nur angedeutete Schritte detailliert erläutern, also generell den Beweis ausführlicher darstellen als in der Publikation, die Sie gelesen haben. Wenn es sinnvoll erscheint, können Sie auch Beispiele ergänzen. Beispiele bieten sich auch bei komplizierten Definitionen an, in einigen Fällen kann auch eine Visualisierung hilfreich sein. Hier gilt aber unbedin