Stress – Freund oder Feind?
Finden Sie Ihren perfekten Stress-Rhythmus
0619
2023
978-3-8385-6074-8
978-3-8252-6074-3
UTB
Ludwig Bieser
10.36198/9783838560748
Sind Sie ständig unter Spannung und kriegen es trotzdem nicht gebacken? Dann ist es höchste Zeit, auf die Stressbremse zu treten. Gewinnen Sie langfristig mehr Power, Klarheit, Gelassenheit und Lebensqualität. Negativer Stress macht uns krank, positiver Stress dagegen hilft wie ein guter Freund, unsere Ziele privat, in Studium und Beruf zu erreichen. Auch der Erfolg von Organisationen hängt entscheidend davon ab, ob sie sich den Stress zum Freund oder Feind machen - einem Freund, der sie beflügelt, oder einem Feind, der ihnen das Leben schwer macht. Das Buch hilft Ihnen, mit erprobten Strategien und greifbaren Ansätzen des präventiven Stressmanagements Intention, Intuition und Aktion in Einklang zu bringen. Finden Sie Ihren gesunden Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung.
Die neuesten Entwicklungen in der Arbeitswelt wie Digitalisierung, Homeoffice und New Work werden berücksichtigt.
<?page no="0"?> Ludwig Bieser Stress - Freund oder Feind? Finden Sie Ihren perfekten Stress-Rhythmus <?page no="1"?> utb 6074 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Ludwig Bieser studierte Chemie, Biologie und Hu‐ manmedizin an der Universität Tübingen. Er hat auf dem Gebiet der Allgemein-, Arbeits-, Umwelt- und Reisemedizin gearbeitet. Praktische Erfahrung auf dem Gebiet der Prävention von Krankheiten in Orga‐ nisationen sammelte er als Leiter für Gesundheit, Si‐ cherheit und Sozialwesen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Zentraleuropa und Russland. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Gesundheitsmanager war die Prävention von Stress. Seine Programme wur‐ den mit dem Good Practice Award der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Bilbao und dem 2. Preis des Bun‐ desministeriums für Arbeit und Sozialordnung ausgezeichnet. <?page no="3"?> Ludwig Bieser Stress - Freund oder Feind? Finden Sie Ihren perfekten Stress-Rhythmus expert verlag · Tübingen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838560748 © expert verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.expertverlag.de eMail: info@verlag.expert Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 6074 ISBN 978-3-8252-6074-3 (Print) ISBN 978-3-8385-6074-8 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6074-3 (ePub) Umschlagabbildung: © iStock.com/ Jorge Salmerón López Autorenfoto: © privat Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Für Anja, Laura, Jan und Elvira <?page no="7"?> 1 19 2 23 3 27 4 39 4.1 40 4.2 55 4.3 57 4.4 60 4.5 64 4.6 72 4.7 80 94 4.8 96 4.9 97 4.10 99 4.11 103 4.12 114 5 145 5.1 147 5.2 149 5.3 155 5.4 157 5.5 157 5.6 181 5.7 188 Inhalt Der Stressbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolg und Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präventives personenorientiertes Stressmanagement . . . . . . . . . . Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen . . . . . Boxenstopp 2 - Was ist mein Ziel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boxenstopp 3 - Wie wichtig ist das für uns in einem Jahr? Boxenstopp 4 - Wir müssen nicht immer gleich Position beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns . . . . . . . . . . . . . Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? . . . . Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken . Time-out - Zeit is(s)t Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein schlechtes Gewissen haben wir nicht verdient! . . . . . . Wer beansprucht unsere Zeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der erste Schritt: Prioritäten setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen Wie sehen wir uns selbst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stressmanagement-Programme in Organisationen . . . . . . . . . . . . Ist Stressmanagement eine Organisationsverantwortung? Ist Stressmanagement eine Führungsverantwortung? . . . . Raus aus dem Hamsterrad! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Blick auf die individuelle Stressresistenz . . . . . . . . . . . . Stressresistenz von Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führen im digitalen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="8"?> 6 209 7 215 8 217 219 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inspirationen für den Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Vorwort Die Violinspielerin auf dem Titelbild ist eine Metapher für den positiven Umgang mit Belastungen und Stress. Um mit einer Geige stimmungsvolle Musik zu spielen, ist es entscheidend, wie wir mit ihr umgehen. Es bleibt uns auch nichts anderes übrig, als das Instrument selbst in die Hand zu nehmen. Die Violinspielerin weiß, was und wie sie etwas zu tun hat. Sie konzentriert sich ganz auf das Violinspiel. Sie ist nicht abgelenkt. Bei ihr besteht zwischen inneren Wünschen und äußeren Anforderungen hohe Übereinstimmung. Vermutlich jeder Mensch hat solche Erfahrungen gemacht, sei es in der Kindheit beim Spielen, in der Freizeit als Sportler oder bei der Arbeit. Men‐ schen können bis an die Grenze ihrer physischen, psychischen und mentalen Belastbarkeit gehen oder sogar über sich hinauswachsen, wenn sie positiver Stress wie ein guter Freund beflügelt. Positiver Stress entsteht, wenn Inten‐ tion, Intuition und Aktion im Einklang stehen und der Wechsel zwischen Anstrengung und Entspannung in einem gesunden Rhythmus erfolgt. Mit präventivem Stressmanagement und der Boxenstoppstrategie bringen wir Stress und Belastungen in Einklang. Geistesgegenwärtig konzentrieren wir uns voll Hingabe auf das Wesentliche. In gespannter Gelöstheit sind wir kreativ. Unsere Fähigkeiten wachsen mit den Anforderungen. Wir sammeln Kraft und Energie für einen Perspektivwechsel und wagen mutig den Schritt über den Abgrund, um den eigenen Weg zu gehen. Negativer Stress führt zu unbewusstem und unreflektiertem Handeln. Wenn Gedanken und Handeln auseinanderfallen, sind wir zerstreut und nicht voll präsent. Wir verschwenden Zeit mit planlosem Aktionismus, operativer Hektik und endlosem Gekeife. Wir verstricken uns in einen Kleinkrieg. Das Paradoxe an unserem Verhalten ist, je ungewisser der Ausblick, umso stärker sind wir ständig dort auf der Suche nach Stabilität, wo wir sie nicht finden. Wir verzetteln uns in einem Übermaß an Trivialem und gönnen uns keine Ruhe. Freiwillig setzen wir uns unter Dauerstress und holen uns in Form von Dauerberieselung mit Katastrophenmeldungen aus den Medien den Säbelzahntiger ins Haus. Die Angst um unsere Sicherheit versetzt uns unter Strom und ständige Alarmbereitschaft. Wir bewegen uns mit Höchstgeschwindigkeit in die falsche Richtung und versuchen dort Sicherheit zu finden, wo es keine Sicherheit gibt. Wir erwarten bessere Ergebnisse, obwohl wir immer wieder das Gleiche tun, und keinen Schritt <?page no="10"?> vorankommen. Der Blick für Zusammenhänge und der Sinn gehen uns verloren, weil wir die Dinge nur noch mit dem berühmten Tunnelblick wahrnehmen. Wesentliches verlieren wir aus den Augen und mit der Zeit auch die Orientierung. Wer immer nur beschleunigt, wer stets nur mit Höchstdrehzahl rast, schädigt sich selbst. Mit präventivem Stressmanagement kann man Dauerstress vermeiden und negativen Stress in positive Lebensenergie umwandeln. Dafür gibt es in diesem Buch Stressbremsen und Boxenstopps, denn Anhalten ist wichtig. Wer nicht anhalten kann, kann nicht zu sich kommen und den Stresskreislauf unterbrechen. Wir müssen innehalten, uns auf uns selbst besinnen und bei einem Boxenstopp Kraft und Energie tanken, und lernen, negativem Stress im täglichen Leben aus dem Weg zu gehen. Wir wissen, Mut ohne Bewusstsein führt zu unreflektiertem Handeln, Bewusstsein ohne Vertrauen führt zu unentschlossenem Handeln, Vertrauen ohne Kraft verhindert die konsequente Umsetzung, Kraft ohne Konzentration führt zu Verzettelung, Konzentration ohne Ausdauer ist wie Strohfeuer und lässt den Mut sinken. Niemand wird den Weg für uns gehen, wir müssen es selbst tun. Wir nehmen ab heute das Steuerrad unseres Lebens selbst in die Hand. Wir kommen in einen gesunden Rhythmus zwischen Anstrengung und Entspannung und erreichen mit einem gesunden Maß an positivem Stress schwungvoll unsere persönlichen Ziele. 10 Vorwort <?page no="11"?> Total im Stress „Ach, ich bin total im Stress.“ Wie oft war dieser Stoßseufzer in den letzten Wochen und Monaten von uns zu hören? Oder war es gar kein Stoßseufzer, sondern ein durchaus positiv gemeintes Signal, dass wir überall gebraucht und geschätzt werden? Stress ist etwas, das uns alle immer häufiger betrifft. Es gibt Tage, an denen wir nicht wissen, wie wir mit allem fertig werden sollen. Unser Leben scheint immer komplizierter und hektischer zu werden. Dennoch wollen wir alles am liebsten selbst machen und dann noch perfekter als perfekt sein. Wir werden nervös, wenn wir mal nichts Sinnvolles tun, und haben verlernt uns zu entspannen. Dann ist es höchste Zeit, auf die Stressbremse zu treten. Indem wir STOPP zu uns selbst sagen, wirken wir dem Burn-out-Syndrom entgegen und gewinnen Lebensfreude und Lebensqualität zurück. Es gibt verschiedene Arten von Stress: Den negativen, krankmachenden, der mit dem Gefühl der Überforderung einhergeht. Aber auch den positiven, gesunden, der uns lebendig und aktiv erhält. Entscheidend ist, dass wir wis‐ sen, wo die Grenze zwischen beiden Stressformen für uns verläuft, und dass wir wirkungsvolle Mittel kennen, um auf die Stressbremse zu treten. Bei einem Boxenstopp machen wir uns über die praktische Erfahrung Gedanken: Warum wird es dem Fahrer nie schlecht, sondern nur dem Beifahrer? Ja ein guter Fahrer weiß aus Erfahrung, wie er mit Gefahren umgehen kann. Er lässt sich auch nicht unter Druck aus der Bahn werfen und fliegt beim Überholen nicht so leicht aus der Kurve. Schon bevor er losfährt, weiß er, dass schwierige Überholmanöver auf ihn zukommen können. Doch er hat Erfahrung und weiß, wie er damit umgehen muss. In der Formel 1 erkennt man den guten Piloten erst im Hauptrennen. Erst wenn das Stressbarometer auf Sturm zeigt, trennt sich auch beim Umgang mit Stress die Spreu vom Weizen. Wir erkennen schnell, ob jemand den Stress beherrscht oder vom Stress beherrscht wird. Wenn wir stürmische Zeiten gut überstehen möchten, haben wir auf jeden Fall bessere Chancen dort anzukommen, wohin wir wollen, wenn wir das Steuer selbst in die Hand nehmen und wir Richtung und Kurs bestimmen. <?page no="12"?> Im Leben gibt es viel zu viel, in immer kürzerer Zeit zu tun und dieser Druck erzeugt Stress. Stress durch Unwägbarkeiten im Leben können wir auch nicht verhindern, wir können aber lernen, wie wir mit Stress durch Ungewissheit fertig werden. Wenn wir wissen, was uns stresst, können wir uns in Ruhe darauf einstellen, um in Gefahr cool reagieren zu können. Ein kühler Kopf schützt uns nicht vor allen Gefahren im Leben, doch wir werden ganz sicher weniger oft unangenehm überrascht sein, wenn plötzlich ein Hindernis oder ein Ungeheuer vor uns auftaucht. Für einen Sieg in der Formel 1 sind gute Bremsen und Boxenstopps genauso wichtig wie eine hohe Geschwindigkeit auf der Geraden. Gute Boxenstopps machen den Unterschied zwischen einer Achterbahnfahrt und einem Sieg in der Formel 1. Bei einem Boxenstopp Energie zu tanken und den Akku aufzuladen, ist für eine rasante Aufholjagd unabdingbar. Ohne eine gute Boxenstoppstrategie kann eine Fahrt auf der Überholspur plötzlich auf dem Standstreifen enden. Alle Menschen sind von Stress betroffen. Stressbremsen und Boxenstopps sind deshalb für alle Menschen wichtig. Die Boxenstoppstrategie zeigt, wie wir mit Belastungen positiv umgehen können. Im Selbsttraining lernen wir, negativen Stress zu vermeiden oder in positive Energie umzuwandeln. Schwungvoll nehmen wir das Steuerrad in beide Hände und geben unserem Leben auf einem sinnvollen und erfolgreichen Kurs Richtung und Orientie‐ rung. Was auch immer auf uns zukommt, als Fahrer wird es uns nie schlecht. Schwindelig wird es nur dem Beifahrer. Gutes Stressmanagement macht den Schwachen stark und den Starken stärker. Das Ziel des Buches ist nicht, Stress zu beseitigen, sondern ein optimales und gesundes Stressniveau zu erreichen. Wenn Sie die vielen praktischen Hinweise aus diesem Buch nach und nach umsetzen, wer‐ den Sie selbst zum Gestalter Ihres eigenen Fühlens, Denkens und Handelns. Nutzen Sie das Buch als Inspirationsquelle für Ihren ganz persönlichen und den gemeinsamen Erfolg mit anderen Menschen im Leben! Stress hat man nicht - man macht ihn sich. Entscheidend ist wie wir damit umgehen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie nicht immer aber immer öfter in die Pole-Position kommen. Ob es so kommt, liegt an Ihnen! 12 Total im Stress <?page no="13"?> Warming up Die Zeit der Covid-Pandemie hat vermutlich bei jeder und jedem von uns zu einem Wechselbad der Gefühle geführt. Einmal schlug das Pendel in Richtung existenzbedrohender Ängste aus, dann wieder in den Bereich zukunftsorientierter Zuversicht zurück. Auch wenn uns immer neue und zum Teil wirre Durchhalteparolen aufgetischt wurden, das war alles andere als eine beruhigende Nervennahrung. Angesichts einer neuen Situation ohne Erfahrungswerte wurden wir alle Getriebene tagesaktueller Ereignisse und hatten manchmal das Gefühl in einem fahrenden Zug auf den Abgrund zuzurasen. Der Mensch ist ein Gefühlswesen und Glaubenswesen, dies umso mehr, je bedrohlicher ihm ein Geschehen erscheint und je unsicherer die Faktenlage ist. Ängste, die im Verborgenen sind, können plötzlich offen in Form von Aggressionen an die Oberfläche kommen. Es kann zu einer psychischen Regression kommen, in der es nur noch Freund oder Feind sowie Gut oder Böse gibt. Eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft quer durch alle Schichten der Bevölkerung ist die Folge. Hinter der Angst steckt die grundsätzliche Sorge, die Kontrolle um den eigenen Status-quo zu verlieren. Es ist die gesellschaftliche und individuelle Angst davor, dass das eigene Leben nicht mehr gut sein wird. Die Angst vor Kontrollverlust führt auch dazu, dass wir unsere Manie‐ ren verlieren oder gar in egoistischer Angst verrohen. Was sollen wir von Menschen halten, die aus Ansteckungspanik den chronisch Kranken die Atemmasken und Desinfektionsmittel in Krankenhäusern weggeklaut haben? Die zähnefletschend sich die Hamsterbacken mit Klopapier vollge‐ stopft und Sagrotan gehortet haben und vergeblich versuchten sich die Kontrolle über eine bedrohlich empfundene Situation zurückzukaufen. In Krisen reagieren Menschen nach einem archaischen Muster. Sie haben Angst vor einem apokalyptischen Ungeheuer, sie kämpfen, sie schlagen und sie beißen zu. Sie beißen sich auf die Zähne oder legen sich einen Panzer zu. Sie laufen davon und rennen weg. Sie verfallen in Teilnahmslosigkeit, Resignation, erstarren, sind wie gelähmt, stellen sich tot oder dumm, machen sich klein oder möchten am liebsten im Boden versinken. Sie verdrängen oder führen in Form von sinnlosem und schädlichem Aktionismus einen Art Totentanz auf, um sich und andere zu beruhigen. <?page no="14"?> Wenn unser Körper mit Stresshormonen überflutet ist, sind wir müde, ausgelaugt und die Fähigkeit zu guter Selbstwahrnehmung wird deutlich eingeschränkt. Trotz alledem wollen wir uns wohlfühlen. Wir belohnen uns dann mit Stimmungsaufhellern in Form von Süßigkeiten, Rauschmitteln oder anderen Betäubungs- und Ersatzaktivitäten. Ein realistisches Selbst‐ bild löst offensichtlich keine Glücksgefühle aus, ein übersteigert positives Selbstbild hingegen schon. Wir filtern heraus, was wir hören wollen. Uralte Mythen von Schuld und Sühne sind verführerisch und ansteckend. Besser esoterisch und abgehoben als depressiv. Doch in Ausnahmesituationen kann es fatale Auswirkungen haben, wenn wir falsche Schlussfolgerungen ziehen. Es fühlt sich doch gut an, etwas tun zu können und die Kontrolle wieder an sich zu reißen. Wenn wir allerdings unbewusst in eine Überkontrolle rutschen, verschlimmert sich die Situation nur noch. Niemand kann einen Virus mit komplizierten Verboten und zum Teil unsicheren Tests besiegen. Wir müssen uns von dem Gefühl frei machen, alles im Griff haben zu können und müssen lernen auch mit Unsicherheit klarzukommen. Aktionismus ist mit Torschlusspanik vergleichbar. Wir konzentrieren uns nur noch darauf, die bedrohliche Situation schnell zu überleben. Im Feuerwehrmodus und mit Scheuklappen übersehen wir allerdings leicht, wie sich unsere Entscheidungen auf lange Sicht auswirken. In Krisen neigen Menschen dazu, sich allein von ihrem Bauchgefühl leiten zu lassen. Im Normalfall ist das kein Problem oder sogar hilfreich. Intuition und Bauchhirn sind aber in Situationen ohne Erfahrungswerte kein verlässlicher Ratgeber. Im Feuerwehrmodus können wir keine klaren Gedanken fassen und schon gar nicht gute langfristige Lösungen kreieren. In der Corona-Pandemie wurden Unternehmen und Schulen dazu ge‐ zwungen, Mitarbeiter und Schüler ins Homeoffice und Homeschooling zu schicken. Abgesehen von den negativen Folgen für die informelle Kommuni‐ kation zeigte sich, wie wichtig eine effiziente digitale Organisationsstruktur ist, um Unternehmen und Schulen nicht nur erfolgreich durch die Krise zu manövrieren, sondern am besten noch gestärkt und wettbewerbsfähiger aus ihr hervorgehen zu lassen. Die digitale Transformation ist in allen Bereich unseres beruflichen und privaten Alltags angekommen. Dabei zentriert sich die Diskussion überwie‐ gend auf technische und arbeitsmarktpolitische Aspekte: Wie können wir uns besser vernetzen und unseren Datentransfer erhöhen? Wann werden welche Arbeitsplätze wegfallen und in welchen Bereichen entstehen neue Berufsfelder? Diese Fragen werden ohne jeden Zweifel auch noch länger 14 Warming up <?page no="15"?> Zeitungen füllen und Talkshows beherrschen. Ich bin davon überzeugt: Nie war es sinnvoller und notwendiger, sich digital zu organisieren als jetzt. Mindestens ebenso wichtig ist allerdings auch die Frage zu beleuchten: Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf den Menschen hat. Was macht die universelle Verfügbarkeit von Informationen mit unserer Fähig‐ keit zu denken? Wie beeinflusst der digitale Konsum unsere Lern- und Gedächtnisleistungen? Was macht die ständige Ablenkung durch die Infor‐ mationsflut aus uns? Irrlichtern wir im Informationsdschungel, macht uns das Informationsgestöber irre und schwindlig, so dass wir die psychosoziale Kompetenz und ethische Orientierung verlieren? Virulente Hasscocktails aus der Giftküche sogenannter sozialer Medien verwirren und vergiften jetzt schon die Sinne mancher Zeitgenossen wie KO-Tropfen. Schöpferische Auszeiten sind in einer digitalen, reizüberfluteten, schnellen und lauten Welt wichtiger denn je, in der digitale Begleiter allgegenwärtig sind. Schon beim Frühstück werden Mails, Nachrichten und Termine gecheckt, wird gelesen, gepostet und gechattet. Für nicht wenige Menschen geht es so den lieben langen Tag weiter bis zum Schlafengehen. Knapp drei Stunden nutzen viele täglich allein ihr Smartphone. Alle 18 Minuten aktivieren sie es, um beispielsweise Mails oder Nachrichten zu lesen oder eine App zu nutzen. Viele Arbeitnehmer meinen, sie müssten rund um die Uhr für den Chef ansprechbar sein. Permanente Erreichbarkeit und fehlende Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben stresst viele Menschen und bringt ihre Work-Life-Balance zum Kippen. Die digitale Welt führt dazu, dass wir unsere Aufmerksamkeit verhackstücken. Eine geistige Kernkompetenz des Men‐ schen ist die Konzentration. Es ist Fähigkeit unsere Aufmerksamkeitsschein‐ werfer eng zu stellen und in der Flut von Informationen auszuwählen. Fokus und Konzentration gehören zu jenen Fähigkeiten, von denen andere Intel‐ ligenzleistungen wie logisch-deduktives Denken, Problemlösekompetenz und gute Handlungsplanung in besonderer Weise abhängig sind. Ständige Unterbrechungen durch Tablet und Smartphone verhindern, sich auf das Wesentliche und Wichtige voll zu konzentrieren. Wenn wir uns ständig aus unserem Tun und Denken herausreißen lassen, hat das gravierende Folgen auf Konzentration, Denken, intelligentes Handeln und die Produktivität. Die Aufmerksamkeit bestimmt unsere Realität. Mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit können wir unsere Umwelt präziser wahrnehmen, klarer denken, Informationen nachhaltiger speichern und uns in andere Menschen einfühlsamer hineinversetzen. Allerdings ist eine kluge Steuerung unserer Aufmerksamkeit in einer reizdurchfluteten Welt nicht so leicht. Statt von Warming up 15 <?page no="16"?> Wichtigem und Relevantem wird unsere Aufmerksamkeit von Trivialem absorbiert. Der unkritische Konsum von Informationen verstopft unsere Köpfe, verwirrt unseren Geist und lädt uns mit destruktiven Emotionen auf. Es ist deshalb wichtig, auf die Stress-Bremse zu treten, das Steuer in die Hand zu nehmen und zur Steuerfrau und zum Steuermann unserer Auf‐ merksamkeit zu werden. Es reicht nicht aus, auf Reset zu drücken, um Normalität und den scheinbaren Idealzustand der Vergangenheit wieder zu erlangen. Wir müssen lernen, in einer immer digitalen werdenden Welt gut zu navigieren, um mit Informationen und den Technologien so umzugehen, dass sie uns nicht schaden und ihre unbestreitbaren Vorteile die Nachteile überwiegen. Einfach mal bei einem Boxenstopp abschalten, auf digitale Diät gehen und bewusst analoge Freiräume schaffen ist wichtig. Die alles entscheidende Maßnahme in dieser Situation kann nur lauten: Ruhe bewahren, klare Gedanken fassen, nüchtern analysieren und sinnvolle Maßnahmen einleiten. 16 Warming up <?page no="17"?> Wegweiser Kann ein Selbsttraining so hilfreich sein wie ein echter Coach oder gar Therapeut aus Fleisch und Blut? Es kann im Zweifelsfall sogar besser sein. Es kommt auf die Konstellation, den Coach oder Therapeuten an. Wie in jedem Beruf gibt es gute, schlechte und mittelmäßige Leute. Menschen mit tiefgreifenden psychischen Erkrankungen brauchen die Hilfe der kurativen Medizin durch einen Therapeuten. Gesunde Menschen dagegen wissen, wo sie der Schuh drückt und was sie dagegen tun können. Gesunde Menschen haben auch wenig Zeit und sind selten motiviert ein Buch von vorn bis hinten durchzulesen. Doch gesunde Menschen spüren genau, was sie runterzieht. Es gibt immer wieder Themen, die sie beschäftigen und oft auch blockieren. Im Bereich der Prävention kann man mit Selbsttraining weit kommen, wenn man Stressbremsen hat und einen Boxenstopp macht. Im Abschnitt präventives personenorientiertes Stressmanagement finden Sie alle Stressbremsen, die Ihnen bei Dauerstress weiterhelfen. Machen Sie es wie bei Ihrem Besuch im Baumarkt. Nehmen Sie zuerst nur die Stress‐ bremse, die Sie momentan brauchen. Sie kaufen ja auch nicht den ganzen Baumarkt, sondern nur das, was Sie brauchen. Am besten fangen Sie mit der Stressbremse gegen ihren Hauptstressor an. Sie ist für Sie so etwas wie eine Art PIN-Code, der Ihnen hilft, bei einem Boxenstopp ab- und umzuschalten. Nach der Auszeit haben Sie klar vor Augen, was ihnen guttut und wohin sie wollen. Außerdem haben sie dank der neuen Perspektive einen kühlen Kopf. Die Boxenstoppstrategie unterstützt Menschen, ihr volles Potenzial zu erkennen und auszuschöpfen, sprich ihre PS auf die Straße zu bringen. Wer die Stressbremsen verinnerlicht, gewinnt die Kompetenz, die es ermöglicht, innezuhalten, stillzuhalten und den Moment zu genießen. Wir schaffen sie es dann, den Blick für das Wesentliche zu schärfen. Denn es geht um das Wichtigste, was wir besitzen: unsere Gesundheit und das Immunsystem für Leib und Seele. Die gute Nachricht zum Schluss: Wir können uns selbst coachen, denn Resilienz lässt sich trainieren! Sie ist wie ein Muskel, den man mit einfachen Übungen aufbauen und stärker machen kann. <?page no="18"?> Du kannst einen Menschen nichts lehren. Du kannst ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken. Galileo Galilei 18 Wegweiser <?page no="19"?> 1 Der Stressbogen Saiten sind eine anschauliche Metapher für Stress. Ohne Spannung in den Saiten einer Violine ertönt kein harmonischer Akkord und ohne Spannung in den 242 Saiten eines Flügels erklingt kein stimmungsvolles Klavierkon‐ zert. Ludwig Bieser Ähnlich verhält es sich auch mit einem Bogen zum Abschießen von Pfeilen. Damit der Pfeil sein Ziel erreicht, darf der Bogen weder zu lasch noch zu fest gespannt werden. Die Spannung im Stressbogen entspricht der Energie, die ein Pfeil benötigt, um das Ziel zu erreichen. Der Stressbogen muss unter Spannung stehen, um überhaupt das Ziel erreichen zu können. Das Ausmaß, in dem der Bogen gespannt werden kann, hängt von der Qualität des Bogens ab. Die Qualität <?page no="20"?> des Bogens kann für die menschliche Fähigkeit stehen mit Anforderungen umzugehen oder mit Stressoren fertigzuwerden. Die Menge an Stress, die wir oder eine Organisation bewältigen können, ist abhängig von unserer Flexibilität oder Resilienz. Je flexibler der Bogen ist, desto stärker kann er gespannt werden und umso weiter kann der Pfeil fliegen. Ein lascher Bogen hat nur wenig Rückstellkraft. Ein starker, geschmeidi‐ ger und flexibler Bogen kann einen kraftvollen Zug ohne weiteres verkraf‐ ten und viel Spannung aufbauen, so dass ein Pfeil weit fliegen kann. Der Flug des Pfeils steht für unsere Motivation, Effektivität und Kreativität, welche die Voraussetzung für Leistung und Erfolg sind. Der Zug am Bogen symbolisiert die Anforderungen, die wir selbst an uns und unser Umfeld, bei der Arbeit und in der Freizeit stellen. Zusammengefasst: Der Flug des Pfeiles oder unser Erfolg ist abhängig von der Qualität des Bogens und der Kraft des Zuges. Wo bin ich auf meinem Stressbogen? Am Gipfel des Stressbogens steht die meiste Energie zur Verfügung, mit der ein Pfeil sein Ziel bzw. wir unsere Ziele erreichen können. Wenn wir uns im grünen Bereich unseres Stressbogens befinden, dann setzen wir unsere Fähigkeiten nicht nur optimal ein, sondern entwickeln sie auch weiter. Sind wir jenseits des Bogengipfels im gelben Bereich bewirkt zusätzlicher Druck einen Verlust an Leistungsfähigkeit. Wenn zu wenig von uns verlangt wird, verschlechtert sich unsere Leistung mit der Zeit auch. Der Stressbogen von Menschen ist verschieden. Anforderungen können für eine Person höchst motivierend und herausfordernd sein, während sie eine andere Person bereits überfordern. Der Stressbogen bricht, wenn er zu stark gespannt wird. Wir sollten achtsam sein und wissen, wo wir uns und wo sich die anderen auf der Stresskurve befinden. Stellen wir uns vor, wir sind noch im grünen Bereich, während die anderen schon im gelben oder roten Bereich sind. Unter solchen Umständen könnten wir gut zusätzliche Aufgaben verkraften, während sich die Leistung der anderen bei zusätzlichen Aufgaben verschlechtert. Die Anforderungen zu vergrößern, solange wir uns im roten oder schwarzen Bereich rechts auf der Stresskurve befinden, macht keinen Sinn. Sobald der Stress für uns zu viel und zu negativ wird, gehen bei uns in Gedanken, in Gefühlen und auch im Körper die gelben Warnlampen an. In der Tabelle sind die emotionalen, mentalen, physischen und motorischen 20 1 Der Stressbogen <?page no="21"?> Warnsignale aufgelistet und wie sie sich im Verhalten zeigen. Keines dieser Signale ist für sich allein ein Grund durchzudrehen. Wir sollten sie allerdings ernst nehmen. Zeigen sie uns doch an, dass wir an der Grenze unserer Fähigkeiten angekommen sind. Wenn die Warnlampen konstant oder immer wieder aufleuchten, könnten sie die ersten Anzeichen für etwas Schlimmeres sein. In diesem Fall tun wir gut daran, die Warnsignale ernst zu nehmen. Zugegeben, es ist nicht einfach, Stresssignale bei sich und bei anderen Menschen wahrzunehmen. Viele Signale sind unsichtbar. Auch wer bereits leidet, nimmt die Signale nicht immer bewusst wahr, sondern bekommt nur unbewusst die Folgen zu spüren. Wenn wir empfindsam und achtsam für uns selbst und andere sind, können wir die Warnsignale bewusst wahrnehmen. Das gelingt auch, wenn wir in unserem Umfeld ein Klima schaffen, in dem stresssensible Menschen es wagen können, über die Veränderungen bei sich zu sprechen. Wenn wir zu wenig achtsam sind, können wir auf der Stresskurve so weit nach unten rutschen, dass es schwierig wird, wieder auf ein gesundes Niveau hochzukommen. Werden Warnsignale zu lange übergangen, werden sie zu Alarmsignalen. Wo bin ich auf meinem Stressbogen? 21 <?page no="22"?> In der Tabelle sind die emotionalen, mentalen und physischen Alarmsignale aufgelistet und wie sie sich im Verhalten zeigen. Hohe Fehlzeiten, Sabotage, Vandalismus und anderes destruktives Verhalten können die Folge sein, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Präventives Stressmanagement ist dann nicht mehr ausreichend. Professionelle Hilfe und kurative Maßnah‐ men sind dann unausweichlich. 22 1 Der Stressbogen <?page no="23"?> 2 Erfolg und Erfüllung Wenn Anforderungen und Belastbarkeit bei uns ausgeglichen sind, ist unsere Leistung optimal. Wenn unsere Anforderungen größer als unsere Belastbarkeit sind, schlägt die Waage nach rechts aus. Wenn wir unterfordert sind nach links. Stress beginnt in unserem Kopf. Unter Stress sind unsere Gefühle gemischt, gut oder schlecht. Unsere Gedanken allerdings bestimmen, wie wir die Stresssituation wahrnehmen, angehen und wie wir unsere Fähigkeiten einsetzen. Sie haben einen starken Einfluss auf unsere psychische, physische und soziale Belastbarkeit. Kurzum die größte Quelle von Stress liegt in unseren Gedanken. Eine andere starke Waffe gegen negativen Stress ist auch unsere physi‐ sche Kondition. Fester Grundbestandteil unserer physischen Kondition sind die Voraussetzungen, die unveränderbar sind, wie z. B. unsere Größe, unser Cholesterinstoffwechsel oder eine physische Behinderung. Es gibt auch einen erworbenen Anteil. Der erworbene Anteil, den wir über die Jahre aufbauen, und der verändert werden kann, wird zum Großteil durch unseren Lebensstil bestimmt. Unser Lebensstil hat enormen Einfluss auf unsere Belastbarkeit. Entscheidenden Anteil haben körperliches Training, regelmä‐ ßige Entspannung, gesunde Essgewohnheiten, Nichtrauchen, moderates <?page no="24"?> Alkohol-Trinken, gesunde Schlafgewohnheiten und gutes Zeitmanagement mit gesunden und klaren Prioritäten. All das fällt in den Bereich unserer eigenen Verantwortung und Kontrolle. Ein klarer Beweis für den Einfluss des Lebensstils auf die Belastbarkeit wird uns von Frauen vorgelebt. Statis‐ tiken zeigen, dass Frauen länger leben als Männer: Das kommt nicht nur daher, dass Frauen oft einen gesünderen Lebensstil haben und resistenter gegenüber Stresskrankheiten sind, sie verarbeiten Stress auch besser, weil sie mit Emotionen besser umgehen. Wenn Frauen den männlichen Lebensstil übernehmen, und besonders wenn sie sich auch riskant verhalten, verlieren sie ihren Vorsprung in Bezug auf Stress-Belastbarkeit und Lebenserwartung. Es lohnt sich daher den Lebensstil daraufhin zu überprüfen, ob er die Belastbarkeit stärkt oder verschlechtert. Bei der sozialen Komponente geht es um unsere Rolle als Ehemann/ -frau, Partner, Eltern, Familienmitglied oder Freund und den sozialen Anforde‐ rungen bei der Arbeit. Eine Quelle für positiven oder negativen Stress ist auch die Organisation, in der wir arbeiten. Ein Unternehmen, das starke soziale Unterstützung für seine Mitarbeiter bereitstellt, kann höhere Anforderungen stellen als ein Unternehmen, das wenig oder keine anbietet. Mit einem kooperativen Führungsstil erreichen Unternehmen auf lange Sicht bessere Ergebnisse als Unternehmen mit einer auf interner Konkurrenz basierenden Kultur. Da die Arbeit unsere sozialen Beziehungen zu einem beträchtlichen Ausmaß bestimmt, ist es sinnvoll, gutes Stressmanagement in die Personalentwicklung zu integrieren. Wir können mit einer starken Belastung fertig werden, wenn wir unsere physische und psychologische Belastbarkeit verbessern. Eine Zeit mit starken psychologischen oder intellektuellen Anforderun‐ gen kann nicht allein dadurch bewältigt werden, mehr zu studieren oder härter zu arbeiten, sondern auch dadurch, dass wir mehr soziale Unterstüt‐ zung suchen und annehmen. Wenn wir mit schweren psychologischen An‐ forderungen konfrontiert werden, hilft es auch, mehr für unsere körperliche Fitness zu tun. In langen, schwierigen und ermüdenden Verhandlungen sind eine gute physische Verfassung und das Gefühl, in der schwierigen Situation sozialen Rückhalt zu haben, wichtige Faktoren, um eine psychologische und intellektuelle Erschöpfung wie Burn-out zu verhindern. Das Problem ist jedoch, dass in Zeiten mit viel Stress genau das Gegenteil passieren kann. Viele lassen sich gehen und die Sache treiben. In schweren Zeiten mit viel Stress vernachlässigen sie regelmäßiges Training und soziale Beziehungen. Sie rauchen und trinken, statt mehr für ihre Fitness zu tun. 24 2 Erfolg und Erfüllung <?page no="25"?> Stressmanagement-Programme Stress spielt sich an der Schnittstelle zwischen uns und unserem Umfeld ab. Bei personenorientiertem Stressmanagement unterscheiden wir zwischen präventiven und kurativen Maßnahmen. Was nützlich bei der Verhütung von Krankheiten ist, ist nicht immer der beste Weg, um sie zu kurieren. Das ist eine wichtige Hygieneregel. Wenn wir an Durchfall mit hohem Fieber erkrankt sind, brauchen wir ein Antibiotikum. Zur Vorbeugung von Durchfall Antibiotika über das Essen zu streuen oder ins Wasser zu kippen, ist teuer und schädlich. Für die Prävention von Durchfall brauchen wir sauberes Wasser zum Trinken und hygienisch einwandfreie Speisen zum Essen. Wichtig ist, das Thema Stress ganzheitlich anzugehen. Ziel ist, Mensch und Umfeld als Ganzes nachhaltig in den grünen Bereich zu bringen. Das setzt voraus, dass das Individuum und sein Umfeld grundsätzlich im Einklang sind. Präventives Stressmanagement kann ein schlecht funktio‐ nierendes Umfeld nicht heilen oder retten. Wichtig ist, dass Umfeld und der Einzelne gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, negativem Stress wo auch immer vorzubeugen. Es gilt ein optimales Stressniveau zu erreichen, bei dem jeder Einzelne Stress als Antrieb für Wachstum und Entwicklung wahrnimmt. Stress ist unvermeidbar und gehört einfach zu unserem Leben. Das Ziel, Stress grundsätzlich zu beseitigen, ist sinn‐ los. Professionelles Stressmanagement verhindert, dass Stress destruktiv wirkt, denn positiver Stress ist notwendig als ein Hauptantrieb für die Weiterentwicklung von Menschen und Organisationen. Gute präventive Stressmanagement-Programme bewahren Menschen und Organisationen <?page no="26"?> davor, in eine Situation zu geraten, in der nur noch kurative Maßnahmen helfen. Wenn wir schlecht mit Stress umgehen, wird er zu einer Bürde, die alles andere untergräbt. Wenn wir den Stress gut managen, wird Stress ein Erfolgsmotor für uns selbst und unser Umfeld. Wenn nicht jetzt, wann dann? Im nächsten Abschnitt blicken wir in den Spiegel. Es geht um die Frage: Was stresst uns? Was triggert uns? Was löst Alarmbereitschaft in uns aus? Dann schauen wir genauer hin: Welche konkreten Reaktionen können wir beobachten? Im weiteren Verlauf lernen wir, auf die Stressbremse zu treten und wie wir bei einem Boxenstopp mit kurzfristigen und langfristigen Strategien unsere Stresskompetenz steigern können. Kurzfristig bedeutet: Was können wir im Notfall gegen zu viel Stress machen? Langfristig meint, wie werden wir befähigt, unser Leben so zu verändern, dass wir nicht mehr so oft in die Stressfalle tappen? Eine geistige Kernkompetenz des Menschen ist die Konzentration. Es ist die Fähigkeit unsere Aufmerksamkeitsscheinwerfer eng zu stellen und aus der Flut von Möglichkeiten und Informationen auszuwählen. Fokussieren ist auch bei der Vielfalt von Stress Programmen angebracht. Wir konzentrieren uns deshalb zuerst auf den Menschen und dann auf sein Umfeld. Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt und mit dem fangen wir an. 26 Stressmanagement-Programme <?page no="27"?> 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement Menschen sind keine Maschinen, Menschen machen Fehler. Doch egal wie die Umstände sind, Menschen machen den Unterschied. Die Persönlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. In der Ruhe liegt die Kraft In Gefahr ist es besser, Ruhe zu bewahren, klare Gedanken zu fassen, den Ist-Zustand zu analysieren und vor allem die Situation realistisch wahrzunehmen. Harmoniesoße über reale Bedrohun‐ gen zu kippen, naives Gesundbeten, Verdrängen und Selbstmitleid helfen in solchen Momenten auch nicht weiter. Die Lage ist vergleichbar mit Patienten auf einer Intensivstation. Dort müssen vom Fachpersonal mit kühlem Kopf lebenswichtige Parameter überwacht werden. Gefragt ist eine engmaschige Überwachung, um mög‐ lichst zeitnah angemessen reagieren zu können. Ziel ist es, die aktuelle Situation zu verbessern. Es geht nicht darum, auf „Reset“ zu drücken, um den scheinbaren Idealzustand der Vergangenheit wieder zu erlangen. Es geht um neue Lösungen für die gegenwärtige Situation im Hier und Jetzt. Die alles entscheidende Maßnahme in dieser Situation kann nur lauten: Ruhe bewahren, klare Gedanken fassen, nüchtern analysieren und notwendige Maßnahmen einleiten. Ist unsere Wahrnehmung negativ verseucht? Die negative Nachrichtenspirale dreht sich ohne Ende. Tagein tagaus rauben negative Nachrichten über Kriege, Krankheiten und ökonomische Krisen uns wertvolle Energie. Nach verheerenden Klimaereignissen, wie der Flut im Ahrtal, und der Isolation, Angst und Unsicherheit in Zeiten der Corona-Pan demie folgte der Krieg in der Ukraine, von Inflation und Preissteigerungen ganz zu schweigen. Die Auswirkungen der Ereignisse auf unsere seelische Gesundheit sind schwerwiegend. Immer mehr Menschen fühlen sich be‐ <?page no="28"?> drückt und verzweifelt. Manche haben sogar einen Teil ihrer Lebensfreude verloren. Sie sehnen sich nach Glück und Unbeschwertheit. Unsere Aufmerksamkeit bestimmt unsere Realität Durch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit können wir unsere Umwelt präziser wahrnehmen, klarer denken, Informationen nachhaltiger speichern und uns in andere Menschen einfühlsamer hineinversetzen. Unsere Auf‐ merksamkeit kommt uns leider leicht abhanden, wenn wir ständig von außen beeinflusst, gelenkt oder von Nebensächlichkeiten absorbiert werden. Der Konsum von Wegwerf-Informationen rund um die Uhr verstopft unsere Köpfe, verwirrt unseren Geist und lädt unsere Seele mit Emotionen auf. Gedanken machen Gefühle und Gefühle machen Gedanken - negative wie positive. Negaholiker blockieren nonstop unsere Stressbremse. Die Folge: Durch negative Informationen verseucht, stehen wir ständig unter Strom und agieren permanent im Feuerwehrmodus. Die Folge: Wichtiges und Relevantes kommt in unserem Leben zu kurz. Eine kluge Steuerung unserer Aufmerksamkeit in der Informationsflut ist deshalb sehr wichtig. Weniger ist mehr, so heißt unsere Stressbremse. 28 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="29"?> Wir entscheiden seelenruhig Wir sind Steuerfrau bzw. Steuermann unserer Aufmerksamkeit. Wir sollten unseren medialen Konsum hinterfragen und dürfen die Dauerbeschallung mit Informationen nicht anderen überlassen. Angst und Depression sind die zwei Seiten einer Medaille. Ständige Horrormeldungen sorgen für eine bleierne Stimmung und führen zu einem verschleierten Blick auf die Zukunft. Sie sind eine Booster-Impfung für Realitätsverzerrung und Trübsal blasen. Eine uneingeschränkte Sicht auf die Zukunft und all die noch bevorstehenden Herausforderungen ist vonnöten. Ein klarer Blick ist ausschlaggebend, und macht uns wesentlich wider‐ standsfähiger gegenüber äußeren Umständen. Wollen wir ein erfolgreich erfülltes Leben führen und nachhaltigen Erfolg haben, müssen wir frei von naivem positivem Denken zum Gestalter unseres eigenen Lebens werden. Anstatt aus Angst, etwas zu verpassen, dauernd in Bildschirme zu starren und kostbare Lebenszeit zu verschwenden, sollten wir uns selbst und unse‐ ren Mitmenschen die Aufmerksamkeit schenken, die wir und sie verdienen. Es ist zu hoffen, dass wir in einer zunehmend digital werdenden Welt lernen, mit Informationen und Technologien so umzugehen, dass sie uns nicht schaden und dass ihre unbestreitbaren Vorteile die Nachteile überwiegen. Wir treten auf die Stressbremse, machen einen Boxenstopp und gönnen unserer Aufmerksamkeit eine mediale Auszeit. Wir schenken uns und unseren Mitmenschen stattdessen mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Stress - Gift oder Mitgift, Freund oder Feind Was fällt den meisten Menschen zum Thema Stress ein: zu viel Arbeit, Hetze, Kopfschmerzen, Konflikte, Herzattacken, Schlafstörungen, zu viel trinken und rauchen. Viele Menschen verbinden mit dem Thema Stress nur Unerfreuliches. Eine negative Assoziation zum Thema Stress ist aber nicht hilfreich; denn, wenn wir denken, Stress ist etwas Negatives, dem wir mit allen Mitteln aus dem Weg gehen müssen, dann wird uns das nicht gelingen. Ganz im Gegenteil: Wir laufen Gefahr, noch mehr Stress zu bekommen. Entscheidend ist also, wie wir mit Stress umgehen: positiv oder negativ. Wer beim Thema Stress nur negativ denkt, schadet sich selbst. Positiver Stress dagegen kann stimulierend auf unsere Kreativität, Leistung und Motivation wirken. Stress in der richtigen Intensität, hält Körper und Geist in Form. Menschen ohne eine gesunde Dosis Stress werden öfter 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement 29 <?page no="30"?> krank und sterben früher: Allein die Dosis macht das Gift. Erfolgreiches Stressmanagement macht Stress zu einem guten Freund, der uns unterstützt und beflügelt. Stressor ist nicht gleich Stress Wichtig ist, Stressoren - d. h. Stressverursacher - von der Stressreaktion zu unterscheiden. Dieser Unterschied hat eine große Bedeutung. Er hilft uns, besser mit Stress umzugehen, so dass wir in Zukunft stressige Situationen leichter, einfacher und besser gelaunt überleben können. Wenn Stressoren uns auf die Palme bringen, passieren in unserem Körper vor allem in unserem Oberstübchen wundersame Dinge. Wir können nicht mehr so gut denken, wir reagieren in einer Art und Weise, die wir gar nicht wollen. Die bewusste Kontrolle über das, was wir sagen und über das, was wir tun wollen, geht uns vorübergehend verloren. Und je höher das Stressniveau, desto geringer wird die Leistung unseres Großhirnes. Im Großhirn sitzt unsere Kultur, unser Wissen, unsere Bildung, unsere be‐ wusste Reaktion, unsere Kontrolle, unsere gute Erziehung, unsere Manieren, und all das nimmt stark ab, je größer der Stress wird. Unser Stammhirn steht dagegen stark unter Strom und steuert uns wie ein Autopilot. Unsere Leidenschaft Ein Zahnarztbesuch kann ein entsetzlicher Stress sein. Manch einer würde lieber drei Reden auf einem Kongress halten als zum Zahnarzt zu gehen. Der Unterschied besteht darin, dass wir unseren Job in der Regel mögen. Wir üben unseren Beruf, unser Hobby mit Leidenschaft aus. Und alles, was wir mit Leidenschaft machen - z. B. senkrechte Wände hochklettern - kann zwar unvorstellbaren Stress bedeuten, aber nicht für uns, weil wir es uns freiwillig ausgesucht haben. Alles, was wir gerne tun, macht den Unterschied zwischen Eu- und Distress aus. Eustress ist der positive Stress, der bei einer Klettertour in den Bergen oder, auf dem Hochseil ausgelöst wird. Für einen Artisten ist das Balancie‐ ren auf einem Hochseil Eustress. Er will das, und er bekommt hinterher Beifall dafür. Eustress ist auch ein erwählter Beruf: unsere Berufung. Wir lieben unseren Beruf; er ist anstrengend, kostet Energie, Substanz, aber wir bekommen sehr viel von den Menschen zurück, mit denen wir arbeiten, von 30 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="31"?> den Menschen, denen wir aus schwierigen Situationen heraushelfen. Also ist es ein positiver Stress. Auch heutzutage sind viele Menschen glücklich. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstwirksamkeit sind groß, denn sie haben das, was sie machen, selbst gewählt. Es ist also ein Unterschied, ob ich wir uns für etwas entscheiden, und es als Herausforderung sehen oder ob es uns wählt und uns überwältigt. Stress ist subjektiv Stress ist eine subjektive Angelegenheit, die für jeden Menschen vollkom‐ men unterschiedlich ist. Wir müssen für uns persönlich herausfinden, was unsere Hauptstressoren sind, was uns aufregt und außer Kontrolle bringt. Erfolgreiche Menschen sind oft nicht sonderlich gestresst. Sie haben ihren Weg selbst gewählt. Ihre Aufgaben machen ihnen Spaß. Sie führen ein Leben mit Stressbremse und ohne Spaßbremse. Damit uns so ein Leben gelingt, müssen wir mit Hilfe einer Mindmap unsere Hauptstressoren identifizieren. Eine Mindmap ist eine Karte unserer Gedanken. Mindmaps eignen sich für die visuelle Darstellung eines kom‐ plexen Themengebietes und helfen uns, unsere Gedanken frei zu entfalten. Mindmaps sind meist übersichtlicher als gewöhnliche Notizen und sparen auch Zeit, weil wir uns auf Schlüsselbegriffe und auf das Wesentliche konzentrieren. 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement 31 <?page no="32"?> Wir beginnen damit, unseren Hautstressor in die Mitte eines leeren Blat‐ tes zu schreiben. Wahlweise können wir den Hauptstressor umkreisen, eine Wolke drumherum zeichnen oder ein Bild dazu malen. Von dem Hauptstressor gehen Schlüsselstressoren ab, die immer in einen Bezug zu unserem zentralen Hauptstressor haben. Eine Mindmap handschriftlich zu erstellen, hat viele Vorteile. Die Arbeit mit Stift und Papier regt unser Gehirn an und fördert unser Erinnerungsvermögen. Gleichzeitig haben wir mehr Gestaltungsspielraum, denn Blatt und Stift liegen quasi immer bereit. Egal, ob mit einer digitalen oder einer mit der Hand erstellten Mindmap: Bilder machen die Mindmap übersichtlicher und prägen sich besser im Gedächtnis ein. Wenn wir außerdem unter akuter Ideenarmut leiden, kann das Zeichnen eines Bildes uns beim Nachdenken helfen. Bilder kann unser Gehirn viel einfacher und schneller verarbeiten als Wörter. Dabei stimulieren wir unsere rechte Gehirnhälfte, die Kreativität und innovative Gedanken beisteuern kann. Während die linke Gehirnhälfte vor allem für logische und analytische Aufgaben zuständig ist, hat die rechte Gehirnhälfte ihre Stärken in bildlicher Vorstellungskraft, Emotionen, Kreativität und nonlinearem Denken. Immer wenn beide Gehirnhälften zusammenarbeiten, erweitert sich unsere Denkleistung enorm und das Potenzial für innovative Lösungen nimmt zu. In der rechten analogen Gehirnhälfte befindet sich unser photographi‐ sches Gedächtnis. Es befähigt uns, Bilder von Personen und Orten sekun‐ denschnell abzuspeichern und auch zu erinnern. Analoge Informationen wie Bilder von Personen speichern wir nicht nur sekundenschnell, sie bleiben auch dauerhaft im Gedächtnis hängen. Digitale Informationen in Form von Buchstaben und Zahlen können wir uns dagegen viel schwerer merken. Namen und Zahlen sind für uns Schall und Rauch, wir vergessen sie schnell wieder. Unsere kreative Gehirnhälfte arbeitet wie ein Scanner mit verstellbarer Tiefenschärfe. Sie stellt allerdings keine logischen Zusammenhänge zwi‐ schen den einzelnen Bildern her. Ganz anders geht unsere analytische Gehirnhälfte vor. Sie kann logische Verknüpfungen und Bezüge herstellen. Links werden Ursachen und Wirkungen erkannt und logische Schlussfolge‐ rungen zwischen den einzelnen Gedanken geschlossen. Die linke Hirnhälfte denkt und handelt logisch, sucht nach Argumenten und setzt auf Beobach‐ tung. Die rechte Hirnhälfte pocht auf Erfahrung und arbeitet mit Intuition. Die kreative Hirnhälfte nimmt Ereignisse ganzheitlich z. B. als Muster und Struktur wahr. Einzelne Informationen und Bilder werden ähnlich wie in 32 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="33"?> einer Collage zu einem Ganzen verknüpft. Nicht nur die linke, auch die rechte Gehirnhälfte vollbringt eine gewaltige Leistung. Leider liegt die linke Gehirnhälfte heute oft weitgehend brach. Die starke Ausrichtung unserer Wahrnehmung auf Wissenschaft und Technik hat dazu geführt, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedlich stark trainiert werden. Kein Wunder, dass heutzutage die linke Gehirnhälfte besonders gefördert und gefordert wird, wohingegen die rechte Hälfte häufig im Dornröschenschlaf liegt. Nur wenn wir den Schleier über beiden Gehirn‐ hälften lüften und die Fähigkeiten zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen als Ganze nutzen, haben wir den Stress besser im Griff. Können wir schwierige Menschen in unserem Umfeld ändern? Wenn die Arbeitsmenge größer ist als die Zeitmenge, mag das noch zum Aushalten sein, ein chaotisches Umfeld, das uns systematische Arbeit unmöglich macht, kann dagegen sehr belasten. Zuallererst müssen wir herausfinden, wo unser eigener Anteil ist. Wo ist der Teil, den wir selbst verändern können? Und wo ist der Teil, den wir nicht allein verändern können? Im Umgang mit schwierigen Menschen versuchen wir meistens, an diesen etwas zu ändern. Können wir problematische Personen in unserem Umfeld wirk‐ lich ändern? Haben wir die Möglichkeiten dazu? Können wir überhaupt einen anderen verändern? Nein, oder wenn nur in wenigen Ausnahmefällen! Allein 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement 33 <?page no="34"?> schon den Fokus darauf zu richten, die andere Person, die uns Schwierigkeiten macht, ändern zu wollen, verursacht uns zusätzlichen Stress. Fremdbild, Selbstbild und blinder Fleck Ob die Stresskontrolle gelingt oder nicht, liegt zuallererst an uns. Wir müssen bei uns anfangen und unseren blinden Fleck anschauen. Sobald wir dann klar erkennen, wie wir kommunizieren und anfangen klarer und transparenter zu kommunizieren, können wir uns am eigenen Schopf aus dem Kommunikationssumpf ziehen. Probleme in der Partnerschaft sind der häufigste Grund, warum ein Berater aufgesucht wird. Der Berater fragt beim Beratungsgespräch die Klienten als allererstes: „Was glaubst du, was der andere von dir denkt? “ Die Sicht der Einzelnen voneinander offenzulegen, ist ein Instrument, um das Bewusst‐ sein dafür zu erzeugen, dass jeder bei sich selbst anfangen muss. Wo ist unser Anteil an der Stresssituation? Im Grunde ist das doch wun‐ derbar: Bei uns können wir etwas ändern, an der Situation oder dem anderen Menschen oft nicht. Wir können keinen Stromausfall verhindern, aber wir können unser Verhalten ändern. Und die Notbremse heißt dann: Wenn ich immer tue, was ich immer getan habe, werde ich immer bekommen, was ich immer bekommen habe. Unsere Stressreaktion, die sich offensichtlich wiederholt, müssen wir auf diese Weise durchleuchten: Wie habe ich tatsächlich jedes Mal in einer 34 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="35"?> bestimmten stressigen Situation reagiert? Und da sie für uns stressig blieb, müssen wir etwas anderes tun und uns anders verhalten. Unseren Stresskreislauf erkennen, Selbstgespräche und Resignation vermeiden Der Stresskreislauf ist die Reaktion, die sich in uns abspielt, wenn Stressoren auf uns zu kommen. Ein Beispiel aus unserer Umwelt, das wir nicht beein‐ flussen können: Wie oft ist in unserer westlichen industrialisierten Welt ein Stromausfall? Sehr selten. Es passiert ungefähr alle fünf Jahre einmal, gerade dann, wenn wir mit dem Auto zu einer wichtigen Verabredung fahren wollen. Wir müssen aus der Garage fahren, aber das Tor geht nicht auf. Dann telefonieren wir herum, warum das Tor nicht aufgeht, warum Stromausfall ist, wo er ist - in meinem Haus, in der Straße, im Viertel, in der ganzen Stadt? Wir rufen die Hausverwaltung an. Die Hausverwaltung schickt den Haus‐ meister, der eine Kurbel hat, um das Tor hochzukurbeln. Der Hausmeister kommt. In diesem Moment ist der Strom wieder da. Stress, Stress, Stress. Und hier ist noch ein Beispiel von chaotischem Verhalten in unserem Umfeld. Wir bekommen z. B. wichtige Unterlagen nicht termingerecht, es sind Fehler drin und die Vereinbarungen wurden nicht eingehalten. Als erstes kommt unsere Wahrnehmung und die erste Stufe der Stressreaktion läuft ab. Wenn wir uns schon oft geärgert haben, ist unsere Reaktion besonders heftig. Sie ist viel stärker, als wenn es das erste Mal passiert. Unsere Vorerfahrungen 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement 35 <?page no="36"?> spielen eine ganz wichtige Rolle. Gemeinsam mit unserer Wahrnehmung setzen sie das Stresskarussell in Gang. Zorn und Wut nehmen ihren Lauf. Wir reden in stressigen Selbstgesprä‐ chen mit uns selbst: „Dieser Blödian, ist wieder nicht fertig geworden, … ich habe es ihm doch schon oft genug erklärt, … der ist einfach nicht kompetent genug, … mit solchen Menschen muss ich mich rumschlagen, … wie komme ich überhaupt dazu, mir das permanent bieten zu lassen? “ All die stressigen Selbstgespräche schaukeln sich bis in die höchste Stufe unserer Hilflosigkeit auf. Unsere Gefühle sind Wut und Angst, z. B. die Angst: „Der Fehler, den er gemacht hat, fällt auf mich zurück; ich bin der Vorgesetzte.“ All diese Dinge können sich ständig wiederholen. In unserem Kopfkino wird Nonstop ein Horrorfilm vom Feinsten abgespult: „Das mache ich noch einige Zeit, dann habe ich eines Tages ein Magengeschwür.“ Oder: „Meine Nackenverspannungen sind so schlimm geworden, dass ich in physiothera‐ peutische Behandlungen gehen muss.“ Und so weiter. Resignative Phasen sind Reaktionen auf zu viel Stress. Der Steinzeitmensch in uns Die geschilderten Situationen sind typische Stressoren, die bei uns das auslösen, was allgemein als Stress bezeichnet wird. Stress ist eine physio‐ logische Reaktion unseres Körpers. Bei der Stressreaktion wird Energie freigesetzt, die unseren Körper auf Touren bringt, um eine große Leistung zu vollbringen. Blitzschnell sind wir in Turbogeschwindigkeit von 0 auf 100 oder auch von 0 auf 180. Die gute Nachricht: Das ist bei allen Menschen so. Die schlechte Nachricht: Das ist schon seit 10 Millionen Jahren so. Die Stressreaktion läuft noch genauso ab wie bei einem Steinzeitmenschen. Vor 10 Millionen Jahren reagierte der Mensch in bedrohlichen Situationen genauso wie wir heute. Die gute Nachricht von heute: Wir können den Ablauf der Stressreaktion uns bewusst machen und willentlich beeinflussen. Wir brauchen allerdings Stressbewältigungskompetenz, um schädliche Re‐ aktionen auf Stressoren in den Griff zu bekommen oder besser noch im Keim zu ersticken. 36 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="37"?> Stellen wir uns den Steinzeitmenschen vor. Er sah noch etwas anders aus als wir. Er war anders bekleidet, aber in seiner physischen Ausstattung war er so wie wir. Wir le‐ ben heute allerdings in einem Umfeld, für das unsere bio‐ logische Struktur gar nicht mehr geeignet ist. Für unseren Körper sind wir noch die Jäger und Sammler der Steinzeit. Unser Vorfahre, der Steinzeitmensch, ging z. B. in den Wald, um Beeren zu sammeln, und stand plötzlich vor einem Bären. Was war das? Stress! Ganz klar, denn er musste jetzt dem Bären seine Keule fürchterlich auf die Schnauze hauen, um ihn zu erlegen. Die Wahrschein‐ lichkeit, dass es funktionierte, war groß - allerdings nur, wenn der Bär schon ganz nahe war. Die wahrscheinlichere Reaktion war vermutlich, dass er seine Keule weggeworfen hat, um ganz besonders schnell weglaufen zu können … und das tat er dann auch. Und was brauchte er dafür? Ein hohes Leistungspotenzial in seinem Körper. Genau das ist der Stress! Der Blutzu‐ ckerspiegel, die Atemfrequenz, der Herzschlag und so weiter steigt. Das heißt: Stress ist eine physiologische Reaktion auf Stressoren, die von außen auf uns zukommen. Die Stressoren halten wir oft für unseren Stress, aber das ist nicht richtig. Beispiele von Stressoren Heutzutage brauchen wir mehr Nervenkraft als Muskelkraft. Gute Nerven sind gefragt, denn es gibt unendlich viele Stressoren. Null-Bock-Mentalität: Menschen, die nicht tun, was sie sollen, und tun, was sie wollen, und wir wissen nicht, was wir tun sollen. Schlechte Schulnoten: Ein typischer Stressor in der heutigen Zeit: Wenn die Kinder in der Schule schlechte Noten schreiben und keine Lust auf Schule haben. Chaotische Manager: Vorgesetzte, die chaotisch sind, aber selbst glau‐ ben, dass sie alles voll im Griff haben oder jedenfalls so tun als ob. Probleme in der Partnerschaft: Der Partner oder der Angebetete, der nicht anruft. Für manche Menschen ist auch ein Stressor vorübergehend keinen Partner zu haben, und eine Zeitlang allein zu leben. Oder komisch angeguckt zu werden: Warum lebst du allein; stimmt mit dir etwas nicht, dass du keinen Partner findest? Perfekter als perfekt: Perfektionismus zu Hause: Wenn wir morgens aus dem Badezimmer gehen und die Handtücher hängen nicht ordentlich 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement 37 <?page no="38"?> auf dem Halter und die Schranktüren stehen offen. Oder Perfektionismus bei der Arbeit: Nicht so gut wie nötig, sondern nur so gut wie möglich zu arbeiten. Permanente Schuldgefühle: Ein großer Stressor für berufstätige Müt‐ ter und Väter ist es, wenn sie sich einreden lassen oder glauben, sie wären keine guten Mütter oder Väter, weil sie nicht den ganzen Tag mit ihren Kindern Kuchen backen, auf den Spielplatz oder in den Zoo gehen und Ge‐ schichten vorlesen. Schuldgefühle bringen uns nicht weiter, wenn wir etwas ändern sollten. Auch pflegebedürftige kranke Angehörige und Mobbing von Kollegen sind Stressoren, die ganz viel negativen Stress erzeugen können. Hilflosigkeit: Ein schwerwiegender Stressor ist, sich hilflos zu fühlen. Wenn wir in Situationen feststecken und glauben, nichts bewirken zu können. Wenn wir uns einschüchtern lassen, statt uns zu behaupten. Menschen, die es so gut mit uns meinen: Menschen, die es so wahnsinnig gut mit uns meinen, die können uns furchtbar stressen. Oft meinen sie es aber nur mit sich selbst gut. Der Mensch tut, was er will oder will, was er tut? Das einzige, auf das wir uns heutzutage noch verlassen können, ist der stän‐ dige Wandel. Die meisten Menschen suchen ihr Glück in materiellen Dingen und bei anderen Menschen. Wir sollten unser Glück al‐ lerdings nicht aus der Hand geben. Denn sobald sich die äußeren Rahmenbedingungen ändern - der Partner stirbt, die Aktienkurse einbrechen etc., gerät das vermeintlich sichere Fundament unseres Lebens ins Wanken. Wir ver‐ lieren den Halt und die Orientierung. So durch das Leben zu driften, ist wie eine Achterbahnfahrt. Jeder Mensch ist seines Glückes Schmid. Was auch immer um uns passiert, wenn wir das Steuer für unser Leben in die Hand nehmen, können wir am ehesten voraussagen, selbst bestimmen und gestalten, was mit uns passiert. Egal wie die Umstände sind, Menschen, die wissen, was sie wollen, und auch tun, was ihnen und anderen guttut, machen den Unter‐ schied. In den folgenden Abschnitten des Buches können Sie bei einem Probe‐ training die Stressbremsen austesten und lernen, wie man auf positiven Stress umschaltet. 38 3 Präventives personenorientiertes Stressmanagement <?page no="39"?> 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out Ganz wichtig ist, uns zu fragen: Was macht Stress mit uns oder was passiert unter Stress mit uns? Wollen wir uns überhaupt aufregen? Was nützt es der Sache? Ist die Situation wirklich bedrohlich? Ist die Information wirklich wahr und relevant? Können wir selbst etwas dafür oder dagegen tun? Können wir damit leben? Wenn wir bewusst damit umgehen, können wir den Stresskreislauf schon bei unserer Wahrnehmung unterbrechen. Wir können unsere stressigen Selbstgespräche überprüfen und uns sagen: Ja, das stimmt, es ist auch richtig, dass ich mich ärgere. Aber das bringt mich überhaupt nicht weiter. Gerade schlechte Gewohnheiten erzeugen dieses Problem ganz besonders, weil es immer und immer wieder vorkommt. Wir können uns auch sagen: Normalerweise wäre unsere Reaktion jetzt Flucht. Aber wir haben das immer so gemacht, und es hat das Problem nicht gelöst. Im Gegenteil, es hat es verstärkt. Besser ist es den Stressautomatismus mit einer Stressbremse zu stoppen. Die nachfolgende Geschichte ist eine uralte Stressbremse gegen die Angstmache durch alltägliche Manipulation und Informationsverzerrung, die ständig auf uns niederprasselt. Zum weisen Sokrates kam ein Mann gelaufen und sagte, „Höre Sokrates, das muss ich dir erzählen.“ „Halte ein! “, unterbrach ihn der Weise“ „Hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt? “ „Drei Siebe? “, fragte der Mann voller Verwunderung. „Ja, guter Freund! Lass sehen, ob das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurchgeht: Das erste ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist? “ „Nein, ich hörte es erzählen und …“ „So, so! Aber sicher hast du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, gut? “ Zögernd sagte der andere: „Nein, im Gegenteil … „Hm …“, unterbracht ihn der Weise, „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden. Ist es notwendig, dass du mir das erzählst? “ „Notwendig nun gerade nicht…“ „Also“, sagte lächelnd der Weise, „wenn es weder wahr noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit.“ <?page no="40"?> 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen Vergangenheitsbewältigung Der Stresskreislauf sollte dort unterbrochen werden, wo es sinnvoll und ratsam ist. Am allerbesten unterbrechen wir ihn, wenn wir bei der Vergan‐ genheitsbewältigung anfangen. Wir alle kennen das: Immer wieder kreisen unsere Gedanken um das, was früher war. Dann lautet die erste Frage: Können wir das noch ändern, was uns stresst, oder können wir es nicht mehr ändern? Wenn die Antwort lautet, wir können nichts mehr ändern, es ist vorbei, sollten wir die Angelegenheit abschließen. Es ist reine Zeit- und Energieverschwendung, wenn wir uns noch damit befassen. Überlegungen, die mit „was wäre, wenn“ beginnen, sind nutzlos. Weil ich so wenig Zuwendung von meinen Eltern bekommen habe, geht es mir heute schlecht. Wenn ich als Kind auf eine bessere Schule hätte gehen dürfen, dann könnte ich heute viel erfolgreicher sein. Wenn ich mir nicht immer die falschen Partner ausgesucht hätte, dann wäre ich heute nicht so allein. Was bringt das heute noch? Das Problem ist nicht, was ich irgendwann einmal hatte, aber am besten nicht bekommen hätte, sondern was ich heute und morgen haben will und was ich dafür tun werde, um es zu bekommen. Das bedeutet: Wenn wir den Stresskreislauf unterbrechen wollen, ist es wichtig, mit uns selbst ins Reine zu kommen. Erreichen statt vermeiden Wie verhindern wir, dass das Vergangene wieder passiert? Wie müssen wir vorgehen, damit das passiert, was wir gerne haben möchten? Wenn wir unseren Fokus immer auf das richten, was nicht geschehen soll, dann werden wir genau davon immer mehr bekommen. „Ich will nicht so werden wie meine Mutter“ ist die beste Möglichkeit, tatsächlich so zu werden wie sie. Viel besser ist: „Ich will werden wie …, ich möchte so und so werden, ich möchte selbständig, autonom etc. werden. Das sind die richtigen Aussagen. Nicht das Vermeiden ist wichtig, sondern das Erreichen. Wir müssen auf ein Ziel zugehen. Wenn wir immer tun, was wir immer getan haben, werden wir immer bekommen, was wir immer bekommen haben. 40 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="41"?> Ziele formulieren Deshalb ist es so wichtig, unser Ziel, das wir erreichen wollen, genau zu formulieren. Zum Beispiel zum Arzt zu gehen und zu sagen, „Bitte sorgen Sie dafür, dass es mir besser geht, aber verlangen Sie von mir nicht, dass ich anders denke oder mich anders verhalte“, kann von vornherein nicht funktionieren. Bei der Zielplanung müssen wir mit und bei uns anfangen. Wir müssen auch aufhören zu glauben, dass es überall besser ist, wo wir gerade nicht sind. Auch wenn wir uns an den Problemen anderer aufreiben, wird sich für uns nichts ändern. Besser ist es den Augenblick im Hier und Jetzt zu genießen. Unser Verhalten können wir ständig ändern Den Stresskreislauf können wir unterbrechen, wenn wir bei uns anfangen und nicht versuchen andere ändern zu wollen. Du zuerst geht nicht auf. Ich zuerst dann klappt das Du viel besser. Nehmen wir einen chaotischen Chef als Beispiel. Der Chef gibt keine präzisen Informationen, arbeitet mit Halbwissen und hält sich an keine Vereinbarungen. Das bedeutet für uns, dass wir besonders viel hinterfragen, dass wir vieles schriftlich festhalten, dass wir ganz besonders Prioritäten mit ihm vereinbaren und dass wir Zwischenergebnisse mit ihm besprechen müssen. Die Präzision in den Steuerungs- und Kontrollverfahren bei der Zusammenarbeit muss in diesem Fall von uns ausgehen. Dann sind wir auf der sicheren Seite, wenn etwas schief geht. Wenn wir es als Chef mit einem chaotischen Mitarbeiter zu tun haben, ist die Rollenverteilung umgekehrt. Wir müssen darauf drängen, dass die Ausarbeitungen von unserem Mitarbeiter in der Qualität kommen, wie wir sie brauchen und auch haben wollen. Es gibt sogenannte „verdruckste“ Menschen. Das sind Menschen die andere ständig im Unklaren lassen und denen man alles wie Würmer aus der Nase ziehen muss. Mit ihnen weiß man nie, wie man dran ist. Es sind oft Menschen, auf die wir uns selbst bei allem Wohlwollen nicht verlassen können, die unser Vertrauen enttäuschen oder gar missbrauchen. Es gibt viele weitere Spielarten von diesem Verhalten, je nachdem wie stark diese Charakterschwäche ausgeprägt ist. Wenn wir die Zügel fest in der Hand behalten wollen, ist bei diesem Verhalten ein gesundes Misstrauen im Zweifelfall besser als blindes Vertrauen. 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 41 <?page no="42"?> Die innere Kündigung Es gibt Menschen, die haben einen grauenhaften Job, schreckliche Kollegen und Vorgesetzte. Trotzdem sind sie hin und hergerissen, ob sie den Job behalten oder kündigen sollen. Sie hadern und harren aus, weil das auch seine Vorteile hat. Diese Menschen entwickeln oft eine freizeitorientierte Schonhaltung. Das bedeutet, sie engagieren sich nur noch so viel wie unbedingt nötig. Innere Kündigung kann kurzfristig eine Form von Stressbewältigung sein. Langfristig ist es allerdings besser, einen Job zu suchen, der Spaß macht. Wie viel Macht geben wir anderen über uns? Ein Kollege nervt uns wahnsinnig. Er verdirbt uns nicht nur den lieben langen Arbeitstag, sondern auch noch den Feierabend. Darf jemand uns auch noch den Feierabend verderben oder ist es schon mehr als genug, wenn wir uns tagsüber mit ihm herumärgern müssen? Wir entscheiden, wer oder was uns wie nahekommen darf. Es ist unsere freie Entscheidung, wann und wie wir uns von Stressoren abgrenzen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die prinzipiell unpünktlich sind. Und es gibt Vorgesetzte, die die ganze Zeit damit verbringen, um den Beginn der Arbeitszeit auf die Uhr zu schauen und zu kontrollieren, wer wann kommt. Wer hat den Stress? Der, der zu spät kommt oder der, der kontrolliert? Der Kontrolleur hat sicher mehr Stress, und wird ihn auch nicht los, indem er meckert und auf Pünktlichkeit pocht. Das löst das Problem nicht. Besser ist es das Problem grundsätzlich anzusprechen und gemeinsam eine einvernehmliche Lösung zu vereinbaren. Immer die/ der Letzte Viele haben sogar in der eigenen Freizeit viel Stress, weil sie zu allem länger brauchen und die anderen immer auf sie warten müssen. Schau, die warten schon wieder auf mich und ich bin immer die/ der letzte. Ich bin jetzt schon so fertig, dass ich am liebsten nach Hause gehen würde. Das passiert, wenn man als schwächstes Glied einer Gruppe immer den anderen nachhecheln muss. In der Freizeit sportlicher erscheinen zu wollen als wir sind, bedeutet Stress. 42 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="43"?> Schindluder mit unserem Selbstwertgefühl treiben Selbstmitleid dürfen wir uns nicht aussetzen, weil es unser Selbstbewusst‐ sein untergräbt. Sich mit Freunden immer wieder treffen, sich aber nicht ständig mit ihnen messen und vergleichen. Auch einen Fortbildungskurs zu absolvieren, ist nicht immer eine Lösung. Wir sollten uns nicht verkrampft und verkniffen anbiedern, wenn etwas nicht zu unserem Naturell passt und uns gegen den Strich geht. Stress entsteht, wenn wir ja sagen und nein meinen. Mit der angezogenen Handbremse: „Wir müssen nicht überall dabei sein und mithalten“, können wir so eine Stresssituation grundsätzlich vermeiden. Böser oder braver Hund Wir haben einen wichtigen Termin, sind abgearbeitet, müssen aber schon früh aufstehen, morgens eine Superleistung bringen und haben uns deshalb früher als gewohnt schlafen gelegt. Der Nachbarhund bellt die ganze Nacht und nervt uns fürchterlich. Wir bekommen kein Auge zu. Stattdessen beginnt unser Gedankenkarussell zu rotieren: „Dieser blöde Köter bellt dauernd und ich muss schlafen. Was fällt dem Nachbarn überhaupt ein? Hat der Tomaten auf den Ohren? Hört der das nicht auch? Wie kann der sich das erlauben, der ganzen Gegend den Schlaf zu rauben. Das ist eine Unverschämtheit, den sollte man anzeigen! So einen Köter sollte man nachts im Haus halten. Soll der sich doch selbst um den Schlaf bringen! " Wenn wir von Haus aus schon leichte Schlafprobleme haben, empfinden wir es noch viel schlimmer. Es handelt sich um die subjektive Verarbeitung eines Problems, das eigentlich ganz normal ist, gute Wachhunde bellen. Jetzt drehen wir den Spieß einmal um. In unserer Gegend sind in der letzten Zeit viele Einbrüche verübt worden. Es ist bekannt, dass zurzeit eine Verbrecherorga‐ nisation die Gegend heimsucht. Und jetzt höre ich diesen Hund bellen. Dann sage ich: „Ja, braves Hündchen, schön, dass er so gut aufpasst. Bin ich froh, dass wir so einen scharfen Hund in der Gegend haben. Bei uns brechen die nicht ein. Die würden sich das nie trauen. Dann kann ich ja morgen beruhigt verreisen, der passt schön auf meine Frau und meine Kinder auf.“ Es ist ein und dieselbe Situation mit demselben Stressor. Unsere Reaktion darauf macht den großen Unterschied aus, ob wir Stress haben oder nicht. 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 43 <?page no="44"?> Unsere Angriffsreaktion könnte so ausfallen. Wir rufen unseren Nach‐ barn an und sagen ihm, er soll gefälligst seinen Hund wegsperren oder vergiften. Wenn er das Problem nicht sofort löst, dann wird er schon sehen, was ihm und mit ihm passiert. Eine Fluchtreaktion wäre, wir nehmen Schlaftabletten. Das ist nicht ratsam, weil wir dann am nächsten Morgen nicht fit sind. Am besten wir schlafen im Gästezimmer, das auf der anderen Seite des Hauses liegt und das Problem ist gelöst. Anderen helfen ihren Stress abzubauen Den Stresskreislauf können wir praktisch überall unterbrechen. Eine Taxi‐ fahrt ist ein anschauliches Beispiel: Wir müssen zum Flughafen und wollen gerade in ein Taxi steigen. Da sehen wir, wie der Taxifahrer sich eine Zigarette anzünden will, und ganz ehrlich, der Typ hat uns auch nicht besonders gefallen. Er hat auch die Zigarette nicht gleich herausgenommen und wir haben aus den Augenwinkeln gesehen, dass das Taxi furchtbar dreckig war. Wenn wir eines nicht leiden können, dann ist es, im Auto zu rauchen. Wir finden Raucherautos riechen grauenhaft. Wir sind nicht eingestiegen und haben ganz freundlich zu ihm gesagt: „Ach, Sie wollen gerade rauchen, dann nehme ich das nächste Taxi, das ist ein Nichtrauchertaxi.“ Er riss sich die Zigarette aus dem Mund und sagte „Nein, ich rauche nicht, steigen Sie ein.“ Wir hatten die Türe aber schon wieder zugeklappt und stiegen in das nächste Taxi ein. Wir befanden uns in einer schmalen Ausfahrt, das Taxi vor uns musste vorfahren, um uns vorbeizulassen. Das hat er nicht getan. Dann ist unser Taxifahrer ausgestiegen. Er ging vor und sagte noch ganz freundlich zu ihm: „Geh Spezl, jetzt fahr mal a bissel vor, damit ich da rausfahren kann.“ Der Kollege vorne sagte zu ihm: „Der blöde Ochse soll mit mir fahren.“ Dann sagte er: „Du hast ja gehört, er will ein Nichtrauchertaxi“ und: „Bitte lass mich jetzt raus, damit ich wegfahren kann.“ „Nein, der blöde Kerl soll mit mir fahren.“ Und dann entspann sich eine Unterhaltung zwischen den beiden Herren, die sehr stark eskalierte: Der Zoo, der darin vorkam, wurde mit immer größeren Tieren bestückt. Und er ist nicht weggefahren. Unser Taxifahrer war außer sich vor Wut, dann fuhr er in Kurven rückwärts heraus. Und jetzt kommt ein ganz wichtiges Instrument für uns alle. Wir trai‐ nieren unsere eigene Stressbewältigungskompetenz, indem wir anderen Menschen helfen, ihren Stress abzubauen. 44 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="45"?> Uns allen hat die Situation mit den Taxis nicht gefallen. Erstens fanden wir die ganze Szene blöd, sie war so un‐ nötig wie ein Kropf. Zweitens hat uns auch das Verhalten unseres Taxifahrers nicht gefallen, denn er hat sich ja voll in die Machenschaften des anderen Fahrers mit hineinzie‐ hen lassen, indem er mit ihm gestritten hat und auch or‐ dinär wurde. Wir wollten seinen Stress nicht eskalieren lassen und waren zu ihm besonders freundlich, lieb, verständnisvoll und höflich. Dann passierte mit diesem Mann etwas Wunderbares. Plötzlich nahm er eine Außensicht zu seinem Verhalten ein und sagte: „Mein Gott, was ist bloß aus mir geworden! Jetzt fahr' ich hier Taxi und habe jeden Tag solche Situationen.“ Und dann erzählte er. „Ich sag' Ihnen, ich war viele Jahre Suchtkrankenhelfer, die Menschen haben mich geliebt. Niemals ist so etwas vorgekommen, und jetzt bin ich hier und lass mich von so einem zu einem solchen Verhalten hinreißen. Wie kann das nur sein? “ In diesem Moment wurde er freundlich und hat nur noch über schöne Dinge mit uns gesprochen. Einem anderen Menschen bewusst zu machen, dass es sich jetzt gerade so verhält, wie er gar nicht will, ihm die Gelegenheit zu geben, seinen Stress selbst zu relativieren und abzubauen, das ist für uns eine der besten Gelegenheiten, um Stressbewältigung zu trainieren. Was ist unser Ziel? Bewegen wir uns gerade mit dem, was wir sagen, tun, lassen, möchten, oder wie wir mit uns und anderen umgehen, in Richtung unserer eigenen Ziele? Fahren wir unseren Zielen entgegen oder hecheln und hinken wir mit heraushängender Zunge unseren Zielen hinterher. Wenn wir kein eigenes Ziel haben, werden wir permanent von Menschen, die konkrete Ziele haben, missbraucht. Ob in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz, Menschen versuchen mit Hilfe unserer Energie, ihre Ziele zu erreichen. Wenn wir uns nicht in Richtung unserer Ziele bewegen, stehen wir bereits unter Stress. Stress haben wir auch, wenn wir unsere eigenen Ziele aus den Augen verloren haben und wenn wir das Gefühl haben, im falschen Film zu sein. Wenn wir gar nicht mehr wissen, was das alles soll und wir die Orientierung verloren haben. Wenn wir nicht wissen, wo wir hinwollen, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 45 <?page no="46"?> wenn wir dort ankommen, wo wir gar nicht hinwollten. Wir müssen wissen, wohin unsere Reise hingehen soll - am besten über Lustnau nach Freudenstadt. Aufmerksam und achtsam Es gibt eine Vielzahl von Frühwarnzeichen, die auf zu viel Stress hindeuten. Auf Frühwarnzeichen zu achten ist wichtig. Sie sind die Warnlampen, die uns signalisieren, dass Ungemach droht. Wenn wir die Selbstkontrolle nicht verlieren wollen, müssen wir etwas dagegen tun. Öfter krank Jeder Mensch leidet an ungefähr 80 Unpässlichkeiten im Jahr. Davon ist eine meistens eine ordentliche Erkältung, durch Corona, Grippe und andere Viren. Plötzlich häuft sich das, plötzlich sind wir dreimal im Jahr verschnupft und einmal im Monat erkältet. Unsere Verspannungen und Rückenschmer‐ zen nehmen zu. Sie werden chronisch. Was will der Körper uns sagen? Es ist der Geist, der sich den Körper macht, sagte schon Goethe. Psychoso‐ matisch gesehen bedeutet Krankheit, unser Kopf macht keinen guten Job. Wenn wir auf emotionaler und mentaler Ebene unsere Probleme nicht lösen, verursacht das Stress, der auf der körperlichen Ebene Krankheiten auslösen kann. Krankheit ist oft Flucht. Es ist die Notbremse und Notlösung, wenn das emotionale und mentale System überlastet ist. Wenn wir uns schonen und keine Anforderungen mehr an uns gestellt werden, können wir geborgen wie in Abrahams Schoß in Ruhe überlegen, was wir künftig besser machen können. Sobald wir von der Krankheit auf der körperlichen Ebene genesen sind, haben wir wieder genügend Energie für einen Neuanfang auf der emotionalen und mentalen Ebene. Eine nachhaltige Stressbewältigung gelingt uns nur, wenn wir verstanden haben, was die Krankheit uns sagen will. Nur wenn wir den Zusammenhang von Ursache und Wirkung verste‐ hen, können wir aus schmerzhaften Erfahrungen lernen und gesündere Verhaltensweisen entwickeln. Dann sind wir geheilt. Wir sind wieder an Leib und Seele gesund. 46 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="47"?> Krank durch mangelnde Anerkennung oder zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen Krankheiten wie Burn-out entstehen, wenn es an Aner‐ kennung bei der Arbeit oder Streicheleinheiten vom Part‐ ner mangelt. Dann ist guter Rat teuer. Doch auch Umwege können zum Ziel führen: Wie bekommen wir, was wir wirklich brauchen und verdienen? Kreativität ist gefragt. In einer lobarmen Gegend in unserem Lande hat eine Frau namens „Gscheidle“ ihren Nörgler namens „Bruddler“ folgendermaßen zum Essen gerufen: „Schätzle komm Motzen, das Essen ist fertig“. Die schlaue Frau Gscheidle hat damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Sie hat sowohl den Hunger ihres „Bruddlers“ als auch ihren Lobhunger gestillt. Auf scheinbar paradoxe Weise hat sie präventiv und proaktiv das Problem gelöst. Anerkennung und Lob ist Holschuld und Bringschuld zugleich. Paradoxe Verstärkung Eine große Stressquelle in Familien können Kinder in der Trotzphase sein. Wenn die Kinder sich Wohlverhalten, reagieren wir oft so: bloß nicht anrühren, heute sind sie ruhig, heute sind sie brav, kein Stress. Obwohl das Kind sich gut verhält, wird es statt gelobt nicht beachtet und praktisch bestraft. Wenn es aggressiv wird und mit Gegenständen um sich wirft, wenn es brüllt und tobt, dann stürzt sich das ganze Umfeld auf das Kind; es bekommt die volle Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wir versuchen, es zu beruhigen. Es bekommt unsere Zuwendung, wenn es etwas tut, was es nicht soll. Das führt zu einer paradoxen Verstärkung. Unbewusst fördern wir ungutes Verhalten. Vernachlässigte Kinder werden häufiger krank, um mehr Zuwendung zu bekommen. In so einer Situation ist es für Eltern wichtig, den Hunger des Kindes nach Aufmerksamkeit und Zuwendung hinter destruktiven Gefühlen und Verhaltensweisen zu erkennen und seine Grundbedürfnisse zu stillen. Trotzköpfe gibt es auch bei Erwachsenen. Sie und ihr Umfeld verhalten sich praktisch gleich. Ein besonders perfides paradoxes Verhalten ist die Übertragung. Es gibt Menschen, die übertragen ihre Pro‐ bleme auf andere und versuchen sie auf dem Rücken anderer Menschen zu lösen. Sie überziehen z. B. andere lautstark mit Kritik, 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 47 <?page no="48"?> mit der eigentlich sie selbst gemeint sind. Sie lassen an anderen Dampf ab, über ein Verhalten, dass sie im Grunde bei sich selbst nicht ausstehen können. Sie verstärken dadurch ihre Bedeutung, weil sie ihren Defiziten mehr Aufmerksamkeit schenken. Was Du nicht willst, dass man Dir tut, das füg’ auch keinem andern zu ist ein Gedankenstopp, der uns in so einer Situation weiterbringt. All den Stress, der durch automatische Gedanken‐ gänge ausgelöst wird, müssen wir ursächlich angehen, indem wir in den Rückspiegel schauen und Ursachenforschung treiben. Schlechte Manieren z. B. sind wie ein Unkraut und müssen mit der Wurzel ausgerissen werden. So tut Fürsorge, die ein Mensch erhält, wenn er krank im Bett liegt, ganz gut, ist aber noch nicht alles. Erst wenn das menschliche Grundbedürfnis nach Autonomie und Unabhängigkeit auch gestillt ist, wird das Problem nachhal‐ tig gelöst. Es ist die Aufgabe des Umfeldes Aufmerksamkeit und Zuwendung nur in Form von Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Wenn ein Mensch Hunger hat, gib ihm einen Fisch. Besser ist es, ihm zu zeigen, wie man Fische angelt. Wer Erfahrung mit Pflegebedürftigen oder schwerkranken Angehörigen hat, weiß, dass das oft eine Gratwanderung ist. Gutmütigkeit ist immer ein Teil der Liederlichkeit, so die leidvolle Erfahrung sogenannter Moralapostel. Richtig ist nämlich nicht unbedingt immer gut. Gegen Missbrauch hilft die wirksame und nachhaltige Stressbremse: Nur so viel Hilfe wie nötig und nicht so viel Hilfe wie möglich. Das bedeutet z. B.: Alles, was der Kranke noch selbst ausführen kann, muss man ihn auch machen lassen. Es bleibt die Erkenntnis: Häufigere Erkrankungen sind ein Zeichen von Stress. Um vollständig geheilt zu werden, muss vorrangig der Hauptstressor beseitigt werden. Mal ist der Hauptstressor im Privatleben, dann wieder im Beruf. Wir müssen auf jeden Fall auf der Ebene das Problem lösen, wo der Stress entstanden ist. Das können wir am besten, wenn wir den Hauptstressor mithilfe unserer Mindmap identifiziert haben. Mit anderen Worten: Unsere Seele braucht mehr als ein Pflaster, um Wunden nachhaltig und auf Dauer zu heilen. Vorsicht Ansteckungsgefahr Die ständige Berieselung mit Katastrophenmeldungen aus den Medien verzerrt unsere Wahrnehmung und unser Denken. In diesem Buch wurde schon einiges dazu gesagt. An dieser Stelle soll das wichtige Thema ergänzt und vertieft werden. Wenn wir uns den Kopf ständig mit Horrormeldun‐ 48 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="49"?> gen vollstopfen, obwohl in ihm bereits negative Gefühle und destruktive Gedanken wie Wut und Rachsucht am Brodeln sind, entsteht infolge von Selbstverstärkung immer mehr Stress. Neigen wir zu so einem Verhalten, ist das ein gefährliches Frühwarnzei‐ chen. Anderen Menschen grundsätzlich böse Absichten zu unterstellen oder negativ über die Zukunft zu denken, erzeugt negative Gefühle, die uns in einen schädlichen Abwärtsstrudel reißen. In unserem Kopfkino wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Es ist im Prinzip wie mit der Elefanten-Affir‐ mation: Denke nicht an rosa Elefanten. Das Gegenteil tritt ein: Wir sehen nur noch rosarote Elefanten. Ständig darüber nachzudenken, was alles Schlimmes passieren kann, ist ein Warnzeichen, dass unser Denken negativ verseucht ist und wir infolgedessen immer mehr Stress bekommen. Es soll ja Menschen geben, die von Haus aus Schwarzseher oder Negaholiker sind. Wie sagt der Berliner: „Ick will mich ja ärgern“. Wenn wir nicht prinzipiell so gestrickt und veranlagt sind, ist es für uns ein klares Zeichen von zu viel Stress. Mit Ärger, Angst und Wut im Bauch verlieren wir den Überblick. Unsere Orientierung ist blockiert. Wir biegen wie ein Geisterfahrer auf die falsche Spur ab. Unsere schlechten Gewohnheiten nehmen zu Ein weiteres Zeichen von zu viel Stress ist, wenn unsere schlechten Gewohnheiten zunehmen. Mehr essen, wenn wir abnehmen wollen, mehr trinken, obwohl wir vom Wein schlecht schlafen und am nächsten Tag Kopfschmerzen bekommen, mehr rauchen, obwohl wir uns seit Jahren das Rauchen abgewöhnen möchten, mehr fernsehen, und uns jede Sendung noch bis in die Nacht reinziehen, nur weil wir nicht die Kraft haben, aufzustehen, den Fernseher abzuschalten, unsere Zähne zu putzen und ins Bett zu gehen. Die Zunahme all dieser schlechten Gewohnheiten ist ein starkes Warn‐ zeichen dafür, dass wir unter zu viel Stress leiden. Wenn wir nur ein einziges dieser Frühwarnzeichen bei uns bemerken, sollten wir überprüfen, ob wir mit unserem Denken, Fühlen, Wollen, Tun und Handeln noch auf der Erfolgsspur sind. 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 49 <?page no="50"?> Glauben Sie ja nicht, was Sie sehen Jetzt kommen wir noch einmal zu unserer Wahrnehmung und unserem Stresskreislauf. Es gibt einen schönen Spruch: Glauben Sie ja nicht, was Sie sehen. Am meisten merken wir das, wenn wir uns Unfallschilderungen von Menschen anhören, die vor Ort waren, als der Unfall passierte. Jeder hat die „Wahrheit“ gesagt. Trotzdem sind es völlig unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen. Wie wir etwas wahrnehmen, hängt ganz stark davon ab, welche Vorer‐ fahrung wir in Bezug auf diese Sache gemacht haben. Es gibt Ereignisse, die den einen Menschen überhaupt nicht berühren, den anderen aber in die Psychiatrie bringen. Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir über diese Dinge haben, so beschrieb der Stoiker Epiktet dieses Phänomen schon vor langer Zeit. Überreaktion auf Kritik Menschen reagieren sehr empfindlich auf Kritik. Warum tun sie das? Sie tun es, weil sie z. B. als Kinder sehr viel kritisiert wurden und sie sich noch nicht wehren konnten. Sie können dann schlecht mit Kritik umgehen, weil sie hinter jeder Form von Rückmeldung negative Kritik wittern. Dieser Stressor ist sehr verbreitet und vermutlich bei vielen Menschen ein Hauptstressor. Wir erinnern uns: Kritik sagt oft viel mehr über den aus, der Kritik übt, als über den, an dem die Kritik geübt wird. Doch konstruktive Kritik ist sinnvoll und hilft uns, den Horizont zu erweitern. Wir erhalten Feedback über unseren blinden Fleck. Unser Selbstbild wird klarer, wenn wir statt Stacheln Antennen ausfahren. Immer wenn wir anfangen uns einzuigeln, sollten wir auf die Stressbremse treten und einen Gedankenstopp machen. Der Igel-Reflex und unsere stressige Abwehrreaktionen lösen sich dann oft in Luft auf. Luft sein Eine jung verheiratete Frau, der ihr Mann zu wenig Auf‐ merksamkeit schenkte, hatte eine interessante Idee. Ihr Auserwählter starrte morgens beim Frühstück immer in die Zeitung und 50 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="51"?> abends in die Glotze. Sie wollte mit ihm mehr Kontakt, nämlich dass er öfter in ihre schönen Augen blickte Sie hat sich völlig entkleidet und ist dann am Fernseher vorbeigelaufen. Ihr Mann hat zu ihr gesagt: „Ach, Schatz bring‘ mir doch auf dem Rückweg ein Bier mit.“ Das hat sie so in Rage gebracht, dass sie eine Vase ergriff und sie gegen die Wand donnerte. Für den Augenblick war es effizient, das zu tun, auf Dauer aber einfach blöd. Denn ihr Mann würde sie dadurch nicht beachtenswerter finden. Die Aktion war emotional verständlich; sie war aber überhaupt nicht zielführend. Wenn sie sich z. B. in dieser Situation, als sie zur Vase griff, gesagt hätte, „Stopp, stopp …“, dann hätte sie in ihrer Stressbewältigung denken können: „Für diese hübsche Vase kaufe ich morgen ganz teure Blumen von seinem Geld.“ Das wäre eine Alternative gewesen, wie sie die Handlung an dieser Stelle hätte unterbrechen können. Noch besser, wenn sie ihm dann schöne Augen gemacht hätte, wären ihm möglicherweise die Augen aufgegangen. Der wunde Punkt Wir alle sind Menschen, bei denen das meiste absolut in Ordnung ist. Es gibt zwar manche Verhaltensweisen, die sind verbesserungsfähig und auch ein paar andere, die können wir selbst an uns nicht ausstehen. Leicht entsteht ungutes Blut, wenn andere Menschen uns ständig unsere Schwachstellen unter die Nase reiben oder darauf herumreiten. Ist das stressreduzierend? Bringt uns das unserem Ziel näher? Im Gegenteil. Eines Tages haben wir nur noch Menschen um uns, an denen 20 % in Ordnung und 80-% nicht mehr in Ordnung sind. Der falsche Umgang mit der Wahrnehmung fängt oft mit der Selbstwahr‐ nehmung an. Auch bei uns starren wir zu sehr auf unsere Schwächen und Defizite, wenn wir uns mit anderen vergleichen. Liebe ist, sich und die anderen so zu sehen, wie wir eigentlich nicht sind. Letztlich geht es darum unsere Fähigkeiten, ohne schönzufärben, ins rechte Licht zu rücken. Je bewusster wir den Fokus auf unsere Stärken richten, umso leichter und gelassener erreichen wir unsere Ziele. 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 51 <?page no="52"?> Wer bestimmt, wer und was uns wütend macht? Wir ärgern uns, jemand macht uns wütend. Niemand kann uns wütend machen, wenn wir es nicht wollen. Sobald wir merken, dass Wut in uns hochkocht, denken wir „Halt, halt". Wutanfälle werden besonders leicht von Stressoren getriggert, die mit den wunden Punkten aus unserer eigenen Vorgeschichte zu tun haben. Das genau ist die Ansatzstelle für unseren Gedankenstopp, der uns vor blinder Wut schützt. Das Stress-Karussell wird abgebremst. Die weitere Eskalation des Konfliktes wird gestoppt. Wir entscheiden, ob wir wirklich wütend sein wollen. Wir sind verantwortlich für unseren Wutanfall, nicht der andere. Deshalb ruhig Blut: nicht ärgern, wenn andere uns ärgern. Schnarcher Wie gut schlafen wir? Die Frage ist ganz wichtig. Menschen, die unter akutem Stress leiden, schlafen nicht mehr so gut ein und nehmen Schlafta‐ bletten. Das Problem wird noch verschärft, wenn bei Ehepaaren der eine schnarcht und dadurch der andere schlecht schlafen kann. Der Schnarcher schläft ziemlich gut, hält uns wach und stresst uns. Ärgern wir uns über den Schnarcher oder weil wir nicht schlafen können? Es nützt nichts einen Schnarcher dafür verantwortlich zu machen, dass wir nicht schlafen können. Um das Problem zu lösen, müssen wir unsere Schein‐ werfer auf unser Ziel ausrichten. Unser Ziel ist, in Ruhe zu schlafen. Eine Lösung könnte lauten: „Schatz lies noch fünf Minuten, bis ich eingeschlafen bin, dann kannst du schnarchen“ oder wir schlafen gleich in einem anderen Zimmer. Wenn wir unser Ziel klar vor Augen haben, können wir es leichter verfolgen. Wir kommen leichter um Schikanen und um Hindernisse herum. Wir suchen einen Sündenbock Ein anderes Beispiel: Jemand hat viel Ärger im Büro und kann nicht abschalten. Er nimmt seine Probleme mit nach Hause und streitet mit seinem Partner weiter. Oder noch schlimmer - er kommt nach Hause und schlägt Frau, Kind und Hund. Ein ganz typischer Fall von schlechter Stressbewältigung: Konflikte, die wir auf der einen Ebene nicht lösen können, auf eine andere Ebene zu verlagern oder zu übertragen. 52 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="53"?> Mit anderen Worten: Wir suchen uns einen Sündenbock, weil wir feige sind. Statt Probleme mutig anzugehen und zu lösen, werden sie dem Gesetz der hierarchischen Schwerkraft folgend von oben nach unten an Schwächere delegiert. Wir geigen dem Chef unsere Meinung Glaubt man manchen Kollegen, was sie vollmundig ankündigen, haben manche Chefs ein echtes Problem. In einer Demokratie ist es nichts Spek‐ takuläres, wenn Menschen ihre Meinung sagen. Ganz anders, wenn es sich bei dem Kritiker um ein Arbeitstier und bei dem Kritisierten um ein Alphatier handelt. Oder noch schlimmer, wenn das Alphatier viel Macht besitzt und kaltschnäuzig ist, um seine Vorstellungen und Wünsche mit Geld und Gewalt eiskalt durchzusetzen. Einen Haken hat die Sache dann aber oft: Solche Gespräche werden groß angekündigt, aber unter vier Augen geführt. Und derselbe Mensch, der mit Kampfesgeheul loszieht, schrumpft vor dem Alphatier oft wie ein Luftballon durch einen Nadelstich zusammen. Aus dem, was er sagen wollte, wird das Piepsen eines Mäusleins. Nach dem Hinweis, gut dass wir darüber gesprochen haben, verlässt er den langen ovalen Tisch bildlich gesprochen mit einem so tiefen Bückling, dass sein Haar fast den Marmorboden wischt. Doch sobald eine Kamera in Sichtweite kommt, straffen sich seine Körperzüge. Er versucht die Zufriedenheit eines Westernhelden zu verströmen, der gerade ein Duell gewonnen hat. Motto: Dem hab ich's aber gegeben oder denen habe ich es gezeigt! Doch mit skrupellosen Menschen ist in kumpeliger Manier nicht gut Kirschen essen. Statusverlust Zwei Unternehmen wurden fusioniert, ein Software- und ein Hardware‐ haus. Dadurch ist eine Führungsposition weggefallen, auch die von einem Herrn, der bis dahin ein äußerst erfolgreicher Betriebsleiter in dem einen Unternehmensteil war. Leider ist der Betriebsleiter vom anderen Unterneh‐ mensteil geblieben, weil er auch der Gesellschafter war. Ihn konnte man schlecht entlassen, obwohl er nicht besser war. Aber gut, die Firmensituation war so, und plötzlich stand ein Mann, der bekannt und erfolgreich war, auf der Straße. Das ist enormer Stress. Er hatte keine Visitenkarte mehr, auf der „Direktor“ stand, er hatte auch keine Mitarbeiter mehr, denen er sagen konnte, was sie tun sollten. 4.1 Boxenstopp 1 - Wir müssen bei uns selbst anfangen 53 <?page no="54"?> Die Nachbarn haben ihn tagsüber im Garten gesehen. Seine Frau hat ihn morgens mitleidig gefragt, wie es ihm heute gehe. Das ist kein positiver Eustress, sondern härtester, böser Disstress. Eine Kernschmelze für unser Selbstwertgefühl. Selbstausschluss Der „Freigestellte“ liest dann eines Tages eine Stellenanzeige in der Zeitung und bewirbt sich. Er bekommt aufgrund seines Namens und seiner Kompe‐ tenz auch gleich eine Einladung zum Interview und hinterher eine freund‐ liche Absage mit keiner sehr guten Begründung. Was passiert in diesem Moment mit ihm? Sein Selbstbewusstsein verschwindet unter Polareis, es ist nicht mehr zu orten. Das ist zweifellos auch eine existenzielle Bedrohung; er hat eine Familie, für die er sorgen muss. Außerdem will er in seinem Bekanntenkreis gut dastehen. Was dann ganz automatisch oft bei solchen Menschen stattfindet, ist ein Selbstausschluss aus dem übrigen Umfeld, weil sie sich minderwertig fühlen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie den Zustand erklären sollen oder, weil sie sich erklärungsbedürftig fühlen, es aber niemandem erklären wollen. Das innere Drama Jetzt kommen seine stressigen Gedanken: „Bin fast 50; mit 50 bekomme ich ja sowieso keinen guten Job mehr. Die Situation ist aussichtslos. Die Jüngeren sind ja auch qualifiziert, kommen von der Hochschule, haben ein paar Jahre praktisch gearbeitet, sind viel billiger, passen sich mehr an, haben nicht solche Forderungen wie ich". Stressgedanken sind ja immer so klar. „Ja, und dann habe ich mich sicher im Interview schlecht verkauft. Die wollten mich haben, sonst hätten sie mich ja nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ich habe wenig Erfahrung in Vorstellungsgesprächen, ich war 18 Jahre in meiner vorherigen Position. Wenn ich am Vorstellungsgespräch scheitere, werde ich wahrscheinlich immer scheitern, wenn ich einen neuen Job suche." 54 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="55"?> 4.2 Boxenstopp 2 - Was ist mein Ziel? „Ich will einen neuen Job. Und ich werde ihn bekommen. Ist das klar! “ Unrealistische Erwartungen erzeugen oft Stress. „Ich will einen Job, so schnell wie möglich, damit ihr alle Bescheid wisst“ bringt uns unserem Ziel auch nicht viel näher. Besser ist es auf die Stressbremse zu treten und bei einem Boxenstopp stressige Gedanken durch stressreduzierende zu ersetzen. Wir stellen unser Navi so ein, dass wir unserem Ziel näherkommen. Wir machen uns folgendes bewusst: „Meine Erfahrung, meine Kompetenz stehen außer Frage. Wer kann das schon vorweisen. Ich muss nur den richtigen Zeitpunkt und die richtige Firma finden.“ Jetzt haben wir auf einmal positive Gedanken: „Außerdem ist es auch einmal ganz gut, wenn ich mehr Zeit für meine Familie habe. Ich wollte so vieles erledigen, jetzt kann ich meinen Dachumbau noch nebenher durchführen. Auch wenn ich diesen alten Job jetzt nicht mehr habe, bin ich trotzdem immer noch ein qualifizierter Betriebsleiter. Ich kann mich ja auch selbständig machen, ich habe viele Möglichkeiten; es gibt ja nicht nur die eine Möglichkeit, dass ich wieder nur Angestellter bin, ich könnte sofort eine Vertriebsgesellschaft gründen, mache denen gleich ein paar Klienten abspenstig, ich habe sowieso die besseren Kontakte.“ Für diese Kontakte muss er nun auch etwas tun. Vorher hat er sich aus Selbstmitleid in eine Opferrolle begeben, sich selbst abgewertet und dadurch die Verbindung zu seinem normalen und geschäftlichen Umfeld aufgegeben und verloren. Er hat die Kontakte nicht aufgenommen, er hat die Leute nicht angerufen, er ist nicht mehr zu den Veranstaltungen von seinem Club gegangen usw. Ein Teufelskreis, den man verlassen muss, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Die sieht so aus: jetzt geht er wieder hin - „Vielleicht rufe ich morgen gleich den alten Studienkollegen an; außerdem haben wir hier ein Treffen, da gehe ich auch hin.“ Und schon ist er dadurch, dass er lösungsorientiert denkt und handelt, wieder auf der Erfolgsspur. Alles gegen sich selbst richten Einem Menschen eine kritische Rückmeldung geben zu müssen, ist eine schwierige Aufgabe, besonders wenn es jemand ist, der keine Kritik vertra‐ gen kann. Das ist gar nicht so selten der Fall. Was immer wir ihm auch sagen, alles kehrt er ins Negative um und richtet es gegen sich selbst. Sie sagen z. B. 4.2 Boxenstopp 2 - Was ist mein Ziel? 55 <?page no="56"?> einer Frau „Du hast so schöne Augen“, und sie sagt „Ich weiß doch, dass du meinen Mund nicht leiden kannst.“ In so einer Situation ist es unerlässlich, zunächst ein grundsätzliches Verständnis mit dem Menschen zu erzielen, um dann, an der Sache orientiert, den Kritikpunkt anzusprechen. Selbsthilfebücher Sehr viele sogenannte Selbsthilfebücher sind im Angebot. Wenn z. B. jemand mit seinem Partner nicht klarkommt, kauft er sich ein Selbsthilfebuch zum Thema Partnerschaft. In diesen Büchern werden oft die ganz negativen Beispiele von Partnerschaften beschrieben. Plötzlich stelle er dann fest: Das, was da steht, macht sein Partner ja auch, da habe ich noch gar nicht dran gedacht. Und das auch, und jenes auch. Jetzt wird mir klar, warum es mir so geht, hier steht‘s ja. Selbsthilfebücher können reale Probleme noch verstärken. Selbsthilfebücher sind nicht hilfreich, wenn wir ganz tief im Loch sitzen, sondern helfen nur, wenn wir gefestigt genug sind, um einen kritischen Blick auf unsere stressige Situation zu werfen. Besser wir treten auf die Stressbremse und relativieren bei einem Boxenstopp die Situation nach dem Motto: halb so schlimm. Das Leben geht weiter. Auslöschen durch Schweigen Ein Mensch kann bestimmte Verhaltensweisen bei einem anderen Menschen nicht ausstehen und will sie ändern, indem er die Defizite immer wieder anspricht. Diese Vorgehensweise hat geradezu Magnetwirkung auf weitere Schwachpunkte und führt dazu, dass wir Defizite und Schwächen überbe‐ werten. Ein gutes Mittel, um Menschen zu helfen, unerwünschtes Verhalten abzubauen ist, es einfach zu ignorieren. Stattdessen schließen wir unsere Augen, holen tief Luft, und denken an Menschen, die uns guttun. In wessen Gegenwart fühlen wir uns wohl? Wir holen noch einmal tief Luft und denken an andere Menschen. Wer engt uns ein? Wer tut uns nicht gut? Sobald wir letztere identifiziert haben, werden wir feststellen, dass wir den Kontakt zu ihnen nicht immer einfach abbrechen können. Vielleicht sind wir mit ihnen sogar verwandt. Wenn Menschen, die uns herunterziehen, zu nahe kommen und -stehen, gibt es folgende Möglichkeiten, wie wir damit umgehen können. Ganz wichtig ist, dass wir auf die Stressbremse treten und die Stressreaktion 56 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="57"?> unterbrechen. Wenn wir z. B. mit einem wütenden Menschen reden müssen, bewahren wir einen neutralen Gesichtsausdruck. Wir setzen eine Körper‐ sprache ein, die seiner genau entgegenläuft. Wir spiegeln seine Anspannung nicht wider, sonst wird uns unser eigener Körper in den Rücken fallen und mit seiner Negativität mitschwingen. Wenn wir dem Bombardement seiner negativen Gefühle nicht einfach entfliehen können, stellen wir uns eine imaginäre unsichtbare Mauer als Schutzschild um uns vor. Das gibt uns das Gefühl, emotional geschützt zu sein, und mindert den Drang, Gleiches mit Gleichem heimzuzahlen. Wir bleiben auf unserer Straßenseite. Wir versuchen auch nicht, den anderen ändern zu wollen. Möglicherweise lockt uns der Gedanke, wir könnten dem anderen helfen, indem wir ihm zeigen, wie falsch er liegt. Das funktioniert so gut wie nie. Die wirksamste Methode, andere zu beeinflussen, besteht darin, selbst das Verhalten an den Tag zu legen, das wir bei anderen gerne sehen würden. 4.3 Boxenstopp 3 - Wie wichtig ist das für uns in einem Jahr? Wir selbst tragen die Verantwortung dafür, worüber wir uns ärgern und, wie stark wir uns wann auch immer aufregen. Wenn wir wütend werden, sollten wir uns folgende Frage stellen: Wie wichtig ist das für mich in einem Jahr? Gefühle sind einfach da Mit rationalen Reaktionen kommen wir noch einigermaßen klar. Durch Selbstreflexion können wir sie in den Griff bekom‐ men. Emotionale Reaktionen sind komplizierter. Gefühle, die Stress auslösen oder durch Stress ausgelöst werden, sind einfach da. 4.3 Boxenstopp 3 - Wie wichtig ist das für uns in einem Jahr? 57 <?page no="58"?> Es gibt keine Gefühle, die richtig oder falsch, zu viel oder zu wenig sind. Gefühle sind wie eine Kettenreaktion nur schwer zu steuern und zu stoppen. Oft ist schon vor langer Zeit etwas schiefgelaufen und genau dort ist der Hund begraben, der uns jetzt gerade das Leben schwer macht. Wir glauben zwar, auf das aktuelle Ereignis zu reagieren, dass das, was jetzt gerade abläuft, die Gefühle auslöst. In Wirklichkeit reagieren wir aber auf ein Ereignis, das irgendwann einmal - meist vor langer Zeit, z. B. in der Kindheit - in unserem Leben stattgefunden hat, an das wir uns aber nicht mehr erinnern können. Die Kinderkrankheiten der Seele zeigen sich oft erst im Erwachsenenalter. Viele Reaktionen, die wir als Erwachsene zeigen, sind Aktualisierungen von Kindheitserlebnissen. Nur so lässt sich erklären, dass jemand auf eine Kleinigkeit völlig irrational reagiert. Der wunde Punkt wurde genau getroffen. Es gibt Menschen, die sind überempfindlich. Selbst der kleinste Hinweis wird als persönlicher Angriff interpre‐ tiert und löst eine heftige Stressreaktion aus. Sie reagieren nach dem gleichen Muster wie in ihrer Kindheit. Sie waren drei Jahre alt und wurden z. B. dafür beschimpft, etwas kaputt gemacht zu haben, obwohl sie es gar nicht waren. Noch schlimmer ist es, wenn sie auch noch in einer Umgebung aufgewachsen sind, in der viel kritisiert wurde, oder z. B. in einer Familie in der nur etwas angesprochen wurde, wenn es schieflief, in der alles bestraft wurde, das nicht in Ordnung war und das, was in Ordnung war, mit keiner Silbe erwähnt wurde. Unter solchen Bedingungen kann sich kein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Es entsteht eine Grundhaltung wie bei einem Sensibelchen, das große Schwierigkeiten hat, auch mit konstruktiver Kritik umzugehen. Bei einem Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein hingegen fällt konstruktives Feedback auf fruchtbaren Boden. Legitimationsarien Überempfindliche Menschen meinen sich bei was auch immer rechtfertigen zu müssen. Sie verteidigen sich in einem fort und singen ständig Legitimationsarien. Wir kennen das alle: Wir geben einen kleinen Hinweis und schon erklärt der An‐ gesprochene lang und breit, warum das so nicht sein kann. Besonders wenn wir Führungskraft sind, ist es schwer, damit umzugehen. Wir sagen einem 58 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="59"?> Mitarbeiter z. B. ganz locker, dass irgendetwas besser gemacht werden muss und er holt zu weitschweifigen Erklärungen aus, warum es so gekommen ist. Legitimationsarien sind auch eine Form der Vergangenheitsbewältigung. Warum und wie etwas nicht funktioniert hat, bringt uns nicht weiter. Besser ist es, nach vorne zu schauen und das Problem energisch zu lösen. Beschwerden Menschen, die ein extremes Verteidigungsverhalten ha‐ ben, sitzen oft in der Reklamationsabteilung. Sie sind die ersten, bei denen Kundenbeschwerden auch von wichti‐ gen Klienten ankommen. Diese Menschen sind einfach auf dem falschen Dampfer; die Stellung, die sie innehaben, ist eine totale Katastrophe für sie, die Firma und die Kunden. Da hilft nur eins: Jobwechsel. Stressbewältigung kann nämlich auch bedeuten, den richtigen Job zu finden. Wenn wir uns die Frage stellen: Wie wichtig wird das für mich in einem Jahr? verläuft unsere Reaktion viel emotionsloser und mit kühlem Kopf treffen wir auch bessere Entscheidungen. Spätzünder - wenn uns der Kragen platzt Fairness ist oft eine größere Belohnung als Geld. Unser Gehirn denkt in den Kategorien gerecht und ungerecht. Deswegen brauchen wir oft lange, Ereignisse zu verarbeiten, bei denen wir ungerecht behandelt wurden. Unser Gerechtigkeitsempfinden möchte Ungerechtigkeit auch nicht straffrei durchgehen lassen. Mitarbeiter wollen von ihren Chefs fair behandelt werden. Außerdem wollen Menschen geachtet werden und vor anderen gut dastehen. Dieses Grundbedürfnis wird verletzt, wenn jemand vor anderen bloßgestellt, gedemütigt oder z. B. öffentlich verunglimpft und an den Pranger gestellt wird. Wenn Grundbedürfnisse verletzt werden, platzt bei manchen Menschen sofort der Kragen, bei anderen Menschen mit Verzögerung - sie haben einen Spätzünder. Am sinnvollsten ist es unfaires Verhalten mutig, offen und konstruktiv anzusprechen. Wenn wir den Kummer runterschlucken, kann ganz normaler Ärger in Wutanfällen und Sabotage wieder hochkochen. Der Kummer, der nicht spricht, nagt am Herzen, bis es bricht. Stiller Kummer macht krank und Rache ist die Antwort des Feiglings dafür, dass er gedemütigt wurde. 4.3 Boxenstopp 3 - Wie wichtig ist das für uns in einem Jahr? 59 <?page no="60"?> In Bayern sagt man Wadlbeiser zu dieser Spezies von Wiederkäuern. Im Zeitalter der digitalen Medien nennt man hinterhältiges Verhalten Cybermobbing. Bei massiven Störungen auf der Beziehungsebene geraten Gespräche ins Stocken oder verstummen ganz. Es herrscht Sprachlosigkeit. Trotzdem können wir Gefühle anderer erspüren und in eigenen Worten angemessen spiegeln. Auf diese Weise können wir in festgefahrenen Si‐ tuationen auf der Gefühlsebene Zusammenhänge verdeutlichen, in Worte fassen und Störungen auf der Beziehungsebene sachlich klären. Das An‐ sprechen von Gefühlen signalisiert Verständnis, Empathie und klärt die Beziehungsebene. Verärgerung oder Verstimmung können wir z. B. so in Worte zu fassen: „Ich merke, du bist aufgebracht.“ „Ich verstehe dich, dass du darüber verärgert bist.“ „Ich verstehe dich/ Sie gut. Das kann ich nachfühlen.“ Wen wir anderen helfen, ihren Stress abzubauen, kommt das auch uns zugute. Wut und Rachegefühle verwandeln sich in konstruktives Verhalten. Unter Druck gelassen bleiben Uns bis auf die Knochen zu blamieren ist eine der schlimmsten Situationen, in die wir geraten können. Die Folge: Wir sind angefressen, aufgekratzt, aufgewühlt und fühlen uns unter Strom. Dann ist es höchste Zeit auf die Stressnotbremse zu treten, um nicht durchzudrehen und zu verhindern, dass bei uns alle Sicherungen rausfliegen. Bei einem Boxenstopp mit einer chilligen Verschnaufpause kühlen wir unser überhitztes Gemüt wieder ab. Die Stressbremse für Hitzköpfe lautet: Wie wichtig ist das für mich in einem Jahr? 4.4 Boxenstopp 4 - Wir müssen nicht immer gleich Position beziehen Völlig Baff Es gibt Stresssituationen, in denen wir zwar nur unter Schwachstrom stehen aber trotzdem in Schockstarre ver‐ fallen, weil wir völlig baff sind. Stellen wir uns vor, wir befinden uns in einer Besprechung. Aus dem Nichts stellt jemand eine falsche Behauptung auf, die uns persönlich nahegeht. Wir können die Lüge auf die Schnelle nicht entkräften oder durch Beweise 60 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="61"?> widerlegen. Jetzt sind wir wie paralysiert, wir sind völlig baff und wissen nicht, was wir tun sollen. Wir haben enormen Stress, wenn wir verdächtigt werden, etwas Wich‐ tiges verbummelt oder vermasselt zu haben und wir es sofort klarstellen wollen, aber nicht können. Jetzt gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren, obwohl Emotionen siedend heiß in uns hochkochen. Wir müssen auf die Stress Notbremse treten, die da heißt: Wir müssen nicht immer gleich Posi‐ tion beziehen. Wir halten inne und machen einen Boxenstopp, um cool und souverän die Attacke parieren zu können. Wir haben ja ein gutes Gewissen und wollen trotz der misslichen Lage selbstsicher auftreten. Schließlich haben wir keinen Grund, uns zu rechtfertigen. Selbstsicherheit und Stress im Zusammenhang mit Emotionen bedingen sich gegenseitig. Je größer die Selbstsicherheit, umso besser gelingt es uns, peinliche emotionsgeladene Situationen zu kontrollieren und umso geringer fällt unsere Stressreaktion aus. Den Stress, dass wir immer gleich antworten müssen, ist oft hausgemacht. Jemand behauptet: Wir hätten etwas verbockt und wir können im Augenblick das Gegenteil nicht beweisen. Trotzdem fühlen wir uns verpflichtet, sofort Stellung zu beziehen. Das ist der Stress, den wir uns selber machen. Genauso gut können wir uns mit der Antwort Zeit lassen. Das ist besonders wichtig in Situationen, wo wir persönlich angegriffen werden und völlig baff sind. Wenn wir beleidigt oder provoziert werden, wünschen wir uns nichts mehr, als schlagfertig, souverän und cool zu reagieren. Aber es fällt uns gerade nichts ein. Oder wir haben tatsächlich eine Antwort auf der Zunge, können aber keine Retourkutsche geben, weil das Gesetz der Hierarchie es ratsam erscheinen lässt. Wir können Zeit gewinnen, indem wir z. B. so reagieren: „Erlauben Sie mir bitte, dass ich Ihnen, eine Antwort gebe, sobald ich die Unterlagen vor mir und überprüft habe.“ Und schon sind wir aus dem Schneider und haben weniger Stress. Das peinliche Gefühl wird schwächer oder verschwindet völlig. Wir haben Stellung bezogen zu dem, was gesagt wurde. Die Stressbremse: „Ich muss nicht immer gleich Position beziehen“ gibt uns die Möglichkeit, schädliche Emotionen abzubremsen. Wenn wir uns Zeit lassen, sind wir eher in der Lage, angemessen und schlagfertig zu antworten. 4.4 Boxenstopp 4 - Wir müssen nicht immer gleich Position beziehen 61 <?page no="62"?> Permanentes Survival-Training Je geringer die Selbstsicherheit, desto größer der Stress. Ein guter Beruf ist wichtig, um Selbstsicherheit aufzubauen. Im Privatleben ist das oft nicht so einfach. Im Beruf haben wir ein permanentes Survival-Training mit Heraus‐ forderungen, die uns stressen können. Uns ist z. B. ein Projekt vollkommen in die Hose gegangen. Das ist uns peinlich. Wir sind todunglücklich, dass uns das passiert ist. Wir müssen sehr viel Lehrgeld zahlen. Das nächste Mal werden wir diese Fehler nicht mehr machen. Wir können aus unseren Fehlern im Beruf lernen, besser mit Rückschlägen und Stress umzugehen. Mädchen verstehen nichts von Technik Wir müssen uns oft mit Vorurteilen herumschlagen. Mädchen verstehen nichts von Technik, ist so ein Vorurteil und viele Mädchen haben es fast selbst geglaubt. Dann haben sie es ausprobiert und festgestellt, dass sie auch technisch begabt sind. Probieren geht über studieren brachte den Erfolg. Das Vorurteil wurde ad absurdum geführt, indem der praktische Beweis vom Gegenteil geliefert wurde. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Nicht schnelle Erwiderungen und Ankündigungen mit vielen Worten, sondern Taten die den Worten folgen, sind entscheidend. Es braucht aller‐ dings Zeit, bis ein Beweis der Tat auf der Verhaltensebene geliefert werden kann. Doch mit einer Verhaltensänderung sind wir schon einen Schritt weiter gekommen. Wir sind durch eine Türe gegangen und haben eine höhere Entwicklungsstufe erreicht. Hallo Wach Mit hypnotischer Stimme ruft die Chefin uns am Freitagnachmittag an: Wir haben noch einen dringenden Notfall bei einem unserer wichtigsten Kunden. Sie kennen sich da am besten aus und nur Sie können das Problem lösen. Jetzt hilft nur noch die Stressnotbremse. Stopp, Stopp! Oh, vielen Dank für das Angebot, ich bin gerade an einer wichtigen Aufgabe, ich rufe in 2 Minuten zurück. Doch die Chefin fährt ungebremst fort: Darüber werden wir noch sprechen. Stopp, Stopp. Ja gerne. Wenn wir Ja sagen, aber nein meinen, setzen wir uns unter Stress. Unsere Stressbremse: Wir müssen Zeit dazwischen bringen, um nicht überrumpelt zu werden. Die bessere Antwort 62 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="63"?> ist ein Jein: Was kann ich dafür weglassen? Was kann ich hintan schieben, können wir z. B. nach einem Boxenstopp die Chefin fragen und sie in die Priorisierung unserer Aufgaben miteinbeziehen. Feedback Menschen brauchen Feedback, um sich gesund weiterzu‐ entwickeln! Von klein an bekommen wir Rückmeldungen von außen, von unserer Umgebung. Zuerst von den Eltern und dann von einem immer größer werdenden Kreis an Menschen. Unsere Motivation baut im Kern auf Feedback in Form von Lob und Kritik auf. Regelmäßi‐ ges konstruktives Feedback ist ein wichtiger Antrieb, um unsere Ziele möglichst effektiv zu erreichen. Eine motivierende Lob- und Kritikkultur ist eine wirksame Stressbremse. Unaufrichtiges Feedback ist dagegen eine Motivationsbremse. Das Spektrum reicht von übertriebenen Komplimenten, leeren Versprechungen, inkonsistenter Körpersprache bis hin zu blankem Zynismus wie er in dem Spruch zum Ausdruck kommt: Menschenführung ist die Kunst, den Menschen so schnell über den Tisch zu ziehen, dass er die Reibungshitze als Nestwärme empfindet. Der Kampf um den Status Für Menschen ist der persönliche Status sehr wichtig. In unserem Kopf zwitschern die Vögel, wenn wir im Vergleich zu anderen Menschen besser dastehen. Umgekehrt ist das Gefühl der Schadenfreude für manche auch ganz angenehm. Im Kopf dieser Menschen zwitschern auch die Vögel, wenn sie merken, dass es anderen noch schlechter als ihnen geht. Immer wenn unser Status bedroht ist, entstehen Konflikte und Stress. Wir drücken dann besser auf die Stressbremse und machen uns bei einem Boxenstopp klar, was gerade passiert. Wir machen uns ein Bild von allen Seiten, dann erkennen wir besser, um welche Art der Bedrohung es sich tatsächlich handelt. Anschließend sehen und bewerten wir die Situation oft entspannter. Ein Stressungeheuer schrumpft oft zu einer Stress‐ fliege. Wenn's blinkt fahren wir besser auf Abstand als Stoßstange an Stoßstange. Menschen lieben Spontanes. Schnell, spontan, alles sofort, immer erreichbar. Wie der Hund beim Pawlowreflex auf Klingelzeichen reagieren wir auf Signale aus unserer Umgebung. Mit einem Reflex reagieren wir 4.4 Boxenstopp 4 - Wir müssen nicht immer gleich Position beziehen 63 <?page no="64"?> unwillkürlich und unbewusst. Auf der Ebene läuft es bei uns wie geschmiert, schnell, ökonomisch und effizient. Unsere bewussten und willkürlichen Re‐ aktionen brauchen allerdings länger. Wir brauchen vor allem Zeit und Ruhe, um unser Verhalten zu reflektieren, neu zu bewerten und zu verbessern. Gerade in Zeiten mit viel Druck brauchen wir die Stress‐ bremse: Wir müssen nicht immer gleich Stellung nehmen. Bei einem Boxenstopp werden unsere abgefahrenen Reifen gegen neue ausgewechselt. Anschließend verlassen wir die alten Gleise und lassen unsere schlechten Gewohnheiten hinter uns. 4.5 Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns Wo stehen wir aktuell? Worin sind wir schon richtig gut und wo gibt es noch Verbesserungspotenzial? Vielleicht sind wir im Ziele planen schon richtig gut, doch bei der Willenskraft gibt es noch Luft nach oben. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Die Situation mag sehr schwierig oder gar aussichtslos sein, wir müssen eine Lösung finden. Dann gibt zwei Wege zum Ziel. Den direkten rationalen Weg zur Problemlösung: wir analysieren das Problem im Kopf und finden mit Hilfe logischer Schlussfolgerungen des Rätsels Lösung. Oder wir machen über unsere Gefühle einen Umweg. Wir spüren unseren Empfindungen nach und machen uns die ungestillten Bedürfnisse bewusst, die unsere Gefühle ausgelöst haben. Auf dem indirekten emotional intuitiven Weg stoßen wir dann oft überraschend auf die Lösung des Problems. Was wollen wir mehr? Wir alle haben Erfahrung mit cholerischen Rumpelstilzchen. Das sind Menschen, die toben und ausrasten, obwohl sie im Unrecht und in der Sache auf dem falschen Dampfer sind: Je tiefer sie in der Jauchegruppe ihrer Unmoral versinken, umso lauter schreien sie. Es ist schwer mit aggressiven Menschen klarzukommen. Uns wird von ihnen alle Lebensfreude geraubt, wir würden am liebsten davonlaufen. Doch wenn das nur immer so einfach wäre. Im Grunde genommen gefällt uns z. B. 64 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="65"?> der Job, wir haben ein Aufgabengebiet, das uns Freude macht und wir kön‐ nen uns weiterentwickeln, aber im Augenblick ist die Situation kaum noch auszuhalten. Unsere Arbeitsergebnisse leiden schon unter der permanenten, unqualifizierten Aggression unseres Vorgesetzten. Wir sind hin und herge‐ rissen, würden wir am liebsten den Job sofort wechseln, haben aber noch nichts Passendes gefunden. Am besten wir analysieren das Problem in aller Ruhe der Reihe nach und formulieren eine rationale Lösung. Was wollen wir? Wollen wir, dass unser Chef weniger aggressiv ist? Der fromme Wunsch wird kaum in Erfüllung gehen. Wir können andere nicht ändern. In diesem Fall müssen wir an die Beschreibung des Problems anders heran‐ gehen. Wir müssen bei uns anfangen, und zwar mit dem, was wir bei uns ändern können. Was wollen wir eigentlich? Wir wollen Beziehungen, die uns allen guttun. Wir wollen mit Aggressivität besser klarkommen. Und was wollen wir noch? Wir möchten mehr Kontrolle über unser Verhalten, unser Denken und Handeln in so einer Situation haben. Und damit ist das Problem jetzt ganz genau eingekreist. Erst nachdem wir erkannt haben, was wir mehr wollen, und dass wir das, was wir weniger wollen, nicht beeinflussen kön‐ nen, sind wir in der Lage, etwas zu ändern. Wir halten eine wirksame Stress‐ notbremse gegen Aggressionen in der Hand. Als erstes haben wir uns auf die unerfreulichen Situationen und stressigen Auseinandersetzungen nicht mehr eingelassen. Wir haben nicht mehr lange Diskussion mit unserem cholerischen Rumpelstilzchen geführt, das mit seinem aggressiven und unaufrichtigen Verhalten nur Streit suchte. Es ging ihm nicht um die Sache, denn vom Sachverhalt her war es klar, wir waren im Recht. Wir gingen auf die persönlichen Angriffe gar nicht mehr ein. Wir diskutierten nun eng an der Sache und nur so lange, wie unbedingt nötig. Aggressive Menschen sind unsachlich und verändern permanent den Fokus. Sie sind ständig auf der Suche nach dem Haar in der Suppe und wenn sie keines finden, spuken sie den anderen in die Suppe. Wenn wir uns nicht provozieren lassen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Angriffe einzustellen und ihre Frustrationen woanders abzuladen. Im Leben haben wir es leider oft mit frustrierten cholerischen Rumpelstilzchen zu tun, die wir uns nicht ohne weiteres vom Halse halten können. Bevor wir uns auf einen Holzweg begeben, weil wir glauben, etwas an frustrierten Menschen ändern zu können, fangen wir besser bei uns an und ändern unser Verhalten ihnen gegenüber. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich von ihnen abzugrenzen, wenn wir aus der Zwickmühle herauskommen wollen. 4.5 Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns 65 <?page no="66"?> Auch Lebensweisheiten wie „Lieber Neid als Mitleid“ reduzieren in so einem Dilemma unseren Stress. Menschen schlecht machen Intrigen haben eine immense Magie. Die Intrige ist oft der Rettungsring, an den sich Menschen klammern, die vom Leben enttäuscht sind. Sie fühlen sich abgehängt oder glauben von sich, im Leben zu kurz gekommen zu sein. Wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht, versuchen sie, sich mit Intrigen über Wasser zu halten. Die Intrige hat streng moralphilosophisch immer etwas Anrüchiges, weil sie mit Heimtücke und Lüge zu tun hat. Aber wenn wir sozialpsychologisch denken, dann wissen wir, dass die Gesellschaft nicht funktionieren würde, wenn sich alle Menschen einander nur die Wahrheit sagen würden. Es gibt leider viele Menschen mit zwielichtigem Charakter, die gern mit verdeckten Karten unterm Tisch spielen und bevorzugt aus dem Hinterhalt agieren. Sie arbeiten mit permanenten Fokusveränderungen mit Hilfe von Lügen. Wenn wir Intriganten, die uns vor anderen ständig schlecht machen, mit ihrem Verhalten konfrontieren und ihnen nahelegen, uns selbst zu sagen, was sie an uns stört, erwidern sie meistens: „Sei doch nicht so empfindlich“. Jetzt würden 99 von 100 Menschen erwidern: „Ich bin doch nicht empfindlich.“ Doch wir haben überhaupt keinen Grund, uns zu rechtfertigen, denn darum geht es ja gar nicht. Wir wollen, dass man uns selbst anspricht und nicht hinter unserem Rücken schlecht macht. Das Intrigen Karussell bremst man am besten mit folgender Stressbremse: Im Interesse vertrauensvoller Beziehungen bitten wir, uns selbst und nicht hintenherum zu sagen, was andere an uns stört. Jetzt sind wir auf dem Weg zu konstruktiven Beziehun‐ gen einen Schritt weiter. Die Lösung des Problems ging von uns aus und wir konnten den Stress reduzieren. Leider gibt es auf der Welt Staaten und Organisationen, die von Intriganten regiert und geführt werden. Sie leben davon, Menschen gegeneinander auszuspielen. Auch bei Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, Verwandten und selbst in Partnerschaften sind Spiele unter dem Tisch sehr beliebt. Wenn wir Menschen gegeneinander ausspielen, versuchen wir Macht und Kontrolle über andere zu bekommen. Intriganten ist jedes Mittel recht. Skrupellos wie sind, missbrauchen sie Menschen und sabotieren ein vertrauensvolles Miteinander. Wovon wollen wir mehr und wovon wollen wir weniger? Wir wollten weniger Stress. Der erste Schritt, Probleme zu lösen: wir beschreiben das Problem mit 66 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="67"?> einem Satz und überlegen, wovon wir mehr wollen und wovon weniger. Im zweiten Schritt formulieren wir unsere Bedürfnisse und konzentrieren uns nur auf das, was unter unserer Kontrolle ist. Im dritten Schritt richten wir unser Verhalten ganz eng an dieser Strategie aus und lassen uns von nichts ablenken. Keine Lösung in Sicht? Es gibt auch Probleme, zu denen uns einfach nichts mehr einfällt. Uns fehlen die Worte, wir sind sprachlos. Das sind oft Probleme, die uns schon lange beschäftigen. Warum? Weil wir uns angewöhnt haben, ein Problem immer nur von einer Seite zu beleuchten. Die Folge: Wir tun immer wieder, was wir immer getan haben. Dabei ist unser Kopf rund, damit unser Denken die Blickrichtung wechseln kann. Wenn wir an Problemen festkleben oder uns immer wieder mit gleichen Problemen verhaken, müssen wir etwas anderes tun als das, was wir bisher getan haben. Weil wir falsch abgebogen sind, sind wir auf dem Holzweg in einer Sackgasse gelandet. Wir kommen aus einer Sackgasse nur heraus, wenn wir uns in ganz anderer Richtung bewegen. Es gibt Menschen, die leiden an unspezifischen Stresssymptomen. Sie können sich über nichts mehr freuen, sie sind ständig unter Strom und wissen nicht genau, woher es kommt. Sie leiden unter Stress, können aber die Ursache nicht finden. Sie haben sich schon viel mit dem Problem beschäftigt und kommen trotzdem keinen Schritt weiter. Ihr Stress wird nur noch schlimmer. Unser Unterbewusstsein kann uns aus diesem Loch herausholen. Wir spionieren unser Unbewusstsein aus, und kriegen so heraus, was da falsch läuft. Mit Hilfe der Bewusstseinsstromtechnik finden wir heraus, was mit uns wirklich los ist. Wir brauchen dazu einen Kugelschreiber und ein Blatt Papier. Wir malen und schreiben, was uns in den Kopf kommt. Wir malen und schreiben so vor uns hin, immerzu, ganz gleich, was es ist. Wir erheben keinen Anspruch auf germanistische Perfektion wie Recht-, Groß- und Kleinschreibung. Wir lassen frei und locker unsere unbewussten Gedanken und Bilder den Kugelschreiber führen. Heureka: schon haben wir den Schleier über unserem Dauerproblem gelüftet und sehen wieder klar: Land in Sicht, nachdem wir den stressigen Gedankennebel durchdrungen haben. 4.5 Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns 67 <?page no="68"?> Erfolgsstorys Ein Tagebuch zu führen, kann ein hervorragendes Mittel sein, um Probleme zu lösen. Wir müssen allerdings dar‐ auf achten, Erfolgsstorys zu schreiben. Die meisten Men‐ schen, die Tagebücher führen, halten oft nur Erlebnisse von Ereignissen schriftlich fest, bei denen sie verzweifelt und unglücklich waren. Schlimme Erfahrungen, von de‐ nen sie meinen, die müssen der Nachwelt erhalten bleiben. Nach Jahren lesen sie ihr Tagebuch, und stellen fest, es ist ein einziges Jammerbuch. „Ja, um Gottes Willen, ein entsetzliches Leben, alles völlig zerrüttet und verrottet.“ Anstatt festzuhalten, welche Erfolge sie hatten, was gut lief und uns gutgetan hat, machen viele den Fehler, nur all das zu dokumentieren, was schlecht und schief lief. Wenn es uns schlecht geht und wenn wir unter Stress stehen, hilft uns Jammern nicht weiter? Im Gegenteil Jammern zieht uns runter. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis. Aus einem Tagebuch mit Erfolgserlebnissen und Erfolgsstorys hingegen können wir in schwierigen Lagen Kraft und Energie tanken und unsere Selbstwirksamkeit boostern. Memomanie Ist das zwischenmenschliche Klima explosiv wie ein Vul‐ kan vor dem Ausbruch, kann leicht eine kommunikative Eiszeit anbrechen: Menschen wollen und können nicht mehr direkt miteinander reden. Wie bei einem Crash in der Formel 1 sind die Gegner ineinander verkeilt und zerstritten. In dieser festgefahrenen Situation verkehren sie oft nur noch schriftlich miteinander. Sie schicken sich non Stopp Memos. Kontrollierter Dialog Um die Kuh vom Eis zu kriegen, müssen die Konfliktparteien wieder miteinander reden, statt Memos zu schreiben. Das funktioniert am besten mit einer neutralen dritten Person, die darüber wacht, dass die Streithähne sich fair verhalten. In dem kontrollierten Dialog dürfen die Partner nur 68 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="69"?> antworten, wenn der eine Partner dem andere bestätigt und rückgemeldet hat, was bei ihm angekommen ist. Das führt oft ganz schnell zu einer Lösung der Probleme. Bei Ehestreitig‐ keiten z. B wird den Streithähnen oft schnell klar, was hinter den Kulissen abläuft. Der eine Ehepartner hat immer das Geld ausgegeben, hat im Kauf‐ rausch wahnsinnig viel eingekauft und war irrsinnig verschwenderisch. Und der andere Ehepartner hat gespart und sich mehr um die Einnahmeseite gekümmert. Kein Wunder, dass es da zu bewussten und unbewussten Kon‐ flikten gekommen ist. Oft keifen sie sich schon wegen Kleinigkeiten an. Das Problem kann noch dadurch verschärft werden, wenn unbewusst Bündnisse mit dem einen oder anderen Familienmitglied eingegangen wurden und ein Stellvertreterkonflikt ausgetragen wird. Mies und klein Eine Mitarbeiterin hatte ein Problem mit ihrem Vorgesetz‐ ten. Sie war sehr unglücklich: Die Zusammenarbeit hat nie so recht geklappt, sie fühlte sich überhaupt nicht anerkannt und respektiert. Es war eine ungute Stimmung. Sie konnte nicht genau sagen, woran es lag, denn er war höflich, er war freundlich, er hat sie nicht überfordert, er hat ihr zum Geburtstag gratuliert, sie hat Urlaub bekommen, wann sie wollte, und sie war mit ihrem Gehalt zufrieden. Sie konnte nicht orten, was die Ursache war. Dann hat sie mit der rechten Hand, ihre erste Frage aufgeschrieben. „Warum bin ich an meiner Arbeitsstelle so unglücklich und habe Probleme mit meinem Chef ? “ Das nützte ihr erst mal gar nichts, weil sie die Probleme nicht definieren konnte. Dann hat sie mit der linken Hand eine Zeichnung gemacht. Sie zeichnete einen riesengroßen Kreis mit einem winzigen Punkt darin. In dem Moment hat sie plötzlich an ihren Vater gedacht. Ihr Vater war eine kluge und starke Persönlichkeit und sie fühlte sich neben ihm immer so mies und klein. Sie hat sich immer neben ihrem Vater als ein Nichts gefühlt. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen, sie hatte die negative Erfahrung mit ihrem Vater auf den Chef übertragen. Dadurch das sie erkannt hat, das Problem geht von mir aus, konnte sie eine Lösung finden. Ab diesem Moment wurde alles leichter für sie. Sie hat auf einmal bewusst wahrnehmen können, dass ihr Chef sie respektierte. Die positiven Rückmeldungen von ihrem Chef führten dazu, sich selbst nicht mehr als das kleine dumme Kind 4.5 Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns 69 <?page no="70"?> zu fühlen. Kreative Techniken helfen oft den Schleier über verdrängten Problemen zu lüften. Wir stellen uns dem Problem und beschreiben es mit der dominanten Hand, mit der wir gewöhnlich schreiben. Dann geben wir die Antwort mit der anderen Hand, mit der wir normalerweise nicht schreiben. Wir können einen Satz schreiben oder auch eine Zeichnung machen. Was die linke Hand ausführt, bringt oftmals unbekannte Wahrheiten der rechten Hand ans Tageslicht. Im Grunde haben wir alle einen Knall Wir haben alle unsere subjektiven Prägungen - nicht immer nur schlechte, aber solche eben auch. Prägungen stammen meistens von Kindheitserfahrungen, die als tiefgreifende Überzeugungen verinnerlicht wurden. Die Eltern haben sie vielleicht ungewollt vermittelt, weil sie gestresst waren und auch sonst viel gemeckert haben. Kinder denken nicht Mama und Papa sind gestresst, sondern: Ich bin schuld, ich bin nicht OK. Ich muss etwas tun, um geliebt zu werden. Fühlt sich jemand als Erwachsener mies und klein, steckt häufig die kindliche Erfahrung dahinter: ich bin nicht wichtig oder ich bin nichts wert. Das sind alles Glaubenssätze, die uns im Erwachsenenleben ausbremsen oder blockieren. Glaubenssätze wirken wie eine unbewusste Fernsteuerung. In der Programmiersprache unseres Selbstwertgefühls drückt ein Glaubenssatz in aller Kürze aus, was wir im tiefsten Inneren von uns halten und wie wir mit uns selbst sprechen. Um negative Glaubensätze umzuprogrammieren, müssen wir uns zunächst be‐ wusst und klar machen, dass es sich um vollkommen willkürliche Prägungen handelt. Wären meine Eltern anders drauf gewesen, dann hätten wir heute andere Glaubensätze. Im Grunde genommen sind Glaubenssätze eher ein Zeugnis für unsere Eltern. Wir können eigene Glaubensätze programmieren und damit die Glau‐ benssätze unserer Eltern einfach überschreiben. Ich bin nicht OK wird mit ich bin OK, ich darf so sein oder ich kann mich jederzeit frei entscheiden überschrieben. Im nächsten Schritt geht es darum, unsere eigenen und neuen Programme zu verinnerlichen. Wir verknüpfen unser positiven Glaubens‐ ätze mit positiven Markern und Gefühlen. Wir erinnern uns an eigene Erfolge und Erfolgsstorys und verbünden uns mit unseren eigenen Stärken und Ressourcen. Übung macht den Meister. Erste Erfolge mit unserer neuen 70 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="71"?> konstruktiven Verhaltensweise verleihen uns Flügel wie ein guter Freund. Fliegen können wir dann alleine. Was glauben wir? Glauben wir, dass wir einzigartige und starke Menschen sind, denen ein erfolgreiche Zukunft bevorsteht? Oder glauben wir, dass wir es zu nichts bringen werden? Wenn wir der Überzeugung sind, dass wir gut genug sind und es schaffen werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass dies eintritt. Es ist wichtig, uns bewusst zu machen, wie wir mit uns selber sprechen und was wir von uns halten. So wie wir mit uns selbst umgehen, gehen wir oft auch mit anderen Menschen um. Deshalb ist ein gesundes Selbstbewusstsein so wichtig. Wir tragen den Schlüssel für eine bessere Selbstwahrnehmung und ein gesundes Selbstbewusstsein in uns. Wichtig ist die Fähigkeit der Selbstre‐ flexion oder sich realistisch und selbstkritisch im Spiegel zu betrachten. Zu schnell sind wir betriebsblind, überkritisch oder selbstverliebt. Selbstre‐ flexion ist eine echte Herausforderung. Dabei bringt uns eine gute Selbst‐ wahrnehmung zahlreiche Vorteile. Selbsterkenntnis ist auf Dauer der beste Weg zur Besserung. Glaubenssätze entstehen in der Kindheit. Wir tragen sie alle mit uns herum - ob wir uns dessen bewusst ist oder nicht. Sie haben einen starken Einfluss auf unser Handeln und unser Denken. Die gute Nachricht ist: Wir können mit Hilfe der Selbstreflexion von negativen auf positive Glaubenssätze umschalten und dadurch unserer persönlichen Weiterentwicklung einen kräftigen Schub geben. Was machen die Finnen anders? Im Weltglücksreport wurde Finnland zum glücklichsten Land der Welt gekürt. Wir alle wissen, in Finnland sind die Winter dunkel und erbarmungs‐ los. Das Geheimnis der Finnen könnte in der Art und Weise liegen, wie Finnen mit Widrigkeiten umgehen. In Finnland ist Sisu sehr verbreitet. Sisu beruht auf dem tiefen unerschütterlichen Glauben, dass wir Fähigkeiten besitzen, etwas im Leben zu schaffen und unsere Ziele auch zu erreichen. Sisu leistet wertvolle Dienste in allen Lebensbereichen. Zum Beispiel im Umgang mit Kindern und Erwachsenen. Stellen wir uns vor, wie Kinder oder Erwachsene reagieren, wenn wir einen Trotz- oder Wutanfall ruhig und stoisch aufgrund der tiefen Überzeugung aushalten, dass das Problem nicht von uns kommt. Oder stellen wir uns vor, wie wir eine gute neue Idee durchsetzen, weil wir mit unerschütterlichem Glauben an den Erfolg die 4.5 Boxenstopp 5 - Alle Lösungen sind in uns 71 <?page no="72"?> Umsetzung beharrlich vorantreiben. Egal in welcher Situation - ein bisschen Glaube an uns selbst und Sisu tut uns allen gut. 4.6 Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? Boxen-Stopp Nr. 6 hat mit unseren Wertvorstellungen zu tun. Ein ganz wichtiges Thema. Es geht um ganzheitliches und nachhaltiges Denken, Fühlen, Spüren und Verhalten. Gehen wir aufmerksam und achtsam mit uns um? Leben wir ausgewogen oder jagen wir mit unserer Gesundheit der Kohle hinterher, um Menschen zu imponieren, die wir eigentlich gar nicht leiden können. Tut uns das gut, was wir gerade tun? Sind wir mit uns im Reinen und ist unser Leben in Balance zwischen Arbeit und Freizeit? Es gibt Menschen, die haben einem Job, der sie verrückt macht. Lange Zeit, viel zu lange ist ihnen Geld wichtiger ist als ihre Gesundheit. Sie vernachlässigen sich, sie sind nicht ausgewogen, weil Wichtiges zu kurz kommt. Das hat eines Tages Konsequenzen, die gesundheitlichen Folgen werden eines Tages zu Tage treten. Das Concorde-Syndrom Was ist für uns besonders wichtig? Steht das wirklich Wichtige an vorderster Stelle auf unserer To-do-Liste? Diese Frage sollten wir uns im Leben immer wieder stellen. Arbeiten wir selbständig können wir selbst bestimmen, welche Leistungen wir vollbrin‐ gen. Wenn wir aber nur ein kleines Rädchen in einer großen Organisation sind, haben wir oft nur wenig Handlungsspielraum. Es gibt Menschen, die werden krank, wenn sie direkt oder indirekt Dinge unterstützen, die sie innerlich ablehnen. Sie können nicht etwas schaffen und verkaufen, von dem sie wissen, dass es Menschen schadet? Sie spüren, dass sie etwas ändern müssen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Das Flugzeug Concord war für viele Ingenieure und Politiker eine Her‐ zensangelegenheit, wirtschaftlich gesehen war es jedoch ein Fass ohne Boden. Unterm Strich sind sie gemeinsam mit dem wundersamen Vogel abgestürzt und haben bis zum bitteren Ende viel Geld verbrannt. Menschen, die sich ähnlich verhalten, leiden unter einem Concorde-Syndrom. Auch sie investieren viel Herzblut in eine Aufgabe oder eine Beziehung und haben trotz allem Eifer und viel Hingabe keinen Erfolg. Trotzdem fällt 72 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="73"?> es ihnen schwer, sich ihren Misserfolg einzugestehen und sich von dem Projekt einfach zu verabschieden. Obwohl ihr Gas hängt, rasen sie wie ein Geisterfahrer weiter in die falsche Richtung. Stärken - Talente - Tugenden Erfolgreicher ist, wer weiß, was er will und was er kann. Es lohnt sich auf Schatzsuche zu gehen und zu entdecken, was uns auszeichnet - wo unsere Talente, Begabungen, Fähigkeiten und Tugenden vergraben sind. Auf Schatzsuche entdecken wir, was uns auszeichnet, was uns leicht gelingt, guttut und wirklichen Spaß macht. Es gibt Spätzünder, das sind Menschen, die trauen sich nicht, neu durch‐ zustarten. Statt loszufahren, halten sie weiter Ausschau nach besseren Gelegenheiten, weil sie Angst haben etwas zu verpassen. Im Leben haben wir viel mehr Optionen, als wir uns vorstellen können, so dass wir oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Auch wenn es noch so verlockend ist, wir können nicht auf allen Hochzeiten tanzen und müssen uns für ein Ziel entscheiden. Das ist ein wichtiger Schritt und der gelingt uns am besten, wenn wir klar vor Augen haben, was wir wollen, statt darüber zu grübeln, was wir in Zukunft nicht mehr haben wollen. Die Frage, was können wir sofort, allein und ohne fremde Hilfe verändern, kann uns also ganz schön ins Grübeln bringen. Vor allem wenn es mal nicht so gut läuft und wir in einem dunklen Gedankentunnel feststecken, sollten wir auf die Stressbremse treten und bei einem Boxenstopp neue positive Energie tanken. Erst wenn das Ziel klar ist und unsere Scheinwerfer richtig eingestellt sind, sollten wir Gas geben und entspannt auf die Überholspur steuern. Unsere Scheinwerfer gut einstellen Bevor wir unsere Scheinwerfer auf das Ziel richten, wohin die Reise gehen soll, müssen wir uns klar darüber werden, wohin wir eigentlich wollen. Wir müssen genau wissen, was uns guttut, denn richtig ist nicht unbedingt immer gut. Wenn uns etwas nicht guttut, sollten wir ihm aus dem Wege gehen. Damit wir nicht falsch abbiegen, müssen wir uns von schlechten Gewohnheiten verabschieden. Wir können besonders leicht loslassen, wenn die Tür zu einem neuen und guten Angebot weit offensteht. Es kann aber auch sein, dass sich die Tür zu einer neuen Option erst dann weiter öffnet, 4.6 Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? 73 <?page no="74"?> wenn wir die alten Türen geschlossen haben. Jetzt kommt es darauf an, nicht blind und voreilig zuzugreifen. Genau wissen, was uns guttut Wir machen einen Boxenstopp, halten inne und gehen in aller Ruhe in uns. Zunächst konzentrieren wir uns auf unsere Leidenschaft. Wir tun so, als ob wir den Super-Jackpot gewonnen hätten und Geld keine Rolle spielt. Wir wollen eine bewusste Entscheidung für das Wichtigste in unserem Leben treffen, ohne jede Ablenkung durch unbewusste Entscheidungen für Unwichtiges. Wir fokussieren allein auf unsere Leidenschaft. Wir gehen dem nach, was wir gerne tun, was wir gut können und was uns leichtfällt. Wir ermitteln das, was wir machen, wenn wir glücklich, erfolgreich und erfüllt sind und von dem andere sagen, dass wir gut darin bist und als unsere Charakterstärken ansehen. Wenn wir herausgefunden haben, was uns lieb und heilig ist, sind das die Ziele, für die wir uns mit Haut und Haaren stark machen sollten. Liebe deine Arbeit und du hörst auf zu arbeiten. Es ist paradox, wenn wir etwas mit Leidenschaft machen, leiden wir nicht. Wir vergessen die Zeit, wir sind im Flow und mit uns im Reinen. Wenn unsere Scheinwerfer auf unsere Werte ausgerichtet sind, sind wir ganz bei uns und steuern fokussiert und mit Schwung unser Ziel an. 74 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="75"?> Gesundheit unser höchstes Gut? Die meisten Menschen würden den Satz sofort unterschreiben: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“. Bei der Antwort auf die Frage: wie viel Zeit und Energie investieren wir in dieses unser höchstes Gut, fangen manche an zu stottern. Wenn wir die letzten Wochen Revue passieren lassen: Was haben wir für unsere Gesundheit getan? Haben wir gesund gelebt und gegessen? Waren wir achtsam zu uns und unserem Körper? Haben wir Sport getrieben und ausreichend geschlafen? Gesundheit ist doch unser höchstes Gut? Warum tun wir dann so wenig dafür? War es zu kalt, um Sport zu treiben? War das Wetter zu schlecht, um Rad zu fahren? Haben wir keine Zeit gehabt, uns zu erholen und neu aufzutanken. Menschen, die unter Aufschieberitis leiden, finden immer Gründe, etwas auf die lange Bank zu schieben: Morgen, morgen, nur nicht heute … In dem Diagramm sind Beispiele für faule Ausreden aufgeführt. In einigen erkennen Sie sich vielleicht wieder. Eventuell können Sie noch weitere beisteuern. Was beherrscht uns am meisten? Wir haben ein Privatleben, einen Beruf und unsere Gesundheit. Welcher Bereich beherrscht uns am meisten? Ganz klar der, den wir am meisten 4.6 Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? 75 <?page no="76"?> vernachlässigen und mit dem wir am wenigsten zurechtkommen. Die Risiken, die sich aus dem Nichtstun ergeben, sind groß. Wir sollten große Anstrengungen unternehmen, um ausgewogen und ganzheitlich zu leben. Die rechtzeitige Investition in Gesundheit ist nachhaltig und hat positive Auswirkungen auf Beruf und Privatleben. Elastisch in den Knien Ein ganzheitliches Leben braucht Bodenhaftung mit fester Verwurzelung in unseren Werten. Wenn wir nur auf einem Bein stehen, werden wir ganz leicht umgeworfen. Besser ist eine Haltung wie in der asiatischen Kampfsportart Tai-Chi: fest mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und elastisch in den Knien bleiben. Werden wir in dieser Haltung geschubst oder gestoßen, können wir den Angriff ausgleichen. Wir weichen, ohne zurückzuweichen. Niemand kann uns umwerfen, wenn wir das beherzigen. Stau im Straßenverkehr Wie verhält sich ein ausbalancierter Mensch z. B. im Straßenverkehr? Zwei Autobahnspuren werden zu einer. Wir reihen uns rechtzeitig ein. Und nun kommt irgend so ein hirnamputierter Rambo, überholt uns und versucht, sich gerade noch vor uns reinzudrängen. Natürlich bremsen wir ab und lassen ihn rein, denn wir sind ausbalanciert. Aber dieser Verkehrslümmel bedankt sich nicht einmal. Machtspiele Wir fahren die Strecke wie immer, als nächstes kommt wieder so einer. Diesmal drücken wir aber auf das Gas. Wir lassen ihn nicht rein. Natürlich schauen wir nicht hin, sonst könnte er uns ja unterstellen, dass wir es absichtlich machen. Sind wir ausbalanciert? Natürlich nicht. In dem Moment lassen Sie wir uns auf gleicher Ebene auf ein primitives Machtspiel ein. Am folgenden Tag machen wir es wieder so. Wir lassen ihn wieder nicht rein und wir grinsen ihn sogar dabei an. Sind wir ausbalanciert? Natürlich nicht. Wenn etwas nicht so läuft, wie wir es im Augenblick gerne hätten und uns z. B. ein hohes Aggressionspotenzial unter Strom setzt, kann Wut und Hass in uns hochsteigen. Wir sind dann nicht 76 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="77"?> mehr ausgewogen. Dann ist höchste Zeit auf die Stressbremse zu treten, einen Boxenstopp einzulegen und beim Dalai Lama Gelassenheit zu tanken. Unser inneres Navigationssystem! Arbeiten wir mit einem Glücksvampir zusammen oder sind wir sogar mit einem verwandt? Viele Menschen wünschen sich von ganzem Herzen, Menschen um sich zu scharen, die ihnen wirklich guttun. Doch an solche Traummenschen heranzukommen ist gar nicht so einfach. Noch schwieriger ist, sie uns vom Leibe zu halten, wenn sich der Traumpartner als Albtraum entpuppt. Nachfolgende kurze Übung hilft unsere Traumpartner zu identifizieren. Wir schließen die Augen, holen tief Luft, und denken an die Menschen, die wir um uns haben. In wessen Gegenwart fühlen wir uns wohl? Wer engt uns ein und zieht uns runter? Sobald wir letztere identifiziert haben, werden wir feststellen, dass wir den Kontakt zu ihnen nicht immer einfach abbrechen können. Wenn wir jemand in unser Nähe haben, der positive Energie aus uns herauszieht, gibt es folgende Möglichkeiten, wie wir damit umgehen können. Zuerst unterbrechen wir die emotionale Kettenreaktion. Wenn wir z. B. mit einem gehässigen oder wütenden Menschen reden müssen, bewahren wir einen neutralen Gesichtsausdruck. Wir setzen eine Körpersprache ein, die seiner genau entgegenläuft. Wir spiegeln seine Anspannung nicht 4.6 Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? 77 <?page no="78"?> wider, sonst wird uns unser Körper in den Rücken fallen. Wenn wir dem Bombardement seiner negativen Gefühle nicht einfach entfliehen können, errichten wir ein unsichtbarer Schutzschild in Form einer imaginären Mauer um uns herum auf. Das gibt uns das Gefühl, emotional geschützt zu sein, und mindert den Drang, Gleiches mit Gleichem heimzuzahlen. Wir bleiben auf unserer Straßenseite und versuchen nicht, den anderen ändern zu wollen. Möglicherweise lockt uns der Gedanke, wir könnten dem anderen helfen, indem wir ihn retten oder ihm zeigen, wie falsch er liegt. Das funktioniert so gut wie nie. Die wirksamste Methode, andere zu beeinflussen, besteht darin, selbst das Verhalten an den Tag zu legen, dass wir von anderen gerne sehen würden. Wie sagte schon Goethe: „Behandle die Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können.“ Testpilot Testpiloten sind Menschen, die einen ungeheuren Stress aushalten müssen. Allein schon 2000 Stundenkilometer zu fliegen - zweifache Schallgeschwindigkeit - ist so schnell, dass der Pilot ohnmächtig würde, wenn er um die Ecke fliegen würde, weil durch die Fliehkraft sein Blut aus dem Gehirn absackt. Ein Testpilot muss deshalb Kompressionsanzüge tragen, die sich aufblasen, genau in dem Moment, wenn eine zusätzliche physische Belastung kommt, um die Blutzirkulation aufrechtzuerhalten. Im Cockpit eines Testpiloten passieren permanent unvorhergesehene Dinge. Seine Aufgabe ist es, das Flugzeug am Funktionieren zu halten und Fehlerquellen auszuschalten. Wenn ein Testpilot einen Fehler entdeckt hat, ist er stark im Stress, denn er muss sofort richtig reagieren, sonst ist er tot und die Maschine für 30 Millionen kaputt. Das will weder der Sponsor noch er. Ein Testpilot kann riesige Mengen sowohl physiologischen Stress als auch psychologischen Stress aushalten. Er ist resilient. Was tut ein Testpilot, wenn er mit dem Fliegen fertig ist? Dann geht er ein Bierchen trinken. Und worüber redet er? Übers Fliegen, klar. Bei allen Testpiloten wird nur übers Fliegen geredet. Es gibt kein anderes Thema. Der Testpilot ist also extrem stressresistent in seiner Pilotenkanzel und abends an der Bar auch noch. 78 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="79"?> Kindergeburtstag Unser Testpilot kommt nach Hause zum Kindergeburtstag mit 20 Kindern. Seine Frau hat den Geburtstag organisiert. Ist er jetzt auch noch so stressresistent? Im Gegenteil: Jetzt ist es plötzlich unter extrem negativem Stress, denn für den Umgang mit Kindern, hat er keine Bewältigungsme‐ chanismen. Da gibt es jetzt Reaktionen bei ihm, die ganz eigenartig sind. Er wird zum Rambo und tut so, als ob er alles voll im Griff hätte. Er kommandiert die Kinder herum. Die Dreibis Fünfjährigen rebellieren und das bringt ihn noch mehr unter Stress. Oder er wird vollkommen kataton, vollkommen reaktionslos, sitzt dabei in scheinbarer Ruhe, ist erstarrt, weil er mit dieser Situation überhaupt nicht umgehen kann. Der wunde Punkt Es gibt kein Leben ohne Kränkungen und Verletzungen. Deshalb müssen wir lernen, mit dem Stress umzugehen. Wir können oft hervorragend Stress verarbeiten, solange wir nicht an unserem wunden Punkt getroffen werden. Wir haben alle individuelle Wunden und Narben. Das ist unsere Achillesferse. Werden wir an anderer Stelle getroffen, merken wir es gar nicht oder kaum, weil es etwas ist, womit wir gut zurechtkommen. Wir sind immun, resistent und resilient. Werden wir an der Achillesferse oder unserem wunden Punkt verletzt, schmerzt und stresst uns das fürchterlich. Einsame Spitze oder Partnerschaft Es gibt die alleinlebenden, extrem dynamischen, erfolgreichen Manager, bei denen Familie und Partnerschaft schon auf der Strecke geblieben sind oder die nie eine hatten. Sie zeigen ein ähnliches Verhalten wie Testpiloten. Im Job sind sie brillant. Sie sind natürliche Workaholics, doch ihr Privatleben ist verrottet, da läuft nichts mehr. Freunde und Kinder haben sie längst verloren. Nur in der Arbeit, da können sie noch fliegen und abheben. Es stellt sich die Frage: Ist Karriere mit Scheidung und Entfremdung von den eigenen Kindern ein zu hoher Preis? Haben sie nicht schon lange vorher den Fehler gemacht, dass sie ihr Privatleben vernachlässigt haben? 4.6 Boxenstopp 6 - Entspricht das unserer Werthaltung? 79 <?page no="80"?> Hobbies Sie arbeiten sieben Tage in der Woche und am Sonntag wird noch die Steuererklärung gemacht. Vergleichsweise eine Kleinigkeit. Sie haben gute Freundinnen oder Freunde, die haben sie ein Jahr lang nicht gesehen. Ist das nicht schrecklich? Dabei schätzen sie ihre Gesellschaft und es baut sie auf, wenn sie sich treffen. Vielleicht sollten sie lieber einmal einen Auftrag sausen lassen, um dieses Gebiet, das sie so vernachlässigt haben, zu pflegen. Eine Investition in die Zukunft! Denken wir daran: Das Gebiet, das wir am wenigsten im Griff haben, wird uns eines Tages am meisten beherrschen. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken Sich wohlfühlen Um ein ausbalanciertes Leben zu führen, ist es wichtig, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die uns guttun. Das sind nicht immer die großen Sachen, das ist nicht der Rolls Royce vor der Tür. Das hat sehr viel mit Energiegewinn durch positives Denken zu tun. Alles, was uns Freude macht, schenkt uns Energie. Ein Spaziergang in der Mittagspause in der Sonne. Ein paar Seiten eines guten Buches lesen - mal keine Fachliteratur. Eher einen schönen Roman, ein paar Gedichte. Mit Freund oder Freundin zum Mittagessen gehen. Wenn beide keine Zeit haben, sich die Zeit nehmen, schöne Musik zu hören. Die Seele bei einem Boxenstopp oder einer Auszeit baumeln lassen. Richtig gute Gespräche mit Menschen führen, die andere und sich selbst aktiv wahrnehmen und deren Ansichten und Verhaltensweisen wir nicht schon in- und auswendig kennen. Menschen, die Lebenssinn auch in Un‐ terschieden erkennen und mit denen wir in Harmonie und gleichzeitig autonom leben können. Menschen, die uns inspirieren und ermutigen neue Schritte im Leben zu wagen. Wenn wir solche Menschen als Freunde haben und sicher sein können, dass sie auch im Notfall für uns da sind, können wir deutlich besser mit Stress umgehen. Unterm Strich haben wir alle etwas davon, wenn wir mit uns im Reinen und der Welt im Einklang sind. 80 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="81"?> Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken Warum sollten wir uns mit Menschen befassen, die uns nicht guttun. Warum mit Menschen Zeit verschwenden, die uns runterziehen und uns auf die schiefe Bahn bringen wollen. Wir lassen uns auf ihre miesen Spielchen ein‐ fach nicht mehr ein und treten auf die Stressbremse. Auch verschwenden wir keine Zeit mehr mit Energieräubern und wollen sie auch nicht ändern. Das funktioniert sowieso so gut wie nie. Wir bleiben lieber auf der Erfolgsspur. Wir sind im Flow und genießen die Freude am Fahren. Eine Seele von Mensch Wir kennen das alle: Wir telefonieren mit der besten Freundin oder dem besten Freund, gehen mit ihnen Essen und schon sind Ärger und Enttäu‐ schung nur noch halb so groß. Soziale Unterstützung hilft uns, Krisen erfolgreich zu bewältigen. Familie, Freunde, Kollegen, Bekannte, Nachbarn - sie alle können eine soziale Unterstützung für uns sein. Verlässliche Beziehungen stillen das menschliche Grundbedürfnis nach Bindung, Schutz und Sicherheit. Ein stabiles soziales Netzwerk hat auch einen starken Puffereffekt in Krisen. Die Unterstützung anderer Menschen hilft uns, negative Auswirkun‐ gen von kritischen Lebensereignissen oder Belastungen abzufangen. Wir brauchen Menschen, die uns in Notlagen helfen können. Gute Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot. Nicht alle können uns zur Seite stehen. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 81 <?page no="82"?> Wichtig ist, dass wir Menschen in unserem Leben haben, die für uns da sind, wenn wir sie brauchen. Wichtig ist auch, dass wir in unseren Beziehungen auf Gegenseitigkeit achten. Statt immer zu überlegen, wie wir selbst von unserem Umfeld profitieren können, fangen wir am besten bei uns an und fragen uns: In welchem Lebensbereich können wir für andere Menschen eine Stütze, ein echter Freund sein. Eine zu starke Fokussierung auf Vorteile ist mit einem Menschen vergleichbar, der jeden Tag drei bis vier Stunden läuft und stolz auf die zehn zusätzlichen Jahre ist, die er dadurch gewinnt - sich aber nicht bewusst ist, dass er sie mit Laufen verbringt. Statt Du zuerst, dann ich, geben wir zuerst und erhalten erst dann, wenn wir etwas brauchen. Neue Freundschaften und Beziehungen sind immer möglich. Gerade wenn wir mutterseelenallein sind, brauchen wir viel Mut, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen. Manchmal kommen dann Menschen in unser Leben, mit denen wir nicht gerechnet haben. Und andere, mit denen wir für immer gerechnet haben, verschwinden. Stabile Beziehungen und Freundschaften sind ein wichtiger Faktor für Widerstandskraft und innere Stärke. Wie mit einer Wall-Box können wir bei ihnen unsere Akkus immer wieder aufladen und neue Energie tanken. Menschen sind die Medizin des Menschen Wir brauchen Menschen und Menschen brauchen uns. Menschen sind die Medizin des Menschen: Sie trösten uns, wenn wir traurig sind, sie helfen uns, wenn wir Hilfe brauchen, sie hören uns zu, wenn wir jemanden zum Zuhören brauchen, und sie geben uns Rat, wenn wir ratlos sind. Menschen sind nicht zum Alleinsein gemacht. Wir sind soziale Wesen. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede. Einige brauchen wenig andere mehr, manche kommen gut mit sich allein zurecht. Aber spätestens, wenn unser Leben aus den Fugen gerät, brauchen wir Menschen, die uns auffangen und durch die Krise begleiten. Egal, wie tief das Tal auch sein mag oder wie steinig der Weg aus einem Loch: wer sich in schwierigen Zeiten auf wahre Freunde verlassen kann, sollte froh und dankbar sein. Wenn wir ein inspiriertes Leben führen möchten, brauchen wir Men‐ schen, die uns inspirieren und die wir inspirieren. Wir brauchen Menschen, die für uns da sind - was im Gegenzug auch bedeutet, dass wir auch für sie da sind. Geben ist seliger als nehmen, so steht es schon in der Bibel. Das Bibelwort besagt letztlich: Auch beim Geben und Nehmen sollten wir 82 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="83"?> bei uns anfangen, denn wer gibt, dem wird gegeben. Eigentlich unlogisch, denn man könnte annehmen, dass derjenige, der zuerst an sich denkt, größere Überlebenschancen hat, als selbstlose Menschen. Doch Menschen, die sich nicht nur auf sich konzentrieren, sondern anderen Menschen helfen, indem sie selbstlos agieren, leben länger und meist auch glücklicher - und zwar ganz unabhängig von ihrem Einkommen, Bildungsstand oder ihrer Persönlichkeitsstruktur. Der Grund dafür ist, unser Gehirn belohnt selbstlose Handlungen mit guten Gefühlen. Es kann allerdings frustrierend sein, immer die Person zu sein, die den versöhnlichen Dialog sucht, während die andere Person die eigene Frustration weiter ungefiltert herauslässt. Ja, wer soll anfangen? Am besten wir fangen da an, wo wir es am leichtesten können, nämlich bei uns. Wir machen den ersten Schritt und nehmen uns fest vor: Ich höre besser zu und ich kommuniziere besser. Wenn wir dann trotz unserer Unterschiede miteinander auskommen, können wir gemeinsam Dinge erreichen, die sonst nicht möglich wären. Es geht darum, unvoreingenommen oder offen Interesse an anderen zu haben. Wenn wir voreingenommen sind, schaden wir uns selbst: Wir denken, jemand ist ein Idiot - dann haben wir es ab jetzt mit einem Idioten zu tun. Doch was machen, wenn wir uns drei Mal bemühen, mit jemandem klar zu kommen, der uns dann nach wie vor in die Suppe spuckt. Dann stoßen auch wir an Grenzen, was den Umgang mit Menschen angeht, die sich schwer ertragen lassen. Dann treten wir auf die Stressbremse und machen einen Boxenstopp. Wenn uns jemand durch Verrat gekränkt und Vertrauensbruch tief verletzt hat, brauchen wir einen längeren Boxenstopp, um den Stress zu verarbeiten. In Ruhe gelingt es unser Navi neu zu programmieren. Wir überschreiben negative Gefühle, Gedanken und Groll. Wir betrachten Menschen, die uns tief enttäuscht haben, nicht mehr als Freund, sind aber trotzdem noch freundlich zu ihnen. Stress durch negative Erfahrungen zum Guten wenden ist unser Ziel. Denn wir sehen jetzt klar, wie wir Stress und Schikanen durch unausstehliche Leute ausweichen können. Es ist ein Unterschied, ob wir denken, dass wir sowieso nichts bewirken und keinen Unterschied machen können. Oder ob wir das, was wir an Talenten und Stärken mitbekommen haben, selbst nutzen, um andere Menschen zu inspirieren, mit uns zusammen einen kleinen Unterschied in der Welt zu machen. Es macht schon einen großen Unterschied, wenn wir nicht nur überlegen, was wir bekommen können, sondern wenn wir zuerst überlegen, was wir geben können. Kurzum: Erwarte nicht von Menschen, dass sie etwas für uns tun, sondern überlege, was wir für sie tun können. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 83 <?page no="84"?> Wenn wir das Gefühl haben, etwas in Menschen bewegen und zum Guten verändern zu können, empfinden wir mehr Erfüllung im Leben. Wer innere Stärke hat und mehr als genug besitzt, weiß, dass es nicht reicht, alles für sich zu behalten. Er spürt in sich auch das Bedürfnis, dass er mit dem, was er hat, in die Welt rausziehen sollte. Ich zuerst, dann du, denn bei uns selbst können wir immer etwas tun. Wenn wir unser Navi so programmieren, bleiben wir alle gemeinsam auf der Erfolgsspur. Windmühlen statt Mauern Ein holländisches Sprichwort sagt: „Wir können den Wind nicht verhindern, aber wir können Windmühlen bauen.“ Dinge laufen nicht immer so, wie wir sie uns vorgestellt haben. Wir konnten nicht verhindern, dass Corona dazu führte, dass unmittelbare Kontakte zwischen Menschen kaum möglich waren und in der Folge die Digitalisierung wie ein Orkan durch unser Leben pustete. Windmühlen transformieren in stürmischen Zeiten die Kraft des Windes in positive Energie. Das Bild von der Windmühle muss hier rein-nicht weiter unten. Auch wir können mit Stürmen und dem rasanten Wandel besser zurechtkommen, wenn wir unsere Stärken nutzen und freisetzen. Mit der Stärkenstrategie können wir besser mit Stress, Veränderungen und Krisen umgehen. Wenn es um die großen und kleinen Krisen im Leben geht, ist Widerstandskraft gefragt, denn ein gutes Abwehrsystem schützt Leib und Seele wie ein intaktes Immunsystem vor dem Coronavirus. Stresskompetente oder resiliente Menschen verhalten sich wie ein Steh‐ auf Männchen. Sie reagieren flexibel, sind unverwüstlich und nicht so leicht aus der Bahn zu werfen. Resiliente Menschen können Druck besser standhalten und bleiben gelassen. Sie sind belastbar und können auch unter Stress ihre Integrität wahren. Große Herausforderungen können von ihnen bewältigt werden. Sie gehen mit Gelassenheit durch das Leben. Unveränderbare Tatsachen werden von ihnen akzeptiert und sie schaffen es, auch klare Grenzen zu ziehen, wenn sinnlose Überlastungen drohen. Sie sehen Krisen als Chancen zur Veränderung und wollen trotz allem Ungemach ein gutes Ende erreichen. Sie sind Chancendenker. Sie schaffen es, plötzlich auftretende Hindernisse zu umfahren und lassen sich auch bei Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen. Sie verfolgen ihre Vorhaben konsequent und kommen auch nach Umleitungen wieder auf die richtige Spur. 84 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="85"?> Menschen machen den Unterschied Ein scheinbar unbezwingbarer Berg ist zwar eine sportliche Herausforde‐ rung, doch er eröffnet uns auch neue Perspektiven. Mit so einer Sichtweise können wir auf Durststrecken länger durchhalten. Für Erfolg und Wohlbe‐ finden ist es außerordentlich wichtig, dass wir von unserem Tun innerlich überzeugt sind. Mit dieser Einstellung fördern wir unsere Selbstwirksam‐ keitserwartung. Lassen wir unseren Blick einmal in die Vergangenheit schweifen, dann fallen uns bestimmt Situationen ein, in denen uns das genau gelungen ist. Wir waren mit einer großen Herausforderung konfrontiert und sind im Laufe deren Bewältigung über uns hinausgewachsen, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. Diese Erfahrung sollte nicht in Vergessenheit geraten, sondern uns Mut machen. Sie ist ein Beleg dafür, dass wir in der Lage sind, große Herausforderungen in unserem Leben zu meistern. Erfolgsstorys sind für unseren Erfolg und unser Wohlbefinden ganz wichtig. Sie sind der Dünger für ein positives Selbstbild. Wieder spielen lernen - Phantasiespiele Eine weitere Möglichkeit, Stress zu reduzieren, ist wieder spielen zu lernen. Wenn uns absolut nichts mehr einfällt, ist es z. B. eine gute Möglichkeit, auf einer Phantasiereise nach Entspannung zu suchen. Im Spiel entspannt sich unser Geist und wird wieder offen für neue Gedanken. Verhakungen lösen sich auf und Beklemmungen verfliegen. Der Mensch ist nur Mensch, wo er spielt, sagte schon Schiller. Wenn wir Probleme wie Rätsel in einem Spiel betrachten, reduzieren wir spielerisch auch unseren Stress. Am allerbesten ist es, wenn wir Spielen zu unserer Gewohnheit machen und uns mit Freunden und Kindern zu Spielen treffen. Panik Es ist gefährlich, in Panik zu geraten. In Panik bleibt uns die Puste weg und wir bekommen einen Filmriss. Spiele können helfen, dass Panik-Karussell in uns abzubremsen oder ganz zu stoppen. Wir stellen uns vor, wir liegen auf einer Wiese im Gras. Über uns schwebt eine Seifenblase. In Inneren der Seifenblase befindet 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 85 <?page no="86"?> sich unser Stressor. Wir betrachten die Seifenblase von allen Seiten. Plötzlich platzt die Blase und all unsere Probleme lösen sich in Luft auf. Oft hilft uns auch ein Perspektivwechsel gegen aufgeblasenes Gedöns von Menschen. Eine rosarote Brille oder die naive Wunschvorstellung „Alles wird gut“ bringt aufgeblasenes Gedöns noch lange nicht zum Platzen. Wenn wir mit voller Wucht auf den Abgrund zu rasen, hilft nur eine Vollbremsung. Wir müssen auf die Stressnotbremse treten und das Steuer für unser Leben selbst in die Hand nehmen. Menschen, mit einer optimistischen Haltung, tun das automatisch. Für Schwarzmaler ist es in düsteren Zeiten umso wichtiger, auf die Stressbremse zu treten und auf positives Denken, mit realistischem Optimismus und Zuversicht umzuschalten. Die Situation zu analysieren und die Stressursachen unvoreingenommen zu identifizieren ist wichtig. Wo die Gefahr am größten, wächst auch das Rettende, sagte schon Friedrich Hölderlin. Wenn wir der Überzeugung sind, dass Probleme grundsätzlich lösbar sind und dass wir auch schlimmste Krisen durchstehen können, sind wir auf dem richtigen Weg. Halb so schlimm, denn wir sind nicht allein, wir haben ja Freunde, die uns helfen. Wir brauchen nur etwas Mut, sie um ihren Beistand zu bitten. Eine positive Haltung ermöglicht es uns, uns in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Emotionen zu beeinflussen. Wenn es mal nicht so läuft und wir im Gefühlsstau stehen, können wir auf Phantasiereise gehen. Gedankenspiele lösen oft den Stau in unserem Kopf auf. Phantasiereisen helfen uns ganz besonders in Situationen, die uns fast um den Verstand bringen und der Glaube an das Gute im Menschen auf eine harte Probe gestellt wird. Dann gilt es nicht zu verzweifeln, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Irre cool Es kommt im Leben immer wieder vor, dass uns Menschen wieder über den Weg laufen, mit denen wir eine schiefgelaufene Beziehungskiste hatten. Solche Menschen sind für uns wie ein rotes Tuch. Wir haben nur einen Wunsch, irre cool und völlig gelassen zu bleiben. Wir treten einfach auf die Stressnotbremse und machen einen Boxenstopp. Wir holen tief Luft und dämpfen mit tiefen Atemzügen und kühlem Kopf aufkochende Gefühle. Kaum zu glauben: Wir bekommen desktruktive Impulse und schlecht verheilte Wunden in den Griff und werden tatsächlich irre cool. Es ist einfach fantastisch, uns ist nichts anzumerken. Schwierige Begegnungen 86 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="87"?> und Auftritte sind für uns nicht mehr problematisch. Im Gegenteil wir genießen fast das Lampenfieber. Tiefen- oder Hechelatmung Automatisch werden wir selbstsicherer, wenn wir uns selbstsicher verhalten. Wir können unser Zwerchfell ent‐ spannen, indem wir tief ein- und ausatmen, statt flach zu atmen oder gar zu hecheln. Unsere Atmung können wir ganz bewusst als Entspannungstechnik einsetzen, um Stress abzubauen. Wir können allerdings nicht einfach sagen: „Jetzt entspannen Sie sich endlich! “ Das geht nicht auf Knopfdruck. Wir sitzen zum Beispiel beim Zahnarzt: ganz verkrampft auf dem Behand‐ lungsstuhl und der Zahnarzt sagt: „Entspannen Sie sich.“ Wir können auch nicht zu jemandem sagen: „Bitte schön, hab' keinen Hunger, es gibt sowieso nichts zu essen! “. Oder zu jemandem, der Schlafstörungen hat: „Schlaf' doch endlich ein! “. Das funktioniert alles nicht. Aber wir können immer wieder sagen: „Atme ruhig, atme tief oder noch besser es atmet mich ruhig und tief.“ Das reduziert unseren Stress. Die Fünfer-Regel Die folgende Atemübung, um Stress zu reduzieren, ist die einfachste über‐ haupt und eine der wirksamsten. Dazu setzen wir uns ganz bequem auf einen Stuhl, rutschen mit dem Po zurück und lehnen uns aufrecht an die Rückenlehne. Unser Körper bildet zwei rechte Winkel. Nun konzentrieren wir uns auf nichts als auf unsere Atmung. Wir denken daran: Das Wesen der Entspannung ist die Tiefenatmung. Wir atmen also tief bis in den Beckenboden. Dabei zählen wir unseren Atem: Beim Ausatmen zählen wir bis 5 und konzentrieren uns nur auf das Zählen. Beim Einatmen zählen wir bis 3. Nach drei, vier tiefen, ruhigen Atemzügen haben wir schon einen Teil des Stresses reduziert. Lasst uns jetzt gemeinsam diese Übung machen: 1 … 2 … 3 Tief in den Bauch einatmen 1 … 2 … 3 … 4 … 5 langsam ausatmen 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 87 <?page no="88"?> 1 … 2 … 3 Wieder tief in den Bauch einatmen 1 … 2 … 3 … 4 … 5 langsam ausatmen Insgesamt fünfmal üben. Die Konzentration auf unseren Atem in einer Stresssituation ist eine wirksame Stressbremse und hilft uns, wieder auf die Erfolgsspur zu kom‐ men. Bruststimme Wenn wir zu sprechen beginnen, müssen wir unbedingt in der Bruststimme anfangen, wenn wir wollen, dass unsere Aufregung nicht rüberkommt. Das gelingt uns durch Atemzählen. Das gleiche können wir machen, wenn wir irgendwo vor großen Gruppen das Wort ergreifen, z. B. mit einem unpopulären Beitrag, der uns, bevor wir den Mund aufmachen, schon etwas stresst. Machen wir doch einfach erst einmal zwei, drei Atemzüge, und erst dann melden wir uns zu Wort. In der Regel passen dann Stimme, Lautstärke und Inhalt zu dem, was wir vorhaben. Übrigens: Wir müssen das üben, wenn wir es nicht brauchen, damit wir es können, wenn wir es brauchen. Nicht wenn wir gestresst sind und uns fragen: „Wie war das noch mit dem Atemzählen? “ Das ist eine Übung, die wir immer und immer wieder machen können, z.-B. bevor wir das Telefon nehmen, lassen wir es einbis zweimal klingeln. Wir grabschen nicht sofort nach dem Handy, sondern machen zuerst die Übung und melden uns dann. Es gibt viele gute Gelegenheiten, innere Ruhe zu wahren und sie nach außen auszustrahlen. Wir brauchen nur einen Ankerpunkt und reagieren prinzipiell erst nach einer Atemübung. Wir müssen das aber vorher geprobt haben, denn wenn wir erst überlegen müssen, ist es schon zu spät. Atemtechnik und speziell Tiefenatmung ist das A und O der Entspannung und den Abbau von Stress. Erdung Wenn wir das Gefühl haben und nicht genau wissen, wo unsere Verspan‐ nungen im Körper sitzen, können wir folgende Übung machen. Diese Übung heißt: Sicheren Stand gewinnen auf unsicherem Grund. Wenn wir unter Stress sind, haben wir oft das Gefühl, dass der Boden unter unseren Füßen 88 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="89"?> wankt. Wir verlieren die Bodenhaftung und haben ein ähnliches Gefühl, wie wenn wir in einem in einem fahrenden Zug oder Bus umherwandeln. Stand auf unsicherem Grund Machen wir einfach folgendes: Wir nehmen ein kleines weiches Kissen, legen es auf den Boden und stellen uns darauf. Dann beginnen wir, auf dem Kissen auf der Stelle zu gehen. Je länger wir gehen, desto sicherer werden wir uns fühlen. Dann konzentrieren wir uns auf unseren Körper. Wenn wir die Übung durchführen, spüren wir, wo und in welchem Bereich unseres Körpers Verspannungen sitzen. Ob es in den Schultern ist oder in der Brustwirbelsäule, im Lendenwirbelbereich usw. Durch „Auf-der-Stelle-Gehen“ auf einem weichen Kissen gewinnen wir mehr Sicherheit auf unsicherem Grund. Ein weiterer Vorteil: Wir können dann gezielte Entspannungsübungen für die verspannten Bereiche machen. Achte auf deinen Körper Wie viel Liter Kaffee trinken wir morgens schon auf nüchternen Magen? Wie fühlen wir uns anschließend? Fühlen wir uns gut, gesund? Im Gegenteil wir sind nervös, unter Stress, und kriegen plötzlich einen Fressanfall. Wir stopfen wahllos Dinge in uns hinein, die wir gar nicht essen wollen. Chunk-Food und Co. schenken uns leider nur kurzzeitig Glücksgefühle. Längerfristig schaden zu viel Zucker und Fett unserem Wohlbefinden. Es ist ein enormer Stress, wenn wir über den Tag verstreut Energie‐ schwankungen haben. Wir alle kennen das postmittägliche Tief, auch Suppenkoma genannt. Das entsteht nicht nur dadurch, dass wir zu schwer oder zu fett essen, sondern auch aus der übermäßigen Einnahme bestimmter konzentrierter Kohlenhydrate. Was passiert? Kohlenhydrate Der glykämische Index bezeichnet die Höhe des Blutzuckerspiegels, um den dieser beim Genuss von Kohlenhydraten ansteigt. Kohlenhydrate aus Weißbrot und Kartoffeln treiben den Blutzuckerspiegel in die Höhe. Süßig‐ keiten gegen den kleinen Hunger helfen für den Augenblick ganz gut. Doch nach kurzer Zeit kommt es in unserem Körper zu einer enormen Insulinausschüttung. Unser Blutzuckerspiegel sinkt stark und zieht uns mit in ein Tief. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 89 <?page no="90"?> Also: Wir sollten darauf achten, Kohlenhydrate nur mit einem glykämi‐ schen Index von maximal 50 zu uns zu nehmen. Dazu zählen Vollkornbrot, viele Arten von Gemüse, ein großer Teil der Milchprodukte oder ein leichtes proteinhaltiges Essen. Leichte Proteine sind z. B. in Fisch, Eiern und Geflügel enthalten. Wasser Um unser Stresslevel ausbalanciert zu halten, sollten wir über den Tag verteilt eine ausreichende Menge Wasser trin‐ ken. Mit viel Mineralwasser oder auch Kräutertee können wir unseren Stresspegel niedrig halten. Der Grund: Durch die Flüssigkeitszufuhr wird unser Kreislauf in Schwung gehalten und eine gute Blutzirkulation ist gut für unser Energiepotential. Fette Wir sollten auf die Fette achten, die wir zu uns nehmen. Es gibt Untersuchungen über das Vorkommen von bestimmten Krebsarten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die Häufung regional sehr unterschiedlich ist. Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass in Ländern, wo viel Olivenöl konsumiert wird, das Krebsrisiko und das Risiko von Herz-Kreis‐ lauf-Erkrankungen wesentlich niedriger ist. Mit gesunder und ausgewoge‐ ner Ernährung können wir unsere Gesundheit massiv unterstützen. Im Spruch „Du bist, was du isst“ steckt viel Wahrheit. Sich regen bringt Segen Wenn wir lange nicht Rad gefahren sind und aus dem Stand gleich weite Strecken fahren, sind wir anschließend groggy. Wenn wir nur kurze Strecken fahren und das Pensum langsam steigern, fühlen wir uns wesentlich besser. Die meisten Menschen sind nun mal keine Hochleistungssportler, doch wir alle haben ein Bewegungsbedürfnis, müssen aber nicht gleich das Pensum eines Profis absolvieren. Auch beim Sport kommt es auf die richtige Dosierung an. Entscheidend ist, dass wir am besten jeden Tag uns circa 30 Minuten bewegen. Im Sommer kommt die Bewegung meist von allein. 90 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="91"?> Da gehen wir gerne nach draußen in die Sonne. Im Winter kostet es mehr Kraft, den inneren Schweinehund zu überwinden. Im Nachhinein merken wir erst, wie gut es uns getan hat, an die frische und kalte Luft zu gehen und uns wieder zu bewegen. Das Gefühl, anschließend wieder in der warmen Wohnung, mit einem heißen Kaffee oder Tee zu sitzen, um sich aufzuwärmen, ist doch unbeschreiblich. Muskelentspannung Doch das allein genügt nicht immer, weil sich die Verspannungen in unserer Muskulatur schon festgesetzt haben. Für die Muskulatur gibt es viele Übungen, um Verspannungen von bestimmten Muskelpartien und unserem ganzen Körper zu lockern. Das Kreuz mit dem Kreuz Eine dieser Übungen für den Oberkörper sieht so aus: Wir legen unsere Hände auf die Knie und setzen uns aufrecht hin. Während der Einatmungs‐ phase heben wir uns mit dem Po vom Stuhl. 1 … 2 … 3 einatmen, Po vom Stuhl abheben. 1 … 2 … 3 … 4 … 5 - dann lassen wir uns wie ein Sack auf den Stuhl zurückplumpsen, dabei ausatmen. Das ganze fünfmal. Wichtig ist, dass wir uns schwer machen und völlig gelöst wieder zurückplumpsen. Das ist eine Übung, die auch unseren Oberkörper entspannt. Die Last auf den Schultern Die nachfolgende Übung, zielt auf den Bereich, wo die meisten Menschen Verspannungen haben: Schultergürtel und Nacken. Wir kennen die lästigen Kopfschmerzen, die von Schulterverspannungen kommen. Wir lassen die Arme ganz locker seitlich fallen. Während wir einatmen, ziehen wir die Schultern zu den Ohren hoch. 1 … 2 … 3 So hoch wie möglich, noch höher, dabei einatmen. 1 … 2 … 3 … 4 … 5 Und ausatmen, Schultern fallen lassen und genießen. 1 … 2 … 3 und hoch die Schultern, bis über die Ohren. 1 … 2 … 3 … 4 … 5 und wieder fallen lassen, als ob sie nicht zu Ihnen gehören. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 91 <?page no="92"?> Noch etwas sehr Wichtiges gehört zu der Übung: Wenn wir die Schultern fallen lassen, dann lassen wir auch das Gesicht fallen. Besonders das Kinn, auch wenn das komisch aussieht. Wir entspannen gleichzeitig mit den fal‐ lenden Schultern auch das Gesicht. Die Zähne sind nicht zusammengebissen, das Kinn fällt locker herunter. Freie Wirbelsäule durch Herumwetzen Jetzt machen wir noch eine Übung für die Beckenmuskulatur. Denn auch der untere Wirbelsäulenbereich, in dem es ja oft zu Bandscheibenschäden kommt, ist durch die Sitzhaltung oft angespannt und verkrampft. Um unsere Wirbelsäule beweglich zu halten, machen wir eine einfache kleine Übung. Bitte die Beine nicht übereinanderschlagen, sie stehen nebeneinander. 1 … 2 … 3 einatmen; verlagern Sie dabei Ihr Gewicht auf eine Po Hälfte. 1 … 2 … 3 … 4 … 5 ausatmen; verlagern Sie das Gewicht auf die andere Po-Hälfte, lassen Sie sich richtig herunterplumpsen. 1 … 2 … 3 - richtig hoch 1 … 2 … 3 … 4 … 5 und wieder herunterplumpsen lassen. Wir wiederholen die Übung zur anderen Seite. Wir haben dadurch eine Möglichkeit gefunden, erst durch unsere Tiefenatmung, durch das bewusste Atemzählen uns von unserem Stress abzulenken und vorhandene Spannungen in unserem Körper abzubauen. Diese Übungen können wir ohne großen Aufwand überall machen. Fortschritt statt Perfektion Die Entspannungstechniken üben wir am besten, wenn wir sie nicht brau‐ chen, damit wir sie voll beherrschen, wenn wir sie tatsächlich benötigen. Es gibt vielfältige Situationen, in denen wir diese Übungen einsetzen können, um besser mit Stress klarzukommen. Bei Stress geht es um unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Verhalten. Wir haben uns mit den Auswirkungen von Stress sowohl auf der emotionalen, mentalen als auch der körperlichen Ebene befasst. Ganz‐ heitlich nachhaltiges Handeln im Einklang von Körper und Seele ist der beste Weg, um auf Dauer unsere Stresskompetenz zu verbessern. Gute Stressbewältigung hilft bei allem, was auf uns zukommen mag, gelassen zu bleiben und souverän zu reagieren. Selbst in Situationen, in denen wir sonst wie gelähmt und sprachlos sind, reagieren wir dann trotzdem sinnvoll. Selbst in Katastrophen bleiben wir handlungsfähig, denn wir haben einen 92 4 Stressbremsen, Boxenstopps und Time-out <?page no="93"?> Notalarmknopf auf den wir drücken und eine Notbremse, auf die wir treten können. Drücken wir auf den Notalarmknopf schalten wir um auf Maschine. Dann geht es nur noch um die eine Sache, die wir erledigen müssen. Die Maschine können wir abschalten und wieder auf ganzheitliches Denken und Handeln umschalten, sobald die akute Bedrohung vorüber ist. Stressoren können wir im Leben nicht total ausschalten. Das ist nun mal nicht möglich. Doch wir können Stressoren bewusst wahrnehmen und gelassen reagieren. In unsicheren Zeiten erkennt man leicht, ob Menschen in den Abwärts‐ strudel hineingezogen werden oder die Zügel fest in der Hand behalten. Ihre Stresskompetenz und gutes Stressmanagement sorgen dafür, dass Sie das Steuer fest im Griff haben. Sie treffen gute Entscheidungen und geben sich und anderen Orientierung. Kurzum: Sie haben Ihren Blick erweitert, und sehen, egal, was kommt, das Licht am Ende des Tunnels. 4.7 Boxenstopp 7 - Den Akku aufladen und Energie tanken 93 <?page no="94"?> Time-out - Zeit is(s)t Leben Zeit is(s)t Leben: Das, was uns alle gleich macht, ist der Zeitdruck, das was uns unterscheidet, ist der kreative Umgang mit der Zeit. Zu viel zu tun, zu wenig Zeit und Unterstützung bei ständigem Wandel erzeugt Stress. Alle sind betroffen. Kein Wunder, dass bei vielen Stress lass nach ganz oben auf der Wunschliste steht. Sie sehnen sich nach mehr Gelassenheit, Lebensqualität und Zufrieden‐ heit? Doch tun Sie auch persönlich etwas dafür? Sie haben keine Zeit. Lichtenberg hat einmal gesagt: „Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten.“ Braungebrannt statt ausgebrannt - was unterscheidet diese Menschen? Der Mensch ist ungebildet und liest nur die Bäckerblume. Er war im Theater und ich komme nicht einmal zu meinen Hobbies. Was macht ihn so stressunempfindlich, gutgelaunt und leistungs‐ fähig? Die Ameise schuftet, der Adler tut nichts. Gehören wir auch zu diesen Ameisen? Keine Zeit kein Urlaub, kein Spaß, keine Freunde, abgesonderte, übellaunige, übermü‐ dete Zeitgenossen, die für andere eine Zumutung sind. Der Workaholic kommt nach Hause und sein Kind fragt Mami: Wer ist dieser Mann? Mutti ist auch ganz baff und denkt: Ach du schon wieder. Ich finde es toll, dass du um unser Eigentum kämpfst. Ein Workaholic schläft nicht ein, er wird ohnmächtig. Er klagt spätestens auf dem Sterbebett: Ich habe zu viel Zeit im Büro verbracht, zu viel für das Finanzamt und die Erben geschuftet. Ich war bienenfleißig, ich war zielstrebig wie ein Stier, ich habe mich abgerackert wie ein Pferd und war abends immer hundemüde. Vermutlich war ich ein Kamel. Oder vielleicht eine eierlegende Wollmilchsau, Version tieftauchfähig und höhenerfahren. Arbeiten bis zum Umfallen. Wenn wir oft das Gefühl ha‐ ben: Das Gas hängt, und wir lenken noch, wir stehen in der Brandung und ersaufen, wir hantieren am Feuerlöscher und verbrennen, seit Jahren eine Reise nach Jerusalem und wir schaffen uns gerade selber ab, dann sind wir auf der falschen Spur. Denn wenn wir immer tun, was wir zurzeit tun, bekommen <?page no="95"?> wir, was wir immer bekommen haben, nämlich viel Stress. Stress sichert das Überleben. Wer Stress hat, schwitzt, wer schwitzt stinkt und wer stinkt wird nicht mehr gefressen. Heutzutage werden wir zwar nicht gefressen, doch viele sind angefressen. Wenn das Thermometer auf Fieber oder das Barometer auf Sturm zeigt, hilft es auch wenig, wenn wir es zerschlagen. Wenn uns alles über den Kopf wächst, brauchen wir einen kühlen Kopf und ein mutiges Herz, um von den sich auftürmenden Bedrohungen nicht überwältigt zu werden. Wir müssen auf die Stressbremse treten. Bei einem Boxenstopp suchen wir in aller Ruhe einen Weg aus der emotionalen Aufruhr. Fokussiert und konzentriert gehen wir wieder auf Kurs. Wir haben die Fähigkeit entwickelt, innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen, die sich auch verändern können, unsere Zeit und damit unser Leben nach unseren Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. Wir wissen, was wir wollen und wir tun, was wir können. Wir haben gelernt mit unserer Zeit souverän umzugehen. Zeitsouveränität heißt für uns das Richtige im richtigen Augenblick zu tun, statt alles richtig machen zu wollen. Zeitsouveränität ist mehr Effektivität als nur an der Effizienzschraube zu drehen. Wir machen Schluss damit, nachts im dunklen Wald mit einem Schrotgewehr alle Hasen auf einmal zu jagen. Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken, denn unsere Zeit ist begrenzt. Vergeuden wir sie nicht, um das Leben anderer zu leben. Wir wollen uns auch nicht mehr von dem Lärm der öffentlichen Meinungen mundtot machen lassen. Unser Charakter und unsere Intuition geben uns ein untrügliches Gefühl, was wir im Leben erreichen wollen. Wir brauchen nur den Mut, unserem Herzen zu folgen. Mit rein operativem Zeitmanagement bekommen wir die Zeit nicht in den Griff. Gutes Stress- und Zeitmanagement umfasst mehr als Posteingänge nach Prioritäten zu sortieren. Der Schlüssel zum Erfolg ist, Termine für Time-out - Zeit is(s)t Leben 95 <?page no="96"?> unsere Prioritäten zu machen und nicht Prioritäten für das, was auf unserem Terminplan steht. Zuerst müssen wir uns selbst managen und dann unsere Zeit. Mit Time-out und Zeit is(s)t Leben können wir die Zeit besser in den Griff bekommen. Wir treten mal wieder auf die Stressbremse und machen einen Boxenstopp. In der Auszeit und ganz tief bei der Sache gelingt es uns lähmende Gedankenschleifen zu durchbrechen. Bei einem mentalen Probetraining programmieren wir Herz und Hirn auf Zeitsouveränität. Wir finden den Code, um unser Schlüsselproblem zu lösen. Mehr Effektivität, statt immer nur an der Effizienzschraube zu drehen, ist das ganze Geheimnis. Nur das Richtige zu machen der PIN-Code. Alles richtig machen zu wollen, führt in die Sackgasse. Dadurch gewinnen wir mehr Zeit für das Wichtigste - uns selbst - sowie neue Energie und Motivation. Souveränität und Einfühlungsvermögens sind Zwillingsschwestern. Wir lernen effektiver zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten, zu delegieren und unangenehme Aufgaben schneller zu erledigen. Mit kühlem Kopf lösen wir die Spaßbremse, nehmen das Steuer in die eigene Hand und setzen uns auf der Erfolgsspur von unseren Stressoren im Nacken ab. Wenn nicht jetzt wann dann? Time-out ist nicht theoretisch, sondern praktisch, ist nicht problem-, son‐ dern lösungsorientiert. Zeit is(s)t Leben beschreibt Wege und Werkzeuge, Techniken und Methoden für einen erfolgreichen persönlichen Arbeits- und Lebensstil. Time-out ist eine Auszeit frei von Kumpel-Beziehungen. Es macht Mut, den eigenen Weg zu gehen, selbstverantwortlich zu handeln und für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Time-out will nicht das Ego fördern, sondern tun, was zu tun ist, anzunehmen, was nicht zu ändern ist, und beides voneinander zu unterscheiden. Time-out bietet ein Spektrum von Möglichkeiten für persönlichen Erfolg und einen Lebensstil frei von Schinderei und Einengungen, denn alles, was nach Spaßbremse riecht, hat auf Dauer keine Chance. Mit dem Time-out schaffen Sie Freiräume, von denen nicht nur Sie profitieren. Denn erfolg‐ reich zu sein heißt nicht, keine Zeit für Familie oder für Freizeitaktivitäten zu haben, sondern konzentriert und fokussiert zu arbeiten und zu leben. 4.8 Ein schlechtes Gewissen haben wir nicht verdient! Gehören wir auch zu den hochmotivierten Menschen und gehen trotzdem häufig mit einem schlechten Gewissen nach Hause? Wir verdienen doch, ein 96 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="97"?> gutes Gewissen zu haben. Wenn wir unser schlechtes Gewissen loswerden wollen und das nicht nur im Beruf, sondern auch in der Freizeit, sollten wir etwas für uns tun. Die folgenden vier Denkanstöße bringen uns diesem Ziel näher. Als erstes fragen wir uns: Haben wir genügend Zeit, um sowohl beruflich wie auch privat bei allem dabei zu sein? Die Antwort ist ein klares Nein. Das Erste, was wir akzeptieren müssen, ist: Wir haben nicht genügend Zeit, um an allem teilzuhaben. Daraus folgt, wir sollten uns auf die Dinge, die uns am wichtigsten sind, konzentrieren. Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, immer alles im Griff haben zu wollen. Tun unsere Mitmenschen das, was wir wollen? Natürlich auch nicht. Sind alle unsere Mitmenschen guten Willens? Natürlich auch nicht. Die gute Nachricht ist: Der große Teil unserer Mitmenschen handelt vernünftig und ist an einem guten Miteinander interessiert. Wenn wir mehr gute Zeiten miteinander haben wollen, ist es wichtig, mit unserer Zeit besser umzugehen. Das bedeutet: Wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir unwichtige Dinge, die uns nicht guttun, liegen lassen. Es genügt völlig, wenn wir die wichtigen Dinge erledigen. Wir brauchen nur nett zu uns selbst sein, indem wir für die wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben die notwendige Zeit bereitzustellen und unsere Zeit gut nutzen. 4.9 Wer beansprucht unsere Zeit? Mehr Zeit für sich selbst zu haben, ist eine schwierige Kunst. Wenn wir unsere Arbeit besser als bisher einteilen, können wir entspannter und früher 4.9 Wer beansprucht unsere Zeit? 97 <?page no="98"?> nach Hause gehen - und haben auch privat mehr Zeit. „Leichter gesagt als getan“, denken wir jetzt. Denn schließlich hängt ja unsere Zeiteinteilung nicht nur von uns ab. Unser/ e Chef/ in beansprucht unsere Zeit. Am meisten Einfluss auf unsere Arbeitszeit hat sicher unsere Chefin oder unser Chef. Sie stellen uns Aufgaben. Wenn sie unvermutet ein Meeting ansetzen, dann müssen wir hin, auch wenn es uns gerade gar nicht passt. Chefs haben die Eigenart, dass alles, was von Ihnen kommt, irgendwie besonders wichtig ist. Aber wenn alles wichtig ist, woran erkennt man dann das Wichtigste? Hier können wir mitentscheiden. In welcher Reihenfolge wir die Aufga‐ ben bearbeiten, ist ja auch unsere Sache. Wenn wir die Prioritäten für unsere Aufgaben festlegen, sollten wir allerdings den Chef einbinden, um Konflikte zu vermeiden. Wie das geht, erfahren Sie im weiteren Verlauf. Unsere Kollegen beanspruchen unsere Zeit. Wir alle kennen das: Ein Kollege kommt zu uns: „Ich habe da ein Problem …“ Ob wir nicht kurz ´mal helfen können. Wie reagieren wir? Wir sind freundlich wie immer und sagen: „Lass mal sehen“. Schon haben wir das am Haken, was tags zuvor gerade der Kollege übernommen hatte. So sollte es nicht laufen! Dass der Kollege unseren Rat möchte, ist möglicherweise ein Kompliment für unsere Kompetenz - aber vielleicht auch der Versuch, uns seine Arbeit aufzuhalsen. Es macht für uns einen großen Unterschied, wenn wir die Hürde für unseren Rat erhöhen. Wie das geht, ohne dass wir unfreundlich wirken, erfahren Sie weiter unten. Wir selbst brauchen unsere Zeit. Sei dein eigener Regisseur. Über die meiste Zeit sollten wir in Eigenregie ver‐ fügen können. Aber Eigenregie bedeutet noch lange nicht, dass wir unsere Zeit optimal organisieren. Oft haben wir das Gefühl, ständig Routine-Auf‐ gaben erledigen zu müssen, während die Zeit für die wichtigen Dinge auf der Strecke bleibt. Wenn wir es endlich schaffen, uns mit Wichtigem zu befassen, werden wir häufig unterbrochen - von Kollegen, Anrufen, E-Mails, SMS und WhatsApp. Die Folge: Wir streichen unsere Mittagspause und arbeiten 98 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="99"?> abends länger, um alles zu erledigen. Ist das gut? Die simple Antwort: nein! Aber wo kann man etwas ändern? Mehr dazu später. 4.10 Der erste Schritt: Prioritäten setzen Um, wie man so schön sagt, Dinge gebacken zu kriegen, müssen wir Prioritäten setzen. Es geht um die Frage: Welche Tätigkeiten und Aufgaben erledigen wir sofort? Welche haben noch etwas Zeit? Um diese Fragen zu beantworten, helfen uns zwei Kriterien. Wir müssen uns über die Wichtigkeit der Aufgabe und die Dringlichkeit der Aufgabe Gedanken machen. Wenn wir uns im Klaren sind, wie wichtig und dringend eine Aufgabe ist, können wir sie einem Zeitfenster ordnen, das dem Eisenhower-Prinzip folgt. Das Zeitfenster teilt unsere Tätigkeiten in vier Quadranten ein. Und das geht so. In unserem Zeitfenster gibt es vier Kategorien: sehr wichtig - weniger wichtig - sehr dringend - weniger dringend. Wenn wir die vier Kategorien miteinander in Beziehung setzen, kommen wir zu den vier Quadranten: sehr wichtig und sehr dringend, sehr wichtig, aber nicht so dringend, sehr dringend, aber nicht so wichtig, nicht so dringend und nicht so wichtig. Wie ordnen wir die Ereignisse im Leben den Quadranten ein? Gesetzt den Fall, ein wichtiger Kunde ruft uns an und beschwert sich, dass wieder eine falsche Rechnung ausgestellt wurde. Die Wichtigkeit des Anrufs ist klar: 4.10 Der erste Schritt: Prioritäten setzen 99 <?page no="100"?> Sehr wichtig. Die Dringlichkeit ist auch sehr hoch. Wir kommen zu dem Ergebnis: Das gehört in den Quadranten sehr wichtig und sehr dringend, also Prioritätsstufe 1. Das bedeutet: Tu es jetzt sofort! Es handelt sich also um Notfälle, die unsere sofortige Aufmerksamkeit erfordern. Viel wichtiger als der Quadrant sehr wichtig und sehr dringend ist aber der Quadrant sehr wichtig und nicht sehr dringend. Hier finden sich alle wichtigen, aber nicht sehr dringlichen Aufgaben mit Prioritätsstufe 2. Im diesem Quadranten stehen die Aufgaben, die mit unseren Stärken, unserer Bildung, Arbeitskraft, Lebenszielen und Gesundheit zu tun haben. Diese Aufgaben dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir z. B. am Anfang einer Woche überlegen, was wir in der Woche alles schaffen möchten, dann sollten wir diese Aufgaben immer in unsere Planung mitein‐ beziehen. Denn wenn wir für diese Aufgaben nicht genug Zeit einräumen, können sie in Prioritätsstufe I rutschen. Und dann können wir ihnen nicht mehr in Ruhe so viel Zeit wie nötig widmen. Die Qualität unserer mittel- und langfristigen Planung wirkt sich auf unser ganzes Leben aus. Wenn wir unsere mittel- und langfristige Planung gut machen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als für Prioritätsstufe 2 die dafür notwendige und angemessene Zeit bereitzustellen. Anders geht es nicht. 100 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="101"?> In den Quadranten wichtig und sehr dringend mit Prioritätsstufe 3 gehören meist Routine-Aufgaben, die den beliebten Vermerk „so bald wie möglich“ tragen. Auf den Vermerk sollten wir nicht hereinfallen, sondern lieber erst einmal die Priorität auf Herz und Nieren prüfen. Nur weil etwas oder jemand „Ich bin sehr dringend” schreit, bedeutet es noch lange nicht, dass es auch wichtig ist und unserer ganze Energie bedarf. Routine-Aufgaben z. B. erfordern selten unsere volle Konzentration und können gut erledigt werden, wenn unser Biorhythmus ein Tief hat. Da oftmals die Aufgaben aus diesem Quadranten auf Kosten der weniger dringenden, aber sehr wichtigen gehen, ist es ratsam, möglichst viel Zeit für Tätigkeiten des Quadranten sehr wichtig und nicht sehr dringend abzuzwacken. Im Quadranten wichtig und dringend stehen die Aufgaben, die nicht sehr dringend und auch nicht sehr wichtig sind und Prioritätsstufe 4 haben. Wenn wir hier etwas einordnen, fragen wir uns vielleicht, warum wir diese Aufgaben überhaupt erledigen sollten. Zu Recht! Wir sollten immer überlegen, ob die konkrete Aufgabe mit Priorität 4 überhaupt nötig ist. Richtig Prioritäten setzen Auch wenn viele uns etwas anderes suggerieren - nicht alle Aufgaben sind gleich wichtig und dringend. Eine gute Reihenfolge für die Aufgaben kann man mit dem Eisenhower-Prinzip so ermitteln. Wichtig/ dringend: 4.10 Der erste Schritt: Prioritäten setzen 101 <?page no="102"?> Sofort selbst machen. Für „wichtig/ nicht dringend“ einen Termin für später festlegen. „Unwichtig/ dringend“ an Mitarbeiter oder Kollegen delegieren und „unwichtig/ nicht dringend“ wandert in den Papierkorb. Das Zeitfenster hilft uns, Prioritäten zu setzen. Überlegen wir doch einmal, welche unserer Tätigkeiten in den letzten Wochen in welchen Quadranten gefallen sind. Suchen wir für jeden Quadranten ein Beispiel. Vielleicht stellen wir fest, dass wir häufig bei Tätigkeiten mit Priorität 2 unterbrochen wurden. Oder dass wir 60 % unserer Zeit mit Tätigkeiten der Prioritätsstufen 3 und 4 verbringen. Es genügt also nicht, sich zu überlegen, was man zuerst machen sollte. Sondern man muss es auch tun. Und das heißt: Keine Ablen‐ kung! Zeitmanagement in richtigen Quadranten sorgt für Quantensprünge im Leben. Wir sollten uns darüber klar werden, welche Dinge wir tun könnten, die wir zurzeit nicht tun, die bei regelmäßiger Ausübung einen riesigen positiven Unterschied in unserem privaten oder beruflichen Leben ausmachen würden. Nicht dringend, aber wichtig sind: vertrauensvolle Beziehungen auf‐ bauen, persönliche Lebensgrundsätze formulieren, und langfristige Pla‐ nung. Wir sollten ständig im Auge behalten, welche Rollen in welchem Film wir spielen wollen. Wenn wir mit uns im Reinen und im Klaren sind, fällt es uns leichter die Selbstkontrolle über unsere Zeit zu behalten. 102 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="103"?> 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen Wenn wir ein klares Bild von unseren Lebenszielen vor Augen haben, können wir im Schlaf sagen: Am wichtigsten in meinem Leben ist mir meine Familie, beruflicher Erfolg, Erfüllung, Seelenfrieden, dass ich anderen helfen kann und das Leid auf der Welt ein bisschen lindere. Wenn wir nicht wissen, was uns wichtig ist, flattern wir wie eine Henne und sind wie ein Blatt im Wind. Wenn wir aber genau wissen, was uns wichtig ist, steigen wir auf wie ein Adler. Wir wissen, wann es gut ist, zu einem Angebot ja zu sagen und unsere Kräfte zu mobilisieren. Wir erkennen, wann es genug ist und wir Grenzen setzen müssen. Wenn wir gute Entscheidungen treffen und uns auf das konzentrieren, was uns wirklich etwas bedeutet, wird unser Leben einfacher und wir gewinnen dazu noch eine Menge Zeit. Bei Windstille kann ein Turmhahn leicht Charakter zeigen. Doch im Sturm trennt sich schnell Spreu von Weizen. Mit einem festen Wertkompass können wir uns in stürmischen Zeiten und in brenzligen Situationen gut orientieren. Wir werden nicht so leicht aus der Bahn geworfen. Wir sind belastbar, widerstandsfähig und resilient. Wenn bedrohliche Umstände oder auch sogenannte Sachzwänge uns zum Spielball zu machen drohen, schlägt die Stunde der Bewährung für unseren Wertekompass. Viele Menschen verstecken dann allerdings oft ihre Feigheit hinter einer Maske der Klugheit. Rache ist die Antwort des Feiglings, wenn er gedemütigt wurde. Wenn feige Menschen spüren, Gefahr ist im Verzug, wir müssen mutig Opfer bringen, geraten sie leicht auf die schiefe Bahn. Sie betreiben Sabotage mit Moral und Anstand und verstoßen eiskalt gegen ein faires und gerechtes Miteinander. Denn wenn es dick kommt, ist besonders Charakterstärke gefragt. Was Du nicht willst, dass man Dir tut, das füg auch keinem andern zu. Unsere Werte sind das Navi, das uns nicht auf die schiefe Bahn lenkt. 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 103 <?page no="104"?> Müßiggang ist aller Laster Anfang. Wenn wir für eine Aufgabe brennen, kommen wir nicht auf dumme Gedanken. Menschen brauchen einen Sinn in ihrem Leben, der sie erfüllt. Menschen wollen etwas Sinnvolles tun. Wenn wir tief in uns spüren, dass wir zu etwas gut sind, für andere da sind und miteinander unser Leben besser machen, gibt das unserem Leben Sinn und Erfüllung. Wenn Menschen von Erfüllung sprechen, dann meinen sie, dass sie eine Aufgabe haben, die ihr Leben reich und lebenswert macht. Wenn uns das Wort Erfüllung etwas erschlägt und als eine Nummer zu groß erscheint, wir müssen nicht die ganze Welt retten. Unsere Aufgabe kann durchaus auch einfacher Natur sein. Menschen haben Bedürfnisse z. B. nach Anerkennung, Beachtung, Wertschätzung, Liebe, Nähe, Geborgenheit, Gewollt-Sein, Ver‐ trauen, Sicherheit, Freiheit, Autonomie, Lebendigkeit, Fülle, Leichtigkeit, Freude, Mut, Kraft, und Stärke. Es ist wichtig, dass unsere Bedürfnisse gestillt werden! Wenn aus unserem Unterbewusstsein Gedanken aufsteigen, die uns stärker und glücklicher machen, sind wir unseren ungestillten Bedürfnissen auf der Spur. Es macht Sinn sie zu verfolgen. Vorlieben machen Vorfreude Fast alle Menschen können von Natur aus manche Dinge besonders gut. Wir sagen, wir haben Talent und bezeichnen damit Fähigkeiten, die uns leicht von der Hand gehen und Spaß machen. Fähigkeiten, die uns nicht so leichtfallen, können wir nur mit mühevollem Training verbessern. Wenn wir etwas besser können als andere und andere uns das bestätigen, ist das eine Stärke, auch wenn uns das selbstverständlich erscheint. Wenn uns aufregt, 104 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="105"?> das andere im Vergleich mit uns zu langsam sind, ist unsere Ungeduld ein Hinweis auf unsere Stärken. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn wir verschiedene Vorlieben miteinander verbinden und z. B. die Vorlieben Bewegung und Kontakt in einer Laufgruppe organisieren. Es tut einfach gut, mit unseren Vorlieben etwas zu bewirken, dass einen Unterschied in der Welt ausmacht. Put your thinking into inking Seltsamerweise glauben viele Menschen, die wirklich wichtigen Dinge im Leben seien überhaupt nicht planbar. Auf dem Sterbebett beklagen sie dann, dass sie nicht dort gelandet sind, wo sie hinwollten. Natürlich gibt es in jedem Leben unerwartete Wendungen. Aber Ziele lassen sich in stärkerem Maße planen, als wir denken und es ist gar nicht so schwer, wenn wir uns die vier W-Fragen stellen. ● WAS sind unsere Ziele? ● WARUM liegen uns diese Ziele am Herzen? ● WANN und in welchem Zeitraum wollen wir diese Ziele verwirklichen? ● WIE erreichen wir unsere Ziele? WAS - Unsere Ziele kennenlernen Wenn wir zu den Menschen gehören sollten, die ohne Ziele leben, wäre das schade, denn damit verschenken wir die Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen. Ein gutes Leben mit Erfolgen, Sicherheit und Spaß ist das, was wir uns eigentlich wünschen. Genau das sind die Ziele, die unser Denken und Handeln leiten sollten. Sie lösen eine innere Bereitschaft bei uns aus, alle Mühen auf uns zu nehmen, um die Ziele zu erreichen. Es lohnt sich also, uns Zeit zu nehmen und über unsere Ziele nachzudenken, denn unsere Ziele sind der Kompass für alle unsere Entscheidungen und Handlungen. Doch was nützen uns die schönsten Ziele, wenn wir für die Ziele anderer arbeiten. Nur wenn wir ein Ziel voll und ganz als unser eigenes Empfinden, sind wir motiviert, gegen Stolpersteine gewappnet und halten auf Durststrecken durch. 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 105 <?page no="106"?> Es braucht ein konzentriertes Nachdenken und die richtigen Kriterien, um sich anspruchsvolle Ziele zu setzen. Wenn wir uns zu niedrige Ziele setzen, spricht das für ein Selbstkonzept, bei dem die Furcht vor Misserfolg von vornherein unser Handeln bestimmt. Anspruchsvolle Ziele sollten konkret, erreichbar, machbar und messbar sein. Put your thinking into thinking: wir schreiben unsere Ziele schwarz auf weiß auf. Wenn wir sie aufschreiben oder auch anderen mitteilen, werden sie uns umso bewusster und klarer. Doch Ziele, die uns Sinn machen sind nur eine Seite der Medaille, Ziele die sinnlich sind, die andere Seite. Sinnlich sind Ziele, die sich aus einer emotionalen Vision ableiten, die uns elektrisieren und für die wir brennen. Mit Hilfe unserer Vorstellungskraft erreichen wir unser Unterbewusstsein und unsere Intuition malt uns verlockende Bilder von Traumzielen, die unser Herz berühren. Wenn sich bei uns sogar die Nackenhaare aufstellen, haben wir ein Ziel, von dem wir später, wenn wir es erreicht haben, sagen: wir sind dabei gewesen! Antoine de St. Exupéry hat das so ausgedrückt: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer. 106 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="107"?> Jeder Mensch setzt sich kurzfristige oder langfristige Ziele. Wenn es um langfristige Lebensziele geht, fällt es uns ganz schön schwer, klare Ziele zu formulieren. Es ist auch nicht ganz einfach, dreißig oder vierzig Jahre in die Zukunft zu denken. Die Phantasiereise „Wir Verfassen unseren eigenen Nachruf “ bringt uns auf die richtige Spur und hilft uns weiter. Wir stellen uns vor, nach einem langen und erfüllten Leben sind wir gestorben. Viele Menschen stehen um unser Grab und nehmen von uns Abschied. Was sollen diese Leute über uns sagen, die da an unserem Grab trauern? Wofür rühmen uns die Grabredner? Was werden unsere Freunde vermissen, wenn es uns nicht mehr gibt? Wer weint um uns und warum? WARUM - ein Herz und eine Seele Wir alle haben nur 24 Stunden am Tag. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir unsere Zeit sinnvoll nutzen und nur wenn wir wissen, wie wir unsere Zeit optimal nutzen, können wir mehrere Ziele unter einen Hut bringen. Stellen wir uns eine Torte vor. Sie steht für die Gesamtheit der Ziele, die wir in unserem Leben erreichen möchten. Jedes unserer Ziele ist ein Tortenstück. Je größer wir ein bestimmtes Tortenstück machen, desto kleiner werden die anderen. Je mehr Zeit wir für unsere Karriere einräumen, desto weniger Zeit haben wir für unsere Kinder. Viele Menschen machen den 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 107 <?page no="108"?> Fehler, dass sie Abstriche bei Dingen machen, die ihnen am Herzen liegen und wirklich wichtig sind. Genau das darf uns nicht passieren! Deshalb müssen wir uns Zeit nehmen, um uns über unsere Ziele wirklich klar zu werden. Dabei ist die Frage nach dem Warum, dem Beweggrund für unsere Ziele, sehr hilfreich. Es macht einen Unterschied, ob der Beweggrund von uns selbst kommt oder von außen. Also ob wir etwas erreichen wollen, weil es uns glücklich macht, oder um nach außen gut dazustehen oder um anderen etwas zu beweisen. Die inneren Beweggründe klingen manchmal etwas egoistisch. Wir möchten ein erfülltes Leben haben, wir möchten geliebt werden und wünschen uns liebevolle Beziehungen zu anderen Menschen usw. Das ist vollkommen in Ordnung! Denn je mehr uns unsere Ziele am Herzen liegen, desto wichtiger sind sie. Die Frage nach dem Warum hilft uns, die Motivation für unser Herzensthema bewusst zu machen und gute Prioritäten zu setzen. WANN - Die richtige Zeitachse für unsere Ziele Wenn wir uns über unsere Ziele klar geworden sind, sollten wir uns als erstes Gedanken darüber machen, in welcher Reihenfolge wir unsere Ziele angehen wollen. Welche Ziele eher langfristig und welche eher kurzfristig 108 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="109"?> sind. Wenn wir zum Beispiel regelmäßig joggen wollen, dann können wir sofort damit anfangen. Wenn wir drei Kinder großziehen wollen, braucht das seine Zeit. Wenn wir überlegen, in welchen Schritten wir das das Ziel erreichen wollen, werden wir schnell feststellen, was ein realistisches Ziel und was bloßes Wunschdenken ist. Wir sollten keine Energie für unrealistische Ziele ver‐ schwenden! Wir verspüren z. B. Stress, Frust und Ohnmacht, wenn wir uns über Missstände ereifern, die wir nicht beeinflussen können, weil uns die Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen fehlen. Aufregen ändert nichts. Wir konzentrieren uns lieber auf Ziele, die wir selbst in der Hand haben und die unser Leben besser machen, denn je mehr Dinge wir wollen, auf die wir keinen Einfluss haben, umso unzufriedener werden wir. Die gute Nachricht: Die Probleme der Welt können wir nicht ohne weiteres ändern, unsere Haltung und wie wir darauf reagieren aber schon. WIE - Große Ziele erreicht man in vielen kleinen Schritten Für unsere Zielplanung ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es kommt darauf an, unsere Ziele so genau wie möglich zu formulieren. Ich will reich werden, schön und gut. Aber was bedeutet reich für uns? Wie viel Geld müssen wir haben, welches Auto fahren? Wichtig ist auch Ziele positiv zu formulieren. Ich trinke Mineralwasser, statt ich trinke keinen Alkohol, löst eine positive Empfindung in uns aus. Eine negativ formulierte Botschaft wie z. B. denke nicht an rosarote Elefanten ist abschreckend und bewirkt das Gegenteil. Menschen denken öfter an das, was sie eigentlich nicht mehr machen und vermeiden möchten. Wenn ich doch hätte … läuft so ähnlich. 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 109 <?page no="110"?> Wie viel haben wir in unserem Leben nicht geschafft! Wie viel haben wir auf die lange Bank geschoben! Jetzt denken wir: „Wenn ich doch dies und jenes getan hätte! “ Was hätten wir tun wollen? Was haben wir bis jetzt versäumt? Hier ein paar Beispiele: ● Wenn ich doch die Schule fortgesetzt und meinen Abschluss gemacht hätte. ● Wenn ich doch mehr Zeit mit Freunden verbracht hätte. ● Wenn ich doch mehr Zeit für meine Kinder gehabt hätte. Wenn wir konkrete Schritte für unsere Ziele planen, müssen wir Fristen setzen. Das ist wichtig, damit wir eine Erfolgskontrolle haben. Nehmen wir uns zum Beispiel vor: Wir gehen in Urlaub, buchen wir gleich zu Beginn des nächsten Monats. Ich werde jeden Tag eine Stunde mit meinen Kindern verbringen. Ich werde in der Woche zweimal Schwimmen gehen. Das sind alles Vorsätze, die so konkret sind, dass wir Fortschritte und Erfolge leicht überprüfen können. Unser Plan ist nicht in Stein gemeißelt, wenn notwendig werden Änderungen vorgenommen. Wenn wir unsere Vorsätze realistisch und konkret formulieren, wird es uns leicht gelingen, ihnen gerecht zu werden. Wir spüren, dass wir unsere Ziele erreichen können, weil jeder einzelne Schritt machbar ist! Meist fordern bestimmte Ziele allerdings mehr von uns. Wir müssen unser Verhalten ändern. Noch einmal das Beispiel Jogging: Wir wollen in Zukunft regelmäßig laufen. Dazu haben wir uns gute Joggingschuhe gekauft. Aber genügt das? Nein - wir müssen uns auch anders verhalten. Wir müssen uns überlegen, wie wir das Sportprogramm fest in den Tagesablauf einbauen, damit eine feste Gewohnheit daraus werden kann. Wollen wir morgens vor dem Frühstück joggen, müssen wir früher aufstehen. Persönliche Ziele, schön und gut. Was aber, wenn der Beruf es nicht erlaubt? Möglicherweise haben wir festgestellt - oder wir wussten es vorher schon, dass wir mehr Zeit für uns selbst, für die Familie und Freunde haben möchten. Aber wir wissen nicht, wie wir alles unter einen Hut bringen können, denn unser Beruf verlangt unsere ganze Kraft. Wir sind in der Zwickmühle: Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben? Sind bei uns Beruf und Freizeit im Gleichgewicht? Das ist die entscheidende Frage. Für ein solches Gleichgewicht gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Das Ziel ist auf jeden Fall nicht verbissen und hart zu arbeiten, sondern eine Arbeit zu erledigen, die Menschen motiviert, gesund und erfolgreich erhält. Es hängt von uns 110 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="111"?> ab und davon, was uns am wichtigsten ist. Darüber müssen wir uns klar werden. Manche Menschen überlassen ihr Leben einfach dem Zufall. Sie tun das, was man von Ihnen verlangt, hören heute auf ihren Chef, morgen auf ihre Freunde, übermorgen auf ihre Familie. Aber was wollen wir selbst? Wenn es uns so geht, dann laufen wir Gefahr, am Ende unseres Lebens da anzukommen, wo wir eigentlich nicht hinwollten. Werte, die tief in unserem Hirn und Herz verankert sind, sind ein sicheres Fundament und ein Kompass in unserem Leben. Ohne Werte gerät unser Leben ins Wanken, wir verlieren Halt und Orientierung. Wir driften von einem Ereignis zum nächsten. In nächsten Abschnitt geht es darum, wie wir Arbeit und Freizeit so organisieren, dass wir ein erfolgreiches und erfülltes Leben führen können. Wie wir die Kontrolle über unsere Zeit behalten Mit dem Distress-Thermometer können wir messen, in welchem Bereich wir uns auf unserem Stressbogen befinden. Sind wir im roten Bereich und leiden bereits unter Kontrollverlust oder noch im gelben Bereich und von destruktiven Gefühlen überwältigt, hat sich schon zu viel negativer Stress über uns zusammengebraut. Dann müssen auf die Stressbremse treten und alles tun, um bei einem Boxenstopp unsere Stressoren in den Griff zu bekommen. Das Eustress-Thermometer wiederum zeigt uns an, was wir am besten tun, um wieder in den grünen Bereich und auf die Erfolgsspur zu kommen. 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 111 <?page no="112"?> Zeitdiebe - nein danke Einer der erfolgreichsten Zeitdiebe nutzt eine allzu menschliche Eigenschaft aus. Es ist unser Wunsch, alles sofort erledigen und abhaken zu wollen, um unseren Kopf freizubekommen. Manche Zeitgenossen platzen mit allem, was ihnen gerade einfällt, bei ihren Mitmenschen herein. Solche Situationen kennen wir alle. Wir sind gerade mit einer sehr wichtigen und sehr dringenden Aufgabe beschäftigt, da ruft ein Kollege an und möchte einen Rat von uns, für den wir nur eben mal etwas recherchieren müssen. Oder: Die Kollegin bittet uns, einen kurzen Blick auf ihr Projekt zu werfen. Was tun? Obwohl solche Störungen meist nur Priorität 3 haben, neigen wir meist dazu, nicht unhöflich erscheinen zu wollen und gehen darauf ein. Aber eine Unterbrechung ist nun einmal eine Unterbrechung. Und wir brauchen immer wieder zusätzliche Einarbei‐ tungszeit. In solchen Momenten kommt es darauf an, die Kontrolle über unsere Zeit zu behalten. Wenn wir - ohne nachzudenken - „eben mal“ etwas recherchieren, oder nur „einen kurzen Blick“ auf das Projekt werfen, haben wir die Kontrolle über unsere Zeit verloren. Und das ist schlecht. Natürlich sollen wir versuchen den Bitten unserer Kollegen nachzukommen. Aber wir sollten es nur dann tun, wenn es in unseren Zeitplan passt. Wie gehen wir also richtig mit Unterbrechungen um? 112 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="113"?> Verhackstücken - nein danke Wenn etwas oder jemand uns bei unserer Tätigkeit unterbricht, dann treffen zwei Interessen aufeinander: das Interesse des Unterbrechers an unserer Aufmerksamkeit und unser Interesse an einem ungestörten Fortgang unse‐ rer wichtigen Tätigkeit. Nicht sofort auf die Wünsche anderer einzugehen, bedeutet, erst einmal „Nein“ zu sagen. Vielen fällt das schwer. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum Beispiel wird uns von Kind an beigebracht, höflich und nett zu sein. Wenn wichtige Leute etwas von uns wollen, haben wir Angst, einen negativen Eindruck zu hinterlassen, wenn wir Nein sagen. Oder wir fürchten, uns nicht teamgerecht zu verhalten und haben Angst vor Sanktionen. Wenn wir ablehnen, werden die anderen uns ablehnen, denken wir. Und häufig haben wir uns einfach daran gewöhnt, „Ja, okay“ zu sagen. Und später spüren wir den Stress, sobald uns bewusst wird, dass wir eigentlich Nein sagen wollten. 4.11 Das Leben ist zu kurz, um etwas dem Zufall zu überlassen 113 <?page no="114"?> 4.12 Wie sehen wir uns selbst? Beantworten wir einmal für uns die folgenden Fragen: ● Ist es für uns sehr wichtig, von anderen unbedingt akzeptiert zu werden? ● Versuchen wir oft, herauszufinden, was andere von uns erwarten, und richten wir uns dann danach? ● Ist es uns wichtig, auf die Wünsche und Bedürfnisse anderer Rücksicht zu nehmen? ● Ist es uns unangenehm, andere Leute zu kritisieren? ● Nicken wir häufig bei Diskussionen und Gesprächen zustimmend mit dem Kopf ? ● Wie formulieren wir unsere Wünsche an andere? Sagen wir eher „Könnten Sie das vielleicht machen? “ als „Bitte erledigen Sie das! “? ● Halten wir uns selbst für höflich, zuvorkommend und hilfsbereit? ● Fühlen wir uns dafür verantwortlich, ob sich Menschen in unserer Umgebung wohl fühlen? ● Kommen Leute vor allem auf uns zu, wenn sie ein Problem haben? ● Versuchen wir grundsätzlich, Streit und Konflikt zu vermeiden? Wenn wir die Mehrzahl der Fragen mit „Ja“ beantworten, sind wir zu gutmütig! Vermutlich löst die Vorstellung, anderen zu widersprechen oder unsere eigenen Interessen durchzusetzen, bei uns Angst oder ein schlechtes 114 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="115"?> Gewissen aus. Aber das braucht es nicht. Machen wir uns klar: Es ist unser gutes Recht, dass unsere Wünsche und Bedürfnisse von anderen ebenso ernst genommen werden, wie wir deren Bedürfnisse ernst nehmen. Von der Kunst, „Nein“ zu sagen Beim „Nein“ sagen haben wir zwei Optionen. Wir können unser „Nein“ um ein „Jetzt nicht, aber später“ ergänzen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, um die Kontrolle über unsere Zeit zu behalten. Wir signalisieren Bereitschaft, sich mit dem an uns herangetragenen Wunsch auseinanderzusetzen, ohne sogleich darauf einzugehen. Die zweite Option ist, einen Wunsch ganz abzulehnen. Einen Wunsch abzulehnen, ist mit einem gewissen Risiko verbunden. Es kann passieren, dass jemand, für den wir im Augenblick keine Zeit haben, sich selbst als Person abgelehnt fühlt und unser „Nein“ nicht akzeptieren will. Dem können wir begegnen, wenn wir die folgenden Grundregeln fürs Neinsagen beachten: ● Wir sprechen bestimmt, aber freundlich. ● Wir gebrauchen keine Ausreden oder Notlügen - das wird von anderen schnell durchschaut und fordert vielleicht auch Widerspruch heraus. ● Wir erklären, wenn möglich, warum wir etwas nicht machen können oder wollen. Angemessene Begründungen sind z. B.: „Nein, es tut mir 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 115 <?page no="116"?> leid, aber im Augenblick bin ich selber so unter Zeitdruck, dass ich nicht in der Lage bin, noch eine zusätzliche Aufgabe zu übernehmen.“ Oder: „Nein, am nächsten Wochenende möchte ich keine Einladung annehmen. Ich brauche dringend mal wieder einen ganzen Tag für mich, die letzten Wochen waren echt stressig.“ ● Wir zeigen Verständnis für das Anliegen des Anderen, aber wir lehnen deutlich ab, wenn wir etwas nicht machen wollen. ● Wir bitten unseren Gesprächspartner um Verständnis für unsere Lage. ● Wir bieten Alternativen an, wenn wir das möchten. ● Wir bringen klar zum Ausdruck, dass unser „Nein“ sich nur auf die Sache bezieht und nichts mit der Person zu tun hat. ● Wenn wir unsicher sind, ob wir ja oder nein sagen möchten, bitten wir um Bedenkzeit. Wir sollten unbedingt vermeiden, „Ja“ zu sagen, wenn wir „Nein“ meinen, um dann die Aufgabe schlecht und mit Widerwillen zu erledigen. Es sieht auch nicht gut aus, wenn wir „Ja“ sagen und wir uns bei anderen beschweren, dass wir ausgenutzt werden. Auch sollten wir uns von Schmeichlern nicht einwickeln lassen. Das Wichtigste: Wir bleiben immer höflich und freundlich, egal ob wir „Ja“ oder „Nein“ sagen. Wenn wir „Nein“ sagen, sollten wir uns kein schlechtes Gewissen einreden lassen. Wenn wir gute Gründe für ein „Nein“ haben, ist es unser gutes Recht, „Nein“ zu sagen. Wie man Unterbrechungen aufschiebt: „Jetzt nicht - aber später“ Jemand klopft an unserer Tür. Wie reagieren wir? „Nein, ich habe keine Zeit! “? Das mag stimmen, wirkt aber unfreundlich und fällt Menschen oft schwer. Die bessere Antwort ist: „Jetzt habe ich keine Zeit, aber später.“ Am besten wir machen gleich ein konkretes Zeitangebot: „Ich kann um 17 Uhr 30.“ Diese Reaktion hat zwei Vorteile: Erstens behalten wir die Kontrolle über unsere Zeit. Und zweitens werden durch Verzögerungstaktik häufig schon unwichtige Anliegen im Keim erstickt. Was nicht so wichtig ist, hat sich vielleicht bis halb sechs schon von selbst erledigt! 116 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="117"?> Wie man Unterbrechungen begrenzt: „Ja, ich habe Zeit - aber nur zehn Minuten.“ Eine weitere gute Möglichkeit ist, unserem Gesprächspartner deutlich zu signalisieren, dass wir nur begrenzt Zeit haben. Das zwingt ihn, schnell auf den Punkt zu kommen; wenn er ein größeres Anliegen hat, können wir uns ja noch zu einem späteren Zeitpunkt verabreden. Auch mit dieser Methode kontrollieren wir unsere Zeit. Wie man „Bitte nicht stören“ signalisiert Eine dritte Möglichkeit besteht darin, zu signalisieren, dass wir nicht gestört werden wollen. Sei es durch ein Türschild wie im Hotel, oder durch ein umgedrehtes Namenschild im offenen Büro oder durch einen Hinweis am elektronischen Arbeitsplatz. Wichtig ist natürlich, dass dieses Zeichen wahrgenommen wird. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass solche Signale von vielen aber nicht von allen respektiert werden. Es gibt immer Leute, die glauben, dass ihre Anliegen keinen Aufschub dulden. Das Antistörprogramm lebt ja von ge‐ genseitiger Rücksichtnahme. Wer selber nicht gestört werden will, wenn er sein Namenschild umgedreht hat, wird auch andere nicht stören. Bei alledem sollten wir immer daran denken: Es geht darum, nur die unwichtigen Dinge rauszufiltern - für die wichtigen haben wir natürlich Zeit. Und es geht außerdem darum, den Zeitpunkt selbst zu wählen, zu dem wir uns mit bestimmten Dingen beschäftigen. Denn wenn wir eine wichtige Aufgabe konzentriert und ungestört bearbeiten können, sind wir schneller damit fertig. Unser Abschirmdienst - Ablenkungen verbannen Ständige Störungen behindern unsere Konzentration und unsere Produk‐ tivität. Wer wichtige Aufgaben zu erledigen hat, sollte sein Smartphone auf stumm schalten, sein Mailprogramm schließen und ein „Bitte nicht stören“-Schild an die Bürotür hängen. Apps wie AppBlock oder StayFocused helfen und sperren verführerische Webseiten und Anwendungen für den gewünschten Zeitraum. Alle Kommunikationstools sind zweischneidig. Mit einem Handy z.-B. sind wir im Notfall immer erreichbar, können aber auch jederzeit unterbrochen werden. Wir wissen selbst am besten, wann wir für 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 117 <?page no="118"?> Notfälle erreichbar sein müssen und wann nicht. Der einfache Tipp: Wir schalten das Handy aus, wenn wir ungestört sein wollen. Beim Festnetz telefonieren gehen wir ähnlich vor: Wir sagen unserem Abschirmdienst, der Sekretärin oder dem Assistenten, dass sie oder er keinen Anruf durchstellen sollen, ohne nach dem Anliegen zu fragen. So können wir sicher sein, dass nur sehr wichtige und sehr dringende Anrufe unsere Arbeit unterbrechen. Anrufe der Priorität 2, 3 und 4 landen dann gebündelt als Telefonnotizen auf unserem Schreibtisch, so dass wir die Rückrufe in einem Arbeitsgang erledigen können. Wer ähnliche Arbeiten bündelt, kommt schneller und konzentrierter voran. Wir können beispielsweise E-Mails zu festen Zeiten am Arbeitstag abarbeiten. Dazwischen Outlook & Co. am besten abschalten und vor allem auf Mail-Benachrichtigungen verzichten. Die beste Zeit, Telefonate zu erledigen, ist übrigens die „flaue“ Zeit im menschlichen Biorhythmus, am Nachmittag. Wenn wir selbst nicht auf einen Abschirmdienst zugreifen können, sondern eine direkte Durchwahl haben, sollten wir nicht erreichbar sein, wenn wir konzentriert arbeiten wollen. Mit kniffligen konzeptionellen Aufgaben können wir in leere Konferenzzimmer auswandern und einfach den Anrufbeantworter anschalten. Wichtige Prioritäten auch im Kleinen sinnvoll umzusetzen ist eine Methode, unsere Zeit effektiver zu nutzen. Im Folgenden noch ein paar weitere Tricks und Tipps, die uns dabei helfen. Informationen - Nein Danke! Viele haben den Informationskanal schon voll. Wir ertrinken in einer Informationsflut, denn wir erhalten zu viele sinnlose und zu wenig sinnvolle Informationen. Unzählige Informationen sind im Umlauf, treiben durch die Welt und halten uns auf Trab. Information kosten Zeit und Geld. Wie wichtig ist die Information und wie lange ist eine Information wichtig? Für wen ist die Information nötig? Muss diese Information weitergegeben werden? Wir alle werden mit nutzlosen Informationen überhäuft. Die meisten Nachrichten, die regelmäßig erscheinen und über Verteiler in den Umlauf gehen, haben keinen oder einen geringen Informationswert. Nehmen wir doch einmal eine Nachricht aus dem Umlauf oder jemanden aus dem Verteiler, und wir werden merken, nur für diejenigen, die sich beschweren, waren die Informationen wirklich interessant und relevant. 118 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="119"?> Das Smartphone als Liebestöter Die digitalen Begleiter sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Nicht wenige Menschen sind vom Morgen bis zum Schlafengehen mit ihnen beschäftigt. Und statt miteinander zu schlafen, werden im Bett Chats, Mails, Nachrichten und Termine gecheckt, wird gelesen, gepostet und gechattet. In Zahlen: Knapp drei Stunden nutzen viele im Schnitt täglich allein ihr Smartphone. Alle 18 Minuten aktivieren sie es, um beispielsweise Mails oder Nachrichten zu lesen oder eine App zu nutzen. Die permanente Er‐ reichbarkeit und die fehlende Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben stresst viele Menschen. Ihre Work-Life-Balance kippt, weil sie meinen, sie müssten rund um die Uhr ansprechbar sein. Sie können sich kaum noch auf komplexe und wichtige Aufgabe konzentrieren. Eine Entwicklung, die zu digitalem Burnout mit gravierenden Folgen für unsere Produktivität führen kann. Wir verhackstücken unsere Aufmerksamkeit. Wir lassen uns ständig aus unserem Tun und Denken herausreißen und verlernen durch die vielen Unterbrechungen langsam, aber sicher, uns auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Ein Zustand, der uns nicht nur unproduktiv, sondern auch unglücklich macht. So kann Abschalten gelingen Wir gehen auf digitale Diät, indem wir uns bewusst Freiräume schaffen, in denen wir offline bleiben. Smartphone-Fasten kann uns wie eine Kur entgiften. Wir schalten unsere Geräte sonntags oder am Wochenende ab oder lassen sie nach Feierabend einfach in der Schublade liegen. Oder wer es noch strenger mag: über ein, zwei Wochen oder vielleicht während der Fastenzeit zwischen Karneval und Ostern verzichten wir bewusst auf digitale Begleiter. Etikette für den digitalen Alltag Oft sitzen heutzutage Menschen beieinander - und jeder ist nur mit seinem Smartphone beschäftigt. Smarte Umgangsformen sind etwas anderes. Daher Handy aus oder zumindest lautlos, wenn wir mit Freunden zu Hause am Esstisch sitzen. Es gilt handyfreie Zonen und Zeiten zu schaffen. Besonders die Generation der „Digital Natives“ kennen den Offline-Zustand kaum 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 119 <?page no="120"?> noch. Wir alle sollten versuchen, Kindern und uns allen gemeinsam mög‐ lichst viele positive Offline-Erlebnisse zu verschaffen. Technische Hilfe-Apps wie „Offtime“ helfen, die eigene Handynutzung zu reflektieren und digitale Auszeiten in Berufsleben und Freizeit zu schaffen. Der Nutzer der App entscheidet, welche Anrufe und Nachrichten noch zu ihm durchdringen dürfen und er kann einzelne Anwendungen gezielt für einen selbst festgelegten Zeitraum blockieren. Geduld mit der Post E-Mails sind schnell und simpel zu erstellen. Das hat zur Folge: Wir werden täglich mit einer Flut von E-Mails überschüttet. Denken wir daran: Wenig von dem, was so alles hereinkommt, verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Das Zeitfenster hilft uns nicht nur bei der Tagesplanung, sondern z. B. auch bei der Frage, welche Post wir zuerst erledigen sollen. Nehmen wir einmal unsere Tagespost und ordnen sie den Prioritätsstufen zu. Nur Post der Stufe 1 sollten wir sofort erledigen. Für den Rest planen wir Zeit nach der Mittagspause oder vor dem Feierabend ein. Wenn wir einmal besonders viel zu tun haben, dann lassen wir die unteren Prioritätsstufen einfach liegen - die haben auch Zeit bis zum nächsten Tag. Es macht nichts, dass etwas liegen bleibt, das Wichtige haben wir schließlich erledigt. Wir gehen ruhig nach Hause, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben! Schluss mit Multitasking Ständig erhalten wir neue, vermeintlich wichtige Infos. Neue Mails und Handynachrichten buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Wer alles auf ein‐ mal und zu vieles gleichzeitig abarbeiten möchte, wird unproduktiv. Die menschliche Informationsverarbeitung hat ihre Grenzen. Gleichzeitig meh‐ rere anspruchsvolle Aufgaben zu erledigen und ein sehr gutes Ergebnis zu erzielen, das funktioniert nicht. Monotasking oder eine anspruchsvolle Aufgabe nach der anderen zu erledigen und sich von nichts ablenken lassen, das steigert die Produktivität. Nein zu unnötigen und überflüssigen Sitzungen Meetings können sehr viel Zeit kosten. Das kann verschiedene Gründe ha‐ ben: unpünktlicher Beginn, häufige Unterbrechungen, Unklarheit darüber, 120 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="121"?> was überhaupt besprochen werden soll usw. Verzögerungen bei Meetings sind besonders ärgerlich, weil nicht nur unsere Zeit vergeudet wird, sondern alle anderen Teilnehmer auch davon betroffen sind. Wenn wir ein Meeting leiten, sollten wir unbedingt auf pünktlichen Beginn achten und den Mitarbeitern, die notorisch zu spät kommen, klar machen, dass wir wegen Nachzüglern nicht wieder von vorne anfangen. Pünktlich zu kommen, wird so belohnt. Meetings sollten auch einen klaren Zweck haben. Wenn wir die Frage nach dem Zweck eines Meetings nicht klar beantworten können, sollten wir darauf verzichten. Zu einem klaren Zweck gehört auch eine Tagesordnung oder Agenda. Die Agenda muss ausreichend lange vorher bekannt sein, sodass sich jeder rechtzeitig vorbereiten kann. Am besten ist es die Einladung zu einem Meeting mit einem Vorbereitungs‐ auftrag für die entsprechenden Mitarbeiter zu verbinden. Es passiert viel zu häufig, dass wir stundenlang in einem Meeting sitzen, aber nur 10 Minuten davon sind relevant. Gute Vorbereitung, aber auch Nachbereitung ist die halbe Miete. Wer tut was nach dem Meeting? Lassen wir ein Protokoll erstellen oder protokollieren wir selbst. Dabei ist meist nicht so wichtig, was genau von wem gesagt worden ist, sondern was beschlossen wurde: Wer ist für was bis wann verantwortlich? Welche Fragen sind offengeblieben? Da sind keine langen Romane gefragt; ein DIN A4-Blatt reicht meist völlig! Ein kurzes Protokoll sollte gleich nach dem Meeting zu Papier gebracht und verteilt werden. Das hat zwei Vorteile: Zum einen sind die Inhalte dem Pro‐ tokollanten noch frisch im Gedächtnis; das Aufschreiben geht also leichter und schneller von der Hand. Zum anderen hat jedes Teammitglied sofort eine verbindliche To-do-Liste und findet dadurch leichter und schneller den Einstieg in die Aufgaben. Meetings, Konferenzen und Besprechungen sind große Zeitfresser im Joballtag. Daher: sich öfters mal aus wenig relevanten Treffen ausklinken oder notwendige Meetings lieber im Stehen absolvieren - dann geht es eindeutig schneller. Vernünftig Planen Am besten abends eine To-do-Liste für den nächsten Arbeitstag machen. Das hilft morgens beim Start mit den wichtigsten Aufgaben zu beginnen. Schöner Nebeneffekt: Aufschreiben macht den Kopf frei für einen relaxten Feierabend. Doch Vorsicht: Auch nicht zu viel in die Listen packen. Besser nur 60 Prozent des Tages verplanen, der Rest sollte ein Puffer für Pausen und Unvorhergesehenes sein. 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 121 <?page no="122"?> Pausen nicht vergessen Wer ohne Unterbrechung stundenlang an einem Projekt arbeitet, wird unkonzentriert und macht im schlimmsten Fall sogar Fehler. Pausen sind gut und sinnvoll. Ideal sind regelmäßige Auszeiten von rund fünf Minuten pro Stunde oder spätestens nach 90 Minuten. Auszeiten lassen sich für einen kurzen Spaziergang durchs Haus, Lüften, Atemübungen oder einen kleinen Plausch nutzen. Gute Zeiten-Schlechte Zeiten-Work smarter not harder Im vorangegangenen Abschnitt ging es darum, unsere Zeit besser zu planen und einzuteilen. Jetzt geht es darum, unsere Zeit besser zu nutzen. Der Mensch ist keine Maschine und nicht rund um die Uhr gleich leistungsfähig. Im Normalfall sieht das so aus: Wir haben eine Phase der vollen Konzentra‐ tion und Leistungsfähigkeit am Vormittag, ein Tief am Mittag, eine weitere Hochphase am späten Nachmittag bzw. späten Abend. Wichtige Dinge, die unsere volle Konzentration erfordern, sollten wir natürlich dann erledigen, wenn wir uns am leichtesten konzentrieren können. Wenn wir unser biologisches Tief haben, bearbeiten wir dagegen besser Routineaufgaben, die wir mit links erledigen können. 122 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="123"?> Die dicke Kröte zuerst Vielleicht haben wir bei unserer Tages- oder Wochen‐ planung festgestellt, dass wir einer Aufgabe die oberste Priorität einräumen müssten, zu der wir überhaupt keine Lust haben. Null Bock hat zur Folge, wir lassen die Sache erst einmal liegen. Im Kopf beschäftigt uns die Sache allerdings weiter, den je länger wir etwas Wichtiges liegen lassen, desto größer wird der Berg, der sich vor uns auftürmt. Und je länger wir etwas Wichtiges liegen lassen, desto stärker meldet sich auch unser schlechtes Gewissen. Wenn wir allerdings herausfordernde Aufgaben erledigt haben, ist es genau umgekehrt, wir fühlen uns gut. Mark Twain hat einmal geschrieben: „Wenn Sie einen Frosch bei lebendigem Leib verschlingen müssen, dann schauen Sie ihn nicht zu lange an.“ So ist es! Folgende Tricks helfen uns bei größeren Projekten: Wir teilen den „Frosch“ mit der Salamitaktik in viele kleine Scheiben und arbeiten die Aufgabe scheibchenweise ab: heute dies, morgen jenes. Wir motivieren uns selbst, indem wir uns für das Erreichte nach jeder bezwungenen Stufe belohnen. Gute Zeiten, schlechte Zeiten - Wir erledigen ähnliche Aufgaben in einem Aufwasch Nehmen wir den Fall an, wir haben im Laufe des Tages drei oder vier Rück‐ rufe zu tätigen. Am besten machen wir diese Telefonate direkt nacheinander. Denn wir bringen den Schwung des ersten Gesprächs in die anderen mit. Wir haben uns auf das Telefonieren eingestellt. Die weiteren Telefonate gehen uns dann leichter und schneller von der Hand. Dieser Rat gilt für alle ähnlichen Tätigkeiten; auch mehrere Memos o. ä. schreiben wir am leichtesten direkt nacheinander. Probieren wir es aus! Gute Zeiten, schlechte Zeiten - Wir nutzen die Zeit vor dem Feierabend Wir alle kennen das: Eigentlich gibt es nur kurz etwas zu klären, aber unser Gesprächspartner erzählt uns dann doch noch stundenlang, wie toll sein Urlaub war, und es gelingt uns nicht, ihn zu unterbrechen. Wenn wir etwas von einem eher weitschweifig kommunizierenden Kollegen wollen und den 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 123 <?page no="124"?> Small Talk lieber vermeiden, dann versuchen wir doch mal, ihn kurz vor dem Feierabend anzusprechen. Wenn abzusehen ist, dass er eigentlich nach Hause will, genau wie wir auch, oder kurz vor einem Meeting, wenn durch den nachfolgenden Termin einen enger Zeitrahmen gesetzt ist. Fehler und Schwächen machen sympathisch Wer perfekt sein will, sucht vor allem Anerkennung. Sympathischer aber ist es, auch mal einen Fehler zu machen. Woher rührt der Wunsch, alles möglichst perfekt zu machen? Wenn es um perfektionistische Leistungsansprüche geht, steckt meist ein extremer Wunsch nach Anerkennung dahinter. Die Ursache dafür liegt oft in der eigenen Biografie. Wer als Kind die Erfahrung gemacht, Liebe und Zuwendung nur dann zu bekommen, wenn er immer eine gute Figur macht und eine besondere Leistung erbringt, wird dieses Verhaltensmuster ins Erwachsenenalter übernehmen. Das Fatale ist, dass sich der Herzenswunsch, so angenommen zu werden, wie wir tatsächlich sind, auf diese Weise nie erfüllt. Auch wenn wir uns noch so anstrengen, wir können nicht dafür sorgen, dass uns alle lieben und es allen immer gut geht. Selbst wenn wir rastlos für dieses Ziel ackern, werden wir auf Dauer frustriert und erschöpft aufgeben. Es wird nie reichen und das Gefühl, nicht gut genug zu sein, begleitet uns als eine permanente Angst auf allen Wegen. Das Ende vom Lied: Wir fühlen uns schlecht, zweifeln an uns selbst und laufen ständig 124 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="125"?> mit einem schlechten Gewissen herum. Es gibt noch andere Spielarten von Perfektionismus. Perfektionismus kann sich auch darin äußern, dass wir versuchen, alles selbst zu machen, alles im Griff zu haben und unter Kontrolle zu bringen. Dahinter steckt fehlendes Vertrauen in unsere Bezie‐ hungen und die Verlässlichkeit der Welt im Allgemeinen. Das, was man Urvertrauen nennt, ist zu schwach entwickelt. Dieses Verhalten tritt häufig auf, wenn man sich als Kind auf seine Bezugspersonen nicht verlassen konnte, wenn man sich nicht wirklich sicher und geborgen gefühlt hat. Das Klima war insgesamt von Angst überschattet. Der zermürbende Dauerkampf für mehr Sicherheit wurde zum Dauerkrampf, alles unter Kontrolle bringen zu wollen. Doch alles wurde zu viel und führte zu einem Leben mit angezogener Spaßbremse nach dem Motto: Das Leben genießen zu können ist nicht unsere Sache. Verzicht macht stark und wir müssen dafür sorgen, dass es allen immer gut geht. Dass Genießen eine Kunst ist und freundlich macht, verstehen sie nicht. Sie haben ja eine Spaßbremse. Perfektionismus ade! Weniger ist oft mehr. Manchmal macht der Vollkommenheitswahn uns das Leben schwer und steht unserem Erfolg im Weg. Wenn wir meinen, dass jede Aufgabe absolut perfekt gelöst werden muss und erwarten, dass jeder Mensch perfekt sein muss, verbringen wir meist viel Zeit damit, diese Perfektion zu erreichen. Und wenn wir dann feststellen, dass andere Menschen weniger abliefern und damit erfolgreich sind, fühlen wir uns ungerecht behandelt. Unsere eigene Leistung sehen wir nicht angemessen 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 125 <?page no="126"?> gewürdigt. Eine solche Erfahrung verletzt unser Gerechtigkeitsempfinden und erzeugt Stress. Das soll nicht heißen, dass Perfektionismus per se schlecht ist. Aber er ist nicht immer angebracht. Denken wir an das Pareto-Prinzip? Es besagt, dass wir mit 20 % Aufwand 80 % der Ergebnisse einfahren. Es kommt also darauf an, gezielt nur an den richtigen Schrauben zu drehen, um den Laden am Laufen zu halten. Zeit heilt Perfektionismus Wenn wir dazu neigen, uns an Dingen festzubeißen, die nicht perfekt sein müssen, wie z. B. der vollendeten Formulierung und Gestaltung irgendwel‐ cher Reports, dann sollten wir uns ein Zeitlimit setzen. Wir sollten diese Dinge so schnell wie möglich abschließen und dann etwas anderes machen. Oder wir nehmen uns die Reports für das Ende der Woche vor. Am Ende der Woche werden wir dann möglicherweise feststellen, dass der Report niemand mehr sonderlich interessiert. Die Zeit, die wir für absolute Perfek‐ tion brauchen, sollten wir immer mit der Bedeutung der Aufgabe abwägen und erst dann entscheiden, ob der Aufwand angemessen ist. Es ist ganz schön anstrengend und leider oft reine Zeit- und Energieverschwendung ein 100-% oder gar 150-% perfektes Ergebnis abliefern zu wollen. Es gibt allerdings auch Aufgaben mit hoher Verantwortung bei denen es darauf ankommt, sehr genau zu arbeiten. Kleine Fehler können große Verluste oder irreparable Schäden nach sich ziehen. In diesen Fällen ist es gut und wichtig, dass wir keine Fehlertoleranz haben. Problematisch wird es 126 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="127"?> nur dann, wenn wir Perfektionismus in allen Arbeits- und Lebensbereichen verlangen. Das ist ein Anspruch, dem wir nie gerecht werden können. Es ist eine Erwartung, die uns überfordert, stresst und krank macht. Eigenschaften wie pünktlich und pflichtbewusst haben nicht ohne Grund einen guten Ruf. Doch hinter zu viel Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit kann sich auch ein übertriebenes Streben nach Perfektion verbergen, dass uns wertvolle Zeit raubt und bei uns Stress verursacht. Bloß keinen Fehler erlauben und nach außen immer perfekt dastehen, kann uns sehr unter Druck setzen. Hohe Erwartungen kommen nicht nur von außen, sondern auch von innen und uns selbst. Zu hohe und überzogene Erwartungen erzeugen Angst, Fehler zu machen. Wir tun dann so als ob wir perfekt wären, erlauben uns keine Schwächen und vertuschen unsere Fehler. Unsere inneren Zeitdiebe flüstern uns ständig ins Ohr: niemand kann die Aufgaben so perfekt und gewissenhaft erledigen wie Du. Alle Aufgaben 150-prozentig erledigen zu wollen, baut enormen Druck und Stress auf. Ungesunder Perfektionismus ist auf andere gerichtet: Was denken sie über mich? Gesunder Stress fokussiert darauf: Wie kann ich wachsen, wie kann ich mich weiterentwickeln? Wir konzentrieren uns voll auf ein Ziel, das für uns persönlich wichtig ist. Jedes Entlein kann zum Schwan werden Perfektionismus ist nicht nur selbstquälerischen Gesundheits- und Moral‐ aposteln vorbehalten. Im Zeitalter des Machbarkeitswahns hat sich der quälende Kraftakt zum Massenphänomen entwickelt. Wer erfolgreich sein will - und wer will es nicht - tut gut daran, sich stets in Bestform zu präsentieren: kreativ, belastbar und hoch konzentriert, attraktiv, ewig jung und fit bis in die letzte Muskelfaser. Und so ein Glück will hart erarbeitet sein. In Dutzenden Hochglanzzeitschriften erfahren Frauen Woche für Woche, was sie tun müssen, um stets attraktiv und gepflegt auszusehen, topmodisch gekleidet zu sein, erstklassige Arbeit im Büro zu leisten, in einer stilsicher eingerichteten Wohnung zu leben, im Haushalt und als Gastgeberin zu brillieren, eine harmonische Partnerschaft zu führen sowie am Ende eines langen Tages den Gatten hingebungsvoll zu verwöhnen. Letzterer sollte wiederum fleißig Karriere machen, das so erwirtschaftete Geld höchst gewinnbringend anlegen, nach Büroschluss dreimal in der Woche konsequent an seinem Body arbeiten, ein verständnisvoller Ehemann 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 127 <?page no="128"?> und kompetenter Vater sein. Wenn sich dann auch noch die Kinder mühen, ihr Bestes zu geben, und ein großer Freundeskreis dies alles abrundet - ist das Leben dann nicht perfekt? Wenn wir stets in Bestform sein wollen, wird der Alltag oft zum Kraftakt. Allzu oft ist dann gut nicht genug. Ein wenig Nachsicht mit uns selber tut gut, denn bei der Jagd nach einem perfekten Leben verausgaben wir uns leicht. Ein perfektes Leben wird stets eine Illusion bleiben und die Jagd nach Vollkommenheit raubt uns viel Zeit und Energie. Die größte Katastrophe freilich scheint das Altern zu sein. Abgesehen davon, dass man mit 40 Jahren auf dem Arbeitsmarkt bereits als schwer vermittelbar gilt, weil heutzutage nichts wichtiger ist, als dass der Mensch sich rechnet, gibt es offensichtlich kaum etwas Schlimmeres als Krähenfüße und Tränensäcke. Der Einfluss eines positiven Selbstbildes auch und gerade im Alter ist nicht zu unterschätzen ist und für ein langes Leben mindestens so wichtig wie der richtige Blutdruck und Cholesterinspiegel. Wir sollten uns fremden und selbstgemachten Zwängen entziehen, soweit das nur möglich ist. Am besten wir machen einen Boxenstopp, halten inne und fragen uns: Was wollen wir wirklich? Was ist uns wichtig? Was bedeutet Glück und Erfolg für uns? Wir verabschieden uns dann von Perfektionismus, sortieren uns neu, werfen unnötigen Ballast ab und nehmen klaren Kurs auf zu einem Leben mit mehr Leichtigkeit und frei von Zwängen. Anschließend drücken wir locker aufs Gas und los geht´s in Richtung gute und bessere Zeiten. Potemkin’sche Dörfer In unserem Oberstübchen wohnen Wunsch und Wirklichkeit eng beieinan‐ der unter einem Dach. Wir wünschen uns, die Wirklichkeit wäre genauso, wie wir uns das in unseren Träumen ausmalen. Die Welt muss fair sein, ist so ein frommer Wunsch aus der Sendung „Wünsch dir was“. In Filmen und Märchen werden am Ende die Guten belohnt und die Schlechten bestraft. Auch den besten, ehrlichsten, aufrichtigsten, mutigsten Menschen passieren schlimme Dinge. Unser Leben ist kein Wunschkonzert und auch kein Schleckhafen. Schon lange sind wir aus dem Paradies und Schlaraffenland vertrieben worden. Ja, die Welt ist nicht gerecht. Zu oft kommen böse Menschen mit ihren Taten durch. Auch wenn wir diese Tatsache akzeptieren müssen, sollten wir weiter mutig für Gerechtigkeit 128 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="129"?> einstehen und kämpfen. Wer nicht kämpft hat schon verloren und die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn unsere Erwartungen und die Wirklichkeit sich unterscheiden, haben wir ein Problem, denn wir wollen, dass etwas anders ist, als es ist. Wir können meckern, hadern, jammern, still leiden und beten in der Hoffnung von allem Bösen erlöst zu werden. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Entweder wir können das Problem lösen oder wir machen unseren Frieden damit. Nur wer loslässt, hat beide Hände frei Im Leben werden wir mit Situationen konfrontiert, die unseren Vorstellun‐ gen diametral entgegenlaufen. Wir können es gar mit Menschen zu tun haben, die uns körperliche und seelische Schmerzen und Leid zufügen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen dies erst einmal ertragen und hinnehmen. Es gibt nun mal Dinge, die wir nicht ändern können. Wenn wir das akzeptieren, erstarren wir nicht in Gedanken und Gefühlen der Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Angst. Wir treten auf die Stressbremse, damit Wut, Zorn, Rachegelüste, Neid oder Gier nicht unseren Körper und unsere Seele zerfressen können. Wir verschwenden nicht Energie und Zeit, die wir an anderer Stelle sinnvoller einsetzen können. Die Energie, die wir einsparen, setzen wir lieber für Hilfreiches und Heilsames ein und um die Lage insgesamt zu verbessern. Zulassen und loslassen bedeutet weder aufzugeben noch zu resignieren. Im Gegenteil: Bei einem Boxenstopp halten wir inne, setzen unsere rosarote Brille ab, stellen unsere Scheinwerfer wieder richtig ein, tanken menschliche Reife und Größe, nehmen das Steuer in beide Hände und lassen auf der Überholspur destruktive Handlungsimpulse hinter uns. Die Startbedingun‐ gen der Menschen sind unterschiedlich. Viele Menschen hadern mit ihrem Schicksal, weil sie nicht von der Pole-Position ins Rennen gehen können. Sie fühlen sich grundsätzlich vom Leben abgehängt. Mit dieser Einstellung schaffen sie es nie, aufzuholen oder gar zu überholen. In der Schule des Lebens ist es wie in der Formel 1 eine hohe Kunst, sich von anderen Menschen oder äußeren Umständen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Auf Schnee von gestern sollten wir nicht von der Bahn schlittern. Obwohl nichts mehr zu ändern ist, wärmen viele Menschen schlimme Erfahrungen aus der Vergangenheit immer wieder auf und tragen sie wie Bleigewichte mit sich herum. Sie schaffen es einfach nicht loszulassen, sich von schmerzhaften Erinnerungen zu lösen und mit der Vergangenheit 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 129 <?page no="130"?> abzuschließen. Menschen, die schlimme Erfahrungen wie Fußfesseln mit sich schleppen, begehen leicht Fahrfehler. Sie verlieren die Orientierung und biegen falsch ab. Kurzum: Wenn in uns die Emotionen hochkochen und wir in Panik geraten, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Unsere Angst ist Warnsignal und Wegweiser zugleich. Häufig steckt etwas dahinter, was wir nicht ändern, aber auch nicht akzeptieren wollen. Tatsache ist, es gibt Verkehrsrowdies, die uns anrempeln und von der Bahn schubsen wollen. Sie verhalten sich wie Boxautofahrer, die uns abdrängen wollen, indem sie uns schikanieren und mit uns absichtlich kollidieren. Das Leben wäre so einfach, wenn alle Menschen mit uns und wir mit ihnen achtsam und rücksichtsvoll umgehen würden. Doch leider bleibt uns oft nichts anderes übrig, als diesen schwierigen Zeitgenossen auszuweichen. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit ab, miss‐ achten unsere Grenzen und versuchen uns in böser Gesinnung von der Bahn zu schubsen. Sie kennen Schamgrenzen nicht und verhalten sich wie respektlose Rüpel und Rambos. Es gibt viele Risiken in unserem Leben, die wir reduzieren können. Trotzdem bleiben viele Gefahren übrig, die Sicherheit, Glück und Erfolg von uns bedrohen. Wir können bei Weitem nicht alle schlimmen Erfahrungen, die uns widerfahren können, verhindern. Deshalb ist es besser, wir konzen‐ trieren uns auf die Ereignisse, bei denen wir etwas Positives bewirken können. Wenn sich eine Situation nicht ändern lässt, nützt es nichts, sich darüber aufzuregen. Wenn wir oft über Vergangenes nachgrübeln oder uns zu viele Sorgen um die Zukunft machen, sollten wir einen Boxenstopp machen. In der Verschnaufpause atmen wir dann langsam die verbrauchte Luft aus, lösen uns von Ballast und befreien uns in einer Entgiftungskur von den toxischen Ablagerungen aus der Vergangenheit. Nur der Augenblick zählt: Wir kon‐ zentrieren uns voll auf das Hier und Jetzt. Bei klarem Bewusstsein und viel weiser Erkenntnis im Gepäck genießen wir unbeschwert und gelassen die Weiterfahrt. Es gibt Menschen, die drücken ständig auf die Lichthupe. Ich zuerst dann du ist ihr Motto. Drängler im Straßenverkehr sind oft auch Menschen, die sich auch sonst im Leben vordrängen. In unsicheren Zeiten wie der Coronapandemie war z. B. zu beobachten, wie sich Menschen nach dem Motto „Wer zuerst kommt malt zuerst“ bei den Coronaimpfungen verdruckst vordrängten. Denn wenn Menschen ihr Verhalten auch nicht gut finden, versuchen sie sich zu verstecken. Statt ihr moralisches Fehlverhalten klar zu 130 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="131"?> benennen und zu bekennen, verbergen sie ihre Feigheit hinter einer Maske der Klugheit. Aus Angst ziehen sie wie ein Hund den Schwanz ein und fangen an Schwächen gesund zu beten, schönzufärben und zurechtzubiegen. Sie weigern sich genauer hinzuschauen, vertuschen ihre Fehler oder kehren sie unter den Teppich. Wenn Menschen sich vordrängen, andere Menschen ab- und verdrängen, machen sie das aus Angst, im Leben zu spät oder zu kurz zu kommen. Oft stecken verdrängte Probleme hinter der Angst. Doch die Dämonen der Angst lassen sich nichts vormachen. Sie drängeln sich aus den wunden Punkten unserer Seele hervor und lassen alte Narben wieder wie ein Geschwür aufbrechen. Besser als jedes Pflaster und heilsamer ist es, aufrichtig die Kraft der Worte zu nutzen. Wir sprechen klar und deutlich aus, wie die Situation ist. Ja, wir sind falsch abgebogen und stecken jetzt im Stau auf der Achterbahn der Angst. Indem wir Probleme klar benennen, holen wir sie aus der Verdrängung und schaffen so die Möglichkeit, sie aufzuarbeiten. Probleme zu verdrängen, kostet viel Zeit und Kraft. Es ist besser Farbe zu bekennen, statt Schwächen schönzufärben oder gar unter den Teppich zu kehren. Wenn wir unsere rosarote Brille absetzen und unsere Scheinwerfer richtig einstellen, spüren wir, wie unser Kopf frei wird und die Blockaden sich lösen. Wir bekommen einen Energieschub, verlassen Sackgasse und Holzweg und biegen schwungvoll auf die richtige Spur ab. Wir nehmen das Steuer in die Hand und sehen glasklar: Zulassen und Loslassen bedeutet nicht zu scheitern oder Unrecht gutzuheißen. Wir übernehmen Verantwortung und stecken unsere Kraft in die Dinge, die wir in der Hand haben und wo wir einen Unterschied machen können. Mit uns im Reinen werden wir dann feststellen, dass wir genügend Kraft übrighaben, um sie bewusst an Stellen einzusetzen, wo sie uns allen guttut. Leckerli für den Schweinehund Was du heute kannst besorgen, das verschiebe stets auf morgen. Für viele Menschen ist dieses Sprichwort Alltag. Viele Menschen erledigen ihre Arbeit in letzter Minute auf den letzten Drücker. Die Auswirkungen sind vielfältig: Manchen gibt der Zeitdruck erst den ultimativen Kick, andere schlittern in die Katastrophe. Auf Dauer kann das Aufschieben von wichtigen Aufgaben auf den Sankt Nimmerleinstag viel Stress mit sich bringen, denn nicht alle Aufgaben lassen sich immer wieder auf die lange Bank schieben. 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 131 <?page no="132"?> Die Angst vor dem Überholen Wenn wir Überholmanöver immer wieder aufschieben, obwohl es immer wieder Möglichkeiten dazu gibt, fahren wir ewig hinterher. Menschen mit wenig Selbstwertgefühl haben häufig Angst, aufs Gas zu drücken und zu überholen. Sie fürchten einen Fehler zu machen. Aufschieben erscheint ih‐ nen eine sinnvolle Lösung zu sein. Schließlich machen sie wenigstens keinen Fehler. Und wer keinen Fehler macht, wird ja bekanntlich befördert. Haben wir einen grauenhaften Job, aber noch keine passende Alternative ist eine innere Kündigung eine sinnvolle Verschnaufpause vor dem Neustart. Eine langfristig gute Lösung ist sie allerdings nicht. Unangenehme Situationen wie schwierige Gespräche oder festgefahrene Konflikte sollte man auch nicht zu lange aufschieben. Immer wenn wir etwas tun sollen, was wir nur teilweise oder minimal be‐ einflussen können, erzeugt das Unruhe, Unzufriedenheit und Stress in uns, denn wir begeben uns in Gefahr. Manche Menschen genießen es angeblich, immer auf den letzten Drücker fertig zu werden. Das hört sich ziemlich befremdlich an, doch viele brauchen einfach einen gewissen Zeitdruck, um voranzukommen. Mit einer solchen Einstellung laufen sie Gefahr, enge Terminvorgaben mit vielen Terminen nicht einhalten zu können. Wenn wir zu sehr unter Druck kommen, reagieren wir zu impulsiv. Unsere Wahrnehmung verengt sich, wir fahren mit Scheuklappen und überholen trotz Gegenverkehr. Zu viel Druck machen wir uns auch oft selber, weil wir anderen mit unseren Potenzsubstituten, sprich mehr PS, imponieren wollen. Wir begeben uns wie ein Abenteurer todesmutig in große Gefahr, um im Anschluss sagen zu können, dem habe ich es aber gezeigt, wo der Bartel den Most holt. Wir brauchen einen guten Überblick, ein schnelles Auto und vor allem etwas Mut, um zum richtigen Zeitpunkt, sicher und zügig zu überholen. Beim Überblick hapert es leider oft etwas, weil unser Weitblick oft Grenzen hat. Wir können die Überholspur oft nicht bis zum Horizont überblicken, weil es keine endlose Gerade ist und Kurven uns die Sicht versperren. Die Verhältnisse sind leider nie ideal. Das ist jedoch kein Grund zu verzagen. Wir brauchen allerdings ein gesundes Augenmaß und gesunde Verhältnisse. Sobald wir ausreichend Platz haben, sollten wir uns entschlossen vorwagen und überholen. Oft liegt es weniger am Können als vielmehr am Wollen, wenn wir den richtigen Zeitpunkt verschlafen. In unserem Kopf kreisen häufig faule Ausreden, die uns von dringenden und wichtigen Entscheidungen abhalten. 132 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="133"?> Drückeberger soufflieren uns ein, wir brauchen noch ein paar Informationen oder wir müssen vorher noch etwas anderes vorher erledigen. Im Grunde genommen dient es meist nur dazu, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Um faule Ausreden sind Faulpelze ohnehin nie verlegen. Es gibt plötzlich so viel zu tun, was es unmöglich macht, zuerst mit dem Wichtigen anzufangen. Nicht zufällig sind Studentenwohnungen während der Prüfungszeit am saubersten. Da wird Geschirr abgewaschen, Wäsche gebügelt und das Badezimmer geputzt. Nur eines nicht: für die bevorstehen‐ den Prüfungen gebüffelt oder gar an der Diplomarbeit geschrieben. Beliebteste Ausrede aller Aufschieber: Ich muss noch meinen Schreibtisch aufräumen. Das kann, wie jeder weiß, stundenlang dauern. Schreibtisch abräumen, Papierhaufen sortieren, alte Post öffnen, Schubladen entleeren, Schokoladenreste und alte Fotos hervorholen, in Tagträumen versinken … irgendwann ist dann die Zeit abgelaufen. Naja, morgen ist ja auch noch ein Tag. Es ist einfacher den Kopf in den Sand zu stecken. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ich bin doch auch nur das Opfer. Nervenkitzel Aufschieben ist für andere Menschen wie ein Adrenalinkick. Erst wenn ihnen das Adrenalin aus den Ohren läuft, kommen sie auf Hochtouren und zum Arbeiten. Der Druck auf den letzten Drücker gibt ihnen den ultimativen Kick, der sie antreibt. Sie glauben, ohne Kick arbeitsunfähig zu sein. Diese Spezies, auch als Last Minute Junkie bekannt, leidet an einer geheimnisvollen Blockade. Wie durch ein Wunder und im Adrenalinrausch stürzen sie sich kurz vor Torschluss todesmutig ins Rennen, um innere Spannungen abzubauen. Wenn sie keine Deadline haben, kommen sie nicht aus den Puschen. Das habe ich doch noch gut hinbekommen, erzeugt in ihnen dann ein Hochgefühl, auf das sie süchtig sind. Je unangenehmer eine Aufgabe, desto mehr weichen sie aus oder schieben die Aufgabe vor sich her. Das hat allerdings nicht immer etwas mit Faulheit zu tun. Es sind oft Perfektionisten, die glauben, noch nicht gut genug zu sein. Die Angst, den eigenen hohen Ansprüchen nicht zu genügen oder ein schlechtes Ergebnis zu liefern, verleitet sie dazu, die Arbeit so lange hinauszuzögern, bis nicht mehr genügend Zeit bleibt, um die Arbeit zufriedenstellend abzuschließen. Frustration ist die Folge, aber man hat dafür wenigstens eine Ausrede. Ich hätte es ja viel besser machen können, aber ich hatte leider nicht genügend Zeit. 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 133 <?page no="134"?> Schnelle Erfolge und Belohnungen Saboteure sind Feiglinge und lieben die Intrige. Sie arbeiten verdeckt, man weiß nie, wie man mit ihnen dran ist. Mit dem inneren Schweinhund ist das einfacher. Wird er mit einem Leckerli belohnt, macht er oft mehr als er muss. Er steht auf schnelle Erfolge und schnelle Belohnungen. Wachstum und große Erfolge, die Zeit zum Reifen brauchen und erst in ferner Zukunft Früchte tragen, sind nicht seine Sache. Erwartungsspannung kann er kaum aushalten. Statt anspruchsvolle Aufgaben zu erledigen, bei denen Erfolge nicht sofort zu sehen sind, bevorzugt er stattdessen z. B. aufräumen, putzen und kontrollieren. Für anspruchsvolle Aufgaben, die ihn weiterbringen, braucht er wie ein Baby jemanden, der ihn an die Hand nimmt. Am besten ist es bei diesen Zeitgenossen stufenweise vorzugehen. Nach jeder bewältigten Stufe gibt es Leckerli als Belohnung und einen kleinen-Erfolg zu feiern. Langfristige Erfolge und Wachstum belohnen Anerkennung und Lob wirkt wie ein Leckerli. Es regt das Belohnungssys‐ tem in unserem Gehirn an. Am einfachsten ist es, wir klopfen uns selbst auf die Schulter und lassen wie nach einem Sieg in der Formel 1 die Cham‐ pagnerkorken knallen. Doch Vorsicht, denn Eigenlob stinkt bekanntlich. Vor allen dann, wenn Menschen dazu neigen, sich mit fremden Federn zu schmücken oder die Erfolge anderer kleinzureden, um selbst besser dazustehen. Wie bereits erwähnt, wir leben in einem lobarmen Land, wo Lob und Anerkennung für große Erfolge für unsere Mitmenschen oft lange aufge‐ schoben werden. Das hat zur Folge, dass selbst Genies, aber auch ganz normale Menschen erst nach dem Tode Ruhm oder verdiente Anerkennung erlangen. Doch große Erfolge gemeinsam mit anderen schon zu Lebzeiten feiern, macht viel mehr Spaß. Auf diese Weise lernt unser Gehirn, große Herausfor‐ derungen als etwas Positives wahrzunehmen und auf Durstrecken besser durchzuhalten. Auch wenn wir nicht ständig auf Streicheleinheiten angewie‐ sen sind, fällt es uns leichter, uns unabhängig von anderen mutig an schwierige Aufgaben heranzuwagen. Das ist das Patentrezept für mehr Selbstwirksamkeit. Wir machen Schluss mit dem Aufschieben von langfristigen wichtigen Aufgaben, weil wir uns ganz einer Sache verschrieben haben. Egal wie die 134 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="135"?> Umstände auch sein mögen, es ist unsere Herzenssache, für die wir brennen. Das macht den Unterschied, wenn wir langfristige Ziele erreichen wollen. Wir verschaffen uns bei einem Boxenstopp erst einmal einen Über- und Weitblick, richten dann die Scheinwerfer auf unsere wichtigsten Lebens‐ ziele, geben Gas und fahren mutig und in einem Rutsch auf die Überholspur. Gelassen gut dastehen In unserer hektischen Zeit der Umbrüche wünschen sich viele Menschen Gelassenheit und sehnen sich danach im Einklang mit sich und der Welt zu leben. Sie verbinden mit Gelassenheit Oasen des Seelenfriedens, in denen sie sicher und geborgen leben. Bilder von Oasen der Gelassenheit sind seelische Anker und helfen Krisenzeiten leichter zu überstehen. Wie bei einem Boxenstopp bringen wir Körper und Seele ins Gleichgewicht und tanken Energie, um die Herausforderungen des Lebens klar und unverzerrt wahrzunehmen und zu bewältigen. Die Oase der Gelassenheit bleibt oft nur ein Traumziel, das wir nie erreichen. Wenn wir uns allerdings aus dem täglichen Kleinkrieg raushalten und nicht wegen jeder Kleinigkeit ärgern und aus der Ruhe bringen lassen, sind wir schon auf der richtigen Spur und unserem Traumziel nahegekommen. Eine Oase der Gelassenheit dürfen wir nicht mit einem Freizeitclub für Gleichgültigkeit und Trägheit verwechseln. Den Gleichgül‐ tigen fehlt es an Anteilnahme und den Trägen fehlt es an Antrieb. Der Gelassene sieht die Dinge zwar mit Abstand, aber nicht ohne Mitgefühl. Wir alle sehnen uns nach Nähe und Geborgenheit. Wir wollen geachtet und geliebt werden, so wie wir sind. Wenn wir mehr scheinen als sein wollen und uns mit einer Fassade aufblähen, verdrängen bald allerdings Ängste, Unsicherheit und Stress unsere Gelassenheit. Schwächen und Fehler verbergen und kaschieren zu wollen ist wie eine Investition in das eigene Gefängnis. Wir blockieren uns selbst immer stärker. Gelassenheit ist die Kunst, den unruhigen Geist in uns und sein ständiges Geplapper zu stoppen. Wahre Gelassenheit verlangt wahrhaftige Arbeit an uns selbst. Wenn wir Makel und Macken nicht beheben können, so ist es ganz gut, nicht an ihnen festzukleben. Übertünchen und vertuschen raubt uns viel kostbare Lebensenergie. Gelassenheit braucht auch Geduld. Egal, ob wir das Leben lachend oder weinend verbringen, es ist die gleiche Lebenszeit. Jeder Tag bietet die Chance, einen neuen Schritt in Richtung mehr Gelassenheit zu machen. 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 135 <?page no="136"?> Geduld bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht nur, den anderen und sich selbst zu erdulden oder zu ertragen. Geduld bedeutet sich mit Gleich- und Langmut ohne überzogene Ansprüche auf andere Menschen und neue Situationen einzulassen. Denn bei all den Problemen im Leben gilt es Oasen in uns zu finden, zu der die täglichen Konflikte keinen Zugang haben, in der wir frei atmen können und in der wir ohne Selbstvorwürfe leben können. Es gibt auch Oasen um uns, die uns helfen, Seelenruhe zu finden. Für den einen kann es eine Kirche sein, für den anderen eine Lichtung im Wald, für den dritten ein bestimmter Blick aufs Meer. Die Orte der Gelassenheit sind individuell. Jeder kann für sich Lieblings‐ stellen finden, die Ruhe und Frieden ausstrahlen. Ein Boxenstopp kann so eine Stelle sein, wo wir innehalten und den Motor abschalten. Sobald wir zum Stillstand gekommen sind, verspüren wir eine Ruhe, die es uns ermöglicht, zu entspannen und den Augenblick zu genießen. In der Stille schaffen wir es dann, den Blick für das Wesentliche in unserem Leben zu schärfen. Ein gutes Leben hängt nicht nur davon ab, wie viel wir uns leisten, sondern auch wie viel wir uns ersparen. Nicht alles, was auf uns wartet und von uns erwartet wird, müssen wir erfüllen. Oft werden wir auf die falsche Spur und schiefe Bahn gelockt und müssen Dinge bewältigen, die wir in Wirklichkeit gar nicht wollten. Wir machen sie nur, um anderen etwas zu beweisen. Es lohnt sich in jedem Fall, den Motiven, die uns antreiben, auf die Spur zu kommen. Perfektion gibt es nur im Kopf und nicht in der Realität. In jeder Hinsicht perfekt zu sein ist auch nicht wünschenswert und macht uns unmenschlich. Wenn wir keine Schwächen haben und keine Fehler machen dürfen, können wir nichts riskieren, denn wir müssen bei Entscheidungen immer ganz sicher sein. Wenn uns etwas davon einmal nicht gelingt, müssen wir das vertuschen und wenigstens den Anschein wahren, als wären wir perfekt. Das Wichtigste ist ja immer recht zu behalten. Zwanghaft alles perfekt machen zu wollen, steht der Gelassenheit im Wege und darf nicht die Oberhand gewinnen. Es ist nicht tragisch, wenn wir Fehler machen. Aus Fehlern von uns und anderen können wir viel lernen. Wir brauchen auch nicht alle Fehler selbst zu machen und können auf diese Weise viele Fehler proaktiv vermeiden. Selbst wenn wir unter Zeitdruck stehen und leicht Fehler machen, sollten wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen. In der Ruhe liegt die Kraft oder Kinder macht langsam, wir haben es eilig. Wir müssen es auch nicht allen recht machen. Wir können uns 136 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="137"?> erlauben, andere auch einmal zu enttäuschen. Davon geht die Welt nicht unter. Menschliche Beziehungen können eine große Bereicherung für uns sein. Sie können aber auch einen großen Stressfaktor darstellen, der jede Menge Kortisol und Adrenalin, also Stresshormone, in unserem Körper freisetzt. Ein großer Stressfaktor sind überzogene Erwartungen, die wir an uns selbst und andere an uns stellen. Wir tun immer etwas für uns und auch für andere. Wir verdienen nicht nur Geld für uns mit unserer Arbeit, sondern wollen bei Vorgesetzten und anderen Menschen auch gut dastehen. Von Kindheit an haben wir verinnerlicht, mit einer tollen Leistung anderen imponieren zu müssen. Erst sind es die Eltern, dann sind es die Lehrer, dann der Chef, die Nachbarn usw. Wir lechzen nach Anerkennung und Achtung durch unsere Mitmenschen - dafür tun wir alles. Doch im Temporausch biegen wir wie Geisterfahrer falsch ab und riskieren unsere Gesundheit. Wir jagen mit unserer Gesundheit zuerst der Kohle hinterher, und später mit der Kohle der Gesundheit, um Leuten zu imponieren, die wir eigentlich nicht leiden können. Wir können oft schon viel Stress vermeiden, wenn wir uns klarmachen, dass es oft nicht die Arbeit ist, die uns stresst, sondern die Motive, die uns antreiben. Liebe deine Arbeit und du hörst auf zu arbeiten, genügt vollkommen. Doch zu oft wollen wir mehr. Schließlich sollte unser Bild schon in unserer Kindheit den Eltern besser gefallen als das der Geschwister. Das Problem dabei ist, wenn wir uns ständig mit anderen vergleichen, messen wir uns an ihren, nicht unseren Maßstäben. Es sind die ständigen Vergleiche, die uns belasten. Wir halten uns ständig den Spiegel vor und schielen gleichzeitig voller Neid auf andere. Frustriert stellen wir dann fest, dass es andere besser haben. Besser ist es, wir besinnen uns auf unsere eigenen Stärken und konzentrieren uns auf unsere Weiterentwicklung. Vor allem Menschen im mittleren Lebensalter stehen unter einem enormen Erwartungsdruck. Viele gründen in dieser Lebensphase eine Familie und bekommen einen Job mit mehr Verantwortung. Gestresst sitzen sie in einer Zwickmühle zwischen beruflichen Herausforderungen und privater Planung. Noch mehr Stress kann durch Streit, Ärger und Dauerkonflikte dazukommen. Dann ist es höchste Zeit auf die Stressnotbremse zu treten. Am besten dann einen Boxenstopp machen und tief Luft holen. Eine kleine Atemübung hilft uns, zu entspannen: Fünf Sekunden einatmen, Atem fünf Sekunden anhalten und dann so lange ausatmen, bis man gedanklich bis 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 137 <?page no="138"?> fünf gezählt hat. Fünf Minuten lang wiederholen. Hört sich simpel an, aber es funktioniert wirklich, um das Hamsterrad in uns zu stoppen. Innehalten, tief durchatmen, entspannen, nicht gleich wieder loshetzen. Bei einem Boxenstopp und in Ruhe gelingt es uns leichter Karriere, Geld, Prestige und Erfüllung im Job mit unseren Privatleben unter einen Hut zu bringen. Wenn wir uns nicht mehr mit den Augen anderer sehen, werden wir von der Anerkennung durch andere unabhängig. Unsere Erwartungen von Privatleben und Beruf können wir dann leichter in Einklang bringen. Die Folge: Job und Leben werden langfristig einfach schöner. Wie sprechen wir mit uns Glauben wir, dass wir wunderbare und starke Menschen sind, denen eine glänzende Zukunft bevorsteht? Oder glauben wir, dass wir nur eine Fußnote in der Geschichte der Menschheit sind, langweilig und nicht gut genug sind, um im Formel 1 Rennen des Lebens mit vorne dabei zu sein. Wenn wir der Überzeugung sind, dass wir es schaffen werden, dann ist die Wahrschein‐ lichkeit, dass dies eintritt, höher. Daher ist es wichtig, uns bewusst zu werden, welche Glaubenssätze wir als Mantra mit uns herumtragen. „Ich bin nicht gut genug“, „Ich darf keine Fehler machen“, „Ich muss immer alles allein schaffen“ - vielleicht kommen uns diese Sätze bekannt vor. Haben wir so schon selbst einmal mit uns gesprochen oder so einen Satz von einer Person aus unserem Umfeld über uns gehört? Ohne es zu wissen, begleiten und beeinflussen Glaubenssätze Menschen von Kindheit an. Vielen ist nicht bewusst, wie stark sich das auf ihre Selbstwahrnehmung, und letztlich auf ihr Leben und ihre Beziehungen auswirkt. Glaubenssätze entstehen in der Kindheit. Wir alle tragen sie mit uns herum. Sie haben einen starken Einfluss auf unser Denken und Handeln und lassen sich in positive und negative, bewusste und unbewusste Glaubenssätze unterteilen. Sätze wie zum Beispiel: Du kannst das nicht oder Du wirst das sowieso nicht schaffen, beginnen wir durch die häufige Wiederholung anzunehmen und unbewusst abzuspeichern. Wie können wir diese Saboteure wieder loszuwerden. Die Saboteure sind Souffleure, die uns einflüstern, wie wir mit uns selbst zu sprechen haben. Sie wirken wie eine Spaßbremse. Sie bremsen uns ab, wenn wir von der Kriechspur auf die Überholspur fahren wollen. Sie sind Schikanen, die uns daran hindern das Leben zu führen, dass wir eigentlich wollen. Sie sind wie eine feindliche Rennleitung, die uns fernsteuert und ständig versucht aus der Fassung zu 138 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="139"?> bringen, indem sie uns mit durchstochenen Reifen auf die schiefe Bahn lenkt. Wir können wir den inneren Saboteur zum Schweigen bringen? Unsere Eltern haben uns vielleicht, weil sie gestresst waren, ungewollt einen Saboteur wie ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Kinder denken nicht Mama und Papa sind gestresst, sondern: Ich bin nicht OK. Das ist so ein Saboteur, der uns im Erwachsenenleben behindert. Er hat unser Selbstwert‐ gefühl programmiert und wurde in unser tiefstes Inneres als App eingespielt. Die App heißt „Normal gestört“ und drückt in aller Kürze aus, was wir von uns halten. Der Name ist eine Wortschöpfung, die zum Ausdruck bringen soll, dass wir alle die eine oder andere Wahrnehmungsverzerrung als Reisegepäck mitbekommen haben. Wir alle haben unsere subjektiven Prägungen - nicht immer nur schlechte, aber eben auch. Wichtig ist, dass wir offen für Veränderung sind und dranbleiben, die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln. Es sind unbewusste Programme, die uns sozusagen fernsteuern. Wir sollten uns bewusst klar machen, dass es sich um Prägungen unserer Eltern handelt. Wären unsere Eltern besser drauf gewesen, dann hätten wir heute andere Programme installiert. Insofern können wir die Programme deinstal‐ lieren und unseren Eltern auf eine freundliche Art und Weise zurückgeben. Im nächsten Schritt spielen wir dann Apps mit Namen ein wie: ich genüge, ich darf mich abgrenzen, ich darf ich sein oder ich kann mich jederzeit frei entscheiden. Letztlich geht es darum, die neuen Programme mit positiven Markern zu verinnerlichen. Marker sind z. B. Erfolgsgeschichten, die uns an eigene Stärken und Ressourcen erinnern, die wir als neue und konstruktive Verhal‐ tensweisen in Fleisch und Blut übergehen lassen können. Wenn wir dann bei einem Neustart auch noch unseren Schweinhund vertrieben haben, können wir bei klarem Verstand und mit viel Schwung unser neues Programm installieren. Automatisch erkennen wir dann, wenn wir falsch abbiegen oder etwas schiefläuft. Wir können auf Augenhöhe und auf freundliche Art und Weise nein sagen. Sind wir in unserer Kindheit so stark traumatisiert, dass wir neben dem Softwareauch einen Hardware-Schaden haben, merken wir oft nur, dass etwas nicht mit uns stimmt. Trotzdem verdrängen wir und biegen uns eine schöne Kindheit zurecht. Wir sind in einem Loyalitätskonflikt, weil wir am schöngefärbten Bild unserer eigenen Eltern nicht kratzen wollen. Selbst Kinder mit einer wirklich schlimmen Kindheit, in der sie von alkoholkranken oder sadistischen Eltern tyrannisiert wurden, haben 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 139 <?page no="140"?> Schwierigkeiten, sich einzugestehen, wie schlimm es mit ihren Eltern wirk‐ lich war. Freiwillig nehmen sie eine Mitschuld auf sich. Obwohl es nicht um Eltern-Bashing, sondern einfach nur darum geht, sich offen einzugestehen, was hat mich geprägt, lassen sie sich von ihrer Vergangenheit weiterhin sabotieren. Dadurch prägt sich die Fähigkeit, Stress zu regulieren nicht so gut in ihrem Gehirn ein. Diese Menschen reagieren als Erwachsene impulsiver auf Stress, sind schnell auf der Palme und brauchen länger, um von der Palme runterzukommen. Halt mich fest, Du klammerst Im Laufe des Lebens machen Menschen Erfahrungen, die sie auf 180 bringen und stark belasten. Oft bekommen sie dann Ratschläge wie „Lass doch einfach los! “. Doch das ist nicht so einfach, denn Ratschläge sind auch Schläge. Wenn Menschen in falsche Kreise geraten und sich verfahren, führt kein Weg daran vorbei, umzudrehen und wieder auf der richtigen Spur in die richtige Richtung zu fahren. Im Berufswie im Privatleben geht das aber oft nicht so einfach, denn wir haben es oft mit Leuten zu tun, die wir uns nicht ausgesucht haben. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns von dem Ballast, der wie ein Bleigewicht ans uns hängt und uns ständig runterzieht, zu trennen. Dazu gehören zum Beispiel ganz einfache Dinge, die wir nicht mehr brauchen und uns wie ein Messie seine Wohnung vollstopft, vermüllen und vergif‐ ten. Schwer belasten können auch Beziehungskisten, die vom Ballast der Vergangenheit, von Seelenmüll und Schuldgefühlen überquellen. Verletzte Gefühle oder Kränkungen werden in Beziehungkisten oft warmgehalten und rauben uns ständig wertvolle Energie. Eigentlich wissen wir schon lange, dass wir sie schon lange entsorgen und abhaken sollten. Trotzdem fühlen wir uns innerlich zerrissen, entschei‐ dungsunfähig und wie gelähmt. All diese und weitere Beweggründe sind eigentlich nichts weiter als lächerliche Ausreden, denn wenn ein Pferd tot ist, dann können wir noch so viel in Dressurkunst investieren, wir können es nicht mehr reiten. So ist es mit vielen Dingen, die wir eigentlich loslassen sollten. Auch Gedankenspiele wie „was wäre gewesen“ führen selten zu etwas Positivem. Sie halten uns nur noch enger mit dem in Verbindung, was wir eigentlich loslassen sollten. Wer falsch abgebogen ist oder aus der Bahn geworfen wurde, muss umlenken und die Weichen neu stellen. Doch solange 140 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="141"?> wir noch tief in der verfahrenen Situation stecken, ist Loslassen besonders schwer. Wir müssen mal wieder auf die Stressbremse treten und einen Boxenstopp machen. In Ruhe wird uns folgendes klar: Loslassen ist etwas anderes als aufgeben. Loslassen fällt deshalb oft so schwer, weil wir Gutes getan und dadurch böses Blut geschaffen haben. Mit eigenem Versagen hat das nichts zu tun, sondern eher mit Neid. Neid muss man sich erstmal erarbeiten. Lieber Neid als Mitleid. Es ist also genau umgekehrt. Wer behalten möchte, was er loslassen sollte, wird auch das verlieren, was er behalten möchte. Gerade alte Kränkungen sind schwer loszulassen. Der Grund: Viele Menschen haben das Gefühl, sie würden die Verletzungen gutheißen, wenn sie dem Verursacher verzeihen. Tatsächlich sieht die Sache aber ganz anders aus. Jemand hat etwas getan, was wirklich ein Akt des Verrats war, und hat uns schwer verletzt. Dann brauchen wir lange und viel Kraft, um das zu verarbeiten. Am Ende gelingt es uns nur, wenn wir den Stress mit all den negativen Gefühlen wie Müll entsorgen. Der Weg aus dieser Misere führt über Verzeihen. Verzeihen bedeutet nicht, einfach weiterzumachen, böse Taten gutzuheißen und auf Reset zu drücken. Verzeihen hat mit den anderen erst einmal gar nichts zu tun. Es bedeutet nur, dass wir für uns das Thema abschließen wollen und beschlossen haben, uns nicht mehr davon beeinflussen zu lassen. Wir malen uns von dem Menschen, der uns gekränkt oder verletzt hat, eine Karikatur oder eine symbolische Zeichnung. Mit Hilfe von Humor gehen wir auf Distanz und lassen los, indem wir sagen: Mein lieber Freund, jetzt ist es aber genug. Du bist zwar nicht mehr unser guter Freund, aber wir sind immer noch freundlich zu dir und hoffen, dass sich dein Leben zum Guten wendet. Selbstreflexion und Meditation sind die Stressbremsen, die helfen, negative Gedankenspiralen und mentale Achterbahnfahrten zu erkennen und abzu‐ bremsen. Religiöse Auszeiten in Form von Exerzitien, Gebeten usw. können ebenso eine Hilfe sein. Gebete, ein Rosenkranz oder Beichten sind wie ein Boxenstopp und lenken unsere Gedanken wieder auf unsere wichtigen Ziele im Hier und Jetzt. Alte Weisheiten und Sprüche inspirieren und regen uns zum Nachdenken an. Rechtzeitig die Stressnotbremse zu ziehen und zu verzeihen, kann nur der Starke und zeugt von menschlicher Größe. Groll mit sich herumzutragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich nur selbst dabei. Das bemerkte schon Buddha. Wenn ich loslasse, was ich bin, werde ich, was ich sein könnte. Wenn ich loslasse, was ich 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 141 <?page no="142"?> habe, bekomme ich, was ich brauche, sagte schon Lao Tse. Obwohl es frustrierend sein kann, derjenige zu sein, der den versöhnlichen Dialog sucht, während das Gegenüber weiter an seiner Agenda arbeitet, können wir mit der Stessbremse verzeihen unseren Frieden finden. Immer der Zeit voraus? Zeit ist die wichtigste Ressource unseres Lebens. Nach unserem subjektiven Empfinden haben wir nie genug davon. Der Tag müsste 48 Stunden haben. Aber würde das wirklich einen Unterschied machen? Mehr Zeit zu haben, hat vor allem mit unserer persönlichen Einstellung zu tun. Vielleicht kennen Sie das Vorurteil: Wir haben keine Zeit, weil wir immer der Zeit voraus sind! Wird das von uns erwartet? Der starke Wettbewerb, der Kampf um unsere Aufmerksamkeit ohne Wenn und Aber ist natürlich nicht von Pappe. Aber schützen wir selbst nicht manchmal unsere Arbeit vor, um den Verpflich‐ tungen unserer Freundschaften und Bekanntschaften zu entgehen? „Da war noch der Notfall …“ - und wieder sind wir eine Stunde zu spät zum verabredeten Essen gekommen. Zeitdiebe sind auch wir selbst, wenn wir ziellos und unentschlossen handeln, wenn wir nicht wissen, was wichtig ist. Möglicherweise halten wir es sogar für prestigeträchtig, immer überarbeitet zu sein. Aber werden wir wirklich nur dann akzeptiert, werden wir nur dann anerkannt? Gehören wir zu den Leuten, die sich schämen zu gestehen, dass sie einen ruhigen Tag hatten? Macht es wirklich einen besseren Eindruck, durchgeschuftet zu haben? Zeit wird Mangelware, die Angina temporis grassiert. Und wir opfern viel Zeit für Dinge, die wir 142 Time-out - Zeit is(s)t Leben <?page no="143"?> eigentlich nicht brauchen, um Menschen zu imponieren, die wir eigentlich nicht leiden können. Effektives Zeitmanagement hat viel mit Einstellungen und persönlichen Erfahrungen zu tun. Manche Menschen gehen wirklich souverän mit ihrer Zeit um. Ihr ganzes Geheimnis: Sie machen das Richtige, ohne alles richtig machen zu wollen. Tun wir das doch auch! Zeit is(s)t Leben zeigt eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie wir Barrieren und Schikanen durch Zeit- und Energieräuber geschickt umfahren können. Zeit is(s)t Leben enthält eine Fülle von Stressbremsen und Hinweisschilder, die wir im Alltag einsetzen können, wenn wir uns verfahren haben und nicht mehr klarkommen. Es liegt an uns, sie umzusetzen! „Erzähl mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe.“ Konfuzius 4.12 Wie sehen wir uns selbst? 143 <?page no="145"?> 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen Bei individuellem Stressmanagement unterscheiden wir zwischen einem präventiven und einem kurativen Ansatz. Prävention von Krankheiten und das Kurieren von Krankheiten sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Was nützlich bei der Verhütung von Krankheiten ist, ist nicht immer der beste Weg, um sie zu kurieren. Das ist die Faustregel für die meisten Hygieneregeln. Das Trinken von bakterienfreiem Wasser ist am wichtigsten zur Prävention von Infektionskrankheiten. Antibiotika heilen Infektions‐ krankheiten. Antibiotika allerdings zur Vorbeugung von Krankheiten ins Trinkwasser oder auf das Essen zu schütten ist gesundheitsschädlich. Stress findet in einer Organisation oder in einem Unternehmen an der Schnittstelle zwischen den Menschen und dem Umfeld statt. Eine Orga‐ nisation kann präventive und/ oder kurative Maßnahmen einführen, und beides kann auf den einzelnen Menschen oder die Organisation als Ganzes ausgerichtet sein. Am wirksamsten ist es mit der Organisation als Ganzes und präventiv zu beginnen. Das setzt aber voraus, dass das Unternehmen grundsätzlich gut funktioniert. Präventives Stressmanagement kann ein schlecht funktionie‐ rendes Unternehmen nicht heilen. Es ist auch wichtig, dass die Organisation und der einzelne Mensch gemeinsam die Verantwortung übernehmen, ne‐ gativen Stress zu verhindern. Das Ziel ist nicht, Stress zu beseitigen, sondern ein Stressniveau zu erreichen, auf dem Menschen gesund, erfolgreich, krea‐ tiv und motiviert bleiben. Gutes Stressmanagement in einer Organisation erhöht die Produktivität und ist ein Motor für den Erfolg. <?page no="146"?> Es sollten nur Vorgesetzte auf allen Ebenen einer Organisation ernannt werden, die eine Leidenschaft für Menschen haben und in der Lage sind, präventives Stressmanagement vorzuleben und zu garantieren. Für die Gesundheit gilt dasselbe wie für ein Bankkonto: Es muss ausgeglichen sein. Wer immer nur abhebt und überzieht, muss eines Tages alles zurückzahlen - mit Zins und Zinseszinsen. In heutigen Organisationen ist der ständige Wandel das einzig sichere. Wandel ist zur Normalität geworden. Organisationen haben keine andere Wahl, als sich ständig und schnell zu erneuern und zu reorganisieren. Und das verursacht Stress. Der Erfolg hängt entscheidend davon ab, ob Organisationen mit Stress konstruktiv umgehen können. Positiver Stress macht kreativer und innova‐ tiver. Er ist der Antrieb für Produktivität, Wachstum und Entwicklung. Gutes Stressmanagement macht den Schwachen stark und den Starken stärker. Stress kann ein Freund sein, der uns beflügelt oder ein Feind, der uns krank macht. Studien zeigen, dass negativer Stress eine hohe Belastung für die Gesellschaft bedeutet. Schlecht gemanagter Stress führt zu hohen wirt‐ schaftlichen Kosten. Zwischen 50 und 60 % der Krankmeldungen werden mit arbeitsbedingtem Stress in Verbindung gebracht. Doch Absentismus ist nur ein Teil davon. Die Verluste durch Präsentismus sind wahrscheinlich noch größer. 146 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="147"?> 5.1 Ist Stressmanagement eine Organisationsverantwortung? Es gibt gute Gründe für gutes Stressmanagement in einer Organisation. Der erste ist ein unzweifelhafter Anstieg von Stress am Arbeitsplatz. In Zeiten, in denen die meisten Organisationen versuchen, mit weniger Mit‐ arbeitern auszukommen, in denen Reorganisation zu einem Synonym für Mitarbeiterabbau wurde, sind einige Organisationen schon an dem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr das Fett, sondern die Muskeln abbauen. Das Ende vom Lied, der Stress nimmt zu. Dieser Trend ist nicht nur in der Informations- und Service-Industrie zu beobachten. Andere Branchen stehen vor den gleichen Herausforderungen. Stress durch physische Arbeit spielt nicht mehr die wichtigste Rolle. Stress verursacht vor allem, richtige und gute Entscheidungen im richtigen Moment zu treffen. Die Arbeitswelt ist vom Muskelzeitalter kommend im Nervenzeitalter angekommen. 5.1 Ist Stressmanagement eine Organisationsverantwortung? 147 <?page no="148"?> Gerade in Zeiten der ständigen Organisationsänderungen ist die Mitarbei‐ terführung entscheidend für den Erfolg einer Organisation. Es nützt nichts, der Konkurrenz da draußen für alles die Schuld zu geben. Wenn eine Organisation oder eine Gesellschaft ihren Wettbewerbsvorteil verliert, liegt die Ursache oft nicht da draußen, sondern hier drinnen. Schließlich gibt es nicht nur humanitäre Gründe für Organisationen, das Thema Stress anzugehen. Schlecht gemanagter Stress kostet uns alle eine Menge Geld. In allen Ländern, wo Berechnungen durchgeführt wurden, hat man festgestellt, Stress verursacht hohe Gesundheitsausgaben. Die Gesellschaft als Ganzes kann nur davon profitieren, wenn wir alle lernen, besser mit Stress umzugehen. Das führt zu signifikanten Einsparungen in allen Organisationen, Unternehmen und Gesellschafften. 148 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="149"?> 5.2 Ist Stressmanagement eine Führungsverantwortung? Manche Vorgesetzte sind immer noch zögerlich, an Stressmanagementtrai‐ nings teilzunehmen. Tief im Innersten glauben sie, dass Stressmanagement das Gegenteil von harter Arbeit ist. Hier einige Kommentare: Stressmanagement liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters. Jeder muss lernen, mit dem Stress, der ein Teil des täglichen Lebens ist, umzugehen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Bei der Arbeit gibt es oft eine Menge von unnötigem, vermeidbaren und kontraproduktivem Stress, der zum großen Teil aus schlechter Men‐ schenführung resultiert. Wir sollten deshalb die Ursachen von unnötigem Stress ausmachen und eliminieren. Stressmanagement macht die Schwachen stark und die Starken stärker. Um optimale Bedingungen für exzellente Leistungen in einer Organisation zu erreichen, ist es nicht genug, dass Führungskräfte mit ihrem eigenen Stress gut umgehen. Die Ergebnisse hängen noch stärker davon ab, wie ihre Mitarbeiter mit Stress umgehen. Wenn wir gutes Stressmanagement nur mit der Behandlung von Menschen verbinden, die bereits krank sind, dann ist das zu wenig. Wir sollten verhindern, dass Menschen zusammenbrechen und ihnen nach einem Zusammenbruch wieder auf die Beine helfen. Das ist das Ziel von 5.2 Ist Stressmanagement eine Führungsverantwortung? 149 <?page no="150"?> gutem präventivem Stressmanagement. Doch bei einigen ist Stress nach wie vor ein Tabu. Manche Führungskräfte würden lieber sterben als offen zuzugeben, dass sie nicht in der Lage sind, mit Stress umzugehen. Wenn sie aber nicht mit ihrem eigenen Stress fertig werden können, wie kann man erwarten, dass sie mit dem Stress ihrer Mitarbeiter fertig werden? Dann ist es auch kein Wunder, dass Stress die Produktivität unterminiert. Die Treppe muss man von oben nach unten kehren. Stressmanagement muss an der Spitze beginnen. Wenn die obere Führungsebene nicht als erstes das Stresstabu durchbricht, wird die mittlere und untere Ebene auch nicht bereit sein, sich auf diesem Gebiet zu engagieren. Es ist wichtig, dass die Organisationsleitung genau weiß, was mit gutem Stressmanagement erreicht werden kann und was die Rolle einer Führungskraft ist. Eine Führungskraft kann ein Team auf verschiedenen Wegen entwickeln und führen. Erstens kann sie das Wissen und die Fähigkeiten vermitteln, dass die Menschen brauchen, um den Job gut zu machen. Haben die Menschen die Werkzeuge, Hilfsmittel, die Informationen und das Training, um mit den Kunden, den Zahlen und den Maschinen klarzukommen? Für die allgemeine Belastbarkeit zu sorgen, ist nicht so schwierig für eine Führungskraft. Sie hat den Zugang zu den nötigen finanziellen Mitteln, und kann das meiste an dritte delegieren. Sie selbst sollte sicherstellen, dass ihr Team befähigt wird, mit speziellen stressverursachenden Situationen bei der Arbeit umzugehen. Beispiele hierfür sind: wie mit aggressiven Kunden umgehen, wie mit Kollegen, die nicht genug leisten, wie mit kulturellen Unterschieden usw. Wenn jemand mit einem Kunden ein schwieriges Gespräch hatte und gestresst wurde, kann er nicht die Vorhänge zuziehen, beruhigende Musik spielen und 20 Minuten lang ausspannen. 150 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="151"?> In Stressmanagement-Trainings sollten kurze Entspannungsmethoden ge‐ übt werden, die während der Arbeit leicht durchgeführt werden können. Die Methoden sollten praktisch sein und Menschen helfen, vor und während stressiger Situationen cool zu bleiben oder trotz Stress schnell wieder in eine gesunde Balance zu kommen. Es ist auch wichtig, Menschen nicht in einen Trainingskurs zu schicken, wenn sie auf ihrer Stresskurve schon weit im negativen Bereich sind. Ist das bereits der Fall, kann ein Kurs eine zusätzliche Belastung darstellen, die das Wohlbefinden noch weiter untergräbt. Ein Trainingskurs ist für die Mitarbeiter am effektivsten, wenn sie im positiven Bereich ihrer Stresskurve sind. Fitnessprogramme, Nichtraucher-Kampa‐ gnen, Gewichtskontrolle oder Alkohol- und Drogenprävention runden die Präventionsmaßnahmen weiter ab. Eine große Herausforderung bei der Stärkung der Belastbarkeit ist für viele Führungskräfte die soziale Unterstützung der Mitarbeiter. Ein Mitar‐ beiter, der sich wirklich unterstützt fühlt, kann mit mehr Stress fertig werden als ein gleich kompetenter Mitarbeiter, der keine Unterstützung hat oder fühlt. Bei der Arbeit bedeutet soziale Unterstützung zuerst und an wichtigster Stelle Unterstützung vom Chef. Damit ist nicht nur sachliche Unterstützung gemeint, wie den Mitarbeitern Hilfsmittel und eine gute Infrastruktur bereitzustellen. Management durch Mails und Memos reicht nicht aus. Menschen brauchen ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut. Persönliche Kommunikation sollte aus 80 % Zuhören und 20 % Reden bestehen. Manche Führungskräfte hören nur auf die Worte. Aber Gefühle 5.2 Ist Stressmanagement eine Führungsverantwortung? 151 <?page no="152"?> sind auch Informationen! Wenn wir wirklich wissen wollen, was los ist, müssen wir auf die Emotionen hinter den Worten achten. Oft ist zu hören, Organisationen kann man nicht mit Gefühlen führen. Mangelt es an per‐ sönlicher Kommunikation fühlen sich Menschen unsicher, was wiederum zu mehr Stress führt. Ebenso wichtig wie die Unterstützung vom Chef ist die Unterstützung durch die Familie. Eine Organisation, die familiäre Beziehungen untergräbt, schadet sich selbst. Es ist die Verantwortung einer Führungskraft, häufige Mehrarbeit oder schlecht geplante Reiseverpflichtungen zu vermeiden. Schichtarbeit z. B. hat nicht nur einen negativen Einfluss auf die biologische Uhr, sie unterminiert auch das soziale Netzwerk, was wiederum einen negativen Einfluss auf die Belastbarkeit hat. Wenn Schichtarbeit unvermeid‐ lich ist, sollte sie mit maximaler Achtsamkeit und optimaler Flexibilität organisiert werden, um Schäden am sozialen Netzwerk der Menschen zu begrenzen. Führungskräfte, welche viel Unterstützung geben, bekommen viel Un‐ terstützung. Führungskräfte, die andere Menschen ermutigen, bekommen selbst die meiste Ermutigung. Führungskräfte, die anderen vertrauen, be‐ kommen das meiste Vertrauen. In den letzten Jahren hat die Arbeitsbelastung auf fast allen Ebenen in Organisationen zugenommen. Weniger Menschen leisten jetzt mehr. Es wird immer eine große Bandbreite von Belastbarkeit unter den Mitarbeitern geben. Deshalb ist ein wichtiger Teil des Stressmanagements, bei allen für erreichbare und machbare Zielsetzungen zu sorgen. Wenn Überstunden zu machen, zur Norm geworden ist, kann das ein wichtiges Alarmsignal und kontraproduktiv sein. Menschen sind perfekt ausgerüstet, um mit Stress fertigzuwerden, sogar starkem Stress, wenn wir genug Zeit zur Entspannung und Erholung haben. Es ist nicht nur die Arbeitsbelastung an sich, die wichtig ist, sondern auch die Möglichkeiten, eine Auszeit zu nehmen. Besonders in Zeiten mit starkem Stress sollten Führungskräfte ihren Mitarbeitern Gelegenheit zur Entspannung und Erholung geben. Denn Mitarbeitern in unsicheren Zeiten eine sichere Orientierung zu geben, ist ein Dilemma für eine Führungskraft. In vielen Organisationen brauchen wir kreative, flexible Mitarbeiter, die maximalen Spielraum für Entscheidungen brauchen, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Mit Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit gilt es konstruktiv umzugehen. Auf der anderen Seite brauchen wir auch Menschen, denen gesagt werden muss, was zu tun ist. Mehr Entscheidungsbefugnis kann 152 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="153"?> die Leistung von anderen Mitarbeitern verbessern, weil es ihnen mehr persönliche Kontrolle gibt. Bei Mitarbeitern, die viel Sicherheit brauchen, kann es jedoch zu einer Verschlechterung der Produktivität führen. Im Allgemeinen gibt es weniger Stress, wenn jeder sich über seine Rolle in der Organisation ganz im Klaren ist. Ein Fallbeispiel ist eine Matrixorganisation, in der Mitarbeiter mehrere Chefs haben, die sie nur selten persönlich treffen. Sie können ins Schwim‐ men kommen und in Schwierigkeiten geraten, wenn die Anordnungen der Chefs zum Teil widersprüchlich sind. Ein anderes Beispiel ist das mittlere Management, das oft zwischen dem unteren und dem Spitzenmanagement steht und nicht genau weiß, auf welche Seite es sich schlagen soll. Bei Menschen ist nicht die objektive Kontrollierbarkeit der Stress-Situa‐ tion das Wichtigste, sondern das subjektive Gefühl, wenn nötig, die Situation beeinflussen zu können. Eine der Klagen, die man öfter hört, ist, dass Mitarbeiter Prioritäten setzen, Pläne machen, mit der Arbeit an einem Projekt beginnen, und Chefs dann mit ihren eigenen dringenden Prioritäten hereinplatzen. Noch schlimmer ist es, wenn dann herauskommt, dass der Chef schon seit Wochen von seinem Problem Kenntnis hatte, aber erst in der letzten Minute damit den Mitarbeiter beauftragt. Um mit diesem Verhalten besser klarzukommen, ist es gut, eine Liste mit den eigenen Prio‐ ritäten zu erstellen und diese Liste jedes Mal zu präsentieren, wenn neuen Anforderungen auf uns zukommen. Mit anderen Worten, es hilft, Chefs in den Priorisierungsprozess miteinzubeziehen. Ein dringender Termin ab und zu kann sehr anregend sein. Aber ständig die eigenen Termine über den Haufen werfen zu müssen, weil der Chef wieder mit einem anderen kommt, verursacht eine Menge negativen Stress. Eine Führungskraft braucht einen Mix aus Persönlichkeiten, damit eine Organisation bestens funktioniert. Das sind alles Menschen mit einem unterschiedlichen Stressbewältigungsstil. Ein guter Fußballtrainer weiß, dass er kein erfolgreiches Team nur aus Torjägern aufbauen kann, die die ganze Medienaufmerksamkeit und die größten Gehälter bekommen. Er braucht auch hart arbeitende Spieler, die die Vorlagen geben, sowie defensive Spieler, die bereit sind, im Schatten der Stars zu stehen. Er weiß auch, wen er fordern kann, wen er beruhigen muss, wen er anfeuern muss und wem er einen Klaps auf den Rücken geben kann. Der Stress des einen ist die Entspannung des anderen. Das gleiche gilt für eine Organisation. Eine Führungskraft muss seine Leute kennen und sich der Vorteile und Nachteile ihrer Persönlichkeiten bewusst sein. 5.2 Ist Stressmanagement eine Führungsverantwortung? 153 <?page no="154"?> Öfter und vor anderen Leuten gestresst zu wirken, kann den Eindruck von emotionaler Instabilität erzeugen. Doch Stress-Sensibilität oder Stresssignale zu zeigen ist nicht unbedingt von Nachteil. Es hat den Vorteil, dass Stress-Signale früher erkannt werden. Wenn es sehr schwer geworden ist, die notwendigen Korrekturen vorzu‐ nehmen, kann es schon zu spät sein. Schauen wir uns folgendes Beispiel an. Hart arbeitende perfektionistische Menschen haben oft mehr Stress als flexible und unbekümmerte Menschen. Doch für viele Aufgaben sind leicht gestresste Menschen oft wertvoller. Es wäre ein Fehler, sie wegen ihres Mangels an Stress-Resistenz nicht einzustellen. In gewisser Weise ist dieser relative Mangel an Stress-Resistenz der Preis, den wir für ihre Qualitäten zahlen müssen. Auf der anderen Seite der Medaille gibt es den Workaholic. Weil es so scheint, als ob er riesige Mengen Arbeit annehmen können, ohne über Stress zu klagen, vergessen wir, dass er oft Nachteile hat, die seine Vorteile aufwiegen können. Ihr übertriebenes Bedürfnis nach Wettbewerb, macht sie oft zu schlechten Teamspielern. Teamarbeit langweilt sie, sie können kaum aufmerksam zuhören und können sich kaum in andere Menschen hineinversetzen. Sie leben in einem ständigen Kampf gegen die Uhr und sehen die Welt nur als Gewinner und Verlierer. Als Führungskraft müssen wir diese Arbeitstiere gut führen, damit sie nicht über ihre eigenen Füße stolpern oder andere über den Haufen rennen. Das Wichtige am Stressmanagement ist, dass wir die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Menschen kennen und dass wir diesen Mix an Per‐ sönlichkeiten im Team optimal einsetzen. Insgesamt gibt es für Organisationen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um mit Stress klarzukommen. Am besten ist, Stress präventiv zu begegnen. Wenn Menschen trotzdem krank werden, sind präventive Maßnahmen nicht mehr ausreichend. Dann ist zusätzlich kuratives Stressmanagement notwendig. In der Abbildung ist ein Werkzeugkasten voll mit in der Praxis bewährten präventiven und kurativen Stressmanagement-Tools zu finden. Gutes Stressmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass präventive und kurative Maßnahmen wie die Elemente eines Puzzles zueinander passen. 154 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="155"?> 5.3 Raus aus dem Hamsterrad! In vielen Organisationen herrscht in Krisenzeiten blanker Aktionismus. Das Motto mancher Führungskräfte lautet: Irgendwas müssen wir doch machen, schließlich tragen wir die Verantwortung. Von unseren Entscheidungen hängt ab, ob es uns in Zukunft noch geben wird. Doch Aktionismus löst Probleme nicht, sondern macht sie oft noch schlimmer. Was wir oft nötiger brauchen, ist mehr Abstand, Überblick und Reflexion - kurzum wir müssen auf die Stressbremse treten und zu dem sich vor uns auftürmenden Berg von Problemen Abstand gewinnen. Bei einem Boxenstopp steigen wir aus dem Aktionismus-Hamsterrad und kümmern uns mit kühlem Kopf um langfristige Lösungen für die wirklichen Herausforderungen des Lebens. Mit einem 360-Grad-Perspektivwechsel schaffen wir uns einen Überblick, bis wir klar vor Augen haben wie wir die Organisation und unser Leben selbstbestimmt gestalten können. In Ruhe gelingt es uns, Hindernisse wegzuräumen und Blockaden zu lösen. So schaffen wir es Organisations- und persönliche Ziele in Einklang zu bringen. Allerdings können auch wir nicht garantieren, dass alle Dinge so laufen, wie wir uns das vorstellen. Wir konnten nicht verhindern, dass in der Coronapandemie Präsenzveranstaltungen nicht mehr möglich waren. Wir können nicht verhindern, dass die Digitalisierung wie ein starker Wind durch die Welt pustet. Doch wir können Windmühlen bauen, um den Wind des Wandels in positive Energie zu transformieren. Wenn wir die gewonnene Energie in Einklang mit unseren Ressourcen bringen, haben wir gute Chancen den Wandel erfolgreich zu bewältigen. 5.3 Raus aus dem Hamsterrad! 155 <?page no="156"?> Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit sind zwei Seiten einer Medaille. In der Coronapandemie ist der Begriff Resilienz an Stelle von Leistungsfähigkeit, Belastung und Beanspruchung in Mode gekommen. Ursprünglich stammt der Begriff Resilienz aus dem Lateinischen und bedeutet zurückspringen, abspringen, abprallen, aber auch sich zusammen‐ ziehen, sich verkleinern, schrumpfen. Im Englischen beschreibt resilient Materialeigenschaften wie elastisch oder unverwüstlich und wird für die Beschreibung der Fähigkeit eines Werkstoffs verwendet, der nach einer Verformung durch Druck- oder Zugeinwirkung wieder in seine alte Form zurückkehrt. Der Begriff soll letztendlich veranschaulichen, ob eine Organisation gegenüber Herausforderungen gewachsen ist. Wenn es um die großen und kleinen Krisen geht, ist Stressresistenz oder Resilienz sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene ein wichtiger Indikator für Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Die Resilienz von Menschen und Organisationen ist davon abhängig, wie viel innere und äußere Ressourcen zur Verfügung stehen, um Belastungen auszuhalten und erfolgreich zu bewältigen. Widerstandsfähige Organisa‐ tionen haben viel Überlebensmut und verlieren trotz Krisen und Stress nie die Hoffnung. Sie meistern mit innerer Stärke und Gelassenheit die Herausforderungen und behalten in Stresssituationen den Überblick und die Kontrolle. Widerstandsfähig oder resilient zu sein, bedeutet nicht, dass man nie ins Wasser fällt. Entscheidend ist die Fähigkeit, weiter zu 156 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="157"?> schwimmen und wieder aufzutauchen. In den letzten Jahren haben sich manche gefragt: Woran lag es, dass Restaurant A während der Pandemie mehr Umsatz machte als vorher und Restaurant B kurz vor der Pleite stand. Woran hat es gelegen, dass ein Unternehmen es geschafft hat, die Krise für sich zu nutzen und ein anderes Unternehmen dauerhaft Schwierigkeiten hat und noch gar nicht richtig weiß, wie es wieder aus der Krise herauskommt? Woran liegt es, dass ein Unternehmen Krisen erfolgreich übersteht und das andere scheitert? Woran liegt es, dass ein Anbieter trotz Pandemie ausgebucht ist und ein anderer kaum Aufträge rein bekommt? Was machen erfolgreiche Organisationen in Krisen besser? 5.4 Ein Blick auf die individuelle Stressresistenz Beim einzelnen Menschen geht es bei der Widerstandsfähigkeit gegen Stress um die Ressourcen, die ein Mensch mitbringt und hat, um Krisen zu bewältigen. Letztlich geht es um die Gesundheit an Leib und Seele, denn nur gesunde Menschen sind widerstandsfähig und flexibel. Sie lassen sich nicht so leicht aus der Bahn werfen und bleiben gelassen. Auch großen Herausforderungen sind sie gewachsen. Sie sind nicht so schnell überlastet und können Druck lange standhalten. Resiliente Menschen gehen auch mit mehr Gelassenheit durchs Leben. Sie können sich mit unveränderbaren Tatsachen arrangieren und schaffen es, sich klar abzugrenzen. Sie sehen Krisen als Chancen zur Veränderung. Sie können veränderte Bedingungen oder plötzlich auftretende Probleme mit kognitiver Flexibilität bewältigen. Sie sind emotional stabil und lassen sich auch bei Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen. Das ist wichtig, um die Vorhaben konsequent zu verfolgen zu können und nach Rückschlä‐ gen wieder auf die Erfolgsspur zu finden. Diese Eigenschaften zeichnet stressresistente Menschen aus. Auch im Team erholen sie sich schneller von Rückschlägen, weil sie schnell auf Veränderungen reagieren und die Ressourcen den Anforderungen schnell anpassen können. 5.5 Stressresistenz von Organisationen Dem was widerstandsfähige Organisationen ausmacht, ist eine Experten‐ gruppe der International Organization for Standardization nachgegangen. 5.4 Ein Blick auf die individuelle Stressresistenz 157 <?page no="158"?> Sie hat Resilienz in Organisationen untersucht, und in der ISO-Norm ISO 22317: 2017 Security and resilience - Principles and attributes zusammenge‐ fasst. Die Norm betrachtet alle Aspekte, welche die Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit einer Organisation stärken können. Dabei wurden neun Faktoren identifiziert, die Unternehmen widerstandsfähig machen: Visionen und Ziele leben, Marktbeziehungen stärken, befähigend Führen, Ressourcen sicherstellen, Kultur schaffen, Wissen teilen, interdisziplinär ko‐ operieren, proaktiv verändern und kontinuierlich verbessern. Auch die Eva‐ luation von Resilienzfaktoren sind in der Norm beschrieben. Die ISO-Norm ist ein guter Leitfaden für Strategien, um Organisation resilienter zu machen. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur Es ist keine leichte Aufgabe, eine ganze Organisation auf neue Ziele auszurichten und alle Mitarbeiter dorthin mitzunehmen. Eine resiliente Organisation ist mit einer Windmühle vergleichbar: Sie lässt sich vom Wind nicht umwerfen. Im Gegenteil ihre Flügel verwandeln den Wind des Wandels in Energie, um sogar noch gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Resiliente Organisationen besitzen innere Stärke. Wie die Muskulatur durch Training wächst in ihr der Rückhalt. Organisationen, die in turbulenten Zeiten überleben, sind geprägt durch Zusammenhalt auf allen Hierarchieebenen. Geteilte Ziele und innovative Ideen sind von Vertrauen in die Führung begleitet. Die Führungskräfte geben Orientierung und ermutigen die Mitarbeiter Verantwortung zu über‐ nehmen und sich aktiv an den Entscheidungen zu beteiligen. Sie teilen grundlegende Überzeugungen, Werte, Wissen und Informationen, damit alle in der Organisation davon profitieren können. Die Mitarbeiter werden in ihrer Entwicklung unterstützt und dort eingesetzt, wo sie am meisten gebraucht werden. Sie nutzen Technologien und finanzielle Mittel, um die Arbeitsprozesse zu verbessern, Schwachstellen zu beheben und die Handlungsfähigkeit der Organisation auch dann zu garantieren, wenn unvorhergesehene Ereignisse ihnen das Leben schwer machen. Ständige Verbesserung sind auf allen Ebenen der Organisation als Prinzip etabliert. Die Umsetzung dieses Prinzips wird durch systematische Evaluationen, einen transparenten Umgang mit Feedback und eine konsequente Reflexion der organisationalen Prozesse, Strategien und Ziele unterstützt. Die Orga‐ nisation lässt sich auch von grundlegend neuen Umständen nicht aus der 158 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="159"?> Bahn werfen. Vielmehr passt sie sich diesen Umständen flexibel an und nutzt sie im besten Fall zu Ihren Gunsten. So werden Produktivität, Identität und das Vertrauen der Mitarbeiter auch in einem Umfeld bewahrt, in dem der Wandel die einzige Konstante ist. Dank ihrer Stressresistenz bewältigt die Organisation turbulente Entwicklungen flexibel und meistert den Wandel souverän. Führungskräfte im Stress Ein Termin jagt den nächsten, Kommunikation auf allen Kanälen, Arbeits‐ anweisungen rund um die Uhr, die Anforderungen im Job steigen, und damit wächst der Stress. Wie können Führungskräfte und Ihre Mitarbeiter der Geisel Stress entkommen? Führungskräfte sind in einer Sandwich-Po‐ sition und dadurch doppelt belastet. Auf der einen Seite müssen sie auf die Einhaltung der Terminvorgaben und der Produktivität achten - das verursacht Stress. Auf der anderen Seite haben sie dafür Sorge zu tragen, dass bei ihren Mitarbeitern kein kontraproduktiver Stress erzeugt wird. Mehr Verantwortung, weniger Sicherheit, der Stress der Führungskräfte nimmt zu. Wenn alles über den Kopf zu wachsen droht, fragen sie sich, wie können wir die Situation noch längerfristig bewältigen, ohne selbst Schaden zu nehmen? In schlanken Organisationen besteht immer weniger die Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen. Die Beanspruchung steigt, Arbeitszeiten ufern aus, die Fehlertoleranz wird immer geringer, die Arbeitswelt ist schnelllebiger und einem ständigen Wandel unterworfen. Führungskräfte tragen viel Verant‐ wortung und sind einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt. Sie müssen sich sowohl gegenüber ihren Vorgesetzten als auch ihren Mitarbeitern behaupten und geraten dadurch leicht in einen Rollenkonflikt. Oft haben Führungskräfte auf dem Weg nach oben sich abtrainiert, auf Belastungszei‐ chen des eigenen Körpers zu achten. Die Hoffnung, der Stress werde sich auf der höheren Karrierestufe verringern, erweist sich als Trugschluss. Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen, hilft nur, auf die Stressbremse zu treten und bei einem Boxenstopp ausreichend Führungskompetenz aufzutanken. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 159 <?page no="160"?> Führungskräfte als Stressmanager Auf der einen Seite werden an Menschen in Führungspositionen hohe Anforderungen gestellt, auf der anderen Seite haben sie auch Macht und Entscheidungsbefugnisse, um die Vorgänge zu steuern. Wenn sie ihren Handlungsspielraum gut nutzen, können sie krankmachenden Stress in den Griff bekommen. Schließlich tragen Führungskräfte nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch für die ihres Teams Verantwortung. Wenn Arbeitsmittel fehlen, Arbeitsanweisungen widersprüchlich sind, wichtige Informationen fehlen oder Zuständigkeiten unklar sind, entsteht Stress. Gutes Selbstmanagement ist zwar ein Schlüssel zu entspannten Arbeiten, aber wenn der Drucker ständig streikt und die Unterlagen nie ankommen, hilft auch eine konstruktive innere Haltung nichts. Dann ist die Führungskraft gefragt und muss an den wichtigen Stellschrauben drehen. Wenn das Problem erst einmal benannt und dem Chef bekannt ist, können Stressoren wie fehlende Arbeitsmittel oder ungünstig strukturierte Arbeitsabläufe meist schnell abgestellt werden. Führungskräfte haben für gesunde Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen und ihre Mitarbeiter zu einem gesunden Arbeitsstil zu ermuntern. Wenn sie in einen gesunden Lebensstil auch noch vorleben, umso besser. Geringe Fehlzeiten werden die Folge sein: ein handfester ökonomischer Vorteil für jede Organisation. 160 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="161"?> Wertschätzende Kommunikation Ein Vorbild wirkt mehr als tausend Worte. Führungskräfte müssen selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Sie dürfen nicht in Hektik verfallen und die Mitarbeiter durch ihr Verhalten zusätzlich unter Druck setzen. Eine Führungskraft sollte deutlich machen, dass sie im Notfall immer ansprech‐ bar ist, zu ihren Mitarbeitern steht und ihnen Fehler verzeiht. Förderlich für gutes Arbeiten ist eine wertschätzende Grundhaltung im ganzen Team und ein offenes Miteinander. Wenn eine Organisation strukturelle Stressoren entlarven möchte, führt kein Weg an offener Kommunikation vorbei. Ist ein Mitarbeiter anders als sonst, z. B. zittrig, angespannt oder hat er ständig einen roten Kopf, dann sollte man ihn direkt darauf ansprechen können. Wichtig ist eine offene, wertneutrale Frage, die dem Mitarbeiter Raum für ehrliche Antworten gibt. Wenn der Chef hingegen in rauem Ton wissen will, ob es ein Problem gebe, könnte sich der Befragte schnell angegriffen fühlen und in sein Schneckenhaus zurückziehen. Stressmindernd wirken außerdem Freiräume in der Arbeitsgestaltung. Menschen mit hoher Arbeitsbelastung und großem Handlungsspielraum sind gesünder als Menschen mit hoher Belastung und geringem Handlungsspielraum. Selbstbestimmtes Arbeiten erzeugt Schwung und positiven Stress. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 161 <?page no="162"?> Stress hat man nicht - man macht ihn sich Stress ist, wie in den vorherigen Abschnitten bereits erläutert, nicht grund‐ sätzlich negativ. Es gibt positive belebende Stresserlebnisse, den sogenann‐ ten Eustress, der zu Höchstleistungen motiviert, und es gibt den negativen, lähmenden Distress. Nicht der Stressor entscheidet über Eustress oder Distress, sondern die Bewertung in unserem Kopf und Bauch. Manche Führungskräfte geraten richtig ins Schwärmen, wenn sie von ihren Aufgaben erzählen. Sie brauchen allerdings manchmal erst einen äußeren Anstoß, um ihr großes Engagement mit ihren persönlichen Be‐ dürfnissen in Einklang zu bringen. Ist das der Fall, sollten bei diesen Führungskräften die Alarmglocken schrillen. Denn Führungskräfte, die sich aufopfern und ständig über ihre Grenzen gehen, sind noch lange keine guten Chefs. Oft ist das Gegenteil der Fall. Die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, in die Work-Life-Balance von Chefs zu investieren, setzt sich in manchen Organisationen nur schwer durch. Denn die Priorität Arbeit schnürt wie das Coronavirus im Alltag manchmal die Luft ab. Von Zeitsouveränität ist der Arbeitsalltag vieler Chefs noch Lichtjahre entfernt. Müsste Hilfe nicht da ansetzen, wo die Probleme entstehen, nämlich am eigenen Arbeitsplatz. In Pandemiezeiten wurden immer mehr virtuelle Stressmanagementtrai‐ nings angeboten. Live-Online-Seminare konnten vom eigenen Schreibtisch aus absolviert werden und stehen jederzeit als Aufzeichnung zur Verfügung. Führungskräfte können sich bei freier Zeiteinteilung, wann immer es ihnen passt, mit dem Kurs beschäftigen. Stressmanagement per Blended-Learning 162 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="163"?> ist ein wertvoller Baustein der Stress- und Gesundheitsprävention geworden und besonders attraktiv für Führungskräfte. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Tele-Lern-Angebote ist allerdings die Qualifizierung der Personen, wel‐ che die Lernprozesse gestalten und begleiten sowie die Medienkompetenz der Teilnehmer. Ständigen Krisen nehmen uns in den Schwitzkasten Die aktuellen Krisen haben uns alle kalt erwischt. Wir sind gefordert wie selten zuvor. Selbständige bangen um ihre Existenz. Eltern versuchten, den Spagat zwischen Homeschooling und Homeoffice hinzukriegen. Ärzte, Pfleger arbeiteten am Limit. Und über allem schwebt eine tiefe Unsicherheit, wie es weitergeht - und wann wir wieder bessere Zeiten erleben werden. Erstaunlich ist: Während manche den Kopf in den Sand stecken und in eine Art Schockstarre verfallen, scheinen die Krisen an anderen förmlich abzuperlen. Keiner kann behaupten, dass schnelles Umschalten leicht ist. Um Krisen gut zu überstehen, ist vor allem Belastbarkeit, innere Stärke, Widerstandskraft oder Resilienz gefragt. Resilienz ist dann wie Musik in den Ohren, die uns das beruhigende Gefühl vermittelt: Wir schaffen das! Uns wirft nichts aus der Bahn. Und am Ende des Tages werden wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen! Resilente Menschen haben die Ressourcen und Fähigkeiten, trotz widriger Umstände und Rückschläge wieder auf die Beine zu kommen. Sie wissen, wie sie mit Schwierigkeiten umgehen können, besinnen sich auf ihre Stärken und machen einfach weiter. Sie sind es leid sich ständig runterziehen zu lassen. Sie wollen etwas tun und haben einen festen Stand, so dass sie von Widrigkeiten und Schicksalsschlägen nicht umgeschubst werden. Sollten sie trotzdem einmal stolpern, bleiben sie nicht liegen, sondern stehen gleich wieder auf. Als Stehaufmännchen trotzen sie den Stürmen des Lebens und gehen oft sogar gestärkt aus schwierigen Situationen hervor. Mit innerer Stärke Krisen überwinden Wir alle kennen Menschen, die mit einem Schutzschild durchs Leben gehen? Wenn Krisen oder Schicksalsschläge sie aus der Bahn werfen, schaffen sie es trotzdem weiter‐ zumachen. Druck und Stress werfen sie nicht um, sondern machen sie noch stärker. Wo andere Menschen in Depressionen, Suchterkrankungen oder im Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 163 <?page no="164"?> Burn-Out landen, bleiben sie gesund. Sie sind widerstandsfähig. Es gibt auch Organisationen, die nach Corona den Krisenmodus abschütteln und mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Es sind Organisationen mit Menschen, die mit innerer Stärke durch ihr Leben gehen, die in Krisen Chancen sehen und auch bei Schwierigkeiten wieder den Weg zurück ins Leben finden. Was unterscheidet Organisationen, die scheinbar mit Leichtigkeit Pro‐ bleme lösen, Krisen bewältigen, überwinden und wieder zur Normalität zurückkehren können, von denen, die in der Krise stecken bleiben? Die Kompetenz für herausfordernde Zeiten ist Resilienz, das in den letzten Jahren zu einem Zauberwort für Belastbarkeit geworden ist. In schweren Zeiten brauchen wir besonders einen kühlen Kopf und klare Gedanken. Gedankenhygiene heißt die Energietankstelle und Ladestation für Verstand, Seele und Körper. Mit einem gut gefüllten Lebens-Energie-Tank sehen wir das Licht am Ende des Tunnels. Wir spüren, was in unserem Leben wirklich wichtig ist und wie wir auch in unsicheren Zeiten Erfolge genießen können. Wenn Menschen ihren Job von einem Tag auf den anderen verlieren, stehen sie statt auf der nächsten Stufe der Karriereleiter vor dem Nichts. Oder wenn unser Partner oder ein Mensch aus unserem familiären Umfeld schwer erkrankt, ist nichts mehr in unserem Leben, wie es einmal war. Es gibt Schicksalsschläge, da brauchen wir unsere ganze Kraft, um damit klar‐ zukommen. Es gibt Menschen, die werden damit fertig und andere, die macht es fertig. Schicksalsschläge lassen den Stress stark in uns hochkochen. Bevor unsere Sicherungen rausfliegen, müssen wir auf die Stressnotbremse treten. Bei einem Boxenstopp sammeln wir Kraft, ordnen unsere Gedanken und entwickeln eine neue Strategie, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Führungskräfte unter der Lupe Loyale Mitarbeiter sind nicht nur in Krisen wichtig. Mitarbeiterloyalität spielt auch im normalen Arbeitsalltag eine wichtige Rolle. Ob es um Ver‐ besserungen oder Mehrarbeit geht, loyale Mitarbeiter sind dabei, wenn es um gute Leistung geht. Mitarbeiterloyalität basiert auf Begeisterung und hängt stark davon ab, wie zufrieden ein Team mit der Teamleitung ist. Wenn Menschen vom Gehalt begeistert sind, reicht das nicht, denn das können sie auch woanders bekommen. Mitarbeiter müssen von der Kultur einer Orga‐ nisation begeistert sein. Eine gelebte Kultur mit Werten, die offensiv durch das, was die Organisation macht und wie sie es macht, vertreten werden, 164 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="165"?> sind wichtig. Wenn das Miteinander von der Leitung bis zu den Kollegen von einem gesunden Arbeitsstil geprägt ist, entsteht ein Klima, das sich in guten Ergebnissen niederschlägt. Woanders mag man vielleicht mehr verdienen, doch wenn die Arbeitsatmosphäre, die im Betrieb herrscht, einzigartig ist kann eine Organisation damit punkten. Hohe Anforderungen, Druck und Stress durch ständige Veränderungen können Menschen demotivieren und frustrieren. Eine hohe Mitarbeiterloyalität wirkt wie eine Booster Impfung auf die Belastbarkeit, Arbeitszufriedenheit und den langfristigen Erfolg. In einer Organisation von Workaholikern herrscht eine schlechte Stimmung. Workaholiker haben zu wenig Vertrauen in die selbstständige Arbeit der Mitarbeiter. Sie können Fehler nicht eingestehen, reagieren gereizt auf Kritik und sind ungeduldig. Sie versuchen ihre Vorstellungen mit Drohung und Druck, statt mit guten Argumenten durchzusetzen. Workaholics haben eine hohe Leidensbereitschaft für den Job aber wenig Sensibilität für den eigenen Körper. Sie gelten z.-B. als Powerfrau in hohem Maße belastbar und immer verfügbar. In der Doppelrolle als Beraterin und Mutter sind sie 16 Stunden täglich im Einsatz. Bis irgendwann gar nichts mehr geht. Sie fühlen sich ausgebrannt und gesundheitlich angeschlagen. Sie hecheln non-Stopp auf einer rasanten Aufholjagd hinterher. Nach einem Leben auf der falschen Spur finden sie sich plötzlich auf dem Standstreifen. Mit dieser Erfahrung sind sie nicht allein. Die Arbeitsausfälle durch mentalen Knockout und psychische Störungen sind alarmierend. Sie entwickeln sich unaufhaltsam nach oben. Alarmzeichen von Stress zu ignorieren und erst zu reagieren, wenn der Körper rebelliert, ist zu spät. Ein schlechter Führungsstil muss vorher auf den Prüfstand. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 165 <?page no="166"?> Die Warnsignale des eigenen Körpers sind ein guter Frühindikator von zu viel Stress. Die Sensibilität für den eigenen Körper und die Empathie für andere ist bei Workaholikern oft sehr schwach ausgeprägt. Sie haben die Fähigkeit verloren, die ersten Anzeichen von Stress wahrzunehmen. Das hat fatale Folgen. Wer die Anspannung nicht registriert, sorgt auch nicht für Entspannung. Workaholics spüren erst den eigenen Körper, wenn es zu massiven Störungen gekommen Krankheiten ist. Dabei können Schreib‐ tischtäter von Spitzensportlern viel lernen. Spitzensportler wissen wie man den Pulsschlag auf 180 bringt und können ihn mit gezielten Entspannungs‐ übungen wieder auf 60 herunterfahren. Gute Führung ist, wenn der Chef weiß, wie er sein Team in Schwung bringt, um Spitzenleistungen zu erzielen und wann sein Team eine Auszeit bei einem Boxenstopp braucht. 166 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="167"?> Ein einziger fauler Apfel kann alle anderen verderben, heißt es im Volks‐ mund. Ein einziger unruhiger Rabe macht die ganze Rabenschar nervös und ein schlecht gelaunter Schimpansen-Boss ruiniert die Stimmung der Herde. Gefühle sind wie das Coronavirus ansteckend und werden von Mensch zu Mensch durch Stimmungen übertragen. Unser Gehirn ist ein Meister in der Nachahmung. Wenn ein Miesmacher gähnt, gähnen die anderen mit. Ein lustlos agierender Vorgesetzter verdirbt selbst Muntermachern die gute Laune. Das Gute ist allerdings: Gefühlsansteckung funktioniert auch andersrum! Eine gute und motivierte Führungskraft kann neuen Schwung und Begeisterung in ein bisher mäßig motiviertes Team bringen. Aber nur, solange Miesepeter nicht die Oberhand gewinnen. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass Chefs in der Lage sind, Munter‐ macher von Mitmachern zu unterscheiden und Miesmacher zu stoppen. Als Chef müssen Sie das Team vor Stress schützen. Nur Muntermacher sind gute Chefs. Sie wirken mit ihrem Verhalten hochgradig ansteckend und sorgen für ein gutes Betriebsklima. Sie motivieren und reißen die Mitmacher mit. Sie stoppen Miesmacher und Lästermäuler, die andere nur demotivieren. Sie halten Meinungsdifferenzen aus und sind auch bereit, dazuzulernen. Menschenkenntnis macht den Unterschied Je besser das Gefühl für die eigene Persönlichkeit entwickelt ist, umso besser gelingt es uns, andere Menschen richtig einzuschätzen. Führungskräfte mit Einfühlungsvermögen begegnen anderen Menschen respektvoll. Sie denken Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 167 <?page no="168"?> an das Wohl aller und halten Abstand von Handlungen, die nur ihrer eigenen Karriere nutzen. Die Menschen wissen, worauf es bei guter Führung ankommt. Es ist eine Tatsache, dass Spitzenkräfte Organisationen aufgrund schlechter Behandlung durch Vorgesetzte verlassen. Führungskräfte tragen eine enorme Verantwortung für Stimmung und Klima in der Organisation. Wenn sie einen schlechten Führungsstil pflegen, schädigen sie das Organi‐ sationsklima nachhaltig. Guter Chef = gute Mitarbeiter Vorgesetzte müssen vor Stress durch destruktives Verhalten schützen. Muntermacher sind Führungskräfte mit Herz und Hirn. Muntermacher wollen und brauchen keine Vorgesetzten, nach deren Pfeife sie tanzen müssen. Vorgesetzte müssen sie nicht antreiben und kontrollieren, sondern bremsen, damit ihr unermüdliches Engagement nicht auf Kosten ih‐ rer Gesundheit und Familie geht. Sie schießen die Tore für die Organisation. Muntermacher sind Führungskräfte, die gute Organisationen auszeichnen. Sie brennen auf Erfolge, denken unternehmerisch und sind überdurchschnittlich motiviert. Sie möchten nur in einer Organisation arbeiten, deren Ziele und Werte sie teilen. Sie erreichen nicht nur ihre eigenen Ziele, sondern möchten gemeinsam die Ziele der Organisation übertreffen. Sie haben eine Vision, die nicht nur gut aussieht, sondern auch konkret umsetzbar ist. Als Führungskräfte sind sie in der Lage den Wandel zu initiieren und zu kommunizieren. Sie bringen einen leidenschaftlichen Einsatz und ent‐ scheiden zügig. Sie lassen sich von Hindernissen nicht stoppen, sondern überwinden sie. Sie sind Innovationen gegenüber aufgeschlossen und hoch‐ sensibel, wenn es um Kundenbedürfnisse geht. Sie haben keine Angst vor unbeliebten Entscheidungen und kuschen nicht bei Konflikten. Mun‐ termacher stellen Muntermacher ein. Sie formen zielgerichtet ein Team, das Ergebnis orientiert handelt. Sie sind absolut transparent und besitzen erstklassige mündliche und schriftliche Fähigkeiten. Ihr Team übertrifft die Erwartungen der Kunden. 168 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="169"?> Mitmacher tun nur das, was unbedingt sein muss. Sie machen Dienst nach Vorschrift und wenn jemand das Kommando dazu erteilt. Mit einer sogenannten freizeit‐ orientierten Schonhaltung gehen sie Überstunden und Mehrarbeit aus dem Wege. Sie fallen weder negativ noch positiv auf. Die Vorgesetzte sind damit beschäftigt, sie zu beschäftigen. Das hat oft zur Folge, dass sie es unter Zeitdruck lieber gleich selbst machen. Am Wandel beteiligen sie sich nur vorsichtig und in kleinen Schritten. Sie folgen willig, aber nicht begeistert. Manchmal sind sie hochmotiviert, manchmal aber auch nur durchschnittlich engagiert. Sie haben das Bewusstsein der Kunde ist König, doch sie erfüllen die Kundenwünsche nicht so konsequent wie die Muntermacher. Sie wollen zwar Teamarbeit, tun aber zu wenig dafür. Bei Windstille zeigen sie Charakter. Im Sturm dagegen lassen sie zu wünschen übrig und haben noch Luft nach oben. Miesmacher stören nicht nur den Betriebsfrieden, sondern sind echte Stressfaktoren. Als Störfaktoren sorgen sie für Unruhe im Team. Für gute Mitarbeiter ist diese Umgebung ein wirklich ernstes Problem. So macht Arbeiten keinen Spaß. Jeder Tag mit Kollegen zusammenzuarbeiten, die gute Gedanken abblocken, fühlt sich so an, als würde man ständig gegen Wände rennen. Eine gute Ausbildung und viel Erfahrung sind notwendig, um Konflikte durch destruktives Verhalten von Mitarbeitern zuverlässig zu lösen. Es braucht unkonventionelle Impulse und Sichtweisen, die alle Beteiligten zum Hinterfragen und Weiterdenken anregen. Um destruktiven Stress im Team zu eliminieren, bedarf es der hohen Kunst des Streitens. Der häufigste Grund, warum Konflikte nicht angesprochen werden, ist Versagensangst. Nachher gehe ich das falsch an, und dann? Wie kommen wir aus der Zwickmühle wieder heraus, denn wir sind extrem gestresst und extrem passiv? Die Stressbremse in dem Dilemma: Wir lösen die Konfliktbremse, indem wir Widerstände bei uns und den anderen (er)kennen und konstruktiv bearbeiten. Wie mit einem Brillencleaner sehen wir klarer und gewinnen befreiende Energie und Kreativität, um den gordischen Knoten zu lösen. Aus Gegenspielern werden wieder Mitspieler. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 169 <?page no="170"?> Chefs als Vorbild und Schutzschild Auf die Chefs kommt es im doppelten Sinn an, denn sie können Mitarbeiter nur dorthin bringen, wo sie selbst stehen. Schaffen sie es, ihr Team ganz vorne mitspielen zu lassen oder sind sie Chefs aus der Hölle, die Angst und Schrecken verbreiten. Letztere Chefs verhalten sich respektlos und die Arbeitszeiten bei ihnen sind abartig. Niemand würde auf die Idee kommen, bei ihnen zu arbeiten oder anderen empfehlen, sich bei ihnen zu bewerben. 20 % Unzufriedenheit wiegen schwerer als 80 % Zufriedenheit. Ehrgeizige und engagierte Menschen suchen nicht nur einen Job. Sie wollen stolz auf ihren Arbeitgeber sein. Ein guter Ruf und strahlendes Image sind ihnen wichtig, auf dass kein Schatten durch Miesmacher fällt. Ist das Gesamtbild stimmig, wird die Organisation zu einem Bewerbermagnet. Gute Chefs sehen sich als Mentor und begleiten ihre Mitarbeiter als Coach. Sie fördern ihre Karriere, indem sie ihnen Verantwortung übertragen und genügend Spielraum geben, um eigene Ideen umzusetzen. Eigenver‐ antwortliches Handeln ist bei ihnen erwünscht und wird gefördert. Sie schaffen auch eine positive Fehlerkultur. Fehler werden nicht bestraft, sondern als ein Lernfaktor gesehen. Wenn Not am Mann ist, packen sie im operativen Geschäft selbst mit an. Sie sind sich für die Arbeit auch nicht zu fein, die Untergebene machen. Sie können gut kommunizieren und gut zuhören. Mit einfacher und klarer Sprache können sie Mitarbeiter überzeugen. Sie besitzen angemessenes Einfühlungsvermögen und teilen Informationen und Wissen. Gute Führungskräfte sind bereit, Macht mit ihren Mitarbeitern zu teilen. Sie machen ihre Entscheidungen transparent, damit das Team die Hintergründe erkennen und verstehen kann. Eine gute Führungskraft arbeitet zielorientiert und kann das Team auf Kurs halten. Sie kennt die Praxis und trifft Entscheidungen nicht nur auf theoretischer Basis. Sie informiert sich persönlich in der jeweiligen Abteilung über Abläufe, Probleme und praktische Erfahrungen, um die Arbeit und Umsetzung in der Praxis besser zu verstehen. Hervorragende Führungskräfte haben verstanden, dass es nicht darum geht, mit dem eigenen Team besonders zu glänzen und andere Teams im Unternehmen auszubooten. Sie sehen ihr Team als Teil des Ganzen und wissen das Ganze ist mehr als die Summe der Teile. Gute Führungskräfte sitzen Probleme nicht aus, sondern treffen aktiv auch unangenehme Ent‐ scheidungen. Sie bringen Dinge voran und verhindern Stillstand. Auch an Mitarbeiter im Homeoffice schaffen sie es, Aufgaben gut zu delegieren und 170 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="171"?> den Mitarbeitern ausreichend Entscheidungsspielraum einzuräumen. Sie wissen, bei virtueller Führung geht es um mehr als die richtigen Tools und Techniken. Es kommt darauf, die Mitarbeiter in ihrer speziellen Situation zu erreichen, sie zu motivieren und ihr Teamgefühl aufrecht zu erhalten. Nach Perlen tauchen Wenn Organisation den Bach runter gehen, liegt es in erster Linie an den Menschen. Die Kompetenz der Menschen entscheidet über Wohl und Wehe einer Organisation. Nicht die Umstände oder der Markt sind schuld, sondern in erster Linie die Führung. Organisationen klagen immer wieder über den Fachkräftemangel. Ein Kampf um die besten Talente ist entbrannt. Ein arabisches Sprichwort sagt: „Ein Heer von Schafen, das von einem Löwen geführt wird, schlägt ein Heer von Löwen, das von einem Schaf geführt wird.“ Natürlich kann auch ein Spitzenchef mit schwachen Mitmachern und Miesmachern kein Spitzenergebnis erzielen. Ein Spitzenteam zu entwickeln ist eine Führungsaufgabe, die bei der Personalauswahl beginnt. Viele schlagzeilenträchtige Niedergänge von Unternehmen hatten ihre Wurzeln nicht in den Fabrikhallen, sondern in der Chefetage. Wenn manche Führungskräfte jetzt das Gefühl haben, man wolle ihnen nur den Schwarzen Peter zuschieben, täuschen sie sich. Oft werden Chefs vom Alltagsgeschäft zu sehr absorbiert, um ständig langfristige Entwicklungen im Auge zu behalten. Sie sind besorgt, ob sie Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 171 <?page no="172"?> angesichts einer auf sie niederprasselnden Informationsflut die wichtigsten Daten noch auf dem Schirm haben. Bei jeder Neueinstellung sind sie verun‐ sichert, ob sie wirklich den optimalen Mitarbeiter gefunden haben. Sie sind genervt von den kaum Engagierten im Team, die nur Dienst nach Vorschrift machen. Sie sind frustriert von einem Arbeitsrecht, das die Trennung von unfähigen Mitarbeitern zu einem kostspieligen Hindernislauf macht. Und viele von Ihnen sind von dem aufreibenden Job einfach nur müde, müde, müde. Gerade in dieser schwierigen Zeit, ist alles nicht so einfach. Organisation zum Leuchten bringen Organisationen mit Leuchtturm-Charakter haben genügend Bewerbungen. Sie suchen an den richtigen Stellen? Die besten Talente sind diejenigen, die bereits angestellt sind und mit ihrem derzeitigen Job zufrieden sind. Sie sind nicht aktiv auf der Suche nach einem neuen Job, sie sind auch nicht in Jobbörsen oder auf Jobmessen zu finden. Um diese versteckten Perlen zu finden, muss man an anderen Orten suchen. Suchen wir auf Networking-Veranstaltungen oder Branchenkonferenzen oder suchen wir nach Mitarbeitern bei Marktführern, die wir bewundern. Top-Talente haben viele Eisen im Feuer, und sie entscheiden sich für die Organisation, welche vorne mitspielt und das beste Portfolio aus Gehalt, Sozialleistungen und Work-Life-Balance hat. Um für solche Talente attraktiv zu sein, muss man neben einem wettbewerbsfähigen Vergütungspaket auch die richtige Spra‐ che sprechen. Die besten Leistungsträger bestimmter Berufsgruppen haben ganz bestimmte Verhaltensmuster und Denkweisen. High Performer sind am schwierigsten zu finden. Wir brauchen die richtigen Instrumente, um an sie heranzukommen. Traditionelle Hiring-Methoden reichen da schon lange nicht mehr. Der beste Weg, um Muntermacher wie ein Magnet anzuziehen, ist eine Kombination von Online- und Offline-Tools. Am wichtigsten aber ist, gute Kontakte zu guten Leuten zu haben, denn gute Leute kennen gute Leute. Spitzenteams Damit eine Organisation auf Erfolgskurs bleibt, ist entscheidend, dass Chefs nicht nur im, sondern auch an der Organisation arbeiten. Schlechte Chefs werden nie Talente für ihre Organisation gewinnen und auch kein Spitzenteam entwickeln können. Chefs können Mitarbeiter nur dorthin 172 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="173"?> bringen, wo sie selbst stehen. Die Frage ist, wo schlägt ihr Herz? In welcher Liga wollen sie spielen? Wie sich als attraktiver Arbeitgeber am Markt positionieren? Wie einzigartig werden und ein Alleinstellungsmerkmal eta‐ blieren? Was sind die größten Herausforderungen? Wie werden Mitarbeiter zu Mit-Unternehmern? Haben sie die besten Mitarbeiter und wie fit sind die Führungskräfte? Wie stark ist die Bindung der Mitarbeiter? Auf dem Gipfel angekommen, stellt sich die wichtige Frage: Wie bleiben wir an der Spitze? Wie können sie die Spitzenleute an sich binden? Entscheidend sind integre Persönlichkeiten, um in turbulenten Zeiten bestehen zu können. Nur diejenigen können eine Organisation führen, die sich selbst gut führen können. Wie kann man aus einem Durchschnittsteam ein Spitzenteam machen? Diese Frage stellt sich jeder, der Teams coacht und weiterentwickelt. Aus Erfahrung wissen wir, dass selbst bei guter Zusammenarbeit immer wieder Konflikte entstehen, die für schlechte Stimmung sorgen und die Weiterentwicklung des Teams ausbremsen. Anders als im Privatleben können wir unser berufliches Umfeld nicht frei wählen. Oft sind wir gezwungen, mit Persönlichkeiten zusammenzu‐ arbeiten, die unserer eigenen gänzlich zuwiderlaufen. Genau an dieser Schnittstelle entstehen die Probleme. Der Gewissenhafte versteht nicht, warum Impulsive wichtige Entscheidungen übers Knie brechen. Schüchterne finden Selbstbewusste einfach nur überheblich. Der Schlüs‐ sel zum gemeinsamen Erfolg ist die Kommunikation. Damit Menschen Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 173 <?page no="174"?> trotz unterschiedlicher Wesenszüge erfolgreich zusammenarbeiten können, müssen sie sich gegenseitig verstehen. Jedes einzelne Team-Mitglied muss akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich ticken und alle müssen die unterschiedlichen Stärken und Bedürfnisse der anderen erkennen und anerkennen. Nur dann ist ein Team dazu in der Lage, einzelne Potenziale zu gemeinsamer Stärke zu bündeln. Probleme mit anderem Verhalten sind teamintern offen anzusprechen. Und zwar nicht erst dann, wenn das Fass zum Überlaufen gekommen ist. Und auch nicht in einem Ton, der alle gleich auf die Palme bringt. Besser ist eine verständnisvolle Art und Weise der Kommunikation, die es dem Team ermöglicht, Spannungen erfolgreich zu lösen und mit Schwung Großes gemeinsam zu erreichen. Hart in der Sache - sanft zu Personen Man erzieht durch das, was man sagt, noch mehr durch das, was man tut, am meisten aber durch das, was man ist. Mehr führen, weniger managen. Managen heiß steuern von Geschäftsabläufen. Führen heißt steuern von Zusammenarbeit und Menschen für die gemeinsame Sache begeistern. Die Aufgaben einer Führungskraft sind sehr komplex und unglaublich herausfordernd. Es ist gar nicht so einfach, Mitarbeiter zu einem echten Team zusammenzuschweißen und alle dazu zu bringen, an einem Strang zu ziehen. 174 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="175"?> Spitzenteams entwickeln sich nicht von alleine. Es kann die beste Strategie der Welt sein, wenn sie jedoch von den Mitarbeitern nicht verstanden wird, nützt das gar nichts. Transparente Kommunikation hilft Vertrauen aufzubauen und nur wenn das Team die Ziele klar vor Augen hat, hat es Vertrauen in die Führung. Alle voll komisch, außer ich? Es gibt Momente im Leben, da können wir überhaupt nicht nachvollziehen, warum die anderen sind, wie sie sind oder tun, was sie tun. Wir finden sie einfach komisch. Schließlich sind wir die normalen. Aber jetzt kommt's, genauso komisch finden die anderen auch uns manchmal. Wenn wir her‐ ausfinden, wie wir ticken, können wir auch andere besser verstehen. Mit tieferem Verständnis füreinander sind wir zu gemeinsamen Leistun‐ gen fähig, die wir alleine niemals schaffen würden. Wenn es ein unterneh‐ merisches Erfolgsrezept gibt, dann ist es echte Teamarbeit. Wenn Menschen aufhören als Einzelkämpfer zu agieren, können selbst Mammutaufgaben von ihnen bewältigt werden. Organisationen, in denen die Mitarbeiter zu echter Zusammenarbeit fähig sind, werden der Konkurrenz immer um eine Nasenlänge voraus sein. Neue Projekte erfordern neue Teams Früher oder später stellt sich unweigerlich die Frage: Wie besetze ich mein Team am besten, um das Projekt möglichst effizient voranzutrei‐ ben? Oft wird allein auf der Grundlage von Fachwissen entschieden, wer Teammitglied wird. Doch für den erfolgreichen Abschluss des Projekts ist die Persönlichkeit des einzelnen Teammitglieds, der Beitrag, den es im Team leistet und das Zusammenwirken mit den anderen Teammitglieder ausschlaggebend. Worauf sollten Teamleiter bei der Auswahl der Mitarbeiter außerdem achten? Wichtig ist auch der Charakter. Teammitglieder, die etwas bewegen sollen, müssen Eigenschaften wie Integrität, Verlässlichkeit und wertschätzende Umgangsformen besitzen. Teamleiter sollten sich daher das Teamverhalten der potenziellen Teammitglieder in der Vergangenheit genau vor Augen führen. War ihr Teamverhalten förderlich oder kam es zu Reibereien und wenn ja, warum? Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 175 <?page no="176"?> Es ist auch wichtig, sich über Rolle und Beitrag jedes ein‐ zelnen Teammitglieds im Klaren zu sein. Vom fachlichen Know-how abgesehen: Was trägt eigentlich der Einzelne zur Teamarbeit bei? Generiert er viele Ideen? Oder ist er jemand, der die Dinge auf ihre Sinnhaftigkeit durchleuch‐ tet? Interessant ist auch zu überlegen, welche Methoden er in der Zusammenarbeit verwendet. Was sind seine Stär‐ ken? Welche Erfahrungen und Fähigkeiten hat er gesammelt und welche Aufgaben hat er bisher erfolgreich gemeistert? Was begeistert ihn und wofür zeigt er Leidenschaft? In Organisationen gibt es oftmals unterschiedliche kulturelle Erfahrun‐ gen, die Teams blockieren können. Der Teamleiter sollte bei der Teamzusam‐ menstellung auch seinen eigenen Führungsstil hinterfragen und überlegen, ob sein Führungsstil notfalls angepasst werden kann oder ob die Diskrepan‐ zen zu groß sind. In einem Team prallen nicht nur verschiedene Charaktere, sondern auch unterschiedliche Motive und Wertvorstellungen unbewusst aufeinander. Das ist ein idealer Nährboden für Konflikte im Team. Es ist die Aufgabe des Teamleiters, Stress durch Konflikte im Team in einem frühen Stadium zu erkennen und möglichst im Keim zu ersticken. Inverse Stressbewältigung Es gibt Dinge, die könnten wir haben, aber bekommen sie gottseidank nicht. Ein Beispiel dafür sind unerfreuliche Erfahrungen, die andere machen und uns erspart bleiben. Trotzdem können wir viel daraus lernen. Es sind die Fehler, für die wir nicht bezahlen müssen. Im Gegenteil wir werden belohnt. Um das zu verstehen, muss man ein bisschen um die Ecke denken. Die Pandemie wirkte wie ein Brennglas, unter dem sich Charakter und Qualität von Menschen in Vergrößerung zeigte. Während der heißen Phase der Coronakrise machten sich einige Zeitgenossen aus dem Staub und tauch‐ ten unter. Andere brachten sich in Sicherheit, indem sie einen Bogen um ihre Mitmenschen machten. Sie kommunizierten nur noch auf Distanz mit‐ einander: digital, telefonisch oder mit einer Maske. Führungskräfte standen unter enormen Druck, ihr Team mit Videokonferenzen zusammenzuhalten. Manche machten dabei Fehler, die nur schwer auszubügeln waren. Sie ver‐ stolperten sich, weil sie schlechte Botschaften verkünden mussten und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter dabei einfach ignorierten. Einige benahmen sich wie übergriffige Helikoptereltern, trauten ihren Leuten nichts mehr zu 176 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="177"?> und rissen alle Projekte und Entscheidungen an sich. Sie tappten in der Krise immer wieder in die gleichen Fallen und mutierten zu Chefs aus der Hölle. Kurzum: sie erzeugten bei ihren Mitarbeitern viel Stress, Schrecken und Angst. Für präventives Stressmanagement können wir aus ihren Fehlern viel lernen. Wir praktizieren einfach inverse Stressbewältigung, indem wir aus den häufigsten Fehlern anderer lernen. Mit unbewussten Signalen Gerüchte anheizen Vorgesetzten ist oft nicht bewusst, wie sehr sie unter Beobachtung stehen. Ob sie es wollen oder nicht, die Aufmerksamkeit in Organisationen richtet sich von unten nach oben. Eine Sekretärin weiß mehr über ihren Vorge‐ setzten als er über sie. Diese Tendenz verschärft sich in Krisenzeiten. Je unsicherer die Situation und je größer die gefühlte Bedrohung, desto mehr nehmen Mitarbeiter ihre Führungskraft unter die Lupe. Wenn der Chef etwas tut, was sich nicht eindeutig interpretieren lässt, deuten Mitarbeiter dies in 90-Prozent aller Fälle als Zeichen, dass Schlechtes bevorsteht. Wenn sie das Verhalten der Führungskraft nicht verstehen, versuchen sie mehr Informationen zu bekommen, sie recherchieren im Internet, fragen Kollegen in anderen Abteilungen und verlieren dadurch ihre eigentlichen Aufgaben aus dem Blick. Das ist der perfekte Nährboden für Gerüchte. Deswegen muss eine Führungskraft deutlich sagen, was sie sicher weiß, aber auch genauso deutlich sagen, was sie nicht weiß. Außerdem müssen die Worte der Führungskraft mit den nonverbalen Signalen übereinstimmen. Dann bleibt sie berechenbar. Zwischen Sender und Empfänger gibt es etliche Klippen für potenzielle Störungen zu umschiffen. Die Kommunikation per Videokonferenzen verschärft das Problem noch einmal deutlich. So lassen sich Gestik und Mimik am Bildschirm nur schwer entschlüsseln, besonders dann, wenn der Ton verzögert übertragen wird. Schwierige Gespräche sind eine besondere Herausforderung und lassen sich auf Distanz nur schlecht führen. Im Zweifel ist es wichtig „überdeutlich“ zu kommunizieren, Kernbotschaften zu wiederholen und darauf zu achten, dass die Miene zu der Botschaft passt. Kurzschlussreaktion In Krisen sind wir im Stress und reagieren nach einem archaischen Mus‐ ter. Wir erstarren, fliehen oder schalten auf Angriffsmodus um. Warum Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 177 <?page no="178"?> Regungslosigkeit und nichts tun schadet, verstehen die meisten Führungs‐ kräfte sofort. Dass aber auch Aktionismus negative Auswirkungen hat, erkennen viel zu viele nicht. Es fühlt sich doch gut an, etwas tun zu können. Das Problem: In Krisen verschiebt sich der Zeithorizont unserer Prioritäten. Wir konzentrieren uns voll und ganz darauf, die unmittelbare Gefahr zu überleben. Wir sind im Feuerwehrmodus und übersehen leicht, was für Auswirkungen unsere Entscheidungen auf lange Sicht haben. Die Angst vor finanziellen Verlusten und Mitarbeiter entlassen zu müssen versetzt Führungskräfte zusätzlich unter Strom und Stress. Umso wichtiger ist es gerade in Krisen, auf die Stressbremse zu treten und sich bei einem Boxen‐ stopp bewusst Zeit zu lassen, bevor wir entscheiden. Wir sammeln so lange relevante Daten und Fakten, bis wir wirklich genug wissen, um fundierte Aussagen treffen zu können. Auch hinterfragen wir unsere Quellen und widerstehen der Neigung, zu früh Urteile zu fällen. Wir filtern auch nicht heraus, was wir nicht hören wollen und sind offen für Beobachtungen anderer Menschen, denen viele Dinge auffallen, die wir gar nicht bemerken. Unsere Intuition ist in unsicheren Zeiten mit viel Stress kein verlässlicher Ratgeber, denn wir neigen dazu, uns zu stark von persönlichen Gefühlen leiten zu lassen. In sicheren Zeiten mit wenig Stress ist Intuition kein Problem und sogar hilfreich. Doch in Ausnahmesituationen kann es fatale Auswirkungen haben, von einzelnen Fällen auf alle zu schließen oder falsche Parallelen zu ziehen. Unser Bauchgefühl beruht darauf, relevantes Wissen und Erfahrungen abzurufen. Doch in Situationen, die für alle neu sind, gibt es wenig Erfahrungen, auf denen Führungskräfte aufbauen können. Daher ist es besser, zunächst Daten zu sammeln und Szenarien zu prüfen. Wenn wir Mitarbeiter, Kunden und Kollegen befragen, wie Sie entscheiden würden, gewinnen wir weitere Sichtweisen dazu, um auf einer fundierten Grundlage entscheiden zu können. Nur noch negative Nachrichten verkünden Je stärker wir uns ausgeliefert und ohnmächtig fühlen, desto schlechter geht es uns. Wenn eine Führungskraft den Mitarbeitern kommuniziert, beschäftigt euch irgendwie, bis wir wieder Aufträge haben, ist das ein sicherer Weg, das Team zu demotivieren. Eine Führungskraft muss nicht nur Haltung zeigen, sondern in Krisen auch Halt geben. 178 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="179"?> Alle Kontrolle an sich reißen Alles doppelt und dreifach zu kontrollieren, erzeugt nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Stress. Die Gefahr ist groß, sich an Kleinigkeiten festzu‐ beißen und dabei Wichtiges aus dem Blick zu verlieren. Es einfach nicht möglich, alles, was sich um uns herum abspielt, zu kontrollieren. Zu wenig Vertrauen führt zu Überkontrolle. Niemand kann den Verlauf von Krisen genau voraussagen und weiß, wie sich die Märkte entwickeln. Ein Einzelner ist kaum in der Lage, alle Baustellen im Blick zu behalten. Ohne Vertrauen, dass die Mitarbeiter ihr Bestes geben, geht es nicht. Sie haben schließlich genauso ein großes Interesse daran, dass es das Unternehmen durch die Krise schafft und alle noch einen Job haben, wenn sich die Märkte erholen. Ein Unternehmen, das sich allein auf seine Führungsspitze verlässt, riskiert zu scheitern. Auch die Geschäftsbeziehungen zu den Kunden werden immer komplexer und laufen immer mehr über digitale Medien. Umso wichtiger ist es persönliche Kontakte mit den Kunden zu pflegen und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Im persönlichen Kontakt finden wir besser her‐ aus, was den Kunden wirklich bewegt und wo ihm der Schuh drückt. Bedürfnisse und Gefühle von Mitarbeitern ignorieren Es ist nicht leicht zwischen Videotelefonaten, Kinderbetreuung, Hausarbeit und allen anderen Ablenkungen im Homeoffice konzentriert zu arbeiten. Allein im Homeoffice kann bei Mitarbeitern schnell das Gefühl entstehen, mit ihren Problemen allein gelassen zu werden. Mit ihren Vorgesetzten sprechen sie in Telefonaten meist nur über die nächsten Aufgaben oder Projektziele. Wie es ihren Mitarbeitern wirklich geht, versäumen viele Führungskräfte zu fragen. Ein fataler Fehler, denn die Motivation muss gerade jetzt vom Chef kommen. Eine lange Kaffeepause zu machen, die nächste Waschmaschine anzustellen oder die nächste Folge der Netflix-Serie anzusehen, diesen Verlockungen ist schwerer zu widerstehen, wenn man das Gefühl hat, nur Projekte abarbeiten zu müssen. Wer dagegen echte Anteilnahme spürt, das Gefühl hat, gebraucht und gesehen zu werden, hängt sich auch im Homeoffice mehr rein. Mitarbeiter müssen das Mitgefühl ihres Chefs oder ihrer Chefin für ihre jeweilige Situation spüren. Meetings am Morgen sollten also nicht mit der Frage starten: Was ist zu tun? Sondern eher mit: Wie geht es euch? Muntermacher und Mutmacher bringen ihr Team erfolgreich und souverän durch schwere Zeiten. Mit Stressresistenz auf die Erfolgsspur 179 <?page no="180"?> Klima der Angst Ein schlechtes Vorbild ist auch ein Vorbild. Den Erfolg anderen wegneh‐ men und die Schuld auf andere schieben. Nur eingreifen, wenn Dinge schieflaufen und zu wenig und zu spätes Feedback, wenn alles gut geht. Mitarbeiter abwerten, eigene Misserfolge der Unfähigkeit anderer ankreiden und Widersprüche niederbügeln. Chefs, die sich so verhalten, umgeben sich gern mit Schmeichlern, die ihnen auch angesichts von Fehlern huldigen. Die Produktion ist ausgefallen! Seit 10 Minuten stehen alle Maschinen still! Was sollen wir jetzt tun? Der Chef brüllt spontan in die Runde: „Ich will sofort wissen, wer das schon wieder verbockt hat? “ Und er polterte wieder lauthals los: „Bringt mir sofort den, der dieses Chaos angerichtet hat! ! ! “ Dieser Chef demonstriert angesichts eines Problems vor versammelter Mannschaft das ganze Geheimnis seiner Lösungskompetenz: Ich suche den Schuldigen. Passiert etwas Schlimmes, gilt es einen Sündenbock zu suchen und zu bestrafen! Das ist das Dringlichste! ! ! Offensichtlich wird von diesem Vorgesetzten in Kauf genommen, dass Fehlverhalten künftig an der Tages‐ ordnung ist. Mache möglichst keinen Fehler! Vertusche die Fehler, die du machst, solange du kannst! Und wenn sie offensichtlich werden, dann sorge dafür, dass jemand anderes die Schuld dafür bekommt! ! So ein Verhalten ist alles andere als ein wertvoller Beitrag zu einer Vertrauenskultur! Einem Mitarbeiter, der einen Fehler gemacht hat, aber sonst gut arbeitet, sollten wir mit den richtigen Worten gleichzeitig Wertschätzung bekunden und auf den Fehler hinweisen. Ein anderer Chef bricht unter Belastung zusammen. Er kann eigene Fehler und Schwächen nicht angemessen verarbeiten. Sein Selbstwertgefühl ist im Keller. Er versucht seine Schwäche zu kaschieren, indem er überreagiert und Mitarbeiter, die einen Fehler machen, als totale Versager bloßstellt. Er entwertet andere bewusst oder unbewusst und plustert sich selbst auf wie ein Gockel. Es herrscht ein Klima der Angst und der Resignation. Die Mitarbeiter sind gestresst und die Produktivität leidet, um bloß keinen Fehler zu machen. Stress Freund oder Feind Jetzt drehen wir einfach den Spieß um und machen uns Stress zu einem Freund, der uns beflügelt. Stress, das Top-Phänomen unserer Zeit wird gewöhnlich negativ wahrgenommen. Dabei ist Stress auch ein Elixier 180 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="181"?> für Zusammenarbeit, Karriere und Erfolg. Stress hilft, Entscheidungen zu treffen. Stellen wir uns eine banale Entscheidungssituation zwischen zwei fast identischen Möglichkeiten vor. Ohne jeglichen Stress wäre es sehr schwer, eine Entscheidung zu treffen, da der notwendige Entscheidungs‐ druck fehlt. Zeitdruck, Erwartungen aus dem Umfeld und weitere Aufgaben sorgen für den notwendigen Stress, um eine Entscheidung zeitnah zu treffen. Stress optimiert Arbeitsabläufe. Mit der Neugestaltung von Unternehmens‐ strukturen geht die Optimierung von Arbeitsabläufen einher. Ohne Stress läuft nichts, denn durch Stress kommt zur Sprache, was wirklich gebraucht wird. Ob das mehr Zeit, mehr Arbeitsmittel oder mehr Unterstützung durch die Führungskraft ist. Stress zeigt auf, was überflüssig ist und aufhält. Am Ende entstehen bessere Arbeitsabläufe und der Stress und die Arbeitsbelas‐ tung aller nehmen ab. Stress ist ein Erfolgsfaktor und Karrieremotor. Wer allem Stress aus dem Weg geht, kommt nicht weiter. Von alleine ist noch niemand befördert worden, da helfen auch noch so gute Beziehungen nichts. Wer sich aber mit falschem Ehrgeiz zu viel Stress macht, läuft Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Allein die Dosis macht das Gift. Fazit: Stress ist nicht immer negativ oder gar zerstörerisch. Stress bringt uns weiter, wenn wir klug und weise handeln. Der Mensch hat drei Wege, klug zu handeln. Erstens durch Nachdenken: Das ist der edelste. Zweitens durch Nachahmung: Das ist der leichteste. Drittens durch Erfahrung: Das ist der bitterste. Konfuzius 5.6 Führen im digitalen Zeitalter Moderne Technologien bestimmen die Welt. Wer als Führungskraft erfolg‐ reich sein will, muss mit Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz Schritt halten können. Es gibt kaum noch eine Branche, in der diese Themen keine Rolle spielen. Zugleich hat das Tempo im digitalen Wandel angezogen. Täglich kommen neue Software, Apps und Technik auf den Markt. Es fällt schwer, den nötigen Überblick zu behalten. 5.6 Führen im digitalen Zeitalter 181 <?page no="182"?> Insbesondere für Führungskräfte werden die Zeiten immer herausfor‐ dernder. Sie kommen kaum noch nach, sich den richtigen Mix aus Hard- und Soft Skills und ein grundlegendes technologisches IT-Wissen anzueignen, um die interaktiven Tools für die Führungsaufgabe sinnvoll nutzen zu können. Führungskräfte sollten einen Überblick über die großen Zusam‐ menhänge haben, bevor sie sich mit den Experten in der eigenen IT-Orga‐ nisation fachlich austauschen und Entscheidungen für die Zukunft treffen. Einzelkämpfer haben ausgedient. Heutzutage sind Teamplayer gefragt, die auch dem Wissen der anderen vertrauen und dieses nutzen. Dabei punk‐ tet zusätzlich, wer ein möglichst vielfältiges Team mit unterschiedlichem Wissen und kulturellem Hintergrund aufbauen kann. Diversität ist ein wichtiger Faktor. Bei der Führung selbst gilt die Devise, nicht befehlen, sondern befähigen. Eine Führungskraft sollte eher als Förderer agieren und die Mitarbeiter dabei unterstützen, die Herausforderungen bestmöglich zu meistern. Organisationen brauchen auch Führungskräfte, die keine Angst davor haben, Dinge auch einmal anders zu machen und zur Not auch gegen Widerstände durchzuboxen. In vielen Situationen gibt es kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Umso wichtiger ist es, dass Führungskräfte Widersprü‐ che, Unsicherheit und Ambivalenzen aushalten können und trotzdem in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet auch kontrollierte Risi‐ ken einzugehen und sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Als Führungskraft muss man immer damit rechnen, dass auch eine erfolgreiche Strategie an die veränderten Umfeldbedingungen angepasst werden muss. Für eine gute Führung braucht es auch den Mut, mit Konflikten professio‐ nell umzugehen, d. h. Kritik zuzulassen und zu reflektieren. Je mehr Faktoren eine Aufgabe oder Problem beeinflussen, desto schwieriger wird es, eine gute Lösung zu finden. Komplexität zu reduzieren, müssen Führungskräfte draufhaben. Sie sollten in der Lage sein, das gesamte Umfeld und mögliche Szenarien zu prüfen, bewerten und nachvollziehbar kommunizieren zu können. Wenn es eine Führungskraft nicht schafft, Prioritäten zu setzen, wird sie in der Masse und Vielfalt ihrer Aufgaben untergehen. Ein effizientes Zeitmanagement zählt zu den wichtigsten Kompetenzen. Auch interdiszi‐ plinäres Denken und Handeln ist gefragt. Netzwerke über Organisations- und Branchengrenzen hinweg sind immer wichtiger, um Trends rechtzeitig zu erkennen. Veränderungen nicht als Gefahr, sondern als Chance wahrzu‐ nehmen und sich auf Wandel und Wachstum einzulassen, reduziert den Stress. Wichtig ist auch, dass erfahrenere Führungskräfte mit jüngeren 182 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="183"?> gut zusammenarbeiten und sich austauschen. Die älteren Führungskräfte bringen oft umfangreiche Erfahrungen und eine gewisse Gelassenheit mit. Die jüngeren brennen dagegen für neue technologischen Entwicklungen und sind eher bereit, Schritte in eine ungewissere Zukunft zu wagen. So profitieren beide Seiten davon. Virtuelle Führung Viele Chefs fürchten einen Kontrollverlust, wenn sie ihre Mitarbeiter im Homeoffice nicht sehen können. Aus Mitarbeitersicht ist arbeiten im Home‐ office ebenfalls eine Herausforderung. Spontane, kurze Gespräche und Rückmeldungen wie im Büro fehlen. Manch einer fühlt sich alleingelassen oder kommt ins Schwimmen, wenn er mit schwierigen Aufgaben arbeitet. Ein digitales Team zu führen, bedarf zusätzlicher Kompetenzen, um Stress präventiv anzugehen. Die gelieferten Ergebnisse und nicht die Zeit vor dem Bildschirm stehen im Mittelpunkt. Zielvorgaben zu erfüllen ist das Wichtigste. Homeoffice ist ein Spagat zwischen Freiheit und Druck, zwischen Kontrolle und Freiräumen, den es auszuhalten und offen zu kommunizieren gilt. Bei virtueller Führung geht es darum, die Mitarbeiter in ihrer speziellen Situation zu erreichen, um Motivation und Teamgefühl aufrecht zu erhalten. Immer mehr Aufgaben und Projekte müssen gleich‐ zeitig von immer weniger Menschen gestemmt werden. Im Homeoffice ist für gute Teamarbeit wesentlich, Aufgaben und Entscheidungsspielräume zu delegieren. Anerkennung oder Kritik über Distanz auszudrücken und auf Konflikte als Chef auf Distanz positiven Einfluss zu nehmen, ist schon etwas schwieriger. Ein Mitarbeiter z. B. überzieht die Mittagspause um zwei Stunden, weil die Kinder in der aktuellen Situation beschäftigt werden 5.6 Führen im digitalen Zeitalter 183 <?page no="184"?> wollen oder er die Eltern pflegen muss. Er hätte aber kein Problem damit, abends die verlorene Zeit nachzuarbeiten. Ein anderer Mitarbeiter gönnt sich keine Pause und arbeitet am Schreibtisch durch und isst nebenbei eine Kleinigkeit am Schreibtisch. Schlichtweg aus Angst, Kollegen könnten seine Abwesenheit im Chat bemerken. Schnell führt Stress durch Unstim‐ migkeiten zu einem Informationsstau im Team. Gute Kommunikation in den Kernarbeitszeiten und kurzes An- und Abmelden bei größeren Pausen ist hilfreich. Freiheit darf nicht ausgenutzt werden oder zu Überarbeitung führen. Bewährt hat sich eine feste Struktur mit Kernarbeitszeiten. Ein gemeinsa‐ mer kurzer Start und ein abschließender Video-Audiocall am Ende der Kernarbeitszeit sorgt für eine Struktur und bietet gleichzeitig die Flexibilität, bereits vorher oder hinterher noch zu arbeiten. Der Vorteil: Jeder kann seine persönliche Leistungskurve gemäß dem Biorhythmus anpassen. So verlieren wir keine Produktivität. Wenn klare Projekt- oder Wochenziele vorgegeben sind, ist es innerhalb der Spielregeln dann die eigene Verantwortung, wie die Zeit eingeteilt wird. Wer ist wann und über welchen Kanal am besten erreichbar? Welcher Mitarbeiter braucht Unterstützung, um am Ball zu bleiben? Wer arbeitet gerade an welcher Aufgabe? Wie sind die Umstände, unter denen das Team jeweils zu Hause arbeitet? Zurückhaltende Mitarbeiter im Blick behalten und zu verhindern, dass sie sich alleingelassen fühlen, ist wichtig. Man sollte in regelmäßigen Abständen kurz nachfragen, wie es bei ihnen Mitarbeitern läuft und eine gute Balance zwischen Kontrolle und Unterstützung halten. Jeder kommt mit der Arbeit im Homeoffice anders zurecht. Das kann ein kurzer Telefonanruf sein, ein Chat oder zu festen Uhrzeiten ein kurzes virtuelles Teammeeting. Es hat sich bewährt, dass Mitarbeiter, die zeitgleich an einem Projekt arbeiten, sich untereinander in kleineren Zeiteinheiten abstimmen. Ein kurzes Teammeeting zum Tagesstart und eines kurz vor Feierabend ist ideal. Eine virtuelle offene Tür einrichten, um im Notfall erreichbar zu sein oder Zeitfenster einrichten, in denen man für Rückfra‐ gen ansprechbar ist, hilft, Stress zu vermeiden. Sonst besteht die Gefahr, dass man vor lauter Teamkommunikation selbst nicht mehr zum Arbeiten kommt. Eine gute Aufgabenübersicht im Team durch kurze Absprachen, wer bis wann an welchem Thema oder Dokument arbeitet, ist sinnvoll. In virtuellen Meetings sollte man es auch nicht versäumen, ein Protokoll anzufertigen. 184 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="185"?> Den Mutigen gehört die Welt Manche Führungskräfte haben das Gefühl, dass bei der digitalen Führung traditionelle Ansätze nicht mehr so greifen und ihnen immer öfter die Zügel entgleiten. Um in Zeiten des digitalen Wandels geeignete Lösungen für die Herausforderungen im Team zu entwickeln, gilt es umzudenken und bishe‐ rige Führungsansätze zu hinterfragen. Mitarbeiter benötigen mehr denn je eine innovative und nachhaltige Kultur und eine sinnstiftende Führung mit Visionen, Werten und klaren Zielen als Leitplanke, innerhalb derer sie sich frei bewegen können. Der Vorgesetzte sollte als Weichensteller agieren, der klare Ziele setzt und die operative Verantwortung vertrauensvoll an das Team abgibt. Chefs können Mitarbeiter nur dorthin bringen, wo sie selbst stehen. Inso‐ fern werden schlechte Chefs nie Talente für ihre Organisation gewinnen und auch kein Spitzenteamteam entwickeln. Ihr Führungsstil ist maßgeblich, ob die Mitarbeiter gestresst sind oder sich wohl fühlen. Homeoffice - Fluch oder Segen? In der Coronapandemie wurden viele Organisationen dazu gezwungen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Doch das Homeoffice bleibt vielen auch nach der Pandemie erhalten. Themen wie Arbeitszeiterfassung und Arbeitsschutz im Homeoffice werden zum Teil kontrovers diskutiert. Es geht auch um die Frage, ob eine effiziente digitale Organisationsstruktur die Gelegenheit ist, um Organisationen nicht nur erfolgreich durch die Krise zu manövrieren, sondern sie darüber hinaus auch noch wettbewerbsfähiger zu machen. Nutzt man die Krise als Chance, gelingt die Arbeit im Homeoffice mindestens genauso produktiv wie im Büro. Bis auf den fehlenden Smalltalk in den kurzen Pausen geht die Arbeit ja ganz normal weiter. Doch die richtige Organisation in Kombination mit den richtigen Tools macht dezentrale Teamarbeit an gemeinsamen Projekten erst erfolgreich. Mit ein paar Spielregeln gelingt die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Dazu gehört vor allen Dingen eine kompetente Führungskraft, die ein Team im Homeoffice so führt, als ob die Mitarbeiter im Großraumbüro säßen. Damit sich Mitarbeiter in solchen Situationen nicht verloren vorkommen, müssen Führungskräfte die Chancen und Tücken der virtuellen Zusammen‐ arbeit kennen. Sie müssen ein Gespür dafür haben, welche Bedürfnisse 5.6 Führen im digitalen Zeitalter 185 <?page no="186"?> Mitarbeiter im Homeoffice haben und wie sie deren Kompetenz und Leis‐ tungswillen auch aus der Ferne gezielt ansprechen können. Selbstmanagement im Homeoffice Manche sind noch gar nicht darauf eingestellt, auf Dauer im Homeoffice zu arbeiten. Neben den technischen Voraussetzungen geht es um die Zu‐ sammenarbeit im Team und um eine gute Selbstorganisation. Es herrscht vielerorts auch immer noch die Meinung, dass Mitarbeiter im Homeoffice weniger arbeiten und leisten als im Büro. Entscheidend ist ein gemeinsames Verständnis darüber, dass nicht die abgesessene Zeit, sondern die erreichten Ergebnisse entscheidend sind. Wenn alle eingeplanten Aufgaben schon nach sechs Arbeitsstunden erledigt sind, umso besser. Das Ziel ist nicht, dass jeder seine acht Stunden Arbeitszeit absitzt, sondern auch im Homeoffice genauso produktiv zu arbeiten, als säße er oder sie im Büro. Selbstmotivation und klare Strukturen sind im Homeoffice das A und O. Im Büro ist die gesamte Arbeitsumgebung so ge‐ staltet, dass nichts als die Arbeit im Brennpunkt steht. Im Homeoffice fehlen u. a. die Kollegen und der Chef. Plötzlich läuft man Gefahr, zum aller ersten Mal den Spiegel im Bad zu putzen, die Spülmaschine einzuräumen oder Wäsche zusammenzulegen. Deshalb meinen auch einige Führungskräfte, sie müssten ihre Mitarbeiter im Homeoffice kontrollieren, damit diese dort wie erwartet ihre Arbeiten erledigen. Der Schlüssel zum Erfolg heißt hier aber nicht Kontrolle, sondern gutes Selbstmanagement. Denn Homeoffice kann mit der richtigen Einstellung produktivitätssteigernd sein, da unzählige Störfaktoren des normalen Büroalltags wie Unterbrechungen durch die Telefonate von Kollegen und langwierige Meetings wegfallen. Wichtig ist das Umfeld im Homeoffice so zu gestalten, dass die Arbeit erledigt wird und wir nicht ständig der Versuchung unterliegen, unsere Zeit anderen Dingen zu widmen. Am besten wir vermeiden unnötige Störfaktoren. Das private Telefon muss warten und wird im besten Fall temporär ausgeschaltet, die Tür zu unserem Arbeitsplatz bleibt geschlossen, sofern andere Personen oder ein Hund in der Wohnung sind. Wichtig ist den Tagesplan klar vor Augen zu haben, sich für die erreichten Ziele zu belohnen und sich Zeit für einen Kaffee und eine Pause zu nehmen. Das sorgt für Motivation. Was vielen hilft, ist einen Arbeitsablauf wie im Büro beizubehalten. Sie stehen pünktlich auf und ziehen sich an, als würden sie ins Büro gehen. Das versetzt sie auch psychisch in den Arbeitsmodus. 186 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="187"?> Produktivität und die Qualität der Arbeit sinkt durch den Sägezahneffekt von Unterbrechungen. Der große Vorteil gegenüber dem regulären Büro: Es gibt weniger Laufkundschaft und damit weniger Unterbrechungen. Im Homeoffice können wir die Häufigkeit von Unterbrechungen auch selbst besser steuern. Es gilt der Grundsatz proaktiv statt reaktiv zu agieren. Das erhöht die digitale Effizienz und bedeutet im Klartext: Wir checken nicht mehr minütlich E-Mails und andere Kommunikationskanäle, sondern verarbeiten die Informationen gezielt und in zeitlich getrennten Blöcken. Wir erschrecken nicht, wenn durch das Arbeiten im Homeoffice die Infor‐ mationsflut durch E-Mails oder auch Chat-Nachrichten in Teams zunehmen. Wir verarbeiten die E-Mails blockweise und werden nicht jedes Mal aus unserer Arbeit herausgerissen, wenn eine neue E-Mail in unserem Postfach eintrifft. Wir deaktivieren die Benachrichtigung für neue E-Mails. Wir reservieren dann zwei oder drei Mal pro Tag eine halbe Stunde, in denen wir alle neuen E-Mails konzentriert am Stück verarbeiten. Wir sorgen dafür, dass wir in dieser halben Stunden nach Möglichkeit nicht von unnötigen Unterbrechungen gestört werden. Wir kommunizieren gebündelt. Sicher‐ lich gehört ein erhöhtes Maß an Selbstdisziplin dazu, um im Homeoffice effektiv und konzentriert zu arbeiten. Schließlich sind auch Ablenkungen durch das Internet im Homeoffice leicht möglich und wir können uns den ganzen Tag mit interaktiven Medien um die Ohren schlagen. Effizienter und entspannter ist es, wenn wir uns zu festen Zeiten in Chaträumen verabreden, die Kommunikation bündeln und so wenig Tools oder Kanäle wie möglich verwenden. In dringenden Fällen kann man jederzeit zum Telefon greifen oder einen Audio- oder Videoanruf starten. Spielregeln für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams Die Zusammenarbeit in virtuellen Teams im Homeoffice darf auch nicht zu einer nie endenden Abstimmungsschleife mutieren. Die kurzen Abstim‐ mungen, die im Büro oft auf Zuruf oder während der gemeinsamen Mit‐ tagspause getroffen werden, entfallen zwar, aber mit der Kombination von einheitlichen Spielregeln und dem gekonnten Einsatz digitaler Tools steht einer erfolgreichen Zusammenarbeit im Team nichts im Weg. Wichtig ist Informationskanäle nicht ausufern zu lassen und die größer gewordene Komplexität nicht zusätzlich aufzublähen. 5.6 Führen im digitalen Zeitalter 187 <?page no="188"?> Alternierende Telearbeit - die Lösung Mitarbeiter kommen auch mal gerne aus dem Homeoffice ins Büro, weil sie wieder unter Menschen aus Fleisch und Blut sein wollen. Es ist ein großes Bedürfnis von Menschen unter Menschen zu sein. Menschen wollen gesehen werden und Wertschätzung erfahren. Im Büro gibt es Austausch, Anerkennung und spontanes Lob. Durch wertschätzenden Umgang in einer Organisation wachsen die Mitarbeiter zu einem echten Team zusammen und ziehen vereint an einem Strang. Das ist der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg. Mit alternierender Telearbeit können alle Bedürfnisse auf einen Schlag gestillt werden. 5.7 Selbstführung Willenskraft allein reicht nicht aus, um Vorhaben zu verwirklichen. Um Vorhaben in die Tat umzusetzen, braucht es auch Selbstführungs-Kompe‐ tenz. Selbstführungs-Kompetenz ist die Kunst, Ziele zu setzen und die Ziele unabhängig von äußeren Einflüssen zu erreichen. Wenn die Selbstfüh‐ rungs-Kompetenz niedrig ausgeprägt ist, passiert oft folgendes: Wir wissen gar nicht genau, was wir eigentlich genau wollen, wir nehmen uns viel zu viel auf einmal vor oder schieben die Dinge ewig vor uns her. Wissen, was man wirklich will, Prioritäten bei den eigenen Zielen zu setzen und die Kraft haben, auch lang aufgeschobene Dinge endlich anzupacken, ist der Schlüssel zu erfolgreicher Selbstführung, Erfolg und Erfüllung. 188 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="189"?> Wenn wir uns von äußeren Einflüssen unabhängig machen und uns nicht entmutigen lassen, erreichen wir unsere Ziele, auch wenn es mal nicht so wie geplant läuft. In der aktuellen Situation ist das Thema Selbstführung so wichtig wie selten zuvor, denn viele von uns arbeiten von zu Hause und müssen schlagartig lernen, mit weniger Motivation von außen auszu‐ kommen. Plötzlich ist die Führungskraft, die Arbeitsschritte vorgibt, weit weg. Es fehlen die vorgegebenen Abläufe, die wir normalerweise haben und der vorstrukturierte Büroalltag. Selbstführung ist vielfältig. Viele Men‐ schen assoziieren Selbstführung mit Zeitmanagement. Denn stimmt unser Zeitmanagement, erreichen wir nicht nur unsere Ziele, sondern schaffen das auch noch in der vorgegebenen Zeit. Doch Selbstführung ist sehr viel mehr. Selbstführung bedeutet auch, die Fähigkeit zu haben, die eigenen Ressourcen zu kennen, diese zu aktivieren und sich selbst zu motivieren. Können wir morgens früh aufstehen und mit der Arbeit loszulegen? Können wir nach einer ausgiebigen Mittagspause auf dem Balkon wieder aufstehen und weitermachen? Wissen wir, worauf wir uns konzentrieren müssen und welche Ressourcen wir dafür benötigen, um unsere Ziele zu erreichen? 5.7 Selbstführung 189 <?page no="190"?> In der Abbildung „Wir schaffen das! " sind alle Faktoren der Selbstführung dargestellt. Wenn diese Faktoren nicht berücksichtigt werden, ist die Gefahr groß, dass auf Dauer die Produktivität im Homeoffice leidet. Denn je weniger Kontrolle es von außen gibt, umso mehr müssen wir in der Lage sein, uns selbst zu steuern. Genau das ist notwendig im Homeoffice und genau darin liegt auch eine Riesenchance für uns alle. Nach der Pandemie bietet sich für jeden Mitarbeiter die Gelegenheit, seine Selbstmanagementfähigkeiten auszubauen und zu lernen, sich selbst zu steuern. Auch Führungskräfte haben die Chance, dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter ihre Selbstmana‐ gementfähigkeiten weiterentwickeln. Gelingt es langfristig produktiv und effektiv im Homeoffice zu arbeiten, ist das ein wichtiger Beitrag zu präventivem Stressmanagement im Wandel. Strukturiert arbeiten Ein wichtiger Teil der Selbstführungskompetenz ist Ziele richtig zu setzen. Ziele sind, für uns persönlich wichtige Zukunftsvorstellungen, für die wir brennen sollten. Sie leiten unser Handeln und lösen die innere Bereitschaft aus, Durststrecken auf dem Weg zum Ziel durchzustehen. Genügend Kraft haben wir nur, wenn wir eine klare Vorstellung von dem haben, was wir wirklich wollen. Im nächsten Schritt gilt es dann unsere Willenskraft zu 190 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="191"?> aktivieren. Mit Willenskraft mobilisieren wir die mentalen Ressourcen, die wir brauchen, wenn wir bei der Zielverfolgung unerwartet auf Hindernisse treffen. Dann gilt es unseren inneren Schweinehund zum Schweigen zu bringen. Was können wir so richtig gut und was fällt uns besonders leicht? Bringt uns diese Frage immer wieder zum Nachdenken und fällt es uns schwer, eine Antwort zu geben? Dann ist es an der Zeit unsere Stärken zu entdecken. Wir backen einfach unseren Lieblingskuchen. Zuerst entdecken wir vielleicht die Butter, dann das Mehl, die Eier, den Zucker, die Zitronen‐ schale. Einzeln sind diese Zutaten alle nichts Besonderes, doch zusammen ergeben sie einen leckeren Kuchen. Im Leben ist es wie beim Kuchen backen. Die Zutaten haben wir in uns. Einzeln ergeben sie leider noch nicht ein leckeres Geschmackserlebnis. Oder wer möchte gerne eine Schüssel Mehl essen? Doch die gute Mischung macht den Unterschied. Die richtige Mischung finden wir nur, wenn wir anfangen zu backen. Wenn wir neue Rezepte erfinden, haben wir manchmal Glück und der erste Versuch sitzt. Doch meistens brauchen wir mehrere Anläufe, bis der Kuchen richtig gut wird. Umwege gehören auch zum Leben. Oft haben wir unser Ziel noch nicht ganz klar vor Augen. Deshalb müssen wir wir oft Umwege machen, die nicht schaden, wenn wir dabei lernen. Wenn wir einmal mit zu wenigen Eiern gebacken haben, können wir das brettharte Ergebnis nie wieder vergessen. Auch die Wirkung von Salz statt Zucker im Kuchen kann ein einmaliges Lernerlebnis sein. Wir können auch von den Fehlern anderer beim Backen lernen. Doch unsere eigenen Lernerlebnisse sind die wichtigsten. Im Leben gelingt es nicht immer, sofort den richtigen Weg einzuschlagen oder direkt den perfekten Job zu finden. Was unsere Talente sind, und wie sie zu unseren Stärken werden, lernen wir oft durch Erfahrung. Um herauszufinden, mit welchem Rezept uns der beste Kuchen am schnellsten gelingt, gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Wir probieren Rezepte so lange aus, bis wir das beste gefunden haben. Das ist oft der lange Weg. Oder wir schauen zurück und überlegen, mit welchem Rezept wir in der Vergangenheit den besten Kuchen gebacken haben. Dann geht es oft leichter und schneller. 5.7 Selbstführung 191 <?page no="192"?> In den Spiegel schauen Wir analysieren Dinge, die gut laufen, indem wir die Ergebnisse unter dem Mikroskop oder der Lupe und die Reaktionen der Mitmenschen beobachten. Manchmal treffen wir auf kritische Kunden, die sich beschweren und eine halbe Stunde später das halbe Sortiment kaufen. Es ist eine Stärke von uns, wenn wir Menschen überzeugen und begeistern können. Es ist eine Stärke, wenn Kollegen uns fragen, ob wir ihre wichtigen Unterlagen und Post Korrektur lesen können. Das heißt vermutlich, wir haben ein Auge für Fehler und Ungenauigkeiten. Es ist eine Stärke, wenn Freunde in der Regel uns anrufen, wenn es ihnen nicht gut geht. Wenn uns Kollegen von ihren Problemen erzählen, können wir vermutlich gut zuhören. Selbstreflexion Beobachtungsphasen kann man mit Persönlichkeitstests abkürzen. Persönlichkeitstest sind eine Reflexionshilfe, wenn sie gut sind. Es gibt unzählige auf dem Markt. Viele davon sind nicht sinnvoll, doch es gibt einige, die wirklich gut sind. Sie geben uns Rückmeldung zu unseren Motiven, andere zu unserem Charakter, andere zu unserem Verhalten. Ein Persönlichkeitstest hilft, um uns unsere Stärken und Schwächen bewusst zu machen. Sind wir tendenziell aufgeblasen oder eher bescheiden? Sind wir eher sachlich oder mitfühlend? Sind wir eher Einzelkämpfer oder lieben wir die Teamarbeit? Durch einen Blick in den Spiegel kommen wir auch unseren Stärken auf die Spur. Wie sagte schon Albert Einstein, wenn du ein Fisch bist, dann schwimme, wenn du ein Affe bist, dann klettere. Jeder Mensch ist ein Genie! Aber wenn wir einen Fisch danach beurteilen, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist. Die wichtigste Grundregel lautet: stärke deine Stärken. Erfolgreiche Menschen haben es geschafft, ihr inneres Potenzial und ihr äußeres Verhalten in Einklang zu bringen. Sie kennen ihre Stärken und ihre Grenzen und wissen, wie sie mit ihnen umgehen. Sie kennen sich selbst und sie können auch das Verhalten anderer Menschen gut einschätzen. Mit Hilfe unserer Stärken können wir kritische Situationen in Beruf und Partnerschaft souverän meistern, private und berufliche Beziehungen verbessern und den Erwartungsdruck von innen und außen unter einen Hut bringen. Beruflich wie privat ist das der Schlüssel zum Tor unserer Berufung. 192 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="193"?> Der Weg in ein Leben mit weniger negativem und mehr positivem Stress liegt dann frei vor uns. Neue Vorsätze Wie lange halten Menschen Durststrecken durch? Viele schaffen es in der Fastenzeit nicht mal eine Woche. Glaubt man den Biografien von Menschen, die es geschafft haben, dann lässt sich ihr Erfolg auf ihre ureigensten Wünsche und Sehnsüchte zurückführen. Das Problem bei vielen Menschen ist Medien und soziale Netzwerke halten sie ständig darüber auf dem Laufenden, was andere denken, machen, wollen und haben. Die Gefahr, dass wir die Ziele anderer für uns überneh‐ men, wird immer größer. Sätze wie: So sollte ich sein oder so würde ich gerne sein nehmen in unserem Denken immer mehr Gestalt an. Solche Sätze sollte man besser hinter sich lassen und sagen, so bin ich und das ist gut so. Je eher wir uns trauen, dieses So-bin-ich zu leben, desto fundierter, ernsthafter und ehrlicher können wir uns fragen: Was wollen wir? Und desto mehr Erfolg werden wir haben. Scheitern ist menschlich Durchhaltevermögen, Willenskraft und Disziplin sind erforderlich, um Gewohnheiten erfolgreich zu ändern. Der Weg zum Erfolg ist mit 10 % Inspiration und 90 % Transpiration gepflastert. Wir alle haben uns schon etwas fest vorgenommen, sind aber früher oder später gestolpert, gefallen oder sogar komplett gescheitert. Vom Weg abzukommen ist überhaupt nicht verwerflich, sondern menschlich. Denn zu oft lassen wir uns zu sehr von äußeren Einflüssen ablenken. Wir verlieren unser Ziel aus den Augen oder geraten in einen Zielkonflikt, der unseren Fokus auf andere Dinge lenkt. Balance halten Für eine gute Selbstführung ist es wichtig, unsere Ressourcen und Energie nachhaltig zu managen und eine gesunde Balance zu erreichen. Vielleicht können wir schon ganz gut Ziele setzen und unsere Willenskraft aktivie‐ ren, aber beim Energiemanagement gibt es noch Luft nach oben. Wenn es mal nicht so rund läuft, stressig und anstrengend wird, können wir 5.7 Selbstführung 193 <?page no="194"?> uns motivieren und halten durch, weil wir genügend Energie haben und genau wissen, wo wir hinmöchten. Wir verlassen unsere Komfortzone und erreichen Dinge, die wir vorher nie für möglich gehalten haben. Wir haben viel positive Energie, die es uns ermöglicht, unsere Ziele zu erreichen, weil wir unsere Prioritäten auf das richten, was uns wirklich wichtig im Leben ist. Wir machen uns unabhängig von äußeren Einflüssen, denn wir selbst bestimmen unseren Weg zum Ziel, ganz egal, was um uns herum passiert. Jeder hat seine eigene Vorstellung von Erfolg. Für den einen ist Erfolg, wenn er einen Job mit Freizeit hat, um möglichst viel Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Das Gehalt ist dabei zweitranging. Es gibt Menschen, die über so eine Einstellung nur den Kopf schütteln, denn für diese Menschen bedeutet Erfolg, einen sehr gut bezahlten Job zu haben, um sich ein eigenes Haus oder ein neues Auto kaufen zu können und rechtzeitig finanziell vorsorgen zu können. Erfolg ist individuell und jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung davon. Wir sollten uns deshalb nicht aus der Spur bringen lassen. Uns werden immer Menschen begegnen, die andere Ziele im Leben haben und die unser Verhalten nicht nachvollziehen können. Auf den Punkt gebracht: Wenn wir immer tun, was wir immer schon getan haben, bekommen wir immer das, was wir immer bekommen haben. Das Ergebnis ist, wir bleiben immer das, was wir schon sind. Zu guter Selbstführung gehört auch das, was wir schon zur Genüge kennen, auch mal hinter uns zu lassen. Nur wenn wir etwas tun, was wir vorher noch nie getan haben, entwickeln wir uns weiter. Oft werden wir erstaunt sein, was für großartige Dinge entstehen können, wenn wir Dinge schaffen, die wir vorher nie für möglich gehalten haben. Mit 194 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="195"?> genügend Energie, können wir über uns hinauswachsen und eine höhere Entwicklungsstufe erreichen. Großartiges geschieht außerhalb der Komfortzone Etwas zu tun, das für uns Menschen unbekannt ist, kann uns Angst machen. Doch wir können nur wachsen, wenn wir den Schritt ins Unbekannte wagen. Es ist ein offenes Geheimnis: Großartige Dinge geschehen außerhalb der Komfortzone. Diese Zone zu verlassen, verlangt uns allerdings einiges ab und braucht Mut. Es lohnt sich dennoch, diesen Schritt ins Unbekannte und Unbequeme immer wieder zu wagen. Nur so haben wir die Chance uns-weiterzuentwickeln und als Mensch zu wachsen. Es ist wichtig, auch mal Wege zu gehen, deren Ende wir noch nicht kennen. Zunächst mag in uns Angst hochkommen, doch wenn wir sie überwunden haben, erreichen wir über die Wachstumszone die Risikozone, die mit der Zeit wieder zu unserer neuen Komfortzone wird. Jedes Mal, wenn wir Angst haben, unsere Zone zu verlassen, könnte das ein Indiz dafür sein, dass das genau das ist, was wir tun sollten. Das kann etwas ganz Alltägliches sein. Zum Beispiel wenn wir unserem Kollegen Feedback geben möchten, weil uns deren lautes Telefonieren beim Arbeiten stört und wir uns einfach nicht konzentrieren können. Es kann aber auch sein, dass wir unseren Job hinter 5.7 Selbstführung 195 <?page no="196"?> uns lassen möchten, Neues entdecken und über uns hinauswachsen wollen, und bisher einfach nicht getraut haben. Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt. Pablo Picasso Schritt für Schritt aus der Komfortzone Die Angst, es könnte ja peinlich werden, zu überwinden, ist der erste Schritt aus der Komfortzone. Wenn wir es trotzdem wagen und Stärke beweisen, kann das Wagnis zu einem der aufregendsten Momente des Lebens werden. Wir besiegen die Angst und stellen uns den Herausforderungen. Wir können nur wachsen, wenn wir dazulernen. Hört sich leichter an als getan. Doch die ersten Schritte aus der Komfortzone können wir ohne jedes Risiko trainieren. Wir melden uns in einer Besprechung zu Wort und stellen eine Frage oder wir gehen auf ein Blind-Date. Wir trainieren Flexibilität mit 196 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="197"?> Veränderungen in unserem Verhalten. Wir machen etwas, was wir vorher nie gemacht haben. Das kann einen großen Unterschied in unserem Leben machen. Letztendlich geht es darum, wir verändern unsere Gewohnheiten und wir trainieren ein Verhalten, das uns stärker macht. Wir machen einen Schritt aus unserer Komfortzone und sehen, es lohnt sich. Auch ein Weg von tausend Schritten fängt mit dem ersten Schritt an. Warum wir trotz Angst Risiken eingehen sollten Stellen wir uns vor, wir wohnen in einem Schloss. In unserem Traumschloss gibt es eine einzige verschlossene Tür. Wir haben keinen Schlüssel und wir wissen nicht genau, was uns hinter dieser Tür erwartet. Es könnte etwas Gutes oder Schlechtes oder auch gar nichts sein. Wir wissen, dass wir die Tür nur mit Dynamit aufsprengen können. Weil wir neugierig sind, sprengen wir die Tür, obwohl wir noch nie mit Dynamit gearbeitet haben. Die Tür soll eine Metapher für verschlossene geistige oder gefühlte Türen in unserem Kopf sein, hinter denen inspirierende Impulse-und immense Bereicherungen auf uns warten. Trotzdem bleiben diese Türen uns oft für immer verschlossen. Es ist so einfach zu anderen zu sagen: Sei mutig und sprenge die Tür. Doch wenn wir selbst in der Situation sind, dann ist die Sache mit dem Sprengen nicht mehr so einfach, schließlich könnten wir mit in die Luft fliegen. Das ist sicher ein extremes Beispiel und es gibt auch noch viel dazwischen. Doch manchmal sind wir an Kreuzungen in unserem Leben, an denen wir vor der Wahl stehen, auf ausgefahrenen Wegen im Schutz der Herde mitzulaufen oder mutterseelenallein und mutig abzubiegen. Bei Windstille kann der Turmhahn leicht Charakter zeigen, in Sturm und in Gefahr trennt sich jedoch Spreu vom Weizen. Ar-Mut oder Mut Ausbruch? Gefahren lösen bei manchen Menschen Panik aus. Sie werden vom Angst‐ virus befallen. Sie haben Angst davor, von anderen schief angeschaut zu werden, wenn sie anfangen zu bibbern. Sie können ihre Ängste einfach nicht überwinden. Dabei kann es befreiend sein, wenn wir den ersten Schritt aus der Komfortzone wagen. Wenn wir trotz Angst mutig Risiken eingehen, bringt uns das weiter. Wenn wir uns durchgerungen haben, erleben wir oft besondere und magische Momente. Mut zu haben bedeutet nicht, keine 5.7 Selbstführung 197 <?page no="198"?> Angst zu haben. Wenn wir uns von der Angst ausbremsen lassen, steckt dahinter oft Angst vor Fehlern, Angst vor falschen Entscheidungen, Angst vor Ablehnung. Am schlimmsten ist allerdings die Angst oft nur in unserer Vorstellung. Jemand hat z. B. wahnsinnige Angst, Präsentationen auf Englisch zu halten. Er findet sein Englisch furchtbar schlecht. Doch weil der Chef einige inter‐ nationale Gäste eingeladen hat, muss er trotzdem sein Projekt in Englisch vorstellen. Das machte ihm wochenlang so viel Angst, dass er nahezu gelähmt war. Wohl oder übel musste er sich schließlich der Herausforderung stellen. Obwohl die Präsentation nicht perfekt war, war sie gut und viel besser als er selbst erwartet hatte. Im Nachhinein betrachtet war die Präsentation halb so schlimm. Das Schlimmste war die wochenlange Angst davor. So oder so ähnlich geht es auch Menschen, die Flugangst haben und aus Angst vor einem Absturz sich gar nicht mehr auf den Urlaub freuen können. Genauso verhält es sich mit der Angst vor einem Blind-Date, weil wir denken, dass wir nicht attraktiv genug sind. Oder mit der Angst vor einem Jobwechsel, weil wir die neuen Aufgaben noch nicht perfekt beherrschen. Manche Menschen heiraten nie, weil sie Angst haben, vom Partner verlassen zu werden. Ja, alle diese Ängste können theoretisch zumindest Realität werden. Doch meistens ist das Schlimmste nur die Angst. Im Leben geht es häufig darum, kalkulierte Risiken einzugehen und Dinge anzupacken, deren Ausgang noch nicht klar und sicher ist. Dass da Angst 198 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="199"?> aufkommt, ist verständlich. Doch letztlich ist es unsere Entscheidung, ob wir uns von der Angst ausbremsen lassen. Stellen wir uns doch mutig einer Herausforderung inklusive Angst! So fangen oft die schönsten Geschichten im Leben an. Wenn wir das Leben erfolgreicher Menschen anschauen, dann stimmt das meistens. Überlegen wir mal: Was waren die schönsten Geschichten in unserem Leben? Und wie viel Mut haben wir gebraucht, um uns wie im Märchen zu fühlen? Sonnenenergie und die Ladestation für Körper und Seele! Gesundheit steht an der Spitze menschlicher Wünsche und Bedürfnisse. Mit Gesundheit meinen wir nicht nur das Fehlen von Krankheitssympto‐ men, sondern-ein Leben voller Energie, Zufriedenheit und Leichtigkeit. Jedem von uns kann es passieren, dass wir durch unerwartete tragische Ereignisse aus der Bahn geworfen werden. Ob wir wieder auf die Erfolgs‐ spur zurückfinden, hängt von unseren Energiereserven ab. Energie ist die wichtigste Ressource für unsere Leistungsfähigkeit und entscheidend, ob wir es im Leben schaffen. Energiespender sind z. B. Menschen, die uns als Freundin oder Freund ermutigend zur Seite stehen, eine gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßiges Training. Das alles spielt eine wichtige Rolle, ob unser Energiekonto nachhaltig gefüllt ist oder ob wir unser Energiekonto überziehen oder Energieräuber unser Konto plündern können. Wir können uns mit Energie durch einen gesunden Lebensstil aufladen oder Energie sparen, indem wir ungesundes Verhalten loswerden. Dann haben wir immer noch genügend Energie, auch wenn uns jemand den Stecker zieht oder den Gashahn zudreht. Wir können auch andere inspirieren, wenn wir Energie haben. Wir brauchen Energie, um zu leben, zu denken und uns zu bewegen. Bewegung, Ernährung und Entspannung sind für unsere Vitalität wichtig, und haben einen direkten Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden. Sie sind der physische Motor, wenn es darum geht, Energie und Kraft aufzubringen, um Hindernisse zu überwinden und über uns hinauszuwachsen. Doch Vitalität ist viel mehr als körperliche Energie allein. Erst wenn Körper und Seele im Einklang sind haben wir ausreichend Energie. Wenn wir nachhaltiges Energiemanagement zu unserem Herzensthema machen, sind wir auch in Krisenzeiten leistungs- und widerstandsfähig. Wenn uns Energie fehlt, hat das Konsequenzen. Schwermütigen Men‐ schen fehlt die Energie, um ihren Tag zu bewältigen. Frisch gebackene 5.7 Selbstführung 199 <?page no="200"?> Eltern, die kaum Schlaf finden, können sich nur mit Mühe über den Tag retten, weil die Energie weg ist und fehlt. Wir brauchen viel Energie für den normalen Alltag. Noch viel mehr Energie brauchen wir, wenn wir etwas machen möchten, was wir nicht gewohnt sind. Besonders viel Energie brauchen wir, wenn wir etwas in unserem Leben ändern wollen. Egal, ob wir ein paar Kilo abnehmen, mehr Sport machen oder eine höhere Stufe auf der Karriereleiter hochsteigen. Wenn wir etwas verändern möchten, ist der Energieaufwand solange höher, bis das Gelernte wieder zur Gewohnheit geworden ist. Wollen wir zudem noch andere unterstützen, etwas in ihrem Leben zu verändern, dann brauchen wir noch mehr Energie. Doch woher nehmen? Wir alle kennen Menschen, die sind so stark mit sich selbst beschäftigt, dass ihre Energie dafür draufgeht, mit sich selbst zurechtzukommen. Und das andere Extrem gibt es auch: Menschen, die nur darauf achten, dass es allen anderen gut geht und dabei sich selbst vernachlässigen. Das Verrückte daran ist: Je mehr Energie wir von uns selbst bekommen, desto mehr können wir auch davon abgeben. Je mehr Energie uns täglich ein Lebensbereich kostet, desto schwieriger wird es für uns, woanders richtig Gas zu geben. Menschen, die sich jeden Tag zur Arbeit quälen, kommen in der Regel nicht nach Hause und geben dann richtig Gas. Sie sind mit sich und der Welt am Ende. Es ist wichtig, dass wir uns um uns und unsere eigene 200 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="201"?> Energie kümmern und für volle Energietanks sorgen. Nur dann sind wir in der Lage, auch andere mit Energie zu versorgen. Auch wir stoßen im Leben auf Energieräuber. Um ein ausreichend gefüll‐ tes Energiekonto zu haben, ist es wichtig, unseren Energieräubern auf die Spur zu kommen. Es ist erstaunlich, wie leicht Menschen beeinflussbar sind und zu Opfern von Energieräubern werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir lernen, Energieräubern Grenzen zu setzen. Es gibt Menschen, die uns bereichern, aber auch Menschen, die uns runterziehen. Das Leben kann uns vieles rauben, aber wir können selbst entscheiden, mit wem wir unsere Zeit verbringen wollen. Nicht nur Menschen können uns Energie geben und nehmen, auch unsere Arbeit, Aufgaben und Aktivitäten gehören dazu. Wer oder was in unserem Umfeld gibt uns richtig viel Energie? Und wer oder was raubt uns Energie? Um unser Energielevel positiv zu beeinflussen, ist es wichtig, dass wir klar erkennen, was uns Energie gibt und guttut. Es ist einfacher mehr Süßigkeiten zu essen als weniger. Gönnen wir uns doch einfach mehr von dem, was uns guttut. Unsere Energiequellen Wenn wir unsere Motivation mit unseren Werten und Bedürfnissen in Ein‐ klang bringen, sprudelt in uns eine fast unerschöpfliche Energiequelle. Die Quelle liefert Energie, um uns weiterzuentwickeln. Wenn eine Organisation sich nicht weiterentwickelt und nichts Neues auf den Markt bringt, zieht die Konkurrenz oft schneller als erwartet an ihr vorüber. Die Welt verändert sich laufend und nichts ist so konstant wie der Wandel. Gerade deshalb ist 5.7 Selbstführung 201 <?page no="202"?> es wichtig,-dass wir an unserer Persönlichkeit arbeiten und unsere Stärken ausbauen. Wichtig ist auch, unsere Energieströme wie die Instrumente eines Orchesters aufeinander abzustimmen. Dann entwickeln wir uns harmonisch weiter. Energie per Knopfdruck hervorzaubern? Wenn wir uns Marketingbotschaften anschauen, mit denen wir super aussehen, zum fähigsten Menschen der Welt werden und praktisch über Nacht ohne Aufwand Millionen verdienen, kann man sich nur wundern. Früher haben wir Jahre gebraucht, um uns zu bilden, Krisen zu überwinden und aus Fehlern zu lernen. Dann waren wir vielleicht so gut, dass wir dachten, jetzt können wir auch anderen etwas davon beibringen. Heute haben manche Menschen (k)einen Erfolg mit dem, was sie machen, und wollen doch anderen helfen, über Nacht reich zu werden. Diese Art von Schnellwachstum ist ohne Substanz. Wenn es darauf ankommt, wird ganz schnell klar, ob wirklich Substanz da ist. Manche Menschen haben einen verqueren Anspruch an sich selbst, weil sie die Erwartungen an sich selbst auf kein realistisches Niveau bringen können. Tatsache ist, dass wir nicht erwarten können, dass das, was wir zum ersten Mal machen, perfekt ist. Mit einem überzogenen Anspruch an uns selbst, ist alles, was wir tun, nicht gut genug. Nicht das, was wir leisten, sondern das, was wir selbst davon halten, an was wir uns orientieren und womit wir uns vergleichen ist oft das Problem. Tun ist mehr als denken. Wir lernen aus unserer Erfahrung, aus dem, was wir tun. Wenn wir gute Vorträge halten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als ins kalte Wasser zu springen. Trotz Lampenfieber halten wir Vorträge, die vielleicht noch nicht perfekt sind, aber wir lernen, wie wir mit Lampenfieber und Stress umgehen können. Schneller Erfolg ist oft wie Instantglück nicht nachhaltig. Gut Ding braucht Weile. Mit vielen Lektionen machen wir neue Erfahrungen, die uns inspirieren und unseren Charakter formen. Neben Sachinhalten lernen wir den Umgang mit Optimismus, Flexibilität, Scheitern-und viel‐ leicht auch Demut. Entspannt können wir jeden Tag etwas Neues lernen und uns kontinuierlich weiterentwickeln. Von heut auf mor‐ gen werden wir nicht perfekt. Genauso wie Pflanzen gute Erde, Dünger und Sonnenenergie brauchen, bis aus Samen schöne Blumen werden, brauchen Menschen Zeit und Energie, um aufblühen zu können. Energie brauchen wir 202 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="203"?> vor allem, um über Abgründe oder Hindernisse, die uns den Weg versperren, zu springen. Wenn wir wachsen möchten, müssen wir auch unsere Blockaden lösen, statt sie auszusitzen. Wir müssen dranbleiben, auch wenn uns viel abver‐ langt wird. Nur wenn wir genügend Energie haben, können wir das alles schaffen. Das Selbstbild macht den Unterschied Für unseren Erfolg und Wohlbefinden ist es außerordentlich wichtig, dass wir von unserem Tun überzeugt sind. Ein positives Selbstbild, mit dem wir unsere Selbstwirksamkeit stärken, ist dafür die Voraussetzung. Mit viel Selbstwirksamkeit im Gepäck wird für uns aus einem unbezwingbaren Berg eine sportliche Herausforderung. Die richtige Sichtweise hilft uns auf Durststrecken durchzuhalten. Lassen wir unseren Blick einmal in die Vergangenheit schweifen. Fallen uns Situa‐ tionen ein, in denen uns alles gelungen ist? Waren wir mit einer großen Herausforderung konfrontiert und sind im Laufe der Bewältigung in einem Maße über uns hinausgewachsen, wie wir es nie für möglich gehalten hätten. 5.7 Selbstführung 203 <?page no="204"?> Wenn wir solche Erfahrungen im Leben gemacht haben, sollten sie nicht in Vergessenheit geraten. Wir sollten sie als Ermutigung und Beleg dafür ansehen, dass wir in der Lage sind, auch große Herausforderungen im Leben meistern zu können. Herzensmenschen als Stressbremse Wenn wir jeden Tag nur einen Schritt gehen, werden wir überrascht sein, wie lange es dauern kann, bis wir unser Ziel erreichen. Wenn uns allerdings etwas am Herzen liegt oder ans Herz gewachsen ist, sind wir mit großem Eifer und Turbogeschwindigkeit unterwegs. Eine Herzenssache kann für uns Freiheit, Unabhängigkeit, Wachstum, Erfolg und Erfüllung sein oder auch anderen zu helfen. Wir spüren tief im Herzen, was uns antreibt und investieren dafür viel Zeit und Energie. Auch bei der Arbeit sind wir am liebsten mit Herzensmenschen zusammen. Mit ihnen geben wir alles, selbst dann, wenn es mal nicht rund läuft. Wir nehmen zusammen unser Leben in die Hand. Menschen sind nicht dafür gemacht, alles allein herauszufinden und alles alleine zu machen. Mit guten Vorbildern, Mentoren, Coaches und anderen Menschen geht alles viel schneller. Gemeinsame Erfahrungen sowie Erlebnisse zu teilen und Erfolge zu feiern ist unglaublich erfüllend. Genauso erfüllend ist es, füreinander da zu sein, wenn Not an der Frau oder am Mann ist. Es gibt viele Herausforderungen, die können wir nur gemeinsam meistern. In einer turbulenten und chaotischen Welt müssen Menschen und Organisationen nicht nur schneller reagieren, sondern auch schneller und besser interagieren. Was auch immer die Zukunft bringt, wir gewinnen nur durch Kooperation genügend Energie, um gut durch Krisen zu kommen. Gutes Miteinander ist eine wirksame Stressbremse. Warum Freundschaften so wichtig sind Die Energiequelle soziale Unterstützung muss sprudeln, wenn wir Krisen erfolgreich bewältigen wollen. Sie ein wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit. Freunde, Kollegen, Bekannte, Nachbarn und Familie, sie alle können eine Energiequelle für uns sein. Soziale Beziehungen stillen unser menschliches Grundbedürfnis nach Bindung, Schutz und Sicherheit. Ein sta‐ biles soziales Netzwerk hat einen Puffereffekt auf Stress. Die Unterstützung durch andere Menschen hilft uns, negative Auswirkungen von kritischen 204 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="205"?> Ereignissen abzufangen. Wir brauchen Menschen, die uns zur Seite stehen, guten Rat geben, die uns inspirieren, ermutigen und motivieren neue Schritte im Leben zu wagen. Tragfähige belastbare Beziehungen sind eine wichtige Energiequelle. Wenn wir wissen, dass wir uns auf Freunde und Familie verlassen können, können wir deutlich besser Stresssituationen bewältigen. Wichtig ist aber auch, auf Gegenseitigkeit zu achten. Sind wir für andere eine Stütze, ein echter Freund, der Halt gibt oder klammern wir uns nur an anderen fest, um Halt zu finden. Es gibt Menschen, die sich an anderen festkleben. Mit denen muss man nur reden und schon hat man Schnupfen oder sogar Corona. Wir alle wünschen uns sowohl unabhängig und selbständig zu leben als auch andere Menschen, die für uns da sind, wenn wir sie brauchen. Unser Netzwerk sollte für neue Freundschaften und Beziehungen aber immer offen sein. Denn manchmal tauchen Menschen in unserem Leben auf, mit denen wir nie gerechnet haben. Und andere, mit denen wir für immer gerechnet haben, verschwinden. Stabile Beziehungen und Freundschaften stärken unsere Widerstandskraft. Egal, wie tief das Tal auch sein mag oder wie steinig der Weg ist, wer sich in schlimmen Zeiten auf gute Freunde verlassen kann, sollte dankbar sein. Menschen brauchen uns und wir brauchen Menschen. Menschen sind die Medizin der Menschen. Sie trösten uns, wenn wir traurig sind, sie hören uns zu, wenn wir jemanden zum Zuhören brauchen, sie geben uns Rat, wenn wir ratlos sind, und sie helfen uns, wenn wir Hilfe brauchen. Menschen sind soziale Wesen und nicht zum Alleinsein geschaffen. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede. Einige brauchen weniger andere mehr, manche kommen gut mit sich allein zurecht. Aber spätestens, wenn unser Leben aus den Fugen gerät, brauchen wir Menschen, die uns auffangen und durch die Krise begleiten. Menschen sind eine unerschöpfliche Energiequelle, sofern sie die richtigen Worte finden und für uns da sind, wenn wir sie brauchen. 5.7 Selbstführung 205 <?page no="206"?> Delegieren als Stressbremse Aufgaben zu delegieren hat für alle Beteiligten viele Vorteile. Wenn wir Aufgaben abgeben, die wir nicht so gut können oder die wir nicht gerne machen, haben wir weniger Stress. Delegieren spielt nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben eine wichtige Rolle. Delegieren ist in vielen Alltagssituationen, sei es im Haushalt, bei der Steuererklärung oder im Verein genauso wichtig wie im Beruf. Wir geben Arbeit an andere Personen ab, um uns selbst zu entlasten und um die Arbeit besser zu verteilen. Immer dann, wenn die Aufgaben uns über den Kopf wachsen und uns alles zu viel wird, sollten wir ernsthaft über Delegieren nachdenken. Außerdem ist Delegieren immer dann sinnvoll, wenn die Arbeit von anderen besser erledigt werden kann. Die Aufgabe von Führungskräften ist, dafür zu sorgen, dass die Arbeit gleichmäßig verteilt ist und gut erledigt wird. Aufgaben zu delegieren hat für alle Beteiligten weitere Vorteile. Jeder kann sich besser auf seine Kernkompetenzen konzentrieren und wenn wir Aufgaben abgeben, die wir nicht so gerne machen, haben wir weniger Stress. Im Idealfall geben wir Aufgaben an Menschen ab, damit die Arbeit besser erledigt wird, als wenn wir sie selbst gemacht hätten. 206 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="207"?> Gutes Delegieren fördert auch die Weiterentwicklung und das Vertrauen im-Team, wenn wir mit den Aufgaben auch die Verantwortung abgeben. Dann geht es auch mal ohne den Chef, wenn dieser krank oder im Urlaub ist. Delegieren funktioniert nur dann gut, wenn wir anderen vertrauen und zutrauen, dass sie alles richtig machen. Oft liegt es an unserer Einstellung, wenn wir anderen wenig zutrauen und nicht vertrauen. Mit der Einstellung, außer mir kann das niemand oder es geht viel schneller, wenn ich es selbst mache, bleibt die Arbeit an uns hängen. Nur wenn wir anderen vertrauen und sie wertschätzen, werden sie die Aufgaben gut erledigen. Wichtig ist auch klar zu kommunizieren, was genau verlangt wird. Wir müssen besonders komplexere Aufgaben genau erklären und gemeinsam besprechen, bis wann sie erledigt sein sollen. Im Zweifelsfall kann es hilfreich sein, die andere Person die Aufgabe mit eigenen Worten wiederholen zu lassen, um Missverständnissen vorzubeugen. Es ist auch sinnvoll, komplexere Vereinbarungen schriftlich festzuhalten. Wenn wir eine Aufgabe abgeben, bedeutet das, dass eine andere Person dafür nicht nur zuständig, sondern auch mitverantwortlich ist. Natürlich bleiben auch wir in der Verantwortung und müssen die Ergebnisse im Blick behalten. Aber es ist nicht gut für die Zusammenarbeit, wenn wir ständig nachzufragen und jeden Schritt kontrollieren. Wer eine Aufgabe erledigt, braucht seinen eigenen Handlungsspielraum. Sonst entsteht Stress und Frust auf beiden Seiten. Wenn wir Aufgaben delegieren, müssen wir auch die notwendigen Voraus‐ setzungen schaffen. Wir müssen alle notwendigen Informationen zugänglich machen. Kunden, Kollegen, Vereinsmitglieder und alle anderen Beteiligten können nur gut kooperieren, wenn sie wissen, dass eine Person eine be‐ stimmte Aufgabe übernommen hat. Dadurch steigt die Handlungsfähigkeit deutlich. Es ist auch ungeschickt und wird leicht als respektlos empfunden, Aufgaben auf den letzten Drücker abzugeben. Die andere Person hat dann nur noch wenig Spielraum, um die Aufgaben rechtzeitig zu erledigen. Anderen Menschen den eigenen Weg aufzuzwingen, funktioniert meis‐ tens auch nicht, denn andere Menschen gehen anders an Aufgaben heran. Das kann beim Delegieren ein echtes Problem werden. Hier kommt es darauf an, sich selbst zurückzunehmen und die anderen einfach mal arbeiten zu lassen, ohne sie unnötig einzuengen. Die andere Herangehensweise kann zu gleichen oder sogar besseren Ergebnissen führen. Oft werden die Aufgaben durch Delegieren nicht schlechter, sondern nur anders oder gar besser gelöst. Die Kontrolle nach erfolgreichem Abschluss der Arbeit ist 5.7 Selbstführung 207 <?page no="208"?> wichtig und eine gute Gelegenheit für Lob, Dank und Anerkennung. Das steigert die Motivation der Mitarbeiter und macht Mut weitere Aufgaben zu übernehmen. Idealerweise delegieren wir an Personen, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben, die wir gut kennen und denen wir vertrauen. Effektives Delegieren ist eine sehr wirksame Stressbremse für alle Beteiligten. 208 5 Stressmanagement-Programme in Organisationen <?page no="209"?> 6 Ausblick „Mit Stress - Freund oder Feind“ haben Sie einen Überblick über präventives Stressmanagement und die Boxenstoppstrategie gewonnen. Im Kern geht es um erprobte Strategien und greifbare Ansätze, Stress langfristig mit einem gesunden Lebens- und Arbeitsstil in Einklang zu bringen. Präventives Stressmanagement ist wie ein Navi, das den Weg zu mehr Gesundheit, Sicherheit, Erfolg und Erfüllung im Leben zeigt, indem es Intention, In‐ spiration und Aktion in Einklang und Anspannung und Entspannung in einen gesunden Rhythmus bringt. Wenn wir auf ein gesundes Stressniveau achten, können wir die Herausforderungen des Lebens nachhaltig, gewandt, geschmeidig und schwungvoll bewältigen und auf Dauer vorne mitspielen. Sowohl zu wenig als auch zu viel Stress macht Stress zu einem Feind. Positiver Stress ist ein Freund, der uns Mut macht und beflügelt. Ganz besonders am Anfang von Entwicklungs- und Wachstumsphasen geht es nicht ohne eine gesunde Dosis an positivem Stress. Hermann Hesse hat das so ausgedrückt: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und leben lässt.“ Sie sortieren alles aus, was Sie nicht weiterbringt, und unterbrechen mit der Stressbremse wirksam den Stressteufelskreis. Bei einem Boxenstopp machen sie sich bewusst, was sie so alles schon geschafft haben. Bewusst nehmen Sie Abschied von dem, was sie schon immer weg- und loslassen wollten. Nur wer loslässt hat beide Hände frei und wer hochsteigen will, muss Ballast abwerfen. Dann überlegen Sie, wo will ich hin, und erkennen: jetzt haben sie eine tolle Gelegenheit, Ihre Scheinwerfer neu einzustellen. In diesem Buch habe ich beim Umgang mit Stress bewusst den Schwer‐ punkt auf praktische Lösungen gelegt, die einfach und sofort umsetzbar sind, um Menschen im Berufsleben nicht mit viel Theorie zum Thema Stress zu behelligen. Die Boxenstoppstrategie ist problem- und lösungsorientiert. Es werden erprobte Wege aufgezeigt, wie sie Stress im Alltag nachhaltig bewältigen können. Bedrohungen und Ungewissheit setzen uns unter Dau‐ erstress, der uns blockiert und auslaugt. Unser Wahrnehmungshorizont wird stark eingeengt, so dass wir das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr erkennen können. Insbesondere die Hitzköpfe unter uns leiden besonders stark unter einem Tunnelblick. Bevor bei ihnen alle Sicherungen rausfliegen, ist es höchste Zeit, auf die Stressbremse zu treten und einen Boxenstopp zu <?page no="210"?> machen. Während einer chilligen Verschnaufpause kühlen sie ihr überhitz‐ tes Gemüt ab und schalten auf positiven Stress um. Das ist der erste wichtige Schritt, auf dem Weg zu einer gesunden Stressbewältigung. Sie tun gut daran, regelmäßig auf Distanz zu ihren Stressoren zu gehen. Affirmationen wie „In der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Kinder macht langsam, wir haben es eilig“ helfen, ihr Stressmonster vom Leib und auf Distanz zu halten. Sobald sie beim Boxenstopp zur Ruhe gekommen sind, stellen Sie Ihre Pupillen wieder auf maximale Weite, erweitern ihren Wahrneh‐ mungshorizont und verschaffen sich erstmal einen Überblick. Sie wissen, Ihr Kopf ist rund, damit ihr Denken die Richtung wechselt. Mit kühlem Kopf analysieren Sie den Ist-Zustand und finden mit klaren Gedanken eine konstruktive Lösung für das neue Problem. Viele Menschen sind so gestrickt, dass sie unangenehme Situationen schnellstmöglich hinter sich bringen wollen. Sind sie unter starkem Stress, werden sie von Instinkten gesteuert. Die Folge: sie treffen übereilte statt optimale Entscheidungen. Für Menschen ist es scheinbar befriedigender, Aufgaben schnell zu lösen, um in kritischen Situationen wenigstens die Genugtuung von kleinen Erfolgserlebnissen zu haben. Zum Beispiel Angst können Menschen kurz‐ fristig mit Konsum von Alkohol, Aktionismus und Egoismus betäuben. Auf Dauer und langfristig aber helfen nur vernünftige und weise Lösungen. Menschen lieben spontanes Verhalten: schnell, spontan, alles sofort, immer erreichbar. Wie ein Hund reagieren sie mit dem Pawlowreflex auf jedes Klingelzeichen, unbewusst und unwillkürlich. Alles sofort abhaken. Eine reaktive statt vorausschauende Handlungsweise ist die Folge. Im Kern geht es um limitierende und unterstützende Gedanken, wie sie in den beiden folgenden Diagrammen als Trotzphase oder Erfolgsturbo auf den Punkt gebracht werden. Sie sind der Schlüssel, um unserem Unterbewusstsein auf die Schliche zu kommen und herauszufinden, was dort an Prägungen aus der Kindheit - negativ wie positiv - abgespeichert ist. 210 6 Ausblick <?page no="211"?> Wenn Sie Stress nachhaltig bewältigen wollen, ist allerdings proaktives Handeln angesagt. Auf Dauer gibt es kein Glück auf Knopfdruck. Auf der unbewussten Ebene mag vieles zwar schnell, effizient und wie geschmiert laufen. Bewusste und besonnene Reaktionen brauchen allerdings mehr Zeit. Vor allem brauchen sie Ruhe, um unser Verhalten gut reflektieren zu 6 Ausblick 211 <?page no="212"?> können. Noch mehr Zeit und Ausdauer brauchen wir, um unser Verhalten zu verändern. Ein kluger Stressmanager fokussiert bewusst auf Aufgaben, die wichtig sind und erledigt diese in aller Ruhe. Er plant mit Gelassenheit, erkennt seinen Handlungsspielraum und wählt die besten Optionen aus. Ungestört, im Block und mit viel Schwung kümmert er sich um die wichtigen Dinge. Nur wenn er sich auf die wichtigen Aufgaben voll konzentrieren kann, erledigt er sie in kürzester Zeit mit Elan. Dann bleibt noch genügend Zeit für die unwichtigen Dinge im Leben. Wir können unsere Zukunft am besten voraussagen, wenn wir sie proaktiv selbst gestalten. Gesundheit ist für viele etwas Selbstverständliches, solange sie keine Schmerzen haben. Sie tun sich schwer, etwas für ihre Gesundheit vorbeu‐ gend oder präventiv zu tun. Erst unter Leidensdruck sind sie bereit, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Doch die Reparatur von Gesundheit ist immer aufwendiger, mühsamer und teurer als die Prävention. Das ist die gemein‐ same Herausforderung der Prävention von Stress und Krankheiten. Der Knecht sagt, ich muss, der Freie ich will. Die Denkanstöße in diesem Buch wollen sie auf einen Weg frei von Einengung und Schinderei navigieren. Sie lernen Schikanen auszuweichen, die sie daran hindern, das Leben zu führen, dass sie eigentlich wollen. Schikanen sind für sie keine Stolpersteine oder gar Stoppschilder mehr. Sie lassen sich von nichts und von niemand ausbremsen. Immer wenn sie unter Stress sind und es besonders eilig haben, verlangsamen sie das Tempo und halten inne. Sie drücken auf die Stressbremse und machen sich bei einem Boxenstopp ein Bild - ohne Scheuklappen - von der Situation. Sie sehen und bewerten die Situation entspannt und manches Stressungeheuer schrumpft zu einer Stressfliege. Im Abschnitt präventives personenorientiertes Stressmanagement finden Sie ein Bündel von Stressbremsen. Suchen sie die Stressbremse aus, die zu ihrem brennendsten Problem passt. Es ist die Stressbremse, die Ihnen wie ein Generalschlüssel die Tür zu einem Leben in gesundem Stress öffnet. Auch wenn sie teilweise zu anderen Einschätzungen und Schlussfolge‐ rungen zum Thema Stressbewältigung kommen sollten, Hauptsache Sie haben die Boxenstoppstrategie verstanden. Wenn Sie die dahinterstehenden Prinzipien und deren Zusammenspiel erfasst haben, wird es garantiert dauerhaft funktionieren: Weniger Stress, den Kopf frei für die wirklich wichtigen Dinge, mehr Zeit, um wieder kreativ zu denken. Sie sind schon ein gutes Stück auf dem Weg zu einem optimalen und gesunden Stressniveau weitergekommen, wenn sie zum Gestalter ihres eigenen Fühlens, Denkens und Handelns werden. Mit der Zeit wird es Ihnen immer leichter fallen, 212 6 Ausblick <?page no="213"?> sich auf Ihre brennendsten Probleme zu konzentrieren und Ihre Zeit in den Griff zu bekommen. Auf Dauer bleiben Sie dann belastbar und vermeiden Burnout. Sie wissen, negativer Stress macht auf Dauer dumm und krank. Er lähmt die Kreativität und ist Gift für eine vertrauensvolle Kommunikation und gute Beziehungen. Heutzutage sind kreative und flexible Menschen mit einen großen Handlungsspielraum gefragter denn je. Kreativität und Innovation sind nur in einem gesunden, offenen und vertrauensvollen Organisationklima möglich. Wissen, Engagement, Innovationskraft, Flexi‐ bilität, Leistungsfähigkeit und Kreativität der Mitarbeitenden bestimmen die Wettbewerbsfähigkeit. In der Boxenstoppstrategie sind die Erfahrungen mit Klienten, Patienten und erfolgreichen Führungskräften aus Organisationen im Umgang mit Stress zusammengefasst. Doch was nützen Ihnen die besten Strategien, wenn Sie für die Ziele anderer Menschen in Organisationen arbeiten. Nur wenn Sie sich mit ihren Zielen voll und ganz identifizieren können, sind Sie auf Dauer gut motiviert. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie etwas erreichen wollen, weil es Sie glücklich macht und die Beweggründe von innen oder von außen kommen. Menschen befinden sich oft im Dauerstress, weil sie nach außen anders und besser dastehen möchten, als sie in Wirk‐ lichkeit sind. Stress hat man nicht - man macht ihn sich. Ganz besonders dann leiden Menschen unter Stress, wenn sie Menschen imponieren wollen, die sie eigentlich nicht leiden können. Nutzen sie das Buch als Inspirationsquelle für ihren ganz persönlichen und den gemeinsamen Erfolg mit anderen Menschen! Sie erhalten einfache Strategien für mehr Klarheit und einen roten Faden für einen erfolgreichen Lebensweg. Wie ein guter Freund hilft es Ihnen Ihre privaten und berufli‐ chen Ziele auf dem kürzesten Weg in der besten Zeit zu erreichen. Finden Sie Ihren gesunden Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung. Setzen Sie Prioritäten und gehen Sie stufenweise vor. Es wird Früchte tragen. Sie gewinnen langfristig mehr Power, Klarheit, Gelassenheit und Lebensquali‐ tät. Genießen Sie die Vorfreude - die Freude mag später kommen. Einfach durchstarten - wenn nicht jetzt, wann dann? Ob es so kommt, liegt an Ihnen! Ich wünsche Ihnen, dass Sie nicht immer, aber immer öfter in die Pole Position kommen. 6 Ausblick 213 <?page no="215"?> 7 Weiterführende Literatur Antonovsky, A.: Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. DGVT-Verlag, Tübingen 1997 Birkenbihl, V.: Erfolgstraining. Schaffen Sie sich ihre Wirklichkeit selbst. MVG, Landsberg a. L. 2001 Covey, S. R.: Die sieben Wege zur Effektivität. Gabal, Offenbach, 2005 Csikszentmihalyi, M.: Flow: Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2015 Csikszentmihalyi, M.: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Eine Psychologie für das 3.-Jahrtausend. Klett-Cotta, Stuttgart 2000 Dörner, D.: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situa‐ tionen. Rowohlt, Reinbek 2003 Ernst, H.: Gesund ist, was Spaß macht. Kreuz Verlag, Stuttgart 1992 Frankl, V. E.: Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentra‐ tionslager. Penguin München 2018 Fromm, E.: Die Kunst des Liebens, Ullstein, Frankfurt 2005 Fischer, E. P.: Das Schöne und das Biest. Ästhetische Momente in der Wissenschaft. Piper, München 1997 Gallwey, W. T.: Erfolg durch Selbstcoaching. Mit der Inner-Game-Methode zu mehr Balance im Beruf. Bildung und Wissen, Nürnberg 2005 Hansch, D.: Evolution und Lebenskunst. Grundlagen der Psychosynergetik. Ein Selbstmanagement-Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002 Kabat-Zinn, J.: Im Alltag Ruhe finden. Knaur, München 2015 Seligman, M. E. P.: Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben. Lübbe, Köln 2005 Seiwert L. J.: Wenn Du es eilig hast, gehe langsam. Das neue Zeitmanagement in einer beschleunigten Welt. Campus, Frankfurt a.-M. New York 2001 Servan-Schreiber, D.: Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente. Goldmann, München 2006 Schulz von Thun, F.: Miteinander reden. Rowohlt, Reinbek 2013 Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, München, 2021 <?page no="217"?> 8 Dank Über 25 Jahre habe ich praktische Erfahrung mit der Prävention von Stress in einer internationalen Organisation gesammelt. Mitarbeiter aus allen Be‐ reichen haben mir in Beratungsgesprächen und Stressworkshops wertvolle Anregungen für den Umgang mit Stress gegeben. In Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Well-being Teams und Studenten der Berufsakademie habe ich Selbstlernprogramme in Papierform, online und im E-Learning-Format entwickelt. Außerdem habe ich den Austausch mit Kollegen und Kursteil‐ nehmern der arbeitsmedizinischen, sozialmedizinischen und technischen Akademie sowie der Berufsgenossenschaft sehr geschätzt. Patrick Sorg hat den Kontakt zur Verlagsleitung vermittelt und als Lektor das gesamte Projekt mit positivem Stress begleitet und großem Engagement unterstützt. Bei ihm, der Volontärin Karina Kowatsch und dem expert verlag bedanke ich mich für die stressfreie Zusammenarbeit. Ein Buch entsteht nie durch den Autor alleine. Zum Schluss möchte ich mich ganz besonders bei meinen Kindern Anja, Laura und Jan für die Hilfe bei der Überarbeitung der Texte und bei meiner Frau Elvira bedanken. Ihnen allen danke ich von ganzem Herzen. <?page no="219"?> Inspirationen für den Alltag Der Ein-Seiten-Plan - die Essenz der Stressbewältigung. Für Men‐ schen mit wenig Zeit, die ein Buch von hinten nach vorne lesen, das Wichtigste in Kürze Halte inne, denke nach, vergiss Geld und komme zu innerem Halt. Mit Stressbremsen und Boxenstopps könnte es gehen: Stressbremse: Kopfkino beenden - zähme Deine Gedanken und Gefühle. Den meisten Druck machen wir uns selbst. Leistungsdruck kann ebenso stressen wie motivieren. Stressbremse: Entgifte regelmäßig - innen und außen. Versuche selbstbestimmt und autonom zu leben. Alte Schlacken aus Kopf und Körper entfernen. Loslassen, was nicht guttut, nicht anhaften und festkleben. Gutgemeint ist für mich noch lange nicht gut. Stressbremse: Bleibe in der Gegenwart - Atem als Bremse und Anker. Das Glück des Lebens kann keiner schmieden, immer nur das Glück des Au‐ genblicks. Unerfüllte Bedürfnisse stressen uns. Einseitigkeit ist ungesund. <?page no="220"?> Boxenstopp: Geh in die Stille und denke nach. Innere Kraft kommt aus der Ruhe und muss sich weder rechtfertigen noch beweisen. Innere Kraft erzeugt nachhaltig Energie für Wachstum. Boxenstopp: Höre auf Deinen Bauch. Positive innere Bilder rufen starke Gefühle hervor und sind ein wirksamer Antrieb. Intuition macht Spaß und Mut für neue Erfahrungen. Boxenstopp: Fokussiere auf das Wesentliche. Erfasse die Dinge ohne Filter durch Vorurteile. Lege die rosarote Brille ab. Reines Faktenwissen ersetzt keine Erfahrung. Boxenstopp: Tue es um seiner selbst willen. Vertraue auf die eigene innere Weisheit und wähle deine Vorbilder selbst aus. Versuche nicht überall Geschäfte zu machen. Rede und handle mit aufrichtiger Gesinnung, Absicht, Geduld und Gelassenheit. Schaue immer wieder auf die Stressbremsen und Boxenstopps und versuche das ein oder andere im Leben umzusetzen. Es wird Früchte tragen. Genieße die Vorfreude - die Freude mag später kommen. „Erzähl mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe.“ Konfuzius 220 Inspirationen für den Alltag <?page no="221"?> BUCHTIPP Daniela Bernhardt Die Psychologie des Schweinehunds In 6 Schritten vom guten Vorsatz zur neuen Gewohnheit 1. Auflage 2021, 289 Seiten €[D] 18,90 ISBN 978-3-8252-5420-9 eISBN 978-3-8385-5420-4 Studieren verlangt viel Eigenmotivation und ein gutes Selbstmanagement. Doch der „innere Schweinehund“ lauert in jedem und zerkaut genüsslich die guten Vorsätze. Das Buch erläutert anhand aktueller Befunde u.a. aus der motivations-, kognitions- und sozialpsychologischen Forschung, warum es manchmal schwerfällt, gefasste Vorsätze in die Tat umzusetzen. Daraus folgen konkrete Empfehlungen, wie man den inneren Schweinehund in allen Handlungsphasen (von der Intentionsbildung bis zur Zielerreichung) „an die Leine“ bekommt. Studierende finden Unterstützung dabei, sich kurzfristig in 6 Schritten zur Erledigung drängender Aufgaben zu motivieren. Darüber hinaus zeigt der Ratgeber aber vor allem, wie sich förderliche Denkweisen und Gewohnheiten langfristig verankern lassen, um Studium, Berufseinstieg und alle weiteren Herausforderungen des Lebens gesund und gelassen zu meistern. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de <?page no="222"?> ISBN 978-3-8252-6074-3 Sind Sie ständig unter Spannung und kriegen es trotzdem nicht gebacken? Dann ist es höchste Zeit, auf die Stressbremse zu treten. Gewinnen Sie langfristig mehr Power, Klarheit, Gelassenheit und Lebensqualität. Negativer Stress macht uns krank, positiver Stress dagegen hilft wie ein guter Freund, unsere Ziele privat, in Beruf und Studium zu erreichen. Auch der Erfolg von Organisationen hängt entscheidend davon ab, ob sie sich den Stress zum Freund oder Feind machen - einem Freund, der sie beflügelt, oder einem Feind, der ihnen das Leben schwer macht. Das Buch hilft Ihnen, mit erprobten Strategien und greifbaren Ansätzen des präventiven Stressmanagements Intention, Intuition und Aktion in Einklang zu bringen. Finden Sie Ihren gesunden Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung. Schlüsselkompetenzen Dies ist ein utb-Band aus dem expert verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
