Systemisches Qualitätsmanagement
Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung
1016
2023
978-3-8385-6113-4
978-3-8252-6113-9
UTB
Paul Reinbacher
10.36198/9783838561134
Das Buch bringt die soziologische und die Managementperspektive zusammen. Es zeigt in einem systemischen Ansatz, wie Organisationen einerseits betriebswirtschaftliche Qualitätsstandards und andererseits die Komplexität der Sozialstruktur und der gesellschaftlichen Beziehungen in Einrichtungen zusammenspielen können. Dabei spielt auch die Organisationsentwicklung eine Rolle.
Das Buch richtet sich an Studierende wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge an Universitäten und Hochschulen.
Zu diesem Buch wird ein eLearning-Kurs mit 100 Fragen angeboten.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-8252-6113-9 Paul Reinbacher Systemisches Qualitätsmanagement Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung Das Buch bringt die soziologische und die Managementperspektive zusammen. Es zeigt in einem systemischen Ansatz, wie in Organisationen einerseits betriebswirtschaftliche Qualitätsstandards und andererseits die Komplexität der Sozialstruktur sowie gesellschaftliche Bezüge zusammenspielen können. Dabei übernehmen auch Personal- und Organisationsentwicklung eine wichtige Funktion. Das Buch richtet sich an Studierende wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge an Universitäten und Hochschulen sowie an Praktiker in Organisationen. Zu diesem Buch wird ein eLearning-Kurs mit über 100 Fragen angeboten. utb+ Das Lehrwerk mit dem digitalen Plus Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Systemisches Qualitätsmanagement Reinbacher Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2023-09-20_6113-9_Reinbacher_M_6113_PRINT.indd Alle Seiten 2023-09-20_6113-9_Reinbacher_M_6113_PRINT.indd Alle Seiten 21.09.23 10: 16 21.09.23 10: 16 <?page no="1"?> utb 6113 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Dr. Paul Reinbacher beschäftigt sich nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie nach diversen beruflichen Positionen in der Privatwirtschaft und im Hochschulbereich aktuell auf einer Professur für Bildungs- und Qualitätsmanagement mit Fragen der Qualität und ihres Management. Er kombiniert praktische Beratungs- und Umsetzungserfah‐ rung aus Projekten mit theoretischer Reflexion in zahlreichen Publikationen zu Fragen des Management und der Organisationsentwicklung. www.paulreinbacher.at, post@paulreinbacher.at <?page no="3"?> Paul Reinbacher Systemisches Qualitätsmanagement Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung UVK Verlag · München <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838561134 © UVK Verlag 2023 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 6113 ISBN 978-3-8252-6113-9 (Print) ISBN 978-3-8385-6113-4 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6113-9 (ePub) Umschlagmotiv: RichVintage iStockphoto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 1 11 1.1 19 1.2 22 1.3 29 37 2 39 2.1 40 2.2 45 2.3 49 57 3 59 3.1 62 3.1.1 63 3.1.2 79 3.2 83 3.2.1 84 3.2.2 100 3.3 103 3.3.1 109 3.3.2 118 122 Inhalt Statt eines Vorworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung und Einladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungsbericht zur Einstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatzpunkte für eine Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere aktuelle Anlassfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wünsche und Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Gesellschaft als Steigerung der sozialen Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Management als Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen und Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die systemisch-systemtheoretische Perspektive . . . . . . . . . Soziale Systeme und ihre Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemdenken im Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das konventionelle Management von Qualität . . . . . . . . . . Qualitätsmanagement als modernes Steuerungsparadigma Die implizite „Grammatik“ des Qualitätsmanagement . . . . Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte zeitliche, soziale und sachliche Aspekte . . . . Exkurs: ultra posse nemo obligatur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 4 123 4.1 127 4.1.1 127 4.1.2 131 4.2 133 4.2.1 134 4.2.2 140 4.3 144 4.3.1 144 4.3.2 146 148 5 151 5.1 153 5.1.1 154 5.1.2 157 5.2 161 5.2.1 161 5.2.2 163 5.3 166 5.3.1 166 5.3.2 169 171 6 173 6.1 174 6.2 179 6.3 189 198 7 199 202 205 Methoden und Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planen und Analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätsvorstellungen präzisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . System-Umwelt-Nische analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lenken und Entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozesse definieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitarbeiter*innen integrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfen und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückmeldungen provozieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerden kanalisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme und Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrdimensionalität von Organisationen . . . . . . . . . . . . . . Überwindung der integrativen Spannungen . . . . . . . . . . . . Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstorganisation von Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . Überwindung der verkürzenden Leistungsorientierung . . Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Passung von System und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überwindung der geschlossenen Zukunft . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dos and Don’ts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Todsünden und Tugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwege und Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kitsch und Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Coda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 223 235 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> Statt eines Vorworts „Qualität ist eine Frage des Umgangs mit Komplexität. Mit diesem Satz erläutert Paul Reinbacher nicht nur einen schwierigen Begriff durch einen weiteren schwierigen Begriff, sondern trifft eine wichtige Aussage: Wenn komplex all das ist, was nur auf den zweiten Blick passt, sorgt Qualität dafür, dass schon der erste Blick überzeugt.“ Univ.-Prof. Dr. Dirk Baecker, Zeppelin Universität Friedrichshafen „Paul Reinbacher gelingt in diesem Buch, was selten gelingt: Eine Theorie mit hoher Flughöhe nutzbar zu machen, um ganz konkrete Managementauf‐ gaben besser zu verstehen und einen frischen Blick auf das Thema Qualität zu werfen.“ Univ.-Prof. Dr. Michael Meyer, WU Wirtschaftsuniversität Wien „Vor dem Hintergrund einer langjährigen praktischen Erfahrung gelingt es Paul Reinbacher, den Mehrwert einer systemisch-systemtheoretischen Perspektive auf Qualitätsmanagement darzulegen. Die Komplexität des Themas ist didaktisch gekonnt aufbereitet und damit einem breiteren, sowohl an Qualitätsmanagement als auch an Systemtheorie interessierten Publikum, zugänglich. Das Buch hat das Potential, zu einem Klassiker der Qualitätsmanagement-Literatur zu werden.“ Univ.-Prof. Dr. Helmut Staubmann, Universität Innsbruck <?page no="10"?> Zu diesem Buch gibt es einen ergänzenden eLearning-Kurs aus 100 Fragen. Mithilfe des Kurses können Sie online überprüfen, inwieweit Sie die Themen des Buches verinnerlicht haben. Gleichzeitig festigt die Wie‐ derholung in Quiz-Form den Lernstoff. Der eLearning-Kurs kann Ihnen dabei helfen, sich gezielt auf Prüfungs‐ situationen vorzubereiten. Der eLearning-Kurs ist eng mit vorliegendem Buch verknüpft. Sie finden im Folgenden zu den wichtigen Kapiteln QR-Codes, die Sie direkt zum dazugehörigen Fragenkomplex bringen. Andersherum erhalten Sie innerhalb des eLearning-Kurses am Ende eines Fragendurchlaufs neben der Auswertung der Lernstandskontrolle auch konkrete Hinweise, wo Sie das Thema bei Bedarf genauer nachlesen bzw. vertiefen können. Diese enge Verzahnung von Buch und eLearning-Kurs soll Ihnen dabei helfen, unkompliziert zwischen den Medien zu wechseln, und unter‐ stützt so einen gezielten Lernfortschritt. 10 Statt eines Vorworts <?page no="11"?> 1 Einleitung und Einladung Dieses Kapitel erläutert, ● was es bedeuten kann, nicht nur in Unternehmen, sondern in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, von „Qualität“ und ihrem „Management“ zu reden. ● weshalb aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive die Funk‐ tion von „Qualitätsmanagement“ vor allem in der Verarbeitung sozialer Komplexität zu suchen ist. ● wie das vorliegende Buch aufgebaut ist, an wen es sich wendet und inwiefern es sich von anderen Büchern zum Thema „Qualitätsma‐ nagement“ unterscheidet. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1192 Es gibt heute kaum einen Lebensbereich, in dem nicht von Qualität die Rede ist. Einerseits ist das wenig überraschend - denn wer wünscht sich als Kund*in, Konsument*in, Schüler*in, Student*in, Klient*in oder Patient*in nicht qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen? Andererseits ist die Inflation des Begriffs vielleicht ein erstes Indiz dafür, dass Qualität nicht mehr als selbstverständlich gilt - denken wir nur an den Wunsch, in der Freizeit in Familien und Freundeskreisen „quality time“ zu verbringen. Dies mag mit ein Grund dafür sein, dass Organisationen wie Unternehmen und Universitäten, Schulen und Spitäler, Einrichtungen des Sozialbereichs oder Behörden der öffentlichen Verwaltung beinahe flächendeckend ein auf Qualität spezialisiertes Management implementieren (müssen). Folgt man dem Mainstream der Managementlehre, so liegen die Ursachen dieser Entwicklungen vor allem in Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung sowie im daraus resultierenden Kosten- und Konkurrenz‐ druck für Unternehmen oder im technologischen und demographischen Wandel sowie im dadurch veränderten Umfeld für Einrichtungen des Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereichs - kurz: Qualitätsmanagement ist die Wirkung verschiedener Ursachen auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene. Zugleich sind Konsument*innen, Student*innen oder Patient*innen heute <?page no="12"?> 1 Einen Höhepunkt hat der „Hype“ um Qualitätsmanagement in den 1990er-Jahren erreicht, bevor dieses sich dann ausgehend von den Betrieben der Privatwirtschaft auf Organisationen anderer Bereiche ausgebreitet hat. Heute ist Qualitätsmanagement als Steuerungstechnologie auf breiter gesellschaftlicher Basis institutionalisiert, wenn nicht gar als Selbstverständlichkeit etabliert. Nur im Bildungsbetrieb, vor allem in der Schule haftet ihm noch immer der Reiz des Neuen und der Nimbus des Innovativen an. Allerdings handelt es sich dabei möglicherweise nicht um einen Zufall, ist doch die Ankunft eines Managementkonzeptes im Schulsystem oft ein Zeichen dafür, dass es in anderen, insbesondere in unternehmerischen Kontexten bereits wieder aus der Mode gekommen ist. Das wiederum könnte ganz grundsätzlich darauf zurückzuführen sein, dass die Verbreitung solcher Konzepte dem „Energiefluss“ im sogenannten „AGIL-Schema“ von Talcott Parsons folgt (siehe Kap. 3.1), indem diese erst als „Ma‐ nagement“ in Unternehmen sowie in weiterer Folge als „New Public Management“ in Verwaltungseinrichtungen, in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitsbereichs sowie letztlich in kulturellen Einrichtungen um sich greifen. 2 Die im vorliegenden Buch entfaltete Perspektive kombiniert eine systemtheoretische (bzw. sofern empirische Einsichten beinhaltende, eine systemwissenschaftliche) Ana‐ lyse einerseits und eine systemische Anwendung andererseits. Das heißt, es werden durchwegs sowohl „abstrakte“ wissenschaftliche Konzepte und Argumente als auch „konkrete“ Ansatzpunkte für das praktische und professionelle Handeln im Kontext von Qualitätsmanagement behandelt. Dabei bilden systemtheoretische Überlegungen auf der einen Seite als Informationsgrundlage eine „Basis“, auf der anderen Seite als Reflexionsebene einen „Überbau“ für systemisches Handeln. Fritz B. Simon (2007, S. 9) schreibt dazu: „Theorien konstruieren Erklärungen, und aus denselben Erklärungen können immer verschiedene Handlungskonsequenzen gezogen werden.“ viel häufiger als früher mit Entscheidungen konfrontiert, weil auf lokale Traditionen und regionale Selbstverständlichkeiten immer weniger Verlass ist (vgl. Willke 1982, Kap. 2, „Welt als Problem“). Zum Beispiel: Welche Produkte kaufen? Welches Restaurant besuchen? Welchen Beruf wählen? Welches Studium inskribieren? Welche Karriere anstreben? Bei welchem Arzt, welcher Ärztin behandeln lassen? Welche Beratung in Anspruch nehmen? 1 Mit anderen Worten: Unser Handeln nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Alltag wird zusehends komplizierter, immer vielschichtiger und vernetzter, immer schwerer zu verstehen oder gar in seinen Konsequenzen vorherzusehen. Eine sozialwissenschaftliche, insbe‐ sondere eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise 2 interpretiert diesen Sachverhalt zuerst als Zunahme sozialer Komplexität. Und sie kann vor diesem Hintergrund dann die Frage formulieren, welche Funktion dabei der verbreiteten Rede von „Qualität“ sowie dem diese Rede begleitenden Ruf nach ihrem „Management“ zukommt (und welche funktionalen Äquivalente es gegebenenfalls gibt bzw. welche Alternativen denkbar wären). Kurz: Wenn Qualitätsmanagement die verbreitete und vor allem die verbreitet 12 1 Einleitung und Einladung <?page no="13"?> akzeptierte Antwort darstellt - was war dann eigentlich die ursprüngliche, nicht mehr hinterfragte Frage? Oder, anders formuliert: Wenn Qualitätsma‐ nagement als mögliche, vielleicht sogar als naheliegende Lösung angesehen wird - was ist dann eigentlich das zugrundeliegende, nicht mehr problema‐ tisierte Problem? Eine erste, vorsichtige Vermutung ist, dass es um Verarbeitung der stei‐ genden sozialen Komplexität geht, die immer öfter Auswahlentscheidungen erforderlich macht - wobei diese Entscheidungen zugleich immer Risiken produzieren, weil sie ja definitionsgemäß immer hätten auch anders aus‐ fallen können (Reinbacher 2013). Antworten auf die vorhin genannten Fragen, die zumindest auf den ersten Blick komplexitäts- und risikomini‐ mierend wirken, wären demnach: Gute Produkte kaufen! Gute Restaurants wählen! Gute Hochschulen besuchen! Gute Jobs anstreben! Gute Ärzt*innen konsultieren! Gute Beratung beanspruchen! Zunächst kann dabei nämlich noch weitestgehend offenbleiben, was jeweils mit solch einer Beschreibung bzw. Beurteilung als „gut“ genau gemeint ist. Denn die einen bevorzugen Sterne-Küche und Hauben-Lokale, andere wiederum Fastfood-Ketten, die einen streben nach breiter Bildung, andere nach anwendungsorientierter Ausbildung, die einen ziehen Grundlagenforschung, andere Anwendungs‐ orientierung vor etc. Man mag heute nämlich zwar jeweils etwas anderes unter „Qualität“ verstehen, kann sich aber dennoch darauf verständigen, dass Qualität als solche von Bedeutung ist. Es zeigt sich damit bereits hier, dass wir es im Fall von Qualität weniger mit einer durch Management beherrschbaren, gewissermaßen „absoluten“ Eigenschaft eines Objekts, als vielmehr mit den relativen Beziehungen zwischen einem Objekt und einem Subjekt bzw. besser: zwischen einem System und seiner Umwelt zu tun haben - weshalb Qualitätsmanagement (in systemisch-systemtheoretischer Sicht) stets die Gestaltung bzw. Vermittlung inmitten eines „Komplexitäts‐ gefälles“ zwischen System und Umwelt sowie letztlich selbst ein soziales, also ein kommunikatives und ein genuin gesellschaftliches Phänomen ist. Aus Sicht der Managementlehre ist Qualitätsmanagement vor allem die Folge von „Megatrends“ wie zum Beispiel Globalisierung und Digitali‐ sierung. Aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive ist Qualitätsma‐ nagement aber noch grundsätzlicher eine Antwort auf steigende soziale Komplexität. 1 Einleitung und Einladung 13 <?page no="14"?> Bei näherem Hinsehen stellen wir überdies fest, dass diese Verarbeitung steigender Komplexität durch eine Orientierung an Qualität sowie vor allem durch das Management von Qualität keinesfalls nur deren „Reduktion“ meint: Es sind vor allem verlockende, vorschnelle Vereinfachungen, die frü‐ her oder später zu Komplikationen führen und entsprechender Korrekturen - zum Beispiel auf Basis einer systemisch-systemtheoretischen Sichtweise - bedürfen (Reinbacher 2021). Daraus folgt, dass Qualitätsmanagement stets auch Produktion neuer komplexer (und nicht nur komplizierter) Strukturen ist bzw. sein muss. Schließlich wirft jede Antwort neue Fragen auf und bringt jede Lösung neue Probleme mit sich. Entlang dieser „Einflugschneise“ verfolgt der hier vorgelegte, schmale Band das ehrgeizige Ziel, in systemischer Perspektive und unter Rückgriff auf ausgewählte systemtheoretische Ansätze von bekannten Vertretern wie insbesondere von Talcott Parsons und Niklas Luhmann sowie in weiterer Folge von Helmut Willke, Fritz B. Simon oder Dirk Baecker eine Einführung in das Qualitätsmanagement für verschiedene Bereiche der Gesellschaft und für verschiedene soziale Kontexte, allen voran allerdings für verschiedene Erscheinungsformen (formal) organisierter sozialer Systeme vorzulegen, um damit eine Lücke in der Literatur zu schließen. Zugleich ist der Band eine Einladung, den im Mainstream der meist normativ imprägnierten Manage‐ mentlehre mit ihren oft sehr einfachen Rezepten noch immer verbreitet anzutreffenden „Brutalpragmatismus“ (© Ursula Schneider) durch sozial‐ wissenschaftliche, gesellschafts- und organisationstheoretisch informierte Perspektiven zu korrigieren. Auf diesem Weg lassen sich einerseits einige bisher verborgene Fallstricke freilegen und andererseits Erfolgsfaktoren für das Management von Qualität extrahieren. Denn während es in der Managementliteratur an Ratgebern nicht mangelt, fehlt bislang eine expli‐ zit systemisch-systemtheoretische Sichtweise auf das Thema. Diese wird hier anhand ausgewählter Aspekte von sozialen Handlungs- und Kommu‐ nikationssystemen sowie vor allem im Kontext formaler Organisationen kritisch-konstruktiv entfaltet, sodass neben den Chancen- gewissermaßen als „Rückseite“ der Medaille - unweigerlich mögliche Risiken in den Blick kommen. Während von der Managementlehre die Vorteile des Qualitätsmanage‐ ment betont werden, bringt eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise 14 1 Einleitung und Einladung <?page no="15"?> auch die damit einhergehenden Nachteile in den Blick, denn: Chancen sind bekanntlich nie ohne die sie begleitenden Risiken zu haben. Den Ausgangspunkt für unser Vorhaben bilden Wünsche und Warnungen, um die Entstehung von Qualitätsmanagement als Phänomen unserer glo‐ balisierten, modernen, westlichen Industriebzw. mittlerweile Dienstleis‐ tungsgesellschaft zu kontextualisieren und zugleich die oft anzutreffenden Hoffnungen auf rasche Wirksamkeit vorschneller Vereinfachungen zu zer‐ streuen: Es wäre nämlich viel zu kurz gegriffen, sich auf einen funktionalen Bereich des Management zu beschränken und für diesen Strategien und Werkzeuge zur Trivialisierung vielschichtiger und vernetzter Verhältnisse zu entwickeln. Notwendig ist daher eine knappe Darstellung von Grundla‐ gen und Hintergründen zu den zwei zentralen Themen - Systemdenken und Systemtheorie einerseits, Qualität und Qualitätsmanagement anderer‐ seits - um sowohl einen kompakten Überblick für Neueinsteiger*innen zu geben als auch mit kritischem Blick und durch kreative Synthese für erfahrene Expert*innen neue Aspekte darin aufzuschließen. Die in weiterer Folge vorgestellten konkreten Methoden und Techniken präsentieren keine anspruchsvollen, „technischen Tools“, sondern niederschwellige Möglich‐ keiten, die sich im Organisationsalltag bereits ohne große Budgets rasch umsetzen lassen. Sie sind vermutlich (teilweise) aus anderen Zusammenhän‐ gen bekannt, werden hier jedoch in ein neues Licht gerückt. Im Anschluss skizziert ein Kapitel über Probleme und Lösungen sowohl einige Grenzen des klassischen Qualitätsmanagement als auch Wege zu deren Überwindung aus systemisch-systemtheoretischer Sicht. Am Ende fassen Dos and Don’ts die zentralen Ergebnisse pointiert zusammen, um die Komplexität des Themas zwar für die Anwendung im Alltag ausreichend zu reduzieren, aber gleich‐ zeitig ohne selbst in die unreflektierte Normativität (zu) einfacher Rezepte abzudriften. Illustriert werden die theoretisch informierten Analysen mit praktischen Beispielen und konkreten Bezugnahmen auf unterschiedliche gesellschaftliche und organisationale Felder(wie die Wirtschaft und die Wissenschaft oder den Bildungs-, den Sozial- und den Gesundheitsbereich), in denen der Autor sich in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Berufs- und Beratungstätigkeit bewegt hat. Der Band wendet sich nicht nur an Student*innen, Dozent*innen und Expert*innen mit Interesse an Systemdenken, soziologischer Systemtheorie und Qualitätsmanagement im Speziellen, sondern außerdem an alle, die 1 Einleitung und Einladung 15 <?page no="16"?> ganz allgemein an sozialwissenschaftlichen Sichtweisen auf Management- und Organisationsfragen interessiert sind. Er adressiert nicht nur Qualitäts‐ manager*innen im engen Sinne und in großen Unternehmen, sondern er präsentiert außerdem eine alltagsnahe Einführung in ausgewählte Aspekte des managementsoziologischen Denkens und eine Einladung zur Reflexion des Handelns. Die interdisziplinären Überlegungen sind in Schnittmengen aus Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bzw. Management- und Organi‐ sationslehre verortet. Sie verbinden kritische Analyse mit möglichst kon‐ kreter Anwendung. Dieser Zugang zeigt Neueinsteiger*innen den Nutzen des systemischen Denkens und der Systemtheorie für die Praxis des Mana‐ gementhandelns am Beispiel „Qualität“ auf. Er verspricht aber zugleich für erfahrene Expert*innen neue Einsichten in ihr bisher gewohntes Tätigkeits‐ feld. Zentral ist das Bestreben, die systemtheoretische Fundierung sowohl nachvollziehbar als auch für praktische Anwendung nutzbar darzustellen. Dieser Zuschnitt ist das „Alleinstellungsmerkmal“ des Bandes: Bisher findet nämlich im Kontext von Qualitätsmanagement der Systembegriff eher all‐ tagssprachlich Verwendung (also zum Beispiel als Bezeichnung der Summe verschiedener Bestandteile einer Qualitätsmanagement-Architektur), und die seltenen, expliziten Rückgriffe auf Systemdenken bzw. sozialwissen‐ schaftliche Systemtheorie machen von diesen beiden eher instrumentellen bzw. legitimatorischen Gebrauch. Hinzu kommt, dass systemische bzw. systemtheoretische Ansätze erstens im Wissenschaftsbetrieb durch empirische und bisweilen empiristische, vorrangig nach unmittelbaren Lösungen für drängende Probleme suchende Forschung unter Druck geraten, dass sie zweitens im Unterschied dazu insbesondere in der Managementliteratur verbreitet anzutreffen sind, und drittens, dass dadurch oft eine stark verkürzte Wiedergabe gefördert wird. Der vorliegende Band ist vor diesem Hintergrund unter anderem auch eine Reaktion auf solche „Trivialisierung“ (Kühl 2015). Er reagiert angesichts der bisher vorliegenden Literatur über Qualitätsmanagement allerdings noch um einiges grundsätzlicher auf einen Mangel dieses stark von der Ma‐ nagement-Praxis getriebenen und von Management-Ratgebern dominierten Diskurses: Es fehlen (wohl nicht zuletzt mangels Nachfrage) sowohl ein hinreichendes theoretisches Fundament als auch sozialwissenschaftliche Analysen, die zu einem solchen Fundament beitragen könnten. In diesem Zusammenhang soll daher in weiterer Folge nicht zuletzt gezeigt werden, dass fundierte theoretische Perspektiven für das Management zugleich praktisch nützlich sein können. Da für Qualitätsmanagement eine entspre‐ 16 1 Einleitung und Einladung <?page no="17"?> chend ausgearbeitete Grundlage bis dato noch nicht vorliegt, soll mit diesem kompakten Band ein erster Beitrag zum Schließen dieser Lücke vorgelegt werden. Mit anderen Worten: Es geht hier nicht einfach um einen (weiteren) Versuch, systemische und ggf. systemtheoretische Ansätze als Hilfsmittel bzw. als Hilfswissenschaft für konventionelles (Qualitäts-)Management nutzbar zu machen und damit Probleme der Praxis zu lösen. Vielmehr geht es zunächst darum, zu rekonstruieren, was es bedeuten kann, von Qualität bzw. deren Management zu reden, auf welche Fragen bzw. für welche Probleme solchermaßen verstandenes Qualitätsmanagement eine Antwort bzw. Lösung sein kann, und welche neuen Fragen bzw. Probleme aus dieser Antwort bzw. Lösung möglicherweise resultieren. Dies bedeutet nicht zuletzt die Kombination einer kausalen mit einer funktionalen Logik. Einerseits lässt sich nach Ursachen für die Entstehung und Einführung von Qualitätsmanagement (als Wirkung dieser Ursachen) sowie nach den von Qualitätsmanagement (als Ursache) bewirkten Wirkun‐ gen suchen und dabei zwischen intendierten, also beabsichtigten Wirkun‐ gen und nicht-intendierten, unbeabsichtigten (Neben-)Wirkungen unter‐ scheiden. Andererseits lässt Qualitätsmanagement sich als ein Mechanismus interpretieren, der für Systeme bzw. besser für „ökologische Nischen“ aus Systemen und deren Umwelten bestimmte Aufgaben übernimmt und für den Alternativen („funktionale Äquivalente“) zur Bewältigung dieser Aufgaben, vorstellbar wären (siehe Abbildung 1 und Abbildung 44 gegen Ende des Buches). Vergleichbar der kausal-analytischen Unterscheidung zwischen Wirkun‐ gen und Nebenwirkungen lässt sich in funktional-systemischer Hinsicht zwischen manifesten und latenten Funktionen unterscheiden. Man denke hier nur an die seit einiger Zeit die Organisationsforschung über weite Stre‐ cken dominierende Perspektive des soziologischen Neoinstitutionalismus (früh: Walgenbach 1998), aus der die Verbreitung von Qualitätsmanage‐ ment zusammen mit der dadurch entstehenden zunehmenden „Gleichge‐ staltigkeit“ von Organisationen (genannt „Isomorphismus“) wesentlich über Prozesse wechselseitiger Nachahmung erklärt wird. Wesentliche (latente) Funktion der Implementierung von Qualitätsmanagement ist demnach - neben der (manifesten) Funktion einer Steigerung von Effektivität und Effizienz - die Legitimierung und Risikominimierung im Handeln und Entscheiden. Denn Hand aufs Herz: Wer kann sich heutzutage leisten, gegen (oder zumindest: nicht ausdrücklich für) Qualitätsmanagement einzutreten? Bereits wer vorsichtige Bedenken anmeldet, macht sich in hohem Maße 1 Einleitung und Einladung 17 <?page no="18"?> 3 Im gegenständlichen Fall ist dies erst die Einführung, dann die Verbreitung sowie mittlerweile die Selbstverständlichkeit von Qualitätsmanagement als Sozialtechnologie in Unternehmen der Wirtschaft und weit darüber hinaus. verdächtig. Außerdem trägt man durch den vorsätzlichen Verzicht auf die Implementierung von Qualitätsmanagement im Fall des Scheiterns das volle Risiko. Demgegenüber bietet die Anwendung von als legitim geltenden Mitteln, also beispielsweise von Qualitätsmanagement, einen gewissen Versicherungsschutz - denn im Fall des Scheiterns lässt sich immerhin darauf verweisen, dass man die „üblichen“ Vorkehrungen getroffen hat und zumindest in dieser Hinsicht „richtig“ gehandelt bzw. entschieden hat (wobei dieser Legitimationsdruck zuletzt im Bildungsbereich gestiegen, in anderen Bereichen hingegen gesunken ist; vgl. in diesem Sinne bereits Anm.-1). Der (soziologische) Neoinstitutionalismus erklärt die Verbreitung von Qualitätsmanagement durch die normative Kraft des Faktischen. Als „soziale Tatsache“ gründet sich eine Institution wie Qualitätsmanagement allerdings auch auf kulturelle Werte, die zu deren Legitimation dienen. Bleibt natürlich die Frage, weshalb Qualitätsmanagement noch vor jeder legalen Verankerung als legitimes Mittel gilt, also woraus sich die Legitimität von Qualitätsmanagement speist. Hier verweist der Neoinstitutionalismus meist mehr oder weniger auf die normative Kraft des Faktischen: Weil viele es tun, tun es immer mehr - und schließlich (fast) alle. Dies entspricht dem Dreischritt aus Normierung, Normung und Normalisierung in der „Nor‐ malisierungsgesellschaft“ (Foucault 1977). 3 Bei etwas näherem Hinsehen lässt sich allerdings vermuten, dass wir es hier insofern mit einer sozialen Institution zu tun haben, als sich deren Selbstverständlichkeit abgesehen von der faktischen sozialen Verbreitung auch auf kulturelle Werte gründet, die ihrerseits eine normative legitimatorische Grundlage zur Verfügung stellen. 18 1 Einleitung und Einladung <?page no="19"?> Abbildung 1: Kombination kausaler und funktionaler Logik 1.1 Erfahrungsbericht zur Einstimmung Mit Fragen der Qualität und ihres Management kommen wir in modernen, westlichen Gesellschaften mehr oder weniger täglich (direkt oder indirekt) in Berührung. Insbesondere betrifft dies unsere Rolle als Kund*innen von Unternehmen bzw. als Konsument*innen von Produkten und Dienstleistun‐ gen, wo es uns meist mehr als sonst bewusst wird. So betritt man eine Bäckerei mit bestimmten Erwartungen (wie frisches Gebäck und freundliche Bedienung) und stellt man auch als Kunde eines Möbelhauses einige Anfor‐ derungen an eine neue Einbauküche: Diese soll im budgetären Rahmen realisiert, funktional und ästhetisch ansprechend ausgeführt, pünktlich geliefert und fachgemäß montiert werden. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu müssen, kann sich die Erfüllung dieser auf den ersten Blick relativ einfachen Erwartungen sogar bei einem wenig aufwändigen Modell, dessen Aufmaß im Prinzip mittels Lineal, Papier und Bleistift möglich wäre, überraschend schwierig gestalten, wie eigene Erfahrungen zeigen. Während im konkreten Fall im Herbst 2020 (also ein Jahr vor dem avisierten Montagetermin) Planung und Vertragsabschluss rasch erledigt 1.1 Erfahrungsbericht zur Einstimmung 19 <?page no="20"?> waren, kam es im Frühjahr 2021 zu längeren Diskussionen mit dem soge‐ nannten „Kunden-Servicecenter“ den tatsächlichen Liefertermin betreffend, einschließlich der ersten Eskalation auf die Ebene der lokalen Gebietslei‐ tung und des regionalen Vertriebsbüros. Denn während die Filiale eine Lieferverzögerung von mehreren Wochen in Aussicht stellte, bestätigte das Servicecenter sichtlich verwundert den schon im Kaufvertrag avisierten Montagetermin. Es trat in weiterer Folge auch keines der pandemiebedingt zu befürchtenden Probleme auf und nach der Sommerpause schien es im Herbst 2021 wie am Schnürchen zu klappen: Die Montage erfolgte termingetreu und rasch, nur die Spüle fehlte (weil sie auf dem Transportweg beschädigt worden war), aber auch sie sollte bald geliefert werden. Das machte nichts, denn die Freude überwog - was sich jedoch sehr bald als verfrüht herausstellen sollte. Im Zuge eines zufälligen Besuchs deckte ein befreundeter Handwerker nämlich ganz beiläufig die äußerst unsachgemäße Montage auf: Es fehlten Installationen, denn das erste Montageteam hatte nicht nur schnell, sondern vielmehr vorschnell das Weite gesucht. Nichtsdestotrotz wurde ein Termin zur Mängelbehebung von Seiten des Möbelhauses rasch organisiert - im‐ merhin. Nötig waren dann allerdings mehrere Monate, Montageteams und Termine sowie gute Nerven bis zur Behebung (fast) aller Mängel. Außerdem brauchte es begleitendes Projektmanagement von Seiten des Kunden: Sonst ging gar nichts, und vor allem gar nichts richtig, wie es schien. Jeder Anruf im „Servicecenter“ begann mit ausführlichen Schilderungen des bisher Geschehenen, denn die Dokumentation des Projektverlaufs schien im System ebenso wenig zu klappen wir die Verfolgung der zahlreichen, zwi‐ schenzeitlich zusätzlich getroffenen Vereinbarungen zur Mängelbehebung. Im Zuge eines der folgenden Montagetermine zeigte sich: Die mittlerweile gelieferte Spüle passte nicht in die Ausnehmung in der Arbeitsplatte. Der Steinmetzbetrieb sollte das (als vermeintlicher Verursacher) lösen, doch schon beim nächsten Termin stellte sich heraus: Der Steinmetz hatte korrekt gearbeitet. Dennoch korrigierte er (obwohl nicht dafür verantwortlich) wortlos die Tischlerarbeit - während die Tischler erst verspätet auftauchten, um die wie angekündigt als Ersatz gelieferte Spüle erneut nicht anzuschlie‐ ßen: Im Zentrallager waren nämlich inzwischen die dafür erforderlichen Teile verloren gegangen. Es kam zum Provisorium, während die besagten Teile nochmals (und diesmal per Expresslieferung) bestellt wurden. Immer‐ hin war nach mehreren Monaten endlich der ursprüngliche Planungsfehler identifiziert: Das erste Team hatte wohl schnell das Weite gesucht, weil die 20 1 Einleitung und Einladung <?page no="21"?> Montage mit den laut Plan vorgesehenen und vorhandenen Elementen so gar nicht funktionieren konnte. Diesen Fehler hatten weder zwei Küchenplaner noch die Küchenplanungs-Software bemerkt. Der erste Planer, bei dem der Kaufvertrag vor mittlerweile über einem Jahr abgeschlossen worden war, hatte das Unternehmen ohnehin bereits verlassen - weshalb man in der Kommunikation mit seinem Nachfolger zur Sicherheit von Beginn an den Filialleiter stets persönlich am Laufenden hielt. Zusätzlich zu einem weiteren Montageteam waren dann beim nächsten, schon nicht mehr gezählten Montagetermin ein dritter Küchenplaner und der Filialleiter höchstpersönlich vor Ort, was fernab des Schreibtisches im Einrichtungshaus zur Erkenntnis führte: „Das gibt es nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Die Abteilungsleiter von Tourenplanung und Service‐ center waren teilweise am Telefon „live“ zugeschaltet und versicherten, dass die nötigen Teile zur Mängelbehebung erneut rasch bestellt würden. Es folgen tatsächlich weitere Termine zur Behebung kleinerer Mängel, in deren Rahmen auch die Spüle endgültig (mit den per Expresslieferung eingelangten Teilen) angeschlossen wurde. In einem Telefonat zwecks Vorbereitung eines abschließenden Gesprächs mit allen involvierten Stellen stellte sich heraus, dass auch der Gebietsleiter mittlerweile das Unternehmen verlassen hatte. Die Teile zur Behebung der Fehlplanung waren nach weiteren Urgenzen durch das Möbelhaus tatsächlich bestellt, wie sogar die für Endkunden normalerweise nicht erreichbare Dame in der Zuliefer‐ firma bestätigte. Das Servicecenter bot indessen unverdrossen Termine und Leistungen an, die alle anders vereinbart waren - egal, so lernte man als Kunde das Unternehmen und durch die unverblümten Schilderungen der Mitarbeiterinnen die internen Prozesse und Probleme kennen: Die Software sei alt und nicht funktional. Die durch den neuen Eigentümer vorangetriebene Zentralisierung der Logistik habe sich als nicht zielführend herausgestellt und werde derzeit ohnehin wieder rückgebaut. Insgesamt sei sowieso alles viel zu kompliziert, etc. Um es abzukürzen: Einen allerletzten Montagetermin sollte es noch vor Jahresende 2021 geben, um die bereits beim allerersten Termin beschädigten Fronten zu tauschen und um die wegen der Fehlplanung erforderlichen alternativen Teile, die wie gesagt nach mehreren Urgenzen doch noch bei der Zulieferfirma bestellt worden waren, einzubauen. Das Montageteam kam pünktlich - allerdings ohne die alternativen Teile, denn die seien schon wieder, wie zuvor die Teile für den Anschluss der Spüle wenige Tage vor dem vereinbarten Termin im Zentrallager verloren gegangen. Konnte 1.1 Erfahrungsbericht zur Einstimmung 21 <?page no="22"?> das sein? Man telefonierte kurz mit dem Zentrallager, erreichte eine für Endkunden normalerweise ebenfalls nicht erreichbare Mitarbeiterin, ließ sich freundlicherweise den Warenübernahmeschein faxen: Ja, wirklich, es war so. Vielleicht, so der aufkeimende Gedanke, ging es intern sogar noch chaotischer zu als in den letzten Monaten vermutet? Jahreswechsel. Januar 2022: Fünfzehn Monate nach dem Abschluss des Vertrags und drei Monate nach dem ersten Montagetermin werden die letzten Teile geliefert. Über kleinere Schrammen sieht man bereits hinweg. Februar 2022: Eineinhalb Jahre nach Vertragsabschluss und ein halbes Jahr nach Montagebeginn kommt es zum Abschlussgespräch mit Filial-, (neuer) Gebiets-, und Montageleitung. Die detaillierte Dokumentation der Termine und Telefonate, Vorkommnisse und Versäumnisse durch den Kun‐ den macht Eindruck. Gleiches gilt für die Liste jener Mitarbeiter*innen, mit denen man als Kunde in Kontakt gewesen ist. Es folgen große Augen, ungläubiges Kopfschütteln und wenig glaubwürdige Ausflüchte - sowie letztlich immerhin Gutscheine als Entschädigung. Beim nächsten und end‐ gültig letzten Besuch im Möbelhaus (mit der Absicht, einen der Gutscheine einzulösen), kommt es zur zufälligen Begegnung mit dem Filialleiter: Es täte im leid, aber die verspätet gelieferte Spüle sei entgegen seiner eigenen Aussage im Rahmen des Abschlussgesprächs doch noch nicht fakturiert worden, die Rechnung sei also noch offen und müsste eigentlich noch bezahlt werden. Allerdings gehe er davon aus, dass daran von Kundenseite kein Interesse mehr bestehe, weshalb er sich bereits bemüht habe, intern eine Kulanzlösung zu finden. Wie diese Möbelhauskette laut Presseaussendung nach längerer Zeit endlich wieder schwarze Zahlen schreiben kann, bleibt von aus Kundensicht nicht nur ein Rätsel, sondern löst kognitive Dissonanz aus - denn man fragt sich angesichts der Erfahrungen wohl nicht ganz zu Unrecht, wie hoch der präventive Preisaufschlag gewesen sein mag, um die zahlreichen internen Ineffizienzen kompensieren zu können. 1.2 Ansatzpunkte für eine Analyse Vielleicht kommt dem bzw. der einen oder anderen Leser*in mancher Aspekt des in Kap. 1.1 skizzierten Sachverhalts bekannt vor (während eine derartige Verkettung hoffentlich einen Ausnahmefall darstellt). Sicher aber findet sich 22 1 Einleitung und Einladung <?page no="23"?> sogar in dieser Verknappung eine Vielzahl an Facetten des hier zentralen Themas, nämlich einer systemisch-systemtheoretischen Sicht auf Qualität und ihr Management in Organisationen. Einerseits vermittelt schon diese kurze Fallvignette einen ersten Eindruck von der Vielschichtigkeit des Begriffs „Qualität“ selbst (siehe Abbildung 2 links). Dieser kann kaum auf die Beschaffenheit des „eigentlichen“ physi‐ schen Produkts, also auf die Ausführung und Funktionalität der Einbaukü‐ che sowie auf die damit einhergehende ästhetische Erscheinung oder den praktischen Einsatz reduziert werden. Vielmehr müssen weitere Leistungs‐ bestandteile wie Beratung vor dem Kauf, Lieferung, Montage und Service nach dem Kauf berücksichtigt werden. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Kaufpreis von der Produkt- und Leistungsqualität als Gegenleistung kategorial zu unterscheiden ist (und ihr möglicherweise als zu erbringendes „Opfer“ diametral gegenüberliegt), oder ob er über das „Preis-Leistungs-Ver‐ hältnis“ sogar explizit in die Qualitätsbeurteilung einfließen soll (siehe Kap. 3.3). Darüber hinaus ist es legitim zu fragen, wer denn für die Beurteilung der Qualität überhaupt als qualifiziert gelten soll - sind dies die Kund*innen mit ihren Wünschen oder die Handwerker*innen mit ihrer Expertise und ihrem Ethos (Zech 2019)? Und wie soll mit etwaigen Diskrepanzen - zum Beispiel im Fall von zufriedenen Kund*innen und unglücklichen Handwerker*innen (oder natürlich auch umgekehrt) - umgegangen werden? Andererseits wird aus der kurzen Schilderung deutlich, dass der organi‐ sationale Kontext mit vielen an der Leistungserbringung beteiligten Abtei‐ lungen und Stellen, Personen und Funktionen das Management von Qualität in der oben beschriebenen Vielschichtigkeit zusätzlich erschwert (siehe Abbildung 2 rechts). Ausdifferenzierte Arbeitsteilung in (formal) organi‐ sierten Systemen ermöglicht einerseits Spezialisierung einzelner Bereiche auf ihre Aufgaben (wie Vertrieb, Einkauf, Logistik, Montage etc.), erzeugt aber andererseits aufgrund zunehmend erforderlicher Kommunikation und Koordination an Schnittstellen neue Schwierigkeiten für das System als Ganzes. So werden Motivationsmängel oder Informationsdefizite auf der individuellen Ebene einzelner Mitarbeiter*innen durch kollektive Struktu‐ ren und Prozesse der Organisation entweder (mit konstruktiver Unterneh‐ menskultur, funktionaler Kommunikationstechnologie etc.) kompensiert oder aber (mit destruktivem Betriebsklima, dysfunktionaler Software etc.) erst erzeugt. Meistens handelt es sich ohnehin um ein Zusammenspiel bzw. um eine Wechselwirkung zwischen der individuell-personalen Ebene und der kollektiv-organisationalen Ebene. Klar ist aber dennoch, dass 1.2 Ansatzpunkte für eine Analyse 23 <?page no="24"?> solch komplizierte Strukturen und Prozesse eine systemische Komplexität hervorbringen, in der weder hierarchischer Überblick „top-down“ noch direkte, zentrale Steuerung durch „Verwaltung“ nach dem klassischen, bürokratischen Vorbild mehr möglich sind. Abbildung 2: Beispielhafte Aspekte von Qualität und ihrem Management Zum einen haben wir es also nicht mit einem absoluten, sondern mit einem relativen Begriff von Qualität (von lat. qualitas … Beschaffenheit, Merkmal, Eigenschaft, Zustand) zu tun. Wir bezeichnen damit nämlich sowohl die Beschreibung der Beschaffenheit von „etwas“ (zum Beispiel eines Produkts oder einer Dienstleistung), als auch die Bewertung dieser Beschaffenheit - also die Güte dieses „etwas“ (zum Beispiel als miserabel, ausreichend oder exzellent). Dies aber bedeutet eine permanente Perspektivität und konstitutive Kontextabhängigkeit - weil schon die Beschreibung der Beschaffenheit und erst recht deren Bewertung eine Auswahl von dafür in Betracht gezogenen, als relevant erachteten Eigenschaften und zugleich ein Außerachtlassen von (derzeit) als nicht relevant erachteten Merkmalen erfordert. Die Frage nach der Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung impliziert daher immer die Suche nach jenem Standpunkt, von dem aus diese Frage beantwortet wird (Garvin 1984). Beispielsweise kann die Beur‐ teilung der Qualität ein und derselben Einbauküche von Kundin zu Kunde variieren oder es können Küchenplaner*in und Tischler*in zu verschiedenen Einschätzungen gelangen. Es kann für die Tourenplanung das mehrfache, termingerechte Aufsuchen der Baustelle ein Indiz für Servicequalität, für die Montageleitung hingegen für mangelnde Planungsqualität darstellen. Und es kann für den Kunden (= Außensicht) eine Fertigstellung innerhalb von mehr als vier Monaten das Zeichen mangelhafter Qualität sein, während die Vertriebsleitung (= Innensicht) dies im Rahmen eines Kennzahlenvergleichs als ausreichend erachtet. 24 1 Einleitung und Einladung <?page no="25"?> Bei „Qualität“ handelt es sich um einen vielschichtigen Begriff, mit dem einerseits die Beschreibung, und andererseits die Bewertung von Sachver‐ halten bezeichnet wird. Aus diesem Grund ist eine Rede von „Qualität“ stets abhängig von der Perspektive und vom Kontext der Beobachter*innen. Zum anderen sehen wir vor diesem Hintergrund zahlreiche Möglichkeiten für das Management von Qualität. Eine davon ist das Festlegen und Lenken von Prozessen der Leistungserstellung. Im genannten Beispiel sind das neben dem Zusammenspiel unterschiedlicher Abteilungen mit internen Schnittstellen (Versäumen einer Koordination zwischen Servicecenter und Tourenplanung) auch die Abläufe innerhalb einzelner Abteilungen mit Schnittstellen nach außen (Verschwinden von Teilen in der Lagerlogistik). Einen anderen Ansatzpunkt bietet das Führen und Entwickeln des Personals wie im Fall der beiden Tischler des ersten Montageteams (Verlassen der Baustelle trotz erkennbarer Ausführungsmängel). Es betrifft aber ebenso die Mitarbeiterinnen im Servicecenter (Vergessen getroffener Vereinbarungen). Ergänzend wäre es wohl erforderlich, eine Kultur der Kund*innenorientie‐ rung zu etablieren. Dies nicht nur im Kontakt mit den externen Kund*innen, sondern auch intern. Beispielsweise sollten die einzelnen Stellen eines Unternehmens sich eher gegenseitig in der Lösung von Problemen unter‐ stützen, statt die Verantwortung wechselseitig aufeinander abzuwälzen. Damit einher ginge die Gestaltung der internen und externen Kommunikati‐ onsflüsse einschließlich einer Dokumentation der relevanten Informationen. Für „Management“ bietet sich eine Vielzahl von Ausgangs- und Ansatz‐ punkten, um die Qualität eines Sachverhalts einerseits zu beschreiben und zu bewerten, andererseits zu beeinflussen. Außerdem besteht zwischen verschiedenen Strategien des Management eine Vielzahl an Wechselwir‐ kungen. Zugleich sehen wir - insbesondere in systemisch-systemtheoretischer Per‐ spektive - die zahlreichen Wechselwirkungszusammenhänge mit ihren zirkulären Kausalitäten. So führen mangelhaft integrierte Prozesse zu schlecht vorbereiteten Montageterminen (wegen fehlender Teile und fal‐ scher Instruktionen). Diese strukturellen Schwierigkeiten wiederum senken auf Dauer die Motivation der Mitarbeiter*innen und due Arbeitsmoral 1.2 Ansatzpunkte für eine Analyse 25 <?page no="26"?> 4 Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, hatte A. Donabedian in seinem ursprünglichen Modell den Begriff „outcome“, also Wirkung und nicht Ergebnis („output“) im Sinn. Verbreitet ist heute allerdings davon abweichend von „Ergebnisqualität“ die Rede. der Montageteams. Durch die fehlende Verlaufsdokumentation und die erratischen Kommunikationsflüsse bestimmt der Zufall die Zuteilung dieser Montageteams zu den Baustellen, über die kein Wissen und zu denen kein Bezug aufgebaut werden kann (weshalb die Versuchung wächst, aufwändige Probleme lieber dem nächsten Team zu überlassen). Damit aber wird eine immer größere Anzahl an Terminen zur Mängelbehebung erforderlich, was aufgrund der mangelhaften Integration der Prozesse mittel- und vor allem langfristig zur Überlastung der Tourenplanung führt. Den daraus resultierenden Kostensteigerungen kurzfristig mit Sparprogrammen und Stellenkürzungen oder Investitionsstopps (zum Beispiel: fehlende Software) zu begegnen, erhöht den Druck langfristig weiter, womit Fehleranfälligkeit und Frustration steigen. Umso wichtiger ist es im Qualitätsmanagement, sowohl einen Blick für Systemzusammenhänge und Systemdynamiken zu entwickeln als auch die Bedeutung eines ausbalancierten Zusammenspiels von individuell-persona‐ len und kollektiv-organisationalen Systemeigenschaften bzw. -aspekten zu erkennen. Abbildung 3: Qualitätsdimensionen nach A. Donabedian Ein verbreitet anzutreffender Versuch, die Vielschichtigkeit von Qualitäts- und Management-Aspekten zu fassen und damit für das konkrete Han‐ deln im Alltag handhabbar zu machen, ist die von Avedis Donabedian (1919-2000) zunächst im Kontext medizinischer Leistungen eingeführte Unterscheidung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität 4 (Donabedian 1966). Dabei sollten übliche Darstellungen wie jene in Abbildung 3 nicht 26 1 Einleitung und Einladung <?page no="27"?> dazu verführen, lineare Kausalbeziehungen zu unterstellen. Demgegenüber handelt es sich in den meisten Fällen um weniger eindeutige Wirkungs- und Wechselzusammenhänge. Die zugrundeliegende Intuition ist allerdings noch immer unmittelbar plausibel: Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Ausstattung mit Anlagen und Arbeitsmitteln, das Vorhandensein klarer Strategien, die Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationskanä‐ len, von kompetentem Personal usw. ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Prozessen der Leistungserstellung, mit denen letztlich erwünschte Ergebnisse bzw. Wirkungen hervorgebracht werden können. Bei etwas näherem Hinsehen lässt sich Strukturqualität als „Potentialqua‐ lität“ in eine interne und eine externe Komponente unterteilen (Meyer & Mattmüller 1987), was im Fall von Dienstleistungen besonders bedeutsam ist: Hier können beispielsweise Klient*innen, Patient*innen oder Schüler*in‐ nen nicht einfach nur als Kund*innen im Sinne von Konsument*innen auftreten - vielmehr ist der Erfolg von Leistungserstellungsprozessen und damit letztlich das Erzielen der erwünschten Ergebnisse bzw. Wirkungen wesentlich von der Mitwirkung dieser „externen Faktoren“ abhängig: So müssen beispielsweise Klient*innen bereit sein, Auskünfte zu erteilen, Pati‐ ent*innen müssen Anordnungen befolgen und Schüler*innen müssen Auf‐ gaben erledigen (was sich mit Parsons (2023) als Ausdruck von „Einfluss“ als Medium der Kommunikation deuten lässt). Ganz in diesem Sinne sind schon im Selbstbedienungsrestaurant einer Fastfood-Kette die Kund*innen mehr als nur Konsument*innen bzw. „Gäste“, nämlich zugleich Produzent*innen bzw. (unbezahltes) „Personal“, weil sie das Service in Teilen selbst überneh‐ men und damit teilweise selbst verantwortlich sind für das Gelingen der Prozesse und für die Güte der Ergebnisse - also keineswegs „König*innen“. Alvin Toffler (1980) hat dies bereits vor einigen Jahrzehnten mit dem Kunstwort „prosumer“ (deutsch: „Prosument“) zum Ausdruck gebracht. Nichtsdestotrotz - und darauf hat insbesondere Christian Grönroos (1990) explizit hingewiesen - haben tatsächlich die Kund*innen als sprichwörtliche König*innen das letzte Wort, und zwar insofern, als sie ihre Erwartungen an das Ergebnis ex ante mit dem tatsächlichen Erleben dieses Ergebnisses ex post zum Abgleich bringen und sich hier eine maßgebliche Lücke auftun kann (vgl. zu dieser und zahlreichen weiteren potentiellen Lücken das sogenannte „gap model“ von Parasuraman, Zeithaml & Berry 1985). Eine dieser Lücken droht in diesem Zusammenhang bereits auf Seiten der Anbieter*innen, nämlich zwischen den (vom Management) antizipierten Kund*innen-Erwar‐ tungen einerseits und den realen Kund*innen-Erwartungen andererseits. 1.2 Ansatzpunkte für eine Analyse 27 <?page no="28"?> Hier setzt beispielsweise sogenannte „Marktforschung“ an mit dem Ziel, die externen Erwartungen möglichst treffsicher zu bestimmen. „Marketing“ wiederum findet seinen Ansatzpunkt bei einer weiteren potentiellen Diffe‐ renz, deren Grundlage die Unterscheidung zwischen objektiver bzw. inter‐ subjektiver Beurteilung von Qualität einerseits und subjektiver Beurteilung von Qualität andererseits bildet (siehe Abbildung 4 und Krämer & Mauer 1998). Zum Beispiel muss sich die auf Basis von messbaren Indikatoren bestimmte, objektive Qualität nicht mit der wahrgenommenen, subjektiven Qualität decken. Entsprechen sich die objektive und die subjektive Beurtei‐ lung, haben wir es entweder (im positiven Fall) mit dem Idealzustand oder (im negativen Fall) mit einem Desaster zu tun. Im Fall divergierender Einschätzungen handelt es sich entweder um eine tickende „Zeitbombe“ (weil die subjektive Beurteilung möglicherweise auf einer Täuschung beruht und stets Ent-Täuschung droht), oder um das besagte „Marketingproblem“, weil die objektiv vorhandene Qualität ganz offensichtlich subjektiv nicht als solche wahrgenommen bzw. geschätzt wird. Wir können in diesem Zusammenhang natürlich an betrügerische Machenschaften denken - wie an den „Diesel- oder Abgasskandal“, bei dem ein großer Automobilhersteller die behauptete „ökologische Qualität“ seiner Fahrzeuge durch illegale Manipulation der Abgasmessungen zu belegen versucht hatte, bis dies nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Es reicht aber auch, sich ein als „gesundheitsförderlich“ erscheinendes Produkt der Lebensmittelindustrie, dessen diesbezügliche subjektiv wahrgenommene Qualität einer genaueren objektiven Überprüfung nicht standhält, vorzu‐ stellen. Abbildung 4: Unterscheidung zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Qualität Illustrieren lässt sich dies in ähnlicher Weise an dem aus dem Alltag gut bekannten Beispiel der zahlreichen Erwartungen an die Schule im Allgemeinen bzw. an den schulischen Unterricht im Besonderen. Hier mag sich die professionelle, pädagogische Perspektive an elaborierten „Krite‐ 28 1 Einleitung und Einladung <?page no="29"?> 5 Während im angloamerikanischen Sprachraum die Bezeichnung „Business Adminis‐ tration“ weiterhin durchwegs gebräuchlich ist, hat gerade die bürokratische Adminis‐ tration hierzulande kein besonders gutes Image - obwohl der unter dem Eindruck feudalistischer Willkür stehende Idealtyp bei Max Weber (1921/ 1922) ein nahezu emanzipatorisches Element enthält. 6 Ob im WC an der Autobahn, in der Spitalsambulanz oder am Finanzamt: Überall werden wir aufgefordert, Auskunft über unsere Zufriedenheit mit dem Angebot zu geben, also dieses im weiteren Sinne zu „evaluieren“. Dies dient allerdings nicht nur der Steigerung rien guten Unterrichts“ (Meyer 2004) als einem etablierten Maßstab für „objektive Qualität“ orientieren, während Schüler*innen und deren Eltern andere Vorstellungen (wie „Bespaßung“ oder schlicht Beaufsichtigung) haben, weshalb sie die „subjektive Qualität“ anders als die Lehrer*innen einschätzen (beispielsweise, weil der Unterricht nicht unterhaltsam genug ist und daher das Fernbleiben umso attraktiver erscheint). Hier gilt es dann oft, die Absichten und Beweggründe des eigenen Handelns offenzulegen und nachvollziehbar zu machen (Stichwort: Marketingproblem). Verfehlt hingegen der Unterricht aus welchen Gründen auch immer die objektiven Qualitätskriterien, kann er von Seiten der Schüler*innen und ihrer Eltern dennoch als gut eingeschätzt werden, wenngleich diese möglicherweise früher oder später, beispielsweise durch den Vergleich mit Erfahrungen andernorts, misstrauisch werden (Stichwort: Zeitbombe). 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle Mögen uns im Alltag Fragen der Qualität und ihres Management in unse‐ rer Rolle als Kund*innen von Unternehmen oder Konsument*innen von Produkten und Dienstleistungen der Wirtschaft deutlicher als sonst bewusst werden, so hat sich Qualitätsmanagement heute über unternehmerische und wirtschaftliche Kontexte hinaus zu einer gesellschaftsweiten Selbst‐ verständlichkeit entwickelt. In vielen Bereichen der ehemals öffentlichen Verwaltung und Versorgung gilt New Public Management als Gebot der Stunde. Damit einher geht eine Absage an „Old Public Administration“ 5 in der Hoffnung, so die Qualität für die Anspruchsgruppen („Stakeholder“), wie die Kund*innen hier oft genannt werden, zu steigern. Ungeachtet der verwendeten Begriffe wird über weite Strecken die Erfüllung der Wünsche sowie letztlich die Zufriedenheit der Kund*innen zum zentralen Kriterium für die Beurteilung der Qualität von Produkten und Dienstleistungen. 6 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle 29 <?page no="30"?> unserer Zufriedenheit, sondern lagert bspw. im Fall von Autobahn-Toiletten unter der Hand auch einen Teil der Kontrolle des Reinigungspersonals durch das zentrale Sammeln von Daten in Echtzeit an uns aus (Stichwort: „prosumer“). 7 Dies spiegelt sich beispielsweise in der Bedeutung von Netzwerken bzw. von „Networ‐ king“ wider, wo soziale Beziehungen vorrangig mit der Absicht, sie zum eigenen Vorteil zu nutzen, und weniger um ihrer selbst willen gepflegt werden. Organisationen als soziale Systeme, allen voran Unternehmen, mittlerweile aber auch Universitäten, Schulen und Spitäler oder sogar Familien- und Freundeskreise gelten heute als instrumentelle Mittel für die Erreichung indi‐ vidueller Zwecke und Ziele von Kund*innen (wie zum Beispiel: Einkommen, „Employability“, Erholung, Entspannung etc.). 7 Qualitätsmanagement dient in Unternehmen und in anderen, vor al‐ lem öffentlichen Bereichen der Gesellschaft (Stichwort: „New Public Management“) der Implementierung einer individuellen und instru‐ mentellen Rationalität: Soziale Zusammenhänge gelten als Mittel zur Erreichung von Zwecken. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die jüngsten Re‐ formen im Bildungs- und insbesondere im Schulsystem sowie allen voran an das neue Ideal „kompetenzorientierter“ Ausbildung im Unterschied zum ehemaligen humanistischer Bildung. Diese zeitgenössische Idealvor‐ stellung findet ihren augenscheinlichen Ausdruck in der Formulierung von messbaren Zielen und in der Festlegung von einheitlichen Standards, deren Erreichung anschließend im Rahmen großflächiger Tests („large scale assessments“ wie die „PISA-Studie“) empirisch geprüft wird. Ausgehend vom angloamerikanischen Raum verändert dies die hierarchisch-profes‐ sionelle Doppelsteuerung in deutschsprachigen Ländern: Immer seltener entscheiden heute die hierarchisch organisierte Bildungsbürokratie und die pädagogisch orientierte Profession, immer öfter hingegen die von der em‐ pirischen Bildungsforschung unterstützte „evidenzbasierte“ Bildungspolitik über Kriterien für Qualität an Schulen. Das Qualitätsmanagement wiederum soll zwischen den unterschiedlichen Erwartungen von Schüler*innen und ihren Eltern, von potentiellen Arbeitgeber*innen, weiterführenden tertiären Bildungseinrichtungen usw. vermitteln, sodass auch die Schule als instru‐ mentelles Mittel für die Erreichung individueller Zwecke betrachtet wird. 30 1 Einleitung und Einladung <?page no="31"?> 8 Zum Problem vorrangiger Orientierung an Leistungen bei gleichzeitiger Vernachlässi‐ gung von Funktionen siehe Kap. 5.2.2. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Universitäts- und Hochschulbetrieb, wo mit dem auf europäischer Ebene implementierten „Bologna-Prozess“ das Studieren in einer akademischen Gemeinschaft („universitas magistrorum et scholarium“) vom Sammeln der ECTS-Leistungspunkte durch den einzelnen Studenten bzw. die einzelne Studentin abgelöst worden ist. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung sind sogenannte „Massive Open Online Courses“ (kurz: MOOCs), in denen das am Ende erzielte individuelle Ergebnis, nicht aber das Engagement in einem kollektiven Lernprozess zählt - die Lehrveranstaltung ist nur mehr ein instrumentelles Mittel zur Erreichung eines Zwecks, ihr wohnt jedoch kein Selbstzweck (wie zum Beispiel akademische Sozia‐ lisation) mehr inne. Dieses vorrangig auf einzelne Individuen abzielende Verständnis von Qualität im universitären bzw. hochschulischen Lernen zeigt sich auch in der Befragung von Student*innen, Absolvent*innen und Arbeitgeber*innen durch das Qualitätsmanagement: So wird die Erfüllung der Erwartungen unterschiedlicher Kund*innen - heute vor allem Einsatz‐ fähigkeit am Arbeitsmarkt („Employability“) und nicht mehr wie früher die durch das Studium angestrebte Emanzipation - sowie die Zufriedenheit der Kund*innen „evaluiert“. Auch im Sozial- und Gesundheitsbereich lassen sich seit längerer Zeit einige vergleichbare Trends beobachten. Es werden Ziele festgelegt und auf deren Basis befristete „Leistungsvereinbarungen“ zwischen der öffentlichen Hand als Eigentümerin einerseits und im (künstlichen) Wettbewerb von „Quasi-Märkten“ stehenden Einrichtungen andererseits abgeschlossen. Man definiert Indikatoren und Kennzahlen zur Bestimmung der Zielerreichung und zur Messung der Leistung 8 (bis hin zu ihrer systematischen Verknüp‐ fung als „Balanced Scorecard“). Und es soll damit insgesamt und vorrangig - oder zumindest vordergründig - ebenfalls die Qualität der Leistungen für die Klient*innen, die Patient*innen, die Geldgeber*innen und für etwaige andere Anspruchsbzw. Kund*innengruppen der Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens verbessert werden. Für diese an der Erreichung von Zielen und an der Erfüllung von Wünschen gemessene Qualität sowie für die immer bessere Erreichung und Zielen sind, so heißt es meistens, alle Mitarbeiter*innen einer Organisation verantwortlich. Vor allem gilt dies jedoch für die Manager*innen, weil sie sowohl den Eigentümer*innen 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle 31 <?page no="32"?> („Shareholdern“) als auch den Kund*innen und anderen Anspruchsgruppen („Stakeholdern“) in besonderem Maße verpflichtet sind. Als zentrales Kriterium für Qualität gilt heute in vielen Fällen die Zufriedenheit der Kund*innen. Damit wird die Ausrichtung des Han‐ delns an den Wünschen der Kund*innen zur zentralen Aufgabe für das Management (von Qualität) und letztlich für alle Mitarbeiter*innen. Bereits diese kurze Beschreibung von einigen in unterschiedlichsten gesell‐ schaftlichen Bereichen laufenden, im Grunde doch sehr ähnlichen Entwick‐ lungen lässt uns vermuten, dass es sich dabei um den Ausdruck einer allgemeinen, evolutionären Entwicklung der Gesellschaft handelt. Der ge‐ meinsame Kern ist Kund*innenorientierung in einem weiteren Sinne - also die Ausrichtung des Handelns von Personen und des Entscheidens in und von Organisationen an den in Ziele gegossenen Wünschen, Erwartungen und Anforderungen der verschiedenen Anspruchsgruppen bzw. Stakehol‐ der. Die Erfüllung dieser Wünsche, Erwartungen und Anforderungen bzw. die Erreichung der Ziele gilt dann definitionsgemäß als Qualität, die in letzter Konsequenz zu Kund*innenzufriedenheit führen soll (siehe Abbildung 5). Als Paradebeispiel dafür kann der Online-Riese „Amazon“ gelten, dessen zentrales Prinzip sich in so vielen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzt, dass dies schon als Amazonisierung der Gesellschaft erscheint (in Anlehnung an Ritzer 1993 und Bryman 2004). Gemeint ist nicht nur, dass Amazon mit seinen Produkten und Plattformen die Welt des Warenhandels ökonomisch kapert, ästhetisch überformt, politisch desavouiert oder sogar moralisch deformiert - weil es für junge Start-ups und etablierte Unternehmen glei‐ chermaßen verlockend ist oder unausweichlich scheint, einen Pakt mit dem marktbeherrschenden Mephistopheles einzugehen; weil das Matthäus-Prin‐ zip dafür sorgt, dass Amazons „Schwungrad des Wachstums“ („flywheel of growth“; vgl. Dumaine 2020) an Momentum gewinnt und immer mehr Geschäftsfelder erschließt; weil sich kulturelle Inhalte beinahe aller Sparten zunehmend den kommerzialisierten Logiken digitaler Plattformen ausgelie‐ fert sehen usw. usf. 32 1 Einleitung und Einladung <?page no="33"?> 9 Während sich für die Kund*innen bzw. Konsument*innen von Amazon alles um deren Bequemlichkeit dreht und mittels customer obsession für diese zu convenience führen soll, wird diese Bequemlichkeit - gewissermaßen als Rückseite der Medaille - bekanntlich erkauft mit bestenfalls unbequemen, mitunter allerdings sogar geradezu entwürdigenden Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen in einer rasanten, aggressiven und unerbittlichen Unternehmenskultur (Dumaine 2020). Abbildung 5: Qualität und Qualitätsmanagement als Komplexitätsverarbeitung Gemeint ist außerdem - noch grundlegender - die Durchdringung der ge‐ samten Gesellschaft samt ihrer Institutionen, also ihrer sozialen und kultu‐ rellen Strukturen, mit jenen Prinzipien, auf denen (zumindest für den ersten Blick und gemessen an Kriterien der klassischen ökonomischen Theorie) der überragende Erfolg von Amazon beruht. Es handelt sich hier nämlich über weite Strecken keineswegs einfach um eine (den Subjekten heteronom, also von außen aufgezwungene) Unterwerfung der Welt durch Amazon, sondern um eine in vielen Fällen bereitwillig, teils begeistert (wenngleich nur scheinbar autonom) aufgegriffene Umgestaltung der Welt, wie wir sie bisher gekannt haben. Grundlage dafür ist jene „Kundenbesessenheit“ („customer obsession“), die Amazon-Gründer Jeff Bezos in seinem ersten Aktionärsbrief 1997 als zentrales Element der Unternehmenskultur formuliert hatte: Alles dreht sich um die Kund*innen und um deren Zufriedenheit, allen voran um Bequemlichkeit („convenience“). 9 Damit sollen sie zu weiteren Besuchen auf der Website motiviert werden, was zugleich die Attraktivität der Website für Verkäufer*innen steigert, womit die Wahlmöglichkeit für Konsument*innen steigt und letztlich ihre Zufriedenheit erhöht wird usw. usf. (deshalb die Rede vom „Schwungrad des Wachstums“). „Amazonisierung“ bezieht sich darauf, dass die Ausrichtung an der ma‐ ximalen Zufriedenheit der Kund*innen durch Erfüllung ihrer Wünsche 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle 33 <?page no="34"?> heute in vielen Bereichen der Gesellschaft die zentrale Maxime ist, wes‐ halb man mittlerweile sogar von einer „Bequemlichkeitsgesellschaft“ sprechen kann. Auf den ersten Blick stehen diese Bemühungen um Qualität und um die Zufriedenheit der Kund*innen im Dienste einer zunehmenden Durchdrin‐ gung der Gesellschaft mit „Zweckrationalität“ im Sinne von Max Weber, also einer vorrangigen Ausrichtung des Handelns und Entscheidens an der Frage, welches die am besten geeigneten Mittel zur Erreichung eines gegebenen Zwecks sind (daher eigentlich: „Zweck-Mittel-Rationalität“). Mit anderen Worten: Qualitätsmanagement, das die Zufriedenheit der Kund*innen in den Mittelpunkt rückt, ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Rationalisierung, die auf Bemühungen um verbesserte Effektivität und Effizienz (oder gar Exzellenz) in unterschiedlichsten Bereichen beruht. Mit Talcott Parsons lassen sich diese Entwicklungen sogar noch grundsätzlicher als Oberflä‐ chenphänomene eines evolutionären Wandels der „longue durée“ in den gesellschaftlichen „Tiefenstrukturen“ und vor allem der eines Wandels der kulturellen Wertmuster in Richtung mehr instrumentelle und individuelle Rationalität interpretieren (siehe auch Kap. 5.1.2), dessen augenscheinlicher Ausdruck die um sich greifende Implementierung von Management - und nicht nur von Qualitätsmanagement - ist. Auf den zweiten Blick drängt sich allerdings die Vermutung auf, dass diese Entwicklungen neue, auf gesellschaftlicher Ebene institutionalisierte (und daher als weitgehend selbstverständlich akzeptierte) Mechanismen für eine verbesserte Komplexitätsverarbeitung sind (was, wie bereits angemerkt, nicht nur Komplexitätsreduktion, sondern zugleich Komplexitätsproduk‐ tion bedeutet): Während beispielsweise Amazon durch einfache Bedienung die Komplexität für Kund*innen einerseits reduziert, wird zugleich anderer‐ seits mit einem schier unüberblickbaren Angebot eine neue Komplexität produziert. Mit Niklas Luhmann und anderen aktuellen Vertretern einer systemisch-systemtheoretischen Sichtweise lässt sich dies als Wandel in Richtung mehr systemische Rationalität interpretieren (siehe Kap. 2) - und ganz in diesem Sinne ist auch Qualitätsmanagement einerseits Reduktion sozialer Komplexität durch Auswahl einzelner Aspekte der Umwelt als Bezugspunkte für Systembildung (siehe Abbildung 5), andererseits Produk‐ tion neuer Komplexität im System als Voraussetzung für den Umgang mit Umweltkomplexität. 34 1 Einleitung und Einladung <?page no="35"?> 10 Wenngleich in betrieblichen und anderen organisationalen Kontexten nicht selten zu beobachten ist, dass vor allem nach standardisierendem Qualitätsmanagement für andere Abteilungen gerufen wird, um zu regulieren, was von diesen aus Sicht interner Kund*innen erwartet werden kann, während man für den eigenen Tätigkeitsbereich sehr wohl weiterhin die gewohnten „kreativen“ Freiräume reklamiert. Klassisches Beispiel dafür ist wohl das Spannungsfeld zwischen Produktion und Vertrieb. Auf den ersten Blick geht es bei Qualitätsmanagement um verbesserte Effizienz und Effektivität oder gar Exzellenz (durch individuelle und instrumentelle Mittel-Zweck-Rationalität). Auf den zweiten Blick geht es eher um verbesserte Komplexitätsverarbeitung (durch systemische Rationalität). Hierzu passt (quasi für den dritten Blick) das auf wechselseitigen Steige‐ rungsverhältnissen beruhende „Wuchern“ von Qualitätsmanagement-Sys‐ temen in der Gesellschaft (siehe dazu auch die Abbildung 44 am Ende des Buches), das keinesfalls nur angebotsseitig von geschäftstüchtigen Akkreditierungs- und Zertifizierungsagenturen, von gewinnorientierten Beratungsunternehmen, von politischen Akteur*innen oder gar von „dunk‐ len Mächten“ vorangetrieben wird (= Mechanismen des push). Entgegen dieser verbreiteten Vermutung gibt es nämlich gleichzeitig nachfrageseitig entsprechende Wünsche von Seiten der Kund*innen und Konsument*innen, aber auch von Mitarbeiter*innen und Manager*innen nach Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit und dergleichen (= Mechanismen des pull). 10 Beide Phänomene, also jene des push und jene des pull, treffen im Sinne eines wechselseitigen Steigerungsverhältnisses besonders sichtbar dort zusammen wo sich externe Anspruchs- und interne Absicherungslo‐ gik verstärken - beispielsweise im Fall der seit etwa zwei Jahrzehnten verpflichtend vorgesehenen Kennzeichnung „allergener“ Inhaltsstoffe bei Lebensmitteln sowie insbesondere deren Ausdehnung von verpackter auf „lose“ Ware vor etwa zehn Jahren, die in vielen Fällen dazu geführt hat, dass vorzugsweise vorverarbeitete und verpackte Ware verwendet wird, weil dabei auf die bereits auf Seiten der Zulieferfirmen erfolgte Kennzeichnung zurückgegriffen werden und man sich die mitunter mühsame Feststellung ersparen kann. Eine vermutlich nicht (vorrangig) beabsichtige Folge dieser Entwicklungen ist unter anderem die Verschiebung des diesbezüglichen Wettbewerbsvorteils zugunsten industrieller Herstellung in der Lebensmit‐ 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle 35 <?page no="36"?> 11 So lautete das Resümee eines erfahrenen Studiengangsleiters am Ende einer langen Sitzung zu Fragen der Qualitätssicherung: „Mit anderen Worten: Wir ersetzen in Hinkunft die Arbeit durch den Nachweis der Arbeit? “ telproduktion vor allem gegenüber lokaler bzw. regionaler Direktvermark‐ tung. Man denke in diesem Zusammenhang aber auch an zunehmende Do‐ kumentationspflichten im Gesundheits- und Sozialbereich, die wesentlich der Absicherung gegenüber den mit immer mehr Nachdruck geäußerten Ansprüchen sowie sogar gerichtlichen Regress- und Schadenersatzforde‐ rungen von Seiten der Patient*innen und Klient*innen dienen. Diese Pflichten sind, wenngleich grundsätzlich im Sinne der Transparenz und Nachvollziehbarkeit sinnvoll, paradoxerweise ausgesprochen gut geeignet, zentralen Prozessen der Leistungserstellung (Behandlung und Beratung) mittels oft genug überbordender Sicherheitsvorkehrungen (Dokumentation von Behandlung und Beratung) die erforderlichen Ressourcen zu entzie‐ hen. 11 Wenn dies in weiterer Folge zur Abnahme der Zufriedenheit mit diesen Behandlungs- und Betreuungsleistungen sowie gleichzeitig zu einer Zunahme von Beschwerden und Klagen führt, droht ein Teufelskreis, in dem immer mehr Ressourcen von den zentralen Leistungserstellungsprozessen zu den Sicherheitsvorkehrungen umgeschichtet werden, wodurch sich das Problem verschärft. Ähnliches ist im Bildungsbereich an Schulen und Hochschulen zu beobachten, wo die Aufmerksamkeit von Lehrpersonen zu‐ nehmend formalen statt inhaltlichen Aufgaben gilt (Anwesenheitskontrolle statt Auseinandersetzung mit Inhalten), um im Beschwerdefall die Entschei‐ dungen in Bezug auf das Verhalten und das Handeln von Schüler*innen und Student*innen lückenlos nachvollziehbar dokumentiert vorlegen zu können, oder um die Erfüllung der externen Erwartungen an das „Stoff durchbringen“ belegen zu können. Umgekehrt blicken Schüler*innen und Student*innen auf Kompetenzkataloge wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange. Neben manifesten, unmittelbar beabsichtigten Funktionen wie insbe‐ sondere Steigerung von Effizienz und Effektivität oder der Verarbei‐ tung von Komplexität, übernimmt Qualitätsmanagement latente, un‐ beabsichtigte Funktionen, wie die vom Neoinstitutionalismus betonte Sicherung von Legitimität. 36 1 Einleitung und Einladung <?page no="37"?> Dieser Sachverhalt lässt sich allgemein in Anlehnung an das sogenannte „Substitutionsprinzip“ nach Erich Gutenberg als Fall von Unterbzw. Überorganisation betrachten, wobei zwischen den manifesten Funktionen (Nutzen von Dokumentation für die Pflege) und der latenten Funktion (Dokumentation zur Legitimation und Versicherung gegen Beschwerden) unterschieden werden kann (siehe Abbildung 6): Sowohl zu wenig als auch zu viel Dokumentation erschwert in der manifesten Dimension erfolgreiche Leistungserstellung - anzustreben ist daher (zumindest theoretisch) ein Optimum des Nutzens der Dokumentation. Demgegenüber gibt es in der latenten Dimension kaum ein „zu viel“ an Dokumentation, da Legitimation und Versicherung kaum inhärente Begrenzungen kennen (was ihr Anwach‐ sen befördert). Abbildung 6: Nutzen und Nachteil manifester und latenter Funktionen (schematisch) Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Welche Beispiele für „Qualität“ und „Qualitätsmanagement“ lassen sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie z. B. Wirtschaft, Politik, Kunst, Erziehung, Gesundheit, Sozialwesen, Vereine, Familie etc., also in beruflichen und privaten Kontexten finden? ● Was lässt sich in den beim vorigen Punkt genannten Beispielen jeweils unter „Qualität“ verstehen und aus welcher Perspektive kommen welche 1.3 Andere aktuelle Anlassfälle 37 <?page no="38"?> Aspekte in den Blick? Inwiefern sind diese Verständnisse von „Qualität“ kompatibel bzw. komplementär oder nicht (konkurrieren sie also)? ● Welche Beispiele für das Management der in vorangegangenen Punkt genannten Aspekte von „Qualität“ lassen sich identifizieren? Wo lässt sich ansetzen, um „Qualität“ zu „managen“? Wer kann in welcher Weise jeweils Einfluss auf „Qualität“ durch „Management“ nehmen? ● Was wären in unterschiedlichen Branchen bzw. gesellschaftlichen Sek‐ toren beispielhaft zu nennende Aspekte für die klassischen Qualitäts‐ dimensionen „Strukturbzw. Potentialqualität“, „Prozessqualität“ und „Ergebnisqualität“ sowie letztlich „Erlebensqualität“? 38 1 Einleitung und Einladung <?page no="39"?> 2 Wünsche und Warnungen Dieses Kapitel behandelt ● den gesellschaftlichen Kontext von Management und Qualitäts‐ management, allen voran die im Zuge der sozialen Evolution zunehmende Komplexität. ● das Problem der Reduktion und Produktion von Komplexität durch das Management, insbesondere im Kontext von formal organisier‐ ten sozialen Systemen. ● die ersten Beispiele für Spannungen zwischen dem herkömmlichen Qualitätsmanagement und der systemisch-systemtheoretischen Sichtweise. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1193 Während sich der deskriptive, beschreibende Begriff Qualität bis in die An‐ tike zurückverfolgen lässt, steht das präskriptive, bewertende Management in der Tradition der Aufklärung: „Der Manager“, schreibt Dirk Baecker (2011a, S. 11) pointiert, „glaubt an die überall und jederzeit durchzusetzende Verbesserung der Verhältnisse.“ Es ist daher konsequent, wenn mit Manage‐ ment hohe Erwartungen verknüpft werden und sich insbesondere Quali‐ tätsmanagement mit einer Vielzahl an Verbesserungswünschen konfrontiert sieht. Zugleich kommt damit an dieser Stelle erneut die Gesellschaft samt ihrer Entwicklung in den Blick: Als umfassendes soziales System ist diese nämlich nicht nur eine notwendige Rahmenbedingung, sondern sogar eine zentrale Möglichkeitsbedingung für (Qualitäts-)Management. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die im Zuge der sozialen Evolution zunehmende Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse eine soziale Steu‐ erungstechnologie wie Management möglich und zur Verarbeitung dieser Komplexität zugleich notwendig macht (siehe Kap. 2.1). Außerdem ist hier bereits eine erste Warnung angebracht, denn: Angesichts der steigenden sozialen Komplexität kann deren Reduktion zwar vorübergehend Abhilfe schaffen. Nachhaltig lässt sich, wie uns die Kybernetik gezeigt hat, der Teufel aber nur mit dem Beelzebub austreiben bzw. Komplexität nur mit <?page no="40"?> 12 Dieses systemische Prinzip zeigt sich auch in Kleingruppen (Bales 1950) oder Organi‐ sationen (Glasl & Lievegoed 1993). entsprechender neuer Komplexität - sogenannter „requisite variety“ (Ashby 1956) - bewältigen (siehe Kap. 2.2 und 2.3). 2.1 Entwicklung der Gesellschaft als Steigerung der sozialen Komplexität Es ist mittlerweile geradezu ein Gemeinplatz, dass die gesellschaftliche Entwicklung sich (im Sinne einer selbstorganisiert vonstattengehenden Evolution) als fortlaufender Prozess zunehmender Differenzierung und stei‐ gender Komplexität vollzieht. Komplexität bedeutet in diesem Zusammen‐ hang zunächst einmal, dass in einem sozialen System „nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann“ (Luhmann 1984, S. 46), oder mit anderen Worten: dass Entscheidungen notwendig sind, weil nicht mehr alle Optionen gleichzeitig realisiert werden können (Gross 1994). Darauf aufbauend bezeichnet Komplexität „den Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes“ (Willke 1982, S. 16). Dies entspricht der Ausgangsdiagnose in Kap. 1, wonach Auswahl‐ entscheidungen zunehmend zum Problem werden und „Qualität“ hierfür eine Lösung bietet. Unabhängig von der relativ jungen Diskussion über „Qualitätsmanage‐ ment“ lässt sich sagen, dass die Sozialwissenschaften ganz allgemein und insbesondere die soziologische Systemtheorie in der Tradition von Émile Durkheim, Talcott Parsons und Niklas Luhmann in großer Übereinstim‐ mung zumindest eines festgestellt haben: Im Zuge der sozialen Evolution gehen aus zunächst wenig differenzierten und eher diffusen sozialen Ge‐ bilden (wie aus der vormodernen Gesellschaft) komplexe soziale Gefüge hervor, die in unterschiedliche (funktionale) Bereiche gegliedert sind (wie im Fall der modernen Gesellschaft in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch Sozial-, Gesundheits- und Bildungssektor). 12 Ausdifferenzierte soziale Subsysteme wie die beispielhaft genannten gesellschaftlichen Berei‐ che und Sektoren erfüllen dann einerseits spezifische Funktionen für das übergeordnete System, also für die Gesellschaft insgesamt, sie erbringen aber andererseits gegenseitig spezifische Leistungen füreinander, also für andere gesellschaftliche Subsysteme (siehe auch Kap. 5.2). So statten der 40 2 Wünsche und Warnungen <?page no="41"?> 13 Funktionen und Leistungen zu verwechseln oder gar Funktionen zu vernachlässigen und Leistungen in den Vordergrund zu rücken, führt im Kontext von Qualitätsmanage‐ ment aufgrund von Eindimensionalität zu Problemen (siehe Kap. 5.2). Bildungs- und der Wissenschaftsbetrieb die Gesellschaft mit Lern- und Inno‐ vationsfähigkeit aus (als Funktion), während sie der Wirtschaft ausgebildete Arbeitskräfte oder der Politik gebildete Bürger*innen (als Leistung) liefern. 13 Soziale Systeme wie die Gesellschaft oder Organisationen entwickeln sich im Zuge der Evolution zu höheren Graden der Komplexität und der Differenzierung. Daraus ergeben sich einerseits Vorteile wie höhere Leistungsfähigkeit, andererseits Nachteile wie höhere Abhängigkeit und Anfälligkeit. Dabei folgt jedes dieser Systeme einer sehr spezifischen Logik, was dann zu Missverständnissen und Übersetzungsproblemen im Zuge der Außenkom‐ munikation komplexer Systemzusammenhänge führen kann - wenn sich beispielsweise die Bildungsforschung, die vorrangig am wissenschaftlichen Prinzip der „Wahrheit“ orientiert ist, von der am Prinzip des Erhalts von „Macht“ ausgerichteten Bildungspolitik nicht verstanden fühlt, oder wenn sich zeigt, dass verbesserte Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheit (zumindest kurzfristig) das Budget verschlechtert. Mit dadurch gesteigerter gesellschaftlicher Differenzierung und Komplexität wiederum gehen höhere systemische Performanz durch Spezialisierung (als Vorteil) und zugleich höhere individuelle Abhängigkeit sowie eine höhere kollektive Anfälligkeit (als Nachteil) einher. Kurz: Chancen auf höhere Effektivität und Effizienz müssen mit neuen Risiken der Gefährdung erkauft werden. Man denke nur an die genannten Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung oder an komplexe und krisenanfällige Lieferketten, die sich in der Pandemie als wenig robust und resilient erwiesen haben. Aufgrund ihrer Komplexität sind Sozialsysteme immer weniger direkt und heteronom beherrschbar, sondern zunehmend auf indirekte Rah‐ mensteuerung „von außen“ und autonome Selbststeuerung „von innen“ angewiesen (sei es hierarchisch „von oben“ oder heterarchisch „von der Seite“). 2.1 Entwicklung der Gesellschaft als Steigerung der sozialen Komplexität 41 <?page no="42"?> 14 Während komplizierte Systeme prinzipiell berechenbar und beherrschbar, also „trivial“ sind, gilt dies für komplexe, also „nicht-triviale“ Systeme nicht mehr (siehe Kap. 2.2 und Abbildung 7). An diesem Beispiel sehen wir außerdem jene abnehmende zentrale/ hierar‐ chische Beherrschbarkeit durch heteronome Fremdsteuerung von oben, der ein zunehmender Bedarf an lateraler/ heterarchischer Rahmensteuerung von außen und autonomer Selbststeuerung von innen gegenübersteht (Stichwort: Governance statt Government; vgl. Willke 1998). Denn dies unterscheidet „komplexe“ Systeme von bloß „komplizierten“ Situationen: 14 Eine (quanti‐ tative) Korrektur durch mehr Daten und Informationen über Situationen, Systeme und Strukturen reicht nicht mehr aus. Es braucht neue (qualitative) Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit, weil zunehmend unklar ist, wie es weitergeht, und welche Folgen die Handlungen und Entscheidungen der Gegenwart in der Zukunft haben werden. Mit der Vorhersehbarkeit schwin‐ det die Durchschaubarkeit nicht nur der Gesellschaft für einzelne Mitglieder, sondern es werden die einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft füreinander als Mit-Menschen wechselseitig immer weniger vorhersehbar: Worauf kann man sich denn bei anderen angesichts ihrer jeweiligen Individualität in der (Post-)Moderne noch verlassen? Das Problem der Kontingenz (also dass manches möglich, weniges wahrscheinlich und nichts notwendig ist) ver‐ doppelt sich in sozialen Zusammenhängen, weil Personen ihr Handeln hier wechselseitig voneinander bzw. vom Handeln des jeweiligen Gegenübers abhängig machen nach dem Motto: Ich bin bereit zu kooperieren, wenn du dich kooperativ zeigst (Kap. 2.3 und Kap. 3.1.1). Keimzelle für Systembzw. Strukturbildung ist „doppelte Kontingenz“, also die Tatsache, dass in einer sozialen Situation die Beteiligten auf beiden Seiten (daher: doppelt) verschiedene Handlungsmöglichkeiten haben, von denen keine zwingend notwendig ist (daher: kontingent). Wie entkommt man dann dieser Pattsituation? Einerseits über normative soziale Institutionen, die als Regel- und Rollenstrukturen einschränken, welches typische Verhalten bzw. Handeln in einer bestimmten Situation nicht sicher, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit von Akteur*innen erwartet werden kann. So sehen Klient*innen der Sozialen Arbeit sich als Straftä‐ ter*innen in einem auf Konformität ausgerichteten Zwangskontext der 42 2 Wünsche und Warnungen <?page no="43"?> 15 Für Talcott Parsons sind zunehmende Differenzierung, Wertgeneralisierung und Inklu‐ sion neben dem technisch formulierten „Standardhebung durch Anpassung“ (siehe dazu Kap. 5.1.2) die vier zentralen Leitprinzipien der gesellschaftlichen Evolution. Bewährungshilfe mit anderen normativen Erwartungen konfrontiert, als wenn sie in der Rolle von Kund*innen eines Sozialen Dienstleistungsbe‐ triebs (ehemals: eines Sozialamtes) im Service-Center ihre Zufriedenheit als legitime Forderung sehen. Sozialarbeiter*innen können umgekehrt ihr Handeln entweder am Konformitätsdruck (Bewährungshilfe) oder an der Kund*innenzufriedenheit (Sozialamt) ausrichten. Andererseits haben in Situationen steigender sozialer Komplexität generalisierte kulturelle Werte einen hohen Stellenwert, weil sie die Verständigung über die Grenzen aus‐ differenzierter (Sub-)Systeme hinweg unterstützen und als „gemeinsamer Nenner“ eine Legitimationsgrundlage für normative soziale Institutionen darstellen. Zum Beispiel muss das sogenannte „New Public Management“ im Sozial- und Gesundheitsbereich das Problem bewältigen, dass unterschied‐ liche (semi-)professionelle Systemlogiken wie die sozialarbeiterische oder die medizinische sich kaum mit einer wirtschaftlichen oder einer politischen Logik in Einklang bringen lassen, weil jeweils andere Werte - Gerechtigkeit und Gesundheit auf der einen Seite, Effizienz und Effektivität auf der anderen - im Mittelpunkt stehen. Vor diesem Hintergrund stellt die Institutionalisierung des generalisierten Werts „Qualität“ einen zentralen Bezugspunkt inmitten zunehmender sozia‐ ler Komplexität und zugleich einen Mechanismus der Integration bzw. Inklu‐ sion dar. 15 So zeigt die Erfahrung, dass sich Akteur*innen aus unterschied‐ lichen (Sub-)Systemen in konkreten, realen Situationen auf diesen sehr allgemeinen, abstrakten Bezugspunkt verständigen können. Beispielsweise lassen sich im Bildungswesen die PISA-Studie, die Bologna-Reform und viele vergleichbare Veränderungsvorhaben von Kompetenzorientierung bis Zentralmatura ohne große Schwierigkeiten in Bezug auf die Qualität des Schul- und Universitätsbzw. Hochschulbetriebs diskutieren. Seine integra‐ tive bzw. inklusive Wirkung entfaltet der generalisierte Wert nicht obwohl, sondern gerade weil nicht eindeutig festgelegt ist (und nicht festgelegt werden darf), was er genau bedeutet - denn Politik und Pädagogik, Wissen‐ schaft und Wirtschaft oder Schüler*innen, Student*innen und Lehrer*innen verstehen jeweils Unterschiedliches (wenngleich teilweise Ähnliches), mehr oder minder Kompatibles, Komplementäres oder Konfligierendes unter „Qualität“. 2.1 Entwicklung der Gesellschaft als Steigerung der sozialen Komplexität 43 <?page no="44"?> 16 Eine weitere hoch im Kurs stehende ist „Bildung“ als „verzuckerte Kontingenzformel“, wie Niklas Luhmann es einmal formuliert hat (Luhmann 2002, S. 188; dazu Reinbacher 2021, 2022). Generalisierte Werte erfüllen in sozialen Systemen ihre Funktion der Integration und Inklusion dadurch, dass sie nicht genau festgelegen, was darunter zu verstehen ist und welche Folgen sich daraus für das Handeln ergeben. Kurz: Sie sind weder eindeutig und noch unmittelbar wirksam. „Qualität“ wird so zu einer zentralen „Kontingenzformel“ (Niklas Luhmann) unserer Gesellschaft. 16 Ihre Wirkung beruht nicht darauf, festzulegen, was denn genau unter Qualität zu verstehen ist (siehe Kap. 3.3), denn Aufgabe von Kontingenzformeln ist gerade nicht die finale Lösung von Problemen, sondern die Formulierung und laufende Reformulierung von Fragen, um diese behandelbar und immer wieder neu beantwortbar zu machen. So gibt Qualität als Kontingenzformel dem zentralen Problem der Verarbeitung von sozialer Komplexität inmitten gesellschaftlicher Ausdifferenzierung eine Form, die gerade dadurch integriert, dass nicht eine endgültige, eindeutige oder gar richtige Lösung gefunden wird. Dissens ist also nicht der Aus‐ nahme-, sondern der Normalzustand - und darüber kann es einen breiten Konsens geben. Das bedeutet zwar keineswegs Beliebigkeit, aber doch Anerkennung der Perspektivität (wenngleich nicht bedingungslose Akzeptanz aller Per‐ spektiven) sowie die Anerkennung der Vorläufigkeit aller Antworten auf Fragen (wenngleich nicht bedingungslose Anerkennung aller Vorbehalte). Es muss ja immer mit einer neuen Antwort oder mit einem neuen Argument gerechnet werden, und die Entscheidung für bzw. gegen eine Antwort oder ein Argument birgt Risiken - neben dem genannten Risiko des Revisions‐ vorbehalts natürlich auch das Risiko einer Revision nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren. Ob nämlich mit diesem dynamischen Prinzip der Veränderung jene (kontinuierliche) Verbesserung einhergeht, auf die eine heute allgegenwärtige Steigerungssemantik mit ihren Imperativen der Optimierung drängt, oder ob dahinter vielmehr die Gefahr einer (kontinu‐ ierlichen) Verschlechterung lauert, bleibt eine praktisch oder empirisch - und ebenfalls perspektivisch - zu beantwortende Frage. 44 2 Wünsche und Warnungen <?page no="45"?> 2.2 Management als Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität Während also die Steigerung der sozialen Komplexität im Zuge der sozialen Evolution unaufhaltsam voranschreitet, entsteht parallel dazu ein nachvoll‐ ziehbares menschliches Bedürfnis sowie ein damit einhergehendes Bestre‐ ben, diese Entwicklung durch Komplexitätsreduktion zu kanalisieren, zu kal‐ kulieren und zu kontrollieren. Diese Rationalisierung und Modernisierung der Gesellschaft (= kulturell-politische Dimension) zeigt sich allen voran in ihren Erscheinungsformen der Mechanisierung und Industrialisierung (= technologisch-ökonomische Dimension). Ihr deutlichster Ausdruck ist dabei die Organisation, genauer gesagt: das formal organisierte soziale Handlungsbzw. Kommunikationssystem als charakteristische soziale Signatur unseres Zeitalters (Walgenbach 2011; siehe auch Kap. 3.1.1). Während formal organisierte soziale Systeme evolutionär gesehen erst relativ spät entstanden sind (Luhmann 1981), wird heute aufgrund ihrer quantitativen Verbreitung sowie der damit einhergehenden qualitativen Veränderung sogar von einer „Organisationsgesellschaft“ gesprochen (Schi‐ mank 2001). Im Idealtyp der Organisation treffen sich dann die Rationali‐ tät der Moderne und die Mechanisierung des Industriezeitalters (Weber 1921/ 1922, Taylor 1911, Fayol 1916): Sie gilt als instrumentelles „Werkzeug“ (griech. organon, órganon), das vom Management für die Erreichung indi‐ vidueller Zwecke eingesetzt werden kann (Weick 1985, S. 133ff) und das als Mechanismus zur Implementierung von formaler Zweck-Mittel-Rationa‐ lität dient. In der Realität haben sich die hinter diesem Effektivitäts- und Effizienzdenken verborgenen trivialen Kausalannahmen mittlerweile zwar empirisch als Illusion und Fiktion erwiesen. Doch stellt sich dann gerade diese illusorische Fiktionalität weiterhin als praktisch nützlich heraus. Schließlich dient gerade ein solches Tun „als ob“ (vgl. Ortmann 2004 mit und Simon 2007 ohne Bezug auf Vaihinger 1922 [1911]) der Orientierung inmitten zunehmend unübersichtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, weil die Komplexität der Umwelt durch Systembildung reduziert und damit die Welt „rationalisiert“ wird - wenngleich vielleicht eher im Sinne von Sigmund Freud (ex post) und weniger im Sinne von Max Weber, Frederick W. Taylor oder Henri Fayol (ex ante). 2.2 Management als Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität 45 <?page no="46"?> 17 Interdependenzunterbrechung meint zunächst, dass aus der Umwelt keine (konstrukti‐ ven) Wirkungen im System kausal bewirkt werden können, sondern dass es stets einer internen Interpretation äußerer Impulse, Irritationen etc. bedarf. Viabilität bedeutet dann, dass eine geeignete, nicht unbedingt „die richtige“ Interpretation gefunden worden ist, zu der es möglicherweise Alternativen gibt. Häufig gebrauchte Metaphern zur Illustration dieser Passung von System bzw. systeminterner Interpretation und externer Umwelt ist jenes erfolgreiche Durchschreiten eines Waldes mit verbundenen Augen, das einerseits einen gangbaren Weg darstellt, zu dem es Alternativen gibt, und das andererseits keinen Aufschluss über die Bäumen im Wald „an sich“ gibt. Die moderne, industrialisierte Gesellschaft betrachtet und behandelt Organisationen so, „als ob“ sie Werkzeuge wären, die man als Mittel zur Realisierung von Zwecken einsetzen kann. Das ist allerdings eine ideale Vereinfachung, mit der die reale Komplexität von Organisationen zu stark reduziert wird. Vorsicht ist insofern geboten, als sich darin die Gefahr der „Fehlverein‐ fachung“ (Reinbacher 2021) verbirgt: Erstens sollte die Unterscheidung zwischen der reduzierten Komplexität eines (organisierten) Systems wie eines Unternehmens, einer Schule oder eines Krankenhauses auf der einen Seite (quasi „innen) und der weiterhin bestehenden Komplexität der Um‐ welt, also beispielsweise eines Absatzmarktes, eines Bildungs- oder eines Gesundheitssystems auf der anderen Seite (quasi „außen) beachtet werden. Zweitens sollte die „Viabilität“ (Bateson 1972, S. 399ff, von Glasersfeld 1988, S. 87) dieser „Interdependenzunterbrechung“ (Luhmann 2000, S. 395) von Zeit zu Zeit einer Überprüfung unterzogen werden, um sicherzustellen, dass Veränderungen im System und in der Umwelt aufeinander abgestimmt sind und „lose gekoppelt“ bleiben. 17 Drittens sollte das Management die Re‐ duktion von (externer Umwelt-)Komplexität als wesentliche Bedingung der Möglichkeit für den Aufbau von (interner System-)Komplexität betrachten, denn wie der bereits am Beginn dieses Kapitels zitierte Dirk Baecker es auf den Punkt gebracht hat: „Komplexität ist die Lösung, nicht das Problem.“ (Baecker 1992) Es ist neben dem Kappen unmittelbarer, direkter Kausalverbindungen zwischen Entwicklungen in der Umwelt und Vorgängen im System vor allem die Entlastung des Systems von externer Komplexität, die Kapazität für neu aufgebaute, interne Komplexität frei macht. Es wäre beispielsweise im Schulsystem kaum vorstellbar und auszuhalten, dass bildungspolitische 46 2 Wünsche und Warnungen <?page no="47"?> 18 Zum Konzept der „Agilität“ siehe weiter unten die Anm. 25. „VUCA“ ist ein ursprünglich aus dem militärischen Kontext stammendes Akronym aus Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. und -administrative Entscheidungen alle unmittelbar auf einzelne Schulen durchschlagen und ihren Weg direkt ins Klassenzimmer finden. Vielmehr ist es die Entkoppelung und Entlastung von dieser Umwelt, die dem Unterricht den Aufbau von Eigenkomplexität ermöglicht (man denke nur an Schü‐ ler*innen und Lehrer*innen, die sich inmitten tagespolitischer Diskussionen in ein Thema des Lehrplans vertiefen können). Vergleichbares gilt für Un‐ ternehmen, die keineswegs auf alle Wünsche der Kund*innen oder auf alle äußeren Veränderungen der Weltmärkte unmittelbar reagieren und diese an intern ihre Entwicklungs- und Vertriebsabteilungen weiterleiten können, da dies - aller Rede von „Agilität“ in der „VUCA-Welt“ 18 zum Trotz - rasch zur Überlastung der internen Innovations- und Auftragsabwicklungsprozesse führen würde. Zwischen einem sozialen System und seiner Umwelt bestehen keine konstruktiven kausalen Verbindungen (Interdependenzunterbrechung). Daraus gewinnt das System seine Autonomie und seine Freiheitsgrade zum Aufbau interner Komplexität im Umgang mit externer Komplexität. So besteht ein in jeder (durch Grenzziehung zur Umwelt zustande kom‐ mender) Systembildung zum Ausdruck kommender, wechselseitiger Bedin‐ gungszusammenhang zwischen Komplexitätsreduktion auf der einen und Komplexitätsproduktion auf der anderen Seite, weshalb es stets darum geht, „das Problem der Komplexität so aufzubauen, das heißt, so zu strukturieren, dass es sich selbst laufend löst und wiederaufbaut zugleich“ (Baecker 1992, S. 33). Der Kybernetiker William R. Ashby (1956) hat dies als „Gesetz von der erforderlichen Varietät“ formuliert: Erst intern aufgebaute Eigen‐ komplexität ermöglicht einem System angemessene Reaktion auf externe Komplexität. Wenig wäre schlimmer für ein System, als auf vielfältige und sich verändernde Problemlagen inmitten zunehmender sozialer Komplexität immer nur mit denselben Lösungen, im Extremfall sogar nur mit einer einzigen, immer gleichen Lösung gewissermaßen „mechanistisch“ bzw. „reflexhaft“ reagieren zu können (siehe Abbildung 7). 2.2 Management als Mechanismus zur Verarbeitung von Komplexität 47 <?page no="48"?> Abbildung 7: Systeme sind „kompliziert“ oder sogar „komplex“ Was folgt nun aus diesen Überlegungen für das Management von Organi‐ sationen? Zunächst einmal, dass Management gut beraten ist, sich der paradoxen Anforderung bewusst zu sein, wonach in Organisationen als komplexen Systemen immer sowohl für Komplexitätsreduktion als auch für Komplexitätsproduktion zu sorgen ist, damit diese als autonome Sys‐ teme inmitten heteronomer Anforderungen aus der Umwelt operieren können. Damit einher geht zwar der Abschied von direkter bzw. direktiver Steuerung, Kontrolle etc. - und doch: Einerseits ist die Autonomie eines Systems nicht zu verwechseln mit Autarkie, also Unabhängigkeit (denn dies würde direkt in die Isolation führen). Andererseits ist Autonomie nicht nur das Gegenteil von Heteronomie, also Fremdbestimmtheit (denn dies wäre mechanistisches Denken). Vielmehr handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille - jede ist Möglichkeitsbedingung der anderen. Autonomie eines Systems heißt vor diesem Hintergrund, auf eine hetero‐ nome Situation der Umwelt autonom zu reagieren, also „sich eigene Gesetze zu geben, die bestimmen, wie man fremden Gesetzen folgt“ (Baecker 2019a, S. 2). Eigenkomplexität erlaubt es einem System dann, die Umweltkomple‐ xität nicht nur auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, sondern sogar eine eigene komplexe Ordnung zu etablieren, die mehr Freiheit und mehr Flexi‐ bilität ermöglicht. Management hat letztlich die Aufgabe, Autonomie und Eigenkomplexität angesichts von Heteronomie und Umweltkomplexität zu gestalten. Und Qualität bietet als „Kontingenzformel“ einen gemeinsamen Bezugspunkt für diese Aufgabe. 48 2 Wünsche und Warnungen <?page no="49"?> 19 Diese verbreitet mit Aristoteles in Verbindung gebrachte Idee der „Übersummativität“, wonach ein Ganzes mehr bzw. etwas anderes als die Summe seiner Teile ist (siehe Abschnitt 3.1.2), hat Christian von Ehrenfels (1859-1932) als Philosoph und Vordenker der Gestaltpsychologie auf den Begriff der „Gestalt“ gebracht. Was hier als „Emergenz“ bezeichnet wird, hat er „Gestaltqualitäten“ genannt (von Ehrenfels 1890). 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz Eigenkomplexität, das soll an dieser Stelle betont werden, entsteht durch Emergenz, also durch eine neue Ebene von Eigenschaften, die nicht aus den Ei‐ genschaften der beteiligten Elemente (als quasi „darunter“ liegender Ebene) erklärt werden kann. 19 So ist ein „echtes“ dialogisches Gespräch als System etwas qualitativ anderes als die Summe seiner Elemente in Gestalt einzelner Äußerungen und Redebeiträge der am Gespräch beteiligten Personen (siehe Abbildung 8). Darauf ist der aus Paarbeziehungen bekannte und oft im Rahmen von Paartherapien bearbeitete Unterschied zwischen „miteinander sprechen“ (im Sinne einer systemischen Emergenz aus Rede und Gegenrede) und „zueinander sprechen“ (als mechanistische Addition von Monologen) zurückzuführen. Das so entstandene soziale System „durchschaut“ sich weder intern selbst, noch kann es von außen bzw. von den beteiligten Per‐ sonen „durchschaut“ werden. Natürlich kann über das Gespräch gesprochen werden, beispielsweise im therapeutischen Rahmen - allerdings ist dieses Gespräch-über-das-Gespräch als „Beobachtung zweiter Ordnung“ (siehe dazu auch Anm. 38) dann ein anderes Gespräch als jenes erste Gespräch, über das im Rahmen des zweiten gesprochen wird. Ein soziales System lässt sich nicht mit Blick auf seine Elemente und deren jeweilige Eigenschaften verstehen. Erst durch das Zusammenwir‐ ken der Elemente (also durch „Emergenz“) entsteht eine neue Ebene der systemischen Eigenkomplexität mit einer systemspezifischen Eigenlo‐ gik. Als soziales System reagiert jedes noch so einfach erscheinende Gespräch nach seiner komplexen internen Eigenlogik auf die externen Beiträge der beteiligten Personen und setzt sich nach ebendieser eigenen Logik fort (oder natürlich nicht, falls das Gespräch enden sollte). Daran liegt es ja nicht zu‐ letzt, dass neu hinzukommende Gesprächsteilnehmer*innen mitunter Mühe 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz 49 <?page no="50"?> 20 Angesichts solcher Phänomene (Emergenz, Wechselwirkungen, zirkuläre Kausalität etc.) ist insbesondere für eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise der „atomis‐ tische“ Qualitätsbegriff, der gemäß DIN EN ISO auf die mechanisch-mechanistische Addition einzelner erfüllter Anforderungen abzielt, problematisch (siehe dazu unten Kap. 3.3.1). haben, den Sinn des gerade Gesagten bzw. Gehörten nachzuvollziehen: Emergente Systeme tendieren nämlich dazu, sich nicht nur auf ihre Umwelt (wie die Beiträge der beteiligten Personen), sondern außerdem auf sich selbst und damit auf die von diesen aufeinander bezogenen Beiträgen emergent erzeugte Eigenkomplexität zu beziehen (Stichwort: Pfadabhängigkeit). Abbildung 8: Soziale Systeme als „Emergenz“ In vergleichbarer Weise ist Management als intern ausdifferenzierte Funk‐ tion zur Selbstorganisation (formal organisierter) sozialer Systeme nicht ein‐ fach „nur“ Addition von sozialen und anderen Objekten (Clegg 1996, Baecker 2016) - also beispielsweise von Beiträgen einzelner Mitglieder als individu‐ ellen Personen (was ja an sich bereits kompliziert genug wäre) -, sondern es ist vor allem die geschickte und gegebenenfalls sogar gezielte Gestaltung der Beziehungen zwischen diesen aufeinander verweisenden Beiträgen. Diese Beziehungen erzeugen dann eine neue Ebene der Emergenz, die sich als komplexes System weder selbst durchschauen noch von Manager*innen und Mitgliedern als beteiligten individuellen Personen durchschaut werden kann - und deren Strukturen sich von neu Hinzukommenden umso weni‐ ger erschließen lassen. 20 Insbesondere formal organisierte, bürokratische Systeme (siehe dazu auch Kap. 3.1.1) sind dafür bekannt, auf Probleme, die aus ihren formal organisierten, bürokratischen Strukturen entstehen, mit Lösungen in Gestalt neuer formal organisierter, bürokratischer Strukturen 50 2 Wünsche und Warnungen <?page no="51"?> zu antworten - und damit neue Probleme weniger durch Umwelteinwir‐ kungen als vielmehr durch den selbstreferentiellen Bezug auf sich selbst bzw. auf die eigenen Strukturen zu erzeugen (vgl. Luhmann 1981, S. 362). Ein extremes, wenngleich aus dem Alltag gut bekanntes Beispiel für solch systemische Selbstreferentialität auf der Ebene eines (formal organisierten) sozialen Systems sind Reformen in bürokratischen Hierarchien wie im Erziehungs- und insbesondere im Schulsystem: „Beobachtet man das jeweils reformierte System, hat man den Eindruck, dass das Hauptresultat von Reformen die Erzeugung des Bedarfs für weitere Reformen ist“, wie Niklas Luhmann es formuliert hat (Luhmann 2002, S.-166). Durch die daraus hervorgehende Selbstorganisation (als eine von mehre‐ ren Erscheinungsformen der Selbstreferentialität von Systemen) kommt es erstens zum Aufbau von Ordnung (um dem Chaos der Umwelt zu entfliehen), zweitens zur Hervorbringung von „negativer Entropie“ (um dem berüchtigten thermodynamischen Tod zu entgehen), sowie drittens - entweder früher oder später - zur Entwicklung von verschiedenen Formen der internen Differenzierung (um sich neue Möglichkeiten der Steigerung von Eigenkomplexität zu eröffnen). Im Zuge dieser sozialevolutionären Entwicklung ist allerdings neben Vorteilen immer mit Nachteilen zu rechnen (vgl. Glasl & Lievegoed 1993; siehe Kap. 3.1.1 und 6.2). Durch ihre Autonomie können soziale Systeme keine Strukturen aus der Umwelt importieren (oder „implantiert“ bekommen). Aufgrund ihrer Selbstreferentialität sind sie zu Selbstorganisation, also zum internen Aufbau von Strukturen auf Basis der bereits vorhandenen Strukturen gezwungen. Ein augenscheinliches Beispiel für diesen Sachverhalt bietet die Entwick‐ lung jener Unternehmen, die als kleine Start-ups mit motivierten Mitarbei‐ ter*innen beginnen, bevor quantitatives Wachstum durch Addition einsetzt. Während sie zu Beginn als Ansammlung von Menschen noch sehr abhängig von den beteiligten Personen sind und diese mit generalistischem Profil verschiedenste der anfallenden Aufgaben „ad hoc“ übernehmen müssen, gewinnt die daraus entstehende, selbstreferentielle Struktur zunehmend eine eigene stabile, von den Individuen unabhängige Objektivität. Es kommt zu interner Differenzierung, zur Einrichtung spezialisierter Abteilungen - kurz: zur Festlegung verschiedener formaler Strukturen (Hierarchie, Auf‐ 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz 51 <?page no="52"?> bauorganisation) und Prozesse (Heterarchie, Ablauforganisation) -, also zu qualitativer Weiterentwicklung durch Emergenz. All dies bedient den Wunsch nach Vorhersehbarkeit durch Regelung jenes offiziellen Geschehens, in dessen Zwischenräumen das unvorhersehbare inoffizielle Geschehen erst entstehen kann (Gespräche am Gang oder Klatsch am Kaffeeautomaten), weil das Informelle als Nicht-Formales erst als Kontrast zum Formalen möglich wird. Wie den Start-ups fehlt es (öffentlichen) Schulen meist an solcher Selbst‐ organisation, denn die interne Differenzierung beschränkt sich hier in der Regel auf gesetzlich definierte Strukturen wie einzelne Schulklassen, die Schulleitung und ein paar wenige weitere ausdifferenzierte Rollen. Die Makro-Ebene der Institution und die dadurch gerahmte Mikro-Ebene der Interaktion dominieren über die Meso-Ebene der Organisation. Lehrperso‐ nen fühlen sich meist eher dem Schulsystem, dem Ministerium, ihrem Unterricht usw. verpflichtet als dem Schulstandort bzw. der einzelnen Schule als organisiertem System. Es ist dieses Fehlen an Eigenkomplexität, das die Verarbeitung externer Komplexität erschwert bzw. bisweilen verunmöglicht - was in unserer Zeit rasanter gesellschaftlicher Entwicklungen zunehmend zum Problem wird. Vielfältige Anforderungen diverser Anspruchsgruppen in der Umwelt treffen in der Schule auf strukturelle Diffusität („das Kolle‐ gium ist allgemein verantwortlich“), die nicht selten zu deren Diffusion führt („niemand ist konkret verantwortlich“). Kompensieren muss diesen Mangel an interner Selbstorganisation neben der einzelnen Person die Profession im Rahmen externer hierarchischer bzw. bürokratischer Rahmensetzungen (daher „hierarchisch-/ bürokratisch-professionelle Doppelsteuerung“). Auf die Herausforderungen steigender Umweltkomplexität kann ein soziales System nur mit entsprechender Eigenkomplexität in Gestalt ausdifferenzierter Strukturen reagieren. Vorschnelle Vereinfachungen mögen verführerisch sein, führen aber früher oder später nur in neue Probleme. Nichtsdestotrotz lauern auch in einer auf maximale strukturelle Expansion gerichteten systemischen Eigendynamik neben den unübersehbaren Vor‐ teilen für die Komplexitätsverarbeitung ersichtlich große Gefahren - die sowohl zur Produktion interner Probleme als auch Erzeugung negativer Exter‐ nalitäten bis hin zu einem sowohl für das System als auch für die Umwelt als 52 2 Wünsche und Warnungen <?page no="53"?> 21 Nachvollziehbar ist insbesondere diese Nachfrage angesichts der Erwartungen, mit denen sich Manager*innen konfrontiert sehen, allen voran die rasche und rationale Beherrschung unübersichtlicher Entscheidungssituationen im Sinne eines (post)heroi‐ schen „managing the unexpected“ (Baecker 1994; Weick & Sutcliffe 2001; Bröckling 2020). „ökologische Nische“ gefährlichen Kollaps des Systems, unter Umständen samt bestehender System-Umwelt-Beziehungen, führen können. So führen das vorhin beispielhaft genannte Wachstum von Unternehmen und die damit einhergehende interne Differenzierung zu wachsendem Koordinationsaufwand (der mitunter die Spezialisierungsvorteile zu kom‐ pensieren imstande ist). Eine marktbeherrschende oder gar monopolistische Stellung kann dem vielzitierten Matthäus-Prinzip zum Trotz angreifbar machen: von außen, wenn neue, noch wendige Start-ups entstehen (bevor bei diesen dann ebenfalls Wachstum einsetzt), von innen, wenn Innovati‐ onskraft und vor allem Innovationsfähigkeit nachlassen (weil bekanntlich nichts den Erfolg mehr bedroht als Erfolg, auf dem man sich ausruht, obwohl die Umweltbedingungen möglicherweise nicht mehr gegeben sind). Zusätzlich droht das anfängliche Engagement jener Personen, die bei der Gründung dabei gewesen sind, durch die zunehmende Entfernung vom „eigentlichen Geschäft“ und durch neue, mit der Geschichte nicht vertraute Mitarbeiter*innen in Entfremdung umzuschlagen, weshalb mit zunehmen‐ dem Wachstum gezielte „Sinnstiftung“ an Bedeutung gewinnt, weil der Sinn des „Ganzen“ nicht mehr selbstevident ist. Aus den bisher angestellten Überlegungen folgt außerdem, dass die systemisch-systemtheoretische Sichtweise selbst sich ebenfalls als ein Sys‐ tem mit hoher Eigenkomplexität und mit einem hohen Grad interner Differenzierung verstehen lässt: Sie stellt gewissermaßen ein komplexes Erkenntnissystem bzw. eine Art von Eigenkomplexität „zweiter Ordnung“ (auf der Ebene einer „Beobachtung zweiter Ordnung“) zur Verfügung, mit der man dann die Praxis von Qualitätsmanagement (auf der Ebene einer Beobachtung erster Ordnung) als ein komplexes, ausdifferenziertes System in den Blick nehmen kann. Im Sinne der vorhin beschriebenen „Viabilität“ ist nämlich davon auszugehen, dass ein komplexes Erkenntnissystem dieser Art zugleich der hier durchwegs beschriebenen Eigenkomplexität postmo‐ derner gesellschaftlicher Wirklichkeiten besser gerecht zu werden vermag als das von der Managementlehre noch immer verbreitet angebotene (und von der Managementpraxis nachgefragte) wenig komplexe mechanistische Denken. 21 Zwar erfordert diese „erforderliche Varietät“ im Sinne von Wil‐ 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz 53 <?page no="54"?> liam R. Ashby (1956) auf theoretischer Ebene zunächst ebenfalls erhebliche Anstrengungen, um die abstrakte analytische Heuristik zu begreifen, doch macht sich eine solchermaßen anstrengende (theoretische) Analyse nicht zuletzt als Vorbereitung auf die (praktische) Steuerung von sozialen Syste‐ men - allen voran, aber bei Weitem nicht nur durch das Management - bezahlt. Das zeigt sich bereits im eingangs geschilderten Beispiel (siehe Kap. 1.1), wo die „Qualität“ für den Kunden nicht reduzierbar ist auf die quasi-me‐ chanische bzw. mechanistische Addition einzelner Produkt- und Leistungs‐ bestandteile, sondern vielmehr „emergent“ aus deren Zusammenspiel und aus dem damit in Zusammenhang stehenden Zusammenwirken einzelner, unternehmensinterner Stellen, Abteilungen und Funktionen auf Seiten des Anbieters in Abstimmung mit unternehmensexternen Zulieferfirmen und dem Kunden entsteht. Es zeigt sich auch im Bildungssystem an Schulen und Hochschulen, wo die „Qualität“ von Bildung keineswegs nur auf die Seite der Schüler*innen oder Studierenden reduzierbar ist (wo man danach strebt, bestimmte Kompetenzziele zu erreichen und die individuelle Erreichung dieser Ziele empirisch zu messen), sondern ebenfalls „emergent“ aus den Beziehungen zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen bzw. zwischen Studierenden und Lehrenden entsteht. Es zeigt sich außerdem im Sozial- und Gesundheitsbereich, wo (Dienst-)Leistungen wie jene der Beratung und der Behandlung stets Ausdruck einer „Ko-Produktion“ sind, weil dabei Kli‐ ent*innen oder Patient*innen nicht (im Sinne von Konsument*innen) bloß passiv mit sich geschehen lassen dürfen, sondern sich aktiv beteiligen und damit zum Gelingen des Leistungserstellungsprozesses beitragen müssen. Und es zeigt sich letztlich überall dort, wo das Management von „Qualität“ die behutsame Gestaltung eines komplexen Geflechts aus Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines sozialen Systems und aus deren Beiträgen zu diesem sozialen System sowie der letztlich aus diesen Beziehungen und Beiträgen „emergent“ entstehenden Eigenkomplexität ist. Mit anderen Worten: Eine systemtheoretische Analyse macht sich als Vorbereitung auf die praktische Steuerung von sozialen Systemen nicht zuletzt überall dort bezahlt, wo sich soziale Verhältnisse weniger direkt bzw. direktiv durch rational handelnde Akteure steuern als vielmehr nur - aber immerhin! - durch so etwas wie „indirekte Rahmensteuerung“ beeinflussen lassen (vgl. Willke 1998; dazu Reinbacher 2014a). So geht es auch im Qualitätsmanagement darum, angesichts der Unmöglichkeit unmittelbarer Steuerung von komplexen sozialen Systemen (als „black boxes“) auf diese 54 2 Wünsche und Warnungen <?page no="55"?> Systeme und deren interne Abläufe, Strukturen und Entscheidungen auf mittelbarem Wege durch die geschickte Gestaltung von Rahmenbedingun‐ gen auf der Basis von Wissen, Kompetenz und Erfahrung (gezielt) Einfluss zu nehmen, denn trotz der mit Selbstreferentialität einhergehenden Struk‐ turdeterminiertheit sozialer Systeme ist deren Management (genauso wie beispielsweise Beratung psychischer Systeme oder Behandlung biologischer Systeme als quasi funktionale Äquivalente) kein absichtsloses „Begleiten“ im Sinne von „laissez-faire“. Soziale Systeme lassen sich nicht direkt bzw. direktiv auf Basis linea‐ rer Kausalannahmen steuern. Für Qualitätsmanagement bedeutet dies jedoch nicht den Verzicht auf Steuerung, sondern das Ausweichen auf „indirekte Rahmensteuerung“ unter Berücksichtigung systemischer Rationalität. Vor diesem Hintergrund macht die systemisch-systemtheoretische Sicht‐ weise deutlich, dass im Kontext von Qualitätsmanagement zumindest Vor‐ sicht in dreifacher Hinsicht geboten ist: Erstens bei unreflektiertem Import von Methoden, Techniken etc. aus den ursprünglichen Gebieten der fertigenden Industrie und vor allem aus über- und durchschaubaren Bereichen organisationaler Kontexte wie gut abgrenz‐ baren Produktionsbereichen in andere Gebiete der Gesellschaft, allen voran ins Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen sowie auf umfangreiche so‐ ziale, sozio-kulturelle und auch sozio-technische Systemzusammenhänge, die kaum mehr über- und durchblickt werden können. Unternehmen, Spitäler, der Hochschulbetrieb, Systeme der sozialen Sicherung usw. stellen als Ganzes jeweils nicht nur komplizierte, sondern darüber hinaus komplexe Zusammenhänge dar. Zweitens bei umfassenden („totalen“ bzw. besser: totalitären) Ansprüchen wie jenen des totalen Qualitätsmanagement („Total Quality Management“, TQM), die sich anmaßen, einen gewissermaßen „Archimedischen Punkt“ gefunden zu haben, von dem aus sich ein System zur Gänze - also über alle Ebenen hinweg und in alle intern ausdifferenzierten Subsysteme hinein - gestalten und steuern ließe. „Qualität“ als zentraler Wert bzw. oberstes Prin‐ zip dient hier bei näherem Hinsehen nicht selten zur Immunisierung gegen‐ über Kritik oder abweichenden Perspektiven, und während Innovation als Begriff vereinnahmt wird, bleibt diese oft reduziert auf effizienzsteigernde 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz 55 <?page no="56"?> Maßnahmen „einschleifigen“ Lernens (siehe dazu ausführlicher Kap. 3.2.2 mit Bateson 1972, Argyris & Schön 1978). Drittens bei jeder Form mechanischen bzw. mechanistischen Denkens, die lineare Kausalbeziehungen unterstellt, weil nicht-triviale Systeme sehr sensibel, ggf. sogar störrisch auf Versuche der Trivialisierung reagieren. Was Lehrer*innen oder Ärzt*innen im Umgang mit Schüler*innen und Patient*innen auf der Mikro-Ebene erfahren, zeigt sich umso mehr auf der (organisationalen) Meso- oder der gesellschaftlichen Makro-Ebene der Schule und des Spitals oder des Bildungs- und Gesundheitssystems. Dabei ist Sensibilität für systemische Eigenlogiken eben nicht zu verwechseln mit passiven Strategien des „laissez-faire“, sondern eine proaktive Strategie im Umgang mit Selbstreferentialität und Selbstorganisation. Vorsicht ist also geboten aufgrund der drohenden Gefahr einer begriffli‐ chen „Überdehnung“ von Konzepten (Sartori 1970), denn wenn „Qualität“ beinahe alle beliebigen Aspekte von beinahe beliebigen Phänomenen be‐ zeichnen kann und „Qualitätsmanagement“ so gut wie alle Steuerungsver‐ suche in Organisationen für sich beansprucht, besteht die Gefahr, dass die beiden bald nichts mehr bezeichnen und beanspruchen können. In der hier angelegten systemisch-systemtheoretischen Sichtweise wäre demnach mehr Eigenkomplexität auch auf der Ebene von Begriffen und Konzepten gefragt, also mehr Differenzierung statt der zu beobachtenden Auflösung von Unterscheidungen. Wenn „Qualität“ allerdings kein diffuser Sammelbegriff für beliebige Bedeutungszuschreibungen sein, sondern er demgegenüber etwas Spezifi‐ sches bezeichnen (und sich dabei von Anderem abgrenzen) will, muss sich Qualitätsmanagement die Frage stellen (oder zumindest: gefallen lassen), was denn die differentia specifica, also das Unterscheidungsmerkmal zu anderen Sachverhalten des allgemeinen Management und anderer funktio‐ naler Managementbereiche ist. Und wenn „Qualitätsmanagement“ kein Nachfolger für general management und kein Ersatz für andere funktionale Managementbereiche sein, sondern demgegenüber eine spezifische Funk‐ tion neben anderen übernehmen will, tut Fokussierung not. Ohne klaren und idealerweise theoretisch fundierten Begriff von „Qua‐ lität“ droht dem „Qualitätsmanagement“ zunächst eine Überforderung, weil es für beinahe Beliebiges verantwortlich gemacht werden kann, 56 2 Wünsche und Warnungen <?page no="57"?> und in weiterer Folge eine Gleichsetzung mit „Management“ im Allge‐ meinen. Vielleicht wäre vor diesem Hintergrund weniger Geschichtsvergessenheit und weniger Anbiederung an einen „agilen“ Zeitgeist der Kund*innenzufrie‐ denheit und Bequemlichkeit zusammen mit etwas mehr Vergangenheitsbe‐ wältigung und Rückbesinnung auf die Ursprungskontexte für eine Stärkung der „Alleinstellungsmerkmale“ von Qualitätsmanagement hilfreich. Nicht zuletzt birgt ja gerade konservative Beharrlichkeit bzw. Beharren auf Stabili‐ tät in einer Zeit, die an allen Ecken und Enden unreflektiert nach innovativer Veränderung bzw. verändernder Dynamik ruft, bereits durch diese ihre Widerständigkeit ein erhebliches Irritations- und (paradoxerweise) auch Innovationspotential. Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Inwiefern dient Qualitätsmanagement der internen Bewältigung organi‐ sationaler Herausforderungen (auf der Meso-Ebene)? Welche Probleme werden durch Qualitätsmanagement in Organisationen gelöst - und durch diese Lösungen ggf. neu erzeugt? ● Inwiefern ist Qualitätsmanagement ein Ausdruck externer, gesellschaft‐ licher Entwicklungen (auf der Makro-Ebene)? Welche Probleme werden für die Gesellschaft durch Qualitätsmanagement gelöst - und durch diese Lösungen ggf. neu erzeugt? ● Welche Funktion(en) übernehmen Management als Steuerungstechno‐ logie und „Qualität“ als „Kontingenzformel“ in Organisationen als so‐ zialen Systemen, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie dem Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen? ● Welche Bedeutung hat „Eigenkomplexität“ für soziale Systeme und woran zeigt sich diese beispielsweise im Fall von Organisationen? Welche Gefahren bergen „Fehlvereinfachungen“ und wie lässt sich ihnen begegnen? 2.3 Systembildung als Erzeugung von Eigenkomplexität durch Emergenz 57 <?page no="59"?> 3 Grundlagen und Hintergründe Dieses Kapitel informiert ● über prominente Perspektiven auf soziale Handlungsbzw. Kom‐ munikationssysteme und über Management als intern ausdifferen‐ zierte Funktion dieser Systeme. ● über vier grundsätzliche Herangehensweisen an das Management von Qualität, die sich in der mittlerweile unübersichtlichen Diskus‐ sion unterscheiden lassen. ● über die Grundannahmen und Grenzen des derzeit die Diskussion dominierenden, konventionellen Verständnisses von Qualität und Qualitätsmanagement. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1194 Die Praxis des Qualitätsmanagement bietet anschauliche empirische Bei‐ spiele für das oben beschriebene, laut Theorie zu erwartende Bedingungsver‐ hältnis von Komplexitätsreduktion und Komplexitätsproduktion im Kontext organisierter sozialer Systeme und ihrer gesellschaftlichen Umwelt: So brin‐ gen Versuche der Bewältigung externer Komplexität durch Trivialisierung mit vereinfachenden Rezepten des Management zuerst interne Kompliziert‐ heit, in einem weiteren Schritt dann aber sogar neue Eigenkomplexität hervor. Man denke an Qualitätsmanagement-Architekturen, die als Antwort auf hochkompetitive Märkte und globale Lieferketten errichtet werden: In einem Netzwerk vielfältiger Anspruchsgruppen („Stakeholder“) dienen sie nicht nur dazu, die Qualität der Leistungserstellung zu gewährleisten, sondern außerdem dieses Gewährleisten von Qualität im Rahmen von Akkreditierungen und Zertifizierungen auch nachzuweisen. Das Ergebnis ist dann oft genug ein Dickicht aus diversen Dokumenten (wie Handbüchern, Checklisten, und Durchführungsanweisungen), für die es eines gesonderten „Dokumentenmanagements“ bedarf, um die erforderliche Anpassung im Zuge des sogenannten „Änderungsdienstes“ noch bewältigen zu können. Meist sind diese Systeme bürokratischer Steuerung dann zuerst einigerma‐ <?page no="60"?> 22 Die Unterscheidung von „kompliziert vs. komplex“ führen wir hier weitgehend parallel zu jener von „trivial vs. nicht-trivial“ (von Foerster 1985, 1993). ßen kompliziert, aber prinzipiell noch trivial und weitgehend, wenngleich mit hohem Ressourcenaufwand beherrschbar (siehe nochmals Abbildung 7 links). Doch entwickeln solche Systeme dann zunehmend eine komplexe und nicht-triviale Eigendynamik, die sich der zentralen Steuerung durch verantwortliche Stellen mehr und mehr entzieht (Stichwort: „Parkinsons Law“; Parkinson 1957; siehe Abbildung 7 rechts). 22 Etwas anders gesagt: Die Sachlage wird komplex, weil Situationen sich nun grundsätzlich (und das heißt: nicht nur aufgrund individueller Ignoranz und Inkompetenz, möglicher Motivationsdefizite der Mitarbeiter*innen etc.) der direkten, zen‐ tralen Kontrolle durch Autoritäten und Akteur*innen wie Manager*innen entziehen. Trotz anderslautender Ratschläge ist nur mehr indirekte, laterale Kontextsteuerung möglich (Willke 1998). Die Reduktion von Komplexität durch vorschnelle Vereinfachung bringt rasch komplizierte Strukturen hervor und führt in weiterer Folge durch Emergenz zum Entstehen von neuer Eigenkomplexität, die sich einer direkten Kontrolle entzieht und indirekte Kontextsteuerung nahelegt. Wie oben mit Dirk Baecker notiert, ist Komplexität ohnedies weniger Problem als Lösung. Und mit dem eben Skizzierten lässt sich dies nun präzisieren: „Komplexität ist die Lösung derjenigen Probleme, die aus Vereinfachungen entstehen, die nicht funktionieren.“ (Baecker 1992, S. 33) Es sind nämlich die komplizierten, trivialisierenden „Fehlvereinfachungen“ (Reinbacher 2021) eines elaborierten Qualitätsmanagement, die zwar zuerst in der Gestalt von Lösungen für (Qualitäts-)Probleme auftreten, alsdann neue Probleme wie den vorhin genannten Dokumentations-Dschungel erzeugen, sowie letztlich auf Umwegen komplexe, nicht-triviale Selbststeu‐ erungsmechanismen als Lösung provozieren. Man denke nur an umfangreiche Qualitätsmanagement-Handbücher, die zumeist mit grundlegenden Glaubensbekenntnissen in Gestalt von Leitbildern beginnen, in denen darüber hinaus dann aber zahlreiche Ver‐ fahren, abteilungsinterne Abläufe und organisationsweite Prozesse mehr oder weniger detailliert geregelt sind, die Check-Listen, Formulare etc. für unterschiedlichste Anlässe enthalten, und die damit gewissermaßen 60 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="61"?> umfangreiche, umfassende sowie entsprechend komplizierte „Gebrauchs‐ anweisungen“ bzw. „Betriebsanleitungen“ für formal organisierte Systeme darstellen. Ihre manifeste Funktion ist das Schaffen von Grundlagen für interne Steuerung. Ihre latente Funktion ist das Schaffen von Grundlagen für externe Legitimation (siehe dazu bereits am Ende von Kap. 1.3 und Kap. 6.3). Zunehmend entwickeln solch komplizierte Steuerungsinstrumente allerdings ein Eigenleben - zum Beispiel indem sich Regeln zunehmend selbstreferentiell auf andere Regeln beziehen und neue Regeln für den Umgang mit Regeln erforderlich machen, weil stets neue, noch nicht (aus‐ reichend) geregelte Sachverhalte auftauchen. Einfache Prinzipien (wie Werte im Leitbild) reichen zur Steuerung sozialer Systeme nicht aus, da sie zwar zunächst die Komplexität reduzieren, zugleich aber neue Komplexität produzieren, weil man sie spätestens bei ihrer Anwendung inmitten einer stets ambivalenten Praxis interpretieren muss. Dort, wo man versucht, nicht in diese Kompliziertheits-Komplexitäts-Falle zu tappen, und meint, sich auf einfache Prinzipien (zum Beispiel „Keine-Feh‐ ler-Strategie“, „Kontinuierliche Verbesserung“ oder „Kund*innenorientie‐ rung“) zurückziehen zu können, zeigt sich die Komplexität bald in der Anwendung dieser nur scheinbar einfachen Prinzipien: Was bedeutet die Anwendung einer nur auf den ersten Blick einfachen, allgemeinen Regel in einer konkreten, gar nicht so eindeutigen Situation? Welche die Regel bestätigenden Ausnahmen tauchen auf ? Welche Interpretation, Anpassung oder „Dehnung“ der Regel ist erforderlich (vgl. anschaulich Ortmann 2003)? Hinzu kommen Probleme in der selten widerspruchsfreien Praxis, wenn die Forderungen nach „kontinuierlicher Verbesserung“ und „Kund*innen‐ zufriedenheit“ mit der „Keine-Fehler-Strategie“ kollidieren, weil eine jede versuchte Verbesserung schiefgehen kann und/ oder weil die Erfüllung kurzfristiger Kundenwünsche die langfristige Produktionsplanung lahm‐ legt. Kurz: Der Komplexität ist nicht zu entkommen und Management als Komplexitätsverarbeitung ist ein sozialer Mechanismus zur Kombination von Komplexitätsreduktion und Komplexitätsproduktion. 3 Grundlagen und Hintergründe 61 <?page no="62"?> 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive Der Ursprung des systemischen oder gar des systemtheoretischen Denkens (siehe dazu auch nochmals Anm. 2) lässt sich zwar auf holistische Sicht‐ weisen im antiken Griechenland zurückverfolgen (griech. ὅλος, holos … ganz). Entwicklungen auf breiter Basis haben aber erst ab den 1920er Jahren mit der biologischen Systemlehre (Ludwig v. Bertalanffy, 1901-1972) und mit neuen Disziplinen, allen voran mit der Kybernetik (Norbert Wiener, 1894-1964; William R. Ashby, 1903-1972) begonnen, die dann sukzessive in die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung eingeflossen sind (Lenk & Ropohl 1978). Eine sehr kurze Geschichte des zeitgenössischen systemisch-systemtheoretischen Denkens in den Sozial- und Wirtschafts‐ wissenschaften als der disziplinären Heimat des Qualitätsmanagement könnte daher ihren Ausgangspunkt erst bei Talcott Parsons (1902-1979) und seiner strukturfunktionalistischen System- und Handlungstheorie, dann bei Niklas Luhmann (1927-1998) und seiner Theorie autopoietischer Systeme sowie schließlich bei der Weiterentwicklung dieser Ansätze durch Helmut Willke (*1945), Fritz Simon (*1948) oder Dirk Baecker (*1955) nehmen. Mittlerweile ist sogar eine Inflation der Begriffe „systemisch“ und „sys‐ temtheoretisch“ zu beobachten: Sie tauchen in unterschiedlichsten Kontex‐ ten auf, womit eine „Trivialisierung“ (Kühl 2015) einhergeht. Oft sind diese Begriffe dabei nur Ausdruck der eher allgemeinen Intuition, dass das grie‐ chische sýstēma (σύστημα) ein Ordnungsprinzip bzw. ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes bezeichnet, dessen Teile so miteinander in Beziehung stehen, dass das Ganze nur durch das Zusammenwirken seiner Teile als Ganzes existiert bzw. funktioniert. In der Managementliteratur kommen zu diesem gemeinsamen Nenner noch Tendenzen einer Instrumentalisierung, also die Ausrichtung am praktischen Managementhandeln mit der Absicht, dieses anzuleiten, sowie einer Interdisziplinarisierung, also die Einsicht, dass Probleme heute oft quer zu traditionellen Fachgrenzen liegen und „ganzheitliche“ Lösungen erfordern (Siegwart 1996). Vermutlich speist sich die Attraktivität des „systemischen“ Denkens für das Management nicht zuletzt aus der zentralen Rolle, die es dem Konzept der Komplexität und der Komplexitätsverarbeitung beimisst. Immerhin ist eine Keimzelle des systemischen Denkens, dass die soziale Welt ihren Beob‐ achter*innen, die selbst ebenfalls Teil dieser Welt sind - also beispielsweise den Manager*innen - als „komplex“ erscheint, und dass dies wiederum zugleich der Anlass für Systembildung ist. Mit anderen Worten: Systembil‐ 62 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="63"?> dung, die von einer Beobachtung der Welt ausgeht, ist vor allem ein Versuch, jene Komplexität der Umwelt zu reduzieren, die es ohne diese Beobachtung und Systembildung gar nicht gäbe. Denn die Welt „an sich“ ist gar nicht komplex. Sie ist dies nur aus der Perspektive eines Beobachters, einer Beob‐ achterin bzw. eines beobachtenden Systems, der/ die/ das mit ihr umzugehen versucht. So hat der Systemtheoretiker Helmut Willke „Komplexität“ über den „Grad der Vielschichtigkeit, der Vernetzung und der Folgenlastigkeit eines Entscheidungsfeldes“ bestimmt: Sie ist an Entscheidungssituationen gebunden - und sind keine Entscheidungen erforderlich, ist Komplexität nicht relevant - oder gar nicht existent (Willke 1982, 2019). Während die philosophische Auseinandersetzung mit systemtheoreti‐ schen Fragen sich zumindest bis in die Antike zurückverfolgen lässt, speist die praktische Attraktivität des systemischen Denkens sich aus der steigenden sozialen Komplexität in der spät- oder gar postmodernen Gesellschaft. Mit anderen Worten: Die Bedeutung von Fragen der Bewältigung von Komplexität für Management nicht nur, aber insbesondere im Kontext von (formalen) Organisationen speist sich aus der Tatsache, dass für Manage‐ ment - entweder als Handlungssystem oder als ausdifferenzierte Funktion sozialer Systeme - wie für eine Organisation - als formal organisiertes soziales (Handlungs-)System - gleichermaßen gesagt werden kann, dass das Treffen von Entscheidungen bzw. besser: das Kommunizieren in der Form von Entscheidungen ein konstitutives Merkmal darstellt (March & Simon 1958, Cohen, March & Olsen 1972, March 1978, Luhmann 1964, 1981, 2000). Demnach besteht ein inhärenter Bedingungszusammenhang zwischen Management (insbesondere in formal organisierten Kontexten), Komplexität (als Problem und Lösung) sowie Entscheidungsprozessen (zur Reduktion und Produktion organisationaler Komplexität). 3.1.1 Soziale Systeme und ihre Funktionen In dieser Situation stellen sich nun zumindest zwei Fragen, die für das Management von Organisationen unmittelbar von Bedeutung sind. Einer‐ seits ist dies (gewissermaßen mit Blick nach „innen“) die Frage nach jenen Funktionen, die Systeme benötigen, um inmitten einer komplexen Umwelt 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 63 <?page no="64"?> 23 Daraus entsteht eine „Drift“ im Sinne der Evolutionstheorie, also eine Abstimmung zwischen Systemen einerseits sowie deren inneren und äußeren Umwelten andererseits (Maturana & Mpodozis 2000 [1992], dazu Baecker 2021, auch Ortmann 2003) bestehen und sich dabei im erforderlichen Ausmaß anpassen bzw. wandeln zu können. Andererseits ist dies (gewissermaßen mit Blick nach „außen“) die Frage nach jenen Funktionen, die Systeme zu einer aus diesen Systemen und ihren jeweiligen Umwelten bestehenden „ökologischen Nische“ (Bateson 1972) beitragen, indem sie zwischen den Anforderungen des Systems und den Anforderungen der Umwelt vermitteln. 23 Wenngleich zwischen den beiden Fragen ein struktureller Zusammenhang besteht, so war die erste besonders bedeutsam für Talcott Parsons und seine heute weitgehend in Vergessenheit geratene Analyse sozialer Handlungssysteme, während die zweite für die Untersuchung sozialer Kommunikationssysteme in der Tra‐ dition von Niklas Luhmann heute auch bei Dirk Baecker, Fritz B. Simon und anderen an zentraler Stelle steht. Dabei begegnet man der Kritik an traditio‐ nellen „funktionalistischen“ Erklärungsansätzen (allen voran an jenen von Bronislaw Malinowski und Alfred R. Radcliffe-Brown, aber auch jenen von Talcott Parsons, Niklas Luhmann und anderen) am besten offensiv, denn: Dass ein Systemelement mehrere Funktionen erfüllen kann („Multifunktio‐ nalität“) und umgekehrt eine Funktion von mehreren Systemelementen erbracht werden kann („Äquifinalität“), eröffnet ein Interpretations- und Analyseschema, das sowohl Vergleiche unter unterschiedlichen Gesichts‐ punkten ermöglicht als auch Verhältnisbestimmungen zwischen Problemen und Lösungen erlaubt (Nassehi 2008) - bis hin zur überraschenden Einsicht, dass Probleme und Lösungen in gewisser Weise gleichzeitig entstehen: Wer von einem „Problem“ und nicht vom „Willen der Götter“ spricht, geht zumindest implizit davon aus, dass es eine Lösung und nicht nur schicksalhafte Ergebenheit als Antwort gibt, wobei nicht einmal endgültig geklärt werden kann oder muss, was vorher und was nachher war, Henne oder Ei (Reinbacher 2021). Die systemisch-systemtheoretische Sichtweise fokussiert auf funktio‐ nale Erklärungen. Sie fragt also vor allem nach den für Systeme not‐ wendigen und nach den von Systemen erbrachten Funktionen (bzw. funktionalen Äquivalenten), ohne dies mit einem Ersatz für kausale Erklärungen zu verwechseln. 64 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="65"?> 24 Zur Entwicklung dieses Schemas hat die Beobachtung von Kleingruppen durch Robert F. Bales beigetragen (vgl. Bales 1950, 1953; siehe auch Anm.-12). Soziale Handlungssysteme Den Startpunkt für eine Skizze der klassischen Parsons’schen Perspektive bildet das (soziale) Handeln: Dieses besteht aus einer Reihe von Elementen, die erstens strukturell unabhängig sind, die zweitens in der externen (Um‐ welt-)Situation als System zusammenwirken und die drittens füreinander quasi „interne Umwelten“ darstellen (siehe Abbildung 9, links): So setzt sich (soziales) Handeln zusammen aus dem behavioralen Aspekt des Verhaltens und dem motivationalen Aspekt der beteiligten Persönlichkeiten als den im weiteren Sinne „individuellen“ Komponenten sowie aus dem sozialen Aspekt des Bezugs auf Normen und dem kulturellen Aspekt des Bezugs auf Werte als quasi „kollektiven“ Komponenten. Zum Beispiel findet der im Leitbild verankerte kulturelle Wert „Kund*innenorientierung“ seinen Niederschlag in der von einer Organisation aufgestellten sozialen Norm, dass Anfragen freundlich zu beantworten sind, woraufhin motivierte Mitarbeiter*innen dies dann hoffentlich in ihrem Alltag auch tatsächlich tun. Diese (empirisch) im Alltag leicht zu machende, konkrete Erfahrung entspricht (theoretisch) jenem allgemeinen, analytischen Schema, das durch Kreuzung einer Achse mit räumlichem Bezug entlang der Unterscheidung zwischen interner und externer Orientierung sowie einer Achse mit zeit‐ lichem Bezug entlang der Unterscheidung von konsumatorischer Gegen‐ warts- und instrumenteller Zukunftsorientierung entsteht (Parsons 1937, 1961, 1978, Luhmann 1988). 24 Von diesen beiden Bezugspunkten ist der erste sehr rasch plausibel: Systeme kommen durch eine Grenzziehung zur Umwelt zustande. Der zweite folgt daraus, dass manche Elemente eher „für sich“ bedeutsam sind (wie der Verzehr einer Semmel) andere (wie der Kauf dieser Semmel) eher Bedeutung als Mittel für andere Zwecke jenseits davon haben (eben: den Verzehr). Kondensiert ist all dies in einem Vier-Felder-Schema. Es enthält vier universale Systemfunktionen, wie sie sich auf beinahe allen Ebenen des menschlichen Zusammenlebens bzw. des (sozialen) Handelns identifizieren lassen und wie sie von allen (sozialen) Handlungssystemen benötigt werden und balanciert werden müssen, um den Bestand langfristig sicherstellen zu können. Zu Bekanntheit gelangt ist das Schema unter dem Akronym AGIL, das für Adaptation (Anpassung), Goal Attainment (Zielerreichung), 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 65 <?page no="66"?> Integration (Integration) und Latent Pattern Maintenance (Latente Muster‐ erhaltung) steht. Im Fall von Organisationen sind diese vier Funktionen (Parsons 1956; siehe Abbildung 9, rechts) die Steuerung von Ressourcen (Anpassung), das Herbeiführen und Durchsetzen von Entscheidungen (Ziel‐ erreichung), die Institutionalisierung normativer Strukturen (Integration) und die Etablierung kultureller Wertsysteme zur Sicherung der Identität und zur Legitimation der Normen (Mustererhaltung). Abbildung 9: AGIL-Schema für Handlung und Organisation als System nach Talcott Parsons Zentral ist die Einsicht, dass (soziale) Handlungssysteme wie auch Organi‐ sationen, die langfristig Bestand haben wollen, Austauschprozesse mit der Umwelt regeln (A), Probleme der Zielrealisierung lösen (G), die Integration ihrer Subsysteme sichern (I) und stabilisierende Muster aufrechterhalten (L), und diese vier Funktionen in der dynamischen Balance aus Energie- und Steuerungsfluss halten müssen. Zu den eher statisch erscheinenden Aspekten der Bestandssicherung kommen nämlich dynamische Aspekte der Entwicklung: Die materielle „Basis“ (wie das Verhalten einzelner Mit‐ arbeiter*innen eines Unternehmens) und der kulturelle „Überbau“ (wie die Werte im Leitbild dieses Unternehmens) bedingen sich wechselseitig. Zum Ausdruck kommt dies im kybernetischen Konzept des AGIL-Energie- und des LIGA-Steuerungsflusses. So unterstützen kulturelle Werte die Le‐ gitimation institutionalisierter sozialer Normen (wie Rollenerwartungen), die wiederum psychische Motive der Mitarbeiter*innen beeinflussen und sich letztlich in deren Verhalten niederschlagen. In umgekehrter Richtung kann eine substantielle Verhaltensänderung auf Seiten einer großen Zahl an Mitarbeiter*innen zu einem Umdenken in der Belegschaft sowie in weiterer Folge zu neuen Normen und letztlich zu geänderten Werten führen. 66 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="67"?> 25 Das sogenannte „agile“ Management zielt (zumindest vorgeblich) vorrangig auf Flexi‐ bilität/ Flexibilisierung im Unterschied zu Stabilität/ Stabilisierung, wie sie für formal organisierte Systeme ansonsten als typisch gilt (Goldman, Nagel & Preiss 1995 und das „Manifesto for Agile Software Development“ auf https: / / agilemanifesto.org; für Qualitätsmanagement siehe beispielsweise https: / / blog.dgq.de/ manifest-fuer-agiles-qu alitaetsmanagement). Daraus resultiert die Frage, ob Management nicht immer schon in diesem naiven Sinne „agil“ war und es eher um implizite Abgrenzung zu der mit Bürokratie assoziierten Administration geht. 26 Es gibt eine lange Tradition der Auseinandersetzung rund um das Parsons’sche AGIL-Schema, die erst unlängst wieder einmal zu einem kurzen intellektuellen „Schlag‐ abtausch“ zwischen zwei prominenten Soziologen geführt hat (Baecker 2019, Kühl 2019, 2020,). 27 Und dabei außerdem „unter der Hand“ die kulturelle auf die soziale Dimension zurückgeführt (vgl. Staubmann 2004). Das Parsons’sche analytische Modell ergibt sich theoretisch-deduktiv aus der Kombination einer räumlichen mit einer zeitlichen Achse, wor‐ aus sich vier universale Systemfunktionen ableiten lassen (Anpassung, Zielerreichung, Integration und latente Mustererhaltung). Mit etwas anderen Worten lässt sich zusammenfassend sagen, dass jedes (soziale) Handlungssystem, also jede Organisation, jedes Unternehmen, jede Universität, jede Schule, jedes Spital, aber auch jeder Verein, jede Familie und jede andere Gruppe, also zum Beispiel eine Arbeits- oder Projektgruppe, „agil“ ist - wenn auch nicht so, wie die aktuelle Managementmode es suggeriert bzw. im Sinn hat. 25, 26 - Soziale Kommunikationssysteme Im Anschluss an Talcott Parsons hat Niklas Luhmann bei der Entwicklung seiner ebenfalls eigenwilligen systemtheoretischen Sichtweise vorrangig auf die im engeren Sinne soziale Dimension fokussiert (mit der behavioralen Dimension einerseits und der psychischen Dimension andererseits als zwei bedeutsamen Umwelten des Sozialen). 27 Anders gesagt: Er hat die sozial-in‐ tegrative I-Funktion im AGIL Schema (siehe Abbildung 9) „vertieft“. Diese soziale Dimension der Wirklichkeit bildet eine eigenständige Ebene der „Emergenz“, die sich von den gewissermaßen „darunter“ liegenden qualita‐ tiv unterscheidet, wenngleich sie auf sie angewiesen ist: Auf der Grundlage biologischer Organismen (= Leben) entstehen diesem Verständnis zufolge erst psychische Bewusstseinssysteme (= Denken), und dann in weiterer 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 67 <?page no="68"?> 28 Und mittlerweile durch „künstliche Intelligenz“ möglicherweise bereits eine neue, zusätzliche Ebene der „Digitalität“? Folge soziale Systeme (= Kommunizieren). 28 Weder lässt sich Kommunika‐ tion auf die Summe denkender psychischer Systeme noch Bewusstsein auf die Summe lebender organischer Systeme zurückführen. Dies kann man im Alltag ganz einfach dort beobachten, wo Kommunikation zum Erliegen kommt, aber kein Gedanke der beteiligten Personen einfach „einspringen“, sondern nur Anregungen für das „Anspringen“ und Fortsetzen kommuni‐ kativer Prozesse liefern kann, oder wo sich aus den Graphen eines EEG zwar mittelbar auf das Vorhandensein von Gehirntätigkeit schließen, nicht jedoch unmittelbar der Inhalt des Gedachten oder Geträumten erschließen lässt (siehe dazu bereits Kap. 2.3). Niklas Luhmann hat aber auch gewissermaßen die „funktionale Frage“ radikalisiert, indem er nicht mehr (ausschließlich) fragt, auf welche Funk‐ tionen soziale Systeme angewiesen sind, sondern (außerdem) welche Funk‐ tionen soziale Systeme selbst für die soziale Umwelt erfüllen. Es ist dies, so seine Antwort in Kürze, die Verarbeitung von Komplexität. Diese entsteht bereits dann, wenn sich nur zwei Personen in einer konkreten sozialen Situation begegnen, weil die beiden ja gegenseitig keinen direkten Zugang zu psychischen Bewusstseinsprozessen haben. Mit anderen Worten: Weil „Gedankenlesen“ unmöglich ist, haben sie es mit einer Situation „doppelter Kontingenz“ zu tun in dem Sinne, dass jede der beteiligten Personen ihr Handeln vom Handeln der anderen Person abhängig macht nach dem Motto „ich tue, was du willst, sofern du tust, was ich will“ - hier haben wir bereits die Keimzelle eines sozialen Systems vor uns. Dieses bringt eine emergente Ordnung hervor, um die Unmöglichkeit gegenseitiger Durchschaubarkeit, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit etc. zu kompensieren, indem es Mög‐ lichkeiten zur Kontrolle und zur Kontextsteuerung - sowie nicht zuletzt zum Aufbau von entsprechender interner (Eigen-)Komplexität, also von „requisite variety“ nach William R. Ashby - schafft (vgl. zum Beispiel Luhmann 1984, S.-166f). 68 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="69"?> Abbildung 10: Autopoiesis sozialer, psychischer und organischer Systeme nach Niklas Luhmann Aus dem eben Gesagten wird darüber hinaus auch deutlich, weshalb es sich bei sozialen Systemen stets um sogenannte „selbstreferentielle“ Systeme handelt: Was innerhalb ihrer Grenzen sinnvollerweise als Nächstes möglich bzw. zu erwarten (oder eben nicht möglich bzw. nicht zu erwarten) ist, hängt in erster Linie von dem ab, was innerhalb dieser Grenzen bisher geschehen bzw. bereits vorhanden ist - weil es vor allem daran sinnvoll „an‐ schlussfähig“ sein muss. Etwas anders ausgedrückt bedeutet das, dass soziale Systeme zwar nicht „autark“ (also unabhängig, von der Umwelt isoliert), allerdings „autonom“ sind. Das heißt, sie etablieren eigene interne Gesetze und Vorgaben, die bestimmen, wie sie fremden Gesetzen und Anforderungen der Umwelt folgen (Baecker 2019a, S. 2). Bereits in dem genannten Beispiel, in dem nur zwei Personen in einer (Gesprächs-)Situation aufeinandertreffen und in Interaktion treten, wird alles, was in dieser Beziehung gesagt und getan wird, nur verständlich vor dem Hintergrund dessen, was vorher gesagt und getan worden ist. Man denke hier nur an das oft genannte Beispiel von „zirkulärer Kausalität“ in Paarbeziehungen, wo eine der beteiligten Personen sich zurückzieht, die andere Person dies kritisiert, die eine Person sich umso mehr zurückzieht, die andere Person dies umso mehr kritisiert und so weiter (anschaulich Watzlawick et al. 1967, Simon 1990, 2006). Umso mehr gilt dies dann, wie man sich wohl unschwer vorstellen kann, für umfangreichere soziale Systeme wie Gruppen, Organisationen oder sogar die Gesellschaft insgesamt, wo Ursache und Wirkung oft genug nicht eindeutig zu unterscheiden sind. 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 69 <?page no="70"?> 29 Von griech. αὐτός, autós („selbst“) und ποιεῖν, poiein („schaffen“), bezieht sich darauf, dass organische, psychische oder soziale Systeme die Elemente, aus denen sie bestehen (z. B. Leben, Denken, Kommunizieren), nur selbst aus diesen Elementen erzeugen können (Maturana & Varela 1987). Das Luhmann’sche theoretische Modell geht davon aus, dass soziale Systeme einerseits operational geschlossen sind, als sie die Elemente und Strukturen, aus denen sie bestehen, nur selbst erzeugen können, aber andererseits informational offen, also auf ihre Umweltkontakte angewiesen sind. Aus dem Sachverhalt, dass soziale Systeme einerseits nicht autark, sondern auf ihre Umweltkontakte angewiesen, andererseits jedoch in ihrer „innen“ laufenden Reproduktion autonom, also nicht heteronom „von außen“ fremd‐ bestimmt sind, folgt in weiterer Folge, dass sie in charakteristischer Weise energetische Offenheit mit informationaler Geschlossenheit kombinieren. So wird die Kommunikation in einem Gespräch zwar durch die Gedanken der beteiligten Personen „von außen“ angeregt (und könnte ohne diese betei‐ ligten Personen gar nicht stattfinden). Das Gespräch kann selbst allerdings „innen“ nur durch weitere autonome Kommunikation fortgeführt werden (man spricht hier auch von sogenannter „Autopoiesis“; siehe Abbildung 10 und auch nochmals das Beispiel eines Gesprächs in Abbildung 8). 29 In gleicher Weise ist eine jede Organisation, also beispielsweise ein Unter‐ nehmen, eine Universität, ein Sozialamt, eine Schule oder ein Krankenhaus auf ihre Mitglieder wie insbesondere Mitarbeiter*innen, Lehrer*innen, So‐ zialarbeiter*innen, Ärzt*innen, Pfleger*innen usw. sowie Kund*innen, Stu‐ dent*innen, Klient*innen, Schüler*innen, Patient*innen usw. angewiesen. Doch stellen diese mit ihren organischen und psychischen „Bestandteilen“ dem (formal) organisierten sozialen System nur die erforderliche externe Umweltkomplexität zur Verfügung. Was innerhalb des sozialen Systems jeweils „Sinn macht“ bzw. sinnvoll möglich ist, hängt von den jeweiligen systeminternen strukturellen Gegebenheiten ab. - Soziale Systeme und ihre Umwelt als ökologische Nischen Spätestens hier kommt der Beobachter, die Beobachterin bzw. das (sich selbst) beobachtende System ins Spiel - weshalb man im Fall von syste‐ 70 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="71"?> misch-systemtheoretischen Sichtweisen in aller Regel zugleich von „kon‐ struktivistischen“ Sichtweisen spricht (dazu ausführlich: Simon 2006): Von sozialen Nischen aus Systemen und ihren Umwelten zu sprechen ist Aus‐ druck einer Beobachtung bzw. besser: einer „Beobachtung zweiter Ordnung“ (siehe Anm. 38), denn: Von einem System lässt sich (innerhalb und außerhalb dieses Systems) nur sinnvoll reden, indem man sich zugleich auf irgendeine Art und Weise, sei es auch nur implizit, abgrenzend auf die Umwelt dieses Systems bezieht. Relevante Betrachtungseinheit ist nämlich nie ein System „an sich“, sondern immer die sogenannte „ökologische Nische“ aus einem System und seiner Umwelt (und ggf. anderen Systemen in dieser Umwelt). Allein aus diesem Grund ist das System nicht von vornherein wichtiger als seine Umwelt - wenngleich es in der „Beobachtung erster Ordnung“ meist wichtiger genommen wird. Zum Beispiel hätten Organisationen keinen Bestand ohne Mitglieder (die als Menschen aber zur Umwelt dieser Organisationen gehören), oder hätten Unternehmen keinen Bestand ohne Kund*innen und ohne Märkte (die höchst überlebensrelevante Umwelten sind). In vergleichbarer Weise ist Qualitätsmanagement als System auf seine Umwelt und die Systeme in der Umwelt wie beispielsweise Marketing-, Personal- und Change-Management angewiesen (siehe dazu in Kap. 5.1.1 die Abbildung 30, rechts). Außerdem ist bereits „Qualität“ selbst keine ausschließlich interne Festlegung des Systems, sondern das Ergebnis einer Auseinandersetzung des Systems mit der externen Umwelt (zum Beispiel in Gestalt der Anforderungen von Seiten der Kund*innen, Klient*innen bzw. verschiedensten Anspruchsgruppen). Systeme entstehen durch ihre Unterscheidung von der Umwelt, also von allem anderen, das nicht zum System gehört. Dieses ausgeschlossene Andere bleibt Teil der Unterscheidung, weshalb sich Systeme durch eine Differenz konstituieren und mit ihrer Umwelt eine „ökologische Nische“ bilden. Eine abstrakte Darstellung dieses Sachverhalts, auf die sich Niklas Luhmann und in weiterer Folge auch Dirk Baecker und Fritz B. Simon oft beziehen, präsentiert George Spencer-Brown in seinem Buch „Gesetze der Form“ (1969): Ausgehend von der Beobachtung, dass sich alle Beobachtungen nur in der Form (! ) von „Unterscheidung-und-Bezeichnung“ realisieren lassen, 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 71 <?page no="72"?> 30 In den Unterscheidungen „Frau ┐Mann“ und „Frau ┐Mädchen“ transportiert die Bezeichnung „Frau“ offensichtlich andere Bedeutungen. Siehe zur Beobachtung von Bateson (1972), dass Informationen auf Unterscheidungen beruhen, auch Kap. 5.3.1. 31 Talcott Parsons hat in seinem Bezugsrahmen des Handels diesbezüglich exakter vom „sozialen Objekt“ (Alter) gesprochen, an dem sich ein Handlungssubjekt (Ego) in einer Handlungssituation orientiert. verwendet er als schlichtes Symbol einen gebogenen „Haken“ (┐), der erstens eine Unterscheidung vornimmt und zweitens eine Seite der Unter‐ scheidung durch Bezeichnung markiert. Beispielsweise wird in Abbildung 11 (links) ein System von seiner Umwelt unterschieden und zugleich als System (unterschieden von seiner Umwelt) bezeichnet. Genauso ließe sich ein System von der Summe seiner Teile bzw. seiner Elemente unterscheiden und dann als System (im Unterschied zu dieser Summe) bezeichnen - doch würde dies den Informationsgehalt der durch Änderung der zugrundeliegenden Unterscheidung wesentlich verändern (Abbildung 11 rechts). 30 Abbildung 11: System und Umwelt als Nische nach G. Spencer-Brown - Management als Systemfunktion und Subsystem Vergleichbar dem Begriff der „Qualität“ wird auch jener des „Management“ im Alltag sehr oft ziemlich unspezifisch gebraucht. Wollen wir Management jedoch nicht nur alltagssprachlich verwenden - und wir „managen“ ja bei etwas genauerem Hinsehen weder herumliegende Gegenstände im Arbeitszimmer oder Dateien auf unserem Notebook (die wir eher aufräumen oder sortieren), noch Kinder in der Familie oder unsere Freundinnen und Freunde (die wir eher erziehen, erpressen oder dergleichen) -, so können wir es zunächst von objektbezogener Manipulation auf der einen Seite und von subjektbezogener (Menschen-) Führung auf der anderen Seite unterschei‐ den: Während sich materielle und immaterielle Objekte manipulieren, also durch Handhabung (einigermaßen direkt) beeinflussen lassen, lassen sich personale Subjekte führen, also durch interpersonelle Kommunikation (eher indirekt) beeinflussen. 31 72 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="73"?> Demgegenüber handelt es sich bei Management im weiteren Sinne um (gezielte) Beeinflussung von sozialen Zusammenhängen (also von Struktu‐ ren und Prozessen, kurz: von sozialen Systemen) durch Manager*innen als Personen sowie im engeren Sinne um Beeinflussung von sozialen Zusammen‐ hängen, also sozialen Systemen durch innerhalb sozialer Zusammenhänge bzw. Systeme selbst ausdifferenzierte soziale Zusammenhänge bzw. soziale Subsysteme (vgl. Kasper, Mayrhofer & Meyer 1998, auch Willke 2004, Kap. 2). Dies wiederum bedeutet, dass die Möglichkeit sozialer Differenzierung und damit (wie eingangs bereits angemerkt) zunehmende soziale Komplexität für Management im engeren Sinne sowohl den Bedarf erzeugt als auch die wesentliche Grundlage bereitstellt. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Management vorrangig in organisationalen Kontexten mit entsprechendem Grad der Differenzierung und der Komplexität theoretisch zu erwarten und empirisch zu erleben ist, wenngleich es bereits in früheren Stufen der Entwicklung von sozialen Zusammenhängen, zum Beispiel in Projektgrup‐ pen, erste Anzeichen für eine solchermaßen intern ausdifferenzierte Manage‐ ment-Funktion geben mag. Hintergrund dieser Überlegungen ist die in den Sozialwissenschaften etablierte Einsicht, dass sich soziale Zusammenhänge im Zuge eines evolutionären Prozesses von niedrigeren zu höheren Graden der Komplexität entwickeln (siehe Kap. 2.1 und Abbildung 12 unten), woraus sich zumindest teilweise auch die relativ späte Entstehung der Organisation erklärt (Luhmann 1981). Bei „Management“ handelt es sich im Unterschied zur Handhabung von Dingen oder zur Führung von Personen um das intern ausdifferen‐ zierte Subsystem eines sozialen Systems. Ein hinreichender Grad an Komplexität ist daher notwendige Voraussetzung für die Ausbildung der Management-Funktion. 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 73 <?page no="74"?> 32 Wenngleich bei der Unterscheidung zwischen „Gruppen“ und „Teams“ oft auf emotio‐ nal-affektive Aspekte (wie ein „Gefühl des Zusammengehörens“) referenziert wird, ist es in der sachlich-instrumentellen Ebene die Arbeitsteilung: In Gruppen kann die Arbeit im Sinne der Kooperation aufgeteilt werden, können also grundsätzlich alle Gruppenmitglieder dasselbe tun. In Teams wird die Arbeit im Sinne der Kollaboration geteilt, sodass die beteiligten Gruppenmitglieder zumindest unterschiedliche Schritte vollziehen, die dann zusammengenommen ein Ganzes ergeben. Insofern diese Teilung der Teamarbeit von einem Ganzen her gedacht wird, ist sie als (mechanisch-additive) Arbeitsteilung von (systemisch-emergenter) Ausdifferenzierung zu unterscheiden. Abbildung 12: Organisation als Ergebnis sozialer Evolution „bottom up“ Während sich aus einer Ansammlung von (menschlichen) Akteur*innen durch Akte der Koordination auf der Basis von nonverbaler und verbaler Kommunikation die Sozialform der zunächst einmal eher situativen, spon‐ tanen Interaktion herausbilden kann, braucht es für das Entstehen von Kooperation in einer Gruppe zusätzliche formale und informale Strukturen und Prozesse, um einzelne Sequenzen der Interaktion in sozialer, zeitlicher, sachlicher sowie darüber hinaus auch räumlicher Hinsicht zu verbinden. Sobald ein gewisser Grad an Arbeitsteilung einsetzt und sich also die in einen sozialen Zusammenhang eingebrachten Beiträge der einzelnen Beteiligten komplementär ergänzen, sodass durch Kollaboration ein gemein‐ sames Ganzes entsteht, lässt sich von einem Team sprechen. 32 Von diesem trennt die Organisation „nur“ mehr eine Konfiguration in dem Sinne, das Prozesse der Kommunikation nicht nur selbstorganisiert vonstattengehen, sondern innerhalb eines (formal) festgelegten, fremdorganisierten Rahmens stattfinden. 74 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="75"?> 33 Zur Unterscheidung zwischen „instrumenteller“ und „konsumatorischer“ Orientierung bei Talcott Parsons siehe nochmals oben den Abschnitt über soziale Handlungssysteme. Diese sachliche, kognitiv-instrumentelle Ebene wird durch eine emotio‐ nale, affektiv-konsumatorische Ebene 33 ergänzt, die beispielsweise aus einer Ansammlung von Menschen durch gemeinsame bzw. geteilte Gefühle, also durch „Kollektivgefühle“ im Sinne von Émile Durkheim (2005 [1912]) eine Masse macht (man denke an die aufgeheizte Stimmung in einem Fußballsta‐ dion, bei einem Open-Air-Konzert oder im Rahmen einer Wahlkampfver‐ anstaltung). Es sind auf vergleichbare Weise „kollektive Gefühle“, die eine Gruppe zu einer Community umformen (man denke an die Verbundenheit von Nutzer*innen bestimmter Marken von Motorrädern oder Mobiltelefo‐ nen). Wir kennen solche Phänomene auch aus organisationalen Kontexten, wo wir das „Klima“ in einem Betrieb oder in einer Schule wahrnehmen. Vor dem Hintergrund der Schilderungen in diesem Abschnitt wird zumin‐ dest zweierlei deutlich: Erstens, dass im Unterschied zu etablierten privaten Unternehmen (also nicht zum Beispiel: jungen Start-ups) und zu öffentlichen Verwaltungs‐ apparaten (also nicht zum Beispiel: politischen Bewegungen) als formal konfigurierten Kontexten viele Schulen und viele Einrichtungen des Sozi‐ albereichs innerhalb gegebener gesetzlicher Grundlagen bzw. rechtlicher Rahmensetzungen eher einer Ansammlung von Mitarbeiter*innen gleichen, die situativ in koordinierte Interaktion miteinander treten und insofern kooperative Gruppen bilden, als sie über einzelne situative Interaktionsse‐ quenzen (wie Konferenzen, Besprechungen, Ganggespräche etc.) hinweg „verklammert“ sind, also Bestand jenseits einzelner Sequenzen erlangen. Nur manchmal handelt es sich dabei um Mitglieder von Teams, die auch tatsächlich kollaborativ komplementäre Beiträge zum gemeinsamen Ganzen erbringen - zum Beispiel wenn Lehrer*innen eines Kollegiums sich nicht bloß Schüler*innen und Klassen aufteilen, sondern mehr oder weniger re‐ flektiert an der Schule auf ein gemeinsames Bildungsbzw. Ausbildungsziel hinarbeiten (was aufgrund des zunehmend fachspezifischen Unterrichts eher in höheren Schulen bzw. Schulstufen zu erwarten ist); oder wenn Sozialarbeiter*innen sich nicht nur die Klient*innen für Beratungsaufgaben aufteilen, sondern mit unterschiedlichen disziplinären Hintergründen ge‐ meinsam die einzelnen Fälle betreuen; oder wenn im Gesundheitsbereich multiprofessionelle Teams, die erst dann zurecht so bezeichnet werden, bei der Behandlung von Patient*innen zum Einsatz kommen. 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 75 <?page no="76"?> Zweitens, dass eine Beschäftigung mit Qualität auf allen diesen evo‐ lutionären Entwicklungsstufen sozialer Zusammenhänge stattfindet (und mitunter eine komplizierte Angelegenheit darstellt), dass aber Qualitätsma‐ nagement als eine eigene darauf spezialisierte interne Systemfunktion erst mit zunehmender Ausdifferenzierung, also im Kontext von komplexeren Formen der Selbstorganisation möglich wird. Dann aber erlangt ein solcher‐ maßen differenziertes System wie ein Team oder zumeist eine (formale) Organisation durch höhere Grade an Eigenkomplexität neue Möglichkeiten der internen Selbststeuerung auf der Basis einer intern konstruierten Vor‐ stellung der eigenen Identität durch die Einführung der Unterscheidung zwischen System und Umwelt in das System (siehe Abbildung 13). Abbildung 13: Management als Systemfunktion und Subsystem Da es sich bei Management um das intern ausdifferenzierte Subsystem eines sozialen Systems handelt, ist „Qualitätsmanagement“ aufgrund dieses sozialstrukturellen Charakters etwas anderes als die Orientierung des individuellen Handelns einzelner Organisationsmitglieder an „Qua‐ lität“. Dieser Sachverhalt entspricht im (ursprünglich für den Hochschulbereich entwickelten) Governance-Modell von Uwe Schimank (vgl. Schimank 2007 und siehe Abbildung 14) der „internen Selbststeuerung“ von organisierten Systemen, die neben „externen Zielvorgaben“ und „Wettbewerbsmechanis‐ 76 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="77"?> 34 Dass es sich hierbei um eine breitere Entwicklung handelt, zeigt bereits ein Blick auf den Sozial- und Gesundheitsbereich. men“ den Kern einer Logik des sogenanntem New Public Management bildet. Nicht nur für Hochschulen, sondern darüber hinaus auch für das öffentliche Schulwesen im deutschsprachigen Raum (oder aber für andere, traditionell von „Professionen“ dominierte Felder wie den Gesundheits- oder Sozialbereich) wird hier vor allem der Unterschied zur klassischen „hierar‐ chisch-professionellen Doppelsteuerung“ deutlich: Diese hatte innerhalb eines staatlich regulierten Rahmens jenen Professionen einen hohen Grad an Autonomie zugestanden, die nun durch interne Hierarchie und externe Märkte als Steuerungsprinzipien unter Druck gebracht werden (sollen). 34 Abbildung 14: Elemente der „Governance“ nach U. Schimank Für das Management (auch) von Qualität ist dieser Prozess der internen Ausdifferenzierung sozialer Subsysteme vor allem im Kontext formal orga‐ nisierter soziales Systeme insofern bedeutsam, als damit zugleich eine we‐ sentliche Voraussetzung für die Behandlung des vielschichtigen Verständ‐ nisses von „Qualität“ mit ihren verschiedenen Dimensionen geschaffen wird (siehe dazu vor allem Kap. 1 und 3.3). Schließlich gibt das Qualitätsma‐ nagement selbst kaum Hinweise, wie mit Zielkonflikten, die aus dem bloß formal gefassten, inhaltlich mehrdimensionalen bis potentiell unendlichen Qualitätsbegriff geradezu zwangsläufig resultieren, umzugehen ist. Die oft ausgesprochene Empfehlung, sich an Anforderungen der Anspruchs‐ gruppen zu orientieren hilft nicht weiter, wenn diese Erwartungen dann (zumindest teilweise) widersprüchlich sind. Das wiederum ist allerdings weniger die Ausnahme als eher die Regel: Im Fall von Unternehmen ha‐ 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 77 <?page no="78"?> ben Kund*innen, Lieferant*innen, Eigentümer*innen und Mitarbeiter*innen vermutlich ebenso unterschiedliche Erwartungen wie im Fall von Unterricht die Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen und Bildungsforscher*innen, im Fall einer Behandlung im Spital die Patient*innen, die Pfleger*innen und die Ärzt*innen oder im Fall einer sozialarbeiterischen Intervention (nicht nur im Zwangskontext) die Klient*innen, die Angehörigen, die Zuweiser*innen und die Sozialpädagog*innen. Als „Kontingenzformel“ beruht die integrative Funktion der Rede von „Qualität“ gerade darauf, dass Unterschiedliches darunter verstanden werden kann bzw. dass sie als Projektionsfläche für Erwartungen aus unterschiedlichen Perspektiven dienen kann. Zielkonflikte wie diese sind jedoch im Kontext (formal) organisierter sozia‐ ler Systeme keineswegs ein Defekt, den es zu verhindern oder zu beheben gilt, sondern vielmehr der Normalzustand (Heintel & Götz 2000) - und bis zu einem gewissen Grad der Grund und die Keimzelle für das Entstehen von Organisationen durch Prozesse der sozialen Differenzierung (siehe noch‐ mals Abbildung 12). Bildlich gesprochen lösen organisierte Sozialsysteme nämlich das Problem, unterschiedliche und bisweilen widersprüchliche Ziele zugleich zu verfolgen, was einzelnen Menschen nur bedingt möglich ist. Kurz: Während ein Mensch, der an eine Weggabelung kommt, sich entscheiden muss, ob er entweder rechts oder links (oder gegebenenfalls gar nicht) weitergehen möchte, tut eine Organisation genau das - sie versucht, gleichzeitig sowohl nach links als auch nach rechts (und meist in zahlreiche weitere Richtungen) zu „gehen“ (vgl. zu diesem Bild für die zugrundeliegende Paradoxie: Simon 2007, S.-118f). Konflikte sind im Kontext von Qualitätsmanagement wenig verwun‐ derlich, da (in Organisationen) die Reduktion von Komplexität über explizite oder implizite Entscheidungen läuft, die stets ihre Kontingenz mittransportieren (weil sie ja definitionsgemäß immer anders hätten ausfallen können). Analytisch betrachtet, handelt es sich hier um eine Lösung des Problems durch soziale Differenzierung (z. B. Bildung von Abteilungen und Stellen 78 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="79"?> für die Bearbeitung jeweils anderer Ziele) im Unterschied zur Lösung durch sachliche Differenzierung (z. B. Auswahl oder Gewichtung von Zielen) oder durch zeitliche Differenzierung (z. B. Erstellen einer Reihenfolge, in der die Ziele nacheinander verfolgt werden sollen). Damit einher geht jener „systemische Dreischritt“, der durch die Verkettung von Entscheidungen von Komplexität über Kontingenz letztlich zu Konflikt führt (vgl. Willke 1992, Kap. 2): Ein Übermaß an Möglichkeiten, das Auswahl erforderlich macht (= Komplexität), wird eingeschränkt auf einige wenige, wahrscheinliche, die aber selbstverständlich stets andere sein könnten (= Kontingenz), und die sich nicht zuletzt deshalb Widerspruch bzw. zumindest die Frage nach Gründen gefallen lassen müssen, was dann wiederum potentiell in eine Auseinandersetzung oder gar in einen Streit mündet (= Konflikt). 3.1.2 Systemdenken im Management Bereits die bisherigen Ausführungen geben ansatzweise Aufschluss über einige zentrale Entwicklungen in der Tradition des systemischen Denkens bzw. der Systemtheorie, die bis in die Antike zurückreicht und meist mit Aristoteles in Verbindung gebracht wird. Man denke in diesem Zusammen‐ hang nur an dessen Formulierungen wie „das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile“ oder „das Ganze ist notwendig ursprünglicher als die Teile“, und zwar „nicht der Zeit, sondern dem Begriffe nach“ (siehe dazu nochmals Abbildung 11 rechts). So ist auch eine der wichtigsten Ent‐ wicklungen die Abkehr von dieser lange Zeit an zentraler Stelle stehenden Frage nach dem Verhältnis, in dem ein Ganzes und seine Teile stehen, bzw. nach dem Vorrang, der entweder dem Ganzen oder den Teilen zukommt. Die Antwort kam hier aus zwei diametral entgegengesetzten Richtungen, je nachdem ob man dem Ganzen oder den Teilen mehr Bedeutung beigemessen hat (vgl. dazu Lenk & Ropohl 1978). Während der eine Zugang in mittelal‐ terlich-theologischer Tradition „holistisch“ das Ganze und das Denken in möglichst umfassenden Zusammenhängen bevorzugt hatte, war aus der entgegengesetzten Richtung vor allem unter dem Einfluss der neuzeitlichen Wissenschaften „atomistisch“ die Bedeutung der Teile betont worden - denn immerhin beruhten bahnbrechende Erfolge der modernen Wissenschaften auf Differenzierung und Disziplinbildung, also auf Unterscheidung, wenn nicht gar Trennung, sowie auf der damit erst möglichen Arbeitsteilung. Die Abkehr von Ganzem und Teil als Leitdifferenz ging dann Hand in Hand mit der Hinwendung zur Frage nach dem Verhältnis, in dem ein System und 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 79 <?page no="80"?> 35 Unterscheidungen wie System/ Umwelt, Ursache/ Wirkung, Mittel/ Zweck führt auch Talcott Parsons parallel (Stichweh 1980). seine Umwelt stehen. Diese neue Leitdifferenz ist kompatibel mit weiteren Unterscheidungen wie den zwei besonders bedeutsamen von „Mittel und Zweck“ einerseits sowie „Ursache und Wirkung“ andererseits. In beiden Fällen handelt es sich um Unterscheidungen, die für modernes Denken und daher auch für Management bzw. Managementhandeln besonders relevant sind. Schließlich kommt darin die im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung fortschreitende „Rationalisierung“ zum Ausdruck, in deren Tradition auch die Steuerung durch Management und Manager*innen steht (siehe Kap. 2.2). 35 Das Nachdenken über Systeme war lange Zeit am Verhältnis zwischen dem Ganzen und seinen Teilen orientiert, bevor es in jüngerer Zeit zur Umstellung auf die Unterscheidung zwischen System und Umwelt, die mit Unterscheidungen wie Mittel/ Zweck und Ursache/ Wirkung kompatibel ist, kam. Eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise bedarf hier allerdings eines spezifischen Zuschnitts. Sie erteilt vereinfachenden Vorstellungen von Ra‐ tionalität (wie linearen Ursache-Wirkungs-Beziehungen oder instrumentel‐ ler Mittel-Zweckrationalität bei der Gestaltung von Systemen insbesondere von Organisationen zur Erreichung von Zielen durch Management) eine Absage (klassisch: Luhmann 1968): An deren Stelle setzt sie ein komplexes Verständnis für zirkulare Kausalität und systemische Rationalität. Abzulesen ist dies an der Akzeptanz der (operativen) Autonomie von Systemen im Umgang mit der aus ihren Umwelten und deren Anforderungen resultie‐ renden Heteronomie, sowie zugleich an der Akzeptanz der (fremdreferen‐ tiellen) Offenheit von Systemen betreffend die notwendige Energie aus ihren Umwelten bei dennoch (selbstreferentieller) Geschlossenheit betref‐ fend die Erzeugung systeminterner Informationen aus externen Impulsen der Umwelt. All dies ist zwar durchaus kompatibel mit Ansprüchen auf Steuerung - wenngleich nicht im Sinne einer direkten Kontrolle, wie sie bei komplizierten, aber letztlich trivialen Systemen funktionieren kann, sondern im Sinne einer indirekten Kontextsteuerung, wie sie komplexen, 80 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="81"?> 36 Als Beispiel dafür mag die Rede vom „Ecosystem“ in der Milleniums-Version des EFQM-Modells dienen (siehe Kap. 3.2.1). 37 „Nur die Fragen, die im Prinzip unentscheidbar sind, können wir entscheiden“, lautet dazu die vielzitierte Formulierung bei Heinz von Foerster (1993, S.-73). nicht-trivialen Systemen angemessen ist (vgl. z. B. Simon 1992, Willke 1998, Boos & Mitterer 2014). Das zeitgenössische Systemdenken folgt nicht mehr vereinfachenden Vorstellungen von Rationalität, allen voran der linearen Kausalität oder der instrumentellen Zweckrationalität, sondern es betont demgegen‐ über die Bedeutung zirkulärer Kausalität und systemischer Rationalität. Was aber, lässt sich nun legitimerweise fragen, bedeutet all das für Quali‐ tätsmanagement? Zunächst einmal ist zu sagen, dass die bis hier skizzierten Überlegungen in vielen bekannten, betriebswirtschaftlich dominierten Mo‐ dellen des Qualitätsmanagement bisher kaum wesentliche, über kosmeti‐ sche Korrekturen hinausgehende Berücksichtigung gefunden haben. 36 Dies zeigen die folgenden allgemeinen Kapitel 3.2 und 3.3 sowie das konkretere Kapitel 4, bevor die anschließenden Kapitel 5 und 6 daraus resultierende Problemlagen und mögliche Lösungsansätze in systemisch-systemtheoreti‐ scher Sichtweise diskutieren. Bereits an dieser Stelle zeichnet sich aber ab, dass Qualität und ihr Management als komplexe soziale bzw. gesellschaftliche Phänomene nur unter Einbezug sozialwissenschaftlicher Sichtweisen angemessen zu ver‐ stehen sind. Es bedarf demnach eines Anerkennens, Akzeptierens und Aushaltens von Ambiguität, Ambivalenz sowie Kontingenz - und letztlich von Konflikt. So stellen Entscheidungen des Management im Kontext von Organisationen auf den ersten Blick eine Eindeutigkeit her, die sich bereits dem zweiten Blick als vorläufige, unter Vorbehalt stehende, scheinbare Eindeutigkeit herausstellt: Entscheidungen transportieren als Meta-Infor‐ mation stets mit, dass sie anders hätten ausfallen können (Luhmann 2000). 37 In den bisherigen Ausführungen hat sich ganz in diesem Sinne gezeigt, dass gerade das Management gefordert ist, widersprüchliche Wünsche zu erfüllen - oder zumindest: mit widersprüchlichen Wünschen umzugehen, also beispielsweise für Reduktion und zugleich Produktion von Komplexität zu sorgen, im Kontext von Organisationen die erforderliche Stabilität mit 3.1 Die systemisch-systemtheoretische Perspektive 81 <?page no="82"?> 38 Jedes Beobachten der Welt ist zwangsläufig selektiv, es sieht bestimmte Aspekte und muss zugleich andere ignorieren (ohne zu sehen, was es nicht sieht - dies ist der „blinde Fleck“). Von Humberto Maturana und Francisco Varela (1987) stammt in diesem Zusammenhang die vielzitierte Feststellung, wonach alles, was gesagt wird, von einem Beobachter, von einer Beobachterin bzw. von einem beobachtenden System gesagt wird („Everything is said by an observer.“). Ein Beobachten dieses Beobachtens kann dann als „Beobachtung 2. Ordnung“ sowohl sehen, welche Aspekte die „Beobachtung 1. Ordnung“ sieht, als auch welche sie nicht sieht. Selbstverständlich sieht auch die Beobachtung 2. Ordnung nicht alles und sie erscheint für eine weitere Beobachtung 2. Ordnung wiederum als Beobachtung 1. Ordnung (von Foerster 1985; siehe auch Kap. 3.1.1 gegen Ende). der notwendigen Dynamik zu balancieren, oder Autonomie unter den Rahmenbedingungen von Heteronomie zu gestalten. Es gilt außerdem, den Antagonismus atomistischer und holistischer Zugänge zu versöhnen, weil das Ganze und seine Teile gleichermaßen Aufmerksamkeit verdienen und weil ein System ohne seine Umwelt nicht denkbar ist. Management im Allgemeinen und Qualitätsmanagement im Besonderen sollten sich deshalb nicht von Rezepten in der Ratgeberliteratur zu vor‐ schnellen Vereinfachungen verführen lassen (auch wenn dies angesichts der verbreiteten „Sehnsucht nach Klarheit“ verlockend sein mag; Reinbacher 2021). Und sie sollten sich nicht vorschnell auf eine Seite der vorhin genann‐ ten (und vieler weiterer) Unterscheidungen schlagen. Die systemisch-sys‐ temtheoretische Sichtweise legt dem (Qualitäts-)Management einerseits nahe, den Umgang mit Unterscheidungen von Zeit zu Zeit der selbstkriti‐ schen Reflexion zu unterziehen, und sie zeigt andererseits, dass es sich bei (Qualitäts-)Management um eine sogenannte „Beobachtung zweiter Ordnung“ handelt: Dieses sieht die Welt sowohl wie sie (seiner Ansicht nach) ist, als auch wie sie (seiner Ansicht nach) sein sollte. Es hat keinen direkten Zugang zu bzw. keinen direkten Zugriff auf „Qualität an sich“, sondern es konstruiert Qualität auf Basis von Unterscheidungen. Unsere Überlegungen unterziehen diese Beobachtung zweiter Ordnung einer „Beobachtung dritter Ordnung“. 38 Qualitätsmanagement ist an systemisch-systemtheoretische Sichtwei‐ sen insofern anschlussfähig, als es wie diese mit Unterscheidungen arbeitet und dabei im Zuge von Reflexion die Position einer „Beobach‐ tung zweiter Ordnung“ einnehmen kann. 82 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="83"?> Qualität und ihr Management sind demnach Ergebnis von Selbstreferentia‐ lität und Selbstorganisation, sodass ihre Trivialisierung wenig hilfreich er‐ scheint. Denken wir hier beispielsweise nur an Qualität im Bildungssystem und dabei an Unterscheidungen wie jene zwischen den allgemeinbildenden und den berufsbildenden Schulen oder überhaupt zwischen (humanisti‐ scher) Bildung und (kompetenzorientierter) Ausbildung: Grundsätzlich sind ja alle für mehr und für bessere Bildung, doch verstehen sie durchaus Ver‐ schiedenes darunter (siehe Kap. 2.1). Damit wird es möglich, schulische und hochschulische Bildung als bedeutsam anzuerkennen und zugleich aus der eigenen Perspektive zu betrachten - sie also entweder als neosozialistisches Vorhaben (Emanzipation) oder als neoliberales Projekt (Employability), als humanistischen Auftrag (Entfaltung) oder Ausdruck von Ökonomisierung (Entrepreneurship) zu sehen. Die folgenden Ausführungen unterziehen Qualitätsmanagement als Be‐ obachtung (zweiter Ordnung) einer zusätzlichen Beobachtung (dritter Ord‐ nung). Sie sehen daher einiges, das konventionelles Qualitätsmanagement sieht (Kap. 3.2.1) und nicht sieht (Kap. 3.2.2), haben aber natürlich ihren eigenen blinden Fleck, insbesondere ihre systemisch-systemtheoretische Sichtweise, doch sind sie sich darüber im Klaren. 3.2 Das konventionelle Management von Qualität Eine kurze Geschichte des zeitgenössischen Management von Qualität könnte ihren Ausgangspunkt bei Frederic W. Taylor (1856-1915) und dessen scientific management, bei Henri Fayol (1841-1925) und dessen administra‐ tion industrielle et générale sowie bei Max Weber (1864-1920) und dessen rationaler, bürokratischer Herrschaft nehmen. Von dort aus könnte sie sich durch Anreicherung um weitere Aspekte - wie die Unterscheidung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nach Avedis Donabedian (1919- 2000) - und mit Blick auf prominente Persönlichkeiten wie W. Edwards Deming (1900-1993) schließlich dem Ansatz des total quality management nähern. Dabei ließe sich feststellen, dass einzelne Elemente der Verwal‐ tungslehre früherer Jahrhunderte sich im Zuge ihrer Entwicklung nicht wesentlich verändert haben und ihre Erscheinungsform heute nur auf den ersten Blick eine andere ist, weil sie in modischem Gewand auftreten (vgl. die von „Prozessen“ abgelösten „Amtswege“). Dennoch markiert insbesondere das umfassende Konzept des sogenannten „totalen“ Qualitätsmanagement 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 83 <?page no="84"?> (TQM) in gleich mehrerlei Hinsicht einen Perspektivenwechsel: In der Sach‐ dimension von Qualitätsprüfung, Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung zu Qualitätsentwicklung und Qualitätsmanagement. In der Sozialdimension von der spezifischen Verantwortung einzelner (zurück) zur diffusen Ver‐ antwortung aller Mitarbeiter*innen. In der Zeitdimension von vorrangig vergangenheitsorientierter Produkt- und Produktionsorientierung zu eher zukunftsgerichteter Markt- und Wettbewerbsbzw. Kund*innen- und Sta‐ keholder-Orientierung. 3.2.1 Qualitätsmanagement als modernes Steuerungsparadigma Vor allem der letzte Punkt hat dazu geführt, dass dem Qualitätsmanagement oft vorgeworfen worden ist, der sogenannten „Ökonomisierung“ öffentli‐ cher Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Soziales im Zuge der Einführung von „New Public Management“ Vorschub zu leisten. Doch lässt sich sagen, dass wir heute schon unabhängig von diesen Befürchtungen in einer „World of Standards“ (Brunsson & Jacobsson 2000) bzw. in einer „Audit Society“ (Power 1997) leben, der man in diesem Zusammenhang auch bereits „McDo‐ naldization“ (Ritzer 1993) und „Disneyization“ (Bryman 2004) attestiert hat. Mit anderen Worten: Unsere (westliche) Welt ist über weite Strecken eine geprüfte, standardisierte Unterhaltungsumgebung, in der wir uns als Kund*innen und Konsument*innen (wie Kinder) meist gefahrlos bewegen können und in der wir vor allem nur dort überrascht oder erschreckt werden, wo wir dies wollen und (paradoxerweise) erwarten - also beispielsweise in den Geister- und Hochschaubahnen der Vergnügungsparks, nicht jedoch bei den Fast-Food-Ketten, wo die Burger in jeder Filiale und zu jeder Zeit gleich (gut) schmecken sollen. Qualitätsmanagement ist weniger eine „Ökonomisierung“ des Sozialen, also eine Übertragung von Prinzipien aus Betrieben der Wirtschaft in andere Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Soziales, als vielmehr ein Ausdruck der gesellschaftlichen Modernisierung und vor allem Rationalisierung. Diese Diagnosen illustrieren nicht nur, dass man heute zur Sicherung und Steigerung von Qualität auf allgemeine Prinzipien wie Kalkulierbarkeit und Kontrollierbarkeit, kurz: auf „Rationalisierung“ vertraut, sondern dass die 84 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="85"?> 39 In Anlehnung an Thomas S. Kuhn (1962) wird dieser Begriff hier verwendet, um jene Gesamtheit an Grundauffassungen zu bezeichnen, die in der Diskussion über „Qualitätsmanagement“ die in aller Regel nicht hinterfragte Basis bilden. dem zeitgenössischen Qualitätsmanagement zugrundeliegenden Werte ihre Wurzeln in der klassischen Verwaltungslehre bzw. in der Managementbzw. Organisationswissenschaft vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts haben. Insofern steht zwar das Management ganz allgemein in der Tradition der Aufklärung, wie oben am Beginn von Kap. 2 schon angemerkt. Allerdings atmet insbesondere das konventionelle, mittlerweile ebenfalls bereits als „klassisch“ zu bezeichnende Qualitätsmanagement den Geist der Moderne: Es verkörpert sowohl den geistigen Fortschrittsglauben der Aufklärung im Überbau als auch den technischen Machbarkeitsgedanken der Indus‐ trialisierung an der Basis. Mit anderen Worten: Qualitätsmanagement ist die konsequente Fortsetzung der möglicherweise unausweichlichen und unaufhaltsamen gesellschaftsweiten Rationalisierung. Es ist ein modernes Steuerungsparadigma 39 für soziale Systeme und insbesondere für Organisa‐ tionen in unterschiedlichsten Bereichen - ausgehend von den Unternehmen der Wirtschaft über Einrichtungen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozi‐ albereichs bis hin zu den altehrwürdigen Universitäten als Jahrhunderte überdauernde Einrichtungen des globalen Wissenschaftsbetriebs. Und es ist auf dem besten Weg, eine universale, auch im Privaten einsetzbare Sozialtechnik bzw. Sozialtechnologie zur „Weltbeherrschung“ im Sinne von Max Weber zu werden. Qualitätsmanagement ist gut anschlussfähig an den Fortschrittsglauben der Aufklärung und an den Machbarkeitsgedanken der Industrialisie‐ rung, also an Ideale aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Insofern ist es weniger eine grundlegende Innovation als vielmehr eine fortgeführte Tradition. Inmitten der mittlerweile kaum mehr zu überblickenden Welt des Quali‐ tätsmanagement mit dessen Vielzahl an Ansätzen und Zugängen sowie daraus resultierenden, mitunter marketingwirksam in Szene gesetzten Mo‐ dellen lassen sich doch zumindest vier grundsätzliche Herangehensweisen an Qualität und ihr Management unterscheiden. Sie treten einerseits mit dem Anspruch auf, (weitgehend) branchenbzw. sektorenübergreifend 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 85 <?page no="86"?> 40 In Kap. 5.1.1 wird sich zeigen, dass diese vier grundsätzlichen Herangehensweisen sich implizit, aber vermutlich nicht ganz zufällig an der in Kap. 3.1.1 beschriebenen analy‐ tischen Heuristik von Talcott Parsons orientieren (siehe dazu ausführlich: Reinbacher 2016). 41 Es gibt Hinweise, dass es bei den Römern Standards für Amphoren gab (González Cesteros & Leidwanger 2023). 42 Vgl. griech. „isos“ (ἴσος), dt. „gleich“; www.iso.org anwendbar zu sein, und finden andererseits tatsächlich verbreitetet Anwen‐ dung. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden in aller Kürze die grundlegenden Prinzipien dieser vier Herangehensweise skizziert - je nachdem, ob sie Qualität durch die Erfüllung von Normen und Standards (wie die DIN-EN-ISO), durch einen Wettbewerb im Streben nach Exzellenz (wie die EFQM), durch ständiges Lernen und eine Orientierung an Werten (wie bei KAIZEN bzw. KVP) oder durch das Engagement der Mitarbeiter*innen (wie zum Beispiel in „Quality Circles“) zu erreichen beabsichtigen. 40 - Qualität durch die Erfüllung von Normen und Standards: DIN-EN-ISO Zwar liegt die Rede von der „Ökonomisierung“ nicht ganz falsch, was den Ursprungskontext von Qualitätsmanagement betrifft, doch wäre es wohl noch zutreffender, von „Industrialisierung“ zu reden. Immerhin ist ein wesentliches Fundament der konventionellen bis klassischen, kontinen‐ taleuropäischen Diskussion die sogenannte „Deutsche Industrie-Norm“ (kurz: DIN). Diese hat man (auch) anlässlich der Rüstungsproduktion im ersten Weltkrieg mit dem Ziel der Vereinheitlichung von Produkten entwickelt. 41 Mittlerweile werden allerdings die DIN bzw. das „Deutsche Institut für Normung e. V.“ zunehmend von der Übernahme europäischer und internationaler Normen dominiert. Die 1947 gegründete „International Organization for Standardization“ (ISO) 42 mit Sitz in Genf in der Schweiz erarbeitet als weltweit tätige Vereinigung von Normungsorganisationen viele globale Normen mit maximalem Anwendungsbereich. Der Blick auf viele Vorgänger-Initiativen im Bereich der Normung insbe‐ sondere in Deutschland und in Großbritannien - wie den „Elektrotechni‐ schen Verein“ aus dem Jahr 1879, den „Verband Deutscher Elektrotechniker“ aus 1893 oder das „Engineering Standards Committee“ aus 1901 - zeigt dabei rasch: Absicht all dieser Vorhaben ist es seit Beginn, auf dem Wege der Industrialisierung durch technologische und organisatorische Standardisie‐ rung letztlich die Rationalisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Ihren 86 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="87"?> 43 Zur 1987 erstmals veröffentlichten 9000er-Normenreihe der ISO zählen überdies: die ISO 9000 („Grundlagen und Begriffe“), die ISO 9004 („Leiten und Lenken für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation - Ein Qualitätsmanagementansatz“) und die ISO 19011 („Leitfaden für Auditierungen von Managementsystemen“). Während die ISO 9004 zunächst als eine begleitende Erläuterung für die Anwendung der ISO 9001 gedacht gewesen ist, hat sie sich mittlerweile als unabhängiger Standard, der auch Verbindungselemente zu Exzellenzmodellen wie EFQM (siehe dazu den nächsten Abschnitt) beinhaltet, emanzipiert. selbstverständlichen, von uns in den allermeisten Fällen nicht hinterfragten Ausdruck findet dieses Ansinnen heute im Alltag zum Beispiel, wenn es um Papierformate wie DIN (! ) A4, A3 etc. geht. Weit weniger konfliktfrei ist die Situation hingegen in organisationalen Kontexten, beispielsweise in Unternehmen der Wirtschaft, in Bildungsein‐ richtungen oder in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, wo die ISO 9001 als bekannteste Norm mit diesen ihren Standardisierungs‐ bemühungen keineswegs auf uneingeschränkte Gegenliebe stößt. 43 Die Ursachen der Skepsis mögen zwar vielfältig sein, aber ein oft genannter Grund ist der formale, von inhaltlichen Fragen abstrahierende Zugang zu Qualität und Qualitätsmanagement, der ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der globalen Verbreitung in verschiedenen Bereichen gewesen ist (siehe Kap. 3.2.2). Die ISO 9001 Norm definiert nicht die konkrete, inhaltliche Qualität von Produkten und Leistungen, sondern „nur“ abstrakte, formale Anforderungen an Systeme des Qualitätsmanagement (deren Erfüllung dann in der erfolgreichen Zertifizierung gipfeln soll). Abbildung 15: Logik des ISO-Modells 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 87 <?page no="88"?> Als Grundsätze für ein solches System legt die Norm die folgenden fest: (1) Kund*innenorientierung, (2) Prozessorientierung und (3) laufende Verbes‐ serung sowie (4) Führung, (5) Engagement von Personen, (6) faktengestützte Entscheidungsfindung und (7) Beziehungsmanagement. (1) Den Ausgangs- und Endpunkt aller Aktivitäten bilden die Wünsche bzw. Anforderungen der Kund*innen und ihre Erfüllung (idealerweise: ihr Übertreffen) wird zum maßgeblichen Bezugspunkt und Beurteilungskri‐ terium aller Aktivitäten, sodass die Zufriedenheit der Kund*innen über weite Strecken synonym für „Qualität“ steht. Dabei beschränkt sich der erweiterte Kund*innenbegriff nicht auf die Abnehmer*innen von Produk‐ ten oder die Inanspruchnehmer*innen von Dienstleistungen, sondern er umfasst darüber hinaus zahlreiche weitere externe Anspruchsgruppen wie Lieferant*innen und Geldgeber*innen oder auch interne Anspruchsgruppen wie Eigentümer*innen und Mitarbeiter*innen. (2) Die direkteste Verbindung zwischen den Wünschen der Kund*innen und ihrer Zufriedenheit ist (seit der „Millenniums-Version“ aus dem Jahr 2000) eine konsequente Orientierung des organisationalen Handelns an Pro‐ zessen (siehe Kap. 4.2.1). Dies sind sachlich, zeitlich und sozial voneinander abhängige Vorgänge, die sich aus Aktivitäten und Ereignissen zusammen‐ setzen und funktions-, hierarchie- oder gar standortübergreifend verlaufen können. Sie zeichnen sich durch definierte Anfangs- und Endpunkte, erfor‐ derliche Inputs (Ressourcen und Informationen), Outputs (Produkte und Dienstleistungen) sowie letztlich Outcomes (wie vor allem die Zufriedenheit der internen und externen Kund*innen) aus. Das Modell der DIN EN ISO geht im Kern davon aus, dass die Einhaltung gut gestalteter Prozesse zu Ergebnissen führt, die den Erwartungen der Kund*innen entsprechen. Die daraus resultierende Zufriedenheit der Kund*innen wiederum gilt als wesentliches Kriterium für Qualität. Eine verbreitete, eher pragmatische Klassifikation unterscheidet in diesem Zusammenhang sogenannte Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozesse (siehe Abbildung 16). „Führungsprozesse“ werden im Wesentlichen von der obersten Leitung einer Organisation getragen. Sie stellen die langfristige Existenz im Wettbewerb und die strategische Weiterentwicklung sicher. „Kernprozesse“ umfassen die unmittelbar bzw. direkt wertschöpfenden Aktivitäten, weshalb sie von hoher operativer Bedeutung sind und zugleich 88 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="89"?> 44 Sowohl die Idee des Kreislaufs als auch die der Kund*innen-Orientierung als zentrales Kriterium findet sich auch im wenig bekannten „QTK-Kreislauf “ von Walter Geiger (1986), der die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Qualität, Terminen und Kos‐ ten abbildet. Mancherorts wird er als Basis für das Argument genommen, wonach sich diese drei Aspekte nicht ausschließen, sondern (wie im „Toyota-Produktionssystem“; siehe unten) nur zugleich realisieren lassen, also dass hohe Qualität nicht zwangsläufig eine Erhöhung von Kosten oder Durchlaufzeiten mit sich bringt (Zollondz 2002; siehe dazu Kap. 3.3). direkt die strategische Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation bestimmen. „Unterstützungsprozesse“ beinhalten vor allem das operative Management von Ressourcen, Infrastruktur und dergleichen mehr, sodass sie nur mittel‐ bar bzw. indirekt an Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit beteiligt sind. Abbildung 16: Konventionelle Klassifikation von Prozessen (3) Im Mittelpunkt des ISO-Modells (siehe Abbildung 15) steht der von Walter A. Shewart (1881-1967) konzipierte Kreislauf kontinuierlicher Ver‐ besserung, der dann als „Deming-“ oder „PDCA-Cycle“ mit den Schritten „Plan-Do-Check-Act“ große Bekanntheit erlangt hat (Deming 1982). 44 Darin kommen der allgegenwärtige Optimierungsimperativ mit der ihm inhärenten Steigerungssemantik zum Ausdruck - was im Kern dem Fort‐ schrittsglauben der Moderne entspricht. Während jedoch der Wunsch nach einer stetigen Weiterentwicklung auf den ersten Blick einleuchtend und erstrebenswert erscheint, zeigen sich dem zweiten Blick auch Probleme - beispielsweise weil langfristige Verbesserung wie höhere Effizienz oft nur durch kurzfristige Verschlechterung aufgrund innovativer Experimente und damit einhergehenden misslingenden Versuchen, also: Ineffizienz erreicht werden kann (siehe Kap. 3.3); oder weil es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass eine bestimmte Entwicklung aus allen Perspektiven übereinstimmend 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 89 <?page no="90"?> als Fortschritt gesehen wird (sondern ganz im Gegenteil aus mancher Sicht einen Rückschritt darstellt) - weshalb aus systemisch-systemtheoretischer Sicht angesichts vielschichtiger Verhältnisse die Vorstellung von „Viabilität“ (Bateson 1972) bzw. „Anpassung“ (Staab 2022) eher geeignet scheint (siehe Kap. 5.3). (4-7) Flankiert werden diese drei Elemente (Kund*innenorientierung, Pro‐ zesse und Verbesserung) von vier personalen und sozialen Aspekten. So wird die Bedeutung von Führung als Verantwortung der Leitung für die strategi‐ schen und operativen Aktivitäten der Organisation für die Zielerreichung ebenso betont wie die Einbindung und Entwicklung der Mitarbeiter*innen und die Etablierung langfristiger Beziehungen zu den Partner*innen, um Zielerreichung für alle Beteiligten sicherzustellen. Hinzu kommt die Forde‐ rung nach faktengestützter, evidenzbasierter Entscheidungsfindung auf der Grundlage von (quantifizierbaren) Daten und Informationen. Deren Analyse und Auswertung soll helfen, nicht intuitiv und emotional, sondern nach sachlicher Logik, „sine ira et studio“ im Sinne Max Webers zu handeln. Dokumentation dient als Grundlage für interne Prozesse der Leistungs‐ erbringung, ist die Basis für erfolgreiche Zertifizierung durch externe Stellen, und diese wiederum ist ein glaubwürdiges, weil kostspieliges Symbol, um den Erfolg der unternommenen Anstrengungen zu signali‐ sieren. Zentrales Ziel eines jeden auf die Erfüllung von Normen und Standards ausgerichteten Systems des Qualitätsmanagement und insbesondere eines auf den Grundsätzen der ISO 9000 beruhenden Systems ist dessen erfolg‐ reiche Zertifizierung durch externe Stellen. Erst eine solche symbolisiert (als „costly signal“ im Sinne der Spieltheorie; siehe Kap. 6.3) den Erfolg der unternommenen Anstrengungen. Voraussetzung dafür ist die transpa‐ rente, nachvollziehbare Dokumentation des Qualitätsmanagementsystems - meistens in Gestalt eines Qualitätsmanagement-Handbuchs. Dies gibt nicht zuletzt Anlass für die verbreitete und vermutlich nicht gänzlich von der Hand zu weisende Sorge, dass derartige Vorhaben der Normierung und Standardisierung über weite Strecken „Papiertiger“ gebären bzw. „Potem‐ kin’sche Dörfer“ errichten, dass sie also vorrangig zur Bürokratisierung im 90 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="91"?> 45 Nicht selten wird geflissentlich übersehen oder gezielt unterbewertet, dass die „bü‐ rokratische Herrschaft“ als „rationale Herrschaft“ (wohl nicht zuletzt unter dem historischen Eindruck feudalistischer Willkür) zunächst - dem Idealtyp nach - als geradezu emanzipatorisches Element gedacht gewesen ist, indem sie die Tugend der Transparenz, die Klarheit der Kompetenz und die Berücksichtigung von Berufungsbzw. Beschwerdemöglichkeiten bei übergeordneten Instanzen institutionalisiert hat, weshalb man „nur die Wahl zwischen ‚Bürokratisierung‘ und ‚Dilettantisierung‘ der Verwaltung“ habe, wie Max Weber schreibt. 46 Das Vorgängermodell hat „Befähiger-Kriterien“ (Führung, Strategie, Mitarbeiter, Part‐ nerschaften und Ressourcen, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen) einerseits und „Ergebnis-Kriterien“ (Kunden-, Mitarbeiter- und Gesellschaftsbezogene Ergebnisse sowie Schlüsselergebnisse) andererseits unterschieden, und diese dann jeweils in Teil-Kriterien ausdifferenziert. negativen Sinne 45 beitragen (Pasternack & Schneider 2022). Neben den von der Norm geforderten internen Audits, die das Ziel haben, regelmäßig die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems zu kontrollieren und Ver‐ besserungen anzustoßen, bilden im Rahmen des Zertifizierungsverfahrens von den vorgelegten Unterlagen ausgehende externe Audits eine wichtige Säule dieses Zugangs im Qualitätsmanagement. Hier geht es darum, die Übereinstimmung der faktischen Handlungsrealität (= Praxis) mit dem dokumentierten, normativen Ideal (= Handbuch) und die Überein-stimmung des normativen Ideals (= Handbuch) mit den Anforderungen der ISO-Norm zu überprüfen. Eine Zertifizierung gemäß DIN EN ISO bringt keinerlei inhaltlichen Aussagen über die Produkte und Leistungen zum Ausdruck, sondern sie zielt ausschließlich auf die formalen Strukturen und Prozesse eines Qualitätsmanagement-Systems als Voraussetzung für Produkt- und Leistungsqualität. - Qualität durch einen Wettbewerb im Streben nach Exzellenz: EFQM Im Jahr 2020 ist das Qualitätsmanagement-Modell der „European Founda‐ tion for Quality Management“ (EFQM) nach drei Jahrzehnten in grundsätz‐ lich neuer Gestalt veröffentlicht worden. 46 Absicht dieser grundlegenden Überarbeitung war es, den veränderten Umweltanforderungen, mit denen Organisationen als Systeme sich heute konfrontiert sehen - allen voran der 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 91 <?page no="92"?> 47 Wieder untergliedert: 1. Ausrichtung in 1.1 Zweck, Vision und Strategie, 1.2 Organi‐ sationskultur und -führung, 2. Realisierung in 2.1 Interessengruppen einbinden, 2.2 Nachhaltigen Nutzen schaffen, 2.3 Leistungsfähigkeit und Transformation vorantrei‐ ben, 3. Ergebnisse in 3.1 Wahrnehmung der Interessengruppen, 3.2 Strategie- und leistungsbezogene Ergebnisse. Gewissermaßen bilden nun die Aspekte „Ausrichtung“ und „Realisierung“ samt ihrer Teilkriterien die „Befähiger-Kriterien“ (vgl. Anm.-46). steigenden Komplexität (siehe Kap. 2.1) - besser gerecht zu werden. Zwar bleibt das EFQM-Modell weiterhin seinem zentralen Prinzip der vorrangigen internen Selbst-Bewertung anstelle der externen Zertifizierung wie in der ISO (siehe oben) treu. Es will aber mittlerweile mehr als ein bloßes Bewer‐ tungsinstrument sein - nämlich ein umfassender Orientierungsrahmen für das Management von Organisationen in verschiedensten Bereichen. Das EFQM-Modell soll dabei unterstützen, Irritationen aus der Umwelt produktiv für die Veränderung eines Systems nutzbar zu machen. Das Stichwort dazu im EFQM-Vokabular ist Transformation. Aus diesem Grund wird - anders als in der Vorgängerversion -verstärkt auf aktuelle Themen und (Mega-)Trends wie „Nachhaltigkeit“ und die „Sustainable Development Goals“ der „Agenda 2030“ oder auf den „Global Compact 2000“ der Verein‐ ten Nationen sowie darüber hinaus auf die EU-Grundrechte-Charta, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta explizit Bezug genommen. Durchwegs ist in der Darstellung des Modells die Rede vom „Ecosystem“, denn Organisationen, die das EFQM-Modell verwenden, sollen sich nicht als isolierte Systeme, sondern als Teil eines umfassenden Systems, für das sie Verantwortung tragen, verstehen. Im EFQM-Jargon heißt das dann Ko-Kreation. Die Architektur des neuen EFQM-Modells erinnert vage an den vorhin bereits skizzierten PDCA-Kreislauf aus Planung, Umsetzung, Kontrolle und Anpassung (Deming 1982). Allerdings bilden hier nicht vier, sondern drei Elemente und leitende Fragestellungen die Grundstruktur, in deren Mittel‐ punkt die Organisation steht (siehe Abbildung 17 und Sinek 2009): Erstens die Frage nach der Ausrichtung bzw. nach dem Zweck der Organisation und nach ihrer Strategie (Why? ). Zweitens die Frage der Realisierung, also danach, wie sie ihren Zweck erreichen bzw. ihre Strategie umzusetzen beabsichtigt (How? ). Drittens die Frage nach den Ergebnissen, die sie erreicht hat bzw. zu erreichen plant (What? ). 47 All das entspricht der in Kap. 2.2 beschriebenen Vorstellung von Organisationen als Mitteln zur Erreichung von Zwecken, 92 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="93"?> - insbesondere zufriedenen Kund*innen im weiteren Sinne („Stakeholdern“) - als Kriterium für Qualität. Abbildung 17: Logik des EFQM-Modells Im EFQM-Modell spielt, wie gesagt, seit jeher die Idee der (Selbst-)Bewer‐ tung als Ausgangspunkt für die kontinuierliche Weiterentwicklung auf dem Weg zur Exzellenz eine zentrale Rolle. Daher hat man eine eigenstän‐ dige Methode für die Analyse, Diagnose, Beurteilung sowie anschließende Verbesserung entwickelt. Bezeichnet wird diese spezifische methodische Vorgehensweise mit dem Akronym RADAR. Es steht für folgende vier bzw. fünf Schritte: „Results“ (die von der Organisation definierten Ergebnisse), „Approaches“ (die zur Erzielung dieser Ergebnisse festgelegten Vorgehens‐ weisen), „Deployment“ (die Realisierung des Vorgehens), „Assess“ und „Refine“ (das Bewerten und Verbessern dieser Realisierung). Zusammen‐ genommen bilden diese vier bzw. fünf Schritte den für EFQM typischen „Regelkreis“, der in seinen Grundzügen dem Deming- oder PDCA-Zyklus (Deming 1982), wie er im ISO-Modell enthalten ist entspricht (siehe dazu auch den vorigen Abschnitt und zur Allgemeinheit des Kreislaufs auch Kap. 6.2). Im Unterschied zu dem stark an der Zertifizierung durch externe Stellen orientierten Modell der DIN EN ISO setzt EFQM seit jeher vor allem auf interne Selbstbewertung einerseits und auf die motivierende Wirkung des Wettbewerbs um Auszeichnungen für „Exzellenz“. Für die praktische Anwendung der RADAR-Methode existieren spezielle Werkzeuge in Gestalt von Tabellen und Matrizen, die sogenannte „Attribute“ auflisten. Dabei handelt es sich um die Beschreibung einzelner Aspekte, 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 93 <?page no="94"?> 48 Es gilt folgende Zuteilung der Attribute: Im Bereich Ausrichtung: „Vorgehen“ wird bewertet mit dem Attribut „fundiert“, „Umsetzung“ mit „eingeführt“, „Bewertung und Verbesserung“ mit „Analyse“ und „Lernen und Verbessern“; im Bereich Realisierung: „Vorgehen“ wird bewertet mit den Attributen „fundiert“ und „abgestimmt“, „Umset‐ zung“ mit „eingeführt“ und „flexibel“, „Bewertung und Verbesserung“ mit „Analyse“ und „Lernen und Verbessern“; im Bereich Ergebnisse: „Relevanz und Nutzen“ wird bewertet mit den Attributen „Umfang und Relevanz“ und „verwendbare Daten“, „Leistung“ mit „Trends“, „Ziele“, „Vergleiche“ und „Fokus auf die Zukunft“; http: / / ww w.efqm.org. anhand derer die Bewertung durch Vergabe von Punkten, also quantifizie‐ rend, erfolgt. Im Bereich „Ausrichtung“ können so maximal 200 Bewertungspunkte, in den Bereichen „Realisierung“ und „Ergebnisse“ je maximal 400 Bewertungs‐ punkte, insgesamt also maximal 1.000 Bewertungspunkte erreicht werden. Wie bei der internen Selbstbewertung nutzen auch externe Expert*innen im Zuge von Verfahren der Fremd-Bewertung ebenfalls diese standardisierten tabellarischen Unterlagen. Aufgrund der etwas eigenwilligen Terminologie lässt sich die RADAR-Technik allerdings kaum intuitiv erschließen. Er‐ schwerend kommt hinzu, dass die drei zentralen Elemente der Architektur - also Ausrichtung, Realisierung und Ergebnisse - nicht nach einem gänzlich einheitlichen Muster zu bewerten sind. 48 Ausgehend vom allgemeinen Anspruch des EFQM-Modells, Organisatio‐ nen auf ihrem Weg zur „Exzellenz“ zu begleiten, wird dieser Weg ganz konkret als eine in drei Etappen verlaufende Entwicklung konzipiert. Das Ende einer jeden einzelnen Etappe bildet dann eine formale Auszeichnung (eine sogenannte „Recognition“), die symbolisch den von der betreffenden Organisation erreichten Reifegrad zum Ausdruck bringt. Auf der ersten Stufe („Validated by EFQM“, 1 Stern) folgt auf die interne Selbstbewertung und die Umsetzung von konkreten Verbesserungsprojekten eine externe „Validierung“ durch eine*n externe*n Expert*in im Zuge eines kurzen Vor-Ort-Besuchs, woraus dann ein Feedback-Bericht hervorgeht. Die zweite Stufe („Qualified by EFQM, 2 Sterne“) ist auf ähnliche Weise zu erreichen, jedoch beinhaltet sie ein umfangreicheres „Assessment“ durch mehrere externe Expert*innen im Zuge eines ausführlicheren Vor-Ort-Besuchs. Am Übertritt zur dritten und - abgesehen von Preisen wir dem „European Excellence Award“ oder dem „EFQM Global Award“ - höchsten Stufe („Re‐ cognised by EFQM“, unterschieden nach 3 bis höchstens 7 Sternen), ist eine nochmals vergrößerte Gruppe von externen Expert*innen im Rahmen eines 94 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="95"?> 49 Dies ist ein Indiz dafür, dass etablierte Qualitätsmanagementsysteme sich einander annähern (siehe auch Anm.-54). 50 Die europäischen Qualitätspreise sind eine Antwort der EFQM auf den 1951 erstmals vergebenen „Deming Prize“ der „Union of Japanese Scientists and Engineers“ und den 1987 in den USA etablierten „Malcolm Baldrige National Quality Award“. nochmals verlängerten Vor-Ort-Besuches beteiligt. Diese Auszeichnungen auf der Grundlage kombinierter interner Selbst- und externer Fremdbewer‐ tung („Recognitions“) bieten in gewisser Weise ein funktionales Äquivalent zu den Zertifizierungen in anderen Systemen, allen voran der ISO. 49 Sie unterstützen dabei, die Komplexität des differenzierten EFQM-Modells mit seinen zahlreichen Kriterien in der Kommunikation mit Außenstehenden zu reduzieren, vor allem wenn diese keine näheren Kenntnisse über das Modell und dessen detaillierten Aufbau besitzen. Die Bezeichnung des erreichten Niveaus („validated“, „qualified“, „re‐ cognised“) sowie die damit einhergehende Auszeichnung durch „Sterne“ präsentieren quasi Meta-Informationen zur Qualität des Qualitätsmana‐ gementsystems einer Organisation in verdichteter Form, die dann eine entsprechende Interpretation erfordern (Stichwort: Reduktion und Produk‐ tion von Komplexität; siehe wieder Kap. 3.1). Diese Meta-Informationen ermöglichen die Einschätzung des Reifegrades eines Systems, ohne dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit dessen einzelnen Elementen im Detail erforderlich wäre. Mit dem Wettbewerb um Preise 50 wiederum wird einerseits der sportliche Ehrgeiz für eine ständige Entwicklung geweckt und andererseits ein Anreiz geschaffen, um gute und gelungene Manage‐ mentpraxis nicht nur auf der Basis von interner Selbstbewertung und in‐ nerhalb der Grenzen einer einzelnen Organisation zur Weiterentwickelung zu nutzen. Vielmehr sollen Wissen und Erfahrung auch über spezifische organisationale Kontexte hinaus verbreitet werden, um auf diesem Weg durch erfolgreiche Vorbilder neue Möglichkeiten des Lernens für andere Organisationen zu schaffen. Mit der Weiterentwicklung von Modellen wie DIN EN ISO und EFQM kommt es zu einer Konvergenz dahingehend, dass die Komplementarität interner und externer Referenzen erkannt wird, weil im Qualitätsma‐ nagement weder interne Selbstnoch externe Fremd-Bewertung alleine ausreichen. 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 95 <?page no="96"?> Qualität durch ständiges Lernen und eine Orientierung an Werten: KAIZEN, KVP Während eine auf Zertifizierung ausgerichtete Qualitätsmanagement-Archi‐ tektur beispielsweise im Geiste der DIN-EN-ISO vor allem die überprüfbare Sicherung von Abläufen und Verfahren einer Organisation zum Ziel hat, setzt das EFQM-Modell vorrangig auf Wettbewerbsanreize und die nachhaltige Steigerung organisationaler Fähigkeiten. Beiden Zugängen ist allerdings gemeinsam, dass sie der Formalisierung eine besonders hohe Bedeutung beimessen (und damit nicht zuletzt an moderne organisationale Logiken gut anschlussfähig sind). Mit anderen Worten: Die Erhöhung der Effektivität und der Effizienz des Systems soll in beiden Fällen auf explizit festgelegte und strukturierte Weise erfolgen (Stichworte: Prozesse, Audits, Demingbzw. PDCA-Cycle, RADAR-Methode etc.). Einerseits ist dies insofern gut verständlich, als derart formalisierte Aspekte des Qualitätsmanagement ei‐ ner nachvollziehbaren und transparenten, internen und externen Überprü‐ fung und Bewertung deutlich besser zugänglich sind. Andererseits verweist diese Sichtweise allerdings die nicht minder bedeutsamen informalen bzw. informellen Komponenten im Kontext formaler Organisationen auf die hinteren Plätze - wenngleich in den jüngsten Versionen von ISO und EFQM diesbezügliche Formulierungen einschließlich des damit einhergehenden integrativen Anspruchs auf „totales“ Qualitätsmanagement (TQM) aufhor‐ chen lassen. Während „westliche“ Modelle wie DIN EN ISO und EFQM vorrangig auf die formalen Strukturen von Organisationen setzen, betonen „fern‐ östliche“ bzw. „japanische“ Zugänge mit ihrem kulturell verankerten Streben nach stetiger Verbesserung eher die informellen Aspekte sozia‐ ler Systeme. Ein alternativer Zugang dazu findet sich beispielsweise im „Toyota-Produk‐ tionssystem“. Dieses ist von Toyoda Sakichi (1867-1930) entwickelt und von Taiichi Ohno (1912-1990) weiterentwickelt worden. Es beschreibt im Wesentlichen den Weg zu organisationaler Perfektion mit dem Ziel, höchste Qualität mit Produktivität und Pünktlichkeit zu verbinden. Wichtig ist dabei die möglichst vollständige Beseitigung von allen möglichen Formen der Verschwendung (japan. 無駄 , muda). Denn nur so ist es möglich, dass die 96 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="97"?> 51 Siehe dazu auch den Quadranten „Geisterprozesse“ in der Klassifikation von Prozessen unten (Abbildung 26): Diese sind dort charakterisiert durch ihren geringen Beitrag sowohl zu Kund*innenals auch zu Konkurrenzorientierung und daher verzichtbar. 52 Japan. 改善 , von: kai („Veränderung“, Wandel) und zen („zum Besseren“). verschiedenen Aktivitäten in der Wertschöpfungskette auch tatsächlich Wert erzeugen (Ohno 1988). 51 Seine teilweise Fortsetzung findet diese japanisch-asiatische Entwicklung in us-amerikanischen Konzepten wie der „Lean Production“ (Womack, Jones & Roos 1990) oder dem „Business Process Reengineering“ (Hammer & Champy 1993), wobei allerdings der kulturelle Herkunftskontext kaum adäquat berücksichtigt wird. Dies liegt daran, dass die Kernidee dieses auf Disziplin gegründeten „kontinuierlichen Verbesse‐ rungsprozesses“ (KVP) - insbesondere in seiner prominenten Form des KAIZEN (Imai 1986) 52 - eher ein Ausdruck der fernöstlichen und insbeson‐ dere der japanischen Lebenseinstellung mit ihrem ständigen Streben nach Verbesserung ist, und es sich nicht um eine einfach auf andere (kulturelle) Kontexte übertragbare Managementmethode handelt. Das Grundprinzip ist also die Sicherstellung von Qualität im Sinne von effektiver und effizienter Wertschöpfung durch die gemeinsame Orientie‐ rung an geteilten kulturellen Werten in einer Organisation - kurz: eine sogenannte „Qualitätskultur“ (Yorke 2000) in Anlehnung an das allgemei‐ nere Konzept der sogenannten „Organisationskultur“ (Schein 1985; Simon 1992, Kap. 7; siehe Abbildung 18). Während formale Zugänge zu Qualitäts‐ management wie die DIN EN ISO oder die EFQM ihre Systeme vorwiegend auf der Ebene der sichtbaren Elemente errichten (1. Ebene in Abbildung 18), zielt die Werteorientierung von KVP und KAIZEN wesentlich auf die zwei Ebenen der darunter liegenden, informellen und teilweise sichtbaren bzw. unsichtbaren Elemente (2. und 3. Ebene). Zu diesen nicht bzw. nur teilweise sichtbaren Elementen der Werte (2. Ebene) zählen zum Beispiel neben der grundlegenden Kund*innenorientierung auch die Kritikorientierung sowie darüber hinaus die Prozessorientierung oder das Bemühen um standardi‐ sierte Verankerung von erfolgreichen Verfahren und Vorgehensweisen. Vor allem am Beispiel der Prozesse und der Standards zeigt sich, dass informelle organisationskulturelle Elemente wichtige Voraussetzungen für formelle Zugänge zu jenen Systemen des Qualitätsmanagement, die auf Prozesse und Standards setzen, sind (siehe Kap. 5.1.1): Erfahrungsgemäß funktionieren formale Qualitätsmanagementsysteme dort gut, wo sie aufgrund informel‐ ler, kultureller Gegebenheiten wenig gebraucht werden, während sie umge‐ 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 97 <?page no="98"?> kehrt dort die geringsten Erfolgsaussichten haben, wo der Bedarf aufgrund fehlender organisationskultureller Voraussetzungen am größten ist. Zu den gänzlich unsichtbaren Elementen (3. Ebene) zählen letztlich tief liegende Grundannahmen wie das Menschenbild, wie zum Beispiel die Frage, ob Mitarbeiter*innen als grundsätzlich arbeitsscheu und nur durch extrinsische Mechanismen zu motivieren oder als arbeitswillig und intrinsisch motiviert angesehen werden (vgl. die klassische Gegenüberstellung von „Theory X“ und „Theory Y“ bei McGregor 1960). Je nachdem, wie die Antwort auf diese (selten explizit gestellte) Frage ausfällt, werden Mechanismen des Qualitätsmanagementsystem aussehen. Abbildung 18: Beispiele für die Logik der Qualitätskultur nach Edgar H. Schein und Fritz B. Simon Es ist ein bekanntes Paradox, dass formale Qualitätsmanagement-Sys‐ teme gut funktionieren, wo sie kaum gebraucht werden (weil funktional äquivalente, informale Strukturen existieren) und umgekehrt (mangels kultureller Voraussetzungen) schlecht funktionieren, wo sie dringend vonnöten wären. - Qualität durch das Engagement der Mitarbeiter*innen: QC Die kursorischen Überlegungen zur Berücksichtigung des kulturellen Fak‐ tors im Qualitätsmanagement zeigen bereits die Bedeutung des sogenannten „menschlichen Faktors“, also der Mitarbeiter*innen, des Personals, des Management. Gemäß KVP und KAIZEN sind die Sicherung von Qualität und das Streben nach ihrer ständiger Verbesserung nicht das Privileg der Füh‐ rungsebenen oder ausschließlich die Aufgabe spezialisierter Abteilungen. Vielmehr sollte dies an allen Stellen und auf allen Ebenen einer Organisation 98 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="99"?> 53 Mit control ist hier „Kontrolle“ nicht im engeren Sinne, sondern im weiteren kyberne‐ tischen Sinne gemeint, also „Steuerung“. spürbar sein, sollte jedes Mitglied der Organisation dazu beitragen und es als Teil seiner Verpflichtung verstehen. Nicht zuletzt entspricht dies einem der gesellschaftlichen Entwicklung angemessenen Menschenbild. Dieses kann heute kein modern-mechanisches (im Taylor’schen Sinne) sein, sondern muss systemisch-ganzheitlich gedacht werden, weil ansonsten auf Kreativitäts- und Innovationspotentiale verzichtet würde. Wenngleich es sich bei Management (im Unterschied zur Handhabung von Objekten und zur Führung von Subjekten) um eine intern ausdif‐ ferenzierte Funktion sozialer Systeme handelt, kann auch das Quali‐ tätsmanagement nicht auf die Menschen als wesentliche Bedingung verzichten. So hat beispielsweise Armand V. Feigenbaum (1920-2014) in seinem Kon‐ zept der „Total Quality Control” (TQC) 53 noch stärker als es schon im „Toyota-Produktionssystem“ der Fall gewesen ist, die Verantwortung aller Mitarbeiter*innen für die Zufriedenheit der Kund*innen - und damit für Qualität betont (Feigenbaum 1951); kurz: „Quality is everybody’s job! “ Aufgegriffen hat dies dann in weiterer Folge auch Kaoru Ishikawa (1915- 1989) mit seiner Idee sogenannter „Qualitätszirkel“ (Quality Circles, QC) im Zuge seines Konzepts der „Company Wide Quality Control“ (CWQC). Die damit einhergehende gemeinsame Arbeit an qualitätsrelevanten Themen, mitunter über hierarchische Ebenen hinweg, bringt außerdem die Bedeu‐ tung partizipativer Management- und Führungsstile in den Blick (siehe Kap. 4.2.2). Das ist vielleicht nicht nur eine japanische Erfindung, aber eng mit dem Konzept der Qualitätskultur, die Kund*innen- und Mitarbeiter*in‐ nen-Orientierung verbindet, verknüpft. Oder mit etwas anderen Worten: „Der Mensch ist Mittelpunkt“ und nicht: „Der Mensch ist Mittel. Punkt! “, wie Neuberger (1990) es an anderer Stelle einmal auf den sprichwörtlichen Punkt gebracht hat. Möglichkeiten der Partizipation für Mitarbeiter*innen zu schaffen ist eine wichtige Voraussetzung, um deren individuelle Potentiale im 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 99 <?page no="100"?> 54 Darüber hinaus ist dies ein deutlicher Beleg für die „Konvergenzthese“ im Quali‐ tätsmanagement, die insbesondere im „totalen Qualitätsmanagement“ (TQM) zum Ausdruck kommt: Praktische und empirische Erfahrungen haben dazu geführt, dass einzelne Konzepte sich sukzessive einander annähern. (System)theoretisch ist dies nicht überraschend, da erfolgreiches Management einer balancierten Berücksichtigung der unterschiedlichen Dimensionen sozialer Systeme bedarf (siehe dazu unten Kap. 4.1). Dienste der die Gesamtorganisation nutzen zu können. Umso mehr gilt dies, wenn neben deren Motivation auch Kreativität erforderlich ist. 3.2.2 Die implizite „Grammatik“ des Qualitätsmanagement Kap. 3.2.1 hat sich darauf beschränkt, Eckpunkte von vier allgemeinen Ansät‐ zen im Qualitätsmanagement zu beschreiben, die sowohl mit dem normati‐ ven Anspruch auftreten, branchen- und sektorenübergreifend anwendbar zu sein, als auch tatsächlich verbreitetet Anwendung finden. Zusätzlich zu diesen generischen Modellen gibt es eine Vielzahl spezifischer Konzepte für einzelne Branchen und Sektoren - zum Beispiel die „Hazard Analysis and Critical Control Points“ (HACCP) für die Lebensmittelindustrie, das „Com‐ mon Assessment Framework“ (CAF) für die öffentliche Verwaltung, die „European Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area“ (ESG) für den Universitäts- und Hochschulbetrieb oder verschiedene Systeme für Schulen, wie die „Qualitätszentrierte Schul‐ entwicklung“ (QZS), „Qualität durch Evaluation und Entwicklung“ (Q2E) sowie das spezifisch österreichische „Qualitätsmanagement für Schulen“ (QMS) oder die „Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheits‐ wesen“ (KTQ). Unabhängig davon, ob es sich um generische oder spezifische Qualitäts‐ management-Modelle handelt: Sie alle sind Ausdruck eines „modernen“ Steuerungsparadigmas der Rationalisierung durch Management. In den ihnen zugrundeliegenden Mechanismen kommen Prinzipien einer gemein‐ samen „Grammatik“ zum Ausdruck, die man - in Anlehnung an die „Grund‐ sätze ordnungsmäßiger Buchführung“ - wohl zu Recht als Grundsätze ordnungsmäßiger Organisation bezeichnen kann (Reinbacher 2015). 54 Allen voran sind dies: Formalisierung, Fokussierung auf „einschleifiges“ Lernen und Förderung von Opportunismus. 100 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="101"?> 55 Bateson (1972) und Argyris & Schön (1978) unterscheiden zwischen „einschleifigem“ Lernen, das verbesserte Effizienz bzw. Zielerreichung durch Anpassung der Mittel umfasst, und „zweischleifigem“ Lernen durch eine Anpassung dieser Ziele selbst. (1) Weil sich „Qualität“ (wie zum Beispiel „Wissen“) bekanntlich nicht direkt managen, sondern nur durch „indirekte Rahmensteuerung“ beein‐ flussen lässt (Willke 1998, Reinbacher 2014a), fokussieren Modelle des Qua‐ litätsmanagement mittlerweile auf die formalen Bedingungen. Sie verzichten auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit oder gar eine Festlegung von „Qualität“ und vertrauen vielmehr auf die positive Wirkung der Form auf den Inhalt, wie es ansonsten nur die Ästhetik tut (Avanessian 2009). Dies beginnt bei der Definition des Problems (im herrschenden Paradigma des Qualitätsmanagement unerreicht als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merk‐ male Anforderungen erfüllt“ laut DIN EN ISO), setzt sich fort bei angebotenen Managementlösungen und gipfelt in Zertifizierungen, die auf Strukturen und Prozesse abstrakter Systeme des Qualitätsmanagement unabhängig von konkreten Inhalten zielen. Diese methodisch-methodologische Formalisierung bei gleichzeitig ma‐ ximaler inhaltlicher Flexibilisierung (siehe auch Kap. 3.3) ist eine wesentli‐ che Voraussetzung für die Universalisierung von Qualitätsmanagement im Sinne eines branchen- und sektorenübergreifenden, gesellschaftsweiten und globalen „roll-out“ von zunächst technischen Produktionsbereichen über unternehmerisch-wirtschaftliche und politisch-bürokratische Verwaltungs‐ bereiche bis hin zu Dienstleistungseinrichtungen des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens oder gar Aspekten privater Lebensführung (Stichwort: „quality time“). (2) Direkt abgeleitet aus der abstrakten Definition durch die DIN-ISO als Doyenne des Diskurses ergibt sich der zweite Grundsatz der zeitgenös‐ sischen Qualitätsmanagement-Modelle: Die Fokussierung auf „einschleifiges“ Lernen. 55 Es geht dem Qualitätsmanagement nämlich in erster Linie um Erfüllung (= Qualitätssicherung) bzw. um bessere, also: effektivere, effizientere oder sogar „exzellente“ Erfüllung (= Qualitätsentwicklung) von Anforderun‐ gen, nicht jedoch so sehr um das Infragestellen ebendieser Anforderungen selbst. Insofern ist Qualitätsmanagement der Idee nach nicht innovativ, sondern zunächst grundsätzlich konservativ, weil es von einer festgelegten, geschlossenen, in definierte Ziele gegossenen Zukunft her denkt - weshalb wiederum Befürchtungen, die eine „kontinuierliche Verbesserung“ vor allem 3.2 Das konventionelle Management von Qualität 101 <?page no="102"?> 56 So soll Henry Ford gesagt haben: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: Schnellere Pferde.“ im existierenden Denk- und Handlungsrahmen („frame“) erwarten, nicht ganz unberechtigt sind. Diese methodische Fokussierung bei gleichzeitiger Behauptung des Ge‐ genteils - denn natürlich lässt sich „Innovation“ bzw. „Innovativität“ als Anforderung und damit als Indikator für „Qualität“ definieren, allerdings ist dies dann für Qualitätsmanagement wiederum nur eine weitere Rah‐ mensetzung - erschwert außerdem zusätzlich zur Formalisierung und zur inhaltlichen Entleerung die Bestimmung von Qualität und von Qualitäts‐ management, denn: Ist nicht jedes Management definitionsgemäß auf die Erreichung von Zielen bzw. Erfüllung von Anforderungen ausgerichtet (Stichwort: „management by objectives“)? (3) Der dritte Grundsatz zeitgenössischer Qualitätsmanagement-Modelle kann auf den ersten Blick als Versuch, der abstrakten Formalisierung und der konservativen Fokussierung zu entkommen, interpretiert werden: Zum zentralen Kriterium für Qualität ist heute die Zufriedenheit von Kund*in‐ nen bzw. allerlei Anspruchsgruppen („Stakeholdern“), avanciert. Allerdings handelt es sich auch bei dieser Förderung von Opportunismus um eine formale Forderung (denn es gibt kaum Hinweise, wie mit widersprüchlichen Anforderungen umzugehen ist), und um eine Fiktion von Innovation (denn es ist nicht gesagt, dass die von außen herangetragenen Ideen und Wünsche tatsächlich stets über bereits Bekanntes hinausgehen 56 ). Konventionelles Qualitätsmanagement zeichnet sich vor allem durch Formalisierung, Fokussierung auf einschleifiges Lernen und durch eine Förderung von Opportunismus zugunsten der Stakeholder aus. Diese „Grundsätze ordnungsmäßiger Organisation“ bilden seine grund‐ legende „Grammatik“. Diese Überlegungen zur „Grammatik“ des Qualitätsmanagement erklären die hohe Anschlussfähigkeit zeitgenössischer Modelle an die traditionelle Verwaltungslehre des 19./ 20. Jahrhunderts bei Max Weber, Frederick W. Taylor oder Henri Fayol (siehe oben Kap. 3.2). Bereits der zweite Blick entdeckt hier den mechanistischen Geist der administrativen Moderne im modischen Gewand des modernen Management, der sowohl neue Formen 102 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="103"?> der Kalkulierbarkeit und Kontrollierbarkeit verspricht (was insbesondere für Eigentümer*innen und Manager*innen attraktiv ist), als auch Kundenorien‐ tierung suggeriert (was im öffentlichen Sektor als „new public management“ bekannt geworden ist und in der Privatwirtschaft als „McDonaldisierung“ perfektioniert worden ist). Kurz: Es treffen sich Tendenzen der Ökonomi‐ sierung und der (Re-)Bürokratisierung, sodass Qualitätsmanagement zwar als Schaf im Wolfspelz auftritt, um trotz seiner Ausrichtung an Stabilität und Sicherheit nicht mit veralteter Verwaltungslehre, trivialisierendem Taylorismus oder behäbiger Bürokratie verwechselt zu werden, ihm aber zugleich vorgeworfen wird, es würde der unangemessenen Universalisie‐ rung ökonomischer Marktprinzipien willfährig Vorschub leisten. Qualitätsmanagement tritt als „Schaf im Wolfspelz auf “ um einer Verwechslung mit der als veraltet angesehenen Verwaltungslehre zu entgehen, obwohl es mit seinen konservativen, konservierenden Prin‐ zipien (Kalkulierbarkeit, Kontrollierbarkeit) an diese ausgesprochen gut anschlussfähig ist. 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen Die Qualitätsmanagement-Industrie bemüht sich, mit ihren Angeboten den Bedarf ihrer Kund*innen an Methoden und Techniken zur Steuerung von Organisationen bestmöglich zu befriedigen. Sie muss dabei verschiedenen ambivalenten Anforderungen gerecht werden: Zum Beispiel Kalkulierbar‐ keit und Kontrollierbarkeit auf der einen Seite, Markt-, Wettbewerbs- und Kundenorientierung auf der anderen Seite, Stabilität und Sicherheit einerseits, Dynamik und Innovation andererseits. Außerdem nimmt sie nach Möglichkeit davon Abstand, sich inhaltlich in Fragen der Qualität und ihrer Definition einzumischen - sie zieht sich auf eine formale Fassung zurück (siehe Kap. 3.2.2). Dies ist zwar für die Anbieter*innen von Quali‐ tätsmanagement-Tools von Vorteil, weil sich der globale Markt umfassend, branchen- und sektorenübergreifend bedienen lässt. Doch verbirgt sich in der abstrakten Allgemeinheit und angestrebten Allzuständigkeit ein „dirty little secret“ weil es keine klare Abgrenzung zwischen Management im weiteren und Qualitätsmanagement im engeren Sinne, zwischen Zielen 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 103 <?page no="104"?> 57 Dies in Anlehnung an Gary Hamel (1996), der von einem „dirty little secret“ der „strategy industry“ gesprochen hat. 58 Wenngleich insbesondere die Literatur zum Qualitätsmanagement darum bemüht ist, darzustellen, dass sich diese Spannungen auflösen lassen, dass also hohe Qualität mit niedrigen Kosten und Durchlaufzeiten vereinbar ist (z.-B. Zollondz 2002, Kap.-1). und Qualitätszielen oder zwischen der Kultur und der Qualitätskultur von Unternehmen, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern oder Sozialämtern mehr zu geben scheint. 57 Qualität wird im aktuellen Paradigma weitgehend formal als Erfüllung von Anforderungen, Erreichung von Zielen etc. gefasst, was Qualitäts‐ management zwar universal anwendbar macht, aber zugleich zu einer Überdehnung des Begriffs führt, weil damit alles Gegenstand von Qualitätsmanagement ist. Dass die Rede der DIN ISO von „Anforderungen“ zu vage ist, um Qualität sinnvoll definieren zu können, zeigt sich, wenn Management (auf den ersten Blick plausibel und praktikabel) als Handeln im Spannungsfeld aus Qualität, Zeit und Kosten bestimmt wird (siehe Abbildung 19 und vgl. Garvin 1984, 1988). 58 Ohne nähere inhaltliche Bestimmung von „Qualität“, also bei deren formaler Fassung als „Erfüllung von Anforderungen“, wird dann konsequenterweise und kurzerhand die Erfüllung terminlicher Anfor‐ derungen zu „Zeitqualität“, die Erfüllung budgetärer Anforderungen zu „Kostenqualität“ und die Erfüllung inhaltlicher qualitativer Anforderungen zu „Qualitätsqualität“. Diese Folgen des verbreiteten Verzichts auf inhaltli‐ che Bestimmung von Qualität sind für deren Management jedoch weder plausibel noch praktikabel. Abbildung 19: Das „magische Dreieck“ des Management 104 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="105"?> Erschwerend kommt nicht nur hinzu, dass der sogenannte „wertorientierte Qualitätsbegriff “ („value based“ nach Garvin 1984) die Aspekte von Qualität und Kosten bzw. ggf. sogar Zeit zusammenfallen lässt oder sie zumindest in Gestalt der „Kosten-Nutzen-Relation“ kombiniert. Man erinnert sich hier auch an den von Thorstein Veblen (1899) beschriebenen „Geltungskon‐ sum“ („conspicuous consumption“), also an den bekannten und für den ersten Blick irritierenden Sachverhalt, dass die Nachfrage nach gewissen (Luxus-)Gütern mit steigenden Preisen zunimmt und nicht, wie von der klassischen Volkswirtschaftslehre erwartet, abnimmt („Veblen-Effekt“). Mit anderen Worten: Zwischen Qualität und Kosten (bzw. auch zwischen Qua‐ lität und Zeit, die als Aufwand einen Kostenfaktor darstellt) besteht kein automatischer Antagonismus. Es kann demgegenüber vorkommen, dass hohe Kosten bzw. ein hoher Zeitaufwand selbst Qualitätsmerkmale darstel‐ len - Luxusgüter, mit denen man prahlen möchte (daher „Geltungskonsum“ nach Veblen), kauft man schließlich nicht obwohl, sondern gerade, weil sie teuer sind. Während in der philosophischen Tradition der Begriff Qualität zur Be‐ schreibung der „Beschaffenheit“ verwendet worden ist, kommt sowohl im privaten Bereich als auch im Kontext von Management rasch eine mehr oder weniger explizite, oft genug (teilweise) implizit bleibende Bewertung hinzu: Qualität meint dann die „wünschenswerte Beschaffenheit“ oder Güte - also: gute Qualität. Und während das Interesse an einer dermaßen deskriptiv und (implizit) normativ gefassten Qualität zumeist hoch ist, sieht die Sache im Fall ihres Management oft anders aus. Immerhin handelt es sich bei Qualitätsmanagement um die systematische Beschäftigung mit Fragen der Qualität, insbesondere mit der expliziten Definition, Feststellung, Messung, Sicherung und Entwicklung weniger aus individueller und persönlicher, sondern aus organisationaler und „systemischer“ Perspektive (siehe auch bereits Kap. 3.1.1 und Abbildung 12). Vor diesem Hintergrund lässt sich daher tatsächlich sagen, dass zum Beispiel in einem Unternehmen oder an einer Universität für Qualität im obenstehenden, deskriptiven wie präskriptiven Sinn naturgemäß alle Mitarbeiter*innen bzw. Mitglieder verantwortlich sind, weil ja in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich bestimmte Anforderungen existieren, die es zu erfüllen gilt und die auf ein gewisses gemeinsames Ganzes (wie beispiels‐ weise die „Strategie des Unternehmens“ oder die „Idee der Universität“) ausgerichtet sind. Für Qualitätsmanagement liegen die Dinge insofern an‐ ders, als die systematische Beschäftigung mit Fragen der Qualität im Sinne 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 105 <?page no="106"?> 59 Hier haben wir es (wieder einmal) mit einer empirisch nur bedingt auflösbaren Henne-Ei-Problematik zu tun. Wenn der Ruf nach bzw. die Einführung von Qualitäts‐ management mit einem Rückgang des individuellen und professionellen Bemühens um Qualität begründet wird, zeigt mitunter der zweite Blick, dass gerade diese kollektiven und organisationalen Systemstrukturen als Ersatz für ein solches Bemühen, als Aus‐ druck des Misstrauens den Mitarbeiter*innen gegenüber oder dergleichen interpretiert werden, sodass Strategien des Qualitätsmanagement jenes Problem mangelnder Qua‐ lität, das sie zu lösen vorgeben, zumindest teilweise erzeugen oder verstärken. einer strukturellen Verankerung von Verfahren der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung im unternehmerischen oder universitären Kontext in den Verantwortungsbereich spezifischer Stellen bzw. ausdifferenzierter Funktionsbereiche darstellt. Selbstverständlich ist damit nicht ausgeschlos‐ sen, dass alle Mitarbeiter*innen und Mitglieder sich im Rahmen ihrer Auf‐ gabenbereiche an der Implementierung und Realisierung dieser Verfahren beteiligen (sollten). Doch ist das individuelle Bemühen um die Sicherung und Entwicklung der Qualität im eigenen Aufgabenbereich zu unterscheiden von der strukturellen Verankerung eines solchen, systematischen Bemühens durch Qualitätsmanagement. Deshalb können sich beispielsweise Eltern zwar bemühen, die Qualität ihrer Erziehungsbemühungen zu verbessern, doch existiert in Familien kaum so etwas wie Qualitätsmanagement in die‐ sem engen Sinne - anders als im Schulwesen, wo das individuelle Bemühen um Qualität früher durch die Einbettung in einen professionellen Kontext ergänzt worden ist und heute zunehmend durch strukturell verankerte Systeme des Qualitätsmanagement ersetzt wird. 59 Während für „Qualität“ in der Tat alle Mitarbeiter*innen bzw. alle Mitglieder einer Organisation verantwortlich sind, setzt „Qualitätsma‐ nagement“ als Systemfunktion einen hinreichend hohen Grad der Dif‐ ferenzierung in einem sozialen Systems voraus. Erst in einem hinreichend komplexen System kann und muss es zu einer Ausdifferenzierung interner Funktionen wie jener des „(Qualitäts-)Manage‐ ment“ kommen. Indem wir Management in erster Linie als interne Funktion bzw. als Subsystem eines sozialen Systems bestimmt haben (siehe Kap. 3.1.1), handelt es sich dabei weniger um das Handeln einzelner, in der Umwelt des Systems zu verortenden Menschen, sondern vielmehr um die interne Organisation der Organisation des Systems. Mit etwas anderen Worten: 106 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="107"?> Durch Selbstorganisation erzeugt das System seine internen Strukturen als Rahmenbedingungen für die Beschäftigung mit und für die Hervorbringung von Qualität. Wesentliche Voraussetzung dafür ist (ebenfalls vermittelt über systemische Komplexität) Reflexivität als eine Form von Selbstreferentiali‐ tät. Denn indem das System durch intern ausdifferenzierte Subsysteme sich selbst als System in der Umwelt zu beobachten vermag, bekommt es die Möglichkeit, seine Funktions- und Leistungsbeziehungen mit der Umwelt bzw. mit Systemen in der Umwelt in den Blick zu nehmen (siehe auch Kap. 5.2.2). In vergleichbarer Weise gilt dies für handelnde Personen wie beispiels‐ weise Lehrer*innen, die sich in ihrem Arbeitsalltag in der Schulklasse um Qualität bemühen: Erst sobald sie sich selbstorganisiert (also autonom) Strukturen schaffen - man denke an festgelegte Routinen zur Vorbereitung von Unterricht oder zur Einholung von Feedback -, bemühen sie sich nicht nur um Qualität, sondern betreiben sie eine Form von Qualitätsmanagement in dem Sinne, dass sich innerhalb der Schulklasse als System ein speziali‐ siertes Subsystem ausbildet. Erkennbar wird dies unter anderem daran, dass das Handeln dann stets entweder eines im Kontext von Unterrichts oder eines im Kontext von Qualitätsmanagement ist, also zwischen zwei Systemreferenzen wechselt. Kurz: Während das Bemühen um Qualität ein Bestandteil des Unterrichts sein kann, bildet Qualitätsmanagement ein spezifisch ausdifferenziertes Subsystem. Daran liegt es auch, dass das Bemühen um Qualität im Sinne von „guter Arbeit“ zwar einerseits von Angehörigen einer Profession (wie Ärzt*innen, Anwält*innen, Pädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen) in aller Regel erwartet werden kann, dass aus diesem Interesse allerdings andererseits nicht unmittelbar auf die Beliebtheit von Qualitätsmanagement geschlossen werden sollte, und dass umgekehrt eine Skepsis gegenüber dem Management von Qualität in seiner konventionellen Erscheinungsform nicht automatisch als Ausdruck der Ablehnung von Qualität interpretiert werden sollte (vgl. Sennett 2008, Zech 2015 und siehe dazu auch Kap. 5.1.1 und Anm.-59). Wie einleitend festgehalten, gibt es heute ja kaum einen Bereich, in dem nicht von „Qualität“ die Rede ist, was wenig überrascht, denn wer wünscht sich als Kund*in, Konsument*in, Schüler*in, Student*in, Klient*in oder Patient*in nicht gute bzw. qualitativ hochwertige Produkte und Leistungen? Doch ist die Inflation des Begriffs (erfrischend schlecht gelaunt: Gstättner 2014) ein Indiz dafür, dass zumindest „gute Qualität“ nicht mehr selbstver‐ ständlich erwartet werden kann - weshalb Unternehmen und Universitäten 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 107 <?page no="108"?> ebenso wie Schulen, Spitäler und Einrichtungen des Sozialbereichs oder Behörden der öffentlichen Verwaltung (und vielleicht bald sogar Familien) „Qualitätsmanagement“ etablieren. Dessen vorläufig letzte Ausbaustufe ist intern dann ein Qualitätsmanagementsystem, das die Grundsätze und Verfahren des Qualitätsmanagement zur Sicherung und Entwicklung von Qualität in einer Organisation explizit macht und in nachvollziehbarer Weise darstellt. Diese Dokumentation des Qualitätsmanagementsystems einer Organisation stellt eine wesentliche Grundlage für externe Verfahren des Qualitätsmanagement dar, also beispielsweise für die „Akkreditierung“ von Universitäten oder die „Zertifizierung“ von Unternehmen (siehe auch Kap. 3.2.1). Hinter dieser Definition von Qualität als Erfüllung von (internen und ex‐ ternen) Anforderungen lauert jedoch ein „infiniter Regress“, da immer weitere Anforderungen (auf „höherer Ebene“) formuliert werden können, an denen sich Anforderungen der „niedrigeren Ebene“ messen lassen: So lässt sich die reale Lehrpraxis einer Universität an idealen Standards für „gute Lehre“, wie sie vom universitären Qualitätsmanagement definiert und gemäß Qualitäts‐ managementsystem auf Erreichung geprüft werden, messen. Sowohl diese im Qualitätsmanagementsystem definierten Standards für gute Lehre als auch die an der Universität implementierten Verfahren zur Überprüfung ih‐ rer Erreichung (beispielsweise in Gestalt der Lehrveranstaltungsevaluation) lassen sich an externen Standards für interne Qualitätsmanagementsysteme an Universitäten messen (wie den „European Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area“, kurz: ESG). Allerdings kann man hier mühelos zumindest eine weitere Ebene denken: Auch diese Standards, also die ESG der „European Association for Quality Assurance in Higher Education (ENQA) können ihrerseits wieder an weiteren Anforderungen - wie den Erwartungen von Stakeholdern des Universitätsbetriebs (Politik, Gesellschaft etc.) - gemessen werden. Solange „Qualität“ als Erfüllung von Anforderungen bzw. Erreichung von Zielen definiert wird, lässt sich stets die Frage stellen, an welchen Anforderungen höherer Ebene sich die Qualität dieser Anforderungen messen lässt bzw. für welche Ziele höherer Ordnung diese Ziele ein Mittel darstellen. 108 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="109"?> Aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive liegen hier sowohl Pro‐ blem als auch Lösung in einem relationalen, auf System-Umwelt-Unter‐ scheidungen basierenden Beobachten, Beschreiben und Bewerten von „Qua‐ lität“, samt der damit einhergehenden „blinden Flecken“ (siehe dazu auch unten Kap. 5.2) 3.3.1 Ausgewählte zeitliche, soziale und sachliche Aspekte Hinter der Einheit stiftenden und zugleich diese Einheit symbolisierenden Kontingenzformel „Qualität“ (siehe Kap. 2.1) liegt demnach bei genauerem Hinsehen und vor allem in systemisch-systemtheoretischer Perspektive eine Differenz, also eine „Unterscheidung, die einen Unterschied macht“ (Bateson 1972). Dies ist insofern von Vorteil, als uns systemisches Denken und Systemtheorie deutlich vor Augen geführt haben, dass sich nur durch Treffen von Unterscheidungen letztlich Informationsgehalt generieren lässt. Eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise lässt erkennen, dass die Suche nach Einheit stets zur Einsicht in eine dahinterliegende Differenz führt. Im Fall von „Qualität“ ist die vor allem die Einheit der Differenz eines normativen bzw. idealen „Soll“ und eines faktischen bzw. realen „Ist“. Als Ausgangsunterscheidung dient dem Qualitätsmanagement im herr‐ schenden Paradigma, das von der DIN EN ISO als des Doyenne des Diskurses dominiert wird, die oben bereits zitierte Definition: „Qualität ist der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“. Den Ausgangs‐ punkt für Qualitätsmanagement bildet demnach die evaluative Bewertung des deskriptiven Seins vor dem Hintergrund eines normativen Solls, das den Maßstab bildet (und das auf diesem Wege, nebenbei bemerkt, sozusagen eine „Quantifizierung der Qualität“ über die Hintertür erlaubt; siehe Abbildung 20). 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 109 <?page no="110"?> 60 Qualität zu erhöhen, also in Abbildung 20 den schraffierten Bereich zu vergrößern, indem die idealen Norm-Werte den realen Ist-Werten angepasst werden (durchgestri‐ chener heller Pfeil nach links) gilt im konventionellen Qualitätsmanagement gemeinhin als nicht zulässige Absenkung von Standards und wird mitunter dem Marketing als Strategie unterstellt (eine Ausnahme ist hier das „Erwartungsmanagement“; Bruhn Abbildung 20: Kontrolle und Prüfung sowie Sicherung und Entwicklung von Qualität Daraus ergeben sich zugleich die zentralen Ansatzpunkte sowohl für die Feststellung von Qualität in Form von Qualitätskontrolle und Qualitätsprü‐ fung (Stichwort: Evaluation) als auch für das Management von Qualität in Form von Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung: Erstens ein Abgleich der realen Ausprägung von Merkmalen (Ist-Werte) mit der normativen Festlegung von Anforderungen (Soll-Werte), beispielsweise wenn unter den Student*innen nach dem Seminar eine Lehrveranstaltungsevaluation oder unter den Klient*innen eines Sozialamtes nach dem Beratungsgespräch eine Zufriedenheitsbefragung durchgeführt wird. Zweitens eine Annäherung der realen Ist-Werte an die normativen Soll-Werte durch Qualitätssicherung („feed-back“) und Qualitätsentwicklung („feed-forward“), beispielsweise wenn für die Lehrenden eine hochschuldidaktische Fortbildung oder für die Berater*innen ein Gesprächstraining zur Verbesserung der Qualität bzw. der Zufriedenheit angeboten wird. Kurz: Qualitätsmanagement findet seine Ansatzpunkte bei allen (systematischen) Versuchen, das „Ist“ der faktischen Realität mit dem „Soll“ normativer Anforderungen bestmöglich zur Deckung zu bringen, indem die Realität den Anforderungen angenähert und auf die‐ sem Weg die Qualität, also „der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ (so die Definition laut DIN ISO), gesteigert wird. 60 110 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="111"?> 2013). Zu einer funktionalen, systemisch-systemtheoretischen Sichtweise siehe Kap. 5.3.1. 61 Joseph M. Juran (1904-2008) hat den Deming-Kreislauf von der operativen Ebene, also dem Bemühen um Qualität, auf die Meta-Ebene des Qualitätsmanagement transponiert und ihn in einem Dreischritt, den er die „Juran-Trilogie®“ genannt hat, kondensiert: Qualitätsplanung, Qualitätsregelung und Qualitätsverbesserung ( Juran 1988). Die Universität oder das Sozialamt wird dann (wie ein Unternehmen, eine Schule oder ein Spital) als Organisation zum „Werkzeug“ (griech. ὄργανον, organon) für die Erfüllung von Anforderungen bzw. für die Erreichung von Zielen. Der Grad dieser Erfüllung bzw. Erreichung gilt als Qualität, seine Erhöhung als Aufgabe von Qualitätsmanagement „erster Ordnung“. Auditierungsbzw. Akkreditierungsverfahren durch externe Agenturen messen den Grad, in dem das interne Qualitätsmanagement erster Ordnung den Anforderungen an dieses Qualitätsmanagement entspricht (Qualitäts‐ management „zweiter Ordnung“). Letztlich werden Anforderungen für die Arbeit von Agenturen definiert (Qualitätsmanagement „dritter Ordnung“). Diese Logik liegt dem dreistufigen Aufbau der „European Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area“ (ESG) zugrunde und kommt beispielsweise im österreichischen „Nationalen Qualitätszertifikat für Alten- und Pflegeheime“ (NQZ) zum Ausdruck. Damit einher gehen im aktuellen Qualitätsmanagement-Paradigma zu‐ mindest drei Charakteristika, die für den Diskurs rund um das Management von Qualität nicht folgenlos bleiben können. Erstens ist es - trotz immer wieder vorgebrachter anderslautender Behauptungen - tendenziell traditio‐ nell also vorrangig vergangenheitsorientiert und konservativ, aber nicht innovativ orientiert (zeitliche Dimension). Zweitens setzt es explizit auf ge‐ plante Evaluation statt auf selbstgesteuerte Evolution zu vertrauen (soziale Dimension). Drittens beruht es vorrangig auf einer atomistisch-additiven anstelle einer holistisch-funktionalen Vorstellung von Qualität (sachliche Dimension). - Tradition statt Innovation Bedeutsam ist dieser, dem zeitgenössischen Qualitätsmanagement innewoh‐ nende Zugang zu Qualität zunächst insofern, als er im Kern weniger innova‐ tiv als vielmehr konservativ ist - was im oben besprochenen PDCA-Zyklus ebenfalls verbrieft ist (Deming 1982). 61 Qualität und ihr Management werden von einer geschlossenen, in Ziele gegossenen Zukunft (siehe Kap. 4.1.1) 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 111 <?page no="112"?> 62 „Schneller, höher, stärker“ als Motto der Olympischen Spiele ist 2021 um communiter („gemeinsam“) ergänzt worden. - also von dem, was wir kennen oder zu kennen glauben - her gedacht. Und das ist durchaus plausibel, denn: Wie wäre sonst die Formulierung von Anforderungen, Standards, Kriterien etc. als Voraussetzung für die Überprüfung des Grades ihrer Erfüllung, Erreichung, Einhaltung möglich? „Ziel ist Grenze“, hat Aristoteles in seiner „Metaphysik“ geschrieben, und gerade Management braucht, glaubt man der orthodoxen Managementlehre eine solche Grenze in der Gestalt von Zielen (Stichwort: „management by objectives“; Drucker 1954; explizit kritisch: Deming 1982). Deshalb legt Qualitätsmanagement vor allem Wert auf „einschleifiges“ Lernen (siehe Kap. 3.2.2) und Effizienz bzw. ggf. Exzellenz: Im Sinne „kontinuierlicher Verbesserung“ (siehe Kap. 3.2.1) sollen gesetzte Ziele (Plan) nach einer auf die Umsetzung (Do) folgenden Überprüfung (Check) durch daraus abgeleitetes Anpassungshandeln (Act) in immer höherem Ausmaß erreicht werden, um damit die Qualität, also den Grad der Anforderungserfüllung zu steigern (siehe Abbildung 16). Qualitätsmanagement ist damit struktureller Gegenspieler des Innovationsmanagement, das neben „inkrementeller“ auch „disruptive“, „radikale“ Neuerungen anstrebt (Meissner 2011). Qualität zu sichern und zu entwickeln bedeutet, die mit riskanter Innovation einher‐ gehende Verunsicherung zu vermeiden, indem (konservative) Normeinhal‐ tung statt (innovative) Normveränderung bzw. -verletzung forciert wird. In zeitlicher Hinsicht schließt konventionelles Qualitätsmanagement den Horizont, indem es vor dem Hintergrund der bereits bekannten Vergangenheit in der Gegenwart auch die unbekannte Zukunft in defi‐ nierte Ziele gießt. Dies gibt (scheinbare) Sicherheit inmitten zunehmend komplexer Verhältnisse. Selbstverständlich soll damit keinesfalls gesagt werden, dass aus Verfahren der Evaluation nicht „echte“ innovative Impulse für neue Zielsetzungen hervorgehen oder dass normative Anforderungen, an denen das reale Ist und damit die Qualität gemessen werden, nicht gemäß dem Motto citius, altius, fortius immer weiter in die Höhe oder in die Zukunft verschoben werden könnten. 62 Allerdings werden damit eben neue Qualitätsmaßstäbe und neue Qualitätsziele jenseits des bestehenden „frame“ (Bateson 1971, 112 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="113"?> Argyris & Schön 1978) und damit jenseits des Qualitätsmanagement im konventionellen Sinne gesetzt. Wenn aber innovatives „zweischleifiges“ Lernen an die Stelle des konservativen „einschleifigen“ Lernens tritt, wirft dies Fragen auf - allen voran, wie sich im Falle nicht erfüllter Kriterien und Anforderungen bzw. nicht erreichter Ziele zwischen mangelnder Qualität (also: Fehlern) und neuer Qualität (also: Innovation) unterscheiden lässt, oder an welchem normativen „Soll“ die neuen Qualitätsmaßstäbe und Qualitätsziele (als reales „Ist“) gemessen werden sollen (siehe zum „infiniten Regress“ auch Kap. 3.3). - Evaluation statt Evolution Immerhin erinnert die darin liegende Idee einer „Zukunftsoffenheit“ sowohl an die Schumpeter’sche „schöpferische Zerstörung“ durch Unternehmer*in‐ nen als auch an die Kant’sche „Genialität“ von Künstler*innen sowie nicht zuletzt ganz allgemein: an die Evolution (siehe Kap. 2.1). Allen drei ist gemeinsam, dass sie mit über weite Strecken ungeplanter und unplanbarer, wenngleich nicht notwendig chaotischer, sondern vielmehr selbstorgani‐ sierter Kreativität (Meissner 2011) den Bereich des Bekannten, und damit des Kalkulierbaren, Kontrollierbaren verlassen. In diesem Zusammenhang hat auch der österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) in einem Fernsehinterview anlässlich des Neujahrskonzertes 2002 die Kunst als eine Grenzgängerin beschrieben und von Künstler*innen gefordert, nicht im sicheren Bereich des bereits Bekannten, aber letztlich: des Banalen zu bleiben. Vielmehr sollten sie sich an dessen Grenze vorwagen - an die Grenze, deren Überschreiten in die Katastrophe führt(e). Mit etwas anderen Worten lässt sich vor diesem Hintergrund sagen: Evaluation kann im Kontext von Qualitätsmanagement zwar zur Erzeugung von Entwicklungsimpulsen und damit als Ersatz für Evolution eingesetzt werden. Eine dadurch angestoßene, echt innovative Entwicklung muss allerdings naturgemäß die Anforderungen und die durch Erreichung dieser Anforderungen bestimmte Qualität hinter sich lassen. Über weite Strecken handelt es sich bei Evaluation um eine auf gesellschaftlicher Ebene fest etablierte Sozialtechnik zur Feststellung von Qualität innerhalb eines defi‐ nierten Rahmens („frame“). Ja, man könnte sogar sagen: Bei Evaluation handelt es sich um eine gesellschaftliche Institution, die anderen, aus dem Alltag bekannten Institutionen (wie dem Vertrag und der Familie, der Schule oder der Universität) 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 113 <?page no="114"?> 63 Émile Durkheim (1858-1917) hat in seinem Klassiker „Die Regeln der soziologischen Methode“ (2002 [1895]) mit diesem Begriff „alle Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzten Verhaltensweisen“ bezeichnet. Bei diesen handelt es sich um „Pflichten, die außerhalb meiner Person und der Sphäre meines Willens im Recht und in der Sitte begründet sind.“ in ihren internen Strukturen und hinsichtlich ihrer externen Funktionen teilweise vergleichbar ist. 63 Immerhin transformiert auch Evaluation spezi‐ fische kulturelle Wertorientierungen in eine normativ verbindliche soziale Ordnung, die dann erstens als Institution den Akteur*innen gewissermaßen objektiv gegenübersteht, zweitens über Internalisierung zum Antrieb des Handelns dieser Akteur*innen wird, und drittens eine Integration von Systemen wie der Gesellschaft oder Organisationen unterstützt. In sozialer Hinsicht bietet das konventionelle Qualitätsmanagement mit seinen geplant zum Einsatz gebrachten Strategien der Evaluation einen Ersatz für ungeplant vonstattengehende Evolution. Auch dies gibt (scheinbare) Sicherheit angesichts gesellschaftlicher und organisationa‐ ler Komplexität. So gesehen ist Evaluation weniger Ersatz für als vielmehr komplementäre Ergänzung zur Evolution, indem damit die Zukunftsoffenheit evolutionärer Innovation mit evaluativer Tradition kontrolliert wird. Ihre Legitimations‐ grundlage sind gesellschaftlich etablierte Werte wie Effektivität und Effizi‐ enz, auf deren Grundlage in der Gestalt sozialer Normen die Erwartungen an Akteur*innen festgelegt werden. Die normative Kraft, mit der diese Erwartungen ausgestattet sind, erschwert einerseits, sich ihnen zu entzie‐ hen, sie erleichtert aber andererseits, für das entsprechende Handeln auch Zustimmung zu erhalten. Nicht zuletzt deshalb ist Evaluation als Element von Qualitätsmanage‐ ment zumindest auf den ersten Blick ein Ausdruck der gesellschaftlichen Rationalisierung, also der möglichst wirksamen (effektiven) und wirtschaft‐ lichen (effizienten) Erreichung von Zielen durch den Einsatz von Mitteln (Stichwort: Mittel-Zweck-Rationalität). Daran liegt es, dass man grundsätz‐ lich mit gesellschaftsweiter Unterstützung rechnen kann, wenn man Eva‐ luation zum Zwecke der Entwicklung von Qualität einsetzt bzw. einzusetzen 114 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="115"?> 64 Ein Schelm, wer denkt, von „Evaluation“ wäre nur dann die Rede, wenn es (beispiels‐ weise im Angesicht von Kritik) um Verzögerung, Verschleierung oder Verantwortungs‐ diffusion geht. beabsichtigt. 64 Dies ist vergleichbar mit der Akzeptanz anderer Institutionen wie jener des Vertrags (zur Gestaltung von Kooperation), der Familie (zur Regulierung von biologischer und sozialer Reproduktion), der Schule (zur Bildung von künftigen Generationen), der Universität (zur Ausstattung der Gesellschaft mit Innovationsfähigkeit). Der zweite Blick sieht hier die Verarbeitung von Komplexität (siehe Kap. 1). - Addition statt Funktion Schließlich sticht das aktuell dominierende Qualitätsmanagement-Para‐ digma - vor allem aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive - durch sein im Kern „atomistisches“ Qualitätsverständnis hervor (siehe zur Tradi‐ tion atomistischer und holistischer Zugänge oben Kap. 3.1.2). Die von der DIN EN ISO geprägte Definition von Qualität als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ atmet den Geist der Moderne und insbesondere der neuzeitlichen Wissenschaft, deren bahnbrechender Erfolg auf dem Prinzip fortschreitenden Differenzierung zum Zwecke spe‐ zialisierter Detaillierung beruht. So werden Phänomene erst in ihre einzel‐ nen Bestandteile (Einzelaspekte, Elemente etc.) zerlegt, um dann möglichst genaue Untersuchungen, gegebenenfalls Messungen vornehmen und an‐ schließend die Ergebnisse wieder additiv zusammensetzen zu können. Es ist dieses Prinzip, auf dem auch der Reduktionismus des derzeit dominierenden Paradigmas im Qualitätsmanagement beruht (siehe Abbildung 21): Für die (faktischen) Ausprägungen einzelner Merkmale eines zu „managenden“ Phänomens werden (normative) Anforderungen definiert in der Hoffnung, dass die Summe dieser bestmöglich erfüllten Anforderungen als Teile dann Aufschluss über die Qualität des Phänomens als Ganzes gibt - was aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive zumindest als problematisch gelten muss. 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 115 <?page no="116"?> Abbildung 21: Atomistischer Qualitätsbegriff Dabei zeugt dieser Zugang zu Qualität vom Ursprungskontext des Qualitäts‐ management in Bereichen der technischen Fertigung bzw. in den Ingenieur‐ wissenschaften, wo es vorrangig um Spezifikation einzelner, eigenständi‐ ger physischer Objekte geht. Die diesem Zugang inhärente, vorschnelle Vereinfachung tut allerdings der Emergenz komplexer und insbesondere sozialer Phänomene methodisch-methodologisch Gewalt an, da sie in vielen Bereichen der ganzheitlichen „Gestalt“ von Phänomenen nicht gerecht wird. So ist vor allem Qualität von Leistungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen kaum über noch so elaborierte Kriterienkataloge zu erfassen. Ohne damit die Arbeit mit Indikatoren als solche insgesamt in Frage zu stellen und das sprichwörtliche Kind mit dem Bade auszuschütten, stellt sich doch die Frage nach den Möglichkeiten ihrer Ergänzung um komplementäre und insbesondere funktionale Zugänge, die der Komplexität und insbeson‐ dere der Eigenkomplexität von (sozialen) Systemen und Phänomenen besser gerecht werden können als das mechanistische Prinzip der Addition (Willke 1982, S.-150ff). In sachlicher Hinsicht verleitet konventionelles Qualitätsmanagement dazu, die Qualität eines Phänomens auf die Erfüllung von Erwartun‐ gen an dessen einzelne Elemente zu reduzieren, was angesichts von Emergenz eine vorschnelle Vereinfachung und ein Verzicht auf Ganz‐ heitlichkeit ist. Insbesondere ein funktionales Verständnis (siehe Kap. 5.2.2) ermöglicht uns, Qualität holistisch und emergent als komplexes, nicht-triviales (und daher als ein nur mit hohen Verlusten „trivialisierbares“! ) Phänomen vom Ganzen her zu denken bzw. als „Gestalt“ zu sehen und nicht nur atomistisch-additiv als komplizierte, triviale zusammengesetzte Summe von Teilen. Qualität tritt 116 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="117"?> damit in Erscheinung als das Ergebnis einer Funktion (Cassirer 1920, 1985) - vergleichbar einem mathematischen Raum (der sich nicht additiv aus dessen einzelnen Punkten zusammensetzt) und einem konkreten Gebilde in diesem mathematischen Raum (das als Körper, Fläche oder Linie durch gedankliche Funktionen „erzeugt“ wird). Ganz in diesem Sinne ist beispielsweise die Qualität im Universitäts- und Hochschulbetrieb nur unzureichend begriffen, wenn man diese auf eine Summe von Elementen (ECTS- und Publikationspunkte oder Abschluss- und Drop-out-Quoten) reduziert. Als emergentes, soziales Phänomen geht sie nämlich aus „zwischen“ diesen Elementen liegenden, funktionalen Be‐ ziehungen hervor (Reinbacher 2019), denn: „Die Beobachtung von etwas [also im gegenständlichen Fall: von Qualität; PR] ist […] stets die Funktion dieser Beobachtung [also: von Qualitätsmanagement; PR]“, wie bei Nassehi (2008, S.-91ff) zu lesen ist. Überlegungen wie diese hängen zusammen mit der Vorstellung, dass es sich beim „Wert“ weniger um eine absolut vorhandene Eigenschaft oder Entität handelt, sondern vielmehr um eine Form der Emergenz, die aus sozialen Tauschbeziehungen bzw. „Wechselwirkungen“ entsteht: Es bedarf einer gegenseitigen Bezugnahme von Personen oder Systemen. Werte wechseln nicht einfach als vorhandene Sachverhalte ihre Besitzer*innen, sondern sie gewinnen ihre Objektivität in einem sozialen Prozess (Simmel 1900). Ganz in diesem Sinne handelt es sich bei Qualität ebenfalls um einen Relationsbegriff und sie entsteht gewissermaßen „emergent“ aus einem sozialen Beziehungsgefüge in einer „ökologischen Nische“. Denken wir in diesem Zusammenhang auch beispielsweise auch ganz allgemein an Dienstleistungen, deren Qualität nicht einfach „linear“ als Erfüllung von Erwartungen im Zuge der Leistungserbringung verstanden werden kann. Noch deutlicher als im Fall von Produkten sehen wir hier, dass die Lücke bzw. der „gap“ (vgl. Grönroos 1990, Parasuraman, Zeit‐ haml & Berry 1985; siehe dazu Kap. 1.2) nicht von einer, nämlich der Anbieter-Seite geschlossen werden kann, sondern dass hierzu von beiden Seiten ein Beitrag geleistet werden muss. Dies liegt nur zum Teil an jener „Koproduktion“ von Dienstleistungen, die aus klassischen Konsumenten heute „prosumer“ bzw. „Prosumenten“ macht (vgl. Toffler 1980; siehe dazu Kap. 1.2) und die vor allem für das Gelingen schulischer und hoch‐ schulischer Bildungsprozesse, sozialarbeiterischer Beratungsgespräche oder medizinischer Behandlungsverläufe konstitutiv ist. Darüber hinaus sollten wir uns nämlich vergegenwärtigen, dass in den meisten Zusammenhänge 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 117 <?page no="118"?> 65 Es gibt auch kontra-intuitive Forschungsergebnisse, die zeigen, dass höhere Erwar‐ tungen sogar im Fall ihrer Enttäuschung, also: trotz eines größeren „gap“, zu mehr Zufriedenheit, also: zu höherer subjektiver Qualität führen können (Oliver 1981ab). 66 Dirk Baecker (2006. S. 88) schreibt dazu: „René Girard […] ist es gelungen, die anthropologische Prämisse, dass der Mensch durch seine Bedürfnisse bestimmt sei und seine Identität aus einer möglichst genauen Kenntnis dieser Bedürfnisse sowie einer einfallsreichen Suche nach den Möglichkeiten ihrer Befriedigung gewönne, aufzulösen und die Annahme, dass der Mensch nicht wüsste, was er will, wenn er nicht sähe, was andere wollen, an ihre Stelle zu setzen [… sodass] die Lösung dieses Problems darin besteht, das Begehren anderer zu imitieren, die sich nichts sehnlicher wünschen, als in ihrem Begehren bestätigt zu werden […]“. ein Leistungs-Angebot sowohl bereits vorhandene Nachfrage-Erwartungen erfüllt als auch neue Erwartungen stimuliert, weshalb wir es mit zirkulären anstelle von linearen Kausalitätsbeziehungen zu tun haben (vgl. Reinbacher 2018). 65 Unterstützung erfährt diese Überlegung einerseits durch die von René Girard beschriebenen Prozesse der „Mimesis“ (also der wechselseiti‐ gen Nachahmung 66 ) sowie andererseits zu der von Joseph A. Schumpeter beschriebenen Rolle des „Entrepreneurs“ (also des Unternehmers): Weil Kund*innen, Konsument*innen, Klient*innen etc. oft gar nicht genau wissen (können), was sie sich wirklich wünschen (sollen), bevor sie nicht sehen, was denn alles möglich ist, orientieren sie sich einerseits an dem, was ihre Mitmenschen tun, und andererseits an dem, was innovative Geister und kreative Genies entwickeln. Auf diesen Einsichten beruht, wenngleich zu‐ meist eher implizit, die Idee von „Open Innovation“ (Chesbrough 2003), bei der in die Entwicklung von neuen Angeboten neben internen Abteilungen auch externe Anspruchsgruppen eingebunden werden, sodass es sich um einen systemischen, funktionalen Modus der wechselseitigen Entwicklung von möglichen Erwartungen und Möglichkeiten ihrer Erfüllung handelt. 3.3.2 Exkurs: ultra posse nemo obligatur? Bei der derzeit dominierenden Diskussion von „Qualität“ entlang der Dif‐ ferenz von realem „Soll“ und idealem „Ist“ wird zumeist stillschweigend vorausgesetzt, dass die definierten (idealen) Anforderungen auch (real) tatsächlich erfüllt werden können. Mit anderen Worten: Bei noch genauerem Hinsehen als im vorangegangenen Kap. 3.3.1 kommt zumindest eine weitere, dritte Unterscheidung hinzu - nämlich die Abgrenzung des real Angetrof‐ fenen (Sein) und des ideal Angestrebten (Sollen) auf der einen Seite zum potentiell Möglichen (Können) auf der anderen Seite. Denn: Es gelten im 118 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="119"?> 67 „Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet“ (oder „Nichts ist Pflicht bei Unmöglichkeit“) bedeutet sinngemäß, dass kein Mensch zu einem bestimmten Handeln - bzw. im Fall von Qualität: zu einem Erfüllen von Anforderungen - verpflichtet werden kann, wenn ihm dies ganz offensichtlich (aus welchen Gründen auch immer) nicht möglich ist. 68 Mit anderen Worten: Wert gewinnt für uns nur etwas, das diesseits einer gewissen Schwelle der Erreichbarkeit liegt (also: nicht unerreichbar ist). Umgekehrt lässt sich mit Georg Simmel (1900) vermuten, dass zu wenig idealistische Forderungen nicht zu Motivation führen, weil es des Überschreitens einer bestimmten Schwelle bedarf, jenseits derer etwas für uns an Bedeutung gewinnt (also: nicht selbstverständlich ist). Bereich von Qualität und Qualitätsnormen wohl sinngemäß juridische bzw. moralische Grundsätze im Umgang mit Normen wie beispielsweise jene des ultra posse nemo obligatur (oder des impossibilium nulla est obligatio). 67 Immerhin macht es auch im Kontext von Qualitätsmanagement wenig Sinn, sich beim Streben nach Qualität am Seienden, am Gesollten sowie an der Annäherung des einen an das andere unabhängig vom Gekonnten - also davon, ob dieses von den Betroffenen (zumindest: potentiell) gekonnt wer‐ den kann -, zu orientieren. Im Gegenteil: Es führt offensichtlich vor allem zu Frustration, wenn unrealistische Forderungen formuliert werden. 68 Man denke an Lehrer*innen, die sich einerseits mit der Erwartung, Schüler*innen möglichst individuell zu fördern, andererseits (wegen eines Mangels an pädagogischem und unterstützendem Personal) mit immer größeren Schul‐ klassen konfrontiert sehen. Oder man denke an Sozialarbeiter*innen, von denen einerseits der Aufbau belastbarer Beziehungen zu ihren Klient*innen, andererseits die Bewältigung eines zunehmenden Pensums an Beratungs‐ leistungen zur Zufriedenheit der Klient*innen im Zwangskontext erwartet wird. Und man denke an Außendienstmitarbeiter*innen, die einerseits Kund*innen langfristig gut betreuen (was mitunter bedeutet, von einem Kauf erst einmal abzuraten), und andererseits kurzfristige Umsatzziele erreichen sollen. 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 119 <?page no="120"?> Abbildung 22: Qualität als Einheit von drei Unterscheidungen Diese wenigen Beispiele verdeutlichen einerseits noch einmal die oben be‐ reits beschriebene Funktion von Qualität als „Kontingenzformel“, denn mit ihr lassen sich unterschiedlich und sogar widersprüchliche Anforderungen als Kriterien für „Qualität“ definieren, sodass unbestimmte in bestimmte Kontingenz umgewandelt wird (wie Individualisierung und Industrialisie‐ rung in der Schule, Zufriedenheit und Zwang in der Sozialen Arbeit, Bedarf der Kund*innen und Budget der Firma im Außendienst). Zugleich zeigen diese Beispiele, dass Qualität sich als Einheit nicht nur einer Differenz, sondern sogar dreier Differenzen konstituiert bzw. dass Qualität sich aus einer Dreiheit der Differenzerfahrung, die es zur Synthese zu bringen gilt, speist (siehe Abbildung 22). Für die Bestimmung von „Qualität“ ist im Qualitätsmanagement nicht nur eine doppelte, sondern sogar eine dreifache Differenzerfahrung konstitutiv: Neben dem normativen bzw. idealen „Sollen“ und dem faktischen bzw. realen „Sein“ bedarf es der Berücksichtigung des tat‐ sächlichen „Könnens“. Das wiederum kann als weiteres Indiz dafür angesehen werden, dass es sich bei „Qualität“ als dem Gegenstand von Management um ein komplexes Geflecht sozialer Operationen (auf der Basis von Grenzziehungen) handelt, 120 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="121"?> 69 Da Professionen im Zuge der sozialen Evolution vorrangig dort entstehen, wo es gilt, zentrale Werte der Gesellschaft quasi treuhänderisch zu verwalten, um auf Formulie‐ rungen von Talcott Parsons und Niklas Luhmann in Kombination zurückzugreifen, nämlich beispielsweise Gesundheit (Medizin), Gerechtigkeit ( Juristerei) oder Glauben (Geistliche), müsste hierfür in systemisch-systemtheoretischer Perspektive das von Management betreute Wertprinzip bestimmt werden - also zum Beispiel „Effizienz“. 70 „Es hat doch den Anschein, als wäre das Analysieren der dritte jener ‚unmöglichen‘ Berufe, in denen man des ungenügenden Erfolgs von vornherein sicher sein kann. Die beiden anderen, weit länger gekannten, sind das Erziehen und das Regieren.“ (Freud 1937, S.-236). die in Wechselwirkung stehen und die sich der Trivialisierung durch di‐ rekte Steuerung entziehen. Angemessener ist daher eine Art „indirekte Rahmensteuerung“ (Willke 1998; siehe dazu auch Kap. 2.3). Nicht zuletzt lässt sich daraus ein Argument zugunsten jener Forderungen konstruieren, die für eine „echte“ Professionalisierung von Management plädieren (z. B. Khurana & Nohria 2008). 69 Immerhin werden Professionen dort tätig, wo direkte Steuerung kaum möglich ist und Versuche der Trivialisierung wenig Erfolg versprechen. Zum Beispiel haben Ärzt*innen und Lehrer*innen es stets mit nicht-trivialen Systemzusammenhängen zu tun (vor allem: Organismus, Psyche und Soziales), weshalb ein struktureller Eingriff nicht möglich ist: Weder lässt sich ein Organismus direkt durch Behandlung heilen noch lässt sich ein Bewusstsein direkt mit Wissen „füttern“ - was Sigmund Freud veranlasst hat, von zumindest drei, wie er sagt „unmöglichen Berufen“ zu schreiben, nämlich vom Erziehen, vom Regieren und vom Psy‐ choanalysieren. 70 Demgegenüber geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, Impulse zu setzen etc., die auf indirektem Wege zur gewünschten Veränderung führen können: Das Ruhigstellen eines gebrochenen Arms oder das Erklären eines mathematischen Rechenbeispiels sind Versuche, die Selbstorganisation des betroffenen Systems zu unterstützen (also das Zusammenwachsen der Knochen oder das Anwenden abstrakter Formeln). Da alle diese verschiedenen Versuche, gewünschte Veränderungen herbei‐ zuführen, sowohl gelingen als auch (trotz Fachwissen, Erfahrung usw.) scheitern können, tragen Angehörige einer Profession immer ein erhebli‐ ches Risiko, und es ist die Übernahme dieses Risikos, das ihnen von der Gesellschaft mit Prestige abgegolten wird (vgl. Luhmann 2002, Kap. 6). 3.3 Das aktuelle Qualitätsmanagement-Paradigma und seine Grenzen 121 <?page no="122"?> Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Welche Frage steht in den systemtheoretischen Ansätzen von Talcott Parsons und Niklas Luhmann jeweils im Zentrum und wie lautet ihre Antwort? Welche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen System und Umwelt als „ökologische Nische“? ● Was waren wichtige Entwicklungsschritte im systemischen Denken bzw. in der systemtheoretischen Diskussion (z. B. in Bezug auf Kausalität und Rationalität oder Selbstreferenz und Selbstorganisation)? ● Wie ist es zu verstehen, dass es sich bei Management im engeren Sinne um eine intern ausdifferenzierte Funktion von sozialen Systemen, ins‐ besondere von Organisationen handelt, und was sind Voraussetzungen dafür? ● Welche vier generischen Zugangsweisen lassen sich im Qualitätsma‐ nagement unterscheiden? Was ist ihrer gemeinsame „implizite Gram‐ matik“ und wo liegen die Grenzen des derzeitigen Paradigmas im Qualitätsmanagement? 122 3 Grundlagen und Hintergründe <?page no="123"?> 4 Methoden und Techniken Dieses Kapitel präsentiert ● systemtheoretische Überlegungen zur Funktion von Methoden und Techniken bei der Balance von Redundanz und Varietät im (Qualitäts-)Management. ● niederschwellige Herangehensweisen für das systemische Ma‐ nagement von Qualität zum Planen und Analysieren, Lenken und Entwickeln sowie Prüfen und Evaluieren. ● eine neue, systemisch-systemtheoretisch informierte Sicht auf be‐ kannte Werkzeuge wie die SMARTe Zielformulierung oder die SWOT-Analyse. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1195 Im Anschluss an die Anwendung der allgemeinen, systemisch-systemthe‐ oretischen Sichtweise in der Tradition von Talcott Parsons und Niklas Luhmann (siehe Kap. 3.1) auf die grundlegenden Prinzipien und die klas‐ sischen Modelle des konventionellen Qualitätsmanagement (siehe Kap. 3.2) stellt dieses Kapitel nun einige konkrete Methoden und Techniken für das systemtheoretisch informierte systemische Qualitätsmanagement vor. Es geht dabei nicht so sehr um ausgefeilte, aufwändige „technische Tools“ - denn elaborierte Werkzeuge sind in der einschlägigen, teils branchenspe‐ zifischen Literatur ausführlich beschrieben (vgl. klassisch: Kanji & Asher 1996) bzw. in langen Listen organisiert, zum Beispiel als „Sieben Werk‐ zeuge der Qualität“ (Ishikawa 1985ba). Im Mittelpunkt steht bei diesen Klassikern neben der Erfassung und Analyse von Fehlern vor allem die Anwendung mathematischer bzw. statistischer Methoden. Demgegenüber werden hier eher niederschwellige und daher sowohl rasch als auch bereits bei bescheidener Ressourcenausstattung umsetzbare Möglichkeiten für den unmittelbaren Management- und Organisationsalltag untersucht, und zwar sowohl mit Blick auf praktische Anwendbarkeit als auch in Hinblick auf systemtheoretische Implikationen. Die getroffene Auswahl orientiert sich einerseits an der „impliziten Grammatik“ des Qualitätsmanagement (siehe <?page no="124"?> 71 Hinweisen dazu sehe ich unter paul.reinbacher@ph-ooe.at mit großem Interesse entgegen. Kap. 3.2.2) sowie an einigen zeitlichen, sozialen und sachlichen Aspekten des aktuellen Qualitätsmanagement-Paradigmas (siehe Kap. 3.3.2), andererseits an persönlichen Erfahrungen, weshalb sie auf Entscheidungen beruht, die ihrerseits „kontingent“ sind, sodass in Abhängigkeit vom jeweiligen Erfahrungshintergrund und vom jeweils eingenommenen Standpunkt ent‐ sprechende Ergänzungen möglich wären. 71 Zuvor stellt sich aber noch die grundsätzliche Frage nach der Funktion von Methoden und Techniken. Dabei lohnt ein Blick auf die Wissenschaft (vgl. Luhmann 1990; siehe Abbildung 23). Hier übernehmen (empirische) Methoden im Wechselspiel mit Theorien die Steigerung von Varietät (also: Veränderung, Überraschung, Dynamik etc.) und Redundanz (also: Stabilität, Vorhersehbarkeit, Statik etc.). Während Theorien sich an der Richtigkeit von Aussagen als Ziel orientieren, sind Methoden an der Richtigkeit der Wege zu diesen Aussagen ausgerichtet. Zusammen dienen die beiden als „Programme“ dazu, einer konkreten Aussage jeweils einen der zwei wissenschaftlichen Code-Werte wahr/ nicht-wahr zuzuordnen, wobei diese Zuordnung selbst nicht „wahr“ (oder „nicht-wahr“), sondern nur „richtig“ (oder „falsch“) sein kann. Theorien und Methoden sind einerseits durch das Postulat der Prüfbarkeit verbunden und werden andererseits durch wis‐ senschaftliche Argumentation (mit „Erklärung“ als Sonderform) balanciert. Außerdem lassen die beiden sich wechselseitig aufeinander anwenden, was in der Terminologie von George Spencer-Brown (1969) einem Wiedereintritt der Unterscheidung zwischen Theorie und Methode in das Unterschiedene entspricht und zur Theorie der Methoden (Methodologie bzw. Methoden‐ lehre) und zur methodisch angeleiteten Wahl der Theorie für die Entfaltung einer Argumentation führt. 124 4 Methoden und Techniken <?page no="125"?> Abbildung 23: Funktion von Methoden in Wissenschaft und Management Für (Qualitäts-)Management vermuten wir einen ganz ähnlichen Mechanis‐ mus, wobei (praktische) Methoden in diesem Zusammenhang für Varietät als komplementäre Ergänzung zur Redundanz der Organisation sorgen. Die Organisation wiederum ist mit Methoden durch das Postulat ihrer Planbar‐ keit verbunden, auf deren Basis sich in weiterer Folge ebenfalls Redundanz und Varietät durch Adaption balancieren lassen. Als Programme dienen die beiden der Entscheidung darüber, ob bestimmte Zwecke erreicht oder nicht-erreicht worden sind. Eine wechselseitige Anwendung der beiden führt letztlich zum organisierten Einsatz von Methoden und zur methodischen Gestaltung von Organisationen. Methoden stellen aus systemisch-systemtheoretischer Sicht „Pro‐ gramme“ dar. In der Wissenschaft sorgen sie als Gegenspielerinnen der Theorie, im Qualitätsmanagement als Gegenspielerinnen der Orga‐ nisation für jene „Varietät“, die mit ihrem Gegenpol der „Redundanz“ balanciert werden muss. Hinzu kommt, dass es sich bei Qualität nicht einfach um einen evidenten bzw. ggf. selbst-evidenten Sachverhalt der uns umgebenden empirischen Realität handelt - mit anderen Worten, dass der Qualität als dem Gegenstand von Management im Kontext von Qualitätsmanagement in der Welt der 4 Methoden und Techniken 125 <?page no="126"?> Fakten draußen nichts unmittelbar entspricht (vgl. dazu bereits ausführlich Reinbacher 2019, Kap. II), sodass Methoden und Techniken darüber hinaus die Funktion zukommt, Qualität als fiktives Gebilde zu konstruieren. Ganz im Sinne der - zwischen Kant und Konstruktivismus angesiedelten - „Philosophie des Als ob“ (vgl. Vaihinger 1922 [1911] und dazu Ortmann 2004) handelt es sich bei dieser Fiktionalität allerdings keineswegs um ein Defizit oder gar um einen Defekt, sondern vielmehr um einen geschickten Kunstgriff. Als Fiktion ist Qualität nämlich nicht, wie der naive Geist vielleicht annehmen könnte, weniger real als die Realität rundum, sondern als soziale Konstruktion selbst ein Teil dieser Realität: „In einer Welt, die immer undurchschaubarer wird, beruht die Realität der Fiktion gerade auf der Durchschaubarkeit der Täuschung“, wie Esposito (2007, S. 16) schreibt. Grundlage dafür ist, ein künstliches Vorstellungsgebilde zu konstruieren und damit dann etwas explizit Unwirkliches an die Stelle des implizit Wirklichen zu setzen, ohne dass dieses jemals der Wirklichkeit entsprechen kann oder soll. Demgegenüber kann das Management erst mit einem solchen fiktiven Gebilde arbeiten - und zwar ganz so als ob es ein wirkliches Gebilde bzw. ein Gebilde der Wirklichkeit wäre. Qualität ist demnach tatsächlich die Erfindung einer Lügnerin bzw. eines Lügners (vgl. von Foerster & Pörksen 1998), allerdings eine Erfindung, die sich nicht durch empirische Falsifizierbarkeit, sondern durch praktische Angemessenheit bewährt. Bei „Qualität“ handelt es sich um ein internes kommunikatives Kon‐ strukt, genauer gesagt: um eine „Fiktion“, der in der Wirklichkeit draußen nichts unmittelbar entspricht. Dieser Kunstgriff ermöglicht dann die Entwicklung und den Einsatz spezifischer Kunstregeln des Qualitätsmanagement. All dies erinnert durchaus an den bereits geschilderten Charakter von Qualität und deren Management als einer gesellschaftlichen Institution, denn als solche beruht Qualitätsmanagement immer auf Vorgriffen bzw. auf Vorleistungen, die einer nachträglichen, gewissermaßen selbst bewirkten Einlösung bedürfen. Kurz: Kern von Qualitätsmanagement ist auch die Hoffnung auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Dies aber ist nichts Ungewöhnliches - beginnt es doch bereits beim Gelingen basaler Kommu‐ nikation als dem Element des Sozialen, denn: „Wir müssen sprechen und handeln, als ob, was gestern sich bewährt hat, sich auch heute oder morgen 126 4 Methoden und Techniken <?page no="127"?> 72 An dieser Stelle wird auch der Unterschied zwischen Fiktion und Fake deutlich: Während die ersten sich in Opposition zu den Fakten begeben, „verkleiden“ sich die zweiten als Fakten, sind also deren Simulation, was sie zu verschleiern versuchen, sodass sie besonders real oder sogar realer als die Realität erscheinen und - mit anderen Worten und wie Ernst Bloch gesagt haben soll: „Die Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie echter aussieht.“ wieder bewähren werde; als ob Kommunikation nicht unwahrscheinlich wäre; als ob Konsens herzustellen normalerweise problemlos gelänge.“ (Ortmann 2004, S.-11f.) Als Fiktion muss sich Qualität also bewusst in Opposition zu Fakten begeben, sich „kontradiktorisch zum Gegebenen verhalten“ und damit zunächst „den Boden der Wirklichkeit verlassen“ bzw. „sich in der Luft bewegen“ (Vaihinger 1922, S. 128). 72 Auf diesem Kunstgriff des Qualitätsma‐ nagement beruhen dann in weiterer Folge dessen Kunstregeln, also jene Methoden und Techniken, mit denen in letzter Konsequenz die Annäherung einer faktischen Realität an einen normativ geforderten, „kontrafaktischen“ Zustand erreicht werden soll. 4.1 Planen und Analysieren Die in diesem Abschnitt behandelten Methoden und Techniken orientieren sich an der Leitdifferenz von innen/ außen und vermitteln demnach in der sozialen Dimension zwischen System und Umwelt. 4.1.1 Qualitätsvorstellungen präzisieren Da es Qualitätsmanagement mit einem relativen Qualitätsbegriff zu tun hat, ist es zunächst erforderlich, die Vorstellungen von dem, was jeweils in einem bestimmten Kontext bzw. in einer System-Umwelt-Konstellation unter „Qualität“ verstanden werden soll, zu konkretisieren. Dies führt dann zu jenen normativen Soll-Werten, mit denen faktische Ist-Werte verglichen werden, um Qualität als „Grad der Erfüllung“ feststellen und zum Gegen‐ stand von Management machen zu können (siehe Kap. 3.3.2). Am Beginn stehen meist die notwendigerweise vagen Formulierungen in Leitbildern, deren integrative Kraft für (formal organisierte) soziale Systeme gerade darauf beruht, dass die enthaltenen, allgemeinen Werte von möglichst vielen Mitgliedern mitgetragen werden können. Das aber ist nur 4.1 Planen und Analysieren 127 <?page no="128"?> 73 Mitunter wird bereits gefordert, dass Ziele sogar SMARTER, also zusätzlich ecological und resourced sein und damit auch ökologische und ökonomische Aspekte berücksich‐ tigen sollten. möglich, wenn die verwendeten Begriffe im Sinne von „Kontingenzformeln“ (siehe Kap. 2.1) inhaltlich ausreichend flexibel sind, um unterschiedliche Zuschreibungen zu ermöglichen. Beispielsweise formulieren Spitäler in ihren Leitbildern in der Regel allgemein akzeptierte Ansprüche wie eine qualitätsbewusste Arbeitsweise und bestmögliche Versorgungsqualität, ein hohes Niveau und eine state-of-the-art-Qualität in der Medizin und in der Pflege oder die Verbindung von Menschlichkeit mit hohen fachlichen Standards und hoher Qualität in Diagnostik, Pflege und Therapie. Auf Inhalte wie diese sowie die darin zum Ausdruck kommende grundsätzliche Ausrichtung des Handelns können sich vermutlich viele Krankenhausmit‐ arbeiter*innen verständigen - und auch die Zustimmung der Patient*innen kann grundsätzlich angenommen werden. Voraussetzung für das Qualitätsmanagement ist aber die Präzisierung der unscharfen Formulierungen, denn Management braucht präzise Ziele, wie der „Management-Papst“ Peter Drucker stets betont hat: To be able to control his own performance, a manager needs to know more than what his goals are. He must be able to measure his performance and results against the goal. These measurements need not be rigidly quantitative; nor need they be precise. But they have to be clear, simple, and rational. They have to be relevant and direct attention and efforts to where they should go. They have to be reliable - at least to the point where their margin of error is acknowledged and understood. And they have to be, so to speak, self-announcing, understandable without complicated interpretation or philosophical discussion. (Drucker 1954, S.-131) Üblich ist in diesem Zusammenhang die Orientierung am eingängigen Akro‐ nym SMART (Doran 1981), wonach Ziele stets specific, measurable, achie‐ vable, reasonable und time-bound formuliert sein sollen: 73 Specific (alternativ: simple, significant) bedeutet, dass der angestrebte Zielzustand in erster Linie klar und eindeutig, sowie nach Möglichkeit auch einfach verständlich definiert und für das System samt dem den beteiligten Akteur*innen als 128 4 Methoden und Techniken <?page no="129"?> aussagekräftig anerkannt sein sollte. Measurable (alternativ: motivational, manageable) heißt, dass die Zielerreichung eindeutig feststellbar und idea‐ lerweise messbar sein sowie darüber hinaus für die handelnden Personen einen motivierenden Anreiz darstellen und deshalb auch durch das Handeln beeinflussbar sein sollte. Achievable (alternativ: accepted, ambitious, attrac‐ tive) bringt zum Ausdruck, dass die Ziele nicht utopisch, sondern tatsächlich erreichbar sowie außerdem als solche akzeptiert und nichtsdestotrotz auch anspruchsvoll sein sollten. Reasonable (alternativ: relevant, realistic) zielt darauf ab, dass Zielformulierungen angemessene und damit sowohl relevante als auch realistische Vorhaben bzw. Vorgaben beinhalten sollten, um für das Management bzw. für die Mitglieder eines Systems von Nutzen zu sein. Time-bound (alternativ: time-oriented, timed) weist zu guter Letzt auf die Bedeutung terminierter Zielfestlegungen hin, damit definiert ist, wann eine Messung der Zielerreichung sowie eine etwaige Formulierung von Maßnahmen zur Anpassung sinnvollerweise möglich ist. Qualitätsmanagement hat die Aufgabe, zunächst unscharfe Vorstellun‐ gen von Qualität schrittweise zu konkretisieren und mittels möglichst präziser Zielformulierungen zu operationalisieren, um sie letztlich über Indikatoren und Kennzahlen dem Management zugänglich zu machen. Von einem auf diese Art und Weise präzise in Zielformulierungen gefassten Qualitätsbegriff ist es dann nicht mehr weit zu (qualitativen) Indikatoren und (quantitativen) Kennzahlen als wesentlichen Parametern für das Qua‐ litätsmanagement (siehe Abbildung 24 links). Für den oben genannten Fall eines Krankenhauses wäre eine Präzisierung des Leitbildes beispielsweise dahingehend möglich, mittels der Kennzahl „Anzahl der Verstorbenen im Verhältnis zur Anzahl der Patient*innen“ festzulegen, wie hoch der Anteil jener Patient*innen, die im Krankenhaus mit einer bestimmten Diagnose versterben, höchstens sein sollte („Todesfälle bei Hauptdiagnose H maximal p Prozent pro Jahr“), oder mittels der Kennzahl „Wiederaufnahmen im Verhältnis zu allen Erst- und Wiederaufnahmen“ zu definieren, wie hoch der Anteil an Patient*innen, die nach ihrer Entlassung mit derselben Diagnose erneut aufgenommen werden müssen, höchstens sein sollte, um den Wert „bestmögliche Versorgungsqualität“ zu konkretisieren. 4.1 Planen und Analysieren 129 <?page no="130"?> 74 Dies erinnert an das deskriptive „Mülleimer-Modell“ der Organisation (englisch „gar‐ bage can“), mit dem Cohen, March & Olsen (1972) eine Alternative zu den über lange Zeit vorherrschenden, normativen Entscheidungsmodellen vorgelegt und zugleich den Glauben an lineare, kausale Zweck-Mittel-Rationalität in Organisationen nachhaltig erschüttert haben. Abbildung 24: Schema der SMARTen Zielformulierung zur Komplexitätsreduktion Eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise kann außerdem einerseits berücksichtigen, was bereits Talcott Parsons deutlich gesehen hatte: Näm‐ lich, dass die Festlegung und insbesondere die Erreichung von Zielen keine rein systeminterne Angelegenheit darstellt, sondern dass darin eine Beziehung zwischen dem sozialen System und seiner Umwelt bzw. einem relevanten Bereich seiner Umwelt zum Ausdruck kommt. Insofern ist Qualitätsmanagement bereits in der Phase der Definition von Qualität durch Ziele mehr als eine (interne) Funktion des Systems, genauer gesagt ein Vermittlungsmechanismus zwischen dem System und seiner (externen) Umwelt, der für die Passung interner System- und externer Umweltzustän‐ den sorgt. Mit Niklas Luhmann lässt sich andererseits nochmals an den wechselseitigen Bedingungszusammenhang der Reduktion und Produktion von Komplexität erinnern (siehe Abbildung 24 rechts): So sorgen zwar die Formulierung SMARTer Ziele und die Definition von Indikatoren bzw. Kennzahlen zunächst durch ihre Verdichtung von Informationen für Komplexitätsreduktion. Anschließend führt die Interpretation dieser ver‐ dichteten Informationen in der Praxis des Entscheidens aber zwangsläufig zu Komplexitätsproduktion, weil aus Indikatoren bzw. Kennzahlen keine eindeutige Strategie- oder Handlungsempfehlung folgt. 74 Ziele vermitteln einerseits in der Beziehung zwischen dem System und seiner Umwelt, andererseits zwischen der Komplexitätsreduktion durch 130 4 Methoden und Techniken <?page no="131"?> Verdichtung von Information und der Komplexitätsproduktion durch Interpretation in der Praxis des Entscheidens. 4.1.2 System-Umwelt-Nische analysieren Die SWOT-Analyse zur Diagnose von Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren (daher das englische Akronym aus Strengths, Weaknesses, Oppor‐ tunities und Threats) ist ebenfalls eine bekannte und beliebte Technik, mit der sich Organisationen und andere soziale (Handlungs-)Systeme im Prinzip sehr einfach beschreiben und in Bezug auf ihr Potential in der Umwelt beurteilen lassen, um anschließend Handlungsfelder zu identifizieren und konkrete Maßnahmen zu formulieren (dazu ausführlich Reinbacher 2009). Auch mit ihr lässt sich eine methodische Brücke zwischen System und Umwelt bzw. zwischen der Binnenperspektive des sogenannten „Re‐ source-Based-View“ (Gary Hamel, C. K. Prahalad, Edith A. Penrose) und der Außenperspektive des „Market-Based-View“ (Michael E. Porter) schlagen. An zentraler Stelle steht dabei die Unterscheidung danach, ob die Ursachen für (tatsächliche oder potentielle) Erfolge und Misserfolge vorrangig im Sys‐ tem (= Stärken und Schwächen) oder in der Umwelt (= Chancen und Gefah‐ ren) zu suchen sind. Verbreitet wird noch immer davon ausgegangen, dass diese vier Aspekte, also Stärken und Schwächen, Chancen und Gefahren, „an sich“ bzw. unabhängig voneinander existieren und dementsprechend unabhängig voneinander ermittelt werden können. Jedoch zeigt spätestens eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise, dass sowohl Stärken und Schwächen als auch Chancen und Gefahren kontextabhängig konstruiert sind und vor allem nur wechselseitig bestimmt werden können. Situationen in der Umwelt stellen nämlich Chancen (oder Risiken) nur dann dar, wenn auf Seiten des Systems die entsprechenden Eigenschaften als Voraussetzung vorhanden sind (oder fehlen), um diese Situationen erfolgreich zu nutzen. Umgekehrt stellen Eigenschaften des Systems nur dann Stärken (oder Schwächen) dar, wenn die Umwelt entsprechende Situa‐ tionen bietet (oder nicht bietet), die sich mit diesen Eigenschaften nutzen lassen. Beispielsweise ist das Traditionsbewusstsein einer Schule bzw. einer Schulform wie des klassischen, humanistischen Gymnasiums eine Stärke in einer Situation, in der die Gesellschaft und die Stakeholder, allen voran die Eltern auch entsprechende Bildung erwarten, weshalb sich für dieses System 4.1 Planen und Analysieren 131 <?page no="132"?> in dieser Umwelt dann daraus Chancen ergeben. Sobald sich die Situation ändert und eher kompetenzorientierte berufliche Ausbildung erwartet wird, kann sich eine ehemalige Stärke sogar als Schwäche herausstellen und damit eine ehemalige Chance zur Gefahr werden. Natürlich können die Auslöser für veränderte Umwelten ihren Ausgang zunächst bei Veränderungen von Systemen nehmen und sich von dort aus in der Umwelt fortpflanzen - man denke an „Disruption“ durch „bahnbrechende Technologien“ (Christensen 1999) wie Personal Computer, World Wide Web und Kryptowährungen oder die jüngsten Debatten über den Einsatz von „künstlicher Intelligenz“ samt deren Risiken, die jeweils für alle Marktteilnehmer*innen zu einer radikalen Umgestaltung ihrer Umgebung geführt haben. Sowohl Stärken und Chancen als Schwächen und Gefahren existieren nicht unabhängig voneinander, sondern konstituieren sich durch wech‐ selseitige Bezugnahme aufeinander. Wo Stärken eines Systems auf Chancen in dessen Umwelt treffen, kann Qualität entstehen. Qualität kann also, wie sich unschwer erkennen lässt, nur dort entstehen, wo die Stärken eines Systems auf Chancen in seiner Umwelt treffen bzw. wenn es dem Management gelingt, die Schwächen-Gefahren-Konstellatio‐ nen durch geschickte Steuerung und Entwicklung in Stärken-Chancen-Kon‐ stellationen zu transformieren (siehe Abbildung 25). Qualitätsmanagement kommt demnach also auch hier wieder in den Blick als Vermittlungsmecha‐ nismus zwischen einem System und seiner Umwelt. Das Management von Qualität mit der Absicht ihrer Erreichung und Entwicklung ist weder der einseitige Versuch einer Anpassung des Systems an die Umwelt noch der einseitige Versuch einer Veränderung der Umwelt zugunsten des Systems. Nicht zuletzt kommt darin jener relative Qualitätsbegriff, der das herr‐ schende Paradigma des Qualitätsmanagement bestimmt, zum Ausdruck: Qualität ist kein objektiver, ein für alle Mal festzustellender Sachverhalt in der Welt, sondern das Ergebnis eines der Veränderung unterliegenden (mikro-)politischen Verhandlungs- und Aushandlungsprozesses samt der diversen, damit einhergehenden Macht- und Entscheidungsprobleme - man denke nur an das vorhin genannte Beispiel der Qualität im Bildungswesen, wo sich Schulen und Hochschulen nun an kompetenzorientierten Zielen ausrichten. 132 4 Methoden und Techniken <?page no="133"?> Kurz: Qualität, die aus der Passung von Stärken und Schwächen einerseits sowie Chancen und Gefahren andererseits hervorgeht bzw. hervorgehen kann, ist in systemisch-systemtheoretischer Sichtweise zu verstehen als Konstellation stabilisierter Muster, die aus kombinierten System-und-Um‐ welt-Zuschreibungen entstehen. Diese definieren sich wechselseitig und bezeichnen in diesem Sinne gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille, die wir im Fall eines positiven „Match“ als Qualität bezeichnen. Während die klassische Anwendung der SWOT-Analyse von dem (scheinbar) einfachen Prinzip der eindeutigen Gegenüberstellung interner und externer Aspekte eines (formal organisierten) sozialen Systems ausgeht, ist die Methode spä‐ testens auf den zweiten Blick doch voraussetzungsvoller in ihren Prämissen: Die analytisch unterscheidbaren Aspekte lassen sich nämlich weder kon‐ textfrei noch unabhängig voneinander bestimmen, weil sie stets aufeinander verweisen. Es handelt sich jeweils um Zuschreibungen zum System oder zur Umwelt, die Merkmale mit Blick auf bestimmte Ziele bewerten. Abbildung 25: Schema der SWOT-Analyse aus systemisch-systemtheoretischer Sicht 4.2 Lenken und Entwickeln Die in diesem Abschnitt behandelten Methoden und Techniken orientieren sich an der Leitdifferenz von kognitiv/ normativ und balancieren daher in der zeitlichen Dimension zwischen Statik und Dynamik. 4.2 Lenken und Entwickeln 133 <?page no="134"?> 75 Im unternehmerischen Kontext ist meist von „Geschäftsprozessen“ die Rede. Dem‐ gegenüber wird im universitären Kontext gern der Begriff „Verfahren“ verwendet (siehe nur die bereits genannten „European Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area“). Max Weber hatte seinerzeit mit den „Amtswegen“ wohl Ähnliches im Sinn. 76 Kund*innen sind im Kontext des Prozessmanagement nicht nur externe Abnehmer*in‐ nen von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch intern jene Kolleg*innen, die auf Vorarbeiten bzw. Vorleistungen angewiesen sind. Im weiteren Sinne zählen auch Lieferant*innen dazu, da die Austauschbeziehungen grundsätzlich symmetrisch sind (vgl. dazu Reinbacher 2018). 4.2.1 Prozesse definieren Ausgehend von den Anforderungen der Kund*innen dienen Prozesse dazu, ebendiese Anforderungen durch normativ auf Dauer festgelegte Abfolgen verbundener Aktivitäten, Arbeitsschritte, Aufgaben etc. zu erfüllen und so zur Zufriedenheit dieser Kund*innen beizutragen. Mit anderen Worten: Prozesse sind nach der Frage des „Warum? “ und der Frage des „Was? “ für ein (organisiertes) System die Antwort auf die Frage des „Wie? “. Nicht umsonst steht daher das Management der Prozesse 75 in bekannten QM-Konzepten wie der DIN EN ISO oder dem EFQM-Modell an zentraler Stelle (siehe Kap. 3.2.1). Während in der klassischen Organisations- und Managementlehre die statische „Aufbauorganisation“ (also die Binnendifferenzierung des Systems in Bereiche Abteilungen, Stellen etc.) besondere Bedeutung hatte und diese dann erst in zweiter Linie um die sogenannte „Ablauforganisation“ ergänzt worden war, kommt mittlerweile der dynamischen Dimension in Gestalt von Prozessen ein höherer Stellenwert zu. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass es sich bei (formal organisierten) sozialen Systemen um vernetzte Gebilde handelt, die Ihre Leistungen für interne und externe Anspruchsgruppen (Stakeholder) 76 durch auf Dauer gestellte, komplexe und interdependente Aktivitäten, Arbeitsschritte, Aufgaben etc. erbringen. Prozesse legen die zur Erfüllung der Erwartungen externer und interner Kund*innen erforderlichen Abfolgen von miteinander in sachlicher, zeitlicher und sozialer Abhängigkeit stehenden Aktivitäten, Arbeits‐ schritten etc. einer Organisation normativ, also verbindlich fest. 134 4 Methoden und Techniken <?page no="135"?> In diesem Sinne sind „Prozesse“ stets sachlich, zeitlich und sozial voneinan‐ der abhängige Vorgänge, deren Bestandteile vor allem Tätigkeiten, Ereignisse und Entscheidungen bilden und die sowohl funktions-, als auch hierarchie- und standortübergreifend verlaufen können. Darüber hinaus zeichnen sie sich durch einen definierten Anfang und ein definiertes Ende, durch erforderliche Inputs und Outputs (Produkte und Dienstleistungen, aber auch Daten, Dokumente etc.) aus. Die „Prozesslandkarte“ (siehe dazu nochmals Abbildung 16) gibt einen Überblick über die Prozesse in den unmittelbar wertschöpfenden Bereichen (= Kernprozesse) einerseits und in den mittelbar wertschöpfenden Bereichen (= Unterstützungs- und Führungsprozesse) andererseits. Führungsprozesse sind überwiegend strategische Prozesse, die im Wesentlichen von der obersten Ebene des Management getragen werden. Sie stellen damit die langfristige Existenz und positive Entwicklung des Systems sicher und bilden zugleich eine Klammer über Kern- und Unter‐ stützungsprozesse. Kernprozesse stellen für das System und ihre externen Anspruchsgruppen die direkt wertschöpfenden Aktivitäten dar und sind deshalb von entscheidender operativer Bedeutung. Ihre Effektivität und Effizienz definiert unmittelbar die Wettbewerbsfähigkeit des Systems in der Umwelt. Unterstützungsprozesse sind durch das Management von Ressour‐ cen und der Infrastruktur mittelbar an der Wertschöpfung beteiligt, weshalb sie unerlässlich sind, um die wertschöpfenden Kernprozesse der Hochschule qualitativ hochwertig zu realisieren. Bei etwas näherem Hinsehen lässt sich daher die inhaltlich plausible, pragmatische Klassifikation von Führungs-, Kern- und Unterstützungsproz‐ essen auf Basis der Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer bzw. externer und interner Wertschöpfung auf die formale, analytische Unterscheidung von strategischer und operativer Relevanz bzw. Konkurrenz- und Kundenorientierung zurückführen. Kreuzt man diese beiden Dimen‐ sionen, ergibt sich ein Vierfelder-Schema (siehe Abbildung 26 und dazu Reinbacher 2017a). In diesem bleibt gemäß der verbreiteten Unterscheidung mit drei Prozesskategorien zunächst ein Feld frei. Ohne Schwierigkeiten lassen sich hier die bislang fehlenden „Geisterprozesse“ verorten, also jene Prozesse, die weder strategisch noch operativ relevant sind und daher als „Verschwendung“ eliminiert werden sollten (siehe dazu den Abschnitt über KAIZEN in Kap. 3.2.1). 4.2 Lenken und Entwickeln 135 <?page no="136"?> Abbildung 26: Analytische Klassifikation von Prozessen Die grafische Darstellung der Prozesse folgt in aller Regel einer definierten Gestaltungsform, der sich das Qualitätsmanagement verpflichtet. Diese bil‐ det dann auch eine wichtige Grundlage sowohl für das laufende Entscheiden und Handeln sowie für die regelmäßige Überprüfung im Rahmen von internen und externen Evaluierungen, Audits oder Zertifizierungen. Die (interne) Veröffentlichung der Darstellungen (beispielsweise als digitales „Prozesshandbuch“ im Intranet) unterstützt das operative Vorgehen im Han‐ deln und Entscheiden, sowie zugleich die Orientierung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen. Abbildung 27 vermittelt einen ersten Eindruck der Darstellung als „Flussdiagramm“, die allerdings auch an die Darstellung als „Programmablaufplan“ erinnert. Eine bekannte Alternative ist außerdem die Darstellung als sogenannte „ereignisgesteuerte Prozesskette“ (EPK), die von August-Wilhelm Scheer (*1941) als Grundlage für die Modellierung mit dem Softwareprogramm ARIS entwickelt worden ist. Wie bereits früher die Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation mag die Prozessorganisation zu Versuchen einer vereinfachenden und mechanistischen Trivialisierung komplexer, nicht-trivialer Systeme und Sachverhalte verleiten. Dies liegt nicht zuletzt an der hier erneut zum Ausdruck kommenden „Grammatik“ des Qualitätsmanagement (siehe Kap. 3.2.2), die gut anschlussfähig ist an organisationales Streben nach Stabi‐ lität und damit einhergehende Vorbehalte gegenüber Veränderung. Mit etwas anderen Worten ließe sich sagen: Als stabilisierender Faktor ist Qualitätsmanagement heute in Organisationen einerseits ein struktureller 136 4 Methoden und Techniken <?page no="137"?> Gegenspieler von Wissensmanagement, das Organisationen demgegenüber zum „Lernen“, also zur Veränderung ihrer Systemstrukturen bringen möchte (Argyris & Schön 1978), und andererseits insofern in Gefahr, der Regelung, der Regulierung usw. überproportional viel Aufmerksamkeit zu schenken, sodass die in jeder Regel und in Regelanwendung mitschwingenden Aus‐ nahmen aus dem Blick zu geraten drohen (Ortmann 2003). Vor diesem Hintergrund kommt dem Prozessmanagement daher aus systemisch-systemtheoretischer Sichtweise zusätzlich Bedeutung zu, weil es sich als „Kopplungsmechanismus“ zwischen Qualitäts- und Wissensma‐ nagement interpretieren lässt (siehe dazu ausführlich Reinbacher 2020). Pro‐ zesse stellen nämlich einerseits Regeln für die Erfüllung von Anforderungen dar, die es in der Ausführung von Aktivitäten, Arbeitsschritten, Aufgaben etc. zu befolgen gilt, während sie andererseits zugleich ein wichtiger Teil des Wissensbestandes eines Systems sind. Während Prozess also einerseits „normativ stilisiert“ (also: lernresistent) sind, sind sie andererseits „kognitiv stilisiert“ (also: lernbereit), um auf eine Unterscheidung und Bezeichnung von Niklas Luhmann zurückzugreifen (Luhmann 1969). Ersteres zeigt sich beispielsweise, wenn Qualitätsmanagement auf die Einhaltung definierter Prozesse pocht. Zweiteres zeigt sich hingegen, wenn im Zuge von „Business Process Reengineering“ (Hammer & Champy 1993) oder von „kontinuierli‐ cher Verbesserung“ (Imai 1986) die Veränderung von Prozessen verlangt wird. Prozessmanagement sollte nicht zu mechanistischer Trivialisierung verleiten, da Prozesse einerseits „normativ“ stilisiert, also lernresistent gebaut sind und ihre Einhaltung erwartet wird, andererseits aber „kognitiv“ stilisiert, lernbereit gebaut sind und gegebenenfalls ihre Veränderung erwartet wird. Da jedoch die Bedingungen für entweder normative oder kognitive Stilisie‐ rung von Systemstrukturen bzw. die Kriterien, anhand derer zwischen den beiden Formen der Stilisierung unterschieden werden soll, nicht allgemein angegeben werden können (und wohl auch nicht angegeben werden dürfen), handelt es sich bei Prozessmanagement letztlich um eine praktische Para‐ doxie bzw. um eine paradoxe Praxis. Gerade in dieser paradoxen (theoreti‐ schen) Anlage und den daraus resultierenden (praktischen) Anforderungen liegt nicht nur die Quelle zahlreicher Probleme, sondern darüber hinaus 4.2 Lenken und Entwickeln 137 <?page no="138"?> eine wesentliche Funktionalität von Prozessmanagement für Systeme, die in zunehmend komplexen Umwelten ein entsprechendes Maß an Eigenkom‐ plexität entwickeln müssen (siehe Kap. 2), denn: Das Management gewinnt gerade durch die darin angelegte Oszillation neue Freiheitsgrade und neue Flexibilität - wenngleich es dabei unweigerlich hart am Wind der Willkür segelt (sodass auch hier stets Dezisionismus als Damoklesschwert droht). 138 4 Methoden und Techniken <?page no="139"?> Abbildung 27: Schema der grafischen Darstellung von Prozessen 4.2 Lenken und Entwickeln 139 <?page no="140"?> 4.2.2 Mitarbeiter*innen integrieren Der personale Aspekt ist gewissermaßen komplementär zum prozessualen (siehe Kap. 4.2.1), allerdings im Sinne einer systemisch-systemtheoretischen Sichtweise nicht nur in seiner individuellen, sondern auch in seiner kol‐ lektiven bzw. kollektivierenden Erscheinungsform. Zum Ausdruck kommt dies im Kontext von Qualitätsmanagement in der Idee sogenannter Qua‐ litätszirkel. Bei diesen handelt es sich um kleinere, dezentrale Gruppen von Mitarbeiter*innen (meist aus einer hierarchischen Ebene und einem funktionalen Bereich), die sich auf freiwilliger Basis und in bestimmten regelmäßigen Abständen treffen, um dabei operative organisationsrelevante Themen zu behandeln. Auf diese Weise werden aus den von Problemen direkt Betroffenen an Lösungen unmittelbar Beteiligte, die zu Verbesserun‐ gen im Arbeitsalltag einen konkreten Beitrag leisten können. Mit anderen Worten: Es werden die lange Zeit vorherrschenden Systemgrenzen zwischen planenden, produktiven (ausführenden) und prüfenden Tätigkeiten über‐ wunden. Die im Begriff enthaltende „Zirkellogik“ bezieht sich in diesem Zusam‐ menhang zum einen auf die große Bedeutung der sozialen Kleingruppe für die Qualitätsarbeit in Organisationen (= Zirkel als Kreis von Kolleg*innen) und zum anderen auf das von W. Edwards Deming (1982) als „PDCA-Cycle“ mit den Schritten „Plan Do Check Act“ bezeichnete Vorgehensweise (= Zirkel als Kreislauf von Arbeitsphasen). Qualitätszirkel stellen mit ihren gruppendynamischen und organisationskulturellen Charakteristika daher ein wichtiges Element in Konzepten der „kontinuierlichen Verbesserung“ (KAIZEN) oder des „totalen Qualitätsmanagement“ (TQM) dar. Den Ar‐ beitsschritten in der Sachdimension entspricht in der Sozialdimension die gruppendynamische Entwicklung (Tuckman 1965) im Zeitverlauf (siehe Abbildung 28). Ein Qualitätszirkel bzw. Qualitätskreis ist eine Gruppe (Zirkel, Kreis (#1)) von Kolleg*innen, die konkrete Lösungen für Probleme aus ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld erarbeiten, indem sie dem PDCA-Zyklus (Zirkel, Kreis (#2)) der „kontinuierlichen Verbesserung“ folgen. Die grundsätzliche Vorgehensweise ist denkbar einfach (wenngleich es für tatsächliches Funktionieren einige Voraussetzungen gibt - zum Beispiel 140 4 Methoden und Techniken <?page no="141"?> Verständnis und Unterstützung durch die Führung, geeignete zeitliche und räumliche Möglichkeiten, Schulung interessierter Mitarbeiter*innen und dergleichen mehr; vgl. Lawler & Mohrman 1985): Ausgehend von konkreten in der Praxis identifizierten Problemen werden diese analysiert und auf der Basis ausgewerteter Informationen werden (gegebenenfalls unter punktu‐ eller Einbeziehung der Expertise weiterer Mitarbeiter*innen und Kolleg*in‐ nen) Verbesserungsvorschläge entwickelt. Üblicherweise schließt daran eine Präsentation auf Führungsebene oder vor einem Steuerungsgremium an, wo entweder gleich eine Entscheidung über die Umsetzung und über die dafür erforderlichen Ressourcen getroffen oder zumindest eine Empfehlung für das weitere Vorgehen ausgesprochen wird. Im Fall einer Umsetzung einzelner Maßnahmen folgt auf diese eine Erfolgs- und Wirkungskontrolle, bevor etwaige Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Begleitend zu diesem Vorgehen gemäß PDCA-Zyklus wird die Arbeit des Zirkels zwecks Ergebnissicherung dokumentiert. Abbildung 28: Sach-, Sozial- und Zeitdimension in Qualitätszirkeln Unmittelbar ersichtlich wird des Weiteren, dass das Konzept des Qualitäts‐ zirkels durch sein (auf den ersten Blick) einfaches Prinzip besticht, wobei darin selbstverständlich zugleich einige seiner Nachteile liegen. So stößt vor allem der Aufbau von Eigenkomplexität rasch an Grenzen, da Klein‐ gruppen wenig Binnendifferenzierung ermöglichen - abgesehen von den in jedem Fall als erforderlich angesehenen Rollen bzw. Funktionen der Mo‐ deration, der Koordination und der Dokumentation. Die zur konstruktiven Zusammenarbeit erforderlichen Regel- und Normenstrukturen entstehen 4.2 Lenken und Entwickeln 141 <?page no="142"?> 77 Hier zeigen sich deutlich die Ursprünge der Qualitätszirkel-Idee in Vorstellungen von Selbstverwaltung wie sie insbesondere in Japan zusammen mit der Bedeutung von Kollektiven kulturell verankert sind. definitionsgemäß im Rahmen der Selbstorganisation eines Qualitätszirkels (siehe dazu die „Sozialdimension“ in Abbildung 28). 77 Zugleich wird der Begriff sowohl in der Managementliteratur als auch in der Managementpraxis keineswegs trennscharf verwendet - was mögli‐ cherweise an der (keineswegs nur systemtheoretischen) Unterbestimmtheit des Begriffs der „Gruppe“ liegt. Allerdings werden Qualitätszirkel zumeist und zumindest von Projektgruppen, die weniger selbstbestimmt im Auftrag der Managementbzw. Führungsebene an konkreten, genau definierten Aufgabenstellungen arbeiten, abgegrenzt. Aus dem eher uneinheitlich gebrauchten begrifflichen Konzept folgt außerdem, dass unterschiedliche Formen der Ausgestaltung zu beobachten und diese jeweils durch unterschiedliche Vor- und Nachteile gekennzeichnet sind. Beispielsweise erleichtert eine homogene Zusammensetzung (aus Mitarbeiter*innen einer hierarchischen Ebene und/ oder eines funktionalen Bereichs) die Vereinbarung konkreter Maßnahmen aufgrund ähnlicher Erfahrungen und gemeinsamer Bezugsrahmen. Demgegenüber fördert eine inhomogene Zusammensetzung (aus Mitarbeiter*innen mehrerer hierarchi‐ scher Ebenen und/ oder mehrerer funktionaler Bereiche) die Verständigung über Statusebenen und Organisationseinheiten, was wiederum für eine Realisierung ressourcenaufwändiger und komplexer Vorhaben hilfreich sein kann, weil sich Entscheidungskompetenzen nutzen und Schnittstellenfra‐ gen beantworten lassen. Unabhängig von diesen unterschiedlichen Varianten der Ausgestaltung kann davon ausgegangen werden, dass Qualitätszirkel durch breite Mög‐ lichkeiten der Partizipation (als soziales Element) die Potentiale ihrer Mitar‐ beiter*innen (als personales Element) extensiv und intensiv nutzen können, um praktikable Problemlösungen auf operativer Ebene (als organisationales Element) herbeizuführen. Darüber hinaus fördern sie das individuelle Qua‐ litätsbewusstsein und die kollektive Qualitätskultur gewissermaßen „bot‐ tom-up“, womit sie eine komplementäre Ergänzung zum Qualitätsmanage‐ ment „top-down“ darstellen. Damit einher geht wiederum bei geschickter Gestaltung mehr Motivation und höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter*in‐ nen - nicht zuletzt aufgrund des verbesserten Ein- und Überblicks bzw. eines Blicks über den Tellerrand der täglichen Tätigkeit. Die daraus resultierende 142 4 Methoden und Techniken <?page no="143"?> Emanzipation beugt Entfremdung vor, braucht allerdings Autonomie, die von der Führung gewährleistet werden muss. Qualitätszirkel sind eine Möglichkeit, durch Partizipation kognitive, emotionale und motivationale Potentiale der Mitarbeiter*innen zu he‐ ben. Indem für die unmittelbare Praxis relevante, kreative Problemlö‐ sungen erarbeitet werden, verschränken sie personale und organisatio‐ nale Elemente. Als Beispiel soll hier zunächst die bevorstehende externe Auditierung einer Hochschule durch die zuständige Qualitätssicherungsagentur genannt wer‐ den. Zum Zwecke der Erstellung des als Vorbereitung erforderlichen Selbst‐ beurteilungsberichtes (der dann die Grundlage für den Vor-Ort-Besuch einer Gruppe externer Gutachter*innen bildet), kann eine aus Vertreter*innen unterschiedlicher internen Anspruchsgruppen bestehende Arbeitsgruppe gebildet werden, deren Aufgabe neben einer Bestandsaufnahme auch bereits eine erste Beurteilung der Lage ist. Während die Erstellung des Berichtes nicht selten einen hohen Aufwand mit sich bringt, so trägt die Beteili‐ gung dann zur Motivation durch Partizipation bei, wenn die in den unter‐ schiedlichen Perspektiven schlummernden Potentiale zur Identifikation von Problemen und möglicherweise zur unmittelbaren Implementierung von Lösungen für dieser Probleme genutzt werden. Die Institutionalisierung einer solchermaßen entstandenen, alsdann aus‐ drücklich als „Qualitätszirkel“ bezeichneten Arbeitsgruppe im Anschluss an das absolvierte Verfahren der Auditierung sieht sich unter anderem mit der Herausforderung konfrontiert, das Interesse an (praktischen) Fragen der „Qualität“ in ein Interesse an (systematischen) Fragen des Qualitäts‐ management und dann zumeist auch in ein Interesse am Qualitätsmanage‐ mentsystem zu transformieren (siehe bereits Kap. 3.3). Dies mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, doch gibt es (keineswegs nur in professionellen Kontexten) mitunter Momente der Überraschung, wenn das Bemühen um Qualität in der täglichen Praxis (beispielsweise: gute Hochschullehre) einem Etablieren interner organisationaler Strukturen zur Sicherung dieser Qualität (beispielsweise: Lehrveranstaltungsevaluation) oder gar einem Reflektieren dieser internen organisationalen Strukturen unter den externen Gesichtspunkten einer Qualitätssicherungsagentur (bei‐ 4.2 Lenken und Entwickeln 143 <?page no="144"?> 78 Stellvertretend sollen nur exemplarisch die folgenden genannt werden: Einerseits handelt es sich um ein reaktives Verfahren, weshalb die Befragten in der Regel merken, dass sie befragt werden. Dies wiederum gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Antworten vorsätzlich zu verzerren (z. B. soziale Erwünschtheit). Dies ist beispielsweise bei der (verdeckten) Beobachtung nicht der Fall. Andererseits können die Befragten in vielen Fällen gar keine sinnvolle Antwort geben, beispielsweise wenn sie nach ihren Motiven befragt werden, denn diese sind „für Zwecke der Kommunikation angefertigte Handlungsbeschreibungen“ (Luhmann 2002, S. 38), also einer sozialen Situation entstammende und daher zu hinterfragende Konstruktionen. Hinzu kommt, dass die Befragten nicht passiv bleiben, sondern aktiv agieren und dabei beispielsweise auch die Absichten der Befragung antizipieren. spielsweise: externe Evaluation der internen Lehrveranstaltungsevaluation) weichen soll. 4.3 Prüfen und Lernen Die in diesem Abschnitt behandelten Methoden und Techniken orientieren sich an der Leitdifferenz von zufrieden/ unzufrieden und sind demnach vorrangig in der sachlichen Dimension angesiedelt. 4.3.1 Rückmeldungen provozieren Ungeachtet der in vielen Organisationen zu beobachtenden Tendenz, bereits vorhandene Daten und Informationen zu ignorieren (obwohl es mehr als naheliegend wäre, deren Analyse und Interpretation als Basis für organisa‐ tionales Wissen zu nutzen und damit evidenzorientierte Entscheidungen anzuleiten), kann es fallweise erforderlich sein, zusätzliche Daten zu erhe‐ ben und so neue Informationsgrundlagen zu generieren. Als Mittel der Wahl gelten - trotz des erforderlichen Knowhow und der aufzuwendenden Ressourcen - gemeinhin verschiedene Formen der Befragung. 78 Denn wenn‐ gleich diese als Methode der empirischen Sozialforschung im engeren Sinne sehr anspruchsvoll ist, kann sie in einem weiteren Sinne zur Provokation von Rückmeldungen und damit für die Überprüfung der Erfüllung von Anforderungen verschiedener interner und externer Anspruchsgruppen, also der Erreichung von Qualität nützlich sein. Während die methodische Literatur zur systematischen, methodisch „sauberen“ Durchführung von Befragungen mittlerweile ein kaum mehr zu überblickendes Ausmaß angenommen hat, legt ein Blick durch die 144 4 Methoden und Techniken <?page no="145"?> systemisch-systemtheoretische Brille in methodologischer Hinsicht nahe, diese als provokative soziale Intervention in kommunikativen System-Um‐ welt-Konstellationen zu betrachten (siehe auch Anm. 78). Befragte antwor‐ ten keineswegs nur passiv, sondern sie konstruieren und rekonstruieren vielmehr aktiv ihre Antworten auf gestellte Fragen. Werden sie beispiels‐ weise nach ihrer Zufriedenheit mit einer bestimmten Leistung oder mit dem Prozess der Leistungserbringung befragt, so antworten sie keineswegs in dem Sinne, dass sie eine unabhängig von der Befragung vorhandene „Zu‐ friedenheit“ in ihrer Antwort zum Ausdruck bringen, wie nur der naive Geist annehmen kann, sondern sie werden erst durch die Befragung angeregt, sich Gedanken darüber zu machen, ob (und gegebenenfalls inwiefern) sie mit einer bestimmten Leistung „zufrieden“ sind - oder eben nicht. Ganz im Sinne des auf Sokrates zurückgehenden Grundsatzes: „Wer fragt, der führt“ wer‐ den bekanntlich durch eine Befragung nicht nur Erwartungen mit Blick auf ihre Erfüllung abgefragt, sondern auch Erwartungen erst geweckt - weshalb man in diesem Zusammenhang auch von „Erwartungsmanagement“ spricht (Bruhn 2013; siehe auch Anm.-60). Aus systemisch-systemtheoretischer Perspektive ist „Zufriedenheit“ als Zeichen von Qualität für das Qualitätsmanagement außerdem mehr bzw. etwas anderes als eine psychische, individuelle Disposition bzw. Gefühls‐ lage - nämlich eine soziale, kulturell geformte Konstruktion, also ein kommunikatives Symbol im Sinne einer „Währung“, die im Kontext von Qualitätsmanagement für eine generalisierte „Kaufkraft“ steht und diese wiederum für kommunikative Zwecke in verschiedenen ökologischen Ni‐ schen zum Ausdruck bringt. „Verkehrsfähig“ ist diese „Zufriedenheitswäh‐ rung“ sowohl innerhalb eines Systems (wie bei der Vermittlung zwischen dem Engagement von Mitarbeiter*innen als internen Kund*innen einerseits und den Ansprüchen des Management andererseits), als auch über Sys‐ temgrenzen hinweg bzw. in System-Umwelt-Beziehungen (beispielsweise zwischen einem Krankenhaus oder einerseits und den Zuweiser*innen oder Patient*innen als den externen Kund*innen andererseits). An dieser Stelle wird darüber hinaus ersichtlich, weshalb die verbreitete Gleichsetzung bzw. die oft mangelnde Grenzziehung zwischen der Durch‐ führung von Befragungen zur Kontrolle durch Evaluation einerseits sowie der Einholung von Feed-back zum Anstoßen von Entwicklung andererseits in Probleme führen kann: Die unscharfe Begriffsverwendung verwischt zwei idealtypisch unterscheidbare Erscheinungsformen, bei denen es sich zwar jeweils um soziale Sachverhalte handelt, jedoch mit jeweils unter‐ 4.3 Prüfen und Lernen 145 <?page no="146"?> schiedlichem Zuschnitt bzw. mit unterschiedlichem Fokus (siehe Abbildung 29). Im Unterschied zum ursprünglichen Herkunftskontext, der kyberneti‐ schen Steuerungstheorie, bezeichnet Feed-back im Kontext von Qualitäts‐ management meist eine an individuelle Personen adressierte Rückmeldung, die als Ausgangspunkt für eigenverantwortliche Reflexion dienen soll. Daher bleibt es in den meisten Fällen den Adressat*innen überlassen, welche Einsichten sie daraus gewinnen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen und welche Änderungen in Einstellungen und Handlungsweisen sie letztlich vornehmen (wollen). Demgegenüber handelt es sich bei Evaluation in der Regel um ein institutionell gerahmtes bzw. getragenes Verfahren, in dem eine kollektive Veränderungsintention zum Ausdruck kommt. Hier findet daher Management als Teil der Systemstruktur bzw. als Systemfunk‐ tion seinen vorrangigen Ansatzpunkt. Während es sich bei Evaluation um eine möglichst objektive, systema‐ tische Bewertung auf der Basis von Daten, Daten und Fakten zum Zweck der Kontrolle handelt, dient Feed-back eher der Entwicklung auf Grundlage der subjektiven, situativen Beschreibung von Eindrücken und Empfindungen. Abbildung 29: Evaluation vs. Feed-back 4.3.2 Beschwerden kanalisieren Aus den bisherigen Ausführungen geht deutlich hervor, welch zentralen Stellenwert die Zufriedenheit von Kund*innen (im Sinne von Anspruchs‐ gruppen) im Kontext von Qualitätsmanagement einnimmt: In vielerlei Hin‐ sicht gilt Kund*innenzufriedenheit sogar als zentraler Indikator für Qualität, 146 4 Methoden und Techniken <?page no="147"?> 79 Auch im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es zu „bindende“ Stammkund*innen wie Zuweiser*innen oder Geldgeber*innen. weil sie auf ein Erfüllen und etwaig sogar auf ein Übertreffen von Kundin‐ nen- und Kundenanforderungen bzw. -erwartungen hindeutet (Stichworte: Exzellenz, „Amazonisierung“ und „customer obsession“). Vor diesem Hin‐ tergrund ließe sich in weiterer Folge annehmen, dass eine möglichst geringe Anzahl an Beschwerden von Seiten unzufriedener Kund*innen ein erstre‐ benswertes Ziel darstellt. Dies gilt jedoch nur in eingeschränktem Maße, da eine geringe Zahl an Beschwerden kein eindeutiger Indikator für eine geringe Zahl an unzufriedenen Kund*innen bzw. auf ein hohes Maß an Kund*innenzufriedenheit ist. Vielmehr ist es heute ein Gemeinplatz im Marketing und hier insbeson‐ dere im Kundinnen- und Kundenbeziehungsmanagement („Customer-Rela‐ tionship-Management“), dass nur ein geringer Anteil der unzufriedenen Kund*innen bereit ist sich über mangelnde Qualität der Leistungserbrin‐ gung zu beschweren (sog. „Complainers“). Demgegenüber steht der über‐ wiegende Teil an unzufriedenen Kund*innen, der still und leise zur Kon‐ kurrenz abwandert (sog. „Noncomplainers“) - meistens allerdings nicht ohne den Unmut mit Familie, Freund*innen und Kolleg*innen sowie heute auch über Soziale Medien und andere Plattformen sogar mit einer breiteren Öffentlichkeit zu teilen (woraus ein negativer Multiplikator*inneneffekt resultiert). Umgekehrt hat sich herausgestellt, dass gerade die erfolgreiche Behandlung von Beschwerden nicht nur unzufriedene Kund*innen besänf‐ tigen, sondern auch nachträglich zu deren Zufriedenheit beitragen kann, in manchen Fällen sogar über das Maß hinaus, das ohne den aufgetretenen Fehler erreicht worden wäre. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass auf diesem Weg das Vertrauen der Kund*innen wiederhergestellt wird - eine wichtige Voraussetzung für Kund*innenbindung und für das Gewinnen von Stamm‐ kund*innen. 79 Eine geringe Anzahl von Beschwerden ist zwar eine notwendige, aber bei Weitem keine hinreichende Bedingung für zufriedene Kund*innen, da sich nur ein geringer Teil der unzufriedenen Kund*innen die Mühe macht, sich zu beschweren - während der Großteil leise zur Konkurrenz abwandert. 4.3 Prüfen und Lernen 147 <?page no="148"?> Die internen Vorteile von Beschwerden liegen ohnehin auf der Hand, sofern man Aufgeschlossenheit gegenüber Kritik durch Evaluation und Feed-back sowie damit einhergehend eine Kultur der Fehlertoleranz voraussetzen darf. Sie bieten zunächst externe Hinweise auf Mängel bei Produkten und Dienstleistungen oder auf Fehler in den Prozessen zur Leistungserstellung, wenngleich diese möglicherweise nur auf den ersten Blick als mangelbzw. fehlerhaft erscheinen, weil sich auf den zweiten Blick neben Ansatzpunkten für Mängelbehebung und Fehlerbeseitigung sogar Impulse für innovative Weiterentwicklung bieten können. An dieser Stelle eröffnet sich daher auch eine gute Möglichkeit, um systematisch Vorschläge von Seiten externer und interner Kund*innen im Rahmen eines sogenannten „Vorschlagswesens“ einzuholen. Beispielsweise können sich in einer Gesundheitseinrichtung die Beschwerden darüber häufen, dass die Patient*innen aus dem Wartezimmer weder genau zur ver‐ einbarten Uhrzeit noch in der Reihenfolge ihres Eintreffens zur Behandlung aufgerufen werden, obwohl keine ersichtlichen Notfallpatient*innen die Pla‐ nung der Ordination durcheinanderzubringen scheinen. Daraus ließe sich der konkrete Vorschlag entwickeln, wartende Patient*innen über das der Reihenfolge zugrundeliegende Prinzip zu informieren - etwa wenn dieses unter anderem eine Abwägung unterschiedlicher Behandlungsaspekte (wie Art der Behandlung, erforderliche Geräte, notwendige Vorbereitungszeit usw.) beinhaltet. Im Lichte dieser Überlegungen betrachtet erscheint nun zwar eine allzu große absolute Anzahl an Beschwerden in der Tat als Gefahr (weil dahinter unzufriedene Kund*innen stehen). Demgegenüber ist aber eine Steigerung der Bereitschaft unzufriedener Kund*innen, ihre Beschwerden zu artiku‐ lieren, eine Chance (weil sich daraus nützliche Informationen für das Qualitätsmanagement generieren lassen). Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Welche Funktion(en) haben Methoden und Techniken im Kontext von (Qualitäts-)Management, wozu dienen sie, wofür sorgen sie und auf welcher Grundannahme bzw. auf welchen Prämissen beruht ihr Funk‐ tionieren? ● Welche Rolle spielt im Qualitätsmanagement die Vermittlung zwischen „innen“ und „außen“? Inwiefern handelt es sich bei Planen und Analy‐ 148 4 Methoden und Techniken <?page no="149"?> sieren um Aktivitäten an der sozialen Grenze zwischen System und Umwelt? Welche Methoden und Techniken bieten dabei Unterstützung? ● Welche Rolle spielt im Qualitätsmanagement die Vermittlung zwischen „kognitiven“ und „normativen“ Elementen bzw. Erwartungsstrukturen eines Systems? Inwiefern ist das Lenken und Entwickeln in der zeitli‐ chen Dimension ein für die Praxis paradoxes Unterfangen? ● Welche Rolle spielt im Qualitätsmanagement die Vermittlung zwischen „zufriedenen“ und „unzufriedenen“ Kund*innen bzw. Stakeholdern? Inwiefern handelt es sich beim Prüfen und Evaluieren um wichtige Maßnahmen des Qualitätsmanagement in der sachlichen Dimension? 4.3 Prüfen und Lernen 149 <?page no="151"?> 5 Probleme und Lösungen Dieses Kapitel analysiert ● Lösungen für strukturelle Widersprüche, die zwischen der syste‐ misch-systemtheoretischen Sichtweise und dem konventionellen Qualitätsmanagement bestehen. ● Folgen der Mehrdimensionalität von sozialen Systemen für Qua‐ litätsmanagement und für die Überwindung von „integrativen systemischen Spannungen“. ● Qualitätsmanagement als einen „ökologischen Überlebensmecha‐ nismus“ und die Rolle, die „Selbstorganisation“ in diesem Zusam‐ menhang spielt. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1196 Zwischen dem konventionellen Qualitätsmanagement einerseits und der systemisch-systemtheoretischen Sichtweise andererseits lassen sich bei näherem Hinsehen einige strukturelle Widersprüche feststellen. Diese re‐ sultieren zum einen aus den kaum theoretisch fundierten und nur selten empirisch reflektierten Vorstellungen von Qualität als einem sozialen Phänomen, zum anderen aus dem praktisch orientierten Vorgehen des Management sowie in der wiederum daran orientierten stark normativen Managementlehre. Erstens ist dies die (nicht nur im Qualitäts-Management) zu beobachtende Vorliebe für einfache bzw. für stark vereinfachende Lösungen. Angesichts der Herausforderungen, die mit meist komplizierten und mitunter sogar komplexen Problemlagen einhergehen, sowie im Lichte der Erwartungen, mit denen sich das Management und die Manager*innen konfrontiert sehen, mag das zwar nachvollziehbar erscheinen. Allerdings folgen bei allzu einfachen (und nicht selten: nur scheinbaren) Lösungen neue Probleme, die daraus resultieren, sehr oft auf dem Fuß. Daher empfiehlt die syste‐ misch-systemtheoretische Sichtweise neben der passiven Anerkennung auch den aktiven Aufbau von Eigenkomplexität, also von sogenannter „re‐ <?page no="152"?> quisite variety“ (siehe Kap. 2) als Voraussetzung für die Steuerung komplexer sozialer Systeme. Zweitens ist dies die Illusion direkter Steuerung von (formal organisierten) sozialen Systemen. Zwar kann das Einwirken aus der Umwelt mehr oder weniger gezielte destruktive Folgen für ein System haben. Konstruktiv nutzen lassen sich Impulse von außen erst nach einer internen Interpretation im Lichte der Eigenlogik vorhandener Systemstrukturen. Diese „Interde‐ pendenzunterbrechung“ (siehe ebenfalls Kap. 2) ermöglicht eine Reduktion externer Komplexität durch Aufbau interner Eigenkomplexität. So empfiehlt eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise das Umstellen von direkter und heteronomer Fremdauf indirekte Rahmen- und autonome Selbst-Steue‐ rung. Selbstorganisation ist kein Verzicht auf (Qualitäts-) Management, sondern eine Einsicht in die Wechselwirkungen zwischen Systemen und ihren Umwelten. Während konventionelles Qualitätsmanagement den Bedarf an stark vereinfachenden Lösungen stillt und sich der Illusion direkter Steue‐ rung hingibt, betonen systemisch-systemtheoretische Sichtweisen die Notwendigkeit von Eigenkomplexität und indirekter Rahmenbzw. autonomer Selbststeuerung. Drittens ist dies die sowohl vom Management unterstellte als auch den Manager*innen zugeschriebene irreführende Vorstellung linearer Kausalität im Umgang mit Systemen, die eine stark vereinfachende, direkte Steue‐ rung impliziert. Zum Beispiel kann kaum eindeutig gesagt werden, dass Unternehmen durch die Zertifizierung ihrer Qualitätsmanagementsysteme (= Ursache) auf Absatz- und Beschaffungsmärkten erfolgreicher sind (= Wirkung). Mindestens so plausibel ist die Annahme, dass erfolgreiche Unter‐ nehmen mehr Ressourcen für den Aufbau dieser Systeme als „Rationalitäts‐ fassade“ zur Verfügung haben. Insofern empfiehlt die systemisch-systemthe‐ oretische Sichtweise zirkuläre Kausalität zur Interpretation von intra- und intersystemischen Beziehungen bzw. Wechselwirkungen zwischen System und Umwelt. Viertens ist dies die wenig wirklichkeitsadäquate, noch im modernen Fortschrittsglauben verhaftete Hoffnung auf eine unidirektionale Verbesse‐ rung von Qualität durch ihr Management. Dies liegt daran, dass es sich bei Qualität um einen vielschichtigen, stets aus der Perspektive von Be‐ 152 5 Probleme und Lösungen <?page no="153"?> obachter*innen und ausschnitthaft bewerteten Sachverhalt handelt: Wäh‐ rend die Weiterentwicklung von Produkten ausgehend von den Wünschen der Kund*innen für den Vertrieb einen Fortschritt darstellt, können Inge‐ nieur*innen darin einen Rückschritt hinter die techn(olog)ischen Möglich‐ keiten sehen. Während Geldgeber*innen die Neugestaltung von Förderricht‐ linien für Sozialprojekte begrüßen, können Sozialarbeiter*innen darin eine abzulehnende „Ökonomisierung“ sehen. Während Kompetenzorientierung in der Schule aus Sicht der Bildungsforschung eine Verbesserung darstellt, können Lehrer*innen als Angehörige einer Profession darin (durch die Verkürzung von Bildung auf Ausbildung) eine Verschlechterung sehen. Die systemisch-systemtheoretische Sichtweise empfiehlt hier, sich nicht vorschnell auf eine Seite zu schlagen, sondern bidirektionale Steigerungsver‐ hältnisse und Gleichzeitigkeit von Vor- und Nachteilen anzuerkennen. Während konventionelles Qualitätsmanagement unter Berufung auf klassische, lineare Rationalität die Hoffnung auf unidirektionale Ver‐ besserung schürt, sensibilisieren systemisch-systemtheoretische Sicht‐ weisen für zirkuläre Kausalität und die wechselseitige Steigerung von Vorteilen und Nachteilen. Ohne weitere Widersprüchlichkeiten anzuführen, lässt sich bereits an dieser Stelle zusammenfassen, dass eine systemisch-systemtheoretische Sicht auf Qualitätsmanagement insgesamt dazu ermutigt, solche Widersprüche sowie die damit einhergehenden Ambivalenzen, Ambiguitäten etc. produktiv, zum Beispiel als Anlass für theoretisch fundierte Selbstreflexion zu nutzen, statt die Mehrdeutigkeit mit vorschnellen Vereinfachungen in eine scheinbare und damit letztlich in die Irre führende Eindeutigkeit aufzulösen. 5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme Mit Talcott Parsons stellt sich zunächst die Frage, welche Funktionen in sozialen Handlungssystemen erforderlich sind, um deren Bestand auf Dauer sicherzustellen (siehe Kap. 3.1.1), sowie in weiterer Folge, welche dieser Funktionen dem Qualitätsmanagement in Systemen des organisierten Handelns bzw. in Organisationen zukommen kann. Ein Blick durch die 5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme 153 <?page no="154"?> Parsons’sche Brille zeigt dabei zumindest zweierlei: Zum einen haben wir es bei organisiertem Handeln bzw. bei Organisationen mit mehrdimensio‐ nalen Systemen zu tun, weshalb erfolgreiches Qualitätsmanagement diese Mehrdimensionalität berücksichtigen und auf damit seinerseits einen Bei‐ trag zur Erfüllung mehrerer Teilfunktionen leisten muss (Kap. 5.1.1). Zum anderen ist Management in organisationalen Kontexten Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Grammatik, was Spannungen erzeugt, die aber von Qualitätsmanagement abgefedert werden (Kap. 5.1.2). 5.1.1 Mehrdimensionalität von Organisationen Im Kern geht es bei Qualitätsmanagement im herrschenden Paradigma stets um die Annäherung eines realen „Ist“ an ein normatives „Soll“, um gemäß der DIN-EN-ISO-Definition die Qualität als den „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ zu sichern bzw. zu erhöhen (siehe Kap. 3.3). Bei genauerem Hinsehen lässt sich dann unschwer erkennen, dass den verschiedenen, heute verbreitet eingesetzten Strategien, Methoden und Instrumenten des Qualitätsmanagement (siehe Kap. 3.2.1) im Wesentlichen vier (implizite) Funktionsprinzipien zugrunde liegen, oder mit anderen Worten, dass sich die verschiedenen Zugänge im konventionellen Qualitätsmanagement an einigen wenigen analytisch unterscheidbaren Prinzipien orientieren (siehe dazu ausführlich Reinbacher 2016, 2019): Das Prinzip der Mechanik liegt hinter jenen Qualitätsmanagement-Mo‐ dellen, die nach dem Vorbild der bekannten DIN EN ISO Normensysteme auf die Etablierung und Einhaltung definierter Strukturen und Prozesse vertrauen und dabei letztlich eine positive Wirkung der Form auf den Inhalt unterstellen (siehe Abschnitt „Qualität durch die Erfüllung von Normen und Standards“ in Kap. 3.2.1). Das Prinzip des Marktes liegt im Zentrum von Modellen, die hoffen, durch einen Wettbewerb um „Qualitätspreise“ wirksame Anreize für das Streben nach Qualität und sogar nach „Exzellenz“ im Sinne einer zunehmend besseren Erfüllung von Anforderungen der Kunden durch die Organisation zu bieten (siehe Abschnitt „Qualität durch einen Wettbewerb im Streben nach Exzellenz“ in Kap. 3.2.1) Das Prinzip des Magnetismus kommt in jenen Konzepten zum Ausdruck, die einer „Qualitätskultur“ bzw. einer Verankerung von „Qualität“ als handlungslei‐ tendem Wert besondere Bedeutung beimessen und annehmen, dass damit das Verhalten der Mitarbeiter*innen in die richtige Richtung gelenkt wird (siehe Abschnitt „Qualität durch ständiges Lernen und eine Orientierung 154 5 Probleme und Lösungen <?page no="155"?> an Werten“ in Kap. 3.2.1). Das Prinzip des Menschen liegt jenen Konzep‐ ten zugrunde, die auf „Qualitäts-“ bzw. „Kund*innen-Orientierung“ der einzelnen Mitglieder bzw. Mitarbeiter*innen einer Organisation bauen, weil letztlich diese für die Erstellung von Produkten und die Erbringung von Dienstleistungen verantwortlich sind (siehe Abschnitt „Qualität durch das Engagement der Mitarbeiter*innen“ in Kap. 3.2.1). Vor diesem Hintergrund wird unmittelbar einsichtig, weshalb erfolgrei‐ ches Qualitätsmanagement in der Praxis stets mehrere Dimensionen berück‐ sichtigen muss bzw. weshalb das Qualitätsmanagement in der Praxis durch Versuch und Irrtum lernen musste, was sich mit einer an Talcott Parsons orientierten, systemisch-systemtheoretischen Sichtweise hätte feststellen lassen - nämlich, dass es eine ausgewogene Berücksichtigung von zumin‐ dest vier Dimensionen (organisierter) sozialer Handlungssysteme braucht. Die vier idealtypischen Strategien des konventionellen Qualitätsma‐ nagement adressieren mit ihren Prinzipien „Mechanik“, „Markt“, „Ma‐ gnetismus“ und „Mensch“ implizit bzw. intuitiv die von Talcott Parsons deduktiv hergeleiteten vier universalen Funktionen sozialer Handlungs‐ systeme. Der einfache Grund dafür ist, dass die Betonung jeweils eines der vier vorhin genannten Prinzipien im Qualitätsmanagement implizit bzw. intuitiv auf jeweils eine der vier Dimensionen (organisierter) sozialer Handlungs‐ systeme abzielt (siehe Abbildung 30). Wenngleich ohne systemtheoretische Reflexion schlägt sich dieser Sachverhalt im Qualitätsmanagement dort nieder, wo heute „totales Qualitätsmanagement“ (Kanji & Asher 1996) gefordert wird bzw. „harte“, sozial-technologisch orientierte und „weiche“, kulturell-ideologische Konzepte zusehends konvergieren. 5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme 155 <?page no="156"?> Abbildung 30: Qualitätsmanagement als mehrdimensionales Phänomen Als erster Schritt wird oft die Entwicklung einer „Qualitätsphilosophie“ bzw. einer „Qualitätskultur“ gefordert, um „Qualität“ als kulturellen Wert im Leitbild zu verankern. Als zweiter Schritt wird dann die Einrichtung einer „Qualitätsorganisation“, meist in der Gestalt von Aufbau- und Ablauf‐ organisation (also: Strukturen und Prozessen) empfohlen, um die Erfüllung der „Qualitätsanforderungen“ sicherzustellen. Als dritter Schritt wird na‐ hegelegt, das Personal gezielt zu entwickeln und zu schulen, um in den Köpfen der Mitarbeiter*innen so etwas wie eine „Qualitätsorientierung“ entstehen zu lassen in der Hoffnung, sie würden ihr Handeln dann auf „Qualität“ fokussieren. Als vierter Schritt wird darauf hingewiesen, dass man auch das konkrete Verhalten mittelbar oder unmittelbar lenken soll - sei es durch Anreize und Wettbewerbe oder durch physische Gestaltung der Arbeitsumgebung. So kann Qualität bei der Herstellung von Lebensmitteln in betrieblicher Hygiene zum Ausdruck kommen (siehe dazu auch Abbildung 40). Dies im Leitbild zu verankern ist der erste Schritt (siehe L-Funktion in Abbildung 30), gefolgt vom zweiten Schritt, nämlich der Festlegung von Regeln für das Betreten der Produktionsbereiche (I). Nützlich ist auch als dritter Schritt die Schulung des Personals, um ihnen die Bedeutung der Regeln vor Augen zu führen (G) und ggf. als vierter Schritt die Errichtung einer Hygieneschleuse, die sich beispielsweise erst dann öffnet, wenn die Hände nachweislich desinfiziert worden sind (A). Auch den von Talcott Parsons beschriebenen systemischen AGIL-Ener‐ gie- und LIGA-Informationsfluss im Hinterkopf sehen wir in den Wechsel‐ wirkungen zwischen diesen vier Dimensionen. So kann „Qualität“ als ein 156 5 Probleme und Lösungen <?page no="157"?> leitender Wert in der Kultur nicht „per se“ wirksam werden, sondern er bedarf zuerst einer Implementierung in organisationale Strukturen und Prozesse sowie dann einer Integration in die persönlichen Motive der Mit‐ arbeiter*innen, bevor er sich im konkreten Verhalten von Menschen äußert (LIGA-Informationsfluss, „top-down“). Umgekehrt kann das individuelle Verhalten, beispielsweise von neuen Mitarbeiter*innen die Motivation ihrer älteren Kolleg*innen beeinflussen und dann sogar zu einer Veränderung der bisherigen Strukturen und Prozesse beitragen, sodass letztlich die Organisationskultur eine Entwicklung in Richtung „Qualität“ als Leitwert nimmt (AGIL-Energiefluss „bottom-up“). 5.1.2 Überwindung der integrativen Spannungen Wenn man Qualität über die Erfüllung von Anforderungen bzw. über die Erreichung von Zielen definiert, werden Unternehmen, Schulen und andere Organisationen selbst zu instrumentellen, praktischen Mitteln für die Erlan‐ gung außerhalb ihrer selbst liegender Zwecke. Qualitätsmanagement wird damit seinerseits erkennbar als Ausdruck einer Mittel-Zweck-Rationalität im Dienste individueller, partikularer Interessen. Dies wiederum lässt sich zurückführen auf eine gesamtgesellschaftliche „Grammatik“ bzw. auf einen Wertewandel, den Talcott Parsons anhand des doppelten Wertmusters von „instrumental activism“ und „institutionalized individualism” beschrieben hat. Damit ist gemeint, dass soziale Zusammenhänge (wie der Freundes- und Bekanntenkreis, die Schule oder die Universität) uns heute immer weniger als Selbstzweck gelten, sondern dass sie für uns vor allem als Mittel zur Erlangung von außerhalb ihrer selbst liegender Zwecke, nämlich unserer individuellen Ziele wichtig sind. Abzulesen ist dies zum Beispiel am „Networking“, das wir nicht um seiner selbst willen, sondern zum Zwecke des beruflichen Fortkommens betreiben, oder an zu erreichender „Employability“, deren Wert sich an äußeren Faktoren bemisst. Mit anderen Worten: Qualitätsmanagement lässt sich auch in dieser Perspektive als gesellschaftliches Phänomen insofern verstehen, als es der Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ist. Diese mag in ökonomischen Zusammenhängen zuallererst besonders deutlich geworden sein (weshalb oft von „Ökonomisierung“ die Rede ist), sie schlägt aber früher oder später auf alle Bereiche durch und findet sich nun neben Unternehmen auch in Spitälern, Schulen oder Sozialämtern. 5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme 157 <?page no="158"?> Abbildung 31: Spannungen und deren Kompensation im AGIL-Schema Ohne uns an dieser Stelle zu sehr in theoretischen Details zu verlieren, sei darauf verwiesen, dass Talcott Parsons diese Entwicklung einerseits als Ausdruck einer „adaptiven Höherentwicklung“ bzw. eines „Standardhe‐ bung durch Anpassung“ im Zuge der sozialen Evolution verstanden (siehe Anm. 15), andererseits damit einhergehende systemische Spannungen durch überproportionale Betonung der adaptiven A-Funktion vermutet hat (siehe nochmals Abbildung 30 und ergänzend Abbildung 31). Daraus resultiert eine doppelte Rolle von Qualitätsmanagement - nämlich sowohl bei der adaptiven Höherentwicklung durch Implementierung einer instrumentellen und individuellen Rationalität als auch bei der integrativen Kompensation für Organisationen als (organisierten) sozialen Handlungs‐ systemen: Qualitätsmanagement dient damit einerseits einer Stärkung ad‐ aptiver Mechanismen durch seine externe und individuelle, instrumentelle Ausrichtung, darf aber zugleich andererseits eine Stärkung integrativer Me‐ chanismen durch eine vorrangig interne und kollektive, konsumatorische Ausrichtung nicht aus den Augen verlieren. Zwar werden diese beiden Aspekte von Qualitätsmanagement keineswegs nur über die beschriebenen Prinzipen des „Marktes“ und der „Mechanik“ vermittelt (siehe Abbildung 30 links) - wenngleich mit dieser zusätzlichen Überlegung die Dominanz von EFQM und ISO nachvollziehbar wird. Qualitätsmanagement hat in Systemen eine doppelte Funktion: Einer‐ seits Stärkung adaptiver Mechanismen durch Implementierung des gesellschaftlichen Wertmusters individueller und instrumenteller Ratio‐ 158 5 Probleme und Lösungen <?page no="159"?> nalität, andererseits Spannungsausgleich durch integrative Mechanis‐ men. Nicht zuletzt werfen diese Überlegungen neues Licht auf die Rolle von Professionen im Kontext von Qualität und Qualitätsmanagement. Einer‐ seits kommt ihnen große Bedeutung im Zuge gesellschaftlicher Rationali‐ sierungsprozesse zu, die sie möglicherweise sogar zu einer Leitstruktur moderner Gesellschaften werden lässt (vgl. Parsons 1968, Stichweh 1996). Das haben Sie mit Management gemeinsam. Allerdings sind sie von einer vorrangig konsumatorischen, kollektiven Orientierung gekennzeichnet: Einerseits von einer Ausrichtung am gemeinsamen Ganzen, insbesondere der Gesellschaft (statt an den aufsummierten Partikularinteressen). Ande‐ rerseits von einer Anerkennung dieses größeren Ganzen als Zweck für sich (stattdessen Interpretation als Mittel für Zwecke jenseits davon). Das unterscheidet sie von Management. Aus diesem Grund sind professionelle Gemeinschaften („communities“) bzw. auch sogenannte Praxisgemeinschaften („communities of practice“, vgl. Wenger, McDermott & Snyder 2002) gut dazu geeignet, um als „com‐ pensating mechanisms“, den durch Management verursachten „integrative strains“ entgegenzuwirken. Ihr Zugang zu Qualität orientiert sich an einem Prinzip, das sich (gewissermaßen als Ergänzung zu den oben genannten Management-Prinzipien von Markt, Mensch, Mechanik und Magnetismus) als Mythos bezeichnen lässt in dem Sinne, dass es dabei eher um ein „unter der Hand“ tradiertes Qualitätsverständnis geht, das sich auf das „tacit know‐ ledge“ (Polanyi 1966) bzw. auf die „theories-in-use“ (Argyris & Schön 1978) einer gelebten Praxis gründet. Von besonderer Bedeutung ist dies demnach zum Beispiel in Kontexten, wo körpergebundenes Wissen eine zentrale Rolle spielt - also in ingenieuralen, medizinischen, juristischen oder pädagogi‐ schen Berufen, deren Handwerk zwar auf abstrakten Wissensbeständen beruht, sich allerdings über weite Strecken nur im konkreten Tun realisieren und erlernen lässt. Da sich in diesen Kontexten ein alternativer Zugang zu Qualität und ihrer „Kultivierung“ beobachten lässt, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier neben den oben genannten vier Prinzipien (siehe Kap. 5.1.1), die sich in den Strategien des konventionellen Management zeigen (siehe Kap. 3.2.1) um ein weiteres, um ein fünftes Prinzip handelt (vgl. Abbott 1988, Sennett 2008 und siehe dazu auch Kap. 3.3). Es geht um gemeinsam entwickelte Standards und um geteilte Praktiken anhand derer Qualität 5.1 Qualitätsmanagement als integrative Funktion sozialer Handlungssysteme 159 <?page no="160"?> 80 Damit ist zusätzlicher, in den beteiligten Individuen begründeter Widerstand selbstver‐ ständlich nicht ausgeschlossen. beurteilt und befördert wird („kollektiver“ Aspekt). Diese Qualität wiederum gilt als erstrebenswert an sich, also als interner Selbstzweck, der mitunter sogar gegen die Ansprüche externer, individueller und instrumenteller Interessen verteidigt wird („konsumatorischer“ Aspekt). Als fünftes Prinzip des Qualitätsmanagement zielt der „Mythos“ auf jene konsumatorische und kollektive Dimension sozialer Systeme, die beispielsweise in der Gestalt von Professionen (durch die an den vier vorhin genannten Prinzipien orientierten Strategien) unter Druck gera‐ ten. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, weshalb die Einführung von Qualitätsmanagement insbesondere in professionellen Kontexten sehr oft zu Konflikten führt bzw. vielleicht sogar führen muss. Die Ursachen dafür werden zwar meist bei den handelnden Personen gesucht (und da‐ her auch: gefunden), doch vermag eine sozialwissenschaftliche und vor allem eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise für die strukturelle Komponente dieses Konflikts zu sensibilisieren. 80 Es handelt sich nämlich um unterschiedliche, sich widersprechende Prinzipien, an denen sich die Si‐ cherung und Entwicklung von Qualität orientiert - mit anderen Worten: um widersprüchliche Zugänge zu Qualität, nicht jedoch automatisch um einen (sehr oft unterstellten) Widerstand gegen Qualität, wenn die Strategien des konventionellen Qualitätsmanagement bei professionellen Gemeinschaften auf Ablehnung stoßen. Im Lichte der vorhin skizzierten Überlegungen zu „integrativen Span‐ nungen“ und der Bedeutung von „kompensierenden Mechanismen“ ist dem Qualitätsmanagement daher dringend zu empfehlen, die Rolle von Professionen nicht zu unterschätzen, diese in ihrer Eigenlogik ernst zu nehmen und (auch) in diesem Punkt nach Ausgewogenheit zu streben. Dies bedeutet natürlich, nota bene, nicht nur, Angehörige von Professionen in die Strukturen des konventionellen Qualitätsmanagement einzubinden und damit den Prinzipien von Management zu unterwerfen, denn dies hieße, auf komparative Vorteile zu verzichten. 160 5 Probleme und Lösungen <?page no="161"?> 5.2 Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität Während mit Talcott Parsons die doppelte Frage zu stellen war, welche Funktionen soziale Handlungssysteme benötigen, um ihren Bestand sicher‐ zustellen, und welche Bedeutung dem Qualitätsmanagement in diesem Zusammenhang zukommt (siehe Kap. 3.1.1 und 5.1), steht bei Niklas Luh‐ mann am Beginn die Frage nach der Funktion von sozialen Systemen selbst (siehe dazu auch Kap. 3.1.1). Davon ausgehend bringt dann der Blick durch die Luhmann’sche Brille ebenfalls zumindest zweierlei zum Vorschein: Zum einen haben wir es bei Qualitätsmanagement mit einem System der Selbstorganisation zu tun, das sich auf der Grundlage von internen (und damit: kontingenten) Entscheidungen reproduziert (Kap. 5.2.1). Zum ande‐ ren sehen wir, dass im herrschenden Management-Paradigma die Qualität vor allem über die Leistung von Systemen definiert wird, obwohl zusätzlich deren Funktion von Bedeutung ist (Kap. 5.2.2). 5.2.1 Selbstorganisation von Qualitätsmanagement Im Fall sozialer Systeme haben wir es mit sogenannten autopoietischen, operativ geschlossenen und sich selbst auf der Basis von Kommunikationen als Elementen reproduzierenden Systemen zu tun. Vor diesem Hintergrund ist „Qualität“ die interne, kommunikative Konstruktion autonomer System im Umgang mit externen Anforderungen. Dieser Qualität als einer im „Qua‐ litätsmanagement“ als sozialem System für den Gebrauch in diesem sozialen System angefertigten Konstruktion entspricht nichts „wirklich“ draußen in der Umwelt des Systems. Vielmehr interpretiert Qualitätsmanagement als System die Vorgänge in seiner Umwelt - auf Märkten, im Unternehmen, in der Bildungspolitik oder im Klassenzimmer - gemäß seiner Eigenlogik bzw. seinem Eigensinn. Kurz: Qualitätsmanagement erschafft (s)eine eigene Welt. Im Kontext von Organisationen als dessen Subsystem es in der Regel auftritt, tut es das mithilfe von Entscheidungen als basalen kommunikativen Operationen, die an Entscheidungen anschließen und die selbst wiederum die Basis für weitere Entscheidungen sind (Luhmann 1981, 2000). Daher transportiert Qualitätsmanagement (als organisationales Entscheidungs‐ phänomen) immer in irgendeiner Form seine eigene Kontingenz latent mit. Mit anderen Worten: Es schwingt immer mit, dass die Entscheidungen des 5.2 Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität 161 <?page no="162"?> Management zwar so möglich sind, wie sie (getroffen worden) sind - dass sie aber auch anders möglich (gewesen) wären. Zur Verarbeitung dieser Kontingenz dient dann Qualität als intern kommunikativ für Zwecke der Kommunikation erzeugte „Kontingenzformel“, die Einheit stiftet bzw. für Ruhe sorgt, weil sich alle auf sie beziehen - und doch unterschiedliches darunter verstehen können (siehe Abbildung 32). Abbildung 32: Selbstorganisation des Qualitätsmanagement Dies dürfte auch der (theoretische) Grund dafür sein, dass das (praktische) Qualitätsmanagement kein externes Kriterium für die interne Interpretation von (empirischen) Anforderungen und Erwartungen als Qualitätsanforde‐ rungen und -erwartungen angeben kann (siehe zu diesem „dirty little secret“ Kap. 3.3), sodass sich - mit etwas anderen Worten - aus Sicht des Qualitätsmanagement tatsächlich alle Ziele als Qualitätsziele interpretieren lassen (was einer Entscheidung bedarf und damit Kontingenz hervorbringt). Qualität konstituiert sich als Kontingenzformel sozialer Systeme selbst‐ referentiell, weshalb ihr als Konstruktion bzw. Fiktion in der Wirklich‐ keit nichts unmittelbar entspricht. Qualitätsmanagement kann daher keine externen Kriterien für Qualität angeben, sondern diese nur intern konstruieren. 162 5 Probleme und Lösungen <?page no="163"?> Qualitätsmanagement muss jedenfalls nicht nur den drohenden infiniten Regress (weil alle Kriterien ihrerseits an weiteren Kriterien gemessen werden können; siehe dazu ebenfalls Kap. 3.3) im Auge haben, sondern dar‐ über hinaus sich selbst als System daraufhin beobachten, welche externen Anforderungen und Erwartungen es auf welcher internen Entscheidungs‐ grundlage und im Rahmen welcher interner Entscheidungsabläufe schaffen, durch selbstorganisierte Strukturbildung zu Qualitätskriterien zu werden. Qualitätsmanagement findet sich daher auch in formal organisierten und bü‐ rokratisch rationalisierten Zusammenhängen wie Unternehmen, Schulen, Hochschulen, Krankenhäusern, Behörden etc. stets auf einem Feld macchi‐ avellistischer Machtspiele unter dem Damoklesschwert des Dezisionismus wieder. Dies erklärt zwar den (durch die „International Organization for Stan‐ dardization“ oder die „European Foundation for Quality Management“ gedeckten) Rückzug des Qualitätsmanagement auf organisationsinterne Moderation und organisationsübergreifende Diplomatie bei zugleich inhalt‐ licher Abstinenz. Allerdings ist es nicht ausreichend, sondern vorschnell verkürzend, dabei ausschließlich die für diverse Anspruchsgruppen („Sta‐ keholder“) und allen voran für die Kund*innen zu ihrer Zufriedenheit erbrachten Leistungen, genauer: die erbrachten Leistungs-Outputs (wie Konsumgüter, Beratungsdienstleistungen, Spitalsbehandlungen oder schu‐ lischen Kompetenzerwerb) in den Blick zu nehmen (siehe Kap. 5.2.2). 5.2.2 Überwindung der verkürzenden Leistungsorientierung Weshalb diese auf Leistungs-Outputs von Systemen beschränkte Betrach‐ tungsweise unzureichend ist, erläutert die Luhmann’sche Unterscheidung dreier „Beziehungsmöglichkeiten“, die sozialen Systemen bzw. besser: die den Subsystemen von umfassenderen sozialen Systemen (zum Beispiel den Unternehmen in der Wirtschaft, der Wirtschaft oder der Politik in der Gesell‐ schaft, einer Schule oder einer Hochschule im Bildungssystem oder einem Krankenhaus im Gesundheitssystem) grundsätzlich offenstehen. Es sind dies erstens die Beziehungen des (Sub-)Systems zum umfassenden System, zweitens die Beziehungen des (Sub-)Systems zu den anderen (Sub-)Systemen innerhalb des umfassenden Systems und drittens die Beziehungen des (Sub-)Systems zu sich selbst (siehe Abbildung 33 und vgl. Luhmann 1997, S.-757ff). 5.2 Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität 163 <?page no="164"?> Für den ersten Beziehungstyp (= Orientierung eines Subsystems am umfassenden System) hat sich der Begriff Funktion etabliert, den zweiten Beziehungstyp (= Orientierung eines Subsystems an anderen Subsystemen im Kontext des umfassenden Systems) nennen wir Leistung und den dritten Beziehungstyp (= Orientierung eines Subsystems an sich selbst, wenngleich im Kontext des umfassenden Systems) kennen wir als Reflexion. Abbildung 33: Systembeziehungen: Leistung, Funktion und Reflexion Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, weshalb die derzeit vorherr‐ schende Leistungsorientierung im Qualitätsmanagement eine vorschnell vereinfachende Verkürzung darstellt, indem sie nur einen von drei mögli‐ chen Beziehungstypen in den Blick nimmt und dabei vor allem den Blick auf die Funktion von ausdifferenzierten sozialen (Sub-)Systemen für umfas‐ sendere Systeme bzw. das Gesamtsystem, allen voran für die Gesellschaft verdeckt. Beispielsweise sind Schulen und Hochschulen in eine Vielzahl von Prozessen des Austauschs von Inputs und Outputs mit anderen Systemen eingebettet: Auf der einen Seite benötigen sie materielle und immaterielle Ressourcen, beispielsweise finanzielle und demographische, als „Input“ (Geld- und Sachmittel, Schüler*innen und Lehrer*innen, Student*innen und Professor*innen). Auf der anderen Seite erbringen sie je nach ihrem Ziel (= Selbstreferenz) und Zweck (= Fremdreferenz) bestimmte Leistungen als „Output“ für Systeme in ihrer Umwelt - im Fall der Schule zum Beispiel gebildete Bürger*innen für eine gelingende Demokratie und ausgebildete 164 5 Probleme und Lösungen <?page no="165"?> Arbeitskräfte für eine funktionierende Wirtschaft, im Fall der Hochschule zum Beispiel nützliche Forschungsergebnisse als Grundlage für politische und unternehmerische Entscheidungen. Darüber hinaus übernehmen Schu‐ len und Hochschulen allerdings wichtige Funktionen für die Gesellschaft als umfassendes soziales System (einschließlich ihrer funktionalen Subsysteme, wie beispielsweise Politik, Wirtschaft und Wissenschaft), indem sie diese(s) mit Lern- und Innovationsfähigkeit ausstatten oder ganz allgemein durch Sozialisation ihren Fortbestand zu sichern helfen. Das zeitgenössische, konventionelle Qualitätsmanagement fokussiert auf die von einem System für andere Systeme erbrachten „Leistungen“ und vernachlässigt dabei die für übergeordnete Systeme erbrachten „Funktionen“ sowie die „Reflexion“ des Systems auf sich und seine Beziehungen. Diese Überlegungen wiederum machen einerseits nachvollziehbar, weshalb heute beispielsweise im Universitätsbetrieb die Einführung von solch ver‐ kürztem bzw. verkürzendem Qualitätsmanagement mit der Engführung von Steuerungssystemen auf angewandte Forschung (= Leistungsaspekt) zulasten von grundlegender Forschung (= Funktionsaspekt) einhergeht, oder weshalb in Schulen, Spitälern und Sozialeinrichtungen zunehmend die Etablierung von „Stakeholder-Orientierung“ zu beobachten ist: Immer öfter geht es um die mit Indikatoren und Kennzahlen zu fassende, idealerweise zu messende Leistung eines Systems für andere Systeme. Immer seltener hingegen geht es um die kaum fassbare und kaum messbare Funktion für übergeordnete Systeme. Vergleichbar gilt für Betriebe, in denen auch intern eine „Kultur der Kund*innenorientierung“ etabliert wird, dass nur mechanisch bzw. mechanistisches Denken davon ausgehen kann, die Qua‐ lität eines größeren Ganzen ließe sich über die Addition einzelner Teile bestimmen und erreichen. Eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise muss allerdings Zweifel anmelden, ob das wechselseitige Zufriedenstellen einzelner Abteilungen ein einem Unternehmens bloß dem gemeinsamen Unternehmensziel dienlich ist, oder ob dieses durch lokale Optimierungen nicht auch gefährdet wird. Unter ganzheitlichem Aspekt betrachtet, wäre Qualitätsmanagement je‐ denfalls gut beraten, Qualität nicht nur über die (Zufriedenheit von Kund*in‐ nen und anderen Anspruchsgruppen mit den erbrachten) Leistungen zu 5.2 Qualitätsmanagement als kommunikative Verarbeitung von Komplexität 165 <?page no="166"?> bestimmen, sondern darüber hinaus auch die (aus Sicht des Gesamtsystems nötige Reibungslosigkeit der) Funktion im Auge zu behalten - zumindest dann, wenn das Fortbestehen des umfassenderen sozialen Systems als Umwelt (im Fall eines Unternehmens zum Beispiel der Wirtschaft, im Fall einer Universität zum Beispiel der Wissenschaft und im Fall einer Schule zum Beispiel des Erziehungssystems) sowie der daraus bestehenden „ökologischen Nische“ und letztlich der Gesellschaft insgesamt nicht außer Acht gelassen werden soll (siehe Kap. 5.3). 5.3 Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus Nachdem wir mit Talcott Parsons die Frage nach der Funktion von Qualitäts‐ management für Systeme des (organisierten) sozialen Handelns (siehe Kap. 3.1.1 und 5.1) und dann mit Niklas Luhmann die Frage nach der Funktion von Qualitätsmanagement als eines (kommunikativen) sozialen Systems selbst (siehe Kap. 3.1.1 und Kap. 5.2) beantwortet haben, stellt sich nun in „funktionaler“ Betrachtungsweise noch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Systemen und ihrer Umwelt bzw. ihren Umwelten sowie damit in Zusammenhang nach der Rolle, die das Qualitätsmanagement bei der Vermittlung zwischen beiden spielt. Zum einen haben wir es bei Qualität mit dem „emergenten“ Ergebnis einer Unterscheidung zu tun, sodass Qualitätsmanagement als das Produzieren und Prozessieren dieser Differenz zu verstehen ist (Kap. 5.3.1). Zum anderen sehen wir, dass im herrschenden Management-Paradigma die Qualität auf einer Schließung des Zukunftshorizonts und damit auf tendenziell statischem, konservativem Denken beruht (Kap. 5.3.2). 5.3.1 Passung von System und Umwelt Wie bereits in Zusammenhang mit den Grundlagen und Hintergründen systemisch-systemtheoretischer Perspektiven festgehalten (siehe Kap. 3.1), liegt hinter der Einheit stiftenden und zugleich diese Einheit symbolisie‐ renden Kontingenzformel „Qualität“ bei etwas näherem Hinsehen eine Differenz im Sinne einer „Unterscheidung, die einen Unterschied macht“ (Bateson 1972). Genauer gesagt handelt es sich bei Qualität um die Differenz bzw. um die Einheit der Differenz zwischen normativen Anforderungen als 166 5 Probleme und Lösungen <?page no="167"?> 81 Dass die zwei Seiten einer Unterscheidung stets zwei Seiten einer Unterscheidung sind, formuliert George Spencer-Brown (1969, S. 1) als: „Distinction is perfect continence“ (was ins Deutsche zumeist übersetzt wird als: „Unterscheidung ist perfekte Be-Inhal‐ tung“). Soll-Werten und (laut DIN ISO: den Grad) ihrer Erfüllung durch einen Satz realer Merkmale als Ist-Werten. Gemäß der ebenfalls bereits oben allgemein auf die für ein System konstitutive System-Umwelt-Unterscheidung ange‐ wandten, abstrakten Darstellung dieses Sachverhalts unter Rückgriff auf das Formenkalkül von George Spencer-Brown stellt sich dies wie folgt dar (siehe Abbildung 34 oben; zu einer seltenen Anwendung auf Qualitätsmanagement am Beispiel der ISO 9000 vgl. Kasper, Mejer & Meyer 1999): Wie der gebogene „Haken“ (┐) als schlichtes Symbol zeigt, wird Qualität „emergent“ durch die Unterscheidung zwischen realem Ist und normativem Soll hervorgebracht. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass es sich dabei um eine Unterscheidung (in der Beobachtung) und nicht um ein Trennung (in der Realität) handelt. Jeder real vorgefundene Zustand kann analytisch von einem angestrebten Zustand unterschieden bzw. in Bezug auf diesen angestrebten Zustand beobachtet werden - und umgekehrt impliziert die Rede vom Soll-Zustand einen davon implizit unterschiedenen Ist-Zustand. 81 Abbildung 34: Unterscheidung und Wiedereintritt in das Unterschiedene Diese Unterscheidung ist in weiterer Folge die Keimzelle für Qualitätsma‐ nagement als System, denn dieses lässt sich als ein Prozessieren, als ein fortlaufendes Produzieren und Re-Produzieren dieser Differenz („law of cal‐ ling“ nach George Spencer-Brown) verstehen: Qualitätsmanagement „lebt“ gewissermaßen davon, faktisch vorgefundene Zustände von angestrebten Zuständen zu unterscheiden bzw. in Bezug auf angestrebte Zustände zu beobachten - das ist seine Funktion, mit der es Management par excellence 5.3 Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus 167 <?page no="168"?> repräsentiert (siehe die in Kap. 2 einleitend zitierten Überlegungen von Dirk Baecker). Qualität entsteht emergent auf Grundlage der Leitunterscheidung zwi‐ schen „Soll“ und „Ist“. An der Handhabung dieser Unterscheidung arbeitet sich in weiterer Folge das Qualitätsmanagement ab, womit sich zugleich eine aus System und Umwelt bestehende „ökologische Nische“ bildet. Indem Qualitätsmanagement zunächst danach strebt, faktisch vorgefundene Zustände an angestrebten Zuständen zu messen (= Qualitätsprüfung), und in weiterer Folge, die real vorgefundenen Zustände den angestrebten Zuständen anzunähern (= Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung), vermittelt es die Passung bzw. den „fit“ in der ökologischen Nische. Und wenn dabei die Annäherung in umgekehrter Richtung, also die Annäherung der ideal angestrebten an die faktisch vorgefundenen Zustände als nicht gern gesehen gilt (und eher dem Marketingmanagement in die Schuhe geschoben wird; siehe Anm. 60), so ist dies eher eine konventionelle Sichtweise, deren naiver Blick lineare Kausalitätsvorstellungen an die Stelle von zirkulärer Kausalität und Ko-Evolution setzt. Wirklichkeitsnäher ist in ökologischen Nischen demgegenüber wohl die Idee von wechselseitigen Wirkungszusammenhängen. Ganz in diesem Sinne erlaubt Qualitätsma‐ nagement in systemisch-systemtheoretischer Perspektive das prinzipielle Offenhalten der beiden Seiten verschiedener Unterscheidungen, allen voran der Unterscheidungen „Zweck ┐Mittel“, „Ziel ┐ Erreichung“, „Anforderun‐ gen ┐Erfüllung“ und natürlich „faktisches Ist ┐normatives Soll“. Wichtige Voraussetzung jeder Qualitätsprüfung, -sicherung und -ent‐ wicklung ist - auch das wird damit deutlich - die sogenannte „(Wieder-)Ein‐ führung der Unterscheidung in das Unterschiedene“ mit dem, was George Spencer-Brown als „re-entry“ bezeichnet und durch einen „gebogenen Ha‐ ken“ symbolisiert hat (siehe Abbildung 34 unten und Anm. 38). Mit anderen Worten: Qualitätsmanagement arbeitet sich auf Basis der Unterscheidung zwischen Ist und Soll ausgehend von dieser Unterscheidung an dieser Unterscheidung ab, indem es versucht, sie sukzessive zu minimieren - und damit den „Grad, in dem das Ist dem Soll entspricht“ (wie wir die DIN EN ISO Definition interpretieren können) zu erhöhen. 168 5 Probleme und Lösungen <?page no="169"?> 82 Wenn diese Schließung durch Entscheidungen erfolgt, trifft zu was Heinz von Foerster (1993, S. 73) über Unentscheidbarkeit als deren Voraussetzung festgestellt hat (siehe bereits Anm.-37). 5.3.2 Überwindung der geschlossenen Zukunft Darüber hinaus bringt diese formale Fassung eine dem konventionellen Qualitätsmanagement immer schon inhärente Begrenztheit in den Blick - denn das Fundament für dessen Funktionieren ist quasi eine Schließung der Zukunft durch mehr oder weniger begründete (oder gar nicht begründ‐ bare? 82 ) Setzungen: Die Festlegung von Anforderungen, die es zu erfüllen gilt, und das Fassen dieser Anforderungen in Ziele. Diese Schließung bzw. Setzung bildet dann jenen Kontext, innerhalb dessen das Qualitätsmanage‐ ment nach einer Sicherung und Steigerung von Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) bei der Erreichung von Zielen durch den zweckrationalen Einsatz von Mitteln streben kann (man denke wieder an die Definition von Qualität als Grad der Erfüllung von Anforderungen gemäß DIN EN ISO oder an die Zufriedenheit von Kund*innen bzw. Anspruchs‐ gruppen als zentrales Qualitätskriterium). Allerdings hat uns insbesondere Gregory Bateson (1972) anschaulich ge‐ zeigt, dass wir es bei jedem Kontext mit einem Konstrukt im Rahmen weitere Kontexte, also mit einer unabschließbaren Reihe von Kontexten-in-Kontex‐ ten zu tun haben (deshalb auch der in Kap. 3.3 angesprochene „infinite Re‐ gress“). Nicht nur lässt sich ein beobachteter Zustand („Ist“) im Vergleich zu einem angestrebten Zustand („Soll“) bewerten, sondern dieser angestrebte mit anderen Alternativen („? “) vergleichen (siehe Abbildung 35). Abbildung 35: Unabschließbarkeit der Zukunft 5.3 Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus 169 <?page no="170"?> Eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise erlaubt vor diesem Hinter‐ grund die Einsicht, dass das durch die Schließung einerseits Ausgeschlos‐ sene der Zukunft eben dadurch andererseits (latent) eingeschlossen bleibt (siehe Anm. 81). Damit bieten sich dem Qualitätsmanagement neue Mög‐ lichkeiten, um die Gleichzeitigkeit von sowohl (vorläufiger) Schließung als auch (potentieller, punktueller) Öffnung zu bearbeiten, was einer paradoxen Praxis bzw. der Entfaltung einer praktischen Paradoxie gleichkommt, weil es keine eindeutige Anweisung für den Wechsel zwischen den zwei Seiten der Unterscheidung gibt - und auch nicht geben kann (siehe dazu bereits oben Kap. 3.2.1). Zugleich hat schon Niklas Luhmann in seinem opus magnum notiert: „Die Letztfundierung in einem Paradox gilt als eines der zentralen Merkmale postmodernen Denkens. Die Paradoxie ist die Orthodoxie unserer Zeit.“ (Luhmann 1997, S. 1144) Und weil sich Paradoxien eben definitions‐ gemäß nicht auflösen, sondern nur „entfalten“ lassen, liegt darin letzten Endes ein energetisches Potential, das (Qualitäts-)Management stets aufs Neue antreibt. Die vom Qualitätsmanagement vorgenommenen Unterscheidungen schließen das Ausgeschlossene ein, sodass beide Seite konstitutiv für die Bestimmung von Qualität sind. Dass Unterscheidungen stets eine letzte, unbestimmte Außenseite aufweisen, öffnet den Blick auf eine unbestimmte Zukunft. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang nur an Einsichten im sogenann‐ ten Wissensmanagement, wo heute nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass allein „Wissen“ als die bezeichnete Seite der Unterscheidung zwischen Wissen und Nicht-Wissen von Bedeutung ist, sondern sich die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, dass neben Wissen außerdem gerade Nicht-Wissen sowie die Einheit dieser Unterscheidung zwischen Wissen und Nichtwissen, vor allem aber der umsichtige Umgang mit beiden Seiten dieser Unterscheidung einen wichtigen „Erfolgsfaktor“ darstellen kann (vgl. Willke 2004, Schneider 2006). Ignoranz ist keineswegs immer nur eine defi‐ zitäre Diagnose (sondern zugleich die Voraussetzung für Lernen, Entdecken etc.). Für Qualitätsmanagement ist damit zugleich die Frage aufgeworfen, ob es denn wirklich immer nur um die effiziente bzw. effektive Erfüllung von Erwartungen gehen muss, oder ob nicht manchmal gerade die Enttäuschung von Erwartungen ein Hinweis auf (bessere) Qualität ist - und falls ja, wie 170 5 Probleme und Lösungen <?page no="171"?> denn solche wünschenswerten Enttäuschungen (= Innovationen) einerseits von unerwünschten Enttäuschungen (= Fehlern) zu unterscheiden sind. Spätestens mit dieser letzten Frage sind wir zunächst wieder auf die Perspektivität und vor allem auf die Kontextualität des Qualitätsbegriffs und damit des Qualitätsmanagement zurückverwiesen: Es ist demnach eine Frage der Perspektive und des Kontextes, ob Abweichungen als erwünscht oder als unerwünscht klassifiziert werden (vgl. Merton 1938). So weit, so gut. Allerdings zeigt sich rasch ein mit dieser Lösung aufgeworfenes neues Problem, nämlich: Stets wird (implizit oder explizit) Bekanntes als Beurteilungsgrundlage genommen, was angesichts einer offenen Zukunft eher problematisch ist, denn, wie lautet eine von Dirk Baeckers pointierten „Thesen zur Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft“: „Die Integrationsform der nächsten Gesellschaft ist nicht mehr die Geschichte in ihrer Gegenwart als Fortschritt oder Dekadenz, sondern die unbekannte Zukunft in ihrer Gegenwart als Krise. Solange man nicht weiß, wie es weitergeht, vergewissert man sich eines Stands der Dinge, auf den kein Verlass ist.“ (Baecker 2011b), Dem Qualitätsmanagement - nicht nur, aber insbesondere in Unternehmen und Universitäten bzw. ganz allgemein in Bildungseinrichtungen, die unsere Gesellschaft in erster Linie mit Fähigkeiten des Lernens und Innovierens ausstatten sollen - könnte man angesichts dessen ans Herz legen, sich beispielsweise den neuzeitlichen Wissenschaftsbetrieb mit seiner professio‐ nellen Selbststeuerung zum Vorbild zu nehmen (vgl. Nowotny 2005, Baecker 2007; dazu Reinbacher 2019). Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Welche strukturellen Widersprüche bestehen zwischen der syste‐ misch-systemtheoretischen Sichtweise und dem konventionellen Qua‐ litätsmanagement? Wie lässt sich ihnen begegnen und wie lassen sich daraus resultierende Konflikte ggf. produktiv nutzen? ● Welche Bedeutung hat die Mehrdimensionalität von sozialen Systemen, insbesondere von Organisationen, für die Überwindung von „integra‐ 5.3 Qualitätsmanagement als ökologischer Überlebensmechanismus 171 <?page no="172"?> tiven systemischen Spannungen“ in Zusammenhang mit unterschiedli‐ chen Zugängen im Qualitätsmanagement? ● Welche verschiedenen Arten von Beziehungen zwischen Systemen bzw. Subsystemen gibt es, die daher vom Qualitätsmanagement im Blick zu behalten sind - und mit welchen Folgen ist bei einer unausgewogenen Berücksichtigung dieser Beziehungen zu rechnen? ● Inwiefern lässt sich Qualitätsmanagement als „ökologischer Überle‐ bensmechanismus“ verstehen? Welche Rolle spielt „Selbstorganisation“ (im Unterschied zu Fremdorganisation) im Kontext von Qualitätsma‐ nagement? Wie verhalten sich „Autonomie“ und „Abhängigkeit“ 172 5 Probleme und Lösungen <?page no="173"?> 83 So ist es zum Beispiel entgegen den einschlägigen, einfachen Empfehlungen wohl kaum möglich, gleichzeitig nach „Qualität“ und nach „Innovation“ zu streben, also Erwartungen gleichzeitig zu erfüllen (= Qualität) und zu enttäuschen (= Innovation). 6 Dos and Don’ts Dieses Kapitel zeigt ● woran man die 7 Todsünden (Stolz, Geiz, Neid, Zorn, Ausschwei‐ fung, Maßlosigkeit, Trägheit) im Qualitätsmanagement erkennt und wie sie sich vermeiden lassen. ● was es bedeuten kann, sich im Qualitätsmanagement an Tugenden wie Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit zu orientie‐ ren. ● welcher Zusammenhang zwischen Organisationsentwicklung bzw. Change-Management und Qualitätsmanagement, also „systemi‐ scher Schleife“ und PDCA-/ PDSA-Zyklus besteht. Die Lernfragen zu diesem Kapitel finden Sie unter: 🔗 https: / / narr.kwaest.io/ s/ 1197 Dieses zusammenfassende Kapitel bildet eine Klammer zum Ausgangs‐ punkt, also zur steigenden sozialen Komplexität auf gesellschaftlicher Ebene als der umfassenden Umwelt für soziale Systeme. Vor diesem Hintergrund hat sich gezeigt, dass die Verarbeitung von Komplexität durch Reduktion und Produktion das Management vor eine doppelte Aufgabe stellt. Die Voraussetzungen dafür sowie daraus folgende Probleme und Lösungen, wie sie dieser Band behandelt hat, werden nun noch einmal kurz „rekapituliert“ - allerdings ohne die üblichen vorschnellen Vereinfachungen. Während die modebewusste Management- und Organisationslehre (Abrahamson 1991) dazu neigt, die unvermeidlichen Ambivalenzen der Praxis in „proverbs of administration“ (Simon 1946) 83 zwar auf den ersten Blick aufzulösen, die Anwendung dieser sich auf den zweiten Blick ebenfalls als ambivalent herausstellenden Sprichwörter wieder der Praxis zu überlassen, sollen hier einige Fallstricke und Erfolgsfaktoren für Qualitätsmanagement benannt (Kap. 6.1) sowie Anschlussmöglichkeiten systemisch-systemtheoretischer Perspektiven im Qualitätsmanagement an jene der Organisationsentwick‐ <?page no="174"?> 84 Dies ist das klassische (wenngleich allerdings sozialphilosophische, nicht im engeren Sinne empirisch unterfütterte, sozialwissenschaftliche) Argument in der Bienenfabel von Bernard Mandeville (1670-1733) oder in den beiden darauf kritisch Bezug nehmen‐ den Büchern von Adam Smith (1723-1790), Theorie der ethischen Gefühle und Wohlstand der Nationen. lung und -beratung skizziert werden (Kap. 6.2), statt starre Prinzipien als „Tipps und Tricks“ zu präsentieren. Ziel ist es, die Komplexität für den Managementalltag beherrschbar zu machen, ohne in die Welt des naiven Kitsch mit ihren normativen Rezepten abzudriften (Kap. 6.3). ● Klassische Todsünden und Tugenden geben keine eindeutigen, norma‐ tiven Handlungsempfehlunkgen, wie der naive Geist sie verlangen mag, sondern sie konstruieren anstelle von Kitsch einen Korridor für das Handeln. Mit anderen Worten: Sie transformieren unbestimmte in bestimmte Kontingenz. 6.1 Todsünden und Tugenden Die in diesem Abschnitt angestellten Überlegungen folgen zunächst der Intuition, dass es sich bei den auf das Alte Testament zurückgehenden und seither in der abendländisch-christlichen Tradition mehrmals veränderten Katalogen an „Todsünden“ und „Tugenden“ im Kern um anthropologische Konstanten des menschlichen Zusammenlebens handelt. Sie dienen uns als heuristische Metaphern, um Empfehlungen für das Managementhandeln zu formulieren - und zwar sowohl im Negativen wie auch im Positiven. Auf eine ausufernde Exegese kann und soll dabei ebenso verzichtet werden wie auf ein Überstrapazieren der basalen Intuition, weil gerade die sys‐ temisch-systemtheoretische Perspektive sieht, dass „sündhaftes“ Handeln mitunter zu „tugendhaften“ Effekten auf individueller und/ oder kollektiver Ebene führen kann. 84 Superbia (Stolz, Eitelkeit, Hochmut) finden wir dann, wenn sich das Qua‐ litätsmanagement und seine Vertreter*innen durch Fehlen von Selbst-Kri‐ tik „auszeichnen“ und/ oder gegen Fremd-Kritik abschotten. Aufgrund mangelnder Motivation und/ oder fehlender Fähigkeit zur (Selbst-)Refle‐ xion - gegebenenfalls in Kombination mit übersteigerten Formen aktiver (Selbst-)Immunisierung gegenüber berechtigten (argumentativen) Einwän‐ den und (alternativen) Eigenlogiken anderer Systeme wie beispielsweise je‐ 174 6 Dos and Don’ts <?page no="175"?> nen des organisationalen Marketing-, Personal- oder Change-Management - sabotiert Qualitätsmanagement seine eigene systemische Anschlussfähig‐ keit und fördert das Entstehen von Parallelwelten, sogenannten „Potem‐ kin‘schen Dörfern“, die mit der eigentlichen Organisationsrealität nur mehr wenig zu tun haben. Avaritia (Geiz, Habgier, Habsucht) droht dort, wo das Qualitätsmanage‐ ment und seine Vertreter*innen mit Absolutheitsansprüchen auftreten und zunehmend andere organisationale Management-Felder zu vereinnahmen versuchen. Qualität als Kontingenzformel ist dann ein überdehnter „um‐ brella term“. Denn wenn alles zum Gegenstand von Qualitätsmanagement gemacht wird, verliert dieses seine spezifische Unterscheidbarkeit, sodass es nichts Bestimmtes mehr bedeutet und sein Inhalt immer indifferenter wird. Invidia (Neid, Eifersucht, Missgunst) kommt zum Ausdruck, wenn das Qualitätsmanagement und seine Vertreter*innen sich auf einen formalen Zugang zurückziehen und damit einem (methodologischen) Partikularismus in Gestalt individueller Interessen das Feld überlassen - oder diesen sogar gezielt fördern. Dies führt im Ergebnis zu einer Forcierung von Machtspielen unter dem Damoklesschwert des drohenden Dezisionismus, beispielsweise wenn die Erwartungen von Kund*innen, Klient*innen, Eigentümer*innen, Mitarbeiter*innen etc. kollidieren, ohne dass für den Umgang damit eine Lösung angeboten werden kann. Ira (Zorn, Wut, Rachsucht) resultiert möglicherweise aus praktischen Problemen in der Umsetzung von Qualitätsmanagement, die nicht mit einem Verlassen der Denk- und Handlungsrahmen („frames“), also mit Innovation beantwortet werden, sondern mit einer Strategie des „Mehr-vom-selben“. Eine solche Antwort auf Abwehr- oder gar Immunreaktionen eines (organi‐ sierten) Systems führen rasch in sich selbst verstärkende Kreisläufe (Stich‐ wort: zirkuläre Kausalität), beispielsweise wenn auf Nichtbefolgung von Regulativen des Qualitätsmanagement mit neuen Regeln für die Einhaltung der Regulative reagiert wird. Luxuria (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren) führt aus unterschied‐ lichen Gründen nicht selten zu überbordenden Qualitätsmanagement-Sys‐ temen, die dann rasch zulasten der „eigentlichen“ Kernaufgaben der Organi‐ sation gehen - oder zumindest als bedrohlich für die Kernleistungsbereiche erscheinen können. Insbesondere formal-organisatorischen, bürokratischen Strukturen wohnen Wachstumstendenzen inne, die durch individuelles Handeln verstärkt werden, wenn die Größe von Abteilungen, die Anzahl der 6.1 Todsünden und Tugenden 175 <?page no="176"?> 85 Auch die von diesem Witz suggerierte, auf den ersten Blick plausible Nutzlosigkeit des Produkts stellt sich auf den zweiten Blick vermutlich für die Mafia als Kundin auf der einen und für deren Opfer auf der anderen Seite jeweils unterschiedlich dar. direkt unterstellten Mitarbeiter*innen usw. als persönlicher Prestigegewinn verbucht werden (können). Gula (Maßlosigkeit, Unmäßigkeit, Selbstsucht) äußert sich im unge‐ hemmten, ungebremsten Streben des Qualitätsmanagement und seiner Vertreter*innen nicht nur nach höherer Effektivität und Effizienz, sondern sogar nach sogenannter Exzellenz. Dieses Streben ist Ausdruck eines mo‐ dernen Imperativs der Steigerung, Optimierung und „kontinuierlichen Ver‐ besserung“. Mit diesem prinzipiell unabschließbaren, unerfüllbaren „Kondi‐ tionalprogramm“ (Luhmann 1968, 2000) sichern das Qualitätsmanagement und seine Vertreter*innen strategisch den eigenen Fortbestand: Dem olym‐ pischen Gedanken „citius, altius, fortius“ gemäß (siehe bereits Anm. 62) gilt es Qualität ja nicht nur zu sichern, sondern stets fortlaufend und vor allem „ad infinitum“ weiterzuentwickeln. Acedia (Trägheit, Feigheit, Ignoranz) kommt beispielsweise in jenem Treppenwitz zum Ausdruck, demzufolge sich mit Qualitätsmanagementsys‐ temen auch die Produktion von auf den ersten Blick eher nutzlosen Dingen wie Rettungsringen aus Beton regulieren und zertifizieren ließe. 85 Dies ist dort nicht von der Hand zu weisen, wo sich das Qualitätsmanagement und seine Vertreter*innen auf ausschließlich formale Gestaltung von Prozessen zurückziehen und durch Nachahmung ihr Risiko minimieren - denn im Fall von Problemen können sie darauf verweisen, auf die „übliche Art und Weise“ gehandelt zu haben. Abbildung 36: Todsünden im Qualitätsmanagement Im Vergleich zum Katalog an Todsünden als Empfehlung „ex negativo“ erscheint die Liste an Tugenden überraschend kurz. Allerdings handelt es sich dabei nur um sogenannte Kardinal- oder Primär-Tugenden als 176 6 Dos and Don’ts <?page no="177"?> Grundlage für weitere, darauf aufbauende (Sekundär-)Tugenden, derer es eine viel größere Zahl gibt. Abbildung 37: Tugenden im Qualitätsmanagement Iustitia (Gerechtigkeit) bedeutet im Qualitätsmanagement unter anderem, sich nicht nur an klassischer Mittel-Zweck-Rationalität zu orientieren, son‐ dern darüber hinaus der Wertrationalität den entsprechenden Stellenwert zukommen zu lassen. Damit ist gemeint dass unter „Qualität“ mehr als die bestmögliche Bedienung bzw. Befriedigung individueller (partikularer) In‐ teressen durch die Instrumentalisierung sozialer (organisationaler) Zusam‐ menhänge verstanden wird, nämlich darüber hinaus die Übernahme sozialer und letztlich gesellschaftlicher Verantwortung im Sinne einer Verantwor‐ tung für das größere Ganze im Rahmen des Handelns und Entscheidens. So verstandenes Qualitätsmanagement verlangt von den Verantwortlichen einen Blick für die Funktion von Systemen und für ökologische Nischen aus Systemen und ihrer Umwelt, da die Summe der für einzelne Anspruchsgrup‐ pen zu deren Zufriedenheit erbrachten Leistungen (als Teile) zwar zweifellos wichtig ist, aber eben noch nicht die Qualität des Systems (als Ganzes) ausmacht. Temperantia (Mäßigung) verhilft im Qualitätsmanagement zunächst ein‐ mal zur Einsicht in die dem Qualitätsbegriff inhärente Perspektivität und damit in die Grenzen eines jeden Qualitätsverständnisses - also zum Beispiel sowohl eines professionsals auch eines marktorientierten, also sowohl eines an zu beratenden Klient*innen als auch eines an zu betreuenden Kund*innen ausgerichteten. In weiterer Folge fördert ein gemäßigtes Auf‐ treten die Anerkennung spezifischer Eigenlogiken anderer Aufgabenberei‐ che des Management (also zum Beispiel des sich meist gegen zu viele normative Regulierungen sträubenden Innovationsmanagement). Darüber hinaus führt ein an Mäßigung orientiertes Vorgehen beim Aufbau von Architekturen des Qualitätsmanagement erfahrungsgemäß zu breiterer organisationsinterner Akzeptanz, als wenn bei Mitarbeiter*innen der Ein‐ 6.1 Todsünden und Tugenden 177 <?page no="178"?> druck entsteht, es würden ausufernde Systeme aufgebaut, die andernorts eingesparte Ressourcen verschlingen. Fortitudo (Tapferkeit) heißt im Qualitätsmanagement auch Kreativität und Aufgeschlossenheit bei der Entwicklung organisations- und feldspezi‐ fischer Konzepte an den Tag zu legen (also mit etwas anderen Worten: nicht nur stur auf eine Anwendung standardisierter und/ oder andernorts schon etablierter Modelle zu beharren). Außerdem geht es in diesem Zusammen‐ hang darum, den sprichwörtlichen „Mut zur Lücke“ zu pflegen - was im Angesicht von externen Verfahren der Qualitätssicherung (von A wie Audit bis Z wie Zertifizierung) oft leichter gesagt als getan ist. Hier aber zeigt sich die Meisterschaft jener Verantwortlichen, die beispielsweise mit schlanker Dokumentation sowohl formal den Anforderungen externer Agenturen entsprechen als auch zugleich intern den Mitgliedern der Organisation für ihre Aufgabenerfüllung praktisch relevante Leitlinien an die Hand geben. Prudentia (Klugheit) ist nicht nur für viele Vertreter der abendländi‐ schen Philosophie (allen voran für Platon in seinem Buch „Der Staat“) die wichtigste aller Tugenden, sondern ihr kommt auch im Kontext von Qualitätsmanagement ein prominenter Platz zu. Hier meint sie so etwas wie systemische Sensibilität, also Einsicht in das Erfordernis spezifischer Eigenlogik und Eigenkomplexität, oder Ausbalancieren von Anpassungsfä‐ higkeit und Veränderungsbereitschaft in Systemzusammenhängen. Wohl nicht ganz zufällig erinnert dies an Steuerungskonzepte, die ansonsten vor allem in sogenannten „professionellen“ Settings zur Anwendung kommen (siehe Kap. 3.3). In beiden Fällen geht es darum, angesichts der Unmöglich‐ keit einer direkten, direktiven Steuerung komplexer Systeme auf indirekte Rahmensteuerung mittels Wissen und Erfahrung umzustellen, um so Auf‐ schluss über den Eigensinn von „black boxes“ mit ihrer unvermeidlichen Eigenkomplexität zu erlangen. Todsünden und Tugenden sind weniger wörtlich zu nehmen als viel‐ mehr Metaphern dafür, dass es Prinzipien zur Orientierung braucht, die nicht eindeutig Festlegungen sind, sondern weiterhin Flexibilität ermöglichen - denn es gilt die Komplexität nicht zu verdrängen, sondern zu feiern. 178 6 Dos and Don’ts <?page no="179"?> 6.2 Abwege und Auswege Insgesamt sind die vorhin genannten Todsünden und Tugenden ein Plädoyer für Ausgewogenheit und Augenmaß bzw. für Gelassenheit und Geduld anstelle von „Einfachdenken“ (Vobruba 2019) oder von „Vereindeutigung“ (Bauer 2018) samt der mit solchen scheinbar einfachen, eindeutigen Problemlö‐ sungen in der Praxis einhergehenden Polarisierung - zum Beispiel wenn sich Konfliktlinien entlang der Differenz pro/ contra Qualitätsmanagement bilden oder stures Befolgen starrer Prinzipien zu „Fehlvereinfachungen“ (Reinbacher 2021) führt. Die Welt der Organisationen und des Manage‐ ment ist ja nicht an sich komplex, sondern sie ist dies stets nur aus der Perspektive eines Beobachters bzw. einer Beobachterin der bzw. die mit dieser Welt umzugehen versucht. Daher mag der Rückgriff auf einfache bzw. vereinfachende und eindeutige bzw. vereindeutigende Rezepte zwar verlockend sein, doch ähnelt dies jenen Schiffbrüchigen, die ihren Durst mit Meerwasser zu stillen versuchen. Bekanntlich existiert ja für jedes Problem eine einfache und eindeutige Lösung, die allerdings falsch (und damit selbst wieder ein Problem) ist, weshalb vielleicht sogar unklaren (und damit vornherein problematischen) Lösungen der Vorzug zu geben ist, und heute weniger die Unfähigkeit, klare Empfehlungen zu formulieren, ein Problem darstellt, sondern sogar die Fähigkeit, unklaren Empfehlungen zu folgen, einen wichtigen Ansatzpunkt für Lösungen bieten kann. Im Qualitätsmanagement zeigt sich dies unter anderem daran, dass Festle‐ gungen stets unter Vorbehalt stehen - beispielsweise, wenn in Handbüchern dokumentierte Prozesse zwar einerseits die vorgesehenen Vorgehensweisen definieren, andererseits jedoch im Zuge des Änderungsdienstes selbst zur Disposition stehen, oder wenn einerseits Fehlertoleranz und Fehlerkultur eingefordert werden, andererseits Reduktion bzw. sogar Ausschluss von Fehlern als Indikatoren für Qualität herangezogen werden. Stets gilt es, einen geeigneten Weg zwischen Scylla und Charybdis zu finden, um den widersprüchlichen Anforderungen - für die man in der Managementlite‐ ratur eingängige, eindeutige und einfach klingende Bezeichnungen wie 6.2 Abwege und Auswege 179 <?page no="180"?> 86 Von lat. ambo („beide“) und dextra („geschickt“) bedeutet „Beidhändigkeit“ statt Rechts- oder Linkshändigkeit in einem übertragenen Sinne dahingehend, dass von Organisa‐ tionen gefordert wird, sowohl neue Wege zu erkunden („exploration“) als auch beste‐ hendes Wissen wirkungsvoll und wirtschaftlich einzusetzen („exploitation“), obwohl zwischen beiden Strategien ein „trade off “ besteht - denn wer innovativ auf der Suche nach Neuem ist, verzichtet (kurzfristig) auf Effizienz, die eher derjenige erreicht, der (kontinuierlich) nach einer Verbesserung des Altbekannten und -bewährten strebt (O’Reilly III & Tushman 2008). 87 Zum folgenden Gedanken siehe am Beispiel des Universitäts- und Hochschulbetriebs ausführlich Reinbacher 2019, S.-81ff. „organisationale Ambidextrie“ oder auch „organisationale Agilität“ findet - gerecht zu werden. 86 Dies entspricht dem bereits als klassisch zu bezeichnenden Spannungsfeld zwischen „Legitimation“ (Rechenschaftslegung, Kontrolle etc.) auf der einen und „Lernen“ (Verbesserung, Entwicklung etc.) auf der anderen Seite (siehe Abbildung 38; Reinbacher 2019), dem im Kontext von Qualitätsmanagement - aller Verdrängungsversuche zum Trotz - nicht zu entkommen ist. Immer gilt es die Balance zu halten zwischen zumindest zwei entgegengesetzten Polen eines Spektrums, beispielsweise zwischen dem stets latent vorhan‐ denen Misstrauen der Kontrolle (Legitimation) einerseits und dem für Ent‐ wicklung (Lernen) unverzichtbaren Vertrauen andererseits, oder zwischen Vergangenheitsorientierung auf der einen und Zukunftsorientierung auf der anderen Seite - beide müssen stets in der Gegenwart zur Synthese gebracht werden, ohne die „exploitation“ des aus der Vergangenheit bereits Bekannten oder die „exploration“ des noch in der Zukunft liegenden Unbe‐ kannten entweder zu verabsolutieren oder zu verleugnen. In diesem Lichte betrachtet, sind Qualitätsmanager*innen nicht nur die Nachfahr*innen moderner Aufklärer*innen mit ihren Rationalitätsidealen, wie Dirk Baecker pointiert formuliert hat (siehe Kap. 2), sondern zugleich Vorfahr*innen eines postmodernen Steuerungsideals, das - um einer Verwechslung mit der als veraltet geltenden Verwaltungslehre zu entgehen - als „Schaf im Wolfspelz“ (Reinbacher 2015) auftritt. 87 Sowohl die klassischen sieben als auch die „systemischen Tugenden“ wie Ausgewogenheit und Augenmaß oder Gelassenheit und Geduld sind ein Plädoyer für das Akzeptieren und Aushalten von Ambiguität und Ambivalenz in Spannungsfeldern - zum Beispiel zwischen Legitimation und Lernen. 180 6 Dos and Don’ts <?page no="181"?> Der Qualitätsmanager als „soziale Figur“ erinnert dabei mit etwas Phantasie an den „Fremden“ in der soziologischen Betrachtungsweise von Georg Simmel (1908): Demnach lässt sich der Fremde als Figur bestimmen an‐ hand seines Verhältnisses zum Raum, der als „Symbol der Verhältnisse zum Menschen“ dient, weil in ihm auf charakteristische Art und Weise gegensätzliche Verhältnisse - nämlich Ferne und Nähe bzw. „Gelöstheit“ des vorübergehend Wandernden und „Fixiertheit“ des dauerhaft Wohnen‐ den - zur Einheit gelangen. Vergleichbar lässt sich die soziale Figur des Qualitätsmanagers bestimmen anhand des Verhältnisses zur Zeit, die als Symbol der Verhältnisse zum sozialen Objekt dient, weil in ihr ebenfalls auf charakteristische Art und Weise gegensätzliche Verhältnisse - nämlich Vergangenheit und Zukunft bzw. Bewertung der Gegenwart unter Rückgriff auf das bereits Bekannte und Bewertung der Gegenwart unter Vorgriff auf das noch Unbekannte - zur Einheit gelangen. Während Simmel in diesem Zusammenhang den Fremden sowohl vom „Bewohner des Sirus“ als auch vom „Barbaren“ abgrenzt, können wir den Qualitätsmanager von jenen abgrenzen, die dem Spannungsfeld aus Vergangenheit und Zukunft zum Trotz gänzlich auf die Gegenwart fokussiert sind oder gar in einem der (linearen) Zeit enthobenen „Flow“ (Csikszentmihalyi 1988) aufgehen. Dies bedeutet wiederum für den Fremden in räumlicher, für den Quali‐ tätsmanager in zeitlicher Hinsicht, dass er ein „schlechthin Beweglicher“, wie Georg Simmel im „Exkurs über den Fremden“ (1908) schreibt, ist, der immer wieder mit verschiedensten Akteur*innen in Kontakt kommt, weshalb er weder auf die „einseitigen Tendenzen“ noch für die Traditionen einzelner Gruppen festgelegt („durch keinerlei Festgelegtheiten gebunden, die ihm seine Aufnahme, sein Verständnis, seine Abwägungen des Gegebenen prä‐ judizieren“) ist. In zeitgenössische Terminologie übersetzt entspricht dies dem „sozialen Kapital“, das sich durch die Einbettung in soziale Beziehungen generieren lässt (vgl. Reinbacher 2017b). So ist der Qualitätsmanager als soziale Figur weniger mit „bonding social capital“ (dem Kitt enger, konser‐ vativer Zusammenschlüsse), sondern vielmehr mit „bridging social capital“ (dem Kontakt nach außen, über Gruppen hinweg) ausgestattet. Ein Nachteil dieser „Objektivität“ und „Freiheit“ ist - aufgrund der Distanz zu den engen Loyalitäten innerhalb eines sozialen Gefüges (also auf‐ grund der Unterausstattung mit „bonding social capital“) - die Eignung als Sündenbock, insbesondere wenn angesichts drohender Unannehmlichkei‐ ten und Unruhen nach einem Urheber gesucht wird. Der Qualitätsmanager ist und bleibt als soziale Figur mit dem durch besondere räumliche und 6.2 Abwege und Auswege 181 <?page no="182"?> zeitliche Verhältnisse geprägten Charakter als Fremder stets ein „marginal man“ (Park 1928), der „fast alles, das den Mitgliedern der Gruppe, der er sich nähert, unfraglich erscheint, in Frage stellt“ (Schütz 1971 [1944], S.-59). Als „soziale Figur“ ist der bzw. die Qualitätsmanager*in durch ein charakteristisches Verhältnis zur Zeit, durch eine Orientierung an Ver‐ gangenheit und Zukunft zugleich bestimmt. Die prekäre Position ist also sozialstrukturell bedingt und nicht einfach nur auf persönliche Defizite zurückzuführen. Abbildung 38: Antinomien im Feld des Qualitätsmanagement In diesem Zusammenhang zeigt sich nicht zuletzt wieder die zugleich entlastende und belastende Funktion einer systemisch-systemtheoretischen Sichtweise im organisationalen Alltag des praktischen (Management-)Han‐ delns: Einerseits betont eine solche Sichtweise die Bedeutung der stets aus System(en) und Umwelt(en) bestehenden „ökologischen Nische(n)“, sodass es über weite Strecken vom Kontext abhängt, was jeweils situativ als passende Handlungsstrategie des Management gelten kann - also etwa Normeinhaltung gegenüber Normveränderung oder kurzfristige Effizienzgegenüber langfristiger Effektivitätssteigerung. Im Mittelpunkt steht das Kriterium der „Viabilität“, also die Suche nach einem gangbaren Weg, nach einer Passung zwischen System und Umwelt, die nicht auf eine absolut richtige Lösung für Probleme angewiesen ist, sondern mit einer relativen Problemlösung gut „leben“ kann. „Qualität“ stellt hier einen über Systemgrenzen hinweg vermittelnden Mechanismus kommunikativer Ver‐ ständigung zur Verfügung. Andererseits sensibilisiert eine solche Sichtweise 182 6 Dos and Don’ts <?page no="183"?> für die Perspektivität einer jeden Beobachtung, was dazu führt, dass die Be‐ urteilung von Wirkungen und Nebenwirkungen, von Vorteilen und Nachtei‐ len einer bestimmten (Handlungsbzw. Interventions-)Strategie stets vom Standpunkt einer Beobachtung abhängt - dass also etwa die flexible Erfül‐ lung von Kund*innenwünschen für Unmut in der Produktionsplanung führt oder dass die Ausrichtung von Bildungseinrichtungen an den Erwartungen der potentiellen Arbeitgeber*innen (Stichwort „Employability“) aus der Perspektive pädagogischer Professionen anders gesehen werden kann als aus jener der industriellen Interessensvertretungen, oder wie überhaupt die Einführung von „Qualitätsmanagement“ im Gesundheits- und Sozialbereich insgesamt von der Politik einerseits, von Professionsangehörigen (Ärzt*in‐ nen, Pfleger*innen, Sozialarbeiter*innen etc.) andererseits unterschiedlich beurteilt werden kann. An „Viabilität“ orientiertes Qualitätsmanagement sucht vorläufige, zu‐ friedenstellende Lösungen statt sich und das soziale System mit der Suche nach endgültigen, optimalen Antworten zu überfordern. Der Weg ist (auch) ein Ziel und das laufende Stellen neuer Fragen dient als sozialer Katalysator. Dennoch bieten sich einige Ansatzpunkte, um auch Situationen wie diese möglichst konstruktiv zu bewältigen, sodass sowohl intraals auch inter‐ systemische Spannungen produktiv werden können. So ist zum Beispiel in systemisch-systemtheoretischer Sicht der Demingbzw. PDCA-Zyklus als zentrales Element vieler Qualitätsmanagement-Konzepte und -Modelle (siehe Kap. 3.2) bei genauerem Hinsehen der sogenannten „systemischen Schleife“ (Königswieser & Hillebrand 2004) als einem zentralen Element systemischer (Organisations-)Entwicklungs- und Beratungsprozesse nicht ganz unähnlich. Dies mag zunächst einmal darauf zurückzuführen sein, dass die Abfolge von plan - do - check - act im Kern wenig mehr darstellt als ein auf soziale Systeme übertragenes, generisches Management- oder sogar überhaupt ein allgemeines Handlungsmodell mit Anleihen bei der Kybernetik, das Aktion und Reaktion bzw. Aktion und Reflexion in vier aufeinander folgenden Schritten/ Phasen kombiniert (siehe Abbildung 39). 6.2 Abwege und Auswege 183 <?page no="184"?> Abbildung 39: Die „systemische Schleife“ im Qualitätsmanagement Wir kennen dies zur Genüge aus dem privaten Alltag, wo wir für einen bevorstehenden Abend im Freundeskreis (1) ein Menü vorzubereiten planen, um den Geschmack der Gäste bestmöglich zu treffen, bevor wir dieses (2) tatsächlich zubereiten, dann (3) während der Mahlzeit und im Anschluss an diese zu ergründen versuchen, was davon aus welchen Gründen wem wie gut geschmeckt hat und sich daher (4) in dieser oder in einer adaptierten Form für eine Wiederholung eignet. Oder wir gelangen aufgrund von (3) Erfahrungen und Gesprächen mit Verwandten zur (4) Einschätzung, dass die alljährliche Familienfeier in der aktuellen Form auf wenig Begeisterung stößt und dass nur mehr aufgrund langjähriger Tradition und mangels konkreter Alternativen daran festgehalten wird, woraufhin wir nicht nur (1) der Verwandtschaft ein konkretes neues Angebot unterbreiten und (2) die Organisation übernehmen, sondern dann auf Basis neuer Erfahrungen und Gespräche in unseren Hypothesen bestärkt oder widerlegt werden. Im beruflichen Alltag verfahren wir oft ebenfalls auf diese Art und Weise, etwa wenn aus einem Beratungsgespräch zwischen Sozialarbeiter*in und Klient*in (2) konkrete Vereinbarungen über nächste Schritte hervorgehen und deren (2) Umsetzung im nächsten Gespräch (3) zum Gegenstand einer Rückschau gemacht wird, bevor man (4) gemeinsam überlegt, woran es liegen könnte, dass manches besser und manches weniger funktioniert hat. Oder wenn im Zuge einer Krankenvisite der (1) geplante und (2) realisierte Verlauf einer Behandlung (3) auf seine Wirkung überprüft wird und dies (4) Grundlage für das weitere Vorgehen ist. 184 6 Dos and Don’ts <?page no="185"?> 88 Es waren demnach Manager in Japan, die dann den PDSAzum PDCA-Zyklus gemacht haben (Imai 1986, S.-60). 89 Dies im Sinne des klassischen Dreischritts von „Entwicklung - Produktion - Kontrolle“ bei der Herstellung von Gütern. Das „missing link“ zwischen „PDCA-Zyklus“ einerseits und „systemischer Schleife“ andererseits finden wir bei William E. Deming selbst: Dieser hatte nämlich (entgegen der üblichen Überlieferung) mit Bezug auf den „Shewart cycle for learning and improvement“ stets vom „PDSA-Zyklus“ gesprochen, in dem das „S“ für „study“ steht und explizit Anleihen bei wissenschaftlichen Vorgehensweisen nimmt bzw. sich auf eine forschende Haltung im Sinne der Bildung und empirischen Prüfung von Hypothesen bei der Bewältigung von Managementproblemen bezieht (Shewart 1986 [1939], Deming 1986). 88 Auf diese Art und Weise markieren der Shewartbzw. Deming-Zyklus in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen nicht nur eine Entwicklung vom traditionell linearen Denken der Qualitätsprüfung und -kontrolle 89 hin zu einer neuartigen zirkulären Logik der Qualitätsentwicklung, sondern sie bringen auch die (systemische) Einsicht zum Ausdruck, dass man Erkennt‐ nisse in komplexen Kontexten nur durch (systematische) Beobachtungs- und Lernprozesse („study“) gewinnen kann (vgl. Shewart 1986, S. 45, S. 149f). Demnach beruhen beide Vorgehensweisen, also sowohl der PDCA-/ PDSA-Zyklus als auch die systemische Schleife, auf der Einsicht, dass sich komplexe soziale (wie psychische) Systeme als „black boxes“ von außen we‐ der durchschauen noch direktiv steuern lassen. Es können jedoch immerhin auf Basis von Interventionen („Inputs“) durch die damit angeregten bzw. ausgelösten Reaktionen („Outputs“) immer neue und immer genauere Ver‐ mutungen über die internen Vorgänge, über die Beziehungen zwischen den Elementen und über die Strukturen und die Prozesse des Systems angestellt werden. Kurz: Man kann - ganz im Sinne des Kurt Lewin zugeschriebenen Diktums (vgl. Schein 1996) - ein System nur verstehen, indem man versucht, es zu verändern. Für die Implementierung von Qualitätsmanagement wird aus diesen Überlegungen die Bedeutung iterativer Vorgehensweisen, bei denen Systeme und Umwelten in Wechselwirkungsbeziehungen stehen, deutlich. Da es im weiteren Verlauf auf beiden Seiten, also sowohl innerhalb als auch außerhalb des Systems sukzessive zu Veränderungen von (psychi‐ schen, sozialen, emotionalen, …) Strukturen kommt, lässt sich mit etwas anderen Worten sagen: Wir haben es stets mit Lernprozessen („Change“) zu tun. Diese betreffen sowohl die individuelle, personale als auch die kollektive, 6.2 Abwege und Auswege 185 <?page no="186"?> soziale (insbesondere die organisationale) Ebene, und sie stehen unter der Einschränkung, dass nicht alles von allen zugleich in Frage gestellt werden kann bzw. darf („Stability“! ). Der oft missinterpretierte PDCA-Zyklus war zuerst als PDSA-Zyklus vorrangig entwicklungsorientiert gedacht und weniger auf Effizienz- und Effektivitätssteigerung ausgerichtet. Lernen und Veränderung in individueller wie kollektiver Hinsicht sind also seit jeher Kernprinzipien des Qualitätsmanagement. Hier findet das Qualitätsmanagement (s)einen Ansatzpunkt bei Organisati‐ ons- und Personalentwicklung (vgl. Reinbacher 2014b). Hintergrund ist die als „Qualität“ bezeichnete Erfüllung von Anforderungen und Erwartungen bzw. Erreichung von Zielen durch die gezielte Gestaltung von (organisier‐ ten) sozialen Systemen und damit einhergehend die bewusste Beeinflussung von Personen. Mit anderen Worten: Sowohl Organisationen (kollektive Dimension) als auch Personen (individuelle Dimension) sollen als Mittel für die Erreichung von Zwecken zum Einsatz kommen und in eine dafür (besser) geeignete Form gebracht werden. In der kollektiven, organisatio‐ nalen Dimension betrifft dies in erster Linie strukturelle und kulturelle Aspekte (wie Leitbilder, Klima, Aufbau- und Ablauforganisation etc.). In der individuellen, personalen Dimension betrifft dies vor allem motivationale und qualifikatorische Aspekte (wie Wissen und Kompetenzen, Selbstverwir‐ klichungsmöglichkeiten, Zufriedenheit, Loyalität, Commitment etc.). Wenngleich es sich bei der Organisationsentwicklung im engeren Sinne um ein sehr spezifisches Konzept auf sozialphilosophischen und sozialpsy‐ chologischen Grundlagen handelt - man denke nur an das positiv-norma‐ tive Menschenbild oder an den Einsatz gruppendynamischer Elemente -, wird sie in der Praxis nicht immer trennscharf von anderen Zugängen im Veränderungsbzw. Changemanagement unterschieden. Als Beispiel für diese diffuse Begriffsverwendung kann die Rede von „Schulentwicklung“ im Schulsystem dienen, die meist implizit auf Prinzipien der Organisati‐ onsentwicklung referenziert und prozessuale, partizipative Vorhaben („bot‐ tom-up“) suggeriert, aber nicht selten die dahinterliegende Umsetzung von direktiven Vorgaben und Reformvorhaben („top-down“) mehr oder weniger bewusst ignoriert. Dies mag teilweise an den kulturellen Tiefen‐ strukturen der Schule als Institution , also ihrer „Grammatik“ (Tyack & 186 6 Dos and Don’ts <?page no="187"?> 90 Hinzu kommt die Frage, inwieweit wir es bei einer Schule tatsächlich mit einer „Organisation“ zu tun haben, da eine solche auf Entscheidungen über die Mitgliedschaft beruht (Luhmann 1964, 1981, 2000), wozu auch die Beendigung dieser Mitgliedschaft (durch Kündigung oder Entlassung) zählt. Zumindest in der Praxis des öffentlichen Schulwesen ist dies eher selten (Luhmann 2019), und dort, wo solche Entscheidungen die Folge dienstrechtlich oder strafrechtlich relevanter Vorfälle sind, handelt es sich weniger um organisationale Entscheidungen, sondern um den Nachvollzug rechtlicher und/ oder politische Konsequenzen. Tobin 1994): Als erklärte Expert*innen-Organisation ist die Schule von ei‐ nem „Autonomie-Paritäts-Muster“ (Lortie 1972) geprägt, das die normative, nicht notwendigerweise faktische Gleichheit der Individuen hochhält und dabei sowohl horizontale Kooperation als auch vertikale Führung im Sinne gemeinsamer Zielerreichung für die Schule als Organisation erschwert (Krainz 2018). 90 Fälle von Scheinpartizipation zur Kaschierung sogenannter „Bombenwurfstrategien“, also mehr oder weniger absichtliche Vortäuschen von Beteiligung finden sich allerdings natürlich auch andernorts. In ähnlicher Weise ist von Personalentwicklung immer wieder im erwei‐ terten Sinn die Rede, sodass entweder Erscheinungsformen der Personalfüh‐ rung inkludiert sind, ober umgekehrt nach dem Prinzip des „laissez-faire“ mehr oder weniger auf die subjektiven Bedürfnisse und Bedarfe ohne Blick für das größere Ganze abgestellt wird (im Unterschied zu den zunächst eher eng bestimmten Qualifizierungsmaßnahmen, mit denen Mitarbeiter*innen systematisch auf die bestmögliche Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben im betreffenden organisationalen Kontext, beispielsweise im Unternehmen, vorbereitet werden soll(t)en). Abbildung 40: Ansatzpunkte für die Steuerung von (organisierten) sozialen Systemen Was die Entwicklung der kollektiven, organisationalen Dimension einer‐ seits und der individuellen, personalen Dimension andererseits betrifft - jeweils mit dem Ziel, sie (besser) als Mittel zur Erreichung von Zwe‐ cken einsetzen zu können -, so werden Aspekte der Organisations- und der Personalentwicklung sowie der Personalführung in zahlreichen, vor 6.2 Abwege und Auswege 187 <?page no="188"?> allem in normativen Modellen des Veränderungsbzw. Changemanagement nicht eindeutig unterschieden (z. B. Lewin 1947, Kotter 1996). Jedenfalls finden Management und Führung als Interventionen zur Steuerung von sozialen Systemen (siehe Kap. 3.1.1) im Kontext von Organisations- und Personalentwicklung ihre Ansatzpunkte in einem Spektrum zwischen ho‐ hem Informationsbzw. niedrigem Energiegehalt einerseits und hohem Energiebzw. niedrigem Informationsgehalt andererseits, also zwischen einem symbolisch-kommunikativen und einem intrinsisch-körperlichen Pol (siehe Abbildung 40 und nochmals Kap. 5.1.1; vgl. Parsons 2023 oder Luhmann 2002). Während es auf der einen Seite vorrangig um die Gestaltung kultureller und sozialer Strukturen bzw. um die Einflussnahme auf zwischenmenschli‐ che Kommunikation geht, geht es auf der anderen Seite um die Gestaltung personeller und körperlicher Strukturen bzw. um die Einflussnahme auf menschliches Verhalten. Ungeachtet dieser analytischen Unterscheidung und idealtypischen Darstellung ist klar, dass erfolgreiche Intervention eine ausgewogene Auswahl von Ansatzpunkten braucht. Sich im Extremfall auf nur einen Aspekt zu verlassen, führt erfahrungsgemäß in Probleme (oder zumindest zu unangenehmen Nebenwirkungen. So ist beispielsweise weder die Erstellung von mittelbar wirksamen Leitbildern noch das Eingreifen im Sinne einer unmittelbaren Verhaltenssteuerung („hire-and-fire“) allein die Lösung. Nicht selten erweckt das Verbleiben auf einer Ebene der Ideen sogar den Eindruck eines Versuchs, der energieaufwändigen Umsetzung von informationsreichen Konzepten möglichst lange zu entgehen, und ist umgekehrt das Zurückgreifen auf die Kündigung von Mitarbeiter*innen als ultimative Möglichkeit einer körperlichen Verhaltenskorrektur sehr oft eindeutiges Indiz für Versäumnisse auf kommunikativer Ebene. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet einerseits das Fließband als Ideal des Fordismus - denn hier wird der Versuch unternommen, direkt und unmittelbar das Verhalten der Produktionsmitarbeiter*innen zu steuern (= hohe Energiedichte, also intrinsischer, körperlicher Pol), was für kompli‐ zierte, prinzipiell mechanistisch beherrschbare Sachverhalte funktioniert, und dabei weitgehend ohne die symbolische, kommunikative Dimension das Auslangen findet bzw. für erforderliche hohe Informationsdichte nach dem Vorbild des Taylorismus eigene Bereiche schafft - also: Trennung von Kopf‐ arbeit und Handarbeit (vgl. Taylor 1911) bzw. von strategischer Führung und operativer Ausführung). Andererseits ist gerade diese Trennung und in wei‐ terer Folge eine mechanistische Beherrschbarkeit in komplexen Situationen 188 6 Dos and Don’ts <?page no="189"?> nicht möglich, weshalb wir in professionellen Kontexten eine entgegenge‐ setzte Vorgehensweise beobachten - sehr anschaulich zu beobachten wieder im konventionellen Schulsystem. Hier wird auf Interventionsstrategien, die auf Bereiche hoher Energiedichte zielen, in der Regel verzichtet (zum Beispiel kommt es nur in extremen Fällen zum Eingreifen in die autono‐ men Handlungsbereiche der Professionsangehörigen, wobei Entlassung aus dem Schuldienst einen sehr seltenen Einzelfall darstellt). Demgegenüber verbleibt man zumeist in Bereichen hoher Informationsdichte (zum Beispiel wenn Leitbilder und Konzepte erstellt oder Steuergruppen eingerichtet werden), deren Auswirkungen allerdings eher symbolischer Natur sind und sich auf gelingende Kommunikation beschränken, während die Ebene der intrinsischen, körperlichen Veränderungen (im Extremfall zum Beispiel durch die Entscheidung über die Beendigung der Mitgliedschaft in einer formalen Organisation, wie sie im unternehmerischen Kontext vergleichs‐ weise häufig der Fall ist; siehe Anm.-90) nur selten erreicht wird. 6.3 Kitsch und Ironie Bewusstsein für die grundsätzliche Beobachtungsabhängigkeit, damit ein‐ hergehend für die Bedeutung von Kontexten und Perspektiven sowie in wei‐ terer Folge für die Notwendigkeit von Ausgewogenheit und Augenmaß oder von Gelassenheit und Geduld als gewissermaßen „systemische Tugenden“ (siehe Kap. 6.2 und Reinbacher 2021) bedeuten dabei keineswegs Beliebigkeit im Sinne von blanker Willkür oder bloßem Opportunismus. Vielmehr geht es um die Pflege und um die gezielte Kultivierung psychischer, sozialer und emotionaler Beweglichkeit als unabdingbarer Kulturtechnik inmitten der allgegenwärtigen Ambivalenz und Ambiguität als Ersatz für Bequemlichkeit auf Basis eindeutiger Bewältigungsstrategien, mit denen das klassische, konventionelle Qualitätsmanagement versucht, Zonen der Behaglichkeit zu schaffen: Anspruchsgruppen sollen laut normativer Managementlehre in ihren Erwartungen bestätigt werden - ihre Wünsche zu erfüllen gilt heute als zentrales Qualitätskriterium, weshalb es Kund*innen in ihrer Rolle als König*innen und in ihren Komfortzonen vor Enttäuschungen oder vor unangenehmen Überraschungen zu bewahren gilt (siehe „McDonaldization“ und „Disneyization“ in Kap. 3.2.1). Schon allein aus diesem Grund erinnert das klassische bzw. konventio‐ nelle Qualitätsmanagement immer irgendwie an Kitsch - denn kitschige 6.3 Kitsch und Ironie 189 <?page no="190"?> Bilder bzw. Fotos (beispielsweise von Sonnenuntergängen am Meer) bemü‐ hen sich stets, die Erwartungen ihrer Betrachter*innen nicht durch störende Elemente (wie herumliegenden Müll oder dergleichen) zu enttäuschen, sondern demgegenüber die Erwartungen möglichst genau zu erfüllen, um für angenehme Empfindungen und letztlich für Zufriedenheit zu sorgen. „Kitsch ist die absolute Verneinung der Scheiße“, wie der tschechisch-franzö‐ sische Schriftsteller Milan Kundera es in seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ auf den Punkt gebracht hat. Schon aus diesem Grund ist Qualitätsmanagement (potentiell) kitschig und (prinzipiell) konservativ. Qualitätsmanagement, das sich stets darum bemüht, den Kund*innen alle Wünsche von den Augen abzulesen, um diese dann bestmöglich zu erfüllen bzw. um zumindest dafür zu sorgen, dass die Kund*innen glücklich sind, wird zu einem Kitsch-Phänomen, das kritikfreie Kom‐ fortzonen einrichtet. Mit Blick auf den eingangs in Kap. 1.1 geschilderten Sachverhalt bedeutet das, dass Qualität und ihr Management bloß auf den ersten Blick bedeuten kann, einen Kundenauftrag vom Anfang bis zum Ende auf Basis der Kunden‐ anforderungen - und gemessen an deren Erfüllung: fehlerfrei - abzuwickeln. Einerseits lässt sich dies ab einem gewissen Grad der sachlichen, sozialen und zeitlichen Komplexität kaum (mit ökonomisch und ökologisch vertret‐ barem Aufwand) in allen erdenklichen Fällen sicherstellen. Andererseits kann gerade das (kurzfristige) Nicht-Erfüllen von Kundenanforderungen - statt dem Befeuern von Impulsen im Zuge des Verkaufsgespräches - zu (langfristiger) Kundenzufriedenheit führen. Allein deshalb ist es bisweilen weniger die Aufgabe von Qualitätsmanagement, die Erwartungen von Seiten der Kund*innen einfach zu erfüllen und die artikulierten Ansprüchen anstandslos anzuerkennen, sondern vielmehr gemeinsam mit den Kund*in‐ nen an diesen Erwartungen und Ansprüchen zu „arbeiten“. Mit anderen Worten: Es geht im gegenständlichen Sachverhalt bei Qua‐ lität und ihrem Management auf den zweiten Blick unter Umständen darum, erstens auf individueller, personaler und auf kollektiver, organisationaler Ebene die bestmöglichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Abwicklung des Kaufs zu schaffen (Stichwort: Organisations- und Personalentwicklung), zweitens die im Zuge der Abwicklung auftretenden Probleme einer für möglichst alle daran Beteiligten zufriedenstellenden Lösung zuzuführen 190 6 Dos and Don’ts <?page no="191"?> (Stichwort: Beschwerdemanagement), und drittens daraus für die Zukunft entsprechende Lehren, also so etwas wie sogenannte „lessons learned“ oder dergleichen zu ziehen (Stichwort: Wissens- und Changebzw. Ver‐ änderungsmanagement), um Impulse für weitere, daran anschließende Interventionen zu generieren usw. usf. (siehe Kap. 6.2 und Abbildung 39). Hier sind es also ebenfalls zirkuläre, nicht lineare Kausal- und Wechsel‐ wirkungsbeziehungen, in denen Paradoxien lauern und mit denen wir es zu tun haben (siehe Kap. 3.1.1 und vgl. Reinbacher 2018). Allerdings ist in Zusammenhang mit Qualität und ihrem Management natürlich nicht nur Kitsch anzutreffen! Darüber hinaus (oder: noch zuvor) zeigt sich die basale Ornamentalität organisationaler Kontexte ebenfalls besonders anschaulich (siehe Abbildung 41; ausführlicher Reinbacher 2023). Beispielsweise hat bereits Niklas Luhmann als Meister der Selbstreferen‐ tialität im Zuge seiner Analyse von Organisationen als operational ge‐ schlossenen sozialen Systemen, „die aus Entscheidungen bestehen und die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, durch die Entscheidungen, aus denen sie bestehen, selbst anfertigen“ (Luhmann 1981, S. 166) festgestellt, „dass in der Form doppelter Rahmung eine Struktur realisiert wird, die in ähnlicher Weise auch für Kunstwerke typisch ist“ (Luhmann 2000, S.-112). Mit anderen Worten: Man wird beim Blick auf Organisationen nicht ganz zufällig an jene „Schließung des Kunstwerks“ erinnert, die zu „zirkulärer Sinnanreicherung“ (Luhmann 1997, S. 193ff) und letztlich sogar zu Schönheit führt. Von diesem Punkt aus führt dann ein verhältnismäßig kurzer Weg zur Vorstellung, dass es sich bei (formal) organisierten sozialen Systemen um (fundamentale) soziale Ornamente unserer modernen und (trotz aller Antinomien und Aporien) noch immer über weite Strecken an einem mechanistischen, tayloristischen Schönheitsideal orientierten Gesellschaft handelt: Im Sinne einer „Oberflächenäußerung“, die „unmittelbaren Zugang zu dem Grundgehalt des Bestehenden“ gewährt, tritt sie als „der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationali‐ tät“ in Erscheinung (Kracauer 2009, S. 50ff; vgl. auch Staubmann 1997, Guillén 2009). 6.3 Kitsch und Ironie 191 <?page no="192"?> Abbildung 41: Ornamentalität im Qualitätsmanagement Im Lichte seiner Evolutionstheorie ist für Charles Darwin (2004 [1871]) die nackte Haut das erste menschliche Ornament gewesen in dem Sinne, dass der unbehaarte Mensch im Vergleich zu seinen Vorfahren vor allem einmal der enthaarte ist. Nur an einigen wenigen, umso markanter in Erscheinung tretenden Stellen bleibt er behaart, was zunächst keinen über sich hinaus verweisenden Zweck zu haben scheint - und doch haben diese autotelischen Elemente bei näherem Hinsehen eine heterotelische Signalfunktion. Die soziale Analogie dazu ist die formal rationalisierte Organisation als Mittel für fremde Zwecke, die sich zwar zunächst aller nicht-zweckrationalen, also nicht für fremde Zwecke einsetzbaren Elemente entledigt, dann aber erst recht wieder welche ausbildet. Bestens bekannt sind mittlerweile in diesem Zusammenhang vor allem die informalen (bzw. informellen) neben den formalen Strukturen. Es gewinnen darüber hinaus allerdings formale Strukturen selbst „or‐ namentalen“ Charakter, und während diese zunächst zwar den Eindruck autotelischer, nicht-zweckrationaler Elemente erwecken, so kommt ihnen dann vermutlich ebenfalls eine ganz und gar heterotelische Signalfunktion zu (siehe Abbildung 42). 192 6 Dos and Don’ts <?page no="193"?> Abbildung 42: Ornamentalität als Element der Formalstruktur Mit anderen Worten: Während für Adolf Loos (2010 [1908]) das Ornament „vergeudete Arbeitskraft“ gewesen ist, so gilt dies für die formalen Struktu‐ ren von Organisationen bereits bei etwas näherer Betrachtung nur aus der Perspektive einer sehr engen instrumentellen bzw. zweckrationalen Logik der manifesten bzw. primären Funktionen (allen voran Effizienzbzw. Ef‐ fektivitätssteigerung). Was wäre sonst mit bisher vernachlässigten latenten bzw. sekundären Funktionen des „signaling“ (neben jenen der Legitimation wie sie der Neoinstitutionalismus stets betont)? Vielleicht liegt demnach insofern ein Rest darwinistischer Evolutionslogik in den wuchernden Qua‐ litätsmanagementsystemen, mit denen sich Organisationen schmücken, als diese neben der behaupteten manifesten und der beobachteten latenter Funktionalität vor allem signalisieren: Die besagte Organisation kann es sich leisten, sie verfügt also über die entsprechenden Ressourcen, um zusätzlich zu Leistungserstellung erfolgreich Managementsysteme zu implementieren und Zertifizierungen zu absolvieren. Kurz: Wenn im Qualitätsmanagement übers Ziel hinausgeschossen wird, wenn es zur Errichtung Potemkin’scher Dörfer und schmückender Fassaden kommt, dann handelt es sich nur aus Sicht einer nüchternen, latente (sekundäre Signal-) Funktionen ignorie‐ 6.3 Kitsch und Ironie 193 <?page no="194"?> renden Logik um „stranded costs“, die von diesen Managementsystemen verschlungen werden. Dass „bestimmte ornamentfreie Formen, die in additiver Häufung auf‐ treten, ornamental erlebbar [sind] für den, der eine entsprechende Sehge‐ wohnheit mitbringt“ (Holz 1972, S. 248f), zeigt sich im Qualitätsmanagement dort, wo Rationalisierung durch organisationale Formalisierung zu Muster‐ bildung in bürokratischen Wachstumsprozesse führt (vgl. Parkinson 1957 und siehe nochmals Abbildung 41): Zwar mag zunächst die Absicht sein, die Effizienz und Effektivität der Organisation als Mittel zur Erreichung externer Zwecke zu steigern, doch tendieren diese Systeme zur Expansion bis hin zur Erzeugung negativer Ex‐ ternalitäten durch Über-Regulierung, der inhärente Korrekturmechanismen fehlen - schließlich lässt sich immer noch mehr, immer noch genauer, immer noch detaillierter planen, regulieren oder auch evaluieren. Dies zeigt der dem Qualitätsmanagement üblicherweise zugrunde gelegte PDCA-Zyklus (siehe großer Kreis in Abbildung 41), dessen dritter Schritt des „Check“ bzw. der „Evaluation“ ebenfalls dieser Schrittfolge unterworfen werden kann (siehe mittlerer Kreis in der Abbildung) und sich im Zuge eines „Meta-Check“ bzw. einer „Meta-Evaluation“ selbst evaluieren lässt (siehe kleiner Kreis). In vergleichbarer Weise erfordert in diesem PDCA-Zyklus (siehe nochmals großer Kreis in Abbildung 41) der vierte Schritt des „Act“ bzw. der „Anpassung“ selbst wieder Schritte der Planung, Umsetzung, Evaluierung - und ggf. Anpassung (siehe den Kreis mit der unterbrochenen Linie in der Abbildung). Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, dass or‐ ganisationale Ornamentalität keineswegs der informalen Strukturen bedarf sondern im Gegenteil ein Aspekt der formalen Strukturen selbst ist. Neben dem Damoklesschwert des drohenden Kitsch ist auch die orga‐ nisationale Ornamentalität ein oft übersehener Aspekt im Qualitätsma‐ nagement: Diese hat zunächst eine autotelische, darüber hinaus dann allerdings auch eine signifikante heterotelische Funktion - nämlich als „costly signal“. Qualitätsmanagement ist demnach nicht nur ein sozial-technologisches, sondern darüber hinaus ein genuin kulturell-ästhetisches (und sowie in weiterer Folge auch moralisch-ethisches) Phänomen, wofür wir Indizien unter anderem in der Allgegenwart von Ambivalenzen und Antinomien bis 194 6 Dos and Don’ts <?page no="195"?> hin zu Aporien finden. Immerhin handelt es sich bei Qualitätsmanagement, das auf den ersten Blick für Sicherheit und Stabilität sorgt bzw. sorgen soll, bereits auf den zweiten Blick um ein potentiell riskantes Unterfangen. Denken wir nochmals an den oben bereits zitierten österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt (1929-2016), der in einem Fernsehinter‐ view anlässlich des Neujahrskonzertes (vgl. ORF „Zeit im Bild“ vom 30. Dezember 2002) die Kunst als eine Grenzgängerin beschrieben und in diesem Zusammenhang von Kunstschaffenden gefordert hat, den Bereich der Sicherheit und Stabilität zu verlassen: Sie müssten sich, so Harnoncourt, stets an jene Grenze vorwagen, hinter der die Katastrophe lauert und deren Überschreiten daher in diese Katastrophe führen würde, statt im Sicherheit und Stabilität versprechenden, vertrauten Bereich des Bekannten - aber letztlich Banalen - zu bleiben. Mit anderen Worten: Schönheit, oder etwas allgemeiner: Qualität, finden wir nicht im Bereich der banalen Sicherheit und der bekannten Stabilität, sondern gerade an dessen Rand - nämlich am Rand zur Katastrophe. Damit allerdings läuft das Qualitätsmanagement - wie jedes (professionelle) Handeln in komplexen Systemzusammenhängen - stets Gefahr, zu scheitern. Das Scheitern ist die Rückseite jener Medaille, deren Vorderseite der Erfolg ist, und die Chancen auf den Erfolg sind ohne das Risiko des Scheiterns nicht zu haben (vgl. Reinbacher 2019, 2021). Was also tun? Verzweifeln? Keineswegs! Frei nach Lotte Tobisch (1926- 2019), der österreichischen Burgschauspielerin und Grande Dame des (ein‐ einhalb Jahrzehnte lang von ihr organisierten) Wiener Opernballs, ließe sich dem Qualitätsmanagement, den dafür Verantwortlichen auf unterschiedli‐ chen Ebenen, letztlich aber auch den Adressat*innen, also den Anspruchs‐ gruppen (Stakeholdern) sowie der Gesellschaft insgesamt die Einsicht als Empfehlung ans Herz legen: „Man muss es ernsthaft machen, es muss klappen, es muss in Ordnung sein. Aber ernst nehmen dürfen S‘ das nicht.“ - Denn selbstverständlich handelt es sich auch bei Qualität der Sache nach um eine zumeist ernsthafte Angelegenheit - denken wir nur an die Sicherheit der Konsument*innen im Umgang mit Elektrogeräten, an die Risiken für Patient*innen bei medizinischen Eingriffen oder an genutzte und vergebene Chancen im Rahmen von Bildungsprozessen. Daher wird von Qualitätsmanagement zu Recht erwartet, dass es klappt, dass es in Ordnung ist. Allerdings dürfen sich Qualitätsansprüche und Qualitätsmanagement nicht einmal in ernsten Situationen so ernst nehmen, dass sie sich absolut setzen und gegen legitime Kritik immunisieren: 6.3 Kitsch und Ironie 195 <?page no="196"?> „Der Rolle treu mit lächerlichem Ernst / Den süßen Rausch des Haufens nicht zu stören“, wie wir bei Schiller im Don Carlos lesen. Demgegenüber ist eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise zu‐ gleich ein Plädoyer für so etwas wie „Lebensklugheit“, die nach Arthur Schnitzler bedeutet: „Alle Dinge möglichst wichtig, aber keines völlig ernst zu nehmen.“ Schließlich wäre solch eine Verabsolutierung unverrückbarer, über alle Kritik erhabener Ernsthaftigkeit ebenfalls eine vorschnelle Verein‐ fachung und damit insofern falsch, als „entweder eine partielle Wahrheit zu einer absolut gültigen verallgemeinert, oder aus der Beobachtung gewisser Tatsachen ein Schluss auf das Ganze gezogen wird, der unmöglich wäre, wenn die Beobachtung noch weiter ausgedehnt wäre“, wie Georg Simmel (1890, S.-5) formuliert hat. Oder, noch ein letztes Mal mit etwas anderen Worten: Gerade bei gebo‐ tener Ernsthaftigkeit und großem Engagement in einer (guten) Sache laufen wir Gefahr, das Thema - und mit dem Thema zusammen: uns selbst - zu ernst zu nehmen, während von Zeit zu Zeit ein wenig reflexive Selbstdistanz und möglicherweise sogar schonungslose Selbstkritik geboten wäre. Unter‐ stützung bietet hier beispielsweise Ironie als irritierende Intervention in kitschige, konservative Komfortzonen (siehe Abbildung 43 und Reinbacher 2021), denn diese hat - wie Humor im Allgemeinen - immer den Ernst eines Sachverhalts als wesentlichen Bezugspunkt. Sie darf, wenn sie ernsthaft auftreten will, weder sich selbst noch die Sache lächerlich machen. Aller‐ dings darf sie dabei zugleich weder diesen noch einen anderen Bezugspunkt (und schon gar nicht: sich selbst) absolut setzen, sondern sie muss Balance halten und zwischen zahlreichen System- und Umweltgesichtspunkten bzw. Selbst- und Fremdreferenzen vermitteln. Insofern ist es im Umkehrschluss wenig verwunderlich, dass selbstkritische Ironie bzw. ironische Selbstkritik von einem mit totalitären Ansprüchen auftretenden Qualitätsmanagement als irritierende Provokation aufgefasst wird. 196 6 Dos and Don’ts <?page no="197"?> Abbildung 43: Qualitätsmanagement sollte ernsthaft arbeiten, sich selbst aber nicht zu ernst nehmen Nicht zuletzt enthält eine von Helmut Willke am Ende seiner systemtheo‐ retischen Überlegungen zur Steuerung komplexer Systeme ausgesprochene, ernsthafte Empfehlung zwischen den Zeilen einen solch ironischen Unter‐ ton (Willke 1998, S. 335f). Angesichts der Tatsache, dass jede Steuerung (so‐ wohl interne Selbstals auch externe Kontextsteuerung) eine „Einmischung in eigene Angelegenheiten“ darstellt, empfiehlt er dort, diesen Zumutungen der Steuerung mit „Renitenz“ zu begegnen, denn diese gibt […] Zeit und Anlaß für die Prüfung der Frage, ob der Steuerungs‐ anspruch legitim in dem Sinne ist, daß er die Autonomie und die Selbstbestimmung des zu steuernden Systems respektiert. Zugleich prüft Renitenz die Ernsthaftigkeit des Steuerungsvorhabens. Sicher‐ lich folgt daraus das Risiko, daß manche legitime und vernünftige Steuerungsabsicht mißlingt oder zumindest sich ihre Realisierung verzögert. Tant pis. Gegenüber der Gewalt, den Kosten und dem Leid allgegenwärtiger normalisierter Trivialisierung wiegt dieses Risiko gering. Die Grundhypothese dieses Buches ist, daß die Selbststeuerung 6.3 Kitsch und Ironie 197 <?page no="198"?> eines komplexen Systems angemessener und produktiver ist als der Versuch externer Steuerung, und daß nur die Absicht der Koordina‐ tion autonomer Akteure externe Steuerung in Form einer Kontext‐ steuerung legitimiert, die als wechselseitige Abstimmung die Form eines Dialogs über die Verträglichkeit von Optionen annimmt. Wenn dies einigermaßen plausibel ist, dann ist angesichts der ubiquitären Tendenz zur Trivialisierung Renitenz gegenüber Steuerungsabsichten angebracht. Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Wie treten die Todsünden (Stolz, Geiz, Neid, Zorn, Ausschweifung, Maßlosigkeit und Trägheit) im Kontext von Qualitätsmanagement in Erscheinung? Woran lassen sich deren Folgen erkennen und welche Möglichkeiten gibt es, ihnen (ggf. bereits frühzeitig) entgegenzuwirken? ● Was kann für Qualitätsmanagement bedeuten, das Handeln und Ent‐ scheiden an Tugenden wie Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit auszurichten? Welche Vorteile sind damit voraussichtlich verbunden (und vor welchen Nachteilen muss man sich ggf. in Acht nehmen)? ● Welche Rolle spielen Organisations- und Personalentwicklung bzw. auch Change-Management im Kontext von Qualitätsmanagement? Wel‐ che Zusammenhänge bestehen zwischen dem PDCAbzw. PDSA-Zyklus und der „systemischen Schleife“ bei der Gestaltung von sozialen Syste‐ men? ● Was bedeutet es, in Zusammenhang (formal) organisierten Sozialsyste‐ men von „Ornamenten“ der Gesellschaft zu sprechen und inwiefern lässt sich dies im Fall von Qualitätsmanagement beispielhaft illustrieren? 198 6 Dos and Don’ts <?page no="199"?> 7 Coda Dieses Kapitel resümiert ● mit einer Analyse von Wechselwirkungsgefügen auf gesellschaft‐ licher (Makro-)Ebene, organisationaler (Meso-)Ebene und interak‐ tionaler (Mikro-)Ebene. ● mit Überlegungen zu allfälligen (Neben-)Wirkungen, die aus der Einführung von Qualitätsmanagement resultieren können. ● mit einer Betrachtung von Qualitätsmanagement (und damit ein‐ hergehend von Evaluation) als gesellschaftliche „Institution“ im sozialwissenschaftlichen Sinne. Wir haben unsere Überlegungen mit der - vor allem im beruflichen Alltag - relativ leicht zu prüfenden Beobachtung begonnen, dass heute in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Lebens von Qualität die Rede ist und dass dies außerdem mit einem Ruf nach Qualitätsmanagement einhergeht. Beides - also die Rede von Qualität und der Ruf nach ihrem Management - gilt darüber hinaus in derart hohem Maße als selbstverständlich, dass man nicht nur, aber insbesondere aus sozialwissenschaftlicher Perspektive stutzig werden und sich die Frage stellen kann: Was steckt hinter dieser inflationären Entwicklung? Kurz gesagt: Wenn die inflationäre Rede von Qualität zusammen mit dem heute fast flächendeckend zum Einsatz kom‐ menden Qualitätsmanagement die Antwort ist - was ist bzw. was war dann eigentlich die Frage? Nachforschungen bei der stark normativ imprägnierten Management‐ lehre mit ihren Glaubenssätzen verlaufen meist wenig zufriedenstellend, weil sich diese vor allem auf (ideologisch) behauptete aber selten (empirisch) belegte und kaum (theoretisch) begründete manifeste Funktionen beschränkt - also insbesondere auf die Frage, wie sich Effektivität und Effizienz im Angesicht von „Megatrends“ wie globaler Konkurrenz und gestiegenem Kostendruck steigern lassen, um die Zufriedenheit der Kund*innen steigern zu können. Auskünfte der organisationalen Managementpraxis oder der neo-institutionalistisch dominierten Managementforschung befriedigen in der Regel ebenfalls nur bedingt, weil diese vor allem auf die normative Kraft des Faktischen verweisen und insbesondere auf die Frage, wie sich Legitimation dadurch herstellen lässt, dass (beinahe) alle von Qualität <?page no="200"?> reden und Qualitätsmanagement betreiben, weil (beinahe) alle anderen von Qualität reden und Qualitätsmanagement betreiben, was dann eben dazu führt, dass (beinahe) alle von Qualität reden und Qualitätsmanagement betreiben und so letztlich das Reden und Betreiben der einen sowie das Reden und Betreiben der anderen sich wechselseitig Halt gibt. Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um ein weiteres Beispiel für die in den vorangegangenen Kapiteln immer wieder als Erklärung herangezogene „zirkuläre Kausalität“, mit der sich komplexe Sozialgefüge besser verstehen lassen als mit der verbreiteten, vorschnell vereinfachenden Vorstellung linearer Ursache-Wirkungs-Beziehungen (siehe zum Vergleich dazu Abbil‐ dung 1 am Beginn und Abbildung 44 am Ende des Buches). Laut seinem Gründungsmythos sind ja insbesondere Entwicklungen wie Globalisierung und Digitalisierung zusammen mit dem daraus resultierenden Konkurrenz- und Kostendruck die maßgeblichen Ursachen für die Entstehung und Ein‐ führung von Qualitätsmanagement, zu dessen beabsichtigen Wirkungen dann unmittelbar eine Steigerung von Effizienz und Effektivität sowie mittelbar eine Steigerung von Kund*innenzufriedenheit, Wettbewerbsvor‐ teilen etc. zählen sollen. Demgegenüber zeigen sich dem zweiten Blick komplizierte (und sogar komplexe) Wirkungsgefüge: Entwicklungen wie „Megatrends“ mögen die Komplexität der Umwelt sowie in weiterer Folge den Entscheidungs- und Kostendruck erhöhen, weil eine Zunahme von Wahlmöglichkeiten auch zu mehr Unsicherheit sowie in weiterer Folge zu mehr Risiken des Handelns führt. Darauf mit der Einführung von Qualitätsmanagement zu reagieren, bringt sehr oft eine Komplexitätsreduktion durch Strategien der Trivialisierung mit sich, was zwar kurzfristig lokal steigende Effizienz bzw. Effektivität zur Folge hat, langfristig aber sowohl die Eigenkomplexität des Systems erhöht als auch höheren Ressourcenbedarf bedeutet. Zusammen mit den Zumutun‐ gen unangemessener Trivialisierung kann dies durch demotivierende und de-professionalisierende Tendenzen zu Frustration und Fehleranfälligkeit sowie in weiterer Folge zu Effizienzbzw. Effektivitätsverlusten führen. Dies gilt in der Regel (fälschlicherweise) als Bestätigung für den Bedarf an Qualitätsmanagement statt als Beleg für dessen Dysfunktionalität, sodass die Anstrengungen verstärkt werden - und im Fall öffentlicher Bereiche wie Bildung, Gesundheit oder Soziales möglicherweise auch der politische Druck steigt, was in selbstverstärkende Schleifen führt. 200 7 Coda <?page no="201"?> Abbildung 44: Wirkungsgefüge bei der Entstehung und Einführung von Qualitätsmanage‐ ment Insgesamt lässt sich der Eindruck gewinnen, dass Qualitätsmanagement auf der einen Seite immer extensiver und elaborierter betrieben, also die Antwort immer ausführlicher und ausgefeilter formuliert wird, während zur selben Zeit auf der anderen Seite die zugrundeliegende Frage immer mehr aus dem Blick gerät (und man sich auf erhoffte manifeste Wirkungen und latente Wirkungen der Mimesis beruft). Skepsis scheint also nicht zuletzt im Angesicht solcher Selbstverständlichkeiten durchaus angebracht. Immerhin hat Qualitätsmanagement heute den Charakter einer gesell‐ schaftlichen Institution im Sinne einer durch kulturelle Werte legitimier‐ ten normativen Struktur, die das Handeln individueller und kollektiver Akteur*innen reguliert (vgl. Eder 1997). Als locus classicus und damit als Ausgangspunkt für die Analyse sozialer Institutionen kann noch immer Émile Durkheim (2002 [1895], S. 100ff) gelten, der in seinen „Regeln der soziologischen Methode“ mit diesem Begriff „alle Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzten Verhaltensweisen“ bezeichnet hat, wie bereits oben in Anm. 63 notiert. Diese sind ihm zufolge „Pflichten, die außerhalb meiner Person und der Sphäre meines Willens im Recht und in 7 Coda 201 <?page no="202"?> der Sitte begründet sind. Selbst wenn sie mit meinen persönlichen Gefühlen im Einklange stehen und ich ihre Wirklichkeit im Innersten empfinde, so ist diese doch etwas Objektives“. Daran liegt es vermutlich, dass sich heute zumindest in hohem Maße verdächtig macht, wer die Bedeutung von Qualitätsmanagement anzweifelt: Institutionen sind „mit einer gebiete‐ rischen Macht ausgestattet, kraft derer sie sich einem jeden aufdrängen, er mag wollen oder nicht“, und dass nur „wer sich ihnen willig und gerne fügt, […] ihren zwingenden Charakter wenig oder gar nicht empfinden [wird …]“. Im Zuge der Sozialisation können die Mitglieder einer jeden Organisation und einer jeder kommenden gesellschaftlichen Generation das von Institutionen regulierte Handeln (also: die richtige Antwort) erlernen, ohne den Entstehungskontext (also: die ursprüngliche Frage) zu kennen (vgl. Berger & Luckmann 1966). Also noch ein letztes Mal: Was ist die Frage, auf die Qualitätsmanagement eine Antwort geben will? Aus systemisch-systemtheoretischer Sichtweise stellt sich dies so einfach wie paradox dar - handelt es sich doch, so unsere bereits am Beginn des Buches einleitend geäußerte und im Verlauf der weiteren Überlegungen entfaltete sowie letztlich erhärtete Vermutung, im Kern um die Lösung des Problems der Reduktion von Komplexität durch die Produktion von Komplexität. Alles weitere, insbesondere manifeste Funktio‐ nen wie die (behauptete) Steigerung von Effektivität und Effizienz oder latente Funktionen wie die (beobachtete) Legitimation des Handelns und Entscheidens durch die Imitation der anderen lassen sich daraus ableiten. Ganz in diesem Sinne findet daher die Idee des vorliegenden Bandes letztlich - wie die Soziologie nach Georg Simmel (1908) - ihr Objekt darin, „dass sie nur eine neue Linie durch Tatsachen legt, die als solche durchaus bekannt sind.“ Impulsfragen zum Abschluss des Kapitels ● Welche sind laut Managementliteratur die Fragen bzw. Probleme, für die Qualitätsmanagement eine Antwort bzw. Lösung darstellt und in‐ wiefern stellt diese Einschätzung aus systemisch-systemtheoretischer Sicht vermutlich eine vorschnelle Vereinfachung dar? ● Was sind auf der (Makro-)Ebene von Gesellschaft, auf der (Meso-)Ebene von Organisation und auf der (Mikro-)Ebene von Interaktion mögliche Ursachen und (Neben-)Wirkungen bzw. Wirkungsgefüge der Entste‐ hung und Einführung von Qualitätsmanagement? 202 7 Coda <?page no="203"?> ● Inwiefern handelt es sich bei Qualitätsmanagement (und seinen Ele‐ menten wie beispielsweise Evaluation) um eine gesellschaftliche „Insti‐ tution“ im Sinne der Sozialwissenschaften bzw. in der Tradition von Émile Durkheim? 7 Coda 203 <?page no="205"?> Glossar AKKREDITIERUNG (lateinisch accredere … Glauben schenken) bezeichnet als Spe‐ zialform einer → Zertifizierung die auf bestimmten Verfahren der Prüfung (→ Auditierung) beruhende, rechtlich verbriefte Zulassung zum Beispiel einer Bildungseinrichtung wie einer Universität oder Hochschule bzw. eines Studien‐ gangs, eines Ausbildungsprogramms oder dergleichen zum offiziellen Betrieb mit der Absicht, die → Qualität für → Kund*innen im Interesse der → Stakeholder zu gewährleisten. ANSPRUCHSGRUPPEN siehe → Stakeholder. ATOMISTISCH (griechisch ἄτομος átomos … unteilbar) bzw. „individualistisch“ und nicht → „holistisch“ an ein Phänomen heranzugehen bedeutet, dessen Merkmale über die Eigenschaften seiner einzelnen Bestandteile zu bestimmen und davon auszugehen, dass es keine über die Eigenschaften dieser Teile hinausgehenden Merkmale hat. Demzufolge verfügt eine Organisation über keinen kollektiven Wissensbestand, sondern nur über individuelle Wissensbestände ihrer Mitglieder. AUDITIERUNG bezeichnet ein Prüfverfahren, in dessen Rahmen durch eine interne oder externe Instanz die Übereinstimmung eines Systems mit definierten Anfor‐ derungen festgestellt und ggf. durch → Zertifizierung verbrieft werden soll; so zum Beispiel ob das Qualitätsmanagementsystem eines Unternehmens oder einer Universität normativen Standards entspricht. Grundlage für die externe Auditierung durch eine Agentur ist meist eine zuvor durchgeführte interne Selbstbeurteilung. AUSDIFFERENZIERUNG beschreibt jenen evolutionären Entwicklungsprozess von Systemen, in dem diese durch Bildung von Subsystemen zunehmend höhere Grade an → Komplexität erlangen. Der Begriff ist von Georg Simmel explizit eingeführt worden, bereits Émile Durkheim hat aber mit „sozialer Arbeitstei‐ lung“ ähnliche Prozesse beschrieben, die in weiterer Folge einerseits zu höherer Leistungsfähigkeit der Subsysteme, andererseits zu höherer Anfälligkeit des Gesamtsystems führen AUTARKIE (griechisch αὐτός, autós-… selbst; -ἀρκεῖν, arké͞in … genügen) eines Systems meint im Unterschied zu → Autonomie und → Heteronomie eine Selbstgenügsamkeit, die einer Unterstützung aus der Umwelt nicht bedarf, wie beispielsweise Unabhängigkeit durch sog. Subsistenzwirtschaft. Allerdings ist im Falle der Isolation sozialer Systeme von einer stetigen Zunahme von → <?page no="206"?> Entropie auszugehen, die mangels Austausch mit der Umwelt früher oder später bestandsgefährdend wirkt. AUTONOMIE (griechisch αὐτός, autós … selbst; νόμος, nómos … Gesetz) eines sozialen Systems meint (im Unterschied zu → Heteronomie) nicht → Autarkie im Sinne von Unabhängigkeit, denn kein solches System kann isoliert von seiner Umwelt und von Systemen in dieser Umwelt bestehen. Vielmehr geht es im Sinne von „Eigengesetzlichkeit“ darum, interne Regeln auszubilden, in deren Rahmen das System dann externen Regeln folgen kann. AUTOPOIESIS (griechisch αὐτός, autós … selbst; ποιεῖν, poiein … erzeugen) bezeich‐ net den im Fall von lebenden, denkenden und kommunizierenden Systemen zu beobachtenden Sachverhalt, dass diese Systeme die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst erzeugen müssen. Wenn beispielsweise ein Gespräch als soziales System ins Stocken gerät, kann kein Gedanke aus dem psychischen System einfach einspringen, sondern nur die Kommunikation quasi „von außen“ erneut anregen. AUTOTELIE (griechisch αὐτός autós … selbst; τέλος télos … Ziel) bedeutet im Un‐ terschied zu Heterotelie (griechisch ἕτερος, heteros … fremd; τέλος télos … Ziel), dass beispielsweise eine Handlung als bloßer Selbstzweck ausgeführt wird und darüber hinaus auf keine jenseits ihrer selbst liegenden fremden Zwecke gerichtet ist; so pflegt man üblicherweise eine Liebesbeziehung oder eine Freundschaft autotelisch „um ihrer selbst willen“, und nicht, weil sie anderen Zwecken dienlich ist. Die BALANCED SCORECARD ist ein von Robert S. Kaplan und David P. Norton (ur‐ sprünglich für Unternehmen als Input-Output-Systeme) entwickeltes Werkzeug, das die zentralen Zielsetzungen aus der Vision, der Mission und der Strategie in messbare → Kennzahlen bzw. Indikatoren überführt und damit im Sinne eines integrierten Managementsystems der → Steuerung zugänglich macht, indem sie jeweils auch den Grad der Zielerreichung zeigt. BEOBACHTUNG ERSTER UND ZWEITER ORDNUNG bedeutet, dass alles, was über „Qualität“ gesagt wird, insofern aus der Perspektive einer Beobachtung erster Ordnung gesagt wird, als man für deren Bestimmung relevante Kriterien heranziehen (und zugleich alle anderen ausschließen) muss. Eine Beobachtung zweiter Ordnung kann auch diesen blinden Fleck der Beobachtung erster Ord‐ nung beobachten - also auch das sehen, was jene aufgrund der ausgeschlossenen Kriterien nicht sieht. BÜROKRATIE (griechisch κρατεῖν, krateín … herrschen) gilt heute kaum als Kom‐ pliment, sondern eher als Hinweis auf Schwerfälligkeit. Max Weber hatte mit seinem Idealtyp rationaler Bürobzw. Schreibtisch-Herrschaft aber nicht das 206 Glossar <?page no="207"?> Joch eines übertriebenen Bürokratismus im Sinn, sondern die Emanzipation gegenüber feudalistischer Willkür: Entscheidungen sollten ohne Emotion auf der Basis schriftlicher Regeln getroffen werden und nicht von Launen oder Wohlwollen einer Person abhängen. DEMING-KREISLAUF → siehe PDCA-Zyklus. DIFFERENZIERUNG siehe → Ausdifferenzierung. EFFEKTIVITÄT bezeichnet (im Unterschied zur → Effizienz) die vorrangig qualita‐ tiv bestimmte Wirksamkeit eines Systems oder einer Maßnahme in Hinblick auf das Erreichen eines gesetzten Ziels mit den eingesetzten Mitteln bzw. Ressour‐ cen. Oft wird hier davon gesprochen, unter strategischem Gesichtspunkt „die richtigen Dinge zu tun“, also sicherzustellen, dass die Mittel inhaltlich möglichst geeignet sind, um das Ziel zu erreichen (Maximierung). EFFIZIENZ bezeichnet (im Unterschied zur → Effektivität) die vorrangig quantitativ bestimmte Wirtschaftlichkeit eines Systems oder einer Maßnahme in Hinblick auf das Erreichen eines gesetzten Ziels mit den eingesetzten Mitteln bzw. Ressourcen. Oft wird hier davon gesprochen, unter operativem Gesichtspunkt „die Dinge richtig zu tun“, also sicherzustellen, dass der Aufwand für die Mittel möglichst gering ist (Minimierung). EIGENKOMPLEXITÄT dient einem System dazu, die → Komplexität seiner Umwelt zu bewältigen, indem es zusätzlich zur Reduktion der externen Komplexität zur Produktion von internen komplexen Strukturen in der Lage ist. Das vom Kybernetiker William R. Ashby formulierte „Gesetz von der erforderlichen Varietät“ besagt, dass es nur hinreichend komplexen Systeme möglich ist, sich in komplexen Umwelten erfolgreich zu behaupten (siehe auch → Interdependen‐ zunterbrechung). EMERGENZ (lateinisch emergere … auftauchen) bedeutet im Unterschied zum → Reduktionismus, dass durch das Zusammenwirken der Elemente in einem System neue Eigenschaften entstehen, die nicht direkt auf die Eigenschaften dieser einzelnen Elemente zurückführbar sind. In diesem Sinne war bereits Aristoteles der Überzeugung, dass das Ganze (z.-B. ein Gespräch) mehr bzw. etwas anderes ist als „nur“ die Summe seiner Teile (z.-B. die Redebeiträge der am Gespräch beteiligten Personen). Das Kunstwort ENTROPIE bezeichnet jene Unordnung, die in einem geschlossenen System gemäß des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik stetig zunimmt. Daraus resultiert für soziale Systeme im Fall ihrer → Autarkie die bestandsgefähr‐ dende Wirkung, weshalb diese im Austausch mit ihrer Umwelt stehen müssen. Aus ihr beziehen sie Energie bzw. „Negentropie“ (negative Entropie), die sie zum Aufbau von Ordnung durch → Selbstorganisation nutzen. Glossar 207 <?page no="208"?> ERGEBNISQUALITÄT ist (neben → Strukturqualität und → Prozessqualität) eine der drei von Avedis Donabedian unterschiedenen Qualitätsdimensionen zur Beurteilung der Erstellung von medizinischen Leistungen. Im ursprünglichen Modell bezieht sie sich auf den → Outcome (also: Wirkungen), nicht wie seither meist behauptet auf den → Output (also: Ergebnisse). Jedenfalls wird sie unmittelbare als Folge der (medizinischen) Prozesse und mittelbare Folge der Struktur aufgefasst. Unter EVALUIERUNG (lateinisch valere … wert sein) versteht man systematische, in methodischer Hinsicht an empirische Forschung erinnernde, allerdings in aller Regel mit praktischen Frage- und Problemstellungen befasste Bewertung bzw. Beurteilung eines Sachverhalts anhand von Kriterien und damit die Feststellung von → Qualität im Sinne einer Erfüllung von Anforderungen, unter anderem als Grundlage für die heute verbreitet geforderte → Evidenzbasierung von Entscheidungen. EVIDENZBASIERUNG (oder mittlerweile vorsichtiger: Evidenzorientierung) von Entscheidungen nimmt die Fundierung von Entscheidungsprozessen durch Be‐ lege, die im Rahmen von empirischer Forschung erlangt worden sind als Indikator für die → Qualität dieser Entscheidungen. So wird die Politik aufgefordert, bei der Gestaltung der Gesellschaft die Ergebnisse der Forschung zu Fragen der Wirk‐ samkeit unterschiedlicher Steuerungssysteme oder Reformen zu berücksichtigen. EXTERNALITÄTEN sind Effekte, die andere Systeme als das verursachende System in der Umwelt dieses Verursachers betreffen und auf diese betroffenen Systeme entweder positive oder negative Auswirkungen haben können. So kann die Fokussierung des Qualitätsmanagement auf Sicherheit und Stabilität in anderen Bereichen eines Unternehmens oder einer Universität die Fähigkeit zur Innova‐ tion und Veränderung schmälern, weil dafür dann zu wenig Ressourcen verfügbar sind. FEED-BACK (im Unterschied zu → Feed-forward) heißt, dass Informationen über die Erreichung eines Ziels in die weitere Planung einfließen (Regelkreis). Wenn beispielsweise Beschwerden über lange Lieferzeiten durch Verbesserungen in der Auftragsabwicklung zu kürzeren Lieferzeiten führen, spricht man von negativem Feed-back (Minimierung der Abweichung zwischen Soll und Ist), wenn Lob über kurze Lieferzeiten zu einer Verstärkung der Anstrengungen führt, von positivem Feed-back. FEED-FORWARD (im Unterschied zu → Feed-back) heißt, dass nicht nur Rückmel‐ dung über die Erreichung gesetzter Ziele (im Sinne eines Regelkreises) in die weitere Planung einfließt, sondern dass darüber hinaus für die Zukunft entwe‐ der neue Zielsetzungen oder noch nicht berücksichtigte Faktoren in Betracht 208 Glossar <?page no="209"?> gezogen, zum Beispiel wenn zusätzlich zu kurzen Lieferzeiten auch pünktliche Lieferung (Liefertreue) als bedeutsam für die Zufriedenheit der Kund*innen berücksichtigt wird. FÜHRUNGSPROZESSE (oder Managementprozesse) sind laut verbreiteter Defi‐ nition jene Abfolgen von Aktivitäten, die Aufgaben der übergeordneten → Steuerung übernehmen und damit den Rahmen für → Kernprozesse und → Unterstützungsprozesse bilden. Anders als diese beiden letztgenannten sind sie weniger bedeutsam für die operative Wertschöpfungstätigkeit (also Kund*innen‐ orientierung), sondern vielmehr für die die strategische Wettbewerbsfähigkeit (also Konkurrenzorientierung). Die FUNKTION eines Elements bezieht sich (im Unterschied zu dessen → Leistung) auf jenen Beitrag, den dieses Element zum Bestand bzw. eben zum „Funktionie‐ ren“ des Systems, dessen Bestandteil es ist, erbringt - zum Beispiel stattet das Erziehungssystem als gesellschaftliches Subsystem die → Gesellschaft als über‐ geordnetes System mit Lernfähigkeit aus und sorgt das Qualitätsmanagement eines Unternehmen im Kontext globaler Lieferketten für Legitimität. GESELLSCHAFT bezeichnet hier nicht wie im Alltagsverständnis die Summe ein‐ zelner Menschen, aus denen sie besteht, sondern eine → Emergenz, die aus Beziehungen zwischen diesen Menschen entsteht Je nach Sichtweise sind die Elemente dieses Sozialsystems „Gesellschaft“ dann aufeinander bezogenes sozia‐ les → Handeln oder sinnhafte → Kommunikation, für die allerdings menschliche (oder auch nicht-menschliche) Akteur*innen eine notwendige, externe Rahmen‐ bedingung sind. GOVERNANCE (lateinisch gubernare … steuern) wird vor allem in Unterscheidung zu Government gebraucht. Bezeichnet wird damit die Steuerung eines Systems (wie beispielsweise des Schul- oder Hochschulsystems) durch andere als staatli‐ che Akteur*innen (insbesondere die Regierung), in dem Sinn, dass verschiedene Akteur*innen ihr Handeln und Entscheiden miteinander koordinieren. Dies geschieht nicht einfach nur über → Hierarchie, sondern über laterale Prinzipien der → Heterarchie. HANDELN wird als menschliches Tun meist in der Tradition von Max Weber unter Bezugnahme auf (subjektiv gemeinten, interpretativ zu erschließenden) Sinn vom (äußerlich beobachtbaren) Verhalten unterschieden. Soziales, an anderen orientiertes Handeln führt zu → Wechselwirkungen, es entsteht ein → System durch → Emergenz. Talcott Parsons hat neben der handelnden Person als Ele‐ mente seines „handlungstheoretischen Bezugsrahmens“ noch Mittel, Zweck(e) und Situation bestimmt. Glossar 209 <?page no="210"?> HETERARCHIE (griechisch ἕτερος, heteros … der andere; ἀρχή, archē … Herrschaft) bezeichnet ein System der Ordnung, das (im Unterschied zur → Heterarchie) keine vertikale Rangordnung zwischen den Elementen, sondern wechselseitige (anstelle einseitiger) Kontrolle bzw. → Steuerung impliziert. Dies kommt im Prinzip der zeitgenössischen, funktional differenzierten → Gesellschaft ebenso zum Ausdruck wie in Netzwerken, die sich am Prinzip der Gleichberechtigung orientieren. HETERONOMIE meint (im Unterschied zu → Autonomie) nicht die absolute Deter‐ miniertheit eines Systems von außen, ggf. durch Gewalt und Zwang, sondern in Anlehnung an das griechische ἕτερος, heteros (anders) und νόμος, nómos (Gesetz) die stets gegebene Abhängigkeit eines jeden Systems von äußeren Bedingungen im Sinne seiner Angewiesenheit auf die Umwelt und auf Systeme in dieser Umwelt, wodurch der Rahmen für die inneren Gestaltungsspielräume definiert wird. HIERARCHIE (griechisch ἱερός, hieros … heilig; ἀρχή, archē … Herrschaft) bezeich‐ net ein System der Ordnung, das (im Unterschied zur → Heterarchie) zugleich eine vertikale Rangordnung zwischen den Elementen impliziert. Während die in der → Gesellschaft durch → Differenzierung entstandenen Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Recht etc. nicht im Verhältnis der Über- und Unterord‐ nung stehen, ist dies in der formalen → Organisation und in der → Bürokratie noch verbreitet der Fall. HOLISTISCH (griechisch-ὅλος-holos-… ganz), also „ganzheitlich“ bzw. „kollekti‐ vistisch“ und nicht → „atomistisch“ an Phänomene heranzugehen bedeutet, diesen Phänomen bestimmte Eigenschaften zu unterstellen, die auf der Ebene ihrer einzelnen Bestandteile nicht festzustellen sind. Demnach können wir nicht vollständig verstehen, was ein Gespräch ist und wovon es handelt, wenn wir nur die Beiträge der daran beteiligten Personen nacheinander erfassen, sie aber nicht aufeinander beziehen. INDIKATOREN → siehe Kennzahlen. INKLUSION bezeichnet die Teilhabe bzw. Teilnahme an gesellschaftlichen sozialen Prozessen, also an → Kommunikation. So ist zum Beispiel eine Person durch die → Beobachtung ihrer → Handlung unter ökonomischem Aspekt in das wirt‐ schaftliche Subsystem der Gesellschaft inkludiert. Sie ist dies also beispielsweise in ihrer Rolle als Kundin, nicht als Individuum in vollem Umfang. Außerdem ist mitunter Exklusion erstrebenswerter - man denke nur an Inklusion ins System der Strafverfolgung. INPUT meint im Kontext von Qualitätsmanagement und Systemtheorie die „Einga‐ ben“ im Sinne von allem, was Eingang in ein → System wie eine → Organisation 210 Glossar <?page no="211"?> findet (und zu → Output verarbeitet wird). Üblicherweise zählen dazu materi‐ elle oder immaterielle Ressourcen (Rohstoffe, Informationen oder dergleichen). Angesichts von → Autopoiesis und → Autonomie handelt es sich bei sozialen Systemen vor allem um intern in Information umgewandelte Irritation durch Impulse aus der Umwelt. INSTITUTION (lateinisch institutum … Einrichtung) heißt in den Sozialwissen‐ schaften eine aus → Normen bestehende, im Unterschied zur → Organisation nicht-intentional entstandene Struktur, mit der in einem Kollektiv eine Lösung für wichtige Probleme dauerhaft gesichert wird. Im Fall der → Gesellschaft ist dies zum Beispiel die Familie zur Sicherung von Reproduktion und Sozialisation, aber auch die DIN ISO Norm ist eine institutionalisierte Struktur, die Probleme der Legitimität löst. INTEGRATION meint in systemisch-systemtheoretischer Perspektive weniger den Einbezug von (menschlichen) Individuen in ein soziales Gefüge wie die → Gesellschaft, sondern eher das „innere“ Zusammenwirken in einem System. So handelt es sich für Talcott Parsons dabei um eine universelle → Funktion in jedem (sozialen) → System, ohne die Bestandsgefährdung droht. Das Verhältnis zwischen Individuen und Gesellschaft ist nach Niklas Luhmann eher eine → strukturelle Kopplung. INTERDEPENDENZUNTERBRECHUNG bedeutet, dass Systeme durch ihre → Eigenkomplexität die → Komplexität der Umwelt reduzieren bzw. im kyberne‐ tischen Sinne kontrollieren können, denn: Je variabler das interne Repertoire des Systems, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass auf externe Herausfor‐ derungen eine geeignete Antwort gefunden wird. Es wäre schlimm, auf alle Anforderungen von außen nur eine Antwort zu haben, und unmöglich, für jede Anforderung eine eigene zu haben. KAIZEN (japan. 改 , kai … Veränderung; 善 , zen … zum Besseren) ist ein in der japanischen Kultur verankertes Prinzip, das unendliches, definitionsgemäß unabschließbares Streben nach Entwicklung zum Gegenstand hat. Als solches hat es die westliche Managementphilosophie zu einer Methode des Qualitäts‐ management „umfunktioniert“ bzw. „uminterpretiert“ (→ Kontinuierliche Ver‐ besserung), die ganz wesentlich auf der konsequenten Umsetzung des → De‐ ming-Kreislauf basiert. KAUSALITÄT (lateinisch causa … Ursache) ist eine Bezeichnung für die Beziehun‐ gen zwischen Ursachen und durch diese Ursachen bewirkten Wirkungen. Wäh‐ rend diese Beziehungen lange Zeit als objektiv feststellbare Sachverhalte gegolten hatten, zeigt eine systemisch-systemtheoretische Sichtweise, dass es sich um komplexe soziale Konstruktionen im Sinne einer Auswahl relevanter Faktoren Glossar 211 <?page no="212"?> inmitten von → Komplexität und → Kontingenz, also um → nicht-triviale Systeme handelt. KENNZAHLEN sind im engeren Sinne von Indikatoren abzugrenzen, werden im weiteren Sinne aber oft mit diesen synonym verwendet. Sie zeigen, woran die Erreichung eines Zieles abgelesen werden kann, indem sie Sachverhalte komprimiert und quantifiziert zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel lässt sich die Qualität der Leistungserstellung über die Zufriedenheit von Kund*innen (= Indikator) bestimmen und über den Anteil der Stammkund*innen (= Kennzahl) messen. KERNPROZESSE sind laut verbreiteter Definition jene Abfolgen von Aktivitäten, die vor allem für externe → Kund*innen unmittelbar Nutzen stiften, also hohe Wertschöpfungsanteile aufweisen. Anders als → Führungsprozesse und → Unterstützungsprozesse sind sie allerdings sowohl von hoher operativer Bedeu‐ tung für die Wertschöpfungstätigkeit (Kund*innenorientierung) als auch direkt relevant für die die strategische Wettbewerbsfähigkeit (Konkurrenzorientierung). Von KLIENT*INNEN (lateinisch cliens … Schützling) kann (im Unterschied zu → Kund*innen) gesprochen werden, wenn → Anspruchsgruppen bzw. → Stakeholder in einer definitionsgemäß asymmetrischen Beziehung nach (meist: professioneller) Unterstützung wie Rat, Hilfe, Vertretung etc. suchen, unabhängig davon, ob diese Unterstützung gegen Entgelt erbracht wird, oder ob nur Gegen‐ leistungen wir Zeitaufwand, Einsicht, Überwindung etc. erforderlich sind. KOMMUNIKATION wird noch immer häufig nach dem Modell der Übertragung eines Inhalts von Sender*in zu Empfänger*in interpretiert. Eine systemisch-sys‐ temtheoretische Sichtweise versteht darunter das von Sozialsystemen für den Gebrauch in Sozialsystemen durch Handhaben der Einheit von drei Unterschei‐ dungen, nämlich Information, Mitteilung und Verstehen, trotz aller evolutionärer Unwahrscheinlichkeit erzeugte Element von Sozialsystemen und damit der → Gesellschaft. KOMPLEXITÄT bezeichnet einen über komplizierte, aber grundsätzlich kalkulier‐ bare Situationen wie zum Beispiel → triviale Systeme hinausgehenden Sachver‐ halt, der weder direkt kontrollierbar noch rein zufällig ist. → Nicht-triviale Systeme reduzieren zwar die Komplexität der Umwelt durch Auswahlentschei‐ dungen, allerdings nicht ohne interne → Eigenkomplexität und → Kontingenz (weil ihre Entscheidungen ja definitionsgemäß anders hätten ausfallen können) zu produzieren. KONTEXTSTEUERUNG ist ein (für Wissensmanagement von Ursula Schneider aufgegriffener) Begriff von Helmut Willke, der angesichts von → Autonomie und → Autopoiesis darauf reagiert, dass ein soziales (aber auch ein psychisches oder 212 Glossar <?page no="213"?> ein lebendes) → System nicht direkt gesteuert werden kann in dem Sinne, dass von außen auf interne Strukturen zugegriffen wird. Was bleibt ist die Gestaltung jener Rahmenbedingungen, an denen sich das System bei seiner Entwicklung orientiert. KONTINGENZ bezeichnet einen Sachverhalt, der einerseits möglich, andererseits nicht notwendig ist (also auch anders sein könnte). In weiterer Folge sind soziale Situationen sogar durch doppelte Kontingenz gekennzeichnet, weil die beteiligten Personen ihr Handeln wechselseitig voneinander bzw. vom Handeln bzw. von den Handlungsoptionen der anderen abhängig machen können (nach dem Motto „ich tue, was du willst, wenn du tust, was ich will“ - und umgekehrt). Eine KONTINGENZFORMEL dient dazu, unbestimmte → Kontingenz in bestimmte zu überführen um sie handhabbar zu machen, also den Möglichkeitsraum durch Reduktion von → Komplexität zwar ausreichend zu beschränken, zugleich aber → Eigenkomplexität zu ermöglichen. Zum Beispiel hat das Erziehungssystem mit „Bildung“ eine solche (floskelhaft) Formel: Man weiß zwar grundsätzlich, worum es geht, kann zugleich aber ausführlich über Details diskutieren. Gleiches gilt für „Qualität“. KONTINUIERLICHE VERBESSERUNG (siehe → KAIZEN). Die Rede von der KULTUR einer → Organisation bezieht sich oft auf Edgar Schein und dessen Drei-Ebenen-Modell mit der Unterscheidung zwischen Sichtbarem (wie Verhaltensweisen, Artefakten), teilweise Sichtbarem (wie Regeln, Verboten) und gänzlich Unsichtbarem (wie Grundannahmen, Selbstverständlichkeiten). In systemisch-systemtheoretischer Perspektive handelt es sich dabei um Prämissen für Entscheidungen, die man ihrerseits nicht entscheidet, sondern als gegeben annimmt. Von KUND*INNEN kann (im Unterschied zu → Klient*innen) in einem engeren Sinne gesprochen werden, wenn individuelle oder kollektive Akteur*innen in einer grundsätzlich symmetrischen Geschäftsbeziehung ein Produkt erwerben bzw. eine Leistung in Anspruch nehmen und im Gegenzug ein Entgelt leisten bzw. eine entsprechende Gegenleistung erbringen. In einem weiteren Sinne wird der Begriff allerdings auch als Synonym für → Anspruchsgruppen bzw. → Stakeholder gebraucht. KYBERNETIK (griechisch κυβερνήτης, kybernetes … Steuermann) geht als interdis‐ ziplinäre Wissenschaft auf Norbert Wiener zurück. Sie beschäftigt sich mit → Steuerung und → Regelung von (Input-Output-)Systemen, insbesondere unter Rückgriff auf Mechanismen des → Feed-back (was für → Qualitätsmanagement sehr interessant ist) und unter Berücksichtigung von → Wechselwirkungen Glossar 213 <?page no="214"?> (was sie wiederum für systemisch-systemtheoretische Sichtweisen besonders interessant macht). Die LEISTUNG eines Elements bzw. eines Subsystems bezieht sich (im Unterschied zu dessen → Funktion) nicht auf das übergeordnete System, dessen Bestandteil es ist, sondern auf andere Systeme in diesem übergeordneten System als Um‐ welt. Wir haben es hier mit Input-Output-Beziehungen zu tun, beispielsweise wenn das Erziehungssystem als gesellschaftliches Subsystem dem ökonomischen Subsystem ausgebildete Arbeitskräfte und dem politischen Subsystem gebildete Bürger*innen liefert. MANAGEMENT meint meist eine Handlungsstrategie zweckrationaler Zielerrei‐ chung. Im engeren Sinne ist es sowohl zur Manipulation (Handhabung von Objekten) als auch zur Menschenführung (Einflussnahme auf Subjekte) abzu‐ grenzen: Es handelt sich um ein Subsystem, das in Sozialsystemen (vor allem in → Organisationen) durch → Ausdifferenzierung entsteht und damit die Unterscheidung zwischen dem System und seiner Umwelt im System beobachtbar macht (siehe → Selbstreferenz). NEW PUBLIC MANAGEMENT bezeichnet die Übernahme von Techniken des → Management aus privatwirtschaftlichen Unternehmen in Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung in der Hoffnung, damit einerseits vor allem unter Res‐ sourcengesichtspunkten die → Effizienz und → Effektivität der → Bürokratie, andererseits die Zufriedenheit der Bürger*innen in ihrer Rolle als → Kund*innen zu erhöhen. Sowohl die empirischen Befunde als auch die kritischen Stimmen sind eher uneinheitlich. NICHT-TRIVIALE SYSTEME zeichnen sich (im Unterschied zu → trivialen Syste‐ men) nicht nur durch komplizierte Strukturen und Prozesse, sondern darüber hinaus durch → Eigenkomplexität aus, die Kalkulierbarkeit und Kontrollier‐ barkeit verunmöglicht. Sie reagieren gemäß ihrer inneren Logik auf Inputs und transformieren diese in Outputs. An die Stelle direkter → Steuerung tritt daher eine „indirekte Rahmensteuerung“ (Helmut Willke) durch (professionelle) Expertise und Erfahrung. NORMEN sind, um eine Formulierung von Niklas Luhmann zu zitieren, „normativ stilisierte Erwartungsstrukturen“, die sich (im Unterschied zu → Wissen) inso‐ fern als veränderungsbzw. lernresistent erweisen, als sie auch „kontrafaktisch“ aufrecht erhalten werden. Dieses Festhalten an Erwartungen gegenüber sich als abweichend herausstellenden empirischen Fakten stellt auch das Ideal des Qualitätsmanagement dar: Die Realität hat sich an normative Anforderungen anzupassen. 214 Glossar <?page no="215"?> Unter ORGANISATION (griechisch ὄργανον, órganon … Werkzeug) versteht man zumeist ein → System formaler (offizieller) und informaler (inoffizieller) Regeln der Kommunikation und des Handelns, an die eine Person durch ihrer Entschei‐ dung zur Mitgliedschaft in ihrer Rolle als Mitglied gebunden ist. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, gemeinsame Ziel wären der Ausgangspunkt, hat Karl E. Weick betont, dass es sich eher um ein gemeinsames Mittel für verschiedene Zwecke handelt. Als ORGANISATIONSENTWICKLUNG bezeichnet man eine auf sozialphilosophi‐ schen und sozialpsychologischen Grundlagen (Menschenbild, Gruppendynamik) beruhende Herangehensweise an die gezielte Gestaltung einer → Organisation, wobei Prinzipien wie Prozessorientierung und Partizipation eine wichtige Rolle spielen. Besondere Bekanntheit hat hierbei das 3-Phasen-Modell nach Kurt Lewin erlangt, das von „unfreezing“ über „moving“ zu „re-freezing“ führt. OUTCOME im Sinne von Wirkung (und in der Übersetzung verbreitet mit → Output im Sinne von Ergebnissen verwechselt) ist neben „Struktur und Prozess“ eine der drei Qualitätsdimensionen im Modell von Avedis Donabedian. So ermöglichen die Strukturen des Gesundheitssystem einen Prozess breiter Impf-Kampagnen, deren Ergebnis zwar eine hohe Durchimpfungsrate in der Bevölkerung ist, dies jedoch nicht als Selbstzweck, sondern um einen Schutz vor Erkrankung etc. zu bewirken. OUTPUT meint im Kontext von Qualitätsmanagement und Systemtheorie die „Ausgaben“ im Sinne von allem, was Ausgang aus einem energetisch offenen → System durch Verarbeitung von → Input findet, entweder in materieller oder in immaterieller Erscheinungsform (Produkte, Dienstleistungen, Informationen etc.). Üblicherweise werden diese direkten, unmittelbaren Ergebnisse von indi‐ rekten, weiterreichenden Wirkungen (→ Outcome) unterschieden. Siehe dazu auch → Ergebnisqualität. Der PDCA-ZYKLUS (englisches Akronym für plan, do, check, act) ist als → De‐ ming-Kreislauf bekannt. Der US-Amerikaner William E. Deming hat die von Walter A. Shewhart linear konzipierte Schrittfolge von Spezifikation, Produktion und Inspektion in die zirkuläre Abfolge von Planung, Durchführung, Kontrolle und Anpassungshandeln gebracht. → Kontinuierliche Verbesserung beruht da‐ her wesentlich auf diesem Mechanismus des → Feed-back. Siehe allerdings auch → PDSA-Zyklus. Den PDSA-ZYKLUS (englisches Akronym für plan, do, study, act) hat US-Amerikaner William E. Deming nach Walter A. Shewhart als „Shewhart Cycle for Learning and Improvement“ bezeichnet und dem → PDCA-Zyklus vorgezogen (wenn‐ gleich dieser nach seinen Vorträgen bei der „Japanese Union of Scientists and Glossar 215 <?page no="216"?> Engineers“ ( JUSE) in den 1950er Jahren große Bekanntheit erlangt hatte), denn im Unterschied zu PDCA fokussiert PDSA weniger die Kontrolle als vielmehr die Entwicklung. PERSONALENTWICKLUNG bezeichnet die Fort- und Weiterbildung von Mitarbei‐ ter*innen, wobei der Bedarf in erster Linie aus den Zielen der → Organisation abgeleitet ist, zugleich aber Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen betreffend ihre Qualifizierung und Entwicklung berücksichtig werden. Es handelt sich demnach um eine systematische Gestaltung von Lernprozessen auf der individuellen Ebene mit dem Ziel einer Passung zwischen der individuellen und der organisationalen Dimension. POTENTIALQUALITÄT lässt sich zunächst als Synonym für → Strukturqualität im Modell von Avedis Donabedian auffassen, in weiterer Folge als dessen Ausdiffe‐ renzierung in Folge der Einsicht, dass (vor allem im Fall von Dienstleistungen) die → Prozessqualität und → Ergebnisqualität nicht nur von Strukturen auf Seiten der anbietenden Einheit abhängen, sondern dass auch die nachfragende Seite eine wesentliche Rolle spielt. Siehe auch → Prosumer (Prosument). PROSUMER (PROSUMENT) ist ein Kunstwort aus „Producer“ (Produzent*in) und „Consumer“ (Konsument*in) von Alvin Toffler und George Ritzer. Er bezieht sich auf den Sachverhalt, dass nicht nur in professionellen Kontexten wie in der Sozialen Arbeit (wo Klient*innen für → Prozessqualität und → Ergebnisqualität mitverantwortlich sind) in vielen Dienstleistungsbranchen → Kund*innen an der Leistungserstellung beteiligt sind, beispielsweise in Selbstbedienungs-Restau‐ rants. PROZESSQUALITÄT ist (neben → Strukturqualität und → Ergebnisqualität) eine der drei von Avedis Donabedian unterschiedenen Qualitätsdimensionen zur Beurteilung der Erstellung von medizinischen Leistungen. Sie bezieht sich auf jene Aktivitäten, deren Kombination einerseits auf die Strukturen angewiesen sind und andererseits zur Ergebnissen (→ Outputs) bzw. im ursprünglichen Modell zu Wirkungen (→ Outcome). QUALITÄT als Gegenstand des Management wird im herrschenden Paradigma in Anlehnung an die DIN EN ISO als Doyenne des Diskurses definiert als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“. Es geht demnach um die evaluative Bewertung des deskriptiven Seins vor dem Hintergrund eines normativen Solls, das den Maßstab bildet. Diese rein formale Bestimmung erlaubt eine Verbreitung in allen gesellschaftlichen Bereichen und außerdem eine Quantifizierung. RAHMENSTEUERUNG → siehe Kontextsteuerung. 216 Glossar <?page no="217"?> RATIONALITÄT (lateinisch ratio … Vernunft) wird im Alltag meist unter Rückgriff auf Vernunft und insbesondere auf lineare → Kausalität verstanden im Sinne einer Beurteilung der Eignung von Mitteln zur Erreichung bestimmter Zwecke. Demgegenüber nehmen systemisch-systemtheoretische Sichtweisen ihren Aus‐ gangspunkt bei → Selbstreferenz und versteht dann darunter die Orientierung eines Systems und seiner Operationen an seiner Unterscheidung als System von seiner Umwelt. REDUKTIONISMUS bedeutet im Gegensatz zu einer systemisch-systemtheoreti‐ schen Sichtweise, die von → Emergenz ausgeht, dass sich die Eigenschaften eines Ganzen bzw. eines Systems direkt aus den Eigenschaften seiner Teile bzw. seinen Elementen erklären, mit anderen Worten: auf diese reduzieren lassen. Demnach wäre die → Qualität einer Dienstleistung gleichzusetzen mit der Summe aller Anforderungen an einzelne Aspekte, was allerdings deren Zusammenwirken außer Acht lässt. REGELUNG siehe → Steuerung. SELBSTREFERENZ ist zunächst wörtlich die Bezugnahme von jemandem bzw. von etwas auf sich selbst. Dabei kann es sich in einem → System erst um dessen Elemente (basale Selbstreferenz), dann um aus ebendiesen Elementen entstehende Strukturen (→ Selbstorganisation) handeln. Wenn letztlich das → System sich auf sich selbst als unterschieden von seiner Umwelt bzw. von Systemen in seiner Umwelt bezieht, spricht man von Reflexion (siehe auch → Rationalität und → Management). SELBSTORGANISATION bezeichnet den internen Strukturaufbau in einem → System durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen Systemelementen unter Zuhilfenahme von → Selbstreferenz. Aufgrund von → Autopoiesis und → Autonomie können Zugriffe von außen zwar eine destruktive Wirkung haben, wohingegen ein konstruktiver oder gar gezielter Aufbau von Strukturen durch Eingriffe von außen nicht möglich ist (siehe auch → Kontextsteuerung). Als SHAREHOLDER werden (im Unterschied zu → Stakeholdern) die Anteilseig‐ ner*innen, meist im Sinne von Aktionär*innen bezeichnet, die durch ihre Inves‐ tition bzw. Einlage von Eigenkapital als Eigentümer*innen eines Unternehmens auftreten, damit vor allem finanzielle Interessen verbinden und sich Ertragschan‐ cen erhoffen. Alfred Rappaport hat dazu das betriebswirtschaftliche Konzept des „Shareholder-Value“ entwickelt, das auf Steigerung des Aktienkurses eines Unternehmens abzielt. SMARTe Ziele gehen auf ein Akronym zurück: Ziele sollen stets „specific, mea‐ surable, achievable, reasonable, time-bound“ formuliert sein, da man sie dem „Management-Papst“ Peter Drucker zufolge nur solch präzisierter Form zum Glossar 217 <?page no="218"?> Gegenstand von → Management machen könne. Heute wird sogar gefordert, dass Ziele SMARTER, also zusätzlich „ecological“ und „resourced“ sein sollten um auch ökologische und ökonomische Aspekte zu berücksichtigen (was aber eher ein Kategorienfehler ist). Als STAKEHOLDER werden (im Unterschied zu → Shareholdern) nicht nur die Anteilseigner*innen mit ihren finanziellen Interessen bezeichnet (englisch share … Anteil; stake … Anspruch, Interesse), sondern alle Gruppen, die legitimes Interesse an einer Sache haben bzw. berechtigte Ansprüche an diese stellen (→ Anspruchsgruppen) und die darüber wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Sache haben, weshalb die Sicherstellung ihrer Unterstützung von wesentlicher Bedeutung ist. STEUERUNG bezeichnet die Einflussnahme auf ein System. Unter Bedingungen der → Autopoiese und der → Autonomie, also zum Beispiel im Fall von Sozialsystemen ist direkte Steuerung im Sinne eines unmittelbare Zugriffs auf die internen Systemoperationen von außen nicht möglich und des bedarf der → Kontextsteuerung. Störenden Einflüssen bei der Erreichung eines Zieles oder Zustandes entgegenzuwirken ist demgegenüber Aufgabe der Regelung (→ Kybernetik, → Feed-back). STRUKTURELLE KOPPLUNG beschreibt eine Inter-System-Beziehung. Sie löst das Problem, dass insbesondere ein soziales oder einer psychisches → System aufgrund seiner jeweiligen → Autonomie und → Autopoiesis nicht in Strukturen anderer sozialer oder psychischer Systeme eingreifen kann. An den Systemgren‐ zen braucht es daher vermittelnde Mechanismen, die entweder gleichzeitig beiden Systemen oder keinem von beiden angehören - beispielsweise Verträge oder Zertifikate. STRUKTURFUNKTIONALISMUS ist die Bezeichnung für eine in der Soziologie vor allem mit Talcott Parsons in Verbindung gebrachte theoretische Perspektive, die soziale Phänomene unter funktionalem Aspekt betrachtet. Einerseits fragt sie („top-down“) danach, auf welche Funktionen ein soziales System angewiesen ist, um auf Dauer bestehen zu können. Andererseits fragt sie („bottom-up“) danach, welche Funktion bestimmte Phänomene für das übergeordnete soziale System erfüllen. STRUKTURQUALITÄT ist (neben → Prozessqualität und → Ergebnisqualität) eine der drei von Avedis Donabedian unterschiedenen Qualitätsdimensionen zur Beurteilung der Erstellung von medizinischen Leistungen. Sie bezieht sich auf Rahmenbedingungen und Ressourcen, die sich auf die Qualität der Prozesse und in weiterer Folge auf die Qualität der Ergebnisse auswirken, weshalb sie die Basis für die beiden anderen Dimensionen bildet. Siehe dazu auch → Potentialqualität. 218 Glossar <?page no="219"?> Das SUBSTITUTIONSPRINZIP nach Erich Gutenberg (1897-1984), dem Begründer der modernen Betriebswirtschaftslehre, besagt im Wesentlichen, dass Einzelfal‐ lentscheidungen in Organisationen so lange durch allgemeine Regelungen ersetzt werden sollen, bis ein (theoretisches) Optimum zwischen organisationaler Statik und Dynamik erreicht ist. Liegen zu wenige solcher Regelungen vor, spricht man von „Unterorganisation“, liegen zu viele solcher Regelungen vor, von „Überorganisation“. Die SWOT-ANALYSE hat ihre Bezeichnung vom englischen Akronym aus „Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats“. Sie dient dazu, das System und die Umwelt zu analysieren, indem einerseits interne Stärken und Schwächen, andererseits externe Chancen und Bedrohungen identifiziert werden. Meistens wird dabei nicht bedacht, dass es sich hierbei nicht um zwei getrennte Dimen‐ sionen handelt, weil sowohl Stärken und Chancen als auch Schwächen und Bedrohungen aufeinander verweisen. SYSTEM (griechisch σύν, syn … zusammen; ἵστημι, histemi … stellen) bezeichnet ein aus Teilen (Elementen) zusammengesetztes, von der Umwelt unterscheidba‐ res Ganzes, wobei diese Teile miteinander in Beziehungen (Relationen) stehen und zum Ganzen bestimmte Beiträge leisten (Funktionen), woraus dann durch → Emergenz neue Eigenschaften entstehen, die nicht auf jene der Elemente zurückführbar sind. Siehe dazu auch → triviale Systeme und → nicht-triviale Systeme. SYSTEMISCH bedeutet ganz allgemein, sich Sachverhalten nicht vorrangig in analy‐ tischer Absicht anzunähern, sondern sie ganzheitlich in den Blick zu nehmen bzw. Phänomene nicht → „atomistisch“ als Summe einzelner Aspekte zu verstehen (→ Reduktionismus), sondern → „holistisch“ als eine Art eigener → Emergenz zu betrachten. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen einzelnen Aspekten, die etwas qualitativ Neues hervorbringen. TOTALES QUALITÄTSMANAGEMENT (TQM) bezeichnet eine Strategie der um‐ fassenden Ausrichtung eines Systems (insbesondere einer → Organisation) sowie aller Aktivitäten am übergeordneten Ziel der Qualität bzw. ihrer Sicherung und Weiterentwicklung, für die wiederum alle Mitglieder und nicht nur bestimmte Stellen und Personen verantwortlich sind. Im Mittelpunkt steht die Zufriedenheit der → Kund*innen bzw. der → Stakeholder als Maßstab für → Qualität. TRIVIALE SYSTEME sind nicht notwendigerweise einfache Systeme, denn sie können sehr wohl kompliziert. Allerdings sind sie (im Unterschied zu → nicht-tri‐ vialen Systemen) nicht komplex, denn sie lassen sich in ihrer Funktionsweise grundsätzlich (wenngleich mit entsprechendem Knowhow- und Ressourcenein‐ Glossar 219 <?page no="220"?> satz) kalkulieren und kontrollieren: Inputs verarbeiten Sie entsprechend ihrer internen Funktion zu erwartbaren Outputs (und falls nicht, weisen sie in aller Regel einen Defekt auf). Die UMWELT ist konstitutiv für ein → System und daher nicht weniger wichtig als dieses von ihr unterschiedene System, zumal sich von einem System ja überhaupt nur sinnvoll reden lässt, wenn dieses von einer Umwelt unterschieden wird. Bildung und Bestand eines Systems beruhen auf einer solchen Grenzziehung zwischen System und Umwelt, wobei diese Grenze ein „Komplexitätsgefälle“ darstellt, denn die Funktion von Systemen ist zuallererst die Reduktion von Umweltkomplexität UNTERSTÜTZUNGSPROZESSE sind laut verbreiteter Definition jene Abfolgen von Aktivitäten, die zwar für externe → Kund*innen nur mittelbar Nutzen stiften, aber unmittelbar zum Gelingen der → Kernprozesse (sowie ggf. der → Führungs‐ prozesse) beitragen. Daher sind sie vor allem von hoher operativer Bedeutung (im Sinne von (interner) Kund*innenorientierung), jedoch weniger relevant für die die strategische Wettbewerbsfähigkeit (im Sinne von Konkurrenzorientierung). QUALITÄT (lateinisch qualitas … Beschaffenheit) ist im aktuellen Paradigma sowohl Beschreibung als auch Bewertung, laut DIN EN ISO definiert als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale eines Objekts Anforderungen erfüllt.“ Dieser rein formale Zugang ist nicht nur das Erfolgsgeheimnis der Verbreitung von → Qualitätsmanagement, sondern auch dessen „dirty little secret“, weil keine Angaben gemacht werden, was dieses dann von → Management im Allgemeinen unterscheidet. QUALITÄTSMANAGEMENT bezeichnet alle Strategien, Aktivitäten, Maßnahmen etc. eines Systems (insbesondere einer → Organisation), die geeignet sind, um → Qualität zu sichern und weiterzuentwickeln, also mit anderen Worten: festgelegte Anforderungen (immer besser) zu erfüllen. Die Festlegung dieser Anforderungen bildet den Rahmen, innerhalb dessen zu einer Steigerung von → Effizienz und → Effektivität beigetragen werden soll (siehe auch → Deming-Kreislauf). QUALITÄTSZIRKEL sind freiwillige Zusammenschlüsse von Mitgliedern einer Organisation (meist von Mitarbeiter*innen eines Unternehmens, eines Unterneh‐ mensbereichs oder mehrerer Bereiche wie der Produktions- oder Entwicklungs‐ abteilung), die sich Problemen ihres unmittelbaren Arbeitsalltags widmen. Mit‐ hilfe von Moderations- und Kreativitätstechniken werden Lösungen entwickelt und Maßnahmen umgesetzt (zum Beispiel um Prozesse über Abteilungsgrenzen hinweg zu verbessern). VARIETÄT, erforderliche, siehe → Eigenkomplexität. 220 Glossar <?page no="221"?> VIABILITÄT beschreibt ganz allgemein das Verhältnis zwischen einem System und seiner Umwelt, genauer gesagt jenen „gangbaren“ Weg, den ein System im Umgang mit seiner Umwelt gefunden hat. Ernst von Glasersfeld hat betont, dass ein System kein Bild von der Umwelt „an sich“ benötigt, wie es einer Gruppe auf ihrer nächtlichen Wanderung durch ein Waldstück genügt, einen von vermutlich mehreren möglichen Wegen zu finden, der zwischen den Bäumen hindurchführt - also „viabel“ ist. Die WECHSELWIRKUNG war für Georg Simmel das grundlegende Element des Sozialen und damit der Vergesellschaftung des Menschen. Sie lässt sich daher teilweise analog zum systemisch-systemtheoretischen Verständnis von → Kom‐ munikation interpretieren. Wechselwirkungen entstehen allerdings nicht nur, wenn Individuen miteinander in Interaktion treten und soziale Formen bilden, sondern auch, wenn soziale Systeme aufeinander und auf ihre Umwelten wirken (siehe → Viabilität). WISSEN ist, um eine Formulierung von Niklas Luhmann zu zitieren, eine „kognitiv stilisierte Erwartungsstruktur“, die sich (im Unterschied zu → Normen) insofern als veränderungsbzw. lernbereit erweist, als sie sich an neue Informationen anpasst. Dieses Verändern von Erwartungen auf Grundlage von sich als abwei‐ chend herausstellenden empirischen Fakten stellt gewissermaßen das Gegenteil von Qualitätsmanagement dar, denn dieses will die Realität an die Erwartungen anpassen. ZERTIFIZIERUNG (lateinisch certus … sicher; facere … machen) ist der üblicherweise auf einem Verfahren der → Auditierung beruhende, unter Umständen zu einer → Akkreditierung führende, in aller Regel von einer unabhängigen Stelle verbriefte Nachweis, dass ein geprüftes System bestimmten festgelegten Anforderungen entspricht. In vielen Fällen ist aufgrund einer Befristung in regelmäßigen zeit‐ lichen Intervallen eine Re-Zertifizierung, also eine neuerliche Zertifizierung erforderlich. ZIRKULARITÄT meint zunächst basale → Selbstreferenz, dann im Sinne von → Selbstorganisation und im Unterschied zu linearer → Kausalität in einem → System vor allem die → Wechselwirkungen zwischen Elementen. Wie beim Henne-Ei-Problem sind diese füreinander stets wechselseitig Ursache und Wir‐ kung. Man denke zum Beispiel an Unternehmen, in denen der ökonomische Erfolg nicht nur die Folge von erfolgreichem Qualitätsmanagement, sondern zugleich auch dessen Voraussetzung ist. Glossar 221 <?page no="223"?> Literatur Abbott, Andrew (1988). The System of Professions. An Essay on the Division of Expert Labor. Chicago: University of Chicago Press. Abrahamson, Eric (1991). Managerial Fads and Fashions. The Diffusion and Rejec‐ tion of Innovations. The Academy of Management Review 16 (3), S.-586-612. Argyris, Chris & Schön, Donald A. (1978). Organizational Learning. A Theory of Action Perspective. Reading: Addison-Wesley. Ashby, William R. (1956). An Introduction to Cybernetics. New York: Wiley. 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Donabedian . . . . . . . . 26 Abbildung 4: Unterscheidung zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abbildung 5: Qualität und Qualitätsmanagement als Komplexitätsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Abbildung 6: Nutzen und Nachteil manifester und latenter Funktionen (schematisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Abbildung 7: Systeme sind „kompliziert“ oder sogar „komplex“ . . 48 Abbildung 8: Soziale Systeme als „Emergenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Abbildung 9: AGIL-Schema für Handlung und Organisation als System nach Talcott Parsons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Abbildung 10: Autopoiesis sozialer, psychischer und organischer Systeme nach Niklas Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abbildung 11: System und Umwelt als Nische nach G. Spencer-Brown . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Abbildung 12: Organisation als Ergebnis sozialer Evolution „bottom up“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Abbildung 13: Management als Systemfunktion und Subsystem . . . 76 Abbildung 14: Elemente der „Governance“ nach U. Schimank . . . . . 77 Abbildung 15: Logik des ISO-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Abbildung 16: Konventionelle Klassifikation von Prozessen . . . . . . . 89 Abbildung 17: Logik des EFQM-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abbildung 18: Beispiele für die Logik der Qualitätskultur nach Edgar H. Schein und Fritz B. Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Abbildung 19: Das „magische Dreieck“ des Management . . . . . . . . . 104 Abbildung 20: Kontrolle und Prüfung sowie Sicherung und Entwicklung von Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Abbildung 21: Atomistischer Qualitätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abbildung 22: Qualität als Einheit von drei Unterscheidungen . . . . 120 Abbildung 23: Funktion von Methoden in Wissenschaft und Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 <?page no="236"?> Abbildung 24: Schema der SMARTen Zielformulierung zur Komplexitätsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Abbildung 25: Schema der SWOT-Analyse aus systemisch-systemtheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . 133 Abbildung 26: Analytische Klassifikation von Prozessen . . . . . . . . . 136 Abbildung 27: Schema der grafischen Darstellung von Prozessen . . 139 Abbildung 28: Sach-, Sozial- und Zeitdimension in Qualitätszirkeln 141 Abbildung 29: Evaluation vs. Feed-back . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Abbildung 30: Qualitätsmanagement als mehrdimensionales Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Abbildung 31: Spannungen und deren Kompensation im AGIL-Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Abbildung 32: Selbstorganisation des Qualitätsmanagement . . . . . . 162 Abbildung 33: Systembeziehungen: Leistung, Funktion und Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abbildung 34: Unterscheidung und Wiedereintritt in das Unterschiedene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Abbildung 35: Unabschließbarkeit der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abbildung 36: Todsünden im Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . 176 Abbildung 37: Tugenden im Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . 177 Abbildung 38: Antinomien im Feld des Qualitätsmanagement . . . . . 182 Abbildung 39: Die „systemische Schleife“ im Qualitätsmanagement 184 Abbildung 40: Ansatzpunkte für die Steuerung von (organisierten) sozialen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abbildung 41: Ornamentalität im Qualitätsmanagement . . . . . . . . . 192 Abbildung 42: Ornamentalität als Element der Formalstruktur . . . . 193 Abbildung 43: Qualitätsmanagement sollte ernsthaft arbeiten, sich selbst aber nicht zu ernst nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abbildung 44: Wirkungsgefüge bei der Entstehung und Einführung von Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 236 Abbildungsverzeichnis <?page no="237"?> ISBN 978-3-8252-6113-9 Paul Reinbacher Systemisches Qualitätsmanagement Grundlagen, Systemtheorie und Anwendung Das Buch bringt die soziologische und die Managementperspektive zusammen. Es zeigt in einem systemischen Ansatz, wie in Organisationen einerseits betriebswirtschaftliche Qualitätsstandards und andererseits die Komplexität der Sozialstruktur sowie gesellschaftliche Bezüge zusammenspielen können. Dabei übernehmen auch Personal- und Organisationsentwicklung eine wichtige Funktion. Das Buch richtet sich an Studierende wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge an Universitäten und Hochschulen sowie an Praktiker in Organisationen. Zu diesem Buch wird ein eLearning-Kurs mit über 100 Fragen angeboten. utb+ Das Lehrwerk mit dem digitalen Plus Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Systemisches Qualitätsmanagement Reinbacher Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 2023-09-20_6113-9_Reinbacher_M_6113_PRINT.indd Alle Seiten 2023-09-20_6113-9_Reinbacher_M_6113_PRINT.indd Alle Seiten 21.09.23 10: 16 21.09.23 10: 16