Gender – Sprache – Stereotype
Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht
1211
2023
978-3-8385-6180-6
978-3-8252-6180-1
UTB
Hilke Elsen
10.36198/9783838561806
Der Band erläutert die vielfältigen Ursachen von Geschlechterstereotypen und zeigt Möglichkeiten auf, in Lehr- und Lernsituationen oder bei der Beurteilung von Kindern gendersensibel zu agieren. Sein Fokus liegt auf der Sprache: Sie behandelt die Geschlechter nicht gleich, sondern transportiert Geschlechterstereotype, ihr Gebrauch beeinflusst unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Lehrkräften und Betreuungspersonen hilft der Band, diese Zusammenhänge zu erkennen und bietet Anregungen für einen gendersensiblen Umgang in Kita, Schule oder Universität.
Die Nachauflage berücksichtigt neue Studien und Entwicklungen besonders zu gendersensibler Sprache sowie trans- und intersexuellen Lebensformen.
"... für die Arbeit in Kindertagesstätten und Schulen, für die Fort- und Weiterbildung sowie die Hochschullehre eine sehr gute Arbeitsgrundlage."
(socialnet.de, 13.11.20)
<?page no="0"?> Hilke Elsen Gender - Sprache - Stereotype 2. Auflage <?page no="1"?> utb 5302 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 UTB (M) Impressum_03_22.indd 1 23.03.2022 10: 23: 51 23.03.2022 10: 23: 51 <?page no="2"?> Prof. Dr. Hilke Elsen ist Professorin für germanistische Linguistik an der LMU München. Ihre Forschungsschwer‐ punkte sind unter anderem Sprachvarietäten, Neologis‐ men/ Lexikologie, Wortbildung sowie Genderlinguistik. <?page no="3"?> Hilke Elsen Gender - Sprache - Stereotype Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht 2., überarbeitete Auflage Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.36198/ 9783838561806 2., überarbeitete Auflage 2023 1. Auflage 2020 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5302 ISBN 978-3-8252-6180-1 (Print) ISBN 978-3-8385-6180-6 (ePDF) ISBN 978-3-8463-6180-1 (ePub) Umschlagabbildung: © Two month old twin baby. Foto: Katrina Elena, https: / / www.shutterstock.com, Stock-Illustration-ID: 533865133 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 12 1 13 1.1 13 1.2 17 1.3 20 1.4 20 1.5 22 2 25 2.1 25 2.2 26 2.3 30 2.4 35 3 43 3.1 43 3.2 43 3.3 47 3.4 50 3.5 51 3.6 55 4 61 4.1 61 4.2 64 4.3 67 Inhalt Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten von Frauen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache Feministische Sprachkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Defizit und Differenz-- Feministische Linguistik . . . . . . . . Diversität-- Gender und doing gender . . . . . . . . . . . . . . . . . Dekonstruktion-- undoing gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evolution, aber nicht Determiniertheit . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sapir-Whorf-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache, Macht, Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 5 71 5.1 71 5.2 72 5.3 73 5.3.1 73 5.3.2 77 5.4 78 5.5 79 6 83 6.1 83 6.2 84 6.2.1 84 6.2.2 91 6.2.3 91 6.3 92 6.4 95 6.4.1 95 6.4.2 96 6.5 99 7 103 7.1 103 7.2 107 7.3 108 7.4 109 7.4.1 112 7.4.2 113 7.4.3 114 7.5 115 7.5.1 115 7.5.2 118 7.5.3 120 7.6 121 Gender und Sprachsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Asymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genus und Sexus als unabhängige Kategorien . . . . . . . . . . Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln . . . Das Problem sprachlicher Asymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache . Generisches Maskulinum im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . Generisches Maskulinum in anderen Sprachen . . . . . . . . . Erste Veränderungen und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktion mit außersprachlichen Faktoren . . . . . . . . . . . Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen auf kognitiver Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen für Verhalten und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Deaktivierung von falschen Zuordnungen . . . . . . . . . . . . . Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann treten Geschlechtsstereotype auf ? . . . . . . . . . . . . . . Wie entstehen Geschlechtsstereotype? . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle des Elternhauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderte Wahrnehmungen und Erwartungen . . . . . . . . Stereotypbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Mechanismen liegen der Stereotypbedrohung zugrunde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau von Stereotypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 8 125 8.1 127 8.2 132 8.3 135 8.4 139 8.4.1 140 8.4.2 141 8.4.3 141 9 145 9.1 145 9.2 146 9.3 149 9.3.1 149 9.3.2 151 9.4 160 10 165 10.1 165 10.2 169 10.3 171 10.4 173 10.5 175 10.6 177 10.7 178 11 181 11.1 181 11.2 185 11.3 187 11.4 190 11.4.1 190 11.4.2 193 11.5 196 12 203 12.1 204 Neurobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evolutionärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spielverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Partnerwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dominanz und Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Gesprächsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesprächsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesprächsverhalten von Frauen und Männern . . . . . . . . . . Erste Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genderentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechtsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Unterschiede der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten der Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche und stilistische Unterschiede der Erwachsenen Der Einfluss der Erwartungshaltungen der Erwachsenen Der Einfluss Gleichaltriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachsende Rolle der Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fernsehen und Filme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pronomina, Substantive, Kotext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unklare Verwendung maskuliner Formen . . . . . . . . . . . . . . Bilderbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schulbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Analysen: Sprachlehrwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 12.2 210 12.3 212 12.3.1 212 12.3.2 213 12.3.3 214 12.3.4 214 12.3.5 214 13 219 13.1 219 13.2 221 13.3 222 13.4 223 13.5 228 13.6 230 14 235 14.1 235 14.2 236 14.3 238 14.4 239 14.4.1 239 14.4.2 240 14.4.3 242 247 291 Weitere Fächer: Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyseaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispielsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dialoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entdramatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschläge für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Geschlecht als Unterrichtsthema . . . . . . . . . . Verfahrensplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checklisten und Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ab der 5. Klassenstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Vorwort zur 1. Auflage Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran. Längst sind Frauen nicht mehr nur für Kinder und Haushalt zuständig. Für viele unserer Väter war die Kinderbetreuung unmännlich, heute bleiben immer mehr junge Männer zu Hause, um sich zumindest ein, zwei Monate um die Neugeborenen mit zu kümmern. Das ist ein guter Schritt in Richtung Gleichberechtigung und für mehr Freiheit bei den Lebensentwürfen. Doch politische Maßnahmen stoßen schnell an ihre Grenzen. Sobald die verpflich‐ tenden dreißig Prozent an Frauen in Gremien erreicht sind, stagniert die Zahl oder sie wird wieder rückläufig. Wenn es mit der Umsetzung nicht weitergeht und die Politik mit Vorgaben und finanzieller Unterstützung („less than 1 % of the EU’s Structural and Investment Funds“, CEWS 2019b: 59) nicht vorwärtskommt, muss auch an anderer Stelle angesetzt werden: in unseren Köpfen. Dies ist kurzfristig umsetzbar und langfristig wirksamer als alle politischen Maßnahmen. Dazu trug die Diskussion um gendergerechte Sprache bereits ihren Teil bei. Aber althergebrachte Denkweisen, falsche Argumente, etwa es ginge um Gleichmacherei, Verteidigung von etablierten Machtstrukturen und besonders verfestigte Rollenbilder behindern ab einem bestimmten Punkt die Weiterentwicklung. Es geht jedoch eben nicht darum, dass Männer und Frauen gleichgemacht werden sollen, sondern darum, sie als gleichwertig zu akzeptieren und gleichberechtigt zu behandeln. Dazu gehört auch Respekt vor vermeintlich selbstverständlichen Frauenleistun‐ gen wie Altenpflege und Kinderbetreuung. Stereotype wie diese blockieren viele Lebenswege, und viele Einflüsse tragen dazu bei, sie aufzubauen und zu stabilisieren. Wie kommt es nun aber, dass wir trotz aller politischer Maßnahmen und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen faktisch noch keine Gleichberech‐ tigung haben? Warum gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen der in den Grundgesetzen eigentlich zugesicherten Chancengleichheit und der Realität? Verliert unsere Gesellschaft nicht, wenn sie auf die Präsenz und Leistung der Mädchen und Frauen in vielen Sparten, aber auch die der Jungen und Männer in anderen verzichtet? Verlieren nicht auch Jungen und Mädchen, wenn sie davon abgebracht werden, das Leben nach eigenen Wün‐ schen zu gestalten statt nach Rollenvorgaben und Geschlechterklischees? <?page no="10"?> Immer mehr junge Frauen in den Seminaren an Universitäten sind der Meinung, sie hätten keine Nachteile aufgrund ihres Geschlechts und es gäbe wirkliche Chancengleichheit und individuelle Freiheit in Deutschland. Dies entspricht nicht den Tatsachen, die sich unter anderem aus den Statistiken zum Einkommen und zum Anteil von Männern und Frauen in den verschiedenen Berufsfeldern ablesen lassen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen der Eigenwahrnehmung und der Realität? Dies zu verstehen und Verbesserungen anzustoßen ist ein wesentlicher Beweggrund für dieses Buch. Es will die Fragen beantworten, welche Möglichkeiten wir als (zukünftige) Eltern und Lehrende haben, mehr Chan‐ cengleichheit zu schaffen, und welche Potenziale die Schulsituation bietet. Zunächst müssen wir mehr über Fakten und Zusammenhänge erfah‐ ren. Der Band will daher über die verschiedenen Faktoren, die für die Ausbildung der Geschlechtsrollen während des Sozialisierungsprozesses ineinandergreifen, informieren. Er will die Genderkompetenz der Erwach‐ senen fördern, da sie die Grundlage für entsprechendes Wissen der Kinder darstellt. Vor allem will er die Rolle der Sprache beleuchten. Das komplexe Kausalgefüge, das zur Entstehung und Festigung von Geschlechterklischees führt, umfasst die gesamte Lebenszeit und bewegt sich teils außerhalb unseres bewussten Zugangs. Sprache spielt dabei eine wesentliche Rolle als Informationsträgerin und als Ausdrucksmittel. Rollenvorgaben lernen wir bereits als kleine Kinder in der Interaktion mit den anderen, mit unseren Eltern, Erzieher: innen und Lehrer: innen, den Gleichaltrigen und über die Medien. Stereotype beeinflussen unsere Einstellungen und die Erwartungshaltung, die wir uns und den anderen gegenüber entwickeln. Sie formen unser Selbstbild und wirken sich darauf aus, wie wir die anderen wahrnehmen. Wenn alles zusammenpasst und wir agieren, wie wir glauben, agieren zu sollen, fühlen wir uns gut. Damit entsprechen wir den Stereotypen. Das ergibt einen sich stabilisierenden Kreislauf. Für manche aber bewirken Stereotype einen inneren Leistungsdruck, wenn sie dem Bild entgegen ihrer Neigungen und Bedürfnisse entsprechen wollen. Der Band will den Leserinnen und Lesern den Einfluss von Sprache auf die Wahrnehmung von Geschlechtsrollen bewusst machen und sie für das Pro‐ blem sprachlicher Stereotype sensibilisieren, um Verbesserungsmöglichkei‐ ten erkennen zu können, Kindern und Jugendlichen mehr Chancengleich‐ heit zu ermöglichen und Diskriminierung zu begegnen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden behandelt und quasi dramatisiert, damit sie sichtbar und dadurch kognitiv fassbar werden als Voraussetzung 10 Vorwort zur 1. Auflage <?page no="11"?> für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung eines eigenen Standpunktes. Alle, die Teil im sozialen System sind, vor allem aber dieje‐ nigen, die mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben (werden), sind dabei angesprochen. Daher runden praktische Anregungen für den Schulalltag die Ausführungen ab. Spätestens bei der Darstellung der biologischen Faktoren zeigen sich auch Genderausprägungen jenseits der typischen binären Pole, die alternativ zu oder in einem Übergangsbereich zwischen den zwei Geschlechtern anzusie‐ deln sind. Die aktuelle Forschungslage legt hierauf weit größeren Wert, als im Rahmen des Bandes für die momentane öffentliche Realität umsetzbar wäre. Für das Buch ergibt sich daraus das Dilemma, einerseits theoretisch auf dem neuesten Stand sein zu wollen, andererseits aber zunächst ein Umden‐ ken mit praktikablen und akzeptablen Alternativen zu fördern. Da Letzteres ein zentrales Anliegen des Bandes ist, bedeutet die Fokussierung auf die beiden typischen Gendervarianten einen pragmatischen Kompromiss und vorläufigen Verzicht auf ein derzeit noch utopisches Ideal. Die Kapitel schließen jeweils mit Hinweisen auf einige wichtige und weiterführende Literatur ab. Außerdem finden sich unter der Überschrift „Forschungsaufgaben“ Themenvorschläge für kleinere Abschlussarbeiten. Dank Die Arbeit an diesem Band profitierte von viel positivem Feedback meines wissenschaftlichen und privaten Umfelds. Ellina Totoeva, Eddy Ngome und Florian Bogon unterstützten mich praktisch und moralisch und ver‐ sorgten mich ständig mit neuem Lesestoff. Hans J. Hanke sicherte alles Technische. Die Abbildung 2 stellte mir Eva Sondershaus zur Verfügung. Diana Hebel erstellte das Register. Wolfgang Schindler half mit wertvollen Kommentaren zu einzelnen Kapiteln. Hümeyra Uzunkaya und Ute Hofmann lasen das Manuskript sorgfältig und sehr kritisch durch und steuerten viele Verbesserungsvorschläge bei. Aline Kodantke half bei der finalen Manuskripterstellung. Meine Lektorin Valeska Lembke vom Narr Verlag schließlich erwies sich als zuverlässige und kompetente Partnerin auf dem Weg zur Veröffentlichung. Allen vielen herzlichen Dank! Oberschneitbach, im August 2019 Hilke Elsen Dank 11 <?page no="12"?> Vorwort zur 2. Auflage Die Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache sind nach wie vor heftig. Erfreulicherweise nimmt die Akzeptanz gegenüber gendersensibler Sprache und nicht-binären Personen in der Bevölkerung kontinuierlich zu. Die Bitte des Narr Verlags um eine Neubearbeitung des Bandes nutze ich daher gern, um neuere Publikationen und Ergebnisse aufzugreifen, sofern sie das Thema betreffen, und den Forschungsstand zu aktualisieren. Der Aufbau des Bandes hat sich nicht verändert, lediglich die wiederkehrenden Kapitel Zusammenfassung, Forschungsaufgaben und Literatur wurden bei der Nummerierung ausgespart. Sie sind nun mit Icons gekennzeichnet. Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei allen Leser: innen bedanken, die durch ihr Interesse die Neuauflage mit ermöglicht haben. Mein Dank gilt aber auch Lisa Hartley für kritische Kommentare, dem Narr Verlag und meinem Lektor Tillmann Bub. Oberschneitbach, im September 2023 Hilke Elsen <?page no="13"?> 1 Einleitung 1.1 Einige Fakten So lautet die aktuelle Rechtslage zur Gleichstellung von Frau und Mann: Bundesverfassungsgesetz (Österreich) Erstes Hauptstück, Artikel 7 (1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.-[…] (2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehen‐ der Ungleichheiten sind zulässig. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Artikel 8 Rechtsgleichheit (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. (3) Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. <?page no="14"?> Charta der Grundrechte der Europäischen Union Titel III: Gleichheit, Artikel 21 Nichtdiskriminierung (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten. Haben alle Frauen und Männer in Deutschland - und Österreich und der Schweiz etc. - wirklich die gleichen Chancen und sind sie damit gleich‐ berechtigt in Berufswahl und Lebensgestaltung? Trotz Mindeststandards für die EU erzielen einer Studie der Universität Duisburg-Essen zufolge „die ‚vorbildlichen‘ deutschen Maßnahmen aber nicht die intendierten gleichstellungspolitischen Effekte, da sich bezüglich der Rollenverteilung auf Seiten der Männer durch die familienpolitischen Programme kaum etwas getan habe“ (Dalhoff 2019: 1). Nach wie vor verdienen deutsche Männer deutlich mehr als Frauen. Seit Jahren ist der Gender Pay Gap, also der Unterschied im Einkommen, in kaum einem anderen Land in Europa so hoch wie in Deutschland (vgl. Abb. 1). Und er erklärt sich sicher nicht aus der Ausbildung. Laut Statista hatten im Jahr 2021 je 3,3 % der Frauen und Männer keinen allgemeinen Schulabschluss, einen Hauptbzw. Volksschulabschluss hatten 30,5 % der Frauen, 31,8 % der Männer, die allgemeine Hochschulreife hatten 26,1 % der Frauen, 27,6 % der Männer. Der Frauenanteil an den Hochschulstudierenden betrug im WS 2022/ 23 50,5 %. 2021 waren 48 % der Promovierenden Frauen (destatis). So gibt es also auf jeder Ebene mehr gut ausgebildete Frauen als Männer, mit Ausnahme der Promotion und aller Folgeabschlüsse. 14 1 Einleitung <?page no="15"?> 1 Die Zahlen geben die unbereinigten Werte wieder. Sie messen nicht nur Bruttostunden‐ verdienstunterschiede, sondern weisen indirekt auch auf schlechtere Aufstiegschancen und kürzere Karriereleitern hin. Auch Frauen ohne Kinder verdienen bei gleicher Qualifikation oft weniger als Männer (Eicker 2017). Unter anderem aufgrund von Stereotypen, die Frauenarbeit als leichte Arbeit sehen, erfahren weiblich dominierte Berufe eine Abwertung und werden schlechter entlohnt (Lillemeier 2018). Abb. 1: Gender Pay Gap in den 28 EU-Ländern, 2021 (https: / / www.destatis.de/ Europa/ DE / Thema/ Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/ Arbeitsmarkt/ GenderPayGap.html) 1 Wenn es um die Berufssituation geht, befinden sich in den besser bezahlten Branchen die Männer in der Überzahl, obwohl während der Ausbildung und 1.1 Einige Fakten 15 <?page no="16"?> 2 Sie regelt die Bezüge für u. a. Professor/ innen an Universitäten und setzt sich aus Grundgehalt, Zuschlägen und Leistungsbezügen zusammen. bei den Abschlüssen noch die Frauen in der Mehrheit waren. Der Anteil des weiblichen Kita-Personals ist zwischen 2010 und 2020 leicht gesunken, an den Hochschulen gab es einen Anstieg von 35 % auf 40 % (Bildungsbericht 2022: 62). Unternehmen mit Quotenregelung nähern sich bei Neueinstellungen zwar dem geforderten Mindestwert von 30 % in Aufsichtsräten an, Frauen kommen aber kaum in Ausschüsse mit Entscheidungsfunktion (CEWS 2018: 14 f.). Wenn Unternehmen die Quote für die Aufsichtsräte erfüllt haben, nehmen sie ihre Anstrengungen wieder zurück (CEWS 2019a: 14). Die Hälfte aller Männer im Bereich Erziehung und Unterricht hat eine Leitungsposition gegenüber 28 % der Frauen (WSI Gender Pay Gap). EU-weit waren in großen börsennotierten Unternehmen 6,3 % aller Führungspositionen von Frauen besetzt (CEWS 2019b: 11). 2017 bildeten Frauen mit 62 % den Großteil der Personen, die ausschließlich geringfügig beschäftigt waren (WSI). 2013 lag das Bruttoeinkommen von Frauen im Schnitt um 22 % niedriger als das der Männer, natürlich auch, weil 45,5 % der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeiten gegenüber 9,7 % der Männer (2011, vgl. Focks 2016: 30). Der Gender Pay Gap beträgt 23 % (CEWS 2023: 53) und ist für Akademikerinnen beson‐ ders gravierend (CEWS 2018: 18 f.). Frauen in der Besoldungsgruppe W3 2 erhalten im Monat im Schnitt 660 Euro brutto weniger als die Kollegen (Detmer 2023: 592). Der Gender Pension Gap für das Jahr 2015 lag in Deutschland bei 53 % (CEWS 2018: 22). Das bedeutet, dass Frauen im Alter mit weniger als der Hälfte von dem Geld auskommen müssen, das Männern zur Verfügung steht. In jeder Beziehung befinden sich Frauen finanziell im Nachteil. Andererseits ergab eine deutschlandweite Umfrage aus dem Jahr 2003, dass lediglich 5,2 % der befragten Väter alleiniger Ernährer der Familie sein wollten (Westheuser 2015). Realität und Bedarf decken sich hier also nicht. 16 1 Einleitung <?page no="17"?> 1.2 Verhalten von Frauen und Männern Aus einer Filmszene: Fünf Personen sind vom Rest der Menschheit zeitweise getrennt. Alle haben sich mit einer tödlichen Krankheit angesteckt. Sie finden vier Ampullen mit dem Gegenmittel. Es gibt dazu zwei Kommentare: „Einer bekommt keine, wir losen.“-- „Wir teilen das Serum auf, dann bekommt jeder etwas.“ Welcher Satz stammt von einer Frau, welcher von einem Mann? Oft wird betont, dass die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als die Unterschiede und dass die Unterschiede innerhalb der weiblichen bzw. männlichen Gruppen größer sind als die zwischen ihnen. Trotz allem aber überstrahlen die Geschlechtsunterschiede alle anderen wie Ethnie, Hautfarbe, Religion usw. Sie prägen unser Leben gleich von Geburt an oder bereits vorher, wenn in einigen Kulturen die weiblichen Föten abgetrieben werden, die männlichen aber leben dürfen. Der Unterschied ist in allen Kulturen und zu allen Zeiten grundlegend gewesen und führte und führt für einzelne Männer, mehr aber für die Frauen, zu Ungerechtigkeit und Diskriminierung: In den allermeisten Kulturen gilt das Wirken der Männer als prestigeträchtiger, die Arbeit der Frauen wird weniger geschätzt und weniger gut bezahlt. Abweichungen vom erwarteten geschlechtsspezifischen Verhalten werden mehr oder weniger offen missbilligt oder bestraft. Der Mann ist noch immer die Norm, an der die Frau gemessen wird. Und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen nach wie vor schwierig oder hält sie gar von ertragreicheren Karrieren ab, auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte gegeben hat. Obwohl in vielen Ländern die Leistungen von Mädchen und Jungen z. B. in Mathematik mittlerweile gleich gut sind (vgl. Kap. 7.4.2), mögen viele Mädchen dieses Fach nicht, sind weniger motiviert und selbstsicher und bleiben im Ingenieurwesen und in mathematisch-naturwissenschaftli‐ chen Berufen, also den besser bezahlten Arbeitsbereichen, nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Nosek et al. (2009) finden im internationalen Vergleich einen klaren Zusammenhang zwischen impliziten Stereotypen und geschlechtsbedingten Unterschieden, die sich gegenseitig verstärken, und zeigen, dass sie soziokulturell bedingt sind. Else-Quest et al. (2010) machen in einer Metaanalyse mit Daten aus vielen Nationen Zusammen‐ hänge zwischen Gleichberechtigung beim Schulbesuch, dem Anteil der Frauen an Forschungsstellen und im Parlament und Unterschieden bei den Mathematikleistungen aus. Wenn Mädchen wissen, dass sie ein Recht auf 1.2 Verhalten von Frauen und Männern 17 <?page no="18"?> die gleiche Schulbildung haben wie Jungen und dass ihre Gesellschaft die Leistungen von Mädchen schätzt, stärkt das auch das Selbstbewusstsein und das Interesse an besser bezahlten Berufen. Die Autorinnen messen daher der Schule eine bedeutende Rolle beim Mathematik Gender Gap zu. Zahlreiche Theorien listen Faktoren auf, die dazu beitragen, warum Mäd‐ chen sich weniger für MINT-Fächer interessieren und entsprechende Berufe ausüben: Hormone und neuronale Strukturen, schlechte Erfahrungen, die Stereotypbedrohung (vgl. Kap.7.5.2), schlechte Zukunftsprognosen, die gesell‐ schaftliche Schichtung, die den Mädchen wenig Aussichten auf solch einen Beruf suggeriert und zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten anbietet oder einige sogar einschränkt, fehlende Rollenvorbilder in der Kultur und / oder konkret in der Familie, einengende Vorgaben für geschlechtsadäquates Verhalten, einengende Erwartungshaltung von Eltern und Lehrer: innen und falsche Selbsteinschätzung („das kann ich sowieso nicht“). Schüler: innen wenden sich in der Regel eher den Fächern zu, die sie für ihre spätere Laufbahn für wichtig erachten, in denen sie sich kompetent fühlen und glauben, erfolgreich sein zu können. Hier kann die Schule ausgleichend wirken. [G]irls will perform at the same level as their male classmates when they are encouraged to succeed, are given the necessary educational tools, and have visible female role models excelling in mathematics (Else-Quest et al. 2010: 125). Das Faktorenbündel, das über die Wahl des späteren Berufs entscheidet, ist hochkomplex und führt dazu, dass immer noch sehr viele Mädchen technische und Jungen soziale Karrieren oder solche mit Sprachen meiden, obwohl es sie oftmals interessieren würde und sie vielleicht glücklicher da‐ mit wären. Dazu kommt, dass die Gesellschaft die Leistungen von Mädchen gern geringschätzt; daher bilden sie weniger Selbstbewusstsein aus - eine elementare Voraussetzung für Erfolg, Zugang zu Führungspositionen und damit mehr Geld und mehr Unabhängigkeit. Das heißt, dass im Wesentli‐ chen Kultur, Gesellschaft und Schule in einem vielschichtigen Kausalgefüge mit psychologischen, kognitiven und sozialen Aspekten für im Endeffekt ungleiche Einkommens- und Lebenssituationen von Männern und Frauen verantwortlich sind. Der vorliegende Band legt den einen Schwerpunkt auf die Rolle der Sprache als Teil des Kausalgefüges. Sprache sozialisiert und schafft neue Wirklichkeit. In der Lehre ist Sprache das wichtigste Mittel, welches der oder dem Lehrenden zur Verfügung steht. Daher liegt es nahe, diesem ‚Werkzeug‘ besondere Aufmerksamkeit zu widmen (Spieß 2008: 43). 18 1 Einleitung <?page no="19"?> Deswegen sollte zur Ausbildung an den Universitäten bereits eine ge‐ schlechtergerechte Sprache gehören, eine symmetrische Behandlung der Studierenden, die Überprüfung von Stereotypen in den Medien, die Würdi‐ gung der Leistungen von Frauen in der Wissenschaft sowie die Thematisie‐ rung der Probleme (Spieß 2008: 44 f.). Im Elternhaus, im Kindergarten, in Schulen und anderen Institutionen gibt es geschlechtsbedingte Unterschiede im Umgang mit Kindern und Heran‐ wachsenden, was zu Benachteiligung und Chancenungleichheit führen kann. Hierbei spielt die Sprache eine nicht zu unterschätzende Rolle: Durch die Sprache schaffen, zementieren und vermitteln wir Stereotype, die Denken und Wahrnehmung und damit Handeln beeinflussen. In der Sprache und in der tagtäglichen Interaktion werden Unterschiede hergestellt, gefestigt, tradiert. Sprache ist Ausdruck des Denkens und Instrument des Denkens und Handelns. Der zweite Schwerpunkt liegt auf der Position der Schule. Die Lehramtsstu‐ diengänge bereiten nicht genügend auf das Gender-Thema vor. Wie Martina Mittag formuliert: „Es scheint diesbezüglich nicht nur in der fachwissen‐ schaftlichen Ausbildung, sondern auch und gerade in der Fachdidaktik Optimierungspotenzial zu geben“ (Mittag 2015: 257). Das Thema Gender fehlt im Fächerkanon bei der Ausbildung der Lehrer: innen (Bartsch / Wedl 2015). Dieser Band möchte dazu beisteuern, die Lücke zu schließen. Er soll dazu anregen, sich der Zusammenhänge bewusst zu werden und einen gendersensiblen Umgang miteinander zu praktizieren. Frauen und Mädchen, Männer und Jungen sollen lernen und wirklich wissen, dass sie im Prinzip jede Rolle übernehmen können, wenn sie das wollen. Das muss ihnen von Anfang an auch vorgelebt werden. Elternhaus, Schule, peer group und die Medien wirken auf Kinder und Jugendliche zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Gewichtungen ein. Infor‐ mationsvermittlung und die Aushandlung von Rollen funktionieren im Wesentlichen sprachlich. Sprache ist ein zentrales Mittel, um mehr Gendergerechtigkeit zu erzeugen. 1.2 Verhalten von Frauen und Männern 19 <?page no="20"?> 3 Beispiele für Stereotype stellen nicht die Ansicht der Autorin dar. 1.3 Begriffe Stereotype sind stark vereinfachte, generalisierende und gleichzeitig starre Meinungen über Gruppen. Geschlechtsstereotype sagen uns, wie Männer und Frauen zu sein und was sie zu tun haben: Männer verdienen das Geld für die Familie - Frauen bleiben zu Hause bei den Kindern 3 . Stereotype sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie können anfangs bei der Wahrnehmung und Orientierung helfen, da sie den Interpretationsspielraum einschränken. Daher bedeu‐ ten sie eine wichtige Ökonomisierungsstrategie im Umgang mit anderen (vgl. ausführlich Kap. 7). Sexismus ist „die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts“ (Wetschanow / Wiesinger 2004: 21). Der Begriff entstand in den USA in Anlehnung an Rassismus und wird mittlerweile auch auf konkrete Verhaltensweisen bezogen. Moderner Sexismus heißt, die Diskriminierung von Frauen zu bestreiten und sich gegen Bestrebungen zu stellen, mehr Gleichberechtigung zu schaffen (Sczesny et al. 2016: 6). 1.4 Leitgedanken Vorstellungen werden durch Erfahrung, Stereotype und Sprache beeinflusst. Erwachsene tragen ihren Teil dazu bei, Geschlechtsunterschiede zu stärken und die Kinder auf stereotypkonformen Bahnen zu halten. Die verschie‐ denen Faktoren greifen ineinander und sind daher nicht ganz sauber zu trennen. 1. Unabhängig von sprachsystematischer Regularität gibt es eine enge assoziative Verbindung zwischen Genus (grammatisches Geschlecht) und Geschlecht. 2. a) Die Sprache behandelt die Geschlechter nicht gleich. b) Sprachlich agieren die Geschlechter nicht gleich. 3. Der Sprachgebrauch beeinflusst Denken und Wahrnehmung und damit Handeln. 20 1 Einleitung <?page no="21"?> 4. Mädchen und Jungen unterscheiden sich in der hormonellen Entwick‐ lung, bei neuronalen Strukturen und Funktionen und in kognitiven Leistungen, was zu unterschiedlichem Verhalten, auch auf sprachlicher Ebene, führt. Das formt und stützt Stereotype. 5. Stereotype beeinflussen Denken und Wahrnehmung und damit Han‐ deln. Familie, Institutionen und Medien sind die wesentlichen Quellen für Stereotype. Sie entstehen und etablieren sich sprachlich und durch Kontext- und Frequenzwissen. 6. Sprache und Stereotype führen zu Unterschieden im Denken über und im Umgang mit Frauen und Männern. Dies ist nicht zu beanstanden, solange damit eine faire, gleichberechtigte Behandlung nicht gefährdet wird. Geschlechtsstereotype und geschlechterungerechte Sprache lösen jedoch einen voreingenommenen Umgang mit Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern aus. Das führt zu ungleichen Chancen im täglichen Miteinander, bei Identitätsfindung und Lebensentwurf. 7. Über Sprache lernen wir gesellschaftliche Positionen, Normen und Rollen. Mit Sprache dokumentieren wir sie und geben sie weiter. Damit manifestieren und reproduzieren wir auch Ungleichheit. 8. Wir alle tragen also zur Situation, wie sie ist, mit bei und sorgen dafür, dass sie bleibt. Den wenigsten ist dies jedoch bewusst. Die Analyse von Sprachgebrauch und Sprache soll die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Handeln sichtbar machen. 9. Weiterhin sind Richtlinien bzw. politische Vorgaben zur Bewusstma‐ chung von 6. und damit zur Veränderung von 2. (und 5.) nötig. 10. Dies führt zu gendergerechter Sprache im öffentlichen Diskurs (Ämter, Medien). 11. Ein gendersensibler Umgang miteinander kann auch in der Ausbil‐ dungssituation erreicht werden (Kita, Schule, Universität; Integration von Geflüchteten), indem er durch Lehrkräfte erkannt und umgesetzt und bei Kindern und Jugendlichen gefördert wird. Daher sind die Verantwortlichen über die verschiedenen Zusammenhänge aufzuklären und für die Auswirkungen zu sensibilisieren. 12. Kinder, die genderbewusst aufwachsen, haben gerechtere Chancen im Privaten und im Beruf. Sie können dies wieder an andere weitergeben und als Vorbilder fungieren. Somit sind im Endeffekt gesellschaftspoli‐ tische Auswirkungen erwartbar. 1.4 Leitgedanken 21 <?page no="22"?> Ziel ist es nicht, Frauen und Männer gleich zu machen, sondern die Anerkennung ihrer faktischen Gleichwertigkeit und entsprechend mehr Chancengleichheit zu erreichen. 1.5 Aufbau Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit der historisch-theoretischen Po‐ sitionierung - die geschichtliche Entwicklung der Genderlinguistik und die gesellschaftspolitischen Einflüsse (2) und verschiedene theoretische Ansätze von Feministischer Linguistik bis hin zu Queer Studies (3). Dies dient einem allgemeinen theoretischen Hintergrund, der u. a. auch helfen soll, die gesellschaftlich begründbaren Widerstände gegen genderlinguistische Themen zu verstehen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der sprachlichen Perspektive. Es folgen sprachwissenschaftliche Grundlagen. Sie betreffen den Zusam‐ menhang zwischen Sprache und Denken (4), den Zusammenhang zwischen Sexus und Genus sowie die Stellung des Genderaspekts innerhalb des Sprachsystems (5). Diese Kapitel sind wichtig, da sie die Themen behandeln, die im öffentlichen Diskurs zumeist ignoriert werden und zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen führen, jedoch als linguistisches Fundament für die weitere Argumentation Voraussetzung sind. Kapitel 6 beschäftigt sich mit dem Einfluss sprachlicher Asymmetrien und mit dem Einfluss der über Sprache transportierten Stereotype auf un‐ ser Denken und Handeln - welche Auswirkungen hat geschlechter(un)ge‐ rechte Sprache? Diese Informationen sind für das Erkennen des eigenen stereotypen Verhaltens unabdingbar. Kapitel 7 behandelt die Stereotype - wie entstehen Geschlechtsstereotype und warum sind sie wichtig? Es schließt sich ein Kapitel (8) über die hormonellen, neurologischen und kognitiven Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen an: Gibt es biolo‐ gische Faktoren, die einen Anteil an gendertypischen Verhaltensweisen und Fähigkeiten? Es folgen Informationen zum Gesprächsverhalten (9), denn das tagtägliche sprachliche Miteinander trägt zu Aufbau und Pflege der Rollenvorstellungen bei. Kapitel 10 zur Genderentwicklung fragt, wie und unter welchen Einflüssen sich das Geschlechtsbewusstsein entwickelt und welche Rolle Stereotype und Sprache dabei spielen. 22 1 Einleitung <?page no="23"?> Das Kapitel 11 zu den Medien thematisiert die Ungleichbehandlung und die klischeehafte Darstellung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen in der medialen Scheinwelt und ihre Rolle bei Herstellung und Zementierung von Stereotypen, auch durch die Sprache. Dazu werden Zahlen und Sprachanalysen aus Zeitung, Werbung, Fernsehen und von Bil‐ derbüchern vorgestellt, die veranschaulichen, wie die Medien traditionelle Verhaltensmuster für die Geschlechter schon im frühen Kindesalter und dann permanent weiter pflegen. Die nächsten Kapitel widmen sich konkret der Rolle der Schule: Wel‐ che Bedeutung kommt den Unterrichtsmaterialien zu? Wo finden wir Geschlechtsstereotype und Asymmetrien (12)? Wie tragen Institution und Unterricht (13) zu Geschlechter(un)gerechtigkeit bei und wie können wir das vermeiden? Kapitel 14 möchte abschließend die Frage beantworten, was in der Unterrichtssituation konkret getan werden kann. Zusammenfassung Obwohl das Recht auf Gleichstellung in der EU gesetzmäßig verankert ist, Mädchen in der Schule meist bessere Noten haben und mehr von ihnen bessere Abschlüsse als Jungen erzielen, verdienen Frauen weniger, verbringen mehr Zeit mit Hausarbeit, Kindern und Altenpflege und enden bei einer wesentlich schlechteren Altersversorgung als Männer. Dieser Band will über die Entstehung der unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen bei Kindern und Erwachsenen sowie über Zusammen‐ hänge informieren und dabei die bedeutende Rolle der Sprache betonen. Er will auf die Auswirkungen auf Alltag, Unterricht und die Lehr- und Lernsituation aufmerksam machen und Möglichkeiten des Umgangs damit aufzeigen. Er will die Genderkompetenzen der Erwachsenen fördern für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung einer eigenen Position sowie Anleitungen für die Praxis bieten. Ziel ist mehr Chancengleichheit und Individualität in Alltag und Unterricht. Zusammenfassung 23 <?page no="24"?> Forschungsaufgaben Stimmt das mit den Stereotypen? Fragen Sie im Bekanntenkreis, wie Inge‐ nieure, Chirurgen oder Bürgermeister aussehen, wie sie sich verhalten. Sind das Vorstellungen, die zu Frauen passen? Kinder können Bilder malen zu Lehrern, Ärzten, Bauern, Metzgern. Malen sie sowohl Frauen als auch Män‐ ner? Was ändert sich, wenn Sie Berufe wie Verkäufer, Tänzer oder Erzieher benennen? Welche Veränderungen ergeben sich aus der Beidnennung? Skeptische Leser: innen können auch einige Experimente wiederholen und die Ergebnisse vergleichen, z. B. Levinson (1976), Hay (1996), Riach / Rich (2006). Literatur Statistische Informationen liefern regelmäßig die Bildungs- und Gleichstel‐ lungsberichte der einzelnen Länder, die online einsehbar sind, z. B. (jeweils 20.07.2023): ■ https: / / www.bildungsbericht.de/ de/ nationaler-bildungsbericht/ bildung -in-deutschland ■ https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ service/ publikationen/ zweit er-gleichstellungsbericht-der-bundesregierung-855554; ■ https: / / www.skbf-csre.ch; ■ https: / / www.bfs.admin.ch/ bfs/ de/ home/ statistiken/ wirtschaftliche-sozi ale-situation-bevoelkerung/ gleichstellung-frau-mann.html; ■ https: / / www.bifie.at/ material/ nationale-bildungsberichterstattung/ nati onaler-bildungsbericht-2018/ ; ■ https: / / www.iqs.gv.at/ downloads/ bildungsberichterstattung/ nationaler -bildungsbericht-2021; ■ https: / / www.dritter-gleichstellungsbericht.de/ de/ topic/ 81.dritter-gleic hstellungsbericht.html. ■ Speziell zur Gleichstellungs- und Geschlechergerechtigkeit in der Wis‐ senschaft vgl. https: / / www.gesis.org/ cews/ cews-publikationen/ cewsjou rnal. 24 1 Einleitung <?page no="25"?> 2 Geschichte 2.1 Begriffe Ausgehend von der aus den reproduktiven Aufgaben sich ergebenden Unter‐ scheidung zwischen Mann und Frau stellte Stoller (1968: 6 ff.) beim Verhalten graduelle Unterschiede fest und fragte, welche Aspekte nun angeboren und welche anerzogen sind. Um die Darstellung zu vereinfachen, trennte er im weiteren Verlauf zwischen sex, der Gesamtheit der biologischen Merkmale wie Genitalien, Chromosome, Hormone etc., und gender, was psychologisch und kulturell geprägt ist. Er betrachtete auch die gender identity, die „starts with the knowledge and awareness, whether conscious or unconscious, that one belongs to one sex and not the other“ (Stoller 1968: 10), und die gender role als „overt behavior one displays in society“ (ibd.). Gender behavior ist erlernt und spielt eine wesentliche Rolle beim biologisch bedingten sexual behavior. Ein Problem für Stoller als Psychiater entsteht daraus, dass es Menschen gibt, bei denen gender, gender identity und gender role nicht konform gehen und dass sexual behavior und gender behavior nicht immer zu trennen sind. Das englische gender (‚Geschlecht‘, auch im grammatischen Sinn wie ‚Genus‘, eigentlich ‚Art, Gattung‘) etablierte sich daraufhin seit den 1970er Jahren im englischsprachigen Raum mit dem Aspekt ‚kulturell-sozial und anerzogen‘ als Gegenbegriff zu sex. Das bedeutet ebenfalls ‚Geschlecht‘, aber mit der Zusatzbedeutung ‚natürlich, biologisch‘. Da das Deutsche keine Möglichkeit für diese Differenzierung bereitstellt, bot sich die Fremdwortübernahme an, so dass im Laufe der 1990er Jahre nun Gender im Deutschen in der Bedeutung ‚soziales Geschlecht‘ auch für den wissenschaftlichen Diskurs verwendet wurde. Darum lösten dann die Gender-Studien die frühere feministische Forschung ab. Im Deutschen verfügen wir über drei Termini, die drei Bedeutungen von Geschlecht unterscheiden: Sexus für das biologische, Genus für das grammatische und Gender für das soziale Geschlecht. <?page no="26"?> Der Begriff Gender bzw. Genderforschung impliziert die Auseinandersetzung mit dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht. Das Verb gendern bezieht sich auf die gendergerechte Gestaltung der Sprache. Frauenforschung versteht sich als Forschung über Frauen, allerdings ohne den Einbezug des biologischen Geschlechts neben dem sozialen, wie das bei Geschlechter‐ forschung der Fall wäre (Frey Steffen 2017: 15 ff.). Frauenforschung bildet einen Teilbereich der Geschlechterforschung. Letztendlich werden aber alle Begriffe oft genug synonym verwendet. Als wichtige Vorläufer der Frau‐ enforschung gelten die Frauenbewegungen und literaturwissenschaftliche Kritik, vgl. Virginia Woolf, A room of one’s own (1929), Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe (1949). Deswegen bedeutet die Beschäftigung mit Sprache nur einen von vielen Aspekten. Der Begriff Feminismus für eine politische Theorie bzw. Strömung kam in den 1880er Jahren in Frankreich auf (Gerhard 2009: 7 f.). Er wird später auch erweitert auf die Frauenbewegung bezogen (Kusterle 2011: 14). Feministi‐ sche Linguistik beginnt als feministische Sprachkritik und bleibt bis heute deskriptiv-kritisch. Sie wird mittlerweile zumeist anders bezeichnet, etwa als Gender und Sprache oder Genderlinguistik. 2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte Frauenbewegung und Frauenforschung sind eng mit dem Bestreben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie verknüpft und daher immer auch politisch und sozialkritisch motiviert. Sie erhalten wichtige Anstöße aus Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch Literaturwissenschaft und Philo‐ sophie. Seit der Antike herrschte das Modell nur eines Geschlechts vor, in dem es verschiedene Ausprägungen des Menschen gab, die sich graduell unterschieden und bei dem die weibliche Variante die weniger gut gelungene war. Zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es einige neue medizinische Er‐ kenntnisse über die grundlegenden biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die den bisherigen Blick auf rein Äußerliches erweiterten. Daraufhin etablierte sich im 18. Jahrhundert u. a. durch Rousseau die Vor‐ stellung von der auf natürliche Bedingungen rückführbaren Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Diese waren tugendhaft, sittsam und fleißig und agierten nur zu Hause, zumindest im Bürgertum. Daraus entstanden vor 26 2 Geschichte <?page no="27"?> allem die „natürliche“ Unterordnung der Frauen, für den Mann zu existieren, und die Autonomie der Männer. „Rousseau entfaltet in seinen Schriften dasjenige Geschlechtermodell, das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Geltung besitzen wird und die Reichweite männlicher / weiblicher Aktivität definiert“ (Schößler 2012: 19). Die sich hieraus ergebende Arbeitsteilung sieht in dem Anteil der Frauen keine Leistung, denn ihre Arbeit ist unbezahlt und unsichtbar und auch „politisch nicht repräsentiert“ (Schößler 2012: 20). Dieses Modell führte dazu, dass die Hälfte der Bevölkerung die gleiche Tätigkeit (Haushalt und Pflege) zu übernehmen hatte. Diese Vorstellung der Geschlechtertrennung setzt sich im 19. Jahrhundert weiter durch. Unser heutiges binäres Geschlechtermodell, das beiden Geschlechtern klar unter‐ schiedliche körperliche und psychische Eigenschaften zuspricht und damit eine gesellschaftspolitische Hierarchie schafft, ist also noch nicht so alt, es dürfte sich allerdings „um eine (gesellschaftlich-kulturelle) Konstruktion handeln, die auch im Zusammenhang mit den sich professionalisierenden Wissenschaften gesehen werden muss“ (Schößler 2012: 20). Ende des 19. Jahrhunderts stellten einige Frauen diese „natürliche“ Ord‐ nung infrage. Sie prangerten vor allem die schlechten finanziellen Verhält‐ nisse, fehlende Erwerbsmöglichkeiten und die katastrophale Bildungssitu‐ ation vieler Frauen an. Die erste Welle der Frauenbewegung ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts forderte, Frauen und Männer in Staat und Gesellschaft gleichzustellen, sie als gleichwertig zu betrachten und ihnen die grundle‐ genden Rechte zuzuerkennen: das Wahlrecht, das Recht auf Bildung und das Recht auf bezahlte Arbeit. Es ging hier also zunächst um entscheidende Bürgerrechte. Dabei hatte die Französische Revolution (1789-1799) einen wesentlichen Anteil. Die Forderung nach Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Demokratie und Menschenrechten auch für Frauen brachte einige Vorreiterinnen für Frauenrechte hervor. Frühe Frauenforschung war sozialwissenschaftlich und empirisch aus‐ gerichtet und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die beteiligten Forscherinnen keinen Zugang zu öffentlicher Bildung hatten und sich in der Regel über individuelle Wege und autodidaktisch fortbilden mussten; entsprechend zäh war die Akzeptanz in Akademikerkreisen. Sie wurde höchstens wohlwollend geduldet, aber nicht als ebenbürtig mit den Arbeiten der Männer erachtet, daher nicht diskutiert und weitgehend ignoriert. In Deutschland initiierte Louise Otto-Peters die Frauenbewegung im Zu‐ sammenhang mit der 1848er Revolution mit ihren Forderungen, dass Frauen an Staatsinteressen zu beteiligen seien, und gründete 1849 eine eigene 2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte 27 <?page no="28"?> 4 Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) 1865, des Frauenvereins „Reform“ 1888, des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-Vereins“ 1890, „Bund Deut‐ scher Frauenvereine“ 1894 (Nave-Herz 1997). politische Frauen-Zeitung (Nave-Herz 1997: 11). Das Recht auf Arbeit und Bildung sollte als kulturelle Bereicherung, aber auch als Grundlage für eine selbstständige Existenz zu verstehen sein, wobei sich hier die bürgerliche von der proletarischen Frauenbewegung unterschied, da die Arbeiterinnen bereits, meist in Fabriken, arbeiteten, jedoch nicht unbedingt freiwillig und für viel zu wenig Lohn. Für sie ging es weniger um Bildung, sondern dringlicher um faire Bezahlung und Mutterschutz. Neben verschiedenen Organisationen und Vereinen 4 sind es vor allem die Schriftstellerinnen, die aktiv und kritisch ihre Unzufriedenheit äußern, u. a. Virginia Woolf oder Simone de Beauvoir. Diese führte in Le deuxième sexe (1949) bereits aus, dass Frauen und Männer „gemacht“ werden, denn welche Bedeutung den biologischen Unterschieden tatsächlich beigemessen wird, entscheiden die Menschen. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts kam es ganz langsam zu einigen Verbesserungen bei der Gleichstellung. Zum ersten Mal durften sich Frauen zwischen 1900 (Baden) und 1909 (Mecklenburg) an den Landesuniversitäten immatrikulieren. 1918 erhielten Frauen in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht, in der Schweiz erst 1971. Im Dritten Reich wurden dann die wesentlichen Zugeständnisse an Frauen wieder zurückgenommen, was Berufswahl und Studienmöglichkeiten betraf. Au‐ ßerdem wurde das passive Wahlrecht wieder abgeschafft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligten sich deutsche Frauen bewusst am Demokratisierungsprozess. Die mit dem Beginn des Nationalsozialismus aufgelösten verschiedenen Frauengruppierungen formierten sich neu. Für sie waren die Frauenrechte ein wesentlicher Pfeiler einer Demokratie. Im Grundgesetz der BRD wurden so gleich zu Beginn (1949) Frauen und Männer offiziell gleichberechtigt, ohne dass es jedoch sofort zu einer Umsetzung kam. Die väterliche Gewalt etwa wurde erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch die elterliche Sorge bzw. Erziehung ersetzt (1965 DDR, 1957/ 80 BRD, 1970 Österreich, 1978 in der Schweiz, vgl. Guentherodt 1983/ 84: 277). Vorher hatte der Vater das alleinige Recht, über die Kinder zu verfügen. In Deutschland dürfen verheiratete Frauen erst seit 1962 ein Bankkonto eröffnen, ohne ihren Mann zu fragen. Seit 1969 gelten sie als geschäftsfähig, und erst seit 1977 dürfen sie ohne Erlaubnis des Mannes 28 2 Geschichte <?page no="29"?> erwerbstätig werden - das heißt, vorher war Haushalt Verpflichtung gewe‐ sen, wenn nicht Bedienstete die wesentlichen Aufgaben übernahmen, und einen Anspruch auf eigenes Geld gab es nicht. Die Frauen bewegten sich ge‐ zwungenermaßen zu Hause. Der Aufgabenbereich war eindimensional, eine Ausbildung individueller (intellektueller) Fähigkeiten oder gar des Selbstbe‐ wusstseins schwierig. Sie hatten somit wenig Chancen, eine eigene Identität zu entfalten. Da dies auch an kommunikative bzw. sprachliche Möglichkei‐ ten gebunden ist, galt es, hier mögliche Ungleichgewichte aufzuspüren, was sich zu einer der Hauptrichtungen der feministischen Sprachkritik weiterentwickelte. Die Unzufriedenheit mit der sozialen und politischen Situation erwies sich als auslösendes Moment für Frauenbewegungen, den Feminismus und letztendlich die gesamten Gender-Debatten. Ende der 1960er Jahre kam es zur Neuen Frauenbewegung (2. Welle) im Zusammenhang mit der Außerparlamentarischen Opposition (ab 1967), der Studentenbewegung (1967/ 68) und in den USA auch mit Rassenunruhen und den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Zu den Themen gehörten Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung, faire Bezahlung und Schwangerschaftsabbruch. Nachdem es Anfang des letzten Jahrhunderts bereits erste empirische Studien zur Lage der Frau gegeben hatte, entstanden in den 1960er Jahren in Deutschland und den USA die Women’s Studies. Gleichzeitig erschienen erste kritische Schriften zur Behandlung von Frauen in der und durch die Sprache. Aus den Feminist Studies entwickelten sich die Gender Studies, aus den Gay / Lesbian Studies die Queer Theory (Frey Steffen 2017: 85). Viele der ursprünglichen Forderungen waren umgesetzt. Die Wahrneh‐ mung richtete sich langsam auf individuelles Wohlempfinden, so traten Frauenthemen etwas in den Hintergrund. Die Jüngeren nahmen vieles als selbstverständlich wahr und erkannten dann oft erst bei Eintritt in das Berufsleben die immer noch unfaire Chancenverteilung. Zudem erlitten in Deutschland mit der Vereinigung der zwei deutschen Staaten die Frauenbe‐ wegungen einen Rückschlag, da ihre Interessen bei der Neuorganisation untergingen (Gerhard 2009: 120 ff.). In den 90ern formierte sich trotzdem weltweit die dritte Welle ausgehend von den USA, auch aufgrund antife‐ ministischer Bewegungen. Es gab internationale Frauenkonferenzen und Initiativen, die die Anerkennung der Rechte der Frauen als Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung überall auf der Welt forderten. Zu den Themen gehörte zunehmend auch Homosexualität. Als Auslöser gilt unter anderem Gender Trouble der Philosophin Judith Butler von 1990 mit der 2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte 29 <?page no="30"?> 5 Diesen Hinweis verdanke ich Karina Gütges. These, dass auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich beeinflusst zu sehen ist. Das Werk stieß die Queer Theory mit an. Damit wurde die grundsätzliche Zweiteilung der Geschlechter hinterfragt. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Sichtbarmachen der Frauen, sondern mehr auf der Dekonstruktion von Geschlecht. Eine gesellschaftliche und politische Gleichbehandlung sollte auch durch die sprachliche ergänzt werden. Die geschichtlichen Tatsachen können teils nicht verständliche, gut etablierte Gewohnheiten erklären. Freiheit und Gleichheit sind für Frauen neu und ungewohnt. Sie blicken auf jahrtausendealte Rechtlosigkeit zurück 5 . Sie hatten Objektstatus, waren Eigentum von Vätern oder Ehemännern, hatten keine Rechte, kein Geld, keine eigene Meinung, durften nicht nein sagen - Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 erlaubt und ein Recht des Ehemannes. Sie gilt in Deutschland erst seit 2004 als Offizialdelikt. Frauen hatten auch keine eigenen Bedürfnisse zu haben und mussten zu Hause bleiben. Der öffentliche Raum gehörte den Männern. Da Frauen bis auf wenige adlige Ausnahmen nie Eigentum hatten, ist es verständlich, dass Männer um Macht kämpften, Frauen jedoch um Männer mit Macht und dass es deswegen auch den Frauen so schwerfiel - und zuweilen immer noch -fällt -, zusammenzuhalten. In diesen wenigen Jahren seit der offiziellen Gleichberechtigung können sie kaum das gleiche Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entwickeln, wie wir es von den meisten Männern kennen. Dies dürfte die ablehnende Haltung vieler Frauen gegenüber feministischen Gleichstellungsversuchen mit erklären. Viele Frauen haben eine über Generationen tradierte Tendenz zur Angst vor Macht und vor der Verantwortung, während Männer Angst vor dem Verlust der Macht haben. 2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache Die Thematisierung von Frauen und Sprache erfolgte bis weit in das letzte Jahrhundert hinein intuitiv und aus männlicher Sicht. Otto Jespersen gehört 30 2 Geschichte <?page no="31"?> zu denjenigen Sprachwissenschaftlern (m.), die in diesem Zusammenhang sehr oft zitiert werden, weil er Anfang des letzten Jahrhunderts nicht nur auf das andere Sprachverhalten der Frau hinwies, sondern auch Erklä‐ rungen dazu formulierte: Die Sprache der Frau sei insgesamt primitiver, para- und nicht hypotaktisch, inhaltsärmer, unvollständiger. Frauen hätten einen kleineren Wortschatz und bewegten sich in jeder Beziehung im durchschnittlichen Bereich. Jespersen verdanken wir Beobachtungen wie […], daß manche männer unverbesserliche wortspieler sind, während die frauen im allgemeinen langsam im begreifen eines solchen wortwitzes sind und kaum jemals selbst etwas derartiges verbrechen […], daß die Frauen viel öfter als die männer mitten in der rede aufhören und den satz unbeendet lassen, weil sie zu sprechen anfangen, ohne das, was sie sagen wollen, zu ende zu denken ( Jespersen 1925: 233 f.). Auch Überlegenheit wird uminterpretiert: Nicht nur, daß sie [die Frauen] schneller lesen konnten als die männer, sie waren auch imstande, bessere rechenschaft über den absatz als ganzen zu geben. Eine dame z. b. konnte genau viermal so schnell lesen als ihr mann und überdies noch einen vollständigeren bericht niederschreiben als er von dem kleinen stück des absatzes, das er zu bewältigen vermochte. Aber es ergab sich, daß diese geschwindigkeit kein beweis für geisteskraft war (ibd.: 236). Die Gründe dafür suchte Jespersen bei Unterschieden in der Ausbildung, in den täglichen Anforderungen und der Arbeitsverteilung. Im Gegensatz zu einigen außereuropäischen Sprachen gibt es für den deutschen Sprachraum aber keine „Frauensprache“ mit grammatischen, lexikalischen und / oder phonologischen Eigenheiten und damit auch kein geschlechtsspezifisches Sprachverhalten, sondern nur mehr oder weniger typische Merkmale. Die Soziolinguistik nahm den Faktor Geschlecht Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre mit in ihren Untersuchungskanon zu Sprachvariation auf, beginnend mit William Labov und Peter Trudgill. Zunächst waren oft genug nur männliche Probanden untersucht worden (Thorne / Henley 1975b, Hellinger 1990: 20). Die Studien mit Frauen zeigten, dass sie im Vergleich zu Männern eher standardnah sprechen. Eine erste auf tatsächlichen Belegen beruhende Abhandlung über 1500 Spott-, Scherz- und Schimpfnamen für Frauen in der schweizerdeutschen Volkssprache legte 1935 Luise Frei (Frei 1981) vor mit einer erstaunlichen Menge und Bandbreite an affektiven, zumeist negativ konnotierten Begrif‐ 2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache 31 <?page no="32"?> fen zu den Themenbereichen ‚hässlich‘, ‚dick‘, ‚faul‘, ‚geschwätzig‘, vor allem ‚moralisch fragwürdig‘, und aus zahlreichen Wortschatzbereichen wie Tieren oder Objekten. So wurden Behälter, Gefäße oder allgemeiner Hohlräume in Übertragung auf weibliche Organe verwendet (Schmutzsack, Stinkloch, Schmutzampele). Alle Bezeichnungen waren laut Autorin von Männern geschaffen. Das sagt nun aber hauptsächlich etwas über die Männer und über das, was ihnen wichtig ist, aus (Wyss in Frei 1981: 9). Batliner (1981) argumentierte ähnlich. Er überprüfte statistisch Denotate und Konnotate von Nomen und Nominalphrasen mit Bezug auf Frauen und Männer (angefasste Apfelsine für eine Frau, ein Bär von einem Mann) in einem Synonymwörterbuch. Zunächst ging es ihm um die Häufigkeitsver‐ teilung und darum zu zeigen, dass die Sprache eher von Männern als von Frauen geprägt wird. Zahlenmäßig überwiegen ganz klar die Denotate für die Frau (418, für den Mann 44; Batliner 1981: 325). Inhaltliche Aspekte verstärken dann die Argumentation: Attribute für Frauen beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild, auf das Verhalten gegenüber Männern und auf Themen wie ‚jungfräulich‘ oder ‚liederlich‘, während der Mann Machtansprüchen gewachsen ist oder nicht, vgl. bei der Frau schön, attraktiv, sexy, dumm, zanksüchtig gegenüber dem Mann potent, fruchtbar, jugendlich, schwach, senil (Batliner 1981: 320 ff.). Anhand der Ausdifferenzierung bei den Bezeichnungen für die Frau werden die inhaltlichen Tendenzen und die vielen Rollenklischees sichtbar, die in dieser Ausrichtung und Breite den männlichen Sprachbenutzern offenbar wichtig sind. Ruth Römer (1973) untersuchte das Weltbild, das Lehrbücher vermitteln. Sie sammelte Beispielsätze aus renommierten Grammatiken in Hinblick auf Erwähnung, Rollen und Tätigkeiten von Frauen und Männern und fand die klassische Verteilung und Stereotype. Hauptsächlich agieren Männer, Frauen sind selten berufstätig, sondern mit Kindern und Haushalt beschäf‐ tigt. „Während er alles weiß, weiß sie nichts.“ „Der Mann ist gebildet. Das Mädchen ist reizend.“ „Der Vater liest. Er liest ein Buch. Die Mutter liest Erbsen“ (Römer 1973: 77 f.). Solche Untersuchungen gab es später noch öfter (Kap. 11, 12). Die aktuelle Auseinandersetzung mit der Thematik fand ihren Anfang u. a. mit Key (1972, ausführlich 1975). Sie beleuchtete in Anlehnung an Arbeiten von z. B. Jespersen die Unterschiede der Sprache von Frauen und Männern in einigen Kulturen und trennte dabei auch zwischen gender (‚Ge‐ nus‘) und sex. Darüber hinaus stellte sie Vorüberlegungen zu unterschied‐ lichem sprachlichen Verhalten als auch zu Unausgewogenheiten in der 32 2 Geschichte <?page no="33"?> sprachlichen Behandlung an, etwa bei den Pronomina, beim Sprechen über Frauen, vgl. „[w]omen fret […]; men get angry. Men have careers; women have jobs“ (Key 1972: 22), „[m]en yell; women scream (or squeal)“ (Key 1975: 81), oder bei der Gruppierung, vgl. „the blind, the lame, and the women“ (Key 1972: 23), „minors, the mentally incapacitated, and sometimes special groups such as married women, convicts, and aliens“, „women, minors, convicts, and idiots“ (ibd.), „Women and dogs and other impure animals“ (ibd.). Kurz darauf erschien Lakoff (1973) und führte die beiden Themen, wie Frauen sprechen und wie über sie gesprochen wird, fort. Sie überlegte, unser Sprachverhalten zu nutzen, um daran unsere unbewussten Einstellungen zu erkennen. Über beide Wege erfahren Frauen Diskriminierung, wenn sie auf unterwürfige Aufgaben („subservient functions“) degradiert werden. Die Autorin sieht die Gründe bereits in der frühen Sozialisation. Schon kleine Mädchen müssen lernen, sich wie ein „richtiges“ Mädchen zu verhalten und damit auch „ordentlich“ zu sprechen. Dann bedienen sie als Erwachsene aber wieder die bestehenden Stereotype mit dem typischen Frauenverhalten und werden als unfähig eingestuft. Wenn sie es nicht tun, sind sie unweiblich. So a girl is damned if she does, damned if she doesn’t. If she refuses to talk like a lady, she is ridiculed and subjected to criticism as unfeminine; if she does learn, she is ridiculed as unable to think clearly, unable to take part in a serious discussion (Lakoff 1973: 48). Beide Wege führen dazu, dass den Frauen Führungskompetenzen und Machtpositionen verweigert werden, jeweils mit der Begründung, nicht in‐ telligent genug oder aber zu aggressiv und hart zu sein. Ein Dazwischen gibt es nicht. Dieses Manko an Neutralität bei den Entscheidungsmöglichkeiten der Frauen und die damit verbundene unlösbare double-bind-Problematik bleiben Themen, die bei den Untersuchungen von Kommunikationsverhal‐ ten auch heute noch aktuell sind. Anders der Begriff women’s language: Er erwies sich für unseren Kulturraum als unpassend. Lakoff (u. a. 1973, 1977) sprach zwar von Frauensprache, listete aber zahlreiche Unterschiede im sprachlichen Verhalten auf. Es ging nicht um zwei verschiedene grammatische bzw. lexikalische Systeme, sondern um andere Gewohnheiten, was die Verwendung des Begriffs Frauenbzw. Männersprache nicht rechtfertigte. Lakoff stellte fest, dass Frauen über mehr Farbbezeichnungen als Männer verfügen (mauve, lavendel, beige), die von Männern aber als unwichtig erachtet werden. Sie verwenden „bedeutungslose“ Partikeln wie oh dear, dear me oder goodness. Andere 2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache 33 <?page no="34"?> frauentypische Begriffe sind charming, lovely, sweet, Intensivierungen wie so, such, Euphemismen, Diminutiva, Modalverben, Heckenausdrücke (sorta, more or less) und tags wie isn’t it (Lakoff 1977: 22 ff.). Solche Ausdrücke können zwar eine gewisse Differenziertheit zum Ausdruck bringen, schwä‐ chen eine Behauptung aber oft ab, um eine klare Aussage zu vermeiden, um Unstimmigkeiten zu mildern und um Kompromisse und Anpassung zu fördern. Das wird wiederum als Unsicherheit gedeutet. Ähnlich wirkt das Anheben der Stimme zum Ende eines Aussagesatzes, wie es eigentlich für Fragen typisch ist. Auf diese Weise klingen Frauen zwar höflicher, aber auch etwas unsicher und werden daher nicht ganz ernst genommen (Lakoff 1973: 57). Lakoff führte einige Asymmetrien auf der Sprachsystemebene auf wie die Pronomina, die Verwendung von master (‚Herr, Meister‘) gegenüber mistress (‚Geliebte‘), was im Übrigen nicht allein stehen kann, sondern immer nur in Bezug auf jemanden (Rhonda is *a / his mistress), oder auch der Unterschied zwischen he / she is a professional. Frauen sind in diesem Zusammenhang Prostituierte, Männer Profis in ihrem Beruf. Diese Asymmetrien reduzieren Frauen darüber hinaus wieder auf eine ihrer wenigen Hauptfunktionen. Hierzu gehörten laut Lakoff weiter auch die Unterscheidung von Miss und Mrs., vgl. sogar Mrs. John Smith, was kein Pendant auf männlicher Seite aufweist. Es zeigte sich außerdem, dass Frauen meist in Abhängigkeitsver‐ hältnissen zu einem Mann dargestellt werden, vgl. auch Mary is John’s widow - *John is Mary’s widower (Lakoff 1973: 63 ff.). Diese und andere sprachliche Disbalancen reflektieren soziale Ungleichheit, bezogen auf die Rollenverteilung. Lakoff (1973) trat aber ganz dezidiert nicht dafür ein, die sprachlichen Asymmetrien abzuschaffen. Barrie Thorne und Nancy Henley legten 1975 einen Sammelband vor mit damals neuen Daten aus verschiedenen Erhebungsmethoden und Quel‐ len und konnten die wesentlichen Behauptungen zu Asymmetrien und männlicher Dominanz in der Sprache dadurch empirisch stützen. Auch sie gingen primär von sozialen Faktoren als Grund für Unterschiede aus und sahen „gender“ als kompliziertes soziales und kulturelles Phänomen (Thorne / Henley 1975b: 14). Insgesamt bot der Band ein zum damaligen Zeit‐ punkt sehr differenziertes Bild an beteiligten Disziplinen, Untersuchungs‐ möglichkeiten und Einflussfaktoren. 34 2 Geschichte <?page no="35"?> 2.4 Feministische Sprachkritik Das Thema Frauen und Sprache kam nach Europa, nachdem im Zuge der feministischen Bewegungen auch die Wissenschaft die Rolle der Sprache entdeckt hatte, etwa zehn Jahre nach der Etablierung der Feministischen Linguistik als wissenschaftliche Disziplin in den USA. 1978 veröffentlichte Senta Trömel-Plötz einen Artikel, der für hitzige Debatten sorgen sollte. Sie und ihre Ko-Wegbereiterin der Feministischen Linguistik in Deutschland, Luise F. Pusch, beanstandeten das generische Maskulinum, das manchmal auf Frauen und Männer referiert und manchmal nur auf Männer, was zu Unklarheiten und Missverständnissen führt. Sie beziehen sich dabei auf das Sprachsystem und die entsprechenden Normen. Der zweite Bereich betrifft das Gesprächsverhalten. Frauen haben aufgrund ihrer Verhaltensweisen in der Kommunikation mit Männern Nachteile. Diese beiden Aufgabenstränge wurden damals bereits für den englischen Sprachraum diskutiert. Mit ihrem Überblicksartikel von 1978 wollte Trömel-Plötz zunächst nur die Aufmerksamkeit auf das Thema Frauensprache und women’s studies lenken und auf die Ungleichheit der Frau, die sich auch sprachlich ausdrückt. Sie fragte daher, wie Frauen von der Sprache und von den Sprecher: innen behandelt werden. Das generische Maskulinum bevorzugt Männer und benachteiligt Frauen. Darum ist es nicht, wie gern behauptet, geschlechts‐ indifferent. Einerseits ist die alleinige Verwendung der Maskulinformen oft genug nicht nötig - es gibt Kundin und Käuferin, warum also bei uns ist der Kunde König? Andererseits sind Frauen nur manchmal mitgemeint. Mit der maskulinen Form sind dann allerdings auch nur Männer mental präsent. In jedem Falle ist das grammatische System unausgewogen zum Vorteil der Männer, da es Frauen sprachlich und gedanklich oft ausschließt. Darüber hinaus gibt es weitere Asymmetrien wie fehlende Gegenformen (*Kindergärtner, *Putzmann), besser konnotierte männliche Varianten (alte Jungfer / Junggeselle), eine große Bandbreite an Schimpfwörtern für Frauen sowie Unausgewogenheiten in Sprichwörtern (vgl. Kap. 5.3.1). Auch die Sprachgewohnheiten von Frauen sind manchmal anders als die der Männer (Verniedlichungen, Euphemismen etc., weniger Vulgärausdrücke, mehr Fragen, Entschuldigungen, Konjunktive, indirekte Aussagen, Wortschatz im Bereich Kindererziehung und Haushalt), was auf traditionelle Rollen bzw. die Strategie der Höflichkeit, Konfliktvermeidung und Abschwächung hinweist. Dies gilt jedoch als Unsicherheit, so dass die Frau nicht ernst 2.4 Feministische Sprachkritik 35 <?page no="36"?> 6 Langue: (abstraktes) Sprachsystem gegenüber Parole: Rede, konkretes Sprechen. genommen wird und es schwer hat, sich zu behaupten. Die Bereitschaft zur Kooperation geht mit dem Verlust an Autorität einher. Wieder stoßen wir auf die ‚double bind‘ Situation. Um ernst genommen und gehört zu werden, muß die Frau reden wie der Mann. Redet sie aber so wie ein Mann, dann ist sie männlich und wird als Frau entwertet (Trömel-Plötz 1978: 62). Da die Sprache auf der Ebene des Systems als auch auf der des Handelns die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft widerspiegelt, sollte sie auch langfristig gleichberechtigt eingesetzt werden. Diese sprach‐ kritischen Überlegungen sehen damit durchaus sprachlichen Wandel vor. Die Antwort auf den Artikel kam einige Monate später von Kalverkäm‐ per (1979a) in Form eines polemischen Aufsatzes mit vielen rhetorischen Figuren und unsachlichen, provozierenden, stark wertenden und diskre‐ ditierenden Anteilen. Er ging auf die eigentliche Problemlage nur am Rande ein. Der Begriff Übersichtsartikel wird in Anführungszeichen gestellt und dadurch ironisiert, die inhaltliche Darstellung zu einem „plakativen Geschlechterstreit und Rollenkampf “ (Kalverkämper 1979a: 56). Ausdrücke wie „grob-globale[s] Freund-Feind-Bild“ und Fragen wie „Wer hat bloß für solche Thesen Pate gestanden? Das Modell des Heimchens am Herde und der Marlboro-Mann? “ (Kalverkämper 1979a: 67) wirken in einem wissenschaftlichen Artikel deplatziert. Ironisch gemeint ist auch seine „Hoffnung, auf die Diskussion um ‚die Frau und die (d. h. ihre) Sprache‘ einen beruhigenden Einfluß ausüben zu können“ (ibd.: 56). Neben diesen groben stilistischen (und menschlichen) Schwächen sieht aber Kalverkämper das eigentliche Problem nicht: Er ignoriert die Handlungsebene der Sprache. Auf Systemebene postuliert er eine völlige Unabhängigkeit des Sexus vom Genus gemäß Saussures Postulat der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens. Er wirft Trömel-Plötz deswegen Methodenfehler vor, da sie eine Verbindung zwischen sprachlichen Zeichen und außersprachlichen Aspekten anerkennt und die „Grundprinzipien der struktural-funktionalen Semantik und somit der Linguistik überhaupt außer acht“ (ibd.: 62) lässt, ihre Argumentation sei „unlinguistisch“ (ibd.: 60). Vor diesem Hintergrund gebe es nur die Langue 6 , die zählt, und keinen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Die Argumentation zur Parole, in der es Unterschiede geben mag, wird nicht als seriös akzeptiert (ibd.: 67). Kalverkämper ignoriert, dass bei Bedarf maskuline Formen durchaus nur auf Männer bezogen werden, so dass 36 2 Geschichte <?page no="37"?> Frauen dadurch nach Belieben ausgeschlossen werden können, etwa in der Argumentation der Schweiz gegen ein Wahlrecht für Frauen, das laut Gesetz eben nur „Schweizern“ zusteht (Trömel-Plötz 1982: 201 f., Kusterle 2011: 22). Warum bei Personenbezeichnungen grundsätzlich die maskulinen Formen gewählt werden, bleibt ebenfalls offen. Auf beide Umstände zielt jedoch Trömel-Plötz ab. Kalverkämper versäumt es aber nicht nur, in seinem Artikel auf alle vorgetragenen Argumente einzugehen, er stellt auch Trömel-Plötz’ fachliche Kompetenz infrage. Beides ist wissenschaftlich unangemessen. Dies und der emotionale, provokative Stil führen die Debatte von der wissenschaftlichen Ebene in die Polemik, die Pusch (1979) fortsetzt. Sie fasst zunächst die Argumente von Trömel-Plötz zusammen, ergänzt sie um weitere Beispiele, um dann auf Kalverkämpers Kritik einzugehen: Die strukturalistische Denkweise sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Kalverkämper ignoriere sozio- und psycholinguistische Alternativen. Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gelte nicht in hundert Prozent aller Fälle, die feministische Kritik ziele auf Referenz- und Assoziationsprobleme ab, da mit einem angeblich neutralen Pronomen man oder jedermann an Mann gedacht werde und nicht an Frauen (Pusch 1979: 93). Gerade im Bereich der Personenbezeichnungen, aber nicht nur hier, decken sich im Übrigen Genus und Sexus, die Trömel-Plötz keineswegs verwechselt, sondern bewusst - und kritisch - beleuchtet. Diese Replik von Pusch ist zwar auch stilistisch stark markiert und für sie der Beginn zahlreicher Streitschriften und glossenartiger Artikel. Sie basiert aber außerhalb der provokativen Passagen immer noch auf wissenschaftlicher Argumentation. Doch Kalverkämper (1979b) antwortet noch heftiger als zuvor mit Quo vadis linguistica? - oder: Der feministische Mumpismus in der Linguistik. Er bleibt bei einer prinzipiellen Trennung von Genus und Sexus und schließt mit der Feststellung, dass die Feministische Linguistik für die Sprachwissenschaft nichts Substantielles beizutragen habe (Kalverkämper 1979b: 105), worauf dann wieder Pusch (1980) teils sachlich, teils ironisch-übertrieben antwor‐ tet. Leser: innen befinden sich dadurch in der schwierigen Situation, die tatsächlichen Fakten herauszufiltern, ohne sich emotional zu beteiligen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema war fast unmöglich, da die Gegner: innen der sprachkritischen Position kaum bereit waren, sich ernsthaft mit der Thematik zu befassen und auf alle Argumente einzugehen, wie ein weiteres Beispiel zeigt. Auf ein Buch, das alternative Schreibweisen wie man oder frau verwendet, gibt es ebenfalls eine extreme Reaktion mit stark emotionalen, disqualifi‐ 2.4 Feministische Sprachkritik 37 <?page no="38"?> zierenden und beleidigenden Passagen. Griesbach (1985) rezensiert Herrad Meese mit wenig wissenschaftlichen Ausführungen. „Man muß sich wirk‐ lich fragen, wer - um Himmels willen - hat denn der Autorin diesen Stuß im Manuskript durchgehen lassen? “ (Griesbach 1985: 50), „Für was für Ignoranten ist dieses Buch eigentlich bestimmt? “ (51). „‚Linguistinnen‘ nennen sich die, die in ihrer entwaffnenden Ahnungslosigkeit etwas im Deutschen entdeckt zu haben glauben, was in ihr feministisches Konzept paßt, aber ebenso töricht wie falsch ist“ (ibd.: 50). Auf die Verfasserin (und die Gruppe der Sprachkritiker: innen) wird referiert als „Einäugige“ (50), „Verbohrte“ (51), „empfindliche[…] Linguistinnen und ihre Anbeter“ (51) mit ihren „verworrenen Vorstellungen“ (51). Die sprachlichen Alternativen seien „ein geradezu geni(t)aler Einfall, der von einem bedrückenden Mangel an Sachkenntnis zeugt und entmutigende Rückschlüsse auf die derzeitige Qualität ihrer Ausbildung und ihres Studiums herausfordert“ (51). Auch Griesbach verweist auf die strikte Unabhängigkeit von Genus und Sexus und der daraus resultierenden völlig neutralen Verwendung des Genus. Diejeni‐ gen, die das verwechseln, werden als inkompetent hingestellt. Zu Recht fragt sich Herrad Meese (1985) in ihrer Replik, „was Heinz Griesbach dermaßen in Rage geraten läßt“ (Meese 1985: 53). Was veranlasst Wissenschaftler (m.) wie Kalverkämper und Griesbach, die bislang als seriös und kompetent wahrge‐ nommen wurden, zu solch emotionalen Ausbrüchen? Darüber hinaus darf auch gefragt werden, warum wissenschaftliche Zeitschriften solche Texte im Rahmen einer eigentlich akademischen Debatte akzeptieren. Die weiteren Beiträge verteilen sich mehr oder weniger auf diese zwei Lager: Die Vertreter: innen der feministischen Kritik meinen, die deutsche Sprache sei ungerecht aufgrund zahlreicher Asymmetrien und der die Frauen benachteiligenden Auswirkungen von Sprache auf Denken und damit auch Handeln (u. a. Guentherodt et al. 1980, Trömel-Plötz et al. 1981, Schoenthal 1985, Müller 1988, Trömel-Plötz 1982, 1984, 1996). Die Gegner: in‐ nen argumentieren mit der grammatischen Trennung von Genus und Sexus und erkennen Asymmetrien, Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Denken und Sprachwandelmöglichkeiten nicht an (vgl. auch Ulrich 1988, Lieb / Richter 1990, Leiss 1994). Zwischendurch gab es durchaus auch seriöse und fundierte Kritik an der feministischen Position (Stickel 1988). Es folgten Forderungen, die Menschen sprachsensibler zu machen und Ungerechtig‐ keiten zu ändern, was wiederum zahlreiche sprachpolitische Maßnahmen nach sich zog. Gisela Schoenthal führte in ihrem Forschungsbericht von 1985 neben der sprachsystematischen und kommunikativen Perspektive dann 38 2 Geschichte <?page no="39"?> einen dritten Gesichtspunkt im Rahmen der Diskussion um Sprache und Geschlecht auf-- den der Rolle für die sprachliche Sozialisation. Polemische Debatten und aggressive Reaktionen sind bis heute nicht abgerissen (Kap. 5.5.5). Aber sie waren und sind wohl weniger gegen die eigentliche Sachlage als generell gegen Frauen und Feministinnen gerichtet und der Angst geschuldet, eine privilegierte Position zu verlieren. Die sozi‐ alpolitische Situation hatte sich jedoch verändert: Frauen wurden mehr und mehr Rechte zuerkannt mit dem Ziel, eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern aktiv herzustellen. Die feministische Sprachkritik richtete sich darauf, dies auch auf der sprachlichen Ebene sichtbar zu machen. Daher führte sie immer wieder Asymmetrien an, die fast immer zum Nachteil der Frauen arbeiten. Hätte es ein ausgewogenes Verhältnis der Ungleich‐ mäßigkeiten mit Vor- und Nachteilen für Frauen und Männer gegeben, wäre das Thema nicht so nachdrücklich diskutiert worden. Stattdessen aber liegt gerade in diesem überproportional hohen Nachteil schon die erste Asymmetrie. Die Diskussion wurde erschwert durch die anfänglich eher auf Intuition beruhende Argumentation auf Seiten der Kritiker: innen und die grundsätzlich ablehnende Haltung der Gegenseite, die auf die meisten Argumente nicht wirklich einging. Auf der Ebene des Sprachsystems ist eine Kategorie wie Genus durchaus neutral und zunächst nicht an biologische Eigenschaften von Referent: innen gekoppelt, zumal der überwiegende Teil von Nomen für unbelebte Dinge oder Abstrakta steht. Die Diskussion ging von Linguistinnen aus, die sich dieser Tatsache bewusst waren. Aber das war nicht der Punkt. Vielmehr ging es darum, wie eine Form mental verarbeitet bzw. verstanden wird. Auf Sprachsystemebene ist die Kategorie Maskulinum teils männlich, teil neutral gemeint. Auf der Ebene des Sprachgebrauchs wird sie mit biologischen Eigenschaft assoziert und männlich verstanden. Beispiele aus anderen Sprachen und anderen Zeitstufen zeigen, dass bei Bedarf eine angeblich neutrale maskuline Form als Beleg für gemeinte männliche Referenten herangezogen wurde / wird. Die feministische Kri‐ tik zielte also vorrangig auf das Verständnis außerhalb des Kreises der linguistisch geschulten Sprachbenutzer: innen ab. So kam es auch zur Ver‐ 2.4 Feministische Sprachkritik 39 <?page no="40"?> wendung des Begriffs Sexismus bzw. sexistische Sprache. Sexismus bedeutet unabhängig davon, welches Geschlecht betroffen ist, Benachteiligung bzw. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wird jedoch de facto kaum auf Benachteiligung von Männern bezogen. Gefordert wurde daher, Frauen gleichberechtigt zu behandeln, dann aber auch sichtbar zu machen. Dafür bot sich die Beidnennung durchaus an. Darüber hinaus sollte dabei auch sprachlich klar werden, dass eigentlich männlich erlebte Funktionen und Aufgaben auch von Frauen übernommen werden können und dass schließ‐ lich sprachlich präziser zu formulieren sei (Müller 1988). Weiterhin haben zwar Pronomina wie man und jedermann keine maskuline Referenz im grammatischen Sinne, nichtsdestotrotz lösen sie Assoziationen aus, die eher nicht weibliche Bezüge haben. Die Argumentationen, die auf eine konsequente Neutralität des Genus abzielen, ignorieren völlig die Tatsachen und gehen auf die eigentliche Kritik nicht ein, dass aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch ein veränderter Bedarf besteht, Spra‐ che zu verwenden. Die feministischen Bedenken richteten sich damit auch gegen die Will‐ kürlichkeit der Interpretation, die rein nach Erfordernis ein Maskulinum als neutral oder männlich (und Frauen damit ausschließend) auslegte. Sie forderten Gleichbehandlung. Die Strukturalist: innen verkennen ein wesentliches Problem des deutschen Genussystems, dass nämlich in einigen Bereichen über ein Genus durchaus auf Sexus referiert wird, vgl. der Mann / die Frau, die Mutter/ der Vater, die Oma / der Opa, die Henne / der Hahn, die Lehrerin / der Lehrer etc. Sexus und Genus sind daher nicht grundsätzlich und ausnahmslos unabhängig voneinander. Dies war aber zunächst noch nicht empirisch bewiesen. Der feministischen Sprachkritik ging es aber auch um die öffentliche Wahrnehmung: Luise Pusch mit ihren stark übertriebenen, aber nicht unbe‐ dingt immer ernst gemeinten Forderungen war sie auf jeden Fall sicher. Wie sich Jahre darauf zeigen sollte, erwies sich die feministische Sprachkritik als effektiv, da sie öffentliche Diskussionen bewirkte, Vorschriften und Gesetzgebungen beeinflusste und die nötigen Sprachwandelerscheinungen auslöste, die heute für mehr Gerechtigkeit in der deutschen Sprache sorgen (weiter auch Kap. 5). 40 2 Geschichte <?page no="41"?> Zusammenfassung Im Zuge der Französischen Revolution formierten sich Ende des 18. Jahr‐ hunderts aus sozialpolitischer Unzufriedenheit heraus Proteste, die neben Demokratie und Gerechtigkeit auch eigens Frauenrechte forderten. Im Zusammenhang mit den Frauenbewegungen setzte sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Erkenntnis durch, dass es keine sprachliche Gleichberechtigung gab. So kam es zur Forderung, Gleichheit auch sprach‐ lich zu realisieren. Die frühe Sprachkritik fand Unterschiede bei der sprach‐ lichen Behandlung von Frauen und bei den sprachlichen Verhaltensweisen. Frauen verwenden gern Ausdrücke, die eine Behauptung abschwächen. Sie vermeiden dadurch aus Höflichkeit und Kompromissbereitschaft klare Aussagen. Dies wiederum wird als Unsicherheit und Schwäche gedeutet. Beim Sprechen über Frauen geht der eindeutige Bezug auf die Frau durch das generische Maskulinum verloren. Beides wirkt sich zum Nachteil von Frauen aus. Die feministische Sprachkritik forderte darum, sich dieser Probleme bewusst zu werden und beispielsweise maskuline Bezeichnungen für Frauen zu meiden, weil das missverständlich und unklar ist und dadurch Frauen willkürlich ausgeschlossen werden können und unsichtbar sind. Sie kritisierten aber auch andere Asymmetrien, die sich jeweils für die Männer vorteilhaft auswirkten. Die Gegenposition bestritt die Möglichkeit einer assoziativen Verbindung zwischen Genus und Gender, erklärte das Thema für unwichtig, da es einerseits im Rahmen der Gleichstellung andere Themen gebe, andererseits die Referenz in der Regel klar sei. Die Alternativformen seien unnötig, kompliziert bzw. umständlich. Die Rolle der Parole wurde ebenfalls als belanglos gesehen. Sehr auffällig aber waren die vielen polemischen und beleidigenden Reaktionen, die eine ernsthafte Diskussion behinderten. Vorerst fehlten noch empirische Studien, die eine assoziative Verbindung von Genus und Gender beweisen konnten. So blieb es zunächst bei Annah‐ men, die sich in theoretischen Grundsatzdiskussionen gegenüberstanden. Zusammenfassung 41 <?page no="42"?> Literatur Giele (1988) veröffentlichte einen geschichtlichen Überblick aus soziologi‐ scher Sicht. Eine kurze Geschichte der Feministischen Linguistik liefert Samel (2000, Kap. 1). Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspek‐ tive vgl. Frey Steffen (2017), Bergmann et al. (2012). Von Thorne / Henley (1975b) kommt ein sehr detaillierter Überblick über den Stand der Forschung Mitte der 1970er Jahre. Über die ganze Vielfalt der Genderstudien stellen beispielsweise Braun / Stephan (2006) und Schößler (2022) Artikelsammlun‐ gen zusammen. Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von u. a. Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Überblicksdarstellungen kommen von Schoenthal (1985), Hornscheidt (2006), Wiesner (2022). Zur Situation in Österreich vgl. Aspöck (1983). Mittlerweile haben sich die Genderstudien als Studienfach an vielen Universitäten etabliert und ver‐ binden eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen (Brand/ Sabisch 2019). Websites zu Gender und Genderstudien sind in Sachstand. Gender (2016) zusammengefasst. 42 2 Geschichte <?page no="43"?> 3 Theorien 3.1 Anfänge Die frühen Stellungnahmen zum Zusammenhang von Sprache und Ge‐ schlecht Anfang des letzten Jahrhunderts beruhten auf eigenen impres‐ sionistischen und sehr subjektiven Beobachtungen, wie etwa die von Otto Jespersen, oder verschiedenen anthropologischen Arbeiten, die alle ausschließlich von Männern publiziert waren. Frühe Analysen basierten auf unsystematisch zusammengestellten Datensammlungen, waren nicht repräsentativ und setzten alles Männliche als Norm an (vgl. Hellinger 1990). Etwas später berücksichtigten die ersten soziolinguistischen Studien Geschlecht als Variable und räumten den Frauen eine Rolle bei Sprachwan‐ delerscheinungen ein. 3.2 Defizit und Differenz-- Feministische Linguistik Die Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre führte zu Diskussionen zu sprachlichen Themen, so dass wir seit den Arbeiten von Mary Ritchie Key (1972, 1975), Robin Lakoff (1973, 1977), Barry Thorne und Nancy Henley (1975) von feministischer Linguistik sprechen. Key und Lakoff verwendeten introspektive Daten, weswegen sie später wiederholt kritisiert wurden. Sie behandelten das Thema jedoch systema‐ tischer als zuvor und auf bestimmte Fragen hin ausgerichtet. Beide unter‐ schieden zwischen der Sprache über und der von Frauen. Dabei galt zunächst vielfach noch vom männlichen System ausgehend das weibliche als das sekundäre und schlechtere. Allerdings stellten sie einen Bezug zwischen sprachlichen Asymmetrien und sozialer Benachteiligung her. Mit diesem neuen Ansatz legten die Arbeiten den wesentlichen Grundstein für den Kern der Feministischen Linguistik, die im weiteren Verlauf zunächst die empirischen Belege zu typischen Verhaltensweisen von Frauen nachzulie‐ fern hatte, etwa höflichere Ausdrücke, Euphemismen, Abschwächungen, Entschuldigungen, Frageintonation, Übertreibungen, hedges bzw. Weichma‐ cher (glaube ich, irgendwie, oder so), tag-questions (isn’t it/ nicht wahr? ) bzw. <?page no="44"?> den unsicheren Stil, aber insgesamt „korrekteres“ Sprachverhalten. Außer‐ dem spezialisieren sich Frauen auf unterschiedliche Wortfelder, deswegen bezeichnen sie zum Beispiel Farben differenzierter. Auf Seiten der Männer sind mehr Unterbrechungen, mehr Witze und gröbere Sprache und klare Ansagen typisch, auf Ebene des Sprachsystems männliche Formen auch für Frauen. Im deutschen Sprachraum griffen Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch als Erste die diskriminierende Wirkung der Sprache an und machten auch Verbesserungsvorschläge. Auf Luise Pusch geht der Begriff Feministische Linguistik zurück (Samel 2000: 10). Sie wandte sich gegen das generische Maskulinum und andere Asymmetrien wie Fräulein oder Herr Meier und Frau und kritisierte die dominierenden Gesprächsstrategien der Männer. Als Marlis Hellinger 1990 ihren Überblick über die Kontrastive Feminis‐ tische Linguistik aus deutscher Sicht veröffentlichte, war die Forschung keine zwanzig Jahre alt. Sie sah als ein wesentliches Kennzeichen feminis‐ tischer Linguistik die kritische Haltung in Verbindung mit dem politischen Ziel, Gleichberechtigung herzustellen und Benachteiligung abzuschaffen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Feministische Linguistik wesentlich von den anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen und ähnelt mit ihren Forderungen denen der Frauenbewegung. Kontrastiv betrachtet ergeben sich aus Hellingers Analysen drei Tendenzen, und zwar, dass das Männliche als Norm gesehen wird, dass es positiv belegt wird und dass es daher dominiert (Hellinger 1990: 58). „Die neue Perspektive der geschlechtsbezo‐ genen Sprachforschung bestand in der These, dass Geschlecht in Sprache und Sprachgebrauch Reflex patriarchaler Machtverhältnisse und dieses in Forschung und Theoriebildung aufzuklären ist“ (Klann-Delius 2005: 9). Wenn das Männliche die Regel ist, weichen Frauen davon ab, ihr Spre‐ chen ist „schlechter“, also defizitär-- Grundlage der Defizithypothese. Vertreterinnen der Defizithypothese als dem ersten Ansatz im Rahmen der Feministischen Linguistik, u. a. Pusch und Trömel-Plötz, bewerten und hierarchisieren die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Defizit‐ hypothese schließt an die frühen Beobachtungen von Wissenschaftlerinnen wie Key oder Lakoff an. Sie interpretierten den höflichen Sprachstil der Frauen als notwendiges Sicherheitsdenken, um nicht zu bestimmt aufzutre‐ 44 3 Theorien <?page no="45"?> ten, keinen Dissens hervorzurufen und dadurch Sicherheitsabstand zu ge‐ winnen. Frauen versuchten sich dadurch vor möglichen verbalen Angriffen durch Männer zu schützen. Dieses Verhalten werde ihnen als Unsicherheit, Machtlosigkeit und Nichtwissen ausgelegt und schwäche ihre Position im Gespräch, während sich die Männer dadurch gleichzeitig besser durchsetzen können. Der weibliche Stil ist also nachteiliger als der männliche, weil er dazu führt, dass sich die Frau weniger gut behauptet. Wenn sie sich aber durchsetzen will, muss sie auf die typisch männlichen Verhaltensweisen zurückgreifen, was sie dann unweiblich und aggressiv wirken lässt. Das führte zu weiteren Untersuchungen des Gesprächsverhaltens. Der Blick richtete sich jedoch zunächst noch wenig auf Kontexteffekte, so dass der einzige Faktor für Unterschiede das Geschlecht zu sein schien. Entspre‐ chend war der Stand, immer noch in Fortsetzung der früheren Thesen, dass Frauen häufiger unterbrochen werden. Männer reden mehr und länger, unterbrechen mehr, vor allem Frauen. Sie verwenden wenige tag-questions oder andere Unterstützungen und überhaupt weniger Fragen, aber mehr Behauptungen und Imperative. Frauen stützen das Gespräch und halten es am Laufen, sie sind höflicher, aber auch unsicherer, werden dominiert, während sie gleichzeitig kooperativer sind. In den späteren Untersuchungen werden diese Unterschiede aber nurmehr konstatiert, nicht mehr bewertet: Sie folgen der Differenzhypothese. Die Differenzhypothese zeigt die Unterschiede auf und billigt beiden Geschlechtern gleiche Fähigkeiten zu. Weibliches Sprechen ist nicht schlechter, sondern anders. Maltz / Borker (1982/ 2008) übertrugen einen Ansatz, der für Probleme bei der Kommunikation zwischen Ethnien entwickelt wurde, auf die Kommunika‐ tion zwischen den Geschlechtern. Nicht Macht- oder psychologische Unter‐ schiede, sondern hauptsächlich kulturelle Differenzen und deren Regeln und Interpretation führen in gemischtgeschlechtlicher Kommunikation zu Missverständnissen. Diese Idee wurde durch anthropologische Arbeiten aus dem Mittleren Osten und Südeuropa inspiriert. So lautet der Grundgedanke, dass (in den USA) Männer und Frauen aus verschiedenen soziolinguistischen Subkulturen kommen. 3.2 Defizit und Differenz-- Feministische Linguistik 45 <?page no="46"?> Die Theorie der zwei Kulturen geht ebenfalls von zwei gleichwertigen Systemen aus, betont aber die Unterschiede sehr stark, die auf zwei getrennten Sozialisierungswegen entstehen sollen. Das führt vor allem im Sinne von Tannen (u. a. 1990) auch zu eher homoge‐ nen Gruppierungen. Kinder spielen von Anfang an in gleichgeschlechtlichen Gruppen und entwickeln eigene Interaktionsstile, die nicht genügend ge‐ schlechtsübergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen, so dass es ständig zu Missverständnissen und Auseinandersetzungen kommt. Während Mädchen früh üben, Konflikte verbal zu lösen und zu kritisieren und damit einen kooperativen Gesprächsstil einüben, positionieren sich Jungen von Anfang an auch sprachlich deutlich, was zu Dominanzverhalten führt. Die klare Einteilung nach zwei Geschlechtergruppen ist mittlerweile überholt, denn es gibt Übergänge und biologisch und sozial bedingt auch mehr Gruppen. Mäd‐ chen und Jungen agieren außerdem auch immer wieder miteinander. Der Ansatz vereinheitlicht und vereinfacht zu sehr und vernachlässigt Gemein‐ samkeiten sowie andere Erklärungsmöglichkeiten für Missverständnisse. Die Feministische Linguistik beschäftigte sich mit Macht, Benachteili‐ gung und Gewalt durch Sprache und damit, wie sprachliche Unterdrü‐ ckungsmechanismen funktionieren, wie Gleichbehandlung herzustellen und auf politischer Ebene durchzusetzen ist. Die Untersuchungen konzen‐ trierten sich auf das Sprachsystem, Gespräche und Gesprächsstile. Die Arbeiten dieser Phase wurden vielfach wegen ihres eher intuitiven, methodisch noch nicht ausgereiften Vorgehens kritisiert. Frauen galten global als die einzig Leidtragenden. Die Datengrundlage war noch dünn, die Verallgemeinerungen vernachlässigten andere Aspekte wie Situation, soziale Schicht und Status. Auch populäre Begriffe wie Frauensprache / Män‐ nersprache oder Genderlekt erwiesen sich als für unsere Kulturkreise nicht angebracht, da sie von zu großen Unterschieden im System oder Verhalten ausgehen. Sie suggerieren Stabilität und Homogenität der Varietät sowie Kontextlosigkeit. Die situative Abhängigkeit aber ist ein entscheidender Faktor des Doing gender-Ansatzes. Während die Feministische Linguistik die Unterschiede und vor allem Asymmetrien und dadurch die Diskriminierung in der Sprache und im Sprachgebrauch zu beschreiben suchte und für mehr sprachliche Gleichberechtigung eintrat, verschob sich hier der Schwerpunkt der Genderstudien auf die Konstruktion von Geschlecht und darauf, wie 46 3 Theorien <?page no="47"?> sich die verschiedenen Geschlechter inszenieren. Dabei beschäftigt sich die Genderlinguistik gezielt mit der sprachlichen Konstruktion von Geschlecht. 3.3 Diversität-- Gender und doing gender Lange galt Geschlecht als feste Größe, als natürlich definiert, unveränderbar und universell (so) gegeben. Vor allem aber handelte es sich um ein bipolares Konzept. Das Geschlecht als entweder Mann oder Frau stand mit der Geburt automatisch fest und blieb für immer gleich, „one’s identity is known to oneself and seen by others as one’s body“ (Fryer 2012: 41). Damit war auch die Geschlechtsidentität stabil. Das Geschlecht eines Menschen galt als so selbstverständlich, dass es nicht hinterfragt, ja nicht einmal darüber nachgedacht werden musste. Probleme gab es nur für diejenigen, die nicht oder nicht ganz zu einer der beiden Kategorien passten. Diese Vorstellung dürfte auch heute noch die übliche sein. Die beiden Geschlechtskategorien manifestieren sich in Verhaltensweisen, zum Beispiel in der Interaktion, Kleidung, Mimik, Gestik, Vornamen oder einer Entscheidung zwischen männlich und weiblich in amtlichen Dokumenten. Die meisten Aspekte, die die Geschlechter ausmachen, sind allerdings gar nicht angeboren, so die aktuelle Genderforschung, vielmehr werden sie uns anerzogen, und wir selbst richten uns, bewusst oder unbewusst, auch nach den Erwartungen der anderen, um im täglichen Umgang miteinander nicht benachteiligt zu werden. Damit gehorcht Geschlecht vielen Einflüssen, es ist nicht fix, sondern variabel, es kann auch nicht immer von anderen, etwa sozialen Aspekten getrennt werden. Das Englische unterscheidet daher zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen (gender). Geschlecht in diesem Sinne ist ein gesellschaftliches Konstrukt, es wird gemacht, gelernt, interpretiert: differences in what happens to women and to men derive in considerable measure from people’s mutually developed beliefs about sexual differences, their interpre‐ tations of its significance, and their reliance on those beliefs and interpretations to justify the unequal treatment of women and men (Eckert / McConnell-Ginet 2013: 7). Dieser Aspekt von Geschlecht wird aufgefasst als konstruiert - in der Inter‐ aktion, in den Medien. Auch unsere Bildungsinstitutionen sind am doing 3.3 Diversität-- Gender und doing gender 47 <?page no="48"?> 7 Diese Vorstellung findet sich bereits bei Simone de Beauvoir 1949, Le Deuxième Sexe. gender beteiligt, weil sie die unterschiedlichen Rollen ständig reproduzieren und inszenieren. Dies geschieht unbewusst und automatisch. Das Gender-Konzept, das zwischen gender und sex trennt, führte weg von einer Selbstverständlichkeit der beiden Kategorien. Es erfolgte eine Ausweitung der natürlichen Zweiteilung. Hier ist Geschlecht weder fest noch biologisch determiniert, sondern durch unser Miteinander bestimmt und damit kulturell-sozial bedingt 7 . Der Ansatz beschäftigt sich mehr mit Geschlechtsidentität, wie sie entsteht, wie sie immer wieder ausgehandelt wird und welche Facetten jenseits der traditionellen Zweiteilung möglich sind. So kam es zur Konfrontation und letztendlich für viele auch zur Tren‐ nung in biologisches und gesellschaftliches Geschlecht. Diese Auffassung sieht Geschlecht im Sinne von Gender als veränderbar und nicht mehr binär. Daran schloss sich die Vorstellung an, dass Gender situationsspezifisch und auch zeitlich punktuell ständig immer wieder inszeniert wird: Wir „machen“ unser Geschlecht. Doing gender heißt, dass Gender im täglichen Leben permanent und immer wieder konstruiert wird und erst dann und dadurch überhaupt erst entsteht, dass es eine soziale Gewohnheit ist. Der Gedanke des doing gender findet sich in zahlreichen Debatten und theoretischen Strömungen wieder, in denen verschiedene Wissenschaftstra‐ ditionen unterschiedliche Akzente setzen. Für Hirschauer (1994, 2001) dient aus Sicht der Soziologie die Aufteilung in zwei Geschlechter der sozialen Or‐ ganisation. Die Ethnomethodolog: innen West / Zimmerman (1987) prägten den Begriff des doing gender als eine Routine, eine Fertigkeit, die wir in der Interaktion mit anderen immer wieder neu schaffen. Die soziale Wirklich‐ keit erzeugen wir erst im alltäglichen Miteinander. Sie nahmen den Fall der transsexuellen Agnes als Ausgangspunkt. Agnes wurde zunächst als Junge erzogen, wollte dann aber trotz männlicher Genitalien Frau sein und ließ sich schließlich auch umoperieren. Als wesentlich erwies sich die Beobachtung, dass sie ständig ihr Geschlecht durch ihr Tun beweisen musste, unterstützt von adäquater Sprache, Stimmführung, Kleidung, Schminke, Frisur etc. Sie hatte das angemessene Verhalten, sich in jeder Situation als Frau und 48 3 Theorien <?page no="49"?> damit anders als bisher zu benehmen, um als Frau auch wahrgenommen zu werden, erst mühsam zu erlernen und war auf die Hinweise ihres Freundes angewiesen, etwa, eher einmal nichts zu sagen als sich durchzusetzen. Die Sichtweise des Doing gender-Konzepts rückt deswegen das Verhalten sowie die tragende Rolle der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Gender im Vergleich zu sex ist weniger Eigenschaft als immer wieder neu in der Interaktion miteinander hervorgerufenes Tun, was Asymmetrien nicht ausschließt, aber Varianten mit einbezieht, die über +/ weiblich bzw. männlich hinausgehen, also verschiedene Transgenderformen, Hermaphroditen, Homosexuelle. Geschlecht ist nicht gegeben und auch nicht fix. Es ist „emergent“. Über die Interaktion aber rückt die Sprache etwas mehr in den Blickpunkt. Studien untersuchen u. a., wie genau Gender zustande kommt. Kotthoff (2002) kritisiert allerdings die zu starke Betonung von Gender als soziale Kategorie. Denn erstens sieht sie durchaus Zusammenhänge zwischen sex und gender, zweitens sind Neutralisierungsstrategien möglich, die von Einzelnen ausgehen können. Außerdem zeigt sich doing gender nicht nur in der Interaktion, sondern auch in Äußerlichkeiten und Körpersprache. Gender wird nicht immer und in jeder Situation gleich „gemacht“. Meistens ist der bzw. die Einzelne auch nicht allein beteiligt. Kotthoff möchte das Phänomen relativieren in rezipiertes gegenüber produziertes, bewusstes und nicht bewusstes, mehr oder weniger Gender. Das biologische Geschlecht ist für Doing gender-Ansätze unwichtig oder sogar nicht existent, da Gender stets im Moment und abhängig von der Situation inszeniert wird und die Kategorie durch die sprachliche Benennung erst entsteht. In der Tradition des Doing gender-Ansatzes gibt es Gender nicht, außer wenn es sprachlich konstituiert wird. Sprache ist damit nicht Abbild von Gender, sondern Sprache ist herstellende Bedingung für Gender (Hornscheidt 2013: 346). Durch die Philosophin und Diskurstheoretikerin Judith Butler (1990) erfuhr diese Sicht eine weitere Steigerung: Wir nähmen, so Butler, kör‐ perliche Eigenschaften lediglich als relevant wahr und schüfen dadurch erst die Heterosexualität. Auch das anatomische Geschlecht werde sozial konstruiert, es werde erst im öffentlichen Diskurs produziert - eigentlich sei 3.3 Diversität-- Gender und doing gender 49 <?page no="50"?> es ganz unwichtig. Der Körper als äußere Hülle trete soweit vor der inneren Essenz zurück, dass es zwischen biologischem und sozialem Geschlecht keinen Unterschied mehr gebe, weil die Verbindung selbst bereits politischkulturell geschaffen werde. Die Biologie sei eine kulturelle Größe. Ein Instrument des Schaffens sei die Sprache (performing gender). Butler trug mit Unbehagen der Geschlechter dazu bei, dass im Rahmen der feministischen Theoriebildung ein Umdenken einsetzte. Durch die extreme Position, auch die tatsächlich angeborenen Geschlechtsmerkmale zu negieren und sie erst gelten zu lassen, wenn sie für relevant erklärt werden, wurde der Fokus noch wesentlich intensiver auf die Fragwürdigkeit der Gleichstellung von biologischem Geschlecht und Gender gelegt. Wenn aus traditioneller und geschichtlicher Perspektive diese Sichtweise auch schwierig sein mag, hat sie aus ideologischer Sicht den Effekt, die beiden Kategorien weiblich und männlich noch intensiver zu hinterfragen. Damit wurde auch die Möglich‐ keit weiterer Geschlechter eröffnet, der Grundstein der Queer Studies. 3.4 Dekonstruktion-- undoing gender Während für West / Zimmerman (1987) doing gender und damit die Zu‐ schreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften sowie das entsprechende Handeln unvermeidbar ist, sieht Hirschauer (1994: 678, Westheuser 2015) auch die Möglichkeit von undoing gender. Undoing gender heißt, die Geschlechtsunterscheidung in manchen, z. B. schulischen oder beruflichen, Situationen zu neutralisieren, wenn es angebracht ist, indem sie unwichtig und nicht mehr wahrgenommen wird. Für Hirschauer ist die Geschlechtsunterscheidung im Gegensatz zu West / Zimmerman nicht „omnirelevant“. Deutsch (2007) kritisiert ähnlich, dass (doing) Gender nicht universell, allgegenwärtig und unvermeidbar ist, weil das die Möglichkeit des Wandels ausschließen würde. Beispiele für un‐ doing gender sind die Neutralisierung des Aussehens, Meiden körperbetonter Kleidung, wenig Schmuck, wenig Make up, tiefere Stimmlagen, Unisex- 50 3 Theorien <?page no="51"?> Produkte oder Egalitätsnormen (Hirschauer 2001) bis hin zu Widerstand gegen Geschlechtsnormen und -stereotype (Deutsch 2007). Therefore, I propose that we adopt a new convention, namely, that we reserve the phrase ‘doing gender’ to refer to social interactions that reproduce gender difference and use the phrase ‘undoing gender’ to refer to social interactions that reduce gender differences (Deutsch 2007: 122). Die verschiedenen Richtungen schwanken zwischen Widerstand gegen Unterscheidung, Verneinung und Abmildern der Unterschiede. Der Ansatz von Penelope Eckert und Sally McConnell-Ginet (u. a. 1999) zieht weitere soziokulturelle Faktoren mit in die Betrachtung ein, die ihrer Meinung nach stark miteinander verflochten sind und den Genderaspekt schwer isolierbar machen. Geschlecht muss im Zusammenhang mit weite‐ ren gesellschaftlich bedingten Variablen, die der Identitätsstiftung dienen, gesehen werden wie sozialer Status, Ethnie, Heterosexualität oder Alter. Diese soziolinguistische Sicht betrachtet eher den Stil einer bestimmten Gruppe und legt Wert auf die tragende Rolle der Sprache für die Iden‐ titätskonstruktion. Sie bezieht ebenfalls die Möglichkeit ein, sich einer Kategorisierung entziehen zu können. 3.5 Evolution, aber nicht Determiniertheit Schließlich vertreten einige Ansätze die Meinung, dass biologische Faktoren nicht irrelevant sind. Auf der Suche nach Erklärungen, warum es etwa im Gesprächsverhalten zu Unterschieden kommt, flossen auch evolutions‐ bedingte Gründe mit ein, da die Arbeiten der Feministischen Linguistik für viele keine zufrieden stellenden Erklärungen für die Beobachtungen lieferten, weil sie lediglich Thesen und Vermutungen aufstellten und nicht nach Ursachen suchten. Auch der Doing gender-Ansatz erfährt Kritik: Die Universalität, die Stabilität und die psychischen Verankerungen der Geschlechterhierarchien werden nicht erklärt und dem Einzelnen wird zudem ein zu großer Handlungsspielraum beigemessen (Rendtorff 2006: 137 f.). Deswegen versucht u. a. Locke (2011) zu zeigen, dass sich die großen Unterschiede zwischen Männer- und Frauengesprächen nicht über Gender‐ effekte, sondern über unterschiedliche biologisch bestimmte Eigenschaften erklären lassen, die ihren Ursprung in den verschiedenen Aufgaben bei der Fortpflanzung haben - „men and women speak in fundamentally different 3.5 Evolution, aber nicht Determiniertheit 51 <?page no="52"?> 8 Sehr wahrscheinlich sind nur Männer gemeint. ways largely because they are outfitted by Nature to do so“ (Locke 2011: 9). Locke sieht in den Unterschieden jedoch keine Rechtfertigung für Un‐ gleichbehandlung, vielmehr will er Frauen und Männer als sich gegenseitig ergänzend begreifen. Er betont die Vorzüge des Zusammenwirkens. Bereits zu Zeiten der Jäger und Sammler(innen), die damals noch als egalitär zu betrachten waren, bedingten die biologischen Unterschiede vor allem die klassische Arbeitsteilung (Wood / Eagly 2012). Sie führten aufgrund des je anderen Evolutionsdrucks über viele tausende von Jahren hinweg zu Unterschieden von Körper und Gehirn. Locke führt zahlreiche Belege zu universellem Verhalten, Parallelen bei anderen Spezies, höheren Testosteronwerten im Zusammenhang mit Dominanz und kindlicher Ent‐ wicklung an. Besonders die sehr stark verbreiteten Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Sprachstilen lassen sich seiner Meinung nach schlecht als je unmittelbar konstruiert verstehen. Hier sieht Locke weniger psycho‐ logisches als vielmehr biologisches Erklärungspotenzial. Auffälligerweise sprechen kulturübergreifend Frauen eher ungern vor vielen Menschen, während Männer dazu tendieren, den öffentlichen Rahmen für die Selbst‐ darstellung und verbale Wettkämpfe zu nutzen, dazu gehören auch Witze, lange Monologe und Herumalbern. Wie die Evolution uns lehrt, haben stärkere und intelligentere Tiere bessere Überlebenschancen. Kämpfe, die jedoch nicht tödlich enden, und laute und gefährlich klingende Drohgebär‐ den dienen dazu, den Stärksten und damit Statushöchsten auszuhandeln und damit weibliche Tiere zu beeindrucken und für die Fortpflanzung zu gewinnen. Diese wiederum bevorzugen möglichst starke Partner, die das Wohlergehen des Nachwuchses für längere Zeit gewährleisten. Bei den Menschen ersetzen verbale Gefechte die körperlichen Auseinanderset‐ zungen. Dominanz und Status korrelieren mit Testosteron. Beispielsweise weisen Berufsschauspieler, Berufsfußballer und Prozessanwälte 8 wesentlich höhere Testosteronwerte auf als andere Berufsgruppen (Locke 2011: 93). Das viele Sprechen über sich selbst, das verbale Dominanzverhalten und Statussichern entspricht der körperlichen Selbstdarstellung, etwa bei der Werbung, während das kooperative Verhalten Beziehungsgeflechte pflegt, die für die Aufzucht des Nachwuchses zwischen den weiblichen Mitgliedern einer Gruppe unentbehrlich waren. 52 3 Theorien <?page no="53"?> So sieht es auch Scheunpflug (2004). Um das Überleben über erfolgreiche Reproduktion zu sichern, müssen männliche Individuen stark, gesund und schnell sein. Sie treten gegen viele andere Konkurrenten an und demonstrie‐ ren entsprechend ihre Vorteile wie körperliche Kraft oder beim Menschen hohes Einkommen und andere vergleichbare Leistungen. Sie wollen ihre Energie in möglichst junge (und viele) gesunde Weibchen investieren, müssen aber dafür lediglich Kraft für Werbung aufbringen. Im Gegensatz dazu wenden weibliche Säugetiere sehr viel Energie für Mutterschaft, Geburt, Stillen und Betreuung auf. Sie produzieren nur wenig Nachkommen, und diese sind oft sehr unselbstständig und benötigen Schutz. Außerdem ist, je weniger Nach‐ wuchs ein Weibchen hat, dieser umso wertvoller. Wenn sich das Weibchen um den Nachwuchs kümmern muss, benötigt es ebenfalls Schutz. Die weiblichen Tiere sind deswegen auf die Hilfe durch die anderen weiblichen Mitglieder der Gruppe und das möglichst starke und mächtige Männchen angewiesen. Sie investieren darum ganz anders in den Partner: Er will sorgfältig ausgesucht sein, weil er für längere Zeit für die Gruppe bzw. das Weibchen sorgen soll, denn das Überleben der Kinder hat absolute Priorität. Die Gruppe, die aus anderen weiblichen Mitgliedern bestand, die bei der Betreuung des Nachwuchses zusammenarbeiteten, stellte ein komplexes so‐ ziales Netzwerk dar, in dem sich die Einzelne kooperativ platzieren musste. Einige Ansätze gehen deswegen davon aus, dass die soziale Entwicklung über die weiblichen Mitglieder entstand. Die soziale Intelligenz, die mit der Größe der Gruppen korreliert, entwickelte sich zunächst über höhere kognitive Ansprüche und entsprechend größerem Gehirnbereich auf der Seite der weiblichen Primaten (Lindenfors et al. 2004, Lindenfors 2005, Locke 2011: 144). Das viele Reden über Beziehungen und zwischenmenschliche Ereignisse bei Frauen entspricht einem Pflegen sozialer Bindungen, das viele Reden über sich selbst bei Männern der Selbstdarstellung und der Status demonstration. Beides ist interpretierbar als sprachliche Entsprechung des evolutionär bedingten geschlechtstypischen Verhaltens mit dem Ziel, optimal zu reproduzieren und damit letztendlich die Art zu sichern. Entsprechend lassen sich auch die unterschiedlichen Interessen schon im Kindergarten - Schönheit vs. Stärke - erklären: Da Männchen ihre Energie 3.5 Evolution, aber nicht Determiniertheit 53 <?page no="54"?> (Samen) optimal anlegen wollen, müssen die Weibchen gesund und im richtigen (jungen) Alter sein. Das Interesse auch kleiner Mädchen am Äußeren ist in diesem Ansatz ein Relikt aus den Zeiten, in denen das Äußere die für die Fortpflanzung grundlegenden Eigenschaften Jugend und Gesundheit signalisierte. Da die Weibchen um Männchen konkurrieren, mussten sie ihr Äußeres effektiv in Szene setzen. Andersherum benötigten Weibchen starke und gesunde Partner, die die Chancen auf erfolgreiche Aufzucht des Nachwuchses verbesserten. Ein starkes Männchen hat mehr Chancen bei den Weibchen. So erklärt sich die ständige Konkurrenz, die sich schon im Kindergarten zwischen Jungen oft auf körperlicher Ebene zeigt. Sie äußert sich später in Status, erfolgreicher Karriere, Einkommen und großen Autos oder aber Gewalt. Da Männer bei der Partnerwahl potenziell das Risiko tragen, leer auszugehen, war es für sie in der Geschichte der männlichen Evolution vorteilhaft, neben dem kommunikativen Konkurrenzverhalten eine hohe Risikobereitschaft zu entwickeln. Zudem kann die geschlechtsspezifisch hoch signifikante männliche Gewaltbereitschaft als ein Ausdruck innergeschlechtlicher Konkurrenz interpre‐ tiert werden (Scheunpflug 2004: 208). Biologisch-evolutionäre Gründe für Unterschiede zwischen Frau und Mann werden gern dazu missbraucht, bestehende Statusunterschiede zu rechtferti‐ gen und Veränderungen zu blockieren, die die männlichen Machtpositionen schwächen könnten. Dieser Missbrauch ist ein wichtiges Motiv für die vielfach vehemente Ablehnung des Ansatzes. Der evolutionäre Ansatz ist nicht als Entschuldigung für stereotype Verhaltensweisen misszuverstehen, sondern als wichtig für Wissenser‐ weiterung und die Möglichkeit, die Beobachtungen der Geschlechter‐ forschung zu verstehen. Zweifellos überlagert der kulturelle Fortschritt viele der angeborenen Ten‐ denzen oder macht sie obsolet. Die durch unsere moderne Entwicklung nötige und / oder forcierte Flexibilität relativiert die genetischen Anlagen. Ganz aber verschwinden sie nicht, sonst gäbe es kein Streiten um Frauen und Macht und keine Vergewaltigungen mehr. Wir können unsere Handlungen selbst bestimmen, und je mehr wir über möglicherweise angeborene Zwänge 54 3 Theorien <?page no="55"?> wissen, umso eher können wir uns dagegen entscheiden und uns auch gegenseitig besser verstehen. In diesem Ansatz geht es nicht primär darum, dass Frauen und Männer nicht gleich sind. Sie sind trotz aller Unterschiede gleichberechtigt. 3.6 Abgrenzungen Im Rahmen der verschiedenen Diskussionen werden wir auch mit thema‐ tisch nahestehenden, aber nicht unbedingt gleichzusetzenden Begriffen von Gender oder Genderstudien konfrontiert, die an dieser Stelle geklärt werden, und zwar Sexismus in der Sprache, Gender Mainstreaming und Queer Studien. Zu Sexismus als Verhalten oder auch Ideologie zählen sexuelle Belästigung und alle offenen und unterschwelligen Formen der Benachteiligung und Unterdrückung, auch die Verweigerung von Gleichbehandlung. Dies kann sich sprachlich äußern, etwa durch Beleidigungen, üble Nachrede, falsche stereotype Beschreibungen, abfällige oder lächerlich machende Bemerkun‐ gen, Herabwürdigung von Leistungen, Ablenken von relevanten Aussagen, Unterbrechungen, Ignorieren, sprachliches Unsichtbarmachen. Gender Mainstreaming stellt eine offizielle Richtlinie der EU dar (Ams‐ terdamer Vertrag, 1997). Es ist keine Theorie, nicht akademisch oder theoretisch, sondern als politisch-gesellschaftlicher Gleichstellungsansatz praktisch ausgerichtet. Es handelt sich um eine Strategie, mit der die Chan‐ cengleichheit zwischen Männern und Frauen, auch als politische Vorgabe, umzusetzen ist. Es strebt umfassend und präventiv die Gleichstellung im öffentlichen Kontext an und betrifft alle politischen Bereiche. Die Queer Studies als wissenschaftliche Disziplin entstanden Anfang der 1990er Jahre, mit angestoßen durch Butler (zur Geschichte vgl. auch Ha‐ gai/ Zurbriggen 2022), aus den Gay und Lesbian Studies im philosophischen und literaturwissenschaftlichen Kontext und beschäftigten sich weniger mit dem Gender-Aspekt als vielmehr mit Sexualität. Engl. queer ‚eigenartig, seltsam‘, aber auch ‚schwul‘, vor allem geringschätzend, bezeichnet sexu‐ elle Randgruppen und als Queer Studies auch das theoretische Konzept. Es wertet das Thema zu einem Forschungsgegenstand auf, der sich mit Brüchen zwischen sex, gender und Begehren bzw. Praxis befasst ( Jagose 2005: 15). Der englische Begriff queer war zunächst politisch motiviert und als Schimpfwort gebraucht für alle, die sich bezogen auf Hautfarbe oder 3.6 Abgrenzungen 55 <?page no="56"?> sexueller Ausrichtung nicht innerhalb der sogenannten Norm befanden. Die so bezeichneten Personen verwendeten den Begriff in den Vereinigten Staaten aber bald mit positiver Assoziation für sich selbst. Die Queer Studies führten den Gegenstand der Gender-Debatte, in der es um weiblich und männlich geht, einen Schritt weiter hin zu der Wahrnehmung und Anerkennung mehrerer Geschlechter. „Gemeint sind damit intergeschlecht‐ liche Menschen, Transgender, Lesben, Schwule, Pansexuelle Personen, Non- Binary Personen etc.“ (Perko/ Czollek 2022: 33). Sowohl Begrifflichkeiten als auch Theorie gestalten sich im deutschsprachigen Raum uneinheitlich. Der Gegenstandsbereich erweiterte sich im Laufe der Zeit, von lesbisch und schwul hin zu allen geschlechtlichen Varianten oder Mehrdimensiona‐ litäten. Er umfasst teilweise auch weitere Diversity-Aspekte. Alle Ansätze sehen statt einer Binarität Geschlechtervielfältigkeit als gesellschaftliche Norm und treten dafür ein, Hierarchien abzuschaffen. Somit gibt es keine Randgruppen mehr, sondern viele gleichberechtigte Identitäten. Jeder Ansatz ist im jeweiligen theoretischen Kontext zu sehen und hat daher seine eigene Vorstellung davon, wie und in welchen Gewichtungen Geschlecht und Gesellschaft interagieren. Entsprechend anders gestaltet sich aus den verschiedenen Perspektiven die Möglichkeit, zu intervenieren und für Chancengleichheit zu sorgen. Gender entwickelt sich immer mehr zu einem interdisziplinären For‐ schungsgegenstand. Grundsätzlich erweist es sich als plausibel, neben den biologischen Faktoren Unterschiede in der Sozialisation zu erkennen. Verantwortliche Erwachsene müssen daher zunächst sensibilisiert sein, um zu verstehen, dass wir alle unseren Teil dazu beitragen können, Mädchen und Jungen gleichberechtigt zu fördern. Ob die Biologie dann einen großen oder kleinen Anteil zum typisch männlichen oder weiblichen Verhalten beisteuert, kann momentan nicht entschieden werden. Wie die weiteren Kapitel zeigen, gibt es durchaus angeborene Faktoren, die uns beeinflussen. Nichtsdestotrotz sind wir als vernunftbegabte, kulturell entwickelte Indivi‐ duen in der Lage, uns darüber hinwegzusetzen, wenn wir denn wissen, wie und wo wir dabei ansetzen müssen. Zunächst sollten wir erkennen, dass ganz im Sinne des Doing gender-Ge‐ dankens Geschlecht nicht einfach biologisch, binär und statisch und von Anfang gegeben ist, sondern dass es in der Gesellschaft und im Miteinander konstruiert wird. Die Erklärungen für Verhaltensweisen sowie die Erwar‐ tungen dürften nicht auf einem der beiden Endpunkte angeboren - anerzogen zu finden sein. Vielmehr ist es nötig, beide Aspekte in Betracht zu ziehen. 56 3 Theorien <?page no="57"?> Eine einfache Unterscheidung von erworben oder angeboren gibt es nicht, dazu ist das Zusammenwirken der verschiedenen Aspekte zu komplex. Auch Stereotype beeinflussen unsere Erwartungen, diese wiederum das Verhalten und die Wahrnehmung des Verhaltens. Auch wenn die genetischen Anlagen viele unserer Reaktionen steuern, ist jederzeit ein Eingreifen möglich. Viele kleine Schritte im privaten und öffentlichen Alltag können mithelfen, für mehr Chancengleichheit zu sor‐ gen, und alle können dazu beitragen. Zusammenfassung Die Forschung zu Sprache und Geschlecht hob zunächst den Dominanzas‐ pekt hervor, dann den der Differenz, um danach sozial-performative Fakto‐ ren, Variabilität und ständiges Neukonstruieren von Gender zu betonen und auch die verschiedenen Möglichkeiten von Diversität zu beachten. Die frühe feministische Sprachwissenschaft konzentrierte sich noch auf einzelne Beobachtungen von Sprechen über und von Frauen. Die männliche Sprache galt als Norm, von der Frauen abwichen und dadurch Nachteile hat‐ ten. Dieser Zusammenhang zwischen sprachlichen und gesellschaftlichen Asymmetrien bildete den Ausgangspunkt für die Feministische Linguistik und für die sich daraus entwickelnde kritische Haltung mit dem Ziel, Gleichbehandlung zu erreichen. In der Folge wurde die Sprache der Frauen und Männer mehr und mehr als stilistisch zwar unterschiedlich, aber als gleichwertig aufgefasst. Zum Ende der 1990er Jahre hin löst der Begriff der Genderstudien den der Feministischen Linguistik langsam ab. Das Geschlecht gilt nicht mehr als gegeben, sondern als Konstruktion, als sozial bedingtes Handeln. Es ist damit breiter, variabel und abhängig auch von anderen Faktoren wie Ethnie, sozialer Schicht und Religion. Gender und Queer Studies arbeiten interdisziplinär. Die politisch-kritische Perspektive jedoch bleibt. Das Gen‐ derkonzept gibt zunächst die (für einige) gewaltsame Zweiteilung auf, will dann aber auch die Asymmetrien anprangern, die damit zum Nachteil aller, die nicht zur Kategorie des „richtigen“ (weißen Mittelschicht-) Mannes zählen, verbunden sind. Mit Gender als sozial konstruierter Größe, mit Diskriminierung und Macht beschäftigen sich viele andere Disziplinen, so dass die feminis‐ Zusammenfassung 57 <?page no="58"?> tisch-linguistische Sicht innerhalb der Genderstudien und der Queer Stu‐ dien nur noch eine von vielen ist. Sie nähern sich aufgrund der Breite der Themenfelder stark den Kulturwissenschaften an. Die verschiedenen Erklärungsansätze setzen außerdem unterschiedliche Schwerpunkte: von erlernt und erworben bis hin zur völligen Negation angeborener Aspekte im philosophischen Rahmen. Es scheint durchaus evolutionsbedingte un‐ terschiedliche Tendenzen im Verhalten zu geben, aber sie sind den Auswir‐ kungen durch kulturellen Fortschritt untergeordnet. Wir sollten sie kennen, um besser damit umgehen zu können, nicht, um die Errungenschaften jahrzehntelanger Arbeit um Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu bagatellisieren oder uns aus unserer Verantwortung, diese umzusetzen, herauszureden. Dies kann nicht oft genug betont werden. Forschungsaufgaben Der soziolinguistische Ansatz von Eckert / McConnell-Ginet (1999) dürfte für diejenigen relevant werden, die mit heterogenen Gruppen arbeiten. Al‐ lerdings ist die Situation in den USA nicht auf die deutschsprachigen Länder übertragbar. Hier müssen eigene Studien zeigen, wie Ethnien und Domi‐ nanzstrukturen in Abhängigkeit der Herkunftsländer und der spezifischen Migrationssituation auf das Verhalten Einzelner innerhalb der Gruppe wir‐ ken und welche Rolle die Sprache spielt. Gergen (2010) diskutiert Prinzipien, Typen und Fragestellungen der qualitativen Forschung, Murnen / Smolak (2010) die der quantitativen Ansätze in der Genderforschung, sie können als Anstoß für eigene Vorhaben dienen. Auch in Nentwich / Kelan (2014: 132) finden wir Forschungsfragen. Literatur Zur Vertiefung vgl. Meissner (2008). Nentwich / Kelan (2014) geben ei‐ nen Überblick über Studien und Themen des Doing gender-Konzepts mit Schwerpunkt auf englischsprachigen Arbeiten. Sammelbände stammen von Braun / Stephan (2006), Günthner et al. (2012), Bergmann et al. (2012). Zu Feministischer Linguistik vgl. Samel (2000), zu Queer Theory und Praxis 58 3 Theorien <?page no="59"?> vgl. Laufenberg (2022), Perko/ Czollek (2022), Maier-Höfer/ Schreiber (2022), zu „Queerer Linguistik“ vgl. Motschenbacher (2012). Die Kritik an dem evolutionären Ansatz ist teilweise vehement und unterstellt zu starke Annahmen, für eine relativierende Position sei Newcombe (2010) genannt. Bucholtz (2014) skizziert verschiedene feministische Strömungen, die auch Sprache mitberücksichtigen, aus US-Sicht. Sie zeigt, dass vermehrt die ethnische Perspektive, soziale Schicht, masculinity sowie queer studies in die Theoriebildung einfließen können und dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen zum Verhältnis der Geschlechter untereinander sowie zu Macht und Gesellschaft gibt. Literatur 59 <?page no="61"?> 4 Sprache und Denken 4.1 Die Sapir-Whorf-Hypothese Für viele Linguist: innen gilt es heute als selbstverständlich, dass sich neurologische, kognitive und soziale Aspekte beim Sprechen verbinden. Das Gehirn verarbeitet gleichzeitig Weltwissen, kontextuell-gesellschaftli‐ che Zusammenhänge, persönliche Informationen der Sprecher: innen und Sprache. Alles trifft gleichzeitig im Informationsverarbeitungssystem ein, wird verwaltet und zum Dekodieren von Mitteilungen herangezogen. Die modernen neurobiologischen und kognitiven Wissenschaften liefern hierzu immer mehr Beweise. Innerhalb der (Sprach-)Wissenschaft gingen jedoch nicht alle Forschen‐ den davon aus, dass zwischen Denken, Handeln und Sprache eine Verbin‐ dung bestehen könnte. Schon seit Aristoteles wird immer wieder die Auf‐ fassung vertreten, Sprache und Kognition seien vielmehr getrennte Systeme und wechselseitige Einflüsse eher nicht anzunehmen. Demnach ist Sprache in sich geschlossen, objektiv fassbar und unabhängig vom Sprechen und von den Sprecher: innen. Also benötigen wir für das Denken keine Sprache, und Sprache bildet lediglich die Gedanken ab. Sprache folgt ihren eigenen Regeln, die bei allen Menschen gleich sind (sprachlicher Universalismus). Diese Ansicht fand seit Mitte des letzten Jahrhunderts große Verbreitung durch die Dominanz amerikanischer Sprachwissenschaftler, die sich primär auf das Englische stützten. Demgegenüber vertraten andere die Auffassung einer direkten Verbin‐ dung. Neben einigen frühen Vorläufern wie Gottfried Herder oder Wilhelm von Humboldt gingen Franz Boas (1858-1942), Edward Sapir (1884-1939) und Benjamin Lee Whorf (1897-1941) Anfang des letzten Jahrhunderts ex‐ plizit davon aus, dass Sprachen auf ihre Sprecher: innen einwirken. Dadurch können sie das Denken beeinflussen und mithin das Handeln ebenfalls. Somit ist die jeweilige Wirklichkeit eine relative und abhängig von Sprache und Kultur. Jede Kultur ermöglicht eine etwas andere Sicht der Welt, die sie unter anderem durch Sprache vermittelt. Eine Kultur, die in Schnee und Eis überlebt, muss zwangsläufig mehr Wörter für Schnee haben. Eine Kultur in der Wüste verfügt über mehr Begriffe von Brauntönen. Jede ist im Prinzip <?page no="62"?> dazu in der Lage, die Dinge der Welt zu sehen, aber kulturell wählt sie nur bestimmte aus, die sie versprachlicht. Das gilt auch für grammatische Strukturen. Die Sprache filtert die Wahrnehmung, was unterschiedliche Realitäten in den Köpfen der Menschen mit sich bringt. Ein absolutes, einzig wahres Bild der Dinge gibt es daher nicht. Ausgangspunkt in den USA waren ethnologische Beobachtungen mit der Erkenntnis, dass fremde Kulturen und ihre Sprachen einige bisher als selbst‐ verständlich geltende Dinge anders ausdrückten und auch anders sahen, sowie der Versuch, möglichst objektiv-beschreibend und ohne Vorurteile vorzugehen. Denn zu diesem Zeitpunkt wurden die indigenen Völker und ihre Sprachen noch als weniger wertvoll als das Englische betrachtet und somit negativ bewertet. Für die Vertreter der später so genannten Sapir-Whorf-Hypothese gilt der Einfluss der Sprache auf das Denken als zentral (sprachlicher Relativismus). Das beinhaltet jedoch nicht die Bestimmung, Abhängigkeit bzw. Festlegung des Denkens durch die Sprache (sprachlicher Determinismus) (vgl. auch Elsen 2014: 75 ff.). Letzteres impliziert, dass Denken ohne Sprache nicht möglich ist, und schließt Änderungen der durch die Sprache vermittelten Auffassung der Welt aus, etwa durch den Erwerb einer weiteren Sprache. Damit wäre die geistige Freiheit gar nicht gegeben, aus dem durch die eigene Sprache auferlegten Gefängnis herauszukommen. Dies war jedoch gerade nicht im Sinne der Vertreter der Sapir-Whorf-Hypothese. Sie gingen vielmehr davon aus, dass die Beziehung zwischen Sprache und Denken eben eine relative ist und neue Sprachen, neue Strukturen, Wörter und Konzepte die bereits vorhandenen relativieren und erweitern. Die Versprachlichung bestimmter Inhalte zwingt die Menschen dazu, darüber nachzudenken. So ist es im Deutschen zunächst unwichtig, ob wir gerade oder grundsätzlich etwas tun, während im Englischen wegen der Unterscheidung she eats meat oder she is eating meat durchaus darüber nachgedacht werden muss, weil immer eines von beiden formuliert wird. Ebenso sind für Spanischsprachige die beiden Zeitangaben mañana und madrugada selbstverständlich zu differenzieren, also, ob der Morgen früher oder später ist. Im Deutschen ist das nicht in jeder Situation relevant, und dann können wir auch immer noch anhand einer Zeitangabe präzisieren, welchen Zeitabschnitt wir meinen. Auch räumliche Angaben lassen sich unterschiedlich ausdrücken, etwa relativ zur eigenen Person oder anderen Orientierungspunkten wie im Englischen oder Deutschen, vgl. links von, vor. Daneben gibt es absolute Referenzrahmen, beispielsweise die Beschreibung 62 4 Sprache und Denken <?page no="63"?> mithilfe von Himmelsrichtungen, vgl. „‚[t]here’s an ant on your southeast leg‘ or ‚Move the cup to the north-northwest a little bit‘“ (Boroditsky 2009: 121) in Pormpuraaw, Australien. Die Sprecher: innen dort müssen sich stets über ihre lokale Position im Klaren sein, was dazu führt, dass sie sich auch besser in unbekanntem Terrain zurechtfinden im Vergleich zu Sprecher: innen des Englischen oder Deutschen. Versuche ergeben, dass wir beim Erwerb einer neuen Sprache auch entsprechende kognitive Fähigkeit erlernen (Boroditsky 2009, dort weitere Beispiele). „In practical terms, it means that when you’re learning a new language, you’re not simply learning a new way of talking, you are also inadvertently learning a new way of thinking“ (Boroditsky 2009: 125). Weiterhin hat sich gezeigt, dass Sprecher: innen von Sprachen mit grammatischem Geschlecht ein stärkeres Genderbewusstsein entwickeln, was eine geschlechtsspezifische Voreinge‐ nommenheit nach sich zieht, sogar bei nicht belebten Objekten (Sato et al. 2017). Die theoretischen Annahmen zur Beziehung zwischen Sprache und Den‐ ken und Wirklichkeit lassen sich, verkürzt gesprochen, zusammenfassen in keine (Universalismus), eine relative (Relativismus) und eine bestim‐ mende (Determinismus) Beziehung. In der Folge zeigten vergleichende Studien und psycholinguistische Ex‐ perimente immer mehr den Einfluss der Sprache auf das Denken. Der Zusammenhang zwischen Kognition, Sprache und kulturellen Praktiken ist mehrfach empirisch belegt worden. Das heißt, Sprache dient nicht nur der Kommunikation, sondern konstruiert unsere Sicht der Welt mit (Thiering 2020: 35). Die sprachphilosophischen Überlegungen sind für die gesamte Debatte um Asymmetrien in und durch Sprache grundlegend, weil die relativistische Sicht sprachliche, kulturelle und biologische Systeme durchlässig macht und für einander öffnet. Gleichzeitig aber werden auch sprachtheoretische Begründungen ins Feld geführt, um die Verweigerung von Änderungen zu rechtfertigen (vgl. Kap. 5.3.3, 5.5). 4.1 Die Sapir-Whorf-Hypothese 63 <?page no="64"?> 4.2 Sprache, Macht, Manipulation Meinungslenkung erfolgt im Rahmen eines Geflechts aus Sprache und Klischees, denn neben dem unbewussten Tradieren von Stereotypen durch Sprache gibt es bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strate‐ gien, die zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen. Eine Bezeichnung wie religiöse Gemeinschaft ist neutral, während Sekte negativ wertet. Ein und dieselbe Person kann beschützenswert und harmlos als junge Mutter oder aber abwertend als Partygirl bezeichnet werden. Thibodeau / Boroditsky (2015) zeigen, wie die Wahl der Metapher in einem Zeitungsartikel die Einstellungen der Rezipient: innen zu Gewalt und den Umgang damit lenkt. Während bei „Crime is a VIRUS ravaging the city of Addison“ (ibd.: 4/ 22) die Versuchspersonen das Problem analysieren und mit Sozialreformen und besserer Schulbildung beheben möchten, wollen sie sich bei „Crime is a BEAST ravaging the city of Addison“ (ibd.) wehren, die Einsatzkräfte der Polizei verstärken und härtere Strafen verhängen. Gezielt aktivierte Konnotationen dienen der Assoziations- und Meinungssteuerung (Elsen 2009). Solche nicht neutralen Begriffe arbeiten über einen Text ver‐ streut noch wesentlich intensiver. Es kommt zu einem komplexen Geflecht, das auch zwischen den Zeilen wirkt (vgl. auch Lakoff / Wehling 2008). Andererseits lassen sich aber auch eigentlich neutrale Termini wertend verwenden. Wenn das oft genug geschieht, entwickeln sie die entsprechen‐ den Konnotationen, also Zusatzbedeutungen, mit lexikalisiertem Status. Ehrlich / King (1994) zeigen, wie die Lexeme chairperson und spokesperson als gendergerechte Alternativen zu chairman und spokesman in den untersuch‐ ten Texten ausschließlich für Frauen gebraucht wurden und so ihre Aufgabe, genderneutral zu fungieren, verloren. Ms. als Parallele zu Mr. (anstelle von Miss vs. Mrs.) wurde teilweise nur für geschiedene Frauen verwendet. Statt also wie Mr. auf eine Bestimmung des Familienstands zu verzichten, zeigte Ms. eine dritte Möglichkeit an, und die (für Männer durchaus interessante) sprachliche Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Frauen scheint sich zu halten. Um Texte zu verstehen, greifen wir neben dem lexikalisch-grammati‐ schen auch auf unser Weltwissen zurück, denn Informationen stecken nicht nur in Wörtern und ihren Kombinationen, sondern zusätzlich in den Assoziationen, Metaphern und Interferenzen, die sich u. a. durch Stereotype aktivieren lassen. In dem Satz U. seufzte laut und lehnte sich fröstelnd an Manfred an können wir aus dem ersten Namen keine klaren Aussagen über 64 4 Sprache und Denken <?page no="65"?> das Geschlecht treffen. Da jedoch typischerweise Männer nicht so leicht frösteln wie Frauen, interpretieren wir U. als weiblich, obwohl es dort nicht steht. Wir nutzen die aus Erfahrung gewonnenen Wahrscheinlichkeiten, vgl. den folgenden Text, eine Anzeige, die eine Frau in einer Zeitung aufgibt: Vor Kurzem bekam ich einen kleinen Welpen geschenkt. Er ist noch ganz klein und so süß. Aber mein Mann ist gegen Hunde und Katzen allergisch, deswegen kann ich ihn leider nicht behalten. Wer ihn haben möchte, solle sich bitte bei mir melden. Er ist 30 Jahre alt, 1,70 groß und heißt Karl-Heribert. In diesem Text geben die Pronomina er und ihn keine genauen Hinweise darauf, wer gemeint ist, da es zwei maskuline Referenten, Welpe und Mann, gibt. So sind die Leser: innen auf die Erfahrung angewiesen, die mit nicht behalten können typischerweise nicht auf Ehemänner zielt, wodurch der Bezug des Pronomens auf Welpe aktiviert wird. Die Leser: innen verstehen also ‚ich kann den Welpen nicht behalten‘. Der Schlusssatz wiederum zählt Eigenschaften auf, die sich nur schwer auf Hunde beziehen lassen, so dass dann doch mit ihn der Mann gemeint sein muss, denn Hunde sind wahrscheinlich nicht so groß, werden erfahrungsgemäß nicht so alt und heißen auch eher nicht Karl-Heribert. Von dem Effekt, dass zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten aufeinandertreffen und die Frau ihren Ehemann abholen lassen will, lebt der Witz. Auf lexikalischer Ebene beeinflussen Wortspiele, Euphemismen, Synony‐ mie, Polysemie oder verwandte Begriffe mit gezielt anderer Konnotation oder Denotation die Veränderung der Perspektive, vgl. Ermordung aller Juden vs. Endlösung, Freiheitskämpfer vs. Terrorist, Täter vs. Mörder. In dem Satz das Krebsgeschwür des Feminismus verbreitet sich immer weiter wird über das erste Nomen, die Krebs-Metapher, das semantische Netz zur bösartigen und häufig tödlichen Krankheit eröffnet und auf den neutralen Terminus Feminismus übertragen. Weiter kommen unnötige Übertreibungen vor, vgl. es herrscht ein absolutes Vertrauensverhältnis. Die Macht einzelner Wörter lässt sich am Beispiel der Begriffe Vergewal‐ tigungsopfer und Vergewaltigungsüberlebende (rape victim, rape survivor) zeigen, ein Thema, bei dem es bedauerlicherweise auch zahlreiche männ‐ liche Opfer gibt. Hockett et al. (2014) führten verschiedene Experimente mit englischsprachigen Versuchspersonen durch. U. a. sollten Studierende fünf Charakteristika von rape victims und rape survivors benennen. Das Geschlecht wurde nicht erwähnt. Rape victims wurde zumeist assoziiert mit afraid, attractive, female, aber auch distrusting und young. Der Begriff 4.2 Sprache, Macht, Manipulation 65 <?page no="66"?> rape survivors war sehr stark mit afraid und strong, weniger mit angry, distrusting oder depressed gekoppelt. Der Begriff ‚Vergewaltigungsopfer‘ ruft offenbar das Bild einer hübschen, eher schwachen Frau hervor. Außer‐ dem ist rape victim häufiger mit Selbstverschulden und Machtlosigkeit assoziiert. Solche Personen werden auch mehr als Objekt gesehen, ‚Verge‐ waltigungsüberlebende‘ hingegen als aktiver, fähiger und stärker. Dazu gibt es Hinweise, dass mit Opfer und der damit verbundenen Hilflosigkeit ein Zustand assoziiert wird, während die Rolle als Überlebende ein Ergebnis ist. Am Opferstatus wäre dann kaum etwas zu ändern, während Überlebende über Hilfsmaßnahmen erreicht werden. Im Vergleich zu Frauen schreiben Männer einer rape victim häufiger die Schuld zu. Einer Frau who has been raped oder einer rape survivor wird weniger oft die Verantwortung für die Vergewaltigung gegeben als einer rape victim. Bewusste oder unbewusste Schuldzuweisungen hängen also auch mit den Begriffen zusammen. Der verfehlte Ausdruck und die dazugehörenden Assoziationen können darüber hinaus den Heilungsprozess und die Unterstützung durch andere behindern (Hockett et al. 2014). Auf syntaktischer Ebene eignet sich das Passiv gut, um Täter unsichtbar zu machen. Dadurch rückt das Patiens in den Fokus der Leser: innen. Auffäl‐ ligerweise verwenden einige Massenmedien überwiegend Passivstrukturen ohne Agensangabe, um über sexuelle Gewalt zu berichten (vgl. Kap. 11.4). Außerdem ist die Akzeptanz eines Verbrechens bei der Passivformulierung höher. Die Versprachlichung der Täter korreliert mit weniger Toleranz ge‐ genüber dem Verbrechen (Parker / Mahlstedt 2010, Henley et al. 1995). Hier lässt sich also gut zeigen, wie sich über Sprache Blickwinkel verschieben lassen. Manche sprachlichen Einheiten und Strukturen weisen auf Machtlosigkeit hin. Oft lässt sich ein Tatbestand sprachlich so darstellen, dass bestimmte Verantwortlichkeiten verschleiert oder erst impliziert werden. Auch wenn im Satz „Frau in rotem Minirock nach Diskobesuch vergewaltigt“ die eigent‐ lichen Fakten stimmen, bleibt das Opfer ohne Namen, was die Frau weniger wichtig erscheinen lässt. Der Minirock im Zusammenhang mit dem Disko‐ besuch impliziert eine Mitschuld („hätte sie sich vernünftig angezogen, wäre das nicht passiert“). Die Tat wird anonymisiert und bagatellisiert, im Passiv und ohne Agensangabe ist der Täter nicht präsent. In der Formulierung „In der Nacht zum Montag kam es zu einer Vergewaltigung“ wirkt die Tat abstrakt, weniger vorstellbar, ohne aktive Beteiligte oder Opfer und 66 4 Sprache und Denken <?page no="67"?> 9 Wären wir in den Staaten, so würde vielleicht „der Schwarze H. K. vergewaltigt 16-Jährige“ daraus, um hier unnötigerweise die rassistischen Stereotype zu aktivieren. Durch die Altersangabe erscheint das Opfer jung und daher besonders wehrlos („fast noch ein Kind“), die Tat wirkt nun gravierender, aber das nicht benannte Opfer ist wenig relevant und auf die Altersangabe reduziert, bedeutsamer ist der Täter, der dank der Stereotype „selbstverständlich“ ein Afroamerikaner ist. noch harmloser 9 . Die Formulierungen mögen journalistischem Kalkül oder fehlenden Informationen zum Tathergang eher geschuldet sein als geziel‐ ter Manipulation. Sie entfalten gleichwohl ihre Wirkung. Aufgrund von Häufungen derartiger Strategien bestätigen und verstärken sich Stereotype. Diese werden von den Sprachbenutzer: innen unbewusst weitergepflegt. Implikationen etablieren sich als Tatsachen. Vergewaltigungen erscheinen weniger schlimm und von den Opfern mitverschuldet. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Denken, Einstellungen und Meinungen mit der Zeit verändern lassen. Direkte Kommunikationssituationen bilden einen weiteren Bereich, in dem Beeinflussung anderer stattfindet. Ein dominanter, einflussnehmender Gesprächsstil zeichnet sich durch wenig Heckenausdrücke, Zöger- und Verunsicherungssignale, Bestätigungsfragen, Pausenfüller und Intensivie‐ rungen aus. Der Machtlosigkeit ausstrahlende Stil hat davon viel (wirklich, irgendwie, glaub’ ich, nicht wahr? , äh, mmh, total), er wirkt unsicherer, höflicher. Ein dominanter Sprachstil wird zudem mit höherem Status in Verbindung gebracht und er ist trotz gleichem Inhalt bzw. Aussage überzeu‐ gender (Hosman 2015). Menschen mit Macht und bestimmte Formulierungsweisen nehmen Einfluss darauf, wie Diskurse strukturiert und geführt werden, nicht nur auf deren Inhalte. 4.3 Sprachliche Diskriminierung Wenn Sprache sich auf das Denken auswirken kann, wird auch verständlich, warum es zu sprachlicher Diskriminierung kommt. Dies ist umso gefährli‐ cher, als wir es nicht bemerken. Wenn ungerechte Sprache bzw. Verhalten häufig genug sind, gewöhnen wir uns daran und empfinden es als normal. 4.3 Sprachliche Diskriminierung 67 <?page no="68"?> Dann wird das sprachliche Handeln nicht mehr als falsch interpretiert und Diskriminierung ist unsichtbar geworden. „Discrimination, as distinct from prejudice and bigotry, is overt behavior that affects another individual or a group of individuals. Its enactment is therefore a fully social act“ (Ng 2007: 111). Hierfür ist Sprache eines der effektivsten Medien. Die sprachliche Kodierung von Diskriminierung richtet sich gegen Frauen, Andersgläubige und -farbige oder alte Menschen, aber auch gegen ganze soziale Schichten. So ist die Gesetzessprache so verklausuliert, dass nur Jurist: innen sie verstehen, was ihnen einen Vorteil gegenüber den anderen verschafft. Wirklichkeiten und Zusammenhänge können über geschickte Formulierungen falsch dargestellt werden. Um hier Einfluss auf andere zu nehmen, geschieht das möglichst indirekt, indem man (? ! ) die anderen dazu bringt, das zu wollen, was man (? ! ) will, „language provides a rich repertoire of masking devices for reducing resistance and perceived conflicts of interest while enacting discrimination“ (Ng 2007: 112 f.). Ng (2007) bespricht mehrere Aspekte sprachlicher Diskriminierung, u. a., dass Sprache als Sammelbecken kultureller Werte diskriminierende Stereo‐ type kodiert, Diskriminierung umsetzt und zur Regel macht. Sprache wirkt auf das Denken und unsere Sicht auf die Welt. Dadurch konstruiert sie die Wirklichkeit mit. Sie stellt bestimmte Kategorien und Assoziationen her und lenkt durch andere unseren Blick darauf. So it appears that linguistic categories can influence people’s thinking by encouraging them to carry out comparisons that they wouldn’t have otherwise carried out (Boroditsky et al. 2003: 74). Maskuline Formen reproduzieren das Männliche als das Häufige und damit Normale. Als Selbstverständlichkeit im alltäglichen Diskurs nehmen wir diese Diskriminierung nicht mehr wahr. Sie gehört zu einem Teil des Lebens, über den wir nicht nachdenken. Eine Veränderung der Sprache kann aber zu einer veränderten Wahrnehmung führen. 68 4 Sprache und Denken <?page no="69"?> Zusammenfassung Sprachtheoretische Ansätze gehen entweder von keinerlei Beziehung zwi‐ schen Sprache, Denken und Wirklichkeit aus (Universalismus), von der Möglichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung (Relativismus) oder von der Abhängigkeit des Denkens von der Sprache (Determinismus). Verschiedene Studien bestätigen lediglich die Auffassung des Relativismus. Sprachen wirken auf ihre Sprecher: innen ein und können dadurch das Denken beeinflussen und mithin das Handeln ebenfalls. Die jeweilige Wirk‐ lichkeit ist eine relative und abhängig von der Sprache und von der Kultur, die immer eine etwas spezifische Sicht der Welt hat und sie mit durch Spra‐ che vermittelt. Die relativistische Sicht macht sprachliche, kulturelle und biologische Systeme durchlässig und öffnet sie für einander. Das erklärt, dass bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strategien zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen können. Wortwahl und Formulierungen wirken darauf ein, wie Rezipient: innen über den entsprechenden Sachverhalt denken. Über den richtigen Sprachgebrauch kann so die Wahrnehmung beeinflusst werden. Vielfach nicht bewusst wird genderungerechte Sprache als normal empfunden, so dass Diskriminierung unsichtbar wird. Literatur Eine sehr ausführliche Darstellung des sprachlichen Relativitätsprinzips liefert Werlen (1989), konziser Werlen (2002), für einen kurzen Überblick vgl. Elsen (2014: 71-85) und Thiering (2020: 28-37). Verschiedene Zugänge und Möglichkeiten der Erforschung der Bezie‐ hung zwischen Sprache und Denken stellt Funke (2015) zusammen. Von Ives / Rana (2018) stammt ein neuerer Überblick über die Möglichkeiten von Machtausübung durch Sprache. Kusterle (2011) beschäftigt sich gezielt mit dem Zusammenhang von Denken, Sprache und Genderwahrnehmung. Zusammenfassung 69 <?page no="71"?> 5 Gender und Sprachsystem 5.1 Geschichte Sprachen haben unterschiedlich viele Genera. Das sind grammatische Klassen, nach denen sie Nomen einteilen. Anders als etwa Plural und Mehrzahl - der Plural beschreibt immer eine Mehrzahl des Bezeichneten - waren ursprünglich Genus und Sexus getrennte Systeme. In der Geschichte des Deutschen ordneten aber einige Wissenschaftler (m.) den maskulinen Wörtern Eigenschaften der Männer zu. So wurden Genus und Sexus ver‐ mengt, wobei das Maskulinum als höherwertig galt, z. B. bei Jacob Grimm. Renaissance und Barock gebrauchten üblicherweise für Frauen und Männer noch je unterschiedliche Formen. Deswegen war klar, wer nun mit Sächsin, Wächterin, Schmidin, Doctrin bzw. Doctor etc. (Doleschal 2002: 43) gemeint war. Frauen traten dabei nicht nur als Ehefrau des jeweiligen Mannes auf, sondern übten die Tätigkeiten durchaus auch selbst aus, wie etwa die Uhrmacherinnen in Augsburg und Friedberg (Arnold-Becker et al. 2019). Die Aufklärung grenzt in den Grammatiken das Weibliche mehr und mehr aus, in dieser Zeit beginnt die Entwicklung des neutralen Gebrauchs männlicher Endungen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bezeichnung des Wortbildungselements -er für Männer (zu lat. -ārius ‚männliche Person, die etwas tut‘) auch auf Personen allgemein verschoben. Dies entspricht dem heutigen System: Wenn eine maskuline Form für beide Geschlechter verwendet werden kann, heißt sie generisches Maskulinum. Das generische Maskulinum war im deutschen Sprachsystem historisch nicht gegeben, -er ist eine ursprünglich maskuline (nicht neutrale) Endung. <?page no="72"?> 5.2 Markierung Sprachen kennzeichnen das Geschlecht auf unterschiedliche Weise. Buß‐ mann / Hellinger (2003) und Hellinger / Pauwels (2007) beispielsweise un‐ terscheiden zwischen erstens dem grammatischen Geschlecht, morphosyn‐ taktischen Eigenschaften von Nomen, zweitens dem lexikalischen, also den semantischen Eigenschaften von Nomen für belebte Referent: innen, und drittens dem sozialen Geschlecht, das über Stereotype wirkt und sich indirekt zeigt (z. B. Pronomina). Das Deutsche teilt auf der Ebene des Sprachsystems die Substantive in die drei Gruppen Maskulinum, Femininum und Neutrum. Genus ist eine rein grammatische Kategorie und hat zunächst nichts zu tun mit Sexus, dem natürlichen Geschlecht. Das grammatische Geschlecht hat also keine außersprachliche Entsprechung und ist nicht motiviert. Es gehört zu jedem Nomen dazu, wird aber meist nicht markiert, indem es eine eigene Endung erhält. Wir wissen, dass Tisch Maskulinum, Sofa Neutrum und Lampe Femininum ist. Zweit- und Fremdsprachler: innen müssen dies mit jedem Nomen lernen. Abhängige Wörter wie Artikel, Pronomina und Adjektive haben mit dem Bezugsnomen grammatisch übereinzustimmen (bezogen auf Genus, Kasus, Numerus) und werden entsprechend flektiert. Dann wird Genus sichtbar, vgl. ein schöner Tisch, er gefällt mir! , ein weiches Sofa, es gefällt mir! , eine süße Lampe, sie gefällt mir! Viele Ableitungen bestimmen ebenfalls Genus, vgl. der Leser - die Leserschaft, die Luft - das Lüftchen, die Witwe-- der Witwer, der Arzt-- die Ärztin. Da es sich um formale Eigenschaften von Wörtern und Morphemen handelt, richten sie sich nach grammatischen Regeln. Das Deutsche unterscheidet Genus nur bei der dritten Person Singular, anders z. B. das Französische elles / ils, ‚sie‘ (f. pl.) / ‚sie‘ (m. pl.) oder das Arabische, vgl. anti / anta ‚du‘ (f.) / ‚du‘ (m.), antunna / antum ‚ihr‘ (f.) / ‚ihr‘ (m.). Im Deutschen sind du und ihr daher geschlechtsindifferent, das Geschlecht spielt keine Rolle. Genus entspricht heute in einigen Wortschatzbereichen tatsächlich dem Sexus, dem natürlichen Geschlecht, z. B. bei Personen wie Hexe, Tante, Frau oder Zauberer, Opa, Vater und bei vielen Tieren, vgl. Erpel, Bulle, Färse, Henne. Aber es gibt auch Ausnahmen, vgl. Vamp, Mädchen, Weib, Memme oder Tunte. Hier stehen Genus und Sexus zueinander im Widerspruch. In der Regel ist das Genus fest. Ein Nomen, das über Konversion entsteht, kann jedoch maskulin oder feminin sein, vgl. tot, der / die Tote, angestellt, die / der Angestellte (Differenzialgenus). 72 5 Gender und Sprachsystem <?page no="73"?> 5.3 Probleme 5.3.1 Asymmetrien Das Deutsche weist Asymmetrien auf mehreren Ebenen auf, was Benennung von und Bezug auf Frauen anbelangt, z. B. bei Personenbezeichnungen, Ab‐ leitungen, Reihenfolgen und Häufigkeiten, Sprachwandel, Phraseologismen und Metaphern. Bei der Referenz einer sprachlichen Form gibt es mehrere Untertypen. Unter anderem kann zwischen Klassen und Individuen getrennt werden. In dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld bezieht sich der Begriff Dozent auf eine ganze Klasse, nicht auf spezielle Individuen, da‐ her generische (‚verallgemeinernd, generalisierend, nicht-spezifisch‘) bzw. klassenbezogene Referenz. Genauso könnte es heißen Alle Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld. Wenn ein bestimmtes Individuum gemeint ist, handelt es sich um spezifische Referenz, vgl. der Dozent (gemeint ist Herr X. Y. Müller) verdient zu wenig Geld. Dieser Satz kann auch klassenbe‐ zogen gemeint sein, wenn er darauf hinweist, dass generell alle Dozenten nicht viel Geld verdienen (vgl. der Dozent an sich verdient zu wenig Geld). Hier muss der Zusammenhang entscheiden oder die Formulierung bleibt mehrdeutig. Die verschiedenen Referenztypen sind unterschiedlich wichtig für die Versprachlichung von Geschlecht (Diewald / Steinhauer 2017). Dazu tritt die Trennung in die Geschlechtergruppen. Das generische Maskulinum ist eine maskuline Form, die sich auf beide Geschlechter beziehen kann, etwa, wenn in dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die gängige Behauptung ist, dass Frauen selbstverständlich mitgedacht werden. Diese Interpretation ist, wie bereits erwähnt, historisch entstanden und hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Allerdings entspricht der allgemeine Sprachgebrauch nicht immer den grammatischen Vorgaben. Sprecher: innen grenzen klassenbezogene und spezifische Referenzweisen nicht genau voneinander ab, sie verwenden sie nicht präzis. Rein grammatisch gesehen kann nur in verallgemeinernden Verwendungsweisen das generische Maskulinum stehen. Der allgemeine Sprachgebrauch trennte jedoch oft nicht zwischen dieser klassenbezogenen und der spezifischen Referenz. So kommt es zu Sätzen wie Frau Dr. Müller, unser Arzt hier am Klinikum, wird Ihnen weiterhelfen mit einem falsch ver‐ 5.3 Probleme 73 <?page no="74"?> wendeten generischen Maskulinum. Auch im Falle der Prädikative scheiden sich die Meinungen. Für Diewald / Steinhauer (2017: 82 f.) sind Sätze wie sie ist Tischler möglich, aber veraltet, für Kotthoff et al. (2018: 94) grammatisch fraglich, für Motschenbacher (2016) spezifisch. Sie subsumieren Frauen unter der männlichen Norm. Wir finden sie regelmäßig (vgl. auch Schröter et al. 2012). Bei Geschichten wie Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt, der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Der Arzt kommt, aber sagt: „Ich kann nicht operieren. Dies ist mein Sohn.“ wird Arzt männlich ausgelegt, und die Geschichte verwirrt daher, weil es sich um die Mutter des Sohnes handelt. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann die mit dem bestimmten Artikel eingeführte Berufsbezeichnung ge‐ schlechtsindifferent interpretiert werden, wenn der individuelle Sprachge‐ brauch keine Femininformen zulässt, was für eine Vielzahl der Sprecher: in‐ nen noch der Fall ist (vgl. auch Irmen / Köhncke 1996). Dann klingt Arzt aufgrund der Stereotype nach einem Mann. Oft genug wird noch immer nicht zwischen generischen und spezifischen Gebrauchsweisen unterschie‐ den. Klare Trennungen bei Personenbezeichnungen im allgemeinen Sprach‐ gebrauch zwischen klassen- und individuenbezogener Referenz sind ein Zeichen für Sprachwandel, der mit der verbreiteten Verwendung femininer Ableitungen zu erwarten ist. Ein anderes Beispiel für das generische Maskulinum sind Pronomina wie man, niemand oder jemand, zu denen es keine feminine Entsprechung gibt. Sie gelten daher für Männer und Frauen. Der grammatische Bezug ist Maskulinum, was zu irritierenden Formulierungen führen kann, vgl. wer seine Tage hat, der ist oft müde. Unschärfe und Unklarheit sind ein Kritikpunkt am generischen Masku‐ linum, was mit weiteren Bedenken eng zusammenhängt, nämlich, dass Frauen sprachlich nicht sichtbar sind (vgl. Kap. 6) und sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben. Eine Asymmetrie ergibt sich, weil einerseits eine maskuline Form wie der Dozent für weibliche Inhalte ohne formale Markierung stehen kann, während sich eine Femininform immer nur auf Frauen bezieht, und weil andererseits die Selbstverständlichkeit des Mitgemeintseins nicht immer gilt. Mit anderen Worten, Feminina haben eine Verwendungsweise, Maskulina jedoch zwei. Welche gerade erwünscht ist, ist nicht immer klar. 74 5 Gender und Sprachsystem <?page no="75"?> Das generische Maskulinum fasst Frauen unter Männern zusammen. Es ist nicht geschlechtsneutral, denn es macht Frauen sprachlich und kognitiv unsichtbar. Es gibt eine Vielzahl von Begriffen für Frauen, die in der Regel schlech‐ tere Bedeutungen, auch Konnotationen und Assoziationen aufweisen, vgl. Beißzange, Heulsuse, Giftnudel, Klatschbase, alte Jungfer. Das wird bei verwandten Paaren besonders deutlich, vgl. Gouverneur / Gouvernante, Se‐ kretär / Sekretärin, Hausherr / Hausfrau, Jungfrau / Junggeselle. Beim Sprach‐ wandel verschlechtern sich Frauenwörter mehr als Wörter für Männer, vgl. Weib, das ursprünglich neutral verwendet wurde (Bußmann 1995: 134 f.). Für Keller (1994) liegt das an einem Abnutzungseffekt. Männer wollen über und mit Frauen gern höflich sprechen, mit der Zeit werden die höflichen Ausdrücke neutraler. Wohl eher aber dürfte das mit veränderten „Aufgaben“ bzw. mit der Einstellung gegenüber Frauen zusammenhängen. Das Wort Dirne bezeichnete zunächst eine Jungfrau, bedeutete auch ‚Mädchen‘, dann ‚Dienerin‘ (Kluge 1999 und Pfeifer 1999 sind sich hier nicht einig) und schließlich ‚Prostituierte‘. Noch heute werden freizügige Frauen schnell als Schlampe beschimpft. Außerdem führt die Interaktion mit sozialen Umständen dazu, dass an sich neutrale Sprache nicht neutral verwendet wird und sich dieser Gebrauch mit der Zeit als Bedeutungswandel niederschlägt (vgl. Kap. 11.4.1). Ein weiteres Ungleichgewicht existiert auf der morphologischen Ebene (vgl. Bußmann 1995: 137, Scheele / Rothmund 2001: 86). So werden Vorna‐ men in der Regel von Männernamen abgeleitet (Michael / Michaela), anders‐ herum nicht, und es gibt keine Nachnamen auf -frau. Weibliche Nomen werden von männlichen abgeleitet, andersherum gibt es bei Bedarf in der Regel neue Wörter statt Ableitungen, vgl. Krankenpfleger, Entbindungspfle‐ ger. Auf der syntaktischen Ebene erweisen sich Reihenfolgen als genderun‐ gerecht. Bei zweigliedrigen Titeln oder Namenpaaren steht in der Regel der männliche vorn, damit wird automatisch eine Hierarchisierung vorgenom‐ men, vgl. Herr und Frau Müller, Romeo und Julia, Adam und Eva, Tristan und Isolde, Männer und Frauen, Brüder und Schwestern (Hellinger 1990: 43), in den Grammatiken auch er, sie, es. Frequenzanalysen ergeben für männliche und weibliche Formen unterschiedliche Häufigkeiten in Satz und Text. 5.3 Probleme 75 <?page no="76"?> Auch Phraseologismen und Sprichwörter versprachlichen stereotype Asymmetrien. So lernen Kinder schon früh, dass Frauen viel reden und listig, boshaft und dumm seien. Männer seien überlegen, männlich und standhaft (Daniels 1985), vgl. einem Problem Herr werden; ein Mann, ein Wort; Herr im Haus. Auch auf der Wortebene werden Stereotype versprachlicht, vgl. staats‐ männisch, Mannschaft, beherrschen, Herrgott, bemuttern, Rabenmutter, Milchmädchenrechnung. Sprache lenkt unsere Gedanken über Reihenfolgen, denn was zuerst genannt wird, ist wichtiger (Mann und Frau). Ebenso sind Häufigkeiten und Kollokationen relevant. Was zusammen genannt wird, gehört zusammen, vor allem, wenn das oft geschieht (Frau und Mutter). Sprache lenkt über Konnotationen, Assoziationen und mitaktivierte Wortfelder. Die Unterschiede auf lexikalischer und phraseologischer Ebene lassen sich teilweise aus der früheren Rollenverteilung herleiten. Frauen waren keine Seeleute, daher Mann über Bord. Sie hatten privat und beruflich Nebenrol‐ len - Herr im Haus, Herr und Meister. Dies erklärt jedoch nicht, warum die Studien mehr negativ konnotierte Beispiele und mehr Themenbereiche für Frauen finden als für Männer. Hier sind fehlende Manneskraft oder Homose‐ xualität, Trunksucht und Gewalt kritisch (warmer Bruder, Schlappschwanz, Saufbruder, Trunkenbold, Raufbold). Bei Frauen werden Abweichungen von der „natürlichen“ Ordnung und den auferlegten Normen in Form von „zu viel“ Sprechen, Ungehorsam, Bosheit, Unsauberkeit, auch mangelnde Intelligenz, immer wieder aber sexuelle Freizügigkeit sanktioniert. Dies spiegelt gesellschaftliche Klischees wider: Männer müssen stark und potent sein, Frauen schön, brav, fleißig, schwach. Sexualität ist nur im Rahmen der Ehe angebracht. Aufgrund des generischen Maskulinums kommt es zu Asymmetrien bei Personen- und Berufsbezeichnungen, weil es mehr männliche Formen gibt, weil manche davon flexibel interpretierbar sind als männlich oder neutral und weil demgegenüber weibliche Formen klar weiblich aufgefasst werden. Asymmetrien lassen einerseits Frauen sprachlich und damit gedanklich verschwinden, andererseits wirken Femininmarkierungen als auffällig, ne‐ gativ konnotierend und als abweichend, zumindest anfangs. Durch weitere 76 5 Gender und Sprachsystem <?page no="77"?> Asymmetrien wirken darüber hinaus Stereotype. So entwickeln und stabi‐ lisieren sich unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees. 5.3.2 Genus und Sexus als unabhängige Kategorien Grammatisch gesehen seien Genus und Sexus zwei unabhängige Systeme. So argumentieren vor allem viele Gegner: innen einer gendergerechten Sprache und berufen sich auf strukturalistische Ansichten, die der Langue die Priorität einräumen. Für sie ist sowohl die neutrale Interpretation als auch die Verwendung des generischen Maskulinums generell auf sprach‐ systematischer Ebene anzusiedeln und damit regelhaft und notwendig. Dies kollidiert jedoch mit der tatsächlichen Verwendungsweise, denn die Sprachbenutzer: innen interpretieren Genus als Hinweis auf das natürliche Geschlecht. Das ist einer der Hauptdiskussionspunkte der Feministischen Linguistik, da daraus Forderungen nach Änderungen des Sprachsystems folgen. Auch wenn dies auf rein grammatischer Ebene eigentlich gar nicht sein sollte, weil hier grammatische Eigenschaften von Lexemen und Bedeutungsaspekte verwechselt werden, tendieren die Sprachnutzer: innen dennoch immer wieder zu dieser Interpretation. Deswegen werden mas‐ kuline Formen auch männlich aufgefasst. Da außerdem Sprachwandel in der Regel vom Gebrauch ausgeht und sich irgendwann als Regelhaftigkeit und damit Teil des Sprachsystems niederschlägt, verbinden sich hier zwei Pseudoprobleme, die weniger an der Sprachwirklichkeit als vielmehr an der theoretischen Position hängen. Eine Veränderung des Sprachsystems, um Änderungen im Denken zu erreichen, ist für strukturalistisch und generativ orientierte Sprachwissen‐ schaftler: innen nicht möglich. Gerade die zweite Gruppe setzt Sprache unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten als Modul an. Bei solchen Diskussionen geht es darum immer auch um die Verteidigung eigener sprachpolitischer Ideologien, so dass ein Konsens nicht angestrebt wird. Daher sind in den Diskussionen immer wieder die Argumente zu hören, das generische Maskulinum sei neutral und systemhaft und daher nicht zu beanstanden. Deswegen seien Änderungen nicht nötig. Dabei werden historische und psycholinguistische Fakten ignoriert. 5.3 Probleme 77 <?page no="78"?> 10 Das soll auch mit der X-Variante von Lann Hornscheidt erreicht werden, vgl. StudierX, ProfessX. 5.4 Alternativen Die kritischen Diskussionen führten zu der Forderung, u. a. Frauen eigens zu benennen. Dafür bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, zum Bei‐ spiel die Doppel- oder Beidnennung (Studentinnen und Studenten), Beidnen‐ nung mit Schrägstrich (die Studenten / Studentinnen, die Student/ innen), ge‐ schlechtsneutrale Personenbezeichnungen (Studierende, Lehrende im Plural, Lehrkraft) oder das Binnen-I (StudentInnen, LehrerInnen). Der Unterstrich, auch gender gap genannt (Lehrer_innen), und das Sternchen (Lehrer*innen) verweisen auf die Leerstelle zwischen weiblichen und männlichen Formen und berücksichtigen auch „queer“ 10 . Sie sollen dabei bewusst irritieren (vgl. Bergmann / Schößler / Schreck 2012: 13). Viele Verlage, so auch der Verlag dieses Buches, Narr Francke Attempto, bedienen sich des Doppelpunktes (Student: innen) für alle Geschlechter, weil es für Sehbehinderte als relativ barrierefrei gilt. Denn es wird von der Vorlese-Software als kurze Pause, wie beim Glottisschlag, wiedergegeben. Abb. 2: Straßenschild in Basel 78 5 Gender und Sprachsystem <?page no="79"?> Weiter lässt sich der Geschlechtsunterschied lexikalisch, durch den Zu‐ satz von Adjektiven (weiblich, männlich) oder Kompositionsgliedern (Frau, Mann) klären, vgl. männliches / weibliches Kind, Ehefrau / Ehemann. Eine andere Möglichkeit ist Abstraktion: Statt sich zwischen einem Präsidenten und einer Präsidentin zu entscheiden, kann das Präsidium gewählt werden (Bußmann / Hellinger 2003: 157). Alternativ vermeiden geschickte Umfor‐ mulierungen generische Maskulina, vgl. Antragsteller müssen das Formular vollständig ausfüllen vs. Um einen Antrag zu stellen, ist das Formular vollstän‐ dig auszufüllen. 5.5 Strategien des Widerstands Die Forderungen, durch sprachliche Änderungen mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu erzielen, stießen und stoßen immer noch auf er‐ staunliche Widerstände (Kap. 2.4). Hellinger (1990: 133 ff.) stellte sechs Strategien zusammen: leugnen, beschwichtigen, ignorieren, warnen, her‐ absetzen und lächerlich machen. Es wird geleugnet, dass Sprache und Gesellschaft zusammenhängen und dass Maskulina Frauen ausschließen. Die Interrelation wird als trivial gesehen, ein möglicher Sexismus durch Maskulina sei nicht so gemeint. Die Thematisierung des Problems und die Alternativvorschläge werden ignoriert. Vor den Alternativen wird gewarnt, da sie umständlich oder unschön seien und die Redefreiheit bedrohten. Schließlich werden die Vertreter: innen gendergerechter Sprache bzw. ihre Arbeiten als unwissenschaftlich kritisiert oder auch lächerlich gemacht. Diese Vorgehensweisen sind nach wie vor aktuell trotz beinahe 45 Jahre dauernder Versuche, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben und Argumente durch Forschungsergebnisse zu untermauern. Nach wie vor wird behauptet, generische Maskulina seien geschlechtsneutral und Genus und Sexus seien stets zu trennen. Einige meinen, kognitive Effekte seien zwar möglich, aber nicht wichtig, ein aktives Bemühen um gendergerechte Sprache sei daher unnötig oder gar unzumutbar. Noch weiter gehen polemische oder gar aggressive Kritik oder Spott (Mensch*_Innen). Hierzu sei auf die vielen Kommentare zu ernst gemeinten wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwiesen, vorzugsweise im Internet, wo im Schutz der Anonymität mit emotionalen und oft auch beleidigenden Bewertungen wie Schwachsinn, Quatsch, Gender-Gaga, Sprachverstümmelung, Sprachklempnerinnen, totali‐ tärer Irrsinn, unsinnig, abstrus, manipulativ nicht gespart wird, ohne gleich‐ 5.5 Strategien des Widerstands 79 <?page no="80"?> 11 Vgl. https: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ die-geschlechtergerechte-sprache-macht-linguistis che-denkfehler-ld.1472991, Martin Haspelmaths Antwort: https: / / dlc.hypotheses.org/ 1 730, und nochmals Bayer: https: / / dlc.hypotheses.org/ 1736 (abgerufen 24.07.2023). zeitig die Argumente und die Diskussion zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in seriösen Zeitschriften und Zeitungen sind immer wieder aggressive und un‐ wissenschaftliche Kommentare zu lesen. Auch in jüngerer Zeit gibt es noch Diskussionen zwischen wissenschaftlichen und polemischen Gruppen, die immer wieder die längst entkräfteten Argumente bemühen. So will der Band von Meinunger / Baumann (2017) in einem gut gemeinten Versuch einen sachlichen und aktuellen Beitrag zur Debatte zusammenstellen, wiederholt aber alte, längst widerlegte Argumente oder Fehler und ist auch stilistisch keineswegs immer sachlich-neutral. Es ist die Rede von Ungeheuerlichkeiten, von Unsinnin, die es auf die Gipfelin treibt, von Genderei. Die Reihenfolge Bürgerinnen und Bürger wird als verkehrt herum bezeichnet, die Sapir- Whorf-Hypothese als sprachdeterminierend charakterisiert und nicht ernst genommen. Das generische Maskulinum sei Schicksal, reiche vollkommen aus und richte sich an alle Menschen. Gendergerechte Sprache sei ermüdend, unmöglich zu lesen. Als weiteres Beispiel sei Josef Bayer in der NZZ genannt mit Formulie‐ rungen wie „[u]nd da kommen jetzt auf einmal missionarisch getriebene Sprachklempnerinnen daher“ 11 . Die Debatte ist mittlerweile von konserva‐ tiven, rechts ausgerichteten Seiten auch politisch instrumentalisiert worden. Zusammenfassung Genus und Sexus sind verschiedene Systeme, die grammatische vs. seman‐ tische Informationen anzeigen. Sprachen nutzen unterschiedlich viele Ge‐ nera, das Deutsche hat drei. Unabhängig davon markieren Sprachen das Geschlecht grammatisch, lexikalisch und sozial. Auf der grammatischen Ebene werden im Deutschen wie in vielen anderen Sprachen Maskulina auch neutral bzw. generisch verwendet und dann entsprechend generisches Maskulinum genannt. Das war im Sprachsystem historisch nicht gegeben. Bei Menschen- und Tierbezeichnungen korrelieren Sexus und Genus oft, so dass sich die Grenzen zwischen dem grammatischen und semantischen System verwischen und Genus immer mehr als semantische Information 80 5 Gender und Sprachsystem <?page no="81"?> uminterpretiert wird. Die Sprachbenutzer: innen fassen daher Maskulina tatsächlich männlich auf, so dass die generische Funktion unklar und beliebig wird. Dies können viele psycholinguistische Verfahren belegen. Das generische Maskulinum wird u. a. deswegen kritisiert, weil es mehr‐ deutig ist, weil Frauen sprachlich nicht sichtbar werden, weil sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben und weniger wahrgenommen werden. Darüber hinaus kommt es zu weiteren Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern auf sprachlicher Ebene, die unterschwellige Botschaf‐ ten zu Hierarchien und Klischees vermitteln. In den Debatten um mehr Gleichberechtigung stellten sich diese Aspekte als Kritikpunkte heraus: Sol‐ che sprachlichen Asymmetrien bestimmen gesellschaftliche Asymmetrien wesentlich mit. Versuche, dies zu ändern, etwa mithilfe von alternativen Schreibweisen, die Frauen sichtbar machen oder die weitere Gendertypen berücksichtigen, stießen und stoßen nach wie vor auf erheblichen Wider‐ stand. Viele der sprachlichen Asymmetrien auf Wort- und Phraseologismen‐ ebene spiegeln längst überkommene Klischees wider. Einige Beispiele lassen sich historisch erklären, denn auch heute bildet unsere Sprache die früher männlich dominierte Wirklichkeit ab. Entsprechend ist es berechtigt, neue Realitäten auch sprachlich auszudrücken. Forschungsaufgaben In kleineren Forschungsarbeiten können emotionale, polemische Kommen‐ tare von Wissenschaftler: innen und Politiker: innen auf Methodik, Taktik und den Wahrheitsgehalt hin geprüft werden als Übung zu Manipulation, richtigem Argumentieren und wissenschaftlich korrektem Verhalten. Hier ist vor allem auf Falschaussagen und Verschweigen von Tatsachen zu achten. Haß-Zumkehr (2003) macht Vorschläge, wie sich anhand von Kor‐ pusanalysen Sprachwandelerscheinungen untersuchen lassen. Motschen‐ bacher (2017) listet einige Fragestellungen und Analysevorschläge auf. Kleinere Studien können aktuelle Texte auf die Verwendung des generischen Maskulinums hin prüfen. Hier erscheinen auch bei unbelebten Subjekten mittlerweile öfter Femininformen, etwa die Firma Müller ist Auftraggeberin für die Baumaßnahmen, die Mafia gilt als Drahtzieherin hinter den Morden, die Universitätsbibliothek als Betreiberin, die Firma X als Partnerin. Es gibt Forschungsaufgaben 81 <?page no="82"?> bislang keine Untersuchungen, seit wann, in welchem Ausmaß, in welchen Textzusammenhängen und bezogen auf welche Begriffe dieser Typ Kongru‐ enz auftritt. Ein Vergleich mit älteren Texten mit mehr maskulinen Formen könnte einen Sprachwandel zeigen. Ein anderer Aspekt bezieht sich auf belebte Bezugsnomen im grammatischen Neutrum, aber mit weiblicher Semantik, die vermehrt feminin aufgenommen werden, vgl. das Mädchen von nebenan ist der Gewinner / die Gewinnerin des Wettbewerbs. Literatur Diewald / Steinhauer (2017) bieten einen übersichtlichen und gut verständ‐ lichen Überblick über die sprachsystematischen Grundlagen. Zur Vertiefung eignen sich beispielsweise Samel (2000), Bußmann / Hellinger (2003), Kott‐ hoff et al. (2018). Vor- und Nachteile der Möglichkeiten bespricht Henning (2016). Zur Geschichte des generischen Maskulinums vgl. Doleschal (2002), Irmen / Steiger (2005). Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von u. a. Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Diewald / Stein‐ hauer (2017) diskutieren die verschiedenen Möglichkeiten gendergerechter Sprache und die damit verbundenen Probleme und bieten Formulierungshil‐ fen. Argumentationshilfen bei Einwänden stellen auch Tanzberger / Schnei‐ der (2007) oder Schneider et al. (2011) zusammen. Zu sprachpolitischen Maßnahmen und Umsetzungen in Österreich vgl. Wetschanow / Doleschal (2013), in der Schweiz vgl. Elmiger et al. (2017). Zu Widerständen gegen Gleichstellungsarbeit und gendergerechte Sprache vgl. u. a. Hayn / Marx (2019), für Österreich Wetschanow / Doleschal (2013). Die textlinguistisch ausgerichtete Studie von Pettersson (2011) untersucht die konkrete Ver‐ wendung generischer Maskulina in Abhängigkeit von Textsorte, Ko- und Kontext. Die meisten Institutionen haben mittlerweile Leitfäden zu gendergerech‐ ter Sprache zusammengestellt, die Vorschläge, Formulierungs-, aber auch Argumentationshilfen und Verhaltensratschläge enthalten. Eine Sammlung findet sich z. B. bei Usinger oder unter http: / / www.forschungsnetzwerk .at/ downloadpub/ gender_budget__leitfaden_checklisten.pdf. Wetschanow (2017) gibt eine kritische Zusammenstellung. Harnisch (2016) macht auf Fehler aufmerksam (der Studierende statt der Student ist keine Verbesserung). 82 5 Gender und Sprachsystem <?page no="83"?> 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln 6.1 Das Problem sprachlicher Asymmetrien Wie erwähnt weist das Deutsche auf der Ebene des Sprachsystems zahlrei‐ che Asymmetrien auf. Vor allem: Die männliche Form ist die unmarkierte, neutrale bzw. „normale“. Daher sind Frauen sprachlich weniger repräsen‐ tiert. Diese Unausgewogenheit fördert die Benachteiligung von Frauen und verstärkt die im Denken verankerten Stereotype (Kap. 7). Hier wirkt auch die Lebenserfahrung mit hinein. Wer häufig Mitglieder einer Gruppe mit bestimmten Eigenschaften erlebt, überträgt diese Eigenschaften auf alle Mitglieder der Gruppe, besonders, wenn sie auffällig und / oder unangenehm sind. Ein Stereotyp entsteht oder wird verstärkt. Lange wurde der benachtei‐ ligende Einfluss sprachlicher Asymmetrien lediglich angenommen, was zu erstaunlich intensiver Ablehnung sowohl der These als auch der Maßnah‐ men führte (und führt). In diesem Kapitel soll nun die psycholinguistische Forschung zu Wort kommen, die dem tatsächlichen Zusammenhang zwi‐ schen Sprache und Denken vor allem anhand des generischen Maskulinums nachgeht. Viele der Ansätze und Experimente sind dabei so konzipiert, dass sie sich auch im Rahmen von Abschlussarbeiten umsetzen lassen. Relevant sind solche Studien, weil sie zeigen, dass asymmetrische Sprache nicht nur ungerecht, sondern auch verletzend oder schädlich ist. Seit einigen Jahren gibt es Studien, die den Einfluss von grammatischen Strukturen und von Lexik auf das Denken erforschen. Sie gehen dabei auch der Frage nach, ob die eigentlich rein grammatische Kategorie Genus nicht doch kognitiv-semantisch belegt ist und ob bei der Dekodierung der Zusammenhang zwischen Genus und Sexus relevant wird. Verstehen wir das generische Maskulinum also tatsächlich neutral wie stets propagiert? Interpretieren wir es maskulin? Oder ist es unklar und wir meinen manch‐ mal Frauen mit, manchmal nicht? Dann wären Kontext und Vorwissen für eine Entscheidung mit verantwortlich. Eine derartig mehrdeutige Form führt aber in jedem Fall zu Missverständnissen. Wenn Frauen tatsächlich automatisch mitgemeint sind, müssten wir das kognitiv nachvollziehen <?page no="84"?> können. Es geht also zunächst darum zu prüfen, was die Menschen bei einer generisch maskulinen Form denken: Evoziert sie gleich häufig männliche wie weibliche Bilder oder eher nur männliche? Nachweisbare signifikante Ungleichheiten führen zu der nächsten Aufgabe, nämlich herauszufinden, wie diese sprachliche Ungleichheit korrigiert werden kann. Es geht also sowohl um Wirkung als auch um Alternativen. Eine weitere Frage beschäftigt sich damit, ob die Interpretationen der Maskulina auf einer asymmetrischen sprachlichen Darstellung beruhen oder ob weitere Aspekte wie Erfahrung und Stereotype mit einfließen. Schließlich sind auch die realen Auswirkungen asymmetrischer Assoziatio‐ nen für die Debatte zu gendergerechter Sprache zu bedenken, weil sie eine breite Auseinandersetzung und praktische Umsetzung von Verbesserungs‐ vorschlägen nach sich ziehen müssen. Die Untersuchungen der Psycholinguistik haben damit Auswirkungen nicht nur auf Genderdebatten und Genderfairness, sondern auch auf unsere Vorstellungen von sprachlicher Relativität und, auf lange Sicht, auf die sprachlichen Möglichkeiten der Manipulation und Diskriminierung sowohl von Frauen als auch von nicht-binären Personen. 6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache 6.2.1 Generisches Maskulinum im Deutschen Zur Frage nach dem Verständnis maskuliner Formen als neutral oder männlich gab es verschiedene Forschungsszenarien, die sich über die Zeit hin verbesserten und verfeinerten. Eines der ersten Experimente, das die mentalen Asymmetrien darlegte, stammt von Moulton et al. (1978) für das Englische. Dann konnte Klein (1988) Kalverkämpers u. a. (Kap. 2.4) theore‐ tische Überlegungen entkräften, als er zeigte, dass Genus und Sexus bzw. Sprachsystem und -verwendung durchaus etwas miteinander zu tun haben, da das männliche Genus bei Personenbezeichnungen nicht neutral, sondern überwiegend auf Männer referierend verwendet wird. Seine Studie mit insgesamt 290 Versuchspersonen zeichnet sich durch ein einfaches und gut nachvollziehbares Forschungsdesign aus. Die Versuchspersonen bekamen kurze Texte mit einem Einleitungssatz mit generischem Maskulinum und einem Folgesatz mit einer Lücke, in die ein Vorname oder ein Titel einzu‐ setzen war, vgl. „Die Wähler unseres Stadtteils gingen dieses Jahr erstmals in 84 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="85"?> der neuen Grundschule zur Wahlurne. (Anrede: … / Vorname: …). Schmidt konnte den richtigen Raum nicht finden“ (ibd.: 314). Dazu gab es Aufgaben zum Ablenken wie „Mein Freund beschwerte sich bei der Stadtverwaltung: a) ‚Der Autolärm ist unerträglich! ‘ b) ‚Sauerei, dieser Krach von den Autos! ‘“ (ibd. 313). Als Coverstory wurde den Proband: innen mitgeteilt, es ginge in der Studie um stilistische Aspekte im Umgang miteinander, so dass möglichst wenige den Sinn der Studie durchschauen konnten. Denn das hätte die Ergebnisse verfälscht. Da die Thematik oft emotionale Reaktionen hervorruft und viele Menschen eine vorgefasste Meinung dazu haben oder voreingenommen sind, ist besonders auf die Verwendung von Distraktoren zu achten, die den eigentlichen Zweck der Untersuchungen verschleiern. In Nachgesprächen wurden diejenigen, die das Thema erkannt hatten, ermittelt und die Beiträge aussortiert. Auch dies ist wichtig, um die Qualität der Ergebnisse nicht zu gefährden. Schließlich fanden bei dieser Studie auch nichtsprachliche Faktoren Berücksichtigung. Denn erstens sollten die Kontexte möglichst neutral sein wie beim Szenario Schule, zweitens auch die Personenbezeichnungen (Einwohner, Schüler, Bürger, Leser, Kunden, Wähler). Beides sollte sich auf erfahrungsgemäß nicht männlich dominierte Bereiche beziehen. Im ersten Teil mit generischem Maskulinum (Wähler) überwogen die maskulinen Antworten deutlich, bis zu 81 %. An der zweiten Studie nah‐ men neue Versuchspersonen teil. Nun enthielten die Sätze aus Test A Beidnennungen (Wählerinnen und Wähler). Trotzdem aber verteilten sich die Antworten nicht gleich. Immer noch überwogen männliche Namen bzw. Titel, wenn auch mit etwas niedrigeren Werten. Darüber hinaus beobachtete Klein im Teil B, dass es zu einem fast ausgewogenen Verhältnis kam in Situationen, in denen eher mehr Frauen agieren wie beim Einkaufen. Auch im Fall von Schülerinnen und Schüler war im Gegensatz zu Test A, bei dem zu 20 % weiblich interpretiert wurde, nun das Verhältnis ausgewogen, wahrscheinlich, weil die männliche Form bereits als geschlechtsspezifisch interpretiert wird. Das bedeutet, so Klein, dass stereotype und erfahrungs‐ bedingte kognitive Faktoren bei den Entscheidungen eine Rolle spielen und das generische Maskulinum einen eindeutig verstärkenden Einfluss hat. Weitere Pronomina in den Beispieltexten könnten die männliche Lesart verstärken (Kotthoff et al. 2018: 100). Die Benachteiligung der Frauen durch das generische Maskulinum ist nachweisbar, trotz allem aber nicht rein sprachlich bedingt. Die Schwierigkeit liegt darin, diese Aspekte voneinander zu trennen. 6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache 85 <?page no="86"?> Auch Scheele / Gauler (1993) ließen Versuchspersonen Sätze mit Lücken ausfüllen („Wissenschaftler von Bedeutung wählen ihre Probleme, wie sie ihre ____ wählen“). Bei dieser sehr freien Entscheidungsmöglichkeit kommen jedoch zu viele unspezifische Antworten (Deo, Schuhe) im Ver‐ gleich zu solchen, die Rückschlüsse auf ein gedachtes Konzept Frau / Mann erlauben (Rasierwasser oder Frauen als Hinweis auf die Männerkategorie). Auch ist der interpretatorische Anteil zu hoch. Trotzdem war die Deutung des Testwortes Wissenschaftler als männlich klar erkennbar. Alternative Formulierungen führen zum gedanklichen Einbezug von Frauen, wenn sie explizit sind (statt Wissenschaftler: Männer wie Frauen im Gegensatz zu Mensch oder Individuum). Bei Irmen / Köhncke (1996) sollten die Proband: innen anhand von Sätzen mit genusvariierenden Personenbezeichnungen spontan und unter Zeit‐ druck entscheiden, welchem Sexus, m. oder f., die bezeichneten Personen angehören. Die Autorinnen verwendeten 76 Sätze wie „Ein Student kann Bafög beantragen“ oder „jemand hat eben das letzte Brot gekauft“ (ibd.: 165), außerdem 124 Sätze als Distraktoren, also mit einem anderen Thema, z. B. „Eine Forelle ernährt sich von Insekten“ oder „Das Bier ist unterwegs warm geworden“. Hier ging es entsprechend um andere Kategorien. Außerdem wurde den Versuchspersonen gesagt, die Studie beschäftige sich mit der Re‐ aktionsschnelligkeit bei den Antworten. Beides sollte die Teilnehmer: innen wieder vom eigentlichen Gegenstand der Studie ablenken. Für die Sätze mit Personenbezeichnungen wurden bewusst keine Berufe gewählt, in denen überwiegend Männer arbeiten, um Kontexteffekte zu vermeiden. Es zeigt sich: Auch in gezielt geschlechtsneutralen Zusammenhängen wird das generi‐ sche Maskulinum männlich verstanden. Für Braun et al. (1998) lasen die Versuchspersonen Texte zu einem Thema mit entweder generischen Maskulina, Beidnennungen oder Neutralformen, vgl. Wissenschaftler - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - wissen‐ schaftlich Tätige. Die Texte verwendeten eine ablenkende Coverstory und berücksichtigten Faktoren wie Ko- und Kontext. Dazu bestimmten andere Versuchsteilnehmer: innen zunächst Berufs- und Sportgruppen als eher männlich (Geophysik, Hockey), weiblich (Ökotrophologie, Gymnastik) oder 86 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="87"?> neutral (Badminton) konnotiert. So entstand beispielsweise ein Zeitungstext über eine wissenschaftliche Veranstaltung mit Begriffen wie Geophysiker und Teilnehmer und weitere Texte mit verschiedenen Verbindungen der al‐ ternativen Formen, was die Möglichkeit einer Kreuzqualifikation von Spra‐ che und Kontext eröffnete. Die Versuchspersonen erhielten verschiedene Fragen zum Text als Distraktoren. Nebenbei sollten sie den Frauenanteil der im Text genannten Personengruppen schätzen. Es zeigte sich u. a., dass sogar im typischen Frauenkontext bei Neutralformen der Frauenanteil deutlich niedriger beurteilt wurde als der der Männer (47,81 vs. 60,03 %). Frauen schätzten gegenüber den Männern bei den Beidnennungen mehr Frauen als bei den maskulinen Formen. Der männliche Kontext führte im Maskulinum zum höchsten Männeranteil, bei den Neutralformen war er geringer, bei den Beidnennungen noch geringer. Aber die Schwankungen der geschätzten Frauenanteile waren groß. Die Schlussfolgerungen entsprechen denen der Studie Kleins. Bei vermeintlich neutralen Endungen (Studier-ende) kann der Kontext eine ausschlaggebende oder sogar dominante Rolle spielen. Neutrale Formulierungen rufen keine Verbesserungen in der Wahrneh‐ mung hervor und stellen somit keine Alternative dar. Tendenziell ent‐ scheiden sich erwachsene männliche Versuchspersonen etwas mehr für maskuline Interpretationen. Auch Heise (2000) wollte einerseits die Wirkung der männlichen Form, andererseits die verschiedener Alternativen testen. Ihre insgesamt 150 Ver‐ suchspersonen hatten zu einer Person, die in einem Satz vorgegeben wurde, eine schriftliche Beschreibung zu verfassen und einen Namen zu vergeben. Die Form der Vorgabe wurde variiert zwischen generischem Maskulinum, Binnen-I- und Schrägstrichvarianten, vgl. Vegetarier, VegetarierInnen, Vege‐ tarier/ innen, sowie einer geschlechtsneutralen Form (Kinder). Keine der Versuchspersonen erkannte die Absicht der Untersuchung. Wieder erwies es sich, dass das generische Maskulinum männlich interpretiert wird. Neutrale Varianten ergaben mehr männliche Konkretisierungen. Die Form mit dem Binnen-I führte zu einer Frauendominanz, Schrägstrichvarianten zu einer Gleichverteilung. Männer interpretierten die Formen insgesamt häufiger männlich als Frauen. 6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache 87 <?page no="88"?> Stahlberg et al. (2001) baten in ihrer Studie um drei Namen von Politikern, Sportlern, Sängern etc. Neben dem generischen Maskulinum verwendeten sie die Beidnennung (Politikerinnen und Politiker) oder die Variante mit dem Binnen-I (PolitikerInnen) bei der Frageformulierung. Das generische Maskulinum ergab hauptsächlich Männernamen, die Beidnennung führte zu mehr Frauennamen, die I-Variante bevorzugte noch stärker die Frauenant‐ worten. Weibliche Versuchspersonen führten insgesamt mehr Frauennamen auf. Ähnlich fragten Braun et al. (2002) nach dem Lieblingssportler oder Lieblingsromanhelden und zählten, wie häufig Männer und Frauen als Antwort genannt wurden. In allen Studien interpretierten die Versuchspersonen die maskuline Form überwiegend männlich (vgl. auch Rothmund / Scheele 2004, Gabriel / Mel‐ lenberger 2004, Irmen / Roßberg 2004, Kusterle 2011). Dazu kommt, dass die Entscheidung weiblich bei einem generischen Maskulinum länger dauert im Vergleich zur Entscheidung männlich und auch im Vergleich zu weiblich bei einer femininen Form (Irmen / Köhncke 1996, Stahlberg / Sczesny 2001). Das generische Maskulinum kann keinesfalls als geschlechtsneutral gelten, denn es führt eindeutig zu einem geringeren gedanklichen Einbezug von Frauen. Neutrale Formulierungen rufen ebenfalls bevor‐ zugt männliche Assoziationen hervor, die I-Schreibweise bevorzugt weibliche. Beidnennungen erhöhen den gedanklichen Frauenanteil. Eine durchaus interessante Beobachtung stammt von Rothmund / Scheele (2004), die feststellten, dass eine Fußnote, die die maskuline Form als Vereinfachung charakterisiert, aber natürlich Frauen mitmeint, zu einer noch stärkeren Assoziation der generischen Maskulina mit Männern führt. Der Hinweis, aus ökonomischen und lesetechnischen Gründen auf ge‐ schlechtergerechte Formulierungen zu verzichten, ist kontraproduktiv und sollte vermieden werden. Schließlich sei noch auf Arbeiten verwiesen, die die Behauptung widerlegen, Alternativformen würden den Lesefluss und die Rezeption von Texten 88 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="89"?> stören. Denn gendergerechte Sprache in beispielsweise informierenden bzw. Gesetzestexten erschwert das Verständnis nicht (Rothmund / Christmann 2002, Braun et al. 2007, Blake / Klimmt 2010, Steiger-Loerbroks / von Stock‐ hausen 2014). Das gilt auch für Hörbeispiele. In Jöckel et al. (2021) wurden 770 Erwachsenen und 142 Heranwachsenden Texte mit generischem Mas‐ kulinum, Doppelnennung, Neutralisierung und Gender_Gap vorgelesen, letzteres wird mit dem Glottisschlag, was als kurze Pause empfunden wird, verwirklicht. Diese Variante wird erst in letzter Zeit bei den Studien mitein‐ bezogen. Sie ist noch zu neu, als dass wir Gewöhnungseffekte erwarten können. Bei den ersten drei Texttypen ergaben sich kaum Unterschiede in der Bewertung der Verständlichkeit. Für den vierten Texttyp sank die Ver‐ ständlichkeit deutlich ab. Allerdings führte er zu erhöhter Repräsentation von Frauen, wenn ihr Anteil geschätzt werden sollte. Männliche Teilnehmer empfanden die Textversion mit generischem Maskulinum als verständlicher, obwohl sie sie genauso gut verarbeiteten wie die Alternativtexte. Die schlechtere Verständlichkeit war also rein subjektiv (Braun et al. 2007). Dieses viel zitierte Argument gegen gendergerechte Sprache ist mithin widerlegt. Alternativformen erschweren die Textrezeption nicht. Oelkers (1996) beschäftigte sich nicht mit Personenbzw. Berufsbezeich‐ nungen, sondern mit rückverweisenden Pronomina. Sie wollte wissen, wie ihre 74 Versuchspersonen bei einem Sexus-Genus-Konflikt entscheiden. Die These der Gegner: innen der Feministischen Linguistik lautete ja u. a., es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Sexus und Genus. Wenn das zutrifft, sollte in Konfliktsituationen ausschließlich grammatisch entschieden werden, etwa bei Texten wie „Elizabeth Taylor plant den achten Gang zum Traualtar. Auf einer Prominentenparty in Beverly Hills gab der Filmstar offiziell … (seine / ihre) Heiratsabsichten bekannt […]“ (Oelkers 1996: 8). Zu den Ver‐ suchspersonen zählten bewusst keine Linguistikstudierenden. Sie entschie‐ den zu 70,9 % der Fälle biologisch (Elizabeth - Filmstar: sie). Aufgrund dieses hohen Wertes dürfte das Prinzip, die Kongruenz biologisch zu wählen, sehr ernst zu nehmen sein. Als weiteres Ergebnis hielt die Autorin fest, dass mit mehr Pronomina für ein Bezugswort in längeren syntaktischen Abschnitten die biologischen Entscheidungen zunahmen. Beides bedeutet, dass Genus 6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache 89 <?page no="90"?> 12 Die fehlende Sichtbarmachung nicht-binärer Personen wird von jüngeren als Mangel empfunden (Osterkamp/ Wünsch 2022). und Sexus sicher nicht unabhängig voneinander wirken, sondern sich im Falle von Personennamen und Pronomina systematisch aufeinander beziehen und dass häufigere grammatisch motivierte Pronominalisierungen das Wirken des generischen Maskulinums als männlich noch verstärken, da hier normalerweise eben nicht grammatisch (weiblicher Name … der Gast …, er …), sondern biologisch (weiblicher Name … der Gast …, sie …) gedacht wird. Bei den meisten dieser Experimente ist es etwas problematisch, dass die Versuchspersonen fast immer Studierende waren, zumeist des Faches Psy‐ chologie. Sie sind nicht als repräsentativ für den Bevölkerungsdurchschnitt zu sehen, denn sie sind gebildet, in der Regel in den Zwanzigern und gehen, vor allem im Fall von Studierenden der Psychologie, routiniert mit der Experimentalsituation um. Weiterhin bilden Studien, bei denen sich die Versuchspersonen zwischen einer weiblichen und einer männlichen Form entscheiden müssen, nicht ab, inwiefern Frauen „mitgemeint“ sind. Stahlberg / Sczesny (2001) merken darüber hinaus an, dass negative Kontexte wie Versagen oder Straftaten bisher kaum untersucht wurden (2001). Die Versuchsgruppen, Reiztypen und Kontexte sind in Zukunft zu erweitern. Trotz allem - die Ergebnisse sprechen dafür, dass Frauen im generischen Maskulinum unterrepräsentiert sind, daher sollte eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind und sein sollen, das generische Maskulinum aufgeben. In neueren Studien lassen sich bereits erste Gewöhnungseffekte erken‐ nen. Stefanowitsch (2021) zeigt anhand von Assoziationstests mit schriftli‐ chem Material, dass die Sichtbarkeit von Frauen bei der Sternchen-Variante bei 30,5 % liegt gegenüber 18 % beim generischen Maskulinum und 28,5 % bei der Doppelnennung. Da aber die Sternchen-Variante auch nicht-binäre Personen miteinschließt, ist sie zu bevorzugen. Michaux et al. (2021) unter‐ suchten mit knapp tausend Versuchspersonen, wie neben dem generischen Maskulinum verschiedene Alternativen inklusive Glottisschlag in Hörtex‐ ten bewertet werden. An dieser Studie nahmen auch nicht-binäre Personen teil 12 . Neutralformen und Doppelnennungen wurden besser bewertet als der Glottisschlag. Frauen empfanden ihn, Doppelnennung und Neutralisierung deutlich besser als Männer. Die nicht-binären Versuchspersonen bewerteten 90 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="91"?> den Glottisschlag, der alle Geschlechter anspricht, und die Neutralform, die das Geschlecht unsichtbar macht, als am passendsten. Interessant war auch, dass 43,7 % der Versuchsteilnehmer nicht meinten, dass das Gendern in mündlichem Kontext mehr stört als im schriftlichen. Ein Fazit der neueren Arbeiten ist, dass gendergerechte Sprache mehr Zustimmung erfährt, dass zunehmend auch alle Geschlechter anerkannt werden, dass aber die sprach‐ lichen Veränderungen nur einen Teil an der gesellschaftlichen Akzeptanz ausmachen neben Aufklärung, Diskussion und Medienpräsenz. 6.2.2 Generisches Maskulinum in anderen Sprachen Im Französischen wie überhaupt in den romanischen Sprachen gab es ebenfalls Reformversuche, da die maskulinen Formen oft, aber nicht immer, für beide Geschlechter verwendet werden. Auch hier werden dadurch Frauen ausgeblendet, vgl. u. a. die Arbeiten von Gygax und Kolleg: innen. Das Englische drückt Geschlecht über Pronomina aus, die sich teils auf bestimmte Personen, teils auf ganze Gruppen beziehen können. Zur Dekodierung sind Kontext und der Rückgriff auf Stereotype daher beson‐ ders wichtig. Studien zur Interpretation des generischen Pronomens he zeigen, dass es, wie auch das generische Maskulinum im Deutschen, präfe‐ riert männlich verstanden wird und dass Kontext und Stereotype einen deutlichen Einfluss auf die Interpretation ausüben. Sowohl in Studien zu erinnertem Wissen als auch in Experimenten, in denen Versuchspersonen männliche Pronomina lasen und weibliche und männliche Gesichter zuord‐ nen sollten, die nur kurz zu sehen waren, wirkten englische maskuline Pronomina routinemäßig männlich. Die sprachlich-kognitive Verbindung der Pronomina he und man als männlich erweist sich als sehr ausgeprägt (Ng 1990, Gastil 1990). Als Alternativen bieten sich der Plural (oder sogar als Singular) they oder der abwechselnde Gebrauch von she und he bzw. he or she an (vgl. Madson / Hessling 1999, Conkright et al. 2000). Ohne Zusatzinformationen folgen Englischsprachige den Thesen „Menschen sind männlich“ und schon bei Kindern „Tiere sind männlich“, solange es keine gegenteiligen Hinweise gibt (Lambdin et al. 2003). 6.2.3 Erste Veränderungen und Ergebnisse Bei einigen Studien stellte sich heraus, dass laut Aussage der Versuchsper‐ sonen das Vorhandensein sowohl femininer als auch maskuliner Formen 6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache 91 <?page no="92"?> dazu führt, die Maskulina nicht als Sammelbegriff, sondern rein männlich zu verstehen (Irmen / Köhncke 1996). Dieser Effekt ist durchaus erwünscht und führt zu einer gleichmäßigeren Interpretation. Ein vergleichbarer Fall liegt im Englischen bei der Verwendung von gay und homosexual vor, die zunächst geschlechtsneutral denotiert waren, durch die Gegenüberstellung mit lesbian dann aber hauptsächlich auf Männer bezogen wurden (Hamilton 1988: 1225). Einige Wissenschaftler: innen beurteilen die Versuche, die Sprache gen‐ dergerechter zu gestalten, als weniger effektiv als eingangs gedacht. Im Englischen wird zwar inzwischen das generische Maskulinum, was die Pro‐ nomina anbetrifft, weniger gebraucht, dafür gibt es aber mehr Beispielsätze mit Stereotypen. Ebenso werden Formen wie chairperson nur für Frauen eingesetzt und stehen chairman gegenüber (Ehrlich / King 1994, Romaine 2010). Merkel et al. (2012) und Formanowicz et al. (2013) waren für ihre Sprachen ebenfalls nicht mit den Ergebnissen der Reformen zufrieden, denn sie fan‐ den, dass Alternativen zum generischen Maskulinum im Italienischen bzw. Polnischen Nachteile mit sich bringen, da weibliche Berufsbezeichnungen mit einem niedrigeren Status assoziiert werden als männliche. Dies führten sie jedoch auf den Neuheitseffekt der Formen zurück und auf die Verbindung von Femininformen und Feminismus, der für viele Männer und auch Frauen unangenehme Assoziationen hervorruft. Aber solange dieser Neuheitseffekt die Ableitungen quasi betont und mit ihnen die negativen Assoziationen, behindert das die Aufwertung der weiblichen Formen. Deswegen müssen regelmäßig und konsequent Beidnennungen Verwendung finden, damit sich die Sprecher: innen daran gewöhnen, sie als normal empfinden und dann die negativen Assoziationen aufgeben (Elsen 2014: 84). 6.3 Interaktion mit außersprachlichen Faktoren Der Einfluss nichtsprachlicher Informationen wie Kontext oder Rollenty‐ pizität, die Frequenzen aufgrund von Erfahrungswerten vermitteln und zusammen mit Sprache auf unser Denken wirken, sollte nicht unterschätzt werden. So dürfte Päpste keine weiblichen Implikationen hervorrufen, da es (quasi) keine weiblichen Päpste gab / gibt. Bei AuPair denken wir aufgrund der Erfahrung an junge Mädchen, beim Stichwort Baustelle eher an Männer. Damit ist auch auf einen neutralen Kontext zu achten bzw. der jeweilige 92 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="93"?> Kontext mit in die Diskussion einzubeziehen. Zu diesem Aspekt gab es eine frühe Studie von Rummler (1995). Sie ließ Achtbis Elfjährige Bilder zu Berufen (Friseur, Lehrer, Arzt, Verkäufer) malen. Die Kinder zeichneten hauptsächlich Männer, sogar, wenn die Schüler: innen im Fragebogen schrie‐ ben, es gäbe mehr Ärztinnen als Ärzte etc. Trotz besseren Wissens urteilten sie also grammatisch. Eine andere Gruppe hatte Berufsbezeichnungen zu Bildern zu finden, hier wählten die Kinder etwas häufiger Frauen als bei der ersten Gruppe. Das heißt, dass Sprache unsere Vorstellungen beeinflusst, selbst wenn diese Vorstellungen dadurch in Widerspruch zu unserem Wissen und unserer Erfahrung geraten. Auch stereotype Einstellungen wirken auf die Interpretation von Perso‐ nenbezeichnungen (in Kinderbüchern auch von Tieren) ein. Das ist nicht grundsätzlich identisch mit Frequenzwissen, denn Ärzte beispielsweise sind allgemeinpraktisch sehr oft Frauen, trotzdem ist der typische Arzt männlich. Häufig bedingen sich Frequenz- und Stereotypwissen jedoch. Pascal Gygax führte dazu sprachkontrastive Experimente mit deutsch-, französisch- und englischsprachigen Muttersprachler: innen durch, um zu vergleichen, ob eine Sprache ohne Genus wie das Englische zu anderen Ergebnissen führt. Während singers keine generische Markierung trägt, trennen die anderen beiden Sprachen zwischen chanteuses / chanteurs, Sängerinnen / Sänger. Da‐ bei wurde angenommen, dass die kulturellen Hintergründe der Sprachge‐ meinschaften, Großbritannien und der Schweiz, vergleichbar und ohne Konsequenzen für die Untersuchung sind. Die Autor: innen zeigten, dass im Englischen, jedoch nicht im Deutschen und Französischen, Stereotypizität von Rollenbezeichnungen Einfluss auf die Auslegung maskuliner Formen nimmt (Gygax et al. 2008, vgl. auch Gygax et al. 2021). Für die Interpretation benötigt das Englische weitere Informationen wie Namen, Pronomina oder eben stereotypes Vorwissen. Andererseits haben sich bei den generischen Maskulina Überlagerungen mit stereotypen Auffassungen gezeigt. Wenn stereotyp weibliche (Kosmetiker), männliche (Spione) und neutrale (Musiker) Rollenbezeichnungen im (mask.) Plural in neutralen Kontexten und ohne zusätzliche Informationen angeboten wurden, vgl. „Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof “ (Gygax et al. 2008: 472), richten sich Englischspre‐ cher: innen bei der Interpretation der Rollenbezeichnung nach dem Stereo‐ typ, die anderen beiden Sprachgruppen nach der maskulinen Form (für das Polnische vgl. Formanowicz et al. 2013). Die stereotypen Vorstellungen werden automatisch und sofort mit den Rollenbezeichnungen aktiviert und lassen sich schwer unterdrücken (Oakhill et al. 2005, Carreiras et al. 6.3 Interaktion mit außersprachlichen Faktoren 93 <?page no="94"?> 1996). Auch ERP-Studien und eye tracking-Experimente stützen die große Bedeutung des Vorwissens bei der Interpretation von Rollenbezeichnungen in Texten, es wird früher aktiviert als grammatische Information. Die „Menschen sind männlich“-Annahme besteht unabhängig davon (für das Deutsche z. B. Irmen 2007, Irmen et al. 2010). Bilinguale Versuchspersonen bleiben bei den Strategien der jeweiligen Sprache: Im Französischen richten sie sich nach der Grammatik (infirmiers als männlich), im Englischen nach den Stereotypen (nurses als weiblich) (Sato et al. 2013). Ein anderer Fall liegt mit dem Norwegischen vor. Dort gingen Femininsuffixe verloren, so dass maskuline Formen mehr und mehr auch generisch wurden und die Interpretation des Geschlechts nun über Stereotype erfolgt (Gabriel / Gygax 2008, 2016). Stereotypenwissen wird herangezogen, wenn grammatisch-lexikalisches Wissen keine klare Zuordnung zulässt, und das führt zu klischeehaften Interpretationen von Personen- und Rollenbezeichnungen. Bei Kollisionen hebt grammatisches Wissen Stereotype auf, maskuline Formen werden im Spanischen, Französischen und Deutschen maskulin verstanden (Carreiras et al. 1996, vgl. auch Irmen / Roßberg 2004), ein klarer Hinweis auf den Einfluss der Sprache auf das Denken (Gygax et al. 2008). Schließlich ist noch die Einstellung zum Thema geschlechtergerechte Sprache nicht ganz ohne Gewicht, denn bei Voreingenommenheit haben Alternativformulierungen kaum Wirkung (Stahlberg / Sczesny 2001), was die Politik auf den Plan ruft, bei der gesellschaftlichen Akzeptanz mitzuwir‐ ken und dafür zu sorgen, dass alle Geschlechter möglichst gleichwertige Anerkennung genießen. Insgesamt schwächen symmetrische Formulierungen stereotype Assozia‐ tionen von Frauen- und Männerbezeichnung ab. Vor allem Beidnennungen üben diese Wirkung aus, da dann auf beide Geschlechter explizit Bezug genommen wird, und zwar auch in anderen Sprachen als Deutsch (Ver‐ vecken et al. 2015). Als kürzere Version eignet sich die Schreibung mit Schrägstrich, während Neutralformen zu eher männlichen, das Binnen-I zu eher weiblichen Interpretationen führen. 94 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="95"?> 6.4 Auswirkungen Welche Folgen haben die sprachlichen Asymmetrien und die dadurch ausgelöste gedankliche Benachteiligung von Frauen? Auf kognitiver Ebene wird Genus oft fälschlich als Sexus interpretiert, durch die sprachliche Unterrepräsentation der Frauen erhalten männliche Formen mehr Gewicht und wirken prestigeträchtiger. Aber es sind auch praktische Effekte zu bedenken. 6.4.1 Folgen auf kognitiver Ebene Zunächst einmal scheinen Sprachen mit grammatischem Geschlecht se‐ xistische Denkweisen zu verstärken. Sie unterscheiden ständig zwischen (mindestens) zwei Geschlechtern. Sowohl grammatische (Ärzt-in) als auch lexikalische Markierungen (female doctor) heben die Bedeutung des Ge‐ schlechts permanent hervor und aktivieren so die entsprechenden Katego‐ rien (Gabriel / Gygax 2016), so dass Sprachbenutzer: innen immer wieder daran erinnert werden, auch unbewusst, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Durch die Versprachlichung von Geschlecht bleibt es permanent im Bewusstsein der Sprecher: innen und könnte sich implizit auf die Bewertung einer Person auswirken, da Frauen traditionell die schlechtere Position innehaben und feminine Bezeichnungen diesen Status mittransportieren. Bei bilingualen und bei Personen mit zweiter Fremdsprache (Englisch vs. Französisch, Spanisch) fördert die Sprache mit grammatischem Geschlecht Einstellungen wie „Geld für die Ausbildung von Frauen auszugeben ist Verschwendung, weil sie sowieso bald ihre Arbeit aufgeben, um Kinder zu bekommen und aufzuziehen“ (Wasserman / Weseley 2009). Kinder verstehen das generische Maskulinum nicht neutral (Switzer 1990, Liben et al. 2002, Vervecken / Hannover 2015: 78; Kap. 7.3). Sie lernen da‐ durch auch über das Sprachsystem die stereotype Verteilung der Geschlech‐ ter. Außerdem wurden nicht nur Zusammenhänge zwischen dem gramma‐ tischen Geschlecht und Vorstellungen von tatsächlichem Geschlecht bei Menschen nachgewiesen, sondern auch bei Gegenständen oder Tieren. Denn ein weiterer Effekt des Genus ist die automatische Übertragung weiblicher bzw. männlicher Eigenschaften auf Tiere (Giraffe als weiblich) und häufig, aber nicht immer auch auf nicht belebte Objekte (der Mond ist männlicher als die Sonne), vgl. Sera et al. (1994), Boroditsky et al. (2003), 6.4 Auswirkungen 95 <?page no="96"?> Bickes / Mohrs (2010), Imai et al. (2013). Bei einigen Studien erwies sich der Effekt im Deutschen als schwächer bzw. kaum zu sehen im Vergleich zum Spanischen und Französischen (Koch et al. 2007). Bei den Objekten sind die Ergebnisse in der Forschung daher noch nicht klar und nicht verallgemeinerbar (vgl. Mickan et al. 2014, Sato et al. 2017; vgl. auch Cubelli et al. 2011). Trotz allem aber ist die gedankliche Verbindung von Genus und Sexus intensiv. Eine Zuordnung ist auch ohne erfahrungsbasierte Hinweise möglich. Genus ist, kognitiv betrachtet, keine rein grammatische und damit neutrale Kategorie, sondern wird unter Umständen als Hinweis auf das natürliche Geschlecht aufgefasst. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass die maskuline Form in jedem Fall zur Unterrepräsentation von Frauen führt. Das sollte zu denken geben, weil es Konsequenzen für den Alltag mit sich bringen muss, wenn sich Frauen bei Stellenanzeigen nicht bewerben, wenn bei der Besetzung von Ämtern und bei Wahlaufrufen nicht an Frauen gedacht wird (Stahlberg / Sczesny 2001, Stahlberg et al. 2001) oder wenn Frauen Rechte wie das Wahlrecht verwehrt werden, weil das Gesetz von Schweizern und nicht Schweizerinnen spricht. Auch hierzu gibt es Studien. 6.4.2 Folgen für Verhalten und Gesellschaft Guiora et al. (1982) zeigten den direkten Zusammenhang zwischen Ver‐ sprachlichung von Geschlecht und dem Erkennen der eigenen Geschlechts‐ zugehörigkeit. In einer Studie mit 262 16 bis 42 Monate alten Kindern kannten die hebräisch-sprachigen (mit Genus) ab 25 bis 27 Monaten ihr Geschlecht im Gegensatz zu den englisch- und finnisch-sprachigen (je ohne Genuskategorie) mit 34 bis 36 Monaten. Je klarer die sprachliche Markie‐ rung, desto früher sind sich die Kinder ihres Geschlechtes bewusst. Es ist also grundsätzlich von Auswirkungen des grammatischen Systems auszugehen, selbst auf die frühkindliche kognitive Entwicklung. Weitere Studien zeigen, dass benachteiligende Formulierungen ernstere Konsequenzen nach sich ziehen als eine momentane gedankliche Unterrepräsentanz. 96 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="97"?> Traditionell gilt: Was ein Mann tut, ist besser als wenn die Frau das Glei‐ che tut. Bei asymmetrischen (deutschsprachigen) Stellenanzeigen werden Frauen, die sich auf eine Führungsposition bewerben, von Versuchspersonen als weniger befähigt eingeschätzt als bei geschlechtergerechten Formulie‐ rungen (Geschäftsführerin / Geschäftsführer). Dann nämlich eignen sich nach Angabe der Versuchspersonen Frauen und Männer gleich gut. Das galt jedoch nicht bei der Anmerkung m./ f., sondern bei der Ausformulierung beider Bezeichnungen (Horvath / Sczesny 2015). Gendergerechte Sprache hat einen positiven Einfluss auf die mentale Repräsentation von Frauen (Steiger-Loerbroks / von Stockhausen 2014). Sie führt auch zu einer Abschwächung negativer Assoziationen bei Frauenbe‐ zeichnungen. So schätzen Kinder und Jugendliche den beruflichen Erfolg von Frauen bei Beidnennung der Berufsbezeichnung höher ein (Vervecken et al. 2013, Vervecken et al. 2015; für Erwachsene Horvath / Sczesny 2015), und es entsteht die Vorstellung, dass beide Geschlechter für den Beruf infrage kommen. In einem weiteren gedanklichen Schritt gehen Status und Schwierigkeiten zurück und mehr Kinder trauen sich die Ausübung der Tätigkeit zu. Sie sind eher bereit, sich eine entsprechende Ausbildung vorzustellen. Das führt wiederum dazu, dass eigentlich typisch männliche Berufsgruppen für mehr Kinder und Jugendliche an Attraktivität gewinnen (Verwecken et al. 2013, Vervecken / Hannover 2015). Bei Bewerbungsgesprächen erzeugen generische Maskulina mehr emo‐ tionale Distanz als neutrale Formen oder Beidnennungen und signalisieren mangelndes Interesse, so dass Bewerberinnen im Gespräch verunsichert werden und sich aus dem weiteren Bewerbungsverfahren eher zurückzie‐ hen. Denn auch in dieser Situation fühlen sich die befragten Frauen durch das Maskulinum nicht mitgemeint und nicht zugehörig, so Stout / Dasgupta (2011) nach gestellten Bewerbungsgesprächen mit 169, 250 und 89 Teilneh‐ mer: innen, „linguistic cues can subtly inform women that their group does not belong in the given situation“ (Stout / Dasgupta 2011: 766). Dabei liegt die Betonung auf dem Unterschwelligen, denn den Sprachbenutzer: innen sind solche Wirkungen nicht bewusst. Jugendliche lassen sich durch die sprachlich vermittelten Vorstellungen zu Geschlechtsunterschieden und Stereotypen in ihrem Berufsbild beeinflussen - „Männerberufe sind schwie‐ riger als Frauenberufe“. Das und das nicht Bewusste dabei sind gefährlich, weil sich die jungen Menschen entsprechend in ihrer Berufswahl ausrichten und weil das in vielen Ländern dazu führt, dass höher qualifizierte Berufe unterbesetzt sind (Vervecken / Hannover 2015). 6.4 Auswirkungen 97 <?page no="98"?> …-describing potential future professions to adolescents in gender-fair language may help to reduce the restrictions that boys, and more particularly girls, impose on themselves when deciding which occupations to aspire to (Vervecken et al. 2015: 3). Auf Stellenanzeigen in asymmetrischer Sprache bewerben sich weniger Frauen (bzw. Männer). Beide interessieren sich mehr für Stellen, wenn sie gendergerecht ausgeschrieben werden (Bem / Bem 1973, Gaucher et al. 2011 und vgl. Kap. 11.4.2), so dass sich Vorurteile gegenüber bestimmten Berufsgruppen durch symmetrische Sprache verringern. Ein erstaunliches Ergebnis liefert ein Vergleich zwischen Ländern mit Sprachen mit verschiedenen grammatischen Systemen in Bezug auf die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, denn in Ländern mit Sprachen mit Genus gibt es weniger Geschlechtergerechtigkeit im Vergleich zu denen mit anderen grammatischen Systemen. Dies ist das Ergebnis einer Studie mit Daten aus 111 Ländern. Der Maßstab an Geschlechtergleichheit richtete sich nach dem World Economic Forum’s Global Gender Gap Index mit Angaben zu wirtschaftlichen, politischen, gesundheitlichen und ausbildungsrelevanten Unterschieden unter Berücksichtigung religiöser und extremer politischer Faktoren wie Fundamentalismus oder Rechtsradikalismus (Prewitt-Freilino et al. 2012). Aber was hat größeren Einfluss auf Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache, das Sprachsystem selbst oder sprachpolitische Maßnahmen? Wenn Sprachen mit Genus mit mehr (Schweiz, Österreich) und weniger (Polen, Tschechien) politisch-sozialer Gleichberechtigung und egalitären Werten betrachtet werden, zeigt es sich, dass gendergerechte Sprache am Beispiel von Stellenanzeigen mit den kulturellen Vorstellungen von Gleichberechti‐ gung korrespondiert. Geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen gab es in den beiden Ländern mit mehr Gleichberechtigung wesentlich öfter als in den anderen beiden (79 % vs. 13 %), wobei die symmetrischen Varianten in den von Frauen dominierten Berufen, etwa im Gesundheitswesen, häufiger waren als in den Männerdomänen wie Schlosser oder Bauingenieur. Richtli‐ nien und politische Vorgaben scheinen durchaus mit verantwortlich zu sein, da sie gerade in den beiden deutschsprachigen Ländern schon seit vielen Jahren existieren (Hodel et al. 2017). Das heißt, dass sowohl strukturelle Gegebenheiten der Sprache als auch ihr Gebrauch ihren Anteil bei der Sicht‐ barmachung von Frauen und der Durchsetzung von Gleichberechtigung zu haben scheinen, zumindest, was diese vier Länder anbetrifft. Dass eine 98 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="99"?> veränderte Einstellung, auch unterstützt durch sprachliche Veränderung wie Gender_Gap, Sternchen oder Doppelpunkt, die Sichtbarmachung von nicht-binären Personen fördert, deutet sich jetzt bereits an. 6.5 Deaktivierung von falschen Zuordnungen Wenn feminine neben maskulinen Formen häufig genug erscheinen, ver‐ schiebt sich der Bedeutungsumfang der maskulinen Formen langsam von ‚männlich‘ / ‚neutral‘ zu nur noch ‚männlich‘. Das Ziel ist eine klarere und gleichberechtigtere Sprache. Dabei können wir alle mithelfen, indem wir selbst entsprechend schreiben und sprechen und indem wir andere darauf aufmerksam machen und als Vorbild auftreten. Zusammenfassung Auf textueller Ebene weist die Sprache zahlreiche Asymmetrien zum Nach‐ teil der Frauen auf. Seit Ende der achtziger Jahre untersuchen psycholingu‐ istische Studien, ob sie sich tatsächlich auf das Verständnis auswirken, ob sie Frauen unsichtbar machen oder herabsetzen und ob das auch unser Handeln beeinflusst. Dazu entstanden im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche For‐ schungsdesigns, die letztendlich stets zeigen konnten, dass maskuline For‐ men in der Mehrzahl auch männlich verstanden werden, dass, zumindest bei Personenreferenz, die Sprachbenutzer: innen Sexus und Genus gleichsetzen und dass im Zweifelsfall Geschlechtsstereotype wirken. Diese bevorteilen Männer und wirken umso stärker, je weniger Frauen explizit benannt sind. Damit erweisen sich die Asymmetrien in der Sprache neben stereotypen Denkmustern als mitverantwortlich für mangelnde Gleichberechtigung. Aus diesem Grund wurden zahlreiche Alternativstrategien entwickelt, die zu mehr Gerechtigkeit führen und Frauen sichtbar machen sollten. Ein häufig herangezogenes Argument gegen Alternativformen, sie seien um‐ ständlich und erschwerten das Textverständnis, wurde zwischenzeitlich widerlegt. Sie schwächen aber grundsätzlich stereotype Interpretationen ab. Die Ersatzformulierungen haben allerdings nicht alle die gleichen Effekte. Es hat sich gezeigt, dass durch das „Nicht-Mitgemeintfühlen“ unbewusst auch Distanz zu Männerdomänen aufgebaut wird und es zu weniger Bereitschaft 6.5 Deaktivierung von falschen Zuordnungen 99 <?page no="100"?> der Frauen führt, sich mit typischen Männerrollen auseinanderzusetzen, was wiederum die stereotype Verteilung verstärkt. Langfristig führt gen‐ dergerechte Sprache zur Aufwertung der prestigeärmeren „Frauenberufe“ und zu einer faireren Beteiligung der Geschlechter an den verschiedenen Berufsgruppen. Damit zahlt sie sich auch für diejenigen Männer aus, die gern in überwiegend von Frauen ausgeübten Berufen arbeiten möchten. Die Wechselwirkung zwischen Sprache und Denken eröffnet uns die Möglichkeit, die Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern. Forschungsaufgaben Anregungen oder Material für eigene Studien liefern Klein (1988), Gastil (1990), Irmen / Köhncke (1996), Conkright et al. (2000), Rothmund / Scheele (2004), Vigliocco et al. (2005), Irmen (2007), Wasserman / Weseley (2009), Irmen et al. (2010), Gaucher et al. (2011), Kusterle (2011), Merkel et al. (2012), Sato et al. (2013), Vervecken et al. (2013), Lévy et al. (2014), Imai et al. (2014), Steiger-Loerbroks / von Stockhausen (2014), Bülow / Jakob (2017), Bülow / Harnisch (2017). Viele der früheren Experimente eignen sich dazu, wiederholt zu werden, um Veränderungen in den letzten zwanzig Jahren zu prüfen (wie etwa Ste‐ fanowitsch 2021). Genauso können sie aber für kontrastive Fragestellungen herangezogen werden mit Parametern wie Stadt / Land, niedrige / höhere Ausbildung / Status, alt / jung, konservative / offene Menschen, Menschen aus etablierten / neuen Demokratien etc., um den Anteil der verschiedenen Einflussfaktoren zu evaluieren. Die Studien lassen sich auch in verbesserter Form und mit anderen Versuchspersonen durchführen (auch Gastil 1990, auf das Deutsche übertragen). Andere Studien können prüfen, welche Formulierungen neben den Be‐ rufsbezeichnungen genau Geschlechtsstereotype transportieren und auslö‐ sen. Außerdem sind gezielt auch Kinder zu untersuchen. Schließlich ist zu hinterfragen, ob die aktuellen Gebrauchsweisen wirklich neutral sind oder ob sich alternative Asymmetrien im Deutschen einschleichen, wie im Englischen beobachtet. 100 6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln <?page no="101"?> Literatur Dass ein Ersatz des generischen Maskulinums durch neutrale Formen wie Personen oder Studierende ebenfalls zu bevorzugt männlichen Assoziationen führt, stellten auch Scheele / Gauler (1993), Braun et al. (1998), Heise (2000) und Kusterle (2011) fest. Beidnennungen erhöhen den gedanklichen Frauen‐ anteil (Klein 1988, Braun et al. 1998, Stahlberg / Sczesny 2001, Stahlberg et al. 2001, Kusterle 2011). Die I-Schreibweise bevorzugt weibliche Assoziationen (Stahlberg et al. 2001, Stahlberg / Sczesny 2001, Rothmund / Scheele 2004). Eine ausführliche Studie mit Österreicher: innen unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte wie Alter und Wohnort liegt mit Kusterle (2011) vor. Überblicksdarstellungen stammen von Gabriel / Gygax (2016) und Sczesny et al. (2016). Informationen zu anderen Sprachen stellen vor allem Hellin‐ ger / Bußmann (2001 ff.) zusammen, vgl. außerdem Vigliocco et al. (2005), Brauer / Landry (2008), Gabriel / Gygax (2008), Gygax / Gabriel (2011), Cubelli et al. (2011), Gygax et al. (2012, 2014), Garnham et al. (2012), Merkel et al. (2012), Vervecken et al. (2015). Zu einem Überblick über die verschiedenen Effekte und Meinungen der alternativen Schreibweisen im Laufe der letzten Jahre vgl. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Studien_und_Umfragen_zu_geschl echtergerechter_Sprache (26.07.2023). Literatur 101 <?page no="103"?> 13 Der linguistische Stereotypenbegriff im Sinne Putnams ist hier nicht gemeint. 7 Stereotype In the older toddler room, a girl was playing in the kitchen. Two boys sat down at the table and the girl began to serve them coffee. One of the boys commented that he wanted a hotdog. The caregiver called to the girl and said, ‘He wants a hotdog. Can you be his waitress and serve him a hotdog? ’ (Chick et al. 2002: 151 f.). Wie entstehen Geschlechtsstereotype und warum sind sie wichtig? Das Wissen um Geschlechtsrollen erwerben wir in den ersten Lebens‐ jahren, und es prägt uns ein Leben lang. Das geschieht vor allem auch sprachlich. Denn in Texten und Interaktionen stoßen wir Gedanken an, bauen sie auf und formen sie. Als Teil des Alltagswissens pflegen wir dabei unbewusst Stereotype auch über Sprache. Das Elternhaus und die anderen an der Sozialisation beteiligten Gruppen und Institutionen sowie die Medien liefern Informationen und reagieren auf Verhalten, so dass Stereotype erzeugt, verstärkt und verinnerlicht werden. Damit entwickeln sie sich zu einem Teil unseres Selbstbildes, ohne dass wir das unbedingt so wollen. Allerdings schränken Stereotype unseren Gedanken-, Gefühls- und Handlungsspielraum ein, denn sie bestehen aus starren und groben klischeehaften Vereinfachungen. Dadurch begrenzen sie schon Kinder in Entwicklung, Entfaltungsmöglichkeiten und Lebensentwürfen. Die meisten Mädchen wählen nach wie vor die typischen Frauenberufe mit wenig Aufstiegschancen und geringerer Entlohnung. Es ist daher wichtig, sich dessen bewusst zu werden, damit wir unseren Teil dazu beitragen können, um gegenzusteuern. 7.1 Begriff Der Begriff des Stereotyps tritt in verschiedenen Bedeutungszusammen‐ hängen und Kontexten auf. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind Stereo‐ type 13 schwer greifbar. Kilian (2005) spricht von assoziativ-semantischen Stereotypen am Beispiel von ‚dumm‘ für ein Schaf. Sie entstehen aus häufigen und / oder relevanten Eigenschaften oder Meinungen, die kollektiv <?page no="104"?> gelten, den Status von Assoziationen besitzen, aber denotative Bedeutung vorgaukeln (Kilian 2005: 126). Solch ein Wissen wird rein sprachlich vermit‐ telt und immer wieder weitergereicht, beispielsweise über Nominalphrasen bzw. Kollokationen wie dummes Schaf (ibd.: 129). Entsprechend gehören Stereotype nicht zur Bedeutungsstruktur eines Wortes. Stereotype sind kognitive Schemata, die automatisch aktiviert und an‐ gewendet werden und die Selbstwahrnehmung sowie die Wahrnehmung anderer filtern. Die Soziologie diskutiert das Konzept seit knapp hundert Jahren. Stereotypes […] are primarily cognitive and are defined as beliefs, shared by members of one group, about the shared characteristics of another group. Prejudice is a socially shared judgement or evaluation of the group including the feelings (affect) associated with that judgement (Wright / Taylor 2003: 433). Stereotype basieren oft auf tatsächlichen Beobachtungen (so sind viele Frauen rein körperlich schwächer als Männer), werden aber zu stark vereinfachten, generalisierenden und gleichzeitig starren Meinungen über Gruppen. Sie gehören, bewusst oder unbewusst, zu unserem Alltagswissen. Meist sind sie kulturbezogen. Geschlechtsstereotype sagen uns, wie Männer und Frauen zu sein oder nicht zu sein haben, bezogen auf Aussehen, Verhalten, Interessen. Derartige Kategorisierungen sind nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, weil sie anfangs bei der Wahrnehmung und Orientie‐ rung helfen können, wenn sie den Interpretationsspielraum einschränken. Daher bedeuten sie eine wichtige Ökonomisierungsstrategie im Umgang mit anderen. Allerdings blenden sie Individuelles aus und zwingen uns un‐ bewusst zu klischeehaften Bildern, die zur Übernahme traditioneller Rollen führen. Sie teilen die Welt in Gruppen und normales und erwünschtes bzw. nicht normales, nicht erwünschtes Aussehen und Verhalten. Solche nichtrationalen, generalisierenden Meinungen über andere Gruppen sind dazu prädestiniert, sich zu Vorurteilen zu entwickeln, wenn sie nicht rechtzeitig aufgelöst werden, wobei die Trennlinie äußerst unscharf ist. Durch die Pflege althergebrachter Stereotype bleiben traditionelle Machtstrukturen stabil. Wenn sich ein konkreter, zu stark vereinfachter Ausschnitt aus der Wirklichkeit verfestigt, blendet das Veränderung, Vielfalt und Individualität aus. Die anderen verkümmern zu austauschbaren Repräsentant: innen einer Gruppe. Einige dieser Vorstellungen stimmen - großangelegte Langzeitstu‐ dien zeigen, dass Mädchen besser lesen können und Jungen bei einigen 104 7 Stereotype <?page no="105"?> Aspekten des räumlichen Denkens überlegen sind (vgl. Kap. 8). Sie stimmen aber nicht immer und nicht für alle Menschen. „Females are expected to be dependent, noncompetitive, submissive, nurturing, intuitive, and to possess a higher moral and aesthetic sense than men“ (Cralley / Ruscher 2005: 301). Geschlechtsstereotype wirken sich darauf aus, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen, etwa, wie sie sprechen. Dreijährige Kinder zeigen bereits geschlechtstypisches Sprach‐ verhalten in Rollenspielen: mehr Imperative in der Männerrolle, indirekte Aufforderungen in der Frauenrolle (Gottburgsen 2004). Jungen überschätzen ihre Leistungen, Lehrer: innen erkennen die Leistungen der Mädchen nicht unbedingt an (Faulstich-Wieland et al. 2009: 218). Geschlechtsstereotype führen dazu, dass Frauen und Männer trotz gleichen Sprachverhaltens unterschiedlich bewertet werden. Das „Konzept der stereotypgestützten Wahrnehmung von Sprache“ zielt auf den voreingenommenen Eindruck und die Beurteilung sprachlicher Verhaltensweisen ab, die zwar gleich sein können, aber unterschiedlich erscheinen. Gottburgsen fasst zusammen, dass sowohl für den englischals auch den deutschsprachigen Raum gilt: „‚Frauen - expressiv-gemeinschaftsorientiert‘ und ‚Männer - instrumentellselbstbehauptend‘“ (Gottburgsen 2004: 38, vgl. auch Kap. 9). Die Einschät‐ zungen hängen aber nicht allein vom Geschlecht der Sprecher: innen ab, sondern ergeben sich aus der Kombination mit anderen Faktoren wie Kleidung oder weiteren Verhaltensweisen. Stereotype werden außerdem auf andere Ebenen übertragen. So empfinden wir eine körperlich starke Frau automatisch als aggressiver und unabhängiger (Golombok / Fivush 1994: 21). Tendenziell werden typisch männliche Kennzeichen höher geschätzt als die der Frauen (ibd.: 19). Zu diesen Kennzeichen gehört auch das Sprachverhalten. Most representations of male and female linguistic behavior are interpretable as symbolic statements about the nature of male and female persons, and about the social relationships which should properly obtain between them (Cameron 2014: 282). Stereotype haben eine ontogenetische und eine gesellschaftlich-historische Dimension. Jean-Jacques Rousseau propagierte seit dem 18. Jahrhundert ein Bild der Frau als Hure oder Heilige, verbunden mit Natur, Emotionalität und Empfindsamkeit, als passiv und nicht rational (Schößler 2012). Davon ist immer noch einiges aktiv. Zwar sind Stereotype an sich immer auch abhängig von einer Gesellschaft mit ihrer individuellen Geschichte. Die 7.1 Begriff 105 <?page no="106"?> Frauen- und Männerstereotype ähneln sich jedoch in den unterschiedlichs‐ ten Kulturen. In einer Liste bei Williams et al. aus 25 Ländern sind die typischen Eigenschaften der Frauen feminine, affectionate, emotional, super‐ stitious, attractive, sensitive, sexy, die der Männer masculine, adventurous, strong, coarse, forceful, tough (Williams et al. 1999: 519). Für Taylor (2003) sind typisch weibliche Züge „submissive, dependent, unintelligent, emotional, receptive, intuitive, weak, timid, content, passive, cooperative, sensitive, sex object, attractive due to physical appearance“, während für Männer gilt „dominant, independent, intelligent, rational, assertive, analytical, strong, brave, ambitious, active, competitive, insensitive, sexually aggressive, at‐ tractive due to achievement“ (Macionis in Taylor 2003: 304). Aus den histori‐ schen, traditionellen Rollenverteilungen ergeben sich typische Frauen- und Männerbilder. Frauen sind zu Hause und kümmern sich um Kinder, kochen, putzen. Sie sind schwach und müssen beschützt und umsorgt werden. Männer sind unterwegs und verdienen das Geld. Sie sind stark und für das Wohlergehen der Familie verantwortlich. Viele Studien verweisen auf die Stabilität bereits etablierter Stereotype. Aber manche soziale Veränderung bewirkt mittlerweile doch eine etwas andere Wahrnehmung von Frauen. Kulturübergreifend werden seit den 1970er Jahren Führungspositionen etwas weniger maskulin beschrieben, vor allem von Frauen, was am höheren Anteil der Frauen in solchen Positionen liegen mag (Koenig et al. 2011). Während heute sowohl in den USA als auch in Deutschland Frauen eher als kompetent und dominant gesehen werden, bleiben Männerstereotype jedoch bestehen, was mit darauf zurückzuführen ist, dass Männer beim Haushalt nach wie vor sehr eingeschränkt mitwirken. In den letzten zwanzig Jahren ist für Männer der Anteil der unbezahlten Arbeit zu Hause nur um acht Minuten täglich gestiegen (CEWS 2019b: 13). Zumindest in den USA werden Frauen vermehrt als intelligenter einge‐ schätzt (Vervecken et al. 2015: 7). Deutsche Werbeanzeigen thematisieren auch deutlich weniger die klassische Hausfrau und Mutter. Frauen und Männer erscheinen eher gleichwertig, was dem gesellschaftlichen Wandel zumindest entgegenkommt. Aber Fachleute sind immer noch Männer (Pitt‐ ner 2014). Obwohl sich die Rollenklischees aufgrund des tatsächlichen Rollenwandels etwas geändert haben, klafft nach wie vor eine große Lücke zwischen Stereotypen und Realität. Stereotype Bilder von ‚Emanzen‘, Vamps, Müttern und Hausfrauen, von Helden, Beschützern und Weicheiern zeigen uns, wie Frau und Mann zu sein 106 7 Stereotype <?page no="107"?> 14 Beispiele für Stereotype stellen nicht die Ansicht der Autorin dar. und nicht zu sein haben. Sie geben die Norm vor und disqualifizieren Ab‐ weichungen. Das mit Rollen und Berufen verbundene stereotype Geschlecht (z. B. Chirurg = männlich) ist Teil des Konzeptes. Es wird automatisch aktiviert und lässt sich nicht unterdrücken (Oakhill et al. 2005). Damit halten Stereotype die soziale Ordnung stabil. Geschlechtsstereotype sind aufgrund ihrer zweigleisigen Wirkung beson‐ ders effektiv: Wenn Frauen und Männer den positiven Stereotypen entsprechen, werden sie sozial belohnt, vielleicht sogar von anderen be‐ wundert, so dass sich das Verhalten verstärkt. Die negativen Stereotype wiederum dienen als Rechtfertigung zur Diskriminierung von Mädchen und Frauen. 7.2 Beispiele Beispiele für Stereotype 14 sind Italiener essen gern Nudeln, Deutsche sind pünktlich, Schweizer sind langsam. Beispiele für Geschlechtsstereotype sind Frauen können nicht einparken, ein Junge weint nicht, Männer sind schlecht in Sprachen, Männer reden nur über Fußball und Autos und nie über Gefühle, Frauen eignen sich nicht für Führungspositionen, weil sie nett und mitfühlend sind (Koenig et al. 2011), Männer sind besonders intelligent (brilliance-= male stereotype, vgl. Bian et al. 2017). Weiterhin sind Menschen männlich, wenn nichts anderes gesagt oder wenn unklar dargestellt (people = male hypothesis [male as norm], Hamilton 1991-- der Mann ist der typischere Mensch). Geschlechtsstereotypische Interferenzen entstehen, wenn wir von einem typischen Merkmal auf ein anderes schließen, weil sie häufig zusammen auftreten, etwa: Eine Person mit langen Haaren trägt eher ein Kleid als Hosen. Eine Person, die ein Kleid anhat, trägt eher hochhackige Schuhe. 7.2 Beispiele 107 <?page no="108"?> 7.3 Wann treten Geschlechtsstereotype auf? Evidenzen für die Existenz von Geschlechtsstereotypen finden wir bei sehr kleinen Kindern im Alter von drei bis acht Monaten in Form von Spiel‐ zeugvorlieben sowie bei Primaten. Daher dürfen angeborene Einflüsse, die sich im weiteren Verlauf verstärken, nicht ausgeschlossen werden (Kap. 8). Geschlechtstypische Vorlieben für Puppen bzw. Autos zeigen sich im ersten, stärker während des zweiten Lebensjahres. Die Interessen der Mädchen und Jungen gehen früh auseinander, wobei die Mädchen, nicht aber die Jungen, offenbar schon die geschlechtstypischen Zuordnungen kennen (Serbin et al. 2001). Kindergartenkinder meinen, dass Jungen schneller Roller fahren, obwohl es in diesem Alter kaum körperliche Unterschiede gibt und die Kinder das also nicht aufgrund eigener Erfahrungen glauben können (Dannhauer 1973: 109 ff.). Dreibis Fünfjährige besitzen ein ausgeprägtes Wissen zu Ge‐ schlechtsstereotypen (Golombok / Fivush 1994: 24 ff., vgl. auch Dannhauer 1973, Leinbach et al. 1997, Bauer et al. 1998, del Río / Strasser 2013). Sie asso‐ ziieren geschlechtsstereotypgemäß Jungen mit körperlicher Aggression und Mädchen mit verbaler bzw. Beziehungsaggression. Sie haben Schwierigkei‐ ten, sich an nicht konformes Verhalten zu erinnern und interpretieren und erinnern sich an Verhalten gemäß diesen Stereotypen, interessanterweise auch, wenn es anders war (memory distortion), denn die internalisierten Rollenvorstellungen dienen mit als Vorgabe für eigene Verhaltensweisen und für die Interpretation des Handelns anderer. Weitere Untersuchungen zeigten, dass Sechsbis Neunjährige das gleiche Verhalten bei Jungen negativer interpretieren als bei Mädchen, konform mit dem Stereotyp, dass Jungen weniger sozial agieren (Heyman 2001). Siebenjährige meinen, dass Jungen in Mathematik besser sind als Mädchen (Muzzatti / Agnoli 2007). Das Stereotyp erscheint vor tatsächlichen Leistungsunterschieden (Cvencek et al. 2011). Sechsbis zehnjährige Mädchen, jedoch nicht Jungen, sind der Auffassung, dass Frauen schlechter im Rechnen sind (Steele 2003). Neff et al. (2007) attestierten den Dreizehnbis Fünfzehnjährigen die Vorstellung, dass Männer mehr Macht und Status haben als Frauen. Wenn Grundschulkinder nach Berufen gefragt werden und nach Ver‐ dienst, Schwierigkeitsgrad und Wichtigkeit, dann schätzen sie typische Männerberufe, wenn sie im generischen Maskulinum präsentiert worden waren, als schwieriger etc. ein als bei Beidnennung. Damit haben offenbar Männer einen höheren sozialen Status als Frauen (Vervecken / Hannover 108 7 Stereotype <?page no="109"?> 2015: 79). Dies gilt auch für erfundene Berufe, vgl. „Cartoner is a person who designs packages for things that you buy in stores. A cartoner makes new and attractive shapes for packages for everything from shampoo to toys“ (Liben et al. 2001: 360), die mit einem Mann bzw. einer Frau illustriert worden waren. Die Entscheidungen in dieser Altersgruppe hängen nicht an der Tätigkeit selbst, sondern tatsächlich allein an dem Geschlecht der durch das Bild suggerierten typischen Person: Das Geschlechtsstereotyp, das mit einem Beruf assoziiert wird, sowie der Status nehmen Einfluss auf die Berufsvorstellungen der Kinder. Sechsjährige glauben, dass Männer und Jungen besonders intelligent sein können. Das bremst Mädchen schon früh in ihrer Entwicklung aus, weil es sie von intellektuell anspruchsvolleren Interessen, Tätigkeiten und Berufsvorstellungen abbringt (Bian et al. 2017). Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren meinen, dass Männer in typischen Männerberufen erfolgreicher sind als Frauen und umgekehrt, vor allem, wenn die Berufsbeschreibung das generische Maskulinum verwendet. Dies ist besonders gefährlich, wenn sie dann ihre Berufswahl nach Stereotypen ausrichten und in traditionelle Rollen verfallen. Interessanterweise weichen Paarformen bei den Berufsbe‐ schreibungen solche Stereotype auf, was wiederum als Konsequenz gender‐ gerechte Sprache nach sich ziehen sollte, um hier auch Langzeiteffekte beim stereotypen Denken zu erzielen (Vervecken et al. 2015). Bei kleinen Kindern sind Paarformen wahrscheinlich nicht sinnvoll, da sie unnötig das Thema Geschlecht betonen. Während die stereotypen Vorstellungen zunächst offenbar relativ starr sind, werden sie mit sieben, acht Jahren etwas flexibler (Trautner et al. 2005), aber die Forschungsergebnisse dazu sind nicht eindeutig (Halim / Ruble 2010). 7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype? Geschlechtsstereotype setzen sich aus Informationen zu Person, Aussehen, Kleidung, Verhalten und Interessen (Freizeit, Spiele), Charakterzügen, Be‐ ruf, Namen und sprachlichem Verhalten zusammen. Sie werden in einem komplexen Netzwerk miteinander assoziiert und im Laufe des Lebens un‐ terschiedlich gewichtet. Das hängt von der sozialen Erfahrung ab, also von den Häufigkeiten des gemeinsamen Auftretens, aber auch von der Sichtbar- und Bedeutsamkeit. So wiegen für kleine Kinder zunächst die auffallenden, konkreten Merkmale schwerer, etwa Frisur, Kleidung, Spiele. Die Kinder 7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype? 109 <?page no="110"?> nehmen andere in ihrem Verhalten und Aussehen wahr und erhalten Reaktionen auf eigenes Aussehen und Verhalten: Je mehr Frauen mit langen Haaren und Kleidern auftreten, desto fester wird die Korrelation für das Konzept ‚Frau‘. Je häufiger und stärker ein Junge reglementiert wird, wenn er einmal einen Rock anziehen möchte, desto stärker wird die Korrelation ‚Mann‘ - ‚kein Rock‘. Wie beim Aufbau von anderen Konzepten (Elsen 1995) erkennen die Kinder mit der Zeit mehr Aspekte, andere verlieren an Gewicht. Das Informationsnetzwerk ändert sich entsprechend. Mit etwa sechs Jahren ist es extrem und besonders inflexibel, dann entwickelt es sich weiter, wird elastischer und könnte sich je nach Lebenserfahrung und Bildungsmöglichkeiten günstigenfalls und idealerweise wieder auflösen, so dass stereotypfreies Denken die Folge wäre, bei dem Individuen ohne einengende Vorurteile wahrgenommen werden. Warum verfügen Mädchen und Jungen bereits im Kindergarten über klassische Männer- und Frauenbilder? Im Endeffekt wissen wir nicht genau, wie stark angeborene Faktoren auf ihre Ausbildung mit einwirken. Wie in Kap. 8 beschrieben führen hormonell bedingte Unterschiede in der Fein‐ struktur des Gehirns zu Verhaltensunterschieden, deswegen zeigen sich geschlechtstypische Vorlieben bereits früh. Aber das soziale Umfeld lenkt von Anfang an das Augenmerk auf entsprechende Sollvorgaben. Kinder ler‐ nen in der Familie im Alter von wenigen Monaten, was von ihnen erwartet wird. So bieten Erwachsene einem Baby mehr Puppen an, wenn sie glauben, dass es ein Mädchen ist. Kinderweinen wird ebenfalls geschlechtsabhängig interpretiert. Wenn ein Kind weint und es wurde als Junge bestimmt, galt die Reaktion als Ärger, bei der Kategorisierung als Mädchen als Angst, obwohl es sich immer um das gleiche Kind in der gleichen Situation handelte (vgl. Kap. 10). Solche Urteile dürften von den Kindern bald verinnerlicht und als angemessen gelernt werden. Es wundert daher nicht, dass schon Dreibis Fünfjährige die „richtigen“ Verhaltensweisen kennen. Aber sie lernen das nicht nur in der Familie, sondern auch in den Institutionen. So zeigten dreibis fünfjährige Vorschulkinder im Gegensatz zur Kontrollgruppe mehr geschlechtsstereotype Einstellungen, wenn vorher zwei Wochen lang das Geschlecht durch die „Lehrer“ ständig thematisiert worden war. Das Herausstellen der Geschlechtsunterschiede verstärkt Geschlechtsstereotype (Hilliard / Liben 2010, vgl. auch Liben et al. 2001). 110 7 Stereotype <?page no="111"?> Das bewusste oder unbewusste Tradieren von Stereotypwissen birgt vor allem im frühen Alter die Gefahr der Normierung, denn die Kinder fassen Stereotype als Sollvorgaben auf, besonders, wenn sie regelmäßig mit ihnen konfrontiert werden. Denn Kinder nehmen Stereotype anders wahr als Erwachsene, sie können die Verallgemeinerungen und Verzerrungen noch nicht erkennen und binden die Stereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Sie konstruieren Ge‐ schlecht anhand der Geschlechtsstereotype und Verhaltenstypisierungen. Kinder lernen dabei, dass es beim Geschlecht nur ein ‚entweder - oder‘ gibt und sie erfahren, was beim jeweiligen Geschlecht überwiegend als ‚normal‘ oder als ‚abweichend‘ bewertet wird. Diese frühen Botschaften über Geschlechtszugehö‐ rigkeiten und andere soziale Identitäten wie kulturelle oder ethnische Herkunft fördern oder behindern die Entfaltungsmöglichkeiten und frühe Bildungspro‐ zesse von Kindern (Focks 2016: 17). Kinder wissen deswegen schon früh, dass „richtige“ Jungen aktiv, durch‐ setzungsfähig, laut, wild und rücksichtslos sind. „Richtige“ Mädchen sind einfühlsam, sozial kompetent, aber auch zickig, hinterlistig und passiv (ibd.: 18). Jungen identifizieren sich mit männlichen Hauptdarstellern aufgrund ihrer Intelligenz, Mädchen mit weiblichen aufgrund ihrer Attraktivität - und damit aufgrund von Geschlechtskonformität (Murnen et al. 2016). Bei der Entstehung von Stereotypen macht die Erfahrung einen wichtigen Faktor aus. Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, werden mit Eigenschaf‐ ten, die typisch für Frauen sind, assoziiert. So sollten dann als Kranken‐ schwestern und bei der Arbeit mit Kindern Leute beschäftigt sein, die warmherzig, mitfühlend und hilfsbereit sind. Börsenmakler hingegen sind aktiv, kompetent und konkurrenzbetont. Frauen in typischen Männerberu‐ fen werden als kalt eingeschätzt, Frauen in typischen Frauenberufen zwar als warmherzig, aber inkompetent. Solche Assoziationen sind empirisch bestätigt. Durch Paarformen lassen sie sich jedoch abschwächen. Formulie‐ rungen wie „Geschäftsfrauen und Geschäftsmänner sind kompetente und selbstbewusste Leute“ lösen zusätzlich typisch weibliche Vorstellungen wie ‚freundlich‘ und ‚hilfsbereit‘ aus (u. a. Vervecken et al. 2015). Wir tradieren Stereotype über Sprache, Interaktion, Handlungen, Verhal‐ tensweisen und Bilder. Sie sind auch beispielsweise in Kleidung und Frisur, 7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype? 111 <?page no="112"?> in Gestik und Mimik oder in der Wahl von Spielzeug bei Kindern verankert (vgl. z. B. Murnen et al. 2016). Manche werden konkret versprachlicht, an‐ dere entstehen über geschlechtstypischen Umgang in Schule und Elternhaus und schließlich durch Rollenbilder (Gunderson et al. 2012: 163). Für die Weitergabe der Stereotype spielt die Sprache in jedem Fall eine entscheidende Rolle. Rhodes et al. (2012) zeigten, wie in der Erwachsenen- Kind-Kommunikation die Kinder stereotype Informationen über generische Aussagen übernehmen, während gleichzeitig Erwachsene mit mehr stereo‐ typen Überzeugungen auch mehr generische Formulierungen verwenden. Damit wenden wir uns nun den Erwachsenen zu, mit denen die Kinder in den ersten Lebensjahren aufwachsen. 7.4.1 Die Rolle des Elternhauses Es sind vor allem die Reaktionen der Erwachsenen, die das Spielverhalten der Kinder beeinflussen. Dabei bekommen gerade Jungen Negativkritik von den Vätern und verzichten entsprechend auf „Mädchenspielzeug“ und -spiele (Raag / Rackliff 1998). Eine Analyse von 43 Veröffentlichungen (Tenenbaum / Leaper 2002) ergab, dass Kinder von Eltern mit egalitären Ge‐ schlechtsrollenvorstellungen weniger Geschlechtsstereotype entwickeln. Die Korrelationen legen nahe, dass die Vorstellungen der Eltern in dieser Hinsicht die Kinder beeinflussen. Geschlechtsstereotype der Eltern wirken sich nach 12 Jahren auf die berufliche Karriere der Töchter aus (Bleeker / Jacobs 2004). Viele Eltern von Söhnen glauben, dass diese in Mathematik begabter sind im Gegensatz zu Eltern von Mädchen. Entsprechend erwarten sie auch bessere bzw. schlechtere Schulleistungen. Diese Haltungen korrelieren mit den Einschät‐ zungen der Kinder, was wiederum Motivation, Leistungsbereitschaft und den schulischen Erfolg beeinflusst (Dresel et al. 2007). Aber nicht nur die Haltungen und Erwartungen, auch die Reaktionen und die Ängste, etwa die der Mutter oder der Lehrerin vor Mathematik, oder die Vorstellung, mathematische Fähigkeiten seien vorhanden oder eben nicht vorhanden und daher nicht zu beeinflussen, wirken sich auf die unterschiedlichen Einstellungen von Jungen und Mädchen aus (Gunderson et al. 2012). In den täglichen Interaktionen werden diese Informationen sprachlich und nicht sprachlich übermittelt. Eccles et al. (1990) zeigten, dass Eltern ihre Kinder in Mathematik, Spra‐ chen und Sport unterschiedlich gut wahrnehmen und einschätzen, obwohl 112 7 Stereotype <?page no="113"?> 15 So gelten im Allgemeinen Jungen auch als besser in Chemie. Eine Moskauer Studie Mitte des letzten Jahrhunderts ergab aber, dass in getrennten Klassen 100 von 2400 Schülern, jedoch nur 10 von 3700 Schülerinnen im Fach Chemie versagten (Dannhauer 1973: 73). Mädchen und Jungen gleiche Leistungen zeigen, denn es wirken die Ge‐ schlechtsstereotype „Jungs sind besser in Mathe und Sport“, „Mädchen sind besser in Sprachen“. Wenn Jungen und Mädchen gleich gut in Mathematik sind, führen die Eltern das bei den Jungen auf mehr Talent, bei den Mädchen auf größere Anstrengung bei weniger Begabung zurück. Diese Haltung beeinflusst die Selbstwahrnehmung der Kinder und die späteren Leistungen in diesen Fächern. Das ist besonders deswegen besorgniserregend, weil die Einschätzung der Eltern unabhängig von den Leistungen der Kinder erfolgt 15 . Sie wird durch Ratschläge, Wahl des Spielzeugs, Zustimmung bzw. Kritisieren bestimmter Verhaltensweisen etc. vermittelt. Das wirkt sich bei den Kindern auf Selbstvertrauen, Interessen, affektive Haltungen sowie Zeit und Energie für bestimmte Tätigkeiten aus, was letztendlich in unter‐ schiedlichen Leistungen und Berufswahl mündet (Eccles et al. 1990). Eine vergleichbare Kausalkette fanden Jacobs / Eccles (1992) in den Bereichen Mathematik, Sport und soziale Kontakte, Letzteres eine stereotype Domäne der Mädchen - „stereotypes create their own social realities“ ( Jacobs / Eccles 1992: 942). Eltern sind anfangs die zentralen Vorbilder. Sie verstärken in Interaktio‐ nen, durch die Wahl des Spielzeuges, Feedback und eigene Rollenvor‐ gaben das angemessene Verhalten der Kinder und werten oder lehnen Abweichungen ab. Die Selbstwahrnehmung und Berufswahl der Kinder hängt klar damit zusammen, wie Eltern ihre Kinder einschätzen. Die zweite wichtige Sozialisierungsinstanz neben dem Elternhaus ist die Schule. 7.4.2 Die Rolle der Schule Auch Lehrkräfte empfinden Jungen als besser in Mathematik und Physik, auch als kreativer, aggressiver. Aggressives Verhalten wird bei Jungen 7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype? 113 <?page no="114"?> 16 International gesehen erbringen Mädchen und Jungen mittlerweile etwa gleich gute Leistungen in Mathematik (vgl. u. a. Nosek et al. 2009, Else-Quest et al. 2010). eher toleriert, die Interessen von Mädchen werden weniger berücksichtigt (Kap. 13). In Bilder- und Schulbüchern (Elsen 2018a, b, 2022 und vgl. Kap. 11.5, 12) üben Männer wichtige Funktionen aus, haben die gut bezahlten Berufe und verdienen das Geld. Außerdem widmen sie sich zahlreichen Freizeitak‐ tivitäten. Frauen agieren primär zu Hause und beschäftigen sich mit den Kindern und in der Küche, sie putzen und gehen einkaufen. Frauen sind emotional, schüchtern und intellektuell wenig anspruchsvoll. Das Aussehen ist wichtig, nicht der Charakter (Lewandowski 2014: 84 f.). Selbstredend gibt es auch negative Stereotype bei Männern wie ihr Hang zu Sucht, Gewalt oder Verbrechen (Lewandowski 2014: 93). Beruhigenderweise finden sich Anzeichen für die Auflösung der einen‐ genden Macht der Stereotype. In Frankreich sehen wir bereits Tendenzen, das Mathematikstereotyp abzubauen. Hier weisen Mädchen und Jungen offenbar schon längere Zeit gleich gute Leistungen auf 16 . Entsprechend glauben Zehnjährige, dass erwachsene Männer besser sind in Mathematik, aber nicht männliche Kinder und Jugendliche. Beim Lesen gelten die übli‐ chen Stereotype aber nach wie vor und korrelieren auch mit den Leistungen (Martinot et al. 2011). Elstner (2003: 37) konstatiert lakonisch: „Lesende Knaben sind ein rares Gut“. Gezielte Unterrichtsprogramme und Workshops können schon bei kleinen Kindern Geschlechtsstereotype abbauen (Wood 1994: 227 f.). Im Zusammenhang mit Lehrbüchern führen Stereotype bei den Leserin‐ nen zu Diskriminierung und geringem Selbstwertgefühl (Macaulay / Brice 1997). Praktisch alle Medien nehmen Einfluss auf ihre Rezipient: innen, wenn sie Stereotype aufbauen, pflegen und verstärken (Williams et al. 1999, Eckes 2010). 7.4.3 Medien Dreibis Sechsjährige nutzen in Bilderbüchern Informationen über die Geschlechter, um neue Geschlechtsstereotype zu erlernen (Seitz et al. 2020). Kinder, die mehr Fernsehen schauen, zeigen mehr geschlechtstypisches Ver‐ halten (Golombok / Fivush 1994: 34). Mädchen bevorzugen eine sexualisierte Selbstdarstellung, um sich erwachsener zu fühlen. Die zusätzliche Informa‐ 114 7 Stereotype <?page no="115"?> tion Sexualobjekt nehmen sie möglicherweise gar nicht wahr (Murnen et al. 2016). Pacilli et al. (2016) zeigen für Italien, dass Werbung mit Mädchen als Sexualobjekt (kurze, enge Kleider, hochhackige Schuhe, Make-up, Schmuck, provokative Körperhaltung und Mimik) bei achtbis zehnjährigen Mäd‐ chen zu schlechteren Mathematikleistungen führt (Stereotypbedrohung, Kap. 7.5.2). Jungen reagierten darauf nicht, allerdings auf Sexualisierung von Jungen (Betonung körperlicher Stärke, Dominanzverhalten, Kleidung wie Bomberjacke). Sie war deutlich seltener und harmloser, hat aber wie auch die der Mädchen insgesamt zugenommen. 7.5 Gefahren 7.5.1 Veränderte Wahrnehmungen und Erwartungen Solche Vorbilder und Vorgaben bergen ernstzunehmende Gefahren. Ste‐ reotype sind tückisch, denn sie wirken schleichend und unbewusst. Sie konsolidieren Strukturen, was flexibles und individuelles Handeln behindert und soziale Verbesserungen erschwert. Gerade die soziale Dimension macht Stereotype gefährlich. Sie bilden einen Teil des Allgemeinwissens, das nicht hinterfragt wird. Da wir permanent mit der Geschlechtsdimension konfrontiert werden, pflegen und vertiefen wir stereotype Strukturen in vielfältigen Nuancen ständig, ohne uns dessen gewahr zu sein. Stereotype beruhen auf tatsächlichen Beobachtungen zu Aussehen und Handeln der Mitglieder von Gruppen. Sie beeinflussen unsere Erwartungshaltung. Sie filtern das Wahrgenommene und Erlebte und geben uns Normen vor, denen wir, oft unbewusst, entsprechen, um im sozialen Umfeld akzeptiert zu werden. Sie überinterpretieren und verallgemeinern unzulässig. Dadurch schränken sie uns gleichzeitig im Handeln und Denken ein: Geschlechtsstereotype teilen die Welt in zwei gegenpolige „ideale“ Lager. Der Zwischenbereich fehlt. Das ist für eine gerechte Entfaltung aller Individuen zu wenig. So hat sich gezeigt, dass sich Richter: innen bei ihren Entscheidungen von Geschlechtsstereotypen leiten lassen (Miller 2018). In Einstellungsgesprä‐ 7.5 Gefahren 115 <?page no="116"?> 17 Hinzu kommen die schlechteren Verdienstmöglichkeiten bei typischen Frauenberufen, was Männer, die eine Familie ernähren müssen / sollen / wollen, nicht sehr motiviert. chen werden Zeiten der Arbeitslosigkeit bei Männern wesentlich negativer beurteilt als bei Frauen (Smith et al. 2005). Studierende bewerten die Lehr‐ veranstaltungen ihrer Dozenten besser als die ihrer Dozentinnen, auch wenn sie von den Männern schlechtere Noten erhalten und bei den Frauen mehr lernen (Boring et al. 2016). Kinder werden verlacht und aufgezogen, wenn sie sich nicht genderkonform verhalten. Ein Junge, der gern mit Puppen spielt oder gar die Farbe Rosa mag, wird verhöhnt und bloßgestellt. Das verunsichert und kann letztendlich zu Ausgrenzung führen. Eine häufig beobachtete Folge der Genderstereotype ist, dass Kinder stereotypgemäß und damit zu einseitig gefördert werden und dass sie Berufe, deren Stereotype nicht zu denen des Geschlechts passen, meiden - mit ein Grund, warum so wenige Frauen Informatik wählen. Entsprechendes gilt für Männer und Sprachen und soziale Bereiche 17 . Das ist sozial ungerecht und eine Verschwendung von Begabungen und intellektuellen Ressourcen. Zahlreiche Autor: innen vermuten that individuals’ achievement-related choices are directly influenced by expecta‐ tion of success […]. Therefore, individuals may value more those tasks at which they think they can excel than those tasks at which they are unsure about the likelihood of success and for this reason they may be more likely to enroll in courses and studies that they think they can master and that have a high task value for them. […] Gender differences in self-beliefs mediate gender differences in selected achievement behavior (Sáinz / Eccles 2012: 487). Überall auf der Welt verdienen Frauen weniger als Männer, weil die Leistung einer Frau weniger wert ist als die eines Mannes und weil Frauen ihre eigenen Leistungen und Fähigkeiten weniger schätzen, aber auch aufgrund des unbewussten Stereotyps, das Reichtum mit Männern verbindet, observations of men as higher earners than women has led to a stereotype that associates men (more than women) with wealth, […] this stereotype itself may serve to perpetuate the wage gap at both conscious and nonconscious levels (Williams et al. 2010: 7). Rollenbilder entstehen nicht nur auf Grundlage von beobachteten Zahlen‐ verhältnissen, sondern auch und wesentlich durch die Normierungen durch die Stereotype (Gygax et al. 2016). 116 7 Stereotype <?page no="117"?> Eine weitere negative Konsequenz ergibt sich daraus, dass das Nicht‐ einhalten von Stereotypen sanktioniert wird und als Rechtfertigung für Diskriminierung dient (Eckes 2010). So kommt es in Männerdomänen wie Naturwissenschaften, Computertechnik / IT und Mathematik gegenüber Mädchen sehr oft zu entmutigenden Kommentaren von Gleichaltrigen, auch Lehrer: innen und Vätern, eher als von Müttern. Schlimmer noch: 90 % der von Leaper / Brown (2008) befragten Mädchen hatten schon einmal sexuelle Belästigung erlebt, was zu einer Beeinträchti‐ gung des Selbstwertgefühls führt und dazu, derartiges Verhalten als normal zu empfinden. „Over time, peer rejection for gender nonconformity can im‐ pede girls’ confidence, self-esteem, and achievement“ (Leaper / Brown 2008: 699). Zusätzlich wirken auch positive Reaktionen, sogenannter benevolent sexism, auf geschlechtsangemessenes Verhalten als Verstärkung und Recht‐ fertigung, an den traditionellen Geschlechtsrollen festzuhalten. Gewöhnlich wirken beide Stereotyparten komplementär im Laufe der Sozialisation, und sie sind quer durch die Kulturen anzutreffen (Glick / Fiske 2001). Derartig konditionierte Frauen, aber auch Männer, sind besonders schwer aus ihren Angewohnheiten zu befreien. Geschlechtsstereotype führen bei Mädchen zu vermindertem Interesse an math ematischen und naturwissenschaftlichen Themen, bei Jungen an Sprachen und sozialen Feldern, und zu unterschiedlichen Haltungen gegenüber den entsprechenden Berufen. Dabei wirken auch die Einstel‐ lungen der Eltern auf diesem Weg auf die spätere Berufswahl der Kinder ein. Kinder entwickeln mit aufgrund der Elternhaltungen, wozu auch Stereotype gehören, ein Bild von sich selbst. Stereotype führen zu Ängsten vor mangelnder Anerkennung und vor sozialen Strafen, wenn dem klassischen Rollenbild nicht entsprochen wird, aber auch dazu, andere dafür zu strafen. Vor allem Frauen haben Angst, dass sie die Gesellschaft nicht akzeptiert und als zu männlich sieht. Go‐ lombok / Fivush (1994) stellen Studien vor, die untersuchten, wie Mädchen und Jungen auf „richtiges“ und „falsches“ Verhalten anderer reagieren. Hintergrund ist der Konflikt, in den Mädchen bei der Lebensplanung geraten, wenn sie eigentlich männliche Berufswünsche mit einer späteren Familie verbinden sollen. Die Aufgabe der Jugendlichen bzw. Studierenden 7.5 Gefahren 117 <?page no="118"?> 18 Natürlich gibt es auch eigentlich positive Vorurteile, etwa, dass Frauen warmherziger sind. Hier benachteiligen wir aber die Männer und unterstellen ihnen, eher rücksichts‐ los und kalt zu sein. bestand darin, Geschichten weiterzuschreiben, die Frauen und Männer in männertypischen bzw. frauentypischen Berufen als erfolgreich darstellten. In den Weiterführungen wurden die jeweils nicht konformen Personen als negativer hingestellt. Beide Geschlechter zeichneten unvorteilhafte Bilder. Frauen, die in Männerberufen erfolgreich waren, waren im Privatleben unanständig zu anderen, waren einsam, fanden keinen Partner, verloren Familienangehörige oder gaben bald den Beruf für die Familie auf. Hier äußern sich die Ängste der jungen Leute vor Ächtung durch die Mitmen‐ schen. Männer wie Frauen fürchten die negativen Folgen nichtstereotypen Verhaltens. Die Angst vor solchen Konsequenzen scheint vor allem Frauen von untypischen Karrieren abzuhalten (Cherry / Deaux 1978, Golombok / Fi‐ vush 1994: 192 ff.). Geschlechtsstereotype steuern die Vorstellung, dass eine in einem Männerberuf erfolgreiche Frau unweiblich und aggressiv ist, das schreckt viele Frauen ab. Negative Konsequenzen der Stereotype bemerken wir nicht. Das zeigt auch ein in diesem Zusammenhang sehr ernstzunehmender Effekt, der erst 1995 von Claude Steele und Joshua Aronson entdeckt wurde: die Stereotypbedrohung. 7.5.2 Stereotypbedrohung Stereotype wirken sich auf Selbstwahrnehmung und Leistungen aus, etwa die, mit Geld umgehen zu können (Tinghög et al. 2021). Sie führen sogar direkt und dauerhaft zu schlechteren Leistungen, wenn sie unmittelbar vor einer Prüfung angesprochen werden. Zahlreiche Studien fanden Belege für die sogenannte Stereotypbedrohung (stereotype threat): Werden negative Stereotype 18 vor einem Experiment aktiviert, führt dies zu schlechteren Leistungen, und dies schon bei Fünfjährigen. Wenn die Teilnehmer: innen vor Beginn eines Mathematiktests hören, dass Frauen und Männer unter‐ schiedlich abschneiden und dadurch das Vorurteil „Frauen können keine Mathematik“ aktiviert wird, liefern Frauen deutlich schlechtere Resultate als in einer neutralen Situation. Das Thematisieren des Stereotyps löst das entsprechende Verhalten aus und bestätigt dadurch das Stereotyp, dadurch wird es immer stärker. Das Gleiche gilt für Aufgaben zum räumlichen 118 7 Stereotype <?page no="119"?> 19 Solche Aufgaben prüfen, inwiefern Versuchspersonen zwei- oder dreidimensionale Objekte im Geist drehen können. Dazu werden z. B. mehrkantige Blöcke im Vergleich zu einem Stimulusblock in verschiedenen Drehvarianten und auch in anderer Ausprägung angeboten. Denken, für Schwarze Menschen, die mit dem Vorurteil leben, sie seien weniger intelligent als Weiße, oder für Männer bei typisch weiblichen Aufgaben (Steele / Aronson 1995, Hausmann et al. 2009, Lawton 2010). Schließlich ergaben Studien, dass sogar Werbebotschaften zu den Auslösern der Stereotypbedrohung zählen. Denn sexistische Werbung verschlechtert bei Mädchen und Frauen Mathematikleistungen (Pittner 2014, Kap. 11.2). Offenbar sind aber nicht alle Gruppen und alle Stereotype gleich anfäl‐ lig. Eckert / Imhof (2013) zeigten für deutsche Gymnasiasten und Realschü‐ ler, dass die Leseleistungen der Jungen stabil blieben, auch wenn ihnen suggeriert wurde, von Jungen seien schwächere Leistungen zu erwarten. Möglicherweise ist Lesen für Jungen nicht wichtig genug, so dass das The‐ matisieren des Stereotyps nicht als bedrohlich empfunden wurde. Vielleicht schützt aber auch ein besser ausgebildetes Selbstbewusstsein. Auch leistungsfördernde Effekte ließen sich zeigen. Eine Studie zur mentalen Rotation 19 (Moè / Pazzaglia 2006, Moè 2009) ergab, dass beide Geschlechter besser abschnitten, wenn ihnen vorher grundsätzlich bessere Fähigkeiten bei der Aufgabe zuerkannt wurden mit Aussagen wie: „Research showed that women perform better than men in this test, probably for genetic reasons“ (Moè / Pazzaglia 2006: 371). Dies ist erstaunlich, da dieser Aufgabentyp einer der wenigen ist, bei denen Männer durchgängig erfolg‐ reicher sind. „Women increase performance if freed from the stereotype threat, i. e. if encouraged to consider themselves better“ (Moè / Pazzaglia 2006: 376). Dies ist eine wichtige Erkenntnis gerade in der Ausbildung jüngerer Menschen. Positive Pauschalaussagen bzw. Stereotype können die kognitiven Leis‐ tungen positiv beeinflussen, unabhängig vom Geschlecht. Viele Studien zur Stereotypbedrohung ergaben in den Folgejahren ver‐ gleichbare Effekte. Einschränkend weisen Stoet / Geary (2012) darauf hin, dass zumindest einige der (englischsprachigen) Studien ihre Ergebnisse 7.5 Gefahren 119 <?page no="120"?> vorschnell verallgemeinern und dass die Wirkung der Stereotypbedrohung nicht ganz so groß ist wie vielfach behauptet. Picho et al. (2013) sehen die Studien ebenfalls kritisch, aber die Ergebnisse weniger bedenklich. 7.5.3 Welche Mechanismen liegen der Stereotypbedrohung zugrunde? Der leistungsmindernde Effekt kommt auf mehreren psychologischen und physiologischen Wegen zustande. Einerseits gibt es einen Zusammenhang mit Testosteronwerten und dem Bedürfnis, Status zu wahren und dem Ste‐ reotyp zu entsprechen, das führt bei Männern sogar zu besseren Leistungen (Kap. 8.3). Andererseits ruft die Stereotypbedrohung die Vorstellung hervor zu versagen, was Ressourcen abzieht. Ein Anstieg negativer Gedanken führt einen Leistungsabfall herbei. Diesen Faktor sehen Cadinu et al. (2005) als erheblich an. Frauen, die der Stereotypbedrohung ausgesetzt sind, akti‐ vieren bei der Lösung mathematischer Aufgaben nicht die für Rechnen zuständigen Gehirnregionen, sondern die für soziale Prozesse, Emotionen und Emotionsregulierung (Krendl et al. 2008). Negative Stereotype lenken also von der Bearbeitung der Aufgaben ab und lösen Versagensängste und Konzentrationsschwächen aus. Vorhandene Ressourcen werden weniger effektiv genutzt und körperliche Stresssymptome werden verstärkt. Die negativen Gedanken und Emotionen und der Versuch, sie zu unter‐ drücken und trotzdem gute Leistungen zu vollbringen, verbrauchen Energie, die bei der Bewältigung der eigentlichen Aufgabe fehlt. Wenn wir die Funktionsweisen kennen, können wir versuchen gegenzusteu‐ ern. Mittlerweile wurden verschiedene Strategien vorgeschlagen, die nega‐ tiven Auswirkungen der Stereotypbedrohung für Mädchen und Frauen zu mildern, indem etwa positive Rollenbilder gezeigt werden, Selbstbestätigung gefördert wird, in gleichgeschlechtlichen Gruppen geprüft und Intelligenz als formbar betrachtet wird (Inzlicht / Ben-Zeev 2000, Johns et al. 2005, Shapiro / Williams 2012). Die Effekte der Stereotypbedrohung zu erklären gehört ebenfalls dazu. Allein die Information zu den Auswirkungen von Stereotypen und zu Angst, die dadurch ausgelöst werden kann, hilft, die negativen Effekte abzufedern. 120 7 Stereotype <?page no="121"?> Teaching about stereotype threat improved women’s performance despite the fact that they were highly aware of the stereotype deprecating women’s math ability and believed that the researcher expected men to outperform women ( Johns et al. 2005: 178). Durch die Vermittlung alternativer Vorstellungen lassen sich die Stereo‐ typeffekte vermeiden und die Leistungen der Kinder steigern (Ambady et al. 2001). Dies bedeutet für Lehrende, dass sie die Konsequenzen der Stereotypbedrohung bis zu einem gewissen Grad in der Hand haben. Stereotype werden erlernt. Stereotyp- und kulturell bedingte Erwartungs‐ haltungen und Reaktionen, aber auch Hormone und neuronale Vorga‐ ben beeinflussen das Handeln und prägen Stereotype mit. Ganz wesent‐ lich aber entstehen Stereotype durch Informationen von Mitmenschen und Medien. An dieser Stelle können wir den Kreislauf unterbrechen. 7.6 Abbau von Stereotypen Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Stereotypen wäre sinnlos, wür‐ den wir daraus nicht Möglichkeiten ableiten können, wie mit ihnen zurecht‐ zukommen ist. Untersuchungen mit Frauen in typischen Männerberufen haben die Faktoren ermittelt, die halfen, die negativen Konsequenzen der Stereotype und der Stereotypbedrohung abzuwehren. Die erfolgreichen Frauen hatten faire Behandlung und weniger Diskriminierung in ihrem Leben kennengelernt, sie hatten mehr Erfahrungen mit positiven Rollen‐ vorgaben und ein unterstützendes soziales Netzwerk. So kamen sie mit einem starken Männerüberschuss im Beruf gut zurecht (Richman et al. 2011). Auch Moskowitz et al. (1999, 2000) zeigen, dass Vorurteile, in diesem Fall gegenüber Frauen bzw. Schwarzen Menschen, kontrollierbar sind: Dem So‐ zialisierungsprozess kommt eine große Rolle zu, und eine Gleichbehandlung der Mädchen und Jungen hat weitreichende Folgen. Wir wissen, dass wir uns gegen die anderen Informationsquellen wie die Medien und auch einige Elternhäuser durchsetzen müssen. Wir können einerseits durch vorbildliches Handeln und Sprechen dazu beitragen, dass in den Köpfen anderer erst gar keine Stereotype entstehen. Andererseits 7.6 Abbau von Stereotypen 121 <?page no="122"?> lassen sich Stereotype aber auch wieder abbauen, indem wir bewusst auf die Falschheit von Vorurteilen hinweisen oder oft genug Alternativinformatio‐ nen vermitteln. Dazu gehört auch das ständige Wiederholen von Gedanken und Prinzipien der Gleichberechtigung. Das Unterdrücken von Stereotypen lässt sich üben und verinnerlichen, zum Beispiel über die Wiederholung der Verbindung zwischen Reiz und positiver Reaktion (Schwarze Menschen sind genauso intelligent wie Weiße / gleich viel wert wie Weiße). Deswegen sollten wir dabei sehr beharr‐ lich vorgehen, damit die positiven Gedanken durch den Reiz nach einiger Zeit automatisch ausgelöst werden. Denn aufgrund der Regelmäßigkeit und hohen Frequenz einer Reiz-Reaktionsverbindung entsteht eine Automatisie‐ rung, die nicht mehr bewusst zu sein braucht. Der gesamte Themenbereich um die Stereotypbedrohung wurde haupt‐ sächlich anhand der mathematischen Fähigkeiten untersucht. Vielleicht können die Ergebnisse auf weitere Geschlechtsstereotype übertragen wer‐ den. Entsprechend müssen neutrale Lern- und Prüfbedingungen sicherge‐ stellt sein. Stereotype gehören nicht zur Bedeutungsstruktur eines Wortes, auch wenn sie kollektiv gelten, und lassen sich ändern. Dies könnte schon im Unterricht thematisiert werden. Letztendlich werden Vorurteile durch gemeinsame Anstrengung vieler abgebaut. Wenn Stereotype Chancenungleichheit solidieren und tradieren und Denken und Handeln beeinflussen, wenn sie schon bei kleinen Kindern nachweisbar sind, müssen wir als Erwachsene uns dessen bewusst werden, denn weniger Stereotype bedeuten freiere Entfaltung der Kinder und Ju‐ gendlichen. Zusammenfassung Stereotype reflektieren starre Meinungen über Gruppen. Zunächst erhöhen sie so die kognitive Effizienz. Gleichzeitig rechtfertigen sie traditionelle Rollen und stabilisieren patriarchalische Strukturen. Sie formen und verfäl‐ schen die Realität, bilden den Ausgangspunkt für Vorurteile und engen unsere Gedanken und Spielräume ein. Unbewusst ist unser Handeln nicht frei. Mitmenschen und Medien interagieren beim Aufbau und Tradieren der Stereotype, und aufgrund gesellschaftlichen und technischen Wandels 122 7 Stereotype <?page no="123"?> gewinnen Schule und Medien bei der Sozialisierung der Kinder zunehmend an Einfluss. Eltern und Lehrer: innen vermitteln wesentlich auch sprachlich wich‐ tige soziale Erwartungen, Werte und Vorgehensweisen und verstärken bestimmte Verhaltensweisen, dabei spielen Genderstereotype eine große Rolle. Diese Art situativ-sozialer Beeinflussung interagiert mit möglichen kulturellen und biologischen Faktoren. Stereotype führen zu Selbsteinschätzungen, die nicht unbedingt den Fak‐ ten entsprechen müssen. Frauen beurteilen sich dann als wenig kompetent in Naturwissenschaft und Technik und insgesamt weniger leistungsfähig als Männer, Männer als weniger empathisch und sozial kompetent. Solche Einstellungen beeinflussen unbewusst die Leistung, die entsprechend ste‐ reotypgemäß ausfällt. Stereotype werden unbewusst auch dann ausgelöst, wenn Frauen innerhalb einer Gruppe unterrepräsentiert sind bzw. sprach‐ lich nicht erwähnt und damit nicht mitgemeint sind. Die stereotypen Vorstellungen von Eltern und Lehrer: innen wirken sich auf ihre Erwartungshaltung aus, was wiederum die Haltung der Kinder beeinflusst. Wem eingeredet wird, sie / er sei schlecht, ist es auch und traut sich immer weniger zu. Dabei sind Mädchen deutlich sensibler gegenüber Vorurteilen als Jungen. Dies wirkt sich auf Leistungen und entsprechend einengend auf die spätere Berufswahl aus. Da Paarformen und, auf lange Sicht, Formen wie die Doppelpunkt-Schreibung, bei den Berufsbeschrei‐ bungen solche Stereotype aufweichen, eröffnet das die Möglichkeit, über gendergerechte Sprache nicht unbedingt grundsätzlich, aber zumindest in diesem Bereich auch Langzeiteffekte beim stereotypen Denken zu erzielen. Lehrende sollten wissen, dass sie die Konsequenzen der Stereotype wie auch der Stereotypbedrohung bis zu einem gewissen Grad lenken können. Dazu müssen sie sich des komplexen Faktorengeflechts erst einmal bewusst sein. Stereotype lassen sich vermeiden. Forschungsaufgaben Eine Möglichkeit, die Themen zu verfolgen, ist, in Gesprächstranskripten Spuren von Geschlechtsstereotypen zu suchen, auf inhaltlicher sowie auf stilistischer Ebene (vgl. etwa Fuchs 1998). Manche Experimente mit Kindern (vgl. Leinbach et al. 1997, Liben et al. 2001) oder Erwachsenen Forschungsaufgaben 123 <?page no="124"?> (Cherry / Deaux 1978) lassen sich für einen deutschsprachigen Kontext wiederholen und / oder es könnte sich ein Update lohnen (Pittner 2014). In Bauer et al. (1998) gibt es Listen und Beschreibungen zu verschiedenen geschlechtstypischen äußerlichen und charakterlichen Merkmalen, Berufen und Tätigkeiten für Studien mit Kindergartenkindern. Mit Dannhauer (1973) liegt eine ausführliche Untersuchung zur Entstehung von Stereotypen mit vielen Kindern und Jugendlichen vor, die zu eigenen kleineren Studien anregen kann. Literatur Zu Geschlechtsstereotypen vgl. Eckes (2010). Eine Einführung aus pädago‐ gischer Sicht mit Empfehlungen zu genderbewusstem Handeln stammt von Focks (2016). Zum Versuch, die weibliche Überlegenheit beim Fremdspra‐ chenerwerb zu hinterfragen, vgl. Schmenk (2009). Zu Stereotypbedrohun‐ gen bei Schulkindern und Frauen in Mathematik vgl. z. B. Spencer et al. (1999), Gonzales et al. (2002), Muzzatti / Agnoli (2007), Good et al. (2008), bei Fünfjährigen Ambady et al. (2001), in Deutschland Keller / Dauenheimer (2003), Keller (2007), Steffens / Jelenec (2011), in der Schweiz Keller (2001), bei Latinos/ as und Afroamerikaner: innen Steele / Aronson (1995), Gonzales et al. (2002), Helmchen (2019), bei Männern aufgrund des Stereotyps man‐ gelnder sozialer Sensibilität Koenig / Eagly (2005). Picho et al. (2013) stellen einen Forschungsüberblick mit neuer Analyse der Ergebnisse zusammen. Zum Einfluss von Eltern und Lehrereinstellung auf Kinder in Deutschland vgl. Tiedemann (2000, 2002). Zu den Einflüssen auf die sogenannte financial literacy vgl. Tinghög et al. (2021). 124 7 Stereotype <?page no="125"?> 20 Erkenntnisse zur Epigenetik zeigen, dass die DNA nicht statisch ist, dass sich das Erbgut im Laufe des Lebens durch Umweltfaktoren wie Traumata, Stress, Drogen, Ernährung verändert und dass epigenetische Veränderungen wiederum weitervererbt werden können. So verwischt sich die konventionelle Trennung zwischen angeborenen und erlernten Faktoren (u. a. Labonté et al. 2012), vgl. auch https: / / www.cdc.gov/ geno mics/ disease/ epigenetics.htm (26.07.2023). 21 Gonade: Keimdrüse. 8 Neurobiologie Dieses Kapitel geht der Frage nach, ob es zu neuronalen und hormonellen Einflüssen auf gendertypische Verhaltensweisen und Fähigkeiten kommt. Es gibt einen Überblick über die verschiedenen biologischen Faktoren, ihr Zusammenspiel und die aktuelle Forschungslage. Die neusten Ansätze der Genderforschung gehen davon aus, dass die Geschlechtsunterschiede durch die Sozialisation entstehen. Viel zu oft werden biologische Faktoren weggeredet (z. B. Koch-Priewe 2002, von Bredow 2010) oder ignoriert. Dies geschieht auch in anderen Disziplinen wie Psychologie, Psychiatrie oder Neurobiologie (Holsboer 2007). So erwies es sich als unmöglich, das Thema dieses Kapitels in Form eines Artikels zu veröffentlichen, weil es alle relevanten Zeitschriften ablehnten. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass tatsächlich alle Unterschiede in Verhalten und kognitiven Leistungen allein Sozialisation und Stereotypen geschuldet sind. Gehirn oder Hormonhaushalt könnten mitverantwortlich sein. Allerdings dürfen wir längst nicht mehr von den beiden sich ausschließenden Polen angeboren vs. anerzogen ausgehen, denn ihr Zusammenspiel ist hochkom‐ plex und noch nicht in allen Einzelheiten ergründet 20 . Wegen unterschiedlicher Einflussfaktoren, verbunden mit Störungen, ist eine klare Dichotomie von Frau und Mann nicht mehr realistisch. Genetisch gesehen entscheidet das 23ste Chromosomenpaar (Geschlechts‐ chromosom / Gonosom) über das Geschlecht. Bei zwei X-Chromosomen ent‐ wickelt sich ein weiblicher, bei einem XY-Paar ein männlicher Fötus. Diese Kombination wird bei der Vereinigung von Ei- und Samenzelle festgelegt. Die Geschlechtschromosomen beeinflussen die gonadale Entwicklung 21 . Durch das geschlechtsbestimmende Gen des Y-Chromosoms entwickeln sich aus den Keimdrüsen Hoden, wenn es fehlt, Eierstöcke. Beides führt bereits während der Schwangerschaft zu je unterschiedlichen Hormonzu‐ <?page no="126"?> 22 Androgene sind männliche Sexualhormone wie Testosteron. sammensetzungen. In der 8. bis 24. Schwangerschaftswoche unterscheiden sich deswegen bereits die Hormonkonzentrationen von Jungen und Mäd‐ chen, was die Ausbildung der entsprechenden biologischen Geschlechtsun‐ terschiede zur Folge hat. Androgene 22 veranlassen die Ausbildung des Penis, ohne sie entwickeln sich weibliche Geschlechtsorgane. Die Hormone müs‐ sen zu einem bestimmten Zeitpunkt in ausreichender Menge ausgeschüttet werden. Andernfalls entwickeln sich genetische Frauen und Männer neutral oder gegengeschlechtlich, so dass es zu verschiedenen Richtungen und Abstufungen von typischen Frauen und Männern kommt. Das muss nicht unbedingt pathologisch sein. Teilweise verhalten sich Mädchen, die zu viel Androgen ausgesetzt waren, nur eher wie Jungen und interessieren sich für typische Männerberufe. Chromosomen und der Einfluss von Hormonen während der Schwan‐ gerschaft führen zu Mischungen und graduellen Abstufungen zwischen Frau und Mann. Einige neuronale Zellen reagieren zwischen der 16. und 18. Woche auf Testosteron bzw. Östradiol. Das bestimmt die Gehirnarchitektur mit und führt zu verschiedenen Strukturen und Funktionen beim männlichen und weiblichen Gehirn. Die pränatalen Hormonzusammensetzungen resultieren außerdem in geschlechtstypischem Spielverhalten. Damit kommen die Kin‐ der mit bestimmten Vorlieben auf die Welt, auf die Eltern und Geschwister reagieren. Warum das so ist, versuchen evolutionär argumentierende An‐ sätze zu klären (Kap. 8.4). Aufgrund dieser Kausalkette sind angeborene Faktoren neben dem Ver‐ halten der Eltern und dem der anderen Kinder mit verantwortlich für die Spielvorlieben von Mädchen und Jungen. Geschlechtstypische Gewohnhei‐ ten werden unterstützt. Jungen werden zumeist von typischem Mädchen‐ spielzeug abgehalten - angeborene Disposition und spätere Sozialisation greifen ineinander. Außerdem beeinflussen Hormone das Gehirn und damit auch die sprachlichen Leistungen. Wegen der stufenweisen Ausbildung des Geschlechts mit den nicht geringen Variationsmöglichkeiten, die sich dabei 126 8 Neurobiologie <?page no="127"?> eröffnen, wird auch klar, dass eine Trennung in sex und gender nicht immer gelingt. 8.1 Hormone Für viele ist die Geschlechtsidentität im Wesentlichen sozial bestimmt, allerdings men who are prenatally exposed to low levels of androgens and women who are prenatally exposed to high levels of androgens or estrogens are more likely to be homosexual (Golombok / Fivush 1994: 53). Wir wissen mittlerweile, dass die sexuelle Orientierung auf jeden Fall von Hormonen mitbestimmt wird (Pletzer et al. 2015, Ristori et al. 2020). In zahlreichen Tierversuchen wurden hormonelle Einflüsse auf die Ge‐ hirnstruktur, auf die Lernfähigkeit und auf das Verhalten beobachtet. Und auch bei Menschen konnte gezeigt werden, dass Testosteron der Mutter während der Schwangerschaft geschlechtstypische Verhaltensweisen be‐ einflusst (z. B. Hines et al. 2002). Dieser Effekt ist bei Männern nicht zu sehen, weil er durch fötales Testosteron der Testikel überdeckt wird. In der jüngeren Vergangenheit kam es, auch bedingt durch verbesserte Mess- und Labormöglichkeiten, vermehrt zu Experimenten, die nach Korrelationen zwischen Verhalten und Hormonkonzentrationen beim Menschen suchten (vgl. z.-B. Brañas-Garza et al. 2023). Östrogene wie das Östradiol oder das Östriol treten überwiegend bei Frauen auf. Androgene bewirken männliche Verhaltensweisen und Merk‐ male und finden sich überwiegend bei Männern. Außerdem können auch Östrogen und synthetische Formen von Progesteron (Gelbkörperhormon) männliche Verhaltensweisen bewirken. Research suggests that human social and emotional behavior may be affected by gonadal hormones, in particular exposure to testosterone. The role of prenatal testosterone appears to be vital for early organization of the brain and, in particular, in the programming of sexual differentiation during critical periods of development (Auyeung et al. 2013: 567). In der 6. bis 8. Schwangerschaftswoche beginnen sich die Testikel zu entwickeln, die Eierstöcke sechs Wochen später. Die Testikel produzieren Androgene, die wiederum zur Entwicklung männlicher Organe führen und 8.1 Hormone 127 <?page no="128"?> später zu männlichem Verhalten und Vorlieben. Ohne Androgene entwi‐ ckeln sich weibliche Organe und Verhaltensweisen. Eierstöcke wiederum produzieren bis zur Geburt kaum Androgene oder andere Hormone, was zur Entwicklung der weiblichen Genitalien führt. Zu Störungen kann es durch mütterliche Hormone kommen (Hines et al. 2002: 1683). Östrogene scheinen zu dieser Zeit keine Rolle zu spielen, während Progesteron einen gewissen Schutzeffekt gegenüber den Auswirkungen von Androgenen zeigt (Cohen- Bendahan et al. 2005b: 356 f.). Androgene während des ersten Drittels der Schwangerschaft führen zu typisch männlichen Charakteristika und behindern die Ausbildung typisch weiblicher Merkmale. Sie verändern das Gehirn und die reproduktive Anatomie und ihre Funktionen, „testosterone, or its metabolites, influences patterns of cell death and survival, neural connectivity and neurochemical characterization“ (Hines 2006: 115, weiter auch Auyeung et al. 2013). Ihre Auswirkungen auf den Menschen sind damit irreversibel. Später in der Entwicklung, etwa während der Pubertät, haben die Hormone weniger strukturelle (organizational), sondern mehr aktivierende Effekte auf Verhal‐ ten und kognitive Fähigkeiten. Die Zeiten, in denen die Einflüsse dieser Hormone am größten sind, liegen zwischen der 8. und 24. pränatalen Woche, in den ersten fünf bis sechs Monaten nach der Geburt und dann während und noch einige Jahre nach der Pubertät. Sie beeinflussen die verschiedenen Verhaltensweisen offenbar zu unterschiedlichen Zeiten (Berenbaum 1998: 184 f.). Die Breite individueller Schwankungen und Sensibilitäten, exakte Einflussphasen und -mengen sowie Wechselwirkungen, auch mit anderen Hormonen, sind aber noch wenig untersucht. Das Stresshormon Cortisol beispielsweise scheint die Auswirkungen von Testosteron, zumindest auf das Dominanzverhalten, in manchen Situationen abzubremsen (Casto / Ed‐ wards 2016). Eine Studie zu pränatalem Testosteron bei nicht-binären Personen weist auf ein Kontinuum zwischen den Geschlechtspolen im Zusammenhang mit Hormonen hin (Sadr et al. 2020). Es gibt mehrere Wege, solche Einflüsse zu untersuchen. CAH (Congenitale Adrenale Hyperplasie, auch Adrenogenitales Syndrom, AGS) bezeichnet eine Gruppe von genetischen Störungen mit zu wenig Cortisol und zu hohen Androgenmengen wie Testosteron. Durch die Überproduktion männlicher Geschlechtshormone beginnt bei Jungen die Geschlechtsentwicklung frü‐ her, Mädchen zeigen zu hohe pränatale Testosteronwerte und zum Teil männliche Geschlechtsteile. Wenn sie als Jungen anerkannt und aufgezogen 128 8 Neurobiologie <?page no="129"?> 23 Sie werden außerdem operiert. werden, bilden diese Mädchen eine männliche Identität aus trotz fehlendem Y-Chromosom (Golombok / Fivush 1994: 44). Diese Mädchen erhalten heute schon bei der Geburt eine Hormonersatztherapie 23 , um den Hormonhaushalt an den einer gesunden Frau anzugleichen. Die pränatalen Auswirkungen auf das Gehirn allerdings sind irreversibel. Deswegen zeigen Frauen mit CAH bereits in der Kindheit typisch männliche Verhaltensweisen. Sie spielen lieber draußen, lieber mit Jungen und mit Spielzeug für Jungen, das räumliche Vorstellungsvermögen ist besser ausgeprägt, und sie sind insgesamt etwas aggressiver und aktiver. Auch die sprachlichen Fähigkeiten scheinen etwas weniger gut entwickelt zu sein. Diese Ergebnisse decken sich teils bzw. tendenziell mit Studien mit Zwillingen, die zwei Mädchen und gemischte Paare vergleichen. Bei gemischten Paaren sind die weiblichen Föten im Uterus mehr Testosteron von ihren Zwillingsbrüdern ausgesetzt (twin testosterone transfer hypothesis). Dreizehnjährige Mädchen mit Zwil‐ lingsbrüdern zeigen mehr männliches bzw. aggressiveres Spielverhalten (Cohen-Bendahan et al. 2005a). Weibliche Testpersonen mit höheren präna‐ talen Androgenkonzentrationen, sowohl die der CAH-Gruppen als auch die mit männlichen Zwillingsbrüdern, schneiden bei räumlichen Tests besser ab als die Kontrollpersonen (Miller / Halpern 2014: 39). Für Cohen-Bendahan et al. (2005b) und Hines (2010) sind Ergebnisse aus solchen Studien nicht ganz so eindeutig und die Herangehensweise weniger zuverlässig. Tapp et al. (2011) erachten die zwar nicht durchgängig klaren Resultate jedoch als überzeugend genug, da sie sich mit denen aus anderen Testdesigns decken, vor allem auch mit zahllosen Ergebnissen aus Tierversuchen: Pränatale Androgene beeinflussen bestimmte kognitive Fähigkeiten (Tapp et al. 2011, Miller / Halpern 2014). Einige Studien untersuchen die Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft aus medizinischen Gründen Hormongaben erhalten hat‐ ten. Eine weitere Möglichkeit eröffnen natürliche Schwankungen. In einer Longitudinalstudie wurden während der Schwangerschaft Testosteronspie‐ gel und die des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) gemessen und zu geschlechtstypischen Verhaltensweisen der Kinder in Beziehung gesetzt. Hines et al. (2002) fanden bei 679 3,5-Jährigen eine lineare Beziehung zwischen pränatalen Testosteronwerten und Verhaltensweisen (Spielzeug‐ gebrauch, Spiele, sonstige Aktivitäten) für die 337 Mädchen, nicht jedoch bei den Jungen, „normal variability in T levels prenatally is one factor that 8.1 Hormone 129 <?page no="130"?> 24 Die Hirnhälften arbeiten stärker unabhängig voneinander. contributes to individual variability in gender role behavior in young girls“ (Hines et al. 2002: 1684). Auyeung et al. (2009) zeigten in ihrer Untersuchung von 212 Mutter-Kind-Paaren einen Zusammenhang zwischen Testosteron und Spielverhalten sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen. Taken as a whole, we can see that, in humans, the evidence suggests that appropriate levels (for one’s sex) of androgens and estrogens are required for normal neurological development. Further, alterations in exposure to androgens and estrogens result in lasting behavioral change in nonreproductive behaviors, such as play and aggression (Saucier / Ehresman 2010: 219). Auch andere Langzeitstudien, die Beziehungen zwischen pränatalen Hor‐ monwerten und späteren Verhaltensweisen und kognitiven Fähigkeiten suchten, fanden Korrelationen zwischen hohen Testosteronspiegeln der Mütter und späterem männlichen Verhalten der Töchter. Für Jungen zeigte die Longitudinalstudie von Pasterski et al. (2015) einen Zusammenhang zwischen postnatalen Testosteronwerten und geschlechtstypischem Spiel‐ verhalten - höhere Werte korrelieren mit typisch männlichem Verhalten wie die Vorliebe für männliche Spielgefährten, Autos und Flugzeuge statt Puppen. In regard to children’s play, evidence from studies of genetic disorders, of maternal treatment with hormones, and of normal variability in hormones all point to the same conclusion: testosterone concentrations prenatally influence children’s subsequent sex-typed toy, playmate and active preferences (Hines 2010: 450). Die hormonelle Entwicklung könnte erklären, dass es zwischen Frauen und Männern weniger eine klare Trennung als vielmehr Übergänge und Zwischenformen gibt. Es deutet sich auch an, dass sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen höhere Androgenwerte zu mehr Lateralisation 24 führen, obwohl hier die Stimmen sehr vorsichtig sind (Cohen-Bendahan et al. 2005b, Hines 2010). In ihrer Longitudinalstudie mit 54 Kindern wiesen Lust et al. (2010) Aus‐ 130 8 Neurobiologie <?page no="131"?> 25 Selbstverständlich trägt die durch die Gesellschaft geprägte Erwartungshaltung ihren Teil dazu bei, dass Männer aggressiver als Frauen auftreten, vgl. u. a. Lightdale / Prentice (1994). wirkungen von Testosteron auf das bessere Hören mit dem rechten Ohr bei Sechsjährigen nach, was als Hinweis auf stärkere Lateralisation zu werten ist. Frauen mit niedrigeren Testosteronwerten benötigen mehr Zeit für räumliche Aufgaben, eine solche Korrelation wurde nicht bei Männern deutlich (Burkitt et al. 2007). Nicht viele Studien beschäftigen sich mit möglichen Zusammenhängen zwischen Hormonwerten und Sprachleistungen. Die wenigen zeigen aber, dass Östradiol sprachliche Fertigkeiten fördert und Testosteron eher hemmt (Schaadt et al. 2015: 72, Kung et al. 2016). Testosteron- und Östradiolkon‐ zentrationen kurz nach der Geburt beeinflussen die neuronalen Bereiche, die für Sprache wichtig sind, was sich auf sprachliche Fertigkeiten auswirkt. Auch in dieser Studie zeigte sich ein „negative impact of the serum level of testosterone and a positive impact of the serum level of estradiol at early infancy on later sentence comprehension, for both boys and girls“ (Schaadt et al. 2015: 72). Insofern können die postnatalen Hormonwerte im Zusammenhang mit bestimmten sprachlichen Leistungen stehen. Männer und Frauen zeigen Korrelationen zwischen höheren Testosteronwerten und dominant interpretiertem Verhalten wie selbstsicherem und entspannterem Auftreten und dem Gefühl von Erregung und Feindseligkeit (Dabbs et al. 2002, vgl. auch Brañas-Garza et al. 2020) 25 . Hormone wirken sich auf die strukturelle Beschaffenheit des Gehirns und damit auf das Verhalten aus. Es könnte sein, dass sprachliche Aspekte auf‐ grund der Unterschiede im Gehirn von Frauen und Männern unterschiedlich gelernt werden. Bestimmte kognitive Fähigkeiten und geschlechtstypische Verhaltensweisen gehen mit bestimmten Hormonspiegeln einher. Ein Vor‐ sprung bei der sprachlichen Kompetenz könnte korrelieren mit weniger prä‐ natalem Testosteron. Typisch weibliche und männliche Verhaltensweisen sind jedoch nicht als eindeutig unterscheidbar und polar zu sehen, sondern als Endpunkte einer breiten Übergangszone, die auch das gleichzeitige Auftreten beider nicht ausschließt (Berenbaum 1998: 181). Männer und Frauen sind nicht strikt gegensätzlich. Die Unterschiede sind gradueller Natur und zumindest teilweise biologisch zu erklären. 8.1 Hormone 131 <?page no="132"?> Hormone, auf jeden Fall die pränatalen Geschlechtshormone, haben Auswirkungen auf vermeintlich geschlechtsspezifische Verhaltenswei‐ sen. Dass manche Menschen aggressiver oder dominanter sind oder dass manche Kinder lieber mit Puppen als mit Autos spielen, ist demnach nicht ausschließlich eine Folge von Erziehung und Sozialisation. 8.2 Gehirn Bestimmte Krankheitsbilder, die mit Sprache zu tun haben wie Stottern, Dys‐ lexie oder Autismus, aber auch Aphasien betreffen eher Männer. Frauen sind zugleich weniger empfindlich gegenüber mental-neuronalen Alterserschei‐ nungen (Zaidi 2010: 44). Also muss es neuronale Geschlechtsunterschiede geben. Schon seit längerem hat sich gezeigt, dass Frauen im Gegensatz zu Männern bei der Informationsverarbeitung beide Hemisphären nutzen. Ein intensiveres beidseitiges Verarbeiten wirkt sich negativ auf die visuellräumliche Informationsverarbeitung in der rechten Gehirnhälfte aus, wäh‐ rend es für sprachliche Leistungen einen Vorteil darstellt. „Thus, the female deficit in spatial performance is hypothesized to result from competition between verbal and spatial functions in the right hemisphere“ (Sommer et al. 2004: 1845). Dazu gab und gibt es sehr viele Untersuchungen mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. Einige fanden bei der Sprachver‐ arbeitung beispielsweise keine signifikanten Differenzen bzw. Lateralisation sunterschiede (Sommer et al. 2004, Wallentin 2009). Wenn Studien bessere Sprachleistungen der Frauen ermitteln, kann sich das mit Unterschieden im Lernverhalten erklären lassen (Wallentin 2009: 177). Die wenigen Leistungsunterschiede dürften auf verschiedene Verarbei‐ tungsstrategien zurückzuführen sein (Allendorfer et al. 2012: 1228 f.). Kan‐ saku et al. (2000) fanden allerdings, dass Frauen die hinteren Bereiche der Temporallappen eher bilateral nutzen, wenn sie bei einer Erzählung zuhörten, Männer zeigten Lateralisationseffekte links im Bereich des Gyrus Temporalis Superior und Medius. Wenn der Sprachinput aus unzusammen‐ hängenden Sprachfragmenten bestand, kam es nicht zu Unterschieden. Bei Mädchen zeigte sich mehr Aktivierung der Sprachzentren. Sie nutzten stärker beide vorderen und die Temporallappen. Bei den Jungen war die Aktivierung in der rechten Hemisphäre schwächer. Wenn die Präzision 132 8 Neurobiologie <?page no="133"?> 26 Bishop (1997) etwa fand keine Unterschiede beim männlichen und weiblichen Corpus Callosum, zu einem Überblick vgl. Hines (2015), Jordan (2010), sehr kritisch vgl. Schmitz (2010). der Sprachleistungen im Vordergrund stand, erwies es sich, dass Mädchen und Jungen unterschiedliche Gehirnregionen nutzen, um die geforderten sprachlichen Aufgaben zu bewältigen (Burman et al. 2008; zu weiteren La‐ teralisationsasymmetrien bei 913 Erwachsenen vgl. Tomasi / Volkow 2012). Bei einem mentalen Rotationstest mit Buchstaben (Hahn et al. 2010) war das Gehirn bei fünfjährigen Mädchen auf beiden Seiten aktiv, während Jungen mit der rechten Hemisphäre arbeiteten. Genauigkeit und Geschwindigkeit waren gleich. Geschlechtsbedingte Unterschiede bei der Gehirnaktivität gibt es also doch und bereits vor der Pubertät, damit unabhängig von den pubertätsbedingten hormonellen Einflüssen. Gleichzeitig setzen Jungen und Mädchen unterschiedliche Strategien für die mentalen Rotationstests ein. Bei diesen Aufgabentypen deuten sich Unterschiede bereits im Alter von drei bis vier (Quinn / Liben 2008) bzw. fünf Monaten an (Moore / Johnson 2008). In ihrer Literaturübersicht fasst Zaidi (2010) die bisher ermittelten gene‐ rellen morphologischen Differenzen zusammen. Einige wie Gehirnvolumen und -gewicht oder das Verhältnis zwischen grauer und weißer Masse sind unbestritten. Ein bestimmter Bereich im Hypothalamus ist doppelt so groß bei heterosexuellen Männern im Vergleich zu Frauen und homo‐ sexuellen Männern (Zaidi 2010: 38). Der Hippocampus hingegen ist bei Frauen ausgeprägter (Derks / Krabbendam 2013: 284). Die Gehirnregionen, die im weiblichen Gehirn größer sind, sind an der Sprachverarbeitung beteiligt (Hines 2015: 873). Jedoch belegen einige, aber eben nicht alle Studien, dass das Corpus Callosum, das für den Informationsaustausch zwischen den Hirnhälften sorgt, im weiblichen Gehirn stärker ausgebildet ist 26 , was zu mehr Kommunikation zwischen den Hemisphären führt und die stärkere Lateralisation bei Männern erklärt, die wiederum aus Sicht einiger Wissenschaftler: innen tendenziell bewiesen ist (Derks / Krabbendam 2013: 284; weiter auch Güntürkün / Hausmann 2007, Hines 2010). „Men think more with their grey matter, and women think more with white“ (Zaidi 2010: 43). The pattern of accuracy correlations suggests that girls’ linguistic judgments depended on information available to the language network regardless of the modality of word presentation, whereas accurate performance for boys depended on the modality of word presentation rather than linguistic judgment required. 8.2 Gehirn 133 <?page no="134"?> These dramatic sex differences in the pattern of brain-behavior correlations reflect fundamental differences in the nature of processing required for accurate performance (Burman et al. 2008: 1359). Frauen und Männer unterscheiden sich nicht in der Intelligenz, aber in der Gehirnstruktur und darin, wie sie ihr Gehirn nutzen. Es gibt offenbar geringfügig größere Lateralitätseffekte bei Männern bei der Lösung bestimmter Aufgaben. Ob diese auf Unterschieden bei der Beschaffenheit des Gehirns oder unterschiedlichen Vorgehensweisen beru‐ hen, ist jedoch für einige Wissenschaftler: innen nicht klar (Medland et al. 2002). Auch Miller / Halpern (2014: 40) sehen neuronale Erklärungen für geschlechtsbedingte Unterschiede von kognitiven Fähigkeiten zwiespältig, wenn Frauen und Männer das Gehirn unterschiedlich nutzen, um zu ver‐ gleichbaren kognitiven Leistungen zu gelangen. In einer großangelegten Studie mit 949 Teenagern belegten Ingalhalikar et al. (2014) große strukturelle Unterschiede zwischen den Gehirnen. Das führt bei Männern zur optimalen Kommunikation innerhalb einer Gehirn‐ hälfte, bei Frauen zur Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften. Die Autor: innen folgern, dass male brains are structured to facilitate connectivity between perception and coordinated action, whereas female brains are designed to facilitate communica‐ tion between analytical and intuitive processing modes (Ingalhalikar et al. 2014: 823). Auch Luders et al. (2004) fanden geschlechtsspezifische Unterschiede der kortikalen Komplexität, höhere Werte bei Frauen dürften hier kompensato‐ risch wirken. Lateralisierungseffekte werden nicht allgemein, wohl aber in bestimmten Bereichen des Gehirns bei bestimmten Aufgaben sichtbar. Neuere Studien zeigen deutlich weniger Interkonnektivität im männli‐ chen Gehirn innerhalb als auch zwischen den Hemisphären. Es ist daher deutlich asymmetrischer und modularer als das weibliche (Ingalhalikar et al. 2014, Cahill 2014). Weibliche und männliche Gehirne unterscheiden sich strukturell und funktional (Zhang et al. 2020). Männer und Frauen verar‐ beiten Sprache unterschiedlich (Xu et al. 2020). Für nicht-binäre Personen sind bisher noch keine eindeutigen neuroanatomischen Muster gefunden 134 8 Neurobiologie <?page no="135"?> worden. Die Ergebnisse scheinen aber auch auf neurobiologischer Ebene auf ein Kontinuum zwischen den Geschlechterpolen hinzuweisen (Baldinger- Melich et al. 2020: 1353). Das widerspricht der ehemals verbreiteten Ansicht, es gäbe keine Unterschiede und das Geschlecht übe keinen Einfluss auf das Gehirn aus. Grund für die traditionelle Sicht ist, dass die Studien in der Regel eher wenige und vor allem männliche Zellproben, Tiere und Probanden verwendeten und ihre Ergebnisse auf weibliche übertrugen (Prager 2017, Cahill 2014). Die Annahme selbst führt dann wieder dazu, weitestgehend männliche Gehirne zu untersuchen, da es ja ohnehin keine Unterschiede gibt. Viele widersprüchliche Ergebnisse in der Vergangenheit sind darüber hinaus methodischen Schwächen geschuldet (Schmitz 2010). Männer und Frauen haben unterschiedliche Gehirne. Die neuroanatomischen Geschlechtsunterschiede finden sich auf allen Ebenen, vom Neokortex bis zum Rückenmark. Die Geschlechtsdifferenzen in den subkortikalen Strukturen sind wahrscheinlich maßgeblich an den Mechanismen der sexuellen Orientierung und der sexuellen Handlungsweisen beteiligt (Güntürkün / Hausmann 2007: 100). Viele Unterschiede in der Gehirnarchitektur werden heute auf pränatale Hormone zurückgeführt. Auch direkte genetische Einflüsse sind nicht auszuschließen. Andere ergeben sich durch Lernen. Einige kognitive Unterschiede wiederum werden durch unterschiedliche Strategien der Informationsverarbeitung und neuronale Mechanismen kompensiert. 8.3 Kognition Kognitive Unterschiede sind zum Teil hormonbedingt, zum Teil resultieren sie aus dem Zusammenspiel von Verhalten, Übung und Sozialisation. Diese Faktoren voneinander abzugrenzen, ist meist schwierig. Bei Josephs et al. (2003) beispielsweise ging es wieder um Testosteron, jedoch nun im Zusammenhang mit Status und bestimmten kognitiven Leistungen. Für die Autoren ist ein Stereotyp eine Aussage zu Überlegenheit und Status. Die Stereotype zu math ematischen Fähigkeiten lassen bei Frauen schlechte, bei Männern gute Leistungen erwarten. Der Status ist jeweils gewahrt, wenn die Versuchspersonen diesen Erwartungen bei Mathematiktests entsprechen. 8.3 Kognition 135 <?page no="136"?> 27 Bei Menschen wird der Statusstreit von der körperlichen Auseinandersetzung auf an‐ dere Ebenen wie z. B. mehr Publikationen im akademischen Bereich verlagert ( Josephs et al. 2003: 158). Dies geschieht alles in der Regel auf einer unbewussten Ebene. Testosteron sollte den Drang erhöhen, Status zu wahren oder gar zu steigern, also dominante Verhaltensweisen nach sich ziehen. Höhere Testosteron‐ werte führen stärker dazu, den Status zu halten oder zu erhöhen. Ein typischer Statusstreit zwischen männlichen Individuen ist mit aggressivem Verhalten verbunden 27 . Die Autoren wollten mit ihrer Variante des Tests zur Stereotypbedrohung prüfen, inwiefern ein höherer Testosteronspiegel bei Frauen und Männern die Erwartungshaltung bei bestimmten Tätigkeiten, und zwar Rechenleistungen, steigert, wenn vorher geschlechtstypische Stereotype aktiviert werden. Da Testosteron mit Dominanzverhalten und Statusverteidigung in Zusammenhang steht, sollten die Leistungen bei niedrigen Testosteronspiegeln nicht von Status bedrohenden Situationen beeinflusst werden. Für ihre Untersuchung arbeiteten Josephs et al. (2003) mit Proband: innen, für die mathematische Fähigkeiten wichtig waren und die in Vortests gut abgeschnitten hatten. Bei Männern sind die Stereotype positiv, von ihnen wird erwartet, dass sie bei Mathematiktests gute Leistungen bringen. Anhand solcher Resultate können Männer ihren höheren Status auf dem Gebiet der Mathematik zeigen. Sie sollten daher bei einem höheren Testos‐ teronspiegel versuchen, möglichst gut abzuschneiden, um den Status zu halten oder zu verbessern. Von Frauen wiederum wird erwartet, dass sie bei Mathematikaufgaben schlecht abschneiden. Das eigentliche Ziel der Studie war den Teilnehmer: innen nicht bekannt. Anhand von Speichelproben wurden zunächst die Testosteronwerte der Versuchspersonen bestimmt. In einer ersten Stufe des Tests bekamen die Hälfte der Versuchspersonen neutrale Fragen, die andere Hälfte solche, die die Stereotype aktivierten wie „I think that some people feel I have less math ability because of my gender“ ( Josephs et al. 2003: 159) bzw. Vorgaben, die die männlichen Versuchspersonen besonders zu guten Leistungen animier‐ ten. Die Ergebnisse des Mathematiktests wurden mit früheren Leistungen verglichen. In den neutralen Situationen kam es nicht zu Unterschieden. Versuchspersonen mit niedrigem Testosteronwert zeigten ebenfalls keine Abweichungen, die mit höheren Werten erwiesen sich jedoch als empfind‐ lich gegenüber den implizierten Stereotypen. Frauen mit hohem Testoste‐ ronspiegel erbrachten in der Situation mit vorher erwähnten negativen 136 8 Neurobiologie <?page no="137"?> Stereotypen schlechtere Ergebnisse als gewohnt: „When one expects to fail, and this result has consequences for status, testosterone may magnify the behaviors and tendencies that make failure more likely“ ( Josephs et al. 2003: 160). Männer waren gegenüber negativen Stereotypen der Frauen immun. In der Situation, die positive Stereotype auslöste, erbrachten Männer mit hohem Testosteronwert bessere Leistungen. Für die Autoren zeigen die Ergebnisse, dass die höheren Testosteronwerte sowohl bei Frauen als auch bei Männern dazu führten, den Status, wie er ihnen durch die Stereotype vermittelt wurde, zu verteidigen, da sie sich stereotypkonform verhielten im Gegensatz zu Versuchspersonen mit nied‐ rigeren Testosteronwerten. Damit beeinflusst Testosteron das Bedürfnis, Status zu wahren, was dominierendes Verhalten auslösen kann. Stereotype wirken nicht unbedingt bewusst, können aber ihre Wirkung verstärken, wenn sie aktiviert sind, was u. a. mit Hormonen und dem Versuch, Status zu wahren, zusammenhängt, was wiederum Dominanz‐ verhalten auslöst. Dominanzverhalten ist nicht ausschließlich erlernt, sondern wird mit über Geschlechtshormone gesteuert. In einer weiteren Untersuchung zum Verhältnis von Hormonen, Stereoty‐ pen und kognitiven Leistungen konnten die Autor: innen zwar Zusammen‐ hänge zeigen, mochten sich jedoch nicht auf eine Kausalrichtung festlegen (Hausmann et al. 2009). Verschiedene Studien ergaben jedoch insgesamt, dass bei Frauen die Erinnerung an die für sie benachteiligenden Klischees zu ihren Rechenleistungen nicht nur zu schlechteren Testergebnissen (Kap. 7.5.2), sondern auch zu anderen Gehirnaktivitäten führt (Miller / Hal‐ pern 2014: 41). Erstens gibt es einen Zusammenhang zwischen Hormonen, Verhaltens‐ weisen und kognitiven Leistungen. Zweitens verstärkt Testosteron die Reaktion auf Erwartungen. Bei Frauen, die mit negativen Stereotypen konfrontiert sind, wirkt sich Testosteron dann besonders nachteilig aus. 8.3 Kognition 137 <?page no="138"?> Studien zur mentalen Rotation fanden ebenfalls verbesserte Leistungen durch positive Pauschalaussagen bzw. Stereotype. Ein direkter Einfluss von Genen oder Hormonen auf räumliche Fähigkeiten konnte allerdings bisher nicht gezeigt werden. Stattdessen könnten unterschiedliche Präferenzen im Spielverhalten verschiedene kognitive Fähigkeiten fördern. Sie werden verstärkt durch stereotype Erwartungshaltungen (Hines 2015). Was die kognitiven Fähigkeiten anbetrifft, so sind die Unterschiede inner‐ halb einer Geschlechtergruppe sowieso wesentlich größer als zwischen den Geschlechtern. Unsere Vorstellungen von den unterschiedlichen Leistungen beruhen auf Klischees, nicht auf Fakten. Denn die vielen Untersuchungen zu dem Thema zeigen, dass es zwar Unterschiede gibt. Mädchen lernen früher und mehr Wörter als Jungen, und zwar unabhängig vom Verhal‐ ten der Mütter (Halpern / Tan 2001: 394, Kung et al. 2016), und sie sind insgesamt in ihrer kognitiven Entwicklung schneller. Jungen bzw. Männer schneiden bei den mentalen Rotationstests besser ab. Testosterongaben verbessern allerdings hier die Leistung der Frauen kurzfristig (Hampson 2018). Lawton (2010) verweist darauf, dass hohe Testosteronwerte bei Frauen mit effektiverem konfiguralem Wissen in Zusammenhang steht. Einige Unterschiede scheinen universell zu sein, unabhängig von Kultur und Stereotyp, allerdings könnten sie im Zusammenhang mit der Hormon‐ zusammensetzung stehen (Halpern / Tan 2001). Insgesamt gibt es jedoch keine globalen Domänen, in denen Frauen bzw. Männer dem anderen Geschlecht überlegen sind. Das liegt erstens daran, dass bei vielen Aufgaben räumliche und sprachliche Prozesse interagieren und dass zweitens Män‐ ner und Frauen unterschiedliche Strategien bei der Problembewältigung verwenden. Weibliche und männliche Versuchspersonen beachten andere Informationen, um eine Aufgabe zu lösen (Lawton 2010: 332). Männliche Strategien sind holistisch und global ausgerichtet, weibliche eher lokal und analytisch, was wiederum hormonell bedingt sein könnte, denn es kommt durch den weiblichen Zyklus zu Schwankungen bei den Ergebnissen ( Jordan 2010, Saucier / Ehresman 2010, Pletzer 2014). Wirkliche Unterschiede lassen sich lediglich in einigen Teilbereichen nachweisen. Es gibt hormonelle und neurologische Unterschiede, die ebenfalls hormonell verursacht sind und die auch auf das Verhalten einwirken, während der Erwerb von Fähigkeiten wiederum auf die neuronalen Strukturen Einfluss nimmt. Einige Schwan‐ kungen bei kognitiven Leistungen korrelieren mit Hormonschwankungen. Dazu beeinflussen Stereotype die Ergebnisse sowie auch die Hormonwerte. Letztendlich können Männer und Frauen offenbar Defizite ausreichend 138 8 Neurobiologie <?page no="139"?> 28 Bei Frauen sind das beispielsweise Depressionen und Essstörungen, bei Männern hingegen Autismus, Tourette und Asperger. kompensieren, um Probleme zu lösen (ausführlich Hausmann 2007). Die ver‐ schiedenen beteiligten Ursachen greifen ineinander, so dass auch deswegen die traditionelle Sichtweise von angeboren oder erworben aufgegeben wer‐ den muss. Aber da bestimmte Krankheitsbilder und Verhaltensstörungen bei Frauen und Männern verschieden häufig diagnostiziert werden 28 , muss es auf jeden Fall biologisch begründbare Unterschiede im Gehirn geben. Inwieweit diese Ungleichheiten hormonell bzw. genetisch basiert sind, ist bislang noch nicht geklärt (Craig / Loat 2007, Hines 2015, Ristori et al. 2020). Eventuell mögen sie in den unterschiedlichen Aufgaben begründet sein, die prähistorischen Männern und Frauen oblagen, hier können wir nur Vermu‐ tungen anstellen (Lawton 2010). Wenn die Ergebnisse der Studien aber eher uneinheitlich ausfallen, liegt das an der großen Bandbreite an Methoden und Untersuchungsausschnitten und an eher kleinen Datenmengen (Pletzer 2015). Geschlechtstypische Verhaltensweisen ändern sich je nach Situation, Individuum und kognitiver Aufgabe. Sie ergeben sich aus der Interaktion genetischer, hormoneller, neuronal-kognitiver und verhaltensbasierter Faktoren. 8.4 Evolutionärer Ansatz Die evolutionären Prinzipien, wie wir sie von Darwin kennen, lassen uns einige Geschlechtsunterschiede besser verstehen (vgl. auch Kap. 3.5). Alternativ oder zusätzlich zu Geschlechtsstereotypen werden aus dieser Perspektive die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe von Jungen und Mädchen auf Darwins Annahmen beruhend und damit evolutionär begründ‐ bar gesehen. Als Ausgangspunkt gelten die reproduktiven Aufgaben bei Männern und Frauen, die bekannterweise nicht gleich sind. Das führt zu unterschiedli‐ chem Verhalten und kognitiven Leistungen. 8.4 Evolutionärer Ansatz 139 <?page no="140"?> 8.4.1 Spielverhalten Kinder üben spielerisch Verhaltensweisen, die der Vorbereitung auf erfolg‐ reiche Reproduktion dienen. Wenn kleine Jungen kämpfen und kleine Mädchen Mutter und Kind spielen, trainieren sie dadurch ihre Rollen als Erwachsene. Die Grundlagen sind angeboren bzw. werden über pränatale Geschlechtshormonschübe gesteuert. Die gesellschaftlichen Bedingungen überformen und differenzieren die Verhaltensweisen je nach ökologischsozialen Bedürfnissen. So gesehen bedeutet die Kindheit eine wichtige Übungsphase als Vorbereitung auf die überlebenssichernden Aufgaben der Erwachsenen. Fähigkeiten, die für den Erhalt der Art von Frauen und Männern beherrscht werden müssen, werden trainiert und auf die Bedürf‐ nisse einer (Groß-)Gruppe hin ausgerichtet, so dass das Verhalten dann sozial-ökologisch angepasst ist. Eine längere Kindheit erlaubt eine bessere Anpassung und führt zu situationsadäquat flexiblerem Verhalten. Die Interessen für bestimmtes Spielzeug wie Dinosaurier, Autos oder Verkleiden unterscheiden sich teils schon im ersten Lebensjahr (DeLoache et al. 2007). Mithilfe der eye tracking-Methode etwa zeigt sich, dass sich Mädchen im Alter von drei bis acht Monaten lieber Puppen ansehen, Jungen lieber Spielzeuglaster. Die Unterschiede lassen sich nicht mit bestimmten motorischen Fähigkeiten bzw. Tätigkeiten begründen, wie sie im Zusam‐ menhang mit dem Spielzeuggebrauch stehen, oder mit Stereotypen. Sie setzen auch nicht das Wissen um das Geschlecht voraus, denn dazu sind die Kinder noch zu jung. Sie können nur aufgrund visueller Eindrücke geurteilt haben, diese allerdings möglicherweise durchaus erlernt oder von außen gefördert. Geschlechtsbedingte Unterschiede bei Spielzeugvorlieben und im Spielverhalten sind nicht nur universell, sie scheinen auch mit pränatalen Hormonen in Zusammenhang zu stehen (Alexander 2006, Richards/ Browne 2022) und sind bei anderen Spezies zu finden (Alexander / Hines 2002, Hassett et al. 2008). Daher plädieren Alexander et al. (2009) für angeborene Einflüsse, die wir dann im weiteren Verlauf verstärken. Dazu passt die Beobachtung, dass sich Mädchen eher für Menschen und Jungen mehr für Gegenstände interessieren (Leaper 2015: 822 f.), sogar Neugeborene (Con‐ nellan et al. 2000). Biologische Aspekte müssen daher mitverantwortlich sein. Die unterschiedlichen Aufgaben in der Menschheitsgeschichte führten zu unterschiedlichen hormonellen Bedingungen, die zu anderen Interessen führten, die sich bei Farben und Spielzeugvorlieben äußern (Alexander 140 8 Neurobiologie <?page no="141"?> 29 Dschingis Khan (und seine engen männlichen Verwandten) haben heute an die 16 Mil‐ lionen Nachkommen in Asien (Geary 2006a). 2003). Spielverhalten spiegelt die späteren Verhaltensweisen, die für das jeweilige Geschlecht das Überleben sichern, wider. Diese Unterschiede werden zum Teil durch pränatale Hormone gesteuert, aber auch durch die Gehirnstruktur und vornehmlich durch die jeweiligen sozioökologischen Bedürfnisse und die Mitmenschen (Geary 2006a, b). 8.4.2 Partnerwahl In vielen Spezies kämpfen männliche Vertreter, während Frauen den Partner wählen. Ein gesunder, starker Partner verspricht gesündere Kinder. Ein Partner mit hohem sozialökonomischen Status garantiert mehr Sicherheit für den Nachwuchs. Beides verbessert die Überlebenschancen. Daher will er sorgsam gewählt sein. Je weniger Nachwuchs ein Geschlecht produziert (rate of reproduction), desto besser wird es sich auf die Betreuung des Nachwuchses vorbereiten. Frauen investieren bei der Kinderbetreuung daher wesentlich mehr Zeit und Energie als Männer mit ihrem im Vergleich dazu enormen Nachwuchspotenzial 29 . Deswegen müssen Frauen sorgfältig wählen, aber auch die spätere Rolle als Mutter gut einüben. 8.4.3 Dominanz und Empathie Eine Untersuchung von Knickmeyer et al. (2006) weist auf eine Korrelation zwischen höherem pränatalen Testosteron (fetal testosterone / f T) und niedri‐ geren sozial-kognitiven Werten hin, typisch für Jungen. „The results suggest that exposure to high levels of f T may result in poorer social cognition“ (Knickmeyer et al. 2006: 283). Die höheren Empathiewerte der Mädchen und Frauen lassen sich ebenfalls evolutionsbiologisch verstehen, u. a. weil Frauen die primäre Bezugsperson für Kinder bedeuten und weil sie in der Kinderbetreuung auf die Hilfe anderer Frauen angewiesen sind. Für beides ist ein Gefühl für soziales Miteinander und Verständnis anderer nötig. Im Gegensatz zu Frauen sind Männer u. a. aufgrund hoher Testosteronwerte eher gut im Kämpfen und Verteidigen. Offenbar gibt es ein reziprokes Verhältnis zwischen Testosteron und Dominanzverhalten (Mazur / Booth 1998). Teilweise wird vermutet, dass gerade das Testosteron dafür verant‐ wortlich ist, dass Männer im sozialen Agieren schlechter abschneiden. 8.4 Evolutionärer Ansatz 141 <?page no="142"?> Höhere Testosteronwerte korrelieren mit niedrigeren Empathiewerten und höherer Aggressionsbereitschaft. Diese wiederum zeigt sich bereits mit 18 Monaten in Form von Beißen, Treten, Raufen, Schubsen oder Grausam‐ keiten gegenüber anderen etc. und ist entscheidend genetisch mitbedingt, wie Zwillingsstudien belegen. Sie wird durch das Verhalten anderer und die Lebenssituation weiter beeinflusst (Dionne et al. 2003, Brennan et al. 2003). Die Wahrung des Status und Dominanzverhalten sind wichtig für den reproduktiven Erfolg. Andersherum gibt es wohl auch Zeiten, in denen höhere Testosteronwerte nicht nötig sind. So zeigte sich, dass sie bei Männern (USA, 40-85 Jahre) innerhalb emotional tragender Beziehungen in Familie und Freundeskreis zurückgehen, nach der Trennung von der Partnerin aber wieder steigen (Gettler et al. 2016, vgl. auch Mazur / Booth 1998). Wenn Männer Väter werden, vor allem, wenn sie sich mit den Kindern beschäftigen, sinkt der Testosteronspiegel ebenfalls (Gettler et al. 2011). Craig / Loat (2007) glauben, dass die an der sozialen Kompetenz beteiligten Gene auf dem X-Chromosom liegen könnten. Bei der Gehirnorganisation von Tieren und Menschen spielen pränatale Testosteronwerte eine zentrale Rolle, was sich auf späteres Sozialverhalten auswirkt. Die Hormonausschüttungen ergeben sich aus der evolutionären Vergangenheit, „the female advantage in social skills may not be solely due to cultural factors but may also be in part biological“ (Knickmeyer et al. 2006: 283). Die strukturellen und funktionalen Geschlechtsunterschiede im Gehirn sind hormonell bedingt und werden durch Gesellschaft und Umwelt überformt. Dadurch hängen kognitive Leistungen ebenfalls von diesen Faktoren ab. Lebenslanges Lernen wiederum verändert immer wieder Gehirnstrukturen und Aktivationsmuster. Das Zusammenspiel hormo‐ neller und umweltbedingter Einflüsse auf das Gehirn und die stete Lernfähigkeit begleiten den Menschen ein Leben lang. Insgesamt aber sind die neurobiologischen Unterschiede gering. Frauen und Männer ähneln sich mehr, als dass sie voneinander abweichen. Die wenigen Differenzen, die es faktisch gibt, sollten nicht überbewertet und als Entschuldigung für Ungleichbehandlung missbraucht werden. 142 8 Neurobiologie <?page no="143"?> Zusammenfassung Pränatale und postnatale Androgene wirken sich auf gewisse kognitive Fähigkeiten und geschlechtsspezifische Verhaltensweisen wie das Spiel‐ verhalten aus. Testosteron- und Östradiolkonzentrationen kurz nach der Geburt beeinflussen die neuronalen Bereiche, die für Sprache wichtig sind. Das wirkt sich wiederum auf sprachliche Fertigkeiten aus. Im männlichen Gehirn sehen wir weniger Interkonnektivität innerhalb als auch zwischen den Hemisphären, es ist daher asymmetrischer und modularer als das weibliche. Es gibt geringfügig größere Lateralitätseffekte bei Männern bei der Lösung bestimmter Aufgaben. Frauen und Männer unterscheiden sich etwas in der Gehirnstruktur, aber vor allem darin, wie sie ihr Gehirn nutzen. Viele Unterschiede in der Gehirnarchitektur werden heute auf pränatale Hormone zurückgeführt. Andere ergeben sich durch Lernen. Unterschied‐ liche Strategien der Informationsverarbeitung und neuronale Mechanismen kompensieren wiederum einige kognitive Unterschiede. Darüber hinaus können aktivierte Stereotype die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen. Manche Unterschiede lassen sich auch evolutionsgeschichtlich erklären. So dürften die reproduktiven Aufgaben bei Männern und Frauen unter‐ schiedliche Verhaltensweisen und kognitive Leistungen mitbedingen wie Spielverhalten, andere Strategien bei der Partnerwahl und Unterschiede in Dominanzverhalten und Empathie. Insgesamt gibt es keine umfassenden Bereiche, in denen Frauen bzw. Männer dem anderen Geschlecht überlegen sind. Denn bei vielen Aufgaben wirken räumliche und sprachliche Prozesse zusammen, und Männer und Frauen nutzen unterschiedliche Strategien bei der Problembewältigung. Geschlechtstypische Verhaltensweisen ändern sich je nach Situation, Indi‐ viduum und Aufgabe. Sie ergeben sich aus der Interaktion genetischer, hormoneller, neuronal-kognitiver und verhaltensbasierter Faktoren sowie aufgrund von Stereotypen. Die wenigsten dieser Faktoren können in Isola‐ tion beobachtet werden, da es immer wieder zu gegenseitigen Einflüssen kommt. Das Zusammenspiel zwischen Biologie und Umwelt ist hochkom‐ plex. Trotz verschiedener biologischer Einflüsse ist die Umgebung, in die ein Kind hineinwächst, stark geschlechtssensibel und wirkt regulierend. Das heißt aber auch, dass wir früh ausbalancieren können. Zusammenfassung 143 <?page no="144"?> Forschungsaufgaben Kleinere Abschlussarbeiten in den Geisteswissenschaften sind für biolo‐ gische Themen kaum geeignet. Allerdings könnten aktuelle Forschungs‐ übersichten erstellt werden, da es ständig neue Ergebnisse gibt. Kleinere Studien können das Spielverhalten möglichst kleiner Mädchen und Jungen betrachten - wer wählt was, wenn genügend geschlechtsspezifisches und alternatives Angebot vorhanden ist? Wie wirken Väter und Mütter bei der Auswahl ein? Literatur Einen Überblick über die verschiedenen Einwirkungen auf die Geschlechts‐ entwicklung liefert Hines (2015), zu den kognitiven Geschlechtsunterschie‐ den Hausmann (2007), zu den Asymmetrien im Gehirn Güntürkün / Haus‐ mann (2007), Zaidi (2010), über Forschung zu Hormonen vgl. u. a. Cohen- Bendahan et al. (2005b), Manson (2008), Berenbaum / Beltz (2011, 2016), Daae et al. (2020), Richrads/ Browne (2022), zu hormonellen Einflüssen auf das Gehirn McEwen / Milner (2017), zu hormonellen Einflüssen auf Gehirnstruktur, Lernfähigkeit und Verhalten bei Tierversuchen vgl. z. B. Berenbaum (1998), Hines (2011). 144 8 Neurobiologie <?page no="145"?> 9 Linguistische Gesprächsforschung 9.1 Rolle der Interaktion Wir erzeugen das soziale Geschlecht in der Interaktion und setzen es in Szene. So zeigt sich im Gespräch als einer Form des kommunikativen Miteinanders wieder das doing gender. Mit der interaktiven Konstruktion des sozialen Geschlechts kann aber zugleich die soziale Unterordnung der Frau produziert werden, wenn die Aktivierung weiblicher Geschlechtsidentität von anderen an Stelle der Frau vorgenommen wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Frau, die gerade eine Geschichte erzählt, unterbrochen wird und ein mit anwesender Mann die Geschichte an ihrer statt zu Ende erzählt. Hier wird ein niedriger Status und ein geringeres Prestige der Frau mitproduziert (Samel 2000: 167). Gespräche sind eine Bühne für situative Re-Positionierung, aber auch für das Konstruieren von Stereotypen. Da Stereotype meist zum Allgemeinwissen gehören, stabilisieren sie die Verhältnisse. Sie filtern die Wahrnehmung, be‐ herrschen unsere Erwartungshaltung und verfälschen teils auch die Fakten: Eine Frau, die sich durchsetzt und aktives Kommunikationsverhalten zeigt, entspricht nicht unseren Erwartungen und wird als aggressiv wahrgenom‐ men. Laut Stereotyp reden Frauen mehr als Männer - was faktisch nicht stimmt. Wenn Frauen sich überhaupt zu Wort melden, wird es schon als vorlaut und „zu viel“ bewertet, denn „women are perceived as too talkative because how much they talk is measured not against how much men talk, but against an ideal of female silence“ (Talbot 2005: 473). Stereotype legitimieren Fehlverhalten, wenn ein Mann es als sein Recht ansieht, das „viele“ Reden der Frau zu reglementieren und ihr angebliches Unwissen lächerlich zu machen. Solche Klischees werden ständig gepflegt. Die Medien behaupten zum Beispiel immer wieder einmal, Studien hätten ergeben, dass Frauen ca. 20 000 Wörter am Tag sprechen, Männer hingegen nur 7000. Solche Zahlen haben den Status eines kulturellen Mythos erreicht, denn keine Studie konnte diese Ergebnisse wiederholen (Mehl et al. 2007), und als Liberman (2006) nach der ursprünglichen Arbeit suchte, die zu diesen Zahlen geführt hat, fand er keine, allerdings folgenden Text: <?page no="146"?> A husband looking through the paper came upon a study that said women use more words than men. Excited to prove to his wife that he had been right all along when he accused her of talking too much, he showed her the study results. It read “Men use about 15,000 words per day, but women use 30,000”. The wife thought for a while, then finally she said to her husband “It’s because we have to repeat everything we say.” The husband said “What? ” (mistupid.com in Liberman 2006). Aufgrund der Stereotype entwickeln wir Vorstellungen zu geschlechtsange‐ messenem Auftreten. Wenn wir dem nicht entsprechen, fällt das negativ auf. So beeinflussen sie unser Verhalten. Andersherum führen diese Vor‐ stellungen unbewusst zu Bewertungen. Die Untersuchung von Mulac et al. (1985) ergab beispielsweise, dass Verschriftlichungen von Landschaftsbe‐ schreibungen anders beurteilt wurden, je nachdem, ob sie (angeblich) von einer Frau oder einem Mann stammten. Sowohl Männer als auch Frauen schätzten ein und das gleiche Transkript ästhetischer ein, wenn es einer Frau zugeordnet war („nicer, more pleasant, sweeter, and more beautiful“, Mulac et al. 1985: 1106). Es klang dynamischer bei einem Mann („more active, more aggressive, stronger, and louder“, ibd.). Auch das Handeln wird geschlechtsabhängig anders wahrgenommen. 9.2 Gesprächsforschung Gespräche sind eine Form des Handelns mithilfe von Sprache. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich mindestens zwei Sprecher: innen mit ihren Redebeiträgen abwechseln. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelten Harvey Sacks, Emanuel Schegloff und Gail Jefferson ausgehend von realen Sprachdaten die Grundlagen der Konversationsanalyse. Sie wollten Gesprächsstrukturen und die zugrunde‐ liegenden Gesetzmäßigkeiten, ihre Merkmale und Funktionen ermitteln und erfahren, wie sich Gespräche im dialogischen Miteinander bilden. Der turn bzw. der Gesprächsschritt / Redeschritt bildet die Grundeinheit. Nicht dazu zählen Hörer-, Rückmeldebzw. Kontaktsignale, mit denen das Gegenüber lediglich Interesse bekundet oder zeigt, dass sie / er zuhört, auch nonverbale Reaktionen wie das Verdrehen der Augen und Kopfnicken. Der Begriff des Gesprächsbzw. Redebeitrags wiederum umfasst Gesprächsschritte und Hörersignale. 146 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="147"?> 30 Darum sind die hier der Literatur entnommenen Transkripte vereinheitlicht wiederge‐ geben, um die Lesbarkeit zu verbessern. Gespräche weisen bestimmte typische Sequenzen (Gruß, Gegengruß) und größere Gesprächsstrukturen, Reparaturen und Unterbrechungssystemati‐ ken auf. Außerdem treten manche Wortarten wie Minimalreaktionen bzw. Gesprächspartikeln (ja, mhm, ne, genau! ) oder gefüllte Pausen (äh) nur in der Gesprächssituation auf. Ein Gesprächsschritt kann aus kurzen Wörtern (was? ), Satzfragmenten oder auch mehreren Sätzen bestehen. Als wichtige Erkenntnis erwies es sich, dass es normalerweise zwischen den einzelnen Gesprächsschritten keine Pausen gibt, sondern dass es zu Überlappungen kommt, die offenbar ihren eigenen Regeln folgen. Der Sprecherwechsel (turntaking), das sich Abwechseln im Gespräch, bildet einen der Hauptunter‐ suchungspunkte. Er folgt einem bestimmten System, denn in der Regel sollte immer nur eine Person sprechen. Überlappungen stören die Beteiligten nicht. Unterbrechungen jedoch bedeuten einen Eingriff in das Rederecht. X: Gestern warste ziemlich schlecht [drauf]. Y: - [ja]. Die Passagen zwischen den Klammern, teils werden auch Schrägstriche oder senkrechte Striche verwendet 30 , werden gleichzeitig gesprochen. Noch während X redet, stimmt Y bereits zu. Diese Überlappung ist noch keine Un‐ terbrechung, sondern eine Stelle, an der beide einen neuen Gesprächsschritt beginnen dürfen (übergaberelevante Stelle, transition relevance place). Denn X könnte weiterreden, vgl. X: Gestern warste ziemlich schlecht [drauf]. Y: - [ja]. X: Hast dich wieder mit dem Nach[barn gestritten]. Y: - [und wie]. Ebensogut könnte Y den nächsten turn übernehmen, vgl. X: Gestern warste ziemlich schlecht [drauf]. Y: . [ja]. Y: Ich hatte mich wieder derart mit dem Nachbarn gestritten. Bei einer Unterbrechung jedoch kann der bzw. die Sprecher: in den turn nicht wie geplant beenden: 9.2 Gesprächsforschung 147 <?page no="148"?> X: Gestern warste ziemlich schlecht [drauf. Hast dich wieder mit] Y: - [stimmt doch gar nicht, ich] hatte super Laune. Im folgenden Dialog zwischen K. (Klaus Kinski) und B (Moderatorin) aus einem Talkshowinterview sprechen beide immer wieder gleichzeitig. B versucht, sich ihr Rederecht zu erkämpfen. Ihre Unterbrechungsversuche gelingen erst in der Zeile 13: 1 K.: - na was auch immer was auch immer der grund ist 2 - - okay 3 B: - ja aber jetzt hör doch mal 4 - einen moment hör doch mal nen moment alles andere ist quatsch 5 K.: 6 - ich brauche also 7 B: 8 K.: - keine komplimente von dir 9 - das ist ja entzückend ich will keine komplimente machen 10 B: 11 - ich wollte etwas ganz normales daß du mir ein kompliment machst aber äh ich 12 K.: 13 B: - sachliches sagen und wollte sagen daß aus dem buch […] (nach Brinker / Sager 1996: 62) Signale, die zeigen, dass das Gegenüber aktiv zuhört, sind zu trennen von de‐ nen, die anzeigen, dass es gern sprechen würde (gesprächsbeanspruchende Signale), wie im folgenden Beispiel also in der Zeile 2, 8, 12: 1 W: … die alleine exi[stieren] 2 B: - [also ] 3 W: ohne zusammenzuleben. Frauen sind doch net nur als 4 - Mütter sozusagen vollwertig 5 B: Ja 6 W: denn Männer sind ja auch, wenn sie unverheiratet 7 - sind oder allein leben voll[wertig ] 8 B: - [also ich] hab aber 9 - [auch nirgendwo] 10 W: [Sie definieren ] die Frauen nur als Mutter 11 - [und das ist ] 12 B: [also das ist] […] (nach Kotthoff 1993: 167) 148 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="149"?> Wie lange eine Pause als angemessen gilt sowie die Toleranz gegenüber Redeüberlappung und Kurzäußerungen ist von Kultur zu Kultur stark unterschiedlich. In vielen asiatischen Ländern gilt ein Einwurf oder eine schnelle Turnübernahme als unhöflich, während in Italien gleichzeitig zu reden bedeutet, an den anderen interessiert zu sein. In deutschen Ohren kann dies wiederum aggressiv oder nach einem Streit klingen. 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 9.3.1 Erste Studien Die ersten Studien schlossen an die Ausführungen von Key (1972, 1975) und Lakoff (1973, 1977) an, die ja zunächst auf Introspektion beruhten (vgl. Kap. 3.2), beispielsweise Trömel-Plötz (1982) zu Fernsehdiskussionen im Schweizer Fernsehen mit Zahlen zu u. a. Anzahl und Längen von Re‐ debeiträgen und Unterbrechungen. Schoenthal (1985) und Samel (2000) beispielsweise fassen die Ergebnisse zusammen: Aus soziolinguistischer Perspektive sprechen Frauen standardnäher, Männer eher umgangssprach‐ lich oder Dialekt, und zwar bereits im Kindesalter (u. a. Eckert 2014). Bezogen auf das Gesprächsverhalten ergaben sich ebenfalls systematische Unterschiede: Männer bestimmen das Thema, reden mehr und häufiger, ergreifen öfter das Wort und unterbrechen Frauen öfter als anders herum. Frauen formulieren etwas vager, Männer präziser und auf die Sache bezogen. Sie setzen sich auch bei der Verfolgung ihres Themas besser durch. Frauen verwenden mehr Zustimmungssignale wie ja, mhm, stimmt! , mehr Fragen und Bitten und lächeln mehr. Männer gebrauchen mehr Aufforderungen und Imperative. Frauen gehen inhaltlich mehr auf die anderen ein und lassen reden. Was Überlappungen, Unterbrechungen und auch Passagen des Schweigens anbetrifft, wurden ebenfalls systematische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gefunden. Durch Unterbrechungen etwa beschnitten Männer Frauen im Rederecht, was als Zeichen von Machtaus‐ übung und Kontrolle interpretiert wurde, vergleichbar mit dem Verhalten Erwachsener gegenüber Kindern. Insgesamt zeigte sich auf mehreren Ebenen die Tendenz, Frauen zu dominieren. Frauen hingegen lassen sich durch ihr Bemühen, höflich zu wirken, behindern, da sie sich weniger durchsetzen. Sie entschuldigen sich mehr, wirken unsicher und treten gleichzeitig emotionaler und kooperati‐ 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 149 <?page no="150"?> ver auf, Männer wirken bestimmt und beherrschend, zumeist führen sie im Gespräch. Das lässt sich beispielsweise anhand von Unterbrechungen erkennen. Im folgenden Ausschnitt versucht die Patientin zweimal, etwas zu sagen, wird aber sofort vom Arzt zum Schweigen gebracht. Arzt: … wird wahrscheinlich nachlassen ein bißchen, wenn Sie sich mal daran gewöhnen. Patientin: Der Druck--[ wird - ] Arzt: - [Nun, wenn er nicht] nachläßt, wird Secorbarbital auch nicht helfen. Patientin: Also, - Arzt: - Es verschlimmert die Dinge nur noch. (nach Samel 2000: 182) Bei der Wortwahl ergab sich eine Tendenz der Frauen, vorsichtiger und abschwächender zu formulieren, beispielsweise durch sogenannte hedges, Heckenausdrücke bzw. Abschwächungen, wie wahrscheinlich, eine Art von, Gefühlsausdrücke (oh je! , ach Gott! ), mehr Intensivierer (total, sehr), Euphe‐ mismen, Diminutive, im Deutschen mehr Modalpartikel, was ebenfalls eine klare Stellungnahme abmildert. Auf syntaktischer Ebene verwenden sie höfliche Fragen, im Englischen tag questions, im Deutschen etwa ne, nicht wahr? . Die Unterschiede im Verhalten wurden auf das Geschlecht zurückge‐ führt - Männer dominieren Frauen im Gespräch, und Frauen lassen sich dominieren. Dies markiert ihre Untergeordnetheit. Den Untersuchungen lagen anfangs impressionistische Einschätzungen, später dann sehr oft Arzt- Patientinnen-Interaktionen oder öffentliche Debatten zugrunde. Situative Einflüsse wurden zunächst nicht bedacht. Das Verhalten der Männer galt ursprünglich noch als Norm, an der Frauen gemessen wurden, die entsprechend abwichen, daher auch der Begriff Defizithypothese, die Frauen empfahl, das Verhalten der Männer zu übernehmen (u. a. Lakoff 1973, Trömel-Plötz 1982). Diese Vorstellung wurde von jener der Gesprächsstile abgelöst. Der männliche war typischerweise dominant, der der Frau kooperativ, aber beide galten als gleichwertig, daher Differenzhypothese (vgl. Kap. 3.2). Die frühe feministische Gesprächsforschung formulierte einige klassische Thesen: 150 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="151"?> Männer reden mehr, öfter und länger als Frauen. Männer unterbrechen Frauen mehr und ergreifen das Wort. Sie bestimmen das Thema und stellen sich dar, daher auch mehr Witze und Schimpfwörter. Damit verhalten sich Männer dominant. Frauen lassen sich unterbrechen, warten, bis ihnen das Wort erteilt wird, äußern mehr Minimalreaktio‐ nen und leisten die eigentliche Gesprächsarbeit. Damit verhalten sich Frauen kooperativ. Der kooperative Gesprächsstil bedeutet im Gespräch gegenüber dem dominanten Gesprächsstil einen Nachteil, weil sich die Frauen deswegen nicht durchsetzen können und ihr kommunikatives Ziel nicht erreichen. In beiden Fällen handelt es sich um Tendenzen, die das Verhalten betreffen und nicht die Begriffe „Frauensprache“ bzw. „Männersprache“ rechtfertigen. Zumindest in unseren Kulturkreisen, nicht aber in einigen afrikanischen Ländern oder in Japan, nutzen beide Geschlechter das gleiche Vokabular und die gleiche Aussprache und Grammatik. 9.3.2 Kritik Auf diese Ergebnisse folgten zahlreiche Einwände. Die Probandenauswahl war zu homogen. Viele der Daten ließen sich auch anders interpretieren oder es waren nicht alle Aspekte berücksichtigt worden. Das Geschlecht als al‐ leinigen Grund für Unterschiede anzunehmen erwies sich als unzureichend, schließlich sollten weitere Kriterien zur Erklärung der Stile herangezogen werden. Ein Kritikpunkt bezog sich auf die eingeschränkte Probandenauswahl, denn zumeist handelte es sich um Weiße der amerikanischen Mittelschicht. Freed / Greenwood (1996) sahen auch die Ausrichtung auf einzelne sprach‐ liche Variablen, die unabhängig vom Kontext mit ganzen Sprechergruppen assoziiert wurden, als fragwürdig an. In ihrer Studie verwendeten Frauen und Männer Fragen und die Floskel you know jeweils ungefähr gleich häufig, allerdings je nach Situation unterschiedlich oft. Eine bloße Zählung einzelner sprachlicher Parameter ohne Berücksichtigung anderer Faktoren bleibt oberflächlich und damit wenig aussagekräftig. Gerade die Untersuchungen des Unterbrechungsverhaltens ergaben im‐ mer wieder unterschiedliche Ergebnisse. James / Clarke (1993) unterzogen 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 151 <?page no="152"?> die Studien bis 1991 einer erneuten Prüfung. Sie kritisierten zunächst, dass viele mit Studierenden in experimentellen Situationen und in englischspra‐ chigen Ländern durchgeführt worden waren. Dann fanden sie ein ungefähr ausgewogenes Verhältnis bei den Unterbrechungen. Sie gewannen den Eindruck, dass Frauen Gesprächsüberlappungen nutzen, um Interesse und Einverständnis zu bekunden. Unterbrechungen und Unterbrechungsversu‐ che als Dominanz zu interpretieren ist daher zu kurz gegriffen. Damit wären Unterbrechungen, Versuche und Gesprächsüberlappungen zunächst einmal nach unterschiedlichen Funktionen aufzuschlüsseln (vgl. auch Kotthoff 1993). Für Werner (1983) ist paralleles Reden nicht automatisch ein Unterbre‐ chungsversuch. Schmidt (1992) zeigt, dass Gleiches zugleich zu äußern aktives Zuhören signalisieren kann (vgl. auch Frank 1992). Ahrens (1997) ist der Ansicht, dass viele Unterbrechungen bzw. gleichzeitiges Sprechen eigentlich kooperativ gemeint sind. Uta: naja Weihnachten ick bin sowieso nich inner Kirche - Für mich .h existiern so’ne Feste eigentlich .h Uta: sowieso nich d[et is so’n ] Wini: - [naja ick meine] es isis jso’ne Wini: so’ [ne Fam- ] [Familiensache ] Uta: - -[für Kin ]der is [det schon wat Net-]tet Wini: [ja ne]ch? Uta: [ja doch--] (Gespräch Nr.-16,54 nach Ahrens 1997: 93) Uta unterbricht, während Wini das Wort Familiensache sucht, um einem möglichen Einwand zuvorzukommen. Zwar geht sie nicht in die Kirche, für sie ist das nichts, aber für Kinder ist das schon schön. Sie relativiert ihren Standpunkt und erreicht Konsens (Ahrens 1997: 94). Außerdem vernachlässigen gerade frühe Studien die Prosodie. Sie zeigt oft an, ob eine Äußerung kurz vor dem Ende steht, so dass eine Redeüberlappung dann nicht als Unterbrechung zu werten ist, oder ob eine Unterbrechung erwünscht ist oder nicht (Kotthoff 1993, Kotthoff et al. 2018: 276). Faschingbauer (2002) wollte Unterbrechungen auf ihren Erfolg hin prü‐ fen, und zwar, inwiefern das Rederecht der Sprechenden tatsächlich dadurch eingeschränkt wird. Ihre Untersuchung von 500 Textseiten verschiedener Gespräche und Gesprächstypen ergab bei dieser Einschränkung nur geringe Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Der Faktor Status hingegen 152 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="153"?> stellte sich als relevant heraus, besonders in Talkshows und Schiedsverhand‐ lungen, kaum jedoch in psychosozialen Beratungsgesprächen. Somit bildet die Textsorte bzw. die Gesprächssituation einen weiteren entscheidenden Gesichtspunkt. Vor allem also erwies sich der Faktor Geschlecht allein als zu wenig aussagekräftig. Die Frage allerdings ist, ob er vorrangig wichtig ist oder hinter anderen zurücktritt. Bereits 1980 wandte Pedersen ein, dass die Gesprächsstudien nicht meh‐ rere Einflussfaktoren in Betracht zogen und dass sie vorschnell verallgemei‐ nerten und Unterschiede im Gesprächsverhalten dem Geschlecht zuschrie‐ ben. Sie entwickelte daher eine kleine Studie mit 24 Männern und 24 Frauen, die in unterschiedlichen Zweier-Konstellationen anhand eines Stadtplans einen Weg beschreiben sollten. Die bzw. der Beschreibende wurde als Erklä‐ rende: r als aktiv und gesprächsdominant gesehen, der bzw. die Informations‐ empfangende (follower) als in einer untergeordneten, passiven Rolle. Damit kam die Dimension der sozialen Rolle dazu. Die Versuchspersonen saßen sich gegenüber und hatten je einen Stadtplan. In einer Versuchsvariante waren die Pläne gleich, in einer anderen jedoch nicht, was zu Problemen führen sollte und daher zu aktiven Reaktionen wie Nachfragen oder Wider‐ spruch bei den Ausführenden. So kam auch die Dimension Konfliktsituation hinzu. Pedersen erwartete, dass gemäß den Stereotypen Männer besser Anweisungen geben und Frauen besser Vorgaben ausführen. Das sollte besonders in gemischten Gruppen deutlich werden. Insgesamt sollte eine Gruppierung mit Frauen in der Führungsrolle und Männern als passiven Instruktionsempfängern wenig effizient sein. In der konfliktfreien Situation mit Männern als Erklärenden und Frauen als Ausführenden wurde die Aufgabe, einen Weg aufgrund der Erklärung auch zu finden, tatsächlich sehr schnell gelöst, während es bei Frauen als Erklärenden und Männern als Ausführenden wie erwartet sehr viel länger dauerte. In der Konfliktsituation erwiesen sich erstaunlicherweise die Männer als bessere follower, außerdem waren die gleichgeschlechtlichen Gruppen effizienter als die gemischten, wobei die rein männliche Paarung die Aufgabe am schnellsten löste. Als am wenigsten erfolgreich erwies sich die Paarung mit einem männlichen Erklärenden und einer weiblichen Ausführenden. Dies entsprach nicht den Erwartungen, wurde aber von Pedersen dahingehend interpretiert, dass ein rein passiver follower weniger erfolgreich ist als jemand, der aktiv nachfragt und damit die Kontrolle übernimmt. Denn das setzt Selbstbewusstsein voraus und entspricht eher den männlichen Verhaltensweisen. Unterschiede 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 153 <?page no="154"?> bezogen sich auf die Verbalisierung von Zweifeln: Frauen kleideten sie in Fragen, Männer in Behauptungen. Abschließend wurden die Versuchspersonen gefragt, ob das Geschlecht des Gegenübers vielleicht Einfluss auf die Kommunikationssituation gehabt haben könnte, was alle verneinten. „This suggests that patterns of verbal communication can be learned so thoroughly as to have become habitual and generally not reflected upon“ (Pedersen 1980: 111). Insgesamt ist bei derartigen Gesprächsanalysen nicht nur das Geschlecht der Teilnehmenden zu bedenken, sondern auch Situation und soziale bzw. kommunikative Rolle. Die Studien zu Redemengen erfuhren ebenfalls Reanalysen, beispiels‐ weise von James / Drakich (1993). Sie sahen 63 Untersuchungen von ge‐ mischtgeschlechtlichen Gesprächen bis 1991 nochmals durch. Die Ergeb‐ nisse waren nicht ganz eindeutig, zeigten aber, dass Männer überwiegend mehr sprachen als Frauen, vor allem in formellen und öffentlichen Situa‐ tionen, wobei die Autorinnen den Faktor Status mit als Erklärung für die Unterschiede sahen. Die Reanalyse durch Leaper / Ayres (2007) von 158 Stu‐ dien aus den Jahren 1968 bis 2004 ergab wieder, dass Männer signifikant mehr sprechen und zwar vor allem dann, wenn die Gesprächsteilnehmer: in‐ nen sich nicht kennen. Allerdings waren die Gesprächsmengen auch bei (Ehe-)Partnern sehr hoch, wenn sie mit ihren Frauen redeten. In künstlichen Sprachlaborsituationen waren Männer redseliger als in natürlichen. Auch Frank (1992) fand bei ihren Metaanalysen, dass Männer zwar mehr reden, jedoch eher nicht in privaten Situationen, und dass Status, Situation und auch individuelle Aspekte zu wenig bedacht worden waren. Selbstpräsentation und Kontrollbedürfnis provozieren Gesprächigkeit bei den Männern. Sozialisierung, Themen und Situationen beeinflussen das Redeverhalten. Bei der Analyse eines schwedischen Gleichberechtigungsprozesses stellte Schlyter (1992) weitere für die Frauen ungünstige, aber immer wieder beob‐ achtete Verhaltensweisen fest, etwa das Schmälern der eigenen Leistung, das der Selbstdarstellung der Männer diametral entgegensteht, vgl. „Manchmal sind es ja sehr einfache Sachen, die keine größere Nachforschung erfordern, weil man ähnliche Sachen die ganze Zeit tut“ mit „Ich habe mir ja da eine Kenntnis über mich erarbeitet, über meine Ideen-…“ (Schlyter 1992: 209). 154 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="155"?> Die Frau agierte insgesamt zurückhaltender und führte nicht alle Arbeiten auf, die sie leistet. Das Verschweigen unterstützte das Schmälern und rückte die Frau in eine unterlegene Position, während der Mann seine Leistungen ausdrücklich hervorhob. Zusätzlich verwendete er wesentlich häufiger ich und aktive Verben wie ich habe veranlasst, ich achte darauf (Schlyter 1992: 212). Die Frau gebrauchte mehr Abschwächungssignale wie im übrigen, sozusagen (ibd.: 217). Schließlich sprach der Mann auch wesentlich mehr als die beiden Frauen. Um bei den Unterschieden die Faktoren Wissenshorizont und Status ausklammern zu können, untersuchte Schmidt (1988, 1992) Gespräche zwi‐ schen Studierenden. Sie fand in dreieinhalb Gesprächsstunden ein deutlich kooperativeres Verhalten der Studentinnen bei der gemeinsamen Themen‐ bearbeitung und Berücksichtigung anderer Beiträge, während Studenten mehr Selbstdarstellung betrieben. Die Studentinnen äußerten mehr Rück‐ meldungen, gesprächssteuernde Fragen und mehr Partikeln, die den Wahr‐ heitsanspruch der Behauptungen einschränken. Im folgenden Gespräch zwischen drei Sprecherinnen finden wir neben Zustimmung (m: ) auch Trost, Aufmunterung und Beschwichtigung (nuh komm, nein das stimmt nicht, nein eben net, red dirs net ein), als Cw glaubt, nichts mehr zu wissen (Zeile 5, 10). 1 Cw das be-besitzbürgertum hatte zwei vorteile nämlich durch dieses 2 Cw bilddurch die bildung die sie erreicht haben und zwar punkt 3 Aw - m: 4 Cw eins daß es sich als äh gesellschaftliche klasse vermehren 5 Cw konnten also daß es: äh / jetzt weiß ich nimmer weiter / also 6 Aw - m: 7 Cw Ich frag mich warum ich heut mittag was gelernt hab hätt ich genauso 8 Cw gut spazieren gehen können----ah doch is doch . . alles: . 9 Aw - nuh komm 10 Cw Ich weiß nichts mehr es isch aber 11 Bw - nein das stimmt nicht 12 Aw - nein eben net red dirs net ein […] (nach Schmidt 1992: 76). 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 155 <?page no="156"?> Neben Hörersignalen, Wort- und Formulierungshilfen und Fragen, die dem thematischen Fortschritt dienen, zeigte sich kooperatives Verhalten auch darin, dass auf andere eingegangen wurde und dass sie ermuntert wurden zu sprechen, um das Thema weiterzuentwickeln (Schmidt 1992: 78 f.). Studenten redeten etwas häufiger und länger, auch monologisierend, und versuchten öfter zu unterbrechen, auch, um andere durch ihre Einwürfe durcheinander- und vom Thema abzubringen. 1 Pm und da kannma ebe noch feschtmache wie die welt 2 Pm gsehe wird . . und wennma mal des f 3 Nw - m und ich mein 4 Nw wenn die autoren des nich mal für nötig finden 5 Nw zum beispiel wie der goethe sone turmgesellschaft 6 Nw ä einzuführen von hintenrein einzuschmuggeln 7 Nw die noch so m eben der was 8 Pm - ach anal isch des nich 9 Pm anal isch des nich . . 10 Nw - hab ich dennnich ge- 11 Nw sagt . ha ha ha ha ha 12 Ow - von hinterein einführe hätsch wieder 13 Nw ha ha ha ha ha ha ha 14 Ow der dedieser emil immer deschtruk- 15 Pm - ja was isch des ja 16 Ow tiv immer ha ja immer deschtruktiv wenn 17 Pm was heißt anal was heißt anal […] (nach Schmidt 1992: 85). Die Student: innen in der Arbeitsgruppe bereiten sich auf eine literaturwis‐ senschaftliche Prüfung vor. Sprecher Pm unterbricht die Studentin Nw, die über Goethe spricht, mit einem Wortspiel zu anal (ab Zeile 8) und bringt sie dadurch vom Thema ab. Die durchschnittliche Länge der Beiträge war bei den Männern extrem hoch, die der responsiven Antwortzüge gering (Schmidt 1988: 126 ff.). Die Studentinnen gingen mehr auf die Argumente anderer ein, um zu einem Konsens zu gelangen. Die Studenten umgingen strittige Punkte und 156 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="157"?> verfolgten die eigenen Themen. Interessant war die Beobachtung, dass bei einem Aufeinandertreffen kooperativer Frauen und nicht kooperativer Männer Letztere sich durchsetzen und dass Kooperativität für die Frauen zum Nachteil gerät (Schmidt 1988: 163, Schmidt 1992: 84). Auf der Grundlage dieser Ergebnisse läßt sich die Bestimmung des männlichen Kommunikationsverhaltens präzisieren und erweitern: Die Ausrichtung auf die Verfolgung eigener Themeninteressen und das Streben nach Möglichkeiten der Profilierung zeigen sich in der Nichtbeachtung bzw. in dem mangelnden Eingehen auf Gegenpositionen, das sich in der Anwen‐ dung von Gesprächsstrategien wie ‚Drumherumreden‘ und der Einführung eines neuen Themas manifestiert. Dieses Diskussionsverhalten führt in den gemischtgeschlechtlichen Gruppen dazu, daß die Männer gegenüber den Frauen dominieren, wobei unter Gesprächsdominanz in diesem Fall die Einflußnahme auf die thematische Gesprächsentwicklung zu verstehen ist (Schmidt 1988: 151). Das ist aber gerade in einer Situation, in der es um den Austausch und die Weiterentwicklung von Wissen geht, kontraproduktiv. Der Mangel an Kooperativität und der Hang zur Selbstdarstellung lassen sich schlussendlich nicht auf Status oder Situation, sondern auf das Geschlecht zurückführen. Gräßel (1991) analysierte fünf Fernsehdiskussionen mit insgesamt zehn Stun‐ den Länge. Sie sah bei Redezeiten, Unterbrechungen und Rückversicherungs‐ fragen in etwa gleiches Verhalten der beteiligten Frauen und Männer (Gräßel 1991: 284). Deswegen forderte sie, auch in Hinblick auf die früheren Studien, bei den Gesprächsanalysen die Situation zu berücksichtigen. In diesem Fall, in den öffentlichen Fernsehdiskussionen, macht sie hauptsächlich den Faktor Status für die Unterschiede verantwortlich. Trotzdem verhielten sich Frauen und Männer in mancher Beziehung nicht gleich. Frauen produzierten wesent‐ lich mehr Höreraktivitäten wie Unterstützungen, Nachfragen oder Satzvoll‐ endungen und mehr und häufiger Kohäsionselemente (ja, selbstverständlich, elliptische Ausdrücke, Proformen) (ibd.: 288 f.). Mehr Beiträge ohne Bezug zum Beitrag davor und mehr Scheinbezüge kamen von Männern (ibd.: 292). Insgesamt wies das Gesprächsverhalten der Männer überwiegend dominante, das der Frauen nicht-dominante Merkmale auf (ibd.: 306). 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 157 <?page no="158"?> Die Zielgruppe von Schmidt (1998) waren wieder Studierende. Sie ging von eigenen Beobachtungen aus, dass sich Frauen besser vorbereiten, bes‐ sere Noten haben und gute kommunikative Fähigkeiten aufweisen, in den Seminaren jedoch eher passiv bleiben und die Diskussionen den Studenten überlassen. Ihre Vorstudie aus dem Jahr 1991 hatte ergeben, dass die meisten Studentinnen im Vergleich zu den Studenten weniger redeten, andere weniger unterbrachen, sich weniger durchsetzten. Die Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten gehört aber zu den universitären Aufgabenbereichen, weil sie mit zur Aneignung und Reflexion von Inhalten und damit auch zur kognitiven Entwicklung nötig sind. Passive Studentinnen lassen diese Chance der Wei‐ terbildung ungenützt. Schmidt (1998) wollte sich daher genauer diejenigen Studentinnen ansehen, die mehr redeten und sich besser im Seminarverlauf durchsetzten. Sie beobachtete sechs Seminare mit über hundert Personen. Während neun Stunden erhielt sie 767 Redewechsel. Zusätzlich führte sie Befragungen mit 83 Studierenden durch und erhob Informationen zu den Biographien, verschiedenen Sozialisierungsaspekten ihrer Proband: innen, zu möglichen Vorbildern und Einstellungen. Die untypischen Studentinnen machten ein Fünftel der Frauen aus. Sie bildeten eine Gruppe zwischen typischen passiven, zurückhaltenden Frauen und typischen dominanten Män‐ nern. Sie redeten mehr, brachten kontroverse Themen ein, wurden häufiger angesprochen und erhielten mehr Rückmeldungen. Insofern unterschieden sie sich von den anderen Studentinnen. Gleichzeitig monologisierten sie nicht, unterbrachen nicht so viel, veränderten nicht so oft das Thema und gaben auch nicht so viele Rückmeldungen (Schmidt 1998: 159). Obwohl die Situation im Seminar nicht über Hierarchien zwischen Studierenden beeinflusst war, kam es zu Unterschieden im Gesprächsverhalten. Die Beschreibung der Sozialisierung beider Frauengruppen unterschied sich nicht. Überwiegend hatten sie während Kindheit und Schulzeit Benachteiligungen gegenüber Jungen erlebt, dazu gehörten auch Demütigungen und Überheblichkeiten (ibd.: 157). Dies führt verständlicherweise zu geringerem Selbstbewusstsein und Rückzug. Schmidt vermutet, dass sich die aktiven Studentinnen stärker am Vater oder Bruder ausrichten und weniger an rollentypischen Kommuni‐ kationsvorgaben. Sie schätzten sich als selbstbewusster ein als die passiven Studentinnen (ibd.: 150). Neuere Arbeiten ziehen weitere Einflussfaktoren in Betracht. Hancock / Ru‐ bin (2005) inszenierten dreiminütige Gespräche zwischen 40 Proband: innen im Alter von 18 bis 59 mit acht vorher geschulten Kommunikationspartner: in‐ nen zu zwei verschiedenen Themen. Sie fanden, dass Frauen mehr unterbro‐ 158 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="159"?> chen und dass ihnen gegenüber mehr syntaktisch abhängige Sätze gebraucht wurden, dass also das Geschlecht der Partner: innen ausschlaggebend für das Unterbrechungsverhalten war. Die Autor: innen vermuten, dass, vergleichbar mit dem Dialektgebrauch, sozio-kulturelle Aspekte gegenüber situativen beim Einfluss auf das Gesprächsverhalten überwiegen (Hancock / Rubin 2005: 55). Das passt immer noch zu den Ergebnissen der frühen Studien, dass Frauen mehr unterbrochen werden als Männer. Ladegaard (2011) verglich das Gesprächsverhalten von zwei dänischen Bauingenieurinnen und zwei Bauingenieuren in Führungspositionen. Er fand aber kaum Unterschiede. Beide Gruppen bevorzugten einen indirekten, kooperativen Stil, wobei die Männer gelegentlich etwas direkter auftraten. Allerdings unterschieden sich die anderen Gesprächspartner: innen in ihrem Verhalten - Männer stellten die Autorität der Frauen infrage, die der Männer nicht, sie unterbrachen mehr, argumentierten gegen Expertisen, kritisierten. Die Frauen hatten es schwer, gegen die Vorurteile der Männer anzukommen. Coates (2016) relativiert viel von der Kritik an den frühen Studien. Sie findet zwar Situationen mit ausgewogenen Gesprächsmustern, aber in gemischten Gesprächen haben Frauen weniger Rederechte. Sie stellt in ihrer Zusammenfassung fest, dass auch statusniedrige Männer versuchen, in Gesprächen die Oberhand zu gewinnen, dass also der Faktor Gender doch seinen Teil an Gesprächsunterschieden ausmacht (Coates 2016: 110). Plug et al. (2021) folgern in ihrer sehr ausführlichen Reanalyse neuerer Studien, dass Geschlechtsidentität nur einer von mehreren relevanten Faktoren ist und dass diese die Geschlechtsunterschiede überlagern. Trotzdem pflegen Frauen tendenziell einen unterstützenden Gesprächsstil. Ein dominanteres Redeverhalten bei Männern fanden sie nicht. Erstens sind viele verschiedene Parameter bei der Beurteilung der Rede‐ stile zu bedenken. Zweitens lässt sich Dominanz oder deren Fehlen nicht allein über Unterbrechungen oder Redemengen bestimmen. Die Studien ermitteln und erörtern eine große Bandbreite an Einfluss‐ faktoren, die neben dem Geschlecht auf das Dialogverhalten einwirken. Als Konsequenz aus diesem Wissen sollten wir fragen, ob wir etwas ändern müssen. Schmidt (1988, 1992) hatte bereits gesehen, dass Frauen mit ihrem kooperativen Stil in Gesprächen mit dominanten Männern im Nachteil sind. 9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern 159 <?page no="160"?> Die gesunde Balance zwischen friedlichem Miteinander und Führungs‐ aufgaben ist schwer zu erreichen. Wodak (1997) fand in ihrer Analyse von Führungsstilen verschiedener Schulleiterinnen in Wien, dass sie ei‐ gentlich kooperativer agieren würden, was wegen des Hierarchiegefälles zwischen Leitung, Lehrenden, Eltern und Schüler: innen nicht möglich war. Sie zeichnete ein System von autoritären und kontrollierenden Strategien nach, das von der Persönlichkeit, persönlichen Bedürfnissen und den Ar‐ beitsbedingungen geprägt ist sowie von dem Wunsch nach Kooperativität. Andererseits haben die „untypischen“ Studentinnen von Schmidt (1998) offenbar einen Weg gefunden, interaktiv erfolgreich zu sein. Unser Kommunikationsverhalten setzt Gender in Szene und wird dabei beeinflusst von unserer Sozialisation, unserem Bildungsstand, dem beruflichen und sozialen Umfeld, der gesellschaftlichen Position, dem Gegenüber und der aktuellen Situation, stereotypen Denkmustern und Rollenvorgaben. 9.4 Fazit Status erweist sich als ein relevanter Faktor, der sich auf das Gesprächsver‐ halten auswirkt. Er ist besonders effektiv, wenn er mit den antrainierten und damit oft unbewussten Strategien zusammenpasst. Ein Mann in einer Füh‐ rungsposition in einer Männerdomäne bedeutet immer noch die Standardsi‐ tuation. Wenn Erwartungen an das Verhalten nicht erfüllt werden oder wenn das Verhalten nicht situationsgeeignet ist, kommt es zu Konflikten. Das führt zu Problemen, das Gesprächsziel zu erreichen, beispielsweise, wenn eine Frau in einer Männerdomäne ihre Führungsposition kooperativ auslebt und dann Respektlosigkeiten ausgesetzt ist. Weiterhin spielt die Situation eine wichtige Rolle. Wenn Männer in der Öffentlichkeit dominanter agieren und in privaten Situationen eher kooperativ, dann möglicherweise, weil sie in der öffentlichen Situation den Erwartungshaltungen der Allgemeinheit und damit ihren Stereotypvorgaben gerecht werden wollen. Dies ist im privaten Gespräch oft nicht nötig. So werden einige Unterschiede in den Ergebnissen verständlich. 160 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="161"?> Es gibt Unterschiede im Gesprächsverhalten zwischen Frauen und Män‐ nern. Sie sind aber erstens komplizierter als zunächst angenommen, und Erklärungen dafür sind nicht allein in den Geschlechtsrollen zu suchen. Zweitens sind sie auch variabler. Außerdem unterscheiden sich die Inter‐ pretationsverfahren. Gerade Dominanz lässt sich auch über thematische Verschiebungen und Selbstdarstellung erreichen, was eine quantitative Analyse nicht erfassen kann. Das zeigt, dass Status und Situation die Unterschiede nicht hinlänglich erklären können. Versuche, unterschiedliches Gesprächsverhalten über Sta‐ tusgefälle zu begründen, ohne das Geschlecht miteinzubeziehen, greifen zu kurz. Der Faktor Gender wirkt sich auf Interaktionsunterschiede aus, zu‐ sammen mit antrainierten Gewohnheiten und Stereotypen. Das Geschlecht des Gegenübers ist auch noch ganz entscheidend von Belang. Geschlecht ist eine hervorstechende Größe, die das eigene Verhalten beeinflusst. Das heißt weiter, dass Unterschiede nicht geschlechtsspezifisch sind. Vielmehr handelt es sich um erlernte Gewohnheiten unter dem Einfluss von Stereotypen, Erwartungshaltungen der Gesellschaft, eigenen unbewussten Ansprüchen, den Anforderungen der anderen gerecht zu werden, und minimal wohl auch biologisch getriggerten Reaktionen. Die Rolle der Hormone und evolutionär begründbarer Verhaltenstechniken, die Dominanzverhalten auf die Gesprächsebene verlagern, werden kontrovers diskutiert. Im Endeffekt kristallisiert sich der Faktor Macht und Dominanz als überlegener heraus, der jedoch noch immer oft mit dem Faktor Geschlecht gekoppelt ist. Darüber hinaus scheinen weiterhin einige Unterschiede konstant zu bleiben wie die Verwendung von Minimalreaktionen und Themenkontrolle (vgl. auch Frank 1992) oder Direktive, die schon im Kindesalter zu beobachten sind. Inwiefern sich auch diese Unterschiede egalisieren, wird sich zeigen, wenn die gesellschaftlichen Machthierarchien zwischen Männern und Frauen überwunden sind. Was noch nicht diskutiert wurde ist die Frage, inwiefern die Widersprü‐ che oder zumindest Unterschiede bei den verschiedenen Arbeiten und Ergebnissen auf Unterschiede bei den Interpretationen der Daten oder doch vielleicht auch auf Entwicklungen zurückzuführen sind, durch die sich das Verhalten der Geschlechter einander annähert. Viele Frauen sind selbstbewusster geworden und setzen sich durch, viele Männer haben erkannt, wie effektiv eine kooperative Führungsweise sein kann. 9.4 Fazit 161 <?page no="162"?> Zusammenfassung In Gesprächen manifestiert sich das doing gender, auch hier wirken Stereo‐ type, die das Verhalten und die Wahrnehmung beeinflussen und zu Bewer‐ tungen führen. Wir nehmen dadurch Frauen und Männer unterschiedlich, aber auch subjektiv wahr und reagieren darauf. Die frühen Untersuchungen ergaben, dass Männer mehr, öfter und länger als Frauen reden. Männer unterbrechen Frauen häufiger und ergreifen das Wort. Sie bestimmen das Thema und stellen sich dar, daher auch mehr Witze und Schimpfwörter. Damit verhalten sich Männer dominant. Frauen lassen sich unterbrechen, warten, bis ihnen das Wort erteilt wird, äußern mehr Minimalreaktionen und leisten die eigentliche Gesprächsarbeit. Damit verhalten sich Frauen kooperativ. Der kooperative Gesprächsstil bedeutet im Gespräch gegenüber dem dominanten Gesprächsstil einen Nachteil, weil sich die Frauen deswe‐ gen nicht durchsetzen können und ihr kommunikatives Ziel nicht erreichen. Gerade die frühen Untersuchungen schienen aber widersprüchlich zu sein, weil sich die Untersuchungsmethoden oft als nicht vergleichbar und die Interpretation der Daten als bedenklich erwiesen. So waren manche Unterbrechungen gar keine, und nicht jede konnte als ein Zeichen von Dominanz gelten. Außerdem bestimmen sich Dominanz und Kooperativität vielschichtiger und komplexer. Denn zunächst wurden zu wenig unter‐ schiedliche Einflussfaktoren berücksichtigt - oft nur der des Geschlechts. Dominanz und Kooperativität wiederum sind zu polarisierend. Unterschiedliche Gesprächsverhalten ergeben sich aus einem Konglome‐ rat von Sozialisation, Stereotypen, erlerntem Verhalten und Erwartungen, Selbstbewusstsein, Situation, Gesprächsgegenüber, kommunikativer Rolle, Status, Thema und möglicherweise zu einem geringen Teil Biologie. Trotz al‐ lem verdeutlichen Studien, die versuchten, möglichst viele Faktoren gleich‐ zuschalten, Unterschiede im Verhalten zwischen Frauen und Männern. Männer dominieren gern und stellen sich gegenüber anderen dar, weil sie Stereotypen gehorchen, weil Frauen noch zu wenig selbstbewusst sind. Allerdings fehlt noch der geschichtliche Aspekt: Sind Daten aus den 1970er, 80er Jahren überhaupt mit der aktuellen Situation vergleichbar und wenn nicht, wo sind die Unterschiede? 162 9 Linguistische Gesprächsforschung <?page no="163"?> Forschungsaufgaben Die aktuelle Gültigkeit früherer Befunde ist eventuell zu prüfen, indem ältere Studien heute noch einmal durchgeführt werden. Einige der Experimente eignen sich grundsätzlich zum Wiederholen wie Pedersen (1980), Mulac et al. (1985) oder Burkhardt (1990). Die Rolle der durch Stereotype gefilterten Wahrnehmung lässt sich anhand weiterer Studien wie die von Mulac et al. (1985) näher betrachten. Zumindest der subjektiven Wahrnehmung nach monologisieren Männer, sobald die Situation nicht mehr rein privat ist, intensiver, auch wenn Fragen längst beantwortet sind oder die Antworten in anderen thematischen Ausflügen untergehen. Inwiefern das von tatsächlichem oder erstrebtem Status abhängt oder davon unabhängig geschieht, könnte im universitä‐ ren Rahmen einmal gemessen werden. Welche Rolle spielen veränderte Geschlechtsrollen? Wie sieht das Gesprächsverhalten in Situationen aus, in denen möglichst viel Gleichberechtigung herrscht und in denen niemand seinen Status verteidigen muss? Literatur Einführungen in die Gesprächsanalyse stammen von Deppermann (2008) oder Brinker / Sager (2010). Ergebnisse aus frühen Studien finden Sie bei‐ spielsweise in Trömel-Plötz (1982, 1984, 1996). Kotthoff et al. (2018) erör‐ tern weitere Aspekte interaktiven Verhaltens wie Humor. Schmidt (1998: 42 f.) stellt einen Fragenkatalog für gesprächsanalytische Untersuchungen zusammen. Forschungsaufgaben 163 <?page no="165"?> 31 Das aufgrund biologischer Merkmale zugewiesene und von Eltern und Umgebung entspre‐ chend geförderte Geschlecht wird von inter-/ transgeschlechtlichen/ sexuellen Personen zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens hinterfragt. Ihr Anteil an der Bevölkerung kann momentan noch nicht eingeschätzt werden, bei einer internationalen Studie lag er bei 4,6 %. Der Forschungsbedarf ist jedoch noch groß (Pöge et al. 2022). 10 Genderentwicklung 10.1 Geschlechtsidentität Die Entwicklung des Geschlechts im sozialen und psychologischen Sinne erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, die im Einzelnen und auch in ihrem zeitlichen Auftreten und ihren Beziehungen zueinander noch nicht ganz geklärt sind, denn kognitive Fortschritte, individuelle Verhaltensweisen und Gewohnheiten sowie die Reaktionen von außen gehen bei der Ausbildung der Geschlechtsidentität Hand in Hand. Einige Beobachtungen lassen sich davon abgesehen biolo‐ gisch verstehen. Geschlechtsidentität und Geschlechterkonzepte werden in der Interaktion wesentlich auch sprachlich vermittelt. Für den Begriff der Geschlechtsidentität fehlt eine allgemeingültige Definition. Er bezieht sich auf das Gefühl bzw. das Wissen um die Geschlechtszugehörigkeit, auf entsprechendes Rollenverhalten und Stereotypwissen. So manche geschlechtstypischen Aspekte kennen Kinder offenbar schon im ersten Lebensjahr. Sie unterscheiden mit sechs Monaten zwischen weibli‐ chen und männlichen Stimmen, mit neun Monaten zwischen Photographien von Frauen und Männern, und mit elf bis vierzehn Monaten lernen sie die Verbindung zwischen männlicher bzw. weiblicher Stimme und Photogra‐ phie. Also gibt es wohl bereits Anhaltspunkte für ein Geschlechtskonzept, wenn die Kinder zu sprechen beginnen und bevor sie geschlechtstypische Verhaltensweisen zeigen (Martin / Ruble 2004). Die Geschlechtsidentität entwickelt sich im Alter von 18 bis 24 Monaten 31 . Zwischen 27 und 30 Monaten haben die meisten Kinder eine Vorstellung von ihrem Geschlecht. Im Alter von fünf Jahren bestimmen die Kinder das der anderen (Halim/ Ruble 2010). Zwischen drei und vier Jahren kennen sie die wichtigsten geschlechtstypischen Verhaltensweisen und Rollen. Dazu entwickeln sie zunächst grobe Schemata. Sie wissen, dass es genau zwei <?page no="166"?> Geschlechter gibt, die sich gegenseitig ausschließen, und sie identifizieren sie anhand von Namen und Äußerlichkeiten. Mit viereinhalb Jahren ziehen sie Schlussfolgerungen zwischen Eigenschaften, etwa, wenn jemand ein Mädchen ist, dann trägt sie Kleider, wenn jemand Kleider trägt, dann hat sie lange Haare. Dabei verfügen die Mädchen über die Schemata beider Geschlechter, die Jungen nur über die eigenen (Bauer et al. 1998, vgl. auch Kap. 7). Allerdings ist das Geschlecht für Sechsbis Siebenjährige noch nicht fest. Der folgende Dialog zwischen Stephen Franzoi und dem fünfjährigen Jason zeigt, dass das Kind das Konzept der gender constancy noch nicht entwickelt hat. S.F. How do you know that you’re a boy? Jason: Because, you can tell when their hair’s not long. S.F.: So a boy is somebody whose hair is short? Jason: Yes. And when you wear these kind of shirts (pointing to his own shirt). S.F.: If you grew your hair long, would you become a girl? Jason: Yes. S.F.: How about your Dad? Is your Dad a boy or a girl? Jason: Boy. S.F.: And how do you know that? Jason: Because his hair is short. S.F.: If you were going to describe a girl, how would you do that? How would you describe a girl? Jason: A girl is uh … if … hmmm. If you’re a girl, you wear a different type of clothes than these clothes (tugging at his shirt). And your hair is long. S.F.: If we brought you in the other room and put a dress on you, and then brought you back out here, would you be a girl? Jason: No, I’m still a boy, because I still have my hair cut. S.F.: OK, let’s say we bring you in the other room, we put a dress on you and then we put a wig on you so that you have long hair. Would you be a girl then? Jason: Yes. (Franzoi 1996: 150 f.) Generell wird davon ausgegangen, dass Kinder Stereotype in ihr Selbstbild integrieren. Sie basieren zunächst auf konkretem Verhalten und auf Aus‐ sehen. Das filtert Eigen- und Fremdwahrnehmung. Beides bestimmt die Leistungen mit, sowohl fördernd als auch hemmend. Wolter / Hannover (2016) fanden, dass je weiblicher sich Mädchen im Alter von sechs bis sieben 166 10 Genderentwicklung <?page no="167"?> Jahren zum Schulanfang beschrieben, ihre Leseleistungen ein halbes Jahr später desto besser ausfielen. Bei Jungen galt dies entsprechend für Rechnen. Andersherum - je männlicher (weiblicher) sich die Kinder einschätzten, desto schlechter waren ihre Leistungen im Lesen (Rechnen). Beginnend mit drei (Serbin et al. 1994, Fagot 1994), verstärkt mit fünf Jahren spielen Kinder auf der ganzen Welt lieber in gleichgeschlechtlichen Gruppen (gender segregation). Sie unterscheiden sich im Spielverhalten und Spielzeuggebrauch (Aydt / Corsaro 2003). Hier lassen sich bestimmte Sympathien erstaunlich früh nachweisen (vgl. Kap. 8.4.1). Bereits im ersten Lebensjahr interessieren sich Mädchen mehr für Menschen bzw. Puppen. Das scheint biologisch bedingt zu sein. Leichter reizbare Jungen spielen lieber in gleichgeschlechtlichen Gruppen, die mit besserem Sozialverhalten eher in gemischtgeschlechtlichen, „differences in children’s arousability and regulation are related to their peer-group preferences and sociometric judgements“ (Fabes 1994: 30). Männer gehen auch anders mit Stress um, u. a. weil der Stresshormonpegel höher steigt und langsamer abgebaut wird als bei Frauen in vergleichbaren Situationen. Dementsprechend könnten physiologische Unterschiede, die sich bei verschiedenen Anlässen und Schwellen der Erregbarkeit ergeben, und Unterschiede in der Fähigkeit, dies zu regulieren, zu unterschiedlichem Verhalten führen. Das könnte wiederum die Trennung nach Geschlecht und Unterschiede in der Wahl der Beschäftigung mit begünstigen (Fabes 1994). Auf die universellen As‐ pekte weist ebenfalls Fagot (1994) hin. Sie unterstreicht, dass zumindest bei Schimpansen die weiblichen und männlichen Nachkommen von den weiblichen Affen anders behandelt werden. Sie stellte weiterhin fest, dass die Erwachsenen unterschiedlich auf die Kinder reagieren, noch bevor sie verschiedene Verhaltensstile zeigen, dass die „passenden“ Stile aber durch die Erwachsenen verstärkt werden und ebenso die Wahl der „passenden“ Spielgefährt: innen. Kleine Jungen in Süd-Korea, wo das „richtige“ Verhalten den Jungen schon früh als wichtig beigebracht wird, dominieren stärker als in den USA (Hyun / Choi 2004). So etwas könnte dann die Teilung nach Geschlecht forcieren. Durch die Trennung und die damit verbundenen Spiele üben Mädchen und Jungen außerdem unterschiedliche kognitive Fähigkeiten ein (Fagot 1994). Nach Martin (1994) trennen sich Kinder in gleichgeschlechtliche Grup‐ pen, weil sie lieber mit denjenigen spielen, die so sind wie sie selbst. Für Serbin et al. (1994) scheinen ebenfalls zunächst die Ähnlichkeiten bei Vorlie‐ 10.1 Geschlechtsidentität 167 <?page no="168"?> ben und Verhalten zu einer Aufteilung in getrennte Gruppen zu führen. Sie glauben aber, dass letztendlich verschiedene Faktoren in unterschiedlichen Entwicklungsstufen greifen. Manche Studien legen nahe, dass das Wissen um Geschlechtskategorien genauso früh wie geschlechtstypisches Verhalten einsetzt, falls die systema‐ tisch richtige Verwendung von Geschlechtsbezeichnungen wie girl, boy, lady, man, woman, guy als Hinweis auf die richtige Kategorisierung der Geschlechter zu deuten ist. Dies setzt voraus, dass die Sprache auch bei der Entwicklung der Kategorien hilft. Wörter sind nicht nur ein Indiz für ein Konzept, sondern helfen auch, dieses zu entwickeln (Zosuls et al. 2009, vgl. auch Elsen 2003). Ergebnisse einer Longitudinalstudie mit 82 Kindern deuten darauf hin, dass sie mit 18 bis 21 Monaten erste Wörter für Ge‐ schlechtskategorien benutzen, schon bevor sie typische Verhaltensweisen zeigen. Damit würden bestimmte Vorstellungen von zwei verschiedenen Geschlechtern im Wortgebrauch sichtbar, und diese Vorstellungen könnten das Spielverhalten leiten (Zosuls et al. 2009). Laut einer verbreiteten Annahme (z. B. Martin / Ruble 2004) beeinflusst die kognitive Entwicklung das weitere Verhalten, dies passt jedoch nicht ganz zu Studien wie der von DeLoache et al. (2007), die schon bei sehr kleinen Kindern spezielle Vorlieben für Puppen bzw. Lastwagen fanden. Letztendlich sind die Zusammenhänge, die zu Geschlechtsidentitäten, un‐ terschiedlichem Rollenverhalten und Vorlieben führen, noch nicht in ihrem genauen Beziehungsgefüge bekannt. Möglicherweise liegt das aber auch mit an den untersuchten Kindern. Denn die meisten Studien arbeiten mit weißen Mittelschichtkindern aus den USA. Unterschiedliche soziale Gruppen oder ethnischer Hintergrund könnten sich auf Geschlechtsidentität und -rolle auswirken (Lurye et al. 2008). Wenn afro-amerikanische und italienische Dreibis Sechsjährige mitbetrachtet werden, geschieht die Geschlechter‐ trennung weniger deutlich, und Geschlechtsunterschiede scheinen weniger wichtig zu sein. Das lässt vermuten, dass die Aufteilung in gleichgeschlecht‐ liche Gruppen eher von den jeweiligen Netzwerken abhängt, also eher von den Kindern ausgeht und wohl kulturabhängig und nicht biologisch oder kognitiv bedingt ist, so Aydt / Corsaro (2003). Allerdings ziehen sie hier nicht die möglichen Folgen der elterlichen Sozialisation in Betracht oder Interferenzen zwischen biologischen, kognitiven und sozialen Faktoren. Mädchen sind darüber hinaus etwas früher erfolgreicher im Umgang mit anderen. Sie verwenden bei Konflikten beschwichtigende Strategien und schlagen Lösungen vor, während Jungen dominieren und verärgert 168 10 Genderentwicklung <?page no="169"?> reagieren. Die Jungen in einer Studie mit 179 Sechsjährigen erwiesen sich in jeder Hinsicht als sozial weniger kompetent, was sich unter anderem am Interaktionsverhalten sehen ließ, da doch deutlich mehr Jungen aggressive Strategien einsetzten, auch sprachlich, und Mädchen eher höflichere, auf Überzeugung ausgerichtete Verfahren. Das entspricht der häufig gemach‐ ten Beobachtung, dass Mädchen eher kooperativ, Jungen eher dominant ausgerichtet sind (Walker et al. 2002). Die Autorinnen argumentieren in ihrer Studie im Wesentlichen mit Unterschieden in sozialer Kompetenz. Allerdings lassen sich wie erwähnt auch Hormone als Erklärung mit heran‐ ziehen. Golombok et al. (2008) fanden bei ihren 5501 Kindern, dass sich ge‐ schlechtstypisches Verhalten im Vorschulalter weiter verstärkt und dann bis ins Alter von acht Jahren auch bleibt. Das spricht für kognitive und soziale Einflüsse auf angeborene Tendenzen im weiteren Verlauf. Nicht zuletzt dürfte die Fernsehwerbung einen verstärkenden Einfluss auf das Verhalten und die Spielinteressen ausüben (Leaper 2015: 824). In der Pubertät lässt die Trennung in gleichgeschlechtliche Gruppen dann etwas nach, sofern es die Gesellschaft toleriert. Jungen sind bei den Empathiewerten und sprachlich etwas schlechter, bei Aufgaben zur menta‐ len Rotation besser. Körperlich allerdings sind sie den Mädchen eindeutig überlegen, was Kraft und Schnelligkeit anbetrifft. Die durchschnittlichen In‐ telligenzwerte wiederum sind gleich. Die unterschiedlichen Einstellungen, zu denen auch Geschlechtsidentität und Stereotype zählen, beeinflussen letztendlich den schulischen Erfolg ganz wesentlich mit (Leaper 2015). Mädchen und Jungen ähneln sich stark in ihren verschiedenen Bega‐ bungen, trotz anderslautender Vorurteile. Meistens gibt es zwischen den Geschlechtern mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. 10.2 Sprachliche Unterschiede der Kinder Schon bei sehr kleinen Kindern lassen sich tendenziell verschiedene sprach‐ liche Verhaltensweisen feststellen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie dies bei den Erwachsenen so beobachten und rollenkonform nachahmen, oder aber sie werden von den Erwachsenen entsprechend gesteuert über Interaktion, direktes Feedback und ermutigendes bzw. miss‐ billigendes Verhalten. Außerdem besteht auch die Möglichkeit, dass das Sprachverhalten Unterschiede in den übrigen Verhaltensweisen widerspie‐ 10.2 Sprachliche Unterschiede der Kinder 169 <?page no="170"?> gelt, die wiederum zum Teil angeboren sein könnten. Deswegen könnten Jungen, da sie aktiver und aggressiver spielen, entsprechend sprachlich eher dominantes Verhalten zeigen (Sachs 1987). Mädchen sind bei der Entwicklung des Lautsystems schneller und besser. Sie zeigen weniger Sprach- und Sprachentwicklungsstörungen. Sie sprechen über andere Dinge als Jungen und spezialisieren sich in anderen Wort‐ schatzbereichen. In der Regel wird behauptet, dass sich in grammatischer Hinsicht keine Geschlechtsunterschiede finden lassen (Klann-Delius 1982: 79). Eine Studie mit 329 Kindern ergab allerdings eindeutig, dass Mädchen im Alter zwischen einem Jahr und etwa sechs, sieben Jahren den Jungen im Durchschnitt in jeder Beziehung sprachlich überlegen sind und dass vor allem die Jungen als Gruppe nie weiter als die Mädchen waren. Da es auch auf neurobiologischer Ebene Unterschiede gibt und diese wiederum mit anderen Hormonhaushalten und der Entwicklung des Gehirns und beides mit sprachlichen Fähigkeiten in Verbindung stehen (Kap. 8), ist der Sprachvorteil bei den Mädchen möglicherweise tatsächlich anlagebedingt. So fanden Alexopoulos et al. (2022) bereits bei wenige Tage alten weibli‐ chen Säuglingen ein früheres Heranreifen der für die Sprachentwicklung zuständigen Gehirnareale. Auf jeden Fall treten die Unterschiede so früh auf, dass sie nicht allein durch den Einfluss von außen erklärt werden können (Bornstein et al. 2004). Während des zweiten Lebensjahres benutzen die Kinder bereits etwas mehr geschlechtstypische Gestik und Vokabular, bei den Mädchen beispiels‐ weise aunt, babysitter, beads, dress, gentle, bei den Jungen uncle, mailman, fire truck, hammer, fireman (Stennes et al. 2005: 86, vgl. auch Zosuls et al. 2009). Der Unterschied erweist sich im Alter von 30 Monaten als sehr stabil. Sie lernen die für das eigene Geschlecht charakteristischen Konzepte früher als die des anderen (Stennes et al. 2005). Wie immer wieder gezeigt tendieren bereits bei knapp Zweijährigen vor allem die Kommunikationsstile zu charakteristischen Unterschieden. So verwenden Jungen im Alter zwischen 43 und 64 Monaten mehr Aussagen, die bestimmend sind, den Status wahren und ihren Interessen und Bedürf‐ nissen Ausdruck verleihen (verbal leadership). Hier könnten bereits die ste‐ reotypbasierten Erwartungen der Eltern sichtbar werden (Cook et al. 1985). Dies steht auch im Einklang mit der Beobachtung, dass 26 bis 64 Monate alte Jungen in Rollenspielen bevorzugt Arzt oder Vater sind, die Mädchen Baby, Patientin oder Mutter (Sachs 1987). Auch in dieser Untersuchung gebrauchten Jungen mehr Imperative und Verbote, während die Mädchen 170 10 Genderentwicklung <?page no="171"?> höflicher waren. Leaper (1991) untersuchte die Gespräche von 138 Fünf- und Siebenjährigen. Die Mädchen verwendeten deutlich mehr kooperative Sprechakte wie Hilfsangebote, während die Jungen mehr kontrollierende und dominierende Sprechakte wie Verbote oder Befehle äußerten. Auch scheint die Gruppengröße unterschiedliches Redeverhalten nach sich zu ziehen (Leaper / Smith 2004). Insgesamt aber gibt es Unterschiede weniger auf struktureller als auf stilistischer Ebene (Gleason / Ely 2002). Bei ihrer Untersuchung von wörtlichen Wiedergaben bei Kindern stießen Ely / McCabe (1993) auf erstaunlich klare Geschlechtsunterschiede. Mäd‐ chen geben wesentlich häufiger als Jungen andere wörtlich oder indirekt wieder, möglicherweise ein Zeichen für etwas weiter entwickelte kommu‐ nikative Kompetenz. Kinder kennen bereits mit vier Jahren die soziale Bedeutung sprachlicher Stile, sie verwenden u. a. Direktive in Rollenspielen situations- und personenbezogen korrekt, wobei sie mit zunehmendem Alter stereotyp‐ konformem Verhalten gegenüber sensibler werden. 10.3 Verhalten der Erwachsenen Eltern und Lehrer: innen leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag bei Aufbau und Etablierung der Geschlechtsidentität, vielfach unbewusst. Eltern behandeln ihre Töchter und Söhne nicht gleich. Sie glauben, dass die Mädchen schwächer und empfindlicher sind. Die vermeintlich robusteren Jungen fassen sie etwas gröber an. Erwachsene halten die Jungen anfangs mehr im Arm, während sie mit den Mädchen ausgiebiger reden. Sie reagieren auch unterschiedlich auf den Spielzeuggebrauch, vor allem bei Jungen, wenn sie Puppen nehmen wollen. Sie fördern Interessen unterschiedlich intensiv bzw. gehen gar nicht darauf ein. Unterschwellig wird die Unabhängigkeit der Jungen gefördert, die der Mädchen gebremst, die Jungen dürfen wilder sein, die Mädchen besser gehorsam. Ähnliche Zusammenhänge fanden Lindsey / Mize (2001). Sie beobachte‐ ten 33 Kinder in Eltern-Kind-Interaktionen in Fantasiespielen und Spielen mit Körpereinsatz. Fantasiespiele waren typischer für die Eltern-Tochter- Kombination, vor allem bei Müttern. Die Eltern verhielten sich gegenüber 10.3 Verhalten der Erwachsenen 171 <?page no="172"?> Töchtern höflicher in der Fantasiesituation und benutzten mehr Aufforde‐ rungen bei den körperlichen Spielen. Väter bewegten sich mit Jungen mehr und verwendeten ihnen gegenüber mehr Imperative. Es kann gut sein, dass die Wahl der Spielsituation bestimmte sprachliche Verhaltensweisen begünstigt und dass beides die Rollenvorstellungen der Kinder beeinflusst. Denn im Anschluss zeigte sich in der Interaktion mit Gleichaltrigen, dass Mädchen Fantasiespiele bevorzugten, Jungen die Spiele mit viel Bewegung, in denen sie wiederum mehr kontrollierendes und anweisendes Verhalten zeigten, z. B. in Form von Imperativen. Die einzelnen durch die Eltern beeinflussten Handlungsräume können so zu Geschlechtsunterschieden in der Interaktion beitragen. Auf diese Weise steuern Erwachsene mehr oder weniger bewusst die Sozialisierung von Mädchen anders als von Jungen, was mit über das sprachliche Verhalten umgesetzt wird. Mädchen werden zu kooperativem Handeln ermutigt, Jungen zu dominantem. Dies schlägt sich dann in kooperativem bzw. bestimmendem Gesprächsstil nieder. In ihrer Zusammenschau verschiedener Forschungen kommt auch Lan‐ vers (2004) zu dem Schluss, dass bei Jungen Durchsetzungsvermögen und bei Mädchen mehr die sozialen Aspekte und die Hausarbeit gefördert werden und dass bereits bei Dreijährigen entsprechend ein kontrollierender bzw. kooperativer Interaktionsstil deutlich wird. Sie weist allerdings auch darauf hin, dass die unterschiedlichen Faktoren, die zu den geschlechtstypischen Verhaltensweisen bei den Kindern führen könnten, noch nicht differenziert genug untersucht wurden, da sowohl die Handlungskontexte als auch die Eltern bestimmtes Redeverhalten begünstigen oder diese beiden Faktoren wiederum interagieren. So führt das Spiel mit Puppen auch zu mehr Sprech‐ möglichkeiten im Gegensatz zum Herumtollen. Das Sprachverhalten der Kinder könnte wiederum die Eltern beeinflussen. Wieso die Erwachsenen so unterschiedlich auftreten, wird ebenfalls diskutiert. Eine Möglichkeit führt wieder in die Evolutionsgeschichte. Väter, aber auch Erzieher (m.) kämpfen und tollen lieber mit den Kindern herum und fördern dadurch spielerisch Reaktionen auf Destabilisierung, Risiko‐ freude und Aggressionsbewältigung. Das bereitet auf ein Leben außerhalb der unmittelbar schützenden Umgebung der Eltern oder der Gruppe vor. Aber auch hier kommen kulturelle und soziale Faktoren dazu und natürlich individuelle Unterschiede (Tamis-LeMonda 2004). Die kulturübergreifenden Parallelen im Verhalten von Müttern bzw. Vätern aber geben zu denken und können sicher nicht allein gesellschaftlich begründet werden. 172 10 Genderentwicklung <?page no="173"?> 10.4 Sprachliche und stilistische Unterschiede der Erwachsenen Handeln und Sprechen gehen in der Interaktion einher. Eltern fragen Mädchen öfter als Jungen, diese bekommen mehr Anwei‐ sungen (Klann-Delius 1982: 80). Väter unterbrechen häufiger und äußern mehr Imperative, Mütter formulieren wesentlich höflicher im Umgang mit ihren zwei bis fünf Jahre alten Kindern. Außerdem unterbrechen beide mehr die Mädchen als die Jungen (Gleason 1987). Eine amerikanische Studie mit Kindern im Alter von sechs Wochen bis fünf Jahren fand, dass die Bezugspersonen u. a. Jungen häufiger beachteten, Mädchen von wilderem Verhalten durch kritische Äußerungen abbrachten und sie wegen ihrer Kleider, Frisuren und Hilfsbereitschaft lobten. Bei Jun‐ gen wurden Körpergröße und -fähigkeiten kommentiert. Genderpassendes Spielverhalten und Spielzeug wurden bestärkt (Chick et al. 2002). Einer Metaanalyse von 60 Publikationen aus den Jahren 1969 bis 1993 zufolge redeten Mütter im Vergleich zu den Vätern wie erwähnt mehr mit den Kindern, gaben mehr unterstützendes, aber auch negatives Feedback und äußerten weniger Direktive und informierende Antworten. Sie spra‐ chen mehr und auch häufiger unterstützend mit Töchtern als mit Söhnen (Leaper et al. 1998). Für die Autor: innen kommt der Sprache bzw. dem Sprachverhalten der Eltern damit eine Rolle bei Konstruktion und Förderung der Geschlechtsunterschiede zu. Eltern tragen dadurch zu den späteren schulischen Leistungen ihrer Kinder bei. Eine kleine Stichprobenstudie mit 15 Elternpaaren ergab: Mütter betonen generell gegenüber ihren Kindern die affektiv-emotionale Kom‐ ponente und bringen dies auch sprachlich zum Ausdruck, wogegen Väter eher ihre dominante Rolle durch Forderungen und Orientierung am sachlichen Cha‐ rakter des Spiels verbal verdeutlichen (Pieper 1993: 18). Eltern von 20 bis 24 Monate alten Kindern kritisieren Jungen bei der Erkundung von Gegenständen und Umgebung weniger als die Mädchen, Mädchen erhalten dafür mehr Bestätigung, wenn sie um Hilfe bitten oder anderen helfen. Die Selbsteinschätzungen der Eltern weichen allerdings stark von den tatsächlich beobachteten Reaktionen ab (Fagot 1978). Die unbewusste Ebene scheint bedeutend beteiligt zu sein. In einer Studie mit 298 Familien wurden die Gespräche bei Museums‐ besuchen aufgezeichnet. Die Eltern erklärten den Söhnen dreimal so oft 10.4 Sprachliche und stilistische Unterschiede der Erwachsenen 173 <?page no="174"?> wie den Töchtern wissenschaftliche Zusammenhänge, auch wenn die Ge‐ sprächsmenge an sich gleich war. This study demonstrated that parents were more likely to explain to boys than to girls during informal science activity. Parents brought their daughters to a museum, engaged interactive science exhibits with them, talked about what to do with exhibits, and talked about what to perceive from exhibits, however, the crucial step of providing an explanatory context for the experience was primarily reserved for boys. The findings are especially noteworthy because we observed differences in the rate of parents’ explanation to children as young as 1 to 3 years old, suggesting that parents may be involved in creating gender bias in science learning years before children’s first classroom science instruction (Crowley et al. 2001: 260). Jedoch dürfte dies nicht nur Auswirkungen auf die unterschiedliche Inte‐ ressenverteilung haben, denn die Darstellung von Kausalzusammenhängen und anderen logischen Relationen von Eltern fördert entsprechende Denk‐ prozesse bei den Kindern. Neben Unterschieden im Lehrerverhalten gegen‐ über Schülerinnen und Schülern und unterschiedlichen Interessenslagen, die eventuell dies mitbedingen, mögen die Grundlagen der Unterschiede im wissenschaftlichen Denken und Präferenzen schon in den ersten Lebens‐ jahren durch die Eltern gelegt worden sein. Den Erwachsenen ist solch ein Verhalten, wie bereits angedeutet, vielfach nicht bewusst, nicht einmal, wenn sie pädagogisch ausgebildet sind. In ihrem Beitrag fanden Kuger et al. (2011) wenig geschlechtsrollentypi‐ sches Verhalten bei den Kindergartenkindern und wenig stereotypfördern‐ des Verhalten bei den Erzieher: innen. Jedoch schätzten diese die Fähigkeiten, Stärken und Schwächen der Kinder stereotypkonform ein. Eine weitere deutsche Studie mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren und 106 Fach‐ kräften in Kindertagesstätten beobachtete gezielt das Interaktionsverhalten der Erzieher: innen. Die Erwachsenen gingen geschlechtsunabhängig anders mit Mädchen und Jungen um. Beispielsweise sprachen sie mit Jungen eher sachlich und gegenstandsbezogen, mit den Mädchen eher persönlich und fantasiebezogen (Brandes et al. 2015: 18). Die Analyse einiger Schlüs‐ selszenen führte wieder zu der Schlussfolgerung, dass das Geschlecht der Kinder für die Verhaltensunterschiede der Erwachsenen ausschlaggebend war. Gewisse Rollenbilder wirkten auch bei den Erwachsenen, ohne dass sie sich dessen bewusst waren, was anhand der Wahl von Materialien, Themen und Spielprinzipien deutlich wurde. Sie reagierten unterschiedlich 174 10 Genderentwicklung <?page no="175"?> 32 Sie messen den Gesundheitszustand der Neugebornenen (APGAR-- appearance, pulse, grimace, activity, respiration). auf verschiedene Aspekte des Spiels, auf die Reaktionen der Kinder und animierten zu unterschiedlichem Verhalten. In den Interaktionen erfuhr die geschlechtliche Dimension „eine Verdichtung“, es zeigte sich, dass die erwachsenen Akteure und Akteurinnen gerade diese Seite ihres Tuns wenig bewusst steuern und ihnen die geschlechtsstereotype Konnotation quasi ‚unter der Hand‘ passiert, selbst wenn sie in der Reflexion klischeehaften Ge‐ schlechtsmustern glaubhaft kritisch gegenüber stehen (Brandes et al. 2015: 32). Also scheinen auch die Erzieherinnen und Erzieher unbewusst Stereotype zu pflegen. Wiederholt deuten viele Studien darauf hin, dass Menschen, die offen für Gleichberechtigung eintreten, dennoch unterschwellig Ge‐ schlechtsvorurteile haben (Leaper 2015: 818). 10.5 Der Einfluss der Erwartungshaltungen der Erwachsenen Die bewussten und unbewussten Rollenvorstellungen als Teil der Stereotype wirken sich auf das Interaktionsverhalten in der pädagogischen Arbeit aus. In einer Rückschau auf 35 Jahre Forschung zu den Lehrererwartungen lässt sich der Effekt von sich selbst bewahrheitenden Voraussagen feststellen; Erwartungshaltungen üben eindeutig einen Einfluss auf die Kinder aus. Abhängig von der jeweiligen Gruppe der Schülerinnen und Schüler sorgen Lehrererwartungen in unterschiedlichem Maße dafür, dass Schülerinnen und Schüler den Annahmen gemäß abschneiden ( Jussim / Harber 2005). Diese Erwartungen lenken die Erwachsenen auch schon im Umgang mit Babys. Eltern bewerteten Neugeborene den Stereotypen entsprechend trotz gleichem Gewicht, gleicher Größe und Apgar-Werte 32 unterschiedlich. Sie beschrieben Mädchen als schwächer, kleiner, zarter, hübscher, unaufmerk‐ samer und mit feineren Gesichtszügen, Jungen als größer, stärker, fester, aufmerksamer, mit gröberen Gesichtszügen und besserer Koordination (Ru‐ bin et al. 1974, Karraker et al. 1995). Beim sogenannten Baby X-Experiment (Seavey et al. 1975) wurde ein drei Monate altes Baby (ein Mädchen) in gelbem Strampelanzug Erwachsenen, die selbst keine Eltern waren, vorge‐ stellt, einmal als Mädchen, einmal als Junge und einmal ohne Angabe von 10.5 Der Einfluss der Erwartungshaltungen der Erwachsenen 175 <?page no="176"?> Geschlecht oder Vornamen, mit der Bitte, mit dem Kind zu kommunizieren und es auch zu halten. Die Frage war, ob diese Informationen Einfluss auf das Verhalten der Erwachsenen nehmen würden, das heißt, ob es zu geschlechtsdifferenzierenden Reaktionen unabhängig vom Verhalten des Kindes kommt. Dann wären nämlich die Unterschiede im Verhalten der Eltern allein auf die Vorstellung und Erwartung zurückzuführen, die das Geschlecht des Kindes auslöst. Eine weitere Untersuchungsfrage zielte auf die Reaktionen der Erwachsenen ab beim Fehlen jeglicher Geschlechtsin‐ formationen. Die Versuchspersonen gaben dem als Mädchen bezeichneten Baby häufi‐ ger als in den anderen beiden Fällen eine Puppe zum Spielen, am deutlichsten die Männer. In der neutralen Situation schätzten 75 % der Männer und 70 % der Frauen das Kind als Jungen ein mit der Begründung, es würde kräftiger zupacken und hätte weniger Haare. Die Einordnung als Mädchen erfolgte, weil das Kind zart (soft), rundlich bzw. fragil wirkte. Damit erfolgte die Bewertung aufgrund geschlechtsstereotyper Attribute. Die Reaktionen und Einschätzungen wurden nicht durch unterschiedliches kindliches Aus‐ sehen oder Verhalten ausgelöst, sondern allein durch die Information zum Geschlecht. Die Interpretation des Geschlechts erfolgte über Stereotype. Fünf Jahre später wurde das Experiment wiederholt, diesmal mit zwei Babys, einem Jungen und einem Mädchen (Sidorowicz / Lunney 1980). Häufiger als zuvor aber bekam das als Junge bezeichnete Kind nun einen Ball zum Spielen angeboten (von 50 % der Männer, von 80 % der Frauen), bei den Mädchen sehr häufig wieder die Puppe (von 72,7 % der Frauen, 88,8 % der Männer). Als Mädchen bekam ein Baby von den Männern nie einen Ball. Die anderen Ergebnisse waren vergleichbar. Condry / Condry (1976) griffen das Thema anders an. Ihre Versuchsper‐ sonen sahen Videoaufzeichnungen eines neun Monate alten Kindes, das mit vier verschiedenen Stimuli konfrontiert wurde, einem Teddy, einem Schachtelmännchen, einer Puppe und einem Summer. Die Versuchsperso‐ nen sollten die Intensität der Reaktion des Kindes auf das jeweilige Spielzeug beurteilen bezogen auf die Dimensionen Freude, Ärger und Angst. Das Video zeigte immer das gleiche Kind in immer der gleichen Szene. Es wurde aber einmal als Junge und einmal als Mädchen bezeichnet. Nach Ansicht der Versuchsteilnehmer: innen hatte der „Junge“ in allen Situationen weniger Angst und zeigte mehr Freude. Besonders auffällig war die Beurteilung des Kindes, als es auf das Schachtelmännchen mit Weinen reagierte. Wenn es als Junge bestimmt worden war, wurde die Reaktion als Ärger gewertet, bei 176 10 Genderentwicklung <?page no="177"?> der Kategorisierung als Mädchen als Angst, obwohl es sich um das gleiche Kind in jeweils der gleichen Situation handelte. Wieder orientierte sich die Interpretation an Stereotypen und nicht an Fakten. Bei Mondschein et al. (2000) sollten Mütter die motorischen Fähigkeiten ihrer elf Monate alten Kinder beurteilen. Es zeigt sich, dass bei gleicher Leistung die Mütter ihre Söhne viel besser und risikofreudiger einschätz‐ ten als die Töchter. Die Autorinnen führen das auf die unterschiedlichen Erwartungshaltungen zurück, nach denen die Jungen geschlechtskonform aktiver, mutiger, stärker zu sein haben. Wieder schließen wir, dass die Erwachsenen eher unbewusst bei der Sozialisierung der Kinder mitwirken. Dies würde auch die Diskrepanzen bei Kinder- und Elternantworten in der Studie von Freeman (2007) erklären. Sie fragte sowohl Kinder zwischen drei und sechs Jahren, was Mädchen- und Jungenspielzeug ist und ob die Eltern es gutheißen, wenn sie sich nichtkonform verhalten, als auch die Eltern, ob sie typisch weibliches bzw. männliches Spielzeug und Verhalten bei Söhnen bzw. Töchtern akzeptieren. Während die Eltern ihre Erwartungen und ihr Verhalten weitgehend geschlechtsneutral einschätzten, glaubten die Kinder, dass die Eltern das falsche Spielzeug nicht gutheißen würden. Die Erwartungshaltung der Erwachsenen beeinflusst die Bewertung von Säuglingen und das reaktive Verhalten. Dadurch werden Sterotype gestärkt. 10.6 Der Einfluss Gleichaltriger Inwiefern gestalten Kinder den Sozialisierungsprozess Gleichaltriger mit? Kleine Kinder kennen die Regeln des geschlechtskonformen Handelns. Sie nehmen sich auch ein Vorbild an den anderen Kindern und orientieren sich an deren Reaktionen. Lamb / Roopnarine (1979) wollten wissen, inwiefern 32 Kindergartenkinder zwischen 34 und 58 Monaten geschlechtstypisches und -untypisches Verhalten anerkennen oder missbilligen. Als geschlechts‐ konform galten Autos, Bauklötze oder Bälle für Jungen und Malen, Kü‐ chenspielzeug, Puppen bei den Mädchen. Es zeigte sich, dass die Kinder oft positiv reagierten, indem sie „richtiges“ Spielzeug bzw. Spielen lobten, damit einverstanden waren, es nachahmten, mitspielten. „Falsches“ konnte 10.6 Der Einfluss Gleichaltriger 177 <?page no="178"?> 33 Deutschland steht auf Platz 8 seiner Liste, die USA kommen auf Platz 18, die Schweiz und Österreich sind nicht dabei. 34 Zudem gewinnen soziale Medien immer mehr an Einfluss, vgl. Feierabend et al. (2018). hingegen Kritik oder Zurückweisung hervorrufen, oder das Mitspielen wurde aufgegeben. Positive Reaktionen kamen häufiger vor als negative. Das positiv verstärkte Verhalten dauerte länger an als das, auf das negativ reagiert wurde. Die Jungen waren für die meisten positiven Reaktionen verantwortlich. Kindergartenkinder kennen nicht nur genderkonformes Verhalten, son‐ dern begegnen gewünschtem Verhalten positiv und unerwünschtem negativ. Aufgrund dieser Reaktionen werden die „richtigen“ Verhaltens‐ weisen gestärkt. 10.7 Weitere Faktoren Die Menschen in unserer Umgebung üben direkten Einfluss auf uns aus. Alle sind Teil der Gesellschaft und haben gemeinsame Wertvorstellungen, auch unbewusst. Gleichberechtigung gehört mit zu den Errungenschaften einer Demokratie. Wie Brandt (2011) in seiner Longitudinalstudie von 57 Ländern zeigt, legitimiert und verschlimmert Sexismus Geschlechterungerechtigkeit, wobei die Industrienationen, allen voran Norwegen, Schweden und Frank‐ reich, deutlich mehr Gerechtigkeit aufweisen als weniger entwickelte Natio‐ nen wie Mali, Ägypten oder Irak 33 . Solche kulturbedingten Werte bedingen die Sozialisation des Einzelnen mit. Wichtig werden zunehmend auch die Medien wie Fernsehen, Werbung, Kinder- und Schulbücher (Kap. 11, 12) 34 . Das evolutionäre Erbe bereitet den Boden für unterschiedliche Verhal‐ tenstendenzen von Vätern, Müttern, Töchtern und Söhnen, die sich dann im weiteren Verlauf gegenseitig, sprachlich und nicht sprachlich, verstärken. Dann treten schon bald andere Bezugspersonen an die Seite der Eltern mit vergleichbaren Vorstellungen, die sie mehr oder weniger unbewusst im Umgang mit den Kindern und als Reaktionen umsetzen. Das Wissen um solche Unausgewogenheiten kann dazu beitragen, diese von Anfang an abzufedern. 178 10 Genderentwicklung <?page no="179"?> Zusammenfassung Insgesamt sind die Zusammenhänge, die zu Geschlechtsidentitäten, unter‐ schiedlichem Rollenverhalten und Vorlieben führen, noch nicht in ihrem Beziehungsgefüge bekannt. Die genauen Gründe für die Verhaltensunter‐ schiede sind letztendlich nicht klar. Mehr und neuere Forschungsmethoden setzen bei Spiel- und Spielzeugvorlieben schon bei Primaten an. Das re‐ lativiert die Rolle der Sozialisation. Erwachsene dienen als Vorbild und verstärken bzw. kritisieren bestimmte Verhaltensmuster von Mädchen und Jungen. Gleichzeitig vollziehen die Kinder verschiedene kognitive Entwick‐ lungsschritte. Umstritten ist, ob diese die Voraussetzung für die Annahme sozialer Informationen bilden, nur indirekt davon beeinflusst werden, ob äußerliche Faktoren Bedingung für kognitive Weiterentwicklungen sind und vor allem, ob sich diese Faktoren in ihren Gewichtungen und Einfluss‐ richtungen im Laufe der Zeit ändern. Die verschiedenen theoretischen Ansätze gehen von unterschiedlichen Kausalrichtungen zwischen kognitiven, sozialen, verhaltensbedingten und auch biologischen Faktoren aus. Wird das Verhalten durch Gene, Hormone und die neurologischen Gegebenheiten ausgelöst? Inwiefern hängt die kognitive Entwicklung von den Möglichkeiten, die die Umwelt bietet, ab? Welche Bedeutung kommt den Eltern zu, die ja selbst durch kulturelle Werte und Stereotype beeinflusst sind? Wilderes Spielen mit Jungen fördert körperlich-motorische Fähigkeiten und damit die Grobmotorik. Ist das der Grund, warum Jungen später auch im räumlichen Denken besser sind? Oder sind kognitive Fortschritte Voraussetzung für geschlechtstypisches Verhal‐ ten? Mittlerweile wird den Kindern selbst auch eine aktive Beteiligung beim Aufbau der Geschlechtsidentität, zu der auch Stereotype gehören, eingeräumt. Kinder kennen bereits mit vier Jahren die wichtigsten Aspekte ge‐ schlechtstypischen Verhaltens und die soziale Bedeutung sprachlicher Stile und setzen beides rollenkonform ein. Sie werden stereotypgerechtem Ver‐ halten gegenüber immer sensibler. Gerade aber für Jungen bieten die Stereotype die nötigen Rollenvorgaben, weil ihnen zu Hause, in Kita und Kiga (und in der Grundschule) die männlichen Bezugspersonen fehlen. So gewinnen die Vorbilder aus den Medien unnötig an Bedeutung. Letztendlich gibt uns das Wissen um die verschiedenen Einflüsse und Zusammenhänge eine Vorstellung davon, dass wir, auch ohne es zu merken, Zusammenfassung 179 <?page no="180"?> Ungleichheiten mit verantworten. Wir sollten unser Denken und Handeln kritisch reflektieren und so ändern, dass wir auch auf sprachlichem Weg dazu beitragen können, den Kindern mehr Chancen auf faire Behandlung und freie, individuelle Entwicklung zu ermöglichen. Forschungsaufgaben Inwieweit können sich bereits in Kindergesprächen stilistische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen herauskristallisieren (dazu z. B. Fuchs 1998)? Welche Faktoren außer den Eltern nehmen Einfluss auf unterschiedliches Sprachverhalten-- die Zusammensetzung der Gesprächsgruppe, also ob sie gemischtgeschlechtlich ist oder nicht, größer oder kleiner, die Umgebung, die Situation zu Hause oder im Forschungslabor, die Art der Spiele, das Spielzeug, die Bildung der Eltern, das Alter der Kinder? Gibt es Faktoren, die stereotypes Verhalten begünstigen oder abschwächen? Dazu stellt Lanvers (2004: 488 ff.) einige Forschungsfragen und -designs zusammen. Freeman (2007) führt im Anhang ihren Fragebogen zu geschlechtskonformen Haltun‐ gen von Eltern auf. Diese Arbeiten können zu eigenen Studien inspirieren. Literatur Gleason / Ely (2002) geben einen kurzen Überblick über die sprachliche Entwicklung der Kinder und mögliche beteiligte Faktoren. Lanvers (2004) stellt Studien zum Zusammenhang von Sprache und früher Geschlechtsso‐ zialisation zusammen. Ein Überblick über verschiedene sozial-kognitive Erklärungsansätze, Entwicklungsfaktoren und -stufen stammt von Leaper (2015). Mehr zu Parallelen in anderen Spezies findet sich in Saucier / Ehres‐ man (2010: 220 f.). Zu Unterschieden in der sprachlichen Entwicklung von Mädchen und Jungen vgl. auch Rinaldi et al. (2021). 180 10 Genderentwicklung <?page no="181"?> 11 Medien 11.1 Wachsende Rolle der Massenmedien Geschlechtsstereotype repräsentieren die erlebte Rollenverteilung in der Gesellschaft. Zu dieser Erfahrung gehört auch die in den Massenmedien vermittelte Welt. Es gilt daher zu klären, wie Medien Geschlechterbilder konstruieren, wie groß ihr Einfluss auf Kinder und Erwachsene ist und welche Rolle der Sprache dabei zukommt. Zunächst ist einmal mehr zu betonen, dass Präsenz und Einfluss der Massenmedien zunehmen und dass die Konsument: innen immer jünger werden. Heute hat praktisch jeder Haushalt einen Internetzugang und mindestens ein mobiles Gerät. Schon Kleinkinder verwenden Smartphones oder Tablets. Durch die Mobilität der Geräte begleiten sie die Menschen den ganzen Tag (Medien). Die Zeitspannen, in denen sich Kinder und Erwachsene mit den Medien beschäftigen, nehmen stetig zu. Im Schnitt verbringen die Menschen in den deutschsprachigen Ländern etwa 180 Mi‐ nuten am Tag vor dem Fernseher. Moring (2017: 10) gibt für Deutschland rund 220 Minuten an. Schon im Kindergartenalter sehen Kinder lange und regelmäßig fern - hier wirken bereits die Werbespots auf Konsumvorlieben und auf das Ernährungsverhalten (Robert Koch-Institut 2018). Mit der Zeitung verbringen die Deutschen 35 bis 40 Minuten täglich, bei den etwa 20-Jährigen sind es nur 10 bis 19 Minuten, viele lesen sie allerdings gar nicht. In den letzten Jahren stieg die Nutzung der modernen Medien stark an und bildet heute einen selbstverständlichen Teil des Alltags. Gleichzeitig dienen den unter 40-Jährigen Onlinequellen und Fernsehen als wichtigste Ressource für Nachrichten, für 53 % aller Deutschen ist das Fernsehen die Hauptquelle. In der Altersgruppe von 12 bis 18 steht Fernsehen mit 81 % auf Platz eins und Messenger-Dienste und soziale Netzwerke mit 63 % auf Platz 2. Die Tageszeitungen werden von über 80 % der Deutschen regelmäßig konsultiert (Moring 2017). Insgesamt jedoch sind <?page no="182"?> 35 Auf die sozialen Medien kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da die aktuelle Studienlage zur Auswirkung auf Geschlechtsstereotype noch nicht aussagekräftig genug ist (Hale et al. 2022). Verschiebungen zugunsten der neuen Medien zu erwarten, so dass sich die Zahlen regelmäßig ändern werden 35 . Aufgrund der hohen Präsenz im Leben schon kleiner Kinder kommt Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und immer mehr auch den neuen Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle im Sozialisierungsprozess zu, auch für die Entstehung, Verfestigung und Verbreitung von Geschlechts‐ rollen. Die große Gefahr dabei jedoch ist, dass uns das nicht bewusst ist und dass Medien Informationen filtern, unser Leben verzerrt wiedergeben und Klischees aufbauen: Männer sind in der medialen Welt in der Überzahl. Sie sind generell stark, erfolgreich, einflussreich und ehrgeizig, schützen die Frauen etc. Diese sind kaum älter als 35, stets schlank, schön, passiv und beschäftigen sich mit Beziehungen (Wood 1994: 232). Mittlerweile hat sich die Sichtbarkeit von Frauen verbessert. Aber nach wie vor ist das Fernsehen (in Deutschland) wenig divers (vom Orde 2020, Prommer 2021). Medien produzieren ihre Botschaften stabil und konsistent immer wieder, was die Inhalte zusätzlich verstärkt (Oppliger 2007). Die Medien vermitteln falsche Wirklichkeiten durch Bilder, Sprache und auch durch das Weglassen. Rulofs / Hartmann-Tews (2017) stellen fest, dass Sportlerinnen nach wie vor in der Sportberichterstattung deutlich unterrepräsentiert sind, der Anteil lag im Jahr 2010 bei 15 %. Auch diese Untersuchung ergibt eine weitgehend stereotype Darstellung, die Frauen und ihre Leistungen trivialisiert, wenn beispielsweise beim Stabhochsprung das Überwinden des Hindernisses als Hopser bezeichnet wird (Rulofs / Hart‐ mann-Tews 2017: 66). Das Fernsehen prägt Selbstbild und Idealvorstellungen der Geschlech‐ ter und beeinflusst kognitive Muster, die diese Bilder weiter tradieren (Allan / Coltrane 1996). Werbung und Fernsehen bedeuten gerade für Kinder eine ernstzunehmende Quelle für Geschlechtstereotype, denn sie unter‐ scheiden nicht strikt zwischen Fiktion und Wirklichkeit. So lassen sich dann auch Korrelationen zwischen den Vorgaben in den Medien und der Selbstwahrnehmung und manchen Verhaltensweisen und Einstellungen zeigen. Die impliziten Vorgaben, immer stereotyp feminin auszusehen, tragen ihren Anteil an einigen pathologischen Syndromen, weil sie permanent ein 182 11 Medien <?page no="183"?> unrealistisches und im Wesentlichen unerreichbares Bild des weiblichen Körpers vermitteln. Die Überzeugung, ein attraktives Äußeres sei gleich‐ bedeutend mit Erfolg und Akzeptanz, ist fest zementiert. Da Frauen von Anfang an lernen, sich stark über das Aussehen zu definieren, haben sie ein negativeres Selbstbild, nachdem sie idealisierten Darstellungen ausgesetzt waren (vgl. auch Kap. 7.5.1). Zwar gibt es Strategien, das Selbstbild zu verbessern, wenn dies aber nicht gelingt, fühlen sie sich schlecht, ohne dass ihnen dies bewusst wäre. Menschen können sich also nicht gut gegen die Bedrohung des Selbstkonzepts wehren, was zu Depressionen und Ess‐ störungen führen kann (Gurari et al. 2006, vgl. auch Daniels 2009, Gläßel 2011). Wenn aber Sportlerinnen in Bewegung gezeigt werden, verschiebt sich der Fokus weg von Äußerlichkeiten hin zu Leistung. Das verbessert die Eigenwahrnehmung unter jungen Mädchen und das Selbstwertgefühl (Daniels 2009). Gunter (2014) befasste sich ausführlich mit der Darstellung von Frauen und Männern als Sexualobjekt und ihrer Auswirkung. Mit der Sexualisie‐ rung ging ein Anstieg der Gewalt gegen Frauen in den Medien einher. Aufgrund des Zeitschriften- und Fernsehkonsums beschäftigen sich junge Menschen mehr mit ihrem Äußeren, sind jedoch gleichzeitig unzufrieden. Männer, die mehr Werbung mit Frauen als Sexualobjekten sehen, haben mehr stereotype Vorstellungen von Frauen, etwa, dass Frauen nichts gegen Vergewaltigungen haben, und zeigen erhöhte Gewaltbereitschaft. Insgesamt korrelieren die veränderten Angebote in den Medien mit mehr Akzeptanz von Gewalt, bei Tätern wie bei Opfern, früherer sexueller Aktivität, einer erhöhten Scheidungsrate und unehelichen Kindern. Sie übersteigern den Stellenwert von Sexualität und fördern die Vorstellung, Promiskuität sei normal (Gunter 2014). Giaccardi et al. (2016) untersuchten gezielt das Männ‐ lichkeitsbild von Studenten: Macht, Aggression, Status, Objektifizierung von Frauen. Dieses Bild korreliert mit der Mediennutzung über verschiedene Medientypen hinweg und mit sich gegenseitig verstärkendem Effekt. Ein Zusammenhang zwischen Gewalt im Fernsehen und Gewaltbereitschaft und aggressivem Verhalten wurde in den letzten Jahren immer wieder festgestellt, bei kleinen Kindern bis hin zu Erwachsenen (Christensen / Wood 2007). Geschlechtsstereotype Verhaltensweisen und Einstellungen nehmen ebenfalls mit erhöhtem Medienkonsum und den dort gezeigten ge‐ schlechtsstereotypen Vorgaben (vgl. Kap. 7) zu, wobei hier Kinder beson‐ ders sensibel reagieren (Oppliger 2007, für Zeitungen Cheryan et al. 2013). 11.1 Wachsende Rolle der Massenmedien 183 <?page no="184"?> Die in den Medien vermittelten stereotyp gezeichneten Berufe wirken sich auf den beruflichen Werdegang aus. Dass Computerspezialisten weiß, männlich, aber auch unattraktiv und ohne zwischenmenschliche Fähig‐ keiten sind, ist nicht mit den Vorgaben für die „richtige“ Frau vereinbar, was Mädchen dazu bringt, solche Berufswege zu meiden. Zeitungsartikel, die diskutieren, dass diese Stereotype überholt sind, steigern hingegen das Interesse von Studentinnen an Computerwissenschaften (Cheryan et al. 2013). Vierbis Neunjährige erkennen klischeehafte Darstellungen männli‐ cher und weiblicher Zeichentrickfiguren, und es gibt Korrelationen zwi‐ schen eher stereotyper Wahrnehmung und traditionellen (Berufs-)Rollen‐ erwartungen (Thompson / Zerbinos 1997). Ein erhöhter Fernsehkonsum korreliert mit verstärkten stereotypen Vorstellungen und stereotypem Spielverhalten bei Kindern und Jugendlichen (u. a. Allan / Coltrane 1996: 187 f., Coyne et al. 2014), während Kinder ohne Fernsehen deutlich weniger Geschlechtsstereotype zeigen (Wood 1994: 249). Sexismus in der Werbung verschlechtert zudem die Arbeitsleistung des Gehirns bei Kindern (Pacilli et al. 2016). Werbung mit gegenläufiger Rollenverteilung bzw. Spielzeugpräferenz führt dann auch zu weniger stereotypen Auffassungen bei Kindern und Erwachsenen. Dabei vermittelt vor allem Werbung den Kindern geschlechts-„adäquate“ Verhaltensmuster (Allan / Coltrane 1996: 187, Pike / Jennings 2005). Eine relativ neue Quelle für Stereotype bilden Computerspiele (u. a. Murnen et al. 2016). Sheldon (2004) fand in der Erziehungssoftware für Vorschulkinder mehr männliche Charaktere in den Hauptrollen, die Neben‐ rollen waren zahlenmäßig ausgeglichen, aber stereotyp dargestellt. Die weiblichen Charaktere zeigten zwar auch gegentypische Verhaltensweisen, äußerlich aber waren sie klassisch weiblich, was Kleidung, Frisur und Schmuck anbetrifft. Vor allem der Mangel an Protagonistinnen hindert Mädchen aber wohl daran, sich mit Computerspielen zu beschäftigen, weil die männlichen Rollen wenig Identifikationsspielraum bieten. Zu den gravierenderen Folgen stereotyper Darstellungen in den Mas‐ senmedien zählen nicht nur geringes Selbstwertgefühl, Depressionen und Essstörungen, deren Zahl kontinuierlich ansteigt (Gläßel 2011: 262). Es hat sich auch gezeigt, dass die klischeehafte Zeichnung von Frauen in der Werbung dazu führt, dass das Stereotypdenken bei Männern und Frauen aktiviert wird, dass die dadurch ausgelöste Stereotypbedrohung (vgl. 184 11 Medien <?page no="185"?> Kap. 7.5.2) schlechtere Mathematikleistungen der Frauen bewirkt und dass sich solche Stereotype auf die Interessenslagen auswirken (Davies et al. 2002, Davies et al. 2005). Insgesamt gibt es somit genügend Erhebungen, die deutliche und ernstzunehmende Einflüsse durch die Medien auf Denken und Handeln zeigen. Medienkonsum und Stereotypdenken korrelieren. Gegenläufige Darstel‐ lungen und Thematisieren des Problems tragen zur Auflösung der Stereotypwirkung bei. 11.2 Werbung Werbung wirkt multimedial und darum besonders effektiv. Sie ist Teil des Wirtschaftssystems und profitorientiert. Sie verstärkt erwiesenermaßen Verbraucherbedürfnisse (Desmond / Carvweth 2007). Um die Aufmerk‐ samkeit auf sich zu ziehen und das Interesse am beworbenen Produkt zu wecken, arbeitet sie mit verschönten Realitäten und suggeriert, dass bestimmte positive Eigenschaften beim Erwerb des Produktes Teil der Lebenswirklichkeit der Konsument: innen werden. Wir kaufen die ideali‐ sierte Realität quasi mit. Desmond / Carveth (2007) fanden, dass Werbung zwar mäßig das Verlangen nach Produkten verstärkt. Gleichzeitig aber spielt sie eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Sozialisation (Mé‐ hes 2004). Seit den 1960er Jahren geraten das äußere Erscheinungsbild und sexuelle Attraktivität immer mehr in den Vordergrund (Eichhoff- Cyrus 2004). Die unerreichbare Schönheit der dargestellten Frauen und Männer setzt vor allem die Konsumentinnen - sie sind ja schon als Kleinkinder auf ihr Äußeres fixiert worden-- einerseits unter erheblichen Anpassungsdruck. Andererseits festigt sie streng getrennte Rollenbilder und die damit verbundene Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Voice over-Stimmen sind überwiegend männlich und suggerieren auch dadurch die allgegenwärtige Präsenz des Männlichen. Während in den 1960er Jahren die Frauen als Ehefrau und Mutter oder Sexualobjekt schwach und hilflos, aber schön und voll Bewunderung für Ehemann und Chef gezeigt worden waren, kam es aufgrund des gesellschaft‐ lichen Wandels auch hier zu Verbesserungen (vgl. auch Stark 2012, Pittner 11.2 Werbung 185 <?page no="186"?> 2014). Neben der jungen, attraktiven Idealfrau treten Mütter und Hausfrauen auf, ebenfalls attraktiv, Sexobjekte, aber auch einige natürliche und auch ältere Frauen und Expertinnen. Die Männer sind auch als Väter zu sehen. Die Entwicklung geht insgesamt in Richtung „der modernen Superfrau“ (Vennemann / Holtz-Bacha 2011: 117). In Blake / Müllers (1996) exemplarischer Analyse zeigt amerikanische Werbung die traditionelle Rollenverteilung in Wort und Bild. Ähnlich Paek et al. (2011) - sie fanden in 2608 Fernsehwerbespots aus sieben Ländern (u. a. Brasilien, Deutschland, USA, China) kulturelle und produktbezogene Einflüsse auf Geschlechtsasymmetrien. Männer waren in der Überzahl, die Darstellung der Frauen stereotyp, vor allem in Deutschland (vgl. auch Matthes et al. 2016 für 13 Länder). Trotz deutlicher Versuche, Mädchen und Jungen in einem ausgewogeneren Verhältnis und im kooperativen Mitein‐ ander darzustellen, sind Geschlechtsstereotype in der Spielzeugwerbung (USA 2004) allgegenwärtig, wie Kahlenberg / Hein (2010) in einer Studie mit 455 Spielzeugwerbungen feststellten. Sie richteten sich an Zweibis Elfjährige. Idealisierte, klischeehafte Darstellungen fand auch Motschenba‐ cher (2008) in 2000 Werbeanzeigen von Men’s Health und Cosmopolitan (vgl. außerdem Meer 2010). Die Darstellung in der Werbung ist nach wie vor weit von der Wirklichkeit entfernt. Die neue Frau erscheint immer vollkommen gekleidet, jung und selbstbewusst, erfolgreich und nach Unabhängigkeit strebend, doch erblickt man sie in einer stark reduzierten Anzahl von Berufen wie zum Beispiel Boutiquenbesitzerin oder Filmstar. Die Büroarbeit bedeutet für sie kein Problem, sie wird von Maschinen erledigt. Die neue Frau ist Schaufensterpuppe, während die Männer unterhaltsam und mehrdimensional wirken (Méhes 2004: 8). Asymmetrische Häufigkeiten und Vorgaben zu geschlechtsadäquatem Han‐ deln und Aussehen sind klischeebildend. Da die Werbung Bedeutungen und Realitäten nicht nur widerspiegelt, sondern konstruiert und Teil der Alltagskultur ist, sollte sie gerade deswegen keine frauenfeindlichen Inhalte transportieren. Trotz aller Diskussionen hat sich, so Marschik / Dorer (2002) in ihrer Untersuchung von Werbung in Österreich, „am Sexismus der Werbung nichts geändert“ (Marschik / Dorer 2002: 43). Mittlerweile sind die Werbefrauen auch außer Haus aktiv. Aber die Objektifizierung und Sexualisierung vor allem der Mädchen und Frauen ist häufiger und intensiver geworden (Mager / Helgeson 2011, Grafff et al. 2013, 186 11 Medien <?page no="187"?> vgl. auch Pacilli et al. 2016, Murnen et al. 2016, Kotthoff et al. 2018: 328). So berichtet Eichhoff-Cyrus (2004: 109) von einer Getränkewerbung, die eine Flaschenkiste vor drei groß gezeigten Frauen im Bikini klein mit einem ausgebreiteten Fischernetz darstellt mit dem Spruch „Hol sie dir“. Bild und Sprache wirken zusammen, um aus den Frauen Objekte zu machen, die ein Mann sich holen kann. Die Sprache ist in der Art und Weise des kommunikativen Miteinanders relevant, aber auch in diversen Formulierungen. Lazar (2009) etwa unter‐ suchte die eher subtile Wirkung von Metaphern in Werbeanzeigen von 2004 bis 2007. Kosmetik und andere verschönernde Produkte werden häufig als Waffen angepriesen, die gegen Alter, Natur und alle diejenigen (natürlichen) Prozesse eingesetzt werden müssen, die Feinde des Körpers sind und die weibliche Schönheit bedrohen, vgl. „When your skin is low on energy, it cannot activate the resources needed to maintain its defenses“ (Biotherm) (Lazar 2009: 214), „To fight the signs of time from appearing on her face, Estetica“ (Lazar 2009: 2015), „Combat thinning hair effectively with Svenson’s hair loss solutions“ (Svenson) (Lazar 2009: 219), „Powered by a 3-pronged system, this procedure attacks stubborn fat and cellulite“ (Marie France Bodyline) (Lazar 2009: 220). Hier erscheint der Körper als Kriegsschauplatz, eine eigentlich männliche Vorstellung, die aber durch die Werbung zur Sicht der Frau wird. Hervorzuheben seien die jüngsten Versuche, in der Werbung vermehrt Frauen, die Kleidergröße 40 und darüber tragen, darzustellen (Plus-Size-Werbung). 11.3 Fernsehen und Filme Wie sieht die Fernsehrealität aus? Wenn wir uns zunächst nur die Zahlen‐ verhältnisse weiblicher und männlicher Charaktere betrachten, fällt schnell das Ungleichgewicht ins Auge. 11.3 Fernsehen und Filme 187 <?page no="188"?> Abb. 3: Frauen- und Männerrollen in Filmen (Sandstein: https: / / commons.wikimedia.org/ w iki/ File: Female_and_male_characters_in_film.png [CC BY-SA 4.0 (https: / / creativecommons .org/ licenses/ by-sa/ 4.0)]) Frauen sind seltener, erhalten weniger Namen, weniger führende Rollen, reden weniger, kurz, sie sind weniger präsent und weniger wichtig. Dafür ist der stereotype Mann abenteuerlustig, dominant, aggressiv und an Be‐ ziehungen nicht interessiert (Wood 1994: 235). Falsche Darstellungen und vor allem kaum oder gar nicht vermittelte gegenläufige Fakten stützen die Vorstellungen (zu Beispielen vgl. Wood 1994: 245 ff.). Medien halten unrealistische Idealvorstellungen aufrecht, was bei vielen Rezipient: innen ein Gefühl der Unvollkommenheit auslöst. Wahlmöglichkeiten erscheinen eingeschränkt, Alternativen nicht empfehlenswert, Lebenswege versperrt. Der männliche und der weibliche Körper werden extrem idealisiert und lebensfremd dargestellt, Gewalt gegen Frauen wird verharmlost. Das ani‐ miert Männer indirekt zu Gewalt und Frauen dazu, ein gewisses Maß an Gewalt als normal zu empfinden und zu akzeptieren (Wood 1994: 248 ff.). In ihrer Analyse der 855 umsatzstärksten US-Filme von 1950 bis 2006 stellten Bleakley et al. (2012) fest, dass männliche Charaktere mehr als doppelt so häufig auftraten und dass Szenen mit explizitem, stereotypkonformem Sex und Gewalt angestiegen sind. Ihre Ergebnisse passen zu anderen Studien, die den Medien eine Hauptrolle bei der Vermittlung eines Bildes zuschreiben, das Objektifizierung und Sexualisierung von Mädchen vorantreibt (Bleakley et al. 2012: 78). 188 11 Medien <?page no="189"?> Dank der jahrelangen Diskussionen um mehr Gleichberechtigung gab es in den amerikanischen Fernsehprogrammen von 1967 bis 1998 einen leichten Anstieg bei der Präsenz weiblicher Rollen und dem Respekt ihnen gegenüber und etwas weniger Stereotype, aber kaum Veränderungen bei der Rollenverteilung. Wenn Frauen berufstätig sind, sind sie nicht (mehr) verheiratet, so dass Beruf und Familie nach wie vor unvereinbar erscheinen (Signorielli 2012: 335). Die Welt des Fernsehens besteht immer noch aus weniger Frauen, die aber eher jung sind und sich um Haushalt und Kinder kümmern. Die Rollenbilder sind während der besten Sendezeit relativ stabil geblieben (Signorielli / Bacue 1999, vgl. auch Lauzen et al. 2008). Männer sind Täter, Frauen sind Opfer (Parrott / Parrott 2015). Mittlerweile agieren auch Superheldinnen, die aber emotionaler und oberflächlicher als ihre männlichen Pendants auftreten, nur halb so häufig vorkommen und natür‐ lich äußerst attraktiv dargestellt sind, allerdings nicht passiv (Baker / Raney 2007). In den Fernsehprogrammen (USA) für Achtbis Zwölfjährige aus dem Jahr 2011 kommen Mädchen in den für Mädchen produzierten Programmen gleich häufig wie Jungen vor, sind aber hauptsächlich um ihr Aussehen be‐ müht. In den Programmen für Jungen gibt es zu wenige Mädchen, auch hier geht es bei ihnen stark um das Aussehen, aber auch die Jungen werden sehr stereotyp dargestellt. Allerdings gibt es bei ihnen auch weniger attraktive Typen. Insgesamt erscheinen wesentlich mehr Jungen. Mädchen können mittlerweile alles tun, müssen aber gut aussehen (Gerding / Signorielli 2014). Sexualisierung ist in den Medien mehr und extremer geworden (Gunter 2014). Kinder und Jugendliche sehen nach wie vor ein eingeschränktes Bild der Wirklichkeit in einer Zeit, in der sie sich in einer entwicklungsmäßig sen‐ siblen Phase befinden und Informationen gegenüber stark aufgeschlossen sind, was Sozialverhalten und Identitätsfindung anbetrifft. Entsprechend empfänglich sind sie für Klischees. Eine Studie, die die besondere Gelegen‐ heit hatte, eine kanadische Stadt vor der Installation des Fernsehens 1973 zu beobachten und noch einmal zwei Jahre später, wies nach, dass die Kinder nach der Einführung des Fernsehens weniger gleichberechtigte Vorstellungen hatten. Der Grund lag im ständigen Angebot an traditionellen Rollen und Gewalt. Die stereotypen Einstellungen waren danach für Jungen noch ausgeprägter als für Mädchen. Die Veränderungen gehen allein auf den Fernsehkonsum zurück (Kimball 1986). 11.3 Fernsehen und Filme 189 <?page no="190"?> Regelmäßig zeigen Studien einen Zusammenhang zwischen Fernsehkon‐ sum und stereotypen Vorstellungen bzw. aggressivem Verhalten in allen Altersklassen. Kinder lernen aus dem, was das Fernsehen ihnen zeigt, sie ahmen die Verhaltensweisen der Charaktere nach und nutzen sie als Vorbilder und als Quellen für eigene Wertvorstellungen. 11.4 Zeitung Zeitungen spielen für Erwachsene eine größere Rolle, auch wenn die Zahlen rückläufig sind. Sie beeinflussen die öffentliche Meinung zu Politik und Gesellschaft. In solchen Quellen arbeiten sprachliche und kognitive Aspekte Hand in Hand, um Klischees zu gestalten, Assoziationen zu lenken und Personengruppen auszublenden. Da das Material gedruckt vorliegt, lassen sich die einzelnen Formulierungen leichter untersuchen. Dadurch kann nicht nur die Oberfläche betrachtet werden, die auf den ersten Blick die bekannten Asymmetrien wie das generische Maskulinum oder rein zahlenmäßige Unterschiede zeigt, sondern auch Textzusammenhänge und Assoziationssteuerungen, die unterschwellig wirken. 11.4.1 Pronomina, Substantive, Kotext Verschiedene Studien überprüften stereotype Darstellungen und sprachli‐ che Asymmetrien. Wie in allen Texten lassen sich einerseits Unterschiede auf Frequenzebene feststellen, andererseits auch auf der inhaltlichen. In 94 Texten der beiden britischen Zeitungen The Times und Guardian der Jahre 2004 und 2005 suchten Johnson / Ensslin (2007) elektronisch nach Asymmetrien im Themenbereich Sprache. Das Korpus bestand aus ungefähr sechs Millionen Wörtern. Im Subkorpus (130 000 Wörter, 94 Texte) kam his language viel öfter vor als her language (75 vs. 21 Mal). Männliche Sprache wurde weitestgehend positiv beschrieben, vgl. „The beauty of his language and originality of his thought“ ( Johnson / Ensslin 2007: 235 f.), „His language is dense, resonant and beautiful [sic] turned“ ( Johnson / Ensslin 2007: 235). Normverletzungen wie Beschimpfungen wurden herunterge‐ spielt, vgl. „Here’s old Ken - he’s been crass, he’s been insensitive and thuggish and brutal in his language, but actually if you read what he said, 190 11 Medien <?page no="191"?> 36 Informationen bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (h ttps: / / www.dwds.de) am 02. 03. 2019. although it was extraordinary and rude, I don’t think he was actually anti- Semitic“ ( Johnson / Ensslin 2007: 241). Weibliches Sprechen wurde seltener thematisiert und dabei nur ein einziges Mal positiv bewertet, vgl. „Her language combines a rough and tumble physicality with a kind of magical illusion“ (Times, Johnson / Ensslin 2007: 236). Ein vergleichbares Ergebnis erhielten Gustafsson Sendénet al. (2015). In 400 000 englischsprachigen Reuters-Kurznachrichten von 1996/ 97 kam das männliche Personalpronomen neunmal häufiger vor als das weibliche, die Kontexte waren bei she negativer, obwohl dieser Nachrichtentyp allgemein als neutral gilt. Romaine (2001) weist darauf hin, dass nicht die Wortwahl allein zu berücksichtigen ist (king / queen, baronet / dame), sondern auch die Begriffe, die oft im Umfeld auftreten oder direkt daneben, sogenannte Kollokationen. Sie fand in ihren BNC-Daten, dass spinster, eigentlich ‚Unverheiratete‘, aber auch ‚alte Jungfer‘, manchmal zusammen mit neutralen Begriffen erschien wie American oder 66 year old, in den überwiegenden Fällen jedoch kombiniert wurde mit gossipy, nervy, ineffective, frustrated, love-/ sex-starved, dried-up, old etc. (Romaine 2001: 159). Im Gegensatz dazu erscheint der Begriff bachelor in neutralem oder positivem Kontext, mit einer Ausnahme: bachelor wimp (‚Waschlappen‘) (Romaine 2001: 160). Damit konnotiert der Kontext einen Begriff negativ. This example shows how connotations of words do not arise from words themselves but from how they are used in context. The meanings of words are constructed and maintained by patterns of collocation. Collocations transmit cultural meanings and stereotypes which have built up over time (Romaine 2001: 160). Wenn wir uns beispielhaft dazu die Wörter Koch und Köchin anschauen, bekommen wir im Wortauskunftsystem zur deutschen Sprache 36 , das neben Wörterbüchern u. a. vor allem verschiedene Zeitungen als Korpusgrundlage nutzt, für Koch eine Bedeutungsangabe ‚Fachmann, der in der Zubereitung von Speisen ausgebildet ist‘, für Köchin keine. Die vier wichtigsten Ver‐ bindungen mit Koch sind Kellner, gelernt, zubereiten, verderben (weiter auch Zimmermädchen, Liebhaber, Gärtner, angehend, begnadet, zaubern) für Köchin sind es Kindermädchen, Putzfrau, Dienstmädchen, Hausmädchen 11.4 Zeitung 191 <?page no="192"?> (weiter auch Waschfrau, Stubenmädchen, Chauffeur, Koch, begnadet). Köchin befindet sich auf einer Ebene mit Putzfrau und Waschfrau und wird durch weitere Dienstberufe verstärkt, Koch mit Kellner und gelernt. Die rein grammatisch gesehen neutrale Ableitung wird im Textzusammenhang mit Begriffen verwendet, die wenig Prestige ausstrahlen, und dadurch abgewer‐ tet. Zwar gibt es im Umfeld auch Berufe mit Ausbildung (Schneiderin, Restaurantfachfrau, Gärtner, Gärtnerin), aber seltener. Der wiederholte Gebrauch in bestimmten Ko- und Kontexten führt mit der Zeit zu negativen Konnotationen eigentlich neutraler Begriffe. Durch subtile Wortwahl, Kollokationen und Kontext lassen sich Stereotype aktivieren. Lautenschläger (2017) analysierte Geschlechtsstereotype in 778 089 bundes‐ deutschen Pressetexten des Jahres 2013 elektronisch am Beispiel der Lexeme männlich und weiblich und der gemeinsam mit ihnen vorkommenden Wörter, bei männlich etwa Täterschaft. Neben quantitativen Ergebnissen interessierten sie auch die Texte mit den häufigsten Mustern, als repräsen‐ tativ beispielsweise Wer oben ist, teilt seine Macht nicht gern. […] Die Überraschung: 40 Prozent der Fieslinge waren Frauen. Eine andere Studie (2010) resümiert, dass Frauen mit überwältigender Mehrheit (80 Prozent) auf andere Frauen losgingen, derweil Männer ‚fair‘ seien, also die Geschlechter gleichermaßen quälten […] (Die Zeit, Lautenschläger 2017: 228). Sie stellte fest, dass die Texte einerseits klar zwischen typisch männlichen und typisch weiblichen Aspekten trennten, andererseits waren diese stereo‐ typ bedingt, vor allem bei Frauen. Auf Weiblichkeit bezogene stereotype Klassifizierungen scheinen, so das Fazit, nicht nur signifikanter und massenhafter vorzukommen, sondern werden stärker problematisiert und reflektiert, während männlich assoziierte Stereotype größ‐ tenteils unhinterfragt bleiben und in Bezug auf beruflichen Erfolg idealisiert bzw. als förderlich beurteilt werden (Lautenschläger 2017: 233). Clark (1992) untersuchte die Darstellung von Gewalt gegen Frauen am Beispiel der britischen Boulevardzeitung Sun aus den Jahren 1986/ 87. Sie 192 11 Medien <?page no="193"?> fand 35 Fälle von Gewalt, zumeist Überfälle, Mord oder Vergewaltigungen. Dabei vermieden die Texte mithilfe diverser Strategien die Nennung des männlichen Angreifers, etwa durch Passivkonstruktionen, vgl. „Girl 7 mur‐ dered while mum drank at the pub“ (Clark 1992: 213). Teils blendeten sie die Straftat komplett aus, vgl. „Sharon’s deadly silence“ (ibd.: 214). In der Kopfzeile kamen weder Täter noch Opfer vor, sondern die Freundin des Täters. Oft verwendeten die Texte auch konnotative Bezeichnungen für die Opfer wie Lolita, Blondine, blonde Geschiedene oder Prostituierte statt Opfer, Frau oder Eigennamen. Die Leser: innen assoziieren dadurch die Opfer eben nicht mit respektablen Bürgerinnen, denn es werden eher nicht respektierte Frauen umgebracht, denen entsprechend eine Mitverantwortung zukommt. Damit erscheint das Vergehen verharmlost und die Täter tragen nicht mehr allein die Schuld. Die Erwähnung des Pub führt auch dazu, dass das Kind womöglich nicht getötet worden wäre, wäre die Mutter nur zu Hause geblieben, denn, so die Assoziationen und Implikationen, gute Mütter gehen nicht trinken. Andere Texte rechtfertigten Gewalt durch angeblichen Liebesentzug, vgl. „Hubby kicked no-sex wife out of bed“ (ibd.: 218) oder „Sex-starved squaddie strangled blonde, 16, Love ban by teenage wife“ (ibd.: 218). Die Verkleinerungsformen in hubby ‚Mann‘ und squaddie ‚Soldat‘ verharmlosen die Täter zusätzlich. Weitere bzw. unnötige Adjektive schüren Mitleid mit den Tätern, vgl. tormented husband ‚gequälter Ehemann‘, spurned husband ‚verschmähter Ehemann‘, debt-ridden ‚von Schulden geplagt‘ (ibd.: 219 f.). Boulevardmedien verlagern durch Formulierungen die Schuld weg von den Tätern und bagatellisieren sie. Gewalttaten erscheinen weniger schlimm, die Täter werden verteidigt, die Opfer tragen eine Mitschuld. 11.4.2 Unklare Verwendung maskuliner Formen Wie schon zu erwarten, ist die deutschsprachige Presse genauso wenig gendergerecht. In deutschen Pressetexten waren Ende des letzten Jahrhun‐ derts mehr als die Hälfte der Stellenangebote nicht geschlechtsneutral, trotz politischer Vorgaben (Oldenburg 1998). In deutschsprachigen Männer- und Frauenzeitschriften fand Stuckard (2000) überwiegend generisches Masku‐ linum. Bühlmann (2002) zählte in Artikeln aus drei Schweizer Zeitungen 11.4 Zeitung 193 <?page no="194"?> für den deutschsprachigen Raum Zitatquellen, 27 stammten von Männern, 7 von Frauen. In den Texten wurde Männern wesentlich mehr Raum gegeben als Frauen. Die Autorin zählte weiter auch die Personenbezeichnungen (N = 632). Mit 46,4 % erschienen die meisten in Kollektiva wie Regierung, Ärzteteam, darunter viele Parteibezeichnungen (N = 87). Es folgte die Gruppe der generischen Maskulina mit 32,6 % und die der neutralen Formulierungen (Säugling) mit 19,1 %. Sie fragte aber darüber hinaus auch, inwiefern denn beim generischen Maskulinum, das sich angeblich auf Frauen und Männer gleich bezieht, überhaupt Frauen mitgemeint sind. Sie musste feststellen, dass Maskulina Interpretationssache waren. Als Beispiel führte sie einen Text aus der Neuen Züricher Zeitung an: […] Am Mittwoch ist in New York unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen die bisher grösste Konferenz von Staats- und Regierungschefs eröffnet worden. Der dreitägige Millennium-Gipfel, zu dem sich annähernd 160 Könige, Staats‐ präsidenten und Regierungschefs aus aller Welt einfanden, begann mit einer traurigen Note. Uno-Generalsekretär Kofi Annan teilte mit, dass mindestens drei Uno-Mitarbeiter in Westtimor ermordet worden seien, und er forderte die Kon‐ ferenzteilnehmer zu einer Schweigeminute auf. Der Millennium-Gipfel war aber ohnehin, wie seine Organisatoren immer wieder beteuert haben, nicht als Gala-Ereignis und Fototermin, sondern als Arbeitskonferenz konzipiert worden. Die Zusammenkunft biete eine ‚historisch einmalige Gelegenheit‘, Kriege, Armut und Umweltzerstörung entschiedener zu bekämpfen und die Uno im Hinblick darauf zu revitalisieren. Annan forderte die anwesenden Spitzenpolitiker mit Nachdruck auf, während der Konferenz klare Prioritäten und überprüfbare Ziele zu formulieren und diese Aufgaben auch sofort anzupacken (NZZ, 7. 9. 2000 in Bühlmann 2002: 176). In dem Text weist nichts auf die Anwesenheit von Frauen hin, das heißt, über den Kotext lassen sich keine Hinweise darauf finden, ob die Maskulina generisch gebraucht sind oder nicht. Es klingt nach einer Konferenz aus‐ schließlich mit Männern. Allerdings sollte bei einer Gruppe von 160 Men‐ schen doch die eine oder andere Frau dabei sein. Die Autorin führt weitere Beispiele auf, bei denen unser Weltwissen nicht weiterhelfen kann: Wenn etwa bei einem Unfall mit einer Schulklasse 26 Schüler sterben, sind das nur Jungen? Viele Zeitungen bemühen sich zwar um geschlechtergerechte Formulie‐ rungen, auch aufgrund gesetzlicher Vorgaben. Sie bleiben aber oft genug unklar bzw. fördern geschlechtsspezifische Interpretationen, vgl. „Allge‐ 194 11 Medien <?page no="195"?> meinarzt sucht zum möglichst nächsten Termin Assistentin / Assistenten, der an einer Ausbildung zum Allgemeinarzt interessiert ist“ (Anzeige in Greve et al. 2002: 118). Viele Anzeigen für gehobene und Führungspositio‐ nen verwenden nur maskuline Formen: „Wir suchen unseren Leiter Rech‐ nungswesen/ Einkauf. Die anspruchsvolle Aufgabe umfasst die Abwicklung der EDV-gestützten Bereiche Finanzbuchhaltung und Gesamteinkauf. Der ideale Kandidat […]“ (Anzeige in Greve et al. 2002: 110). „Im Zuge des unfallbedingten Ausscheidens unseres Vorsitzenden und der weiteren stra‐ tegischen Ausrichtung unseres Hauses suchen wir den Vorsitzenden des Vorstandes mit Bankleiter-Qualifikation nach § 33.2 KWG“ (Anzeige in Greve et al. 2002: 152). Schlechtdotierte Stellen wie die für Zimmermädchen, Verkäuferinnen, Spülerinnen, Schreibkräfte oder „Frühstücksfrauen“ sind spezifisch an Frauen gerichtet. In ihrer Untersuchung von 11 369 Stellenan‐ zeigen des Jahres 2000 aus elf verschiedenen Zeitungen und Fachzeitschrif‐ ten kamen Greve et al. (2002) zu dem Ergebnis, dass sich knapp ein Drittel der Anzeigen nur an ein Geschlecht richtet, mehr an Männer als an Frauen. Anhand von Stellenanzeigen lassen sich gut die Auswirkungen der Sprache auf die Leserschaft testen. Bem / Bem (1973) fanden heraus, dass Texte mit geschlechtsbezogenem Verzerrungseffekt Frauen bzw. Männer von einer Bewerbung abhalten. Solche nicht-neutralen Formulierungen waren beispielsweise: „Behind every man’s telephone call, there is a woman. She’s a smart woman. She’s efficient. She has to be“ (Pacific Telephone, Bem / Bem 1973: 8) bzw. The telephone frameman plays a vital role in telephone communications. This skilled craftsman connects cables and wires with equipment in our central office in order to provide telephone service. He also works with other craftsmen to correct troubles in wiring (Pacific Telephone, Bem / Bem 1973: 9). gegenüber We need calm, coolheaded men and women with clear friendly voices to do that important job of helping customers. They must be capable of handling emergency calls quickly and competently (Pacific Telephone, Bem / Bem 1973: 9 f.). Die Rate an Interessentinnen für die neutralen Angebote stieg von 5 auf 25 %. Wurden Annoncen für technische Berufe speziell an Frauen adressiert, stieg ihr Anteil weiter auf 45 %. Gaucher et al. (Kanada) ermittelten anhand von Stellenanzeigen für typische Männerberufe, in denen prozentual geprüft wenig Frauen aktiv 11.4 Zeitung 195 <?page no="196"?> sind (u. a. Klempner, Elektriker, Mechaniker), die für die Darstellung von Männern typische Wortwahl und entsprechend für Frauen, vgl. „We are determined to deliver superior medical treatment tailored to each individual patient“ gegenüber „We are committed to providing top quality health care that is sympathetic to the needs of our patients“ (Gaucher et al. 2011: 115). Die für Männer typische Wortwahl in Anzeigen löste bei Leserinnen ein Gefühl des nicht Dazugehörens und der Ablehnung aus. Die Autor: innen konnten so eine Interaktion zwischen Wortwahl und Interesse an einer Tä‐ tigkeit nachweisen, „masculine wording is unappealing to women precisely because it conveys that they may not belong in that job“ (Gaucher et al. 2011: 118). Auf sehr subtile Weise, durch Begriffe wie challenge, lead, boast, active, werden Frauen offenbar davon abgehalten, sich auf typische Männerstellen zu bewerben (Gaucher et al. 2011: 120). Solche Befunde sind auch deswegen so bedenklich, weil die erwähnte Wortwahl weder den Ausschreibenden noch den Lesenden bewusst ist und gendergerechte Sprache in Form von Beidnennung beispielsweise in Nach‐ richtentexten das Verständnis gar nicht erschwert. Blake / Klimmt (2010) wollten nicht nur wissen, ob geschlechtergerechte Personenbezeichnungen in Zeitungsartikeln zu mehr gedanklicher Berücksichtigung von Frauen führen, sondern auch, ob die Texte gut lesbar bleiben. Beides wurde bestätigt, die Texte wurden außerdem als ästhetisch sehr ähnlich bewertet (vgl. auch Kap. 6.2.1). Für den Abbau von Rollenklischees ist gendergerechte Sprache in Stellenanzeigen ein Schritt von vielen. 11.5 Bilderbücher Bilderbücher als weiteres Printmedium sind gezielt auf das jüngste Publikum ausgerichtet. Auch sie versorgen die Kinder mit Verhaltensvorgaben, sozia‐ len Werten, Normen und Rollenmodellen (vgl. im Folgenden Elsen 2018b). Außerdem liefern sie beim Vorlesen sprachliche Vorlagen, nicht unerheblich für den Spracherwerbsprozess. Anders als das Fernsehen lösen sie aktive bzw. interaktive Lernprozesse aus (Turner-Bowker 1996: 476 f.) und werden vor allem auch immer wieder betrachtet und vorgelesen. Je mehr und je länger Kinder Texten oder anderen Quellen mit Geschlechtsvorurteilen ausgesetzt sind, desto stärker entwickeln sie solche Ansichten selbst. Die klischeehaften Rollenbeschreibungen tragen zur Konsolidierung von Un‐ gleichberechtigung bei (vgl. u. a. Hamilton et al. 2006). Abad / Pruden (2013) 196 11 Medien <?page no="197"?> fassen Studien zusammen, die zeigen, dass Bilderbücher Spielverhalten und die Wahl des Spielzeugs, sogar die Vorstellungen zur beruflichen Zukunft beeinflussen. Geschlechtsasymmetrien lassen sich quantitativ und qualitativ untersu‐ chen, nach der Anzahl der männlichen und weiblichen Haupt- und Neben‐ rollen, sprachlich und bildlich, Erwähnung in Titeln, nach der Menge und dem Prestige der ausgeübten Berufe, nach den Pflichten im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, aber auch anhand der beschreibenden Adjektive, der Freizeitgestaltung und der Bewertung der stereotypen Rollen. In den Vereinigten Staaten fanden die ersten Studien viel mehr männli‐ che Charaktere in Bild und Text und stark stereotyp gezeichnete Frauen, die traditionell, passiv, uninteressant, emotional, abhängig, zu Hause und nur am Rande agierten, während Männer das Geld verdienten. Als Väter waren sie deutlich unterrepräsentiert und wenig effektiv und liebenswert (Anderson / Hamilton 2005). Mit der Zeit verschoben sich die Zahlen leicht zugunsten weiblicher Charaktere, die mehr und unterschiedliche Aktivitä‐ ten ausüben. In einer Studie mit Bilderbüchern von 1938 bis 2011 überwiegen in Bild und Text immer noch männliche Charaktere (Crisp / Hiller 2011), was zu Verzerrungseffekten für die den Kindern vermittelte Realität führt. The disproportionate numbers of males in central roles may encourage children to accept the invisibility of women and girls and to believe they are less important then men and boys, thereby reinforcing the gender system (McCabe et al. 2011: 199). Auch Anfang unseres Jahrtausends sind die Verhältnisse gleichbleibend eingeschränkt für Frauen insofern, als Männer häufiger auftreten, eher außer Haus und berufstätig sind, während Frauen zu Hause agieren und sich um die Kinder kümmern. Jungen- und Männerrollen sind immer noch attraktiver gestaltet als die der Mädchen und Frauen (Hamilton et al. 2006), wobei gelegentlich auch einige „nonsexist“-Bücher weibliche Charaktere mit eher typisch männlichen Eigenschaften schildern (Diekman / Murnen 2004). Für deutschsprachige Bilderbücher sind die Ergebnisse vergleichbar. Schmerl et al. (1988) beispielsweise fanden in 50 Bilderbüchern 102 ver‐ schiedene Berufe für Männer, zumeist aus den Bereichen Handwerk und Verkehr, und 13 nur für Frauen (Kindergärtnerin, Arzthelferin, Hebamme, Putzfrau, Sekretärin). Mädchen waren klein, zierlich und anmutig, Frauen schön, reizend, jung oder alt. Männer waren stark bzw. alt, und bei den 11.5 Bilderbücher 197 <?page no="198"?> 37 Vgl. Wolfgang Metzger / Katja Rieder 2004. Die Feuerwehr. Sachbuchreihe Wieso Weshalb Warum. Ravensburg; Nieländer, Peter 2013. Ampel, Straße und Verkehr. Sachbuchreihe Wieso Weshalb Warum. Ravensburg. Jungen gab es keine Beschreibungen von Äußerlichkeiten. Frauen führten bei den negativen Eigenschaften, obwohl sie stark unterrepräsentiert waren, sie wurden als dumm, zerstreut, nervös, empfindlich, überbesorgt oder schüchtern beschrieben, die Mädchen verträumt oder streng, die Jungen frech oder ungeduldig, die Männer grimmig und brummig (Schmerl et al. 1988: 145). Zwar ergab die Analyse ein besseres Zahlenverhältnis zwischen weiblichen und männlichen Personen. Die Inhalte bleiben jedoch stereotyp. Autorinnen wie Autoren glichen sich tendenziell, allerdings diskriminierten Autorinnen weniger stark (Schmerl et al. 1988). Und auch Jürgens / Jäger (2010) konstatieren immer noch bevorzugt männliche Charaktere und weib‐ liche Stereotype. Eine exemplarische Analyse zweier Bilderbücher zu den Themen Straßen‐ verkehr und Feuerwehr aus einer Sachbuchreihe 37 für Zweibis Vierjährige (Elsen 2018b) ergab für die Straßenverkehrssituation mehr Frauen als Männer, aber deutlich mehr Jungen als Mädchen und einige Stereotype. Frauen putzen und kümmern sich um die Kinder. Männer haben klassische Männerberufe, agieren aber auch als Väter, Frauen sind auch Polizistin und Motorradfahrerin. Im Text gibt es bis auf einmal Polizistin generisches Maskulinum (Radfahrer, Autofahrer, Fußgänger, Verkehrsteilnehmer, jeder). Die Zahlenverhältnisse sind im Vergleich zu älteren Büchern realistischer geworden. Gerade wegen des neutralen Themas wäre aber der Verzicht auf Asymmetrien und Stereotype zu erwarten gewesen. Im Feuerwehrbuch gibt es 13 Bilder mit weiblichen gegenüber 135 Bildern mit männlichen Personen. Es ist zwar auf Grund der Uniformen nicht immer klar das Geschlecht zu erkennen, alle Betrachter: innen dürften aber automatisch in diesem Kontext unklare Abbildungen männlich interpretie‐ ren. Alle aktiven Figuren sind männlich. Sie retten Leben, löschen Brände, bedienen Fahrzeuge, trainieren, unterrichten und erklären. Die Frauen bzw. Mädchen sind passiv dargestellt, sie sehen oder hören zu, sie übernehmen untergeordnete Rollen am Schreibtisch oder helfen den Männern tragen. Das Buch fragt, was ein Feuerwehrmann braucht, die zwei Hauptfiguren sind männlich und haben einen Namen. Neben Feuerwehrmann erscheint hauptsächlich Feuerwehrleute, ansonsten generisches Maskulinum (Hausbe‐ wohner, Besitzer, Feuerwehrfreund, Feuerwehrkenner), es gibt keine Doppel‐ 198 11 Medien <?page no="199"?> nennung. Weibliche Charaktere treten nur in Nebenrollen auf. Im Text wird lediglich eine weibliche Person explizit erwähnt, ohne einen Namen zu erhalten, Tims Mama. Sie ist nicht abgebildet und hat auch nur die Aufgabe, den Feuerwehrleuten zu erzählen, wie es zu einem Feuer kam. Dieses Buch ist somit in jeder Beziehung stereotyp. Es blendet die Mädchen aus typi‐ schen Männerberufen aus und propagiert die traditionelle Rollenverteilung. Auch wenn es sich um ein typisches Jungenthema handelt, hätten etwas mehr agierende Frauen, durchaus auch in verantwortlichen Aufgaben, der Darstellung nicht geschadet. In Elsen (2022) wurden fünf Sachbücher zum Thema Berufe für Zweibis Vierjährige und Vierbis Siebenjährige aus den Jahren 2004 bis 2019 untersucht. Männer waren sechsmal präsenter als Frauen. In der allgemeinen Einführung waren die Berufsbezeichnungen zu 78 % männlich (Arzt, Goldschmied, Architekt, Chemiker), zu 17 % weiblich (Lehrerin, Reporterin, Hebamme) und zu 5 % neutral (Menschen, Leute). Sie spiegeln die traditionelle Berufswahl wider. Kinder bevorzugen gleichgeschlechtliche Protagonist: innen. Wenn die Hauptcharaktere der Kinderbücher das gleiche Geschlecht haben wie die Leser: innen, führt das außerdem zu höherem Selbstbewusstsein, weil die Kinder Vorbilder zur Nachahmung und Identifikation bekommen: „Wenn die das kann, warum nicht auch ich? “ Dies ist ein wichtiger Grund, mehr Heldinnen zu produzieren. Aber Handlungen und Geschichten mit weiblichen Hauptfiguren sind be‐ reits für Kinder weniger attraktiv, dies ist bei Jungen deutlicher als bei Mädchen. Zwar sind Mädchen weiblichen Akteuren gegenüber positiv eingestellt, männliche Handlungen und Rollen werden dennoch besser bewertet (Lynch 2016). „Am ehesten können Bilderbücher zu einem Wandel der Geschlechtersozialisation beitragen, indem sie konservative Vorstellun‐ gen von ‚Geschlecht‘ nicht ein weiteres Mal reproduzieren“ (Keuneke 2000: 429). 11.5 Bilderbücher 199 <?page no="200"?> Zusammenfassung Konsument: innen werden immer jünger. Präsenz und Einfluss der Massen‐ medien nehmen zu. Ihnen kommt eine nicht zu unterschätzende Rolle im Sozialisierungsprozess zu. Denn geschlechtsstereotype Verhaltensweisen und Einstellungen steigen mit erhöhtem Medienkonsum und den dort gezeigten geschlechtsstereotypen Vorgaben. Das wirkt sich u. a. auf be‐ ruflichen Werdegang, Spielverhalten oder die Arbeitsleistung des Gehirns aus. Medien verzerren die Realität, filtern Informationen und vermitteln permanent ein unrealistisches und im Wesentlichen unerreichbares Bild des weiblichen Körpers. Sie festigen streng getrennte Rollenbilder und die damit verbundene Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Gewalt gegen Frauen wird verharmlost. Das animiert Männer indirekt zu Gewalt und Frauen dazu, ein gewisses Maß an Gewalt als normal zu empfinden und zu akzeptieren. Das Selbstbewusstsein ändert sich. Erst sehr spät, im Oktober 2017, erfuhr das Thema durch die me too-Bewegung öffentliche Aufmerksamkeit. Sprache schafft Asymmetrien und Stereotype durch Weglassen und geeignete Wortwahl und Kollokationen. Sie unterstützt die Bilder teilweise sehr subtil und baut Assoziationsketten auf. Forschungsaufgaben Einige Studien eignen sich als Vorlage für eigene Arbeiten, etwa als aktueller bzw. auf den deutschen Sprachraum bezogener Vergleich, z. B. Bühlmann (2002) oder Gaucher et al. (2011). Testmaterial und Fragen finden Sie bei Bem / Bem (1973), Kimball (1986), Turner-Bowker (1996), Cheryan et al. (2013). Auch kleinere Arbeiten können Kollokationen und die Rolle des Kontextes (vgl. Kap. 11.4.1) in verschiedenen Medientypen untersuchen. 200 11 Medien <?page no="201"?> Literatur Signorielli (2012) fasst die Erhebungen zu den negativen Auswirkungen des Fernsehens auf das Rollenverständnis von Kindern zusammen. Fisch (2002) stellt die Studien vor, die sich mit Lerneffekten von Bildungsprogrammen beschäftigen. Zu den positiven Auswirkungen auf das Sozialverhalten vgl. Mares / Woodard (2005), zum veränderten Männerbild in der Werbung vgl. Dreßler (2011). Weitere Literatur vor allem zu Untersuchungen von Bilder‐ büchern vgl. Elsen (2018b), zu Radio und neuen Medien vgl. Kotthoff et al. (2018). Eine neuere Analyse der Bilder in Bilderbüchern stammt von Burg‐ hardt / Klenk (2016). Die unterschiedlichsten Zusammenhänge zwischen Verhaltensweisen und Nutzung neuer Medien werden in der Zeitschrift Computers in Human Behavior thematisiert. Unterrichtsmaterialien zum Umgang mit Stereotypen in den Medien sind zu finden unter: ■ https: / / www.bildungsserver.de/ stereotype-und-vorurteile-12863-de.html ■ https: / / www.medien-weiter-bildung.de/ gendersensible-medienarbeit/ Listen mit gendersensiblen Bilderbüchern finden Sie beispielsweise unter: ■ http: / / www.gender-kinderbuch.de/ buch.htm ■ https: / / pinkstinks.de/ genre/ geschlechtskritische-und-geschlechtsneutr ale-geschichten/ ■ https: / / blog.kinderinfowien.at/ kinderbuecher-zum-thema-gender-undtoleranz/ Zu aktuellen Zahlen zum Thema Mediennutzung durch Kinder vgl.: ■ https: / / www.dkhw.de/ schwerpunkte/ medienkompetenz/ informationen -zur-mediennutzung/ wie-kinder-medien-nutzen/ ■ https: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ files/ Studien/ KIM/ 2020/ KIM-Studie202 0_WEB_final.pdf ■ https: / / www.jugendundmedien.ch/ digitale-medien/ fakten-zahlen. Zu den Risiken ■ https: / / www.europarl.europa.eu/ RegData/ etudes/ STUD/ 2023/ 733109/ I POL_STU(2023)733109(SUM01)_DE.pdf (alle eingesehen am 27.07.2023). Literatur 201 <?page no="203"?> 38 Zu den Begrifflichkeiten Schulbuch, Lehrbuch, Lehrwerk etc. vgl. Ott (2017a: 32 ff.). 12 Schulbücher Fragen eines lesenden Arbeiters Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon-- Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern des goldstrahlenden Lima wohnen die Bauleute? Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer? Das große Rom ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang die Ersaufenden nach ihren Sklaven. Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? -[…] (Bert Brecht 1939 in Schneider et al. 2011: 77 f.) In diesem kritischen Text wird vor allem die Rolle der Sklaven (m.) ange‐ prangert. Hier ist noch ein Schritt weiter zu gehen. Denn Frauen fehlen komplett. Sie waren in der Geschichte der Menschheit nicht präsent, ihre Beiträge zum Leben unwichtig. Sehen sich Mädchen und Jungen überwie‐ gend oder ausschließlich mit solchen Texten konfrontiert, übernehmen sie diese Botschaft unbewusst und verinnerlichen sie. Schulbücher 38 reflektieren den sozio-kulturellen Status Quo und spiegeln die Realität wider, so wird immer wieder behauptet. Sie hängen mit von bil‐ dungspolitischen Entscheidungen ab, die die Umsetzung der Grundgesetze und gesellschaftlichen Werte gewahrt wissen wollen. <?page no="204"?> Schulbücher formen und stärken aber auch diese Werte und Normen und tragen ihren Teil zur Gestaltung des Welt- und Wertewissens der Schüler: innen bei. Sie informieren, geben Rollenverhalten vor und bieten Identifizierungsmöglichkeiten-- oder auch nicht. Insofern müssen sie einem breiten Spektrum an gesellschaftlichen und pädagogisch-didaktischen Anforderungen genügen. Ein Problem dabei ist der Konflikt zwischen den Aufgaben, die Realität oder aber ein Ideal zu zeigen. Dies führt zu Kontroversen und Verzögerungen bei der Umsetzung von Gleichbehandlung. Die Schulbuchzulassung ist in Deutschland gesetzlich geregelt und un‐ terscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Die Verfahren und Kriterien der Zulassung richten sich nach ministeriellen Verordnungen und Erlassen. Verantwortliche für die Zulassung sind teilweise die Ministerien, teilweise aber auch andere Dienststellen (Stöber 2010). 12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke Seit den 1970er Jahren stehen Diskriminierung und Stereotypisierung im Unterricht zunehmend in der Kritik, denn auch die Schulbücher zeigen und stärken Stereotype. Neben den grammatischen Aspekten mit explizi‐ tem Benennen oder dem Verzicht darauf und dem mehr oder weniger Sichtbarmachen der Geschlechter sorgen sie in Texten, in dem beschrie‐ benen sozialen Miteinander für Disbalancen. Der Einfluss der Sprache auf die geschlechtsspezifischen Rollen beruht nicht allein auf sprachlicher Ungleichbehandlung, sondern auch auf dem Einüben und Pflegen von Klischees. Verschiedene Untersuchungen ergeben, dass Männer in allen Bereichen und auf allen Textebenen dominieren, die Darstellungen sind einseitig, diskriminierend und zeigen ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit (vgl. u. a. Kernegger / Ortner 1987, Fichera 1990, 1994, Raths 1994, Gröbner 1999, Pointner 2008, Elsen 2018a). In den Schulbüchern werden Frauen marginalisiert, ihre wissenschaftlichen Erfolge bleiben unerwähnt (Wood 1994). Diversität existiert mittlerweile, jedoch meist in Exkursen und oft genug oberflächlich und diskriminierend (Heyn 2018). 204 12 Schulbücher <?page no="205"?> Die Rollen von weiblichen und männlichen Figuren waren lange tradi‐ tionell gezeichnet. So sah sich Barz (1982) Lesebücher aus dem Jahr 1975 von Karlsruher Grundschulen an, in denen es sehr viel mehr männliche als weibliche Charaktere gab, ungleich mehr und prestigeträchtigere Berufe für Männer, was wiederum der damaligen Realität entsprach, und auch wesentlich mehr Tätigkeiten für Jungen beschrieben wurden, die zudem die traditionellen Klischees bedienen -Mädchen spielen mit Puppen, Jungen spielen mit Autos. Manches gilt für beide, wie z. B. Karussell fahren, Ball spielen oder schaukeln. Darüber hinaus zitiert Barz das Gedicht Hausmüt‐ terchen, das folgendermaßen beginnt: Wenn meine Mutter verreist für heut oder morgen, dann muß meine Schwester alles besorgen. Dann hat sie nicht Zeit zum Spielen und Lesen, muß emsig und flink sein mit Staubtuch und Besen-[…] (ibd.: 107). So werden den Mädchen die Aufgaben, die sie im Leben übernehmen sollen, vorgegeben. Die Autorin prangert vor allem die Selbstverständlichkeit an, mit der die Bücher Jungen und Mädchen in zwei verschiedenen Welten mit traditionellen Rollenverteilungen darstellen. Deswegen fordert sie explizit, die Schulbuchanalyse als Unterrichtsgegenstand zu praktizieren (weiter Kap. 14.4.1). Kernegger / Ortner (1987) untersuchten DaF-Lehrwerke der 1970er Jahre. In Sprachkurs Deutsch dominierten Männer auf allen Textebenen. Frauen bekamen nur Vornamen oder einen Nachnamen, meist nach Fräulein, Herren bekamen Titel wie Ing. oder Dr. Beruflich agierten Frauen als Marktfrau, Putzfrau, Verkäuferin, Vermieterin, Sekretärin, aber auch Bardame, Foto‐ modell, Akrobatin oder Malerin. Sie erwiesen sich damit den Männern zahlen- und prestigemäßig weit unterlegen. Bei der Beschreibung von Eigenschaften und Tätigkeiten sowie beim Verhalten in Dialogen wurden ebenso Stereotype deutlich. In den Übungen standen Frauen „in einer Reihe mit den Dingen, über die sich die Männer unterhalten“ (Kernegger / Ortner 1987: 59). Als eines der Beispiele führen die Autorinnen eine Sprechübung an: Gutes Hotel! Ist es auch billig? -- Nein, teuer. Gutes Zimmer! Ist es auch warm? Teures Frühstück! Sind die Brötchen auch frisch? Toller Lift! Fährt der? 12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke 205 <?page no="206"?> Riesiges Kino! Gibt es auch gute Filme? Teurer Cognac! Ist er auch gut? Schöner Wagen! Ist der Motor in Ordnung? Hübsche Sekretärin! Sicher arbeitet sie ausgezeichnet? (Zielsprache Deutsch 8/ 44: 130 in Kernegger / Ortner 1987: 59). In Deutsch aktiv, Band 1 (1979) fanden sie in der Hälfte der Texte aus‐ schließlich männliche Handlungsträger, in den restlichen Texten arbeiten Frauen den Männern zu, indem sie für sie telefonieren oder für sie Texte schreiben. Wieder sind die Funktionen der Frauen stark eingeschränkt und auf den häuslichen Bereich fokussiert. In Texten, Dialogen und Bildern dominieren Männer. Wenn Frauen vorkommen, verbleiben sie inaktiv und in konservativen Rollen, Geschlechtsneutralität wird männlich aufgelöst (Kernegger / Ortner 1987: 66). Diese frühe Lehrwerkanalyse ergibt somit Diskriminierung auf vielen Ebenen, sowohl quantitativ als auch qualitativ aufgrund von Nicht- oder Unterpräsenz, Unterordnung, Stereotypisierung, Schweigen und frauenfeindlichen und -verächtlichen Darstellungen. Fichera (1990) fand ebenfalls sexistische Aussagen in den Schulbüchern. Die Bilder von Frauen und Männern polarisierten. Tätigkeiten und Eigen‐ schaften der Männer wurden höher bewertet, Frauen traten passiv auf, verfügten kaum über Geld, blieben zu Hause und zeigten darüber hinaus keine Interessen. Mutter kauft auf dem Markt 5 kg Kartoffeln, das Kilogramm zu 0,85 DM. […]. Vater bestellt für Omas Geburtstag ein Radio. Es kostet 550 DM (Fichera 1990: 259). Raths (1994) untersuchte vier DaF-Übungsbücher der 1990er Jahre und fand doppelt so viele Männer wie Frauen, keine Akademikerinnen. Männer kochten allerhöchstens beruflich, Väter mit kleinen Kindern gab es nicht. Insgesamt blieb das traditionelle Rollenmuster beibehalten. Die Führungspositionen gehören den Männern, die Frauen fügen sich als folgsame Autofahrerin, hingebungsvolle Sekretärin, strahlende Stewardess, stau‐ nende Studentin oder in pädagogischer Fürsorge für die Allerkleinsten (ibd.: 225). Auch der Überblick zu Lesebüchern für den Deutschunterricht von Fichera aus dem Jahr 1994 führte zu ähnlichen Schlussfolgerungen und ergab außerdem, dass Kritik hauptsächlich von Frauen kommt, die Lehrwerke im Wesentlichen jedoch von Männern geschrieben, herausgegeben und 206 12 Schulbücher <?page no="207"?> zugelassen werden. Immerhin fand sie etwas mehr berufstätige und aktivere Frauen. Die Stereotypisierung der Männer war unverändert, sie blieben Maßstab. Gröbner (1999) betrachtete in Themen neu, 1992 bis 1994, das Verhältnis der Darstellung der Geschlechter in qualitativer und quantitativer Hinsicht, also Rollenverhalten, Präsenz, Charakterisierung, Berufe, Umfeld sowie Kommunikationsverhalten. Neben der Sprache berücksichtigte die Autorin auch die Abbildungen. Das Ergebnis fiel wieder stereotyp aus. Männer unterhielten sich sachlich, Frauen tratschten. Sie verhielten sich im Wesent‐ lichen passiv und agierten im häuslichen Umfeld, wo sie zu viel Geld für Kleidung ausgaben und den Kaffee kalt servierten. Berufstätigkeit wurde höchstens erwähnt, nicht dargestellt. Die auftretenden Personen in den ers‐ ten beiden Bänden waren 208 Männer und 116 Frauen. Als Angehörige von Berufsgruppen erschienen 58 Männer und 9 Frauen. In den Überschriften traten 43 Männer und 26 Frauen auf, hier wurden 14 Frauen beim Vornamen genannt gegenüber 7 Männern, Vor- und Nachnamen erhielten 4 Frauen gegenüber 11 Männern (ibd.: 210). Die Abbildungen zeigten 493 männliche und 295 weibliche Personen. Bei der Adjektivverwendung ergab es sich, dass Männer mit 73 und Frauen mit 50 verschiedenen Adjektiven beschrie‐ ben wurden. Bei den Frauen dienten sie der Darstellung von Körper und Charakter, bei den Männern waren sie inhaltlich wesentlich breiter gestreut. Hierzu führte die Autorin u. a. die positiven Adjektive für die Männer auf (elegant, attraktiv, schlank, gut angezogen, schön, sauber, sportlich, stark), die lediglich drei Adjektiven für die Frauen gegenüberstanden (hübsch, schlank, schön) (Gröbner 1999: 212 f.). Bei den Berufen war es ähnlich. Als weiteren Aspekt analysierte sie das Interaktionsverhalten. Zwar bekamen beide Geschlechter gleich viele Gesprächsbeiträge zugebilligt, aber 14 Männer übernahmen die Interviewleitung im Vergleich zu 3 Frauen. Männer führten Gespräche zu seriösen Themen, Frauen zu solchen wie „Leihgroßmüttern“, Männer erfragten Informationen, bei Frauen waren die Fragen emotional bestimmt. Das Kommunikationsverhalten erwies sich somit ebenfalls als nicht ausgewogen (Gröbner 1999: 219). Auch Pointners (2008) Analyse von Lehrmaterialien für die österreichi‐ sche Grundschule bestätigte wieder die Dominanz traditioneller Rollen und Lebensentwürfe und vor allem Realitätsferne, die den Kindern die Möglichkeiten der Identifizierung und Wahlfreiheit nehmen. Norm statt Vielfalt schien hier die Botschaft zu sein. Schon bei der Zuordnung von Nähzeug, Bügeleisen, Bagger und Säge zu dem besser passenden Geschlecht 12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke 207 <?page no="208"?> wurden die Kinder mit der genderbestimmten dualistischen Zuordnung von Lebensbereichen konfrontiert. Die Autorin beurteilte die Lehrwerke als zu traditionell und zu einseitig, so dass die eigentliche Leistung bei der kritischen Herangehensweise bei der Lehrperson liegt, die die Klischees im Buch hinterfragen und diskutieren muss. Freudenberg-Findeisens (2004) Analyse von DaF-Lehrwerken der 1990er Jahre ergab eine verbesserte Zeichnung der Berufe. Für beide Geschlechter boten sie eine große Auswahl an Aufgaben, wobei allerdings das Angebot für Männer ausgefeilter und prestigeträchtiger ausfiel, für Frauen weniger akademisch und eher verbunden mit niedrigem Verdienst. Die Auswahl der Porträts zeigte dies deutlich, es gab sie zu Hausfrauen, einer Kranken‐ schwester, Verkäuferin, Fremdsprachensekretärin und einer arbeitslosen (! ) Akademikerin (Freudenberg-Findeisen 2004: 257). In beiden Lehrwerken fanden sich gendergerechte Berufsbezeichnungen. Auch die Freizeitaktivi‐ täten waren wieder für beide Geschlechter vielfältig, jedoch für Männer ausgefallener. Die Charaktereigenschaften entsprachen wieder den bekann‐ ten Stereotypen: Männer erschienen aktiv gezeichnet und entschieden, Frauen beschäftigten sich mit trivialen Fragen des Alltags (Freudenberg- Findeisen 2004: 258). Auch sozial-privates Rollenverhalten bediente die üb‐ lichen Klischees. Im Gegensatz zu Themen neu aber stieß Stufen international kritische Reflexion zu Frauen- und Männerbildern an. Insgesamt mahnte die Autorin Defizite der gendergerechten Darstellung an, da sie die Realität nicht widerspiegelte, zu stark idealistisch-traditionell blieb und gängige Stereotype pflegte. Beide Lehrwerke waren zu wenig problemorientiert und wurden dem Umdenken, wie es im Alltag bereits eingesetzt hatte, nicht gerecht. Evans / Davies (2000) konzentrierten sich primär auf die Darstellung von Jungen und Männern in ihrer Studie von 132 Charakteren in Lesebüchern der 1990er (USA). Sie mussten feststellen, dass die zahlenmäßige Verteilung in etwa ausgewogen war, die männlichen Akteure aber überwiegend argu‐ mentativ und wettbewerbsbetont, vor allem jedoch aggressiv gezeichnet waren. Sie bestimmten, was getan wurde, waren laut, verfolgten andere oder drohten mit der Faust. Dieses stereotype, „normale“ Verhalten wurde meist auch noch entschuldigt - „boys will be boys“ (Evans / Davies 2000: 266). Jungen, die dem nicht entsprechen, laufen Gefahr, als Schwächlinge (sissies) verhöhnt zu werden. Lewandowski (2014) konstatierte für seine 1800 Beispielsätze aus Eng‐ lischlehrbüchern einen deutlichen Rückgang stereotyper Beschreibungen 208 12 Schulbücher <?page no="209"?> von Männern und Frauen. Davon profitieren beide Seiten. Während in den Englischlehrbüchern der Jahre 1971, 1983 und 1986 Gewalt ausschließlich von Männern ausging und sie unter Zigaretten- und Alkoholsucht litten, vgl. „He told me he was planning the perfect murder“ (TB1 in Lewandowski 2014: 93), sind zwanzig Jahre später solche Beispiele weniger geworden und auch Frauen werden - manchmal - straffällig, vgl. „The escaped prisoner couldn’t find anywhere to hide so she gave herself up“ (TB5 in Lewandowski 2014: 93). Insgesamt verzeichnet er deutliche Verbesserungen, aber keine Gleichbehandlung. Elsen (2018a) fand in Lehrbüchern für Deutsch als Fremdsprache (Motive, Pluspunkt Deutsch) aus dem Jahr 2016 weitere Fortschritte, was die Menge an Frauen und Männern anbetrifft und auch die Menge der unterschiedlichen Berufe, die aber für Frauen weniger und auch einseitiger ausfallen. Männer führen sogar auch traditionell weibliche Arbeiten aus wie Verkaufen, Alten‐ pflege oder Aufräumen. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch Stereotype, in Motive mehr als in Pluspunkte, vgl. eine Übung zum Ausfüllen: Vera Pichler -- Jetzt ist sie Hausfrau und muss die Hausarbeit machen. Lukas Müller -- Aber er ist Schüler und muss noch ein Jahr in die Schule gehen. Franz König -- Jetzt hat er ein Haus mit Garten. Jan Schmidt -- Aber im Büro gibt es zu viel Arbeit. Natscha Seiler -- Aber sie ist Topmodel und muss schön aussehen (Krenn / Puchta 2016: 32). Chefs und Titelträger sind durchgängig männlich. Prestigeträchtige Berufe werden bis auf Ausnahmen den Männern zugeschrieben. Gendergerechte Sprache kommt in allen Bänden sporadisch vor. Eine klare Verbesserung gibt es bei den Interaktionen. Das Gesprächsverhalten ist oft neutral gehalten, denn die Beiträge sind nicht immer bestimmten Personen zugeordnet. Aktuelle Lehrwerke versuchen zwar, Frauen und Männer ausgewogen zu benennen. Femininableitungen bzw. Beidnennungen kommen in den meisten Vokabellisten vor, jedoch unsystematisch und nicht durchgängig. Männerberufe dominieren vor allem in den besser bezahlten Kategorien. Rang, Verdienst, Rollenverteilung und Interessen (Fußball vs. Shoppen) orientieren sich noch immer stark an Klischees (Elsen 2018a). Lehrbücher beeinflussen die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schü‐ ler und bestimmen Lebensentwürfe mit. Berufsbilder in den Schulbü‐ chern für den Sprachunterricht bieten mittlerweile ein breiteres Ange‐ 12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke 209 <?page no="210"?> bot für Frauen. Mehr Frauen erscheinen in Texten und auf Bildern. Aber die Darstellungen sind immer noch oft realitätsfern, nicht gendergerecht und pflegen konservative Rollen und Verhaltensmuster. Es gibt nach wie vor mehr männliche Protagonisten, mehr für Jungen zugeschnittene Themen und Stereotype im Alltag und Beruf. Frauen und Mädchen erleben sich als zweitrangig. Das begrenzt die Möglichkeiten der Iden‐ tifizierung und Wahlfreiheit. Insgesamt zeigen die Lehrwerke für den Sprachunterricht Verbesserungen auf, die in anderen Fächern hinken jedoch hinterher. 12.2 Weitere Fächer: Naturwissenschaften Physikbücher etwa stellten im Vergleich zu Deutschbüchern in einer Untersuchung von acht Deutsch- und vier Physiklehrwerkreihen die Ge‐ schlechter wesentlich stereotyper dar und verblieben traditionell. Das dürfte das Interesse der Schülerinnen kaum fördern ( Jenderek 2015). In Informa‐ tik-Schulbüchern ist die Darstellung von Frauen und Männern ebenfalls sehr unausgewogen, was auch hier für ungenügende Rollenmodelle für Frauen sorgt (Helling / Ertl 2011). Moser et al. (2013) und Moser / Hannover (2014) stellen Analysekriterien zur Überprüfung von Geschlechtergerechtigkeit in Schulbüchern vor, dazu zählen neben sprachlichen Aspekten die räumliche Darstellung und die Menge der Bilder, die Häufigkeit der Nennung im Text, die Art der Handlungen und Rollen, Berufe und Berufswünsche, Konstella‐ tionen in Text und Bild, Orte der Handlungen (zu Hause oder nicht). Sie fanden bei ihrem Vergleich von 18 Mathematik- und Deutschschulbüchern der 1., 3. und 5. Klasse in Deutschland in manchen Bereichen Verbesserun‐ gen, etwa bei der Menge an dargestellten Jungen und Mädchen und der Breite ihrer Aktivitäten. Männer wurden insgesamt häufiger abgebildet und wurden auch öfter im Zusammenhang mit ihrem Beruf dargestellt. Die Sprache war in Deutschbüchern eher geschlechtergerechter, jedoch nicht durchgängig. In Mathematikbüchern kamen weniger Frauen als Männer vor und traten dann meist in der (Groß-)Mutterrolle auf. 210 12 Schulbücher <?page no="211"?> Die Überrepräsentation männlicher Charaktere und die häufigeren ge‐ nerischen Maskulina in Mathematikbüchern könnten den Eindruck erhärten, es handle sich um eine Männerdomäne im Gegensatz zum Fach Deutsch, so dass dieses Stereotyp implizit bedient wird. Mathematikbücher stützen Genderwissen indirekt über u. a. Textaufgaben. Es geht etwa sehr oft um Kaufen, wobei Frauen Lebensmittel, aber auch Küchenutensilien im privaten Rahmen erwerben, Männer jedoch Häuser und Wertpapiere oder aber Einkäufe in beruflich-gewerblichen Situationen tätigen. Ott (2017a) analysierte 88 Deutsch- und Rechenschulbücher der siebten Klassen aus Deutschland mit Schwerpunkt Bayern und NRW zum einen diachron auf dreizehn Jahrzehnte bezogen, zum anderen auch in Hinblick auf unterschiedliche Entstehungsfaktoren wie institutionelle Vor‐ gaben und die Rolle der Autor: innen und Herausgeber: innen. Sie betrachtete Morphologie, Wortgebrauch, Propositionen und intra- und intertextuelle Aspekte inklusive Häufigkeits- und Konkordanzstatistiken. Anhand von Interviews untersuchte sie dann die Interaktion zwischen Behörden, Gut‐ achter: innen und Verlagen, um festzustellen, dass die Beteiligten die Ge‐ schlechter durchaus gleichberechtigt darstellen wollen. Die Praxis stellt sich allerdings anders dar. Je nach Region und Fach fielen die Ergebnisse unterschiedlich aus: Bayern und Mathematik erwiesen sich als deutlich konservativer als etwa NRW bzw. Deutsch. Insgesamt verzeichnete Ott (2017a: 324) behutsame, aber nachhal‐ tige Verbesserungen, die in den nördlicheren Bundesländern konsequenter umgesetzt waren. Mädchen wurden häufiger, aktiver und selbstbewusster dargestellt. Jedoch wurden männliche Figuren immer noch facettenreicher beschrieben, wenn auch seit den 1980ern hier die Akteurinnen aufholen konnten. In der Familiensituation waren nach wie vor Frauen und Mädchen häufiger aktiv, dies wie auch die große Rolle des Aussehens stand der typisch männlichen sportlichen Beschäftigung gegenüber, während sich für beide das Thema Emotionen die Waage hielt. Aber einige Berufssparten wie der Rechts-, Bau- und Finanzsektor blieben den Männern vorbehalten. Bei den Berühmtheiten gab es wenige Frauen. Geschlechtersensible Sprache wurde ebenfalls verwendet, aber nur gelegentlich und nicht konsequent. Das generische Maskulinum erwies sich als nach wie vor sehr verbreitet. Männliche Bezeichnungen wurden vor weiblichen genannt. Nur anhand von 12.2 Weitere Fächer: Naturwissenschaften 211 <?page no="212"?> weiblichen Charakteren problematisierten die Bücher eine Doppelbelastung durch Familie und Beruf, auch wenn einzelne Aufgaben zu Hause gleicher verteilt wurden. Ansonsten fiel die Darstellung nach wie vor tendenziell stereotyp aus. In den Schulbüchern bleiben somit geschlechtstypisierende Versprachlichungs‐ traditionen erhalten, die in der jüngeren Schulbuchpraxis und Zulassungspraxis noch nicht oder wenigstens nicht einfach verändert werden - zum Teil, weil dies nicht gewollt ist, wie die Diskussion in Schulbuchteams um differente Identifikationsangebote für Mädchen und Jungen gezeigt hat (Ott 2017a: 549). Otts Fazit: Nach wie vor bieten die Schulbücher für Mädchen und Jungen kein vergleichbares Identifikationsangebot. Sie führt das darauf zurück, dass das Thema hinter dringenderen Anliegen wie Inklusion zurücktritt. Er‐ staunlich ist auch, dass behördliche Vorgaben nur eingeschränkt wirken und dass Änderungen weitestgehend den Schulbuchautor: innen zu verdanken sind. Auswirkungen von queertheoretisch orientierten Debatten vermisst Ott (2017a: 491) komplett. Erschreckend sind neuere Erhebungen. Das MINT Nachwuchsbarometer 2023 stellt fest, dass die Geschlechtsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen bei den mathematischen Leistungen in den letzten zehn Jahren zugenommen haben, was zu einem großen Teil an den Stereotypen liegt (CEWS 2023: 56-ff.). 12.3 Analyseaspekte Einige frühe Untersuchungen gingen vor allem auf Geschlechtsstereotype ein, wie sie sich in dargestellten Handlungen ausdrückten, und blieben zunächst eher interpretatorisch. Dann kamen Zählungen der Personen hinzu, da auffällig wenige weibliche Charaktere agierten, diese wiederum in traditionellen Rollen. Mit der Zeit entwickelten sich feinere qualitative und quantitative Analyseraster. 12.3.1 Stereotype Stereotype werden in Sprache und Bild, qualitativ und quantitativ vermittelt. Rein zahlenmäßig herrscht ein Ungleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Agierenden in Bild und Text und auch bei der wiederholten Nennung einzelner Personen, also sowohl bei Typals auch bei Tokenzahlen. 212 12 Schulbücher <?page no="213"?> Die Berufe sind für Männer zahlreicher, unterschiedlicher und prestige‐ trächtiger. Häufig kommt es zu traditionellen Hierarchien wie Arzt und Krankenschwester oder Chef und Sekretärin. Besitz ist ungleich verteilt, Frauen kaufen Lebensmittel, Männer Autos und Häuser. Die Aufgaben zu Hause kommen primär oder allein der Frau zu: Küche, Haushalt, putzen, Kinder betreuen, einkaufen. Männer verdienen das Geld, tragen Verantwortung, treffen Entscheidungen. Die Freizeitgestaltung ist für Männer und Jungen breiter, aktiver, außer Haus (Fußball spielen, ins Stadion gehen - für Frauen: lesen, handarbeiten). Männer fahren Auto, Frauen sitzen auf dem Beifahrersitz. Mädchen und Frauen werden passiver, ängstlicher, emotionaler, braver dargestellt und eher zu Hause. Für die Beschreibung von Männern gibt es mehr Adjektive, die eher positiv sind und wiederum prototypisch Stärke, Aktivität und Erfolg betonen. Akademi‐ sche Titel werden eher den Männernamen vorangestellt. Frauen erhalten tendenziell nur Vornamen. 12.3.2 Beispielsätze In Beispielsätzen werden Ideologien und Stereotypisierungen des Ge‐ schlechts geschaffen und gestärkt, vgl. aus einer Studie mit englischsprachi‐ gen Syntaxbüchern der 1960er und 90er Jahre: „Harry watches the fights and his wife the soap opera“ (Macaulay / Brice 1997: 807), „Margie wears clothes which are attractive to men. Sally is pretty enough to show Bob a picture of her“ (ibd.: 814), oder sie zeigen einseitig Gewalt, vgl. „The man is hitting the woman with a stick. The man hits the woman, causing her to fall“ (ibd.: 812), „John forced Mary to be kissed by Bill“ (ibd.: 814). Gleichzeitig machen Frequenzanalysen weitere Asymmetrien sichtbar. Von allen Subjekten waren in der erwähnten Studie 49 % männlich, 8 % weiblich, bei den indirekten Objekten waren 43 % weiblich, 27 % männlich. Wenn männliche Parts erschienen, dann in 84 % aller Fälle als Subjekt. Während der 25 Jahre des Untersuchungszeitraums blieben Asymmetrien und Stereotype nahezu unverändert. Nur neuere Bücher, die von Frauen verfasst wurden, bildeten eine Ausnahme (ibd.: 805). Frauen spielten in der Welt der Beispiel‐ sätze kaum eine Rolle, höchstens als Objekt (ibd.: 815 f.). Dies hat sich laut der Studie von Lewandowski (2014) in den letzten 20 Jahren jedoch bereits geändert. Er fand in den Englischlehrbüchern aus den Jahren 2001, 2003 und 2008 ein beinahe ausgeglichenes Verhältnis bei den Subjekten. 12.3 Analyseaspekte 213 <?page no="214"?> 12.3.3 Dialoge Dialoge in Schulbüchern vermitteln sehr subtil „Gebrauchsanweisungen“ für das tägliche Leben, wenn sie die Diskursrollen ungleich darstellen. Gröb‐ ner (1999) stellt für Hörtexte fest, dass Männer Informationen austauschen, etwa über Leistung und Preis von Autos, während Frauen eher emotional beteiligt sind und über Familie reden. Sie steuern Gefühle bei, Männer Fakten und Direktive. Frauen fragen mehr und reagieren öfter emphatisch. 12.3.4 Textebene Ott (2017a, b) stellt die sprachlichen Mittel zusammen, die für eine Ana‐ lyse relevant werden können. Sie beziehen sich auf verschiedene Größen wie Beispielsätze, Textaufgaben, Aufgabenstellungen, Dialoge, konstruierte oder literarische Texte. Im Einzelnen zählen dazu verschiedene Typen von Lexemen mit Referenz auf Personen bzw. Geschlecht (Mann, Mensch, Tante, Maria, er, sein, Mannschaft, Teilnehmer, Bauer). Sie werden teilweise erst im Kotext genauer spezifiziert, der damit in die Analyse einbezogen werden muss. Bei Paarformen sind die Reihenfolgen relevant (Bruder und Schwester). Syntaktisch bedeutsam ist die Auffüllung von Subjekt- und Objektpositionen oder auch die Kombination mit aktiven oder passiven Verben. Semantische Gesichtspunkte versteht Ott weit, dies umfasst neben den Beschreibungsadjektiven (vgl. kinderlieb, kinderlos, lieb, leidend für Frauen, anständig, verwundet, erstklassig, stark, schnell, berühmt, bedeutend für Männer, Ott 2017a: 288 f.) u. a. semantisch-lexikalische Felder und Frames der Beschreibungen von Personen. So ist das Feld um familiäre Rollen nach wie vor weiblich dominiert (Ott 2017b: 178). Anhand solcher Aspekte, die ganze Textpassagen betreffen, lassen sich die Bilder, die von weiblichen und männlichen Figuren gezeichnet werden, im Einzelnen nachvollziehen. 12.3.5 Weitere Aspekte Ein ganz anderer Analyseaspekt betrifft visuell-räumliche Informationen. In Bildern, Graphiken und Tabellen werden Männer sehr oft zuerst genannt bzw. oberhalb von Frauen platziert (vgl. z. B. Hegarty / Büchel 2006). Wei‐ terhin ist durchaus auch das Verhältnis von Frauen und Männern bei der Herausgabe und Autorenschaft von Schulbüchern interessant. Hier stellte 214 12 Schulbücher <?page no="215"?> Hunze (2003) fest, dass der Anteil der Autorinnen und Herausgeberinnen zwar zugenommen hat, aber bis in die 1990er Jahre hinein nur bei einem Drittel lag. Schließlich fehlen in den Lehrwerken Leistungen berühmter Frauen (vgl. Wood 1994, Preinsperger / Weisskircher 1997). Zusammenfassung Schulbücher stellen auf mehreren Ebenen weibliche und männliche Cha‐ raktere und Rollen unausgewogen dar. Ungleichgewicht herrscht bei der zahlenmäßigen Verteilung der Nennung bzw. Abbildung der Erwachsenen und Kinder, bei den Berufen hinsichtlich Prestige, Einkommen, Ausbildung, Anspruch, sowohl was die Vielfalt als auch die Menge anbetrifft. Die Vertei‐ lung der akademischen Titel, Vor- und Nachnamen, bezogen auf Vielfalt und Vorkommen, ist asymmetrisch. Die Rollen außerhalb der Berufswelt sind hinsichtlich Aktivität und Passivität und dem Agieren innerhalb und außer‐ halb des Wohnraums stereotyp, wieder bezogen auf Vielfalt und Anzahl. Ungleichgewicht herrscht weiterhin bei den zugeschriebenen Emotionen und Eigenschaften u. a. durch Adjektive. Sie beschreiben einerseits negativ oder positiv, andererseits sind sie facettenreich oder primär auf Aussehen bezogen, alles wieder bezüglich Vielfalt und Anzahl. Genderungerecht ist nach wie vor die Sprache (generisches Maskulinum). Weiter relevant sind die Rollen in Beispieldialogen: Wer redet mehr, hat die wichtigeren Beiträge, reagiert unemotionaler, wer befasst sich mit welchen Themen, kurz - wer bestimmt? Schließlich sind auch noch Bilder und die räumliche Anordnung zu bedenken. Insgesamt ist die Darstellung klischeehaft und genderungerecht. Wenn diese geschichtlich orientierte Betrachtung auch für den heutigen Zeitpunkt zu relativieren ist, zeigt sie doch, wie vielschichtig Sprache im Schulbuch ist und wie sehr die Darstellung der Geschlechter der Realität hinterherhinkt. Die Unterschiede nehmen langsam ab, garantieren aber noch lange keine ausgeglichenen Identifikationsmöglichkeiten. Solange Lehrbücher Frauen und Männer nicht gleichwertig darstellen und den nicht-binären Personen ein Exkurswert zukommt, liegt die schwierige Aufgabe bei Lehrerinnen und Lehrern, das zu egalisieren, aufgeschlossen und kritisch zu sein, wenn sie Zusammenfassung 215 <?page no="216"?> mit Lehrwerken arbeiten, und gerechtere Materialien auszuwählen, um die Kinder und Jugendlichen für Disbalancen zu sensibilisieren und Alternati‐ ven zu diskutieren. Andernfalls transportieren sie Stereotype weiter - im Unterrichtsalltag oder wenn sie eventuell selbst einmal Schulbuchautor: in‐ nen oder Herausgeber: innen sind und damit mit verantwortlich für die nächste Schulbuchgeneration. Forschungsaufgaben Die im Text erwähnten Analyseaspekte und die unter dem Punkt Literatur aufgeführten Analysefäden und Zusammenstellungen lassen sich als Anre‐ gungen für eigene Arbeiten verstehen. Kleinere Abschlussarbeiten könnten konkret aktuelle Lehrwerke für Deutsch und die MINT-Fächer vergleichen. Ältere Arbeiten könnten eigenen aktuellen vergleichend gegenübergestellt werden. Eine Möglichkeit für neue Untersuchungen wäre außerdem, die Auswirkungen von gender(un)gerechter Sprache, wie in Kap. 6 an zahlrei‐ chen Studien gezeigt, mit Schulbuchtexten zu prüfen. Literatur Finsterwald / Ziegler (2007) stellen Fragen und Auswertungskategorien für bildliche Darstellungen vor. Einen Fragenkatalog für Unterrichtsmaterialien finden wir beispielsweise in Kreysler-Kleemann / Schuster (1999) oder Tanz‐ berger / Schneider (2007), Vorschläge für Bücher und Praxis bei Fichera (1990), Sievers (2006), Plaimauer (2008), Leiprecht / Lutz (2009), Ortner (2010). Bühlmann (2009) hat sein Kategorienschema für die Inhaltsanalyse im Anhang abgedruckt. Auch in Preinsperger / Weisskircher (1997) gibt es Analysekriterien. Ott (2017b) stellt ebenfalls einen Analysefaden zusammen. Ein Forschungsüberblick bis Ende der 1990er Jahre stammt von Hunze (2003). Zu Schulbüchern in Österreich vgl. Preinsperger / Weisskirch (1997), Markom / Weinhäupl (2007), in der Schweiz Bühlmann (2009). Neue Literatur findet sich in Ott (2017a). Sie fasst außerdem die Rechtsgrundlagen der einzelnen deutschen Bundesländer zusammen und stellt die Interaktion 216 12 Schulbücher <?page no="217"?> zwischen Behörden, Gutachter: innen und Verlagen dar. Zu weiteren Mög‐ lichkeiten der Schulbuchanalyse vgl. Höhne (2004). Zu Gleichstellung in Schulbüchern vgl. auch: ■ https: / / www.gew.de/ ausschuesse-arbeitsgruppen/ weitere-gruppen/ agschwule-lesben-trans-inter/ ratgeber-praxishilfe-und-studie/ gleichstell ungsorientierte-schulbuchanalyse ■ https: / / www.demokratiezentrum.org/ wp-content/ uploads/ 2023/ 01/ Sekun darstufe_Stundenbild_Geschlechterstereotype_Schulbuchanalyse.pdf (je 27.07.2023) Literatur 217 <?page no="219"?> 13 Unterricht The longer males attend school, the higher their self-esteem, achievement, and ambition; the longer females attend school, the lower their self esteem and aspirations (Wood 1994: 206). 13.1 Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer Das Thema Gender, Stereotype und Sprache ist mit der immer noch aktu‐ ellen Schieflage zwischen den Geschlechtern historisch, gesellschaftlich und biologisch hochkomplex. Die Schule stellt dabei nur einen, allerdings bedeutenden, Baustein dar. Strukturen und Handlungsweisen sind vielfach verwoben. Gerade in der Schule lernen Kinder viel über soziales Rollenver‐ halten und über richtiges und falsches Handeln. Lehrer: innen fungieren als Vorbild, sie vermitteln, schlichten, korrigieren, steuern und bewerten. Ein Großteil dieser Handlungen läuft im Rahmen von Gesprächen ab. Vielfach unbewusst lassen sich Lehrer: innen dabei von eigenen Wertmaßstäben und stereotypen Ansichten leiten. Aber Herwartz-Emden et al. (2012: 88) erinnern daran, dass „Genderkompetenz […] eine Schlüsselqualifikation für Lehrerinnen und Lehrer [ist]. Sie besteht aus den Komponenten Wollen, Wissen und Können (=-Reflexions- und Transferfähigkeit)“. Die Schule hat die schwierige Aufgabe, mit allen Schülerinnen und Schülern fair umzugehen und sie individuell zu fördern, auch wenn sie unterschiedliche Bedürfnisse haben und aus unterschiedlichen sozialen Bedingungen heraus nicht die gleichen Voraussetzungen mitbringen, die am besten auch noch auszugleichen wären. Tatsächlich erfahren Kinder und Jugendliche Asymmetrien in der Behandlung als Mädchen oder Junge, was Auswirkungen auf das spätere Leben hat. The gender inequities in education […] have predictable general consequences on women as a group. This doesn’t mean some individual women aren’t exceptions. Clearly, some are, either because they have not adopted social views of femininity and therefore they employ more masculine styles of learning and communicating, and / or because they are able to overcome the biases in education. The point is <?page no="220"?> that no student - woman or man - should have to work against the odds to gain education. Learning should be equally available to all (Wood 1994: 221). Jenderek (2015) glaubt, dass der Einfluss der Schule, vor allem der Lehrkräfte, auf die geschlechtsstereotype Prägung den des Elternhauses überwiegt. Geschlechterwissen vermittelt die Schule auf mehreren Ebenen. Zum ei‐ nen sind die eigentlichen Örtlichkeiten oft konservativ organisiert und ausgestattet, so erscheinen die Räume für naturwissenschaftliche Fächer eher sachlich und damit männlich gestaltet. Geschehensverläufe und die Arbeitseinteilung weisen traditionelle Muster auf, kleinere Kinder werden von Frauen erzogen, die Elternarbeit übernehmen Mütter, die Leitungspo‐ sitionen Männer. Die Unterrichtsmaterialien und die Interaktion spielen bei der Inszenierung von Geschlecht eine große Rolle, allen Forderungen nach Geschlechtsneutralität zum Trotz (Paseka 2007). Zum anderen zwängen Stereotype Kinder in Schablonen, die sie einengen, weil sie Aussehen, Interessen und Verhalten vorgeben. Schülerinnen und Schüler zeigen nach wie vor systematische Leistungsunterschiede in bestimmten Fächern, die sich nicht allein durch unterschiedliche Begabungen begründen lassen, sondern durch andere Faktoren wie Motivation, Selbstbewusstsein, Selbst‐ einschätzung und Klischees sowie entsprechende Erwartungshaltungen der Eltern, Lehrer: innen und Schüler: innen. Daher sind Änderungen an verschiedenen Stellen nötig. Liebgewonnene Gewohnheiten sind oft schwer zu durchbrechen. Voraus‐ setzung dafür ist mehr Wissen und mehr Einsicht, ein kritischer Umgang mit sich selbst und ein sich Einlassen auf Alternativen und Veränderungen. Ein Hindernis dabei bedeutet, dass Lehrkräfte ihr Verhalten und das der Kinder immer wieder falsch einschätzen. Es erweist sich wiederholt, dass sowohl bei Schüler: innen als auch bei Lehrer: innen Selbst- und Fremdwahrnehmung voneinander abweichen. Deswegen reicht Selbstreflexion allein nicht aus, sondern ist nur ein erster Schritt. Die Fragen, denen sich Lehrende hierzu stellen könnten, sind: Wie reagieren wir auf das sprachliche Verhalten der Kinder? Wie ermu‐ tigen wir sie zu fairem Umgang, auch sprachlich? Wie reagieren wir auf Übergriffe von Jungen auf Mädchen und umgekehrt? Wie sprechen wir als Erwachsene selbst? Nehmen wir Mädchen und Jungen tatsächlich gleich wahr oder lassen wir uns eher von unseren Erwartungshaltungen leiten? Wie gehen wir mit nicht-binären Kindern und Jugendlichen um? Behandeln wir alle gleich bei Kritik und Lob, in der Interaktion, bei den Noten? Gehen 220 13 Unterricht <?page no="221"?> wir auf individuelle Strategien und Interessen ein, fördern wir Mädchen und Jungen in den jeweils schwächeren Fächern? 13.2 Historischer Hintergrund Lange gab es Schulen nur für Jungen. Da Mädchen sowieso nur heiraten und Kinder bekommen würden, galt eine Ausbildung als unnötig. Die Erziehung von Mädchen übernahmen zunächst Klöster. Dank Martin Luther gab es nach und nach eine allgemeine Schulpflicht auch für Mädchen, jedoch zunächst nicht in katholischen Gebieten. Gymnasien blieben aber nach wie vor den Jungen vorbehalten. Ende des 19. Jahrhunderts kümmerten sich private Einrichtungen um die Weiterbildung von jungen Frauen. Der Unterricht für Mädchen war einfach gehalten und inhaltlich auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter ausgerichtet. Erst im Laufe der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts öffneten sich die Gymnasien auch für Mädchen, bis sich dann bis in die 1980er Jahre langsam die Koedukation immer mehr durchsetzte, in der ehemaligen DDR gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Schweiz seit den 1960er Jahren, in der BRD während der 60er und 70er und in Österreich seit den 70ern. In der ehemaligen DDR galt Gleichberechtigung schnell als erreicht, so dass Forschung nicht notwendig erschien. Erste Veröffentlichungen zur Auseinandersetzung mit Geschlecht an Schulen in Deutschland (BRD) erschienen mit Zinnecker (1972), dann vermehrt Ende der 1970er, Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts (Nyssen 2004). Ende der 80er kam das Thema auch in der Fortbildung für Schulleitungen und Lehrkräfte und in Arbeitsgemeinschaften auf (Biermann / Koch-Priewe 2004). 1985 setzte eine grundschulpädagogische Genderdebatte ein. Aber für die Zeit um die Jahrtausendwende lässt die Praxis an den Schulen (in Deutschland) die bewusste Auseinandersetzung mit Geschlechterdifferenzen immer noch vermissen (Kaiser 2006). Klenk (2023) verzeichnet eine zunehmende Präsenz nicht-binärer Lebensweisen in der Schule. Die Lage der Betroffenen ist aber immer noch prekär. 13.2 Historischer Hintergrund 221 <?page no="222"?> 13.3 Verhalten im Gespräch Wir lernen, gestalten und tradieren geschlechtsadäquates Verhalten auf vielen Wegen. Kindergärten und Schulen tragen einen wertvollen Teil zur Sozialisation der Kinder bei, also dem Erwerb und der Umsetzung des für die soziale Umgebung passenden Verhaltens, der Normen und Erwartungen. Deswegen wurde bereits seit einigen Jahren die Situation dort untersucht. Fichtelius et al. (1980) beispielsweise fanden in schwedischen Tagesschulen mit Dreibis Siebenjährigen, dass sich schon aus kurzen Dialogausschnitten zwischen Kind und Erzieherin herauslesen lässt, ob ein Mädchen oder ein Junge spricht und ob mit einem Jungen oder einem Mädchen gesprochen wird, so dass wir geschlechtstypisches Redeverhalten offenbar schon früh erlernen und als Bezugspersonen auch einsetzen. Davies (2011) erhielt in den Aufnahmen der Dialoge 182 britischer Vier‐ zehnjähriger harmonische, konstruktive und zielgerichtete Gespräche der Mädchen, wenn sie Literatur in Gruppen diskutierten, während die Jungen ständig ihren Status zu demonstrieren schienen und andere beleidigten („Hello it’s me again / I’m in control“, „you are a gay bastard“, Davies 2011: 119). Für die Jungen bedeutete der Druck, das Macho-Stereotyp zu wahren, eine große Ablenkung vom eigentlichen Thema. The vigilant monitoring of deviation from male hetero-sexual norms exerted great social pressure und this process made the work so much more difficult to negotiate for the boys than for the girls (Davies 2011: 123). Jungen fühlen sich durch das Macho-Stereotyp genötigt, ständig zu demonstrieren, ein „richtiger“ Junge zu sein. Sie betrachten daher Kooperativität im Unterricht als weiblich und negativ und behindern durch ihr Verhalten den Lernfortschritt der gesamten Klasse. Durch die etablierten Rollenmuster entsteht Ungerechtigkeit zum Nachteil der Jungen und der Mädchen. Aukrust (2008) ließ 26 Klassen in verschiedenen norwegischen Schulen beobachten und auf Video aufnehmen. Obwohl, wie in allen skandinavi‐ schen Ländern, hier sehr großer Wert auf Gleichberechtigung gelegt wird, sprachen Jungen stets mehr als Mädchen, vor allem die älteren und vor allem 222 13 Unterricht <?page no="223"?> bei Lehrern (m.). Von den Jungengruppen beteiligten sich mehr als von den Mädchengruppen. Die Jungen riefen öfter in die Klasse und durften trotzdem sprechen. Gespräche im Klassenzimmer sind dadurch gekennzeichnet, dass die Lehrenden sie mitverfolgen und dass sie, auch wenn sie nicht unbedingt aktiv eingreifen, ein bestimmtes Benehmen stillschweigend tolerieren. Wenn Jungen also dominieren und durch aggressives Verhalten Schwächere beeinflussen, die Lehrenden dies zudem hinnehmen, verfestigt das die Verhaltensweisen. Dadurch bleiben Mädchen und diejenigen Jungen, die weniger Selbstbewusstsein besitzen und sich an den machtorientierten Aufschneidereien nicht beteiligen wollen oder können, in der Passivrolle verhaftet. Dominant auftretende Mädchen jedoch geraten in die von der Peergroup und der Lehrerseite aus unerwünschte Außenseiterrolle, ebenso wie zurückhaltende, ruhigere Jungen. 13.4 Verhalten im Unterricht Untersuchungen im englischsprachigen Raum, die sich mit der Situation in Klassenzimmern beschäftigten, zeigten regelmäßig, dass Schülerinnen we‐ niger beachtet werden und dass Schüler ausgiebiger, intensiver und aktiver am Unterricht teilnehmen. Daran haben wir uns so sehr gewöhnt, dass wir es als normal empfinden und unsere Erwartungen, auch die der Kinder, danach ausrichten. Indem wir uns den Erwartungen gemäß verhalten, konsolidieren wir das bestehende Ungleichgewicht. Da in vielen Fächern Gespräche eine wichtige Plattform für das Lernen darstellen, bleiben Mädchen dadurch von dieser Möglichkeit ein Stück weit ausgeschlossen. Über den Einfluss des Geschlechts der Lehrenden gibt es unterschiedliche Ergebnisse mit der Tendenz, dass Lehrerinnen etwas sensibler agieren. Für beide Geschlechter gilt, dass sie Jungen häufiger aufrufen, loben, tadeln (u. a. Frasch / Wagner 1982, Sadker et al. 1991, Holden 1993, Golombok / Fivush 1994, Chick et al. 2002). In diesem Zusammenhang sei auch das Konzept der „learned helplessness“ erwähnt, das als Erklärung dafür dienen könnte, warum gerade Mädchen so oft und so schnell aufgeben. Sie haben womöglich von Anfang an gelernt, dass ihre Versuche, Fragen zu beantworten und Probleme zu lösen, zu wenig führen (Sadker et al. 1991: 302 f.). Weitere Studien sehen jedoch auch die Schwierigkeit, einzelne Unterschiede allein auf das Geschlecht und nicht auch auf den sozialen Kontext und die 13.4 Verhalten im Unterricht 223 <?page no="224"?> Position der Lernenden im jeweiligen Netzwerk zurückzuführen (Ehrlich 1997: 437 ff.). Zum Teil scheint die erhöhte Aufmerksamkeit, die Lehrende den Schülern (m.) zukommen lassen, auch darauf zurückzuführen zu sein, dass sich diese mehr melden (Altermatt et al. 1998). Es könnte also sein, dass Mädchen von sich aus zurückhaltender sind und darin von den Leh‐ renden noch bestärkt werden. Das führt schlussendlich auch zu weniger Selbstwertgefühl (Faulstich-Wieland et al. 2009: 13, Plaimauer 2008: 54). Holden (1993) stellte in ihrer Untersuchung fest, dass die Mädchen in der Gruppenarbeit wesentlich mehr sprachen, so dass sie entsprechend für mehr Gruppenarbeit im Unterricht plädiert. Dagegen bekommen die Jungen nicht wenig Aufmerksamkeit bzw. Interaktion über Disziplinierungsmaßnahmen, da sie weitgehend für Störungen des Unterrichts verantwortlich sind (Kaiser 2006). Verschiedene Einzelstudien stellten die Aspekte zusammen, anhand derer sich die Vorteile der Jungen aufbauen, indem sie beispielsweise häufiger und konstruktivere und anspruchsvollere Aufgaben und Fragen bekommen und längere Dialogsequenzen haben, häufiger aufgerufen werden und vor allem auch häufiger sich das Wort nehmen ohne aufzuzeigen. Das wird auch in der Regel akzeptiert, bei Mädchen jedoch nicht. Jungen unterbrechen die Mädchen mehr und werten sie ab. Boys, in other words, are acquiring and practising skills in competitive public speaking: the skill and confidence to seize the floor, to control topics and develop discourse strategies which ensure the flow of talk returns to them. And what better a training ground than a classroom (Swann / Graddol 1988: 63). Die Autor: innen konnten bei ihren Videoaufnahmen in englischen Schulen auch das nonverbale Verhalten beobachten und analysieren. Die Sitzord‐ nung etwa führte dazu, dass die Jungen den Lehrenden zugewandt waren und ihnen besser zusehen konnten. Andererseits blickten die Lehrenden auch häufiger die Jungen an, halfen den Mädchen mehr, während sie Jungen eher beauftragten, etwas zu tun (Swann / Graddol 1988). In einer Studie für den deutschsprachigen Raum beobachteten Frasch / Wagner (1982) zunächst 15 Lehrer: innen und 217 Jungen und 233 Mädchen, in der Folge 35 Lehrende und 1082 Kinder in vierten Klassen, ohne den eigentlichen Gegenstand der Studie, das Verhalten der Erwach‐ senen, bekannt zu geben. Grundsätzlich beachteten Lehrer Schüler etwas mehr als Lehrerinnen. Obwohl Mädchen und Jungen ungefähr gleich oft aufzeigten, wurden Jungen signifikant häufiger aufgerufen, auch wenn 224 13 Unterricht <?page no="225"?> sie sich nicht meldeten. Sie wurden in allen drei untersuchten Fächern, Mathematik, Sachkunde, Deutsch, deutlich häufiger angesprochen, gelobt, getadelt und ermahnt. Die Unterschiede waren in Sachkunde am größten. In diesen beiden Studien suchten die Mädchen nicht mehr Kontakt zu den Lehrkräften. Die Beiträge der Mädchen wurden stärker vernachlässigt, Jungen mehr gefördert. Das unterschiedliche Verhalten der Lehrenden ist weder auf Korrektheit der Antworten noch auf die Anzahl der Mädchen und Jungen oder Häufigkeiten des Meldens rückführbar, sondern auf selektive Wahrnehmung (Frasch / Wagner 1982: 274). Die Rollenvorstellungen der Lehrenden und die damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen an die Kinder lösen eine Ungleichbehandlung aus, die letztendlich die Rollenklischees stärkt. Dazu kommt, dass Jungen auch inhaltlich, bei den Lernangeboten, mehr Berücksichtigung finden, so dass sie beim Rückgriff auf Erfahrungswerte und Interessen den Mädchen gegenüber im Vorteil sind. Enders-Dragässer / Fuchs (1989) vermissen im Rahmen einer großan‐ gelegten Untersuchung mehrerer Schulstufen und -arten kooperative Ver‐ haltensvorbilder für Jungen und positive und vor allem realistische Identi‐ fikationsangebote für Mädchen während der Schulzeit. Auch sie stellten fest, dass schul- und fachübergreifend Jungen deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielten. Kleine Veränderungen zugunsten der Mädchen werden aufgrund des fehlenden Problembewusstseins bereits als Bevorzugung wahrgenom‐ men (ibd.: 149 ff.). Mädchen werden nämlich vor allem in der Weise diskriminiert, daß wichtige interaktionelle und fachliche Kompetenzen und Leistungen, mit denen sie den Unterricht tragen, ihre Selbstdisziplin und ihr kooperatives Verhalten angeeignet werden, ohne Anerkennung zu erfahren. Die Jungen dagegen müssen nicht Selbstdisziplin und ihr kooperatives Verhalten erlernen und geben dennoch den Ton an. Hier zeigt sich, wie sehr in der Schule Stärken der Mädchen in Benachteiligungen verkehrt werden können. Es zeigt sich aber auch, daß eine Verbesserung der Situation der Mädchen auch den Jungen zugute käme. Wenn sie stärker gefordert würden zu lernen, sich in der Lerngruppe kooperativ zu verhalten, zuzuhören statt das Lernklima durch ihr Verhalten zu beeinträchtigen, würde ihre Lernsituation ebenfalls günstiger aussehen. Es würde auch die sich hinter derartigen Verhaltensweisen verbergenden Unsicherheiten und Ängste abbauen helfen (Enders-Dragässer / Fuchs 1989: 154). Eine Schweizer Wirkungsanalyse zum Zusammenhang von Stereotypen, Selbstvertrauen und Geschlecht legt die Vermutung nahe, dass nicht das 13.4 Verhalten im Unterricht 225 <?page no="226"?> 39 Vgl. im Folgenden auch Elsen (2018b). Geschlecht für gute oder schlechte Schulleistungen verantwortlich ist, sondern das Selbstvertrauen und auch das Interesse, die beide bei Mäd‐ chen in Mathematik gering sind, was wiederum vom Stereotypdenken der Lehrkräfte gefördert wird. Es zeigt sich nochmals, wie wichtig es ist, dass Lehrer: innen ihr eigenes Denken und Handeln kritisch hinterfragen, Stereotype abbauen und Vorurteile gegenüber Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften einerseits, Sprachen andererseits im Unterricht thematisieren und hinterfragen (Keller 1997). Pelkner (1990) beobachtete das aus der Literatur bekannte Ungleichge‐ wicht im Interaktionsverhalten an einem südhessischen Gymnasium. Sie schilderte ihre Schwierigkeiten, als Referendarin in verschiedenen Klassen Gleichberechtigung im Unterricht durchzusetzen, die Jungen zu kooperati‐ vem Verhalten und die Mädchen zu mehr Selbstbewusstsein und Durchset‐ zungsvermögen anzuregen, da die Mädchen von der vermehrten Aufmerk‐ samkeit ihnen gegenüber und anderen Unterrichtsinhalten überfordert zu sein schienen und die Jungen sich über die vermeintliche Benachteiligung beschwerten. Westphal / Schulze (2012) führten zwischen 2005 und 2007 ein außerschu‐ lisches Projekt mit 30 Jugendlichen zwischen 11 und 15 Jahren durch, bei dem es um geschlechtergerechte Pädagogik und Sensibilisierung gegenüber Genderstereotypen ging. Die Autorinnen begleiteten während zweier Jahre eine Ferienbildungsmaßnahme zum Geschlechtertraining, die in Zusam‐ menarbeit mit der Schule (Gesamtschule Nordwalde) erfolgte und die als Ziel eine Kooperation mit den schulischen Streitschlichter: innen anstrebte. Die Jugendlichen sollten gegenüber geschlechtsbezogenen Stereotypen sensibilisiert werden, um sie zu erkennen, die daraus resultierenden Be‐ nachteiligungen zu sehen und abzubauen. Die Teilnehmer: innen erhielten abschließend ein Zertifikat als Genderbeauftragte. Die Auswertung erfolgte anhand von Fragebogenerhebungen und neun Gruppendiskussionen. Am Ende waren die Jugendlichen dem anderen Geschlecht gegenüber aufge‐ schlossener, und das Selbstwertgefühl war angestiegen. Vor allem die Jungen profitierten von dieser Maßnahme. Im Rahmen von Untersuchungen 39 verschiedener Sprachkurse in der Er‐ wachsenenbildung in Wien kam Hetzl (1999a) zu dem Ergebnis, dass weibliche Lernende weniger oft aufgerufen wurden, weniger ausgiebig antworten durften, öfter unterbrochen wurden und insgesamt weniger redeten (Hetzl 226 13 Unterricht <?page no="227"?> 1999a: 226). Geschlechtergerechter Sprachgebrauch war selten (Hetzl 1999a: 227). Die Rollenzuweisungen aus den Lehrbüchern wurden übernommen, Klischees kaum diskutiert, so dass sich die aus der Genderforschung bekannte Diskrepanz im Kommunikationsverhalten und die Vermutung, Lehrwerke verstärken Stereotype, bestätigte. Als bedenklich erwies sich die Feststellung, dass die Kursleiterinnen Männer eindeutig Frauen gegenüber bevorzugten, aber zu 95 % der Meinung waren, keine Unterschiede zu machen (Hetzl 1999b: 232). Und auch den Teilnehmenden fielen keine Unterschiede auf, auch nicht in den Lehrwerken und auch nicht im Sprachgebrauch der Kursleitung, was den erfassten Tatsachen nicht entsprach (Hetzl 1999c: 237). Äußerst besorgniserregend war schließlich der Umstand, dass die Kursleiter (m.) in allen Kursen sexistische, frauenfeindliche Witze machten, dass aber die Teilnehmenden in den Fragebögen die Frage, ob es sexistische Witze gegeben habe, alle verneinten (Hetzl 1999c: 237). Es konnte in diesen Untersuchungen […] ein unmissverständlicher Beleg erstellt werden, dass Ungerechtigkeiten in der Sprache nahezu fatalistisch hingenommen werden, dass Frauendiskriminierung argumentativ verteidigte Praxis ist und dass Männer ad hoc mit starker Emotionalität eingreifen, wenn ihr sprachliches Privileg (das ‚ja nur äußeres Merkmal‘ ist) in Frage gestellt wird (Hetzl 1999b: 235). In einer Studie hatte es ein Lehrer nach einiger Zeit doch geschafft, Mädchen und Jungen gleich zu beteiligen, empfand es aber als große Benachteiligung den Jungen gegenüber, weil er glaubte, neunzig Prozent seiner Zeit den Mädchen zu widmen (Whyte 1986: 196). Stereotypdenken beeinflusst also die Art und Weise, wie Lehrende die Schülerinnen und Schüler wahrneh‐ men und welche Erwartungen sie von ihnen haben. Selbstbehauptung im Gespräch etwa empfinden Lehrkräfte bei Jungen als intelligent, bei Mädchen als unangemessen (Faulstich-Wieland et al. 2009: 216). Deswegen wird bei Jungen „passendes“ Verhalten honoriert und erwartetes Fehlverhalten geduldet (Kansteiner 2015: 236). Offenbar gilt dies auch andersherum - sexistische Aussagen der Kursleiter (m.), weil erwartet und üblich? , werden von den Teilnehmerinnen toleriert. Insgesamt weicht die Einschätzung der Teilnehmenden extrem von der beobachteten Realität ab. Ein Problembewusstsein fehlt mit dem Ergebnis, „dass ein Zusammenhang zwischen außersprachlicher und sprachlicher Rea‐ lität nicht erkannt wird, wenn es sich um Diskriminierungen von Frauen handelt“ (Hetzl 1999c: 238). Die Realität sieht noch immer so aus, dass Mädchen weniger Aufmerksamkeit erhalten und weniger Interaktion mit 13.4 Verhalten im Unterricht 227 <?page no="228"?> den Lehrkräften haben, weniger aufgerufen werden, weniger stören, mehr unterbrochen werden (Plaimauer 2008: 54 f.). Noch immer machen Lehrkräfte Gender (Budde 2006) (mit). Nur ist das offenbar niemandem bewusst. 13.5 Entdramatisierung Zwischenzeitlich galten das Neutralisieren und das Vermeiden des Gender‐ themas als Patentrezept. Denn weil wir die Kinder immer wieder darauf aufmerksam machen, dass sie entweder Mädchen oder Junge sind, denken sie daran und überbewerten das Thema mit der Zeit. „Geschlecht wird ‚dramatisiert‘, indem es zum entscheidenden Kriterium der Einschätzung und Bewertung wird“ (Faulstich-Wieland et al. 2009: 23). Hingegen heißt Entdramatisierung Ruhenlassen von Geschlechtsunterscheidungen. Das seit den 1990er Jahren vielfach gelobte Alternativmodell, genderneu‐ tral zu agieren und das Thema zu ignorieren, mag zwar theoretisch für mehr Gleichberechtigung sorgen, lässt sich aber nicht umsetzen. Budde (2006) plädiert daher auch gegen eine Geschlechterneutral ität und für die Thema‐ tisierung und für den bewussten Umgang und Abbau von Stereotypen. Für eine Balance spricht sich ebenfalls Kansteiner (2015) aus. Faulstich-Wieland et al. (2009) konnten zeigen, dass eine genderfreie Erziehung mit Entdramatisierung nicht funktionieren kann, da der Gender- Aspekt ständig bei Bedarf aktiviert wird und nur in den Hintergrund tritt, wenn andere soziale Faktoren wichtig werden (vgl. auch Kaiser 2006). Bei dem Versuch, mit Gender umzugehen, bemühten sich einige Lehrer: in‐ nen, bewusst genderneutral zu handeln, die anderen gingen aktiv auf die Geschlechtsunterschiede ein, um Benachteiligungen auszugleichen. Aber im schulischen Miteinander werden die Prozesse, die einem doing gender zugrunde liegen, aktiviert. Die Autorinnen fordern für eine Verbesserung der Unterrichtspraxis zunächst einmal mehr Selbstreflexion des eigenen Aushandelns von Geschlecht, auch wenn dies allein nicht ausreichen wird. Gerade die feministischen Lehrerinnen, diejenigen, die sich bewusst mit den Diskursen auseinandergesetzt haben, müssen nicht selten feststellen, dass sich die Schülerinnen dagegen verwahren, als benachteiligt zu gelten. Umgekehrt sind Selbstreflexionen ohne Genderkompetenzen allerdings auch kaum leistbar. Ge‐ fragt ist eine Balance von Dramatisierung und Entdramatisierung von Geschlecht (Faulstich-Wieland et al. 2009: 224). 228 13 Unterricht <?page no="229"?> Für Jungen bedeutet es ein Problem, wie von Lehrer: innen gefordert ge‐ horsam und diszipliniert zu agieren, ohne die maskulinen Hierarchien auszuhandeln und umzusetzen, wenn innerhalb der peer group solch ein Verhalten als unmännlich, angepasst und verweichlicht sanktioniert wird. Die Selbstdarstellung und Positionierung in der Gruppe haben Vorrang gegenüber der Gunst der Lehrer: innen. Jungen überschätzen sich gern, demonstrieren Status und inszenieren ihre Männlichkeit, oft auf Kosten des schulischen Erfolgs. Das typische Mädchen dagegen ist unauffällig, einsatzbereit, fleißig und unterrichtskonform. Mädchen nutzen außerdem typisch weibliche Unsicherheits- und Hilflosigkeitsstrategien zu ihrem Vorteil. Allerdings treten mittlerweile einige auch aggressiv auf (Faulstich- Wieland et al. 2009: 221). Das Einüben bestimmter Verhaltensweisen wirkt sich insofern auf die Zukunft der Kinder aus, als schulangepasstes Verhalten nicht auf die nö‐ tigen Strategien für Leitungspositionen vorbereitet. Risikobereitschaft und Durchsetzungsvermögen werden bei Mädchen nicht gefördert. Das tradiert im Endeffekt die typischen Genderdifferenzen weiter und demontiert den Mythos von Mädchen als Gewinnerinnen des Bildungs‐ systems. Expansives Lernen, wie es im Interesse des Einzelnen zur Weiterentwicklung liegt, ist in der Schuldisziplin nur bedingt möglich. Insofern werden nicht nur die Widersprüche der Mädchenbildung, sondern die Widersprüche der Bildung in der Schulorganisation nicht aufhebbar sein - sie können aber deutlich stärker in eine Richtung verändert werden, die Persönlichkeitsentwicklungen mit weniger Normierungen und Kontrollen fördern als dies heute geschieht (ibd.: 225). Da es in diesem Zusammenhang in Medien und auch in wissenschaftlichen Quellen zu polemischen und stark emotionalen Reaktionen kommt, die vor der Bekämpfung von Männlichkeit warnen, fordert Rendtorff (2015) eine Re-Dramatisierung für den öffentlichen Diskurs, weil in der Regel subjektives, intuitives und nicht hinterfragtes Allerweltswissen sachlichbewusstes Geschlechterwissen überlagert. Vor diesem Hintergrund glaubt sie, „eine selbstverständliche und quasi nebenbei Stereotype entkräftende 13.5 Entdramatisierung 229 <?page no="230"?> Rede kann vielleicht mehr bewirken als eine bemühte Unterrichtseinheit“ (Rendtorff 2015: 44). 13.6 Erste Schritte Da die Kinder immer früher und immer öfter schon vor der Schulzeit Einrichtungen besuchen, wächst die Verantwortung der Erziehenden. Chick et al. (2002) haben zahlreiche Anregungen, wie Erzieher : innen bei kleinen Kindern zu gendergerechtem Verhalten beitragen können. Dazu gehört zunächst wieder, Stereotype im eigenen Handeln und auch sprachlich zu erkennen und infrage zu stellen und dies dann auch bei den Kindern zu tun, denn Jungen werden nach wie vor häufiger beachtet. Der Anteil der Erzieher ist eindeutig zu gering. Vorgaben und Verhaltensweisen sind innerhalb der Gruppe der Erziehenden kritisch zu beobachten. Die Bücher und sonstiges Material sollten stereotypfrei ausgewählt sein. Es ist sicher‐ zustellen, dass alle Kinder Zugang zu allen Spielzeugtypen haben, dabei sind geschlechtsspezifische Farben wie rosa zu meiden. Geschlechtsuntypischer Spielzeuggebrauch sollte zwanglos sein und dann unterstützt werden, und die Kinder sind auch in geschlechtsuntypische Spielecken zu schicken. Günstig wäre außerdem, wenn die Kinder möglichst oft in gemischten Gruppen spielen (vgl. auch Krabel / Cremers 2008). In der Regel wird dafür plädiert, die Koedukation aufrechtzuerhalten. Allerdings können die Jungen und Mädchen immer wieder einmal in Grup‐ pen getrennt werden (Faulstich-Wieland et al. 2009: 14, 215, Horstkemper 1999, Nyssen 2004, Schilcher/ Hallitzky 2004, Herwartz-Emden et al. 2012). Gleichgeschlechtliche Konstellationen ermöglichen es den Kindern und Her‐ anwachsenden, auch ohne Inszenieren von Weiblichkeit und Männlichkeit auszukommen. So profitierten Mädchen in einer Studie mit 786 Schülerinnen und Schülern an sieben Berliner Gesamtschulen deutlich vom monoedukati‐ ven Physikunterricht, was am Nichtwirken der Stereotype und verbesserter Motivation und Selbstkonzepten gelegen haben mag. Jungen profitierten dagegen nicht (Hannover/ Kessels 2001). Jungen fühlten sich in einer Studie im Fremdsprachenunterricht wohler, wenn sie unter sich waren (Chambers 2005). Zumindest in dieser Untersuchung verschlechterte sich das Benehmen der Mädchen etwas, das der Jungen allerdings sehr. Böhmann/ Horstkemper (2006) berichten hingegen von weniger Störungen in den monoedukativen Stunden im Literaturunterricht und von der positiven Resonanz zur phasenweisen 230 13 Unterricht <?page no="231"?> Geschlechtertrennung in mehreren Fächern. Dabei eignet sich eine monoedu‐ kative Gruppe besonders bei Jungen für die Förderung sozialer Kompetenzen (Herwartz-Emden et al. 2012). Es wird auch immer wieder mehr Gruppen- und weniger Frontalunterricht gefordert, weil hier die Kinder und Jugendlichen mehr reden und eher aktiv werden können. Das Thema mit all seinen Problemen sollte im Unterricht behandelt, Geschlechtsstereotype sollten angesprochen und abgebaut werden (Fichera 1990, Nyssen 2004). Liben et al. (2002) glauben, dass nichtstereotype Bei‐ spiele allein nicht ausreichen, sondern dass explizites korrigierendes Feed‐ back und bewusstes Lernen nötig sind sowie männliche und weibliche Rol‐ lenbilder und natürlich der bewusste Umgang mit Sprache. Beispielsweise könnten Lehrende darauf achten, nicht immer die erste Hand aufzurufen und abwechselnd Mädchen und Jungen das Wort zu erteilen (Faulstich- Wieland et al. 2009: 215). Die Stereotypbedrohung ist bereits mit wenig Andeutung und auch ohne direkt mit einer Prüfungssituation zu tun zu haben aktiviert. Eine Verringe‐ rung im Gebrauch negativer Stereotype führt zu verbesserter Leistung in Mathematik bei den Mädchen. Das Unterrichtgeschehen sollte daher auf lange Sicht frei von Stereotypbedrohungen sein und frei von Entmutigungen (Keller / Dauenheimer 2003). Ungerechtfertigter Protektionismus der Mädchen stellt für Faulstich- Wieland et al. (2009: 225) ebenfalls ein Hindernis für Gleichberechtigung dar. Sie plädieren weiterhin dafür, Schüler: innen, wo es möglich ist, bei der Gestaltung von Räumen oder Themen zu beteiligen. Bei der Frühförderung und in der Grundschule müssen mehr Männer mitwirken. Im vorschulischen Bereich etwa beläuft sich in Deutschland der Anteil des männlichen Fachpersonals auf 2 % (Kuger et al. 2011: 272). Aufgrund der fehlenden männlichen Rollenvorbilder sind jüngere Kinder gezwungen, sich für die „richtigen“ Verhaltensweisen an den Medien zu orientieren, die ihnen besonders klischeehafte Rollenmuster vorspielen. Wichtig ist, früh anzusetzen und alle Beteiligten großflächig einzube‐ ziehen, alle Lehrer: innen, die Eltern und möglichst auch den außerschu‐ lischen Bereich, was sicher eine besondere Herausforderung darstellen dürfte. 13.6 Erste Schritte 231 <?page no="232"?> Zusammenfassung In der Schule lernen die Kinder soziales Rollenverhalten in Gesprächen, Texten und mit den Lehrer: innen als Vorbild. Stets fließen althergebrachte Wertmaßstäbe und stereotype Ansichten mit ein. Schule und damit auch Lehrer: innen stehen in einer besonderen Verantwortung, auf Kinder fair und individuell einzugehen, sie gleichberechtigt zu kritischen Bürger: innen zu erziehen und ihnen gleiche Chancen für die Zukunft zu geben. Faktisch wer‐ den sie dem jedoch nach wie vor nicht gerecht, denn Lehrer: innen gewähren unbewusst Mädchen weniger Gelegenheit zu sprechen und schränken sie in der Ausbildung des Selbstbewusstseins ein, statt sie explizit auch in frauenuntypischen Bereichen zu motivieren. Sie beschäftigen sich mehr mit Jungen als mit Mädchen, unabhängig von Fach und sozialem Hintergrund. Jungen werden häufiger gefragt, ermutigt, kritisiert. Das liegt jedoch nicht allein an den Lehrer: innen, sondern auch am Verhalten der Mädchen und Jungen selbst. Viele Jungen lassen sich ständig vom eigentlichen Unterrichtsgeschehen ablenken und boykottieren kooperativen, effektiveren Umgang, weil sie glauben, dem Männerstereotyp des dominanten Machos entsprechen zu müssen. Sie treten selbstbewusster, herausfordernder und konkurrenzbe‐ tonter auf als die meisten Mädchen. Jungen werden darin, meist unbewusst und indirekt, auch bestärkt und bereiten sich dadurch besser auf spätere Führungspositionen vor. Das mangelnde Selbstbewusstsein vieler Mädchen wird hingegen wiederholt mit als Quelle für Ungleichheit und auch für Leistungsdefizite identifiziert. Auch wenn Mädchen während der Schul- und Studienzeit die besseren Noten bekommen und die Jungen hier scheinbar benachteiligt werden, erhalten sie nicht die nötige Förderung für spätere anspruchsvollere, das heißt besser bezahlte Berufe. Schule perpetuiert Gen‐ derstereotype und -ungerechtigkeit. Da wir alle mit Stereotypen leben, schätzen wir unser Verhalten und das der anderen in der Regel falsch ein. Selbst- und Fremdwahrnehmung weichen stark voneinander ab. Darum reicht Selbstreflexion allein nicht aus, sondern bedeutet nur den ersten Schritt auf dem Weg zu mehr Gender‐ gleichheit. Wesentlich ist hier vor allem zunächst einmal die Erweiterung des eigenen Kenntnisstands. Dies gehört weit mehr zur fachwissenschaft‐ lichen Ausbildung als bisher geschehen. Die Studien und Betrachtungen zeigen insgesamt, wie wichtig es ist, dass sich Lehrkräfte mit wissenschaft‐ 232 13 Unterricht <?page no="233"?> lichen Ergebnissen, Stereotypen und der eigenen Praxis auseinandersetzen, um althergebrachte Denkmuster und liebgewonnene Handlungsschemata aufzubrechen, das persönliche Agieren kritisch zu hinterfragen und zu relativieren und Umsetzungsmöglichkeiten zu prüfen, dem Thema Raum im Unterricht zu geben und die Schüler: innen ebenfalls zum reflektierten Umgang mit Sprache und Gender anzuleiten. Sie müssen sich dem konse‐ quent aussetzen und Gendergerechtigkeit üben. Denn ihr Handeln dient als Vorbild, und durch ihre Kontrollmöglichkeiten nehmen sie aktiv Einfluss auf das Handeln der Schüler: innen. Dazu gehört sicher sehr viel Kreativität und Flexibilität. So verläuft dann der Weg zu einem gerechteren Unterricht über viele Etappen: Selbstreflexion, Bewusstmachen und Selbstkritik, kritische Beobachtung anderer, auch sprachlich, und Reaktionen auf andere, Skepsis gegenüber Materialien, Auseinandersetzung mit Strategien des Umsetzens sowie ihre Realisierung und bewusstes und aktives Thematisieren und Sprechen. Schließlich sollten auch die Kinder und Jugendlichen sowie die Erwachsenen an Universitäten, Volkshochschulen und anderen Institutio‐ nen an kritischen Strategien teilnehmen können. Vor allem aber gilt es, das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und der Schüler zu fördern und in die richtigen Bahnen zu lenken. Forschungsaufgaben Paseka (2007) listet verschiedene Forschungsdesiderata auf. Außerdem könnten einige der Vorschläge und Anregungen (vgl. 13.9) kontrolliert ausprobiert werden. Interessant wären Untersuchungen, inwiefern sich das Geschlecht der Lehrkräfte auf Noten von Jungen bzw. Mädchen in bestimmten Fächern, Altersstufen und Schultypen auswirkt. Literatur Sadker et al. (1991) behandeln Entwicklung, Studien, Situation und Zahlen im amerikanischen Schulwesen, für Großbritannien vgl. Swann (1992), aus österreichischer Sicht vgl. Plaimauer (2008), zum Schweizer Schulwesen seit den 1950er Jahren vgl. Crotti / Keller (2001). Allgemein zu Chancengleichheit Forschungsaufgaben 233 <?page no="234"?> in der Bildung und zu feministischer Pädagogik vgl. Prengel (2019), speziell bezogen auf den Englischunterricht mit Denkanstößen, Diskussionsthe‐ men, Aufwärm-, Sensibilisierungs- und Vertiefungsübungen auf Grundlage von verschiedenen Text- und Medientypen sowie Beispielanalysen vgl. Elsner / Lohe (2016). Herwartz-Emden et al. (2012) geben einen Überblick über Geschlechtersozialisation in der Schule. Betrachtungen und Studien zu Gender, Sprache und Gleichbehandlungen in Kindertagesstätten und Kindergärten kommen u. a. von Rabe-Kleberg (2003), Krabel / Cremers (2008), Rohrmann (2009), Kuger et al. (2011), Bran‐ des et al. (2013, 2015), Vogt et al. (2015), Schaich (2023). Vorschläge für genderbewusste Pädagogik in Kindertageseinrichtungen stellt Focks (2016) zusammen. Verschiedene Fragen zur erziehungswissenschaftlichen Geschlechterfor‐ schung behandeln Kampshoff/ Scholand (2017), zur Geschlechterforschung im Fach DaF vgl. die Zusammenstellung von Freese/ Völkel (2022), speziell zu queersensiblem Sprachunterricht Völkel (2022). 234 13 Unterricht <?page no="235"?> 14 Vorschläge für den Unterricht Gesetze und Lehrpläne fordern die Umsetzung von Gleichstellung als einen der Grundpfeiler der Demokratie. Aber auch der Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, dass es notwendig ist, traditionelle Geschlechtsrollen infrage zu stellen. Der Deutschbzw. Literaturunterricht bietet viele Ansatzpunkte, Stereotype aufzuweichen und die gewohnten Rollen und Verhaltensweisen kritisch zu reflektieren. Ziel ist es, langsam aber sicher aus dem alten Fahrwasser herauszukommen. Routinen lassen sich ändern, wenn sie mit neuen überschrieben werden. 14.1 Sprache und Geschlecht als Unterrichtsthema Schüler: innen müssen nicht nur Inhalte lernen, sondern auch argumentie‐ ren, kritisch sein und sich mit aktuellen sozialpolitischen Themen auseinan‐ dersetzen können. Deswegen eignet sich das Thema Sprache und Geschlecht wegen der Auswirkungen auf jede/ n Einzelne/ n und des damit verbundenen persönlichen Bezugs durchaus auch für den Unterricht. Plaimauer (2008) schlägt zahlreiche Übungen zur Sensibilisierung und konkreten Textarbeit für fünfte bis achte Klassen vor, die Studie enthält auch einige geeignete Beispieltexte. Mit einer Zeitreise in kleineren gemischten Gruppen gehen die Kinder in der Zeit zurück und erinnern sich, wo sie gewohnt haben, mit wem und womit sie gespielt haben etc. Dadurch sollen die geschlechtsspezifi‐ schen Sozialisierungswege bewusst werden. Mit Bildmaterial aus Zeitungen und Zeitschriften lassen sich Stereotype in Form von Kleidung, Farben, Tätigkeiten und Körperhaltung sammeln, diskutieren und mit der eigenen Erfahrung vergleichen. Anhand von Lebensläufen aus unterschiedlichen Generationen einer Familie können Schülerinnen und Schüler Biographien von Frauen und Männern, auch in der zeitlichen Veränderung, betrachten und die Schwerpunkte vergleichen, was Kinderbetreuung und Berufstätig‐ keit anbetrifft. <?page no="236"?> 40 Es sind Mutter und Sohn. Das Material ist im Anhang des Artikels abgedruckt. Brünner (1990) entwickelt ein Konzept im Rahmen des Themas „Sprache und Denken“ für einen Grundkurs der 13. Jahrgangsstufe. Sie entwirft Tests und Texte, die zum Denken anregen und die Jugendlichen auf das Thema vorbereiten sollen, beispielsweise: Zwei Indianer sitzen auf einem Zaun. Der erste ist der Sohn des zweiten, aber der zweite ist nicht der Vater des ersten. In welchem Verhältnis stehen die beiden zueinander? (Brünner 1990: 70) 40 Sie stellt den Plan für sechs Unterrichtsstunden mit Vorgehen und Zielen vor und beschreibt dann die Durchführung, die auf Tonkassetten aufge‐ zeichnet wurde, um sie anschließend besser auswerten zu können. Die positiven und lebhaften Diskussionen brachten die Schüler: innen dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und für das Problem offener zu werden. Während viele kritisch und konstruktiv mit der Thematik umgingen, gab es auf Seiten der jungen Männer aber auch abwehrende Reaktionen. Spieß (2013a) verortet das Thema bei den Textsorten. In ihrer Pilotstudie analysieren die Schüler: innen Medientexte, hier Online-Artikel überregio‐ naler Zeitungen zum Thema männliche Erzieher. Sie sollen erkennen, wie einerseits Lexik, Grammatik, Kontext und außersprachliches Wissen die Funktion von Textsorten bestimmen, andererseits auch die Rolle der Medien bei der Geschlechtskonstruktion verstehen, indem sie etwa durch Termini wie Weichei oder Basteltante den Beruf der Erzieher: innen negativ bewerten. Ziel ist ein reflektierter Umgang mit Sprache und dem Thema Geschlecht. Gendergerechte Sprache kann auch im Rahmen von Stellenanzeigen und Bewerbungen thematisiert und geübt werden, sprachdidaktisch und zur Förderung der Sprachreflexion (Spieß 2013b). 14.2 Verfahrensplan Für eine gelungene Umsetzung im Unterricht ist eine positive Haltung zum Thema auf Grundlage eines erweiterten Kenntnisstandes Voraussetzung, hierzu sollte der vorliegende Band seinen Beitrag geleistet haben. Nun gilt es, das persönliche Agieren kritisch zu hinterfragen und zu relativieren, 236 14 Vorschläge für den Unterricht <?page no="237"?> althergebrachte Denkmuster und liebgewonnene Handlungsschemata auf‐ zubrechen, also sich beispielsweise einen Plan zu überlegen, nicht immer gleich den Ersten, die aufzeigen, das Sprechen zu erlauben, sondern gezielt auf Abwechslung zu achten oder die Schüler: innen bei der Auswahl der Schullektüre zu beteiligen. Weiter sind die Umsetzungsmöglichkeiten für die persönliche Unterrichtssituation zu prüfen und langsam zu beginnen. Meist ist Neues unangenehm, so vielleicht die Verwendung von Lehrende oder Lehrkräfte statt Lehrer. Aber nach einiger Zeit gewöhnen wir uns daran und es klingt besser - probieren Sie es aus! Wenn möglich, geben Sie dem Thema Raum im Unterricht und leiten Sie die Schüler: innen zum reflektierten Umgang mit Sprache und Gender an. Manche der Vorschläge sind gleich umsetzbar, andere scheitern möglicherweise an Zeit-, Raum- und Personalvorgaben. ■ Meiden Sie stereotype Aussagen! ■ Meiden Sie stereotypes Handeln! ■ Wählen Sie stereotypfreies Material oder problematisieren Sie solches mit Stereotypen! ■ In Gruppenarbeit können Mädchen besser zu Wort kommen als im Plenum. ■ Teilweise geschlechtergetrennter Unterricht ermöglicht Jungen in den Sprachen und Mädchen in Naturwissenschaften und Mathematik mehr Freiraum, ohne dass sie sich vom anderen Geschlecht kontrolliert fühlen. ■ Das Rollenverhalten der Kinder und Jugendlichen kann kritisch begleitet werden, durchaus auch mit explizit korrigierendem Feedback. ■ Mädchen und Jungen sind bei Fehlverhalten gleichermaßen zu kritisie‐ ren. Mädchen sind nicht unnötig zu schützen, wenn sie aggressiv sind, Jungen sollten genauso wenig in die Klasse rufen dürfen wie Mädchen, um nur einige Beispiele zu nennen. ■ Gender und Geschlechtsstereotype sollten Unterrichtsthemen sein. ■ Anhand von Textbzw. Medienarbeit kann das Thema nebenbei oder gezielt behandelt werden, dabei sind die unterschiedlichen Interessen der Jungen und Mädchen zu bedenken. 14.2 Verfahrensplan 237 <?page no="238"?> 14.3 Checklisten und Fragebögen Schwanzer (2004: 7) stellt eine Checkliste für die Sensibilisierung für ge‐ schlechtstypisches Verhalten zusammen. Mithilfe von Tabellen können Lehrende Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen aufzeichnen, etwa Länge und Häufigkeit der Redebeiträge und Häufigkeit und Deutlichkeit der Wortmeldungen. In Tanzberger / Schneider (2008) gibt es Beobachtungsfra‐ gebögen für das Verhalten der Kinder und der Lehrpersonen, die auch von den Kindern ausgefüllt werden können (vgl. Tab. 1, 2). Mädchen Burschen wird aufgerufen, nachdem sie / er sich gemeldet hat - - wird aufgerufen, ohne dass sie / er sich gemeldet hat - - wird zur Tafel gerufen - - redet unaufgefordert - - wird ermahnt - - „stört“ (z. B. durch Geräusche machen) - - lacht andere aus - - unterbricht andere - - wertet andere ab - - unterstützt andere - - Tab. 1: Beobachtungskriterien für das Verhalten von Schülerinnen und Schülern (Tanzber‐ ger / Schneider 2007: 30) 238 14 Vorschläge für den Unterricht <?page no="239"?> Lehrer: in Mädchen (M) Burschen (B) ermahnt M/ B für-… - - lobt M/ B für-… - - verteilt folgende Aufgabe-… an M/ B - - unterbricht M/ B - - bestätigt M/ B - - korrigiert M/ B - - hilft M/ B - - Tab. 2: Beobachtungsbogen für Lehrkräfte (Tanzberger / Schneider 2007: 31) Sie bringen auch Beispiele für Fragebögen zur Selbsteinschätzung der Schü‐ ler: innen. Tanzberger / Schneider (2007: 23, 28) stellen außerdem Checklisten für die Analyse von Lehrmaterialien zur Verfügung (und vgl. Kap. 12). 14.4 Beispiele für den Unterricht Die nächsten drei Abschnitte geben exemplarisch Anregungen für verschie‐ dene Schultypen wieder. 14.4.1 Grundschule Monika Barz plädierte schon 1982 für Schulbuchanalysen als Unterrichtsge‐ genstand. Der Vorschlag hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Sie beschrieb in ihrem Artikel eine Unterrichtseinheit für die Grundschule. Um sich dem Thema zu nähern, griff sie Aussagen der Kinder auf wie „Die Weiber sind immer …“ und diskutierte in Rollenspielen und Gesprächskreisen, was Mädchen und Jungen immer bzw. gern tun, damit ihnen Unterschiede und Grenzen klar werden und vor allem auch die Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern. Sie ließ Paare von Mädchen und Jungen bilden und sie nach Größe, Frechsein, Bravsein, Schnelligkeit usw. vergleichen. Dann wurde auch die Frage diskutiert, wer die Kinder erzieht. Da Schulbücher durchaus einen Anteil daran haben, konnte sie so zum Thema Lesebuchanalyse überleiten. Sie begann damit, dass die Kinder die realen Fakten vergegenwärtigten. Nach der 14.4 Beispiele für den Unterricht 239 <?page no="240"?> Arbeit mit einem Fragebogen mit Aufgaben wie „Was machen Freundinnen (Freunde) von mir nachmittags? “, „Welche Berufe können Frauen (Männer) ergreifen? “, „Ist meine Mutter zusätzlich zum Haushalt noch berufstätig? “ (nach Barz 1982: 111) erfolgte die Auswertung und Besprechung in Gruppen‐ arbeit. Dazu gehörte u. a. das Fazit, dass sich Mädchen und Jungen kaum un‐ terschieden. Hier wären allerdings feinere Datenerhebungen wünschenswert. Danach sollten die Kinder aus verschiedenen Lesebüchern realitätsnahe Texte aussuchen. In Gruppenarbeit war mithilfe einer Analysetabelle die Anzahl der Bilder mit weiblichen und männlichen Charakteren zu ermitteln, die beschriebenen Tätigkeiten, Berufe usw. Dann folgte der Vergleich zwischen Kinderwirklichkeit und Schulbuchwirklichkeit. Es ergab sich, dass im Schul‐ buch alle Mütter nur im Haushalt agierten, während in der Realität einige auch berufstätig waren oder dass Jungen im Schulbuch nie mit Puppen spielten, während in der Wirklichkeit jeder (m.) schon einmal mit Puppen gespielt hatte. Auf diese Art und Weise versuchte Barz den „heimlichen sexistischen Lehrplan“ (Barz 1982: 110) der Bücher zu entlarven und die Kinder für mehr Gendergerechtigkeit zu sensibilisieren. Kinder können früh erkennen, dass Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der Wirklichkeit nicht besonders groß sind, dass sie nicht gut oder schlecht sind und dass Differenz nicht zum Defizit erklärt werden darf. 14.4.2 Ab der 5. Klassenstufe Folgende Checkliste für nicht-diskriminierende Sprache stammt von Schnei‐ der et al. (2011: 71-f.): ■ Lösen Sie sich von der verbreiteten Behauptung, die Schülerinnen seien bei den Schülern stets ‚mitgemeint‘. ■ Sprechen Sie von Schülerinnen und Schülern. ■ Nennen Sie häufig die Schülerinnen an erster Stelle. ■ Ersetzen Sie das geläufige Pronomen „jeder, der“ durch „alle, die“, oder sagen Sie „jede und jeder“ […]. Ebenso bei: „jemand, niemand, einer, keiner, man, …“ Nehmen Sie gesplittet darauf Bezug: „Niemand, der oder die schon einmal im Gefängnis gesessen ist, kann das behaupten. Jede 240 14 Vorschläge für den Unterricht <?page no="241"?> und jeder von euch wird das Problem kennen.“ Vermeiden Sie diese Fürwörter durch Passivkonstruktion, direkte Anrede, Ersetzen durch wir oder ich, konkreteres Formulieren. ■ Setzen Sie sich über ‚festgeschriebene‘ Grammatikregeln hinweg, denn es gibt keinen Grund, falsche, aber ‚grammatikalisch richtig‘ befundene Sätze endlos zu reproduzieren. ■ Und: verwenden Sie die zahlreichen Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren […]. Neben dem Lektürevorschlag Die Töchter Egalias von Gerd Brantenberg und Analysehinweisen von Printmedien auf genderungerechte Sprache hin empfehlen sie, in verschiedenen Quellen nach fehlenden Frauen zu suchen oder Beispiele aus Schulbüchern, Märchen oder anderen Texten so umzuformulieren, dass entweder ein geschlechtergerechter Text entsteht oder aber die Rollen vertauscht werden. So entstand folgende Fassung des Brecht-Gedichts (Kap. 12): Fragen lesender Frauen Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Und wo sind die Königinnen? Die Prophetinnen? Die Priesterinnen? Wer hat sie vertrieben? Da haben sie Felsbrocken herbeigeschleppt! Wer hat ihnen Wasser gebracht, das Essen bereitet? Wer hat die Schrammen und Wunden versorgt? Und das mehrmals zerstörte Babylon, Wer baute es so viele Male auf ? Aber wer zerstörte es eigentlich? In welchen Häusern Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? Wohnten sie dort allein? Was war mit ihren Familien? Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war, die Maurer? Ins Bordell? Das große Rom ist voll von Triumphbögen. Über wen triumphierten die Cäsaren? 14.4 Beispiele für den Unterricht 241 <?page no="242"?> Wer beweinte die Toten? Bei wem blieben die Kinder? Wer zog die künftigen Krieger heran? -[…] (Dehne 1992 in Schneider et al. 2011: 81 f.) Schneider et al. (2011) präsentieren Vorschläge allgemein sowie für die verschiedenen Fächer. Beispielsweise können beschreibende Texte mit ge‐ nerischem Maskulinum aus Geschichtsbüchern, Zeitungen und von Home‐ pages, die das Leben in der Landwirtschaft, auf einer Burg schildern, im Unterricht laut vorgelesen werden. Die Schüler: innen zeichnen, was sie sich dazu denken, dann werden die Bilder nach Frauen- und Männerfiguren und ihren Tätigkeiten hin vergleichend untersucht. Eine weitere Möglichkeit ist die Vergabe von Referaten oder Projektarbeiten zu berühmten Frauen des jeweiligen Faches. 14.4.3 Berufsschule Tanzberger / Schneider (2007) stellen sehr viele Vorschläge für Berufsschul‐ lehrer: innen zusammen. Im ersten Teil, der zur Vorbereitung dient, for‐ mulieren sie Anregungen zur Selbstreflexion. Mithilfe von Checklisten können die Lehrenden, aber auch die Jugendlichen im Unterricht die ver‐ schiedenen Lehrmaterialien systematisch auf Asymmetrien, Rollenklischees und genderungerechte Sprache analysieren, andere listen Verbesserungs‐ vorschläge auf. Mit Fragebögen (Kap. 14.3) lässt sich das Kommunikations‐ verhalten überprüfen. Die Schüler: innen können aber auch ein kleines Expe‐ riment durchführen, indem sie in der Schule oder außerhalb nach Sportlern, Künstlern, Politikern fragen und sich die Namen notieren. Währenddessen arbeitet eine Kontrollgruppe mit Beidnennungen. Die Ergebnisse werden gesammelt, auf Plakate geschrieben und in der Klasse verglichen. Tanzber‐ ger / Schneider (2007) schlagen ebenfalls Die Töchter Egalias als Lektüre vor. Der zweite Teil enthält methodische Anregungen und Arbeitsblätter, sowohl für die Lehrer: innen als auch für den Unterricht. In Rollenspielen zu Bewerbungsgesprächen etc. wird der Umgang mit Diskriminierung geübt. Entsprechende Situationen aus dem eigenen Leben oder mögliche Situationen können gespielt und diskutiert werden. Neben Rollenspielen schlagen die Autorinnen zahlreiche Übungen vor. So lassen sich Gender‐ themen anhand von Comics erörtern, Beispiele sind abgebildet. In einer anderen Stunde beschreiben die Jugendlichen ausführlich einen Tag in der 242 14 Vorschläge für den Unterricht <?page no="243"?> eigenen Zukunft im Alter von 35. Dann diskutieren sie gemeinsam die darin vorkommenden oder die fehlenden Aspekte Beruf, Freizeit, Haushalt, um das Rollenverständnis sowie Unterschiede in den Schwerpunkten zwi‐ schen Mädchen und Jungen zu reflektieren. Lehrer: innen können Anfänge von Lebensgeschichten präsentieren, bei denen kontrastiv weibliche bzw. männliche Personen agieren. Die Jugendlichen schreiben die Geschichten weiter und überlegen auch, ob sie für beide Geschlechter gleich weitergehen bzw. warum es Unterschiede gibt. In einer anderen Übung schreiben die Jugendlichen (un-)typische weibliche und männliche Lebensläufe anhand von vorgegebenen Etappen. Dann verkörpern sie die fiktiven Figuren dazu in einer Talkshow und diskutieren Genderthemen, auch hierzu gibt es Vorschläge. Diese Situation ermöglicht es den Jugendlichen, fremde Positionen einzunehmen. Lehrer: innen können die Jugendlichen weiterhin auch mit Recherchen beauftragen zu berühmten Frauen, ungewöhnlichen Männern bzw. Männererrungenschaften, die vorher nicht möglich waren wie Elternzeit. Es gibt Vorschläge für den Einsatz von Fernsehfilmen, die die Genderthemen berühren, ein Quiz zu Fakten im Zusammenhang mit Gender, hier bezogen auf Österreich, mit Fragen nach der Anzahl der Bür‐ germeisterinnen, Opfern von Diskriminierung, alleinerziehenden Vätern und schließlich auch Tipp-Übungen mit Texten zu Genderthemen, auch mit Rechtschreibfehlern, die zu suchen sind. Forschungsaufgaben Zusätzlich zur Umsetzung der Vorschläge kann dies Gegenstand von Beob‐ achtungen und Analysen und damit Thema für Abschlussarbeiten werden. Vielleicht dienen die Ergebnisse zu Überarbeitungen und weiteren Unter‐ richtskonzepten. Literatur Für die kritische Analyse des eigenen Unterrichts bieten Kreysler-Klee‐ mann / Schuster (1999) einen Fragenkatalog an. Vorschläge und Anregungen für eine veränderte Schulkonzeption gibt es in Horstkemper (1999), Glas‐ Forschungsaufgaben 243 <?page no="244"?> gow-Schicha (2005), für den Unterricht in Elsner / Lohe (2016), Wedl / Bartsch (2015), Plaimauer (2008), Ortner (2010), Schneider et al. (2011), Praxis Fremd‐ sprachenunterricht 6/ 2009, Grundschule 9/ 2009 und Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 135/ 2015, gezielt für den Umgang mit Texten Volkmann (2016), für die Schweiz Beiträge zur Lehrerbildung 19.3. Mittag (2015) richtet ihr Interesse auf den geschlechtssensiblen und kreativen Umgang mit Lite‐ ratur und Leseverhalten. Eine Werkmappe mit Materialen für den Unterricht stammt von Grünewald-Huber / von Gunten (2009), weitere Informationen dazu auch von Wedl et al. (2015). Bei Leeb et al. (2014) finden sich auch Texte, Unterrichtsbeispiele und Projekte zu den Themen Geschlechtsrollen und gendergerechte Sprache. Wood (1994: 229 f.) und Swann (1992: 221 ff.) listen Diskussionsthemen und Aufgaben für ältere Schüler: innen und Stu‐ dent: innen auf. In Enders-Dragässer / Fuchs (1989: 141 f.) sind Strategien von Lehrenden zu finden, mit denen die Situation im Klassenzimmer verändert werden kann, um Benachteiligungen abzubauen. Swann (1992) gibt eine An‐ leitung, wie Lehrende die Genderungleichheiten im Unterricht untersuchen können, indem sie mithilfe von Checklisten, Feldnotizen oder Audio- oder Videoaufnahme mündliche und schriftliche Beiträge sammeln und analysie‐ ren. Sie zählt außerdem Strategien auf, um gegen Unausgewogenheit vor‐ zugehen. Das betrifft die Auswahl der Bücher und sonstiger Materialien und Themen, Gruppenzusammensetzungen, Unterrichtsorganisation, eigenes Sprachverhalten und das der Schüler: innen bis hin zur Problematisierung von Sprache und Geschlecht und dem Appell, das Thema in allen Medien kritisch zu verfolgen. Sievers (2006) stellt einen Workshop vor mit Übungen und Aufgaben für Lehrende und Umsetzungsstrategien für den Unterricht. Schilcher / Hallitzky (2004) befassen sich mit dem Literaturunterricht und verweisen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen von Jungen und Mädchen mit Vorschlägen für die praktische Umsetzung. Sie plädieren beispielsweise für eine Akzentverschiebung bei der Auswahl der Lektüre in Richtung Science-Fiction, Kriminal-, Abenteuer- oder Bandenromane, aber auch für geschlechtshomogene Unterrichtsphasen. Im Internet finden sich zahlreiche Angebote zur Weiterbildung und für die Unterrichtsgestaltung (Zugriff jeweils 27.07.2023): ■ https: / / gendersensibel-unterrichten.alp.dillingen.de ■ http: / / www.forschungsnetzwerk.at/ downloadpub/ gender_lehrerInnen fortbildung_projekt_mut_2006.pdf 244 14 Vorschläge für den Unterricht <?page no="245"?> ■ https: / / www.plan.de/ engagement-von-und-fuer-schulen/ fuer-den-unte rricht/ gender.html? sc=IDQ24100 ■ https: / / www.lehrer-online.de/ fokusthemen/ dossier/ do/ genderaspekte-i m-unterricht/ ■ https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ q/ gendersensible-bildung-underziehung/ unterricht/ gender-und-unterricht/ unterrichtsmaterial/ index .html ■ https: / / www.mediathek.at/ unterrichtsmaterialien/ geschlechterverhaelt nisse/ . Literatur 245 <?page no="247"?> Literaturverzeichnis Abad, Carla, Pruden, Shannon M. 2013. Do storybooks really break children’s gender stereotypes? Frontiers in Psychology 4. Article 986. Ahrens, Ulrike 1997. 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DaF-205f., 208 Defizithypothese-44, 150 Dekonstruktion-30, 50 Determinismus-62f., 69 Differenzhypothese-45, 150 Differenzialgenus-72 Direktive, Befehle, Imperativ-45, 105, 149, 161, 170-173, 214 Distraktoren-85ff. doing gender-47-51, 145, 162, 228 double bind-36 Eigenwahrnehmung / selektive Wahrnehmung-10, 183, 225 Entdramatisierung-228 Erzieher / in-10, 24, 172, 174f., 222, 230, 236 Ethnie-17, 45, 51, 57f. Evolution-51-54, 126, 139, 143, 161 eye tracking-94, 140 Feminismus-26, 29, 58, 65, 92 Feministische Linguistik-22, 26, 35, 37, 42ff., 46, 57f., 77, 89 Fernsehen-23, 114, 149, 178, 181-184, 187, 189f., 196, 201 Frauenbewegung-26f., 29, 41, 43f. Frauensprache, women’s language-31, 33, 35, 46, 151 Fremdwahrnehmung-166, 220, 232 Gehirn-52, 61, 110, 125f., 128, 131-135, 139, 142ff., 170, 184, 200 Gender (pay) gap-15, 98, 116 gender constancy-166 Genderkompetenz-10, 23, 219, 228 Genderlekt-46 generisches Maskulinum 71, 80, 95, 193, 198, 215 Genus-20, 22, 25, 32, 36, 38-41, 71f., 77, 79f., 83f., 89, 93, 95f., 98f. Geschlechtsidentität-47f., 127, 145, 165, 168f., 171, 179 geschlechtsneutral-75, 78f., 86, 88, 92, 177, 193, 206, 220, 228 Geschlechtsrolle-10, 103, 117, 161, 163, 182, 235, 244 Heckenausdrücke, hedges 34, 43, 67, 150 Heterosexualität-51 <?page no="292"?> Homosexualität-29, 76 Hormone 18, 21f., 25, 110, 121, 125-128, 130-133, 135, 137f., 140, 142ff., 161, 169, 179 Informatik-116, 210 Interaktion-10, 19, 47ff., 75, 92, 103, 111ff., 139, 143, 145, 150, 165, 169, 171, 173, 175, 196, 209, 211, 216, 220, 224, 227 Kinderbuch-93, 199 Kindergarten-19, 53, 110 Kita-21, 179 Koedukation-221, 230 Kognition, kognitiv 10, 53, 61, 63, 75, 79, 83, 85, 91, 96, 104, 122, 128f., 131, 135, 138, 142f., 165, 167ff., 179f., 182, 190 Kollokation-76, 104, 191f., 200 Kommunikation-35, 45, 112, 133f. Kontext 21, 55, 82f., 85f., 90-93, 103, 124, 151, 191f., 198, 223, 236 Kooperativität-157, 160, 162, 222 Langue-36, 77 Lateralisation-130, 132ff., 143 Lehrer / in, -kraft, -schaft 24, 40, 78, 112, 215, 219, 223f., 228 Lehrmaterialien-207, 239, 242 Lesen-114, 119, 167, 205 male as norm, Menschen sind männlich-91, 94, 107 Mathematik, Mathe, math-17, 108, 112ff., 117f., 121f., 124, 135f., 210f., 225f., 231, 237 Medien-10, 19, 21, 23, 47, 68, 103, 114, 121f., 145, 178f., 181-185, 188f., 200f., 229, 231, 236, 244 MINT-18, 216 Mutter-32, 40, 64, 74, 76, 106, 112, 117, 127, 129f., 138, 140f., 144, 170-173, 177f., 185, 193, 205f., 220f., 236, 240 Naturwissenschaft-117, 123, 210, 220, 226, 237 Neutralform-39f., 64, 71, 83f., 86ff., 94, 97, 101, 192 Neutralisierung-49f., 75, 228 Objekt (grammatische Kategorie)-213 Parole-36, 41 Passiv (grammatische Kategorie)-66, 241 Personenbezeichnung-37, 73f., 78, 84, 86, 93, 194, 196 Phraseologismus-73, 76 Physik-113 Pronomen 37, 40, 65, 72, 74, 85, 89, 91ff., 190, 240 Prosodie-152 Psycholinguistik, -isch-37, 63, 77, 81, 83f., 99 Rechnen-108, 120, 167 Relativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese-61 Relativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese-62f., 69, 80 Religion-14, 17, 57 Schimpfwort-151, 162 Schrägstrich-78, 87, 94, 147 Schulbuch-178, 203f., 212, 215, 239 Schule-19, 221f., 224 292 Register <?page no="293"?> Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl-30, 114, 183f., 224, 226 Selbstwahrnehmung-104, 113, 118, 182 Semantik, -isch-36, 65, 72, 80, 82f., 103, 214 Soziolinguistik, -isch-31, 43, 45, 51, 58 Spiel, Rollenspiel, Spielverhalten-105, 112, 126, 129f., 138, 140f., 143f., 167f., 170-173, 179, 184, 197, 200, 239, 242 Spielzeug-112f., 129, 140, 173, 176f., 180 Sprichwort-35 Status-46, 51-54, 64, 67, 92, 95, 97, 100, 104, 108, 120, 135ff., 141f., 145, 152, 154f., 157, 160-163, 170, 183, 203, 222, 229 Stereotypbedrohung, stereotype threat-18, 115, 118-124, 136f., 184, 231 Sternchen-78 Subjekt (grammatische Kategorie) 213f. Tier-32, 52f., 72, 91, 93, 95, 135, 142 undoing gender-50f. Universalismus-61, 63, 69 Unterbrechung-44, 55, 147, 149f., 152, 157, 159, 162 Unterstrich-78 Vater-9, 16, 30, 112, 117, 142, 144, 172f., 178, 186, 197f., 206, 243 Werbung-23, 52f., 115, 119, 178, 182- 187, 201 Zeitschrift-38, 80, 125, 182f., 195, 235 Zeitung-80, 182f., 190f., 193f., 235f., 242 zwei Kulturen-46 Register 293 <?page no="294"?> ISBN 978-3-8252-6180-1 Der Band erläutert die vielfältigen Ursachen von Geschlechterstereotypen und zeigt Möglichkeiten auf, in Lehr- und Lernsituationen oder bei der Beurteilung von Kindern gendersensibel zu agieren. Sein Fokus liegt auf der Sprache: Sie behandelt die Geschlechter nicht gleich, sondern transportiert Geschlechterstereotype, ihr Gebrauch beeinflusst unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Lehrkräften und Betreuungspersonen hilft der Band, diese Zusammenhänge zu erkennen und bietet Anregungen für einen gendersensiblen Umgang in Kita, Schule oder Universität. Die Nachauflage berücksichtigt neue Studien und Entwicklungen besonders zu gendersensibler Sprache sowie trans- und intersexuellen Lebensformen. „… für die Arbeit in Kindertagesstätten und Schulen, für die Fort- und Weiterbildung sowie die Hochschullehre eine sehr gute Arbeitsgrundlage.“ (socialnet.de, 13.11.20) Sprachwissenschaft Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel
